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Full text of "Muenchener Medizinische Wochenschrift 65 ( 1918), 2. Halbjahr 719 1474"

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Medizinische Wochenschrift 


Ch. Bfiumler, 

Freibturg I. H. 

W. v. Leube, 

Stuttgart. 


A. Bier, 

Berlin. 

Go v. Merkel, 

Nürnberg. 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 

Herausgegeben von 

Bier, M. v. Gruber, H. Helferich, M. Hofmeier, 

erlin. München. Eisenach. Würzburg. 

Ferkel, Fr. Moritz, Fr. v. Müller, F. Penzoldt, B. Spatz, 


Fr. v. Müller, 

München. 


Fr. Lange, 

München 

R. Stintzing, 

Jena. 


U_ orr o T ..11 404 0 Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 

NP. 27. 2. Juli 1918, Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. ®5. Jahrgang. 


Die Münchener Med. Wochenschrift kostet ab 1. Juli 1917 in Deutschland direkt vom Verlage, sowie bei allen Postanstatten und Buchhandlungen 
vierteljährlich Mark 7.—. In Oesterreich-Ungarn und Luxemburg bei Bezug durch Buchhandlungen ebenfalls Mark 7.— f bei direktem Bezug unter Kreuzband 
Mark 8.—. Nach dem übrigen Auslande zuzüglich Mehrportoauslagen derzeit Mark 9.30. Bei Bezug durch deutsche Feldpostämter in allen besetzten Oebieten Mark 7.30. 
In Feldpostbriefen direkt vom Verlage einschliesslich der Mehrportoauslagen Mark 8.—. Der Postbezugspreis im Auslande richtet rieh nach dem derzeitigen Kurs« 
und ist bei den Zeilnngspostämtern zu erfragen. 


Inh 


Criffinallen: Kehrer, Ueber Tiefenwirkung und Reizdosierung des Radiums 
bei der Karzinombestrahlung. [lllustr.J S. 719. 

Beckmann und Schlayer, Ueber orlhotische Albuminurie. [Illuatr.J 
S. 721. 

Köhler und Veiel, Zur Diagnose der Ruhr. [Illustr.j S. 726. 

Freud, Zur radiologischen Beurteilung des geeigneten Zeitpunktes zur 
Gastro-Enterostomie bei Pylerusstenose. S. 728. 

C h i e v i t z und Meyer, Eine Methode zur Frühdiagnose des Keuchhustens. 
(„Die Hustenaassaatmethode. “) S. 729. 

Weitz, Ueber schwere Hämoglobinämie bei Infektionen mit dem Bazillus 
phlegmones emphysematosae (E. Frankel; vom schwangeren Uterus 
aus. S. 730. 

Schenker, Eine einfaohe Methode der Umbildung der Armamputations- 
Stümpfe für die durch Muskelkrafttunnels bewegte Prothese. [Illustr] 
S. 732. 

Hirsch, Ein Fall von embolischer Projeklilversclileppung ln den rechten 
Herzvorhof mit Einbohrong in die Herzwand. [Illustr.] S. 733. 

Böhler. Ueber die Behandlung der Schulterverrenkungen ohne Verband 
und mit sofortigen aktiven Bewegungen. |Illustr.] S. 734. 

Christen, Zur praktischen Dosimetrie der Röntgenslrahlen. S. 736. 

Aorstllcbe Standesanoeleoonlieiteii: Kaestner. Der Arzt in der Recht¬ 
sprechung. S. 737. 

Bftchoraiizeiaetl mi Referate: Verworn, Physiologisches Praktikum. Ref.: 
H e i 1 n e r • München. S. 739. 

Bachem, Arzneitherapie des praktischen Arztes. Ref.: Kerschen¬ 
ste i n e r. S. 739. 


a 1 ftt 


Neueste Journalliter atnr: Deutsches Archiv für klinische Medizin. 
126. Bd., 1. und 2. Heft. — Bruns’Beiträge zur klinisohen Chirurgie. 109. Bd, 
3. Heft (6. kriegschir. Heft.) - Zenlralblatt für Gynäkologie. Nr. 24. — 
Zeil schrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 86. Bd, 1. Heft — 
Berliner klinische Woohenschrift Nr. 24. — Deutsche medizinische Wochen¬ 
schrift. Nr. 24. — Oesterreichische Literatur. S. 739. 

Vereint- und Kongreteberiohte : Berlin, Verein für innere Medizin und 
Kinderheilkunde, 17. Juni 1918. S. 742. 

Halle a. S., Verein der Aerzte, 6. Februar 1918. S. 742. 

Hamburg, Aerztlicher Verein, 11. Juni 1918. S. 744. 

Kiel, Medizinische Gesellschaft, 3L Januar 1918. S. 746. 

Leipzig, Medizinische Gesellschaft, 19. März 1918. (Schluss.) S. 746. 

Marburg, Aerztlicher Verein, 30. Januar 1918. Sw 746. 

Kleine Mitteilungen : Vereinfachter Koehsalzinfnsionsapparat (Illustr.] — 
Therapeutische Notizen: Komplikationen nnd Naehkrankheiten 
des Soharlachs bei Serotherapie. S. 747. 

f agesgesohlclltliclie Notizen: Kriegschronik. — Her&usgebersehaft der Münch, 
med Wochenschrift — Deutscher Aerztetag in Eisenach. — Erhöhung 
der Leiehenschaugebühren. — Prothesenwerkstätten. — Betriebskranken¬ 
kassen. — Stadtmcdizinalrat — Salvarsan in Amerika. — Kongress¬ 
nachrichten. — Bekämpfung der Trichophytie. — Influenza. — Fleokfieber. 
— Mortalität in Deutschland — Hochschulnaohrichten: Berlin, 
Freiburg i. Br., Giessen, Halle, Hamburg, Heidelberg, Königsberg, Leipzig, 
München, Tübingen. — Kollmann f. — Ehrentafel. S. 747. 

Münchener Aerztliohe Kriegshilfskasse. Sw 748. 



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Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




















Einbanddecken für die Münchener medizin. Wochenschrift 

Eine genau passende Decke in Halbleinwand für den 

I. Halbj ahrsband 1918 

steht den Beziehern der Wochenschrift zum Preise von NK. 3.80 einschliesslich Postgeld zur Verfügung. 

Die Einbanddecken für den I. und II. Halbjahrsband 1917 auf einmal bezogen kosten NK. 7.50 ein¬ 
schliesslich Postgeld. 

Auch zu den früheren Jahrgängen sind CinbanddecKen zu beziehen und zwar: 

für je einen Halbband in Halbleder (soweit noch lieferbar) um. NK. 4*30 | einschliesslich 

„ „ „ „ „ Halbleinwand. „ 3.80 1 Postgeld. 

Nach Oesterreich-Ungarn und ins neutrale Ausland ist die Ausfuhr von Einbanddecken bis auf weiteres nicht gestattet. 

J. F. Lehmanns Verlag In München SW. 2, Paul Heyse-Strasse 26. 


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iwiiert Mw B Nummer 80 4. • Bezugspreis In Deutschland 
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id Beilagen/an Rudolf Messe» XheaUnerstg^e ß. 
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Medizinische Wochenschrift. 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Nr. 27. 2. Juli 1918. 

Schriftleitung: Dr. B. Spatz» Amulfstrasse 26. 

Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 

65. Jahrgang. 

Der Vertag befallt sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung and Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeitrige vor. 


Originalien. 

Aus der Kgl. Frauenklinik Dresden. (Din: Prof. E. Kehrer.) 

lieber Tiefenwirkung und Reizdosierung des Radiums 
bei der Karzinombestrahlung. 

Von E. Kehrer. 

Ueber die biologische Tiefenwirkung der y-Strahlen des Radiums 
gehen die Ansichten weit auseinander. Einzelne, wie Mackenrodt 
and Nagel, und manche übertriebene Anhänger der Röntgenbestrah¬ 
lung behaupten, dass das Radium eine rein oberflächliche Wirkung 
liusübe, wie ein Kaustikum oder das Ferrum Gandens, das man seit 
Jahrhunderten bei bösartigen Geschwülsten anwendet. Sie meinen, 
cs komme nur zu einer Verschorfung und Nekrotisierung der dem 
Radiumfokus benachbarten Karzinomschichten, während in der Tiefe 
Jas Neoplasma unbeschränkt weiterwuchere oder gar durch Radium¬ 
reizung in seinem Wachstum angeregt werde. Andere sind in das 
Gegenteil verfallen und haben dem Radium eine Wirkung auch auf 
grosse Distanz beigemessen. Nach ihnen reichen die Radiumstrahleil 
so weit wie die Ovarien von einem in die Cervix uteri eingelegten 
Radiumröhrchen entfernt sind. Diese Ansicht stützt sich auf die Be¬ 
obachtung, dass die Ovarien diejenigen Organe sind, die bei intra¬ 
uteriner oder intravaginaler Radiumbestrahlung ihre Tätigkeit am 
ehesten einstellen; denn-das erste Ergebnis einer schon kurzen Be¬ 
strahlung ist Amenorrhoe. Aber man vergass, dass die Ovarien viel 
strahlenempfindlicher sind als die Karzinomzellen und dass die Strah¬ 
lenimpulsstärke, die zur Vernichtung der Ovarialfunktion genügt, 
noch lange nicht imstande ist. die Krebszellen zu zerstören. Ovarial- 
dosis und Einschmelzungsdosis — d. i. jene Dosis, die zur völligen 
Einschmelzung = Zerstörung eines Karzinoms nötig wird, soweit es 
durch die Probeexzision in etwa 2 cm Gewebstiefe feststellbar ist — 
sind eben sehr verschiedene Dinge, und Franz hat mit Recht be¬ 
merkt, dass die ganze Frage der Radium- und Röntgentherapie längst 
zu deren Gunsten gelöst wäre, wenn Ovarien und Karzinomzellen die 
gleiche Sensibilität aufwiesen. 

Wo liegt nun die Wahrheit zwischen diesen beiden Extremen? 

B u m m und sein Schüler Schäfer, Franz, Kroemer und 
Fritz Heymann haben erklärt, dass die zu weitgehender Beein¬ 
flussung des Karzinoms erforderliche Tiefenwirkung der Radium- 
strablen sich nur auf einen Radius von 2,5 bis höchstens 3,5 cm im 
Umkreis der Strahlenquelle erstrecke. Nach Bumm und Amann 
wird vom 3. cm an statt der zerstörenden eine Reizdosis gegeben. 
Aber diese Angaben stützen sich meist auf histologische Unter¬ 
suchungen erst bestrahlter, dann exstirpierter Uteri. Dass in diesen j 
Fällen, in denen die inoperablen Karzinome durch die Radiumbestrah¬ 
lung beweglicher, also zu operablen umgestaltet wurden, niemals so 
hohe Radiumdosen verabreicht werden konnten wie bei der Karzinom¬ 
therapie-gefordert werden muss, Ist einleuchtend, und somit kann 
diesen Beobachtungen nur ein bedingter Wert beigemessen werden. 
An Leichenpräparaten haben Eder und Asch off in einer Tiefe 
von 4 cm nach Radiumbestrahlung noch vollkommene Zerstörung 
des Karzinoms histologisch nachzuweisen vermocht, und später haben 
Bumm und Paul Werner eine Tiefenwirkung bis aiff 4—5 cm 
zugegeben. Mit dieser stimmt eine Angabe von Weinbrenner 
ungefähr überein, nach welcher bei intrakorporaler Bestrahlung eines 
Korpuskarzinoms die hinter einem submukösen Myom von 6 cm Dicke 
in einer Tubenecke gelegenen Krebszellen noch unversehrt waren. 
Eine sehr viel grössere biologische Tiefenwirkung wird von den Fran¬ 
zosen Wickham-D 6 grais und Bayet vertreten. Jene haben 
190 mg Radiumbromid, also etwa 130 mg Radiumelement angewendet 
und eine Beeinflussüng des Karzinoms noch in 9—12 cm Tiefe fest- 
gestellt; dieser hat sie noch in einer Distanz von _10_cm gefunden. 

Von allem Anfang an muss man fragen, wie man zu einer Ver¬ 
allgemeinerung einer Tiefenwirkung von 2,5—3,5 cm gelangen konnte. 
Denn die Tiefenwirkung richtet sich doch ganz nach der Valenz eines 
einzelnen Radiumpräparats. Und in jeder Klinik ist ein anderes Ra- 
diiimsalz in Gebrauch. Nehme ich ein solches, das einen sehr hohen 
Radiumelementgehalt besitzt, so werde ich a priori eine viel grössere 
biologische Tiefenwirkung erwarten dürfen als wenn ich ein ganz 
schwaches Radiumpräparat anwende. Man hat zwar oft vom Qua- 
* dratgesetz und von der Absorption durch das Filtermaterial, besonders 
die Metallfilter, und die verschiedenen Gewebe des Körpers gesprochen, 
aber man hat sich doch im Lager der Radiumtherapeuten nicht so 
Nr* 27. 


recht klar gemacht, was diese beiden Begriffe tatsächlich in ihren 
letzten Wirkungen bedeuten. 

Nach dem Ouadratgesetz nimmt die Intensität, i. e. die primäre 
Impulsstärke der Strahlen mit dem Quadrat der Entfernung vom 
Radiumfokus pro Flächeneinheit ab. Ein Präparat von 75 mg Ra.-El. 

75 

wirkt demnach in 4 cm Tiefe mit einer Impulsstärke von 4*-»= 4,7, oder 

mit anderen Worten: an dieser Stelle des Gewebes wirkt es so, wie 
wenn an ihr direkt nur ein Präparat von 4,7 mg Ra.-El. bestrahlen 
würde. 

Zu dem Quadratgesetz kommt aber die Absorption durch die 
Metalle, z. B. das vernickelte Messing, welches das Radiumgläschen 
umschliesst, und vor allem durch die Gewebe hinzu. Ich halte mich 
auf Grund experimentell-biologischer Untersuchungen, die im Arch. 
f. Gyn. 108. H. 3 mitgeteilt wurden, für berechtigt, den Absorp¬ 
tionskoeffizienten der y-Strahlen des Radiums durch Muskel^Binde- 
gewebe auf 10 festzusetzen, was in ziemlicher Uebereinstimmung 
steht mit den experimentellen Untersuchungen von Giraud und ihm 
folgend von dem Freiburger Physiker Hans Königsberger, welche 
die Absorption der bereits gefilterten y-Strahlen durch Muskelgewebe 
mit 9 Proz. gefunden haben. 

Wenn wir nun Quadratgesetz und Absorption zusammen berück¬ 
sichtigen, so könen wir auf Grund einer Formel, die Königsber¬ 
ger angegeben hat, auf BruchteHe eines Zentimeters 
genau berechnen, wie tief der biologische Wir¬ 
kung sradius jedes beliebigen Radiumpräparates 
i s t. Freilich ist dabei zu berücksichtigen, dass der Radumfokus nicht, 
wie für eine mathematisch- physikalische Berechnung angenommen 
werden muss, ein scharf umschriebener Punkt, sondern eine Körper¬ 
oberfläche von geringer Ausdehnung ist und dass sich die Radiosensi¬ 
bilität der Karzinomzellen bzw. des Körpers nicht immer in gleicher 
Weise verhält. Jene Fehlerquelle ist sehr gering und kann “bei kurzen 
Radiumträgern unberücksichtigt bleiben. Den letztgenannten bio¬ 
logischen Faktor aber zu beurteilen liegt nicht in* unserer Macht. 
Dass aber die von mir mit Rübsamen angestellten physikalisch¬ 
mathematischen Berechnungen tatsächlich richtig siqd, habe ich durch 
experimentell-biologische und histologische Untersuchungen fest¬ 
gestellt. Bei den ersteren wurden bestimmte Testobjekte durch ver¬ 
schieden dicke Myomplatten, die aus operativ gewonnenen Myomen 
herausgeschnitten worden waren, bestrahlt. Die letzteren wurden 
an Beckenpräparaten von Frauen vorgenommen, die an Interkurrenten 
oder mit der Radiumbestrahlung gelegentlich in Zusammenhang 
stehenden Krankheiten (Peritonitis) verstorben waren. 

Ich habe dabei zunächst festgestellt, dass wir berechtigt sind, 
von einer Tiefenwirkung auf das Karzinom im Sinne einer Einschmel¬ 
zung, also von der „Einschmelzungsdosis“, wie ich sie be¬ 
zeichne, noch in derjenigen Tiefe zu sprechen, in der die 
primäre Impulsstärke irgendeines Radiumpräpa¬ 
rats auf rund 1 mg Ra.- El. gesunken ist. An welcher 
Stelle des karzinomatösen oder gesunden Gewebes dieser Wdrkungs- 
wert allein nach dem Quadratgesetz gelegen ist, kann aus 
Tabelle 1 für 6 verschiedene, als Beispiele gewählte Radiumpräparate 
abgelesen werden, während Tabelle 2 und die Diagramme in Abb. 1 
und 2 diese Stelle unter Berücksichtigungvon Quadrat- 
gesetz und Absorption genauer angeben. Man sieht z. B., 
dass ein Präparat von 25 oder 75 mg Ra.-El. diese Wirkungsdosis 
allein nach dem Quadratgesetz in 5 und 9 cm Tiefe, in Wirklichkeit 
aber infolge Quadratgesetz + Absorption in 3,9 oder 6,2 cm Tiefe 
besitzt. 

Es gelang durch weitere in den angegebenen Richtungen sich 
bewegende Untersuchungen den Nachweis zu erbringen, dass an 
der Steile des Gewebes, wo die primär aufdie Ober¬ 
fläche des Karzinoms einwirkende Impulsstärke 
auf den Wert von ungefähr 0,7 mg Ra.-El. gesunken 
ist, eine Reizdosierung verabreicht wird. Liegen an 
diesem Ort Karzinomzel|en, so werden sie zu schrankenlosem Wachs¬ 
tum und zu schneller Metastasierung angeregt. Befinden sich an 
dieser Stelle Drüsen, so gelangen sie zur Hypersekretion oder auch 
zur Umstimmung des Sekretcharakters, liegt hier Bindegewebe, so er¬ 
folgt eine Proliferation desselben. Es kann kein Zweifel sein, dass 
die Reizdos ierung inderPraxisderRadiumbestrah- 
lung bis jetzt ausserordentlich häufig verabfolgt 
wird, dass sie in erster Linie für die zurzeit noch 
unbefriedigenden Heilerfolge verantwortlich zu 


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720 


muenchener medizinische Wochenschrift. 


Nr. 27. 


m 3 c.h.e jj^is t, iwid \or allem bei der Fernbestrahlung 
uü.d: Ö .fcs-plrf d}e «tf £ KolpeurynterbeStrahlung 

z nVttfh\fe # lc*6 m’ifiV* 'Gute* Primär erfolge können im letzteren Fall 
trotzdem festgestellt werden, aber unbefriedigend werden die Spät¬ 
erfolge solcher Bestrahlung sein, weil man wohl eine Einschmel¬ 
zung des Karzinoms an seinen oberflächlichen Schichten, eine Reiz¬ 
dosierung aber in der Tiefe erhält, nämlich dort, wo der Wirkungs¬ 
wert des angewandten Präparats auf ungefähr 0,7 mg Ra.-El. gesunken 
ist. Das mag an zwei Beispielen erläutert werden: 

Tabelle 1. Einfluss des Quadratgesetzes allein bei 6 Radium¬ 
präparaten mit einem Radium-Element-Gehalt von 150 —25 mg. 



150 mg 
RA.-EI. 

125 mg 
Ra.-El. 

ICO mg 
Ra.-El. 

75 mg 

Ra -El. 

50 mg 
Ra..EU 


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gebiets, den Lgl. hypogaslricae und iliacae, zur Einsc hmelzung zu 
bringen. 

Wir begehen also einen folgenschweren Irrtum, wenn wir bei der 
Karzinombestrahlung zu gering dosieren, d. h. vor allem zu nieder- 
wertige Radiumpräparate anwenden, zu kurze Zeit bestrahlen oder 
zu lange Zwischenräume zwischen die einzelnen • Bestrahlungen ein- 


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Tabelle 2 . Orte der grössten Tiefenwirkung (Wirkungsdosis 
= W.D.) und der Reizdosierung (R.D.) im Gewebe unter dem Ein¬ 
fluss von Quadratgesetz und Absorption. 


QS 1,0 1.5 2,0 2,5 3.0 35 8,0 HS SO S5 6.0 85 7.0 7.5 80 05 9.0 «5 1QO 


tSk 

W.D. in 
Centimeter- 
tiefe 

R.D. In 
Centimeter- 
tiefe 

mg 

Ra.-El, 

W.D. fn 
Centimeter- 
tiefe 

R.D in 
Centimeter- 
tiefe 

5 

-2,0 

2,5 

70 

6,0 

6,9 

10 

2,7 

3,3 

75 

6,2 

7,0 

15 

3,0 

3,7 

80 

6,3 

7,2 

20 

3,6 

4,2 

85 

6,5 

7,4 

25 

3,9 

4,6 

90 

6,7 

7,5 

30 

4,2 

5,0 

95 

6.8 

7,7 

55 

4,5 

5,3 

100 

6,9 

7,8 

40 

4,7 

5,6 

105 

7,0 

7.9 

45 

5,0 

5,2 

5,8 

110 

7,1 

8,1 

50 

6,1 

6,2 

115 

7,2 

8,2 

55 

5,4 

120 

7,3 

8,4 

60 

65 

5,6 

5,8 

6.5 

6,7 

125 

7,5 

8,5 



Wendet man z. B. ein Präparat von 50 mg Radiumsulfat, i. e. 
35 mg Ra.-El. direkt auf der Oberfläche eines Karzinoms, also z. B. 
intrazervikal bei einem Karzinom des Gebärmutterhalses an, so hat 
dieses Präparat unter Berücksichtigung von Quadratgesetz und Ab¬ 
sorption — wie aus Abb. 1 und 2 und Tabelle 2 ersichtlich ist — einen 
Tiefenwirkungsradius von 4,5 cm. Aus Tabelle 2 und Abb. 2 »ist zu 
ersehen, dass dieses Präparat eine Reizdosis in 5,3 cm Gewebstiefe 
verabfolgt. Ein Präparat von solcher Impulsstärke darf demnach 
höchstens bei beginnendem oberflächlichen Karzinom, dessen peri- 
pherste Geschwulstzellen innerhalb eines Kreises von 4,5 cm vom 
Radiumfokus entfernt liegen, verwendet werden, denn nur in dieser 
Zone gelegene Karzinomnester werden mit Sicherheit zur Einschmel¬ 
zung gebracht. In ungefähr 5,3 cm Distanz gelegene Karzinomzellen 
werden dagegen zum Wachstum angeregt, obgleich das Karzinom 
oberflächlich, also innerhalb des Radius von 4,5 cm — richtige Do¬ 
sierung, d. h. genügend lange Bestrahlung (je 48 Stunden) und nur 
Pausen von 3—4 Tagen zwischen den einzelnen Sitzungen voraus¬ 
gesetzt — zur Einschmelzung kommt. Was in dem zwischen 4,5 
und 5,3 cm gelegenen Gewebsgebiet, das wir als „N eutr a 1 z on e“ 
bezeichnen wollen, geschieht, ob noch Einschmelzung oder schon 
Reizung erfolgt, können wir nicht sicher angeben und hängt wohl 
von der Bestrahlungszeit, den Bestrahlungsintervallen und der Ra¬ 
diumempfindlichkeit der betreffenden Karzinomzellen ab. Daraus 
folgt, dass derjenige, der mit einem Präparat von ungefähr 35 mg 
Ra.-El. bzw. einer Oberflächenimpulsstärke von 35 ein vorgeschrit¬ 
tenes Karzinom in Angriff nimmt — und das geschieht, wie wir ehr¬ 
lich zugestehen müssen, zurzeit an recht vielen Kliniken — auf 
schlechte Dauererfolge gefasst sein muss, denn die Karzino^nester in 
der Blase, dem Lig. latum usw. lassen sich unmöglich im Simie der 
Einschmelzung beeinflussen, und erst recht wäre es denkbar, mit 
einem solchen Präparat vom Zervikalkanal oder dem Vaginalgewölbe 
aus das Karzinom in der 2. Etappe des regionären Lymphdrüsenw 


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RO-EL ZONE 

schieben. Denn dann verabreichen wir entweder eine Reizdosis oder 
geben dem Karzinomgewebe die Möglichkeit, sich nach jeder Be¬ 
strahlungssitzung von der Radiumwirkung teilweise zu erholen. Im 
letzteren Falle beobachtet man die renitenten Karzinome, 
die erst mit viel höheren Dosen, also beispielsweise nicht mit 6 bis 
7000 Milligrammelementimpulsstunden (mt^eh), wie ich sie bezeichne, 
sondern mit der vielleicht doppelt so hohen Zahl zur Einschmelzung 


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2. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


721 


gebracht werden können. Ich unterscheide reaktionäre Karzinome, 
(1. h. solche, die durch die Radiumbestrahlung schnell und in einer 
empirisch festgestellten Normalbestrahlungszeit zerstört werden, von 
renitenten und refraktären Karzinomen. Die letzteren habe ich bisher 
nur in inoperablen Fällen der Gruppe IV, also bei bereits erfolgter 
Metastasierung auf weit entlegene Gebiete gesehen. Bei dieser 
Gruppe ist wohl jede Radium- oder Röntgenbestrahlung bezüglich 
einer Dauerheilung wertlos. 

Die mitgeteilten Richtlinien der Radiumbe¬ 
strahlung gestatten nun mit Sicherheit in jedem 
Einzelfall eine genügende Tiefenwirkung zu er¬ 
reichen und die Reizdosis zu vermeiden, unter der 
Voraussetzung natürlich, dass genügendwertige 
Präparate zur Verfügung stehen, anderenfalls man von 
der Radiumbestrahlung besser Abstand nimmt. Habe ich die Aufgabe, 
mit Radium ein Zervixkarzinom zu bestrahlen, bei dem entfernt ge¬ 
legene Beckenbindegewebsmetastasen vorhanden und die hypo- 
gastrischen und iliakalen Drüsen, die ungefähr 7 cm vom Zervixkanal 
entfernt liegen, vom Karzinom bereits ergriffen* sind, so brauche ich 
nur auf Grund einer sehr genauen bimanuellen Palpation die Aus¬ 
dehnung des Uteruskarzinoms, seine Entfernung von der seitlichen 
Beckenwand, die Stellen der Metastasen innerhalb des Beckens und 
die ungefähre Entfernung dieser Drüsen von dem in der Mitte des 
Zervikalkanals befindlichen Radiumfokus in einen frontalen und ev. 
auch sagittalen ßeckendurchschnitt einzuzeichnen und nun an Hand 
der Tabelle 2 dasjenige Radiumpräparat auszuwählen, das für den 
gegebenen Fall erforderlich ist. Dann vermag ich auch schon vor der 
Bestrahlung die Tiefenwirkungsgrenzen und die Reizdosierungsstellen 
des angewandten Präparats anzugeben und ebenfalls in die Skizze 
einzutragen. Der Einfluss des Radiums auf das Karzinom lässt sich 
dann durch genaue palpatorische Untersuchungen oder im Fall des 
Todes der Kranken durch histologische Serienschnitte fortgesetzt 
kontrollieren. 

Folge dieser Feststellungen ist, dass wir be¬ 
strebt sein müssen, künftig nur ziemlich hoch¬ 
wertige Radiumpräparate, d. h. solche von einem 
Mindestgehalt von ungefähr 50 mg Ra.- El. anzuwen- 
d e n. Wir gebrauchen seit einem halben Fahr zur intrazervikalen 
Bestrahlung in der Regel nur Radiumsalze, die einem Elementgehalt 
von 50—70 mg entsprechen, und erreichen damit neben den kleinen 
parazervikalen und präsakralen Drüsen, auf deren Gebiet sich schon 
Radiumpräparate mit geringer Wertigkeit (30—40 mg Ra.-El.) erstrecken, 
zuweilen noch die hyogastrischen und iliakalen 'Drüsen. Seit dieser 
Zeit sind die Erfolge unserer Radiumbestrahlung sehr viel besser 
wie früher, und die gefürchteten renitenten Karzinome, sowie tief¬ 
gehende Nekrosen- oder Fistelbildungen, denen wir in früherer Zeit 
leider nicht selten begegneten, sind nicht mehr gesehen worden. Die 
dritte Etappe, das Gebiet der weit entfernten unteren Lumbaldrüsen 
lässt sich freilich vom Zervikalkanal aus nicht mehr unter Radiumfeuer 
nehmen — es sei denn, dass man sehr hochwertige, die gesunden 
Gewebe zu sehr schädigende Radiummengen verwendet Die Be¬ 
einflussung dieser Drüsen hat die Röntgentiefentherapie zur Voraus¬ 
setzung. 


Erklärungen der Tabellen 1 und 2 und der Ab¬ 
bildungen 1 und 2. 

Tabelle 1 zeigt den Einfluss des Quadratgesetzes 
allein auf die Impulsstärke von 6 Radiumpräparaten mit einem 
Ra^dium-Eiement-Gehalt von 150, 125 usw. bis 25 mg. Man erkennt, 
dass -die unterste Grenze des Wirkungswertes von ungefähr 1 mg 
mit zunehmendem Radium-Element^Gehalt in immer grösserer Ge- 
webstiefe, bei dem Präparat 25 z. B. in 5 cm, bei dem Präparat 150 
noch in 12 cm Tiefe erreicht wird. 


Tabelle 2 gibt für 25 Präparate, deren Radium-Element-Ge- 
halt von 5 zu 5 bis auf 125 mg ansteigt annähernd diejenigen Stellen 
im Gewebe an, an denen eine Tiefenwirkungsdosis (W.D. = I mg 
Ra.-El.) und eine Reizdosis (R.D. = 0,7 mg Ra.-El.) verabreicht wird. 

Abbildung 1: Die äussersten Tiefenwirkungs¬ 
grenzen von Radiumpräparaten, deren Radium-Element- 
Gehalt von 5 zu 5 bis auf 125 mg ansteigt, unter Berück¬ 
sichtigung von Ouadratgesetz + Absorption. 

Konzentrische Kreise, deren Radius von 1—10 cm um je 1 zu- 
nimmt, sind um einen etwa im Zervikalkanal zu denkenden Radium- 
iokus als Mittelpunkt gezeichnet Die dazwischenliegenden punktier¬ 
ten Kreise entsprechen den halben Zentimeterzonen. Die ganze Ab¬ 
bildung ist auf etwa ein halb der Originalbildgrösse verkleinert, so dass 
einem Zentimeter der letzteren in der Abbildung nur ein halber Zenti¬ 
meter entspricht. Man kann sofort ablesen, dass ein Präparat von 
z. B. 25, von 45 oder 100 mg Ra.-El. einen Tiefenwirkungsradius von 
3.8, von 5 oder 6,8 cm besitzt. 


Abbildung 2 zeigt unter Berücksichtigung von 
Ouadratgesetz -f- Absorption die Abnahme der Tiefen¬ 
wirkungswerte im allgemeinen, ferner die äussersten, ungefähr dem 
Wert von 1 mg Ra.-El. entsprechenden Tiefenwirkungsgrenzen 
(starke Kurvenlinie) und endlich die mit Ungefähr 0,7 mg Ra.-El. er¬ 
reichten Reizdosisstellen (feine Kurvenlinie). Zwischen beiden Kurven 
liegt die mattgrau gehaltene Neutralzone. Die Werte sind für Prä¬ 
parate, deren Radium-Element-Gehalt von 5 zu 5 bis auf 125 mg ansteigt» 
berechnet. Man erkennt auch, dass die Homogenität der wirksamen 


Nr. 27. 


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Strahlen proportional dem Anwachsen der primären Impulsstärke der 
Ra-diunipräparate in grösserer Entfernung vom Radiumfokus zunimmt 
und die beiden Kurven mehr und mehr divergieren. Die Impulsstärken 
sind bei dem stärksten Präparat von 125 mg Ra.-El. bei 7,5 und 8,5 cm 
zu finden, differieren also voneinander in ihrer Distanz um das Dop¬ 
pelte wie bei den schwächsten Präparaten. 


lieber orthotische Albuminurie. 

Von Oberarzt Dr. Beckmann und Prof. Schlayer. 

Die derzeitigen Anschauungen über die Pathogenese der ortho- 
tischen Albuminurie sind wenig befriedigend; im wesentlichen gehen 
sie nach zwei Richtungen. Sie suchen die Ursache entweder in 
mechanischen resp. zirkula*torischen Ursachen, oder 
aber in konstitutionellen Einflüssen, bzw. beidem zugleich. 

Beherrschend für unsere Auffassung des Wesens der orthotischen 
Albuminurie sind neben der Tatsache, dass es sich nicht um greifbare 
anatomische Veränderungen handelt (Heubner-Langstein), 
die Tatsachen statisch-mechanischer Art (Erlanger-Hooker, 
Edel, J e h I e etc.) und endlich die klinischen Beobachtungen über 
Heilbarkeit, Lebensalter und Begleiterscheinungen (Heubner, 
Langstein, Fürbringer etc.) gewesen. 

Gerade die Häufigkeit und bis zu einem gewissen Grade Gleich¬ 
artigkeit dieser Begleiterscheinungen hat in letzter Zeit 
mehrere Autoren veranlasst; davon ausgehend, eine andere Auffassung 
des Wesens der orthostatischen Albuminurie auszusprechen. Diese 
Begleiterscheinungen sind in erster Linie nervöse Erscheinungen von 
seiten des Magendarmtraktus und von seiten des Kreislaufes. Sie ent¬ 
sprechen unzweifelhaft in vielen Fällen dem Bilde des erhöhten 
Vagustonus, der Vagotonie. 

Das hat vor allem v. Dziembowski 1 ) veranlasst, in der 
orthostatischen Albuminurie eine Erscheinung der Vagotonie zu sehen. 
Und zwar betrachtet er diese Vagotonie als Folge eines pathologisch 
.niedrigen Sympathikustonus. So wenig wahrscheinlich dies uns auch 
von vornherein aus noch zu erörternden Gründen erschien, sind wir 
doch an eine Prüfung dieser Anschauung mit den zurzeit zu Gebote 
stehenden Mitteln herangetreten. Ihre Ergebnisse seien in kurzem 
hier wiedergegeben. 

Es wurde nach dem erbrachten Beweis, dass es sich tatsächlich 
um eine rein orthostatische Albuminurie handelte, dem Patienten vor 
dem Stehen 1 ccm Adrenalin einer Lösung 1:1000 eingespritzt* 
wobei jeweils der Blutdruck und der Puls, sowie die Zuckerausschei¬ 
dung innerhalb 24 Stunden nach (eine halbe Stunde vorher erfolgter) 
Einnahme von 100 g Traubenzucker geprüft wurden. Der Patient 
stand 1 Stunde, wobei möglichst lange eine lordotische Haltung ein¬ 
genommen wurde, bei allen Prüfungen, Hess vor dem Stehen und 
nach dem Stehen Urin, von da ab 2 stündlich. Von Atropin wurden 
Vk mg eingespritzt und der Patient stand auf, sobald er das subjektive 
Gefühl der Trockenheit im Munde hatte. An einem weiteren Tage 
erhielt er 1 Ampulle C o 1 u i t r i n (Hypophysenpräparat) und stand 
nach etwa 20 Minuten auf. Weiterhin wurde geprüft, ob bei dem 
Patienten im Liegen in lordotischer Haltung (etwa eine Stunde lang) 
Eiweiss auftrat. Dasselbe wurde gewöhnlich am selben Tag noch 
einmal geprüft nach vorheriger Einspritzung von 0,075 g Pilo¬ 
karpin oder 0,0005 Physostigmin. In einigen Fällen wurde 
auch vor dem Stehen Pilokarpin eingespritzt, um einen Vergleich der 
Eiweissausscheidung zu bekommen. Die Wirkung der beiden letz¬ 
teren Reagentien wurde an dem Ausfall der schweisstreibenden 
Wirkung und durch Messen der Speichelmengen in einer Stunde be¬ 
messen. 

Es mögen nun die einzelnen Versuchsprotokolle folgen. 

I . M. Gl., 22 Jahre alt. Angeblich 1912 Nierenentzündung vom 
Arzt konstatiert. Pat. gibt jedoch an, dass seit dem 12. Lebensjahre 
bei ihm Eiweiss im Urin festgestellt wurde, die Eiweisausscheidung 
sei bei grösseren Anstrengungen jedesmal vorhanden gewesen und 
von seinem Vater, der Chemiker ist, festgestellt worden. 

Befund: Ziemlich asthenisch gebaut. Etwas skelettierte Ge¬ 
sichtsform, leichte Lendenwirbelsäulenlordose. An den innern Or¬ 
ganen negativer Befund. Sediment auch nach Marsch o. B. Nieren¬ 
funktion tadellos. Blutbild: Eos. 7 Proz„ Lymph. 32 Proz. Blut¬ 
druck 105 mm Hg. Aschner -1-, Czermak -h Erben +, respirat. 
Arrhythmie, Prüfung auf orthostatische Albuminurie (s. Fig. 1). 

4. XII. 17. 2 stündliche Untersuchung des Urins bei Auf sein: 
7—9 Uhr E. leicht getrübt, 9—11 Uhr +, 11—3 Uhr ++. 3—7 Uhr -f. 
7 Uhr abends —■, 7 Uhr morgens 0. 

6 . XII. 17. 2stündliche Untersuchung des Urins bei Bettruhe: 
irr allen Proben E. 0. 

II . XII. 17. Urin bis 9 Uhr E. 0, darnach 1 Stunde Stehen in 
lordotischer Haltung 10 Uhr E. -f+. Essigsäurekörper negativ. 
Darnach Aufstehen 10—12 Uhr E. +, 12—4 Uhr E. leicht getrübt, 
darnach E. 0. 

14.12.17. Urin bei Bettruhe bis 4 Uhr nachmittags E. 0, dann 
Adrenalin; subjektiv: starkes Herzklopfen, etwas heisser Kopf, 
Puls von 78 auf 108, Blutdruck von 105 auf 115. 1 Stunde Stehen 


0 v. Dzi embo w.sk i: 
B.kl.W. 1917 Nr. 1 u. 44. 


Ther. d. Gegenw. 1915 H. 


Original fmm 


2 


11 . — 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27. 


72 i 



Ruf sein 


1.0 Adrenalin mg Atropin io Adrenalin V*mg Atropin 

□ Bettruhe -1 Stehen in Lordose S L iegen in Lordose 


Pi/ocarp Coluitrin 


Figur 1. 

in lordotischer Haltung. Darnach E. ++• Drin von 5—7 Uhr bei 
Aufsein leicht getrübt, Essigsäurekörper negativ. 

31. XII. 17. Urin bis 9 Uhr bei Bettruhe E. 0; Atropin: 
nach V» Stunde starke Trockenheit im Munde, dann Aufstehen. 
Blutdruck gleich hoch wie vorher. Urin nach dem Stehen, bei dem 
besonders sorgfältig auf lordotische Haltung gesehen wurde, 
E. negativ. Darnach A u f s e i n und den ganzen Tag über E. 
negativ. Essigsäurekörper dauernd negativ. 

2. I. 18. Stehen nach Adrenalin injektion mit demselben Re¬ 
sultat, wie am 14. XII., ebenso am 22. I.; Reaktion sauer, Zucker¬ 
ausscheidung: 3,75 g. 

4. I. Stehen nach Atropin injektion mit demselben Resultat, 
wie am 31. XII., ebenso am 23. I. Die Reaktion des Urins nach dem 
Stehen alkalisch. Auch Kochen nach vorherigem Zusatz von Essig¬ 
säure bis zur saueren Reaktion ergibt keine Eiweisstrübung. 

5. I. Stehen ohne Einspritzung E. 4-4-, vorher E. 0. 

20. I. Urin bis 9 Uhr E. negativ. Von 9—10 Uhr Liegen in 
starker Lordose. Urin E. 0, Essigsäurekörper 0, Reaktion sauer. 
Urin bis 2 Uhr nachmittags E. 0; Injektion von 0,075 Pilokarpin, 
nach etwa 20 Minuten starker Schweissausbruch. Speichelfluss 
140 ccm. Dann wieder 1 Stunde Liegen in starker Lordose. 
Urin E. 0, Essigsäurekörper 0, Reaktion sauer. 

28. I. Urin bis 9 Uhr E. 0. Injektion von 1 Ampulle Colui¬ 
trin. Nach etwa 20 Minuten A u f s t e h e n. Nach dem Stehen 
E. +-h von 1—11 Uhr E. +; 1—3 Uhr E. leicht getrübt. Essig¬ 
säurekörper negativ. Reaktion sauer. 

2 . E. W., 20 Jahre alt. Früher immer gesund, der Urin wurde 
nie untersucht. September 1917 Gasvergiftung. Zur Beobachtung 
auf Nervenleiden eingewiesen. Bekommt ab und zu Ohnmachts¬ 
anfälle. 

Befund: Geringgradige Asthenie. Keine ausgesprochene Len¬ 
denwirbelsäulenlordose. An den inneren Organen negativer Befund. 
Sediment auch nach Marsch frei von Formelementen. Nierenfunktion 
tadellos. Blutbild: Polynuki. 51 Proz., Eos. 6 Proz., Lymph. 38 Proz., 
Uebergangsf. 5 Proz. Blutdruck 110 mm Hg. Aschner -K Czermak 
schwach 4-, Erben deutlich +. Prüfung auf orthostatische Albumin¬ 
urie (s. Fig. 2). 


17. I. Zweistündliche Urinuntersuchung bei völliger Bett¬ 
ruhe ergibt: in allen Proben Eiweiss 0, Essigsäurekörper 0. 

18. I. Urin bis 9 Uhr E. 0, von 9—10 Uhr Stehen in lor¬ 
dotischer Haltung: Urin nach dem Stehen E. leicht getrübt; 
Esb. 0,2 Prom., Essigsäurekörper +, Reaktion sauer. In den näch¬ 
sten Proben E. 0. 

19. I. Urin bis 9 Uhr E. 0. Injektion von Pilokarpin 0,075. 
Nach etwa 25 Minuten Schweissausbruch. Speichel 150 ccm. Urin 
nach 1 Stunde Stehen E. leicht getrübt; Esb. 0,2 Prom., Essigsäure¬ 
körper Reaktion sauer. In den nächsten Proben: E. 0. 

20. I. Urin bis 9 Uhr E. 0. Von 9—10 Uhr Liegen in star¬ 
ker Lordose. Urin E. 0, Essigsäurekörper 0, Reaktion sauer. 
Urin bei Bettruhe bis 3 Uhr nachmittags E. 0. Injektion von Pilo¬ 
karpin dieselbe Wirkung wie am 19. I. Dann wieder 1 Stunde 
Liegen in starker Lordose. Darnach Urin E. 0, Essigsäurekörper 
kalt 0. Reaktion sauer. 

22 . I. Urin bis 9 Uhr E. 0. Injektion von Adrenalin; Blut¬ 
druck 110 auf 120 mm Hg. Puls von 75 auf 84. Urin nach 1 ständigem 
Stehen E. leicht getrübt, Essigsäurekörper schwach 4-, Reaktion 
sauer. Zuckerausscheidung nicht zu kontrollieren, da Urin verloren 
ging. 

23. I. Urin bis 9 Uhr E. 0; Injektion von Atropin. Nach 
etwa 20 Minuten Trockenheit im Munde. Stehen in Lordose 
kontrolliert wie bei dem letzten Patienten. Urin nach dem Stehen 
E. 0, Essigsäurekörper 0, Reaktion schwach sauer. Auch 


im vorher angesäuerten 
Urin E. 0. Dasselbe Re¬ 
sultat hatte eine Prüfung 
mit Atropin am 15. I. er¬ 
geben. 

25.1. Urin bis 9 Uhr 
E. 0; Injektion von 1 Am¬ 
pulle Coluitrin. Nach 
20 Minuten 1 Stunde 
Stehen in Lordose. 
Urin darnach E. leicht ge¬ 
trübt. Essigsäurekörper 
negativ. Reaktion sauer. 
26. I. Injektion von 
Atropin mit demselben Resultat wie am 15.1. und 23.1. 

28. I. Urin bis 9 Uhr E. 0. Keine Injektion. Von 9—10 Uhr 
Stehen in- Lordose, Urin darnach: E. leicht getrübt, Esb. 
0,2 Prom., Essigsäurekörper schwach +, Reaktion sauer. 

3. P. B., 20 Jahre alt. Seit 1913 ununterbrochen in Behandlung 
wegen Magen- und Herzbeschwerden und Nierenleidens. Nie Nieren¬ 
entzündung. 

Befund: Hoch aufgeschossener Mann mit asthenischem Kör¬ 
perbau. Etwas Lendenwirbelsäulenlordose. An den innern Organen 
negativ. Sediment o. B. Nierenfunktion o. B. Blutbild: Polynuki. 
55 Proz.. Eos. 4 Proz., Lymph. 41 Proz. Asclmer -1-, Czermak K 
Erben 4-. Blutdruck 105 mm Hg. Respiratorische Arhythmie +. 
Prüfung auf orthostatische Albuminurie: Figur 3. 



3.2 . 

4.2. 

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7.2. 1 9.2. 1 ff. 2 1 


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Pilocarpin Coluitrin Atropin Pilocarp 


Figur 3. 

3. II. Urinuntersuchung bei völliger Bettruhe: Urin in allen 
Proben frei von Eiweiss. 

4. II. Nach 1 stündigem Stehen E. leicht getrübt, Essigsäure¬ 
körper schwach +, in den späteren Portionen E. 0, Essigsäure¬ 
körper 0. 

5. II. Stehen nach Pilokarpin. (85 ccm Speichel. Starke 
Schweisssekretion.) E. leicht getrübt. Essigsäurekörper schwach 4-. 
Vorher und nachher E. 0, Essigsäurekörper 0. 

7. II. Stehen nach Coluitrin: E. leicht getrübt. Esb. 
0.2 Prom. Essigsäurekörper schwach ~h 

9. II. Stehen nach Atropin. Darauf E. 0, Essig¬ 
säurekörper 0. Reaktion alkalisch. Auch im angesäuerten Urin 
nach Kochen keine Trübung. Blut¬ 
druck blieb völlig gleich. Puls von 
80 auf 108. 

11. II. Liegen in Lordose 
1 Stunde: E. 0, Essigsäurekörper 0. 
Nachmittags Wiederholung unter 
Pilokarpin Wirkung: eben¬ 

falls E. 0, Essigsäurekörper 0. 

4. W. B., 28 Jahre alt. Früher 
nie krank gewesen. Klagt über 
Stechen in der Herzgegend. 

Befund: Massige Asthenie. 
Keine stärkere Lendenwirbelsäulenlördose. An den inneren Organen 
negativer Befund. Sediment o. B. Nierenfunktion o. B. Blutbild: 

Polynuk. 43 Proz., Eos. 8 Proz., Lymph. 45 Proz., Mononukl. 3 Proz. 

Aschner-Czermak 4~. Erben 4-4-- Respiratorische Arrhythmie. 
Blutdruck 100 mm Hg. 

6 . II. Urinuntersuchung bei völliger Bettruhe. Urin in allen 
Proben frei von Eiweiss fs. Figur 4). 



Figur 4. 


8 . II. Urin nach 1 Stunde Stehen: E. leicht getrübt. Esb. 
0,2 Prom. Essigsäurekörper 0. Vorher und nachher: E. 0 und Essig¬ 
säurekörper 0. 

9. II. Stehen nach Pilokarpin genau wie am 8. II. Blut¬ 
druck von 100 auf 110. Puls von 72 auf 80. 

11. II. Stehen nach AdrenaIin mit demselben positiven Befund. 



Pilocarpin Pftecwm W Adrenalin mg Atropin Coluitrin mg Atropin 

Figur 2. 


Digitized by 


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2. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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14. II. Atropin. Dann 1 Stunde Stehen; Urin dar¬ 
nach E. 0, Essigsäurekörper 0. Reaktion leicht sauer. Auch 
in dem stärker angesäuerten Urin E. 0. Blutdruck und Puls blieben 
gleich. 

5. F. E., 21 Jahre alt, stud. med. 1912 wurde anlässlich einer 
Untersuchung zwecks Aufnahme in eine Lebensversicherung Eiweiss¬ 
verlust festgestellt. Nie ernstlich krank, keine Infektionskrankheit. 

Befund: Etwas asthenisch gebaut. Keine stärkere Lenden¬ 
wirbelsäulenlordose. An den inneren Organen negativer Befund. 
Im Sediment selbst nach Marsch keine Formelemente. Nieren- 
funktion tadellos. 

Blutbild: Polyn. neutroph. 65 Proz., Eos. 3 Proz., Lymph. 
36Vi Proz, Monon. 5 Proz., Mast. '/* Proz. Aschner stark 4% Czermak 
-f. Erben. -K Deutliche respiratorische Arhythmie. Prüfung auf 
orthostatische Albuminurie (s. Figur 5). 


1 20.12. 

~6. 

1.18. 

7.1. I 9.1 1 1t 1. 1 121. 1 T3.f. 1 

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Figur 5. 


20 . XII. 2stündliche Urinuntersuchung bei Au f sein: Urin von 
7 Uhr morgens bis 9 Uhr abends E. -K Esb. 0,5 Proz., 9 Uhr bis 
7 Uhr morgens E. 0, Essigsäurekörper 0. 

6 . L 2stündliche Urinuntersuchung bei völliger Bettruhe: 
in allen Proben E. 0, Essigsäurekörper 0. 

7. I. Urin bis 9 Uhr E. 0, 9—11 Uhr Stehen in Lordose 
Urin 4-4-, Esb. 1,0 Prom., 11—1 Uhr E. leicht getrübt, 1—5 Uhr 
E. leicht getrübt. Von da ab E. 0, Essigsäurekörper dauernd negativ. 

9. I. Urin bis 9 Uhr E. 0. Injektion von Atropin. Nach etwa 
30 Minuten Trockenheit im Munde. Dann Stehen in kontrollierter 
Lordose: Urin nach dem Stehen E. 0, Essigsäure¬ 
körper 0. Reaktion schwach alkalisch. Auch in dem angesäuerten 
Urin nach Kochen keine Trübung. Von dieser Einspritzung 
ab war bei dem Patienten nach dem Stehen kein Eiweiss mehr 
nachzuweisen, weder nach Adrenalin noch nach Pilokarpin- und 
Physostigmininjektion (trotz sehr starker Reaktion, z. B. auf Pilo¬ 
karpin starker Schw r eissausbruch. Speichel in 1 Stunde 240 ccm). 

Somit haben 5 Fälle von orthostatischer Albuminurie, welche 
ausgeprägte Zeichen von Vagotonie aufwiesen, sämtlich in gleicher 
Weise auf die pharmakologische Prüfung geantwortet. Adrenalin 
hatte keinen Einfluss auf die Eiweissausscheidung, ebensowenig 
C o 1 u i t r i n. Dagegen beseitigte Atropin in allen 
5 Fällen in wiederholten Versuchen die Eiweiss- 
ansscheidung im Stehen prompt, und zwar trotz gleich¬ 
zeitiger lordotischer Haltung. 

Danach hat also Erhöhung des Sympathikustonus, soweit sie 
durch intramuskuläre Adrenaiininjektion erreicht wird, keinen Ein¬ 
fluss auf die Eiweissausscheidung (auch nicht auf den „Essigsäure¬ 
körper kalt“). Dagegen übte Herabsetzung des Vagustonus frappante 
Wirkung aus. 

Umgekehrt hatte aber Erhöhung des Vagustonus bei gleich¬ 
zeitigem Liegen — selbst in Lordose —, soweit sie durch Pilokarpin 
Gnd Physostigmin hervorgerufen werden kann, kerne provokatorische 
Wirkung; es trat danach kein Eiweiss 
auf. Ja, nicht einmal im Stehen hatte 
Pilokarpin und Physostigmin eine 
nennenswerte Steigerung bei diesen 
Fällen zur Folge. 

Naturgemäss wendet sich unter 
diesen Umständen das Hauptinter¬ 
esse der Wirkung des Atropin zu. 

Während diese vorliegenden Unter¬ 
suchungen im Gang waren, kam 
uns eine Arbeit v. Dziembows- 
kis 3 ) zur Kenntnis, in welcher er 

mitteilt, dass er in 2 Fällen nach Verabreichung von Atropin (wohl 
per os) dauerndes Verschwinden der Albuminurie gesehen habe. 

Es war zuvor noch die Möglichkeit auszuschalten, dass es sich 
hier lediglich um eine Aenderung des Säureverhältnisses des Urins 
handle und infolgedessen eine Täuschung über den Albumengehalt 
vorliege. In der Tat zeigten 3 (Nr. 1, 3 und 5) von den Fällen be¬ 
merkenswerterweise eine Aenderung der Reaktion nach der Atropin- 
mjektion, sie reagierten deutlich alkalisch. Auch Säuerung vermochte 
jedoch kein Eiweiss mehr nachzuweisen. Es kann danach kein 
Zweifel sein, dass in der Tat durch die Atropinwirkung die Albumin¬ 
urie beseitigt wird. 

In einem Falle (Nr. 5) trat sogar nach einmaliger Injektion von 
Atropin dauernde Wirkung ein, indem das Albumen völlig verschwand 
und trotz starker Provokation nicht wiederkehrte; 


Diese Erscheinung verdient unser Interesse gewiss ebensosehr 
vom klinischen wie vom physiologischen Standpunkt aus. Man wird 
hauptsächlich an zwei verschiedene Wege der Wirkung denken: ein¬ 
mal an eine direkte Vaguswirkung auf die Niere. Sie ist uns seit den 
Versuchen von A s h e r nicht mehr so unsicher wie früher. Beob¬ 
achtungen, welche der eine von uns mit Klee zusammen bei vago- 
tonischen Tieren machen konnte, bestätigten, dass unter diesen Ver¬ 
hältnissen zweifellos Einflüsse im Sinne der Polyurie auf die Niere 
stattfinden. Immerhin wäre die Wirkung des krankhaften Vagus¬ 
tonus auf die Niere wohl kaum anders zu verstehen, als durch die 
Annahme einer Herabsetzung der „Dichtigkeit für Eiweiss“. Dabei 
bleibt nicht zufriedenstellend erklärt, warum diese Eiweissaus¬ 
scheidung dann in wesentlichen Punkten von der nephritischen ab¬ 
weicht; denn bei ihr findet sich der kalt fällbare Essigsäurekörper 
ziemlich konstant, bei Nephritiden ist er eine Seltenheit. Aber auch 
klinische unten anzuführende Befunde lassen 
diesen Modus der Wirkung ausschalten resp. 
wenig wahrscheinlich erscheinen. 

Ein zweiter Weg der Erklärung wäre die 
Annahme einer indirekten Wirkung. Der Va- 
cushypertonus konnte durch Einwirkung auf 
ein zwischengeschaltetes Organ resp. das Blut 
die Eiweissausscheidung indirekt auslösen. 
Untersuchungen darüber sollen noch unter¬ 
nommen werden. Auch nach dem negativen 
Ausfall der Pilokarpinu und Physostigminver¬ 
suche im Liegen, selbst unter Lordose, scheint 
der zweite Weg der wahrscheinlichere. 

Von grossem Interesse ist naturgemäss die weitere Frage, 
warum der Vagushypertonus gerade im Stehen die Albuminurie her¬ 
vorruft. Schon v. Dziembowski hat angenommen, dass dies 
die Folge einer Zunahme des Vagustonus durch das Stehen sei. Wir 
denken hier auf Grund bestimmter noch nicht veröffentlichter Ex¬ 
perimentaluntersuchungen in erster Linie an eine Beeinflussung des 
Vagustonus von den Gleichgewichtsorganen aus und werden in dieser 
Richtung weitere Versuche unternehmen. 

Unzutreffend ist nach unseren bisherigen Erfahrungen die An¬ 
schauung v. Dziembowskis, die schon von vornherein wenig 
Wahrscheinliches hatte, dass es sich bei orthotischer Albuminurie 
um eine Sympathikushypotonie handle, die eine Vagushypertonie zur 
Folge habe. Die klinische Erfahrung an sich lässt einen solchen 
Schematismus nicht zu; finden wir doch nicht selten Hypertonus in 
beiden Gebieten gleichzeitig. Die Adrenalinprobe zeigt direkt, dass 
auf diese Weise die Albuminurie nicht beseitigt wird. 

So sicher wir nun durch den einheitlichen Ausfall bei unseren 
ersten 5 Patienten wissen, dass die orthotische'Albuminurie durch 
Herabsetzuig des Vagushypertonus zum Verschwinden gebracht 
werden kann, so erhebt sich doch die Frage, ob dies in allen Fällen 
eintrifft. Auch hier wieder lassen uns klinische Erfahrungen von vorn¬ 
herein einen solchen Schematismus ablehnen. Man wird aber wohl 
daran denken dürfen, dass der Erfolg durch Atropin zum mindesten 
bei allen Vagotonikern erreicht werden kann. Aber nicht 
einmal dies trifft zu, wie der folgende Fall lehrt: 

6 . E. L., 22 Jahre alt. Angeblich 1911 4 Wochen zu Hause ge¬ 
legen wegen Nierenentzündung. Jetzt wegen Magenbeschwerden 
eingewiesen. 

Befund: Ziemlich ausgesprochene Asthenie. Ausser einer 
leichten Superazidität kein Befund an den inneren Organen. Sediment 
o. B. Nierenfunktion o. B. 

Blutbild: Polynukl. 49 Proz., Eos. 6 Proz., Lymph. 40 Proz., 
20.1. I 22.1 I 28.1 I 30.1. I 22. I ‘1.2. I 7.2. I 9 2 I ft 2.' 


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nalin 

Figur 6. 


Pilocarpin 


? ) Ther. d. Gegenw. 1916 H. 9. 


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Monon. 5 Proz. Aschner 4-, Czermak schwach 4-, Erben 4-. Blut¬ 
druck 100. Prüfung auf orthostatische Albuminurie (s. Figur 6). 

20 . I. 2 stündliche Urinuntersuchung bei Bettruhe: Urin- 
eiweiss in allen Proben negativ, ebenso Essigsäurekörper negativ. 

22 .1. Urin bei Bettruhe bis 9 Uhr E. 0. Von 9—10 Uhr Stehen 
in lordotischer Haltung: Urin darnach E. 4-» Esb. 1,0 Prom., 
Essigsäurekörper 4-, Reaktion sauer. 10—4 Uhr E. leicht getrübt. 
Essigsäurekörper schwach 4“. 

28. I. Urin bis 9 Uhr E. 0. Injektion von Adrenalin: Blut¬ 
druck von 100 auf 110 mm Hg. Puls von 78 auf 86. Urin nach 
1 stündlichem Stehen E. 4-, Essigsäurekörper leicht getrübt. Zu 
Esbach reicht die Menge nicht aus. Reaktion sauer. 11—2 Uhr E. 
leicht getrübt, ebenso Essigsäurekörper. 

30. I. Urin bis 9 Uhr E. 0. Coiuitrin, nach 1 Stund© 
S t e h e n E. 4-, Esb. 1,2 Prom., Essigsäurekörper 4-. Urin bis 3 Uhr 
E. leicht getrübt, ebenso Essigsäurekörper. Reaktion sauer. 

2 » 

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724 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27. 


2 . II. Urin bis 9 Uhr E. 0. Atropin: Blutdruck und Puls 
bleiben gleich. Urin nach Stehen E. 4. Esb. 1,0 Prom., Essig¬ 
säurekörper 4, Urin bei weiterer Bettruhe bis nachmittags 5 Uhr 
E. 0. Dann nocheinmal Atropin und Stehen. Urin nach 
dem Stehen ebenfalls E. 4 und Essigsäurekörper 4» Urin von 
6—8 Uhr E. leicht getrübt. Essigsäurekörper negativ. Reaktion 
immer sauer. 

4. II. Urin bis 9 Uhr E. 0. Atropin -h Adrenalin: Puls 
von 60 auf 80 Schläge. Blutdruck von 100 auf 110 mm. Urin nach 
dem Stehen E. 4, Esb. 1,0 Prom., Essigsäurekörper sohwach 4- 
Reaktion sauer. Urin bis 2 Uhr E. leicht getrübt, Essigsäurekörper 
negativ. Czermak, Aschner, Erben auf der Höhe der Wirkung der 
Einspritzung ebenso 4 wie früher. 

7. II. Liegen in Lordose 1 Stunde: keine Eiweissaus¬ 
scheidung, Essigsäurekörper negativ. Nachmittags Liegen in 
Lordose nach Pilokarpin ebenfalls E. und Essigsäurekörper 
negativ. 

9. II. Stehen nach Physostigmin (0,00075): E. 44» 
Esb. 2,7 Prom., Essigsäurekörper 4. Reaktion sauer. In den nächsten 
2 Stunden E. 4 , Esb. 0,5 Prom., Essigsäurekörper getrübt. Blutdruck 
von 105 auf 118, Puls von 56 auf 64. 

11 . II. Stehen nach Pilokarpin: E. 4, Esb. 1,0 Prom., 
Essigsäurekörper 4* In den nächsten 2 Stunden ebenfalls E. -h 
Essigsäurekörper getrübt. Reaktion sauer. 

In allen anderen Punkten entspricht dieser Fall klinisch den 
5 ersten. Insbesondere sind auch bei ihm die Erscheinungen starker 
Vagushypertome vorhanden. Auch er antwortet auf Adrenalin und 
Coluitrin nicht, aber ebensowenig auf Atropin. Selbst 
zweimalige Atropininjektion relativ kurz nacheinander hat keine 
Wirkung, die Albuminurie im Stehen bleibt dieselbe. 

Als einzige Erklärung, warum hier das Atropin versagt, könnte 
man anführen, dass es sich um einen besonders hohen Grad von 
Vagushypertonie handle, der selbst durch die wiederholten Dosen 
von Atropin nicht genügend gedämpft werden könne. Dafür könnte 
einmal sprechen, dass bei dem Patienten auch auf der Höhe der 
Atropinwirkung die klinischen Zeichen der Vagotonie noch ebenso 
deutlich positiv waren wie vorher. Allerdings haben wir diesen 
Vergleich bei den anderen Fällen nicht ausgeübt und vermögen des¬ 
halb darüber nichts auszusagen. Noch mehr nach dieser Richtung 
scheint aber die Tatsache verwertbar, die wir sonst bei keinem der 
bisher geprüften Fälle gefunden hatten-: dass Physostigmin im Stehen 
eine deutliche starke und langanhaltende Steigerung der Albuminurie 
hervorbrachte, und dass ebenso Pilokarpin im Stehen eine zwar 
geringfügige, aber doch deutliche Verlängerung der Albuminurie 
provozierte. Man könnte darin den Beweis erblicken, dass in der 
Tat die Vagushypertonie so stark war, dass das Atropin sie nicht zu 
dämpfen vermochte. Der nächste Fall wird demonstrieren, dass die 
Verwertung der Erscheinung in diesem Sinne zum mindesten grosse 
Schwierigkeiten hat. 

Bisher haben wir nur Fälle von orthotischer Albuminurie ange¬ 
führt, welche die deutlichen Erscheinungen der Vagushypertonie auf¬ 
wiesen. Nach v. Dziembowski müssten sie bei allen Orthotikem 
zu erwarten sein, denn er sieht die Ursache der orthotischen Albumin¬ 
urie in dem gesteigerten Vagustonus. 

Dass dies nicht zutrifft, lehrt der folgende Fall: 

7. H. K., 20 Jahre alt. Früher nie krank. Anlässlich einer beruf¬ 
lichen Untersuchung wurde 1912 Eiweiss im Urin festgestellt Keine 
Infektionskrankheit durchgemacht. 

Befund: Keine Asthenie, keine Lendenwirbelsäulenlordose. 
Etwas infantiler und lymphatischer Habitus. Tonsillen beiderseits 
vergrössert, keine Mandelpfröpfe. An den inneren Organen nega¬ 
tiver Befund. Nierenfunktion o. B. Sediment o. B., auch nach 
Marsch. 

Blutbild: Polymikl. 75 Proz., Eos. 0 Proz., Lymph. 21 Proz., 
Monon. 4 Proz. Kein Anhalt für Vagotonie. Czermak —, Erben —, 
Aschner —, keine respiratorische Arhythmie. Blutdruck nüchtern 
gemessen 120 mm Hg. Prüfung auf orthostatische Albuminurie 
(s. Figur 7). 


10.2. I I 11.2. I 72.2. 1 - 20.2. I 22.2. I 2*4 2. 1 



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/Itropin 1 

Pilocarpin Adrenalin Physostigmin 


Figur 7. 

10 . II. Urin* bei völliger Bettruhe völlig eiweissfrei. 

11 . II. Nach 1 stündlichem Stehen: E. 4-, Esb. 0,4 Prom., 
Essigsäurekörper schwach 4- Vorher und nachher E. 0. 

12 . II. Stehen unter Atropinwirkung: E. 4, Esb. 
0,3 Prom., Essigsäurekörper schwach 4. Vorher und nachher E. 0. 

20 . II. Stehen nach Pilokarpin (30 ccm Speichel): vorher 
E. 0, nachher E. 44 (Esb. 4,0 Prom.), Essigsäurekörper 4 , Urin von 
10—12 Uhr E. 4, Esb. 1,0, Essigsäurekörper getrübt, von 12—2 Uhr 


E. 4* Esb. 0,5, Essigsäurekörper 0, von 2—4 Uhr E. 4, Esb. 1,0, 
Essigsäurekörper getrübt, von 4—6 Uhr E. leicht getrübt, Essigsäure^ 
körper 0. 

22. II. Stehen nach Adrenalin: vorher E. 0, nachher 
E. 4, Esb. 0,5, Essigsäurekörper getrübt, von 12—2 Uhr E. leicht 
getrübt, Essigsäurekörper 0. In den späteren Portionen: E. 0, Essig¬ 
säurekörper 0. 

24. II. Stehen nach Physostigmin: E. 4, Esb. 0,6 Prom., 
Essigsäurekörper getrübt, von 11—1 Uhr E. 4. Essigsäurekörper O, 
von 1—3 Uhr E. leicht getrübt. In den späteren Portionen beides 
negativ. 

Hier ist nach Habitus und Untersuchungsbefund nicht der ge¬ 
ringste Anhalt für eine Vagotonie vorhanden. Der Mann bietet über¬ 
haupt ausser seiner orthotischen Albuminurie keinerlei krank¬ 
haften Befund. Er gehört also zu der Klasse der Orthotiker 
(L a n g s t e i n), bei denen nichts Krankhaftes neben der Albuminurie 
zu finden ist. 

Auch bei ihm versagt die Atropininfektion vollständig, 
die Eiweissausscheidung bleibt dieselbe. 

Daraus ergeben sich wesentliche Folgerungen: zunächst einmal 
die, dass die orthotische Albuminurie keinesfalls in 
allen Fällen durch Vagotonie bedingt sein kann. 
Es gibt vielmehr nach unseren Feststellungen vagotonische und 
nichtvagotonische Orthotiker. Dabei soll zunächst durch 
das Wort vagotonischer Orthotismus nichts weiter ausgedrückt sein, 
als dass hier die orthotische Albuminurie von Vagushypertonus be¬ 
gleitet und durch dessen Herabsetzung beseitigt werden kann. Dieses 
Ergebnis entspricht durchaus den Anschauungen, welche der eine von 
uns schon früher an anderer Stelle vertrat. Schon damals sprach 
Schlayer 3 ) aus, dass der Gedanke, die orthotische Albuminurie 
ganz generell auf ein konstitutionelles Schema, die Vagotonie, zu. 
rückzuführen, die Dinge sicher zu eng fasse und die tatsächlichen 
Beobachtungen nicht zu decken vermöge. Schon damals hatte er 
auch die Folgerung daraus gezogen, dass es sich bei der orthotischen 
Albuminurie nicht um eine Krankheitseinheit handeln könne; „wir 
werden besser tun, den Orthotismus nicht als selbständige Krankheit 
aufzufassen und in das Zentrum zu rücken, sondern ihn* nur als einen 
Symptomenkomplex zu betrachten, dessen Ursache in jedem Einzel¬ 
fall erst zu ermitteln bleibt“. 

Die vorstehenden Untersuchungen geben dieser Anschauung, die 
in Harmonie mit Langsteins Befunden aus klinischen Beobach¬ 
tungen erwachsen ist, eine feste objektive Grundlage. Von ihr aus 
kann die weitere Differenzierung der orthotischen Albuminurie mit 
Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden. Eben diese Fest¬ 
stellungen scheinen uns auch die Erklärung zu geben* warum andere 
Untersucher bei der orthotischen Albuminurie mit der pharmako- 
dynamischen Prüfung so wechselnde Ergebnisse hatten (R. Schmidt, 
Pollitzer, J. Bauer, Veil). 

Die sehr bemerkenswerte Erscheinung, dass auch dieser Kranke, 
obwohl er nicht im geringsten vagotonisch erschien, zumal auf Pilo¬ 
karpin, aber auch auf Physostigmin eine so erhebliche Steigerung seiner 
orthotischen Albuminurie hatte, lässt naturgemäss die Deutung dieser 
Steigerung als direkte Folge des verstärkten Vagustonus recht proble¬ 
matisch erscheinen. Man wird unter diesen Umständen sich daran 
erinnern müssen* dass Pilokarpin nach Löbisch und Roki¬ 
tansky an und für sich schon Albumen hervorrufen kann, womit 
die festgestellten Beobachtungen freilich noch nicht genügend erklärt 
sind. 

Die nahe Verwandtschaft zwischen orthotischer Albuminurie und 
der juvenilen Albuminurie legt den Gedanken nahe, dass es vielleicht 
auch bei der juvenilen, zum mindesten bei einem Teil der Fälle, ge¬ 
lingen könne, eine entsprechende Beeinflussung durch Atropin zu er¬ 
reichen. Gerade bei der juvenilen Albuminurie könnte dies unter Um¬ 
ständen von erheblichem diagnostischen Werte sein, von grösserem, 
als bei der orthotischen Albuminurie, wo die Diagnose für den auf¬ 
merksamen Beobachter ja nicht schwer ist. Unter allen Umständen 
scheint uns notwendig, dass die pharmakologische Prüfung nach 
dieser Richtung künftighin bei allen zweifelhaften Altyiminurien, die 
in dieses Kapitel gehören, in unseren diagnostischen Apparat auf¬ 
genommen wird. 

Von theoretischem Interesse sind noch zwei Punkte: Bei der 
von Vagotonie begleiteten orthotischen Albuminurie wird das Albumen 
im Stehen durch Atropin meist beseitigt, bei der nichtvagotonischen 
orthotischen dagegen nicht. Dabei können wir m der Art des pro¬ 
duzierten Albumens und in den Umständen seiner Ausscheidung keine 
Differenz zwischen der vagotonischen und der nichtvagotonischen 
orthotischen* Albuminurie finden. Beide erfolgen nur auf Stehen, und 
beide enthalten den „Essigsäurekörper kalt“. Diese Tatsache zwingt 
zu der Vorstellung, dass die Albuminurie nicht die direkte Folge der 
Vagotonie sein kann und dass dementsprechend auch die Beseitigung 
des Albumens durch das Atropin nicht auf eine direkte Wirkung des 
Atropins durch die Niere zurückgeführt werden kann. Sie lässt viel¬ 
mehr an eine indirekte Wirkung auf eine hypothetische Zwischen¬ 
station denken, die im einen Falle vielleicht durch den Vagushyper¬ 
tonus sensibilisiert ist, im andern Falle dagegen mit dem Vagus nicht 
in Verbindung steht. 


*) Aprilheft der Jahreskurse für ärztliche Fortbildung 1917 S. 13. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


725 


Von dem Oedanken ausgehend, dass es vielleicht möglich sein 
könnte, bei starken Vagotonikern durch Steigerung des Vagustonus 
eine orthotische Albuminurie hervorzurufen, haben wir noch eine An¬ 
zahl dahingehender Versuche gemacht. 

Stark vagotonische Menschen des entsprechenden Habitus und 
Lebensalters, welche beim einfachen Stehen in Lordose kein Albumen 
aufwiesen, erhielten Pilokarpin resp. Physostigmin und standen nach 
dem vollen Einsetzen der Wirkung in Iordotischer Haltung. In keinem 
FaHe ist es uns bisher gelungen, selbst bei hochgradiger Vagotonie, 
welche sonst allen Bedingungen für eine orthotische Albuminurie 
zu bieten schien, Eiweissausscheidung im Stehen zu provozieren. 
Daraus geht in Ergänzung des soeben ausgeführten hervor, dass 
die einfache, selbst hochgradige Vagotonie an sich 
nicht genügt, um orthotische Albuminurie hervor¬ 
zubringen; es bedarf vielmehr ganz offenbar be¬ 
sonderer Bedingungen, welche noch hinzutreten 
müssen, um sie zustande zu bringen. 

Wir fassen die festgestellten Tatsachen kurz 
zusammen; 

1. Es gibt orthotische Albuminurien, welche von Hypertonus des 
Vagus begleitet sind, und solche ohne jede erkennbare Steigerung dies 
Vagotonus, ja überhaupt ohne sonstige erkennbare krankhafte Er¬ 
scheinungen. Die ersteren scheinen häufiger zu sein. 

2 . Bei 5 vagotonischen orthotischen Albuminurikern gelang die 
Beseitigung der orthotischen Albuminurie durch Atropininjektion, bei 
einem davon dauernd. Bei einem 6. orthotischen Albuminuriker hatte 
Atropin keinen Erfolg. 

3. Bei einem nichtvagotonischen Orthotiker hatte Atropin eben¬ 
falls keinerlei Erfolg. 

4. Steigerung des Sympathikustonus durch Adrenalininjektion 
hatte bei keinem der 7 Fälle Einfluss auf die Albuminurie. 

5. Steigerung des Vagustonus bei Vagotonikern ohne ortho¬ 
tische Albuminurie hatte keine orthotische Albuminurie zur Folge. 


Zur Diagnose der Ruhr. 

I. Bakteriologischer Ten. 

Von Dr. O. Köhler, Oberarzt d. L. 

Die durch die bakteriologischen Untersuchungsstellen erfolgte 
ätiologische Aufklärung von Krankheitsfällen, die unter dem Bilde 
einer klinischen Ruhr verlaufen, hat sich bei den verschiedensten 
Rührepidemlen, die der Krieg der ärztlichen Beobachtung zugänglich 
machte, als unzureichend erwiesen. Die Form, in der diese Tatsache 
in Erscheinung tritt, ist sehr verschiedenartig gewesen. Auf der 
einen Seite wird die 'Ruhrdiagnose unter Verzichtleistung auf eine 
positive bakteriologische Untersuchung gestellt, andererseits wird in¬ 
folge des vergeblichen Suchens nach einem der bekannten Ruhr¬ 
bakterien nach neuen, bisher unbekannten Ruhrerregern gefahndet, 
fKolle und Dorendorf 1 ), Kulki 8 ) u. a.], während eine dritte 
Reihe von Untersuchen! lediglich die ätiologisch geklärten Krankheits¬ 
fälle als Ruhr anerkennen, die übrigen Fälle aber als symptomatische 
Ruhr bezeichnen [Sternberg 8 )]. Dabei tritt in der Literatur das 
Eiestreben hervor, die bakteriologische Ruhrdiagnose durch eine Ver¬ 
feinerung und Erweiterung der Untersuchungsmeth-oden aus dem 
Missverhältnis, das zwischen ihr und der klinischen Diagnose besteht, 
zu befreien. Wenn auch gerade die letzteren Arbeiten zum Teil von 
Erfolg gekrönt waren, können sie doch nicht die Tatsache des noch 
allzu häufigen Versagens der bakteriologischen Diagnostik bei sicheren 
Ruhrfällen aus dem Wege räumen. Unter diesen Umständen ist es 
gerechtfertigt, eine andere Methode in den Vordergrund zu stellen, die 
es uns ermöglicht, bei einer weitaus grösseren Prozentzahl von Ruhr¬ 
fällen die Diagnose auf Ruhr, hervorgerufen durch spezifische be¬ 
kannte Ruhrerreger, zu sichern. 

Es handelt sich um den Nachweis von spezifischen Agglutininen 
im Blutserum von Ruhrkranken. 

Dieser Reaktion ist schon verschiedentlich in den medizinischen 
Fachzeitschriften das Wort geredet worden, so von Friedemann 
und Steinbock 4 ), Schiemann 5 ), Friede mann*), Fried¬ 
rich 7 ) u. a.. sie ist aber nach unseren Erfahrungen bisher nicht in 
dem zu erwartenden Masse zur Geltung gekommen. So wurde dem 
mir unterstellen Laboratorium bei verschiedenen Gelegenheiten nicht 
einmal unter zahlreichen Einsendungen zur Untersuchung auf Ruhr 
Blut zur Diagnosenstellung ohne Aufforderung eingesandt. Stuhl¬ 
proben wurden dagegen aus Entfernungen geschickt, die eine mehr¬ 
tägige Pause zwischen der Entnahme der Stuhlnrobe und der Unter¬ 
suchung bedingten. Dass die bakteriologische Untersuchung bei der 
Hinfälligkeit der Ruhrbakterien unter diesen Umständen meist von 
vorneherein zur Ergebnislosigkeit verurteilt ist, wird jeder Leiter eines 

*> D.m.W. 1916 Nr. 19. 

») Med. KI. 1917 Nr. 48. 

•) W.kl.W. 1916 Nr. 40. 

*) D.m.W. 1916 Nr. 8. 

») Zschr. f. Hy*. 1916, 82. 

•) D.blW. 1917 Nr. 49. 

*) D.m.W. 1917 Nr. 51.^ 

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Laboratoriums bestätigen können. Daran ändern auch die oben¬ 
erwähnten Verfeinerungen, die die bakteriologische Ruhrdiagnose 
während des Krieges erfahren hat, nur wenig. Der von Hand- 
mann 8 ) und von Hesse®) empfohlene Kunstgriff des Verwendens 
eines tragbaren Thermostaten ist für das Feld nur unter besonders 
günstigen Bedingungen verwertbar. Die von Porges empfohlene 
Kochagglutination, ferner das Beachten von Leitbakterien nach- 
Kuhn 10 ) zur Auffindung des wirklichen Erregers verhelfen uns nur 
bei der Voraussetzung einer baldigen Untersuchung des Ruhrstuhles 
nach seiner Entleerung zu einer Besserung unserer Ergebnisse. Aber 
selbst bei der Zugrundelegung eines unmittelbaren Handinhand- 
arbeitens der Untersuchungsstelle mit der Ruhrabteilung eines 
Seuchenlazarettes wird es nicht gelingen, bei jedem Kranken mit einer 
klinisch sicheren Ruhr einen Bakterienbefund im Stuhle zu erreichen. 
Der empfindliche Ruhrerreger geht eben sehr bald nach, vielleicht 
sogar schon vor der Stuhlentleerung, bei dem Zusammenleben mit 
saprophy tischen Keimen zugrunde bzw. entzieht sich seinem Nach¬ 
weis. Wir beobachteten hier einige klinisch sichere Ruhrfälle, bei 
denen beispielsweise regelmässig jedes Suchen nach einem Ruhr¬ 
erreger durch Ueberwucherung der Endo- oder Drigalski-Conradi- 
platte durch bakt. Proteus unmöglich gemacht wurde. Einen Elektiv- 
nährboden für Ruhrbakterien gibt es aber nicht. 

Bei unserm hiesigen Material gelang im ganzen von 101 Patienten 
mit klinisch sicherer Ruhr 61 mal = 60,4 Proz. der Nachweis eines 
der bekannten Ruhrerreger im Stuhl. Die Verhältnisse lagen insofern 
für uns sehr günstig, als das Laboratorium sich in- dem Gebäude¬ 
komplex des Seuchenlazarettes befindet, so dass zwischen Entleerung 
des Stuhles und Verarbeitung im Laboratorium im ungünstigsten Falle 
nur Stunden lagen. Die positiven Ergebnisse, die wir zu verzeichnen 
hatten, entsprechen ungefähr dem Duchschnitt, den auch andere Unter¬ 
suchungsstellen unter gleichen Verhältnissen aufzuweisen haben. Wie 
sehr die bakteriologischen Ergebnisse von der Zeit abhängen, welche 
verstreicht zwischen Entleerung des Stuhles und dessen Verarbeitung, 
zeigt die Tatsache, dass von Ruhrkranken aus einem Vi Tagereise ent¬ 
fernten Seuchenlazarett übersandten Stuhlproben unter sonst gleichen 
Bedingungen nur in 15 Proz. positive Resultate erzielt wurden. 

Einen wesentlich höheren Prozentsatz von positiven Ruhr¬ 
diagnosen hatten wir aufzuweisen, wenn wir das Serum von Ruhr¬ 
kranken auf seine agglurinatorischen Eigenschaften Ruhrbakterien 
gegenüber prüften. Bevor auf die Ergebnisse unserer Untersuchungen 
näher eingegangen werden soll, muss die angewandte Technik genauer 
beschrieben werden, da sie von der üblichen Technik der Gruber- 
Wi da Ischen Reaktion auf Typhus in manchen Punkten abweicht. 
Ein genaues Innehalten der Arbeitsweise ist unbedingt erforderlich. 
Es hängt davon sowohl die Zahl der positiven Fälle, als auch das 
Vermeiden von Fehlresultaten ab. 

Zunächst ist worauf schon Kruse aufmerksam macht, die Aus¬ 
wahl der Ruhrstämme von Wichtigkeit. Die für unsere Anforde¬ 
rungen geeigneten Stämme müssen durch spezifisches Ruhrserum 
grobflockig agglutinierbar sein. Es gibt RuhTstämme. die erst nach 
erheblichen Eingriffen (einstündiges Erhitzen auf 100° im Dampf¬ 
topf nach Porges) oder nach mehrmaligem Ueberzüchten auf Nähr¬ 
agar durch spezifisches Serum zusammengeballt werden. Derartige 
Stämme schalten aus. Weiterhin dürfen die gewählten Stämme durch 
Normalsera nicht agglutinierbar sein. Wir verschafften uns zu dieser 
Prüfung im Verein mit dem Kliniker 10 Sera gesunder Menschen, die 
bisher noch nie an Ruhr erkrankt waren. Gerade bei Ruhr wird 
man unter den Pseudodysenteriestämmen eine ganze Reihe zu leicht 
agglutinabler Stämme ausschalten müssen. Auf diese Weise wählten 
wir aus den dieser Arbeit zugrunde liegenden Fällen 3 Stämme aus, 
von denen 2 ungiftig waren, der 3. Stamm, ein echter giftiger Dy¬ 
senteriestamm war. Mit diesen drei Stämmen wurde in jedem Serum 
bis zur Titergrenze die agglutinatorische Kraft festgestellt und zwar 
wurde jedesmal eine frisch hergestellte Aufschwemmung lebender 
Bakterien (18 Stunden alte Agarkultur) verwandt. Die angesetzten 
Röhrchen verblieben 12 Stunden bei 37° im Brutschrank. Diese 
Massnahme erwies sich als notwendig, denn die Ruhrbakterien ver¬ 
kleben infolge ihrer Unbeweglichkeit wesentlich langsamer, als die 
beweglichen Typhusbakterien oder Choleravibrionen. Zahlreiche 
Kontrollen erwiesen, dass die Spezifität der Ruhragglutination durch 
das lange Verhieben im Brutschrank nicht beeinträchtigt wird. Eine 
Beschleunigung der Agglutination durch Zentrifugieren liess sich nicht 
erzielen. Die Beurteilung der Reaktion erfolgt mit blossem Auge 
oder schwacher Lupenvergrösserung. Als positiv gilt nur die grob- 
flockige Zusammenballung. Diese grobflockige Agglutination ist eine 
Eigentümlichkeit, die den Ruhrbakterien im Gegensatz zu den anderen 
pathogenen Darmbakterien zukommt. Die feinflockige Agglutination, 
die wir beispielsweise bei Typhus als positiv bezeichnen, wird bei der 
Ruhrdiagnose ausser acht gelassen. Dünner machte bereits 1915 
hierauf aufmerksam. Mittlerweile ist diese Beobachtung auch von 
anderen Untersuchern bestätigt worden. In ganz vereinzelten Fällen 
zeigte es sich, dass in frischen Seren die agglutinatorische Kraft zu¬ 
nächst bei höherer Konzentration nicht in Erscheinung trat, eine Hem¬ 
mung. die nach einigen Tagen bei demselben Serum wegfiel. Es 
| handelt sich hierbei um eine Beobachtung, die aus der Immunitäts- 
lehre für die-Agglutination im allgemeinen bekannt ist. 


*) D.m.W. 1916 Nr. 30. 

•) D.m.W. 1916 Nr. 32. 
l0 ) Med. Kl. 1916 Nr. 30. 

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720 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


Als unterste Werte für ein positives Ergebnis der Agglutination 
haben wir bei grobflockigfer Zusammenballung für den giftigen Dy¬ 
senteriestamm die Verdünnung 1:40 gewählt, für die nichtgiftigen 
Stämme 1:80. Nach unseren Erfahrungen gewährleisten diese Werte 
bei grobflockiger Agglutination bereits eine sichere Spezifität der Re¬ 
aktion. im allgemeinen erreicht die agglutinatorische Kraft eines 
Krankenserums wesentlich höhere Werte. 

Zur Prüfung unserer Stämme auf ihre Spezifität wurden 10 Sera 
von Patienten untersucht, die an gewöhnlichem, klinisch nicht ruhr¬ 
verdächtigem Darmkatarrh erkrankt waren. In keinem Falle fanden 
sich Agglutinine gegen Ruhr. 

Weiterhin wurden 26 Sera von Patienten mit klinisch festgestellter 
Ruhr und negativem bakteriologischem Stuhlbefund serologisch ge¬ 
prüft. In 24 Fällen konnten spezifische Agglutinine gegen Ruhr nach¬ 
gewiesen werden. 

Schliesslich wurden, um die Probe auf das Exempel zu machen, 
von 32 Kranken mit klinischer Ruhr und positivem Bazillenbefund im 
Stuhle, wiederholt Blutproben geprüft Bei 31 Fällen stimmte das 
bakteriologische Ergebnis mit dem serologischen überein und nur in 
einem Falle Hess uns die Agglutinationsprobe im Stiche. 

Von 58 Ruhrkranken erzielten wir durch Untersuchung des 
Stuhles also 32 mal = 52 Proz., positive Ergebnisse, durch Prüfung 
des Patientenserums jedoch von denselben 58 Patienten 55 positive 
Resultate = 94 Proz. Noch augenscheinlicher wird der Vorteil der 
Agglutination bei Untersuchungen von Material aus entfernt liegenden 
Lazaretten, denn im Gegensatz zu der Hinfälligkeit der Bakterien im 
Stuhl erleidet die Agglutinationskraft des Serums durch den Transport 
keinerlei Einbusse. 

Von Wichtigkeit ist es. über das zeitliche Auftreten der Agglu¬ 
tinine, über die Werte, die sie erreichen können, sow'ie über ihr zeit¬ 
liches Abfallen und Verschwinden näheres zu wissen. 

Wir hatten hier Gelegenheit, die Ruhrkranken unmittelbar nach 
dem Auftreten der ersten Krankheitserscheinungen sowie den Krank¬ 
heitsverlauf bis zur Genesung beobachten zu können. Durch regel¬ 
mässig wiederholte Blutentnahme bei ein und demselben Patienten 
waren wir in der Lage, die agglutinatorische Kraft des Serums in 
Kurven darzustellen. Zwei dieser Kurven, die uns als typisch er¬ 
scheinen, seien hier mitgcteilt. 




1:&0 
HS60 
1-OBO 
1:000 
1320 
1:200 
1*160 
f 180 






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iofogisch / 

eg. 

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-C 


^_ 




— Rggtutinationskurve gegen Pseudodysenterie {Flexner) 

— « « « „ (y) 

» /.- ,/ Dysenterie (Sktga-Kw~* 

Kurve I. 



In beiden Fällen finden wir bereits Ende der ersten Woche eine 
positive Gruber-Widalsehe Reaktion. Der Agglutinationstiter 
hält sich dann während einiger Wochen in ziemlicher Höhe und 
fällt Ende des zweiten und Anfang des dritten Monats seit Beginn der 
Erkrankung ab. Unsere Beobachtung über das Auftreten der Agglu¬ 
tinine im Blute bestätigen die Erfahrungen von Lentz 11 ) und 
von Friedrich 13 ), die einen positiven Ausfall der Reaktion durch¬ 
schnittlich bereits am 7. Krankheitstage erhielten. Wenn andere 
Autoren weit spätere Termine als Norm angeben, so liegt dies wohl 
hauptsächlich an der verschiedenen Technik. Bei Patienten, deren 
Ruhr hartnäckig verläuft, verlangsamt sich das Abfallen des Titers, 
was leicht erklärlich ist, da die Produktion von Antikörpern durch 
die fortgeset ze Anwesenheit der Antigene in der Darmscbleimhaut 

u ) Seuchenbekämpfung im Kriege, 1915. Dysenterie als Kriegs¬ 
seuche. 

13 ) D.m.W. 1917 Nr. 51. 


dauernd neu angeregt wird. Bei klinisch leichten Fällen dagegen 
pflegen die Agglutinine im Blute häufig, wenn auch nicht immer, 
schneller zu verschwenden. Im allgemeinen können wir mit einem 
positiven Ausfall der Agglutinationsprobe für 6—8 Wochen nach der 
Genesung rechnen, ein Umstand, der bei dem Fehlen von Bakterien 
im Stuhle des Rekonvaleszenten für den Kliniker von besonderem 
Werte sein kann. 

Dass wir jedes Serum mit 2 Pseudo- und 1 echten Dysenten c- 
stamm agglutinierten, wurde bereits erwähnt 

Die Auseinanderhaltung der Pseudodysenteriestämme auf Grund 
ihres Verhaltens den verschiedenen Zuckerarten gegenüber hat bei 
zahlreichen Untersuchungen während des Krieges der Kritik nicht 
Stand halten können. Wohl sind die Pseudodysenteriestämme auf 
Grund ihrer Säurebildung in Mannitbouillon von den Shiga-Kruse- 
Bakterien jedesmal abzusondern, aber die weitere Differenzierung unter 
sich mit Maltose- und Saccharosenährböden führt bei denselben 
Stämmen zu inkonstanten Ergebnissen. Kruse hat hierauf wieder¬ 
holt aufmerksam gemacht, wir konnten diese Beobachtung mehrfach 
bestätigen. Wir haben uns deshalb im Laufe der Zeit lediglich auf 
die Feststellung eines Pseudodysenteric- oder Dvsenteriestammes 
beschränkt. Wenn in dieser Arbeit trotzdem bei den Pseudodysen¬ 
teriestämmen die bisher übliche Bezeichnung in Klammer beigefügt 
ist, so ist dies nur aus praktischen Rücksichten geschehen. Die 
beiden Pseudodysenteriestämme bilden zurzeit beide in Maltose¬ 
bouillon keine Säure, wohl aber in Mannitbouillon, ihr agglutina- 
torisches Verhalten ist verschieden. 

Um ein genaues Bild über die agglutininerzeugende Kraft der 
Ruhrerreger zu bekommen, wollen wir nur diejenigen Fälle betrachten, 
bei denen klinisch Ruhr, positiver Baktcrienbefund und positives Er¬ 
gebnis der Agglutination vorliegt. 


Tabelle 1. Im Stuhl Pseudo¬ 
dysenteriebakterien. 


Patient 

Ag 

Pseudod 

(Flexner) 

g§ 

UH 

Ar. 

I : 80 

_ 

_ 

Br. 

1:30ö 

*1 :300 

— 

Fe. 

1 :100 

1 :100 

— 

Hr. 

1:300 

1:300 

— 

Kh. 

1:1780 

1:640 

1 :80 

Kr. 

1 :80 

1:40 

— 

KL 

1 ^40 

1:40 

— 

Km. 

1:320 

1:160 

— 

Kf. 

1:320 

1:160 

1:80 

Mn. 

1:200 

1 :40 

— 

Mch. 

1:80 

1:80 

— 

Nt. 

1 : 640 

1 :320 

1:80 

Schl. 

1:160 

1 : 80 

— 

Schz. 

1 :160 

1:320 

— 

Schn. 

1: 80 

1:40 

— 

TI. 

1 :80 

1:80 

— 


Tabelle 2. hn Stuhl Dy¬ 
senteriebakterien (Shiga-Kruse). 


Agglutinationstiter 


Patient 

Pseudod 

(Flexner) 

ysenterie 

r Co 

Dysenterie 

(SnimrlCnise) 

Bl. 

1:80 


1:80 

Bk. 

1:40 

1:40 

1:320 

Or. 

— 

1:40 

1:80 

Hn. 

1 :160 

1 :160 

1:400 

Ks. 

1:160 

1: 160 

1:16© 

Kr. 

1:40 

1:80 

1:100 

Kn. 

1:80 

1 :80 

1:320 

Kp. 

1 :40 

1:40 

I :160 

Kr. 

1:160 

1:40 

1:160 

La. 

1:320 

1:80 

1:320 

Sch. 

— 

— 

1:80 

Vg. 

1:80 

1:80 

1:100 

Pr. 

1:40 

1:80 

1:400 

Schl. 

— 

— 

1:320 

Seht 

1:40 

1 : 160 

1:160 

Schz. 

1:160 

1:160 

1:320 


Eine Zusammenfassung dieser Resultate ergibt: 

Tabelle 3. 



| Oruber-Widalsche Reaktion positiv 

Positiver Bazllllenbefund 

für Pseudo- 

nnr für 
Dysenterie 



im Stahl 

dyseuterie u. 
Dysenterie 
zugleich 

Pseudo¬ 

dysenterie 

im ganzen 

16 FSHe Pseudodysenterie 

3 

0 

12 

15 

16 Palle Dysenterie 

11 1 

5 

0 

16 


Aus diesen Tabellen ist ersichtlich, dass die agglutinogene Eigen¬ 
schaft der ungiftigen und giftigen Dysenteriebazillen keine wechsel¬ 
seitig gleiche ist. Das Serum der Kranken mit Pseudodysenterie¬ 
bazillen im Stuhl vermag fast in jedem Falle Pseudodysenteriebak¬ 
terien zusammenzuballen, aber nur ausnahmsweise zugleich auch 
Dysenteriebakterien (in 3 Fällen von 15). In diesen drei Fällen 
waren die Agglutinationstiter gegen Pseudodysenterie ausserordent¬ 
lich hoch (Tabelle 1). Die an echter Ruhr erkrankten Patienten ver¬ 
halten sich anders. In ihrem Serum sind Agglutinine vorhanden, -die 
meist (in 11 Fällen von 16) gegen Dysenterie- und Pseudodysenterie¬ 
bakterien zugleich gerichtet sind (Tabelle 2). Friedemann und 
Steinbock teilen in der zitierten Arbeit dieselbe Beobachtung mit. 
Dies Verhalten erklären wir uns daraus, dass die höher differenzierten 
giftigen Dysenterieerreger infolge der grösseren Vielheit ihrer Antigene 
wohl Antikörper zu bilden vermögen, die auch Pseudodysenterie¬ 
bakterien agglutinieren, während die weniger differenzierten Pseudo¬ 
stämme wegen ihres einfacheren Baues und der dadurch bedingten 
geringeren Vielheit von Antigenen agglutinierende Antikörper für den 
Shiga-Kruse-Erreger nicht zu bilden imstande sind. Wir ziehen 
aus unseren Beobachtungen die Schlussfolgerung, 
dass in ätiologisch unaufgeklärten Ruhrfällen bei 
einem höheren agglutinatorischen Titer des Se¬ 
rums gegen Shiga -Kruse-Bazillen auch der Shiga- 
Kruse-Bazillus der Erreger ist, selbst wenn der 
Titer gegen Pseudodysenterie eine gleiche Höhe 
aufweist Dabei bleibt allerdings auch die Mög¬ 
lichkeit offen, dass es sich in einzelnen Fällen um 
eine Mischinfektion handeln kann. Das Fehlen 
wesentlicher Agglutinine gegen Shiga-Kruse-Er- 


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Gck igle 


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2 . Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


727 


reger — bei hohem Titer gegen Pseudodysenterie — 
spricht für Pseudodysenterie. 

Der C a s t e 11 a n i sehe Absättigungsversuch stützt in den 
Fällen, in denen er angestellt wurde, unsere Behauptung. Drei Bei¬ 
spiele seien hier angeführt. 


Tabellen Kr. Im Stuhl Dysenteriebakterien (S h i g a - K r u s e). 



1 Agglutinationstiter gegen 

PatientenJernm 

Pseudod 

ysenterie 

Dysenterie 
(Shiga-Kruse) 


(Flexner) 

(Y) 


1 : 40 

1 :80 

1 : f 160 

Nach der Äbslltigang mit Pseudodysenteriebak¬ 

terien (Flexner) .. 

Nach der Absittigung mit Pseudodysenteriebak¬ 


1 :20 

1 :120 

terien (Y) . 

Nach der Absattigung mit Dysenteriebakterien 

1 : 20 

— 

1 :.120 

(Shiga-Kruse}.•. 

1 : 20 

1 :20 

— 


Der Abslttigungsversuch ergibt, dass die Agglutinlne gegen Dysenterie Haupt' 
agglutinlne sind, die gegen Pseudodysenterie Nebenagglutinine. 

Diagnose: Dysenterie. 


Tabelle 5. Km. Im Stuhl Pseudodysenteriebakterien. 



[ Agglutinationstiter gegen 

Patientenserum 

| Pseudodysenterie 

Dysenterie 

(Shiga-Kruse) 


(Flexner) j 

00 

Vor der Absittigung . .. 

Nach der Absittigung mit Pseudodysentenebak- 

1:320 

1 : 160 

1 :80 

terien (Flexner) . . . 

Nach der Absättigung mit Pseudodysenteriebak- 

1 : 40 

1 :20 

1 : 40 

1 : 20 

terien (Y) 


Nach der Absittigung mit Dysenteriebakterien 

1 : 160 

1 :40 


(Shiga-Kruse). 

— 


Der AbsSttignngsversuch ergibt, dass die Agglutinlne gegen Pseudodysenterie 
Hauptaggintinlne sind, die gegen Dysenterie Nebenagglutinine. 

Diagnose: Pseudodysenterie. 


T ab eile 6 . Kr. Im Stuhl Dysenteriebakterien (S h i ga-Krus e). 



1 Agglutinationstiter gegen 

Patientenserum 

Psendod 

ysenterie 

Dysenterie 

(SUga-Krase) 


(Flexner) 

' (Y) 

Vor der Absittigung. 

Nach der Absittigung mit Pseudodysenteriebak- 

1 :160 

1:160 

1 :160 

terien (Flexner . . . . 

Nach der Absittigung mit Pseudodysenteriebak¬ 


— 

1:80 

terien (Y).. 

Nach der Absittigung mit Dysenteriebakterien 

1:80 

— 

1:80 

(Shiga-Kruse)... 

1:80 

— 


Der Abslttigungsversuch ergibt, dass die Agglutinlne gegen Dysenterie sowie gegen 
Pseudodysenterie Hauptagglutinfne sind. Diagnose: Mischinfektion. 

Zusammenfassung. 

1 . Die 0r ub er-Wida Ische Reaktion ist ein wichtiges Hilfs¬ 
mittel für die ätiologische Aufklärung von ruhrartigen Darmkatarrhen. 

2. Sie ergibt meist bereits Ende der ersten oder Anfang der 
zweiten Krankheitswoche positive Resultate und bleibt bis ca. 2 Mo¬ 
nate nach der Genesung positiv. 

3. Von Wichtigkeit ist die Technik und die Beurteilung der 

Reaktion. 'JTffi 

4 . Der Shiga-Kruse-Bazillus erzeugt Agglutinine gegen Pseudo¬ 
dysenteriebazillen und Dysenteriebazillen, während der Pseudo¬ 
dysenteriebazillus nur gegen Pseudodysenterie agglutinierende Anti¬ 
körper hervorruft. 


II. Klinischer Teil. 

Von Prof. Eb. Veiel, Stabsarzt d. R. 

Der Kliniker suchte bei den vorliegenden Krankheitsfällen eine 
möglichst genau präzisierte Diagnose zu stellen, insbesondere ab¬ 
zugrenzen zwischen der Diagnose „Darmkatarrh“ und „klinische 
Ruhr“. Es war dies meist nicht schwierig, da die überwiegende 
Mehrzahl der Fälle bei Beginn der Krankheit in unser Lazarett kamen. 
Als klinische Zeichen der Ruhr wurden akut einsetzende, spritzer- 
artige Durdrfälle mit Blut und Schleim, Druckempfindlichkeit des 
Dickdarms oder von Teilen desselben, insbesondere des Sigmoids an¬ 
gesehen. Fieber und Tenesmen stützen weiterhin die Diagnose, sie 
sind aber inkonstante Symptome. 

Es wird neuerdings von den Autoren 1 ) immer wieder betont, 
dass die k 1 i n i s c h e Diagnose der Ruhr ausschlaggebend und dass 
die bakteriologische Diagnose von sekundärer Bedeutung sei. 
Dieser Standpunkt muss meines Erachtens eingeschränkt werden. 
Gewiss ist es für den Kliniker gleichgültig, ob während einer Ruhr¬ 
epidemie bei klinisch sicheren Fällen Ruhrbazillen im Stuhl gefunden 
werden oder nicht. Es ist sogar von beschränkter Bedeutung, 
welche Ruhrbazillen festgestellt werden, ob die echten oder un¬ 
echten, die Dysenteriebazillen oder die Pseudodysenteriebazillen, 
oder beide gleichzeitig, denn die Shiga-Kmse-Ruhr verläuft zwar 
meist, aber nicht immer schwerer als die Flexner- oder Y-Ruhr, und 
was die Behandlung der Ruhr mit spezifischem Serum anbelangt, so 

l ) Verein für Innere Medizin Berlin. 22. Oktober 1917. 

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ist sie meines Erachtens nur aussichtsreich, wenn sie sofort noch vor 
Anschluss der bakteriologischen Untersuchung einsetzt, dann aber 
natürlich mit polyvalentem Serum. 

Verschiedene Formen von Darmstörungen sind aber betreffs der 
Diagnose der Ruhr klinisch unsicher und bei ihnen ist der Kliniker 
auf die bakteriologische Stütze angewiesen. 

Einmal gibt es zahlreiche leichte Fälle, bei denen die Diffe¬ 
rentialdiagnose Darmkatarrh oder Ruhr für den Kliniker unmöglich ist. 
Blut und Schleim im Stuhl fehlen bei ihnen häufig, oder sind im La¬ 
zarett nicht mehr nachzuweisen, oft vermag der Patient darüber nichts 
anzugeben, besonders dann, wenn die Krankheit nachts begonnen hat. 
Auch die übrigen Symptome der Ruhr können fehlen oder schon ver¬ 
schwunden sein. Solche leichten Fälle ^treten, wie bekannt, besonders 
häufig im Anfang einer Epidemie auf. Da ist die bakteriologische 
Diagnose von grösstem Werte. 2 solche Fälle haben wir beobachtet, 
beide hatten nachts Durchfälle bekommen und wussten nichts von 
Blut und Schleim, beide hatten im Lazarett am nächsten Tag schon 
wieder breiigen Stuhl, keine Druckempfindlichkeit am Dickdarm. Im 
Stuhl waren keine Ruhrbazillen nachzuweisen. Der eine Patient 
agglutinierte aber Flexner und Y 1:300 am 8. Krankheitstage, am 
14. Krankheitstage war die Agglutination negativ, am 21. Tage war sie 
wieder verschwunden, der andere Patient agglutinierte am 5. Krank¬ 
heitstage Flexner 1 :160, Y 1:80, am 36. Tage noch Flexner 1:160. 
Y 1:160. Gegen den Einwand, dass es sich in diesen beiden Fällen 
überhaupt nicht um Ruhr, sondern um gewöhnlichen Darmkatarrh ge¬ 
handelt hat, ist folgendes zu sagen: Die beiden Kranken stammten 
von einem Truppenteil, der zu gleicher Zeit sichere Ruhrfälle hatte, 
ferner bekam der eine im Lazarett ein leichtes Rezidiv mit allerdings 
unblutigen Durchfällen, aber Zwang im After, und endlich ist bisher 
nicht bekannt, dass grobflockige Agglutination von Ruhrbazillen in 
Höhe von 1:160 als heterotope Mitagglutination beobachtet ist. Sie 
wäre auch bei dem leichten Grad der beiden Krankheitsfälle sehr 
merkwürdig. 

Einige Fälle hatten ferner nur 1 mal etwas Blut und Schleim im 
Stuhl und wurden als Ruhr durch Agglutination mit oder ohne Ba¬ 
zillenbefund im Stuhl erkannt. 

Die Agglutination ist bei solchen Fällen deshalb besonders wert¬ 
voll, weil sie häufig sehr frühzeitig eintritt, 10 mal war sie in unseren 
Fällen in den ersten 8 Krankheitstagen schon positiv, d. h. verwertbar 
positiv (bei Pseudodysenteriebazillen 1:80 und mehr, bei Dysenterie¬ 
bazillen 1:40 und mehr), 2ma! sogar schon am 3. Krank¬ 
heitstag! 

Bei der Bewertung der Agglutination muss man aber sorgfältig 
berücksichtigen, ob der Patient nicht schon früher einmal Ruhr durch¬ 
gemacht hat, denn die Agglutination hält sich manchmal ohne Rück¬ 
sicht auf die Schwere der ersten Erkrankung sehr lange positiv, 
nach 100 Krankheitstagen und darüber beobachteten wir noch 10mal 
positive Agglutination, von diesen 10 waren 8 längst klinisch ge¬ 
nesen und nur 2 noch chronisch krank. Bei unseren Kranken handelte 
es sich wohl fast stets um eine erstmalige Infektion, denn wir hatten 
es fast ausschliesslich mit jungem Ersatz zu tun. der gesund Deutsch¬ 
land verlassen hatte. Selbstverständlich wurde die Vorgeschichte 
genau aufgenommen und gewertet. 

Eine zweite Gruppe von Krankheiten, bei denen die 
bakteriologische resp. serologische Diagnose für den Kliniker wichtig 
ist, betrifft manche chronisch sich hinziehende Erkrankungen des 
Darms oder anderer Bauchorgane. Differentialdiagnostisch können 
neben Ruhr Typhus, Paratyphus und ganz besonders Tuberkulose ln 
Frage kommen. Einen klinisch sehr schwierig zu deutenden Fall, 
der durch die bakteriologische Diagnose geklärt wurde, beschreibe 
ich im folgenden: 

Auszug aus der Krankengeschichte des vorbehandelnden 
Lazaretts: 21 jähriger Mann, am 8. XI. plötzlich mit Schmerzen in der 
linken Unterbauchgegend, Erbrechen und Durchfall erkrankt. Zunge 
stark belegt, Bauchdecken gespannt, linke Unterbauchgegend sehr 
druckempfindlich. Stuhl wässerig von braungelber Farbe ohne Schleim 
und Blut. Bronchitis. In den folgenden Tagen 8—14 mal täglich 
spritzerartige Durchfälle von grüner Farbe mit reichlich Schleim. 
Leib sehr gespannt und sehr druckempfindlich, in den abhängigen 
Partien Dämpfung, die sich bei Lagewechsel ändert, also Aszitts. 
(Aszites erstmals am 14. XI.) Ab 21. XL schwindet der Aszites rasch 
unter starker Diurese, Stuhl seit 22. XI. nur noch 1—2 mal täglich, 
konsistent. Temperatur 10.—23. XI. zwischen 38 und 39°. 23.—26. XT. 
subfebril, dann nur noch ab und zu subfebrile Temperaturen. 2. XII. 
kein Aszites mehr vorhanden. 12. XII. Rechte Lungenspitze zeigt 
verkürzten Klopfschall und rauhes Atmen. Im Bauch einige Stränge 
zu fühlen. 

17. XII. Aufnahme in unser Lazarett: blass, keine Drüsen am 
Hals und Thorax. Ueber rechter Lungenspitze minimale Dämpfung, 
normales Zellenatmen. Herz: akzidentelle Geräusche, sonst o. B. 
Bauch: nicht aufgetrieben. Im Unterbauch rechts und links einige 
kirschgrosse, harte Knollen zu fühlen, nicht druckempfindlich. Stuhl 
normal, 0 Blut. 

23. XII. Aggtutination: Typhus 1:50 4- (letzte Tyohusschutz- 

impfung 22. VTI. 17) 
Paratyphus A und B 0. 

Flexner 1:160 +. 

Y 1:160 +. 

Shiga 0. 

Pat. ist beschwerdefrei, steht auf, ist fieberfrei. 

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728 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27. 


4. I. Die 'Resistenzen im Abdomen werden kleiner. Agglu¬ 
tination Flexner 1:80, Y 1:40 positiv. 

26. I. Resistenzen im Abdomen völlig verschwunden. Pat. erholt 
sich rasch, nimmt zu. 

Es handelt sich also um einen jungen Menschen, der plötzlich 
fieberhaft mit Erbrechen und spritzerartigen Durchfällen mit Schleim 
erkrankt. Am 7. Krankheitstag tritt Aszites auf, der nach 18 Tagen 
verschwunden ist, später finden sich einige knollige Gebilde im Unter¬ 
bauch, die rasch schwinden, 11K Wochen nach der Erkrankung ist 
der Befund des Bauches ganz normal. Rechte Lungenspitze zeigt 
unbedeutende, wohl sicher alte Veränderungen. Agglutination auf 
Ruhr 2 mal positiv. 

Die Differentialdiagnose schwankte zwischen Tuberkulose und 
Ruhr. Tuberkulose war klinisch zunächst wohl mit Recht ange¬ 
nommen. Immerhin sprach der plötzliche Beginn mit spritzerartigen 
Durchfällen gegen Tuberkulose, desgleichen der sehr rasche Ablauf 
des Aszites und das rasche Verschwinden der doch wohl als Drüsen¬ 
schwellungen aufzufassenden Resistenzen im Abdomen. Das Resultat 
der Agglutination weist auf Ruhr hin. Aszites habe ich und auch 
andere Autoren bei Ruhr öfters gesehen, Resistenzen im Abdomen 
bei Ruhr öfters gefühlt. Man ist also meines Erachtens berechtigt, 
die klinische Diagnose im Verein mit der bakteriologischen auf Rühr 
zu stellen. 

Im Gegensatz zu diesem Krankheitsfall steht ein zweiter, der 
nur kurz skizziert werden scll. 

Ein Mann mit Fieber und flüchtigen Gelenkschwellungen be¬ 
kommt Durchfälle mit Schleim und schwarzem Blut, später treten 
eine Zeit lang Gärungsstühle auf, dann wird der Stuhl wieder normal. 
Bei Gelenkschwellungen und Durchfällen mit Schleim und Blut dachte 
man natürlich an Ruhr, die Agglutination auf Ruhr fiel aber ganz 
negativ aus. Die Diagnose wurde später dadurch geklärt, dass sich 
hn Urin, in dem von Anfang an etwas Eiweiss und einige Zylinder 
nachzuweisen waren, Blut und einwandfreie Tuberkelbazillen fanden. 
Man wird nunmehr auch die Affektion der Gelenke und des Darms 
als tuberkulös ansehen dürfen. 

Die dritte Gruppe von Erkrankungen, bei denen die Klinik 
der Unterstützung durch die Bakteriologie dringend bedarf, sind die 
Nachkrankheiten der Ruhr. 

In den von uns untersuchten Fällen handelte es sich um Gelenk¬ 
erkrankungen und Schleimhauterkrankungen 2 ). Der innere Zu¬ 
sammenhang dieser Erkrankungen mit Ruhr ist noch ungeklärt, man 
wird vorerst vorsichtigerweise nur von Nachkrankheiten nach Ruhr 
sprechen, also nur den äusseren Zusammenhang konstatieren. Dieser 
äussere Zusammenhang ist nun häufig ohne weiteres gegeben, wenn 
sich unmittelbar an eine typische Ruhr eines der obigen Leiden 
entwickelt, manchmal ist aber in den Augen des Patienten die Nach¬ 
krankheit die Hauptkrankheit und die vorangegangene Darmstörung 
wird verschwiegen oder für zu unbedeutend gehalten, um dem Arzte 
gegenüber erwähnt zu werden. Der Arzt muss eben an den Zu¬ 
sammenhang mit Ruhr in solchen Fällen denken. Zur Klärung des 
Zusammenhanges ist die serologische Diagnose sehr wertvoll. 

Es seien kurz 3 einschlägige Fälle erwähnt. 

1. Musketier, 29 Jahre. 23. IX. an typischer klinischer Ruhr er¬ 
krankt, bakteriologischer Befund im Stuhl 2 mal negativ. 12. X. 
Schmerzen im Kreuz, schmerzhafte Schwellung des linken Handge¬ 
lenkes und geringgradigere Schwellung der übrigen Gelenke der Ex¬ 
tremitäten. 24. X. Schleimiger Ausfluss aus der Urethra. Im Sekret 
keine Gonokokken. Gelenkschwellungen gehen allmählich ohne Sali- 
zylate zurück, Urethritis heilt ohne spezifische Behandlung. 20. XII. 
Agglutination: Flexner 1; 160 +, Y 1:80, Shiga 1:160. 

2. Musketier, 20 Jahre. 10. IX. durch Beilhieb oberflächliche 
Wunde an rechter Grosszehe, einige Tage darauf starker Erguss im 
rechten Kniegelenk, gleichzeitig tritt starke Bindehautentzündung 
auf. 15. und 28. IX. Punktion des Ergusses, er ist serofibrinös und 
steril. Erguss und Bindehautentzündung gehen allmählich zurück. Der 
allmähliche Rückgang des Ergusses ohne Salizylate und die gleich¬ 
zeitig bestehende Konjunktivitis lässt an Zusammenhang mit Ruhr 
denken. P. gab nachträglich an, im August 3 Wochen an Durchfall 
erkrankt gewesen zu sein, er war deshalb 3 Tage in Revierbe¬ 
handlung. 20. X'fl. Agglutination: Flexner 1:320 ~h Y 1:80 -K 
Shiga 0. 

3. Musketier, 20 Jahre. 22. XI. erkrankt an starkem Erguss im 
rechten Kniegelenk. Aetiologie unklar. Gonorrhöe und Tuberkulose 
nicht nachzuweisen. Die Möglichkeit des Zusammenhanges mit Ruhr 
wird in Erwägung gezogen. Die Punktion des Ergusses ergab zu¬ 
nächst serofibrinöses Exsudat, später Eiter mit Staphylokokken. Pat. 
weiss nichts von einer Darmerkrankung. 20. XII. Agglutination auf 
Ruhr völlig negativ. 

Im ersten Falle multiple Gelenkschwellungen und Urethritis nach 
klinisch sicherer Ruhr. Die Agglutination bestätigt die Diagnose 
Ruhr. 

Im zweiten Falle rechtseitiger Kniegelenkserguss und Konjunk¬ 
tivitis. In der Vorgeschichte einerseits eine Wunde an der rechten 
Grosszehe, andererseits eine angeblich leichte Darmstörung. Die 
Agglutination zeigte, dass es sich doch wohl um Ruhr gehandelt hat. 
Die Gelenk- und Schleimhauterkrankung dürfte auch in diesem Falle 
als Nachkrankheit der Ruhr aufzufassen sein. 

*) K. S i c k wird über diese und andere Komplikationen der Ruhr 
demnächst berichten. 1 


Im dritten Falle ein Kniegelenkserguss, dessen Zusammenhang 
mit Ruhr in Erwägung gezogen wurde. Der Erguss vereiterte. Pat. 
weiss nichts von Darmerkrankung. Die Agglutination auf Ruhr war 
negativ, sie bestätigte, dass Ruhr ätiologisch nicht in Betracht 
kommt. 

Die Erkennung dieser Nachkrankheiten ist praktisch von grosser 
Wichtigkeit, besonders sei auf die Urethritis hingewiesen. Im obigen 
Falle war der Ausfluss aus der Harnröhre schleimig, er kann aber 
auch rein eitrig sein und dem Ausfluss bei Tripper völlig gleichen. 
Wenn keine Gonokokken nachzuweisen sind, wird man an die Mög¬ 
lichkeit des Zusammenhanges mit Ruhr denken müssen. 

Zusammenfassung, 

Die serologische Diagnose der Ruhr ist bei klinisch sicheren 
Fällen für den Kliniker von geringem Werte, von grosser Bedeutung 
aber bei leichten, klinisch unsicheren Fällen, bei ktinisch unklaren 
chronischen Darmstörungen und bei den Nachkrankheiten der Ruhr. 

Aus dem Zentral-Röntgenlaboratorium im K. K. Allgemeinen 
Krankenhause in Wien (Vorst.: Prim. Prof. Holz kn echt). 

Zur radiologischen Beurteilung des geeigneten Zeit¬ 
punktes zur Ga8tro-Enteroetomie bei Pylorusstenose. 

Von Dr. Josef Freud, Assistent des Laboratoriums. 

In einer Mitteilung 1 ) über die Röntgenuntersuchung bei Gastro¬ 
enterostomie mittelst Duodenalsonde habe ich erwähnt, dass Anasto- 
mosen häufig zeitweilig oder dauernd bloss deswegen schlecht funk¬ 
tionieren, weil sie zu hoch sitzen. Die Fälle stammten nicht nur 
aus der Entwicklungsperiode der Gastroenterostomieopera¬ 
tion, sondern auch aus den letzten Jahren. Bei letzteren sogar um 
so zahlreicher, als die Anzahl der Fälle, bei denen diese Operation 
ausgeführt wurde, sich häuften. 

Es wurde dort ferner dargelegt, dass dieser Fehler der Gastro¬ 
enterostomie dadurch verschuldet wird, dass man in Fällen von 
benigner Pylorusstenose in der Regel die Operation ausführt z u 
einer Zeit, in welcher die Längs- und Querdehnung 
des Magens ihren höchsten Grad erreicht haben. Befindet 
sich ein Magen in diesem Zustande, so e r s c h e i n t bei Rückenlage 
des Pat. die untere Hälfte der Pars medlia als der tiefste und zur 
Flexura duodeno-jejunalis nächstgelegene Abschnitt des Magens. 
Diesen Magenabschnitt wählt nun- gewöhnlich der Operateur, wenn er 
die Anastomose an der tiefsten Stelle des Magens mit einer möglichst 
kurzen Jejunumschlinge anlegen will. Postoperativ bildet sich dann 
gewöhnlich der exzessive Grad der Längs- und Querdehnung durch 
die Freiheit der Passage, durch die nach der Laparotomie eingehaltene 
Bettruhe und durch die Schonungsdiät in ca. 14 Tagen zurück. Dadurch 
pflegt auch die Hypersekretion stark herabgesetzt und die motorische 
Leistungsfähigkeit des Magens wieder gehoben zu weröbn. Die Ge- 
samtmotilität des Magens wird ferner durch die Gastroenterostomie 
eine zeitlang beschleunigt. Für die anfangs bestehende Längs- und 
Querdehnung des Magens und für die Liegelage sitzt nämlich die Ana¬ 
stomose p-pnitF, M\t Ae.r ‘allmählichen Retraktion des Magens 
wandert nun aber der Teil dler Pars media, der im Zustande der 
grössten Längs- und Querdehnung den tiefsten Magenabschnitt dar¬ 
stellte, hinauf und mit ihm auch -die Anastomose, so dass schliesslich 
die Pars pylorica unterhalb der Anastomose zu liegen kommt. Man 
kann sich die geschilderte Veränderung mittelst eines angelhaken- 
förmig gehaltenen Stückes einer Uhrkette, deren Glieder die einzelnen 
Magenteile repräsentieren und de man am Kardiaende hochzieht, leicht 
versinnbildlichen. 

In der darauffolgenden Phase funktioniert die Anastomose bloss 
im Liegen gut. Die Magenmotilität beginnt wieder schlechter zu 
werden- und wenn die Wegsamkeit des Pylorus ungenügend geblieben 
ist, so fangen auch die Längs- und Querdehnungen an, sich aufs 
Neue auszubilden. Da sich die Bedingungen für de Benützung der 
Anastomose mit der fortschreitenden Ausbildung der Dehnung wieder 
bessern, ist das Tempo in der Entwicklung der Dehnung relativ lang¬ 
sam und wechselnd. Die Folgen des üblen Zustandes bringen es aber 
doch schliesslich dahin, dass man relanarotomieren muss, um die 
Anastomose an eine tiefere Stelle des Magens zu verlegen.’ 

Nach diesen Erfahrungen lag es nahe, dahin zu streben, dass 
die Gastroenterostomie erst dann angelegt werde, 
wenn sich die Ektasie möglichst weit zurückgebildet hat. 

Es wurde denn auch auf den einzelnen Stationen, die uns die 
Fälle zur Untersuchung schickten, angeregt, die Fälle mit benigner 
Passagestörung am Pylorus odter in dessen Nähe vor der Operation 
einer entsprechenden Magenausheberungskur zu unterwerfen. Es 
wurde gleich hinzugefügt, dass die Ausheberungskur unter nadio- 
skopischer Kontrolle beginnen möge, da man mit einer nach klinischen 
Begriffen „gründlichen“ Magenausheberung bei einer weit ausgebilde¬ 
ten Ektasie sehr wenig nützen würde. Wir haben vielmehr gelegent¬ 
lich Ausheberung von Fällen mit voll ausgebildeter Ek¬ 
tasie -die Erfahrung gemacht, dass bei ihnen erst nach mehr¬ 
facher Wiederholung der Ausheberung * in verschiedenen 
zweckmässigen Lagen im Verlaufe von 2—3 Tagen der 

*) M.m.W. 1916 Nr. 41. 


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I Jon 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


m 


Magen leer wurde. Hat man den Magen einmal auf diese 
Weise entleert, so genügen dann Bettruhe, Schonungsdiät 
ond die übliche klinische Ausheberung und Expression, 
nm im Verlaufe einiger Wochen die gewünschte Verkleinerung des 
Magens zu erzielen*). 

Es verdient erwähnt zu werden, dass die empfohlene Vorberei¬ 
tung des Magens, welche den in Rede stehenden Fehler der Anasto- 
mose vermeiden hilft, für die Operation noch in anderer Hinsicht 
nützlich ist Neben der Besserung des Allgemeinbefindens hat man 
den Vorteil, mit einer weniger breit angelegten Anastomose Jedes 
Auslangen zu finden und in den verbesserten Zirkulationsverhältnissen 
der Magenwand einen komplikationslosen Heilungsverlauf der Naht 
erwarten zu können. Ohne die gleiche Exaktheit zu erreichen, kann 
man dem in Rede stehenden Fehler mit einiger Annäherung auch da¬ 
durch entgehen, dass man bei starker Ektasie die Anastomose schein¬ 
bar zu hoch, und zwar mehr pyloruswärts anlegt, und zwar um so 
näher dem Pylorus, je hochgradiger die Ektasie ist Wir glaubten 
auf Grund unserer einschlägigen Erfahrungen, ohne Chirurgen zu sein, 
Obiges anregen zu sollen im Interesse der Sache, ohne Sorge darum, 
dass es vielleicht von manchen als eine Einmischung von unberufener 
Seite empfunden werden könnte, und zwar deshalb, weil den Chirur¬ 
gen vermutlich nichts, den Röntgenologen die täglich anschauliche 
Befassung mit dem Gegenstand darauf hinweist, weil diese Fälle als 
Grenzfälle zwischen Innerer Medizin und Chirurgie oft verschleppt 
und als simple Operation bloss nach Massgabe der Betriebs- und 
Belagverhältnisse gelegentlich eingeschoben werden, und weil unser 
Vorschlag im engen Kreis kein Echo fand. 

Unsere Ueberzeugung, dass geschildertes Vorbereitungsverfahren 
zu dem gewünschten Ziele führen würde ist gegründet in der Er¬ 
fahrung an Fällen, die trotz hochgradiger Passagestörung am 
Pylorus noch eine geringe, oder noch keine Magendehnung hatten, 
weil sie lange Zeit eine Schonungsdiät strenge einhielten; und in der 
zweiten Erfahrung an Fällen, in denen exzessive Ektasien des 
Magens nach der Operation in raschem Tempo fast vollständig 
schwanden. 

Zusammenfassung. 

1. Unter den Fällen mit benignen Passagestörungen am Pylorus, 
in denen nach der Anlegung*einer Gastroenterostomie wieder 
Beschwerden auftraten, fanden sich häufig solche, bei denen die 
Gastroenterostomie schlecht funktionierte, weil sie zu hoch sass. 

2. Dieser Fehler der Gastroenterostomie wurde dadurch ver¬ 
ursacht, dass sie angelegt wurde, als der Magen maximal er¬ 
weitert war. 

3. Es empfiehlt sich darum, dieGastroenterostomieerst 
dann anzulegen, sobald die Ektasie des Magens durch ent¬ 
sprechende Massnahmen sich möglichst zurückgebildet hat. 


Aus der Keuchhustendiagnosestation von Statens Serum¬ 
institut (Direktor: Dr. med. Th. Madsen). 

Eine Methode zur Frühdiagnose des Keuchhustens. 

(„Die Hustenaussaatmethode“.) 

Von Dr. Ingeborg Chievitz, geb. Jacobsen, früher 
Assistentin am Statens Seruminstitut und 
Dr. med. Adolph H. Meyer, Privatdozent, Direktor der 
3. Poliklinik des Königin-Luisen-Kinderhospitals. 

In dem Arch. f. Kinderheilkd. 66. 1917 beschrieben wir eine Me¬ 
thode, die wir zur Frühdiagnose des Keuchhustens angewandt hatten. 

Die Methode bestand darin, die Patienten spontan oder durch 
Reizung des Rachens gegen sterilisierten Kartoffelblutagar, anfangs 
in Petrischalen, später aus praktischen Ursachen (wegen der Ver¬ 
sendung) in flachen Blechschachteln angebracht, husten zu lassen. 
Die Schachtel wurde während des Hustens ca. 10—20 Sekunden 
10 cm von dem Mund des Patienten gehalten, indem der Schachtel¬ 
deckel, der als Ueberfallsdeckel eingerichtet ist, so lange gehoben 
wird, und der Patient musste gegen den Nährboden husten, nicht 
darauf spucken. Der Deckel wurde wieder auf die Schachtel ge¬ 
setzt, die m den Thermostat bei 37 0 hineingestellt wurde. Im Verlaufe 
von 2—3—4 mal 24 Stunden werden, wenn der Patient an Keuch¬ 
husten in den ersten Stadien leidet, Kolonien von Keuchhustenbazilien 
auf dem Nährboden der Schachtel auswachsen. 

Da unsere Arbeit erschien, waren 32 Patienten in dem katar¬ 
rhalischen Stadium untersucht worden; bei 27 von diesen wurden 
durch diese Methode Keuchhustenbazillenkolonien nachgewiesen; nur 
bei 5 trat keine Kultur dieser Kolonien auf; bei dem einen dieser 5 


•) Neben der Einleitung des Ausheberungsverfahrens mit Hilfe 
der Röntgenoskopie möchten wir diese als eine bequeme schonendste 
und exakteste Methode auch für die Verfolgung des Verkleinerungs¬ 
vorganges am Magen und für die Feststellung, ob bereits der ge¬ 
wünschte Grad der Verkleinerung erreicht ist, angelegentlichst emp¬ 
fehlen. Ohne leugnen zu wollen, dass man bei sorgfältiger, kli¬ 
nischer Methode die Grösse des Magens exakt bestimmen kann, darf 
man doch für den Allgemeingebrauch die Radioskopie als die Methode 
der Wahl empfehlen. 

Nr. 27 

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gelang die Methode 12 Tage später, da der Patient in der 2. Woche 
des konvulsiven Stadiums war, bei den 4 anderen wurde keine 
wiederholte Untersuchung vorgenommen. Bei mehreren Patienten, 
die Keuchhusten nicht hatten, aber an Husten anderer Art litten, war 
die Probe, wie zu erwarten, negativ; bei 5 Patienten in der 1. und 
2. Woche des konvulsiven Stadiums war die Probe positiv, bei 2 
negativ; bei mehreren Patienten in späteren Stadien der Krankheit 
war die Probe negativ. 

Von den 27 Patienten im katarrhalischen Stadium, bei welchen 
der Keuchhusten auf diese Weise nachgewiesen wurde, hatte 1 Pa¬ 
tientin nur 2 Tage gehustet, als sie auf die Schale hustete, in einem 
anderen Falle hatte der Husten im ganzen 3 Tage, in 2 Fällen 4 Tage, 
in 2 Fällen 6 Tage, in den übrigen 7—14 Tage gedauert, aber in keinem 
der 27 Fälle war die klinische Diagnose vollständig sicher, als die 
Probe angestellt wurde. _ 

In der Keuchhustendiagnosestation des Semminstitutes ist die Me¬ 
thode, die wir die Hustenaussaatmethode zu nennen Vor¬ 
schlägen möchten, unter Leitung der einen von uns (Chievitz) von 
Mitte Februar 1916 an vorzugsweise vor der Auswurfunter¬ 
suchungsmethode angewandt worden, und wir werden hier kurz 
Rechenschaft von den Resultaten geben, nachdem wir zuerst genau 
die Herstellung des Nährbodens, des Kartoffelbiutagars. beschrieben 
haben. 

Wir haben ihn zubereitet in folgender Weise, die wenig von der 
von Bordet und Gengou angegebenen abweicht u. a. dadurch, 
dass der Agar nicht filtriert wird, was, ohne irgendwie den Wert des 
Nährbodens zu verschlechtern, die Herstellung vereinfacht. 

500 g geschälte Kartoffeln werden in Scheiben geschnitten und 
in einem Topf mit 1 Liter destillierten Wassers und 40 ccm Glyzerin 
bis zu Mus ausgekocht. Das Mus wird durch ein Sieb und dann 
weiter durch ein Wischtuch getrieben. Das Kartoffeiextrakt wird mit 
der 3 fachen Menge destilliertem Wasser verdünnt. 6 Prom. CINa wird 
zugesetzt. Das Extrakt wird gekocht und in Kolben verteilt, 300 ccm 
Extrakt in jedem Kolben. In jedem Kolben wird dann 9 g Agar zu¬ 
gesetzt. Die Kolben werden autoklaviert und der fertige Kartoffel¬ 
agar kann jetzt in dem Eiskeller lange Zeit aufbewahrt werden, 
jedenfalls zirka 1 Jahr. Der Kartoffelblutagar wird nun in folgender 
Weise hergestellt. Ein Kolben mit 300 ccm Kartoffelagar wird in der 
Autoklave oder im Wasserbad geschmolzen, wird dann bis zu 45 0 ab¬ 
gekühlt; 300 ccm steriles, defibriniertes Pferdeblut wird im Wasser¬ 
bad bis zu gleicher Temperatur erwärmt und wird, indem man vor¬ 
sichtig schüttelt mit dem geschmolzenen Kartoffelagar gemischt. Der 
Kartoffelagar wird in runde, sterile Blechschachteln, 81 mm im Durch¬ 
messer und 15 mm hoch, mit Ueberfalldeckeln gegossen. Die Schachteln 
werden wie Petrischalen mit Papierdeckel zwischen Deckel und 
Schachtel sterilisiert. Vor dem Aufgiessen des fliessenden wannen 
Nährbodens wird der Schachteldeckel, aber nicht der Papierdeckel, 
beseitigt, das Aufgiessen geschieht dadurch, dass man vorsichtig 
eine Ecke des Papierdeckels hebt, der, um dem Kondensationswasser 
zu entgehen, erst beseitigt und mit dem Blechdeckel ersetzt wird, 
wenn der Nährboden erstarrt ist und gewöhnliche Zimmertemperatur 
erreicht hat. Der fertige Nährboden soll eine feste rote Masse sein. 
Bisweilen zeigt es sich, dass der Nährboden zu weich ist; man muss 
dann etwas mehr Agar zum Kartoffelextrakt (4—5 Proz. anstatt 
3 Proz.) zusetzen. 

Die Schachteln werden dann im Thermostat hingestellt, damit 
man sich von der Sterilität des Nährbodens überzeugen kann. 

Die Blechschachteln werden in Papier mit einer gedruckten Ge¬ 
brauchsanweisung eingepackt und in den Eiskeller gestellt; in dieser 
Weise aufbewahrt bleiben sie leicht zirka 8 Tage steril. Nach tele¬ 
phonischer oder schriftlicher Forderung werden sie vermittels Post 
ausgesandt und, nachdem sie wieder an das Institut zurückgelangt sind, 
werden sie in den Thermostat gebracht und nach dem Verlaufe von 
2—3—4 Tagen untersucht. 

Die Keuchhustenbazillenkolonien können nun in grosser Zahl auf- 
treten, so dass der Nährboden beinahe mit einer Reinkultur übersät 
ist; dies kann namentlich der Fall sein in den allerersten Tagen der 
Krankheit; je länger die Krankheit gedauert hat. desto spärlicher wer¬ 
den die Keuchhustenbazillenkolonien; andere Faktoren als der Zeit¬ 
punkt der Krankheit machen sich doch sicherlich auch geltend, z. B. 
Alter des Patienten, die Stärke des Hustenstosses und der Infektion, 
darüber haben wir doch noch keine bestimmten Anhaltspunkte. 

Die Grösse der Kolonien ist recht verschieden, nicht nur nach 
ihrem Alter; gewöhnlich sind sie bedeutend grösser als die Kolonien, 
die man durch die Aus wurfuntersuch ungen findet, was nach unserer 
Ansicht von der direkten Aussaat durch die Hustenaussaatmethode ab¬ 
hängt; wiederum sind die Kolonien nicht ganz so charakteristisch als 
durch Züchtung von Auswurf; der quecksilberartige Glanz ist nicht 
so auffallend; die Kolonien sind am öftesten mehr grau, weniger 
schimmernd. Ausser Keuchhustenbazillenkolonien werden In den 
meisten Fällen zahlreiche andere Kolonien von Kokken und Bazillen 
gefunden; gewöhnlich sind doch die Keuchhustenbazillenkolonien und 
das mikroskopische Bild derselben charakteristisch genug zur Stellung 
der Diagnose; in Zweifelfällen muss die Identität der Kolonien fest¬ 
gestellt werden durch Agglutinationsprobe mit Keuchhustenimmun¬ 
serum, das wir durch intravenöse Injektionen von Keuchhustenba¬ 
zillenemulsion auf Kaninchen hergestellt haben. Oft — und öfter 
als durch Züchtung von Auswurf — haben wir durch die Hustenaus¬ 
saatmethode deutliche Keuchhustenbazillenkolonien nach dem Verlauf 
i von 2 mal 24 Stunden gefunden. 

3 

Orifinal fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


730 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27. 


An die Keuchhustendiagnosestation des Seruminstitutes wurden 
von 11. Februar 1916 bis 1. April 1917 395 Proben eingesandt (die in 
unserer früheren Arbeit erwähnten mitgerechnet), bei welchen die 
Hustenaussaatmethode angewandt wurde. 

Die Erfolge der Untersuchung, die in der beigefügten Tabelle 
angezeichnet sind, waren die folgenden: 



Zahl der 

K. B. vorhanden 

K. B. nicht 


Proben 

bei 

vorhanden bei 

Katarrhalisches Stadium. 

61 

49 = 77 Proz. 

14 

Konvulsives Stadium Woche 1 . . 

*8 

30 = 52 „ 

28 

i, „ »» 2. . . 

32 

16 = 50 „ 

16 

3 

13 

4 = 30 

9 

” n r, *■ • • 

10 

1 = 10 , 

9 

Unbekanntes Stadium 

33 

5 

0 

5 

33 

Nicht Keuchhusten. 

128 


128 

Unbekannte Leiden. 

27 


27 

Unbrauchbare Proben. 

26 



Im ganzen 

3yi 

105 

264 


26 Proben waren unbrauchbar, entweder weil der Nährboden zu weich 
gewesen und deshalb zusammengeschüttelt war, oder weil er ein¬ 
getrocknet oder mit Schimmel überwachsen war. 

Den Aerzte'n, welche die Proben eingesandt hatten, haben wir 
später Anfragen geschickt um Aufklärung darüber zu bekommen, ob die 
eingesandten Proben in denjenigen Fällen, in welchen Keuchhusten¬ 
bazillen nicht gefunden wurden, von Patienten herrührten, die Keuch¬ 
husten hatten oder nicht. 

Bisher haben wir 237 Antworten bekommen, während uns über 

27 noch Aufklärung fehlt. 

Von 128 Patienten wurde festgestellt, dass sie nicht an Keuch¬ 
husten litten; bei keinem dieser Patienten wurden K B. (Keuchhusten¬ 
bazillen) gefunden. 

214 Patienten hatten Keuchhusten, von denen bei 105 Keuch¬ 
hustenbazillen gefunden wurden. In 5 Fällen wissen wir nicht, in 
welchem Stadium sich der Patient befand, über die übrigen 100 Fälle 
haben wir solche Aufklärungen. 

Von Keuchhustenpatienten, die angeblich im katarrhalischen 
Stadium waren, wurden 63 Proben untersucht, in 49 wurden K.B., 
in 14 keine K.B. gefunden. 

Von Keuchhustenpatienten, die angeblich in der ersten Woche 
des konvulsiven Stadiums waren, wurden 58 Proben untersucht, in 
30 wurden K.B. gefunden, in 28 nicht. 

Von Keuchhustenpatienten, die angeblich in der zweiten Woche 
des konvulsiven Stadiums waren, wurden 32 Proben untersucht, in 
16 wurden K.B. gefunden, in 16 nicht. 

Von Keuchhustenpatienten, die angeblich in der dritten Woche 
des konvulsiven Stadiums waren, wurden 13 Proben untersucht, in 
4 wurden K.B. gefunden, in 9 nicht. 

Von Keuchhustenpatienten, die angeblich in der vierten Woche 
des konvulsiven Stadiums waren, wurden 10 Proben untersucht, in 
1 wurden K.B. gefunden, in 9 nicht. 

Von Keuchhustenpatienten, die angeblich seit mehr als 4 Wochen 
konvulsiven Husten gehabt hatten, unter diesen 3 mit Rezidiv, wurden 
33 Proben untersucht. In keiner von diesen wurden Keuchhusten¬ 
bazillenkolonien gefunden. 

Es zeigt sich also, dass bei Patienten im katar¬ 
rhalischen Stadium des Keuchhustens der Bazillus 
durch diese Methode in 77 Proz. der Fälle gefunden 
wurde. Wenn man berücksichtigt, dass die Aussaat am Wohn¬ 
ort nach einer gedruckten Anweisung meistens nicht von 
dem Arzt sondern von den Verwandten der Patienten 'ausgeführt 
wurde, muss das Resultat als überaus befriedigend angesehen werden, 
und je früher während der Krankheit die Untersuchung vorgenommen 
wird, mit desto grösserer Sicherheit scheint die Diagnose in dieser 
Weise aufgestellt werden zu können. 

Andererseits können die Patienten frischen Keuchhusten haben, 
ohne dass der Bazillus gefunden wird, so dass also nur der positive 
Befund diagnostische Bedeutung hat, wodurch die Methode ihre 
Grenze findet, die sie mit anderer bakteriologischer Diagnostik 
— z. B. bei Lungentuberkulose — gemeinsam hat. 

Der Vergleich der Resultate dieser Methode mit den im Jahre 
1917 aus der Diagnosestation mitgeteilten Resultaten von Züchtung 
aus Keuchhustenauswurf zeigt die Hustenaussaatmethode in Fällen 
von beginnendem Keuchhusten überlegen, indem die Diagnose wie. 
oben angegeben in dieser Weise in drei Vierteln der Fälle 
festgestellt werden kann, während man durch Auswurfuntersuchungen 
höchstens in der Hälfte der Fälle dieselbe aufstellen konnte. In dem 
konvulsiven Stadium werden die beiden Methoden als beinahe eben¬ 
bürtig angewandt werden können, aber die Hustenaussaatmethode ist 
einfacher auszuführen und kann leicht von Laien vorgenommen 
werden. 

Wie es ferner ersichtlich ist. stimmen die Erfolge vollständig 
mit den Schlussfolgerungen, welche wir aus unseren früheren Unter¬ 
suchungen gezogen haben. In keinem Falle nach der vierten Woche 
des konvulsiven Stadiums wurden Keuchhustenbazillen gefunden, und 
mit unseren früheren Auswurfuntersuchungen und unseren klinischen 
Erfahrungen verglichen, wird hierdurch unsere Ansicht weiter be¬ 
stätigt, dass Keuchhustenpatienten praktisch gesprochen nicht an¬ 
stecken, wenn ein Monat des konvulsiven Stadiums verlaufen ist. 


Aus der Direktorialabteilung des Allgemeinen Krankenhauses 
St. Qeorg, Hamburg (Prof. Dr. Deneke). 

Ueber schwere Hämoglobinämie bei Infektionen mit dem 
Bazilius phlegmones emphysematosae (E. Fränkel) 
vom schwangeren Uterus aus. 

Von Professor Dr. Weitz, Oberarzt der Medizinischen 
Klinik zu Tübingen, früher Sekundärarzt am St. Qeorgs- 
Krankenhaus in Hamburg. 

In der Sitzung des Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Vereins 
Tübingen vom 6. Juli 1914 habe ich über 5 einschlägige, von mir im 
Hamburger St. Georgs-Krankenhaus gesehene Fälle berichtet. Ich 
fand damals nur 2 ähnliche Beobachtungen in der Literatur nieder¬ 
gelegt (von Lenhartz und Bond y). Inzwischen ist aus der 
S c h o t tm ü 11 e r sehen Abteilung des Eppendorfer Krankenhauses 
eine ausführliche Arbeit von Bingold erschienen, in der an der 
Hand von 130 klinisch und bakteriologisch genau beobachteten und 
z. T. autoptisch untersuchten Fällen eine sehr eingehende Schilderung 
des mannigfaltigen klinischen Bildes der Puerperalinfektion durch den 
Fraenk e 1 sehen Gasbazillus gegeben worden ist und in der einige, 
den unseren völlig entsprechende Fälle beschrieben sind. 

Ein Referat über meinen Vortrag ist infolge der Wirren des 
Kriegsbeginns damals nur an entlegener Stelle im Württ. Korr.Bl. 
1915 erschienen. Ich würde trotzdem nach der Bingold sehen Ar¬ 
beit auf die Mitteilung meiner Fälle verzichten, wenn ich nicht aus 
der Literatur ersähe, dass diese Form der Infektion vielfach unbe¬ 
kannt ist und wenn ich nicht glaubte, dass sie in der heutigen Zeit, 
in der der Fr aenke Ische Gasbazillus als Krankheitserreger eine 
unendlich viel wichtigere Rolle spielt als im Frieden, ein allgemeines 
Interesse verdiente. 

Die beobachteten Fälle sind die folgenden: 

Fall 1. 26jähr. Frau (im Krankenhaus vom 15. IV. 1910 8 Uhr 
45 Min. abends bis 16. IV. 1910 6 Uhr morgens). 

Pat. ist benommen, macht über ihr Leiden völlig verworrene 
Angaben. Nach der Aussage des Mannes hat seine Frau in der Nacht 
vom 13. auf 14. IV. eine vaginale Blutung bekommen, während des 
14. hat sie mit starken Schmerzen zu Bett gelegen. Am 15. mittags 
hat der hinzugerufene Arzt Fieber und gelbbräunliche Verfärbung der 
Haut festgestellt. Im Gesicht sei blaue Verfärbung hinzugekommen; 
es habe sich starke Atemnot eingestellt, sie sei unklar geworden. Als 
Ursache der Blutung wird vom Manne die Einnahme eines inneren 
Mittels strikte abgelehnt, dagegen wird die Ausführung einer Spülung 
als möglich zugegeben. 

Status: Bei der mittclgrossen, in gutem Ernährungszustand be¬ 
findlichen Patientin besteht eine eigentümlich fahl bronzeartige, grau- 
bräunliche Verfärbung der Haut mit dunkelblau zyanotischer Farbe 
an Stirn, Wange, Nase und Kinn (der wachhabende Arzt glaubte nach 
der ersten flüchtigen Untersuchung eine dunkle Mulattin vor sich 
zu haben). Die Atmung ist ausserordentlich schnell und der Puls sehr 
frequent und klein, nicht sicher zählbar. Das Abdomen ist stark auf¬ 
getrieben, in den unteren Partien auf Druck empfindlich. Das aus 
der Vagina in ziemlicher Menge tropfende Blut fällt durch sein.e 
ausserordentlich dunkle Farbe auf. Der Uterus ist vergrössert, ent¬ 
sprechend dem 3.—4. Monat. Der Muttermund ist für beide Finger 
durchgängig. Die in der Zervix liegende, sogleich (ohne Narkose) 
digital entfernte Plazenta ist brüchig, dunkel schokoladefarbig, ausser¬ 
ordentlich übelriechend. Der katheterisierte Urin ist dunkelschwarz, 
zäh, wie dünner Lack. Spez. Gewicht 1040. Blutreaktion stark 
positiv. Bei der mikroskopischen Untersuchung des Urins findet sich 
kein einziges rotes Blutkörperchen, dagegen massenhaft feinkörniger 
bräunlicher Detritus und gröbere schollige Gebilde mit bräunlichem 
Farbton. 

Das aus einer Armvene entnommene Blut ist dunkel schokoladen¬ 
farbig, das sich nach scharfem Zentrifugieren über den korpuskularen 
Elementen absetzende Blutserum ist dunkelbraunrot und zeigt spektro¬ 
skopisch deutliche Methämoglobinstreifen. Im frischen Blutpräparat 
liegen die roten Blutkörperchen nicht in Geldrollenform, sondern 
haufenweise nebeneinander, sind z. T. deutlich geschrumpft und haben 
sich aneinander abgeplattet. In und zwischen den Haufen bildet sich 
sehr bald ein dichtes Fibrinnetz. Im gefärbten Präparat erweisen sich 
ca. % der Erythrozyten als stark geschrumpft, so dass ihre Grösse 
nur etwa die Hälfte der normalen Erythrozyten beträgt. Sie sind 
abnorm stark gefärbt. Daneben finden sich reichliche Blutkörperchen¬ 
schatten und vereinzelte Poikilozyten. Die Zahl der Erythrozyten 
beträgt 2 890 000, die der weissen Blutkörperchen 50000. 

Klinische Diagnose: Septischer Abort mi* schwerster Hämo¬ 
globinämie. 

Therapie: Digitale Ausräumung des Aborts. Kampferinjektionen, 
Sauerstoffinhalationen. 

Unter Zunahme der Herzschwäche kam Patientin nach Tem¬ 
peraturanstieg auf 40,1 0 am 16. IV. morgens 6 Uhr (ca. 9 Stunden nach 
der Aufnahme und 54 Stunden nach Beginn der Blutung) zum Exitus. 

Die am 17. IV. im pathologischen Institut des Krankenhauses 
(Prof. Simmonds) vorgenommene Sektion ergibt: 

Die Haut ist überall von eigentümlicher Bronzefärbung, Gesicht 
ausserdem stark blau verfärbt. Fast überall ist deutliche Venen¬ 
zeichnung vorhanden. In der Unterhaut findet sich nirgends Gas oder 
vermehrte Flüssigkeit. Der Leib ist aufgetrieben. Bei Eröffnung der 


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2 . Juli 191S. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


731 


Bauchhöhle entfährt, ohne dass der Darm angeschnitten wäre, eine 
ziemliche Menge von Gas. Das Herz ist von normaler Grösse, der 
rechte Ventrikel ist schlaff, der linke gut kontrahiert. Im Herzinnern 
ist wenig geronnenes Blut, aber viel Gas. Das Endokard ist blutig 
imbibiert, das Herzfleisch von gleichmässig roter Farbe, das Epikard 
frei von Blutungen. 

Im Bereich der Pleura des rechten Ur.terlappens finden sich zahl¬ 
reiche, bis linsengrosse, flächenhafte Blutungen. Die Lungen sind 
überall lufthaltig, die Unterlappen saftreich. Die Milz ist auf das 
Doppelte vergrössert, kolossal fest. Auf dem Schnitt ist von der 
Zeichnung nichts zu erkennen, die Farbe ist schwarz, mit einem 
schwach roten Schimmer. Die Mesenterialdrüsen sind wenig ge¬ 
schwollen, von gleichmässiger weissgrauer Schnittfläche. Das Peri¬ 
toneum ist glatt und spiegelnd, stark imbibiert. Das ganze Kolon, 
besonders das Zoekum ist stark gebläht. Im kleinen Becken finden 
sich geringe Mengen trüber, schmutzigroter, übelriechender Flüssig¬ 
keit. Die Nieren sind auf der Oberfläche von fast schwarzer Farbe. 
Die Kapsel ist leicht abziehbar. Auf dem Schnitt ist das Gewebe 
von tiefdunkelroter, fast schwarzer Farbe, die Nierenzeichnung ist 
eben noch erkennbar. Die Schleimhaut der Nierenbecken ist stark 
blutig imbibiert. Magenschleimhaut ist normal. Pankreas und Neben¬ 
nieren sind ohne pathologischen Befund. Die Gallenwege sind durch¬ 
gängig. Die Oberfläche der Leber zeigt auf der Kuppe zahlreiche 
kleine, z. T. konfluierte Luftblasen. Auf dem Schnitt ist das Leber¬ 
gewebe von fleckiger, schmutziggrau-gelb-roter Farbe. Auch auf dem 
Leberdurchschnitt finden sich einzelne Schaumbläschen. Blase, Ure- 
teren. Rektum sind normal. 

Der Uterus ist von gut Faustgrösse. Auf der Kuppe befindet sich 
etwas rechts vom höchsten Punkt gelegen eine talergrosse Oeffnung, 
aus welcher morsches, wie Einautrest aussehendes Gewebe in Wal- 
missgrösse in die freie Bauchhöhle ragt. Die Oeffnung ist mit dem 
Gewebe zugestopft. Die Uterusinnenfläche ist rauh, an zahlreichen 
Stellen, besonders in der Gegend der Perforation, finden sich noch 
ziemlich grosse Stücke von Eihautresten. Die Uterushöhle ist etwa 
hühnereigross, die Wandung 2 cm dick, die Muskulatur schlaff. Die 
Portio ist verstrichen, an ihr und an der Scheide sind keine Ver¬ 
letzungen erkennbar. Tuben sind durchgängig. Im rechten Para- 
metrium befinden sich einige thrombosierte Venen, die Thromben sind 
nicht erweicht. 

Aus dem Leichenblut wachsen bei anaerober Züchtung reichlich 
Gasbazillen (Bac. emphysematodes Fraenkel) und Kolibazillen. 

Die drei nächsten Fälle ähneln dem ersteren so. dass eine kürzere 
Beschreibung erlaubt ist 

Fall 2. 25Jähr. Frau, im Krankenhaus vom 1. V. bis 3. V. 1911 
(gestorben 5A Uhr morgens). Letzte Menses vor 6 Wochen. Am 
28. IV. erkrankt mit starken Schmerzen im Leib und Genitalblutung. 
Am 29. IV. Fieber festgestellt, in der Nacht vom 29. auf 30. sei gelb¬ 
braune Verfärbung der Haut eingetreten und schweres Krankheits¬ 
gefühl. 

Status: Gelblichbräunliche Verfärbung der Haut, Zyanose des 
Gesichtes und der Nägel. Temp. 38,2°, Puls 136 (kaum fühlbar). 
Abdomen leicht aufgetrieben, dicht über der Symphyse druckempfind¬ 
lich. Die mittelst Katheter entleerte kleine Urinmenge ist zäh, 
schwarz, gibt sehr starke Blutreaktion, hat mikroskopisch keine 
Erythrozyten, sehr reichlich Detritus und Hämoglobinschollen. 

Der Muttermund ist für Fingerkuppe durchgängig, die Portio ist 
weich. Der Uterus ist etwas vergrössert. 

Therapie: Entfernung von Abortresten. Digitalis, Kampfer. 

2. V. In den gestern aus ca. 15 ccm Blut angelegten Blutagar¬ 
platten ist in einer Platte, die unter N.-Atmosphäre gehalten wurde, 
ein Gasbildner gewachsen, der. wie die weitere Untersuchung ergibt, 
der Bazillus emphysematodes Fraenkel ist. 

Die Morgentemperatur ist 39,6°. Es besteht grosse Euphorie. 

Abendtemperatur 38,9°. Zunehmende Trübung des Bewusst¬ 
seins. 

3. V. Morgens 5Vs Uhr Exitus letalis. 

Die an demselben Tage vorgenommene Sektion ergibt als wesent¬ 
lichen Befund: Hochgradig gelbbraune Verfärbung der Leiche. Uterus 
puerperalis mit Erweichungsherd am Fundus, der nur durch eine ganz 
dünne Schicht von der Peritonealhöhle getrennt ist. Eiterherd im 
rechten Parametrium, starke derbe Schwellung der sehr derben Milz, 
dunkelbraune Färbung der Nieren mit braunschwarzer Verfärbung der 
Pyramiden, mässige Vergrösserung der auf dem Ouerschnitt gelblich 
gefärbten, undeutlich gezeichneten Leber. Lungenödem, hämorrhagi¬ 
sche Infarzierung der Pia und Bildung zahlreicher kleiner Gasblasen. 

Stückchen verschiedener Organe (Milz, Leber, Niere) sind nach 
24 stündigem Verweilen im Brutschrank durchsetzt von Gasbläschen. 

Bei anaerober Züchtung werden aus dem Leichenblut, sowie dem 
Erweichungsherd im Uterus massenhaft Fraenkel sehe Gasbazillen 
gezüchtet. Im Ausstrich des parametralen Eiters neben den Fraen- 
k e 1 sehen Gasbazillen Diplokokken, im Ausstrich von Leber, Milz 
und Gehirn nur Fraenkelsche Bazillen. 

Fall 3. 42 jähr. Frau (auf der chirurgischen Aufnahmestation des 
Krankenhause vom 21. VI. 1911 VA Uhr vormittags bis 8 Uhr abends). 

Patientin kommt in schwer benommenem Zustand ins Kranken¬ 
haus. Nach Angabe des Ehemanns hat seine Frau ihm gestern Nach¬ 
mittag beim Reinigen der Wohnung geholfen, hat dabei über nichts 
geklagt; abends spät sei ein Schüttelfrost aufgetreten, seit heute 
Morgen sei sie unklar und ihre Haut sei gelbbräunlich verfärbt ge¬ 
wesen. Von einer Gravidität seiner Frau wisse er nichts. 

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Status: schwer benommene, moribunde Patientin. Braungelbe 
Verfärbung der Haut des ganzen Körpers, daneben blaue Verfärbung 
des Gesichtes. Sehr frequente dyspnoische Atmung. Puls sehr klein, 
ca. 180 in der Minute, kaum fühlbar. Temperatur 39,4. Starker allge¬ 
meiner Schweissausbruch. Abdomen etwas aufgetrieben, weich, an¬ 
scheinend nicht druckempfindlich. Uterus etwas vergrössert, ante- 
flektiert, Parametrien frei. Sanguinolenter Fluor ohne fötidem Geruch. 

Der spärliche schwärzliche Urin gibt ausgesprochene Blutreak¬ 
tion, zeigt mikroskopisch keine Erythrozyten, dagegen reichlich Hämo¬ 
globinschollen. 

Sektion (Prof. Simmonds): Im Uterus sind Eihautreste vor¬ 
handen, die Parametrien sind ödematös durchtränkt, die Venen sind 
frei. Die Nieren und die stark vergrösserte Milz sind schwarzrot 
verfärbt. In Leber, Nieren und Herz ist Schaumbildung vorhanden. 
Lungenödem. 

Während die anaörobe Blutkultur, aus der Armvene der leben¬ 
den Patientin genommen, steril blieb, wuchsen in den aus dem 
Herzen gewonnenen anaeroben Blutkulturen der Leiche unzählige 
Kulturen des Fraenkel sehen Gasbazillus. 

Fall 4 starb ausserhalb des Krankenhauses am 1. IV. 1912. Der 
Liebenswürdigkeit des behandelnden Arztes, Herrn Dr. Tebrich, 
verdanke ich folgende Angaben: In der Nacht vom 30. auf 31. März 
zum ersten Male zy der Patientin gerufen, fand er sie hoch fieberhaft 
(Temp. zwischen 40 und 41 °). von dunkler Hautfarbe mit Blutung 
aus der Scheide. Katherisation ergab dunklen, fast schwarzen Urin. 
Es wurde die Scheide tamponiert. 

31. III. Der Uterus wird vorsichtig entleert. Patientin ist sehr 
unruhig und dyspnoisch. dabei euphorisch. 

I. IV. Rapider Verfall. Pulslosigkeit. Exitus. 

Der von mir untersuchte Urin zeigt Portweinfarbe, gibt chemisch 
sehr starke Blutreaktion, enthält mikroskopisch Hämoglobinschollen, 
z. T. in Zylinderanordnung, keine roten Blutkörperchen. Der Eiweiss¬ 
gehalt nach Esbach beträgt 6 Proz. Unmittelbar nach dem Tode 
aus der Armvene entnommenes Blut enthält bei anaerober Züchtung 
reichlich Fraenkel sehe Gasbazillen. 

Leichter verlief der folgende Fall: 

Fall 5. 18 jähr. Wärterin (im Krankenhaus vom 21. VIII. 1912 
bis 11. XI. 1912). Letzte Menses vor 3 Monaten. Seit 4 Tagen 
bestehen Erbrechen und Herzklopfen, seit gestern Durchfälle, seit heute 
früh Genitalblutung. Bei der Aufnahme wurde von der Schwester ein 
urtikariaartiger Ausschlag bemerkt, der ca. 1 Stunde später kaum noch 
erkennbar war. 

Status: Kräftiges Mädchen, zeigt eine leicht gelbliche Verfärbung 
der ganzen Haut. Herz und Lunge sind ohne pathologischen Befund. 
Das Abdomen ist etwas aufgetrieben, diffus empfindlich. Die Milz ist 
eben palpabel. Der Stuhlgang ist durchfällig, schleimig-blutig. Der 
durch Katheterisieren gewonnene Urin ist trübe, von bräunlichroter 
Farbe, enthält Eiweiss, gibt chemisch starke Blut-, keine Gallenfarb¬ 
stoffreaktion. Mikroskopisch finden sich sehr viele intensiv braun ge¬ 
färbte Zylinder und amorphe Schollen, keine roten Blutkörperchen. 

Der Uterusfundus steht oberhalb der Symphyse, die Zervix ist 
weich, kaum durchgängig. Es besteht starke Blutung. Die Para¬ 
metrien sind frei. Temperatur 39,2°, Puls 120. 

Aus dem Uterusiunern wird zunächst Material mit allen Kautelen 
entnommen und zu aeroben und anaeroben Kulturen verarbeitet, so¬ 
dann in Aetherrausch nach Dilatation durch Hegars mittelst Löffels 
und stumpfen Kürette ein 9 cm langer Fötus und Plazentarreste entfernt. 

22. VHI. In der anaeroben Kultur des Utenisabstriches sind zahl¬ 
reiche Kolonien Fraenke 1 scher Gasbazillen gewachsen, die aerobe 
Kultur ist steril geblieben. Ebenso sind aus gestern entnommenem 
Blut vereinzelte Kulturen des F r a e n k e 1 sehen Bazillus bei anaerober 
Züchtung gewachsen. Temperatur heute normal. Allgemeinbefinden 
viel besser.- 

23. VIII. Urin: Hell, Sanguisreaktion positiv. Mikroskopisch 
finden sich spärlich amorphe, bräunliche Massen, keine Erythrozyten. 
Gelbliche Verfärbung der Haut ist verschwunden. 

27. VIII. Völliges Wohlbefinden. Urin ohne Sanguis, ohne 
Eiweiss, enthält vereinzelte Zylinder. 

II. IX. Urin o. B. Patientin wird völlig beschwerdefrei entlassen. 

Die bakteriologischen Untersuchungen wurden im Verein mit 

Herrn Dr. J a c o b s t h a 1, dem Leiter der bakteriologisch-serologi¬ 
schen Abteilung des Krankenhauses gemacht. Der gewonnene Ba¬ 
zillus zeigte in jeder Beziehung, auch tierexperimentell die Eigen¬ 
schaften des typischen Fraenkel sehen Gasbazillus. Im mensch¬ 
lichen Blut, das im Reagenzglas mit dem Bazillus beschickt war, 
trat starke Hämolyse auf. 

Die ersten 4 beschriebenen Fälle waren durch die eigentümlich 
schmutzig gelbbraune Farbe der ganzen Haut, zu der sich eine blau 
zyanotische Verfärbung des Gesichts, besonders der Wangen, der 
Stirn und des Kinns hinzugesellte, durch die sehr beschleunigte und 
dyspnoische Atmung und die sichtbare Benommenheit so scharf 
charakterisiert, dass, nachdem erst einmal bei dem einen Fall die 
richtige Diagnose gestellt war, die anderen von weitem beim ersten 
Blick diagnostiziert wurden. 

Die nähere Untersuchung ergab bei allen, dass neben schwerster 
Hämoglobinämie Hämoglobinurie bestand, und dass eine Infektion vom 
schwangeren Uterus aus stattgefunden hatte und zwar mit dem 
FraenkeIschen Gasbazilhis, der ausser im Uterusinhalt in allen 
darauf untersuchten Fällen mit Ausnahme eines Falles im strömenden 
Blut gefunden wurde. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




733 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27. 


Der Fall 5 wies eine Hautverfärbung auf, die vom gewöhnlichen 
leichten Ikterus nicht zu unterscheiden war. Die Untersuchung des 
Urins ergab auch hier das Bestehen einer Hämoglobinurie und die 
daraufhin vorgenommene bakteriologische Untersuchung zeigte, dass 
es sich um dieselbe Infektion wie bei den ersten 4 Fällen, nur in 
leichterer Form handelte. 

Es 'kann nicht zweifelhaft sein, dass der F r a e n k e 1 sehe Gas¬ 
bazillus, der auch im Reagenzglas eine ausserordentlich starke hämo¬ 
lytische Wirkung ausübte, die Ursache der Blutzersetzung war. Bei 
2 von den 3 sezierten Fällen (bei Fall 1 und 2) war mit aller Sicher¬ 
heit erkennbar, dass eine nekrotisierende Verletzung grosser Teile der 
Uteruswand stattgefunden hatte. Wir müssen annehmen, dass sie 
durch zur Spülung in den Uterus eingeführte Instrumente erzeugt war 
und dass mit dem Instrument die Erreger hin ein gebracht waren, die 
in abgestorbenen Frucht- und Plazentarteilen und der nekrotischen 
Uteruswand die zur Wucherung notwendigen anaeroben Bedingungen 
fanden. 

Wenn die hier beobachtete allgemeine Blutzersetzung bei der 
gewöhnlichen Form der Infektion mit dem Bacillus phlegmones 
emphysematosae, der Gasphlegmone fehlt, so liegt das offenbar an 
der Verschiedenheit des Infektionsmodus. Bei der Gasphlegmone 
wachsen die Erreger, wie wir mit Bier annehmen müssen, im wesent¬ 
lichen in dem abgetöteten resp. in seiner Vitalität* schwer geschädig¬ 
ten Muskel, sie erzeugen hier Gifte, die, wie Klose nachgewiesen 
hat, auf die Gefässe der Umgebung verengernd wirken, so dass die 
umgebende Muskulatur blass, wie „gekocht“ aussieht, und beim Ein¬ 
schneiden eine Blutung oft vermissen lässt. Das Blut wird zum 
Schaden des Erkrankten ferngehalten vom Erreger und vom er¬ 
krankten Gewebe. 

Zugänglich ist dem Erreger natürlich das im Erkrankungsgebiet 
selbst liegende Blut. Als lipoidlösliches Gift zerstören seine Toxine 
die Membranen der vorhandenen Erythrozyten und wirken so hämo¬ 
lytisch. Die Zersetzungsprodukte mischen sich den Gewebssäften 
bei und dringen durch alle mit dem Erkrankungsherd verbundenen 
Spalten vor, gelangen in das Unterhautzellgewebe und erzeugen hier 
die alle Uebergängc vom Gelb bis dunklen Braun zeigenden hämo¬ 
lytischen Flecken. Ob und in welchem Masse bei der gewöhnlichen 
Form der Gasphlegmone Blutderivate und Toxine resorbiert und dem 
allgemeinen Kreislauf zugeführt werden, ist schwer zu sagen. Das 
leicht gelbliche Aussehen der Patientin könnte dafür sprechen, dass 
es häufig vorkommt. Vielleicht würde eine genaue spektroskopische 
Untersuchung des Blutserums unsere Kenntnisse in dieser Frage er¬ 
weitern können. 

Nicht selten geschieht es in stärkerem Grade, wie das Auftreten 
eines allgemeinen Ikterus beweist. Ein solcher ist von vielen Autoren 
gesehen, ich nenne nur Jüngling, der ihn unter ca. 60 Fällen 2 mal 
beobachtete. 

In unseren Fällen ist nun die ungleich intensivere Hämolyse 
offenbar dadurch bedingt, dass die Resorption der am primären Er¬ 
krankungsherd gebildeten Toxine und auch wohl die Aufnahme der 
Erreger in den allgemeinen Kreislauf eine viel stärkere ist. 

Während die Gasphlegmone, wie wir sehen, mehr oder weniger 
vom allgemeinen Kreislauf abgeschlossen ist, hat der schwangere 
Uterus einen solchen Reichtum an Blut- und Lymphgefässen, dass 
ein Abschluss des erkrankten Gebietes unmöglich wird. Das in 
grosser Menge das Organ durchspülende Blut wird sicher in vielen 
Fällen eine beginnende Infektion zur Ausheilung bringen. Wird es 
der Erreger aber nicht Herr, so wird es mit Toxinen und Erregern 
sich beladen und jenes ungeheuer schwere Bild der Hämolyse ent¬ 
stehen, wie es sich bei unseren 4 Fällen zeigte. 

Literatur. 

1. Bier: Bruns Beitr. z. klin. Chir. 101. 3. — 2. Bingold: 
Beitr. z. Klin. d. Infektionskrankh. u. z. Immunitätsforschung 3. — 
3. Bondy: Naturforscherversammlung München. Zbl. f. Pathol. 1912. 
— 4. J ü n g 1 i n g: Bruns Beitr. z. klin. Chir. 103. H. 3. — 5. K1 os e: 
zit. bei Bier. — 6. Lenhartz: Die septischen Erkrankungen. 
Nothnagels spez. Pathol. u. Therapie 3. Teil 4. 


Aus dem k. und k. Kriegsgefangenenspital in Wieselburg 
a. d. Erlaf N.-Oe. 

(Spitalkommandant: Reg.-Arzt Dr. Rudolf Wohlmut.) 

Eine einfache Methode der Umbildung der Arm¬ 
amputationsstümpfe für die durch Muskelkrafttunnels 
bewegte Prothese. 

Von k. k. Landsturmoberarzt Dr. J. Schenker, 
Chefchirurg des Spitales. 


Im folgenden soll eine Vereinfachung des operativen Eingriffes 
bei der Gestaltung des Armamputationsstumpfes für die willkürlich 
bewegte Prothese mitgeteilt werden. 

Bei der „kinoplastischen“ Operation (Sauer bruch u. a.) ist 
das Wichtigste und das Schwierigste die Bildung eines mit funk- 
tionstüchtiger Haut ausgekleideten Kanales in den Weich¬ 
teilen des Amputationsstumpfes, welcher Kanal als mechanischer An¬ 
griffspunkt für die willkürlich bewegliche Prothese dienen soll. Bis¬ 
her hat man diesen Kanal im Wege einer Transplantation mit Haut, 


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welche der Brusthaut oder der Bauchliaut entnommen wurde, aus- 
gekleidet. Man glaubte, dass die erhebliche Hautflächc, welche zur 
plastischen Auskleidung des Kanales notwendig ist, nur aus diesen 
grossen Hautreservoiren beschafft werden kann. Die Transplantation 
hat aber wesentliche Nachteile. Es wird dabei dem Kranken ausser 
der Operationswunde der plastischen Operation eine zweite Wund¬ 
fläche an der Stelle von wo das Transplantat entnommen wurde, ge¬ 
setzt, die oft infiziert wird und erst per secundam heilt. Ausserdem 
bildet das Setzen einer zweiten grossen Wundfläche bei der herrschen¬ 
den Knappheit an Verbandstoffen, ein technisches Hindernis für die 
Behandlung. Dann ist bei der Transplantation die Belästigung des 
Patienten durch den Fixationsverband, der den operierten Arm 
wochenlang an den Stamm anpresst, zu berücksichtigen. Es wäre 
also als wichtiger Fortschritt zu bezeichnen, wenn es gelingen würde, 
die für den Kanal vorhandene Hautmenge aus der unmittelbaren Nähe 
des künftigen Kanales, also aus der Haut des Amputationsstumpfes 
selber, ohne den Umweg durch die Transplantation, zu gewinnen. 

Sauerbruch hat in seinen ersten Versuchen diesen Weg be¬ 
schritten, indem er die Haut für den dünnen Kanal, welchen er bei 
seinem Muskelkraftwulst bildete, direkt der Haut des Stumpfes ent¬ 
nahm. Als aber mit dem Fortschritte der Methodik die Bildung der 
dünnen Kanäle verlassen wurde und die Notwendigkeit des Anlegens 
breiter Hauttunnels erkannt war, glaubte man nicht, am Arm¬ 
amputationsstumpfe genügend Haut zu finden und man bedient sich 
heute bei der Bildung der notwendigen breiten Hauttunnels allgemein 
der Transplantation aus der Brust- oder Bauchhaut. 

Eine Ueberprüfung des vorliegenden mathematischen 
Problem es, ob die Hautfläche des Stumpfes zur 
Auskleidung des breiten Hauttunnels ausreichen 
würde, ergab mir. dass der Chirurg bei richtiger 
ökonomischer Verwertung der Haut des Stumpfes 
tatsächlich mit der Haut des Armamputations- 
stumpfes stets auskomm en und daher auf die Hauttrans¬ 
plantation verzichten kann. Den zugrunde liegenden Gedanken 
illustriert die beigegebene schematische Figur (Fig. 1, a u. b). 


I * ü?? J J u Obertrmquerschnitt. 

HbijBGh. 



Fasc.br. 


lVr.br 


Enascto\t 


Anlegung zweier Hautschnitte, der eine 
im Sulcus bicipitalis, der zweite an der 
lateralen Armfläche. 

M.br.r. «= M. brachio-rad. N.r. c= Nerv. rad. 
A.pr.br. = Art. brofund. brach. M.tr.br. = 
M.tricepsbrach. N.u. = Nerv, ulnar. A.col. 
=]Art. collat. ulnar. V.b. = Ven basilar. 
N.m. = N. median. P. = Faszie. 


—> <<— = Muskelkrafttunnel. 

Der vordere Lappen der Hautwunde an 

der lateralen Armfläche wird unter dem 
Musculus biceps durchgezogen und mit der 
vorderen Wundlippe der Hautwunde ln 
Sulcus bicipitalis vereinigt. 

Der dorsale Lappen der hautfläche im 
Sulcus bicipitalis wird unter dem Muskel 
Bizeps durchgezogen und mit dem der dor¬ 
salen Wundlippe der Hautwunde an der 
lateraleu Wundfläche vereiuigt 


Die Technik der Operation, wie sie sich auf Grund 
praktischer Erfahrung ergeben hat, soll am Beispiel eines Oberarm- 
amputationsstumpfes dargelegt werden. 

1. Im Sulcus bicipitalis wird ein 3 cm langer Hautschnitt an¬ 
gelegt, die Oberarmfaszie gespalten, die Gefässe und Nerven aus¬ 
präpariert und auf Vorhandensein etwaiger Neurome inspiziert. 
Zwischen dem Muskel und dem Knochen wird ein Tunnel gebildet. 
Einführung einer Koinzange in den Tunnel unter den Muskel, bis die 
Kornzange an die Haut der lateralen Seite des Oberarmes stosst. 

2. Entsprechend der durchpalpierten Spitze der Kornzange wird 
an der lateralen Seite ein korrespondierender 3 cm langer Haut¬ 
schnitt angelegt (Fig. 2). 

3. Dieser bildet den Ausgangspunkt für die Bildung eines recht¬ 
eckigen Hautlappens, dessen Länge (proximo-distaler Durchmesser) 
3 cm beträgt und dessen Breite der jeweiligen Dicke des Musculus 
biceps entspricht. Der Hautlappen wird von der Unterlage frei 
herauspräpariert. Er bleibt nach vorne in Kontinuität mit der rest¬ 
lichen Haut des Armamputationsstumpfes. Dieser Lappen wird die 
vordere Wand des künftigen Hauttunnels bilden und die rückwärtige 
Bekleidung des Musculus biceps darsteflen. 

4. An der proximalen und distalen freien Ecke dieses Lappens 
wird je ein Hauthaltfaden aus Seide angelegt und die beiden Fäden 
durch den vorher gebildeten Tunnel zwischen Muskel und Knochen 
mittels der in den Tunnel eingeführten Kornzange durchgezogen und 
an ihnen der ganze Lappen in den Tunnel eingestülpt, bis der freie 
Rand des Hautlappens in den Sulcus bicipitalis gebracht ist (Fig. 3). 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


ti 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


733 


5. Ist dies vollbracht, so wird an den äusseren Rand des Haut- 
schnittes im Sulcus bicipitalis der eben durchgezogene Hautlappen 
mit Katgutnähten befestigt. Die beiden Hauthaltfäden werden ent¬ 
fernt. So ist die vordere Wand des Tunnels geschaffen und somit 
4er Musculus biceps allseits mit Haut umscheidet (Fig. 4) 





Fig. 3. Derselbe. 

Der an der lateralen Arm¬ 
fläche gebildete Lappen 
wird an den Haltfäden mit 
d. Kornzange in denTunnel 
gestülpt und durchzogen. 


Fig. 4. Derselbe. 
Der an der lateralen Arm¬ 
fläche gebildete durch 
den Tunnel durchgezo¬ 
gene Lappen wurde im 
Sulcus bicipitalis an die 
äussere Lippe des dor¬ 
tigen Hautschnittes an¬ 
gelegt. Die Haltfäden 
noch nicht entfernt. 


Fig. 2. Oberarmamputationsstumpf. 
Die zwei Hautschnitte firn Sulcus 
bicipitalis und an der lateralen Arm- 
fläcbe) wurden angelegt. DerTunnel 
zwischen Muskel und Knochen ist 
aaspräpariert und eine Kornzange 
in den Tunnel gelegt. 


6. Zur Schaffung der hinteren Wand des Tunnels wird nun im 
Sulcus bicipitalis unter Ausnützung der axillaren Wundlippe des dor¬ 
tigen Hautschnittes ein Hautlappen von rechteckiger Form in 
schräger Richtung gegen die Achselhöhle zu gebildet. Die Länge 
dieses Lappens beträgt 3 cm. die Breite ist etwas grösser wie die 
Breite des Musculus biceps. 

7. Korrespondierend zu diesem Lappen wird an der lateralen 
Seite des Stumpfes unter Ausnützung der axillaren Wundlippe des 
dort angelegten Hautschnittes ein kleiner viereckiger Hautlappen aus¬ 
präpariert, welcher mit dem schrägen Lappen in Verbindung ge¬ 
bracht wird und zwar indem der längsschräge Lappen durch den 
Tunnel durchgezogen (Fig. 5) und mit Katgutnähten mit dem in den 
Tunnel eingestülpten kleinen lateralen Lappen verbunden wird (Fig. 6). 



Fig. 5. Derselbe. Fig. 6. Derselbe. Fig. 7. Derselbe 

Der in Südens bicipi- An der lateralen Armfläche im Tunnel In dem ausgeheilten Haut- 
»liis gebildete Lappen hat die Naht des schrägen Lappens tunnelle steckt elnüebungs- 
wurde in den Tunnel und des kleinen lateralen Lappens mit- Stift, 

eingestülpt. einander stattgefunden. Die letzten 

Nähte zum lückenlosen Verschluss 
aller Schnittwunden müssen noch an¬ 
gelegt werden. 


s. Anlegung der etwa notwendigen kosmetischen Nähte, um die 
jckenlose allseitige Hautumkleidung des Stumpfes herzustellcn. So 
erhält man einen Hauttunnel, der allseits ausgekleidet ist und eine 
Länge von 3 cm hat. Sein Durchmesser beträgt ebenfalls etwa 3 cm. 

Durch den fertigen Tunnel zieht man einen Jodoformgazestreifen, 
welcher ihn vollständig ausfüllt. Hierauf steriler Verband und An- 
cgung einer Blaubinde. Der erste Verbandwechsel erfolgt nach 
14 Tagen. Bei allen Patienten, die bisher nach dieser Methode 
operiert wurden, erfolgte die Heilung per primam. so dass man am 
16. Tage nach der Operation in den Tunnel einen 3 cm breiten Stift 
t-iniührt und daher der Patient schon von diesem Zeitpunkte an 
schmerzlos die Einübung des modifizierten Stumpfes vornehmen kann. 

Ich habe diese Methode an verschiedenen langen Amputations- 
.'tümpfen ausprobiert und überall am Stumpfe selbst genügend Haut 
Nr. 27. 

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zur Auskleidung der Hauttunnel gefunden. Es ist also beim Ein¬ 
halten der eben beschriebenen Methodik nicht notwendig, die Haut 
aus anderen Körperteilen heranzuziehen. Ausser diesem Vorteile 
bringt die Methode für den definitiven Muskelkraftwulst noch weitert 
günstige Umstände. Die Haut des Tunnels besitzt von Anfang an 
normal entwickelte Sensibilität, welche bekanntlich bei transplan¬ 
tiert Haut sich spät erst einstellt. Das Vorhandensein der Sensi¬ 
bilität bedeutet für den Patienten einen nicht hoch genug einzu¬ 
schätzenden Vorteil bei der Handhabung der Prothese. Ein weiterer 
Vorteil der Methode liegt darin, dass der Muskel durch die nach 
meiner Methode vorgenommene Umscheidung in einen straff ge¬ 
spannten Hautstrumpf eingemauert wird und auf diese Weise eine 
Art von neuer Insertion in der ihn straff umschnürenden Haut erhält. 
Dadurch wird die Krafteutfaltung des Muskels begünstigt. 

Nach meinen Beobachtungen lassen sich die Invaliden leicht zu 
dieser kleinen Nachoperation bringen, da sic durch diesen verhältnis¬ 
mässig einfachen Eingriff, zu einer Prothese von wirklich praktischem 
Werte kommen. 

Zusammenfassung. 

Es wird gezeigt, dass zur Bildung des für die Gestaltung des 
Armamputationsstumpfes — der für eine durch Muskelwülste be¬ 
wegliche Prothese tauglich sein soll — notwendigen Weichteiltunnels, 
die Haut des Armamputationsstumpfes selbst genügt und daher beim 
Einhalten einer gewissen Technik die bisher gebrauchte Transplan¬ 
tation aus der Brust- oder Bauchhaut überflüssig wird. Die Technik 
der Operation und die Vorteile der Methode werden mitgeteiit. 


Ein Fall von embolischer Projektilverschleppung in den 
rechten Herzvorhof mit Einbohrung in die Herzwand. 

Von Dr. Karl Hirsch, 
landsturmpfl. Arzt bei einer Sanitätskompagnie. 

Unter der grossen Anzahl von Verwundungen der inneren 
Organe nehmen die Herzschüsse besonderes Interesse in Anspruch, 
vor allem deswegen, weil sie wohl nur in den seltensten Fällen zur 
Beobachtung gelangen; der grösste Teil derselben wird auf dem 
Schlachtfelde selbst ad cxituin kommen. Herzdurchschüsse sind in 
den meisten Fällen tödlich. Herzsteckschüsse werden oft sehr lange 
Zeit ohne stärkere Beschwerden ertragen, oft führen sie schon nach 
kurzer Zeit ebenfalls zum Tode. Dominicus beschreibt 8 Fälle, 
bei denen nach einem Zeiträume von 1—55 Tagen der Tod eintrat. 
Bei einem weiteren, von ihm beschriebenen Falle, der an Gasvergif¬ 
tung gestorben war und zur Sektion kam, stellte sich als Zufalls¬ 
befund eine im Herzbeutel festsitzende Kugel heraus, die dem Träger 
anscheinend keinerlei Beschwerden gemacht hatte, da er Frontdienst 
getan hatte. Des Weiteren berichten Müller und N e u in a n n über 
2 Fälle, F i e i i t z und Niklas über je einen Fall; bei allen 4 Fällen 
bestanden keinerlei klinische Symptome. J a f f e führt 7 Fälle von 
Herzschüssen auf, die, von anderen Autoren beobachtet, sich voll¬ 
kommen wohl fühlten. 

Eine Sonderstellung unter den Herzverletzungen nehmen die auf 
embolischer Verschleppung beruhenden ein, sei es dass die Embolie 
vom Herzen aus, zentrifugal, sei es dass sie zentripetal zum Herzen er¬ 
folgt. K ide r 1 i n führt in seiner Dissertation 23 Fälle von Projektil¬ 
verschleppung auf. Hiezu kommen noch 3 Fälle von Dominicus 
und je 1 Fall von Specht und J affe; das sind insgesamt 28 Fälle. 
Bei 6 der angeführten Fälle handelt es sich um eine Embolie vom 
Herzen ins Oefässsystem, bei 10 um eine Verschleppung aus dem 
Gefässsystem ins Herz, bei weiteren 10 um eine Verschleppung bzw. 
Wanderung des Projektils in ein und demselben Gefäss bzw. seinen 
Aesten. 2 Fälle vereinigen eine Embolie aus dem Kreislauf ins Herz 
und umgekehrt in sich. Die Projektilverschleppung fand bei der Mehr¬ 
zahl intra vitam statt. 

Einen weiteren, besonders interessanten Fall intravitaler Geschoss¬ 
verschleppung, hatte ich Gelegenheit, vor einiger Zeit zu beobachten. 

Unteroff. K., 22 Jahre, wird 12 Stunden nach der Verletzung am 
19. X. bei uns eingeliefert; laut Wundtäfelchen Granatsplitter¬ 
verletzung Kopf, Hals und Bauch. Kopf- und Halsverletzungen nicht 
ernster Natur. Pat. ist vollkommen klar; etwas Brechreiz, hat jedoch 
nicht erbrochen; mässige Defense musculaire; Harnretention. Puls 
etwas beschleunigt, ziemlich kräftig, wenig über 90. Pat. fühlt sich 
sehr matt, Gesichtsfarbe äusserst blass. In der vorderen rechten 
Axillarlinie, einige Querfinger oberhalb Rippenbogen eine markstück¬ 
grosse Einschussöffnung, keine Ausschusswunde. Da eine innere Blu¬ 
tung anzunehmen ist, entschliesse ich mich zur sofortigen Operation. 
In Aethernarkosc Rippenbogenschnitt rechts, Eröffnung der Bauch¬ 
höhle; in derselben ziemliche Mengen venösen Blutes; beim Austupfen 
der Bauchhöhle zeigt sich an der Gaze auch etwas Galle; Colon trans- 
versum in geringer Ausdehnung gallig verfärbt. Die Inspektion der 
Leber ergibt auf ihrer Konvexität, eine der äusseren Einschussöffnung 
entsprechende, bereits verklebte Wunde; Gallenblase in ausgedehntem 
Masse mit dem Colon transversum und dem Pylorus verwachsen. 
Teilweise Lösung der Verwachsungen, genaue Inspektion der Gallen¬ 
blase; jedoch ist nirgends eine Perforation zu finden, nirgends sieht 
man Galle ausfliessen. Das Vorhandensein von Galle in der freien 
Bauchöhle ist wohl so zu erklären, dass ein grösserer Gallcngang ver¬ 
letzt war, aus dem etwas Galle ausgeflossen war. Da anzunehmen ist. 

4 

Original fro-m 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27. 


<Jass der Splitter tief in der Leber sitzt, wird nach genauer Inspektion 
der übrigen Bauchorgane und Spülung mit physiologischer Kochsalz¬ 
lösung die Bauchhöhle geschlossen. Kurz nach der Operation tritt 
eine starke venöse Blutung aus der Einschusswunde an der rechten 
Halsseite bzw. rechtem Unterkieferrand auf; die Blutung kommt, nach 
der Lage der Einschusswunde zu schliessen, aus der Vena jugularis 
interna und ist nur durch Umstechung zum Stillstand zu bringen. 
4 Stunden nach der Operation tritt ganz plötzlich — eine auffallende 
Pulsverschlechjerung war auch im Anschluss an die Operation nicht 
zu konstatieren — der Tod ein. Da ich mir die plötzliche Todes¬ 
ursache nicht recht erklären kann — die Untersuchung der Kopfver¬ 
letzung ergab nur eine leichte oberflächliche Kopfschwartenwunde —. 
wird die Leiche geöffnet. 

Die Sektion hatte folgendes Ergebnis: Es handelt sich um einen 
Durchschuss des rechten Leberlappens; die bei der Operation fest- 
gestellte. verklebte Wunde auf der Konvexität der Leber ist die Ein¬ 
schusswunde. Der Schusskanal verläuft von rechts oben nach links 
hinten unten; die Gallenblase ist an ihrer oberen, mit der Leber binde¬ 
gewebig verbundenen Fläche durchbohrt, ein etwa zwetschgenkern¬ 
grosser Splitter findet siclr im Qallenblasenhals, am Abgang des Duc¬ 
tus cysticus eingekeilt. Sonst nirgends in der Gallenblase eine mit 
der Bauchhöhle kommunizierende Oeffnung zu finden. Sektion der 
übrigen Bauchorgane ergibt nichts Besonderes. 

Der Vollständigkeit halber wird auch noch die Brusthöhle er¬ 
öffnet und hiebei zeigt sich folgender, höchst interessanter Befund: 

Bei der Inspektion des Herzbeutels fallen zahlreiche kleine 
Hämorrhagien auf; Eröffnung des Herzbeutels, in demselben 1—2 Ess¬ 
löffel blutig-seröse Flüssigkeit. Herz nicht grösser, wie die Faust 
des Mannes. Im Verlaufe der Vena magna cordis, unter dem Epikard, 

verschieden grosse Blutaus¬ 
tritte, besonders an der 
Rückwand des rechten Vor¬ 
hofs. Während die Sektion 
des linken Herzens keine Be¬ 
sonderheiten zeigt, findet sich 
bei der Eröffnung des rechten 
Vorhofs dicht an der Einmün¬ 
dung der Vena magna cordis 
eine etwa erbsengrosse Ein¬ 
schusswunde mit ausgefrans¬ 
ten Rändern. Dieselbe liegt 
der Einmündung der Vena 
cava superior gerade gegen¬ 
über. In ca. Vz cm Tiefe 
stösst die Sonde auf Metall; 
Freilegung eines 1 cm langen, 
Vs cm breiten, 3 mm dicken, 
1,1 g schweren Granatsplit¬ 
ters. Foramen ovale für eine 
ganz feine Sonde durchgän¬ 
gig.' Eingehende Unter¬ 
suchung ergibt weder am 
Herzbeutel, noch am Herzen 
selbst die geringste Ver¬ 
letzung. Inspektion der Hals¬ 
wunde ergibt, dass von der in der Nähe des rechten Kieferwinkels 
befindlichen Einschusswunde ein Schusskanal nach der Vena jugularis 
interna führt, in deren Wandung sich ein spaltförmiger Defekt zeigt; 
ein Splitter ist nicht zu finden. 

Es kann sich also in meinem Falle nur um eine embolischc Ver¬ 
schleppung des Splitters aus der Vena jugularis interna durch die 
Vena cava superior in den rechten Herzvorhof handeln, und zwar 
muss der Splitter mit ziemlicher Wucht dorthin getrieben bzw. gegen 
die Wand des rechten Herzvorhofs geschleudert worden sein, dass 
er sich sogar noch einbohrte. Der Zeitpunkt der Verschleppung lässt 
sich natürlich nicht mit absoluter Sicherheit bestimmen, doch nehme 
ich an, dass die Embolie kurz nach der Operation erfolgte. Zu diesem 
Zeitpunkt fing es ja aus der kleinen, kaum erbsengrossen Wunde an 
der rechten Halsseite plötzlich stark zu bluten an. Jedenfalls wurde 
durch die Bewegungen des Kopfes bzw. Unterkiefers bei der Narkose 
der Splitter, der gleichsam als Tamponade gewirkt hatte, verschoben 
und vom Blutstrome mit fortgerissen. Kurz nach 1 Uhr mittags war 
die Operation beendet; um 6 Uhr nachmittags Exitus; der Mann hat 
also noch, vorausgesetzt, dass meine Annahme stimmt, 5 Stunden 
nach der Embolie gelebt. 

Zusammenfassung. 

Es liegt hier eine intravitale, embolische Projcktilverschleppung 
aus der Vena jugularis interna durch die Vena cava superior in den 
rechten Herzvorhof vor. Hervorzuheben ist die beträchtliche Ver¬ 
letzung der Herzwand, die durch das embolisch verschleppte Projek¬ 
til hervorgerufen wurde, ferner die Lage des Splitters an der Mündung 
der Vena magna cordis, durch deren Kompression die Blutaustritte im 
Verlaufe dieses Gefässes bedingt sind; auch die Hämorrhagien im 
Herbeutel sind auf die Verlegung der V. m. c. zurückzuführen. Die 
stark blutig gefärbte Herzbeutelflüssigkeit dürfte durch eine auf der 
starken Stauung beruhende Diapedesis roter Blutkörperchen zu er¬ 
klären sein. Als Endfolge trat dann Herzstillstand ein, infolge man¬ 
gelnder Blutversorgung des Herzmuskels. 


Literatur. 

Dominicus: Ueber Herzschüsse mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Verschleppung der Geschosse. Inaug.^Diss., Münchei* 
1917. — Pielitz: M.m.W. 1915 S. 1691. — J a f f 6: Embolische Ver¬ 
schleppung eines Infanteriegeschosses in die rechte Herzkammer nach 
Beckensteckschuss. M.m.W. 1917 Nr. 27. — Kiderlin: Ueber 
embolische Projektilverschleppung. Inaug.-Diss., München 1916. — 
Ni das: M.m.W. 1915 S. 1691. — Müller und Neu mann: 
M.m.W. 1916 Feldärztl. Beil. S. 334. — Specht: Granatsplitter im 
linken Ventrikel nach Verletzung der Vena femoralis. M.m.W. 1917 
Nr. 27. 


lieber die Behandlung der Schulterverrenkungen ohne 
Verband und mit sofortigen aktiven Bewegungen. 

Von Dr. Lorenz Böhler, Regimentsarzt i. d. R., Bozen. 

Die meisten Lehrbücher schreiben, dass die Prognose der 
Schulterverrenkungen recht gut sei, wenn die Wiedereinrenkung bald 
erfolgt. Die Erfahrungen der Unfallstatistik zeigen uns aber ein ganz 
anderes Bild, auch die Zusammenstellung von Küttner, nach wel¬ 
cher nur 13 Proz. volle Gebrauchsfähigkeit erlangten, 26 Proz. trotz 
guter Beweglichkeit Herabsetzung der groben Kraft bis um die Hälfte 
hatten und die übrigen 61 Proz. schwere Bewegungsstörungen mit 
Erwerbsbeschränkung von 20—50 Proz. zeigten. Nach der Statistik 
von Lexer waren 37,5 Proz. völlig geheilt, 25 Proz. hatten mehr 
oder weniger starke Bewegungseinschränkungen, 37,5 Proz. zeigten 
ausserdem Herabsetzung der rohen Kraft und Schmerzen. G ö b e 1 
fand die Hälfte seiner Fälle mit frei beweglichem Arm. aber keinen 
frei von subjektiven Beschwerden. I m b e r t und Dugas fanden bei 
15 Fällen nur 4 mit voller Funktion. 

Einen breiten Raum nimmt in allen Lehrbüchern die Beschrei¬ 
bung der Einrichtungsmethoden ein. über die Nachbehandlung wird 
nur wenig erwähnt. Sie besteht gewöhnlich darin, dass für 1 bis 

3 Wochen das Schultergclenk in einem Desault oder Velpeau mit 
Blaubinden fixiert wird und dass man nach dieser Zeit vorsichtig mit 
passiven Bewegungen beginnt, die man dann bald mit Elektrizi¬ 
tät, Massage, Heissluft und Bädern unterstützt. Die Abduktion wird 
anfangs sorgfältig vermieden. 

H o f f a verlangt bei leichteren Fällen ohne Muskelzerreissung 
Ruhigstellung durch 8—10 Tage, bei schwereren hingegen mindestens 
3—4 Wochen, und zwar mit Binden, welche den Arm an den Brust¬ 
korb iest anschliessen. 

H e 1 f e r i c h stellt den Arm 8 Tage ruhig, und zwar so, dass 
die Hand der verletzten Seite aut die gesunde Schulter zu liegen 
kommt. Dann Beginn mit passiven, später auch mit aktiven Be¬ 
wegungen. 

Lossen lässt den Arm in der Mitella tragen oder gibt einen 
Velpeau. Nach 8—14 Tagen Beginn mit leichten passiven 
Bewegungen, gegen die 4. Woche hin sind Abduktion und Adduktioi 
zu üben. Bei Bruch des Tuberculum majus lässt er den Arm 

4 Wochen ruhig tragen. 

Hochenegg stellt das Gelenk 3 Wochen durch einen Desault 
ruhig, in der 4. Woche gibt er eine Schlinge. Wenn der normale 
Bewegungsumfang nach 6 Wochen nicht erreicht ist, so hilft er mit 
passiven Bewegungen nach. Die Prognose stellt er ungünstig. 

W i 1 m s erwähnt die Nachbehandlung überhaupt nicht. 

Lejars sagt, dass mit der Einrenkung die Behandlung noch 
nicht beendigt sei, man müsse dem Gliede womöglich wieder seine 
volle Funktion geben und dazu gehöre sofortige Nachbehandlung. 
Im allgemeinen werde das Gelenk zu lange festgestellt. Er lässt 
den Verband bei leichteren Fällen 3—4 Tage liegen und beginnt dann 
mit passiven Bewegungen, nach einer Woche bleibt der Verband 
ganz weg. Bei schwereren Fällen bleibt der Verband eine Woche. 
Er hebt aber hervor, dass gerade die schweren Fälle besonders zur 
Versteifung neigen, und dass daher bei diesen sehr früh mit Gym¬ 
nastik begonnen werden soll. 

Borchgre vink legt das Hauptgewicht auf den Streckver¬ 
band und hebt hervor, dass die Muskelkontraktur dasjenige sei, was 
man am meisten fürchten muss. Bei 30jährigen kann man nach ihm 
mit Bewegungen 14 Tage warten, bei 70jährigen nicht länger als 
2—4 Tage, bei 80 jährigen müssen die Bewegungen mit Energie schon 
vom ersten Tage an ins Werk gesetzt werden. 

Bardenheuer legt ebenfalls einen Streckverband an und 
nimmt vom ersten Tage an die Massage auf. Vom 4. Tage an wer¬ 
den leichte passive Anteversionsbewegungen und Rotationen ge¬ 
macht, vom 8. Tage ab leichte Abduktionsbewegungen von 20 Grad, 
allmählich steigend bis zu 45 Grad. Zu gleicher Zeit können auch 
leichte aktive Bewegungen ausgeführt werden. Vom 14. Tage ab 
soll der Kranke mit den aktiven Bewegungen bis zum rechten Winkel 
gehen, er darf schon für kurze Zeit den Arm frei bewegen und zu 
kleinen Handgriffen benutzen. 

T h i e m lässt gewöhnlich sofort nach der Einrenkung Be¬ 
wegungen machen, wenn kein grösserer Bluterguss vorhanden ist. 
In diesem Falle wartet er einige Tage. Nach seiner Ansicht muss 
der Arzt in den ersten 8—10 Tagen das Schultergelenk mit beiden 
Händen umfassen, damit es nicht zur Wiederausrenkung kommt, er 



a. Vena cava sup. b. Vena cava inf. 

In der Vena magna cordis bezw. deren Ein¬ 
mündung Hegt eine Sonde; in der Schuss¬ 
wunde dicht unterhalb steckt eine Nadel. 


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2. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


735 


lüiirf aber an. dass er dies noch nie gesehen hat. Iin Anschluss an die 
CpblDzen wird der Arm massiert. 

Hoimeis ter (Handbuch der praktischen Chirurgie) be¬ 
handelt bei einfachen Fällen nach den Grundsätzen T h i e m s und 
sagt, dass er bisher weder durch eine Reluxation noch durch eine 
habituelle Luxation dafür bestraft worden sei Er führt weiter an, 
dass die übliche 8 tägige Ruhigstellung gerade genügt, um den funk¬ 
tioneilen Erfolg in Frage zu stellen. 

Die anderen Lehrbücher stehen mir augenblicklich nicht zur 
Verfügung. 

Ich habe in meiner Spezialabteilung für Knochenbrüche 15 Fälle 
von Schulterverrenkungen in der Weise behandelt, dass ich den Ver¬ 
letzten sofort nach der Einrenkung einen Stock in die Hand gab und 
sie aufforderte, damit beide Arme zu heben. Dies gelang bei frischen 
Fällen am ersten Tage in vollem Umfange, bei jenen, die erst nach 
einigen Tagen eingerenkt worden waren, im Verlauf der ersten 
Woche. Dann brachten die Verletzten den Stock hinter den Kopf, 
führten also neben der grössten Abduktion und Elevation auch die 
maximale Aussenrotation aus. Nach 8 Tagen waren alle frischen 
Fälle so weit, dass sie aktiv den Arm in vollem Ausmasse be¬ 
wegen konnten. Am 4. bis 5. Tage wurde auch schon mit Gewichts¬ 
ubungen am Rollenzug begonnen. Nach 3—4 Wochen hatten alle fri¬ 
schen Fälle nicht nur volle Beweglichkeit, sondern auch volle Kraft, 
und dies ohne jede Mithilfe von Elektrizität, Massage, Heissluft oder 
Bädern. Von diesen am ersten Tage einsetzenden Bewegungen wur¬ 
den auch diejenigen nicht ausgenommen, welche starke Blutunter¬ 
laufungen zeigten, es wurde im Gegenteil gerade bei diesen besonders 
darauf gesehen, dass sie sofort energisch bewegten. Unter den 
15 Fällen befand sich auch ein Mann, bei welchem die Wieder- 
einrenkung erst am 7. Tage gelungen war, und bei dem bis dahin 
täglich 2 mal die Einrenkung versucht worden war. Er wurde nach 
der Einrenkung uns zugesandt und zeigte eine vollständige Lähmung 
des Radialnervs. Trotz der späten Einrichtung und trotz dieser Läh¬ 
mung war die Schulter nach 13 Tagen fast vollkommen frei, nach 
4 Wochen zog er am Rollenzug 15 kg, nach 6 Wochen hatte sich die 
Lähmung restlos zuriickgeblidet, die Finger konnten gut gestreckt 
und das Handgelenk dorsal flektiert werden. 

Die meisten Autoren führen als Hauptursache der Bewegungs¬ 
einschränkung im Schultergelenk die Atrophie des Deltoideus an. 
Wenn diese die alleinige Ursache wäre, so könnte der Arm zwar 

aktiv nicht gehoben werden, 
passiv müsste er aber frei 
sein. Dies ist jedoch nie der 
Fall, denn er kann auch pas¬ 
siv nicht gehoben werden. 

Ich habe Gelegenheit 
gehabt, einen frischen Fall 
von Schulterverrenkung 
2 Tage nach der Verletzung 
zu obduzieren. Der Mann 
war an vielfachen anderen 
Verletzungen zugrunde ge¬ 
gangen. Er hatte einen un¬ 
regelmässigen Kapselriss im 
vorderen unteren Anteil des 
Gelenkes zwischen dem Mus- 
culus subscapularis und der 
langen Trizepssehne. Die 
Sehne und die Muskelfasern 
des Subscapularis, welche mit 
der Kapsel eng verwachsen 
sind, waren teilweise ein¬ 
gerissen und der ganze Mus¬ 
kel war blutig durchtränkt. 
Die Aussendreher Supraspinatus, Infraspinatus und Teres minor zeigten 
ebenfalls Einrisse in der Nähe ihrer Sehnen und Blutunterlaufungen. 



Di* Bilder sind ans dem Atlas der topographischen Anatomie von Henke entnommen. 

Beim Ausfuhren von Bewegngen im normalen Umiange kam es an der 
Leiche trotz des Kapselrisses nicht zur Reluxation, auch nicht, nach- 

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dem ich den Oberarm immer wieder ausgerenkt hatte, um die ver¬ 
schiedenen Einrenkungsarten an diesem Präparate zu studieren. Be¬ 
sonderes Augenmerk richtete ich dabei auch auf das Verhalten der 
Kapsel. Bei adduziertem und innenrotiertem Arm legte sich der 
untere Tnteil der Kapsel in Falten (Abb. 1) und der Kapselriss war 
unregelmässig geschlossen, das heisst so, das sich die Synovialfläche 
zum Teil an die zerrissene Aussenfläche der Kapsel anlegte. Bei 
rechtwinklig abduziertem und aussenrotiertem Arm (Abb. 2) hin¬ 
gegen war die Kapsel gut entfaltet und der Kapselriss war in ge¬ 
rader Linie geschlossen. Wurde der Arm nach hinten aussen ab¬ 
gezogen, so zeigte sich ein Defekt in der Kapsel. 

Diese Autopsie, welche ich vor 4 Jahren ausführte, zeigte mir 
das Widersinnige des Velpeau und Desault bei Schulterver¬ 
renkungen. Der Subskapularis, der als kurzfaseriger, eingelenkiger 
Muskel bei Ruhigstellung in grösster Verkürzung sehr rasch binde¬ 
gewebig entartet, ist bei Schulterverrenkungen ausserdem noch zer¬ 
rissen und von einem Bluterguss durchsetzt und es bilden sich daher 
in kurzer Zeit narbig-schwielige Veränderungen. Die Aussendreher 
Supra- und Infraspinatus und Teres minor sind beim Fixieren des 
Armes an den Brustkorb maximal gedehnt und entarten daher auch 
rasch. Dazu kommt noch, dass sie häufig ganz abgerissen oder dass 
sie mit einer Knochcnlamelle oder dem ganzen Tuberculum majus 
vom Oberarm losgesprengt sind und sich dann weit zurückziehen. 
Es verhindert also der bindegewebig entartete Subskapularis auch 
die passive Abduktion und Aussenrotation und die Aussenrotatoren 
und Abduktoren können aktiv nicht mehr eintreten. Dazu kommt 
noch, dass die untere Kapseltasche unregelmässig schrumpft. Will 
man gewaltsam die Schulter wieder beweglich machen, so kommt es 
zu Einrissen in den Subskapularis. Dies konnte ich besonders schön 
zeigen, als ich mir für einen Vortrag ein in Formalin gehärtetes 
Präparat herrichtete. Es rissen beim Versuche der Abduktion und 
Aussenrotation alle Fasern des Subskapularis ein. 

Der Grundgedanke bei der Nachbehandlung ist bei den meisten 
Autoren der, dass die gerissene Kapsel durch Ruhigstellung heilen 
muss, und sie nehmen es ruhig hin, dass dabei der Schulterheber, der 
Deltoideus durch Nichtgebrauch entartet. Auf die übrigen Verände¬ 
rungen, Zerreissung und Durchblutung der dem Gelenke direkt an¬ 
liegenden Muskeln wird bei der Nachbehandlung meist keine Rück¬ 
sicht genommen und sie werden dabei gewöhnlich auch gar nicht er¬ 
wähnt. 

Seit Zuppinger uns seine neuen Gedanken gebracht hat, 
wird sehr viel über die Mittelstellung der Gelenke geschrieben. Das 
Knie soll in mittlerer Beugestellung gelagert werden, der Vorderarm 
in rechtwinkliger Beugung des Ellbogens bei Mittellage zwischen Pro- 
und Supination. Bei Verletzungen der Schulter aber verzichten die 
meisten auf diese Mittelstellung und doch hätte gerade dieses Ge¬ 
lenk am meisten darauf Anspruch, denn es hat im Frieden schon in 
der Unfallpraxis die Hauptrolle gespielt und heute hören wir das 
gleiche aus allen orthopädischen Anstalten. 

Nach R. Fick ist das Schultergclenk in Mittellage, wenn der 
Oberarm 45 Grad nach vorne und 45 Grad seitlich gehoben ist und 
dies bei solcher Drehung des Oberarmes, dass der innere Ellbogen¬ 
knorren des Oberarms schräg abwärts einwärts, der äussere schräg 
aufwärts auswärts sieht. In dieser Lage ist die Kapsel überall gleich- 
mässig angespannt und alle umgebenden Muskeln sind in einem mitt¬ 
leren Dehnungszustande, keiner ist besonders angespannt, keiner 
maximal gedehnt oder verkürzt, sie sind also am besten vor Ent¬ 
artung geschützt. Da es aber bei krankhaften Prozessen und bei 
Verletzungen im Schultergelenk immer zu Kontrakturen in Adduktion 
und Innenrotation kommt, so ist es besser, die Schulter nicht in 
Mittelstellung sondern in Ueberkorrektur zu lagern, und zwar in Ab¬ 
duktion von 90 Grad und so, dass die durch die Ellbogenknorren ge¬ 
zogene quere Oberarmachse senkrecht steht. Christen hat uns 
dafür eine Schiene angegeben, die im Kriege vielfach nachgebildet 
worden ist. Bei dieser Ueberkorrektur legt sich auch der Kapselriss 
schön. Die Subskapularis ist leicht gedehnt, Ursprung und Ansätze 
der Aussendreher sind einander genähert und beim Abriss des Tuber¬ 
culum majus legt sich dieses an seine richtige Stelle an, bei ange¬ 
zogenem und einwärts gedrehten Arm hingegen wird es weit von 
seiner Ansatzfläche, entfernt. Man kann dies an jeder Leiche schön 
zeigen, wenn man das Tuberculum majus abmeisselt. Legt man 
den Arm dem Rumpfe an, so zieht es sich weit zurück, abduziert man 
den Arm bei starker Einwärtsdrehung, so entfernt es sich noch mehr 
von der richtigen Stelle und es erreicht diese erst, wenn der Arm 
abduziert und nach aussen gedreht wird. Das Middeldorpf- 
sche Triangel fixiert also die Schulter in unphysiologischer Stellung, 
weil es wohl abduziert, aber nicht nach aussen rotiert. 

Dem Deltoideus wird deshalb eine so grosse Rolle zugeschrieben, 
weil er mit dem Auge gut sichtbar ist. Bei der Schulterversteifung 
spielen aber die dem Gelenke direkt anliegenden Muskeln der Sub¬ 
skapularis und die Aussendreher Supra- und Infraspinatus und Teres 
minor eine viel grössere Rolle, ausserdem sind sie in ihrer Gesamt¬ 
muskelmasse auch stärker als der Deltoideus. Dazu kommt noch, 
dass gerade bei der Schulterverrenkung der Deltoideus gewöhnlich 
am wenigsten durch das Trauma geschädigt ist. Das Schultergelenk 
hat eine verhältnismässig kleine Pfanne und der Halt des Oberarmes 
wäre gering, wenn die Muskeln, wie an anderen Gelenken nur über 
die Kapsel hinziehen würden. Es sind daher der Subskapularis, der 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27, 


Supra- und Infraspinatus und Teres irjinor direkt mit der Kapsel ver¬ 
wachsen oder besser gesagt, sie bilden den grössten Anteil der¬ 
selben und lassen sich anatomisch nur schwer von ihr trennen. Der 
Teres major spielt eine geringere Rolle, weil er keine direkten Be¬ 
ziehungen zur Kapsel hat und die grossen zwei Rumpfarmmuskeln 
Pectoralis major und Latissimus dorsi entarten nicht so rasch, weil 
sie durch die Atembewegungen und die Bewegungen des Schulter¬ 
gürtels nie vollkommen ruhig gestellt sind. Auch die langen Schulter¬ 
blattarmmuskeln sind wegen der Bewegungen im Ellbogcngelenk der 
Entartung nicht so ausgesetzt. Auf die Wichtigkeit der Subskapu- 
laris bei veralteten Luxationen hat besonders Dollinger hin¬ 
gewiesen. Er sagt, dass bei denselben die Einrenkung leicht ge¬ 
lingt, wenn dieser geschrumpfte und sklerosierte Muskel 'durch¬ 
trennt wird. 

Um mir über alle diese Verhältnisse Klarheit zu verschaffen, 
habe ich im Verlaufe des letzten Jahres 34 Schultergelenke nach 
alln Richtungen anatomisch präpariert und gefunden, dass neben den 
iriiher erwähnten Muskelverhältnissen auch der Sclilcimbeutel des 
Subskapularis eine wichtige Rolle spielt. Er ist mit dem Schulter¬ 
gelenk immer in breiter offener Verbindung und nur, wenn er frei 
entfaltet werden kann, ist das Abheben und Aussendrehen des Armes 
möglich. Bei der Schultervcrrenkung ist er ebenso wie das Gelenk 
mit Blut gefüllt und es kommt bei Ruhigstellung nicht nur zu Ver¬ 
wachsungen in der unteren Kapseltasche, sondern auch zur Verödung 
dieses Schleimbeutels, der eigentlich nur.eine Ausstülpung der Ge- 
lenkskapscl darstellt. Es entwickeln sich dann an der Schulter genau 
dieselben krankhaften Erscheinungen, wie sie Payr für die Streck¬ 
kontraktur des Kniegelenkes nach langer Ruhigstellung beschrieben 
hat. Dort degenerieren die Vasti und die Bursa suprapatellaris. die 
Ausstülpung der Kniegelenkskapsel nach oben verödet. Hier 
degeneriert der Subskapularis schwielig und zwar noch viel rascher 
als die Vasti, weil er zerrissen und von Blut durchsetzt ist und es 
kommt zur Verödung der Bursa subscapularis, der Ausstülpung des 
Schultcrgelenkes. So wie am Kniegelenk durch diese Veränderungen 
das Beugen unmöglich gemacht wird, so wird an der Schulter das 
Seitwärtsheben und Aussendrehen verhindert. 

Oft ist mir der Einwand gemacht worden, dass das frühzeitige 
Bewegen zur habituellen Luxation Veranlassung geben kann. 
Während v. Hofmeister sagt, dass er bei frühzeitigem Bewegen 
nie durch eine habituelle Luxation bestraft worden sei, möchte ich 
noch viel weiter gehen und behaupten, dass man durch frühzeitiges 
Bewegen und beim Abriss der Aussendreher durch gleichzeitiges 
Lagern des Armes in Abduktion und Aussenrotation die habituelle 
Luxation prophylaktisch vermeiden kann. Der Grund derselben liegt 
in einer abnorm weiten Kapsel, dann aber auch in Abrissen von 
Teilen der Gelenkspfanne und besonders des Tuberculum majus oder 
in Einrissen in den Aussenrotatoren. Die meisten Autoren schlagen 
nun bei diesen Verletzungen möglichst lange Fixation im Velpeau 
oder Desault vor. Dies ist aber gerade die ungünstigste Stellung, 
um diese Verletzungen heilen zu lassen, denn statt die Bruchstücke 
einander zu nähern, entfernt sie dieselben maximal und eine An¬ 
heilung ist ausgeschlossen. Wenn dann später bei der mediko- 
mechanischen Nachbehandlung rohe Versuche unternommen werden, 
das Gelenk wieder beweglich zu machen, so kommt es zu serösen 
und mitunter sogar zu blutigen Ergüssen in den Gelcnksraum und die 
Kapsel wird übermässig gedehnt. Es sind infolgedessen alle Be¬ 
dingungen zur habituellen Luxation gegeben. Wird aber frühzeitig 
bewegt, so saugt sich der Bluterguss im Gelenk und in den Muskeln 
rascli auf, die Gelenkflächen bleiben glatt, die Muskeln können nicht 
entarten und wenn sie von Blut durchtränkt und zerrissen sind, nicht 
narbig schrumpfen. Die Kapsel erhält nur durch ihre physiologische 
Funktion, nur durch das Gleiten der Gelenkkörper ihre normale glatte 
Oberfläche wieder und der Kapselriss überzieht sich schnell wieder 
mit frischer Synovialmembran, während er bei Ruhigstellung zu 
einer rauhen Narbe verwächst. 

Bezüglich der Lähmung des Nervus axillaris ist eine Revision 
wohl auch nötig. Nach seiner anatomischen Lage ist er bei der 
vorderen Luxation nicht besonders gefährdet. In den meisten Fällen 
dürfte es sich nicht um eine Lähmung des Nerven handeln, sondern 
nur um Inaktivitätsatrophic des Deltoideus. Dafür scheinen mir auch 
die Beobachtungen von T h i e m und von v. Hofmeister zu 
sprechen, welche bei frühzeitiger Bewegung immer gute Heilerfolge 
erzielten und welche bei diesen Fällen die Komplikation durch Läh¬ 
mung des Nervus axillaris nicht erwähnen. Oft mag es zu Dehnungen 
des Nervs kommen, bei frühzeitiger Bewegung stellt sich aber die 
Funktion rasch wieder ein. 

Die Befürchtung, dass bei frühzeitigem Bewegen abgesprengte 
Knochenstücke sich zu freien Gelcnkskörpern entwickeln können, 
mag richtig sein, durch langes Ruhigstellen dürfte dies aber auch 
nicht verhindert werden. Uebrigens hört man äusserst selten, dass 
solche freie Gelenkskörper nach Verrenkungen auftreten und dann 
Beschwerden machen. 

Viele befürchten, dass das frühzeitige Bewegen schmerzhaft 
sei. Dies ist aber nicht der Fall. Ich lasse die Verletzten die Be¬ 
wegungen selbst ausführen und zwar so weit als es ohne Schmerzen 
geht. Passive Bewegungen vermeide ich immer streng, ich halte 
sie für roh, weil man sie nicht dosieren kann. Bewegungen sind erst 
dann schmerzhaft, wxnn es zu entzündlicher Reaktion und zu 


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Schrumpfung gekommen ist. Ich habe häufig Gelegenheit, Verletzte 
zu sehen, welche „kunstgerecht“ behandelt wurden. Sie w-issen alle 
zu erzählen, dass die ersten Bew^egungsversuche nach mehrwöchiger 
Ruhigstellung sehr schmerzhaft waren und dass diese Schmerzen 
lange dauerten. Auch die Ruhelage in Velpeau oder Desault wird 
meist recht unangenehm empfunden. 

Die soiort entsetzenden Bewegungen haben also neben ihrer 
Einfachheit auch den Vorteil, dass sie keine Schmerzen verursachen. 
Man kann durch sie nicht nur rasche, sondern auch immer gute 
Erfolge erzielen und die Fälle von habitueller Luxation werden bei 
dieser Behandlung sicher viel seltener sein. 

Ich habe mit sofort einsetzenden Bewegungen nicht nur die 
Verrenkungen der Schulter, sondern auch jene aller übrigen Gelenke 
behandelt und dies mit bestem Erfolg. Ein Mann mit Verrenkung: 
der Hüfte nach vorne, welchen ich 36 Stunden nach der Verletzung 
einrenkte, machte nach 3 Tagen schon tiefe Kniebeuge und ging auf 
eigenes Verlangen nach 10 Tagen zu seinem Truppenkörper zurück. 
Besonders schön waren die Erfolge bei Luxationsfrakturen des 
Sprunggelenkes. Diese wurden mit der Klammer nach Sch m e r z 
gestreckt und gleichzeitig bewegt und heilten ohne Bewegungs¬ 
störung aus. Mehrere Fälle von Brüchen beider Knöchel waren 
sogar nach 6—8 Wochen frontdiensttauglich, 2 Verenkungen des 
Elibogengelenkes nach hinten hatten nach 4 Wochen vollen Be- 
wcgimgsumfang und nahezu normale Kraft. 

Durch Lagern der Schulter in Mittelstellung oder in recht¬ 
winkliger Abduktion und Aussenrotation kann man Schulterkontrak¬ 
turen immer vermeiden. Ich habe 120 Oberarmschussbrüche und 
39 einfache Oberarmbrüche behandelt und die geringste Abduktion 
in der Schulter betrug 90°, bei den meisten Fällen war sie normal. 
Dieselben Heilerfolge hatte ich aucli bei Verletzungen des Schlüssel¬ 
beins und des Schulterblattes und bei den Weichteilschüssen der 
Schultergegend. 

Zusammenfassung: Nach Verrenkungen der Schulter und 
aller übrigen Gelenke müssen sofort nach der Einrenkung aktive 
Bewegungen in möglichst grossem Umfange ausgeführt werden. Da¬ 
durch kann man Schulterversteifungen sicher und habituelle Luxationen 
mit grosser Wahrscheinlichkeit vermeiden. Sind die Aussendreher 
oder der grosse Oberarmhöcker abgerissen, so muss der Arm. auch 
wenn das Tuberculum majus genäht wurde, auf eine Doppelrecht- 
winkelschiene nach Christen gelagert werden. Von dieser 
Stellung aus werden dann mit Hilfe eines Stabes Bewegungen im 
Sinne der Seitwärtshebung und Aussendrehung ausgeführt. Das 
Festbinden des Armes an den Brustkorb ist mit Ausnahme des Trans¬ 
portes unphysiologisch und immer s c h ä d hi c h. 

Literatur. 

Bardenheuer: Frakturen und Luxationen. — B i e s a 1 s k i 
und M a y e r: Die physiologische Selmemransplantation. — Borch- 
grevink: Ambulatorische Extensionsbehandlung der oberen Ex¬ 
tremität. — v. Bruns. Garre, K ü 11 n e r: Handbuch der prak¬ 
tischen Chirurgie. — R. Eick: Die Anatomie der Gelenke. -— 
Hoc hen egg: Lehrbuch der speziellen Chirurgie. — Lejars: 
Dringliche Operationen. — Lossen: Grundriss der Frakturen und 
Luxationen. — H e 1 f e r i c li: Frakturen und Luxationen. — Payr: 
M.m.W. 1917 Nr. 21 und Zbl. f. Chir. 1917 Nr. 36. - - D e 0 u e r v a i n. 
Z u p p i n g e r und Christen: Kurzgefasstc Lehre von den Knochen- 
briiehen. — Thiem: Handbuch der Unfallerkrankungen. — \V u li¬ 
ste i n und W ilms: Lehrbuch der Chirurgie. - - Kaufmann: 
Handbuch der Unfallmedizin. 


Aus der Strahlenforschungsstelle der Reiniger, Gebbert & 
Schall A.-G. 

Zur praktischen Dosimetrie der Röntgenstrahlen. 

Von Dr. Th. Christen, München. 

Unter obiger Ueberschrift veröffentlichen Küpferle und 
Lilienfeld in Nr. 16 der M.m.W. auf S. 425 einen Aufsatz, dosen 
Ausführungen nicht unwidersprochen bleiben dürfen, da sie in hohem 
Masse geeignet sind, Unklarheit in die bisher leidlich geklärten Vor¬ 
stellungen zu bringen. 

An Stelle der von mir seit Jahren in die Dosimetrie eingeführten 
und bis heute allgemein anerkannten Definitionen des Begriffes Dosis 
setzen K. und L. eine neue (S. 425, 2. Spalte), die sie durch folgenden 
Bruch definieren: 

dem Erf ol gsorgan zugeiiihrte gesamte Röntgenstrahlencnergie _ 

Intensität der biologischen Wirkung der Energieeinheit 

Sie wollen sich damit „an den pharmakologischen Sprachgebrauch 
anlehnen“ und stellen sich zugestandenermassen. in „bewussten 
Widerspruch“ zu dem von Christen gebildeten Begriff einer physi¬ 
kalischen Dosis. 

Zunächst sei festgestellt, dass eine Anlehnung an den pharmako¬ 
logischen Sprachgebrauch gar nicht vorliegt. In der Pharmakologie 
dosiert man nach Volumen- oder Gewichtseinheiten. In der physi¬ 
kalischen Therapie dosiert man nach Energien. K. und L. scheinen 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



2. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


737 


somit vorauszusetzen, dass die pharmakologische Dosis definiert sei, 
als die dem Erfolgsorgan zugeführte Menge des Arzneimittels divi¬ 
diert durch die Intensität der biologischen Wirkung der Volumeinheit 
oder Gewichtseinheit. Ich suche in den Lehrbüchern der Pharmako¬ 
logie vergeblich nach einer solchen Definition. 1 ) 

Um nun der folgenden Erörterung einen klaren Sachverhalt zu¬ 
grunde zu legen, erinnere ich daran, dass ich die physikalische 
Dosis definiert hatte als die in der Volumeinheit ab¬ 
sorbierte Menge strahlender Energie. 

Sehen wir nun zu» worin jener „bewusste Widerspruch“ besteht. 
Zunächst könnte man im Zweifel darüber sein, ob die Verfasser 
unter dem Ausdruck „zugeführte Energie“ die auffallende oder die 
absorbierte Energie verstehen. Wir lesen aber in der gleichen 
Spalte, Abschnitt 4 von unten, „dass der Zähler des Bruches direkt 
mit dem Masse derjenigen Primärstrahlenenergie gemessen werden 
kann, welche in einer dünnen Schicht absorbiert wird“. 

Damit ist festgestellt, dass der Zähler des Bruches, der bei K. 
und L. die Dosis messen soll, der von mir definierten physikalischen 
Dosis entspricht. Wozu wird dann ein „bewusster Widerspruch“ fest¬ 
gestellt? 

Die Darstellung der Herren K. und L. ist zudem in hohem Grade 
verwirrend, weil sie zwei grundverschiedene Dinge durcheinander- 
v.erfen, nämlich: 

1. die Definition des Begriffes Dosis, d. h. eine Festsetzung über 
die Art der Einheit, in welcher gemessen werden soll. 

2. die Höhe des für eine bestimmte, gewollte, biologische Wir¬ 
kung notwendigen Betrages dieser Grösse, d. h. die Z a h 1 
der Einheiten, die für eine bestimmte Wirkung notwendig sind. 

Der Nenner des Bruches, den K. und L. aufstellen, hat aber nur 
für die zweite dieser Grössen einen Sinn, während der Leser von 
einer Definition des Begriffes Dosis doch sicherlich eine Bestimmung 
der ersten Grösse erwartet. Wer diese Dinge nicht streng aus¬ 
einanderzuhalten weiss, wird über die — gewiss nicht sehr ein¬ 
fachen — Fragen der Röntgendosierung nie ins Klare kommen! 

Es stehen aber noch üblere Dinge in dem Aufsatz der Herren 
K. und L. Es wird nämlich auf S. 425, 2. Spalte, 5. Abschnitt von 
unten, behauptet dass der Nenner jenes Bruches der Dosisdefinition 
Jn allen miteinander zu vergleichenden Fällen der nämliche wird 
(da sowohl das Zweckorgan, wie die Strahlenqualität die nämliche 
bleibt), wodurch seine Diskussion für die Praxis sich ein für allemal 
erübrigt“. Oben auf der folgenden Seite wird nochmals ausdrücklich 
erklärt, dass „der Nenner der Dosisformel selbst ausserhalb des Be¬ 
reiches eines jeden praktischen Anwendungsinteresses liegt“. 

Das kann logischerweise nichts anderes heissen als: Es ist 
ohne Belang, die biologische Wirkung in einem Gewebe mit der bio¬ 
logischen Wirkung in einem anderen Gewebe zu vergleichen. 

Den Verfassern scheint nun offenbar entgangen zu sein, mit 
welch erfreulichen Erfolgen durch die Arbeiten der Frauenkliniken 
in Freiburg und in Erlangen exakte Messungen über das Verhältnis 
der Sensibilitätskoeffizienten verschiedener Gewebe vor¬ 
genommen worden sind. Wenn sowohl K r ö n i g und Friedrich, 
als S e i t z und W i n t z mit einer für so schwierige biologische Fra¬ 
gen anerkennenswerten Uebereinstimmung die längst gesuchten Ver- 
hättniszahlen für die Karzinomdosis, die Ovarialdosis, die Darmdosis 
usw. festgestellt haben (und zwar, wohl verstanden, mit der von K. 
und L. ausdrücklich bekämpften Messung am Ort der Wirkung), so 
darf man doch wahrhaftig nicht mehr behaupten, der Vergleich der 
biologischen Wirkungen der Röntgenstrahlen auf verschiedene Ge¬ 
webe sei nicht erwünscht oder liege „ausserhalb eines jeden prak¬ 
tischen Anwendungsinteresses“! 

Unrichtig ist ferner die auf S. 425, 2. Spalte, mit dem Proportio- 
aalitätsfaktoren a, ai, as und as ausgeführte Rechnung. Unter einem 
Proportionalitätsfaktor versteht man eine von den Versuchsbedingungen 
unabhängige Konstante. Nun sind aber die vier genannten Faktoren 
beileibe nicht alle konstant. Es ist namentlich der auf die Streu¬ 
strahlung bezügliche in weiten Grenzen veränderlich. Er ist abhängig 
von der Dicke der Ueberschicht und von der Weite der Blende. 
Die Unterschiede können 100 Prozent und mehr betragen. 

Deshalb ist auch die auf S. 426 abgebildete Figur mit den daran 
anschliessenden Erörterungen höchst irreführend, indem nur die ge- 


*) Ein Vergleich mit dem pharmakologischen Begriff der Dosis 
ergibt vielmehr folgendes: Mit „Dosis“ bezeichnet der Pharmako¬ 
loge die dem Körper zugeführte Menge (in Gewichtseinheiten oder 
Vohimeinheiten) eines chemischen Körpers. Wüsste er in jedem Fall, 
welcher Bruchteil dieser Menge an das „Erfolgsorgan“ kommt, so 
würde er vermutlich diese Menge als „reine Dosis“ oder „wirksame 
Dosis“, die ganze verabreichte Menge dagegen als „rohe Dosis“ 
bezeichnen. 

Diese Unterscheidung, die den Pharmakologen wohl in den 
meisten Fällen versagt bleibt, gelingt aber dem Radiologen, weil er, 
zwar nicht mit höchster Genauigkeit, immerhin aber mit guter An¬ 
näherung, aus der rohen Dosis die reine Dosis ableiten kann. Für 
ihn ist die auf ein Raumelement auffallende Menge strahlender 
Energie die rohe Dosis und die in diesem Raumelement absor¬ 
bierte Menge strahlender Energie die reine Dosis. Wissen’muss 
er bloss, das der Quotient dieser beiden Grössen der Halbwertschicht 
der Strahlung proportional Ist. 

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ringe Menge von Sekundärstrahlen berücksichtigt wird, die aus den 
bei Dicken und Mageren verschiedenen Randgebieten stammen, wäh¬ 
rend die Bedeutung der in der näheren Umgebung des „Erfolgsorgans“ 
entstehenden Streustrahlung gar nicht in Rechnung gezogen wird. 
Ich gebe zu, dass man in einem kurzen Aufsatz nicht auf solche Ein¬ 
zelheiten eingehen kann, dann darf man aber auch nicht eine Figur 
einfügen, aus der nur der kleinere Teil der in Betracht kommenden 
Faktoren abgeleitet werden kann. Eine genaue Darlegung der für 
diese Frage in Betracht kommenden Verhältnisse findet sich in 
meinem Aufsatz „Sekundärstrahlen und Härtegrad“*). 

Höchst verwunderlich ist es, dass K. und L. in ihrem in Frei¬ 
burg gehaltenen Vor trage die Messung der Dosis in möglichster Nähe 
des Ortes der Wirkung ablehnen, obgleich sie auf S. 426, 1. Spalte, 
Zeile 14 von unten, ausdrücklich zugeben: „Je nachdem, ob die Strah¬ 
lung Knochen, Weichteile oder gar, wie es bei der Lunge der Fall 
ist, Lufträume zu durchstrahlen hat, wird bei der gleichen gemessenen 
Tiefe eine ganz verschiedene Strahlenintensität unter sonst gleichen 
Bedingungen in das zu bestrahlende Organ eindringen.“ Daraus 
kann doch nichts anderes folgen, als dass die Messung in der Tiefe 
der Messung auf der Haut vorzuziehen sei! Dass dies nicht überall 
im Körper möglich ist, ist gewiss zu bedauern, aber daraus folgt 
doch nicht, dass man auf den Vorteil, auch da wo man ihn haben 
kann, verzichten soll! 

Widersprechen muss ich endlich noch der in Abschnitt IV auf¬ 
gestellten Behauptung: „ln dem Buche Küpferle-Lilienfeld, 

Grundlagen therapeutischer Anwendung von Röntgenstrahlen . 

ist nachgewiesen worden, dass diese absolute Primärstrahlenenergie 
der Ionisation eines nicht selektiv absorbierenden Gases proportional 
ist.“ Dieser Nachweis ist in dem genannten Buche durchaus nicht 
geleistet. Dazu wäre notwendig, dass die Verfasser die Primär¬ 
strahlenenergie mit einer vom Härtegrad unabhängigen Methode 
gemessen hätten. Von einer solchen ist aber in dem ganzen Buch 
nicht die Rede. Die Behauptung der angeblich nachgewiesenen Pro¬ 
portionalität ist überdies falsch. Wie schon gesagt, versteht man 
unter Proportionalität ein konstantes Verhältnis. Der Zahlenwert 
dieses Verhältnisses, genannt Proportionalitätsfaktor, müsste von den 
vorkommenden Versuchsbedingungen unabhängig sein. Es ist dies 
aber in Wirklichkeit durchaus nicht der Fall, denn dieser Pro- 
portionalitätsfaktor ist eine Funktion des Härtegrades. Wollen aber 
die Verfasser Veränderungen des Härtegrades ausschliessen, dann ist 
die von ihnen „nachgewiesene“ Proportionalität nichts Neues, sondern 
eine längst bekannte und selbstverständliche Tatsache. 

Es liegt hier leider, wie so oft, ein bedauerlicher Missbrauch mit 
dem Wort „proportional“ vor, der naturgemäss nur Verwirrung 
schaffen kann. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Der Arzt in der Rechtsprechung. 

Von Geh. Regierungsrat PaulKaestner in Berlin- 
Neubabelsberg. 

XXI •). 

Di6 Häufung vertraglicher und ausservertrag- 
iicher Schadensersatzansprüche behandelt das Reichs¬ 
gericht in einem Urteil vom 13. Oktober 1916 (Deutsche Juristen- 
Ztg. 1917, 431). Gegen den Anspruch des auf der gemieteten Kegel¬ 
bahn zu Schaden gekommenen Klägers auf Schmerzensgeld war vom 
Beklagten der Einwand erhoben, es werde nicht ein Anspruch aus 
unerlaubter Handlung, sondern nur ein Anspruch aus dem Mietsver¬ 
trage geltend gemacht. Das Reichsgericht hat diesen Einwand zu¬ 
rückgewiesen, weil die allgemeine Rechtspflicht, nie¬ 
mand körperlich zu verletzen, immer und gegenüber Jeder 
Person bestehe, gleichgültig, ob sie mit -dem Schädiger vertraglich 
verbunden sei oder nicht. Auch der Vertragsgegner sei immer durch 
die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über unerlaubte Handlungen 
(§ 823) geschützt und werde nur in noch höherem Masse geschützt, 
wenn der Vertrag den Schädiger auch noch vertragsmässig zur Für¬ 
sorge verpflichte. Schon allein aus diesem Grunde hafte auch wegen 
unerlaubter Handlung der Arzt dem Kranken, den er unter Nichtbe¬ 
achtung medizinischer Regeln behandelte. Eine andere Frage liege 
dann vor. wenn die allgemeine Rechtspflicht, niemand körperlich zu 
verletzen, durch Vertrag geändert, insbesondere gemindert sei. Der 
operative Eingriff des Arztes werde kraft des ihm durch den Kranken 
eingeräumten Vertragsrechtes zu einem nicht rechtswidrigen, ohne 
solche Einwilligung aber sei die vom Arzte vorgenommene Ver¬ 
letzung des Körpers des Kranken eine rechtswidrige Körperver¬ 
letzung im Sinne des § 223 Str G.B. und dies umsomehr, wenn sie 
zugleich gegen die Vertragspflichten des Arztes verstosse. Ob der 
Vertrag die zwischen den Vertragsteilen nach den Vorschriften über 
unerlaubte Handlungen geregelten Rechtsbeziehungen ändere, könne 
nur nach dem Inhalt des einzelnen Vertrages ermessen werden. 

Die Frage, ob unter einem „neuen Heilverfahren“, das die Be¬ 
rufsgenossenschaft nach § 603 R.V.O. zur Entlastung der Kasse ein¬ 
leiten kann, wenn es vermutlich die Erwerbsfähigkeft des Verletzten 


*) Fortschritte 25. S. 56. 

*) Der in Nr. 19 veröffentlichte Artikel war Nr. XX (nicht XXI). 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




738 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27. 


erhöht, auch eine ärztliche Operation zu verstehen ist, ob sich also 
der Unfallverletzte einer Operation unterziehen 
muss, ist vom Reichsversicherungsamt durch Urteil vom 25. Ok¬ 
tober 1916 verneint worden (Aerztl. Sachverst.-Ztg. 1917. 223). Der 
bei der Beratung des Gesetzes in der Reichstagskommission gestellte 
Antrag, dem Unfallverletzten die Verpflichtung zur Duldung auch tief¬ 
greifender Eingriffe aufzuerlegen, falls sie nach allgemeiner ärzt¬ 
licher Erfahrung nicht mit Lebensgefahr verbunden sind, ist unter 
Billigung der Praxis des Reichsversicherungsamtes abgelehnt. Zwi¬ 
schen den Interessen der Berufsgenossenschaft und der Verletzten 
schaffe die Rechtsprechung einen billigen Ausgleich, da bei derartigen 
nachträglichen Eingriffen nach Abschluss des eigentlichen Heilver¬ 
fahrens die Weigerung des Verletzten als berechtigt anerkannt sei. 
Diese Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes steht mit den 
reichsgerichtlichen Entscheidungen über die Pflicht zur Duldung von 
Operationen nicht in Widerspruch; die Berechtigung zur Ablehnung 
eigentlicher Operationen, bei denen ein tödlicher Ausgang nicht 
von der Hand zu weisen ist, bildet ein unantastbares persönliches 
Recht, das dem Verletzten nicht durch richterliche Entscheidung ge¬ 
schmälert werden kann. Dieses persönliche Recht erlischt erst mit 
dem Augenblick der tatsächlichen Vornahme des operativen Eingriffes. 
Bis zu diesem Zeitpunkte bleibt es dem Verletzten unbenommen, seine 
Einwilligung zu versagen oder die erteilte Einwilligung zu wider¬ 
rufen, falls ihm noch Bedenken kommen, weil er erst jetzt die 
Einsicht in die Bedeutung der Operation gewinnt. Eine vertragliche 
Bindung zur Duldung der Operation ist unwirksam (Reichsvers.-Amt 
15. VI. 16, Aerztl. Sachverst.-Ztg. 1917, 248). 

Der Leiter einer Heilanstalt, Dr. A„ ist auf Schadensersatz in 
Anspruch genommen, weil W. in seiner Anstalt durch die wegen 
Geisteskrankheit entmündigte T. in einem Tobsuchtsanfall verletzt ist. 
Er hat zu seiner Entlastung angeführt, dass die von ihm angestellten 
drei ärztlichen Hilfskräfte anerkannte und bewährte Irrenärzte waren 
und dass auch die Wärterin W. zuverlässig und seit 8 Jahren als 
Pflegerin an der Anstalt tätig gewesen ist. Diese Umstände könnten 
genügen, die Leiter eines gewöhnlichen Krankenhauses zu entlasten. 
Die Leitung einer Irrenanstalt stellt aber höhere 
Ansprücheandiepersönliche Aufsichts- undSorge- 
pflicht der Anstaltsleiter. Die T. befand sich damals in 
der „mittleren“ Abteilung, in der die Kranken zwar ihr Zimmer, nicht 
aber den Gang ihrer Abteilung verlassen können. Schon daraus 
folgt, dass der Anstaltsleiter selbst für nötig erachtete, die T. einer 
gewissen Aufsicht zu unterstellen, ihre freie Bewegung zu hindern und 
den Zutritt von Besuchern zu überwachen. Nach der weiteren Be¬ 
kundung der W. ist die T. in der Zeit, während welcher die Zeugin 
in der Anstalt war, häufig in die geschlossene Abteilung gebracht und 
auch nach dein hier fraglichen Vorfall ist dies geschehen. Es war 
Dr. A. auch bekannt, dass die T. den kurz zuvor erfolgten Tod ihrer 
Mutter erfahren hatte und darüber erregt war. Es lagen also genügend 
Umstände vor, die besondere Vorsichtsmassregeln erheischten. Auch 
wenn der Angriff auf die W. am Vorabend der erste tätliche Angriff auf 
Menschen war, musste doch der Umstand, dass die T. so ganz unver¬ 
mittelt und plötzlich die W. angegriffen hatte, zur Vorsicht mahnen und 
veranlassen, die T. in die geschlossene Abteilung zu bringen, min¬ 
destens aber Besuche Fremder von ihr fernzuhalten. Es lag immerhin 
die Möglichkeit vor, dass sich solcher Angriff wiederholte. Auch der 
Umstand, dass dem Dr. A. der Vorfall des Vorabends nicht bekannt 
wurde, kann ihn nicht entlasten. Er hätte entweder ganz allgemein 
strengste Anweisung erteilen müssen, ihm derartige Vorfälle stets so¬ 
fort zu melden, damit er die notwendigen Massnahmen treffen konnte, 
oder er hätte für Aerzte und Wächter genaue Anweisungen erlassen 
müssen, die bei derartigen Vorfällen die sofortige Ausführung aller 
erforderlichen Sicherheitsmassregeln gewährleisteten. Er durfte die 
Verantwortung für die nötigen Schritte und die gesamte Behandlung 
solcher, immerhin möglicherweise gefährlichen Kranken nicht ohne 
weiteres einer Wärterin oder einem, wenn auch an sich tüchtigen 
Unterarzt überlassen. Hätte er aber solche gerade von ihm als Leiter 
einer Irrenanstalt im Interesse der Sicherheit der übrigen Kranken und 
etwaiger Besucher unbedingt zu erfordernde Sicherungsmassregeln ge¬ 
troffen und sich von ihrer strengen Durchführung auch öfter über¬ 
zeugt, so wäre der hier fragliche Vorfall aller Voraussicht nach ver¬ 
hütet worden. Und noch in -einem anderen Punkte hat der Anstalts¬ 
leiter feiner Aufsichtspflicht nicht genügt. Eine allgemeine Anweisung 
darüber, unter welchen Umständen Besuche zu den Kranken zuge- 
lassen werden dürften, hat in der Anstalt nicht bestanden, dies ist 
vielmehr von Fall zu Fall durch die Aerzte bestimmt. Es kann fraglich 
bleiben, ob eine derartige Besuchsregelung unter ganz einfachen und 
gewöhnlichen Verhältnissen angebracht ist. Hier hätte Dr. A. bei An¬ 
wendung der im Verkehr gerade von dem Leiter einer Irrenanstalt zu 
fordernden besonderen Sorgfalt und Voraussicht auch allgemeine An¬ 
weisungen über die Regelung der Besuche bei derart gefährlichen 
Kranken geben und sich von ihrer sorgfältigen Durchführung häufig 
überzeugen müssen. Daraus, dass der Kläger am fraglichen Morgen, 
wie behauptet ist, verschiedentlich von den Anstaltsärzten gewarnt 
und gebeten ist, sich zu entfernen, folgt nicht, dass er nun wissen 
musste, ein längeres Verweilen könne für ihn selbst mit Gefahr ver¬ 
bunden sein. Er als Laie konnte und musste sich darauf verlassen, 
dass die Aerzte ihn, wenn es für ihn selbst gefährlich war, entweder 
gar nicht zur Kranken gelassen oder ihn ausdrücklich auf die Gefahr 
aufmerksam gemacht und sogar für seine Entfernung gesorgt hätten 
(Oberl.-Ger. Köln. Rechtssprechg. d. Oberlandesger. 1917, 120). 

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Dr. B. behandelte die Friseurin F., die sich durch einen Sturz 
das rechte Handgelenk verletzt hatte. F. behauptete in einer Scha¬ 
densersatzklage gegen Dr. B., er habe sie unter Ausseracht- 
lassung der Berufspflichten falsch behandelt, denn bei sachge- 
mässer Behandlung würde die Heilung des verletzten- Handgelenkes 
zu erzielen gewesen sein. Dr. B. habe fahrlässigerweise nicht er¬ 
kannt, dass ein Bruch und nicht eine Verstauchung des Handgelenkes 
Vorgelegen habe. Jetzt sei ihr Handgelenk durch den Bruch stark 
verdickt und im wesentlichen steif, sie könne ihrem Erwerb nicht mehr 
nachgehen und verlange eine Jahresrente. Dr. B. wandte ein, er 
habe der F. keinen festen Verband angelegt, sondern sie den Arm 
in einer Schlinge tragen lassen und ihn mit Massage und Bewegungs¬ 
übungen behandelt. Der Bruch sei in dieser dem Stande der Wissen¬ 
schaft entsprechenden Behandlung gut verheilt. Die Verdickung des 
Handgelenkes sei die Folge des Bruches, nicht unsachgemässe Be¬ 
handlung. Während das Landgericht der Klage entsprach, wies das 
Oberlandesgericht Hamburg (31. III. 17: Aerztl. Sachverst.-Ztg. 228) 
sie ab. Bei der Behandlung von Brüchen sei früher die 
fixierende Methode die allgemein übliche gewesen, während jetzt die 
funktionelle Methode vorwiege Die fixierende Methode bezwecke in 
erster Linie die Richtigstellung und Anheilung der durch den Bruch 
getrennten Knochenenden, während die funktionelle Methode mehr Ge¬ 
wicht auf die Beibehaltung der Gelenkfunktionen lege und besonders 
bei Brüchen im Gelenk vorteilhaft sei. Bei diesen, besonders bei 
Brüchen im Handgelenk, erschiene es bei dem Zusammentreffen 
mehrerer Knochen an der Gelenkstelle von vornherein ungewiss, ob 
eine annähernd vollkommene Reponierung gelingen werde. Bei der 
funktionellen Methode werde in solchen Fällen die Gefahr, dass die 
Gelenkfunktionen durch die bei der fixierenden Methode eintretende 
Beschäftigungslosigkeit der Gelenke leiden und steif werden, wirksam 
vermieden. Wenn Dr. B. diese von namhaften Universitätslehrern 
nachdrücklich gelehrte, empfohlene und zur Anwendung gebrachte 
Methode angewendet habe, könne ihm ganz unmöglich der Vorwurf 
des Kunstfehlers und einer Ausscrachtlassung seiner Berufspflichten 
gemacht werden. 

Die mediko-mechanische Behandlung wurde unter 
der Herrschaft des Krankenversicherungsgesetzes von Rechtsprechung 
und Literatur überwiegend den „Heilmitteln“ zugerechnet, weil die 
persönliche Tätigkeit des Arztes dabei fast ganz in den Hintergrund 
trete. Nach der Reichsversicherungsordnung kann diese Auffassung 
nicht mehr aufrechterhalten werden (Reger: Rechtspr. d. Reichs¬ 
versicherungsamts 1916, 63). Denn nach § 122 R.V.O. umfasst die 
ärztliche Behandlung auch die Hilfeleistungen anderer Personen, wie 
Heilgehilfen, Masseure u. dgl., wenn der Arzt sie anordnet. Im vor¬ 
liegenden Falle hatte der Arzt die mediko-mechanische Behandlung 
angeordnet, ihren Erfolg auch fortlaufend überwacht und sogar bei 
der Einlegung des verletzten Gliedes in den Apparat persönlich mit¬ 
gewirkt. Hier lag also jedenfalls eine auf Grund ärztlicher Anord¬ 
nung erfolgte und auch vom Arzt dauernd überwachte Hilfeleistung 
vor, die nach § 122 R.V.O. als ärztliche Behandlung anzu¬ 
sehen ist und zu deren Gewährung auf die Dauer von 26 Wochen die 
Kasse nach § 182 Nr. 1 verpflichtet ist. 

Die ärztliche Behandlung wird nach § 122 R.V.O. durch appro¬ 
bierte Aerzte, bei Zahnkrankheiten auch durch approbierte Zahnärzte 
(§ 29 Gew.O.) gewährleistet. Zahnkrankheiten dürfen also sowohl 
durch approbierte Aerzte wie durch approbierte Zahnärzte behandelt 
werden. Die Kasse hat die Wahl, ob sie bei Zahnkrankheiten die 
ärztliche Behandlung durch die einen oder durch die anderen ge¬ 
währen will. Sie braucht mithin bei Zahnkrankheiten einerseits eine 
Behandlung durch approbierte Aerzte nicht eintreten zu lassen, ge¬ 
nügt vielmehr ihrer gesetzlichen Verpflichtung auch durch Ueber- 
weisung der Mitglieder an approbierte Zahnärzte. Andererseits kann 
sie die ärztliche Versorgung auch lediglich durch approbierte 
Aerzte bewirken lassen. Dann haben die Zahnärzte lediglich die Bedeu¬ 
tung von Fachärzten. Hieraus folgt, dass, wenn die Kasse die 
Behandlung durch approbierte Aerzte wählt, die 
Kassenmitglicder bei Zahnkrankheiten, von dringen¬ 
den Fällen abgesehen, zunächst den Kassenarzt auf¬ 
suchen müssen. Auch für das Recht der R.V.O. muss, insbesondere 
auch für Zahnkrankheiten, an dem Grundsatz festgehalten werden, 
dass, abgesehen von dringenden Fällen, die Zuziehung eines anderen 
Arztes als des Kassenarztes für Rechnung der Krankenkasse nur 
dann gerechtfertigt erscheint, wenn der zunächst in Anspruch ge¬ 
nommene Kassenarzt es für notwendig erachtet, oder wenn er die Be¬ 
handlung nicht übernehmen oder fortsetzen will, oder wenn seine 
Befähigung für die erforderliche ärztliche Behandlung mit Recht ange- 
zweifelt wird. Der Kassenarzt ist grundsätzlich befugt, das Zahn- 
leiden selbst zu behandeln. Kann sich aber der Kassenarzt mit der 
Behandlung des in Betracht kommenden Leidens nicht befassen, so 
hat die Käse dafür zu sorgen, dass für solche Fälle ein Zahnarzt zur 
Verfügung steht, an den das Mitglied dann zu verweisen ist (Reger: 
Rechtspr. d. Reichsvers.-Amtes 1916, 195). 

Kläger hatte Nichtigkeitserklärung seiner Ehe be¬ 
antragt, weil die beklagte Ehefrau schon zur Zelt der Eheschliessung 
an unheilbarerTuberkulose, insbesondere an Knochentuber¬ 
kulose, gelitten habe Die Revision gegen das der Klage stattgebende 
UrteiJ des Oberlandesgerichts rügte Verletzung des § 1333 B.Q.B. 
Sie gab zwar zu, dass eine unheilbare Krankheit als eine persönliche 
Eigenschaft angesehen werden kann, die im Sinne dieser Gesetzes¬ 
bestimmung die Anfechtung der Ehe zu begründen vermag, behauptete 

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I Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


739 


aber, dass es an einer ausreichenden Feststellung der 
L'nheilbarkeit fehle. Die Revision ist durch Urteil des Reichs- 
Berichts vom 3. Mai 1917 (Warneyers Arch. S. 328) zurückgewiesen. 
Der Vorderrichter hatte festgestellt, dass die Beklagte schon vor der 
Ebeschliessung (1910) an einer Tuberkulose der Sehnenscheiden oder 
Handwurzelknochen litt und dass sich diese Erkrankung wahrschein¬ 
lich als Folge einer gleichzeitig bestehenden Lungentuberkulose ent¬ 
wickelt habe. Von 1906 ab bis zum Jahre 1913 hätten sich bei der 
Beklagten so viele charakteristische Erscheinungen eingestellt, dass 
keine Heilung mehr zu erwarten sei. Letzteres steht zwar nicht 
mit unbedingter Gewissheit fest, nach allen ärztlichen Erfahrungen 
müsse aber angenommen werden, dass die Beklagte unheilbar tuber¬ 
kulös erkrankt und dass sich die Krankheit schon vor. der Ehe¬ 
schliessung bis zu einem die Heilung ausschliessenden Grade ent¬ 
wickelt habe. Das sachverständige Gutachten hebt zwar hervor, es lasse 
sich niemals mit unbedingter Gewissheit sagen, ob eine Erkrankung 
an Tuberkulose heilbar oder unheilbar sei, gelanct aber zu dem Er¬ 
gebnis, dass es sich bei der Beklagten um unheilbare Tuberkulose 
bandelt und dass diese Unheilbarkeit schon vor 1910 vorhanden war. 
Wenn sich der Vorderrichter diesen Folgerungen anschloss, lag eine 
Verkennung der Grundsätze über den Kausalzusammenhang nicht vor. 
Eine völlige Sicherheit über den künftigen Verlauf einer Krankheit 
iässt sich schon wegen der notwendigen Unzulänglichkeit mensch¬ 
lichen Wissens nicht immer gewinnen und es muss daher der Ver¬ 
lauf. den die Krankheit aller ärztlichen Erfahrung nach nehmen wird, 
im Rechtssinne als hinreichend sicher angesehen werden. Dass ein 
derart unheilbares Leiden als persönliche Eigenschaft im Sinne der 
Bestimmungen über die Anfechtung der Ehe anzusehen ist, wird von 
der Rechtsprechung anerkannt. 

Nicht nur grobe Verstösse gegen die Berufspflichten rechtfertigen 
die Zurücknahme des Prüfungszeugnisses der Heb¬ 
amme und auch darauf kommt es nicht entscheidend an, ob die 
Gesundheit der Wöchnerin durch solche Verstösse gelitten hat. Viel¬ 
mehr ist, wie das Okerverwaltungsgericht wiederholt ausgesprochen 
hat (Gewerbe-Arch. 1916, 503) eine grosse Anzahl auch der anschei¬ 
nend nur formellen Vorschriften der Dienstanweisung und des Heb¬ 
ammenlehrbuchs von grösster Wichtigkeit für die Erhaltung von 
Wöchnerin und Kind, so besonders die Vorschriften, die auf die pein¬ 
lichste Sauberkeit der Hebamme, ihrer Instrumente und ihres Ver¬ 
fahrens hinwirken sollen, weil jede Verunreinigung die Gefahr des 
Kiodbettfiebers und andere Erkrankungen nahebringt. Den gleichen 
Zweck verfolgt die Vorschrift, dass die Hebamme ihre Instrumente 
stets beisammen haben muss. Ferner ist das Tagebuch für die Kon¬ 
trolle des Kreisarztes, ob die Hebamme ihren Pflichten nachkommt, 
ein unentbehrliches Hilfsmittel. Durch nachlässige Führung dieses 
Buches wird die im öffentlichen Interesse der Gesundheitspflege unbe¬ 
dingt nötige Aufsicht der Behörden über das Hebammenwesen beein¬ 
trächtigt. Derartige Verstösse können nicht leicht genommen werden. 
Besonders schwer wiegt daneben die Unterlassung des Herbeirufens 
eines Arztes bei einer mit starker Blutung verlaufenden Fehlgeburt; 
solche Verstösse sind schlechterdings nicht entschuldbar. 


Bocheranzeigen und Referate. 

Physiologisches Praktikum für Mediziner von Max Verworn, 
Proiessor der Physiologie an der Universität Bonn. 3. Auflage. Mit 
141 Abbildungen im Text. Erschienen in Jena, Verlag von Gustav 
Fischer, 1916. Preis M. 6.80, gebunden M. 8.—. 

Der reiche und sehr übersichtlich gegliederte Inhalt des vor¬ 
liegenden Buches bietet den Unterrichtsstoff für ein halbjähriges, in 
2 X 2—2 X 3 stündigen Kursen- abzuhaltendes physiologisches Prak¬ 
tikum, wie es nach den Bestimmungen vom 28. Mai 1901 für alle 
regelrecht Medizinstudierenden obligatorisch geworden ist. Der Ver¬ 
fasser hat sein Bemühen, kein Gebiet der Physiologie auf Kosten des 
andern zu bevorzugen, in vorbildlicher Weise durchgeführt, so dass 
die chemische, physikalische und operative Seite gleichmässig be¬ 
handelt sind. Besonderer Wert ist bei der Auswahl der Experimente 
darauf gelegt, den angehenden Arzt physiologisch denken zu lernen. 
Die Beschreibung der einzelnen Experimente ist so klar, dass sie 
von den Studierenden nach kurzer Anweisung völlig selbständig 
durchgeführt werden können. Allgemeine Physiologie, Ernährung, 
Atmung, Blut, Harn, Wärme, Bewegung, Elektrizitätsproduktion, 
Nervensystem und Sinnesorgane sind in besonderen Kapiteln ab¬ 
gehandelt. Im letzten Abschnitt werden eine Reihe von öfter ge¬ 
brauchten wichtigen physiologischen Apparaten eingehend erklärt. 
Das Verständnis wird in hohem Masse durch ad hoc angefertigte, 
sehr übersichtliche Abbildungen gefördert. Das Buch wird nicht nur 
dem Studierenden, sondern auch dem fertigen Arzte, der seine physio¬ 
logischen Universitätsstudien auffrischen will, von hohem Nutzen 
sein, wenn er sich an der Hand der einzelnen Uebungen in die dazu 
gehörigen theoretischen Grundlagen vertieft. H e i 1 n e r - München. 

C. Bachem: Arzneitherapie des praktischen Arztes. Urban 
iSchwar zenberg, Berlin-Wien 1918. 234 Seiten Oktav. Preis 
xeb. M. 7.50. 

Das Buch bringt eine Zusammenstellung deT Arzneimittel, ge- 
r >rdnet nach klinischen Gesichtspunkten (Exzitantia, Diuretika, 
Stomachika usw.), mit kurzer chemischer, pharmakologischer und 
klinischer Charakterisierung der einzelnen Mittel, praktischen Rat¬ 
schlägen und gegen 300 Rezeptbeispielen. Die neueren Medikamente, 

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deretwegen man ja nicht zum wenigsten solche Bücher braucht, sind 
ausreichend berücksichtigt. Die Bearbeitung des Stoffes ist gründ¬ 
lich, die Mittelindikationen sind scharf und vernünftig. Das Buch 
wird gute Dienste tun und kann als Ratgeber empfohlen werden. An 
Einzelheiten möchte nur beanstandet werden: die Unterschätzung der 
Scilla, die Bevorzugung der Sagrada gegenüber der Frangula, die 
wohl nicht mehr am Platze ist. Beim Nitroglyzerin ist vergessen, 
den Prozentgehalt der anzuwendenden Lösung anzugeben. 

Kerschensteiner. 

Neueste Journalliteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medizin. 126 . Band, i. und 
2. Heft. 

S. G r ä f f: Pathologisch-anatomische Beiträge zur Pathogenese 
des Typhus abdominalis (E b e r t h). Ein Beitrag zur Lehre von den 
defensiven Reaktionen. Fortsetzung und Schluss. (Aus dem patho¬ 
logisch-anatomischen Institut der Universität Freiburg i. Br.) 

Nach dem Vorgänge von A s c h o f f werden die biologisch- 
morphologischen Vorgänge durch die Begriffe der Affectio, Defensio 
und Restitutio charakterisiert, welche die Vorgänge der Schädigung, 
der Abwehr und Heilung darstellen, in diesem Sinne werden die 
Ürganveränderungen beim Typhus geschildert. Der Begriff der 
Entzündung, der rein klinisch aufgeiasst wird, ist damit ausgeschaltet. 
Die Einwirkung des Typhusbazillus veranlasst eine auf die ver¬ 
schiedensten Organe lokalisierte Proliferation von morphologisch- 
histogenetisch und funktionell stark übereinstimmenden Zellen, der 
sog. üewebshistiozyten. Als solche kommen beim Typhus die Reti- 
kuloendothelien der Lymphfollikel und der Milz, die Pulpazellen der 
Milz, die Endothelien der Markräume des Knochens, die K u p f f e r - 
sehen Sternzellen und die Bindegewebswanderzellen in Betracht. 
Diesen Gewebshistiozyten kommt als Orts- und Wanderhistiozyten 
beim Typhus für die allgemeinen Abwehrmassnahmen eine grosse 
Bedeutung zu; sie treten besonders als Makrophagen hervor. Der 
Ablauf der formalen Reaktionen unter dem Einfluss des Typhus¬ 
bazillus und seiner Gifte am Darm, den mesenterialen Lymphknoten, 
Leber, Milz, Knochenmark, unter Umständen auch an anderen 
Organen und Geweben ist grundsätzlich ein herdförmiger und findet 
in einer spezifischen Weise statt, die Einwanderung der Leukozyten 
ist sekundär und nicht ausgesprochen spezifisch. In jedem Stadium 
der Entwicklung des typhösen Knötchens kann der affektive 
Einfluss der schädigenden Noxe durch defensive Vorgänge ausge¬ 
schaltet werden, wodurch der Prozess zum Stillstand kommt, Re¬ 
stitution schliesst sich an. Der Typhusbazillus und seine Toxine wir¬ 
ken affektiv schädigend vor allem auf die Lymphozyten, abstossend 
auf die polymorphkernigen Leukozyten und defensiv anlockend auf 
die Histiozyten ein. Der nur bedingt spezifische, typhös imbibierte 
Fremdkörper wirkt, wie jeder septische Fremdkörper, anlockend auf 
die polymorphkernigen Leukozyten. Der eindringende Typhus¬ 
bazillus verursacht eine histiozytäne Reaktion. Die zerfallenden 
Bazillen machen Endotoxine frei, die zur Alteration, Degeneration und 
örtlichem Tod des Gewebes führen, in jedem Stadium ist jedoch eine 
Reparation möglich. Die typhös-toxisch imbibierte Nekrose kann ab- 
gestossen oder eitrig verflüssigt werden, auch zur Mischrniektion 
führen. Die leukozytäre Reaktion, die durch die Nekrose ausgelöst 
wird, führt zur Kolliquation des toten Materials. Der Ausgang in 
Geschwürsbildung am Darm ist eine Komplikation, die eintreten kann, 
aber nicht als regelmässig oder häufig anzusehen ist. Es gibt also 

I. eine typhöse Darmerkrankung mit Schwellung und Rückbildung 
ohne Geschwürsbildung, 2. Darmerkrankung mit Schwellung und Ge¬ 
schwürsbildung mit nachfolgender Organisation a) exsudative-ulze- 
rierende, b) sequestrierende Form. Eine primäre typhöse Erkran¬ 
kung, ausgehend von einem anderen Organ ohne vorherige Beteili¬ 
gung des Dünndarms ist nicht bewiesen, die Schwellung der Milz 
und des lymphatischen Apparates ausserhalb der Darmwand, sowie 
Reaktionen der Leber und des Knochenmarks sind die Folge der toxi¬ 
schen Allgemeinreaktion auf den- histiozytären Apparat. Die Typhus¬ 
sepsis ist eine zweite Art der typhösen Erkrankung, vielleicht eine 
Erkrankung des Blutes und der blutbereitenden Organe. Der Eintritt 
des Typhusbazillus kann an jeder Stelle des menschlichen Körpers er¬ 
folgen, in der Regel wohl per os. Es ist unbekannt, wo der Typhus¬ 
bazillus nach der Aufnahme per os in das Gewebe eindringt, und wo 
er ins Blut Übertritt, jedenfalls ist der Primärinfekt des Typhus 
abdominalis in einer Peyersehen Platte im unteren Ileum zu suchen, 
die Infektion der Peyer sehen Platten aufwärts erfolgt wahrschein¬ 
lich dauernd durch Reinfektion von oben her, diejenige der anderen 
Organe lymphogen bzw. hämatogen; der Typhus abdominalis ist so¬ 
wohl hinsichtlich des Sitzes der ersten Veränderungen wie der Art 
der Ausbreitung als enterogene Krankheit anzusehen, eine Typhus¬ 
sepsis in dem Sinne, dass eine Bluterkrankung den formalen Darm¬ 
wandveränderungen vorausgeht, ist nicht anzunehmen. Typhus und 
Phthise zeigen bezüglich der Bildung des Primärinfektes, der kausal¬ 
formalen, Iymphogenen und hämatogenen Ausbreitung, sowie der Blut¬ 
infektion (Sepsis) weitgehende Uebereinstimmung. 

E. Spiegel: Beiträge zur klinischen Konstitutionspathologie. 

II. Organdisposition bei Ulcus pepticum. (Aus der mediz. Abteilung 
der Allgemeinen Poliklinik in Wien.) 

Auf Grund von 121 Beobachtungen kommt Verf. zu dem Schluss, 
dass das häufige Vorkommen von Magendarmerkrankungen in den 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




740 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Ut 27. 


Familien der Ulcuskranken, insbesondere von Carcinoma veirtriculi 
in der Aszendenz auf die bedeutende Rolle hinweist, welche der kon¬ 
stitutionellen Organminderwertigkeit für die Entstehung des runden 
Magengeschwürs zugesprochen werden muss. 

A. A 1 d e r: Die physiologischen Schwankungen des Mischungs¬ 
verhältnisses von Albumin und Globulin Im menschlichen Blutserum. 
(Aus der mediz. Poliklinik Tübingen.) (Mit 3 Kurven.) 

Das Mischungsverhältnis ist eine Konstante, die individuell etwas 
verschieden ist Normalerweise schwanken die Albuminwerte zwi¬ 
schen 55—80 Proz., die Globulinwerte zwischen 20—45 Proz. des 
Serumeiweisses. Beim gleichen Individuum lassen sich im Verlaufe 
des Tages nur unbedeutende Veränderungen feststellen, die 5 Proz. 
nicht überschreiten. 

P. Schrumpf (nach gemeinsamen Untersuchungen mit Ing. 
M y 1 o und Ing. Garz (Wernerwerk): Die Spaltung resp. Verdoppe¬ 
lung der Herztöne. (Aus dem mediz.-poliklin. Institute der Universi¬ 
tät Berlin und dem elcktro-mediz. Laboratorium Siemens & Halske, 
A.-G. Werner werk, Siemensstadt.) (Mit 15 Kurven.) 

Verdoppelung resp. Spaltung der Herztöne infolge Verlangsamung 
der Reizleitung kommt relativ häufig vor, sowohl dauernd wie vor¬ 
übergehend, bei anatomisch gesunden und bei vorübergehend oder 
dauernd erkrankten Herzen. Bei mässiger Leitungshemmung und bei 
langsamem Puls klingt der 1. Herzton gespalten oder verdoppelt, da 
man vor dem Ventrikelton den leisen Vorhofston hört (präsystolischer 
Typus). Bei stärkerer Leitungshemmung oder schnellem Puls hört 
man den 2. Ton verdoppelt infolge Nachklingens des in die Protodia¬ 
stole fallenden Vorhofstones (protodiastolischer Typus). Die Spal¬ 
tung resp. Verdoppelung des 2. Tones bei Mitralstenose wird her¬ 
vorgerufen durch den ungleichzeitigen Schluss der Semilunarklappen. 
Aehnlich ist der Vorgang bei der anscheinend meist bei jüngeren In¬ 
dividuen oder Frauen „physiologisch“ vorkommenden Verdoppelung 
des 2. Pulmonaltons. Die übrigen Fälle von Verdoppelung oder Spal¬ 
tung der Herztöne beruhen auf einer ungleichmässigen und verschie¬ 
den lange dauernden Arbeit der kongruenten Herzabschnitte, einer 
relativen Hemisystolie. Dazu gehört der Galopprhythmus bei 
Schrumpfniere und Arteriosklerose, sowie die Spaltungen und Ver¬ 
doppelungen von Herztönen bei Ventrikeldilatation und chronischer 
Myokarditis mit stärkerer Hypertrophie. 

R. S ey der heim: Zur Pathogenese der perniziösen Anämien. 
(Aus der mediz. Klinik und dem physiologisch-chemischen Institut in 
Strassburg.) 

Aus Magendarmparasiten von Mensch und Pferd, die unter Um¬ 
ständen zu schwerer hämolytischer Anämie führen (und zwar aus 
Gastrophilus equi, Botriocephalus latus, Taenia saginata, Anocephala 
perfoliata, Askaris), Hessen sich toxische Substanzen gewinnen, die 
in vitro keine Hämolyse bewirken, bei Kaninchen sich aber als Blut¬ 
gifte (schwere hämolytische Anämie) erwiesen. Analoge toxische 
Stoffe Hessen sich aus den menschlichen Fäzes und zwar aus Darm¬ 
bakterien gewinnen. Diese Blutgifte wurden getrennt von den in 
vitro hämolytisch wirksamen, im wesentlichen aus Seifen bestehen¬ 
den „Lipoiden“ dargestellt. Mit letzteren wurden beim Tiere nur 
geringgradige „sekundäre Anämien erzielt. Ebenso wie ein quanti¬ 
tativer Unterschied in der Wirksamkeit derjenigen Parasitenexem¬ 
plare, die vom Gesunden stammen, gegenüber denen von perniziös¬ 
anämischen Patienten nicht besteht, erweist sich der „Blutgift“gehalt 
der Fäzes vom gesunden Menschen und dem an Biermerscher 
Anämie Erkrankten im wesentlichen gleich. Warum nur ein kleiner 
Teil der diese Blutgiüe im Darm beherbergenden Menschen und 
Pferde an Anämie erkrankt, ist unbekannt. Jedenfalls wirken im 
Tierexperiment diese „Blutgifte“ nicht peroral, sondern nur bei par¬ 
enteraler Verabreichung toxisch. 

A. Lorant: Ueber das Hämolysin der paroxysmalen Hämo¬ 
globinurie. (Mitteilung aus der inneren Abteilung des Kgl. Ungar. 
Staatskrankenhauses in Pressburg.) 

Im Serum des an paroxysmaler Hämoglobinurie leidenden Kran¬ 
ken wird die Hämolyse der Blutkörperchen des Kranken und der Blut¬ 
körperchen von Gesunden durch denselben bei 0° C sich bindenden, 
für keine der beiden Zcllarten spezifischen, hämolytischen Ambozep¬ 
tor verursacht; daraus folgt, dass das Rezeptorensystem der Blut¬ 
körperchen beim Gesunden und beim Hämoglobinuriker dasselbe ist, 
dass diese Blutkörperchen immunologisch gleich sind. 

Besprechungen. Bamberger-Kronach. 

Bruns’ Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von Qarrö, 
Küttner, v. Brunn. 109. Band. 3. Heft. (52. kriegschir. 
Heft.) Tübingen, Lau pp, 1918. 

Karl Schlüpfer berichtet aus der Leipziger Klinik: Zum 
Verschlüsse grosser traumatischer Gaumendefekte (mit Beschreibung 
einer Lappenplastik aus der seitlichen Halshaut nach Payr). Unter 
Eingehen auf die bisherigen Methoden der betr. Gesichtsplastiken 
nach Schussverletzungen schildert Schl. 4 Fälle mit entsprechenden 
Abbildungen vor und nach der Plastik; die von Payr dabei ange¬ 
wandte Methode, die ähnüch wie die Israel sehe Benutzung ge¬ 
stielter Halshautlappen für grössere Wangendefekte solche auch für 
grössere Gaumendefekte verwendet resp. durch eine Zahnlücke durch¬ 
führt und (wo solche nicht vorhanden) durch Korkeinlage auf der 
anderen Seite zwischen die Zähne vor Durchbeissen schützt, wird 


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warm zur Nachprüfung empfohlen. Für kleinere und mittlere trau¬ 
matische Defekte des Gaumens ohne narbige Veränderungen behält 
die Langenbecksehe Operation ihre Bedeutung, event. wirksam 
unterstützt durch vorausgeschickte Thier sch sehe Transplantation 
auf der wunden Lappenseite. Bei mittelgrossen quer verlaufenden 
Defekten ist die Methode aus der ganzen Dicke der Wange (Rosen¬ 
thal) die gegebene, für grosse Defekte die Oberarmlappenmethode 
Rosenthals. 

E. v. Köhler schildert aus der Grazer Klinik Gesichtsplastiken 
nach Schussverletzung und zeigt unter Beigabe von entsprechender 
Kasuistik und zahlreichen Abbildungen u. a. ein von v. H a c k e r ange¬ 
wendetes Verfahren zum Ersatz der äusseren und kavitären Weich¬ 
teilmassen des Kinns und als neu eine Verwendung eines am Halse 
gestielten Hautlappens zur Bildung des in den bez. Fällen fehlenden 
Zungenuntergrundes und zum gleichzeitigen Ersatz der fehlenden 
Unterlippenschleimhaut, die unter' einem prothetischen Ersatz ge¬ 
bildet wurden. 

E. Roedelius gibt aus dem Res.-Laz. 3 Abt B Eppendorfer 
Krankenhaus einen Beitrag zur Bakteriologie des Steckschusses, zu¬ 
gleich ein Beitrag zur Lehre von der latenten Infektion. Er trennt 
Früh- und Spätfälle, er untersuchte das Geschoss selbst und nicht 
das Gewebe des Geschosslagers und gibt kurz die Resultate der 
von Plaut bakteriologisch untersuchten 47 eigenen Fälle. Er unter¬ 
scheidet 3 Typen: 1. solche, bei denen die Schusswunde überhaupt 
noch nicht geschlossen gewesen, 2. die, wo bereits geheilte Wunden 
unter erneuter Entzündung wieder aufbrechen und 3. die das meiste 
Interesse beanspruchenden Fälle der reaktionslos eingeheilten Pro¬ 
jektile (24 Fälle, darunter 14 Granatsplitter). R. verlangt eine strenge 
Indikationsstellung bei den schwer erreichbaren Projektilen (zumal 
bei Späteingriffen enger als bisher). 

Alex Baron referiert aus der II. chir. Klinik in Pest über 
Verkürzung der mehrgelenkigen Muskeln und kommt nach ein¬ 
gehender Darlegung der physikalischen und mechanischen Verhält¬ 
nisse, die es verständlich machen, dass eine verhältnismässig geringe 
Muskelverkürzung eine scheinbar unverhältnismässig grosse Ein¬ 
schränkung der Beweglichkeit bedingen kann, zu dem Schluss, dass 
man nicht selten die primäre mechanische Ursache einer Kontraktur 
bestimmen oder gewisse Ursachen ausschliessen kann. Die Ver¬ 
kürzung der mehrgelenkigen Muskeln ist oft mit anderen die Be¬ 
weglichkeit der Gelenke einschränkenden Veränderungen kombiniert 
B. schildert die betreffenden Untersuchungsmethoden, rät auch das 
Ergebnis der Röntgenuntersuchung in Betracht zu ziehen. 

Emil Haim gibt aus dem Kai ser-Franz-Josef-Tub.-Krankenhaus 
und dem k. k. Landwehrspital Budweis eine Arbeit „zur Frage der 
Spätfolgen der Schädelverletzungen, im Hinblick auf eine grössere 
Kasuistik, 54 Fälle, in denen 29 mal grösste chirurgische Eingriffe, 
10 mal Trepanation ausgeführt wurde. U. a. beschreibt H. den 
seltenen Fall eines posttraumatisch entstandenen, aufs Gehirn über¬ 
gegangenen Endothelioms H. hält die Prognose der Schädelver¬ 
letzungen, was vollkommene Heilung und Berufsfähigkeit anlangt, für 
traurig, nur 4 von den sämtlichen Fällen konnten der Rekonvales¬ 
zentenabteilung als vollkommen felddiensttauglich übergeben werden, 
bei allen anderen wurden andauernde Beschwerden (Kopfschmerz, 
Schwindel, erhöhte Reizbarkeit etc.) konstatiert. Unter den Fällen 
waren 11 Spätabszesse, 3 Zysten, 3 traumatische Epilepsien. 

Herrn. Moses bespricht den primären Wundverschluss der 
Kopfschüsse nach Bäräny und zeigt an 11 kurz mitgeteilten 
Krankengeschichten deren Bedeutung, wenn auch 2 davon wieder 
Militärdienst leisten, sind doch alle als verantwortungsfähige Fa¬ 
milienglieder dem Staat erhalten, nie hat M. bei seinen Fällen sekun¬ 
däre Epilepsie gesehen. 

K. E. V e i t gibt einen Beitrag zur Behandlung von Gehirnver- 
letzungen und kommt nach Mitteilung eines Falles, der vor voll¬ 
ständigem Verschluss warnt, zu der Ansicht, dass zwar die primäre 
Naht durch Herstellung der normalen Druckverhältnisse vorteilhaft 
sein kann, dass aber der Hirnbrei günstigen Nährboden für pathogene 
Keime bietet, so dass, wie in dem mitgeteilten Fall, akutes Hirnödem 
auftreten kann. Schreiber. 

Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 24, 1918. 

H. W i n tz-Erlangen: Ureternaht mit Hilfe von Tubnllsatlon. 

Bei der Ausschälung eines grossen Ovarialtumors wurde der 
Ureter in 3% cm langer Ausdehnung reseziert. Diesen Defekt deckte 
W*. durch eine 8 cm lange Kalbsarterie, wie sie steril nach E d i n g e r 
zur Nervennaht im Handel ist. Der Erfolg war tadellos. Mehrere 
Monate später wurde die Funktionsfähigkeit der betreffenden Niere 
durch Ureterenkatheterismus, bei dem der Katheter leicht bis ins 
Nierenbecken hinaufgeführt werden konnte» festgestellt. 

Werner- Hamburg. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1918 
86. Band, 1. Heft. 

Waltier L e v i n it h a 1, - im Felde: Bakteriologische und sero¬ 
logische Inffuenzastudien. 

Das Resultat der Studien, die gelegentlich von Influenzafällen ge¬ 
macht wurden, ist zunächst die Herstellung eines geeigneten Nähr¬ 
bodens. 100 g 3 proz. Agar wird geschmolzen, auf 70° abgekühlt und 
mit Kaninchen- oder Menschenbild (etwa 5 Proz.) versetzt, dann ge- 

Qriginal fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


2. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


741 


kocht. Die ausgeschiedercen Serum- und Hämoglobingerinnsel werden 
mittels Watte abfiltriert und der Agar in Schalen oder Röhrchen aus- 
pegossen. Darauf wachsen die Influenzastäbchen üppig. Trauben¬ 
zucker „scheinen“ sie leicht anzugreifen. Weiterhin wurde fest- 
gestellt, dass eine Agglutination 1—80 bis 1:100 für das Vorhanden¬ 
sein von Infiuenza beweisend ist. Verf. wünscht den Namen 
..Pseudoinfluenzabazillen“ als unberechtigt zu streichen, 
da die vielfach gefundenen längeren und plumperen Stäbchen nur 
veränderte Formen sind, die sich doch endgültig als kleinste typische 
Infhienzabazillen erweisen. 

Z e 11 n o w - Berlin: Ueber Schlelmgelsseln. 

An der Hand von 2 scheinen Tafeln mit Photograrmnen werden 
..Schleimgeisseln“ bei Typhus beschrieben und ebenso die (ieissel- 
frage der Kokken besprochen. 

Ernst T e i c h m an n - Frankfurt a. M.: Bekämpfung der Stech¬ 
mücken durch Blausäure. II. Die Anwendung des Verfahrens auf die 
Brut der Stechmücken. 

Larven lind Puppen von Culex werden abgetötet, wenn 
die Luftschicht, die über dem Wasser lagert, während 24 Stunden 
0,25 Volumprozente Blausäure beträgt. Im Wasser sterben diese Ent¬ 
wicklungsstadien innerhalb 24 Stunden, wenn das Wasser 0,001 Pro/.. 
Zyannatrium enthält. Leider sterben aber auch Fische, die sich in 
derartigem Wasser aufhalten, weshalb die Abtötungsmassnahmc nur 
sehr beschränkt wird Anwendung finden können. Auch die Vergasung 
der Oberfläche von Wasserstellen ist praktisch schwierig und auch 
gefährlich und dürfte nur dort gerechtfertigt sein, wo die bekannten 
Verfahren (Petroleum, Saprol) nicht anwendbar sind. Die Versuche | 
wurden im Kleinen im Laboratorium ausgeführt. 

Johannes Ze is s 1 e r - Altona: Ueber die Reinzüchtung patho¬ 
gener Anaerobier (F r a e nk el scher Gasbazillus, Bazillen des 
malignen Oedems). 

Verf. gibt an, dass Kulturen des Fraenkelschen Oas- 
bazillus auf Menschenblut-Traubenzucker-Agar so charakteristisch 
wachsen, dass sie mit den Kulturen irgendeines andern auf diesem 
Nährboden gezüchteten nicht verwechselt werden können. Auch j 
durch spezifische Agglutination lässt er sich zuverlässig diagnosti- • 
zieren. Die Bazillen des malignen Oedems wachsen weniger leicht 
und weniger üppig auf dem Blutzuckeragar. 

Fr. Croner -Charlottenburg: Laboratoriumsergebnisse von 
Seruinreaktionen bei Fleckfiebererkrankungen unter der polnischen 
Zivilbevölkerung. 

Die Untersuchungen stützen sich auf 729 männliche und 777 
weibliche Fälle von Fleckfieber oder Fleckfieberverdacht aus Lodz 
und aus der Umgebung der Stadt. Zwischen dem 9. und 20. Tage 
bietet die Reaktion am meisten Wahrscheinlichkeit, das Fleckficber 
zu erkennen. Positiver Ausfall spricht fast sicher für Fleckfieber, 
negativer Ausfall schliesst aber Fleckfieber keineswegs aus. Bazillen 
konnten sowohl aus Blut, wie aus Stuhl und Urin gezüchtet werden. 
Bei Scharlachkranken und mit Blut von nicht Fleckfieberkranken 
war die Reaktion stets negativ. Positiver Typhus-Widal scheint nur 
dann mit positivem Weil-Felix aufzutreten, wenn der Patient früher 
Typhus überstanden hat oder wenn eine Mischinfektion vorlag. 

P a p a m a r k u - Berlin: Wutschutzimpfung und Paraplegien. 

Nach Wutschutzimpfungen treten zuweilen Lähmungen auf. Sie 
sind nach Papamarku wohl in der Mahrzahl der Fälle auf das 
Virus der Kaninchenlyssa zurückzuführen. Je intensiver die Behand¬ 
lung ist, desto häufiger kommen die Lähmungen vor. Besonders sind 
gefährdet Personen, die geistig arbeiten. Nervöse und auch Soldaten, 
da bei ihnen etwa 7 mal soviel Lähmungen auftraten, wie unter der 
bürgerlichen Bevölkerung. Obwohl für eine intensivere Behandlung 
ein besserer Schutz zu sprechen scheint, konnte sich aus dem Ber¬ 
liner Material eine Ueber legen heit der Behandlung mit 3-1 tägigem 
Mark mit 11 maliger Einspritzung des 1 tägigen Markes über die mil¬ 
dere Behandlung nicht nachweisen lassen. 

W. K o 11 e. H. Sachs und W. Ci e o r g i - Frankfurt a. M.: Ex¬ 
perimentelle Untersuchungen über die Wirkung des Gasödemserums. 

Das Resultat der Untersuchungen ist dahin zusammenzufassen, 
dass das Gasödemserum nicht nur prophylaktisch, sondern auch thera¬ 
peutisch im Tierversuch wirksam ist. Es soll so früh als möglich 
and in grossen Dosen verabreicht werden 

Kr'euer und Von d!e r rei d t - Saarbrücken: Erfolgreiche 
Bekämpfung einer grossen Diphtherieepidemie. 

Durch systematische 3 malige Untersuchung eines ganzen Trup¬ 
penteiles wurden die positiven Diphtheriefälle soweit vermindert, 
dass schliesslich die ganze Epidemie als erloschen angesehen werden 
konnte. Die ermittelten Diphtheriebazillcnträger wurden sämtlich 
prophylaktisch geimpft. Zwischen Diphtherie- und Pseudodiphtl-eric- 
bazillen wurden keine Unterschiede gemacht. Nicht selten war Diph¬ 
therieschnupfen im Spiel. R. O. N cu m a n n -Bonn. 

Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 24, 1918. 

Ad. Czerny: Inwieweit lässt sich die Prognose zerebraler 
Anomalien bei Kindern beurteilen? 

Verf. äussert sich zunächst über die Zulässigkeit und Art der 
Ausführung von Erziehungsmassnahmen bei zerebralabnormen 
Kindern. Er empfiehlt mit Rücksicht auf die besonders beim infantilen 
Myxödem erhöhte Ermüdbarkeit des Gehirnes dosierte Unterrichts- 
therapic. Im allgemeinen ist die Prognose bei Imbezillität und 

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Idiotie um so ungünstiger, je später die Sprachentwicklung erfolgt, 
doch gibt es bekanntlich Fälle, wo trotz später Sprachentwicklung 
eine normale geistige Entwicklung später einsetzt. Die Prognose 
über die Schulbegabung wird oft besser vom Lehrer als vom Arzt 
gestellt. Die Prognose epileptischer Kinder ist in jedem Falle 
zweifelhaft. 

R e h f i s c h - Berlin-Charlottenburg: Zur Aetlologie der Ver- 
grösserung der rechten Herzkammer im besondem bei gestörter 
Nasenatmung. Vergl. S. 278 der M.m.W. 1918. 

Kalle: Beitrag zur Ruhrschutzimpfung. 

Ruhrerkrankungen können auch nach durchgeführter Ruhrschutz¬ 
impfung Vorkommen, doch werden sie hiedurch in ihrer Häufigkeit 
unzweifelhaft herabgedrückt. Verf. bespricht ferner die Impftechnik, 
die Art der Reaktionen bei den Geimpften. Die rein hygienische 
Prophylaxe versagt nach den Erfahrungen des Verf. bei einer Epi¬ 
demie von toxischer Ruhr wegen der Eigenart der Verbreitung des 
Ruhrerregers. Die Impfung mit Dysbacta ist bei richtiger Methode 
ungefährlich, der Impfschutz dauert mindestens 2Vz Monate. 

A. Blumenthal -Berlin: Kasuistische Beiträge zu den ner¬ 
vösen Störungen bei Pappatacifieber und Malaria. 

Mitteilung von 8 kurzen Krankengeschichten. 

M. K r ü 11 - Düsseldorf: Die strafrechtliche Begutachtung der 
Soldaten im Felde. 

Vortrag. Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 24, 1918. 

F. N e u fe I d - Berlin: Ueber Händereinigung und Händedes¬ 
infektion. 

Die Keime sitzen nicht nur in den Drüsenausgängen, sondern 
auch in den Spalten der Haut. Da Alkohol hierher am besten dringt, 
so wirkt er am besten, und zwar durch Keimtötung. Es wird sodann 
über hygienische und chirurgische Desinfektion, gesprochen. Für 
letztere ist der Alkohol am empfehlenswertesten, für die erstgenannte 
Sublimat. Für die einfache Händewaschung ist feines Gipspulver 
am besten. 

K i r sc h n e r - Königsberg: Die Behandlung der Gallenstein¬ 
krankheiten. (Schluss folgt.) 

Zieler-Würzburg: Wie wird die Heilung des Trippers beim 
Manne festgestellt? 

Auch nach Reizung der erkrankten Partien darf es nicht in den 
Absonderungen zum Nachweis von Gonokokken/ kommen (mikro¬ 
skopische Untersuchung!). Die Provokation wird am besten mit den 
Kol Im an n sehen Dehnern vor genommen. 

A. T h i e s-Giessen: Die Geiahr der Allgemeinnarkose bei der 
Behandlung des Gasödems* 

Die Allgemeinnarkose, Aether oder Chloroform, ist bei der Gas¬ 
phlegmone zu vermeiden. Bei operativen Eingriffen soll man sich 
mit im Rausch vorgenommenen Einschnitten begnügen. 

Paul Kirchberg -Frankfurt a. M.: Eine neue Untersuchungs- 
methode zur qualitativen und annähernd quantitativen Bestimmung 
des Eiwelsses im Liquor cerebrospinalis. 

2 ccm Liquor werden mit 1 ccm 1 proz. Sulfosalizylsäure durch¬ 
mischt. Die Mischung bleibt etwa 15 Minuten stehen und wird 
dann zentrifugiert, bis sich die Höhe des Bodensatzes nicht mehr 
verändert. Aus der Höhe des Niederschlages schätzt man die Ei¬ 
weissmenge. 

P a y s e n und F. Walter- Schleswig: Praktische Winke zur 
Ausführung einer genauen röntgenographischen Fremdkörperlokalisation. 

Eine bekannte Methode wird für die Praxis leicht anwendbar ge¬ 
macht. 

Hans Schaefer-Berlin: Ein Fall von habitueller Patellarluxation. 

Mitteilung eines Falles, in dem bei angeborenem Genu valgum 
die Patella nach Trauma austrat. 

E. Gräfenberg -Berlin: Ein Fünftagefieber unter dem Bilde 
der akuten Appendizitis. 

Beginn der Erkrankung im mitgeteilten Falle mit den Erschei¬ 
nungen der akuten Appendizitis, so dass eine Operation vorgenommen 
wurde. Bei jedem neuen Fieberstadium waren die Bauchdecken 
rechts gespannt und schmerzempfindlich, während sie im fieber¬ 
freien Intervall weich und gut eindrückbar waren. 

Zwirn: Eine neue Aderpresse. 

Beschreibung, Indikation und Art der Anlegung einer neuen 
Aderpresse. 

E. Gerdeck -Hamburg: Jodbehandlung der Fussschwcte- 
erkrankung. 

Anfangs zweimal täglich Pinselung mit offizieller Jodtinktur, 
dann langsam Seltenerw r erden der Pinselung wurde im Felde mit 
sehr gutem Erfolge bei Fussschweisserkrankung ausgeübt. Vor der 
Pinselung ist eine gründliche Reinigung mit Wasser und Seife vor¬ 
zunehmen. Boenheim - Rostock. 

Oesterreichlsche Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift 

Nr. 24. Bernhard Vas und Bela J oh an -Pest: Beiträge zur 
histologischen Diagnose der Pocken beim Kornealversuch nach Pani. 

Durch die histologische Untersuchung der Kornea verliert die 
Paul sehe Variolareaktion zwar an Einfachheit, weil hierzu ent- 

Original from 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27. 


sprechende Laboratoriumseinrichtungen und spezielle histologische 
Fachkenntnisse erforderlich sind, doch gewinnt sie hierdurch viel an 
Zuverlässigkeit und sollte deshalb in allen zweifelhaften Fällen zur 
sicheren Beurteilung des Kornealbefundes ausgeführt werden. 

Alfons K o f 1 e r - Innsbruck: Beiträge zur Behandlung der 
Conjunctivitis gonorrhoica der Erwachsenen. (Demonstrations¬ 
vortrag in der Sitzung der wissenschaftlichen Aerztegesellschaft in 
Innsbruck am 8. II. 18.) 

Verfasser trägt in Lokalanästhesie die ganze infiltrierte Binde¬ 
haut mit dem scharfen Löffel ab, die Wundflächen werden mit Jod¬ 
tinktur bepinselt, der Ueberschuss von Jod abgespült und hernach 
ein Bleiwasserumschlag mit Binde fixiert. Die Nachbehandlung be¬ 
steht im täglichen Ausspülen des Bindehautsackes mit physiologischer 
Kochsalzlösung, Abziehen des Unterlides um ein Verkleben zu ver¬ 
hüten, Atropin, Airol. Bleiwasserumschlag. Die mit diesem Eingriff 
erzielten Erfolge waren sehr befriedigend. 

Josef H olzin ge r- Innsbruck: Milzruptur, kompliziert durch 
Gasbrand einer Extremität. Kasuistischer Beitrag. 

. F. Stanianiöek, J. Rotfeld und S. Sümegi: Ueber das 
Verhalten des Intravesikalen Druckes bei Harnblasenstörungen nach 
Erkältung. 

Die manometrischen Druckbestimmungen ermöglichen uns nach 
den Ausführungen der Verfasser eine Analyse der Blasenstörungen 
und eine Kontrolle der Angaben der Kranken. In manchen Fällen 
erwies sich diese Methode auch differentialdiagnostisch behilflich. 

Em. Paulicek-Wien: Ein Fall von sog. Nephro-(Uro-)typhus. 

Der beschriebene Fall zeigt uns wieder einen jener Wege, auf 
denen sich der Typhus weiter verbreitet und macht es uns zur Pflicht, 
bei Typhusrekonvaleszenten nicht nur den Stuhl, sondern auch den 
Harn wiederholt bakteriologisch zu untersuchen, bevor wir sie als 
infektionsfrei erklären. 

F. Chvostek-Wien: Zur Reform der medizinischen Studien¬ 
ordnung. (Schluss.) • Zeller- München. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 17. Juni 1918. 

Herr Fürbringer hält einen Nachruf auf Prof. E. Le ss er. 

Herr Citron: Die Früh- und Spätformen syphilitischer Erkran* 
kung innerer Organe. 

Die Wassermann sehe Reaktion hat, wie er näher aus¬ 
führt, die gesamten Grundauffassungen über die Syphilis umge¬ 
stürzt. Zu den früher herrschenden Anschauungen gehört auch, dass 
Früherkrankungen innerer Organe bei der Syphilis nicht Vorkommen. Es 
gibt jedoch Fälle von Syphilis, die klinisch ohne Symptome verlaufen, 
Lues asymptomatica, wie Vortr. sie zu nennen vorgeschlagen hat, 
die erst im Spätstadium klinische Erscheinungen machen. Zum Ver¬ 
ständnis solcher Fälle hat die bessere Kenntnis der viszeralen Früh¬ 
syphilis besonders beigetragen. Nimmt man im Frühstadium der 
Syphilis an, dass auch in den inneren Organen maculo-papulöse 
Exantheme auftreten, so entziehen sie sich im allgemeinen der ärzt¬ 
lichen Wahrnehmung. Doch haben eine Reihe von Untersuchungs¬ 
methoden die Verbreitung viszeraler Frühsyphilis studieren lassen, 
wie z. B. direkte Besichtigungsmethoden (Oesophagoskopie etc.,), Re¬ 
sultate von Ueberimpfungsversuchen und der Ausfall der Herx- 
h e i m e r sehen Reaktion nach Salvarsaninjektionen. 

Die Frühsyphilis betrifft vor allem die Kreislauforgane, jedoch 
hält Vortr. wegen Fehlens anatomisch-pathologischer Grundlagen den 
Nachweis organischer Herzveränderungen nicht für erbracht. Eine 
Ausnahme macht die Aorteninsuffizienz, die oft als Folge mesoarteri- 
itischer Prozesse auftritt und besonders bei jugendlichen Individuen 
sehr häufig auf Syphilis zu beziehen ist. 

Von den Erkrankungen des Verdauungssystems scheint die 
Mikulicz sehe Krankheit häufig durch Erb- und Spätsyphilis be¬ 
dingt zu sein. Ebenso ist erwähnenswert, dass krisenartige Magen¬ 
beschwerden im Frühstadium der Syphilis häufig durch antisyphi¬ 
litische Behandlung gebessert werden. 

Auch die Leber dürfte häufig schon im FrühstadSum affiziert 
werden, wenigstens fand Neubauer in 76 Proz. unbehandelter 
Frühsyphilitiker Galaktosurie, was als Folge einer Lebererkrankung 
aufzufassen ist. Die gelbe Leberatrophie kann vielleicht auch durch 
Syphilis hervorgerufen werden. Dass sie durch Quecksilber oder 
durch Salvarsan hervorgerufen wird, ist zurückzuweisen. 

Die Nieren weisen zwei sehr verschiedene Erkrankungen auf: 
1. eine leichte Albuminurie ohne oder nur mit ganz leichten Oedemeu, 
Albumimiria syphilitica, 2. starke Albuminurie mit schweren Oedemen, 
akute syphilitische Nephrose. 

Das hämatopoetische System weist keine besonderen Befunde auf, 
dagegen sind Veränderungen am Serum bemerkenswert, so zunächst 
die Rahmschicht, welche besonders bei Spätsyphilis sich findet und 
auf Lezithinvermehrung zu beziehen ist. Nach französischen Unter¬ 
suchungen ist bei Frühsyphilis eine Cholestearinverminderung fest- 
zustellen. Die Vermehrung der Globuline, ihr Nachweis durch die 
verschiedenen Proben (Klausner, Porges, Meyer, Brie- 

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ger etc.) ist ev. auch mit Lezithinwirkungen in Verbindung zu 
bringen. 

Gelenkschmerzen werden in der Frühperiode ziemlich häufig 
beobachtet, wenn auch weniger häufig als Knochenschmerzen. Selten 
kommt ein ausgesprochener Symptomenkomplex zustande, der dem 
Bilde der Polyarthritis vollkommen gleicht und sich nur dadurch 
unterscheidet, dass die Neigung zu Herzerkrankungen fehlt, und dass 
Salizyl vollkommen wirkungslos bleibt. 

Die Frühsyphilis der Meningen verläuft teils klinisch manifest, 
teils symptomlos. Letztere Fälle können nur durch Lumbalpunktion 
nachgewiesen werden: es findet sich vermehrter Druck, Globuline 
und lymphozytenähnliche Zellen. Die symptomlosen Meningitiden 
erfordern ganz besondere therapeutische Beachtung. 

Bei den Erkrankungen des Gehirns und der Gehirnnerven sind 
die Gefässe, die Meningen und die Nervensubstanz zu unterscheiden. 
Die Erkrankungen der Gefässe umfassen wohl das bekannte Bild der 
Lues cerebrospinalis. Dringen die Treponemen in die Nervensub¬ 
stanz ein, so ist eine therapeutische Beeinflussung kaum denkbar. 
Die Nerven werden von der Frühsyphilis ziemlich häufig betroffen, 
entsprechend ihrem häufigen Befallensein mit Neurorezidiven im Spät¬ 
stadium. Eine Neuritis optica ist bei Frühsyphilis häufig und ebenso 
scheint eine Erkrankung des Nervus acusticus häufig vorzukommen, 
wobei, wie es die Syphilis oft macht, nur einzelne Faserzüge be¬ 
troffen sind. So zeigt sich im Frühstadium, dass die Luftleitung des 
Akustikus vollkommen erhalten ist, während sich die Kopf-Knochen¬ 
leitung in 80 Proz. der Fälle als verkürzt erweist. 

Herr Schrumpf: Nach einer Statistik an dem grossen 
Material der Berliner Medizinischen Umversitätspoliklinik sind rund 
10 Proz. der inneren Krankheiten auf Syphilis zurückzuführen. Von 
den syphilitischen Erkrankungen innerer Organe sind 74 Proz. solche 
des Herzens und der Gefässe und zwar überwiegend der Brust¬ 
schlagader; die Aorta ist somit das durch die Syphilis am meisten 
gefährdete innere Organ und es stellt die Frühdiagnose der syphi¬ 
litischen Aortitis eine wichtige Aufgabe des Internisten dar. 

In nur 60 Proz. der Fälle von Syphilis der inneren Organe ist 
die Wassermannsche Reaktion des Blutes deutlich positiv und 
ihre Negativität ist daher kein Beweis für das Fehlen einer syphi¬ 
litischen Läsion. Somit ist der klinische Befund ausschlaggebend für 
die Diagnose der Syphilis. Eine negative Wassermann sehe 
Reaktion ist keineswegs eine Kontraindikation für die Einleitung 
einer spezifischen Behandlung, die gerade in Fällen von Spätsyphilis 
innerer Organe und speziell des Gefässsystems möglichst energisch 
durchgeführt werden muss, und zwar nicht mit Jod allein, sondern 
mit Jod-Quecksilber und Salvarsan. Die Aussichten der Behandlung 
sind um so besser, je frühzeitiger die Diagnose gestellt wird, und es 
muss der Ausspruch Lessers beherzigt werden, dass es besser ist, 
die Diagnose auf Syphilis einmal zu viel zu stellen, als sie zu ver¬ 
fehlen. W.-E. 


Verein der Aerzte in Halle a. 8. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 6. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Scharfe. 

Schriftführer: Herr Fielitz. 

Herr Reis ach: Demonstration eines durch Bestrahlung klinisch 
gehellten Vulvakarzinoms. 

Bei der 64 jährigen Patientin wird folgender Aufnahmebefund 
erhoben: 

Die beiden grossen Schamlippen sind in der hinteren Hälfte in 
einen harten, faustgrossen, an der Oberfläche geschwürigen und eitrig 
belegten Tumor verwandelt; auch der untere Teil der Scheide 
ist bis zu 3 cm hart, karzinomatös infiltriert. In der linken Leisten¬ 
beuge eine walnussgrosse Drüse (Pat. gibt an, sie hätte diesen Kno¬ 
ten schon seit l‘/a Jahren in der gleichen Grösse), in der rechten 
Leistenbeuge mehrere erbsengrosse Drüsen. Es besteht ein äusserst 
übelriechender, jauchender Ausfluss, ständiges Brennen an den 
äusseren Genitalien. Die Tumormassen reichen bis nahe an den After 
heran, Rektum ist frei. 

Da Operation wenig Aussicht auf Erfolg verspricht, wird Pat. 
bestrahlt, und zwar erhält sie zunächst vom 19. VI. bis 26. VI. in 
5 Sitzungen 5 Stunden Coolidgeröhre mit Kupferfilter. — Der Tumor 
beginnt sich zu verkleinern und zu verfallen. 

Nach 14 Tagen Pause nochmals Bestrahlung mit Coolidgeröhre 
und Kupferfilter vom 16. bis 23. VII. in 10 Sitzungen 5 Stunden 
lang. Der Tumor ist ganz erheblich zurückgegangen. 

Befund vom 3. VIII. 17: Beide grosse Labien sind von der 
unteren Hälfte abwärts nocli ungefähr 1 cm tief hart infiltriert; auf 
der Innenfläche besteht, auf die kleinen Labien übergreifend eine 
flache Ulzeration von ungefähr 3 cm Breite und 5 cm Länge, das 
Karzinom geht bis unmittelbar an den After heran. 

Vom 4. VIII. bis 1. X. erhielt die Pat. Radium in 7 Bestrahlungs¬ 
zeiten. Die Radiumkapsel (50 mg) wurde in Silberbleifilter entweder 
ganz vorn in die Vagina eingelegt, oder auf den Tumor aufgebunden. 
Die Bestrahlung dauerte jedesmal 24 Stunden. Zwischen den ein¬ 
zelnen Bestrahlungszeiten waren Pausen von 6—8 Tagen, nur nach 
dem 3. Male eine Pause von 3 Wochen. Im ganzen erhielt die 

Original fro-m 

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2. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


743 


Pat 9000 mg-Stunden Radium. Am 1. X. war die Behandlung ab¬ 
geschlossen. 

Der jetzt durch die Bestrahlung erreichte Erfolg ist ein ausser¬ 
ordentlich günstiger; für das Auge und den Tastsinn ist vom Kar¬ 
zinom nichts mehr nachzuweisen. Am Scheideneingang sind geringe 
harte Infiltrate, die ganz und gar den Eindruck von narbigen Ver¬ 
änderungen erwecken; die Scheide ist narbig verengt, glatt, im 
oberen Drittel verklebt, so dass die Portio nicht zu fühlen ist. Per 
rectuin fühlt man den kleinen atrophischen Uterus gut beweglich, 
Anhänge frei Die Drüsen in der linken und rechten Leistengegend 
sind unverändert geblieben, scheinen, da sie in der gleichen Grösse 
schon seit 2 Jahren bestehen, keine Metastasen zu sein. 

Herr Seil heim berichtet über einen Fall von Portiokarzinom 
bei einer jungen Frau nach Entbindung. Heilung erfolgte durch 
Radiumbehandlung. Trotzdem musste auf dringenden Wunsch des 
Gatten die Operation gemacht werden. 

Herr Linnert: Zur Behandlung der puerperalen Infektion mit 
neueren Silberpräparaten. 

Da das Bild der fieberhaften Erkrankung im Puerperium ein 
ausserordentlich vielgestaltetes und symptomenreiches ist, so lässt 
sich eine erakte, Erfolg versprechende Therapie nur einleiten, nach¬ 
dem vorher für jeden einzelnen Fall eine alle Einzelheiten berück¬ 
sichtigende Lokaldiagnose gestellt ist. Da es für das therapeutische 
Verhalten mehr von untergeordneter Bedeutung ist, an welcher Stelle 
der Genitalien die eigentliche Infektion stattfand, so werden heute 
Manipulationen, wie das Eingehen in den Uterus zwecks Sekret- 
entnahme, kaum noch vorgenommen. Von viel grösserer Bedeutung 
ist es dagegen, festzustellen, ob die Infektion lediglich auf die Geni¬ 
talien beschränkt bleibt, oder aber ob sie die Tendenz hat, sich weiter 
auf den Organismus auszubreiten. 

Als Wundinfektionserreger spielen anerkanntermassen die 
Streptokokken die Hauptrolle. Klinisch unterscheidet sich jedoch das 
Bild des Puerperalfiebers, wenn es durch Nichtstreptokokken, durch 
Staphylokokken, Kolibazillen, Diphtheriebazillen, Gonokokken und 
andere Arten hervorgerufen wird, zumal werm es sich um schwere 
Fälle handelt, in nichts wesentlichem von demjenigen, bei dem die 
bakteriologische Untersuchung die Anwesenheit von Streptokokken 
ergab. 

Die Tatsache, dass die Erscheinungen, wie wir sie beim Puer¬ 
peralfieber und beim Fieber nach Frühgeburt sehen, verschieden sind 
von denen der gewöhnlichen Wundinfektion, ist mit voller Berech¬ 
tigung und pathologisch-anatomischer Begründung auf die Besonder¬ 
heiten der genitalen Wund Verhältnisse zurückzuführen. 

Die grossen, auf die bakteriologische Untersuchung gesetzten 
Hotinungen betreffs besserer Prognosestellung haben bisher leider 
noch nicht zu ermutigenden Erfolgen geführt. Für die Therapie sind 
uns dagegen aus der Erkenntnis der puerperalen Infektion als Bakteri¬ 
ämie neue Angriffsmöglichkeiten und Richtlinien geboten worden. 
Wir sind berechtigt zu handeln, auch wenn es für den betreffenden 
Fall noch nicht entschieden ist, ob es sich um Vorgänge handelt, die 
man früher als Folgen der Fäulnis im Uterus anzusehen pflegte, womit 
gesagt werden sollte, dass der Prozess von vornherein das Bestreben 
hatte, sich zu lokalisieren, oder aber um eine beginnende, zum Fort¬ 
schreiten neigende Infektion. Nach den heutigen geltenden An¬ 
schauungen ist dieser Unterschied, wo in dem einen Fall die in das 
Blut gelangten Keime dort zugrunde gehen, resp. es gar nicht erst 
zu einer Keiminvasion kommt, während sie sich in dem anderen Fall 
weiter vermehren und dem Körper schädlich werden, nur mehr ein 
gradueller, und es ist sehr wohl denkbar, dass sich der letztere Vor¬ 
gang aus dem ersteren zu entwickeln vermag. Erkennt man auch 
den Keim als solchen, so haben wir doch in die nähere Bedeutung 
und das Wesentliche an den Vorgängen im einzelnen, wie sie sich 
beim Kindbettfieber unter unseren Augen abspielen, bisher noch 
keinen klaren Einblick zu tun vermocht 

Eine wesentliche Rolle spielt hinsichtlich des weiteren Ver¬ 
laufes der Infektion auch die Virulenz der infizierenden Bakterienart. 
Leider lassen* sich aber auch aus dieser Annahme bezüglich der 
Prognosestellung für den einzelnen Fall keinerlei sichere Schlüsse 
ziehen. Gegen die virulenten Erreger ist alle Therapie machtlos. 
Handelt es sich aber um Erreger, gegen die der Körper den Kampi 
aufnimmt, so sind hier der Therapie Aussichten geboten, den Körper 
zu unterstützen und ihn sich der in ihn eingedrungenen Erreger 
erwehren zu helfen. In dieser Richtung bewegen sich die Versuche, 
die wir bei der Anwendung von anorganischen Mitteln, die wir dem 
Körper zuführen, verfolgen. Unter diesen steht das metallische 
Silber, in kolloidaler, d. h. in Flüssigkeit feinst verteilter Form, 
obenan. Im allgemeinen haben sich die verschiedenen Silber¬ 
präparate bei der Behandlung örtlicher und allgemeiner septischer 
Erkrankungen, zu denen auch das Puerperalfieber zu rechnen ist, 
gut bewährt. 

Die Anwendung des Kollargols geht auf C r e d 6 zurüpk, der 
vorschrieb, 2 mal am Tage je 50 ccm des Kollargols in 1 proz. 
Lösung mittels Irrigators per Klysma zu applizieren, nachdem vorher 
ein Reinigungsklistier vorausgegangen war. Ganz abgesehen davon, 
dass diese Applikation bei den Formen mit schweren allgemeinen 
Erscheinungen eine eng begrenzte ist, bleibt die Wirkung des Silbers 
vom Darm her eine mehr oder weniger problematische. Für intra¬ 
venöse Injektionen erwies sich das Kollargol als nicht genügend fein 

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verteilt. Ersatzpräparate kamen zahlreich in den* Handel, nachdem 
das Elektrargol der Firma Clin in Paris infolge des Krieges mehr 
und mehr aus dem Handel verschwand. Von den übrigen Präparaten 
wurden viele wieder aufgegeben, da sie sich teils als nicht genügend 
wirksam herausstellten, teils ungewollte Nebenerscheinungen zeitigten, 
oder auch zu wenig konstant waren. Von den neueren Präparaten 
erwiesen sich das Argochrom, das Elektrokollargol und das Dispargen 
als brauchbar. Nach den Untersuchungen, die Voigt in Göttingen 
mit dem Dispargen anstellte, übertrifft dieses Präparat in- seiner 
Dispersität alle sonst in Gebrauch befindlichen und auch das bisher 
verwandte französische Elektrargol. Die Lösungen sind sehr haltbar 
und beständig und können aus den Ampullen, in denen sie in 2 proz. 
Lösung in den Handel kommen, direkt verwandt werden. Es ist 
daher die Verwendung eine sehr einfache, da ein Isotonisieren vor 
der Injektion nicht dVforderlich ist. Es wurden im ganzen 48 ein¬ 
schlägige Fälle mit Dispargen behandelt, von diesen genasen 4L 
7 endeten tödlich. Um die Reaktion und Toleranzfähigkeit des 
Körpers zu prüfen, wurde regelmässig mit 0,04 g begonnen, und darauf 
0,1—0,2 g pro dosi gegeben. Um eine Allgemeinwirkung zu erzielen, 
beschränkten wir uns ausschliesslich auf die intravenöse Injektion. 

Abgesehen von den leichteren Fällen, die sich im allgemeinen 
schnell beeinflussen Hessen, reichte meistens eine einmalige Injektion 
noch nicht hin, um einen Dauererfolg zu erzielen. Es kam vor, dass, 
nachdem Puls und Temperatur zur Norm zurückgekehrt waren, am 
folgenden oder nächstfolgenden Tage von neuem wieder Temperatur¬ 
steigerungen auftraten. Dann wurden die Injektionen wiederholt, bis 
ein endgültiger Heilungserfolg auftrat, was bei diesen Fällen, die 
einmal auf das Präparat angesprochen hatten, in der Regel gelang. 

So erfreulich es hiernach zunächst auch ist, eine Reaktion des 
Organismus auf die Einspritzung hin zu sehen, und so sehr man sie 
als ein Zeichen des Zustandekommens der Wirkung des Dispargens 
ansprechen muss, so hat mau doch die möglicherweise daraus ent¬ 
stehenden bedrohlichen Symptome nicht gänzlich ausser acht ge¬ 
lassen, denn es liegt auf der Hand, dass wenn die Reaktionen zu 
heftig ausfallen, bedrohliche Krankheitsbilder daraus entstehen können, 
und dass derartige Erregungszustände für einen an sich schon ge¬ 
schwächten Organismus nicht gleichgültig sind. Man darf daher das 
Präparat nicht wahllos in allen Fällen verabfolgen, sondern muss 
vorher alle Kontraindikationen erwägen. Insonderheit ist bei eine;.! 
an sich schon labilen Herzen und bei einem von der septischen Er¬ 
krankung in Mitleidenschaft gezogenen- Herzmuskel, sowie bei nach¬ 
weisbaren Schädigungen“ der parenchymatösen Organe, der Leber, 
der Milz und der Nieren das Präparat nur ausnahmsweise zu ver¬ 
wenden resp. ist seine Anwendung dann direkt als kontraindiziert 
anzusehen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass bei lokalisierten 
Prozessen eine Wirkung von der Einspritzung nicht zu erwarten ist. 
Es ist daher in allen den Fällen, bei denen es im Verlauf der Er¬ 
krankung schon zu nachweisbarer Eiteransammlung gekommen ist, 
das Präparat nicht zu verwenden, sondern dem Eiter durch chirur¬ 
gische Eröffnung nach aussen hin Abfluss zu verschaffen. 

Besprechung: Herr Scharfe. 

Herr Seil heim: Ueber Blutungen und Blutstillung bei 
Placenta praevia. 

Darstellung der Blutungen und des durch Blutstillungsmittel ver¬ 
meidbaren Blutverlustes bei Placenta praevia in Form von Blutungs¬ 
kurven, aus welchen hervorgeht die Einschränkung des Blutverlustes 
in der Vorgeburtszeit durch Bettruhe und Tamponade, im Beginn der 
Erötinungszeit durch kombinierte Wendung, während der Eröffnungs¬ 
zeit und Austreibungszeit durch Angedrückthalten des in Fusslage 
Kegelform annehmenden Kindes gegen die plazentarbedeckte Uterus¬ 
wand — ähnlich wie Ballonbehandlung —; in der Nachgeburtszeit 
event. Tamponade. Viel energischer als alle diese Blutstillungs¬ 
mittel wirkt die Schnittentbindung, welche bald nach Einsetzen der 
Blutungen angewandt, den Blutverlust auf die bei normaler Geburt 
verlorengehende Menge, oder noch darunter herabdrückt. Zugleich 
wird dadurch jegliche Erstickungsgefahr für das Kind ausgeschaltet. 

Die Einführung der kombinierten Wendung vor etwa 60 Jahren 
im Notfälle mit rascher Durchbohrung des vorliegenden Mutter¬ 
knochens dürfte für die Geburtshelfer damaliger Zeiten mindestens 
ebensoviel Ungewöhnliches und Ueberraschendes, um nicht zu s^gen 
Heroisches gehabt haben, wie für uns heute mit unserer fort¬ 
geschrittenen Operationstechnik der Versuch mittels Schnittes dem 
Kinde rasch einen Ausweg zu bahnen und die Blutung an Ort und 
Stelle exakt zu stillen. 

Man wird sich daher auch wohl in dem Masse, als sich damals 
das eingreifende Verfahren als das beste herausstellte, heutzutage 
doch mehr und mehr daran gewöhnen, dass zum mindesten die 
Placenta praevia in schwierigen- Fällen wie alle akuten bedrohlichen 
Blutungen an inneren Teilen, soweit sie dem Messer zugänglich sind, 
durch das chirurgische Verfahren* im Zweifelsfalle am sichersten mit 
Erfolg für Mutter und Kind behandelt werden kann. 

Herr Lindemann: Ueber die Bedeutung des Mineralstoff* 
Wechsels in der Strahlentheraple. 

Frl. Clara Soergel: Hat die Kriegsernährung einen Einfluss 
auf die Entwicklung des Neugeborenen? 

Nachdem die Arbeiten und Versuche über obige Frage kurz 
gestreift sind, wendet sich der Vortrag den Ergebnissen aus der 
Hallenser Klinik zu. 

Original fro*m 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27. 


Aus dem Material unserer Klinik lässt sich ersehen, dass auch 
hier die Zahl der Geburten wie überall bedeutend gesunken ist. Es 
wurden statistische Kurven aufgestellt über die Geburtenzahl vom 
Jahre 1913 bis 1917 und man sieht, dass ein deutlicher Abfall zu 
verzeichnen ist. So haben wir im Jahre 1913 732, im Jahre 1917 
nur 531 Geburten. 

Ein ganz anderes Bikl gibt uns dagegen die Kurve über die 
Gewichte und Längen der Kinder und hier ist es auffallend, dass 
trotz des Grossstadtmaterials, also trotz der schlechten Ernährung 
der Mutter, sowohl die Durchschnittslängen als auch die Durchschnitts¬ 
gewichte der Kinder im Anstieg begriffen sind. Es findet sich 

im Jahre 1913 eine Durchschnittslänge von 50,1 cm, 

„ ,, 1915 ,, „ i, 50,3 „ 

„ „ 1916 „ „ # „ 50,2 „ 

** f» 1917 „ „ i, 50,3 „ 

Die Durchschnittsgewichte sind, wie aus den Kurven ersichtjich 
ist, auch im Anstieg begriffen und in den Jahren 1913 und 1916 finden 
wir einen Durchschnittsunterschied von 53 g. Wie ist es nun möglich, 
dass trotz der schlechten Ernährung nicht nur die gleiche, sondern 
offensichtlich eine bessere Durchschnittsentwicklung unserer Neu¬ 
geborenen zu verzeichnen ist. Man sollte eigentlich das Gegenteil 
erwarten. Es ist doch eine aus zahlreichen Arbeiten erwiesene Tat¬ 
sache, dass je schwerer die Frauen arbeiten, desto kleiner die Früchte 
werden, und dass jetzt im Kriege die Frauen durchschnittlich schwe¬ 
rere Arbeit leisten müssen, als im Frieden, dürfte wohl von keiner 
Seite in Frage gezogen werden, zumal sich unsere Hausschwangeren 
in der Hauptsache aus der arbeitenden Klasse zusammensetzen. 
Man müsste also schon aus diesem Grunde allein ein Sinken der 
Durchschnittsgewichte und -längen der Kinder erwarten. 

Wie nun die Zunahme aus der Hallenser Klinik zu erklären ist, 
darüber gibt eine Aufstellung über die Geburtenzahl der Erst- und 
Mehrgebärenden Aufschluss. Aus der dargestellten Kurve ist er¬ 
sichtlich, dass in dem Hallenser Material im Friedensjahre 1913, 
sowie im Jahre 1914 und 1915 die Zahl der Erstgebärenden um etwa 
80 die Zahl der Mehrgebärenden überschreitet. Im Jahre 1916 da¬ 
gegen finden wir das umgekehrte Verhältnis und im Jahre 1917 ist 
auch ein Ueberschuss an Mehrgebärenden vorhanden. Da es nun 
bekannt ist, dass die Mehrgebärenden im Durchschnitt grössere und 
kräftigere Kinder zur Welt bringen als die Erstgebärenden; so 
lässt sich durch diesen Ueberschuss an Mehrgebärenden gegenüber 
den Erstgebärenden die Zunahme der Durchschnittsgewichte und 
-längen unserer Neugeborenen erklären. 

Wenn man nun in einer anderen Kurve die Gewichts- und Län¬ 
genverhältnisse der Erst- und Mehrgebärenden darstellt, wie es hier 
geschehen ist, so sieht man. dass die Gewichts- und Längenverhält¬ 
nisse der Erstgebärenden annähernd konstant geblieben sind, die der 
Mehrgebärenden dagegen einen geringen Anstieg zu verzeichnen 
haben. 

Eine andere Frage bezieht sich auf die Zahlenverhältnisse zwi¬ 
schen Knaben und Mädchen. Schon 1870 und 1871 soll, wie man 
aus dem Volke hört, eine Steigerung von männlichen Geburten ein¬ 
getreten sein. An dem Berliner, Freiburger und Strassburger Ma¬ 
terial ist das gleiche für diesen Krieg nachgewiesen, und auch bei 
uns in Halle tritt in der Tat eine deutliche Steigerung an Knaben¬ 
geburten auf. Wir haben in Halle schon in den Friedensjahren ver¬ 
hältnismässig mehr Knabengeburten gehabt. Sonst werden auf 100 
Mädchengeburten durchschnittlich 103 bis 106 Knabengeburten ge¬ 
rechnet. Wir haben 


im 

Jahre 1913 auf 

100 Mädchen 

116 Knaben, 

n 

„ 1915 „ 

100 

125 


„ 1916 * 

100 

122 

„ 

„ 1917 „ 

100 

117 


Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Herabsetzung 
der allgemeinen Ernährungsverhältnisse, wie sie bis jetzt der Krieg 
mit sich gebracht hat, auf unsere Neugeborenen nicht den geringsten 
Einfluss zum Nachteil nachzuweisen hat. 

Besprechung: Herr Kneise. 


Aerztilcher Verein In Hamburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 11. Juni 1918. 

Vorsitzender: Herr Fraenkel. 

Herr Kach berichtet über eine eigentümliche Komplikation bei 
der Pneumothoraxbehandlung, nämlich das Auftreten einer grossen 
Luftblase im Mediastinum nach der dritten Insufflation. Klinisch 
zeigte die 24 jährige Kranke grosse Kurzluftigkeit, Fieber und 
Anorexie. Das Röntgenbild liess die Verdrängung des Mediastinum 
und des Herzens durch den Pleurariss erkennen. 

Herr Bostroem demonstriert eine 19 Jahre alte, seit 4 Jahren 
kranke Patientin mit einer Erkrankung des extrapyramidalen moto¬ 
rischen Systems: einer Westphal-Strümpellsehen Pseudo¬ 
sklerose. Das seltene und differentialdiagnostiscb interessante Krank¬ 
heitsbild wird geschildert. 

Herr llrban empfiehlt unter Demonstration von mehreren 
Patienten, anatomischen Präparaten und Bildern die Behandlung 

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torpider Geschwüre durch radikale breite Exzision bis ins Gesunde 
und primäre Naht, eventuell unter Zuhilfenahme von Entspannungs¬ 
inzisionen. 

Herr Kafka demonstriert die Fieberkurve und die Kranken¬ 
geschichte eines Falles von psychogenem Fieber. Die Temperaturen 
waren nicht simuliert, sie waren psychogen, durch Suggestion be¬ 
einflussbar. Der Fall bot allerlei interessante psychische Züge. 

Herr Oehlecker stellt einen Soldaten vor, bei dem er den 
durch Schussverletzung verloren gegangenen Daumen durch auto- 
plastische Operation der zweiten Zehe nach N1 c o 1 a d o n I mit vor¬ 
züglichem Erfolge ersetzt hat. 

•Herr Plaut: Mehrere Fälle von schwerster Sycosis parasitaria, 
darunter einen von S. p. im Schnurrbart, durch Trichon und Tricho- 
phytin äusserst rasch günstig beeinflusst. Therapeutische Ratschläge 
über die Behandlung dieses aktuellen Leidens. In der Frage Rasieren 
oder Nichtrasieren ist P. f ü r Rasieren, weil dadurch die sehr ernste 
und wegen ihres langen, kaum therapeutisch beeinflussbaren Verlaufs 
zu fürchtende Komplikation der parasitären Bartflechte mit der 
Sycosis non parasitaria zu vermeiden ist. 

Herr Walzberg zeigt einen 2jährigen Knaben, bei dem ein 
prurigoähnliches Ekzem und ein trichophytieähnliches Exanthem sich 
als sekundärsyphilitische Effloreszenzen herausstellten. Famillen- 
Infektlon: Der Vater hatte die Mutter infiziert und diese das bis dahin 
gesunde Kind. Wahrscheinlicher Initialaffektssitz an der Tonsille. 

Aussprache über den Vortrag des Herrn Schottintifler: 
Die Behandlung der Spätlues. 

Herren Gennerich -Kiel (a. G.), Nonne, Fahr. (Fort¬ 
setzung vertagt.) Werner. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 31. Januar 1918. 

Herr Göbell stellt eine Frau vor, welche wegen 9 Tage alter 
Darm- und Netzeinklemmung herniotomiert werden musste. Es fand 
sich eine Ifernia Ing. interparletalis d. Interstitialls. Trotz der 
9 tägigen Einklemmung war der Bruchdarm (Dünndarm) nur an den 
Schnürringen stärker geschädigt, so dass nur übernäht zu werden 
brauchte. Der Netzzipfel hatte zwar den Bruchdarm vor stärkerer 
Schädigung bewahrt, war aber selbst nekrotisch geworden und 
musste abgetragen werden. Vortr. bespricht die verschiedenen 
Formen der i n te r p a r i e t a le n Leistenhernien. Sie sind 
bei Männern ungleich häufiger als bei den Frauen, sie stehen bei den 
Männern sehr oft in ursächlichem Zusammenhang mit der Retentio 
testis. Bei der vorgestellten Patientin hatte man ursprünglich ein 
Magenleiden angenommen. Wie so oft bei interparietalen Hernien 
war der Bruch zunächst nicht diagnostiziert worden. Vortr. be¬ 
spricht die Symptome der interparietalen Hernien. 

Herr Göbell stellt ferner ein 23 jähriges taubstummes Mädchen 
vor, bei welchem eine durch Fraktur des 12. Brustwirbels bedingte 
totale schlaffe Lähmung der unteren Extremitäten und eine Lähmung 
der Blase und des Mastdarms und verstreute Hypästheslen an beiden 
Beinen durch Lamlnektomie fast völlig beseitigt sind. Im Duralsack 
fand sich ausser geronnenem Blut zertrümmertes Mark neben dem 
unteren Ende des Rückenmarks. Jetzt ist die Mobilität beider Beine 
völlig normal, die Blase arbeitet normal, keine Blasen-Sphinkter-, 
keine Detrusorlähmung, keine Zystitis. Dex Mastdarm ist frei von 
Stuhl, kontinent nur nicht für die Winde. 

Diskussion: Herr Neuber. 

Herr Göbell berichtet über die chirurgischen Erkrankungen 
des Kolons und des Rektum In der Kriegszeit. Aus dem Material 
des Anscharkrankenhauses und der chirurgischen Poliklinik geht 
hervor, dass die Erkrankungen der Ileozoekalregion in der Kriegszeit 
abgenommen haben. Appendicitis acuta 1913 (94), 1914 (91), 1916 
(46), 1917 (43 Fälle). Die linksseitigen Kolon- und die Rektum¬ 
erkrankungen überwiegen. Es hängt das wohl mit der jetzigen Er¬ 
nährungsweise zusammen, die ja die Peristaltik stärker anregt, für 
gute Entleerung des Zoekum und der Appendix sorgt, andererseits 
auch stärkere Gasansammlung im Kolon hervorruft. Es treten des¬ 
halb öfters Kolitiden auf. Nicht selten geschieht es, dass die Diffe¬ 
rentialdiagnose zwischen Colitis acuta und anderen entzündlichen 
Vorgängen in der Unken Bauchseite zu stellen ist. Beispiele: 1. Um¬ 
schriebene Peritonitis um die Milz herum (nach Stichelung der Milz, 
Tamponade, Drainage Heilung) rief bei hohem Fieber linksseitige 
Spannung der oberen schrägen Bauchmuskeln, Dämpfung im 
Traube sehen Raum und Hyperleukozytose hervor. 2. Links¬ 
seitiger paranephritischer Abszess nach Nackenkarbunkel: Geringe 
Muskelspannung, Oedem der Haut, DruckempfindHchkeit in der linken 
Flanke. Staphylococcus aureus im Urin. 

In einer ganzen Reihe von Fällen macht die Diagnose: Colitis 
acuta keine Schwierigkeiten, wenn man aus dem aufgetriebenen Leib 
das geblähte druckempfindliche Kolon herauszufühlen imstande ist. 
In diesen^ Fällen findet sich keine oder nur eine geringe Hyperleuko¬ 
zytose. Gleichliegende Fälle veranlassten seinerzeit wahrscheinlich 
Sonnenburg zur Empfehlung des Ol. Ricini bei angeblicher 
Appendizitis. Auch in unseren Fällen trat, sobald durch Einlauf Stuhl 
erzielt war, Entfieberung ein. Das war so zu sagen pathognomisch. 

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2. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


745 


In der Regel fand sich eine geringe oder keine Hyperleukozytose. 
Fine fieberhafte Kolitis kann zur Fehldiagnose Appendicitis acuta 
Veranlassung geben; dafür ein interessantes Beispiel: Ein 10 jähriger 
Knabe erkrankt am 3. X. 16 mit Kopfschmerz, sehr hohem Fieber 
und Stechen in der rechten Unterbauchseite und Erbrechen. Er wird 
am 4. X. 16 mittags mit der Diagnose Appendicitis destruens ein- 
geliefert mit folgendem Befund: Bei normalem Lungen- und Herz¬ 
befund Temperatur 40,2, Puls 128, klein, ist das Abdomen auf ge¬ 
trieben, aber nicht gespannt. Etwas oberhalb der Linie Sp. a. 5- 
Nabel findet sich Druckempfindlichkeit, relativ geringe Muskel¬ 
spannung, keinerlei abnorme Dämpfung. Die Milz ist nicht ver¬ 
bessert. Es findet sich starke Hyperleukozytose. Es wird die 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose Appendizitis bei hochgelagertem 
Wurmfortsatz gestellt und deshalb mit einem hochliegenden Kulissen¬ 
schnitt das Abdomen eröffnet, es findet sich kein freier Erguss in der 
Bauchhöhle, kein Zoekum, kein Kolon. Erst nach Erweiterung des 
Schnittes nach aufwärts erscheint durch Zug am Netz das stark ge¬ 
blähte, stark entzündliche Kolon. Die Flexura coli sin. fehlt, das 
Colon transversum ist etwa 20 cm lang, geht unmittelbar in das 
Colon descendens über. Dafür ist die rechte Kolonpartie um so 
stärker entwickelt, Zoekum und Colon ascendens und die Flexura 
coh d. sind abnorm beweglich, durch ödematöse Adhäsionen mit dem 
rechten mehrere Konvolute bildenden, ebenfalls beweglichen Colon 
transversumabschnitt verbacken. Nach Lösung der Adhäsionen lässt 
sich Zoekum und Colon ascendens normal lagern. Aus dem Colon 
transversumkonvolut ist eine einem Megasigmoideum ähnliche sehr 
grosse Kolonschlinge hervorgegangen. Das Zoekum wird durch 
Appendikostomie fixiert, die entzündliche Kolonschlinge vorgelagert, 
die Schenkel parallel genäht. Entsprechend den Erfahrungen in 
einem Falle von akuter Sigmoiditis trat auch hier nach Eröffnung des 
vorgelagerten Kolons prompt Entfieberung ein. Im Kolon fand sich 
Bact. proteus. Der Fall bot günstige Aussichten, da riss sich der sehr 
unruhige Junge den Schlauch aus der Appendikostomie. Es bildete 
sich ein intraabdominaler Abszess. Ausserdem bildeten sich keine 
Verklebungen zwischen Kolon und Peritoneum parietale. Es kam 
zur sekundären Peritonitis (Bact. proteus) und am 24. X. 16 zum 
Exitus. Bei der Sektion fand sich eine eitrige Peritonitis, nirgends 
eine Verklebung, sie bestätigte den bei der Operation erhobenen 
Befand. 

Ganz besonders tritt eine Häufung der Kolon- und Rektumfälle 
durch die grosse Zahl von Prolapsus recti in Erscheinung. 
Vortr. bespricht die verschiedenen Formen des Prolapsus ani, ani 
et recti, recti und die tiefsfitzende Koloninvagination. Erst die rekto- 
skopische Untersuchung nach Reposition und Röntgenaufnahme nach 
Kontrasteinlauf klärt über joden einzelnen Fall auf. Ein grosser Teil 
des Prolapsus ani et recti hängt sicher mit einer stärker entwickelten 
Plica transversales zusammen, die tiefsitzende Koloninvagination ist 
ermöglicht durch ein Makro- oder Megasigmoideum, bei welchem 
die Fusspunkte nicht einander genähert sind. Bei den Prolapsus ani 
und den Prolapsus ani et recti der Kinder soll man sich mit der 
einfachsten Methode begnügen. Vortr. bevorzugt de« Thiersch- 
schen Ring in der Form eines Katgutringes. Er ist von den 
komplizierten Methoden (Amputation [M i k u 1 i c z], Exstirpation des 
Schleimbautzylinders und quere Raffung der Muskularis [Rehn- 
Delorme] Sakrofixur) abgegangen. Nur in den Fällen von tief¬ 
sitzender Koloninvagination hält Vortr. die zweizeitige Resektion des 
Sigmotdeutns als die Methode der Wahl, weil es sich anscheinend 
meist um abnorm lange Flexuren handelt, die sich nicht gut fixieren 
lassen. 

Bei Erwachsenen bevorzugt Vortr. bei kleinen Prolapsen die 
Sphinkterplastik nach Helferich. bei mittelgrossen Prolapsen die 
Mikulicz sehe Amputation kombiniert mit Helferich scher 
Sphinkterplastik, bei ganz grossen Prolapsen die Rehn- 
D e 1 o r m e sehe Operation. 

Endlich weist.Vortr. auf die F ä 11 e v o n D y sc h e z ie (Hertz) 
hin, bei denen man als Ursache der Beschwerden rektoskopisch eine 
zu grosse Houston sehe Klappe findet. Auch bei ihnen werden 
die Beschwerden durch die jetzige Kriegskost gesteigert. Die ver¬ 
mehrte Peristaltik treibt den an Schalen und anderen unverdauten 
Ingesta reichen Stuhl ins Rektum, hier wird er aber nicht regelmässig 
entleert, es kommt zu einer unvollkommenen Kotstauung, die wie¬ 
derum eine stärkere Sciileimabsonderng zur Folge hat. Man findet 
dann den unteren Abschnitt des Rektum bis zur Plica transversalis 
leer, die Plica transversalis versperrt bis auf einen gerade für das 
dünne Proktoskop Raum gebenden Durchgang den Weg. Oberhalb 
der PHka findet man stark zersetzte, mit Schleim vermengte Stuhl- 
massen, die Schleimhaut ist deutlich entzündet. Die Durchtrennung 
der Plica transversalis mit Hilfe einer Klappenklemme (Gant. Gö- 
beil) eröffnet den Stuhlmassen den Weg und führt alsbald bei ge¬ 
eigneter Stuhlregelung, z. B. mit Baden-Badener Tabletten Heilung 
von den Beschwerden herbei. 

Herr Holzapfel spricht 1. über puerperale Pyäniie. (Erscheint 
jh» Zbi. f. Gyn.) 

Diskussion: Herren Stöckel, Anschütz, Holzapfel, 
Friedrich. 

2. Ueber Mtau&terische Blutungen. (Erscheint in der M.m.W.) 

Diskussion: Herren Stöckel, Holzapfel. 


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Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 19. März 1918 (Schluss). 

Aussprache über den Vortrag des Herrn Ooepe 1 über das 
Frledmannsche Tuberkulösem!ttel. (Sitzung vom 5. März 1918, 
M.m.W. Nr. 24 S. 661.) 

Herr G o e p e 1 (Schlusswort): Da es mir darauf ankam. Ihnen 
zu zeigen, was man unter günstigen Umständen mit der Fried- 
mannsehen Methode zu erreichen vermag, habe ich Ihnen eine 
Reihe von Fällen mit guten Heilresultaten vorgestellt. Allerdings 
erhalten Sie dadurch kein vollständiges Bild. Denn, wie ich in 
meiner Arbeit ausführlich auseinandergesetzt habe, stellen sich noch 
manche Schwierigkeiten der Erlangung gleichmässig guter Resultate 
in den Weg und ist es oft recht schwer, im einzelnen Falle die 
richtige Dosierung zu treffen. So viel, glaube ich jedoch, geht aus 
den vorgestellten Fällen hervor, dass wir uns durch teilweise Miss¬ 
erfolge nicht abschrecken lassen dürfen, dass wir vielmehr berech¬ 
tigten Grund haben, zu erwarten, dass es mit der Zeit gelingen wird, 
duren engere Auswahl der geeigneten Fälle und durch vollkommenere 
Anpassung an den einzelnen Fall in der Höhe der Dosierung und 
Applikationsart die Erfolge immer regelmässiger zu gestalten. 

Dass in der Aussprache neben zustimmenden Aeusserungen auch 
solche laut geworden sind, die den Wert der Friedmann sehen 
Erfindung in Zweifel ziehen, begrüsse ich in doppelter Hinsicht. Denn 
es gibt mir das Gelegenheit, meine eigene Stellung noch einmal näher 
zu präzisieren und beugt von vornherein überschwenglichen Er¬ 
wartungen vor, die dem Durchdringen des Guten an dem Fried- 
mannsehen Verfahren nur hinderlich sein können. 

Die Frage, um die es sich für mich und wohl auch für die 
vielen anderen Herren, die sich erneut mit der Methode beschäftigt 
haben und noch beschäftigen, gehandelt hat, ist die, ob auf dem 
von Friedmann eingeschlagenen, neuen Wege und mit seinem 
Mittel nicht doch trotz der Zurückweisung im Jahre 1914 ein nickt 
unerheblicher Nutzen für unsere tuberkulösen Patienten auf diesem 
oder jenem Gebiete der Tuberkulose zu erzielen ist 

Ermutigt wurde ich zu meinen Studien, wie ich in meinem 
Vortrag ausgeführt habe, durch eigene günstige Beobachtungen, so¬ 
wie dadurch, dass noch niemand, auch von der gegnerischen Seite, 
mit dem Mittel gearbeitet hat, der nicht wenigstens in einer Anzahl 
von Fällen über ungewöhnlich günstige Beeinflussung berichtet. Das 
Positive, nicht das Negative, ist aber das Beweisende. Denn wenn, 
wie Bier in seiner „Hyperämie als Heilmittel“ treffend sagt, das¬ 
selbe Mittel das eine Mal zu glänzenden Erfolgen, das andere Mal zu 
schwersten Misserfolgen führt, so liegt nichts näher als anzunehmen, 
dass es in dem ersten Fall richtig, in dem zweiten Falle falsch ange¬ 
wendet worden ist. 

Ich bin mir wohl bewusst, dass das Ergebnis meiner Studien vor¬ 
läufig noch nicht voll befriedigt, aber es ist doch in hohem Masse 
bedeutungsvoll, um so mehr, als das Behandlungsverfahren sich noch 
in dem Stadium der, wenn auch fortschreitenden* Entwicklung be¬ 
findet und sich die Tragweite desselben heute auch nicht annähernd 
ermessen lässt. Es würde jeden Fortschritt hemmen heissen, wenn 
man eine Anregung wie die Friedmannsche, weil sie nicht gleich 
alle Erwartung erfüllt, etwa ablehnen wollte. 

Zwei Dinge stehen nach meiner Ueberzeugung fest. Einmal die 
Tatsache, dass die Fr i edmannsche Vakzine eine spezifische Heil¬ 
wirkung auszuüben vermag, welche im wesentlichen geknüpft und 
abhängig iist von der Annahme des Impfstoffes von seiten des Körpers 
und zweitens, dass sich die Friedmann sehe Kultur auch für den 
Menschen als avirulent erwiesen hat. Dadurch sind die Vorbe¬ 
dingungen für fernere Anwendung des Mittels beim Menschen und 
für weitere Studien erfüllt. Die Misserfolge, die auch wir gesehen 
haben, rühren nicht etwa von einem Virulentwerden der Vakzine 
her, sondern von einer Kollision mit den vorhandenen natürlichen 
Schutzkräften des Körpers im Sinne der Anaphylaxie oder im Sinne 
der Ablenkung. Zweifellos kann man, wie durch eine unangezeigte 
intravenöse Nachinjektion, vor der übrigens auch Friedmann 
immer gewarnt hat *), so auch durch ungeeignete, namentlich zu hohe 
Dosierung den Heilerfolg schädigen. Es ist aber wohl sicher, dass 
wir mit der Zeit immer tiefer in das Problem der individuellen Er¬ 
fassung der einzelnen Fälle je nach ihrem Antigenbedürfms ein- 
dringen werden. 

Die Erfahrung lehrt ferner, dass der Immunitätszustand des 
tuberkulösen Individuums oft ein sehr labiler Besitz ist, so weitgehend 
er über Gesundheit und Krankheit, ja über Leben und Tod des 
Trägers entscheidet. Das gilt für die natürliche Immunität die durch 
jede interkurrente Krankheit, durch die Strapazen des Feldzuges zer¬ 
stört werden kann, das gilt wohl im selben Masse von der künst¬ 
lichen Immunität. Durch kleine Fehler in der Behandlung, deren 
Quellen wir sicher noch nicht alle kennen, kann sie in ihr Gegenteil, 
in den Zustand einer zeitweiligen Schutzlosigkeit umgewandelt 


J ) Friedmann hat sich jetzt entschlossen, die intravenöse 
Nachinjektion nach vorausgegangener, rein intramuskulärer (subku¬ 
taner) Injektion ganz fallen zu lassen und wenn der Impfherd ab- 
szediert und der Heilerfolg nicht befriedigt, eine Simultaninjektion 
folgen zu lassen. 

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746 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27. 


werden. Je grösser der Vorteil auf der einen Seite ist, um so ein¬ 
schneidender muss sich die Wirkung bei ungeeigneter Anwendung auf 
der anderen Seite geltend machen. So hat sich die rein intravenöse 
Applikation als therapeutischer Weg als ganz ungangbar erwiesen. 
Der chronisch lokalisierten Tuberkulose gegenüber kann man durch die 
intravenöse Injektion ein Gegengewicht nicht schaffen, sondern nur, 
entsprechend dem Fried rn a n n sehen Vorgehen, durch die 
Etablierung eines dem tuberkulösen Prozess adäqualen, lokalen, 
avirulenten Herdes selbst, der nur langsam zum Abbau kommt. So 
sind aber auch kleine Aenderungen der Technik, wie wir bei unseren 
Arbeiten mehrfach erfahren haben, nicht ohne Bedeutung und ich 
glaube, dass auch die weniger günstigen Resultate der Poliklinik auf 
Aenderungen des Verfahrens zurückzuführen sind, die von Fried- 
m a n n s Vorschriften abweichen. 

Absichtlich unerörtert habe ich die Frage gelassen, ob und wie 
weit das F r i edm a n n sehe Verfahren die bisherigen Methoden der 
Behandlung der Tuberkulose an Leistungsfähigkeit übertrifft. Für 
einzelne Organe, ich nenne speziell die Nebenhoden- und Hoden¬ 
tuberkulose, die Wirbelsäulen- und Rippentuberkulose, die offene 
Gelenktuberkulose und nach Operationen zurückgebliebene nicht zur 
Heilung gelangende Fisteln ist es bei richtiger Anwendung 
allen anderen Verfahren überlegen. Ferner für die ganz 
frischen tuberkulösen Erkrankungen jedweder Organe. Da im 
Gegensatz zur Lungentuberkulose frische chirurgische Fälle 
ausserordentlich selten in unsere Hände gelangen, glaube ich, dass 
vorläufig gerade auch die beginnende Lungentuberkulose den Haupt¬ 
nutzen von dem Behandlungsverfahren haben wird, da sie erfahrungs- 
gemäss am frühesten diagnostisch erkannt wird. 

Es ist von verschiedenen Seiten auf den Wert der alten her¬ 
gebrachten Behandlungsmethoden- hingewiesen worden. Auch ich 
bin keineswegs bereit, auf diese ganz zu verzichten in Fällen, in 
denen ich mir mehr von ihnen verspreche, als von der Impfung, so 
z. B. auf die Nephrektomie bei einseitiger Nierentuberkulose, auf die 
Exstirpation tuberkulöser Lymphdrüsen in bestimmten Fällen von 
Drüsentuberkulose. So kann ich den Herren, welche die Methode 
anwenden wollen, auch nur raten, die ihnen vertrauten Methoden, 
mit deren Erfolgen sie zufrieden sind, nicht völlig aufzugeben, 
sondern das Friedmannsche Verfahren einerseits 
für die ganz frischen Fälle vorzubehalten und 
andererseits für solche Kranke, welche unter oder 
trotz der üblichen Behandlung bei eigener Beob¬ 
achtung nicht gebessert werden. Selbstverständlich 
dürfen es nicht verlorene Fälle sein. Diese Kranken, ebenso wie die 
inzipienten Fälle, die durch den Ausbruch der Krankheit zeigen, dass 
das natürliche Schutzsystem versagt, nehmen auch das künstliche 
Antigen willig auf und behalten es. Wenn die natürlichen Schutz¬ 
kräfte indes ohne spezifische Therapie nur unter Anwendung gleich¬ 
sam hygienischer Massnahmen (worunter ich auch die Entlastungs¬ 
behandlung, Bier sehe Stauung und Bestrahlung rechne) die Heilung 
herbeizuführen scheinen, dann ist es nicht einmal angebracht, in das 
natürliche Schutzsystem einzugreifen. Bei einem solchen Vorgehen 
fällt sowohl der Einwand fort, dass man bei den Geimpften mit 
anderen Verfahren das gleiche hätte erreichen können, wie durch die 
Impfung, als auch die erst jüngst wieder dem Friedmann sehen 
Mittel — übrigens -nicht dem jetzigen von Kruse geprüften Prä¬ 
parat — zuteil gewordene skeptische Beurteilung, dass sich eine 
günstige Einwirkung, die auf das Mittel zurückzuführen wäre, in 
keiner Weise bemerkbar gemacht habe 

Man hat Friedmann immer wieder vorgeworfen, dass er 
etwas Unabgeschlossenes, Unfertiges herausgebracht habe. Als 
Antwort darauf genügt ein Hinweis auf das Koch sehe Alttuberkulin, 
welches seit 30 Jahren bekannt ist und über dessen Wert oder Un¬ 
wert bis heute eine Uebcreinstimmung auch nicht annähernd erzielt 
ist. So wird, wie das bei einer Sache von solchem Umfang nicht 
anders sein kann, auch noch lange Zeit vergehen, ehe die Akten über 
die Tragweite der F r i ed m a n n sehen Therapie als Heil- und 
Schutzimpfung geschlossen sein werden. 

Das Wesentliche ist, dass das Mittel die wirklich frischen Tuber¬ 
kulosen auszuheilen vermag. Auch die Mahnung K ö 11 i k e r s geht 
dahin, dass die Aerzte die Friedmannsche Behandlung in den 
ganz frischen Fällen anwenden sollen. Sollte sich das in Zukunft 
bewahrheiten, so wird es hoffentlich gelingen, den schweren Erkran¬ 
kungsformen vorzubeugen, und es besteht die Aussicht, dass wir in 
späteren Zeiten so schwere, tuberkulöse Zerstörungsformen, wie sie 
heute zu den Alltäglichkeiten gehören, nur noch selten zu Gesicht 
bekommen werden. 

Was die speziellen Fragen von Herrn Geheimrat B a h r d t an¬ 
betrifft, so verweise ich auf meine ausführliche Arbeit in der Deutschen 
Zeitschrift für Chirurgie. 


Aerztlicher Verein zu Marburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 30. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Hagemann. 

Herr Magnus: Choledocho-Duodenostomie. 

Die Radiikaloperation des Tumors an d-er Papilla duodeni durch 
Resektion des Darmes ist besonders schwierig wegen der Notwenclig- 

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9 

keit, den Ductus pancreaticus zu versorgen. Die Resultate sind so 
schlecht, dass dieser Tumor von vornherein als inoperabel anzusehen 
ist. Von 19 Operierten überlebten nur 10 den Eingriff, von- diesen bot 
nur einer (Körte) einen Dauererfolg. 

Um so erfreulicher sind die temporären Resultate der Palltativ- 
operatiom die der Galle eine neue Mündung in den Darm schafft, 
zumal in der Regel der D. pancreaticus von dem Verschluss nicht mit¬ 
betroffen ist. Die . Cholezystenterostomie ist häufig nicht angezeigt 
wegen Erkrankung oder Ueberdehnung der Gallenblase, die man in 
vielen Fällen gern mitentfernen wird. Ein aussichtsvoller Eingriff 
ist die Anastomose zwischen D. choledochus und 
Duodenum. Sie ist einfach auszuführen, weil der Gang stets weit 
dilatiert ist, es entsteht keinerlei Spannung, die Galle fliesst fast an 
normaler Stelle in den Darm. Die Anastomose wird Seit-zu-Seit aus¬ 
geführt mit 2 Nahtreihen, genau wie eine Enteroanastomose. — In 
2 Fällen wurde die Operation vorgenommen, beide Male musste die 
Gallenblase entfernt werden, einmal wegen Erkrankung, das andere 
Mal wegen Ueberdehnung der Wand. Beide Male kam die Ent¬ 
fernung des Tumors nicht in Frage. Beide Operationen verliefen glatt, 
ebenso die Rekonvaleszenz; bei der einen Frau entstand eine Fistel, 
die einige Tage Galle absonderte, sich aber bald schloss. Beide 
Frauen .verliessen die Klinik völlig beschwerdefrei ohne eine Spur von 
Ikterus, ohne Fistel, mit normalem Stuhlgang. Sasse will die Opera¬ 
tion auch beim Steinverschluss des D. choledochus ausführen. Es fällt 
der Gallenverlust fort, der die Drainage kompliziert, und der Stein¬ 
abgang ins Duodenum ist durch die breite Kommunikation gesichert, 
falls man Konkremente übersehen hat. 

Herr Wiemann: 13jähriges Mädchen mit Pfählungsverletztmg 
durch einen Holzkeil eines zusammengebrochenen Rodelschlittens. 
Grosse Wundhöhle vom rechten Oberschenkel nach dem rechten 
Labium maius hin. Zerreissung der Harnröhre bis zur Hälfte des Um¬ 
fangs. Bei der Aufnahme, 24 Stunden nach Verletzung, deutliche 
Urininfiltration am Oberschenkel und schwere Allgemeinerschei¬ 
nungen. Nach ausgiebiger Spaltung und Einlegung von Dauerkatheter 
rasche Erholung und glatter Heilungsverlauf. 

Herr Hagemann bespricht zunächst das klinische Krankheits¬ 
bild der unter dem Namen Colitis ulcerosa zusammengefassten Er¬ 
krankungen der Dickdarmschleimhaut, betont dabei die Schwierigkeit 
der sicheren Abgrenzung gegen einzelne spezifische Erkrankungen. 
Die Prognose ist als sehr ernst zu stellen, da eine grosse Anzahl der 
Fälle jeder Therapie trotzt oder auch schon vor Einleitung einer 
Therapie schnell zugrunde geht. In erster Linie kommt die interne 
Behandlung in Frage. Sie besteht in der Durchführung einer stren¬ 
gen Diät und in der Darreichung medikamentöser Mittel, besonders 
in Form von Darmspülungen. Die Ergebnisse der inneren Behand¬ 
lung sind indes nicht befriedigende deswegen ist der Versuch einer 
chirurgischen Behandlung gerechtfertigt. Durch eine chirurgische Be¬ 
handlung ist schon mancher erfolglos intern behandelte Fall gerettet 
worden. 

Die chirurgische Behandlung erstrebt eine bessere medikamen¬ 
töse Beeinflussung der erkrankten Darmpartie durch Spülungen, und 
die Ruhigstellung des betreffenden Teils, schliesslich die radikale Ent¬ 
fernung des erkrankten Darmabschnittes. Die für diese Zwecke zur Ver¬ 
fügung stehenden Methoden sind die Darmfistel, der Anus praeternat. 
und die Darmresektion. Zur Anlegung einer Darmfistel oder eines 
Anus praeternat. kann man sich um so leichter entschlossen, als der 
Eingriff ein sehr leichter ist und zur gegebenen Zeit sich ohne Schwie¬ 
rigkeit wieder der normale Zustand herstellen lässt. Die Darmfistel 
stellt nicht ruhig, gestattet nur Spülung, der Arms praeternat. vereinigt 
beides. Die Darmresektion kommt nur bei lokalisierter Erkrankung 
in Frage. Die Anastomosenbildung ist in ihrer Wirkung unsicher, da 
Rückstauung des Kotes vorkommt und Darmspiilimg nicht möglich ist. 

Zum Schluss werden folgende Leitsätze in der Behandlung der 
Colitis ulcerosa auf gestellt: Nach Versagen der internen Behandlung, 
muss die chirurgische platzgreifen, man darf den Patienten aber nicht 
erst der völligen Erschöpfung nahekommen lassen. Als chirurgischer 
Eingriff kann zunächst die Fistelbildung, am besten in Form der 
Appendikostomie versucht werden. Kommt man damit nicht schnell 
weiter, muss alsbald ein künstlicher After, meist rechts, angelegt 
werden. In desolaten Fällen äst das sofort zu tun. Bei deutlicher 
Lokalisierung des Prozesses und leidlichem Allgemeinzustand ist die 
Resektion auszuführen mit Belassung eines künstlichen Afters, von 
welchem aus gespült wird. Der Verschluss der Fistel oder des 
Anus praeternat. darf erst erfolgen, wenn mindestens V* Jahr nach Be¬ 
endigung der Spülbehandlung rezidivfrei verflossen ist. 

Ha ge mann hat kürzlich 2 Fälle beobachtet, welche infolge 
der langdauernden Blutungen und Diarrhöen dem Tode nahe waren. 
Durch Anlegung eines künstlichen Afters rechts und nachfolgende 
Spülungen standen die Blutungen nach wenigen Tagen und Patient 
erholte sich schnell. Die eine Patientin ist jetzt 2 Monate rezidiv- 
frei, der andere Patient steht noch in Behandlung. 

Diskussion: Herr v. Bergmann: Die differentielle Dia¬ 
gnose Colitis ulcerosa bzw. Colitis suppurativa einerseits und Colitis 
infiltrativa anderseits ist häufig, wohl nicht immer, auf Grurtd des 
Röntgenbildes zu stellen. Zur Unterstützung der Diagnose Colitis 
infiltrativa gehört der Nachweis multipler Divertikelbildung in der 
infiltrierten Dickdarmschleimhaut. (Schluss folgt.) 


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2. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


747 


Kleine Mitteilungen. 

Vereinfachter Kochsalzinfusionsapparat 

Der bisherigen Methode der Kochsalzinfusion haften verschiedene 
Nachteile an, die besonders schwer im Felde ins Gewicht fallen. Vor 
a/fem dauert die alte Methode reichlich lange und nimmt mindestens 
2 Personen in Anspruch. Auch ist die Sterilität doch immerhin durch 
das Umfüllen des Kochsalzes vom Gefäss in den Trichter und durch 
den Trichter selbst, dessen weite Oeffnung leicht Staub etc. Zutritt 
gewährt, in Frage gestellt. Die Temperatur der Lösung ist bei der 
alten Methode ungleichmässig und schlecht regulierbar. Diese Fehler, 

die uns besonders durch die oft un¬ 
günstigen Zustände im Felde ins 
Auge gefallen sind, haben uns ver¬ 
anlasst, einen vereinfachten Koch¬ 
salzinfusionsapparat zusammenzu¬ 
stellen, der alle diese Fehler völlig 
beseitigt. Der Apparat besteht aus 
einer gewöhnlichen Flasche mit ste¬ 
rilisierter Kochsalzlösung, auf die 
wir den Pfropfen eines „D ie u1a - 
foy-Potain sehen Aspirators“ 
stecken. Das kurze Metallrohr ver¬ 
binden wir mit dem Ventil einer 
Sauerstoffbombe, an das lange 
kommt Schlauch und Kanüle. Im Sammelbesteck der Militärbestecke, 
Einsatz 2, befindet sich dieser Pfropfen mit vollständig fertig luft¬ 
dicht armierten Schläuchen, die noch beliebig verlängert werden 
können. Wir arbeiten mit 0,50—0,75 Atmosphären Ueberdruck, der die 
Lösung genügend schnell aus der. Flasche presst (1 Liter in ca. 10 Mi¬ 
nuten). I)er Verbrauch an Sauerstoff ist unbedeutend. Die Flasche 
bleibt während der Arbeit zur Erzielung einer gleichmässigen Tem¬ 
peratur der Lösung in einer Konservenbüchse mit warmem Wasser 
stehen, die wir ihrerseits in einem Stoffsack an der Sauerstoffbombe 
befestigen. Der Apparat arbeitet bei uns im Lagerraum der Ver¬ 
wundeten oder während der Operation, von einem Wärter bedient, 
der gleichzeitig den Puls kontrolliert oder den Verwundeten Sauer¬ 
ston atmen lässt. M. K u 11 n e r, San.-Vzfw. 

Therapeutische Notizen. 

Zur Frage über die Komplik ationenund Nachkrank¬ 
heiten des Scharlachs bei Serotherapie hat F. Prin- 
z i n g - CharJottenburg-Westend an der Hand eines grossen Kranken¬ 
materials eine vergleichende Statistik angestellt. Prinzing ver¬ 
gleicht das Auftreten der 3 häufigsten Scharlachnachkrankheiten: 
Lymphadenitis colli, Otitis media und Nephritis bei Scharlachkranken, 
die mit Serum behandelt wurden, und bei solchen, die ohne Serum 
behandelt wurden. Diese Statistik von Prinzing zeigt, welch 
günstigen (indirekten) Einfluss die Seruminjektionen auf diese Krank¬ 
heiten, besonders auf die Halsdrüsen- und Nierenaffektionen haben. 
Während Prinzing bei Nichtinjizierten in 18,9 Proz. eine Nephritis 
beobachten konnte, trat sie bei den Injizierten nur in 8,2 Proz. auf. 
(Th. Mh. 1918, 1.) H. Thier ry. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 1. Juli 1918. 

— Kriegschronik. Hochwasser des Piave, das die öster¬ 
reichischen Brücken zerstörte und die Versorgung der Armee mit 
Proviant und Munition unmöglich machte, zwang die österreichisch- 
ungarische Heeresleitung, ihre Stellungen auf dem rechten Piaveufer 
zu räumen. Das geschah in Ordnung und unter mässigen Verlusten. 
So bedauerlich dieser Rückschlag für die verbündete Armee ist, so 
»enig Ursache haben die Italiener von einem grossen Sieg, wie sie 
es ton, zu sprechen. Davon ist keine Rede, vielmehr ist es in diesem 
Falle wirklich das Wetter, das so viele Misserfolge Cadornas ent¬ 
schuldigen musste, dem General D i a z diesen seinen ersten Erfolg 
verdankt. Uebrigens hat die italienische Armee durch die öster¬ 
reichisch-ungarische Unternehmung beträchtliche und ungleich grös¬ 
sere Verluste erlitten, als die österreichische. Sie verlor an Ge¬ 
fangenen 50 000, an Toten und Verwundeten 150 000 Mann. An der 
Westfront erzielten in den letzten Tagen der Woche Engländer und 
Franzosen kleine Erfolge; im grossen und ganzen ist die Lage dort 
unverändert. — In Russland ist eine ausgebreitete gegenrevolutionäre 
Bewegung im Gange, die sich auf tschechisch-slowakische Ueber- 
'iaferregimenter stützt und besonders in Sibirien bedeutende Fort¬ 
schritte gemacht hat. Zum ersten Male treten jetzt auch die Namen 
der Häupter der früheren Revohitionsregierungen, wie M i 1 j u k o w 
tud Kerenski, wieder hervor. Nach den letzten Nachrichten er¬ 
scheint die Regierung der Bolschewiki stark gefährdet. 

— Die Herausgeberschaft der Münchener med. 
Wochenschrift hielt am 23. Juni ihre Jahresversammlung ab. 
kn Stelle des verstorbenen Geh. Rats Exz. v. Angerer wurde 
Geh. Rat Prof. Dr. Fr. v. Müller zum Vorsitzenden gewählt. Als 
neue Mitglieder wurden die Herren Prof. Dr. H. Kerschen- 
sfeiner- München und Geh. Rat Prof. Dr. Marchand-Leipzig 
jewählt. Aus den Betriebsüberschüssen wurden für allgemeine und 

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Wohlfahrtszwecke 9000 M. bereitgestellt. Für Bewilligungen aus der 
Bollingerstiftung der M.m.W. lagen keine Anträge vor. Der 
Zweck dieser Stiftung, auf die hiermit besonders hingewiesen sei, 
ist, wissenschaftliche, mit grösseren Kosten verbundene Arbeiten 
jüngerer Forscher durch Zuschüsse zu fördern. Zurzeit stehen aus 
der Stiftung 1500 M. jährlich zur Verfügung. Bewerbungen sind an 
die Schriftleitung der M.m.W., München, Arnulfstr. 26, zu richten. 

— Dem Rufe zum ausserordentliche nAerztetag nach 
Eisenach, den der Geschäftsausschuss des Deutschen Aerzte- 
vereinsbundes auf den 23. Juni anberaumt hatte, waren über 200 Dele¬ 
gierte der Bundesvereine gefolgt. Seit dem noch in frischer und dank¬ 
barer Erinnerung aller Teilnehmer stehenden letzten Friedensärzte¬ 
tag in München — in jenem schicksalsschwangeren Juni 1914! — 
hatte keine Tagung mehr stattgefunden und es wäre wohl auch jetzt 
nicht zur Berufung eines Aerztetages gekommen, wenn nicht ganz 
dringliche Angelegenheiten ein Zusammenkommen und eine all¬ 
gemeine Kundgebung der Deutschen Aerzteschaft erfordert hätten. 
Herr Geh. San.-Rat D i p p e - Leipzig eröffnete am Sonntag den 
23. Juni, vormittags 9 Uhr, den Aerztetag mit einer trefflichen und 
wie immer wirksam gesprochenen Rede, in welcher er zunächst auf 
die grossartigen Leistungen unserer Heere hinwies und dann den 
Anteil der deutschen Aerzte an dem grossen Geschehen ins Licht 
setzte, auf welche jedoch auch nach dem Kriege sehr grosse und 
ernste Aufgaben warten, die sich in den beiden Hauptberatungs¬ 
gegenständen der Tagung zunächst darstellen: der Ueberführung der 
Aerzteschaft aus dem Kriege in den Frieden und: Abänderung der 
Reichsversicherungsordnung. Als Referenten für den ersten Be¬ 
ratungsgegenstand traten auf das Rednerpult Hartmann-Leip¬ 
zig und S a r d emann-Marburg. Aus der manchmal sich schärfer 
zuspitzenden Darstellung des redegewandten und den ganzen Stoff 
restlos meisternden 1. Vorsitzenden des Leipziger Verbandes konnte 
jeder Hörer eine Einsicht gewinnen über das enorme Mass von Ar¬ 
beit, das von den Leipziger Arbeitszentren schon bisher an Erforder¬ 
nissen für den Kriegsbetrieb des organisierten Aerztestandes zu lei¬ 
sten war. Von grösstem Interesse waren die Ergebnisse einer vom 
LV. veranstalteten Umfrage über die Organisation der Fürsorge für 
die im Felde stehenden oder heimkehrenden Kollegen. Ein gewaltiges 
Mass von Opferwilligkeit des deutschen Aerztestandes liegt in den 
schon bisher gesammelten Millionen, deren 6 von 108 ärztlichen Or¬ 
ganisationen bisher aufgebracht sind, ungerechnet weitere hohe Be¬ 
träge. Hartmann forderte auch bei dieser Gelegenheit wieder 
in scharfer Betonung die allgemeine Abschaffung der Karenzzeit, die 
er als Verstoss gegen die wirtschaftliche Gleichberechtigung und ärzt¬ 
liche Freizügigkeit bezeichnete. Bezüglich der Thesen Hartmanns 
sei auf den eingehenden Sitzungsbericht verwiesen. Herr S a r d e - 
mann forderte zum Ausgleich der Lücken im ärztlichen Wissen und 
Können, wie sich solche unausbleiblich für die „notgeprüften“ jungen 
Kollegen bei der Rückkehr in die Friedenstätigkeit ergeben müssen, 
vor allem die Einrichtung etwa 3 monatlicher, freiwillig zu besuchen¬ 
der Kurse, die sich wohl am zweckmässigsten an den Universitäten 
werden einrichten lassen. Für die Finanzierung wird mindestens die 
Mithilfe des Staates erhofft. Auch Zentral-Berufsberatungs- 
steilen für kriegsinvalide Aerzte werden erforderlich werden. Die 
Thesen beider Referenten fanden einstimmige Annahme. Die Nach¬ 
mittagssitzung brachte das Referat Streffer -Leipzig zur Abände¬ 
rung der Reichsversicherungsordnung. (Beantragt ist eine Erhöhung 
der Einkommensgrenze für die Versicherungspflicht auf 4000 M. resp. 
5000 M., der Versicherungsberechtigung soll nach sozialdemokra¬ 
tischem Antrag eine Vermögensgrenze künftig überhaupt nicht mehr 
gesteckt sein.) Begreiflicherweise bestand für diese, die ganze Zu¬ 
kunft des deutschen Aerztestandes tief berührenden Fragen das un¬ 
mittelbarste Interesse der Teilnehmerschaft, das nachher auch in 
einer — stellenweise wohl schon zu weit ins einzelne schweifen¬ 
den — Aussprache seinen Niederschlag fand. Die Streffer sehen 
Thesen erklären die Erhöhung der Versicherungsgrenzen im obigen 
Umfange als „nicht für notwendig“ und „im Rahmen der jetzigen 
kassenärztlichen Verträge für unvereinbar mit den ideellen und wirt¬ 
schaftlichen Lebensbedingungen des ärztlichen Standes“. Die ein¬ 
stimmige Annahme der vom Referenten beantragten Entschliessung 
zeigte, dass der deutsche Aerztestand entschlossen ist, einer unerträg¬ 
lichen Einschnürung seiner freien Tätigkeit im gegebenen Augenblick 
vollberechtigten Widerstand entgegenzusetzen. Die Möglichkeit einer 
Ausdehnung der Familienversicherung unter gewissen Voraus¬ 
setzungen wurde ausdrücklich zugegeben. „Wir wollen unserem 
Vaterland seinen hochstehenden freien Aerztestand erhalten“, so hatte 
Dippe in der Eröffnungsrede gesagt und es als kleinmütige Ver¬ 
zagtheit bezeichnet, wenn einige aus unseren Reihen sich in den 
Hafen leidlich bezahlten Beamtentums flüchten wollen. Die Formu¬ 
lierung dieses Entschlusses halten wir — unbeschadet aller Wichtigkeit 
der Fürsorge für die vom Kriege so oder so betroffenen Aerzte — für 
den Kernpunkt in Stimmung und Aussprache des diesjährigen Kriegs¬ 
ärztetages! Ja, wir halten die Proklamierung dieses Willens sogar 
auch für ein Stück dieser Fürsorge für unsere Krfegskollegen — 
und nicht das Unwichtigste. Sie werden uns, wenn sie erst heim¬ 
kommen, dafür dankbar sein! Gr. 

— Das K. Bayer. Staatsministerium des Innern gibt bekannt, dass 
die in § 12 der Oberpolizeilichen Vorschrift über die Leichen¬ 
schau und die Zeit der Beerdigung vom 20. November 1885, GVB1. 

Original fram 

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748 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 27. 


S. 655, festgesetzten Gebühren auf das Doppelte erhöht wurden. Mit 
Rücksicht auf besondere Verhältnisse gewährte weitergehende Er¬ 
höhungen* bleiben von dieser Regelung unberührt. — Diese Gebühren¬ 
erhöhung entspricht einem von sämtlichen bayerischen Aerztekammern 
in ihrer Sitzung vom 17. Dezember v. J. gestellten Antrag. Das in 
diesem Falle von der K. Staatsregierung bewiesene Entgegenkommen 
berechtigt zu der Hoffnung, dass auch die übrigen Anträge der Aerzte¬ 
kammern auf Revision der Gebührenordnung (d. W. S. 629) Berück¬ 
sichtigung finden werden. 

— Herr und Frau Krupp v. Bohlen und Haibach haben 
Prof. Sauerbruch irr Zürich, demnächst München, für die vom 
preussischen und bayerischen Kriegsministerium geplante Pro- 
ihesenwerkstätte für willkürlich bewegbare Hände 50 000 M. 
zur Verfügung gestellt. Die alte Singener Werkstätte bleibt daneben 
unter Leitung eines Mitarbeiters Sauerbruchs. Dr. Stadler, 
bestehen. In anderen deutschen Städten sollen ähnliche Einrichtungen 
getroffen werden. 

— Der Verband zur Wahrung der Interessen der 
deutschen Betriebskrankenkassen hat in Berlin eine 
Tagung abgehalten. Es wurde beschlossen, an dem Einigungs- 
abkommen mit den- Aerzten festzuhalten. Die Bestrebungen auf Zen¬ 
tralisation der Krankenversicherung wurden abgelehnt und erklärt, 
dass die Betriebskrankenkassen in dem in der RVO. bestimmten 
Umfang aufrechtzuerhalten seien. Die Bestrebungen auf Förderung 
des Nachwuchses und auf Erhaltung der Volkskraft sollen nach¬ 
drücklich unterstützt werden. 

— Die Stadt Lichtenberg hat im Hinblick auf die nach dem 
Kriege zu erwartenden umfangreichen Arbeiten auf dem Gebiete der 
Gesundheitspflege die Schaffung der Stelle eines Stadtmedi- 
z i n a I r a t e s beschlossen. 

— In den Vereinigten Staaten ist mehreren Firmen das Recht 
zugesprochen worden, Salvarsan herzustellen. Das Präparat 
wird den Namen „Arsphenamin“ führen. 

— Vom 16. bis 19. September findet in Wien ein von der 
Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge, von- der Deutschen ortho¬ 
pädischen Gesellschaft und von der k. k. Prüfstelle für Ersatzglieder 
veranstalteter Kongress für Krüppelfürsorge und 
Orthopädie statt. Anfragen sind- an den Präsidenten, Oberstabs¬ 
arzt Prof. Dr. S p i t z y, Wien, Frankgasse 1, zu richten. 

— Die Tagesordnung der am 21. und 22. September in Pest statt¬ 
findenden Tagung der Aerztlichen Abteilung der Ungarischen 
waffenbrüderlichen Vereinigung umfasst: 1. Aerztliche 
Ausbildung und Fortbildung, 2. Malariabekämpfung, 3. Kriegsfürsorge 
in Ungarn. Am 23. September schliesst sich eine deutsch-öster¬ 
reichisch-ungarische Tagung für Rassenhygiene und Bevölkerungs¬ 
politik an. 

— Prof. Dr. B u s c h k e, der vom Kriegsministerium mit der 
Bekämpfung der Trichophytie beauftragt worden ist hat 
im Auftrag des Zentralkomitees für das ärztliche Fortbildungswesen 
in Preussen einen Vortrag verfasst, der in übersichtlicher Weise das 
Wesen dieser Krankheit, ihre Entstehung und Therapie behandelt. 
Diesem Vortrag ist eine grosse Reihe von Lichtbildern und Moulagen 
zugefügt worden. Manuskript und Lichtbilder stehen jedem Arzt, der 
etwa vor Kollegen oder Laien über dieses Thema sprechen will, un¬ 
entgeltlich zur Verfügung. Ebenso steht ein Vortrag von Stabsarzt 
Gins, Mitglied des Instituts für Infektionskrankheiten „Robert 
Koch“, über Pocken und Impfwesen, gleichfalls mit Lichtbildern, 
zur Verfügung. 

— Die Influenza, die vor kurzem Massenerkrankungen in 
Spanien verursachte, tritt jetzt auch in Deutschland epidemisch auf. 
Erkrankungen werden gemeldet aus Bayern (München, Nürnberg, 
Augsburg) aus Berlin, aus Hessen. Ueberall sind die Fälle leicht 
und von kurzer Dauer. Anlass zu irgendwelcher Besorgnis besteht 
nicht. 

— Fleckfieber. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau. In der Woche vom 26. Mai bis 1. Juni wurden 697 Er¬ 
krankungen und (70 Todesfälle) festgestellt, und zwar in der Stadt 
Warschau 245 (33). In der Woche vom 2. bis 8. Juni wurden 604 Er¬ 
krankungen und (42 Todesfälle) gemeldet, und zwar in der Stadt War¬ 
schau 206 (19). — Deutsche Verwaltung in Litauen. In der Woche 
vom 12. bis 18. Mai 246 Erkrankungen und 9 Todesfälle. — Oester- 
reich-TJngam. In Ungarn wurden in der Zeit vom 6. bis 12. Mlai 
27 Erkrankungen (und 5 Todesfälle) gemeldet. Vom 13. bis 19. Mai 
wurden 27 'Erkrankungen (und 1 Todesfall), vom 20. bis 26. Mai 
39 Erkrankungen (und 3 Todesfälle) festgestellt. 

— In der 24. Jahreswoche, vom 9. bis 15. Juni 1918, hatten von 
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Worms mit 47,7, die geringste Hof mit 7,2 Todesfällen pro Jahr und 
1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an 
Masern und Röteln in Aachen, Gleiwitz, Hamborn, an Diphtherie und 
Krupp in Berlin-Weissensee. (Vöff. d. Kais. Ges.A.) 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Prof. Dr. Edmund Förster von der Universität 
Berlin hat den Ruf als Ordinarius für Neurologie an die vlämische 
Universität Gent angenommen; er ist als Privatdozent und Assistent 
der Kinik für psychische und Nervenkrankheiten im Charitee-Kranken^ 


hause beurlaubt, (hk.) — Prof. Dr. Bruno H e y ma nn, Privatdozent 
für Hygiene und Abteilungsvorsteher am Hygienischen Institut ist 
zum Professor ernannt worden, (hk.) — Die Universität weist in 
diesem Sommcrhalbjahr 10 968 immatrikulierte Studierende auf, davon 
sind 2606 Mediziner, darunter 146 Studierende der Zahnheilkunde, (hk.) 

F r e i b u r g i. Br. Besetzung der Professur für Anatomie. Der 
Fakultätsvorschlag lautete: an erster Stelle K a 11 i u s - Breslau, an 
zweiter F i s c h e r - Freiburg. Berufen wurde F i s c h e r - Freiburg. 

Giessen. Die Universität weist im laufenden Semester 1503 
immatrikulierte Studierende auf, davon 359 Mediziner, (hk.) 

Halle. Der Direktor der Augenklinik, Prof. Sc hi eck, ist 
zum Geh. Med.-Rat ernannt worden. 

Hamburg. Der Direktor der Staatskrankenanstalt Langenhorn 
(Hamburg) Prot. Dr. Th. Neuberger ist zum Mitgliede des Ham- 
burgischcn Medizinalkollegiums ernannt worden, (hk.) 

Heidelberg. Die Universität zählt im laufenden Sommer¬ 
semester 2805 Studierende, davon stehen 2787 im Kriegsdienste. Zahl 
der Mediziner 903. (hk.) — Prof. Dr. Karl Wilmanns, Direktor 

der Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz hat den Ruf auf das Ordi¬ 
nariat der Psychiatrie an der Universität Heidelberg als Nachfolger 
von Prof. N i s s 1 angenommen, (hk.) 

Königsberg. Die Universität weist im laufenden Sommer- 
semester 1903 immatrikulierte Studierende auf, davon gelten 1295 als 
beurlaubt. Die medizinische Fakultät zählt 598 Studierende, davon 
15 der Zahnheilkunde, (hk.) 

Leipzig. In der medizinischen Fakultät sind im laufenden 
Semester 1084 medizinische, ausserdem S2 Studierende der Zahnheil¬ 
kunde eingeschrieben, (hk.) 

München. Ernannt wurde vom 1. August d. J. an Prof. Dr. 
Ferdinand Sauerb r u c h von der Universität Zürich zum ordent¬ 
liche]» Professor und Vorstand der chirurgischen Klinik in München 
unter gleichzeitiger Verleihung des Titels und Rangs eines Geheimen 
Hofrates, (hk.) 

Tübingen. Prof. Dr. Schioes s man n, Oberarzt der 
chirurgischen Klinik, geht als Leiter der chirurgischen Abteilung des 
städtischen Krankenhauses nach Bochum. — Der Ordinarius für 
Physiologie, Prof. Dr. Trendelenbug, ist an Stelle von* v. E x n e r 
nach Wien berufen worden. 

Todesfall. 

Im Alter von 84 Jahren verschied der tmer. ord. Professor der 
Anatomie an der Universität Basel Dr. mcd. et phil. Julius K o 11 - 
mann. Er stammte aus Holzheim bei Dillingen in Bayern, wurde 
1862 Privatdozent in München, später a. o. Professor -daselbst und 
übernahm 1878 den Lehrstuhl der Anatomie in Basel als Nachfolger 
von E. Emil Hoff mann. Seit seiner Emeritierung (1913) hatte er 
einen Lehrauftrag für Anthropologie, (hk.) 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben: 
Oberstabsarzt d. Res. a. D. Ernst Kühn e, Statz. 
Feldunterarzt Walter K o e s s 1 e r, Neustadt O.S. 
Feldhilfsarzt Georg Leiber, Cloppenburg. 
Feldunterarzt Hans L ü d e k i n g, Bremen. 
Landsturmpfl. Arzt Ludwig Meier, Freiburg. 
Oberarzt Hugo Meyc r, Briesen. 

Landsturmpfl. Arzt Karl Müller, Bremen. 
Marine-Stabsarzt Viktor Müll e r, Gumbinnen. 
Oberstabsarzt Wilh. Nicolai, Greifswald. 
Ass.-Arzt Hermann Pan ne k, Pless. 

Oberarzt Kurt Parreidt, Leipzig. 

Oberstabsarzt Rieh. Pf lei der er, Heilbronn. 
Stabsarzt d. Res. Ludw. P o m y, Rodenberg. 
Landsturmpf). Arzt Paul Redeker, Herford. 
Feldhilfsarzt Ed. R e i c li 1 e i n, München. 

Oberarzt d. L. Karl Rinderspache r, Kannstatt. 
Unterarzt Erwin R o s I o 1 i o, Lübeck. 

Oberarzt d. Res. Joh. Roth, Schambach. 

Ass.-Arzt d. L. Otto Saame, Eschwege. 


Die Herren Kollegen werden daraf aufmerksam gemacht das« 
es zweckmässig ist, das Honorar für Behandlung eines Kollegen der 

„Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse“ 

zuzuwenden. 

Einzahlungen sind zu machen auf das Scheckkonto Nr. 9263 der 
Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse bei der Bayerischen Hypo¬ 
theken- und Wechselbank München, Theatinerstr. 11 (Postscheck¬ 
konto der Bank Nr. 322). Obligationen und Kriegsanleihen sind zu 
hinterlegen auf das Depot Konto Nr. 75 859 ebenfalls bei der Bayer. 
Hypotheken- und Wechselbank München. 

Münchener Aerztliche Kriegshilfskasse. 

Prof. Dr. Kerschensteiner, Hof rat Dr. Krecke, Dr. Scholl, 
Hofrat Dr. Fr e u d en b e r g e r, Hofrat Dr. Spatz. 


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MÜNCHENER 


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Nr die Sek ri f tl e ltun g: Arambtr. 26 (Sprechstunden •*/«— 1 lAtfi 
Pür Bezug: an 1. r. Lehmann’s Verlag. Paul Heysestrasa* 2a. 
Für Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Moase, TheatinerttraM« 4 


Medizinische Wochenschrift. 


ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Nr. 28. 9. Juli 1918. 

Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 

Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 

65. Jahrgang. 

Der Verlag befallt rieb du ausschliessliche Recht der Vervielfiltignng und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zna Abdmck gelangenden Orlginalbeitrlge vor. 


Originalien. 

Aus der medizinischen Abteilung des chemischen Universitäts¬ 
laboratoriums zu Freiburg i. B. 

Ueber die Ausscheidung des Broms beim Menschen 
nach Einnahme von Bromnatrium. 

Von W. Autenrieth. 

In der M.m.W. habe ich 4 ) seinerzeit darüber berichtet, dass im 
Blute und in den Organen eines Nephritikers, der bei salzarmer Er¬ 
nährung längere Zeit grössere Mengen von Bromnatrium einge¬ 
nommen, dann aber 26 Tage vor seinem Tode kein Bromsalz mehr 
erhalten hatte, sich noch reichlich Brom vorgefunden hat. Nach 
entsprechender Vorbereitung der betreffenden Leichenteile Hess sich 
das Brom in der Asche derselben mit Hilfe einer koloriinetrischen 
Methode rasch und hinreichend genau bestimmen. Nachdem die Me- 
liiode gegeben war, lag der Gedanke nahe, die Ausscheidungsverhält¬ 
nisse des Broms beim Menschen nach Eingabe von Bromnatrium näher 
zu untersuchen, zumal der am Leichnam gemachte Befund zu der¬ 
artigen Versuchen geradezu aufforderte, lieber das Verhalten und die 
Ausscheidung der Bromalkalien im menschlichen und tierischen Or¬ 
ganismus liegt eine grosse Reihe von Untersuchungen vor. Bill 2 ) 
(1868) führte die arzneiliche Wirkung des Bromkaliums darauf zu¬ 
rück, dass es in Berührung mit Chlornatrium zur Bildung von leicht 
in den Urin übergehendem Chlorkalium und von Bromnatrium Anlass 
gibt; das letztere werde aber im Organismus einige Zeit zurückge¬ 
halten. Bereits Bill empfiehlt Kochsalz als Antidot bei auftretender 
Brom Vergiftung, bei Bromismus. Grundlegend waren Versuche, die 
Nencki und Schoumow-Simanowsky 3 ) (1894) an einem koch¬ 
salzarm ernährten Magenfistelhunde angestellt haben, der selbst nach 
grossen Gaben von Bromnatrium mit dem Harn nur wenig Brom 
ausschied, während dessen Magensaft reichlich freie Bromwasserstoff¬ 
säure enthalten hat. Pflaumer 4 ) (1895) hat anlässlich von Ver¬ 
suchen über den Verbleib des Bromwasserstoffpeptons im Körper 
wohl als einer der ersten darauf hingewiesen, dass selbst bei ein¬ 
maliger Darreichung von Bromnatrium auch beim Menschen nur eine 
kleine Menge des eingenommenen Salzquantums ausgeschieden wird, 
und ebenso hatte Sterlin 5 ) (1896) gefunden, dass Bromsalze im 
menschlichen Körper langsam zur Ausscheidung gelangen. Der Frage 
nach der Bromausscheidung bei dauerndem Gebrauche von höheren 
Bromdosen, d. h. unter den Verhältnissen wie sie beim Epileptiker 
Vorkommen, ist R. Laudenheimer 8 ) (1897) nähergetreten. Aus 
diesen Versuchen ging übereinstimmend hervor, dass ganz enorme 
Mengen der Bromalkalien im Körper des Epileptikers aufgespeichert 
werden können; beispielsweise hatte ein Patient, der innerhalb von 
3 Tagen 27 g Bromnatrium erhielt, am Schlüsse des dritten Tages noch 
21,5 g des Bromsalzes in seinem Körper. Dass diese Bromaufspeiche¬ 
rung bei monatelangem Gebrauche von Bromnatrium nicht ad infinitum 
weitergfthpn kann, hat Laudenheimer ebenfalls nachgewiesen, 
denn es tritt nach einer gewissen Zeit eine Art Sättigung des mensch¬ 
lichen Körpers mit Brom ein, indem bei dauernder Darreichung von 
Bromsalzen die Bromausfuhr durch den Urin allmählich steigt, bis 
schliesslich die tägliche Bromausfuhr die Höhe der täglichen Einfuhr 
erreicht. Nach Laudenheimer ladet sich der Organismus des 
Epileptikers zu Beginn einer Bromkur gewissermassen mit Brom 
und halt dieses zähe fest, wenigstens so lange, als die Zufuhr gleich 
bleibt und wenn einmal ein gewisses Maximum der Bromladung erreicht 
ist; er setzt sich mit anderen Worten ins „Bromgleichgewicht“. 
T. Hondo 7 ) (1902) hat die Ausscheidung der Bromsalze bei ge¬ 
mischter kochsalzreicher Kost und auch bei unzureichender Kochsalz- 
zuiuhr untersucht und hierbei festgestellt, dass die Bromsalze im 
enteren Falle rascher und intensiver ausgeschieden werden als bei der 
Unterchlorierungsdiät; im letzteren Falle wurde die Bromausscheidung 
erst nach reichlicher Kochsalzdarreichung wieder ergiebiger. Auch 
C. van Leersum 8 ) (1902/03) hat bei seinen Tierversuchen über 


die Ersetzbarkeit der physiologischen Kochsalzlösung durch aequi- 
molekulare Lösungen anderer Salze die Beobachtung gemacht, dass 
der Tierkörper nach Einspritzung isotonischer Bromnatriumlösungen 
das Brom hartnäckig zurückhält. Im Gegensätze zu Hondo und 
Laudenheimer nimmt H. v. Wyss 9 ) (1906) keine Beeinflussung 
der Bromausscheidung durch erhöhte Kochsalzzufuhr an, denn bei 
einer grösseren Kochsalzeinnahme werde eben mehr Flüssigkeit auf¬ 
genommen und demnach auch mehr Flüssigkeit ausgeschieden; bei 
einer kleineren Einnahme aber entsprechend weniger. Parallel mit 
der Bromausscheidung gehe also beim Gesunden die Wasserbilanz des 
Körpers. H. v. Wyss weist darauf hin, dass daher zum Vergleiche 
verwertbare Bromausscheidungszahlen nur dann erhalten werden, 
wenn man die prozentualischen Zahlen der Vergleichung zu¬ 
grunde legt und nicht die absoluten Bromausfuhrzahlen; man dürfe 
also nicht die Zahlen der Totalbromausscheidung für 24 Stunden in 
ihrem Verhältnis zueinander vergleichen. Bei der letzteren Betrach¬ 
tungsweise beobachtet man nur zu oft an den Tagen gleicher Brom¬ 
zufuhr überraschende Schwankungen vollständig gesetzloser Art; mit 
dieser scheinbaren Regellosigkeit gehen aber ganz parallel die Schwan¬ 
kungen in den Diuresengrössen; als dann v. Wyss die Brom¬ 
ausscheidung prozentualisch ausrechnete, zeigten sich die Regel¬ 
mässigkeiten, die die Gesamtzahlen vermissen Hessen, recht deutlich, 
v. Wyss und ebenso v. Wyss und Ulrich 10 ) (1909) geben aus¬ 
drücklich an, dass reichliche Kochsalzzufuhr neben der Bromdar- 
reichung die Bromelimination nicht zu beschleunigen vermag; 
v. Wyss bestreitet ausdrücklich, dass Kochsalz eine Austreibung 
des Broms aus dem Körper bewirken könne. Demgegenüber hält 
Laudenheimer 11 ) (1910) auf Grund der Ergebnisse neu ange- 
stellter Versuche an seiner früher ausgesprochenen Ansicht fest, dass 
nämlich beim chronisch bromierten Menschen durch reichliche Chlor¬ 
zufuhr (20 g NaCl täglich) die Bromausscheidung derartig gesteigert 
werde, dass der Prozentgehalt des Urins an Bromiden manch¬ 
mal um mehr als das Doppelte sich erhöht. Dieses leite unwill¬ 
kürlich zu der Annahme, dass der Heileffekt des Kochsalzes bei Brom¬ 
vergiftung, zum Teil wenigstens, auf direkter Eliminierung ange¬ 
stauter Brommassen beruhe. Eine indirekte Salzwirkung, etwa 
durch Steigerung der Diurese, wie v. Wyss und Ulrich annehmen, 
schliesst Laudenheimer bei den von ihm untersuchten Fällen aus. 
Auch Versuche, die A. E11 i n g e r und Yashiro K o t a k e 12 ) (1910) an 
Kaninchen angestellt haben, sind zugunsten der von Lauden¬ 
heimer vertretenen Anschauung in dieser Frage ausgefallen. Die¬ 
selben hatten zwei Kaninchen so lange Bromnatrium eingegeben, bis 
ca. 24 Proz. des nach Molen'berechneten Gesamthalogens im Blute 
durch Bromnatrium ersetzt war. Dann erhielt das eine Tier Kochsalz, 
das andere Natriumazetat, wodurch die Diurese wiederum gleichmässig 
gestaltet wurde. Die Bromausscheidung bei dem „Kochsalztier“ war 
aber viel grösser als bei dem „Natriumazetattier“ und der Bromgehalt 
des Blutes sank gleichzeitig von 24 auf 9 Proz. des Gesamthalogens, 
während der des Natriumazetatkaninchens noch um ein Geringes an- 
stieg. Nach E11 i n g e r und K o t a k e existiert also die von v. Wyss 
bestrittene Verdrängung der Bromide aus dem Organismus durch 
Chloride. Nach Ansicht aller Autoren, die sich mit der Frage be¬ 
schäftigt haben, findet bei Aufnahme von Bromsalzen eine Anhäufung 
derselben im Blute statt und zwar auf Kosten der Chloride, die durch 
das Bromnatrium verdrängt, also durch dieses ersetzt werden. Nach 
Versuchen von Bönninger 11 ) (1907) an Hunden nimmt bei dieser 
Verdrängung die Gesamtkonzentration des Blutes nicht zu und auch 
v. Wyss hat feststellen können, dass nach Bromnatrium die Summe 
der Halogene im Blute nur sehr wenig oder gar nicht zunimmt, dass 
sich das Brom einfach an Stelle des Chlors setzt; infolgedessen 
bleibt auch der Gefrierpunkt des Blutes normal. 
Die Ausscheidung des Broms durch die Nieren gehe proportional der 
Bromkonzentration im Blute vor sich und daher finde man im Ham 
die absoluten Brommengen schwankend und zwar mit der Harnmenge, 
während der prozentuale Bromgehalt des Harns annähernd konstant 
bleibt, wenn einmal bei fortdauernder Bromzufuhr Gleichheit der 
Aufnahme und Ausscheidung eingetreten ist. Ernst Frey 1 ') (1911) 


M.m.W. 1918 Nr. 2 S. 33. 

Virchows Arch. 1868. 

Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 34. 3^3. 1894. 
8 ) Dissertation Erlangen 1895. 

•) Ther. Mh. 1896 Nr. 9. 
e ) Neuro!. Zbl. 1897 Nr. 12 S, 83«. 

7 ) B.kl.W. 39. 205. 1902. 

Nr. ?8, 

Digitus:: b y 


Gougle 


8 ) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 49. 84. 1902/03. 

®) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 55. 266. 1906. 

10 ) Arch. f. Psych. 1909. 200. 
u ) Neurol. Zbl. 29. 1910. S. 461. 

12 ) Med. Kl. 6. Jhrg. 1474. 1910. 

,s ) Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 4. 414. 1907. 

14 ) Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 8. 29. 1911. 

By Original from l 

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750 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


vertritt -die Ansicht, dass die Niere Bromnatrium und Chlornatrium 
nicht voneinander unterscheiden könne, denn sie eliminiere die beiden 
Halogene unterschiedslos in dem Verhältnisse wie sie das Blutserum 
enthält. Es findet die Ausscheidung von Bromid so statt, als sei 
es Chlorid; das gegenseitige Verhältnis der beiden Halogene im 
Harn sei das Spiegelbild ihres Verhältnisses im Blutserum zueinander. 
Die Bromretention im Blute beruht nach Frey auf der Unfähigkeit 
der Niere, Brom von Chlor zu unterscheiden. Wächst der Halogen¬ 
gehalt des Blutes durch eine Bromgabe, so scheidet die Niere das Plus 
an Halogenen aus, aber, dem Verhältnisse der beiden im Blute ent¬ 
sprechend, zunächst erheblich mehr Chlor als Brom. Obwohl also 
eine recht stattliche Anzahl von Arbeiten über das Verhalten der 
Bromsalze im menschlichen und tierischen Organismus bekannt ist, 
sind unsere Kenntnisse über die Ausscheidung des Broms bei Nieren¬ 
erkrankung andererseits noclL recht lückenhaft. Leva 15 ) (1911) war 
wohl der Erste, der solche Untersuchungen an Kaninchen angestellt 
hat, bei denen vorher durch Eingabe von Urannitrat eine Nieren¬ 
entzündung künstlich hervorgerufen wurde. Ein Teil der Versuchs¬ 
tiere erhielt dann Kochsalz, ein anderer die äquivalente Menge 
Bromnatrium 16 ). Der Versuch ergab, dass die „Chlortiere“ durchwegs 
mehr Wasser getrunken, aber weniger Urin ausgeschieden haben als 
die „Bromtiere“; die letzteren zeigten im allgemeinen eine bessere 
Diurese und eine erheblich geringere Flüssigkeitsretention als die 
Chlortiere. Da das Bromnatrium im tierischen Organismus das Chlor¬ 
natrium nicht nur verdrängen, sondern auch ersetzen kann, so über¬ 
nimmt es auch wie dieses die Regelung der molekularen Konzentration 
der Körpersäfte, wie dies v. Wyss dadurch bewiesen hat, dass der 
Gefrierpunkt des Blutserums nach reichlichem Verdrängen des Chlors 
durch Brom der gleiche geblieben ist. Es liegt die Frage nahe, ob das 
Brom ähnlich wie das Chlor auch von der kranken Niere stärker 
zurückgehalten wird als von der gesunden und ob es durch ent¬ 
sprechende Wasserzurückhaltung auch zur Entstehung von Oedemen 
führen kann oder ob dies nicht der Fall ist. Die Ergebnisse der 
von Leva angestellten Tierversuche lassen diese Fragen in ver¬ 
neinendem Sinne beantworten. Aus dieser Zusammenstellung von 
Arbeiten über das Verhalten der Bromsalze im menschlichen Organis¬ 
mus, besonders nach Eingabe von Bromnatrium, geht hervor, dass 
manche Punkte in der Bromfrage noch nicht vollkommen aufgeklärt 
sind; besonders in der Frage der Verdrängung des Bromnatriums 
durch Chlornatrium gehen die Ansichten der verschiedenen Autoren 
auseinander. Aber auch über die Ausscheidung des Bromnatriums 
beim Nierenkranken dürften noch weitere Untersuchungen wünschens¬ 
wert erscheinen, zumal dieses Salz in neuerer Zeit bei chlorarmer 
Ernährung für die Qeschmacksverbesserung empfohlen wird. 
H. S t r a u s s 17 ) (1910) hat das Bromnatrium zur Erzielung eines Salz¬ 
geschmackes in einer Menge von K—Vs g pro dosi empfohlen; der¬ 
selbe Forscher lässt neuerdings 18 ) (1916) zum Würzen der Speisen 
r.ie mehr als % bis höchstens 1 g Bromnatrium pro die verwenden. 

Im Hinblick auf die obigen Bemerkungen dürfte jede, noch so 
kleine Arbeit, die einen Beitrag zur Frage der Ausscheidung des 
Bromnatriums beim nierengesunden und nierenerkrankten Menschen 
liefert, willkommen sein. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, 
lasse ich die Ergebnisse meiner Versuche folgen. 

Zur Methodik. Hondo, v. Wyss sowie El 1 in g er und 
Kotake haben Harn sowohl wie Blut jeweils unter Zugabe von 
Natrium- oder Natrium-Kalium-Karbonat. ohne ein Oxydationsmittel, 
verascht und hierbei Trockenrückstände erhalten, die mit Wasser 
farblose oder nur wenig gefärbte Auszüge lieferten; diese wurden 
dann mit Kaliumdichromat und Schwefelsäure versetzt, das hierdurch 
frei gewordene Brom, ohne zu erwärmen, mit Hilfe eines Luftstromes 
in eine Jodkaliumlösung übergeführt und schliesslich das Jod, das 
durch das Brom verdrängt wurde, auf massanalytischem Wege be¬ 
stimmt. Eil in g er und Kotake haben dieses Verfahren in der 
Weise geändert, dass sie die zu analysierende Flüssigkeit auf 50 bis 
60° erwärmten und dadurch die* Dauer des Luftdurchleitens um einige 
Stunden abkürzen konnten. Besonders bei Blut, aus dem das Eiweiss 
nach S e e g e n entfernt wurde, dauerte die völlige Austreibung des 
Broms ausserordentlich lang, nämlich bis 36 Stunden! Das Verfahren 
der Veraschung des Harns ohne Zugabe eines Oxydationsmittels hat 
nach unseren Erfahrungen keine Vorteile, ist zudem recht zeitraubend 
— eine Veraschung nach Hondo beansprucht ungefähr 2 Stunden — 
und liefert keine besseren Werte für Brom wie eine Veraschung unter 
Anwendung von wenig Salpeter. Nach Hondo Söll aus dem 
Trockenrückstande des Harns in der Schale, in der der Ham ein¬ 
gedampft worden, „eine Schmelze bereitet werden“; dies gelang nie, 
denn selbst bei längerem Erhitzen der Porzellanschale, die selbst- 


18 ) Med. Kl. 7. Jahrg. 1911 S. 1582. 

16 ) Leva schreibt darüber: „Ein Teil der Tiere erhielt nun dazu 
{% g (= 1,75g) Kochsalz in 25 ccm Wasser mittels eines Katheters 
ln den Magen eingeführt, ein anderer Teil die äquivalente 
Menge, also 0,976 g, Bromnatrium, in ebenfalls 25 ccm in gleicher 
Weise zugeführt.“ Nach der Gleichung 58,45 (NaCl) : 103 (NaBr) 
= 1,75 : X (X = 3,083) ist die 1,75 g Kochsalz äquivalente Menge 
Bromnatrium 3,083 g. Sollte sich in die Abhandlung von Leva nicht 
ein Druckfehler eingeschlichen haben, so dürfte sich eine Wieder¬ 
holung dieses immerhin grundlegenden Versuches mit äquivalenten 
Mengen von Chlornatrium und Bromnatrium empfehlen. 

17 ) Jahreskurse f. ärztl. Fortb. 1910. H. 8. S. 56. 

M ) H. 3 t r a u s s: Die Nephritiden. 1916. S. 133. 

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verständlich nicht über einem Gebläse erhitzt werden kann, sinterte 
der Trockenrückstand höchstens zusammen, ohne aber richtig zu 
schmelzen. Auch der wässerige Auszug dieser „Schmelze“ war immer 
mehr oder weniger braun gefärbt und konnte niemals farblos erhalten 
werden. Zum Vergleiche der beiden in Frage kommenden Methoden 
wurden je 100 ccm Harn mit bestimmten Mengen Bromkalium ver¬ 
setzt und nach dem Eindampfen und der Veraschung der Bromgehalt 
der Rückstände auf kolorimetrischem Wege ermittelt. 

I. 100 ccm Harn 4* 24 mg KBr. 

a) Veraschung nach Hondo. Gefunden: 21,3 mg KBr. Ver¬ 
lust: 2,7 mg. 

b) Veraschung mit Salpeter und Soda. Gefunden: 22,7 mg KBr. 
Verlust: 1,3 mg. 

II. 100 ccm Harn -f 36 mg KBr. 

a) Veraschung nach Hondo. Gefunden: 30,1 mg KBr. Ver¬ 
lust: 5,9 mg. 

b) Veraschung mit Salpeter und Soda. Gefunden: 34,6 mg KBr. 
Verlust: 1,4 mg. 

III. 100 ccm Harn -f 30 mg KBr. 

a) Veraschung nach Hondo. Gefunden: 26,4 mg KBr. Ver¬ 
lust: 5,6 mg. 

b) Veraschung mit Salpeter und Soda. Gefunden: 29,2 mg KBr. 
Verlust: 0,8mg. 

Die verhältnismässig grossen Bromverluste bei der Veraschung 
ohne Oxydationsmittel sind vielleicht darauf zurückzuführen, dass bis 
zum Zusammensintem des mit organischen Stoffen meist stark ver¬ 
unreinigten Trockenrückstandes ein längeres Erhitzen notwendig 
ist; unter diesen Bedingungen, zumal durch das Erhitzen in einer 
flachen Porzellanschale, können sich aber Spuren von Brom ver¬ 
flüchtigen. 

Veraschung des Harns und kolorimetrische Be¬ 
stimmung des Broms in der Asche. 

Je nach der Menge Brom, die voraussichtlich vorhanden ist, wer¬ 
den 20, 50, 100 oder mehr Kubikzentimeter Ham verarbeitet. Der ab¬ 
gemessene Harn wird nach Zusatz von ca. 1 g Natriumkarbonat und 
K—1 g Kaliumnitrat in einem geräumigen tieferen Nickeltiegel, der 
nur zur Hälfte gefüllt sein soll, zur Trockne verdampft, und zwar 
erhitze man gegen Ende der Verdampfung den Tiegel vorsichtig mit 
kleinerer Flamme, um jeden Verlust durch etwaiges Herausspritzen 
und zu lebhaftes Verpuffen zu vermeiden. Es hat sich als zweck¬ 
mässig erwiesen, den Tiegel nicht von unten, sondern von der Seite 
•her zu erhitzen, wodurch ein rasches Eindampfen des Harns erreicht 
wird, ohne dass dieser grosse Neigung zum Ueberschäumen. zeigt. 
Durch Aufstreuen jeweils kleiner Mengen von fein zerriebenem Sal¬ 
peter und weiteres Erhitzen, zweckmässigerweise unter Schieflegen 
und Drehen des Tiegels, werden die noch vorhandenen Kohlenteilchen 
entfernt, und es schmilzt schliesslich die ganze Masse zusammen. 
Selbstverständlich ist ein allzu starkes und ein unnötigerweise langes 
Erhitzen der Schmelze immer zu vermeiden: aber selbst dann tritt 
kaum ein Verlust an Bromnatrium ein, da die Spannkraft des Brom¬ 
natriumdampfes nur gering ist und sich daher das etwa in Dampf¬ 
form befindliche Bromsalz an den kälteren Teilen des tiefen bedeckten 
Tiegels wieder niedergeschlagen würde. Im allgemeinen genügen 1—2 g 
Kaliumnitrat, um die kohligen Teilchen der Asche aus 100 ccm Harn voll¬ 
ständig zu -verbrennen. Die erkaltete Schmelze wird mit nicht mehr 
als 20 ccm Wasser aufgeweicht, da ja Bromnatrium in Wasser sehr 
leicht löslich ist, und im Tiegel selbst, ohne vorher zu filtrieren, mit 
verdünnter Schwefelsäure fast neutralisiert, so dass rotes Lackmus¬ 
papier gerade noch schwach gebläut wird. Nun bringt man den meist 
trüben Inhalt des Tiegels, unter Nachspülen desselben mit 10—20 ccm 
Kaliumbisulfatlösung (mit lOproz. KHSO«), ohne Verlust in einen 
mittelgrossen Scheidetrichter und fügt 20 ccm reines Chloroform sowie 
tropfenweise 3proz. Kaliumpermanganatlösung, bis diese nicht mehr 
entfärbt wird, und schliesslich nochmals 15—20 Tropfen derselben 
hinzu. Man lässt den Scheidetrichter, verschlossen und vor Licht 
geschützt, ca. V* Stunde lang ruhig stehen; erst fetzt schüttelt man 
gut durch, lässt die abgeschiedene Bromchloroformlösung in einen 
trockenen Glasstöpselmesszylinder möglichst vollständig abfiiessen, 
schüttelt noch ein zweites und, falls reichlich Brom vorhanden ist, 
noch ein drittes Mal mit neuen Mengen Chloroform aus, lässt auch 
diese Auszüge in den Messzylinder abfiiessen und verdünnt schliesslich 
mit Chloroform auf ein bestimmtes Volumen. Sollte die Bromchloro¬ 
formlösung nicht vollkommen klar sein, so schüttelt man dieselbe mit 
Papierschnitzel oder giesse sie durch ein trockenes Filterchen und er¬ 
mittle dann von der klaren Lösung die Farbstärke im Kolori¬ 
meter. Man erfährt dann aus der Eichungskurve des Vergleichskeils 
den Bromgehalt der untersuchten Bromchloroformlösung in der Weise, 
dass man in der Kurve den Punkt der Abszisse aufsucht, der dem im 
Kolorimeter für gleiche Farbstärke ermittelten Skalenteile entspricht. 
Man erfährt so die Milligramm Bromnatrium, die dem Brom von 
10 ccm der hergestellten Bromchloroformlösung entsprechen. 

Bemerkungen. Kaliumbisulfat oder saures schwefelsaures 
Kalium zerfällt mit Wasser teilweise in neutrales Sulfat und Schwefel¬ 
säure: 2 SO«K'H = SOdG -b SO«H*; das neutrale Salz, als schwer 
löslich kristallisiert daher aus einer gesättigten Lösung des Bisulfats 
aus, und andererseits entzieht heisser Alkohol dem Bisulfat freie 
Schwefelsäure. Auf der Abspaltung dieser Säure mit Wasser beruht 
auch dessen Verwendbarkeit bei der beschriebenen Bestimmungs- 

Qrigiiraal fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




«J. Mi 1918. 


MÜEMCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIF?. 


751 


methode des ‘Broms. Statt des B&sulfats kann auch verdünnte 
Schwefelsäure von ca. 5 Proz. H 2 SO 4 verwendet werden. 

Von den in der Tabelle auf genommenen Brombestimmungen 
haben wir stets zwei Bestimmungen ausgeführt, nämlich die eine 
unter Verwendung von Kaliumbisulfatlösung ( 10 — 20 ccm) und die 
andere unter Zugabe von verdünnter Schwefelsäure (5 ccm), hierbei 
wurden untereinander gut übereinstimmende Resultate erzielt. Bei 
chlorreichen Harnen ist dem Kaliumbisulfat der Vorzug zu geben, 
weil die Schwefelsäure in diesem Falle, besonders wenn sie in zu 
grossen Mengen angewandt wird, zur Bildung von freiem Chlor und 
von Chlorbrom beitragen könnte. Grössere Mengen Harn, 200 ccm und 
mehr, dampft man zunächst in einer Porzellanschale über freiem Feuer 
auf ein kleineres Volumen ein und führt dann das Verdampfen zur 
Trocknfc und die Veraschung in einem Nickeltiegel aus. Das Gemisch 
aus Bromid-, Kaliumbisulfat- und Kaliumpermanganatlösung lasse man 
mindestens X A Stunde lang stehen, weil sonst leicht zu wenig Brom 
gefunden wird, wie ein Versuch ergeben hat. Ein Zusatz von Chloro¬ 
form zu diesem Gemische vor dem Ausschütteln des frei gewordenen 
Broms ist zu empfehlen, weil sonst beim nachträglichen Eingiessen 
von Chloroform durch Verdunsten ein Verlust an Brom eintreten 
könnte. 

Beispiel für die Berechnung. 24 ständige Harnmenge: 
3300ccm. Für die Bestimmung abgemessen: 100enn Harn. Brom¬ 
chloroformlösung: 40 ccm. Gleiche Farbstärke: bei Skalenteil 56 
. - 7,09 mg NaBr, die dem Brom von 10 ccm der Chloroformlösung ent¬ 
sprechen; somit haben 100 ccm Harn 4X7,09 = 28,36 mg und die 
Tagesmenge Harn hat 33 X 28,36 = 930,8 ( 8 ) mg Bromnatrium ent¬ 
halten. 

Versuche. Eine nierengesunde Person, im Alter 
38 Jahren, erhielt im Laufe von 8 Stunden 4 g Bromuatrium; 
die Ernährung war gemischte „Kriegskost“ bei ziemlich reichlicher 
Aufnahme von Kochsalz und genügender Flüssigkeitszufuhr. Der je¬ 
weils in 24 Stunden gelassene Harn wurde sorgfältig gesammelt, gut 
gemischt und alsdann das Brom in einer Probe desselben in der an¬ 
gegebenen Weise kolorimetrisch bestimmt. Anfangs' wurden für 
e ne Brombestimmung 100 ccm, später 200 ccm und schliesslich % Liter 
Harn in Arbeit genommen. 

Die Versuche wurden so lange fortgesetzt, bis wir selbst 
in einer grösseren Harnmenge (500 ccm) keine bestimmbaren Mengen 
von Brom vorgefunden haben, ln Tabelle 1 (vergl. den 'Nachtrag) 
sind die täglich ausgeschiedenen Bromnatriummengen und die pro- 
zentualischen Bromausscheidungszahlen, ebenfalls auf Bromnatrium 
ausgerechnet, aufgenommen. Aus dieser Tabelle ist zu ersehen, dass 
bei der einmaligen Bromnatriumdarreichung am 1 . Versuchstage ver¬ 
hältnismässig wenig, am 2 . Tage schon erheblich mehr Bromnatrium 
ausgeschieden wurde, um schliesslich am dritten Tage nach der 
öromgabe das Maximum der Bromausfuhr zu erreichen. Dieselbe 
Gesetzmässigkeit gilt für die prozentualischen Bromausscheidungs¬ 
zahlen. Vom 3. Tage an nahm dann die Bromausfuhr rasch ab. Um 
diesen merkwürdigen Befund zu kontrollieren, wurden am 6 . Tage 
nach der ersten Bromgabe nochmals 4 g Bromriatrium eingegeben; 
hierbei wurde die gleiche Beobachtung gemacht; wiederum am 3. Tage 
nach der Bromgabe, also am 9. Versuchstage, waren die absoluten 
und prozentualischen Bromausfuhrzahlen am höchsten, um dann 
anfangs ziemlich rasch, später aber langsamer abzunehmen; vom 
19. Versuchstage an zeigte die Bromausfuhr geringere Schwankungen, 
denn in der Zeit vom 19. bis 34. Tage, also innerhalb von 14 Tagen, 
wurden täglich 50— 10 mg Bromnatrium ausgeschieden. Am 35 . Ver¬ 
suchstage konnte zum erstenmal kein Brom mehr im Ham nachge¬ 
wiesen werden, und zwar auch dann nicht, als 500 ccm Harn verarbeitet 
w urden. Andere Regelmässigkeiten in der Bromausfuhr konnten nicht 
suigefunden werden. Auch de prozentualischen Bromausscheidungs¬ 
zahlen lassen nur die eine Gesetzmässigkeit erkennen, dass sie all¬ 
mählich abnehmen. Die Schwankungen, die hierbei Vorkommen, sind 
vielleicht auf einen verschieden grossen Kochsalzgehalt in der Nahrung 
an den verschiedenen Versuchstagen zurückzuführen. Soviel geht 
aber aus den Versuchen deutlich hervor, dass das Brom nach Ein¬ 
nahme von nur 8 g Bromnatrium, auf 2 Tage verteilt, selbst bei koch¬ 
salzreicher gemischter Kost vom nierengesunden Menschen hart¬ 
näckig zurückgehalten und immer nur in kleinen Mengen ausgeschieden 
wird, so dass die Ausscheidung durch die Nieren ausserordentlich 
.änge anhält. Selbst am 30. Tage nach der letzten Bromgabe von 
4 g NaBr. fanden sich noch 9 mg des letzteren in der 24 ständigen 
Harnmenge vor. Im ganzen wurden von- den einverleibten 8 g Brom- 
ratrium im Harn von 34 Tagen 5,68 g wiedergefunden, das sind 
71 Prozent! Diese Menge an wiedergefundenem Bromsalz kann 
als eine recht beträchtliche bezeichnet werden-, wenn man in Betracht 
zieht, dass beim Aufsammeln des Urins aus verschiedenen Gründen 
immer eine gewisse Menge verloren geht, und dass sich dieser 
Verlust, auf die lange Versuchsperiode berechnet, schliesslich in er¬ 
heblicher Menge bemerkbar macht. Ferner kommt hierbei die Aus¬ 
scheidung kleiner Mengen von ßroirmatrium in den Darm in Frage; 
nach Laudenheimer erscheinen 3—5 Proz. ctes aufgenommenen 
Bromnatriums in den Fäzes wieder; auch in dem Schweiss soll Brom 
in Spuren übergehen. Endlich müssen die zwar kleinen aber un¬ 
vermeidlichen Verluste an Brom bei der Veraschung des Harns in 
Betracht gezogen werden. 

Um das Ausscheidungsverhalten des Broms bei Nierenschädigung 
kennen zu lernen, wurden zwei Nierenkranken in der gleichen 
Weise je 4 g Bromnatrium ynd^am 6 . Versuchstage 4 weitere Gramm 

Digitlzedby (jOOQiC 


des Bromsalzes eingegeben. Beide Patienten. F. und T., erhielten 
die übliche kochsalzarme Kost, wie Herr Hofrat Dr. T a e g e 
die Güte hatte mir mitzuteilen. Die Ergebnisse dieser Versuchsreihe 
sind in Tabelle 2 niedergelegt. Der Eiweissgehalt des Harns von T. 
betrug 1,10 und der des F.schen Harns 1,0 pro mille. Die Prüfung 
der Nierenfunktion nach Rowntree-Geraghty hat bei beiden 
Patienten eine nur unbedeutende Funktionsstörung ergeben, denn- es 
wurden vom eingespritzten Phenolsulfophthalein wieder ausge¬ 
schieden bei F. nach der ersten 38. der zweiten 28, der dritten und 
vierten Stunde 10, zusammen 77 Proz., bei T. nach der ersten 35, 
der zweiten 15, der dritten und vierten Stunde 10, zusammen 70 Proz. 

Auch diese beiden Nierenkranken haben am 1. Tage nach der 
Bromnatriumgabe das Brom in äusserst geringer Menge, nämlich nur zu 
Väo der eingenommenen Menge mit dem Harn ausgeschieden, am 

2. Tage war die Ausscheidung erheblich grösser, ca. V*7, und am 

3. Tage wurde ein Maximum der Bromausfuhr erreicht. Die gleiche 
Beobachtung wurde gemacht, als am 6. Tage nach der ersten Brom¬ 
darreichung weitere 4 g Bromnatrium eingegeben wurden; am 8. und 
9. Tage war das Maximum der Bromausscheidung erreicht, wie aus 
den absoluten (a) und den- prozentualischen (p) Bromausfuhrzahlen zu 
ersehen ist. Näheres in Tabelle 2. (Vergl. den Nachtrag.) 

Bromausscheidungszahlen von 
Tweer Fischer 

a p a p 

2. Tag: 143 mg NaBr 5,9 mg NaBr 148,5 mg NaBr 3,7 mg NaBr 

3. „ 151 „ „ 6,9 „ „ 170 „ „ 4,25 „ „ 

8. „ 325 „ „ 12,8 „ „ 248,8 „ „ 3,45 „ 

9. „ 291 „ „ 8,1 „ „ 249 „ „ 4,15 „ 

T. hat dann nur noch einmal, am 15. Versuchstage, eine grössere 
Menge, nämlich 315 mg Bromnatrium, und F. sogar am 18. Tage 
nach der ersten Bromdarreichung eine solche von 297 mg NaBr aus¬ 
geschieden. Im Vergleiche zum Bromausscheidungsverhalten der 
nierengesunden Person ist deutlich zu erkennen, dass die Bromausfuhr 
bei dien beiden Nephritikern, die freilich kochsalzarrti ernährt wur¬ 
den, erheblich langsamer erfolgte als bei jener. Dies ist am besten 
daraus zu ersehen, wenn man die von 10 zu 10 Tagen ausgeschiedenen 
Bromnatriummengen miteinander vergleicht. 

Nierengesunde Nierenkranke: 

Person: Tweer Fischer 

Gesamtausscheidung an Bromnatrium 
Nach den ersten 10 Tagen: 4055 mg 1732 mg 1659 mg 

„ 20 Tagen: 5359 „ 3710 „ 3897 „ 

„ 30 „ 5655 „ 4793 „ 4858 „ 

Ferner wurde einem Nierenkranken, der ebenfalls koch- 
salzarm ernährt wurde, während längerer Zeit täglich edne be¬ 
stimmte Menge Bromnatrium eingegeben. Der Eiweissgehalt des 
Harns betrug 0,18 Prom.; die Funktionsprüfung nach Rown¬ 
tree-Geraghty Hess keine erheblichere Funktionsstörung er¬ 
kennen, denn es wurden vom eingespritzten Phenolsulfonphthalein 
wieder ausgeschieden: in der ersten Stunde 38,5, in der zweiten 31, 
in der dritten und vierten Stunde 19, also zusammen 88,5 Proz. — Es 
wurden zunächst 10 Tage lang täglich je 1 g, dann während 17 Tagen 
je 1,5 g Bromnatrium eingegeben; eine Sättigung des kochsalzarm 
ernährten Nephritikers war nach diesen 27 Versuchstagen noch 
lange nicht eingetreten; von einem „Bromgleichgewicht“ konnte nicht 
die Rede sein. Die absoluten wie die prozentualischen Bromausfuhr¬ 
zahlen zeigen grosse Schwankungen und lassen keine Regelmässig¬ 
keiten in der Bromausscheidung erkennen. So wurden beispielsweise 
am 17. Tage nach der ersten Bromgabe 1043 mg NaBr mit der pro¬ 
zentualen Ausfuhr von 80 mg ausgeschieden, während 6 Tage später, 
bei gleicher täglicher Bromgabe von 1,5 g Bromnatrium, 
nur 563 mg NaBr, mit der prozentualen Ausfuhr von 38 mg NaBr, 
zur Ausscheidung gelangten. Dies sind aber ausserordentlich grosse 
Schwankungen in der Bromausfuhr und zwar solche von völlig gesetz¬ 
loser Art. Als dann am 28. und 29. Versuchstage je 4 g Bromnatrium 
eingegeben wurden, stieg zwar die Ausfuhr auf 1620mg NaBr, fiel 
aber an den folgenden Tagen, bei einer täglichen Bromnatriumgabe 
von je 1,5 g wieder auf 1142, 893 und selbst auf 818 mg NaBr. Eine 
Sättigung des Körpers mit Brom war also auch unter diesen Versuchs¬ 
bedingungen nicht eingetreten. 

Eine bemerkenswerte Tatsache konnte festgestellt werden, dass 
nämlich auch nach dem Aussetzen des Bromnatriums noch recht erheb¬ 
liche Brommengen ausgeschieden wurden; am 4. Tage nach der letzten 
Bromgabe betrug die ausgeschiedene Bromnatriummenge sogar 
1507 mg. 

Endlich erhielt eine nierengesunde Person bei gemischter 
kochsalzreicher Kost und reichlicher Flüssigkeitszufuhr täglich 2 g 
Bromnatrium und vom 10. Versuchstage ab ausserdem täglich noch 
15—20 g Chlornatrium. Hierbei zeigte sich die Gesetzmässigkeit, 
dass dieBromausfuhr ganz allmählich anstieg, so dass 
schon am 10. Versuchstage ein annäherndes Bromgleich- 
gewicht mit einer Totalbromausscheidung von 2040 mg und der 
prozentualischen Ausfuhr von 64 mg NaBr erreicht war. Als dann 
am folgenden Tage mit der Kochsalzzufuhr begonnen wurde, stieg 
zwar die Tagesausfuhr einmal auf 2542 mg NaBr = 127 Proz. der 
eingenommenen Menge, aber die prozentualische Ausfuhr betrug nur 
72,6 mg NaBr. Mit einer einzigen Ausnahme am 17. Versuchstage 
mit der Totalbromausscheidung von 2389 mg = 119,4 Proz. NaBr 

Original fror i* 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28 . 


und der prozentualischen Bromausscheidungszahl 79,2 überstiegen 
die letzteren Zahlen die beim -annähernden Bromgleichgewicht ohne 
besondere Kochsalzzufuhr erhaltene Prozentzahl von 
64mgNaBr nur unwesentlich. Nach dem Aussetzen des Brom¬ 
salzes am 20. Tage betrug die Bromausfuhr .am folgenden Tage 
immerhin noch 1870 mg 'NaBr. — Die in der nachstehenden Tabelle 
niedergelegten Ergebnisse dieser Versuchsreihe sprechen zugunsten 
der von H. v. Wyss ausgesprochenen Anschauung, dass selbst eine 
grössereKochsalzgabe ohne Einfluss auf die Broin- 
ausscheidung bleibt. 


Tabelle. 

Eine nierengesunde Person erhielt täglich 2g Bromnatrium, 
vom 10. Versuchstage an ausserdem 15—20 g Chlornatrium._ 


T«f 

Diurese bi 
ccm 

a 

Oesamtausschel- 
düng an Brom¬ 
natrium in 
MÜigramm 

p 

Ausscheidung an 
Bromnatrium für 
100 ccm Haru in 
Milligramm 

Ausscheidung an Bromnatrium, 
bezogen auf die Fagesgabe von 
2 g NaBr in 

Prozenten j Bruchteilen 

1. 

2550 

238 

9,3 

11,3 

V„ 

2. 

3950 

491 

12,4 

24,5 

>/i 

3. 

3250 

692,3 

21,3 

34*1 

Vs 

4. 

3» 

933 

28,2 

48,7 

V* 

5. 

1800 

730 

40,1 

36,4 

V, 

6» 

2020 

1025 

50,7 

51,2 

V, 

7. 

2000 

1105 

55,3 

55,4 

s / 6 

8. 

3250 

1800 

55,4 

90,1 

9 /,o 

9. 

28 J0 

1745 

62,1 

88,5 

9/ 10 

10, 

3200 

2048! 

64,0! 

102,0! 

Vt! 

11. 

2500 

1*02 

64,1 

80,1 

4 / # 

12. 

3500 

2542 

72,6 

127,1 

V 6 

13. 

3100 

1986 

64,1 

100,2 

V, 

14. 

2700 

1700 

63.2 

88,0 

9 /.o 

15. 

2400 

1745 

72,7 

87,5 

9 /i. 

16. 

2400 

1580 

65,7 

79,0 


17. 

3000- 

2389 

79,2 

119,4 


18. 

2600 

1665 

64,0 

88,3 

9 /t« 

19. 

5100 

3311 

65,0 

165,5 

,7 /„ 

SO. 

4300 

2581 

60,0 

129,1 

V, 

21. 

3600 

1870 

51,9 

91,0 

9 /io 


a = absolute, p = prozentualische Bromausscheidungszahlen. 


Blut. Zur Entscheidung der Frage, ob sich das bei Brom- 
natriumdarreichung im Blute zirkulierende Brom im Serum vorfindet 
oder ob es auch mehr oder weniger lest an die Körperchen gebunden 
ist, haben wir Blut von einem Nierenkranken, der längere Zeit Brom¬ 
natrium erhalten hatte, auf seinen Bromgehalt untersucht und in 
20 ccm dieses Blutes 6,93 mg NaBr gefunden, was einem Qehalt von 
34,65 mg in 100 ccm oder von 1,73 g NaBr in ungefähr 5 Liter Blut 
entspricht. Im Blute des bromierten Nephritikers, der 26 Tage vor 
seinem Tode kein Bromnatrium mehr erhalten hatte, fanden sich in 
der gleichen Menge Blut noch 2,53 g NaBr vor. — In 9 ccm Serum 
derselben Blutprobe wurden 4mg NaBr gefunden; es waren somit 
in 5 Liter Serum 2,85 g, nach einem Kontrollversuche sogar 3,15 g, 
also erheblich mehr Bromnatrium vorhanden gewesen als in der 
gleichen Menge desselben Vollblutes. In dem, durch dreimaliges Aus¬ 
waschen mit physiologischer Kochsalzlösung und Zentrifugieren vom 
Serum getrennten Blutkörperchen konnte Brom nicht einmal in Spuren 
aufgefunden werden. 

Fäzes. Da die Angaben der verschiedenen Autoren über die 
Ausscheidung des Broms durch den Darm nach Bromnatriumgaben 
verschieden lauten, habe ich den in 24 Stunden entleerten Stuhl der 
einen Versuchsperson wiederholt untersucht, aber nicht immer Brom 
nachweisen können, nur einmal fanden sich in einer solchen Stuhl¬ 
probe mehr als Spuren, nämlich 20,5 mg Bromnatrium vor. Dieser 
Befund bildet eine Stütze für die Anschauung, dass ein, wenn auch 
nur kleiner Teil, des per os eingenommenen Bromnatriums in den 
Darm ausgeschieden und mit den Fäzes entleert werden kann. Be¬ 
sonders wenn längere Zeit hindurch grössere Mengen Bromsalz ein¬ 
gegeben werden, scheint dies einzutreten. 

Zusammenfassung; 

1. Nach Eingabe von Bromnatrium lässt sich das Brom im Harn 
der betreffenden Person mit Hilfe einer kolorimetrischen -Methode 
ziemlich rasch und mit hinreichender Genauigkeit bestimmen. 

2. Das bei nur ein- oder zweimaliger Darreichung per os zuge¬ 
führte Bromnatrium wird vom menschlichen Körper hartnäckig zurück¬ 
gehalten und nur langsam durch die Nieren ausgeschieden; 
eine nierengesunde, nichtepileptische Person hat bei gemischter, 
ziemlich kochsalzreicher Ernährung und bei stets guter Diurese, von 
8 g Bromnatrium — in zwei Gaben von je 4 g erhalten — im Ver¬ 
laufe von 35 Tagen wieder 5,68 g, das sind 71,8 Proz. vom Gesamt¬ 
bromnatrium, mit dem Harn ausgeschieden. # Eine Gesetzmässigkeit 
in der Bromausfuhr hat sich hierbei nicht feststellen lassen, nur ist 
die absolute wie auch die prozentualische Bromausscheidung, freilich 
mit gewissen Schwankungen, allmählich zurückgegangen. Bei dieser 
wie bei zwei anderen Versuchsreihen wurde ferner die Beobachtung 
gemacht, dass am ersten Tage nach der Bromnatriumgabe auffallend 
wenig, nämlich nur 3,2 Proz. vom eingenommenen Bromnatrium aus¬ 
geschieden und dass andererseits am dritten Versuchstage das 
Maximum der Bromausfuhr erreicht wurde. 

3. Bei zwei N e p h r i t i k e r n, die in der gleichen Weise 8 g 
Bromnatrium erhalten hatten, war das Bromausscheidungsvermögen 
im Vergleiche zu dem der nierengesunden Person stark herabgesetzt. 
Freilich muss hierbei, in Betracht gezogen werden, dass die beiden 

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Nierenkranken kochsalzarm ernährt wurde«, während dies bei 
der nierengesunden Person nicht der Fall war. Die ersteren haben 
in den ersten 10 Versuchstagen von den eingenommenen 8 g Brom¬ 
natrium 1,73 g und 1,66 g mit dem Harn ausgeschieden, während von 
der nierengesunden Person innerhalb desselben Zeitraumes vom Brom¬ 
salz 4,1 g zur Ausscheidung gelangten. 

4. In Uebereinstimmung mit der Tatsache, dass Nierenkranke bei 
kochsalzarmer Ernährung grössere Mengen Brom zurückhalten als 
nierengesunde Personen mit kochsalzreicherer Kost, steht ein weiterer 
Befund, dass bei einem Nierenkranken eine Sättigung mit Brom 
selbst dann nicht erreicht werden konnte, als derselbe während 
40 Tagen täglich zuerst je 1 g, dann 1,5 g und schliesslich 4 Tage lang 
je 4 g Bromnatrium erhalten hatte. Ins „Bromgleichgewicht“ konnte 
der Nierenkranke unter diesen Versuchsbedingungen nicht gebracht 
werden. Die absoluten wie auch die prozentualischen Bromausschei¬ 
dungszahlen zeigten grössere Schwankungen. Auf jeden Fall h^t 
der Körper des Nephritikers grössere Brommengen zurückgehalten, 
denn von 47 g Bromnatrium, die ihm innerhalb von 45 Tagen zit- 
geführt wurden, sind während dieses Zeitraumes nur 24,87 g = 
53 Proz. Bromnatrium durch die Nieren ausgeschieden worden. Zieht 
man die auf jeden Fall nur geringe Ausscheidung in den Darm und 
Ausfuhr mit den Fäzes und die noch zweifelhafte durch den Schweiss 
zusammen mit 3 g in Betracht, so dürfte der Organismus des Ne¬ 
phritikers immerhin gegen 20 g Bromnatrium zurückgehalten haben. 

5. Eine nierengesunde Person, die bei gemischter kochsalz- 
reicherer Kost und bei stets guter Diurese täglich je 2 g Bromnatrium 
erhielt, kam am 10. Versuchstage in ein annäherndes Bromgleich¬ 
gewicht; die ermittelten Brornausfuhrzahlen stiegen hierbei vom 
ersten bis zu diesem Tage ganz allmählich an, an dem dann sich in 
100 ccm Harn 64 mg Bromnatrium vorfanden. Von dieser Zeit ab 
schwankten die täglichen prozentualischen Bromausscheidungszahlen 
nur unbedeutend, im allgemeinen zwischen 64 und 79 mg NaBr 
für 100 ccm Harn, und zwar blieb dieses Verhältnis bestehen, als 
die betreffende Person neben der täglichen Bromnatriumgabe von 2 g 
noch 20 g Kochsalz erhielt. Der Versuch fiel somit zugunsten 
der zuerst von H. v. Wyss gemachten Beobachtung aus, dass das 
Kochsalz keinen direkten Einfluss auf die Bromausscheidung 
ausübt, wohl aber einen indirekten Einfluss auf dieselbe geltend 
macht, insofern grössere Kochsalzgaben mehr Durst erzeugen; infolge¬ 
dessen wird dem Körper mehr Flüssigkeit eingeführt sowie die Diu¬ 
rese und damit auch die Prozent ualisch annähernd gleich¬ 
bleibende Bromelimination, im ganzen vermehrt. Die Gesamtßrom- 
natriumausscheidung war beispielsweise am 19. Versuchstage stark 
vermehrt und betrug 3311 mg NaBr = 165,5 Proz. der eingeführten 
Menge Bromnatrium; aber die Harnmenge betrug an diesem Tage 
auch 5100 ccm, nach der sich die prozentualische Bromausfuhrzahl auf 
65 mg NaBr berechnet. Die von mir gefundenen Werte bestätigen 
ferner die von H. v. Wyss gemachte Annahme, dass es ein ganz 
bestimmtes Verhältnis von Bromausfuhr zur Bromeinfuhr nicht gibt, 
nur soviel lässt sich angebtn, dass beim nierengesunden Men¬ 
schen im grossen und ganzen nach einer bestimmten Anzahl von 
Tagen ein gewisser Gleichgewichtszustand eintreten kann, der durch 
eine annähernde Konstanz der prozentualischen Bromausschei¬ 
dungszahlen gekennzeichnet ist; aber eine absolute Gleichheit in der 
Bromausfuhr dürfte kaum bestehen. 

6. In dem, von den Blutkörperchen getrennten Serum eines Ne¬ 
phritikers, der längere Zeit Bromnatrium erhalten hatte, konnte reich¬ 
lich Brom nachgewiesen werden, während die vom Serum getrennten, 
dreimal mit physiologischer Kochsalzlösung ausgewaschenen und gut 
abzentrifugierten Körperchen b r o m f r e i befunden wurden. Dieser 
Befund entspricht ganz den Ergebnissen der von H. v. Wyss (1. c.) 
an Kaninchen angestellten Versuche. Das nach Einnahme von Brom¬ 
natrium im Blute zirkulierende Brom dürfte sich beim Menschen zum 
grössten Teile im Serum vorfinden, und es ist auf jeden Fall mit 
den Blutkörperchen nicht fester verbunden. 

Schlussbetrachtung. 

Die arzneilich angewandten Bromalkalien gehören auffallender 
Weise nicht zu den Arzneimitteln der Tabelle A des „Arznei¬ 
buches“; es sind für dieselben keine grössten Einzel- und Tages¬ 
gaben vorgesehen. Der Apotheker darf somit beliebige Mengen 
derselben, ohne ärztliche Ordination, im Handverkaufe abgeben. 
Dass aber die Bromalkalien, wenn sie in grösserer Gabe, zumal bei 
kochsalzarmer Ernährungsweise, längere Zeit unausgesetzt einge¬ 
nommen werden, beim Menschen schwere Schädigungen her vorrufen 
können, ist eine schon längst bekannte Tatsache. Es sei nur an eine 
schon ältere Arbeit von J. Sterling 18 ) (1896) erinnert, „dass die 
schädliche Nebenwirkung der Bromalkalien bei behinderter Ausschei¬ 
dung, z. B. bei Nierenleiden, öfter und viel stürmischer zur Geltung 
kommt.“ Sterling will auch die Beobachtung gemacht haben, 
„dass von vielen Seiten die Bromsalze als ganz unschuldige, jeder 
schädlichen Nebenwirkung bare Mittel angesehen werden“ und weist 
ferner „auf die vielen Fälle von schwerer Bromvergiftung 
hin, die bei unausgesetztem Gebrauche der Bromalkalien vorge¬ 
kommen sind.“ Unter Berücksichtigung dieser längst schon bekannten 
Tatsachen und besonders nach Einsichtnahme von Akten — zum 
Zwecke der Erstattung eines Gutachtens —, über deren Inhalt ich 
selbstverständlich keine näheren Angaben machen kann, scheint 

*•) Ther. Mh. 1896 Nr. 9. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




9. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


753 


es mir durchaus geboten zu sein, dass für die offizineilen Bromalkalien 
in der in Vorbereitung befindlichen neuen Ausgabe des „Arznei¬ 
buches“ Maximaldosen, wenigstens grösste Tagesgaben, auf ge¬ 
nommen werden, dass also der freie Verkauf der Brom¬ 
salze in den Apotheken untersagt wird. Es sei an die 
folgenden Worte von L. Lew in* 0 ) erinnert: „Dadurch, dass Brom¬ 
kalium (und andere Bromsalze) überall im Handverkaufe erhältlich 
ist, wird dem Missbrauch kein Hindernis in den Weg gelegt und vielen 
Menschen Schaden an ihrer Gesundheit zugefügt. Es ist endlich an 
der Zeit, dass von den Behörden dem materiellen Interesse der Ver¬ 
käufer ein wirksamer Zügel angelegt wird. Andererseits sollte die 
Einsicht Einkehr halten, dass Narkotika kein Zuckerbrot darstellen, 
deren angenehme Wirkung beendet ist, wenn einige Minuten oder 
Stunden nach deren Einnahme verflossen sind.“ 

Es sei mir noch ein Wort über die Ausbildung der Apotheker 
gestattet. Der Apotheker muss bekanntlich die Maximaldosen der 
stark wirkenden Arzneimittel kennen, und er darf ein Arzneimittel, 
von dem die erlaubte maximale Dosis überschritten ist, nur dann ab¬ 
geben. wenn der Arzt durch ein beigefügtes Ausrufungszeichen die 
Ueberschreitung der grössten Gabe zu erkennen gibt. Ueber das 
Schicksal der Arzneimittel im menschlichen Körper und über die Gift¬ 
wirkung derselben braucht der Apotheker nicht unterrichtet zu sein. 
Es wäre wünschenswert, dass der Pharmazeut während seiner Studien¬ 
zeit in dieser Richtung einigermassen ausgebildet wird, und zwar 
entweder in einer kürzeren Spezialvorlesung über Pharmakologie, 
oder dadurch, dass in den Vorlesungen über pharmazeutische Chemie 
und Pharmakognosie wenigstens von den wichtigeren Arznei¬ 
mitteln das Wissensnotwendige vorgetragen wird. Der Einwand, der 
etwa erhoben werden kann, der Apotheker werde dadurch gewisser- 
massen zum Kurpfuscher ausgebildet, scheint mir nicht stichhaltig zu 
sein; viel eher glaube ich, dass das Gegenteil zutrifft; der mit ge¬ 
wissen pharmakologischen und toxikologischen Kenntnissen . ausge¬ 
rüstet e Apotheker wird in der Abgabe von Arzneimitteln im Hand¬ 
serkauf an Kranke sicherlich recht vorsichtig sein, wenn er die Wir¬ 
kungsweise der betreffenden Arzneimittel auf den menschlichen Körper 
genau kennt. Es wird dann nicht mehr Vorkommen können, dass in 
einer Apotheke Bromnatrium in Substanz in grösseren, nichtdosierten 
Mengen abgegeben wird, zumal die Abgabe von Bromsalzen an 
Nierenkranke nach den obigen Befunden zur grössten Vorsicht auf¬ 
fordert. 

Herrn Hofrat Dr. T a e g e, ohne dessen gütige Unterstützung in 
Rat und Tat diese Arbeit nicht hätte ausgeführt werden können, 
spreche ich auch an dieser Stelle meinen aufrichtigen und tief¬ 
gefühlten Dank aus. 

Ebenso danke ich Frl. Frieda Mink für die treffliche Unter¬ 
stützung bei den vielen kolorimetrischen Bestimmungen, die zur Aus¬ 
führung gelangt sind. 

Nachtrag. Die sehr umfangreichen Tabellen konnten wegen 
des gegenwärtigen Papiermangels nicht aufgenommen werden. Die¬ 
selben werden aber für die Sonderabdrucke hergestellt und können 
von dem Verlag der M.m.W. oder vom Verfasser (Freiburg i. B.) 
bezogen werden. 

Aus der medizinischen Klinik der Universität Zürich. 
(Direktor: Prof. Dr. H. Eichhorst.) 

Ueber Brommethylvergiftung. 

Von Priv.-Doz. Dr. 0. Steiger, Oberarzt der med. Klinik 

Im Jahre 1899 veröffentlichte Dr. S c h u 1 e r [ll aus Mollis 3 Ver- 
giftungsfälle, <5e bei mit Brommethyl beschäftigten Arbeitern sich 
ereigneten. Allerdings war nach dem Urteil des mit der Unter¬ 
suchung der technischen Installationen der Fabrik beauftragten Kantons¬ 
chemikers die Frage mehr als zweifelhaft, ob das Brommethyl eine 
wirkliche Schuld an den Krankheitsbildern, speziell an dem einge¬ 
tretenen Todesfall trage. Im Jahre 1893 hatte J a q u e t [2] einen 
Brommethylvergiftungsfall beobachtet, der in einer Basler chemischen 
Fabrik unter Umständen sich ereignete, bei denen eine direkte Ein¬ 
atmung der Brommethyldämpfe mit Sicherheit festzustellen war. 
Interessant ist eine Selbstbeobachtung Jaquets: „Als wir mit der 
experimentellen Untersuchung des Brommethyls beschäftigt waren, 
zerbrach eine kleine, mit der Substanz gefüllte Röhre, so dass in 
kürzester Zeit ziemliche Mengen konzentrierter Brommethyldämpfe 
sich bildeten. Trotzdem sofort Fenster und Türe geöffnet wurden, 
konnten wir es nicht vermeiden, dass kleine Mengen des Gases ein- 
seatmet wurden. Die ersten, nach einigen Minuten zutage getretenen 
Erscheinungen, waren ein Gefühl von grosser Schwäche und Schwin¬ 
del. Der Schwindel besserte sieb bald an dler frischen Luft, die 
Schwäche der Beine dauerte aber mehrere Stunden fort. Beim Ver¬ 
such zu lesen, wurden die Buchstaben bald undeutlich, so dass bis 
zum Abend jede Beschäftigung dadurch unmöglich wurde. Nach einer 
?uten Nacht waren am anderen Morgen die Beschwerden spurlos ver¬ 
schwunden.“ 

Bei den Jaquetschen Vergiftungsbildern fallen die primären 
Schwächezustände und der Schwindel, verbunden mit starker Ataxie 
auf: später stellten sich, noch Sehstörungen, Sprachstörungen und 


Ä ) L. Le w in: „Die Nebenwirkungen der Arzneimittel. II. Aufl. 
1*99 S. 155. 


Dyspnoe ein. Bei Vergiftungen schwererer Art kommen noch psy¬ 
chische Unruhe hinzu, welche bis zu Tobsuchtsanfällen mit Delirien 
verbunden auswachsen kann. Das Auffälligste an dem Vergiftungs¬ 
bild ist, dass die schwersten Symptome nicht unmittelbar nach der 
Vergiftung sich einstellten, sondern erst nach einigen Tagen, nament¬ 
lich die zunehmende Ataxie der unteren Extremitäten. J a q u e t be¬ 
zweifelt auch, ob die Sch ul ersehen 3 Vergiftungsfälle, von denen 
der eine bei der Sektion keine Anhaltspunkte für die Todesursache 
bot, überhaupt reine Brommethylvergiftungserscheinungen waren, da 
in diesen Krankheitsbildern die Störungen des Bewusstseins bis zum 
Koma und zu Muskelzuckungen resp. epileptiformen Krämpfen das 
Vergiftungsbild beherrschten und die Symptome in den drei Fällen 
so verschieden waren, dass Zweifel bestehen, ob es sich dabei um 
ein und dieselbe Affektion gehandelt hat. Roth, v. Frey und 
J a q u e t haben Tierexperimente an Meerschweinchen und Mäusen, 
namentlich aber an Kaninchen vorgenommen, um das Vergiftungs¬ 
bild zu klären. Jaquet fasst die Experimente folgendermassen zu¬ 
sammen: Das Brommethyl verhält sich im Tierversuch in toxikologi¬ 
scher Hinsicht ungefähr gleich wie die anderen Halogenderivate der 
Fettreihe. Zunächst beobachtet man eine Abnahme der Spontaneität; 
das Tier bewegt sich nur, wenn es durch einen äusseren Reiz dazu 
gezwungen wird. Bald gesellt sich das Unvermögen, die normale 
Lage einzuhalten, hinzu; das Tier wird auf den Rücken geiegt und 
verharrt in dieser Stellung oder man kann eine hintere Extremität 
ausstrecken, ohne dass es darauf reagiert; erst durch einen Schlag 
auf den Tisch oder «durch Klatschen in die Hände kommt das Tier 
wieder für kurze Zeit zu sich und nimmt die normale Lage ein. 
Dieses Stadium dürfte dem Bild der Trunkenheit beim Menschen ent¬ 
sprechen, in welchem die Vergifteten taumeln und wie automatisch 
nach Hause gehen. In diesem Stadium sind die Reflexe erhalten, 
ebenso reagiert das Tier prompt auf einen Schmerzreiz. Nach und 
nach wird es ihm unmöglich, sich aufzurichten; es bleibt auf der 
Seite liegen, die Atmung ist stark verlangsamt, die Reflexe, die 
Sensibilitätsqualitäten nehmen ab; unter Zeichen der Schwäche und 
Paralyse der Extremitäten geht das Tier an Atmungslähmung zu¬ 
grunde. Abweichend vom gewöhnlichen Bild der zentralen Lähmung 
sind die epileptiformen Krampfanfälle, welche im letzten Stadium der 
Vergiftung auftreten; bemerkenswert und auffallend ist dlas späte Be¬ 
fallenwerden von Herz und Gefässen. Was zunächst die Krämpfe 
anbelangt, so könnte man geneigt sein, darin eine Analogie mit den 
von Schüler in seinen Vergiftungsfällen beobachteten Konvulsionen 
zu erblicken. Dazu ist aber zu bemerken, dass in den Schüler- 
schen Fällen die Krämpfe frühzeitig auftraten und das Krankheitsbild 
so ziemlich - beherrschten. Bei den Jaquet sehen Versuchstieren 
bilden die Konvulsionen eine agonale Erscheinung, die auf die Atmungs¬ 
lähmung zurückzuführen sind. In Bezug auf die bei den Brommethyl¬ 
vergiftungen zu beobachtenden Kreislaufstörungen hat Jaquet aller¬ 
dings eine auffallende Hyperämie der Ohren bereits in einem frühen 
Vergiftungsstadium beobachtet, aber bei hohem Blutdruck und nicht 
herabgesetzter Herzfrequenz. Bis zur schweren Vergiftung findet man 
einen vollen und frequenten Herzschlag und Puls. Wie Jaquet aus¬ 
drücklich betont, stimmen de Tierversuche mit den Beobachtungen 
beim Menschen insofern überein, als die Intoxikation mit dem Auf¬ 
hören der unmittelbaren Giftwirkung nicht stillsteht oder nachlässt, 
wie dies bei anderen gasförmigen Giften, wie Aether, Chloroform, 
Aethylbromid der Fall ist. Im Gegenteil, die Gift Wirkung schreitet 
fort; das Tier stirbt nach Stunden oder Tagen, nachdem es mit dem 
Gift in Berührung gekommen ist. Jaquet nimmt deshalb sicher 
mit Recht an, dass es sich nicht um eine einfache funktionelle Lähmung 
handlelt, welche zurückgeht, wenn das Gift eliminiert ist, sondern 
dass das Gift tiefe und irreparable Läsionen des Zentralnervensystems 
hervorruft. Jaquet führt als Vergleich noch eine akute Jodintoxi¬ 
kation an (also ein Glied aus der homologen Reihe), und beschreibt 
den Fafl, welchen er im Spital beobachtet hat. Ueber die Wirkung 
des Broms und der Bromderivate wurde experimentell von J a - 
nuschke und Inaba [3] gearbeitet in einer Publikation: Ueber 
physikalisch-chemische Wirkungsbedingungen dies Broms im Organis¬ 
mus und einen Vergleich der Wirkung anorganischer und organischer 
Brompräparate: Das Brom wirkt im Organismus in Form von Bromid¬ 
ionen, nicht als Brommolekül oder Bromeiweiss, nicht#ls Hypobromid¬ 
oder Bromationen; es wirkt im akuten Versuch auch nicht durch 
Chloridverdrängung (im Gegensatz zu den v. Wysssehen Ver¬ 
suchen). Das lange Latenzstadium, mit welchem sich die Brom¬ 
wirkung nach subkutaner und auch nach intravenöser Injektion von 
Bromnatrium entwickelt, lässt sich erheblich abkürzen durch vorherige 
Nierenexstirpation oder durch intraperitoneale Einverleibung des 
Salzes. Zahlreiche organische Brompräparatc entfalten im akuten 
Versuch keine Bromid Wirkung: sie gehören physikalisch-chemisch in 
die Reihe der lipoidlöslichen Narkotika, und dieser Umstand ist auch 
für ihre Wirkung bestimmend:* Wenn wir in der Klinik beim Menschen 
feststellen wollen, ob bestimmte Abschnitte des Nervensystems der 
Bromidionenwirkung unterliegen, so empfiehlt es sich, einmalige, ev. 
sehr grosse Dosen von Natriumbromid zu verabreichen und zur Be¬ 
urteilung den Effekt der nächsten Stunden heranzuziehen oder neben 
den Natriumbromid- äquivalente Natriumchloriddosen zu geben. 

Zufällig konnten wir auf unserer Klinik einen akuten Fall von 
gewerblicher Brommethylvergiftung beobachten, welchen wir seines 
interessanten Verlaufes wegen und wegen der vielen Analogien mit 
den Jaquet sehen Vergiftungsfällen und Tierversuchen ausführlich 
näher erörtern wollen. 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



754 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


Th. Josef, Fabrikarbeiter, 26 Jahre, wurde am 21. Dezember 1917 
eingeliefert. Der Vater des Patienten sei an einem Unfall gestorben, 
die Mutter und 12 jüngere Geschwister leben und seien gesund. In 
der Familie seien keine Nervenkrankheiten odter Tuberkulose vorge¬ 
kommen. Pat. hat keine Kinderkranheiten durchgemacht, ist auch 
später nie krank gewesen, war in den letzten Jahren abstinent und 
ein bekannter Meisterschaftsringer. In der Nacht vom 17. auf den 
18. Dezember 1917 arbeitete Pat. in einem Raum einer chemisch- 
pharmazeutischen Fabrik. Durch das Zimmer sind mehrere mit 'Brom¬ 
methyl gefüllte Röhren geleitet. Um 4 Uhr früh des 18. Dezembers 
explodierte eine dieser Röhren. Pat. suchte sofort nach dem Ver¬ 
schlusshahn der defekten Röhre, um das ihr entströmende Gas ab¬ 
zustellen, konnte aber wegen der grossen Anzahl Der Verschlusshähne 
nicht den richtigen finden. Nachdem Pat. ungefähr eine halbe Stunde 
in dem mit Bromiüethyl angefüllten Raum zugebracht hatte, fühlte er 
sich stark benomnfen, empfand Schwüidel, konnte aber noch aus dem 
Zimmer an die frische Luft kriechen. Es war ihm unmöglich gerade 
zu gehen, er fing an stark zu taumeln, vor seinen Augen flimmerte es 
und er sah'die ‘Lampen doppelt und vor sich hin- und hertanzen. 
Pat. liess morgens 7 Uhr einen Arzt rufen, der ihm Pulver ver¬ 
schrieb. Im Bett fühlte sich Pat. wohler. Beim Essen bemerkte er, 
dass er mit seinen Händen immer an den Essgeräten vorbeigriff und 
die Speisen nicht sicher zum Munde führen konnte. Kopfweh habe 
Pat. nicht gehabt, auch habe er anfänglich nicht erbrochen. Da die 
Beschwerden in den nächsten Tagen Zunahmen und Pat. kaum mehr 
sich auf den Füssen halten konnte, wurde er vom behandelnden 
Arzte zur Aufnahme ins Kantonsspital empfohlen. Nach Angaben des 
Fabrikchemikers kommt von Brompräparaten in dem Fabrikbetriebe 
nur reines Brommethyl in Frage, das dort auch synthetisch hergestellt 
wird. 

Status praesens: Mittelgrosser Mann in gutem Ernährungs¬ 
zustand und kräftigem Knochenbau und gut entwickelter Muskulatur. 
Beim Gehen taumelt Pat. wie ein Trunkener. Das Sen^orium ist 
leicht benommen. Vollkommen ataktischer Gang, Bracht-Rom- 
bergsches Symptom positiv. Ausgesprochener Intentionstremor der 
Hände, vollkommenes Danebengreifen der Finger. Die Haut des Pat. 
im Gesicht ist stark gerötet, an der Stirn befinden sich einige zirka 
einfrankstückgrosse Verbrennungsstellen, die durch Schwefelsäure, 
welche bei der Explosion ausgeworfen wurde, entstanden waren. 
Pat. zeigt leichte Nackensteifigkeit; die Pupillen sind mittelweit und 
reagieren sehr träge, links hat Pat. eine leichte Ptosis. 

Ophthalmologi scher Status (Dr. H a a b): Normale 
Färbung der Conjunctiva palpebrarum et bulbi. Kornea klar. Ober¬ 
fläche glatt und spiegelnd Vorderkammer normal. Keine Linsen¬ 
trübung. Ophthalmoskopisch: Glaskörper klar. Starke Füllung der 
kleinsten Gefässe auf der Optikusscheibe und der peripapillären Zone. 
Die Optikusscheibe von abnorm roter Farbe. Die Hauptäste der Vena 
centralis stark gefüllt und geschlängelt. Die Schlängelung kann bis 
zur Peripherie verfolgt werden. Die Arterien von normaler Füllung. 
Am linken Auge besteht eine Netzhautblutung, die, direkt am Optikus 
beginnend, in der Richtung der Nervenfasern nach aussen unten ver¬ 
läuft. Grösse der Blutung % Papillendurchmesser breit und! 1 H Pa¬ 
pillendurchmesser lang. Durch die Blutung hindurch zieht ein grosser 
Ast der Vena centralis. Die Makulagegend und der übrige Fundus an 
beiden Augen normal, Prüfung auf Doppelbilder: Pat. macht sehr 
ungenaue Angaben. Nach längerer Prüfung mit Kerze und Rotlicht 
können gleichnamige Doppelbilder konstatiert werden. Nach der 
Hessschen Methode bestehen zwei Bilder. die für eine leichte Parese 
des Nervus abducerrs beider Augen sprechen. ^ Gesichtsfeld normal, 
keine zentralen Skotome. Sehschärfe: rechts Ti, links V*, binokular 
% —1,0. Neben diesen organisch bedingten Doppelbildern hat Pat. 
noch psychische in dem Sinne, dass er die Gegenstände vier- und 
fünffach sieht und bei Aufforderung mit den Fingern auf eines dieser 
fünf Bilder zu deuten, greift Pat. ca. 50 cm daneben. Die Schleim¬ 
häute, auch die des Mundes, zeigen nirgends Veränderungen. Auffällig 
sind die Sprachstörungen, die eine gewisse Achnlichkeit mit der 
motorischen Aphasie auf weisen; am auffallendsten ist die schmierende 
Sprache. Laryirgoskopisch sindl die Stimmbänder vollkommen intakt. 
Der Thorax ist symmetrisch, gut gewölbt, auf Druck federnd, nirgends 
schmerzhaft. Die Atmung ist etwas beschleunigt. 36 in der Minute, 
regelmässig. Keine Zyanose neben dieser objektiven Dyspnoe. Lungen- 
grenzen respiratorisch gut verschieblich, über allen Lungenteilen 
lauter, nichttympanitischer Perkussionsschall, nirgends Dämpfung. 
Ueberall vesikuläres In-, unbestimmtes Exspirium, keine Rasselge¬ 
räusche. Herzgrenzen normal, Spitzenstoss nicht zu sehen, im 5. Inter¬ 
kostalraum in der linken Mammillarlinie zu fühlen. Ueber allen Ostien 
hört man zwei reine, laute Töne, von üblichem Akzent und Rhythmus, 
keine Geräusche. Erster Ton an der Mitralis zeitweise gedoppelt. 
Puls gut gefüllt und gespannt, regelmässig. 80 Schläge in der Minute. 
•Blutdruck 113 mm 'Hg. Das Abdomen ist weich, gut eindrückbar, 
nirgends druckempfindlich, ohne abnorme Resistenzen. Die Leber 
schliesst mit dem Brustkorbrande ab. Milz und Nieren sind nicht zu 
fühlen, Blasen- und Genitalgegend ohne Besonderheiten. 

Nervenstatus: Vollkommene Ataxie der Extremitäten. 
Paresen der Beine. Intentionstremor der Arme. Vorbeifassen der 
Hände. Patellarreflexe gesteigert, ebenso die Achillessehnenreflexe. 
Bauchdecken- und Kremasterreflexe anfänglich auslösbar, später er¬ 
loschen. B a b i n s k i sches Phänomen rechts angedeutet, ebenso auch 
der O pp en h e i m sehe Reflex. Die rohe Kraft der oberen Extremi¬ 
täten ist noch relativ gut, während die Beine zeitweise den Pat. iiber- 

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haupt nicht mehr tragen. Bei der Sensibilitätsprüfung, gibt ‘Pat. an, 
dass sein Schmerz- und Temperatursinn am rechten Bein herabgesetzt 
sei gegenüber links, doch wechseln seine Angaben. 

Urinbefund: Eiweiss und Zucker negativ. Blut positiv.. Uro¬ 
bilin positiv. Im Sediment reichlich Erythrozyten und auch verein¬ 
zelte Nierenzylinder. 

Blut Untersuchung: Hämoglobin 84 Proz., 5 300 000 Ery¬ 
throzyten bei 6500 Leukozyten. Die Differentialzählung der weissen 
Blutkörperchen ergibt: neutrophile Polymorphkernige 48 Proz., 
Eosinophile 5 Proz., grosse Mononukleäre und Uebergangsformen 
7 Proz., Lymphozyten 38 Proz., Basophile 1,8 Proz., Myelozyten und 
Myeloblasten 0,2 Proz. 

Neben dieser geringen Anzahl von pathologischen Leukozyten- 
formen fällt im morphologischen roten Blutbild das reichliche Vor¬ 
kommen von H o w e 1 - J o 11 y -Körpern auf. Das Blut hat eitle 
etwas bräunliche Farbe. Bei der spektroskopischen Untersuchung 
des Blutes findet sich neben den Streifen des Oxyhämoglobins ein 
Streifen in Rot, welcher wahrscheinlich dem Methämoglobin ent¬ 
spricht; namentlich tritt der Methämovlobinstreifen im Rot dann deut¬ 
lich auf, wenn man das Blut im Reagenzglas mit Wasser nur so weit 
verdünnt, dass die beiden Oxyhämoglobinstreifen noch nicht als ge¬ 
trennt erscheinen; auffällig ist. dass bei Reduktion mit Schwefel¬ 
ammonium der Methämoglobinstreifen erst nach sehr langer Zeit 
schwächer wird und nie ganz verschwindet, während die beiden 
Oxyhämoglobinstreifen sehr rasch zu den breiten Streifen des redu¬ 
zierten Hämoglobins verschmelzen. In den Experimenten von J a - 
nuschke und Inaba [3] trat die Veränderung des Hämoglobins in 
schokoladefarbiges Methämoglobin besonders stark dann auf, wenn 
die Autoren den Tieren Natriumbromat (NaBi 0s) injizierten, ein Salz, 
welches das Brom als Bromationen (BrCL) enthält. Auch entleerten 
die Tiere blutigen Urin und bei der Sektion fand man durchweg 
schokoladefarbiges Blut. 

Im Verlaufe der Beobachtung wechselte die Stärke der Ataxie 
der Extremitäten sehr, dlie Blutungen im Augenhintergrund nahmen 
zu, und als neue Symptome traten psychische Veränderungen am 
dritten Tage nach dem Spitaleintritt auf. 

Psychischer Status (26. XII.): Zeitliche und örtliche Des¬ 
orientierung. Halluzinationen, anfänglich im Sinne der Mikroskopie; 
Pat. hatte kleine Spieldosen, mit denen er früher arbeitete,' in seinen 
Wahnideen zwischen den Fingern, die immer kleiner wurden; und 
in dem Moment, wo sie seinen Fingern entschlüpften wegen ihrer 
Kleinheit, brach ein Tobsuchtsanfall aus. Später arteten die Halluzi¬ 
nationen in richtige Gehörs- und Gesich‘shalluzinationen aus, wo die 
kleinen Dinge keine besondlere Rolle mehr spielten, sondern w r o der 
Pat. durch die Umstehenden sich bedroht wähnte und wo er auch 
Leute sah, die ihn angreifen und überwältigen wollten. Diese Hallu¬ 
zinationen wurden zeitweise unterbrochen durch komatöse Zustände 
und epileptiforme Anfälle. Zuletzt beherrschte namentlich die moto¬ 
rische Unruhe das psychische Krankheitsbild, so dass eine Uebcr- 
führung in die Irrenheilanstalt notwendig wurde. 

Zusammenfassung: Schwindel, taumelnder 

Gang, später vollkommene Ataxie, zeitweise sogar 
Parese der unteren Extremitäten bei noch er¬ 
haltener roher Kraft der Arme, deutlicher Inten¬ 
tion stremor und ein richtiges Vorbeizeigen der 
Hände; die zunehmenden Blutungen im Augen¬ 
hintergrund weisen darauf hin, dass auch im Zen¬ 
tralnervensystem Hämorrhagien, eventuell be¬ 
reits Erweichungen sich gebildet haben, welche 
die schweren ataktischen Störungen erklären und 
auf organische Läsionen hinweisen. Doppelbilder 
teils organischer, teils psychischer Natur. Ueber 
die weiteren Au gen Veränderungen geben die 
nachfolgenden Ausführungen von Lewin und 
Gruillery [4] Aufschluss. Bemerkenswert sind die 
anfängliche Dyspnoe, die ausgesprochenen Sprach - 
Störungen. Auffällig ist ferner das Auftreten von 
Methämoglobin im Blut und die Ausscheidung von 
Blut durch die Nieren. Alle diese Symptome 
nahmen an Stärke im Verlauf der Beobachtung zu, 
trotz therapeutischer Behandlung mit Kochsalz¬ 
infusionen und Kochsalzklysmen; ja erst nach 
Tagen entwickelten sich die psychischen Stö¬ 
rungen im Sinne der Desorientierung, dcT be¬ 
schriebenen Halluzinationen und der starken 
motorischen Unruhe. 

Bei dem letzten Besuch in der Irrenheilanstalt <29. XII. 17) ist 
die schwere Ataxie der Beine bedeutend zurückgegangen. Es besteht 
jetzt eine Parese des r. Armes. Patellarreflexe speziell links ge¬ 
steigert. Immer noch leichte motorische Aphasie. Patient ist jetzt 
zeitlich und örtlich orientiert, weist aber grosse Gedächtnisdefekte 
auf. Die motorische Unruhe ist etwas zurückgegangen. Nach An¬ 
sicht des Psychiaters (Prof. Maier) handelt es sich um Blutungen 
in das Zentralnervensystem, also um organische Veränderungen, einen 
organischen Intoxikationszustand mit Herdstörungen in der linken 
Grosshirnhälfte. Unterm 15. Februar 1918 schreibt Prof. Bleuler: 
„An der rechten Hand findet sich im Gebiet des Nervus radialis eine 
Herabsetzung der Hautsensibilität mit Gefühl des Pelzigseins, ein 
ähnliches Gefühl am rechten Bein, spez. am äusseren Fussrand. An 
den Fingernägeln finden sich schneeweisse, bänderförmige Streifen, 

Original frem 

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9. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


755 




die quer das Nagelbild durchlaufen, alles Symptome, welche auf 
trophische Störungen hinweisen.“ 

Was die Sehstörungen anbelangt, so möchte ich hier auf die Be¬ 
funde von L e w i n und 0 r u i 11 e r y [4] aufmerksam machen. Die 
Autoren schreiben: Im Gewerbebetrieb ist die eigenartige Vergiftung 
durch Dämpfe des Methylenbromids häufiger in den letzten Jahren 
gesehen worden. Die 3 Hauptsymptome bestehen in Schwindel, Atem¬ 
not und Sehstörungen. Einige Fälle, die anders verliefen, lassen sich 
ätiologisch nicht mit Sicherheit auf eine Brommethylvergiftung zurück¬ 
führen. Die Sehstörungen können intermittierend) verlaufen. Doppel¬ 
sehen scheint konstant vorzukommen. Bei einem Patienten, der viel 
Dämpfe des Methylbromids aufgenommen hatte, erschien die Papille 
etwas blass. Er wurde sofort übel, schwindlig und sah die Gegen¬ 
stände verschwommen und doppelt. Diese Störungen, zu denen noch 
event. mehrtägige Somnolenz, Atembeschwerden, Schwäche in den 
Beinen. Delirien hinzutreten, hielten noch bis zum vierten Tage an, 
an dem der Patient ins Krankenhaus^aufgenommen wurde. Hier er¬ 
wiesen sich die Augenbewegungen frei, Doppelbilder fehlten, die 
Pupillen waren normal, gut reagierend, die Papillen etwas blass und 
scharfrandig. In den nächsten Tagen verschlimmerte sich der Zu¬ 
stand wieder; es traten Tobsuchtsanfälle und Schwindel auf. Nach 
4 Wochen Hessen diese schweren Symptome nach und Patient klagte 
eigentlich nur noch über Sehstörungen. Wenn er eine halbe Stunde 
gelesen hatte, so wurden die Augen trüb und er sah nichts mehr. 
S. war unkorrigiert beiderseits */a, korrigiert links 1. Augenhinter¬ 
grund normal. Nach dem Wiedereintritt in die Fabrik erschien der 
Schwindel neuerdings. Der Mann arbeitete nicht mehr mit Brom- 
methyl. Das Lesen ging zeitweise gut, doch traten plötzlich Doppel¬ 
bilder auf. Ein zweiter Arbeiter, der ebenfalls durch einen Zufall viel 
Dämpfe von Brommethyl einatmete, bekam bald Ohnmachtsanwand¬ 
lungen. Als er nach einer halben Stunde das Resultat an einer Wage 
ablesen wollte, konnte er die Gewichte nicht mehr unterscheiden. 
Auf seinem Nachhausewege begegnete er einem Wagen, sah ihn 
aber nicht. Am andern Morgen waren die Sehstörungen verschwun¬ 
den, kehrten aber gegen Mittag zurück: alle Gegenstände erschienen 
doppelt und verschwandlen schliesslich vollständig. Nachdem er für 
einige Zeit die Augen geschlossen hatte, bekam er wieder einen 
leichten Schimmer. Die Amblyopie trat in den nächsten T^en be¬ 
sonders neben Schwindelanfällen dann ein, wenn er sich aufregte 
oder wenn er Alkohol zu sich nahm. 

Ziehen wir eine Parallele zwischen der Wirkung des Brom¬ 
methyls und derjenigen des verwandten Bromoforms und Bromäthyls. 
Folgen wir den Ausführungen Jaquets: Brommethyl CHsBr stellt 
eine farblose Flüssigkeit von penetrant ätherartigem Geruch dar. 
welche bereits bei 13° C siedet und bei 0° ein spezifisches Gewicht 
von 1,732 hat Das Bromoform CHBrs, ebenfalls eine wasserhelle 
Flüssigkeit von chloroformartigem Geruch und süssem Geschmack, 
siedet dagegen erst bei 150° C. Das Bromäthyl C?H&Br unter¬ 
scheidet sich vom Methylbromid dadurch, dass das Bromatom anstatt 
an eine Methylgruppe an ein Aethylradikal gebunden ist. Es siedet 
bei 38—39° und hat ein spezifisches Gewicht von 1,47. Zur Herbei¬ 
führung einer Bromäthylnarkose sind 10—15 g der Substanz erforder¬ 
lich; dabei ist die Geschwindigkeit in die Augen springend, mit der 
die Intoxikation ihren Höhepunkt erreicht; bald nachher hört die 
Narkose wieder auf und es bleibt höchstens ein gewisser Katzen¬ 
jammer während mehrerer Stunden zurück. Ganz im Gegensatz 
dazu steht das Brommethyl, das in weit geringeren Dosen schwere 
und anhaltende Vergiftungen zustande bringt. Mit der Bromoform- 
vergiftung steht es ähnlich, wie mit der Bromäthylintoxikation: Bald 
nach der Einnahme des Giftes kollabieren die Kranken; nur ausnahms¬ 
weise wird ein Intermediärstadium mit Taumeln etc. beobachtet. 
Die Kinder stürzen plötzlich bewusstlos zusammen, wobei die Haut 
blass, Ohr und Lippen zyanotisch, Herz- und Respirationstätigkeit 
herabgesetzt, die Extremitäten kühl werden. Falls sich die Kranken 
überhaupt erholen, ist nach kürzester Zeit wieder im Gegensatz zur 
Brommethyhrergiftung das letzte Intoxikationszeichen verschwunden. 
Viel mehr Aehnlichkeit mit der »BrommethylVergiftung hat die Jod- 
methylvergiftung, so dass man fast von einer toxikologischen Gruppe 
sprechen darf. Weitaus am interessantesten ist fraglos der gewaltige 
Unterschied in der Brommethyl- und Bromäthylvergiftung. In der 
Alkoholreihc finden sich bei allen Intoxikationen dieselben Grund¬ 
wirkungen, die sich bei der Intoxikation mit Methyl-, Propyl-, Aethyl- 
alkohol nur quantitativ unterscheiden. Die Wirkung des Brommethyls 
und Bromäthyls auf den Organismus ist in ihren Grundlagen ver¬ 
schieden. Die Bromäthylvergiftung hat ihre Analoga in der Aether- 
und Chloroformwirkung. In grossen Dosen rasche Lähmung dies Zen¬ 
tralnervensystems unter Bewusstseinsverlust. Abnahme der Sensi¬ 
bilität und spontanen Motilität; bei letalen Dosen Verschwinden der 
Reflexe und Exitus durch Herz- und Respirationslähmung. Wird das 
Bromäthyl zur Herbeiführung einer raschen Narkose verwertet und 
nach Erreichung des Ziels wieder ausgesetzt, so wird das Gift ebenso 
rasch wieder ausgeschieden, wie es aufgenommen wurde, undl der 
Patient erholt sich rasch. Nach Inhalation kleiner Dosen von Brom¬ 
methyl, wie bei unserem Kranken, bemerken wir ebenfalls Störungen, 
welche wie Schwindel, Ataxie- Seh- und Sprachstörungen, Verlust 
des Muskelgefühls auf eine zentrale Schädigung hinweisen. Diese 
Symptome verschwinden aber nach Aussetzen des Brommethyls nicht; 
sie bestehen tagelang fort; mehrere, speziell die Ataxie, nehmen zu, 
und psychische Erregungszustände, wie in unserem Fall, treten über¬ 
haupt erst einige Tage nach der Vergiftung auf. Man sollte annehmen, 

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dass, da Methylbromid bereits bei 13° C siedet, Bromäthyl aber erst 
bei 38°, die Wirkungen* des erst^ren flüchtiger als die des letzteren 
sein müssen und doch ist das Gegenteil der Fall. Es könnte sich hier 
entweder um eine innigere Bindung des Gehirns mit dem Brom¬ 
methyl oder um funktionell kumulative Wirkung ohne Anwesenheit 
des Giftes im Gehirn handeln. Zu entscheiden ist die Frage nicht; 
wohl aber dürfte es angebracht sein, für die Wirkung nicht allein den 
Brom- sondern auch dien Methylkomponenten verantwortlich zu 
machen, speziell mit Rücksicht auf die Sehstörungen, die allerdings 
auch nach übermässigen Bromkaliumdosen, aber nur äusserst selten, 
erscheinen. Als Stütze dieser Anschauung verweisen Lew in und 
Gruillery auf den Methylalkohol, der zweifellos ähnliche, wenn 
auch innerlich in grossen Mengen genossen, viel heftigere und nach¬ 
haltigere Augenstörungen zu erzeugen vermag. Wir haben für diese 
Auffassung nur klinische Analogien und glauben, dass experimentelle 
Stützen sich schwer werden erbringen lassen. 

Literatur. 

1. Schüler: Vierteljahrsschreibcn für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege, 1899, S. 696. — 2. Jaquet: D. Arch. f. klin. Med. 71. 1901. 
S. 73. — 3. J anuschke und Inaba: Zschr. f. d. ges. exp. Med. 
1. 1913. — 4. L e w i n und Gruillery: Die Wirkungen von Arznei¬ 
mitteln und Giften auf das Auge. Berlin 1905. 


Ueber nervöse Blasenstörungen im Kriege*). 

Von Prof. L. R. Müller (Würzburg). 

Zu den mancherlei neuen Krankl eitsbildern, die uns Internisten 
der Weltkrieg brachte, gehören auch Blasenstörungen, wie wir 
sie in solcher Art und solcher Häufigkeit bisher noch nicht gekannt 
und gesehen haben. Das Schicksal der von diesen Störungen er¬ 
griffenen Kranken, die fast alle an unwillkürlichem Harnabgang leiden, 
ist oft bedauernswert. Aus Scham über das „Hosenpissen“ melden sie 
sich meist längere Zeit nicht krank. Die stets nassen Beinkleider und 
die durch das Herunterlaufen des Harns durchweichten Stiefel ver¬ 
ursachen Wundlaufen und Hautausschläge. Gefrieren gar im Winter 
im kalten Ostwinde die Hosen steif an den Schenkeln, dann wird 
der Zustand kaum erträglich. Durch die Fäulnis des immer und immer 
wieder in das Hemd und in die Kleider gelassenen Harnes entsteht ein 
widerlicher Gestank. Deshalb werden die Kranken von ihrer Um¬ 
gebung gemieden, ja oft verhöhnt. 

Aber auch der Arzt sieht vielfach in den „Hosenpissern“ und in 
den „Bettnässern“ willensschwache Kranke, die wohl sich besser zu¬ 
sammennehmen und sich sauberer halten könnten, wenn sie nur 
wollten. 1 

So vergeht manchmal lange Zeit, bis solche Soldaten mit Blasen¬ 
beschwerden in sachgemässe Lazarettbehandlung kommen und auch 
dort fallen sie wegen der Verunreinigung der Bettwäsche recht lästig. 

Nimmt man sich nun der Kranken an und nimmt man eine ge¬ 
naue Vorgeschichte auf, so zeigt sich, dass hinter der Incontinentia 
urinae verschiedene Krankheitsbilder mit verschiedener Aetiologie 
stecken. Es geht nicht an. sich mit der Diagnose „Blasenschwäche“ 
oder „Blasenneurose“ oder ..Reizblase“ oder ..Enuresis“ zu begnügen. 
Wir müssen der Ursache des Leidens nachgehen. 

Bei einer Besprechung der „nervösen“ Blasenstörungen fällt 
natürlich die Erörterung aller entzündlichen Blasenerkrankungen, die 
zur Beeinträchtigung der Miktion führen, wie der entzündlichen Er¬ 
krankungen der hinteren Harnwege, der Zystitis oder der Blasen-- 
tuberkulöse fort. 

Eine häufige Form der nervösen, nicht entzündlichen Blasenstö¬ 
rungen im Kriege ist dem Praktiker, vor allem aber auch dem Militär¬ 
arzt vom Frieden her längst bekannt. Es ist das die Enuresis 
i n f a n t i 1 i s permanens (Enuresis von tvovpfo hineinpissen). 

Von 120 nervösen Blasenkranken, die ich in den vergangenen 
Monaten untersuchen konnte, gaben 30 Proz. an, seit Kindheit ohne 
Unterbrechung an Enuresis gelitten zu haben. Unsere Beobachtungen 
an Soldaten, die von Kindheit an ununterbrochen an Bettnässen und 
an Kleidernässen leiden, stimmen nun durchaus mit den Feststellungen 
derjenigen Autoren überein, welche eine angeborene körperliche oder 
nervöse Minderwertigkeit für dieses Leiden verantwortlich machen. 

Ein Lichtbild mag Ihnen zeigen, wie sehr man den Betroffenen 
die geistige Minderwertigkeit ansehen kann. Der Gesichtsausdruck 
dieser Vaterlandsverteidiger ist vielfach kindlich oder auffällig geistig 
leer. In den Zügen keine Spur von Männlichkeit und von frischem 
Mute. Meist fehlt jede Andeutung von Bartbildung. In dem Saale, 
in welchem die chronischen Bettnässer untergebracht waren, glaubte 
man sich in einer Hilfsschule für minderbegabte Zöglinge zu be¬ 
finden. 

Aber auch die Vorgeschichte weist in der Regel auf eine 
geistige Minderbegabung hin. Die Leute berichten oft 
davon, dass auch ihre Geschwister Bettnässer seien. Sie selbst hätten 
von Kindheit auf schlechte Tage gehabt. Wegen ihrer Unreinlichkeit 
seien sie immer gescholten und geschlagen worden. In der Schule 
hätten sie schlecht gelernt, hätten wiederholt sitzen bleiben müssen 
und seien schliesslich als unbrauchbar entlassen worden. In der Lehre 
sei es ihnen wegen ihrer Unreinlichkeit nicht viel besser gegangen. 

•) Nach einem im Würzburger ärztlichen Verein am 26. III. 18 
gehaltenen Vortrage. 

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756 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


Bei der körperlichen Untersuchung solcher DauerenuretikeT 
waren nun vielfach ausgesprochene Degenerations¬ 
zeichen festzustellen. Die Leute waren z. T. knabenhaft klein und 
unentwickelt und schwächlich geblieben (Infantilismus), hatten 
Henkelohren oder Turmschädel oder Schädelasymetrie, fliehende Stirn 
oder tiefen frontalen Haarwirbel. Einer von ihnen bot ausgesprochen 
eunuchoiden Wuchs: übermässig lange Extremitäten und trotzdem 
noch keine Verknöcherung der Epiphysenlinien, weites Offenbleiben 
des Hiatus sacralis im Röntgenbild, die Hoden waren fibrös, klein, 
kaum pfirsichkerngross. Auch bei anderen Dauerenuretikern konnten 
an den äusseren Geschlechtsorganen wiederholt Missbildungen wie 
Hypospadie oder Hypogenitalismus festgestellt werden. 



Die Untersuchung des Harns ergab niemals einen krankhaften 
Befund. Auch die Hammenge und das Gewicht des Harns hielten sich 
in den Grenzen der Norm. 

Untertags konnten die meisten Kranken sich rein halten, freilich 
mussten sie rasch gehen, wenn das Bedürfnis sich einstellte. Manche 
nässten aber auch am Tage die Kleider. Der Urin lief in die Hosen 
ab ohne dass die Kranken vorher eine Empfindung hatten. Im Schlafe 
kam es aber fast jede Nacht zum Harnabgang ins Bett. Da 
nützte keine Trockenkost. keine pharmakologische Behandlung und 
vor allem nützte auch kein Wecken, selbst wenn es 4—6 mal in der 
Nacht wiederholt wurde. Die Leute lagen immer des Morgens nass 
im Bett. 

Die kystoskopische Untersuchung der Blase zeigte nun, 
dass in einem erstaunlich grossen Prozentsatz der Kranken mit infan¬ 
tiler Enuresis am Blasenscheitel eine divertikelartige Dehnung vor¬ 
liegt. Unter Leitung des Herrn Sanitätsrat Dr. C. Schneider- 
Brückenau untersuchte Feldhilfsarzt liiert alle unsere Blasenkranken 
mit dem Kystoskop und fand nun, dass in etwa 80 Proz. aller Bett¬ 
nässer, die seit Kindheit an dieser Störung leiden, eine obere Blasen¬ 
partie durch einen ins Blaseninnere vorspringenden Muskelwulst von 
der übrigen Blase abgetrennt wird. Fig. 2 u. 3 sind nach den 



Fig. 2. 


Fig. 3. 


kystoskopischen Befunden, wie sie von C. Schneider und liiert 
erhoben wurden, gezeichnet. Auf Fig. 2 ist zum Ausdruck gebracht, 
dass der Muskelwulst, der etwa mit Sphinkter tertius der Ampulla 
recti zu vergleichen ist, sichel- oder halbmondförmig nur die vordere 
Hälfte der Blase umgreift und so zu Bildungen führt, die mit einer 
phrygischen Mütze verglichen werden können. Manchmal wird aber 
durch einen vollen Muskelring eine obere Haube von der unteren 
Blase deutlich abgetrennt (vergl. Fig. 3). Die Muskulatur in diesem 
unteren grösseren Teile der Blase ist dann häufig hypertrophisch, was 


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sich im kystoskopischen Bilde durch die Balkenblasenzeichnung er¬ 
kennen lässt. In der oberen Ausstülpung selbst ist die Blaseninnen¬ 
fläche glatt, ob sie nach oben zu spitz ausläuft, wie dies bei Urachus- 
divertikeln der Fall ist, lässt sich mit dem Blasenspiegel nicht ent¬ 
scheiden. Hin und wieder findet sich bei Dauerenuretikern freilich 
auch eine trabekuläre Zeichnung ohne dass es zur Ausbuchtung des 
Blasenscheitels gekommen wäre. Die beschriebenen Haubenbildungen, 
die sich beim Blasenspiegeln an dem abtrennenden Muskelwulst leicht 
erkennen lassen, sind von V. Blum 1 ) bei den „mit inkompletter 
Harnverhaltung behafteten Euuretikern“ durch Röntgendurchleuchtung 
der mit Kollargol gefüllten Blase wiederholt gefunden und in ihrer 
„Eichel- oder Kartenherzform“ abgebildet worden. Er spricht sie 
als Urachusdivertikel an. 

Von keiner Seite wurde aber noch festgestellt, dass die Er¬ 
weiterung des Blasenscheitels und der abtrennende Muskelring gerade 
bei den erwachsenen Dauerenuretikern so sehr häufig zu finden sind. 
Von denjenigen Kranken unseres Lazarettes, welche ihr Blasen¬ 
leiden erst im Kriege sich geholt hatten, die also früher 
nicht genässt hatten, zeigten nur vier divertikelartige Deh¬ 
nung des Blasenscheitels und diese erkrankten vielleicht auch 
eben deshalb, weil ihre Blase krankhaft veranlagt war. Bei 
der von Kindheit an bestehenden Dauerenurcse jedenfalls handelt 
es sich meist nicht um eine funktionelle „Blasenneurose“. Vielmehr 
liegt diesem Leiden meist eine angeborene Minderwertigkeit der Uro¬ 
genitalorgane zugrunde. Eine solche Störung kommt bald in einer 
Spina bifida occulta, bald in einer Unterentwicklung der Prostata oder 
in Hypogenitalismus oder in Hypospadie, sehr häufig aber, in mehr 
als \ der Fälle, in einer Dehnung des Blasenscheitels zum Ausdruck. 
Dass durch eine solche die willkürliche Beeinflussbarkeit der Blasen¬ 
entleerung schwer leiden kann, ist ohne weiteres verständlich. Ver¬ 
ständlich werden durch diesen Befund auch die. Misserfolge bei der 
Behandlung der Enuresis infantilis permanens. Eine Tatsache, mit 
der von militärärztlicher Seite längst gerechnet wird. Ist doch schon 
von der Friedenssanitätsordnung bei Bettnässern, die von Kindheit 
an diesem Leiden kranken, die Entlassung aus dem Heeresdienst vor¬ 
gesehen. 

Von dem Krankheitsbilde, bei welchem die Enuresis von Kind¬ 
heit ab ohn.e Unterbrechung bis ins reife Mannesalter besteht, 
sind leichtere Formen abzutrennen, die noch nicht mit dauerndem 
Bettnässen einhergehen, bei denen vielmehr für Tage und Wochen, 
hauptsächlich in den Sommermonaten, dieses Leiden vorüber¬ 
gehend aussetzt, um freilich mit der kühlen Jahreszeit immer 
wieder sich einzustellen (Enuresis nocturna infantilis intermit- 
t e n s). 

Zu diesen Formen von angeborener Blasenschwäche sind 
auch die Fälle zu rechnen, bei welchen das Leiden nach längerem 
Intervall im Anschluss an die Strapazen des Kriegsdienstes, oft 
aber auch schon an die des Garnisonsdienstes auftritt (Enuresis 
infantilis recidiva). Solche Beobachtungen sind verhältnis¬ 
mässig häufig. Nach unseren Zusammenstellungen handelte es sich 
bei fast 25 Proz. der blasenkranken Soldaten um Leute, die bis 
zum 10. oder 12. oder 14. Jahre nächtlich das Bett genässt hatten, 
dann beschwerdefrei geblieben waren, um im Kriege im Anschluss 
an schwere Erkältungen, nach Durchnässungen. nach wiederholtem 
Nächtigen im Freien von ihrem alten Leiden wieder befallen zu 
werden. Wiederholt wurden uns solche Kranke eingewiesen, die 
noch gar nicht im Felde waren und schon in der Garnison nach einer 
Felddienstübung im Schnee und Eis oder nach nächtlichem Posten¬ 
stehen im Ostwind wieder zu Bettnässern geworden waren, obgleich 
sie vorher sich viele Jahre sauber halten konnten. Bei der Unter¬ 
suchung dieser Leute konnten äussere Degenerationszeichen, wie 
Schädelanomalien, schwere Plattfussbildung oder Hypospadie nur ganz 
vereinzelt einmal festgestellt werden; die sekundären Geschlechts¬ 
merkmale waren gut entwickelt, doch waren in psychischer Hinsicht 
häufig Zeichen der Entartung nachzuweisen. Vielfach handelte es 
sich um nervöse, ängstliche, willensschwache Leute. Die kysto¬ 
skopische Untersuchung fand auch bei diesen rückfälligen Bettnässern 
in einem recht grossen Prozentsatz, etwa in 40—50 Proz., divertikel¬ 
artige Ausbuchtung des Blasenscheitels und hin und wieder eine 
Balkenblase ohne Divertikel. Ein Beweis dafür, dass auch bei den 
rezidivierenden Fällen von Enurese dem Leiden oft eine 
anatomische Veränderung der Blase zugrunde liegt und dass dieses 
Leiden auf eine angeborene Beeinträchtigung der Blaseninner¬ 
vation zurückzuführen ist. 

Von diesen infantilen Blasenstörungen, mögen sie dauernder oder 
rückfälliger Art sein, sind grundsätzlich diejenigen Miktionsbe¬ 
einträchtigungen abzutrennen, die sich bei Soldaten einstellen, welche 
bis dahin blasengesund waren. Es handelt sich dann um Blasen¬ 
störungen, die nicht auf angeborene Minderwertigkeit der Blasen¬ 
anlage, sondern ausschliesslich auf äussere Schädigungen zurück¬ 
zuführen sind. Da wir dieses Krankheitsbild in dieser Art und dieser 
Häufigkeit vom Frieden her nicht kannten und da es im Kriege recht 
häufig auftrat, so ist man w'ohl berechtigt, von Kriegsblasen¬ 
störungen zu sprechen. 

Die Symptomatologie dieses Leidens ist bei allen Kranken ziem¬ 
lich gleichartig: Im Anschluss an längere Kälteeinwirkung, an 
wiederholtes Bivakieren, an Nächtigen in kalten Scheunen, an langes 
Stehen im Wasser, an stundenlanges Fahren in der Kälte stellt sich 

x ) W.kl.W. 1917 Nr. 39. 

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9. Juli J918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


757 


bei Leuten, die früher n i e mit Blasenstörungen zu tun hatten, häufiger 
Harndrang ein. Alle halben, ja alle Viertelstunden müssen die Be¬ 
troffenen austreten. Der Harndrang ist so heftig und so zwingend, 
dass ihm sofort nachgegeben werden muss. Ist das nicht möglich, so 
geht der Urin in die Kleider ab (P o 11 a k i s u r i a [nM&mc =s oft] 
ex f r i g o r e diurnea). Nach einiger Zeit oder manchmal schon 
gleichzeitig, stellt sich der häufige Harndrang auch nachts ein. Im 
Schlaf geht der Urin dann unwillkürlich ab (Enuresis nocturna 
r e f r i ge r a t o r i a). Sind die Leute nicht in der Lage, sich nun 
zu schonen und m der Wärme und in der Ruhe die Störung zur 
Ausheilung zu bringen, sind sie vielmehr weiterhin noch Kälteein¬ 
wirkungen ausgesetzt, so kommt es schliesslich auch am Tage zum 
unwillkürlichen Harnabgang in die Kleider. Erst am Warm-.und 
am Nasswerden der Hosen und der Stiefel merken die Kranken, dass 
wieder Harn abgegangen ist. Diese Enuresis diurna beginnt 
meist mit Nachträufeln im Anschluss an die willkürliche Miktion. 
5—10 Minuten nach der gewollten Harnentleerung tröpfelt der Harn 
noch aus dem Gliede ab, der Kranke ist nicht imstande, die Blase 
vorher willkürlich völlig zu schliessen. Späterhin geht der Harn aber 
auch in der Zeit zwischen den willkürlichen Miktionen spontan in 
die Kleider ab. Die Leute sind dann den ganzen Tag über nass und 
es entsteht das anfänglich geschilderte Bild, das für die Kranken 
selbst und für ihre Umgebung so grosse Unannehmlichkeiten bietet. 

Im Lazarett kann dann die Erhebung der Vorgeschichte und die 
Untersuchung feststellen, dass es sich bei den Kranken mit Kriegsblasen- 
siörungen meist nicht um körperlich oder geistig schwächliche Leute 
mit rückfälliger infantiler Enuresis handelt. Es zeigt sich vielmehr, 
dass die befallenen Kranken in körperlicher und psychischer Hinsicht 
durchaus intakt sind, dass sie gut entwickelte sekundäre Geschlechts¬ 
merkmale, vielfach starke Bartbildung, normal gebildete Sexual- und 
Harnorgane haben und dass sie oft erst nach längerer Dienstzeit i in 
reifen Mannesalter von dem Leiden befallen wurden. Die 
Behauptung, dass nur die niederen Chargen von der Kriegspollakisurie 
ergriffen werden, trifft nicht zu. Unter unseren Kranken hatten wir 
mehrere Offiziere und mehrere Aerzte. Bei der genauen Untersuchung 
lässt sich dann auch nachweisen, dass die Miktionsstörungen nicht 
durch eine entzündliche Blasenerkrankung verursacht sind. Das Fehlen 
von Eiweiss und von entzündlichen Formelementen und das Fehlen 
von Prostataveränderungen lässt den Schluss ziehen, dass es sich bei 
dieser Pollakisurie um „n ervösc“ Blasenstörungen handelt. Tat¬ 
sächlich findet man bei den Erkältungspollakisurien mit dem Kysto- 
skop niemals diffuse entzündliche Veränderungen im Blasen- 
innern; höchstens in der Gegend des Trigonum Lieutaudii lässt sich 
eine umschriebene Hyperämie nachweisen. Die kystoskopischen Be¬ 
funde. wie sie bei der infantilen Enuresis so oft festzustellen sind, 
die Balkenblase und Blasenscheitelausbuchtung sind bei der einfachen 
Erkältungspollakisurie nur ganz selten zu erheben. 

Die Bezeichnung „Blasenschwäche“ für das in Rede stehende 
Leiden trifft insofern zu. als die 'Blase ihrer Aufgabe, den Ham bis 
zu der Zeit der willkürlich gewählten Miktion zurückzuhalten, nicht 
gerecht werden kann. In Wirklichkeit handelt es sich aber nicht 
um eine „Schwäche“, sondern meist um eine Hypertonie mit einer 
erhöhten Reflexerregbarkeit. Verhältnismässig kleine 
Urinmengen, 100—150 ccm, lösen schon einen zwingend einsetzenden 
Entleerungsreflex aus, der sich dann, wenn ihm nicht nachgegeben 
werden kann, von selbst Bahn bricht. Der Urin geht bei der Er¬ 
kältungspollakisurie in kräftigem Strahl ab. 

Durch Blasendruckmessungen lässt sich nun auch zwei¬ 
felsfrei feststellen, dass die Kriegspollakisurie für gewöhnlich mit 
einer echten Hypertonie einhergeht. Auf kleine Mengen körper¬ 
warm in die Blase einlaufende 
Borsäurelösung reagiert der 
Detrusor schon mit lebhaften 
Kontraktionen. Aber auch 
dann, wenn diese wieder zur 
Ruhe gekommen sind, steigt 
der Blaseninnendruck bei wei¬ 
terhin einlaufenden Flüssig¬ 
keitsmengen viel rascher als 
bei normalen Verhältnissen. 
Bald schon werden die Blasen¬ 
kontraktionen so heftig, dass 
bei einer Steigerung des 
Innendruckes der Blase über 
100 ccm Wasser die Flüssigkeit neben dem Katheter durch die 
Urethra ausgestossen wird. Einige Tabellen, in denen der Blasen- 
rnemlruck nach Einlauf von je 100 ccm Borsäurelösung vermerkt ist, 
mögen Ihnen die Zahlen unter normalen und unter krankhaften Ver¬ 
hältnissen darstellen. Bei einem gesunden Menschen und bei infantiler 
Enuresis reagiert der Detrusor vesicae auf Blaseneinläufe mit nicht 
starken Kontraktionen und mit nicht so rascher Steigerung des 
Blasenmnendruckes wie bei der Erkältungspollakisurie (vergl. Fig. 4 
•nit Fig. 5 u. 6). Bei dieser Krankheit ist auch die Blasenkapazität, die 
Eassungsfähigkeit der Blase gegen die Norm und gegen die Enuresis 
infantilis stark herabgesetzt. Die Blase ndruckmessung ist 
Usoeiiic wertvoIleMethode, umin objektiver, durch 
Zahlen zu belegender Weise sich ein Urteil über 
d i e r e i I e k t o r Ls c h c Erregbarkeit der Blasenmuskti- 
1 a t u r 7. ii verschaffen. 

Nf ' 28 ' Digitized by CjQv 



Fig. 4. Normale Verhältnisse. 


Die anfänglich bestehende Hypertonie, die mit der Erkäl¬ 
tungspollakisurie einhergeht, verliert sich, wie Abb. 7 zeigt, mit dem 
Rückgang der Beschwerden, mit der Aus¬ 
heilung des krankhaften Prozesses. 

Nicht immer aber gehen die Er¬ 
kältungsmiktionsstörungen nur mit einer 
Hypertonie des De t r u s o r s, mit Pollakisurie 
und mit Enurese einher. 
In manchen, freilich viel 
selteneren Fällen, etwa in 
3—4 Proz. der Erkran¬ 
kungen, kommt es nach 
Erkältungsschädigungen, 
wie nach Liegen auf ge¬ 
frorenem Erdboden, nach 
Postenstehen im kalten 
Winde auch zur Hyper¬ 
tonie, zum Spasmus des 
Sphinkter vesicae. 
Dies äussert sich dann in 
akuter Harnver hal- 




Fig. 5. 

Reizbare Blase bei 
Kriegspollakisurie. 


too 200 300 aoo soo I 
Fig. 6 i 

Btasenhypertonie bei 
Kriegspollakisurie. 



' 200 300 


Fig. 7. Blasendruckkurve nach 
! Abklingen der Hypertonie. 


t u n g. Das Bild ist dann ähnlich wie bei der Ischuria paradoxa. 
Die Blase reicht stark überdehnt bis zum Nabel und nur durch An¬ 
spannung der Bauchpresse, manchmal sogar nur mit Hilfe der pressen¬ 
den Hand«, kommt es zur Entleerung von kleinen Mengen Harn. 
Objektiv ist der Sphinkterspasmus durch den grossen 
Widerstand, den der krampfhaft verschlossene Schliessmuskei dem 
Eindringen des Katheters in die Blase entgegensetzt, meist leicht 
festzustellen. Die subjektiven Beschwerden sind bei der er¬ 
schwerten Miktion mit ihren Blasenkolikschmerzen und mit der 
grossen Spannung im Leib viel grösser als bei der Kältepollakisurie, 
hei der die Empfindungen auf den häufigen und heftigen Harndrang 
beschränkt bleiben. Mit der Entleerung der Blase lässt dieser nach 
und im Gegensatz zur Zystitis und zur Blasentuberkulose kommt es 
bei der Pollakisurie so gut wie niemals zum Tenesmus. 

Bei einem kleinen, erfreulicherweise recht kleinen Prozentsatz 
der Fälle, bei etwa 2—3 Proz., bilden sich die Störungen der Polla¬ 
kisurie aber auch in der gleichmässigen Wärme und bei dauernder 
Bettruhe, die im Lazarett geboten werden kann, nicht zurück. Der 
häufige Harndrang geht in Nachträufeln und das Nachträufeln geht 
schliesslich in kontinuierliche Inkontinenz über. Bei Tag 
und bei Nacht entleert sich Tropfen für Tropfen aus dem Gliede in 
denselben Mengen, wie sie von den Nieren durch die Ureteren in 
die Blase abgesondert werden. Durch den Katheter lässt sich dann 
jedesmal feststellen, dass geringe Mengen, etwa 2—^300 ccm Resi¬ 
dual h a r n in der Blase zurückgehalten werden; In einem solchen 
Fall fanden wir einmal bei der Blasendruckmessung, dass die Detrusor- 
muskulatur auf Einläufe in die Blase überhaupt nicht mit Kontrak¬ 
tionen reagierte. Sie war augenscheinlich ebenso atonisch wie der 
Sphinkter vesicae. In anderen Fällen von dauerndem Harnträufeln 
erwies sich die Blase als dehnungsunfähig. Die Blase konnte 
dann Mengen von über 150 ccm nicht mehr fassen. Solche Verhält¬ 
nisse entsprechen dann dem von Fuchs und Gross als „Blasen- 
starre“ beschriebenen Bilde, das aber wohl weniger auf wirkliche 
Starre als auf extremen Spasmus des Detrusors zurückzuführen ist. 

Kranke mit solcher schweren Inkontinenz sind recht übel daran. 
Die Leibwäsche, die Beinkleider, das Bett sind beständig nass, 
schmierig und stinkend. Der Zustand kann nur durch das Tragen 
eines Urinals bei Tag und bei Nacht erträglich gemacht werden. Es 
braucht kaum erwähnt zu werden, dass solche Patienten als dienst¬ 
unbrauchbar zu entlassen sind. 

Dass in der A e t i o 1 o g i e der Kriegsbhsenstörungen die K ä 11 e- 
ein Wirkung eine sehr wesentliche Rolle spielt, stellt ausser 
Frage. Nicht nur die Mehrzahl unserer Kranken gab uns an, dass 
sie ihr Leiden sich durch Erkältung zugezogen haben, auch in der 
Literatur (und diese ist hauptsächlich in den österreichischen Zeit¬ 
schriften sehr gross) wird von allen Seiten anerkannt, dass die Kälte 
für die in Rede stehende Krankheit als häufigste Ursache zu be¬ 
schuldigen ist. Vor allem aber geht aus den Berichten, die von den 
Armee- und Divisionsärzten, von den Kriegs- und Feldlazaretten im 
Osten und Westen eingegangen sind, mit Sicherheit hervor, dass die 
Kälteeinwirkung einen ursächlichen Einfluss auf die nervösen Blasen¬ 
störungen hat. Die Berichte melden übereinstimmend, dass dieses 
Leiden im Sommer nur sehr selten zu beobachten ist, dass es aber 
im Herbst mit der nassen Kälte, gegen welche die Leute weniger 
geschützt sind als gegen die stärkere trockene Kälte im Winter, 
häufig auftritt. Auch in den ersten Monaten des Jahres, vom Januar 
bis April ist der Zugang von Blasenkranken noch recht gross. Im 
w a rmeii Orient sah ich in über Jahresfrist weder in deutschen 
noch in türkischen Lazaretten nervöse Blasenstörungcn. Wohl aber 

Original from 2 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA 






758 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


wurde mir berichtet, dass bei den Truppen, welche an den Dardanellen 
im Winter schlecht gegen Kälte und Nässe geschützt waren, vielfach 
nervöse Blasenstörungen vorgekommen sein sollen. 

An der Tatsache, dass starke, andauernde Wärmeent¬ 
ziehungen zu nervösen Blasenstörungen führen können, dürfen 
und können wir demnach nicht zweifeln. Schwierig ist nur die Frage 
zu entscheiden, auf welche Weise denn die Kälte die Blasen¬ 
funktion so ungünstig beeinflusst. Ist doch kaum ein Organ im Körper 
gegen die Einwirkung der Kälte mehr geschützt als die Blase, die in 
der Mitte des kleinen Beckens gelegen, auch noch durch Hemd, 
Hose, Rock und Mantel vor zu grossen Wärme Verlusten geschützt ist. 
Wir können uns also kaum vorstellen, dass die Kälte direkt auf 
die an der hinteren Blasenwandung befindlichen nervösen Apparate 
einwirkt. Vielmehr müssen wir vermuten, dass über die äussere Be¬ 
deckung des Körpers die Kälte reflektorisch die Blaseninner¬ 
vation beeinflusst. Eine solche Annahme wird durch die Berichte der 
Kranken mit Enuresis infantilis intermittens gestützt, die uns vielfach 
dahin unterrichten, dass sie im Sommer nicht nässen, dass aber schon 
mit Beginn der kalten Jahreszeit ihr Leiden sich immer wieder ein¬ 
stellt. Besonders ungünstig wirkt bei ihnen körperlich anstrengende 
Tätigkeit in der Kälte. Ja es gibt manche Leute, die schon auf kalte 
Fiisse mit vermehrtem Harndrang reagieren und bei denen sich jedes¬ 
mal beim Gehen in sehr kalter, frischer Luft, auch dann, wenn sie 
warm eingehüllt sind, Pollakisurie, ja sogar Kleidernässen einstellt. 
Aehniich nun wie alle Schmerzempfindungen, wo sie auch zustande 
kommen mögen, zu Blasenkontraktionen, bei Kindern sogar manchmal 
zu Blasenentleerung führen, so scheinen auch Kälteeinwirkungen auf die 
Haut auf reflektorischem Wege vermehrte und verstärkte Blasenkon¬ 
traktionen auslösen zu können. Ist die Blaseninnervation, wie dies bei 
Leuten mit kindlichem Bettnässen der Fall ist, in der Anlage minder¬ 
wertig und vom Gehirn wenig beeinflussbar, so kommt es nach 
Kälteeinwirkung umso leichter zu Störungen. Aber auch bei Leuten, 
die bis dahin blasengesund waren, kann augenscheinlich langdauemde 
reflektorische Beeinflussung der Blase durch wiederholt und lang- 
dauernde Wärmeentziehungen der 'Haut zu dauernden Störungen 
der Blaseninnervation führen. 

Dass Kälte, die örtlich auf die Blase einwirkt, imstande 
ist, Pollakisurie zu erzeugen, wurde uns durch einen Versuch klar 
bewiesen. Ein junger Medizinstudent (M. F.), der sich bei unseren 
Studien über die Thermoempfindlichkeit der Blase kaltes Wasser 
durch einen Gummikatheter in die Harnblase einlaufen liess, hatte 
im Anschluss an diesen Versuch für einige Tage recht störende 
Pollakisurie, die ihn auch nachts oftmals weckte. 

Auf eine andere und zwar auf eine entzündliche Genese 
der Kriegspollakisurie weisen die im Felde auch so häufig auftreten¬ 
den Nierenentzündungen hin. Wenn auch jetzt die Mehrzahl der 
Autoren die Kriegsnephritis für eine Infektionskrankheit hält, so kann 
doch darüber kein Zweifel sein, dass sie im Winter und in der kalten 
Nässe viel häufiger auftritt als im Sommer, dass also die Kälteein¬ 
wirkung bei ihrer Entstehung eine grosse Rolle spielt. Die Kriegs¬ 
nephritis geht nun oft mit einer Reizungdes gesamten harn¬ 
erzeugen dien und harnle-itenden Apparates einher. 
Wiederholt sahen wir Kriegsnephritisfälle anfänglich mit starker, an¬ 
dauernder und quälender Pollakisurie kompliziert. Nun scheint es 
uns wohl möglich, dass bei manchen Kranken, welche lange der nassen 
Kälte ausgesetzt waren, die Niere weniger, dafür die Harnleiter und 
die Blase umsomehr von dem Reizzustand betroffen werden. Mit einer 
solchen Deutung würde es auch übereinstimmen, dass in akuten Fällen 
von Kriegspollakisurie durch Urologen mit dem Kystoskop recht 
häufig umschriebene Hyperämien im Trigonum Lieutaudii festgestellt 
wurden. Gerade aber von dort, vom Blasenboden und vom Blasen¬ 
halse aus werden die Blasenkontraktionen ausgelöst. Es scheint uns 
also sehr wohl möglich zu sein, dass ein umschriebener Entzündungs¬ 
zustand am Blasendreieck, eine „Trgionitis“, für die erhöhte Reflex¬ 
erregbarkeit der Blase, für die Pollakisurie, in ähnlicher Weise ver¬ 
antwortlich zu machen ist, wie eine umschriebene Konjunktivitis für 
den Blinzelreflex. Freilich muss die ätiologische Bedeutung einer 
Hyperämie im Blasendreieck recht vorsichtig beurteilt werden, ent¬ 
wickelt sich doch eine solche schon nach längerem Kystoskopieren. 

Für die Entzündungsgenese der Kriegspollakisurie und 
Kriegsenuresis würden auch die nicht seltenen Beobachtungen 
sprechen, bei denen sich das Blasenleiden während oder kurz nach 
akuten Infektionskrankheiten entwickelt hat. Nach An¬ 
gina, nach Typhus, nach dem Fünftagefieber, insbesondere aber nach 
Ruhr, ist das Auftreten einer quälenden Pollakisurie durchaus nichts 
Seltenes. Unter den 120 Blasenkranken die ich in einer hiesigen 
Reservelazarettabteilung zu beobachten und zu behandeln hatte, 
führten 10 Patienten ihr Leiden auf durchgemachte Infektionskrank¬ 
heiten zurück. Ob in diesen Fällen die nervösen Bläsenstörungen 
durch entzündliche Reizzustände in den Ureterenmündungen, am 
Blasenboden oder am Blasenhalse oder durch toxische Schädigungen 
der nervösen Blasenapparate verursacht werden, lässt sich im ein¬ 
zelnen schwer entscheiden. 

Einen gewissen Einfluss auf die Entstehung der Kriegspollakisurie 
und der Kriegsenurese hat zweifellos auch die durch die Kriegskost 
bedingte Vermehrung der Wasser - und Salzaufnahme, 
enthalten doch die hauptsächlichen Nahrungsmittel, die Kartoffeln, die 
Suppen, die Gemüse, sehr viel Flüssigkeit und so kommt es, dass 
die Kranken zum grossen Teile eine Polyurie aufweisen. Harn- 
«mengen von 3—4000 ccm sind bei den Kranken mit Pollakisurie, 

□ igitized by Gooole 


ebenso wie bei den anderen Kranken und bei Gesunden, nichts Un¬ 
gewöhnliches. Nur wird eine einfache Polyurie noch nicht zur 
quälenden Pollakisurie und zu einer Enurese führen, dazu bedarf es 
zweifellos einer Beeinträchtigung der Blaseninnervation. 

Neben den Kälteeinflüssen und neben den Infektionskrankheiten 
kommt sicher aber noch ein drittes Mcment fü-r die Entstehung ner¬ 
vöser Blasenstörungen in Betracht und das sind schwere psychi¬ 
sche Erschütterungen. Wir sahen mehrere Fälle, in denen 
sich das Blasenleiden an Verschüttungen, an Granatexplosionen oder 
an langdauernde Angst- oder Spannungszustände angeschlossen hat. 
Ein Kranker gab uns an. dass er immer schon bei Trommelfeuer die 
Kleider genässt habe und dass sich schliesslich ein dauerndes Leiden 
daraus entwickelt habe. Ein Landwehrmann wurde durch den Luft¬ 
druck einer einschlagenden Granate bewusstlos weggeschleudert, er 
erwachte nach einiger Zeit mit nassen Hosen und leidet seit dieser 
Zeit an Enuresis nocturna et diurna. Bei einem älteren Sanitäts¬ 
soldaten kam es im Anschluss an eine Verschüttung zum Zittern 
des rechten Armes und der rechten Hand und zum unwillkürlichen 
Harnabgang. Nach mehrwöchigem Lazarettaufenthalt hatte sich die 
Enurese zwar gebessert, der Kranke war aber doch immer noch so 
erregbar, dass geringfügige Anlässe zur Verstärkung des Schüttel¬ 
tremors der Hand und zu unwillkürlichem Abgang von Harn und zum 
Abgang von Sperma in die Kleider führten. 

Bei zwei von unseren zahlreichen Blasenkranken stellte sich im 
Anschluss an psychische Traumen mit den Blasenstörungen gleich¬ 
zeitig Stottern ein. 

Dass seelische Erschütterungen, Todesangst, Erschöpfungszu¬ 
stände die Innervation der Blasenfunktionen ungünstig beeinflussen 
können, ist schliesslich nicht wunderzunehmen, wissen wir doch, dass 
psychische Traumen die Funktionen all der Organe, die vom vege¬ 
tativen Nervensystem versorgt werden, zu stören imstande sind. 
Wie oft kommt es im Anschluss an seelische Erregungen zu Tachy¬ 
kardie, zum Emotionserbrechen, zu profusen Schweissen oder zu 
Diarrhöen; da ist es wohl verständlich, dass auch manchmal die 
Blaseninnervation beeinträchtigt wird. Wir wissen ja auch von 
unseren Friedenserfahrungen her. dass bei Kindern und bei erreg¬ 
baren Leuten Angst und Schrecken zu unwillkürlichem Harnabgang 
führen kann. Neu ist uns nur die Erfahrung, dass schwere seelische 
Erregungen zu längerdauernden Blasenstörungen führen. 

Bei der Besprechung der nervösen Blasenstörungen muss auch 
die Frage erörtert werden, ob denn diese nicht zum Teil auf primäre 
Hysterie, auf krankhafte Vorstellungen zurückzuführen 
sind. Psychogene Störungen sind ja wahrlich im Kriege nichts Sel¬ 
tenes, es liegt nahe, auch bei den Blasenstörungen an diese Aetio- 
logie zu denken Auf Grund meiner Erfahrungen an recht zahlreichen 
blasenkranken Soldaten muss ich mich allerdings dahin aussprechen, 
dass ich für die im Felde aufgetretene Pollakisurie und für die dort 
entstandene Inkontinenz eine schon vorher bestehende Hysterie nie¬ 
mals beschuldigen konnte. Diese Blasenerkrankungen sind so pein¬ 
lich und so störend, sie gehen in der Vorstellung des Volkes so sehr 
mit der Empfindung der Schande und des Rückfalls in kindliche Un¬ 
reinlichkeit einher, dass hysterisch veranlagte Persönlichkeiten kaum 
je über sie zu klagen haben. Mit dem Hosenpissen und mit dem 
Bettnässen lässt sich nicht so gut Sensation und Mitleid erregen wie 
mit dem Mutismus, dem Schütteltremor oder mit augenfälligen Läh¬ 
mungen. Viel eher komm es einmal zur hysterischen Harnverhaltung. 

Auch die bewusste Simulation bedient sich meinen Er¬ 
fahrungen nach nur ganz selten der Enuresis um ihr Ziel zu erreichen. 
Wohl aber mag es sein, dass mancher Blasenkranke bewusst oder 
unbewusst, länger als es der Krankheit entspricht, das Bett nässt, 
um sich der Wiederverwendung und den Strapazen und Gefahren 
des Krieges möglichst lange zu entziehen. 

Schliesslich wären noch die Fälle zu erwähnen, wo es im An¬ 
schluss an schwere körperliche Traumen, an Beckenbruch, 
an Sturz aus grosser Höhe, an Commotio spinalis oder oerebralis zu 
akuter Harnverhaltung gekommen ist. Bei einer solchen 
Sachlage wird man immer mit der Möglichkeit einer Nervenzer¬ 
re i s s u n g im Becken, einer Läsion der Cauda equina oder 
von Quetschungen oder Blutungen im Rückenmark rechnen 
müssen. 

Schon im Jahre 1902 hatte ich darauf hingewiesen 2 ), dass Quer¬ 
schnittserkrankungen des Rückenmarks, einerlei in welcher Höhe sie 
erfolgt sind, in Bezug auf die Blasenfunktionen fast immer dasselbe 
Bild verursachen wie die Kompression der Cauda equina. Fast immer 
handelt es sich anfänglich um eine Ischuria paradoxa, die dann später 
in automatische, vom Willen unbeeinflussbare Entleerung der Blase 
übergeht. Neuerdings hat nun O. Schwarz 3 ) auf Grund von sehr 
zahlreichen Beobachtungen an Kriegsverletzungen des Rückenmarks 
in der v. Eiseisberg sehen Klinik in Wien diese meine Behaup¬ 
tungen bestätigt. 

Stets ist natürlich auch mit der Möglichkeit zu rechnen, dass bei 
Soldaten nervöse Blasenstörungen auf eine beginnende Tabes oder auf 
multiple Sklerose oder eine andere Rückenmarkserkrankung zurück¬ 
zuführen sind, doch ist hier nicht Ort und Raum, um auf die von 


2 ) Klin. u. experimentelle Studien über die Innervation der Blase, 
des Mastdarms und des Genitalapparates. D. Zschr. f. Nervenhlkd. 
21. 1902. 

3 ) Ueber Störungen der Blasenfunktion nach Schussverletzungen 
des Rückenmarks. Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 29. 1916. 

Original from 

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9. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


759 


Friedenszeiten her bekannten pathognostischen Merkmale solcher 
Blasenerscheinungen einzugehen. 

Die Behandlung der nervösen Blasenstörungen der Soldaten 
und die Beurteilung der therapeutischen Aussichten richten sich natür¬ 
lich ganz nach der Ursache des Leidens 

Bei angeborenen Blasenstörungen, wie bei mangeln¬ 
der Entwicklung der Prostata, bei der Trabekelblase, bei Ausbuch¬ 
tungen des Blasenscheitels und bei anderen .Bildungsfehlern kann, 
wie schon erwähnt, die sorgfältigste Behandlung kaum wesentliche 
Erfolg erzielen, sie kann die Enuresis infantilis persistens nicht bessern, 

Viel günstiger sind die Aussichten • bei der erworbenen 
Kältepollakisurie und bei der Kälteenurese. Durch Beschränkung 
der Fliissigkeitsaufnahme, durch 'Bettruhe und die dadurch bedingte 
gleichmässige Bettwärme, durch heisse Umschläge auf die Blasen¬ 
gegend, durch heisse Bäder und durch heisse Blasenspülungen 
lassen sich die Störungen, wenn sie nicht allzu lange schon ver¬ 
schleppt sind, meist bald wieder zurückdrängen. So kommt es, dass 
die Kältepollakisurie in den Feldlazaretten vief häufiger anzutreffen 
ist als in den Heimatlazaretten. Je bälder die Kranken in Behand¬ 
lung kommen, umso besser ist die Prognose. Häufigaberbleibt 
eine Neigung zu Rückfällen. Schon bei der Lazarettbe¬ 
handlung tritt das Bett- oder Kleidernässen wieder auf. wenn die 
Kranken an einem kalten Tage Ausgang haben oder im Freien be¬ 
schäftigt werden. Aber auch wenn sie das Nässen längst verloren 
hatten und als beschwerdefrei und als geheilt entlassen wurden, 
stellt sich das Leiden nicht selten mit dem Spätherbste mit der Kälte 
aufs Neue wieder ein. 

Es liegt nahe, den reflektorischen Reizzustand, welcher der 
Pollakisurie zugrunde liegt, mit Opiaten zu behandeln. Unsere Re¬ 
sultate mit solchen Präparaten waren nicht befriedigend Auch mit 
Bromverabreichung gönnten wir die quälende Pollakisurie nicht 
bessern. Ebensowenig sahen wir von den vielgepriesenen und viel 
empfohlenen C a t he 1 in sehen Injektionen in den Sakralkanal irgend¬ 
welche Erfolge. Wohl aber besserte sich der Zustand manchmal 
nach dem Einlegen eines Verweilkatheters. Insbesondere bei der 
Dauerinkontinenz und beim Nachträufeln scheint die länger anhaltende 
Dehnung des Sphinkter vesicae zu nachträglichem stärkeren Ver¬ 
schlüsse anzuregen. Recht guten Einfluss auf den häufigen Harn¬ 
zwang hatte Atropin per os in Dosen von 1—2 mg. 

Auch bei den Blasenstörungen, die sich an Infektions¬ 
krankheiten und an psychische Traumfn anschlossen, 
hatten wir mit strenger Bettruhe und mit warmen Applikationen gute 
Erfolge. Der Zwang zur Bettruhe wirkte bei den nicht fieberhaften 
nervösen Blasenstörungen bald so langweilend, dass die Kranken sich 
alle Mühe gaben, ihr Leiden so weit es möglich ist, durch den 
Willen zu bekämpfen. Ausgangserlaubnis oder gar Urlaub wurde 
immer erst erteilt, wenn keine Enurese mehr bestand und wenn 
der Harndrang nicht mehr so häufig und so zwingend auftrat.' 

Hatte sich im Anschluss an die Kriegspollakisurie dauerndes 
Harnträufeln eingestellt, hatte dieses schon wochen- und monate¬ 
lang angehalten, war es auch durch einen Verweilkatheter nicht ge¬ 
bessert worden, so musste die Prognose ungünstig beurteilt werden, 
dann konnte der Zustand nur durch Verabreichung eines Gummi- 
urinals erträglich gestaltet werden. 

Von den mechanischen, z. T. recht robusten Mitteln, die auch 
von wissenschaftlicher Seite zur Bekämpfung der Enuresis empfohlen 
wurden, wie von der«Penisklemme, von der Umschnürung des Gliedes 
durch einen Gummischlauch, vom Liegen auf Brettern, von mangel¬ 
hafter Bedeckung der Kranken bei Nacht, von der Erhöhung des Fuss- 
endes des Bettes kann ich mir bei den nervösen Kriegsblasenstörungen 
keinen Erfolg versprechen. 

Aus meinen Darlegungen mögen Sie entnommen haben, dass dm 
nervösen Blasenstörungen recht verschiedene Ursachen zugrunde 
'iegen können. Es ist nicht richtig, sie. wie das vielfach geschehen 
ist. nur unter einem ätiologischen Gesichtspunkte zu betrachten. 

Geradeso wie die nervösen Störungen aller übrigen inneren 
Organe können die Blasenstörungen durch psvchische Momente, 
durch Beeinträchtigung der Leitungsbahnen und der entsprechenden 
Kerngebiete im Rückenmark, durch Unterbrechung der zu den 
Organen ziehenden Nerven, durch Erkrankung der extra- und 
ntramural gelegenen Ganglienzellen und durch Läsion der 
Muskulatur selbst verursacht sein. Wir müssen uns immer da¬ 
rüber klar sein, dass mit der Bezeichnung Enuresis oder Pollakisurie 
oder Ischurie nur Svmptome genannt werden, und dass es Aufgabe 
des Arztes ist, die Ursache dieser Symptome zu erkennen und sie 
nach Möglichkeit zu beseitigen. 


Aus dem K. Reservelazarett Würzburg. 

(Direktor: Generalarzt Dr. Kimmei.) 

Der hydrodynamische Blutdruck. 

Von Oberstabsarzt Prof. Dr. Geigel. 

Hat mau schon ein paar tausendmal den „Blutdruck“ gemessen, 
wohlverstanden selber gemessen-, nicht messen lassen, und sich von der 
Wichtigkeit dieser so einfachen Methode genugsam überzeugt, derart, 
dass man sie als integrierenden Bestandteil jeder ersten Allgemein- 
untersuchung betrachten muss, wo immer sie vorgenommen werden 
kann, dann ist der Wunsch begreiflich und verzeihlich, sich selbst 

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darüber klar zu werden, was man eigentlich gemessen hat und was 
für Schlüsse man darauf gründen darf. Das muss man wieder selber 
machen und die erste, unerlässliche Bedingung ist dabei, sich an die 
Lehren der Hydraulik zu halten, wie sie in der Mechanik der tropf¬ 
baren Flüssigkeiten vorgetragen werden. Hier kann nur das Aller¬ 
wichtigste und nur kurz angeführt werden, und wer das Bedürfnis 
empfindet, sich genauer zu belehren, dem kann es nicht erspart 
werden, die betreffenden Abschnitte in den Lehrbüchern 1 ) selbst 
durchzuarbeiten. 

Leider kann die Theorie noch lange nicht den in der Praxis 
auftauchenden Fragen in wünschenswertem Masse nachkommen und 
es ist unerlässlich, zunächst eine Reihe von einschränkenden Be¬ 
dingungen zu setzen, die der Wirklichkeit allerdings nicht voll ent¬ 
sprechen, ihr aber mehr oder weniger nahe kommen. Das ist ja das 
Verfahren, das bei Problemen der Hydrodynamik durchgehends ein¬ 
geschlagen wird (Lit.). Ist man so zu einem vorläufigen Resultat ge¬ 
kommen, so kann je nach der Lage des Falles die eine oder andere 
der gesetzten einschränkenden Bedingungen wieder beseitigt werden, 
um der Wirklichkeit entsprechende oder wenigstens sich ihr hin¬ 
reichend nähernde Verhältnisse zu bekommen. 

Im folgenden habe ich nur die unblutige Druckmessung am Men¬ 
schen im Auge und zwar die gewöhnlichste Methode nach Riva- 
R o c c i. Durch Aufblasen einer elastischen Binde, die um den Ober¬ 
arm gelegt ist, wird unter einem gemessenen Druck die Arteria bra- 
chialis zusammengedrückt, bis an der Radialis der Puls verschwindet 
oder hier beim Nachlassen des Druckes eben wieder bemerkbar wird. 
Ob der Druck durch eine schmale Binde oder durch eine breite, nach 
v. Recklinghausen, ausgeübt wird, ist für die folgenden Be¬ 
trachtungen gleichgültig, ich verwende die breite. Zweck des Ver¬ 
fahrens . ist, den Seitendruck an der Arterie zu messen, von dem 
Satz ausgehend, dass in jedem Querschnitt eines durchflossenen Rohres 
überall der gleiche Druck herrscht. Freilich gilt das streng ge¬ 
nommen nur für die ideale, die reibungslose Flüssigkeit. 

Wir wollen hier gleich als 1. einschränkende Bedingung setzen: 
Der Koeffizient der inneren Reibung soll = Null sein, Schubspannungen 
sollen in der Flüssigkeit nicht Vorkommen können Das Blut soll als 
ideale Flüssigkeit auch inkompressibel sein. Heisst man ß die 
Masse, die bei überall gleicher Dichte auf die Raumeinheit kommt, 
so ist ß — const. 

2. Alle Vorgänge sollen sich bei der gleichen Temperatur ab¬ 
spielen. Diese Bedingung ist während jeder Blutdruckmessung stets 
hinreichend genau zutreffend. 

Sind vi, vs, vs. die rechtwinkligen Komponenten der Geschwindig¬ 
keit v, mit der sich das Blut bewegt, so soll die partielle Differential¬ 
gleichung dvi dva , dvs _ 

äx + äx + dx _ 0 

erfüllt sein, d. h: in einem Raume, der im Innern der Flüssig¬ 
keit gedacht ist, soll in jeder Zeit auf der einen Seite ebensoviel 
hinein wie auf der anderen wieder hinausfliessen (Kontinuitätsbe¬ 
dingung). Von pulsatorischen Schwankungen des Volumens und des 
Druckes soll abgesehen werden. Nur der jeweils höchste Druck 
durch die Pulswelle, der „systolische“ Druck, soll in Frage kommen. 

4. Das Linienintegral der Geschwindigkeit tu längs des durch eine 
beliebige geschlossene Linie dargestellten Integrations- 0 
weges 8 soll für jeden gewählten Weg stets = Null sein: r 
d. h. die Flüssigkeit soll wirbelfrei sein. Dies trifft Jtod$ = 0, 
in weiten Röhren und in engeren, wenigstens an Teilungs-*^ 
stellen, tatsächlich nie ganz zu. 0 

Der Druck wird bekanntlich in den Arterien durch die Arbeit des 
Herzens erzeugt und im ganzen auf der gleichen Höhe gehalten. Dieser 
Druck wird durch die Schwere erhöht oder vermindert, je nachdem 
die betrachtete Stelle tiefer oder höher im' Raum liegt und zwar ist 
der Druck an einer um h tieferen Stelle um yh höher als an einer 
höher gelegenen, wenn y das Gewicht der Volumeinheit ist. Auch 
davon wollen wir absehen und dürfen es, wenn wir uns vorstellen, 
dass der Druck immer im gleichen Höhenunterschied gegenüber dem 
Herzen gemessen wird. Es ist dies ein hydrostatisches Gesetz, aber 
in einer strömenden Flüssigkeit kommen wir mit dem hydrostatischen 
Druck nicht aus, hier tritt ein ganz anderer, der hydrodynami¬ 
sche Druck, in Geltung. Der Druck, den eine in einem Rohr 
strömende Flüssigkeit auf die Wand des Rohres ausübt, der Seiten¬ 
druck, ist allemal geringer als der hydrostatische Druck, den sie in 
der Ruhe unter sonst gleichen Bedingungen ausüben würde. Und 
zwar ist diese Verringerung gleich der kinetischen Energie der be¬ 
wegten Flüssigkeitsteilchen, also eine Grösse, die proportional dem 
Quadrat der Geschwindigkeit wächst und abnimmt. Ist der hydro¬ 
statische Druck in einem mit Flüssigkeit gefüllten Rohr = Po, so 
sinkt dieser Druck, wenn sich die Flüssigkeit mit der Geschwindig- 

v® 

keit v bewegt, um die Grösse ^ ^ » worin ^ die Masse der Volum¬ 
einheit ist. und der neue, der hydrodynamische Druck ist also 
,v* 

p = po-^o^. Solang der Kreislauf erhalten ist, herrscht aber in den 
Arterien tatsächlich nur der hydrodynamische Druck. In der Aorta, 


4 ) A. Föppl: Vorlesungen über technische Mechanik. 2. Aufl. 
Bd, 4. — R i e c k e: Lehrb. d. Physik. 4. Aufl. Bd. 1. S. 204. — R ü h 1- 
mann: Hydromechanik. 2. Aufl. S. 529. — A. Fick: Med. Physik, 
am ausführlichsten in der 1. Auflage 1856. 

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760 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


<lem Anfangsteil des Röhrensystems, wird ein erhöhter Druck durch 
die Arbeit des Herzens erzeugt und gegen das Ende, in der Vena 
anonyma, herrscht, wie man weiss, ein Druck — Null, wie wenn hier 
das Rohr frei in die Atmosphäre mündete, wie wenn es hier eine 
Ausflussöffnung hätte. Setzt man auf ein überall gleichweites Rohr, 
in dem sich Wasser bewegt, an verschiedenen Stellen Druckmesser 
(„Piezometer“) auL so findet man, dass jedes Piezometer einen 
höheren Druck zeigt als eines an einer stromabwärts gelegenen Stelle, 
umgekehrt einen kleineren als eines weiter oben, ein Teil der be¬ 
schleunigenden Kraft des Druckes ist für die Fortbewegung verloren¬ 
gegangen, er ist zur Ueberwindung einer entgegengesetzten Kraft, 
der Reibung, verwendet worden und die Differenz im Stande zweier 
Piezometer ist geradezu das Mass für den Widerstand, den die Flüssig¬ 
keit auf dem Wege von einem zum anderen hat überwinden müssen. 
Gerade darin liegt zu einem Teil die hohe klinische Bedeutung der 
Blutdruckmessung. Der an einer Stelle gemessene Blutdruck ist 
direkt ein Mass für den Widerstand, der sich von da bis zum Druck in 
der Vena anonyma, bis zum Druck = Null findet. Diesen hydro¬ 
dynamischen Druck finden wir aber bei der unblutigen Druckmessung 
an der gewählten Stelle nicht und können ihn nicht finden. Sowie 
die Binde am Arm aufgeblasen wird und auf die Weichteile drückt, 
werden die dünnen Venen, in denen ein nur sehr geringer Druck 
herrscht, zusammengepresst i nd verlegt, lang bevor die Artcria bra- 
chialis an die Reihe kommt. So wird der Widerstand für den Blut¬ 
strom vermehrt, die Geschwindigkeit verlangsamt und nach der 
v a 

Gleichung p = p«—^ muss p wac h sen unc * wächst so lang, bis v =& o 

geworden ist und jede Zirkulation im abgeschnürten Arm aufhört, 
der hydrodynamische Druck p gleich dem hydrostatischen Druck p« 
geworden ist. Wir finden also bei der gewöhnlichen Blutdruck¬ 
messung niemals den gesuchten hydrodynamischen Druck, sondern 
einen wesentlich höheren, der theoretisch dem hydrostatischen gleich 
ist, wie er im Leben hier gar nicht vorkommt. Ja, in Wirklichkeit 
ist der Unterschied noch grösser, denn die oben unterstellte Bedin¬ 
gung 4 ist jetzt sicher erfüllt und war es vorher gewiss nicht völlig. 
Solang das Blut in Bewegung war, ist es sicher zu keiner Zeit ganz 
wirbelfrei gewesen, gewiss nicht an Teilungsstellen, am Abgang z. B. 
der Aa. recurrentes. Das Auftreten von Wirbeln ist stets mit dem 
Verbrauch von kinetischer Energie verbunden und kann für die Fort¬ 
bewegung von Flüssigkeiten von grosser Bedeutung sein. Wenn wir 
für die Wirbelbewegung die gerichtete Grösse w einführen, so hängt 
sie mit der Geschw indigkeit v nach der Gleichung ® = curl v zu¬ 
sammen und war in Wirklichkeit nie = Null, jetzt aber, in der kom¬ 
pletten, durch die Kompression hervorgerufenen Stasc, in der zähen, 
aber ruhenden Flüssigkeit wird sie wirklich = Null, die 
ruhende Flüssigkeit, mag sie zäh oder reibungslos sein, ist 
immer wirbelfrei und auch kein Bruchteil der. beschleunigenden 
Kraft p wird zur Erzeugung von tangentialen Geschwindigkeiten mehr 
verbraucht. Während, für zähe Flüssigkeiten in der Bewegung an 
derselben Stelle der Druck nicht für alle Schnittrichtungen den glei¬ 
chen Wert zu haben braucht, ist dies für alle Flüssigkeiten in der 
Ruhe, für die reibungslosen wie für die zähen der Fall. 

Was wir also unblutig messen, ist ganz etwas anderes als der 
hydrodynamische Blutdruck und muss einen merklich höheren Wert 
haben. Das hat sich auch ergeben, wenn man Kontrollversuche mit 
Eröffnung der Blutbahn angestellt hat. Solche Versuche sind von 
Fellner und R u d i n g e r 2 ) an Tieren, von Müller und B 1 a u e 1 : ‘) 
an Menschen während einer Amputation ausgeführt worden. Dabei 
fand sich der durch unblutige Messung erhaltene Druck wesentlich 
höher. Was unblutig gemessen wird, ist vielmehr der hydrostatische 
Druck am Ort der Kompression, also in der Art. brachialis. Nicht kom¬ 
primiert sind auch bei breiter Binde, w r enn sie nur oberhalb der Ell- 
beuge und nicht gar zu hoch angelegt ist, die A. collat. rad. sup.. 
die Circumflexae humeri. Die rücklaufenden Aeste der A. prof. brachii 
und die der collat. ulnar, sup. sind dagegen an ihrem Ursprung kom¬ 
primiert. Nur die A. profunda brachii hat ein etwas stärkeres Kaliber 
von etwa 3,5 mm, die A. brachialis dagegen eines von 6, die Axillaris 
von 8. Als eigentliches Ursprungsgefäss in hydraulischem Sinn kann 
für d»ie Brachialis füglich nur die Subklavia in Betracht kommen. 
Die Aeste der Axillaris: die Circumflexae humeri ant. et post., die 
Rami subscapulares arteriae axillaris, die selbständige A. subscapu- 
laris, A. thoracalis lateral., A. thoracoacromiaHs und die inkonstante 
Thoracalis suprema fallen wrnhl nicht ins Gewicht, ebenso als Aeste 
der Subklavia die A. transversa colli, der Truncus costocervicalis. 
Als Stammgebiet in hydraulischem Sinn ist wohl die Stelle der Sub¬ 
klavia am innern Rand des M. scalenus ant. zu betrachten, wo das 
Gefäss ziemlich genau im gleichen Querschnitt 2 starke Aeste abgibt: 
die A. vertebraiis (5 mm) und vorn den Truncus thyreocervicalis 
(6 mm). Auf diesem Gefäss lastet also der hydrostatische Druck, 
der in der komprimierten A. axillaris gemessen wird und der bei der 
nach Riva-Rocci gemessenen Druckhöhe vom hydrodynamischen 
Druck in der Subklavia nicht mehr oder gerade noch überwunden 
werden kann. Man kann also annehmen, dass mit der unblutigen 
Druckmessung am Arm zwar nicht der hydrodynamische Druck an 
dieser Stelle, wohl aber der Seitendruck in der A. subclavia am innern 
Rand des M. scalen. ant. gemessen wird. Diese Stelle liegt aber 
von der A. anonyma nur 25 mm w'eit stromabwärts, und da in den 

s ) Zschr. f. klin. M. 57. S. 125. 

3 ) Arch. f. klin. M. 91. 1907. 

□ igitized by Gougle 


grossen Arterien, wie man weiss, der Druck stromabwärts nur sehr 
langsam fällt, so begeht man keinen grossen Fehler, w'enn man auch 
in diesem Gefäss ungefähr denselben Druck annimmt. Nur wäre noch 
ein Bedenken zu lösen. Aus den bekannten Untersuchungen von 
Jacobson (Fick, 4. Aufl., S. 109) geht hervor, dass mit Eröffnung 
eines Zweigstroms in einem durchflossenen Röhrensystem sofort die 
Ausflussmenge, also die Geschwindigkeit im Stammrohr, wächst, wo¬ 
mit der hydrodynamische Druck hier sinken muss, und zwar bemer¬ 
kenswerter weise gleich viel, welchen Winkel der Zw'eig rnit dem 
Stammrohr bildet. Umgekehrt muss natürlich der Verschluss eines 
Zweiges die Geschwindigkeit im Stammrohr vermindern und nach 
v 8 

der Gleichung p z= p„ — muss der Druck hier steigen. Es fragt 

sich, ob nicht auch bei der Blutdruckmessung der ganze Eingriff, die 
Absperrung der Brachialis ganz neue Verhältnisse schafft, die vorn 
normalen sich wesentlich unterscheiden und sich nicht gut abschätzen 
und übersehen lassen. Dann könnte man nicht einmal hoffen, durch 
Druckmessung am Arm den hydrodynamischen Druck in den grossen 
Gelassen Subklavia oder Anonyma kennen zu lernen. Schliesslich 
müsste mit Abschnüren eines Arms sogar der Gesamtblutdruck stei¬ 
gen und dem Herzen mehr Arbeit erwachsen, als es vorher zu leisten 
hatte. Es ist aber durchaus w ahrscheinlich, dass auf diesen Eingriff 
die Mechanik des Kreislaufs (N. depressor, Vasomotoren) in der Weise 
reagieren, dass das künstlich gesetzte Kreislaufshindernis alsbald aus¬ 
geglichen und dauernde Blutdruckerhöhung vermieden wird 1 . Und 
in der Tat scheint eine Beobachtung, die sich mir bei ungezählten Blut¬ 
druckmessungen, anfangs ungesucht, aufgedrungen, später, beim Dar¬ 
aufachten sehr oft wiederholt hat, dafür zu sprechen, dass dies wirk¬ 
lich geschieht. Treibt man beim Blutdruckmessen erst das Queck¬ 
silber rascli in die Höhe und merkt sich seinen Stand, sobald der Puls 
verschwindet, lässt man dann durch vorsichtiges Oeffncn des Hahns 
das Quecksilber wieder sinken und bemerkt seinen Stand, wenn 
der Puls wieder kommt, so besteht allemal, oder fast allemal, 
im Stand ein Unterschied von etwa 5 mm. Das geschieht so regel¬ 
mässig. dass ich an Beobachtungsfehler nicht mehr glauben kann, 
wozu ich anfangs geneigt war. So scheint wirklich, im Verlauf einer 
Minute etwa oder darüber, der gemessene Blutdruck ein wenig zu 
sinken und ich bin geneigt, dies auf den erwähnten Vorgang des 
Ausgleichs zu schieben, der eintreten wird, wenn ein ganzer Arm 
vom Blutkreislauf ausgeschaltet wird und in ihm der hydrostatische 
Druck an Stelle des niederen hydrodynamischen gesetzt wird. Fiir 
nicht ganz ausgeschlossen halte ich es. dass es nicht gleichgültig 
ist, wieviel von den Armgefässen dabei komprimiert werden, und es 
wäre möglich, dass darin der Unterschied begründet wäre, den man 
beim Anlegen einer breiten und einer schmalen Binde findet, über 
deren Wirksamkeit so viel und manchmal mit so sonderbarer physi¬ 
kalischer Begründung gestritten worden ist. 

Ganz die analogen Uebcrlegungcn leiten darauf hin, dass die 
seltener geübte Blutdruckmessung an den Fingerspitzen nicht den 
Blutdruck hier, sondern in den beiden grösseren Gefässen Radialis und 
Ulnaris finden lassen. Dabei wird die Beeinflussung des Gesamt¬ 
druckes wohl viel kleiner auställcn müssen, so dass sie vernachlässigt 
werden kann. 

Wenn diese Betrachtungen zutreffen, so kann man also sagen: 
Durch die gewöhnliche Methode der unblutigen Druckmessung am 
Arm erfährt man über den hydrodynamischen Druck im untersuchten 
Gefäss nichts, w'ohl aber bestimmt man den hydrodynamischen Druck 
in der Subklavia (wohl annähernd gleich dem in der Anonyma, wenn 
man den Blutdruck nicht beim Verschwenden sondern beim Wieder¬ 
kommen des Pulses misst. 

Damit ist die geübte Blutdruckmessung am Arm noch mehr ge¬ 
eignet, als man bisher annehmen durfte, als ein Massstab zu gelten 
für den Druck in den grossen Gefässen und die erhaltenen Werte 
gelten in der Tat sehr annähernd für den Druck, den das Herz am 
Ende seiner Anspannungszeit überwindet. Das ist natürlich viel 
wichtiger, als wenn man nur den Druck in einer Armarterie kennen 
lernte. Will man aber etwa den Druck in den beiden Armen ge¬ 
sondert bestimmen, ihn rechts und links vergleichen, dann muss man 
den Druck in den Fingerspitzen messen. 


Aus dem Reservelazarett und dem Kreiskrankenhaus 
Friedrich-Wilhelm-Krankenhaus in Herford. 

Beitrag zur Behandlung mit dem Friedmannsehen 
Heil- und Schutzmittel für Tuberkulose. 

Von San.-Rat Dr. Pape, Oberstabs- u. Chefarzt des Reserve¬ 
lazaretts und dirigierender Arzt des Kreiskrankenhauses. 

Im November 1913 besuchte ich, angeregt durch die Fried- 
m a n n sehe Veröffentlichung seines Heilmittels, dessen Institut in Ber¬ 
lin, um mich an der Hand der dort behandelten Fälle über das Wesen 
des Mittels genau zu informieren und seine Anwendungsweise kennen 
zu lernen. Unmittelbar darauf begannen wir selbst im hiesigen Kreis¬ 
krankenhause mit der Behandlung Tuberkulöser nach der Fried¬ 
man n sehen Methode und haben seitdem viele Fälle unter strikter 
Befolgung der von Friedmann angegebenen Richtlinien behandelt. 
Unter unseren Kranken befanden sich Fälle aller Formen und Stadien 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




9. Joli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


761 


4er Tuberkulose. In einigen aussichtslosen Fällen war natürlich, wie 
ausdrücklich betont werden soll, der letale Ausgang auch durch dieses 
Mittel nicht mehr abzuwenden. Eine entzündliche Einschmelzung 
des Infiltrates an der Injektionsstelle wurde nur in einigen wenigen 
Fällen beobachtet; dieselbe ging auf intravenöse Nachinjektion meist 
prompt zurück und der Erfolg war darnach ein guter. Im ganzen haben 
wir etwa 55 Fälle behandelt, und zwar handelte es sich um Lungen-, 
Kehlkopf-, Haut-, Knochen-, Qelenk-, Drüsen-, UrogenitaK 
Pleura- und Bauchfelltuberkulosen. Bei nahezu sämtlichen Kranken 
fiel das Auf hören der bazillären Toxinwirkung auf, bei Lungenkranken 
insbesondere die spezifischen Symptome, wie Nachtschwesisse, Brust¬ 
schmerzen, Husten, Hämoptoe und Abmagerung. Ich sah Gewichts¬ 
zunahmen innerhalb weniger Monate bis zu 10 Pfd. und darüber. In 
den meisten Fällen trat eine Umstimmung der Konstitution ein, die 
Kranken hatten wieder ein Gefühl des Wohlbefindens und ihre Ar¬ 
beitsfähigkeit wieder erlangt. Ein jeder, der mit unbefangener Ruhe 
das Friedmann sehe Mittel unter strenger Innehaltung: der vor¬ 
geschriebenen Indikationen und Technik prüft, wird die subjektiven 
und objektiven Erfolge anerkennen müssen Wenn 1914 gegnerische 
Autoren „das Endresultat ihrer Versuche als gleich Null“ bezeichne- 
ten, so kann ich nicht umhin anzunehmen, dass entweder die Fälle zu 
vorgeschritten waren, die peinlichste Befolgung der von Fried- 
mann aufgestellten Richtlinien ausser acht gelassen wurde oder aber 
die Beobachtungszeit eine viel zu kurze war, um ein endgültiges 
Urteil über eine Tuberkuloseimpfung zu fällen. Denn das Fried- 
m a n n sehe Mittel ist ein spezifisches Heilmittel für die menschliche 
Tuberkulose und es sind mit ihm, namentlich in frühen Stadien, Heil¬ 
erfolge zu erzielen, wie sie bisher mit keinem anderen Mittel erreicht 
worden sind. Bei der kürzlich vorgenommenen Nach¬ 
prüfung einer Anzahl von mir vor jetzt mehr als 
4JahrenmitdemFriedmannschen Mittel behandel¬ 
ter Fälle konnte einwandfrei ein geradezu über¬ 
raschender Dauerheilerfolg festgestetlt werden. 
Einige andere der früher von mir geimpften Fälle sind mir zwar als 
Ich ins Feld ging, aus dem Auge gekommen; eingeholte Erkundigungen 
haben jedoch ergeben, dass ein Teil derselben völlig ausgeheilt und 
geheilt geblieben ist (vgl. Fall 5, 8, 10, 11, 13, 14, 21, 22, 24, 26. 30) 
und die übrigen Patienten bis zu dem Zeitpunkte wo ich sie nicht 
mehr kontrollieren konnte, sich wohl fühlten. Ich bemerke, dass in 
keinem Falle während und nach der Behandlung nach Friedmann 
ein anderes Mittel angewandt wurde. Von allen den Vorwürfen, 
welche von gegnerischer Seite dem Mittel gemacht wurden, war nur 
der eine, dass Verunreinigungen des früheren Fabrikpräparates vor- 
gekommen seien, berechtigt. Es ist jedoch durchaus nicht erwiesen, 
dass durch diese hin und wieder vorgekommenen Verunreinigungen 
bei den Geimpften irgendwelche Schädigungen hervorgerufen seien. 
Uebrigens sind ja durch die ständige Prüfung des Mittels durch Herrn 
Geh. Rat Prof. Dr. Kruse-Leipzig irgendwelche Verunreinigungen 
jetzt ausgeschlossen. Der zweite Vorwurf, dass der Friedmann- 
sche Bazillus auch für Warmblüter virulent werden könne, wird da¬ 
durch widerlegt, dass wir durch das F r i ed m a n n sehe Mittel nie¬ 
mals bei einem unserer vielen Patienten irgendeine schädliche Neben¬ 
wirkung, geschweige denn eine Schädigung beobachtet haben. Von 
den von mir vor mehr als 4K Jahren geimpften Kranken hat auch nach¬ 
träglich keiner eine Schädigung gezeigt, so dass hierdurch die 
dauernde Unschädlichkeit des Impfstoffes für den Menschen bewiesen 
ist und somit die frühere Prophezeiung einiger Autoren, der SchiM- 
krötentuberkelbazillus könne später für Warmblüter virulent werden, 
nicht in Erfüllung gegangen und nunmehr widerlegt ist. Wenn drit¬ 
tens behauptet wurde, dass das Friedmann sehe Mittel häufig ver¬ 
sage, so muss betont werden, dass die Anwendungsweise streng nach 
den Vorschriften zu erfolgen hat, wenn Misserfolge vermieden wer¬ 
den sollen: Fall 21 ist geradezu ein Schulbeispiel für rapides Umsich¬ 
greifen des tuberkulösen Zerstörungsprozesses nach falscher unsorg¬ 
fältiger Handhabung des Fri e dm a nnschen Mittels, aber gleich¬ 
zeitig durch den weiteren Verlauf ein schlagender Beweis für die Heil¬ 
kraft des Mittels bei richtiger Anwendung. 

Da ich schon vor 4 Jahren von dem Heilwert überzeugt war, und 
im Kreiskrankenhause zahlreiche günstige — wie sich mittlerweile 
gezeigt hat, bleibende — Erfolge erzielt hatte, hat auf meinen Antrag 
der Herr Vorsitzende des Kuratoriums des Krankenhauses, Herr Land¬ 
rat v. Bor ries hierselbst, die Landes Versicherungsanstalt West¬ 
falen dazu veranlasst, sich damit einverstanden zu erklären, dass 
die F r i edm ann sehe Impfung gegen die Tuberkulose im Kampfe 
gegen diese Volkskrankheit für unsere Gegend alsbald nutzbar ge¬ 
macht werde und zu genehmigen, dass Tuberkulöse auf Kosten der 
Landesversicherungsanstalt mit dem Friedmann sehen Mittel be¬ 
handelt werden sollen. 

Auch tuberkulöse Heeresangehörige habe ich mit Erfolg mit dem 
Mittel behandelt. Das Sanitätsamt des VII. A;K. hat von den Heil¬ 
erfolgen Kenntnis genommen und diese Publikation ausdrücklich ge¬ 
nehmigt. 

Die ausführlichen Krankengeschichten können wegen des gegen¬ 
wärtigen Papiermangels hier keinen Platz finden, und werden später 
an anderer Stelle veröffentlicht werden. Von den zu schweren, für 
die Friedmannsche Behandlung ungeeigneten Fällen abgesehen, 
sind folgende durch das Mittel einwandfrei geheilte zu erwähnen: 


a) Zivilpatienten. 

I. 37 jähriger Bergmann. Lungen- und Nierentuberkulose. 
Nr. 28. ^ 

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k 'gle 


Intra¬ 


muskuläre Injektion. Arbeitsfähig gesund entlassen. Weitere Kon¬ 
trolle unmöglich. 

2. 51 jährige Frau. Lungen- und Kehlkopftuberkulose. Befund 
des Laryngologen: „Diffuse Infiltration der hinteren Larynxwand, die 
auf der linken Hälfte eine leichte Ulzeration aufweist, bis zum linken 
Proc. vocalis.“ Intramuskuläre Injektion. Am 5. Tage beginnt Reini¬ 
gung des Geschwürsgrundes, die Geschwürsfläche von den Rändern 
aus sich zu überhäuten. Nach 8 Wochen ist das Ulcus geheilt. 

3. 45 jährige Zigarrenmacherin. Linksseitige Adnextuberkulose 
(Tube und Ovarium). Simultaninjektion. Heilung. 

4. 20 jähriges Mädchen. Halsdrüsentuberkulose. Intramuskuläre 
Injektion. Geheilt. 

5. 40 jähriger Sattler. Halsdrüsentuberkulose. Intramuskuläre 
Injektion 10. XII. 13. Heilung. Dauernd im Felde. Laut Bericht vom 
5. II. 18 nie wieder krank gewesen. 

6. 23 jähriger Maler. Abszedierende Knochen- und Gelenktuber¬ 
kulose, leichte Lungentuberkulose. Intramuskuläre Injektion. Heilung: 

7. 25 jähriger Zigarrenmacher. Spondylitis tuberculosa der Hals¬ 
wirbelsäule mit Senkungsabszess in der linken Fossa supraclav., 
Lungentuberkulose. Intramuskuläre Injektion. Besserung. Noch¬ 
malige Injektion. Nahezu heil. 

8. 27 jähriger Zigarrenmacher. Lungentuberkulose. Intramusku¬ 
läre Injektion. Heilung, die bei der Kontrolle nach VA Jahren sich 
andauernd crweisL 

9. 14 jähriger Junge. Knochenfistel. Intramuskuläre Injektion. 
Geheilt, arbeitsfähig. 

10. 20 jährige Zigarrenmacherin'. Lungen- und Kehlkopftuberku¬ 
lose: tiefes Ulcus der Larynxhinterwand, das schon einmal in 
Schwebelaryngoskopie kauterisiert war. Intramuskuläre Injektion. 
Nach 5 Wochen ist laut Gutachten des Laryngologen das Ulcus bis 
auf % verkleinert. Nach einigen Monaten dauernde Heilung, die bei 
Nachuntersuchung nach 4 Jahren völlig angehalten hat. 

11. 24 jährige Zigarrenmacherin. Rechtsseitige Nierentuberkulose 
und Blasentuberkulose (nach Nephrektomie der linken Niere und Ent¬ 
kapselung der rechten). Simultaninjektion. Pat. bringt 11 Monate 
nach der Injektion ein gesundes Kind zur Welt, weiches 14 Monate 
lang von der Mutter genährt wurde. Nach Beendigung des Wochen¬ 
bettes dauernd als Zigarrenarbeiterin tätig. Heilung hat sich, wie 
sich aus einer Kontrolluntersuchung nach 4% Jahren ergab, als von 
Dauer erwiesen. 

12. 20 jähriger Kutscher. Leichte Lungentuberkulose. Kehlkopf¬ 
tuberkulose. Laryngoskopischer Befund: Ulcerationen beider Stimm¬ 
bänder, beginnende Perichondritis des linken Aryknorpels. Intra¬ 
muskuläre Injektion. Nach 8 Tagen noch keine Veränderung. Nach 
4 Wochen Gutachten des Laryngologen: „Die vorher ausgedehnten 
Ulcera sind bis auf kleine Stellen vernarbt. Heiserkeit fast voll¬ 
kommen geschwunden. Allgemeinbefinden’ wesentlich gehoben.“ 

13. 50 jährige Frau. Lungentuberkulose mit Hämoptoe. Intra¬ 
muskuläre Injektion. Kontrolluntersuchung nach 4 Jahren ergab, dass 
sich die Heilung von Dauer erwiesen hat. 

14. 10 jähriger Junge. Koxitis. Simultaninjektion. Heilung nach 
4 Jahren als von Dauer erwiesen. 

15. 17 jähriger Konditor. Fistelnde Koxitis seit 1 Jahr. Die 
A Jahr nach der intramuskulären Injektion eingetretene Heilung er¬ 
weist sich bei einer Kontrolluntersuchung nach 3 Jahren als von Dauer. 
Arbeitet zurzeit in einer Munitionsfabrik. 

16. 22 jährige Zigarrenmacherin. Lungentuberkulose. Intra¬ 
muskuläre Injektion. Ob die innerhalb eines halben Jahres einge¬ 
tretene Heilung von Dauer geblieben, ist nicht festzustellen, da wei¬ 
tere Kontrolle leider unmöglich. 

17. 14 jährige Schülerin. Lungentuberkulose. Intramuskuläre In¬ 
jektion. Ob die bei der Entlassung konstatierte völlige Heilung von 
Bestand geblieben, nicht feststellbar, da weitere Kontrolle unmöglich. 

18. 28 jähriger Arbeiter. Lungentuberkulose. Intramuskuläre In¬ 
jektion. Arbeitsfähig mit 4% kg Gewichtszunahme gesund entlassen. 

19. 34 jährige Frau. Lungentuberkulose. Intramuskuläre Injek¬ 
tion. Arbeitsfähig mit 3 kg Gewichtszunahme geheilt entlassen. 

20. a—d: 4 Geschwister von Nr. 15 (Vater lungenkrank, zurzeit 
in einer Heilstätte) im Alter von 5—13 Jahren,* 2 der Kinder waren 
bereits selbst wegen Lungenkrankheit in einer Heilstätte in Behand¬ 
lung. Am 28.1.14 Heilimpfung bzw. Schutzimpfung aller 4. Nach 
der Impfung besserten sich die Kinder erheblich in ihrem Ernährungs¬ 
zustände, zeigen in der Folgezeit dauerndes Wohlbefinden. 27. II. 17: 
Impfstelle nirgends mehr zu fühlen. 4 gut entwickelte, ganz gesunde 
Kinder. 

21. 18 jähriger Schneiderssohn. Linksseitige Fussgelenktuberku- 
lose. Von anderer Seite mit Lehmpackungen, inneren Mitteln, Kauteri¬ 
sation, Jod behandelt: dauernde Verschlechterung. 5 mal in Narkose 
operiert. Am 20. XII. 13 von Dr. W. intramuskuläre Injektion Fried¬ 
mann, bereits nach 6 Tagen Entzündung der Injektionsstelle; die 
intravenöse Nachinjektion zur Verhütung des Durchbruchs wurde ver¬ 
säumt, es entleerten sich aus dem Impfabszess grosse Eitermengen 
und die Krankheit schritt unaufhaltsam fort. 27.11.17: Befund: Starke 
fungöse, blaurote Schwellung des linken Fussgelenkes mit zahlreichen 
eiternden Fisteln, ausserdem ein über fünfmarkstückgrosses tuberku¬ 
löses Infiltrat an der Hinterseite des Oberschenkels über dem Knie 
mit noch eiternden Fisteln; ferner ein übermännerfaustgrosses Kon¬ 
volut tuberkulöser Lymphdrüsen mit Abszess der submaxillaren und 
submentalen Drüsen. Simultaninjektion. 15. V. 17: Nachlassen von 
Eiterung und: Schwellung. 20. VI. 17: Fisteln am Oberschenkel und 

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Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


Fuss geheilt, Drüsenabszess fistelt noch. 28. VIII. 17: Fuss und Ober¬ 
schenkel ganz geheilt, noch 2 ganz kleine oberflächliche Drüsenfisteln. 
Allgemeinbefinden sehr gut. 5 kg Gewichtszunahme seit April. 
4. II. 18: Vollständige Heilung. Feste Vernarbung der Fisteln am 
Fuss und Drüsenfisteln. Pat. geht nach mehrjährigem Krankenlager 
ohne die geringste Behinderung wieder in Stiefeln umher. 

22. 6 jähriges Mädchen. Tuberkulöse Kniegelenksentzündung. 
Schmerzhafte fungöse Schwellung, passive Beugungsfähigkeit bis 
höchstens rechten Winkel. Simultaninjektion. Nach 14 Tagen 
schmerzlos abgeschwollen, nach 2 Monaten geheilt entlassen, geht 
frei beweglich umher. 

23. 27 jährige Frau. Schon als 9 jähriges Kind Drüsentuberkulose. 
Jetzt frischer hühnereigrosser Halsdrüsentumor. 2 Monate nach der 
intramuskulären Injektion Drüsenpaket auf Yk geschwunden. 

24. 15 jähriger Junge. Peritonitis tub., Schmerzen in der linken 
Bauchseite, Fieber, Kräfteverfall. 14. VI. 17: Probelaparotomie: 2 Liter 
seröses Exsudat. Peritoneum und Darm übersät mit Miliartuberkeln, 
die sich mikroskopisch als Riesenzellen- und Epitheloidzellentuberkel 
erweisen. Elendes Allgemeinbefinden. 25. VI. 17: Simultaninjektion. 
20. VIII. 17: Operationswunde noch wenig verkleinert, trägt noch 
speckigen Belag. 30. X. 17: Wunde geheilt. Arbeitsfähig entlassen. 
10.1.18: Absolut gesund, seit 2 Monaten als Metzgerlehrling tätig. 
Dieser Fall wäre ohne Friedmann sehr wahrscheinlich tödlich ver¬ 
laufen. 

25. 52 jähriger Böttcher. Multiple Drüsentuberkulose an beiden 
Halsseiten, in der linken Schlüsselbeingrube, hinter dem Kopfnicker 
beiderseits je 2 eiternde Fisteln, unter dem linken Kopfnicker gut 
apfelgrosser Drüsentumor. 30.X. 17: Intramuskuläre Injektion. Wird 
April 1918 geheilt und mit vernarbten Fisteln entlassen. 

26. 20 jähriger Zigarrensortierer. Typische Mittelfusstuberkulose 
mit spindelförmiger Verdickung und positivem Röntgenbefund, zwei 
eiternde Fisteln. Intramuskuläre Injektion. Mit nur noch ganz spär¬ 
lich absondernder Fistel arbeitsfähig entlassen. 

27. 10 jähriges Mädchen. Spondylitis tuberculosa der Halswirbel¬ 
säule. Gegend des Ouerfortsatzes des Epistropheus geschwollen, 
äusserst druckempfindlich; Kopf kann nur wenig bewegt werden, 
am schlechtesten nach rechts. Röntgenbild zeigt verwachsene Kon¬ 
turen und Schattenbildung in der Gegend des rechten Seitenfortsatzes 
des Epistropheus. Lange Extensionsbehandlung in Glissonscher 
Schlinge war erfolglols 30. X. 17: Intramuskuläre Injektion. 2. XII. 17: 
Verlässt wesentlich gebessert das Krankenhaus. 7. II. 18: Aktive und 
passive Beweglichkeit des Kopfes in normalem Umfang wieder mög¬ 
lich, keine Schmerzen mehr, nur noch unerhebliche Druckempfindlich¬ 
keit des rechten Seitenfortsatzes des Epistropheus. Patientin ist ge¬ 
heilt. 

28. Frau St. Fistelnde Metatarsaltuberkulosc des linken Fusses. 
Von Prof. W. Erweiterung der Fistel und gründliche Exkochleation der 
zum Teil zerstörten Diaphyse vorgenommen, neue Anschwellung und 
Eiterung. Neue Ausräumung, Entfernung des Metatarsuskopfes. 

29. VIII. 17. Intramuskuläre Injektion. Einschmelzung des Impfherdes, 
keine intravenöse Nachinjektion, noch keine Simultaninjektion ge¬ 
macht. Der tuberkulöse Herd am Fusse ist ziemlich auf denselben 
Umfang beschränkt geblieben, doch besteht noch Fistel mit ge¬ 
ringer eitrigseröser Absonderung. Also noch keine Heilung. 

29. 34jähr. Bäcker. Tiefe tuberkulöse Fisteln an beiden Cristae 
ilei seitlich der Wirbelsäule, seit Mai 1917 grosser fluktuierender 
Abszess unterhalb der linken Skapula, der durch einen 20 cm langen 
Schnitt geöffnet wurde, wonach eine sehr tief zu verfolgende Fistel 
zurückbleibt. 25. VI. 17. Intramuskuläre Injektion. 1. I. 18. Fistel 
unterhalb des linken Schulterblattes nur noch 5 cm tief, diejenige auf 
der rechten Crista ilei 2 cm tief. Heilung demnächst zu erwarten. 

30. 18 jähr. Mädchen. Vor mehreren Jahren wegen Koxitis mit 
Senkungsabszess Resektion des Oberschenkels tief unterhalb der 
Trochanteren. Nach der Operation langdauemde Eiterung und wie¬ 
derholte Ausschabungen der tief bis in die zerstörte Gelenkpfanne 
reichenden Fistel. Keinerlei Neigung zur Heilung. Durch die lang- 
dauernde Eiterung ist Pat. sehr heruntergekommen. 42,5 kg. 30. X. 17. 
Intramuskuläre Impfung. 10. XI. 17. Infiltrat verkleinert sich, Ab¬ 
sonderung lässt nach. I. XII. 17. Infiltrat faustgross, sehr schmerz¬ 
haft, droht aufzubrechen, 3. XII. 17. Intravenöse Nachinjektion. 
40° Fieber, heftige Kopfschmerzen. 6. XIL 17. Infiltrat erheblich 
gefallen, wenig druckempfindlich. 30. XII. 17. Infiltrat völlig resor¬ 
biert, beide Fisteln fast trocken. 20. I. 18. Geheilt aus dem Kranken¬ 
haus entlassen, kann mit einer Krücke sehr gut gehen, sogar Treppen 
steigen, fühlt sich ganz gesund. Gewicht 54,5 kg, also seit der Impfung 
12 kg Zunahme. 

31. 15 jährige Zigarrenarbeitern. Multiple knotige Hauttuber¬ 
kulose an linker Hand, rechtem Unterarm, rechter Schulter, rechtem 
Oberschenkel, rechtem Unterschenkel, Oberarmen. Nach intramusku¬ 
lärer Impfung in den nächsten Monaten allmähliche Resorption der 
Knoten, erhebliche Besserung des Allgemeinbefindens. 

32. 26 jähr. Verkäuferin, Drüsentuberkulose. 7.1. 18. Intramusku¬ 
läre Injektion. 18. I. 18. Impfinfiltrat kleinapfelgross, sehr schmerz¬ 
haft. 21. I. 18. Intravenöse Nachinjektion. Rückgang von Impfge¬ 
schwulst und DrüsenschweHung. Fortschreitende Rückbildung der 
Drüsen, Pat übernimmt wieder ihre Arbeit. 

33. 18 jährige Büglerin, seit frühester Kindheit bestehende Haut¬ 
tuberkulose: 10 cm langer, 5 cm breiter, sich allmählich vergrössem- 
der Herd unterhalb des linken Ohres, eine gewulstete blaurote, die 
Hautoberfläche überragende, mit Knötchen besetzte Ulzeration. Nach 

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der intramuskulären Injektion verkleinert sich im Laufe der nächsten 
Monate die Geschwürsfläche unter Schwund der Knötchen und ver¬ 
narbt fortschreitend. Sehr gutes Allgemeinbefinden. 

34. 27 jähriger Kaufmann. Multiple abszedierende Drüsentuber¬ 
kulose. Nach der intramuskulären Impfung Rückgang der Drüsen¬ 
schwellungen und Schliessung der Fisteln. 

35. 71 jähriges Fräulein. Seit Jahren bestehende walnussgrosse, 
sehr schmerzhafte tuberkulöse Abszedierung an der linken Elle, 4 mal 
grössere Inzisionen und Auskratzungen erfolglos. In den ausge¬ 
schabten Granulationsmassen Tuberkelbazillen, dauernd starke Eite¬ 
rung. Nach intramuskulärer Impfung wesentlicher Nachlass der Eite¬ 
rung, Gewichtszunahme, Allgemeinbefinden vorzüglich. Noch in Beob¬ 
achtung. 

b) Heeresangehörige. 

1. 21 jähriger Pionier H. Erkrankt im Felde an Lymphdrüsen¬ 
entzündung. Nach ömonatiger Behandlung im Vereinslazarett Sch., 
Res.-Laz. W. und Erholungsheim M. zur Truppe entlassen, sehr bald 
Verschlimmerung, Res.-Laz. M. überwiesen. 16. X. 17. An beiden 
Halsseiten mehrere bis pflaumengrosse Halsdrüsenschwellungen, stark 
verhärtet. Jodkalisalbenverbände. 23. X. 17. Zwecks Behandlung 
nach Friedmann Verlegungsantrag nach Res.-Laz. H. gestellt. 
1. XI. 17. Aufnahme ins Res.-Laz. H. 13. XI. 17. Intramuskuläre 
Injektion. 13. XII. 17. Drüsenschwellungen verkleinern sich. 3. I. 18. 
Drüsen fast verschwunden. Pat. als kriegsverwendungsfähig zum 
Ersatztruppenteil entlassen. Erwerbsbeschränkung liegt nicht vor. 

2. 20 jähriger Landsturmmann R. 2. XI. 17 zum Heeresdienst 
eingezogen. 5. XI. 17 dem Res.-Laz. C. wegen linkseitiger tuber¬ 
kulöser Erkrankung des Ellenbogenknöchels überwiesen. 3 Fisteln, 
von denen eine bis in den Knochen führt. Behandlung erfolglos. 
9. XI. 17. Als Tcriegsunbrauchbar zum Ersatztruppenteil. 28. XI. 17. 
Aufnahme im Res.-Laz. M. Starke Schmerzhaftigkeit des Armes, 
linke Ellenbogengegend gerötet, geschwollen, mit weissen, bohnen¬ 
grossen, eitrig belegten Geschwüren. Behandlune mit Röntgentiefen¬ 
bestrahlung, 50 X unter 3 mm-Aluminiumfilter. 30. XI. 17. Mit Laz.- 
Zug abgeschoben. 3. XII. 17. Aufnahme Vereinslaz. E. 8. XII. 17. 
Res.-Laz. H. Behandlung vom 3. XII. 17 bis 15.1.18 mit Zinnobersalbe, 
Bestrahlung init Höhensonne erfolglos. 2. I. 18. Absonderungen noch 
reichlich. 15. I. 18 Friedmann 1,0 stark intramuskulär. 18. I. 18. Ge¬ 
schwüre fangen an sich zu reinigen, Besserung schreitet dann fort, 
so dass R. am 21. II. 18 garnisonverwendungsfähig entlassen wer¬ 
den kann. Er ist nahezu geheilt und es ist mit Bestimmtheit anzu¬ 
nehmen, dass er nach weiteren 4 Wochen kriegsverwendungsfähig 
wird. 

3. 22 jähr. Musketier S. 3. XI. 17 als a. v. h. eingezogen. 24. XI. 17 
krank gemeldet. 8. XII. 17. Res.-Laz. H. Rechtseitige eitrige Hals¬ 
lymphdrüsenentzündung. Zwecks Operation der Abteilung K. über¬ 
wiesen. Hühnereigrosser Drüsenabszess über dem rechten Kopf¬ 
nicken 19. XII. 17. Inzision, Entleerung von 15 ccm rahmigen Eiters. 
Tamponade. 28. XII. 17. Trotz Tamponade in der Tiefe stärkere 
lymphomartige Drüsenschwellung eingetreten, Höhensonnenbestrah¬ 
lungen. 11. I. 18. Geschwulst unverändert. 15. I. 18. Friedmann 
intramuskulär. 18. I. 18. Drüsenschwellung scheint abzunehmen. 
1. II. 18. Drüsenschwellung zurückgegangen, Fistel sondert noch 
minimal ab. 8. II. 18. Wunde unter trockenem Schorf heil. Drüse 
wieder etwas stärker geschwollen. 22. II. 18. Drüsenschwellungen 
vollkommen verschwunden. Operationswunde mit eingezogener blau¬ 
roter, glatter Narbe heil. Allgemeinbefinden gut. S. wird als g. v. 
zu seinem Ersatztruppenteil entlassen, er würde als k. v. entlassen 
werden können, wenn er nicht in der Gebrauchsfähigkeit seines linken 
Beines durch eine schon früher im Felde erlittene Schussverletzung 
behindert wäre. 

4. 43 jähr. Unteroffizier R. 11. V. 17. Durch Stein beim Ein¬ 
schlagen einer Granate am rechten Ohr verwundet. Feldlazarett. 
Dann ein anderes Feldlazarett. Vor dem rechten Ohr eine bis zum 
Kieferwinkel reichende, druckempfindliche Schwellung. 16. V. 17. 
Kriegssammelstelle M. 17. V. 17. Res.-Laz. M. 29. V. 17. Schmerz¬ 
haftigkeit der Halslymphdrüsen. I. VI. 17. Beiderseitige Halslymph- 
drüsen auffallend stark geschwollen. Fieber bis 38,8°. 4. VII. 17. 
Blutausstrich: Neutrophile 63 Proz., Eosinophile 2, Basophile Y, kleine 
Lymphozyten 26, grosse Lymphozyten 1, Uebergangsformen 3 X A. 
13. VII. 17. Fieber hält in gleicher Höhe an, Ohne dass, abgesehen 
von dfön stark geschwollenen und empfindlichen Halslymphdrüsen, 
eine andere pathologische Veränderung nachweisbar. Diagnose: 
Drüsenfieber bei tuberkulösen Halsdrüsen. Arsenkur ohne Erfolg. 
13. VIII. 17. In Chloroformnarkose 2 hühnereigrosse Drüsen exstir- 
piert. es entleert sich käsiger Eiter, Nachbardrüsen ausgekratzt. Jodo¬ 
formtamponade. Starke Nachblutung. Pferdeseruminjektion. 14. IX. 17. 
Eitrige Wundsekretion. Noch immer Fieber. Wassermann negativ. 
Pathologisch-anatomischer Bericht ergibt Halsdrüsentuberkulose. Vom 
18. X. 17 bis 2. XII. 17 Behandlung im Res.-Laz. M. Neue Inzision. 
Neues Drüsenpaket in der oberen Schlüsselbeingrube, auch links hinten 
Auftreten neuer tuberkulöser Drüsen. 2. XII. 17. Aufnahme im 
Vereinslazarett E. Ausser den immer neu aufschiessenden Halslymph¬ 
drüsen ist eine grössere tuberkulöse Lymphdrüse in der linken Leisten¬ 
beuge aufgetreten. 27. XII. 17. Punktion der fluktuierenden Drüsen 
der rechten Schlüsselbeingrube. 8. I. 18. Aufnahme im Res.-Laz. U. 
Rechts 2 cm lange, H cm breite, eitrig absondernde Wunde, unter 
dieser eine ebensolche bohnengrosse, weiter unten walnussgrosse, 
gerötete, teigig geschwollene Drüse, auch das ganze dazwischen 
liegende Zellgewebe tuberkulös entzündet. Oeffnung der geschwol- 

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9. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


763 


lenen Drüsen, Entleerung: dicken Eiters. 1,0 stark Friedmann intra¬ 
muskulär. 18. I. 18. Allgemeinbefinden besser, Temperatur noch bis 
38,7®. 21. II. 18. Deutliche Abnahme der Schwellung, Absonderung 
geringer, Temperatur heruntergegangen, ist durchschnittlich 1 0 nie¬ 
driger als vor 4 Wochen. Am 5. III. 18 bildete sich freie Flüssigkeit 
in der Bauchhöhle. 10. III. Aszites nimmt schnell zu. Dyspnoe. 

15. III. Punctio abdominis. Fünf Liter opaleszierender Flüs¬ 
sigkeit werden entleert. 23. III. Erneute Punktion. Fünf Liter 
Flüssigkeit. 26. III. Eitrig-blutiger Auswurf. 28. III. Feuchte Rassel¬ 
geräusche über beiden Lungen. Starke Durchfälle. 29. III. Puls 
klein, unregelmässig. 31. III. Unter allmählichem Nachlassen der 
Herztätigkeit Exitus letalis. 

5. 20jähr. Musketier F. 27. II. 17. Res.-Laz. M. Multiple ab- 
szedierende Halsdrüsentuberkulose. Röntgentiefenbestrahlung, 50 X 
unter 3 mm-Aluminiumfilter. 2. XII. 17. Vereinslazarett E. 27. XII. 17. 
Aufnahme ins Res.-Laz. H. 31. XII. 17. Friedmann intramuskulär. 
19. II. 18. Hautwunden wesentlich kleiner geworden. Eine Lymph- 
drüse etwas druckempfindlich geworden. Pat. wird weiter beobachtet. 
Die Erkrankung des Patienten F. an tuberkulöser Lymphdrüsenent¬ 
zündung hat seit 20. II. 18 eine derartig günstige Wendung genommen, 
dass F. am 29. IV. 18 als garnisonverwendungsfähig zu seinem Ersatz¬ 
truppenteil entlassen werden konnte. Die erkrankten Halslymphdrüsen 
waren bedeutend zurückgegangen und ihre eitrige Sekretion fast ganz 
verschwunden. Pat. erfreut sich eines guten Befindens. 

6. 28jähr. Landsturmmann P. Schon immer lungenleidend ge¬ 
wesen. 1907 Lungenheilstätte. 16 IV. 17 eingezogen, meldete sich 
verschiedentlich krank wegen Lungenleidens. 30. X. 17. Absze- 
dierende Halsdrüsentuberkulose. Schmerzen und Stiche am Halse. 
19. 11. 17. Aufnahme ins Res.-Laz. H. zwecks Behandlung nach 
F r i e d m a n n. 30. XI. 17. Friedmann intramuskulär. 20. XII. 17. 
Drüsen verkleinern sich. 27. XII. 17. Verkleinerung macht keine Fort¬ 
schritte. 3. I. 18. Drüsen verkleinern sich, sezernieren geringer. 

16. I. 18. Sekretion stärker. 18. I. 18. Klagt über Halsschmerzen, 
Gliederschmerzen, Fieber 38,6°, Mandeln weiss belegt (interkurrente 
Angina). 6. II. 18. Die Drüsenschwellungen wieder dünner. 19. II. 18. 
Besserung hält an. Wird weiter beobachtet. In der Erkrankung des 
Patienten P., geschwollene und vereiterte Lymphdrüsen zu beiden 
Seiten des Halses, ist seit 23. II. 18 bis heute insofern eine Besserung 
erngetreten, als die unterhalb beider Ohren gelegenen Drüsen weiter 
kleiner geworden sind und eine neue unterhalb des linken Kieferrandes 
gelegene und in Vereiterung übergegangene Drüse wieder so gut wie 
verheilt ist. Das Allgemeinbefinden war andauernd gut. 

7. 27 jähriger Musketier P. Abszedierende Halsdrüsentuberkulose. 
11. VIII. 17: Aufnahme Res.-Laz. St. Zinkpaste, Jodoformtamponade, 
Jodkalisalbe, schwarze Salbe. Höllensteinstift, graue Salbe, Resorzin¬ 
salbe, Auslöffein und Entfernung von schwammigen Gewebsteilen, 
Höhensonnebestrahlung. 22. XII. 17: Aufnahme Res.-Laz. H. 7.1.18: 
Friedmann. 28.1.18: Beginnende Besserung. 12. H. 18: Drüsen¬ 
schwellung geht zurück. 19. II. 18: Pat. hat sich soweit gebessert, 
dass seine Entlassung als k. v. in etwa 1—2 Wochen in Frage kommt. 

8. 30 jähriger Sanitätsunteroffizier. Beide Eltern an Tuberkulose 
gestorben. Feldlazarett. Lungen- und beiderseitige Halsdrüsen¬ 
tuberkulose. Fieber zwischen 38 und 39°. 30. IV. 17: Kriegslazarett. 
In den letzten Wochen 20 kg Gewichtsabnahme. 15. V. 17: Res.- 
Laz. B. 13. VI. 17: Pat. lehnt die wiederholt vorgeschlagene Drüsen¬ 
operation ab. 23. VI. 17: Aufnahme Res.-Laz. H. Jodkali, Höhensonne¬ 
bestrahlung. 13. VII. 17: Halsumfang 42 cm. 20. VII. 17: Halsumfang 
43 cm. Auf Bestrahlung jedesmal starke Reaktion. 10. VIII. 17: Hals- 
urafang 43 cm. Pat. klagt über stechendes Brennen nach Bestrahlung. 
31. VIII. 17: Friedmann intramuskulär. 17. IX. 17: Die Drüsen ver¬ 
kleinern sich zusehends. 5. X. 17: Halsumfang 41 cm. Lymphdrüsen 
nur noch massig geschwollen, Konsistenz weicher, Allgemeinbefinden 
gut. Pat. als k. v. entlassen. 

9. 38 jähriger Landsturmmann R. 23.11.16: Krank gemeldet. 
Sammelstelle St Von dort Kriegslazarett. Dann Vereinslazarett E 
Starke Schmerzen im linken Kniegelenk. 13. XII 16-: Schmerzen und 
Schwellung (3 cm Differenz) im linken Kniegelenk. Knie wird flek¬ 
tiert gehalten. 28.11.17: Aufnahme Res.-Laz. H. Linkes Knie im 
Vergleich zum rechten stark geschwollen, Bewegungen schmerzhaft. 
Diagnose Fungus. F r ied mannsche Injektion. 9. III. 17: Gelenk 
merklich abgeschwollen, Bewegungen weniger schmerzhaft. 16. III. 17: 
Entlassungsbefund: Knie nur noch wenig geschwollen, Bewegungen 
frei. Gar keine Schmerzen mehr. Wird als g. v. entlassen. 

10. 27 jähriger Kanonier S. 12. II. 17: Wegen Drüsentuberkulose 
Hauptverbandplatz S. operiert. 29. IV. 17: Aufnahme Kriegslazarett. 
Abszedierende Drüsentuberkulose. 3. V. 17: Aufnahme Res.-Laz. H. 
Tuberkulöse Abszesse am Halse und Brustbeinschild. Inzisionen, 
Jodoformgazeverband, Bestrahlung. 2. VII. 17: Weitere Inzisionen, 
breite Spaltung, Auskratzung mit scharfem Löffel. 30. VHI. 17: Zu¬ 
stand ziemlich unverändert. Erwerbsbeschränkung zurzeit noch 
1Q0 Proz. 31. VHI. 17: Friedmann intramuskulär. 17. IX. 17: Die 
Drüsen verkleinern sich zusehends. 27. IX. 17: Fisteln schliessen sich. 
15. X. 17: Fisteln fast vollständig geheilt. 19. X. 17: Als g. v. zu seinem 
Ersatztruppenteil entlassen. 

11. 25 jähriger Musketier S. Vielfach in Lazaretten behandelt. 
Kniegelenk tuberkulöse. Schwellung. Konturen verstrichen. Ver¬ 
legungsantrag in das Res.nLaz. C gestellt. 28.11.17: Im Res.-Laz. H 
Friedmanninjektion. 12. III. 17: Knieschwellung deutlich zurück¬ 
gegangen. 20. IH. 17: bis Res.-Laz. C verlegt, daher weitere Beobach¬ 
tung nicht möglich. 

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12. 28 jähriger Landsturmmann H. Seit 1911 an rechtsseitiger 
tuberkulöser Kniegelenksentzündung erkrankt, damals vom Militär 
als dauernd untauglich entlassen. Am 25. VIII. 17 eingezogen. Zu-, 
nächst Revierbehandlung. Am 29. IX. 17 dem Res.-Laz. H überwiesen. 
Rechtes Kniegelenk stark spindelförmig verdickt, auf Druck sehr 
schmerzhaft. Umfang 36,5 cm (1,32 cm). 19. X. 17: Umfang 39: 32 cm, 
ausserdem Lungenspitzenkatarrh. 31. X. 17: Friedmann intramuskulär. 
19. XI. 17: Umfang 35:32 cm, Schmerzen im Kniegelenk gebessert, in 
den letzten 2 Wochen 4 kg Gewichtszunahme. Etwas Hust°n und 
Schleimauswurf, Sputum untersucht: negativ. 29. XH. 17: Umfang 
jetzt 33:32 cm, Beweglichkeit im Kniegelenk und Gehen besser. 
29.1.18: Weitere wesentliche Besserung. 6. II. 18: Als a. v. h. zu 
seinem Ersatztruppenteil entlassen. — 

Auch die Behandlungsergebnisse der Heeresangehörigen zeigen 
also, dass tuberkulös erkrankte Soldaten, welche zum Teil vorher 
in mehreren Lazaretten erfolglos behandelt worden waren, durch 
Behandlung mit dem Fri edm a n nsehen Mittel in kürzester Zeit 
geheilt worden und wieder verwendungsfähig geworden sind. 

Auf Grund meiner nunmehr bald 5 jährigen, ausgedehnten thera¬ 
peutischen Erfahrungen an tuberkulösen Zivilpatienten sowie Heeres¬ 
angehörigen kann ich nach alledem die guten Resultate, welche 
Kruse (D.m.W. 1918 Nr. 6), G o e p e 1 (ebenda und D. Zschr. f. Chir. 
144. 1918. H. 1—2), K ö 11 i ke r (B.kl.W. 1918 Nr. 7), K ü h n e (B.kl.W. 
1918 Nr. 7>, Thun (Ther. Mb. Aprilheft 1918), Palmiö (D.m.W. 
1918 Nr. 15) mit dem Fr i edm a n n sehen Mittel erzielt und ver¬ 
öffentlicht haben, nur bestätigen. 

Von allen bisherigen Mitteln und Behandlungsmethoden der 
Tuberkulose ist unzweifelhaft die von Friedmann 1906 frisch ge¬ 
wonnene Schildkrötentuberkelbazillenkultur (B.kl.W. 1914 Nr. 30) 
das wirksamste und unschädlichste. 

Die günstigen Resultate müssen auch den Skeptiker überzeugen 
und mögen dazu beitragen, die Anfeindungen, denen die Fried- 
mannsehe Entdeckung im Jahre 1914 ausgesetzt war, zu widerlegen 
und dem Mittel unter den Waffen im Kampfe gegen die Tuberkulose 
den souveränen Platz zu sichern, der ihm gebührt. 

Das Kgl. Sächsische Kriegsministerium hat (Goepel: D.m.W. 
1918 Nr. 6) schon seit Juli 1916 verfügt, dass die an chirurgischer 
Tuberkulose leidenden Heeresangehörigen des XIX. Armeekorps und 
seit Februar 1917 auch des XII. Armeekorps mit dem Fried mann- 
schen Mittel behandelt werden. 


Beitrag zur Kenntnis des Friedmannschen Mittels 
gegen Lungentuberkulose. 

Von Dr. Pascal Deuel in Leipzig. 

Dass avirulente Bazillen einen starken Anreiz auf die Produktion 
der Schutzstoffe ausüben können, ist Erfahrungstatsache, biologisches 
Gesetz. Die Therapie mit lebendigen Schlldkröten-Tuberkelbazillen 
ist der Natur abgelauscht und nachgeahmt. Sie hat gegenüber dem. 
Tuberkulin den Vorzug der Dauerwirkung und des Zusammenwirkens 
aller vitalen Kräfte des lebendigen Bazillus, sie zeichnet sich gegen¬ 
über den anderen spezifischen bakteriellen Tuberkulosemitteln durch 
den Mangel einer Beeinträchtigung durch physikalische oder che¬ 
mische Abschwächungsmittel aus. Die Wirkung des Mittels beruht 
in einem Anreiz der Immunkörperbildung gerade gegen die humanen 
Tuberkelbazillen. Eine Therapia immunisans magna im Prinzip in 
geeigneten Fällen durch eine einzige Einspritzung des Impfstoffes er¬ 
reichbar! Es spielt hier das Gesetz der quantitativen Spezifität hinein. 
Wie erst ein bestimmtes Quantum von Bakterien die Krankheit aus¬ 
löst, so ist auch ein bestimmtes Quantum von Antikörpern zur Wachs¬ 
tumshemmung der Bakterien notwendig. Es wird uns so verständlich, 
wie durch die Reizwirkung des Friedmann sehen Antigens, durch 
die Deckung des Schutzkörperdefizits mit einem Male die Heilung 
einsetzen kann. 

Wegen des gegenwärtigen Raummangels muss ich mich hier auf 
diese kurze Mitteilung beschränken. Meine ausführliche Arbeit über 
die Grundlage, Indikation und Dosierung soll an anderer Stelle er¬ 
scheinen. 

Meine Erfahrungen mit dem Friedmann sehen Impfstoff 
reichen 4Va Jahre zurück und erstrecken sich auf im ganzen 123 Fälle, 
97 manifeste und 8 zweifelhafte resp. abgeheilte Lungentuberkulosen. 
18 Fälle sind noch nicht spruchreif. Wenn der therapeutische Einfluss 
nicht so leicht wie bei den chirurgischen Fällen zu beurteilen ist, so 
liegt das im nosologischen Charakter der Lungentuberkulose begründet. 
Es ist zu bedenken, dass die Lungentuberkulose in höherem Masse 
eine Allgemeinerkrankung darstellt, dass es sich oft um eine massen¬ 
hafte Infektion mit zahlreichen Herden handelt, und dass die atmende 
Lunge sich nicht immobilisieren lässt wie eine Extremität. Wir ge¬ 
wannen erst allmählich nach vielen tastenden Versuchen eine festq 
Basis, mit der feineren Indikation, Dosierung und Technik wurden die 
Resultate gegen früher besser und konstanter. St) würde eine rein 
statistische Buchung der Resultate keineswegs ein getreues Bild von 
dem wirklichen Heilwert des Mittels wiedergeben. Aber mit der 
längeren Beobachtung hat sich in uns der überzeugende Eindruck 
von der bedeutenden Wirksamkeit des Mittels immer tiefer befestigt. 

Von Lungentuberkulosen des ersten Stadiums kamen 28 Fälle 
in Behandlung. 11 leichte Fälle, die sich erst seit kurzer Zeit 
klinisch äusserten (subfebrile Temperaturen, Hustenreiz, z. T. mit 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


spärlichem tuberkelbazillenhaltigem Sputum usw.), mit sicheren physi¬ 
kalischen Symptomen {feinblasige klingende Rasselgeräusche) und auf 
der Röntgenplatte sämtlich zirkumskripte, herdförmige Schatten, meist 
in den oberen Lungenfeldern darbietend, kamen sämtlich zur 
Heilung. Innerhalb eines halben Jahres waren klinische Symptome 
nicht mehr nachweisbar. Der Nachweis der Bazillen gelang bis auf 
einen Fall nicht mehr Röntgenologisch fanden sich vielfach im Ver¬ 
gleich zu den Röntgenbildern vor der Impfung deutlich scharf mar¬ 
kierte Schatten als Ausdruck einer starken narbigen Bindegewebs¬ 
neubildung, die wir als röntgenologisches Zeichen der Heilung deuten 
müssen. In zwei weiteren, während der Beobachtung günstig ver¬ 
laufenden Fällen war über das Endresultat leider nichts zu erfahren. 
In gleich günstiger Weise reagierten frische Exazerbationen älterer 
Fälle (fünf), wo die Herde in einer beschränkten Lungenpartie lokali¬ 
siert waren. Sieben ältere, 1—6 Jahre bestehend^ Fälle, mit rezidi¬ 
vierenden Exazerbationen, mit häufigen, z. T. schweren Blutungen, 
mit Monate andauernden subfebrilen Temperaturen, hartnäckigem 
Hustenreiz, geringem Auswurf und sukzessiver Gewichtsabnahme sind 
jetzt frei von allen klinischen Symptomen und frei von Rasselge¬ 
räuschen. Fälle solcher Art heilen umso rascher, je kürzere Zeit sie 
bestehen. Die älteren torpiden Formen reagieren nach meinem Ein¬ 
druck, auch wenn sie sonst gutartig sind, viel langsamer; wahrschein¬ 
lich bedürfen diese wiederholter Impfungen und man wird erst nach 
Jahren eine endgültige Heilung annehmen dürfen. So ist mir auch in 
zwei weiteren- Fällen dieser Art wegen der relativ kurzen Be¬ 
obachtungsdauer ein Urteil nicht möglich. Ein frischer Fall von 
Pleuritis sicca mit tuberkulöser Genese und rasch einsetzenden 
Symptomen von Verfall wurde prompt beeinflusst. Von all den 28, 
dem ersten Stadium angehörigen Fällen haben sich die am dank¬ 
barsten erwiesen, bei denen die Impfung im Moment des Aufflackerns 
der Krankheit, offenbar im Moment der beginnenden dekompensierten 
Schutzkörperproduktion einsetzte. 

In acht Fällen, die sämtlich längere Zeit als lungenkrank galten 
und einen tuberkulösen Eindruck machten, z. T. mit subfebrilen Tem¬ 
peraturen und hartnäckigem Hustenreiz, aber negativen auskultatori¬ 
schen und perkutorischen Befund, sowie zweifelhaften oder negativem 
Röntgenbild blieb in auffälliger Weise der therapeutische Erfolg aus, 
und in fünf dieser Fälle trat trotz der sehr schwachen Dosierung 
eine stark lokale Impfreaktion und Abszessbildung ein. Ich bin durch 
meine Erfahrungen geneigt, in einem Teil dieser Fälle an der Diagnose 
Tuberkulose zu zweifeln. Die Zweifel an der fortschreitenden tuber¬ 
kulösen Natur folgerten wir nicht bloss aus der Unwirksamkeit des 
Fried mann sehen Impfstoffes, sondern vor allem daraus, dass sich 
auch bei längerer Beobachtung diese Fälle als harmlos erwiesen. 

Immer ist eben das Hauptaugenmerk auf das beginnende Mani¬ 
festwerden des tuberkulösen Prozesses zu lenken. Fälle die ohnehin 
im Immunitätsgleichgewicht sind, sowie spontan schon in Heilung be¬ 
griffene Fälle brauchen und sollen nicht geimoft werden, denn sie 
dürften schon spontan genügend Schutzstoffe produzieren und würden 
nur mit einer starken anaphylaktischen Reaktion antworten. Hier ist 
der Organismus kräftig genug, sich die Einverleibung eines neuen 
tuberkulösen Antigens, selbst in ganz schwachen Dosen nicht gefallen 
zu lassen, er wirft die eingedrungenen Elemente durch eine Abszess¬ 
bildung wieder heraus. 

In einer weiteren Zahl schwererer Fälle, die man etwa 
dem zweiten Stadium zurechnen könnte, ist oft schon in den 
allerersten Wochen eine bemerkenswerte Besserung des allgemeinen 
Zustandes zu konstatieren. Mattigkeit und Nachtschweisse schwin¬ 
den, der Appetit stellt sich wieder ein, Brustschmerzen und Husten¬ 
reiz lassen rasch nach, die Expektoration wird leichter und geringer, 
die Temperatur kehrt zur Norm zurück, Gewicht und Blutdruck 
steigen, Arbeitsfähigkeit tritt wieder ein, die Patienten blühen auf 
und machen fast einen gesunden Eindruck. Man hat den Eindruck 
einer Entgiftung. Die humanen Tuberkelbazillen scheinen unter dem 
Einfluss des Mittels von ihrem toxischen Einfluss einzubüssen. Viel¬ 
leicht kommt es zu einer Neutralisierung der freien toxischen Pro¬ 
dukte. Allerdings ist diese entgiftende Wirkung in sehr schweren 
Fällen nur vorübergehend. So nimmt unter dem Einfluss des Mittels 
die Krankheit nicht selten einen benignen Charakter an und kommt 
zu temporärem oder dauerndem Stillstand. Bemerkenswert ist der 
Eintritt eines milden Verlaufes, der Uebergang der floriden in die 
chronische Form. Aber im Gegensatz hierzu bleiben die objektiven 
SyTnptome, die Dämpfung, das veränderte Atemgeräusch bestehen, die 
Rasselgeräusche gehen nur teilweise zurück, und auch die Ausschei¬ 
dung der Koch sehen Bazillen besteht fort. Aber diese scheinen 
mitten im invadierten Gebiet entwaffnet, ihres toxischen Einflusses 
beraubt; sie verlieren ihren parasitären Charakter und sinken auf 
das Niveau von Saprophyten herab. Erst im Laufe von Monaten 
und Jahren kann dann die endgültige anatomische Heilung eintreten. 
Solche Fälle heilen ebenso, wie sie unter günstigen Umständen die 
Natur spontan zu heilen pflegt. Es gibt kein Heilmittel in der Medizin, 
das Krankheiten heilt, die nicht die Natur in besonderen Fällen einmal 
aus eigenem Antrieb zu heilen imstande wäre. Und was die Tuberkel¬ 
bazillenausscheidung betrifft, so hat schon Koch auf den Irrtum hin¬ 
gewiesen, von einem spezifischen Tuberkulosemittel eine direkte Ab¬ 
tötung der Bazillen zu verlangen. Wissen wir doch von anderen 
Infektionskrankheiten, dass Ueberstehen* der Krankheit die Ausschei¬ 
dung der Keime noch nicht zu beseitigen braucht. 

Zu den 21 hierher gehörenden Lungentuber¬ 
kulosen rechne ich alle ausgedehnten einseitigen und doppel- 

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seitigen Prozesse, bei denen sich röntgenologisch ein ganzer 
Lappen befallen erweist. Die Patienten traten zumeist mit 
Temperaturen von 38 bis 39° in Behandlung und machten 
allesamt einen offenkundig schwerkranken Eindruck. Von diesen 
ist einer mit einem doppelseitigen groben Befund und einer 
intensiven Verdichtung beider Oberlappen geheilt und felddienstfähig 
befunden worden. Irgendwelche klinisch-manifesten Erscheinungen 
waren jedenfalls nicht mehr nachweisbar. In einem Falle recht¬ 
seitiger kavernöser Tuberkulose, wo das Bild der Schwindsucht erst 
kurze Zeit hervortrat und wo nur ein kleiner partieller Pneumothorax, 
der sich nicht erhalten Hess, möglich war, machte ich eine Impfung, 
ohne mir allerdings Erfolg zu versprechen. Die Patientin kam nicht 
wieder und ich hielt sie für tot. Nach einem Jahre sah ich die Frau 
mit ihren vier Kindern, auf Besuch in Leipzig, zufällig wieder, sie 
sah blühend aus und fühlte sich gesund. Die Nachuntersuchung er¬ 
gab noch vereinzelte Rasselgeräusche und ein noch wenig ver¬ 
ändertes Röntgenbild. Jetzt verrichtet sie in Abwesenheit ihres 
Mannes neben ihrem Haushalt die schwere Landarbeit ohne Be¬ 
schwerden und ohne zu ermüden. In vier Fällen teils kompakter, teils 
kavernöser einseitiger Tuberkulose, darunter bei einem 10 jährigen 
Knaben, die sämtlich die Indikation für einen künstlichen Pneumo¬ 
thorax boten, besserte die Impfung schon in den folgenden Wochen 
das Krankheitsbild so sehr, dass die Patienten einen gesunden Ein¬ 
druck machten und wieder arbeitsfähig wurden. 14 weitere Fälle 
wurden gleichfalls auffallend günstig beeinflusst, so dass sie, die 
vorher lange erfolglos behandelt waren, sich zusehends besserten und 
auch der Umgebung auffielen. Am günstigsten reagierten im allge¬ 
meinen die fibrösen Formen, die sich röntgenologisch durch schärfere 
Schattenzeichnung dokumentieren. Von diesen letzteren haben sich 
nach Monaten zwei Fälle sukzessive verschlimmert; teils weil, 
wie ich glaube, eine erneute Impfung zu spät einsetzte. — In einem 
schon früher erwähnten Falle von schwerer Lungenblutung war kein 
Effekt zu erzielen, es handelte sich wahrscheinlich um ein Kavernen¬ 
aneurysma, das natürlich einem spezifischen Tuberkulosemittel einen 
therapeutischen Angriffspunkt nicht ermöglicht. 

Endlich wurden, obwohl nicht im Sinne Friedmanns, 32 schwere 
disseminierte, meist über beide Lungen ausgebreitete Tuberkulosen des 
3. Stadiums der Impfung unterzogen. Von diesen starben 12. 19 Fälle 
wurden entschieden günstig beeinflusst; davon sind 9 Fälle voll¬ 
kommen fieberfrei geworden und fühlen sich wohl und arbeitsfähig. 
Einer hat eine schwere Pneumonie überstanden. Zwei Fälle wurden 
ungünstig beeinflusst, auf diese soll später noch eingegangen werden. 
Gerade diese relativ grosse Zahl günstig beeinflusster schwerer und 
schwerster Fälle ist doch sehr auffallend. Diese Fälle sind bisher 
gewiss nicht geheilt. Aber ich meine, wer in das Wesen der Lungen¬ 
tuberkulose einen tieferen Einblick getan hat, wird die Ueberzeugung 
gewinnen, dass hier Resultate vorliegen, die in hohem Masse be¬ 
achtenswert sind. Sie versprechen mit der besseren Kenntnis der 
Handhabung des Mittels noch besser zu werden. Aber nicht alle 
Phthisen können beeinflusst werden; nach meinem Eindruck nur die, 
bei denen der Zusammenbruch, die totale Erschöpfung aller Schutz¬ 
kräfte, die Phthise erst kurze Zeit besteht. 

Wir dürfen aber nicht die schweren, progredienten Tuberkulosen 
als Testobjekt für den Wert des Heilmittels heranziehen. Es handelt 
sich ja um eine aktive Immunisierungsmethode, bei der der Körper 
nichts Fertiges erhält, sondern seine Schutzkräfte aus den eigenen 
Reserven selbst mobilisieren muss. 

Stark reduzierte Fälle dürfen nur mit Minimaldosen behandelt 
werden, da sie nicht imstande sind eine Arbeit zu leisten, die einen 
gewissen Kräftevorrat voraussetzt. Aber andererseits entsteht bei 
so schwachen Dosen der Nachteil, dass die Immunisierung ungenügend 
ist. Solche Fälle ermöglichen daher schwer oder gar nicht ein voll¬ 
kommenes therapeutisches Resultat. 

Ich möchte noch erwähnen, dass das Mittel auch geeignet ist, die 
Heilung der durch den künstlichen Pneumothorax immobilisierten 
Lunge zu fördern und die Indikationen des künstlichen Pneumothorax 
zu erweitern. Ich verfüge über solche Fälle (zwölf von sech¬ 
zehn), wo es mir gelungen ist, bei ausgedehnter kavernöser Tuber¬ 
kulose der einen und einzelnen zirkumskripten Herden in der besseren 
Lunge durch Kombination beider von mir angewendeter Methoden 
eine, wie es scheint, solide Heilung zu erzielen, während ich in fünf 
ähnlichen Fällen, in denen nur der Pneumothorax aber keine Impfung 
vorgenommen war. keinen therapeutischen Effekt erzielte. 

Die Möglichkeit von Schädigungen, die auf das Konto des Lehr- 
gelds fielen, ist zu erwähnen. Abgesehen von Mängeln der Technik 
war fast immer eine zu starke Dosierung schuld. Dadurch kommt 
es besonders in frischen und ausgedehnten Fällen zu einem abnorm 
starken und abnorm raschen Zerfall tuberkulösen Gewebes, Bazillen 
und Endotoxine werden frei, gelangen in den Kreislauf und führen zu 
einer fieberhaften Entzündung. Ich habe dies in einem Falle einer 
ausgedehnten kavernösen einseitigen Phthise bei einer Studentin der 
Medizin beobachtet, wo der Pneumothorax nachher mit Erfolg an¬ 
gelegt wurde. Das sind Mängel, die durch eine besser abgestufte 
individuelle Dosierung abgestellt werden können. Es wäre ferner 
denkbar — ich habe es nicht erlebt —, dass durch Zerfall eines Gefäss- 
tuberkels einmal eine Blutung eintreten könnte; eine solche ist häufig 
nach Tuberkulinbehandlung eingetreten, sie würde, wie das in der 
Natur der Krankheit liegt, wahrscheinlich auch spontan zustande ge¬ 
kommen sein; in der Folge aber, das lehren auch die Tuberkulin¬ 
erfahrungen, tritt durch Ausschaltung des Krankheitsherdes eine um so- 

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9. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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schnellere Heilung ein. Jedenfalls wird inan gut tun. erst einige 
Wochen nach einer Blutung die Friedman n sehe Impfung in nicht 
zu starker Dosis anzuwenden. In einem zweiten Falle einer doppel¬ 
seitigen disseminierten Phthise mit Temperaturen bis 38° stieg das 
Eieber nach einer ganz schwachen Impfdosis über 39° lind hielt 
wochenlang an. Das mag Zufall sein. Vielleicht ist aber ein in der 
(kfässwand liegender Tuberkel zerfallen und hat zu einer erneuten 
Aussaat geführt. 

Ein« allzu starke Herdreaktion in der Lunge, wie nach 
grösseren Tuberkulindosen, ist nach der Fried tu a n n sehen 
Impfung mit den schwachen Dosen, wie sie bei Lungen¬ 
tuberkulosen in Anwendkmg kommen, nicht zu befürchten. 
Diese Friedman n sehe Herdreaktion bestellt zumeist in un¬ 
bedeutenden Sensationen, in ziehenden, spannenden Schmerz- 
empfindungen in der Brust, nicht einmal eine Temperaturerhöhung ist 
‘gewöhnlich zu beobachten. Das mag daher kommen, dass das Mittel 
nur langsam resorbiert wird, und dass cs langsamer wie beim lös¬ 
lichen Tuberkulin zur Entstehung der hochgiftigen Tuberkulinabbau- 
produkte kommt. 

Auf grössere abgeschlossene Kavernen wirkt der Fried¬ 
man n sehe Impfstoff wenig ein. ln einem Fall, wo eine grosse 
Kaverne bei massiger Infiltration der übrigen Lunge vorhanden war, 
konnte ich keinen Erfolg feststellen. Das liegt weniger an dem 
Mittel, als an ungünstigen anatomischen Verhältnissen. Das Mittel 
kommt durch das massenhafte, gefässarme nekrotische (iewebe schwer 
hindurch. 

Zur genauen Feststellung der Indikation und zur Beurteilung des 
Heiiverlaufs ist neben der Anwendung aller klinischen Methoden, 
besonders der Temperaturmessung, eine photographische Röntgen¬ 
aufnahme der Lungen unerlässlich. Diese stellt nicht nur eine objek¬ 
tive. auch später kontrollierbare Urkunde dar. es entpuppen sich da 
nicht selten scheinbar wenig ausgedehnte Tuberkulosen als disse- 
minierte Formen, denn mit den gewöhnlichen physikalischen Methoden 
können Herde inmitten intakten Lungengewebes leicht entgehen. 

Wenn wir auch noch manchen Problemen begegnen, so ist, wie 
ich in voller Uebereinstimmung mit den jüngsten Mitteilungen von 
Göpel. K ö 11 i k e r. Kühne, Palmie, Thun u. a. hervorhebe, 
an der spezifischen Heilwirkung des Mittels nicht zu zweifeln. Es ist 
also richtiger, wenn wir die Mängel weniger in dem Mittel selbst 
suchen, als in den Mängeln der Technik, der Dosierung, der Indikation. 
Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es wäre auch noch 
zu untersuchen, ob nicht manchen unwirksamen Fällen eine Art 
Komplementarmut, die das Mittel seiner Natur nach nicht beeinflussen 
kann, zugrunde liegt 

Zusammenfassung. 

1. Durch das F r i e d rn a n n sehe Mittel werden frische Fälle 
und frische Exazerbationen älterer Fälle von Lungentuberkulose, 
auffallend günstig beeinflusst. 

2 . Schwerere Fälle von Lungentuberkulose werden in einem 
grossen Prozentsatz günstig beeinflusst. 


Aus dem Chirurg. Ambulatorium des Allgem. Krankenhauses 
Hamburg-Eppendorf. (Leitender Arzt: Dr. Kotzenberg) 

Kontraindikationen bei Bestrahlungen mit künstlicher 
Höhensonne. 

Von Dr. Friedrich Kautz. 

Die überaus grosse Zunahme der Bestrahlungen mit künstlicher 
Höhensonne in den letzten Jahren hat es mit sich gebracht, dass das 
lüdikationsgebiet derselben eine auch jetzt noch nicht zum Stillstand 
gekommene Erweiterung erfahren hat. Mit einem sowohl zeitlieh wie 
kosmetisch wie überhaupt allgemein therapeutisch ausgezeichneten 
Erfolg werden Krankheitsprozesse bestrahlt und der Heilung zugeführt. 
Berücksichtigt man die Grenzen, die der Bestrahlung mit ultraviolet¬ 
tem Licht gesetzt sind, und macht man sich vor dem Beginn eines 
ieden zur Bestrahlung überwiesenen Falles klar, wie bei ihm eine 
E erapeutische Wirkung zustande kommen kann und muss, soweit wir 
iher die Natur derselben schon experimentelle Grundlagen besitzen. 

müssen wir auf Grund unserer langjährigen mannigfaltigen Er¬ 
fahrungen der Ansicht Ausdruck geben. (Lass uns in dem vom Quarz- 
ujecksilberbrenner ausgesandten Strahlengemisch, dessen wirksame 
Eaktoren im besonderen ultraviolette und Wärmestrahlen sind, eine in 
Geier Hinsicht unübertreffliche Behandlungsmethode entstanden ist. 
Allein der Umstand, dass trotz der sehr erheblichen technischen 
Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung die Verbreitung der 
-Gastlichen Höhensonne eine so enorme geworden ist. und die in un¬ 
zähligen Veröffentlichungen fast rückhaltlos beschriebenen Heilerfolge 
juf den mannigfaltigsten Krankheitsgebieten sind ein beredtes Zeug¬ 
nis für dfe nunmehr unentbehrlich gewordene therapeutische Aus¬ 
nutzung der ultravioletten Strahlen. 

Wie eine jede Behandlungsmethode verlangt auch die Bestrah¬ 
lung mit künstlicher Höhensonne strenges Individualisieren, jedes 
>chematisieren ist auch hier verderblich und birgt die Gefahr in rieh, 
l*ss durch .unsachgemässe Anwendung der ultravioletten Strahlen die¬ 
selben sehr zum Schaden vieler Patienten in Misskredit gebracht 

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wurden. Wie auch immer der Mechanismus der Strahlenwirkung sein 
mag. eine direkte spezifische Wirkung, muss ihnen abgesprochen 
werden; der Bestralihmgseffekt wie auch die vorliegenden experimen¬ 
tellen Untersuchungen sprechen grob-physiologisch für einen primär 
hvperüniisierenden Vorgang, der dann seinerseits durch Steigerung 
der Autikörperbildung den lokal entzündlichen Prozess schneller mul 
kräftiger zur Ausheilung zu bringen vermag. Dass die Bestrahlung 
allein Antikörper zu bilden vermag, kann nicht angenommen werden, 
vielmehr muss von dem Krankheitsprozess schon der R^iz zur spe¬ 
zifischen Autikörperbildung ausgegangen sein, und diese Schutzstoffe 
erfahren durch Steigerung der zirkumskripten Hyperämie durch Be¬ 
strahlung daun ihrerseits eine Anregung zu reichlicherer und be¬ 
schleunigter Proliferierung. Hieraus erklären sich wohl auch die 
ungünstigen und bisweilen selbst schädlichen Einwirkungen bei Be¬ 
strahlung mit künstlicher Höhensonne bei den akuten entzündlichen 
Erscheinungen unmittelbar nach dem Auftreten derselben. Es ist hier 
eben noch nicht zur Bildung der spezifischen Schutzstoffe gekommen, 
der entzündliche Vorgang selbst noch im Fortschreiten und die bak¬ 
teriellen oder sonstigen exogenen toxischen Stoffe noch in der Uener- 
zalil. Wartet man dagegen den Ausgleich zwischen toxischen Stoffen 
und Schutzstoffbildung ab, was sich entweder im Eintritt eines Still¬ 
standes in der Ausbreitung des Erkraukmigsprozesses, Rückgang etwa 
vorhandener Temperaturerhöhung u. a. anzcigt, so ist der Zeitpunkt 
gekommen, wo die durch die ultravioletten Strahlen zur Erzeugung 
gelangende lokale Hyperämie mit Aussicht auf Erfolg eiusetzeu soll. 
Wie so einerseits ein zeitlicher Friihpimkt für den Beginn der Höhen¬ 
sonnenbestrahlung beobachtet werden muss, so ist auch der Dauer 
derselben eine Grenze gesetzt. Zahlreiche Beobachtungen, besondeis 
aus der Wundbehandlung der mannigfaltigsten Kriegsverletzungen von 
der tiefgreifenden zerstörenden komplizierten Knochenrraktur bis zum 
oberflächlichen Hautdefekt haben uns davon überzeugt, dass bei einem 
gewissen Zeitpunkt, soweit dabei eine lokale hyperämisierende Wir¬ 
kung durch Höhensounenbestrahlung in Frage kommt, diese ausgesetzt 
werden muss. Und zwar erlischt ihre 'Wirksamkeit allgemein ge¬ 
sprochen dann, wenn es gewissermassen zu einer lokalen Uebersätti- 
gung von Schutzstoffen gekommen ist. Dies wird einmal dann ein- 
treten, wenn die bakteriellen oder sonstigen toxischen Elemente ver¬ 
nichtet sind, mit einem Wort, wenn die Entzündung abgeklungeii ist. 

Kennzeichnet sich so die Hölieiisonnenbehandlung als die domi¬ 
nierende Behandlung aller entzündlichen Erscheinungen in ihrem sub- 
akuten und chronischen Stadium, so könnte der Entwurf erhoben werden, 
dass die Erfahrungen, die mit der Bestrahlung auch bei anderen Pro¬ 
zessen gewonnen wurden, dem widersprechen-. Um nur zwei Gebiete 
herauszugreifen, beschränken wir uns hier auf die Anwendung der 
künstlichen Höhensonne bei oberflächlichen Hautdefekten und bei den 
sekundären Anämien. Bei ersteren beobachten wir sehr häufig, auch 
wenn die Gramilationstläche sauber ist und sich im Zustande der Epi- 
thelialisierung befindet, noch eine gesteigerte und beschleunigte Dek- 
kung der Hautdefekte. Jedoch lehrt die Erfahrung, dass diese Stei¬ 
gerung nur anfangs anhält, dass nach einiger Zeit unter Beibehaltung 
der Bestruliluiigsbehandlimg die Ueberhäutung des Defektes sieh ver¬ 
langsamt resp. ganz aufhört. Solche Beobachtungen haben wir sehr 
häufig gemacht. Das Aufhören der Höhensonnenwirkling erklärt sich 
dann nur so, dass die lokale Empfindlichkeit gegenüber den ultravio¬ 
letten Strahlen erlischt, und dass dann zur Erzeugung einer be¬ 
schleunigten Wundheilung eine neue Methode, deren Reiz als solcher 
oder überhaupt, wie z. B. der der Röntgenstrahleu, die wir in solchen 
Fällen verlangsamter Epithelialisienm ir mit gut<'m Erfolg' 4 
haben, kräftiger ist. Aehnlich erklärt sich die allmählich an 
Kraft abnehmende Wirkung der ultravioletten Strahlen bei Be¬ 
handlung der sekundären Anämien. Möchten wir dieselbe anfangs 
auf Grund unserer ausgezeichneten Erfolge, die in einem auffallend 
raschen Ztinchmen des Hämoglobingehaltes, der Zahl der roten Blut¬ 
körperchen und Verbesserung des Färbeindex bestehen, und über die 
au anderer Stelle ausführlich berichtet wird, nicht missen, so stellen 
sich diese Faktoren nach einiger Zeit doch auf ein gewisses Muss ein, 
das auch nach wocheri- bis monatelanger Zeit durch die Bestrahlung 
nicht überschritten wird. Und zwar bleiben die Werte hier unter der 
Norm, die wir als Standardwert bei den betreffenden Patienten an¬ 
nehmen müssen. Allerdings scheint es hier nicht die Regel zu sein, 
denn bei vielen Patienten erreicht der Wert ihrer hämatologischen 
Verhältnisse die Norm, jedoch sind es dann meistens solche, bei denen 
von vornherein eine hochgradige Herabsetzung der Werte nicht be¬ 
standen hat. Gehen wir dieser Erscheinung nach, so kommen wir 
auch dabei zu der Ueberlegung, dass es ebenfalls ein Aufhören der 
Empfindlichkeit, gewissermassen eine Immunität gegenüber dkm ultra¬ 
violetten Strahlen sein wird, die nach einiger Zeit deren Wirksamkeit 
herabsetzt. Ganz gleich ist es. ob wir uns die Strahlenwirkung als 
rein lokale Oberflächenhyperämie oder als einen mit Hilfe des Pig¬ 
ments auf dem Blutwege in wirksame Stoffe transferierten Strahlen¬ 
effekt vorstellen. 

Haben wir so gelernt, in gegebenen Fällen eine zeitliche Begren¬ 
zung der Höhensonnenbestrahlung zu beachten, so hat uns die Er¬ 
fahrung weiter gezeigt, dass es Krankheitsprozesse gibt, die. wenn 
sie auch scheinbar für die Bestrahlung günstig liegen, geradezu eine 
Kontraindikation für diese Behandlung darstellen. Da sind) es zu¬ 
nächst die entzündlichen Veränderungen, wie sie im Verlauf der 
Syphilis auftreten: als solche sind zu nennen geschwtirige Verände¬ 
rungen der Haut, (iummikiioten. schlecht heilende Operationswunden 
bei bestellender Syphilis und periostale Prozesse. Wir verfügen über 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


8 Fälle, die hierhergehören, und die auf Grund falscher Diagnosestel¬ 
lung zur Bestrahlung überwiesen wurden. 

Fall 1. Frl. R., 37 J. Klin. Diagnose: Lymphadenitis cervicalis 
tuberc. Bestrahlung mit Höhensonne im ganzen 40mal; schon nach 
den ersten Belichtungen traten Schmerzen an der erkrankten Hals¬ 
seite auf, die während der Dauer der Behandlung in wechselnder 
Stärke anhielten. Da die drüsenartige Geschwulst keinen Rückgang 
zeigte, auch Neigung zum Einschmelzen nicht auftrat, wurde die 
WaR. vorgenommen, dlie positiv ausfiel. Auf antisyphilitische Kur er¬ 
folgte schnelfes Einschmelzen des nunmehr als Gummi .angesprochenen 
Prozesses und glatte Heilung. 

Fall 2. Herr Sch., 27 J. Klin. Diagnose: Osteomyelitis femoris 
mit tiefgreifendem Hautulcus. Nach 20 Bestrahlungen zeigte die Ge¬ 
schwürsfläche keine Heilungstendenz, im Oberschenkel traten beson¬ 
ders nachts sehr heftige Schmerzen auf. Röntgenbild: Periostale 
Säume am Oberschenkel. WaR. positiv. Auf antisyphilitische Kur 
schnelle Heilung. 

Fall 3. Herr S., 40 J. Klin. Diagnose: Epithelioma, Keloid. 
Nach 15 Bestrahlungen Zunahme der gleich anfangs aufgetretenen 
Schmerzen. WaR. positiv. Auf antisyphilitische Kur deutliche Ab¬ 
flachung der verdEckten Hautpartien. 

Fall 4. Herr M.. 48 J. Klin. Diagnose: Doppelseitige tuber¬ 
kulöse Halsdriisenentziindung. Nach 95 Bestrahlungen teilweise Ulze- 
ration der Drüsenpakete, sehr starke Schmerzen und Verschlechterung 
des Allgemeinbefindens. WaR. positiv. Auf Hg und Sa. glatte 
Heilung. 

Fall 5. Kind J., 2 J. Klin. Diagnose: Lymphadenitis ^rvicalis 
tuberc., Spina ventosa dig. V. Nach 15 Bestrahlungen wird die Be¬ 
handlung ausgesetzt, da das Kind infolge der Schmerzen unruhig 
wurdle, und das Allgemeinbefinden sich verschlechterte. Röntgen¬ 
untersuchung. Osteochondritis dissec. digit. V. WaR. positiv. Auf 
Kalomel und Sa. Heilung. 

Fall 6. Herr S. Klin. Diagnose: Ulcus cruris sin. Nach 15 Be¬ 
strahlungen, die wegen zunehmender Schmerzen nicht vertragen wur¬ 
den, und keine Aenderung der Geschwürsfläche zeigten, Anstellung 
der WaR.. die positiv ausfiel. Antisyphilitische Kur: Heilung. 

Fa 11 7. Fr. B., 25 .1. Klin. Diagnose: Schlecht heilende Wunde 
nach Appendektomie. Gleich nach Beginn dler Bestrahlung Schmer¬ 
zen in der Wunde, die sich auch nach 20 Bestrahlungen nicht ver¬ 
ändert hatte. WaR. positiv. Hg und Sa. brachten schnelle Heilung. 

Fall 8. Frl. B.. 25 .1. Klin. Diagnose: Lymphadenitis cervicalis 
tuberc. partim ulcerata. Nach 60 Bestrahlungen keine Aenderung 
im Drüsenprozess. Auftreten von Schmerzen und Verschlechterung des 
Allgemeinbefindens. WaR. positiv. Antisyphilitische Kur: Heilung. 

Die oben angeführten Fälle, die unter Berücksichtigung der Er¬ 
scheinungsformen und der Diagnose als durchaus geeignet zur Höheti- 
sonncnbestrahlung schienen, boten als gemeinsames Merkmal schon 
nach den ersten Bestrahlungen die auftretendien Schmerzen am Krank¬ 
heitsherd, keinen Rückgang der Veränderungen und bei einigen zu¬ 
nehmende Verschlechterung des Allgemeinbefindens. Die Erfahrung 
an vielen tausend Fällen, die im hiesigen Krankenhaus der Höhen¬ 
sonnenbehandlung unterworfen wurden, hat gezeigt, dass als eine der 
frühesten Wirkungen der ulti avioletten Strahlen das Aufhören an¬ 
fangs vorhandlener Schmerzen anzusehen ist. An vielen Fällen von 
mit starken Schmerzen einhergehenden Erkrankungen, wie Knochen- 
und Gelenktuberkulosen, Osteomyelitiden. Neuralgien und Neuritiden 
haben- wir .uns von der zumeist sehr bald und fast stets auch sicher 
auftretenden günstigen Beeinflussung der Schmerzen überzeugen 
können. Nie jedoch sind bei den ebengenannten Erkrankungen und 
anderen, die der Höhensonnenbestrahlung überwiesen wurden, ver¬ 
mehrte Beschwerdien, im besonderen Schmerzen aufgetreten. Diese 
Erscheinung zeigte sich zuerst bei den oben angeführten 8 Fällen, 
und zwar mit ziemlicher Regelmässigkeit gleich nach den ersten 
Belichtungen. Bestand in den ersten Fällen kein Verdacht auf eine 
nicht zutreffende klinische Diagnose, so war doch die nach längerer 
Zeit nicht zu beobachtende geringste Beeinflussung drs krankhaften 
Prozesses auffallend, und dieses refraktäre Verhalten legte den Ge¬ 
danken an eine syphilitische Erkrankung nahe. Die dann vorgenom¬ 
mene Wassermann sehe Reaktion bestätigte die Vermutung. Spä¬ 
tere Beobachtungen haben nun ergeben, dlass mit an Sicherheit gren¬ 
zender Wahrscheinlichkeit vermehrte Beschwerden, im besonderen 
gleich zu Beginn der Höhensonnenbehandlung auftretende Schmerzen 
und späteres refraktäres Verhalten des sonst zur ultravioletten Strah¬ 
lenbehandlung geeignet erscheinenden Prozesses zum mindesten eine 
Blutuntersuchung nach Wassermann resp. anderweitige klinische 
Untersuchungskontrolle eine syphilitische Erkrankung auszuschliessen 
oder zu bestätigen Veranlassung geben sollte. Dabei sei noch an die 
relativ häufig vorkommende und oft nicht erkannte Lokalisation 
syphilitischer Veränderungen im Bereich der Halsdrüsen erinnert. 

Noch bei einem anderen Gebiet lokaler Krankheitsprozesse ver¬ 
bietet sich nach unseren Erfahrungen die Anwendung der künstlichen 
Höhensonne. Es wurden uns zur Bestrahlung mehrere Patienten über¬ 
wiesen, die solaminis causa und im besonderen zur Hebung des all¬ 
gemeinen Körperbefindens infolge von Kachexie bei bestehender bös¬ 
artigen Neubildung — Karzinom. Sarkom — bestrahlt werden sollten. 
Trotz der von uns von vornherein abgelehnten Indikationsstellung 
haben wir einige Patienten bestrahlt, mussten die Bchancfflung schon 
nach kurzer Zeit abbrechen, da die Tumoren, soweit es sich um 
äusserlich kontrollierbare Geschwülste handelte, ein wesentlich be¬ 
schleunigtes Wachstum zeigten, und zwar trat die Grössenzunahinc 

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mit Verschlechterung des Allgemeinbefindens besonders bei den Sar¬ 
komen auf. Jedoch auch andere Tumorgattungen, schwer jauchende 
Mammakarzinome, ulzerierte Vaginalkarzinome wuchsen von Tag 
zu Tag, die Jauchungen und Zerfallsprozesse nahmen zu, und die zum 
Tode führendle Kachexie zeigte einen rapiden Verlauf. Da es nun 
bei mangelnder Kenntnis der Indikationsstellung auch anderwärts zur 
Höhensonnenbestrahlung solcher maligner Neubildungen kommen 
dürfte, so ist eine Warnung nicht dringend genug auszusprechen. Die 
hochgradige Anämie und vorhandene Kachexie bei bestehendem bös¬ 
artigen Tumor stellt eine strikte Kontraindikation zur Höhensonnen¬ 
behandlung dar. Schon von anderer Seite ist vor der Behandlung 
von Kankroiden mit dem Quarzlicht gewarnt worden. Mit Recht 
weist Thedering darauf hin, dass unter der Bestrahlung die Ge¬ 
fahr der Reizung mit rascher Ausbreitung des Kankroids und Einbruch 
in die Lymphbahnen. wie wir sic Ja auch bei ungenügender Röntgen¬ 
bestrahlung erlebt haben, sehr gross ist. 

Auch hier sind die experimentell gewonnenen Kenntnisse über die 
Wirkung der ultravioletten Strahlen eine ausreichende Erklärung. 
Einmal ist in der lokal erzeugten besseren Durchblutung in der Um¬ 
gebung des malignen degenerierten Gewebes eine Anregung zum Tumor- 
wachstum zu sehen, denn wir wissen ja z. B. aus der Therapie der 
inoperablen Uterustumoren, dass es u. U. gelingt, durch temporäre 
Verschlechterung der Ernährungsbedingtmgen, wie sie z. B. nach 
Unterbindung der Aa. uterinae auftreten, einen Stillstand in dem 
Wachstum des Tumors undl unter Röntgenbestrahlung einen Rückgang 
herbeizuführen. Weiterhin kann wohl auch bei oberflächlich ge¬ 
legenen Geschwülsten eine direkte chemotaktische Beeinflussung 
durch die ultravioletten Strahlen nicht von der Hand gewiesen wer¬ 
den, irn besonderen, soweit es sich unr epitheliomatöse Neubildungen 
handelt. 

Zusammenfassung. 

1. Uin die günstige Einwirkung der ultravioletten Strahlen bei 
entzündlichen Erkrankungen voll ausnutzen zu können ist unter 
Beobachtung des lokalen Krankheitsprozesses sowohl das Einsetzen 
der Bestrahlung wie das Aussetzen derselben zeitlich zu begrenzen. 

2. Fälle sicherer klinischer Syphilis mit oder ohne po sitive 
Wassermann scher Reaktion sind als ungeeignet von der Be¬ 
strahlung mit künstlicher Höhensonne abzuweisen. Treten bei Pa¬ 
tienten, die unter der Annahme einer nichtsyphilitischen Erkrankung 
bestrahlt werden, schon nach kurzer Zeit Schmerzen auf, und zeigt 
der Krankheitsprozess zum mindesten keine Neigung zu Stillstand 
resp. Rückbildung, so ist durch die W a s s e r m a n n sehe Reaktion 
die nichtsyphilitische Natur der Erkrankung zu bestätigen. 

3. Bösartige Neubildungen sind in jeder Hinsicht zur Höhen¬ 
sonnenbehandlung ungeeignet. Bei Anwendung derselben pflegt bei 
zunehmender Verschlechterung des Allgemeinbefindens ein beschleu¬ 
nigtes Wachstum der Tumoren aufzutreten. 

Zur Messung der Körperwärme. 

Von H. Quincke, Kiel-Frankfurt a. M. 

Die Stellen, welche wir in der Praxis zur Messung der Körper¬ 
wärme benutzen, weichen von deren Mittel, der Temperatur des 
Aortenblutes, mehr oder weniger ab; die Abweichung ist aber für 
jede der Stellen bei richtiger Technik einigermassen konstant, so 
dass fortlaufende Messungen derselben Stelle 
brauchbzare Kurven ergeben. Die üblichen 
Stellen sind Achselhöhle, Mund, Rektum — 
letztere die zuverlässigste. In älteren 
Werken w ; ird auch die Wärmemessung des 
Urins erwähnt, aber verworfen und doch ist 
sie, wie mich Versuche lehrten, unter ge¬ 
wissen Kautelen leicht ausführbar und zu¬ 
verlässig. Sie kann deshalb gelegentlich 
ganz brauchbar sein. 

Der Inhalt der Blase würde bei ihrer - 
geschützten Lage ein gutes Bild der zen¬ 
tralen Körpertemperatur geben. Nach Ver¬ 
lassen der Blase muss der Harn aber not¬ 
wendig an die Harnröhrenwand, durch Ver¬ 
dunstung und an das Auffanggefäss Wärme 
abgeben. Man muss deshalb den 
ausströmenden Harn möglichst 
nahe der Harnröhrenmündung 
messen. Dies geschieht am sichersten 
in folgender Weise: Das verwendete 
(Maximal-)Thermometer muss wenig Masse 
haben, das Quecksilbergefäss von grosser 
Oberfläche, lang, schmal und dünnwandig sein, am besten ist ein sog. 
Minutenthermometer. Der Harn wird mittels Glastrichter (Tr) (von 
9 cm Durchmesser) in eine Flasche von 3—400 ccm entleert, während 
das Quecksilbergefäss sich in der Spitze des Trichterkegels befindet 
und die Harnröhrenöffnung dem Quecksilbergefäss möglichst bis auf 
wenige Zentimeter genähert wird. Dadurch, dass immer neue körper¬ 
warme Harnmengen das Quecksilbergefäss umspülen, wird dieses 
bei Entleerung von 2—300 ccm Harn schnell erwärmt. 

Original fram 

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Am zweckmässigsten ist es, das Thermometer (Th) an der 
Trichterwand zu befestigen mittelst einer federnden Metallspange, 
welche einen unten geschlossenen Blechtrichter (t) von 4,5 cm Durch¬ 
messer trägt. Dieser füllt die Spitze des Glästrichters aus, bleibt aber 
durch 3 kleine Flanschen von dessen Wand 3—4 mm entfernt 1 ). Das 
Ouecksilbergefäss reicht bis nahe an die Spitze des Blechtrichters, 
ohne ihn zu berühren. Der Harn füllt nun den kleinen Blechtrichter, 
umfHesst das, Quecksilbergefäss und strömt über den Trichterrand ab; 
durch das Nachströmen frischen Harns wird der Trichterinhalt nun 
fortwährend erneuert und durch annähernd körperwarmen Harn er¬ 
setzt. Das erreichte Maximum bleibt hinter der gleich danach ge¬ 
messenen Rektaltemperatur nur um 0,0 bis 0,2, selten bis 0,4 0 zurück. 

Bei Frauen ist das Resultat das gleiche. 

Wird das Tnermometer nur mit der Spange ohne Blechtrichter 
fixiert oder gar nur frei gehalten, so wird die Umspülung und damit 
die Messung weniger sicher. 

Führt der Arzt die Messung selbst aus, so genügt es, das 
Thermometer möglichst nahe der Harnröhrenmündung, mit dem 
unteren Ende stromabwärts gerichtet, so in den Harnstrahl zu halten, 
dass das Quecksilbergefäss gänzlich vom Harn umspült wird. Die 
Differenz gegenüber der Rektaltemperatur ist hier vielleicht noch 
geringer. 

Auch Nicht-Minutenthermometer habe ich brauchbar gefunden, 
doch mögen unter den gewöhnlichen Fieberthermometern manche 
sein, welche wegen zu grosser Wanddicke nicht schnell genug an- 
steigen und deshalb versagen. 

Selbstverständlich kann die Messung der (Körperwärme am 
Harnstrahl andere Verfahren nicht verdrängen wollen, sie ist nur eine 
Ergänzung und unter Umständen ein brauchbarer Ersatz. Täuschungen 
nach oben sind bei ihr kaum möglich, Entkleidung ist nicht erforder¬ 
lich. Die benötigte Zeit ist nur die der Harnentleerung. Nachteile 
sind, dass man an letztere gebunden ist, dass die Messung nur ausser 
Bett geschehen kann. Auch Gründe der Dezenz erschweren sie. 
Eine gewisse Technik erfordert jede Messungsmethode; die Fehler¬ 
quellen sind hier sicher nicht grösser als bei der Achselmessung, 
die Abweichung von der Rektaltemperatur geringer als bei dieser. 

Wie schnell die Temperatur des schon in der Blase befindlichen 
Harns den Aenderungen folgt, w r elche die Bluttemperatur etwa in 
kurzer Zeit erfährt, bei schroffem Anstieg, bei kritischem Abfall, bei 
Ueberwärmung u. dergl., müsste noch festgestellt werden, doch scheint 
mir dieser Punkt mehr theoretische als praktische Bedeutung zu 
haben. 


Aus der landwirtschaftlichen Fürsorgeabteilung und der 
Invalidenschule des Reservelazarettes Landsberg a. L. 
(Chefarzt: Oberstabsarzt Dr. Krimer.) 

Arbeitsbehelfe und Radialisschienen für handverstümmelte 
Landwirte. 

Von Stabsarzt d. R. Dr. Dörr, Leiter der orthopädischen 
Abteilung am Fürsorge-Reservelazarett Landsberg a. L. 

Angeregt durch die Mitteilungen von Bauer in Nr. 45 der 
M.m.W. und von König in Nr. 47 in derselben Wochenschrift (Jahr¬ 
gang 1917) erlaube ich mir, einen Beitrag zur Frage der Radialis¬ 
schienen und Arbeitsbehelfe für Handversteifungen etc. mitzuteilen. 

Im hiesigen Fürsorgelazarett ist die Möglichkeit gegeben, sich 
über den Erfolg der Nervennaht ein gewisses Bild zu machen; vor 
zu grossem Optimismus muss gewarnt werden. Auf jeden Fall be¬ 
herrschen hier bis jetzt die Radialisnähte, die von verschiedenen 
Seiten ohne Erfolg gemacht wurden, vollkommen das Bild. Ich will 
dahingestellt sein lassen, ob später vielleicht doch noch eine Funktion 
eintritC obwohl wir auch über eine Anzahl von Fällen verfügen, bei 
denen die Naht —1 % Jahre zurückliegt. 

Immer erheischen alle diese Operierten, bei denen der Erfolg 
noch nicht eingetreten ist und natürlich auch die Nichtoperierten eine 
weitere Hilfe, die ihnen in Gestalt von Radialisschienen zuteil wird. 

Auf der hiesigen Fürsorgeabteilung, die in der Hauptsache der 
praktischen Anpassung an die landwirtschaftlichen Arbeiten dient, 
bringen viele Patienten schon anderweitig gefertigte Schienen mit. 

Bei den praktischen Versuchen hat sich gezeigt, dass die meisten 
Schienen den Anforderungen für „grobe“ Arbeit nicht entsprechen. 

Die meisten Schienen sind zwar sehr ingeniös erdacht, aber 
zu gleicher Zeit merkt man, dass der „Erfinder“ oft recht wenig Füh¬ 
lung mit den Forderungen des täglichen Lebens hatte und sich sicher 
nicht klar geworden ist, wie der Träger dieser Schiene damit wirk¬ 
lich „arbeiten“ und oft „schwer“ arbeiten soll. 

Der erste und wichtigste Punkt ist der, dass die Schiene 
für den Träger nicht eine ständige Quelle der Ge¬ 
fahr bildet. Das ist aber bei den meisten Schienen, die ich hier 
kennen gelernt habe, cler Fall; hervörspringende Teile, Konstruk¬ 
tionen aus Draht usw. bedingen jederzeit die Möglichkeit in sich, 
dass der Träger mit der Schiene irgendwo hängenbleibt; man be¬ 
denke die Verletzungen, die hiedurch bei der Bedienung landwirt¬ 
schaftlicher Maschinen zu gewärtigen sind. Denn im Gegensatz zu 


') Die kleine Vorrichtung liefert Instrumentenmacher D r ö 11, 
Frankfurt a. M„ Kaiserstr. 42. 

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den reinen Arbeitsbehelfen, die nur bei der Verrichtung bestimmter 
Arbeiten (hauptsächlich mit Stielgeräten) getragen werden müssen, 
.während sie bei anderen Verrichtungen (z. B. bei der Fuhrwerks¬ 
begleitung, beim Heu- und Getreideladen, beim Futterschneiden, beim 
Anfassen grober Gegenstände, wo der Unterarm als Ganzes benützt 
werden kann, beim Hantieren an Maschinen etc.) abgelegt werden 
können, soll die Radialissciiiene ständig getragen werden, damit der 
dadurch verbesserte Handschluss immer ausgenützt werden kann. 

Ein wesentlicher Punkt bei der Verrichtung landwirtschaftlicher 
Arbeiten ist aber der, dass man es häufig mit beweglichen Gegenstän¬ 
den, mit Tieren (Fuhrwerk), Maschinen etc. zu tun hat. wo der In¬ 
valide sehr leicht der Gefahr des „Hängenbleitiens“ und dadurch 
schwerer Gefährdung ausgesetzt ist. Es muss daher vor allem dar¬ 
auf gesehen werden, dass keine die Handfläche und den Handrücken 
überragenden Teile vorhanden sind. 

Zweitens ist Rücksicht zu nehmen auf die bei den landwirtschaft¬ 
lichen Arbeiten sehr leicht eintretende Verschmutzung. 

Insbesondere sind Apparate, welche die Hand in grösserer Aus¬ 
dehnung bedecken und die Grundglieder der Finger umschnüren, sehr 
leicht einer Verschmutzung und Abnützung ausgesetzt. 

Drittens kommt als Hauptmoment in Betracht, dass die Beuge¬ 
kraft der Finger nicht verschlechtert, sondern dass die grösstmög- 
liche K aft des Handschlusses herausgeholt wird. 

Viertens soll die noch vorhandene aktive Beugefähigkeit des 
Handgelenkes nicht aufgehoben werden. 

Die in hiesiger Werkstätte jetzt hergestellte Radialissciiiene, die 
aus praktischer Erfahrung im Zusammenarbeiten von Stabsarzt 
Dr. Fuchsberger und dein Leiter der hiesigen Werkstätte, U.O. 
Scherf, entstanden ist, hat folgende Entwicklung: 

Der Faustschluss ist bekanntlich am kräftigsten bei einer Dor¬ 
salflexion von ca. 45 °. Bei Radialislähmungen ist dies besonders 
deutlich, jedoch ist es bei einzelnen Radialisgelähmten verschieden 
und muss ausprobiert werden. 

1. Die Stütze wurde in die Handfläche verlegt und bestand aus 
einer dem Handteller angepassten handgeschmiedeten rhombischen 
Eisenplatte mit Stiel, der an einem den Unterarm umfassenden 
Schienenhülsenapparat unbeweglich befestigt war. Diese Konstruk¬ 
tion ergab eine gute Stütze (Abb. 1). Die ganze Hand bleibt dabei 



Abb. 4. Abb. 5 

frei, das Greifvermögen ist voll ausniitzbar. Wegen der Glätte der 
Metallteile, die dem Handteller unverrückbar festliegt, ist ein Hängen¬ 
bleiben nicht so leicht möglich, Verschmutzung und Abnützung ist auf 
ein Mindestmass herabgesetzt. Diese Konstruktion eignet sich für 
alle Fälle, bei denen sich die Kraft des Handschlusses verschlechtert, 
sobald das Handgelenk in Beugestellung geht. 

2. Es ist dann versucht worden, die noch vorhandene Beweglich¬ 
keit des Handgelenkes auszunützen, was besonders wichtig ist für 
Fälle in Wiederherstellung der Lähmung (Operierte!). Die Hand- 

Original fro-m 

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768 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


stütze wurde gelenkig angesetzt (Abb. 2) und durch eine Druckfeder 
die Dorsalflexion ermöglicht. Beim Gebrauch haben sich aber die 
eingangs erwähnten Nachteile gezeigt, dass nämlich die vorstehende 
Spiralfeder häufig hängenbleibt und — wenn nichts Schlimmeres 
passiert — abgerissen wird. Mit dem Verlust der Feder ist aber der 
ganze Apparat unbrauchbar. 

3. Diese Konstruktion wurde deshalb wieder aufgegeben und zu 
einer neuen geschritten, die nach meiner Meinung die Radialis- 
schienenfrage wohl in bester Weise löst. Das Gelenk besteht aus 
einer hohlen, handgedrehten Kapsel, die eine starke Spiralfeder in 
sich trägt und so die Dorsalflexion ermöglicht (DRP. a.). Die Vor¬ 
teile anderen Schienen gegenüber brauche ich wohl nicht zu er¬ 
läutern (Abb. 3 u. 4). 


Ein Vergleich mit anderen Schienen, deren Brauchbarkeit für 
Kopf-, ev. auch für manche Industriearbeiter ich nicht bezweifeln 
will, lehrt, dass unsere Radialisschiene für landwirtschaftliche Arbei¬ 
ten am geeignetsten ist. 

Uebrigens haben wir in letzter Zeit versucht, dieselbe Spiral¬ 
feder bei Quadrizeps- und Peroneuslähmungen in die Knie- resp. 
Sprunggelenke der Schienenhülsenapparate einzuarbeiten als Ersatz 
für die Gummizüge. Die Konstruktion scheint Vorteile gegenüber den 
Gummizügen zu bieten. 

Unsere Radialisschiene gestattet ausserdem bei schwachem Hand¬ 
schluss (gleichzeitiger Verletzung anderer Nerven!) die seitliche An¬ 
bringung eines Ringhakens (Arbeitsbehelfes) zum Festhalten von 
Stielgeräten (Abb. 2). 


Wir kommen hier auf ein Kapitel, das für den landwirtschaftlichen 
Arbeiter von grösster Wichtigkeit ist, ich meine das Gebiet der Ver¬ 
sorgung Handverstiimmeltcr mit Arbeitsbehelfen, das vor dem Kriege 
soviel wie gar nicht bearbeitet war. 

Ich kann mich auch heute noch nicht des Eindruckes erwehren, 
als ob noch viele Lazarette dieser Frage ziemlich hilflos gegen üb er¬ 
stünden. 

Uebcr die Entstehung des hiesigen Arbeitsbehelfes sei im ge*- 
schichtlichen Interesse folgendes erwähnt: Als sich bald nach Er¬ 
richtung der hiesigen landwirtschaftlichen Fürsorgeabteilung im Sep¬ 
tember 1915 eine grosse Anzahl von Handgeschädigten ansammelte, 
war kein irgendwie brauchbarer Apparat zur Behebung der ver¬ 
schiedenartigen Schäden vorhanden. 

Auf Veranlassung von Stabsarzt Dr. Fuchs¬ 
berg e r. dem als Vorbild ein handverstüm¬ 
melter Bauer diente, der seit mehr als 
20 Jahren eine einfache Lederbandage mit Ring 
zur Handhabung aller land¬ 
wirtschaftlichen Stielge¬ 
räte benützt (Abb. 5) 
konstruierte Dr. F r e y - 
München eine nach Gips¬ 
abguss gefertigte Man- 



i 





i nJ 4fr-- 


Abb. 6. Abb. 7. Abb. 8. 

schette für den Vorderarm, an dem anfänglich ein auswechselbarer Ring 
resp. ein Haken angebracht war. Die Hülsen wurden zuerst aus Zelluloid 
gefertigt und waren ziemlich primitiv. Erst nach besserer Ausstattung 
der hiesigen Wierkstätte wurden die Hülsen in Leder ausgeführt, mit 
verstärkenden Stahleinlagen versehen und statt der ausw echselbaren 
2 Ansatzstücke nur ein drehbarer Haken gegeben, der durch einen 
Riemen zum Ring geschlossen werden kann (Abb. 6). Es lassen sich 
damit fast alle landwirtschaftlichen Arbeiten mit Stielgeräten verrich¬ 
ten; Schwierigkeiten bietet immer das Arbeiten in die Höhe, z. B. das 
Aufladen (Gabeln) von Heu bzw. Garbenbündeln, da damit ein Heben 
von 10—20 Pfd. in beträchtliche Höhe verbunden ist. Es ist hiebei 
immer ein Angreifen bzw. Nachgreifen mit beiden Händen notwendig, 
was einen guten Faustschluss erfordert. Das Abrutschen des Stieles 
kann zwar durch Umwicklung mit dem Riemen oder durch einen 
eigens angebrachten Lederkolben verhindert werdten, doch werden 
auch damit diese Arbeiten immer nur langsam ausgeführt werden 
können, so dass sich ein rationelles Arbeiten nie ermöglichen lassen 
wird. Da aber bei dieser Arbeit immer eine zweite Person, die auf 
dem Wagen stehend die Garben etc. abnimmt, notwendig ist, wozu 
der Verletzte meist ohne Apparat noch fähig ist, dürfte durch eine 
entsprechende Rollenverteilung die Arbeitskraft dies Invaliden besser 
ausgeniitzt werden können. Hat der Verletzte noch irgendeinen, 
wenn auch nur teilweisen Fingerschluss, so erleichtert dieses die Ar¬ 
beiten mit dem Ringhakep ganz wesentlich, indem hiedurch eine 


Fühlungnahme und bessere Führung des Gerätes gegeben wird. Der 
Ring ist in seiner senkrechten Achse drehbar und passt sich so den 
verschiedenen Bewegungen an. Der Riemen ist durch einen ein¬ 
fachen Handgriff lösbar resp. zuriickschiebbar, wodurch die Umwand¬ 
lung in einen Haken geschaffen wird. Der Hakenring kann abnehm¬ 
bar gemacht w erden, so dass die Schienenhülse auch für sich allein 
(Pscudarthrosen!) getragen werden kann. 

Die Abb. 7 und 8 zeigen Fälle, wo nur noch ein Finger mit ganz 
geringem Greifvermögen erhalten ist. Durch entsprechende Anbrin¬ 
gung des Hakenringes wird das Halten der Arbeitsgeräte ermöglicht. 
Statt der Haken kann auch eine Greifplatte angeschraubt werden, 
mit Hilfe derer flache und kleinere Gegenstände (auch Essgeräte) 
gehalten werden können. 


Bericht über die Ergebniese der Schutzpockenimpfung 
im Königreich Bayern im Jahre 1915. 

Erstattet vom k. b. Landesimpfarzt Priv.-Doz. Dr. Alfred 
Groth. 

Im Jahre 1915 wurden zur Lymphegewinnung 76 Jungrinder im 
Alter von 10 Monaten bis 2 Jahren und 16 Kälber im Alter von 
4—6 Wochen eingestellt. Von den ersteren wurden wegen positiver 
Tuberkulinreaktion 4, wegen Erkrankung an Maul- und Klauenseuche 
13 tindl wegen Zoenurosis ceretri 1 Tier vor der Impfung ausge¬ 
schieden. Die übrigen 58 Jungrinder wurden geimpft, jedoch konnten 
die gewonnenen Impfstoffe von 5 Tieren wegen Erkrankung derselben 
an Maul- und Klauenseuche und von weiteren 5 Tieren wegen erst 
bei der Sektion gefundener Tuberkulose nicht abgegeben werden. 
Von den übrigen 4N Rindern ergaben 6 und von den 16 Kälbern 4 so 
wenig virulente Impfstoffe, dass ebenfalls von einer Versendung der¬ 
selben abgesehen werden musste. Es verblieben darnach 42 Jung¬ 
rinder und 12 Kälber, welche im ganzen 1 393 750 Portionen Lymphe 
lieferten. Von diesen wurden abgegeben: zu den öffentlichen 
Impfungen in Bayern 386 810, zu den öffentlichen Impfungen in 
Württemberg 111 052, zur Impfung der K. bayer. Armee 480 063, zur 
Impfung der K. württemb. Armee 110 048, zu privaten Impfungen 6995, 
irn ganzen 1 094 968 Portionen. Der Rest diente zum Teil als Stamm- 
lymphe zu weiteren Tieriuipfungen, zur bakteriologischen Unter¬ 
suchung und zur Wertbestinmiung. zum grösseren Teil als ständiger, 
zeitweise zu erneuernder Vorrat. 

Die öffentlichen Erst- und Wiederimpfungen wurden wie in den 
Vorjahren zum überwiegenden Teil während der Monate April, Mai 
und Juni, in einzelnen Impfbezirken im Verlaufe des Monats Sep¬ 
tember vorgenommen. In 23 Amtsbezirken war eine Verlegung von 
meist nur einzelnen Terminen teils um mehrere Wochen, teils vom 
Frühjahr zum Herbst notwendig geworden und zwar wurden ge¬ 
häufte Erkrankungen an Masern in 18 Fällen, an Keuchhusten in 3, 
an Scharlach in 2, an Mumps in 1 Falle als Ursache der Verschiebung 
angegeben. In je einer Gemeinde zweier Impfbezirke hatte die 
Gemeindeverwaltung es unterlassen, die festgesetzten Termine be¬ 
kanntzugeben. 

Als Impfräume in den Städten und grösseren Gemeinden dienten 
wie in den Vorjahren vorwiegend die Turnsäle oder Lehrzimmer der 
Schulen, Rathaussäle oder Festsäle von Vereinen, in den ländlichen 
Gemeinden meist die sonst wenig benutzten, geräumigen, häufig mit 
Nebenzimmern versehenen Tanzsäle der Dorfwirtschaften, welche vor 
der Impfung gereinigt, gelüftet und wenn nötig geheizt wurden. 

Die Ankündigung der Impftermine, die Verteilung der Ver¬ 
haltungsvorschriften, die Führung der Impflisten, die Beaufsichtigung 
und die Aufrechterhaltung der Ordnung während der Impfung hat nur 
in vereinzelten Fällen Anlass zu Beschwerden gegeben. 

Eine sehr empfehlenswerte Massnahme der Impfärzte scheint 
sich mehr und mehr einzubürgern, nämlich die mündliche Belehrung 
der Angehörigen der Erstimpflinge, sowie der Wiederimpflinge über 
den Zweck und die Bedeutung der Impfung, zum Teil unter Hinweis 
auf die ausgezeichneten Erfolge der Durchimpfung der Armee. 

Ebenfalls in mündlichem Vortrag sucht eine grössere Zahl von 
Amtsärzten die ausgehändigten Verhaltungsvorschriften zu ergänzen, 
indem sie die Notwendigkeit besonders sorgfältiger Wartung und 
Pflege der Impflinge betonen und auf die Gefahren aufmerksam 
machen, weiche aus der Nichtbeachtung der Verhaltungsvorschriften 
hervorgehen können. 

Es lässt sich weiterhin aus einer Reihe von Berichten der Amts¬ 
ärzte entnehmen, dass zur Verhütung etwaiger Schädigungen die 
Zurückstellung der Kinder aus gesundheitlichen Gründen in durchaus 
einwandfreier Weise durchgeführt wird. Es w'ird dabei in erster 
Linie mit Recht Wert darauf gelegt, dass nicht möglichst viele, son¬ 
dern nur möglichst gesunde Kinder der Impfung unterzogen werden, 
so dass nicht selten sehr beträchtliche Bruchteile der Impfpflichtigen 
auf das nächste Jahr zuriickgestellt werden. Unter den Gegenanzeigen 
treten im Verlaufe der letzten Jahre mehr und mehr die im impf¬ 
pflichtigen Alter sehr häufigen Erscheinungsformen der exsudativen 
Diathese hervor, wie aus den Berichten einer Anzahl von Amtsärzten 
zu entnehmen ist, welche für jeden Fall von Zurückstellung den 
Grund schriftlich festlegen und die Ergebnisse in Uebersichtcn zu¬ 
sammenstellen. Einige Amtsärzte begnügen sich hiebei nicht damit, 
die Impfung der Kinder zu unterlassen, sondern machen die Eltern 
oder die Lehrkräfte auf das Bestehen der Erkrankungen aufmerksam 


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Gck igle 


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9. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


769 


un<i verweisen auf die allenfallsige Notwendigkeit der Zuziehung 
ärztlicher Hilfe. 

Zur Desinfektion der Hände des Impfarztes wird neben der 
Waschung mit Bürste und Seife Alkohol in verschiedenen Ver¬ 
dünnungen, Sublimat, Hydrarg. oxycyanat., Lysol, Lysoform, Sapalkol 
verwendet. 

Die Desinfektion der Impfstelle wird anscheinend von der Mehr¬ 
zahl der Impfärzte ohne jeden Schaden für den Impfling als unnötig 
unterlassen. Ein Amtsarzt hat auch in diesem Jahre bei einem Teil 
der Kinder eine Desinfektion mit verdünntem Weingeist vorgenommen, 
ohne irgendwelche Unterschiede in der Blatteinentwicklung gegen¬ 
über den nichtdesinfizierten zu bemerken. Von 58 Impfärzten, welche 
über das von ihnen geübte Verfahren berichten, geben 20 an, dass 
<ie jede Desinfektionsmassnahme unterlassen. 15 reinigen die Impf¬ 
stelle nur bei sichtbarer Verunreinigung derselben zum Teil mit 
Alkohol, Lysoform oder Benzin, während weitere 23 Amtsärzte bei 
aücn Kindern desinfizieren, davon 20 mit Alkohol in verschiedenen 
Verdünnungen, je einer mit Benzin, Jodbenzin oder Aether. 

Das Instrumentarium der Amtsärzte ist. wie schon aus den Be¬ 
richten früherer Jahre zu entnehmen ist, mehr und mehr das ausge- 
Uühte Piatin-Irkliummesser geworden. Das Platiniridiummesser hat 
neben der Möglichkeit rascher und einfacher Sterilisierung auch den 
Vorzug, dass die Lymphe viel leichter in die Schnitte gelangt als bei 
Verwendung von Stahllanzetten und dass damit das nachträgliche 
Einstreichen der Lymphe unnötig wird. Von 146 Impfärzten wenden 
120 ausschliesslich das Verfahren des Ausglühens als Sterilisations¬ 
methode ihrer Instrumente an und zwar 118 unter Benutzung von 
Platin-Iridiummessern, teils als Einzelinstrument, teils in Form kom¬ 
binierter Apparate (Hagemann, Qroth, Heinrich, Wodtke, 
Salm); zwei Amtsärzte bedienen sich hiebei der Impfnadeln nach 
H e i n t z e und B 1 a n k e r t z. 'Neben dem ausgeglühten Platin- 
Iridiummesser verwenden 2 Amtsärzte ausgekochte, 1 Amtsarzt durch 
Einlegen in Alkohol desinfizierte Stahllanzetten. 18 Amtsärzte kochen 
ihre Instrumente, die meist in grösserer Zahl zur Verfügung stehen, 
aus, die Mehrzahl derselben unter Verwendung der Weiphardt- 
schen Nikelinspatel. Demgegenüber bevorzugen nur 5 Amtsärzte das 
Verfahren des Einlegens ihrer Instrumente in Alkohol. 

Ueber die Art der Entnahme der Lymphe berichten 50 Amtsärzte, 
von denen 33 die Lympbe durch Eintauchen des Instrumentes unmittel¬ 
bar dem von der Kgl. Landesimpfanstatt übersandten Gläschen ent¬ 
nehmen. z. T. unter Verwendung kleiner Gestelle. 17 Amtsärzte 
giessen ihre Lymphe in Glas oder Porzellanschälchen oder kleine mit 
einer Vertiefung versehene Glasblocks aus, wobei sie durch Bedecken 
mit aufgeschliffener Glasplatte oder Glasglocke das Einfallen von 
Staub zu verhüten suchen. 

Ein Teil der Amtsärzte lässt sich bei Vornahme der Impfung, 
namentlich bei der Sterilisierung der Instrumente durch Angehörige, 
anstellige Wiederimpflinge, auch durch Hebammen, Bader oder 
Krankenpflegerinnen unterstützen 

Ueber die Schnittführung berichten in diesem Jahre 118 Amts¬ 
ärzte. Von diesen machen 89 vier einfache Längsschnitte, je 3 
4 Querschnitte ^pder 5 Längsschnitte. Je 6 Amtsärzte legen bei 
den Erstimpflingen 4, bei den Wiecüerimpflingen 5 bzw. 6 Schnitte 
an. Zwei machen bei den Erstimpflingen 5, bei den Wiederimpflingen 
6 Schnitte, 9 Amtsärzte 4 Längsschnitte bei den Erst- und Kreuz¬ 
schnitte bei den Wiederimpflingen. Die überwiegende Mehrzahl der 
Impfärzte geht demnach über die in den Beschlüssen des Bundes- 
r 2 tes vom 28. Juni 1899 als genügend bezeichnete Zahl von 4 Schnitten 
rieht hinaus. 

Impfschutzverbände wurden von keinem Impfarzte angelegt. 

Zu den öffentlichen Impfungen wurde ausschliesslich die Lymphe 
der Kgl. bayer. Landesimpfanstalt verwendet, ihre Wirksamkeit fast 
durchweg als einwandfrei bezeichnet. Von 14 Impfärzten, welche 
mit der ihnen zugesandten Lymphe weniger gute Erfolge erzielten 
als sie aus füheren Jahren gewohnt waren, hat nur ein einziger 
eine grössere Zahl von erfolglos geimpften Kindern gemeldet. Die 
m allgemeinen sehr gute Wirkung der Lymphe geht auch aus den 
Gesamtübersichten über die Ergebnisse der Erst- und Wiederimpfungen 
hervor. Von 190192 erstimpfpflichtigen Kindern wurden 156 751 
^=82,42 Proz. geimpft, 33 441 = 17,58 Proz. blieben ungeimpft, davon 
23 381 = 12,29 Proz. auf Grund ärztlichen Zeugnisses. Oeffentlich 
mit Erfolg wurden geimpft 148 849, ohne Erfolg 933, mit unbekanntem 
Erfolg 145, privat mit Erfolg wurden geimpft 6644. ohne Erfolg 166, 
mit unbekanntem Erfolg 14. Ausserdem wurden im Geburtsfahre ge¬ 
impft 8409, davon öffentlich mit Erfolg 7768, ohne Erfolg J98, mit 
unbekanntem Erfolg 5, privat mit Erfolg 418, ohne Erfolg 19 und mit 
.mbekanntem Erfolg 1. Es wurden demnach überhaupt erstmals ge- 
mpft 165 240, davon öffentlich mit Erfolg 156 690 = 99,19 Proz., ohne 
Eriolg 1131 — 0,72 Proz., mit unbekanntem Erfolg 157 = 0,09 Proz. 
der öffentlich Geimpften, privat mit Erfolg 7062 = 97,24 Proz., ohne 
Eriolg 185 = 2,55 Proz. und mit unbekanntem Erfolg 15 = 0,21 Proz. 
3er privatgeimpften Kinder. 

Von im ganzen 154 999 wiederimpfpflichtigen Kindern wurden 
öffentlich mit Erfolg 153 477 = 99,36 Proz., ohne Erfolg 879 = 
ü.57 Proz. und mit unbekanntem Erfolg 110 = 0,07 Proz. der öffent¬ 
lich Wiedergeimpften, privat mit Erfolg 478 = 89,68 Proz., ohne 
Erfolg 54 = 10,13 Proz. und mit unbekanntem Erfolg 1 = 0,19 Proz. 
der privat Wied er geimpften geimpft. 

Zu den privaten Impfungen wurde vorwiegend ebenfalls die 
Lymphe der k. b. Landesimpfanstalt verwendet, daneben auch Lymphe 

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aus den staatlichen Anstalten von Dresden, Weimar, Karlsruhe, Berlin, 
Köln und aus den privaten Lymphgewinnungsanstalten von Elberfeld 
und Lausanne. 

Von Erkrankungen, welche als mittel- oder unmittelbare Folgen 
der Impfung anzusprechen sind, wurden wie in den Vorjahren primäre 
Infektionen der Impfwunden nicht beobachtet. Von sekundären In¬ 
fektionen der Impfstelle wurden gemeldet 14 Fälle eitrigen Zerfalls 
der Impfpusteln und 4 Fälle von Achseldrüsenvereiterung, welche 
ebenfalls auf Infektion der Impfstelle zurückzuführen sind, ausserdem 

1 Fall von Unterhautzellgewebseiterung und 1 Fall von echtem 
Erysipel. Von Vakzinia serpiginosa, einer im allgemeinen recht 
selten beobachteten, an sich harmlosen Komplikation, welche in dem 
Auftreten mehr oder weniger zahlreicher Nebenpusteln in der nächsten 
Umgebung der Impfpusteln besteht, sind 2 Fälle beobachtet worden. 
Fälle von Uebertragung von Lymphe auf andere Körperstellen des 
Impflings mit Entwicklung einer oder mehrerer Impfpusteln wurden 
21 gemeldet, davon betrafen 2 den Lidrand. Ein Kind, bei welchem 
bei der Impfung das Bestehen der exsudativen Diathese nicht wahr- 
gercommen wurde, erkrankte im unmittelbaren Anschluss an die 
Impfung an konfluiercnder Vakzinia des Gesichtes, einzeln und 
gruppenweise stehenden Vakzinepusteln am Rücken, an der rechten 
Schulter, am linken Vorderarm, an den Händen und Beinen. Der 
Impfling, dem kein Schaden, auch keine entstellenden Narben geblieben 
sind, hat sich bei späteren zufälligen Besuchen dem Impfarzt mit 
Sicherheit als ein mit exsudativer Diathese behaftetes Kind gezeigt. 
Fälle von Uebertragung von Lymphe auf Personen in der Umgebung 
des Impflings sind 5 bekannt geworden. Bei 4 handelte es sich um 
die Entwicklung von Einzelpusteln bei Mutter und Vater des Impflings. 
Bei einem nichtgeimpften Kinde traten in beiden Ohrfurchen und an 
den Ohren zahlreiche Pusteln auf, welche eine erhebliche entzündliche 
Schwellung der befallenen Teile bedingten. Die Uebertragung er¬ 
folgte hier durch 2 geimpfte Geschwister. 

Sämtliche Fälle, bei welchen irgendwelche Komplikationen der 
Impfung zur Beobachtung gelangten, sind bei geeigneter Behandlung 
ohne Hinterlassung von Folgen geheilt. 

Während der auf die Impfung und die Nachschau folgenden 

2 Wochen sind wie in jedem, so auch im Berichtsjahre, eine Reihe 
von Erstimpfungen und einige Wiederimpflinge von interkurrenten, 
mit der Impfung in keinem Zusammenhang stehenden Erkrankungen 
befallen worden, von denen die Mehrzahl zur Ausheilung gelangte. 
Von den Erstimpflingen sind 25 gestorben, davon an Pneumonie 10, 
Eklampsie 7, Diphtherie 2, Gastroenteritis 2, Morbilli 1 und an unbe¬ 
kannten Todesursachen 3. Bei den letzteren war ärztliche Hilfe nicht 
in Anspruch genommen worden. Ein Wiederimpfling ist 6 Wochen 
nach der Impfung an Gehirnsymptomen erkrankt und seinem Leiden 
erlegen. Die gerichtliche Sektion ergab als Todesursache multiple 
tuberkulöse Abszesse im Gehirn. Eine Berechnung des Mortalitäts¬ 
koeffizienten der Erstimpflinge auf 1000 Kinder und 1 Jahr ergibt 
einen Wert von nur 3,9, der, nach den Ergebnissen der früheren Jahre 
zu schliessen, einen sehr geringen Bruchteil der Sterblichkeit der¬ 
jenigen Altersklassen bedeutet, aus welchen die Impflinge hervor¬ 
gehen. Die Mortalitätsziffern für die Kinder im L, 2. und 3. Lebens¬ 
jahre, welche zum Vergleiche herangezogen werden können, liegen 
zurzeit noch nicht vor. 

Impfgegnerische Bestrebungen sind im Berichtsjahre so gut wie 
nicht beobachtet worden, auch in Bayreuth, wo es in früheren Jahren 
noch zu ausgedehnterem Widerstand gegen den Vollzug der Impfung 
gekommen ist, hat dieser bedeutend nachgelassen und der grösste 
Teil der rückständigen Kinder ist zur Impfung erschienen. Auch sonst 
sind nur vereinzelte Fälle bekannt geworden, in welchen aus impf¬ 
gegnerischen Gründen Kinder der Impfung entzogen wurden, so dass 
von einer Abneigung der Bevölkerung gegen die Impfung nicht ge¬ 
sprochen werden kann. In keinem Fall ist von zwangsweiser Vor¬ 
führung zur Impfung Gebrauch gemacht worden. 

Ausserordentliche Impfungen bzw. Wiederimpfungen fanden im 
Jahre 1915 wiederum in einer grösseren Zahl von Impfbezirken statt. 
In erster Linie handelte es sich um die mit Entschliessungen des 
Staatsministeriums des Innern vom 24. August 1914 Nr. 5285 a 35 und 
vom 18. Oktober 1914 Nr. 5285 c 64 verfügte Wiederimpfung solcher 
Personen, welche wie Krankenpfleger und -Pflegerinnen in Kranken¬ 
anstalten tätig sind oder die irgendwie mit Kriegsgefangenen in Be¬ 
rührung kommen. Wegen Auftretens von Blattern oder blatternver¬ 
dächtigen Erkrankungen im Impfbezirke selbst oder in dessen Nähe 
wurden in München-Stadt, Griesbach, Passau. Gemünden, Hammel¬ 
burg, Gerolzhofen und Wiesentheid ausserordentliche Impfungen vor¬ 
genommen. 

Aus einer grösseren, auch im Berichtsjahre gegenüber den Vor¬ 
jahren wesentlich gesteigerten Zahl von Amtsbezirken liegen über die 
anlässlich der Impfung durchgeführten Bestrebungen der Amtsärzte 
auf sozialhygienischem Gebiete Angaben vor. aus denen hervor¬ 
geht, dass die vom Berichterstatter früher ausgesprochene Erwartung 
sich erfüllt hat, dass die Impftermine namentlich auf dem Lande sich 
zu Mittelpunkten unmittelbarer sozialhygienischer Einwirkung der 
Amtsärzte auf die Bevölkerung entwickeln möchten. Diese meist in 
der Form eindringlicher mündlicher Belehrung und Aufklärung über 
hygienische Missstände sich vollziehende Tätigkeit der Amtsärzte 
bewegt sich vor allem auf dem Gebiete der Säuglingsfürsorge, der 
Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs und der Tuberkulose. Die münd¬ 
lichen Belehrungen über die Bedeutung der natürlichen Ernährung 
unserer Säuglinge für Mutter und Kind, über die zweckmässigste Art 

Original fro-m 

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770 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


der natürlichen und künstlichen Ernährung, über sachgemässe körper¬ 
liche Pflege des Säuglings in gesunden und kranken Tagen werden 
unterstützt durch die Verteilung der Merkblätter des Landesverbandes 
für Säuglings- und Kleinkinderfürsorge. Gleichzeitig führt eine Reihe 
von Amtsärzten Erhebungen über die Ausdehnung der Brusternährung 
der Säuglinge in ihrem Amtsbezirk durch. In sehr ausgedehntem 
Masse erfolgt die Verteilung der vom deutschen Verein gegen den 
Missbrauch geistiger Getränke herausgegebenen und vom bayer. 
Frauenverein vom roten Kreuz unentgeltlich zur Verfügung gestellten 
Belehrungskarten, z. T. ergänzt durch mündlichen Vortrag über die 
schweren, durch Alkoholgenuss bedingten, Schäden. Ebenso werden 
in einer grösseren Zahl von Amtsbezirken Tuberkulosemerkblätter 
verteilt, in welchen auf die Notwendigkeit frühzeitiger Feststellung 
der Erkrankung und der ärztlichen Ueberwachung der Erkrankten ver¬ 
wiesen wird. Ausserdem wurden namentlich in fränkischen Kreisen 
mit Rücksicht auf die durch den Krieg bedingte Gefahr der Ein¬ 
schleppung von Fleckfieber Untersuchungen angestellt über die 
Häufigkeit des Vorkommens von Verlausung der Wiederimpflinge, die 
Bedeutung derselben hinsichtlich der Uebertragung ansteckender 
Krankheiten besprochen und Ratschläge zu ihrer Beseitigung erteilt. 
Ebenfalls durch den Krieg veranlasst, besprachen einige Amtsärzte 
allgemeine Grundsätze der Ernährung, z. T. unter Empfehlung der Ver¬ 
wendung der Kochkiste oder mit gleichzeitiger Verteilung aufklären¬ 
der Schriften. In einer Reihe von Impfbezirken wurden Unter¬ 
suchungen über die Beschaffenheit der Zähne der wiederimpfpflichtigen 
Kinder durchgeführt und mit Belehrungen über sorgfältige Zahnpflege 
verbunden. 


BOcheranzeigen und Referate. 

W. Liepmann: Kurz gefasstes Handbuch der gesamten 
Frauenheilkunde. Bd. III: Normale und pathologische Sexualphysio¬ 
logie des Weibes von Dr. Ludwig F r a e n k e 1 - Breslau, mit 18 Ab¬ 
bildungen im Text und 17 farbigen Tafeln. Normale und patho¬ 
logische Physiologie der Geburt von Dr. Rud. Th. Jaschke- 
Giessen, mit 107 Abbildungen und 2 farbigen Tafeln. 1914. 827 S. 
Gebunden M. 42.75. Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel. 

Das Buch von F r a e n k e 1 umspannt ein weites Gebiet die 
gesamte Biologie der weiblichen Geschlechtsorgane in ihren physio¬ 
logischen und pathologischen Phasen, mit Ausnahme der Geburt. Im 
Mittelpunkt liegt naturgemäss die Funktion des Ovarium und seiner 
Teile, Follikel, Corpus luteum, interstitielle Drüse. Wer wie Fr. in 
hervorragendem Masse an der neuen Forschung über die innere 
Sekretion der Ovarien beteiligt ist, kann nur eine subjektiv stark 
ausgeprägte Bearbeitung dieser Frage liefern. Diese persönliche 
Färbung ist aber in ihrer Einheitlichkeit ein besonderer Vorzug; dies 
um so mehr, als sie sowohl die Entwicklung und Schwierigkeiten der 
Fragestellung im Laufe der Jahre markiert, als auch die Mitarbeit 
anderer zahlreicher Forscher verfolgen lässt. Fragen allerdings, die 
vielfach noch im Flusse sind, aber doch schon wie das Corpus luteum 
Gesetz, die Tragweite der neuen Arbeitsrichtung überhaupt erkennen 
lassen. Die Entwicklung des Weibes vor der Fortpflanzungsfähig¬ 
keit, ein bisher viel zu wenig bearbeitetes Gebiet, die Menstruation 
als physiologischer Vorgang und seine krankhaften Erscheinungen, 
die Beziehungen der innersekretorischen Drüsen untereinander — eine 
heute schon nicht mehr übersehbare Arbeitsfülle und doch noch so 
viel Ungelöstes, fast Neuland. Gerade deshalb aber auch rasch 
wechselnd. Um nur eine Frage zu erwähnen: der Zusammenhang 
zwischen Ovulation und Menstruation erscheint heute schon in einem 
anderen Lichte als zur Zeit der Niederschrift des Autors. — Einen 
weiteren Vorteil dieses Buches möchte ich darin erblicken, dass es 
nicht in der Art eines Lehrbuches, in starren Linien Anerkanntes 
aneinanderreiht, sondern in anregender Gestaltung das Forschungs¬ 
gebiet durchpflügt, neben sicher Erkanntem Probleme und Mög¬ 
lichkeiten erstehen und den Leser so an der Verarbeitung der Tages¬ 
fragen teilnehmen lässt. Aus allen Teilen blickt die neue Zeit heraus, 
die glücklicherweise auch in unserem Spezialgebiet hereingebrochen 
ist, dessen frühere Grenzen weit hinausgeschoben hat, überall mit 
Ausblicken in verwandte Disziplinen, nicht zuletzt in die vergleichende 
Anatomie und Physiologie. Wie für die Funktion des Ovarium und 
Uterus dürfte auch die Biologie der Schwangerschaft von einer sol¬ 
chen Ausdehnung grosse Vorteile ziehen. 

Es ist nicht möglich, die zahlreichen Abschnitte der grossen 
Arbeit von Fr. einzeln zu würdigen; nur der Geist, in dem das 
Werk abgefasst ist, sollte in einigen Linien skizziert werden, in der 
Ueberzeugung, dass hier gute Arbeit geleistet worden ist und in der 
Hoffnung, dass diese Anregung auf fruchtbaren Boden fallen wird. 

Von ähnlichen Gesichtspunkten aus ist der Beitrag von 
Jaschke geschrieben. Die leichtverständlich und anregend ge¬ 
haltenen Ausführungen gruppieren sich um die Se 1 Jih ei m sehe 
Lehre des Geburtsmechanismus. Zahlreiche gute und zweckmässig 
ausgewählte Abbildungen helfen dem zuweilen spröden und schwer 
anschmiegbaren Worte vorteilhaft nach. In konsequenter Anwen¬ 
dung der für die Geburt geltenden Grundsätze entwickelt sich der 
Mechanismus beim engen Becken klar und leicht fasslich. Der prak¬ 
tische Arzt wird die knappe Kürze dieser und der folgenden Ab¬ 
schnitte angenehm empfinden, insbesondere solcher, wie die Geburts- 
störungen durch Anomalien der Geburtskräfte oder des Eies und 

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seiner Teile, welche zuweilen als etwas fernerliegend gelten. Hier 
wurde zweckmässige Beschränkung und überlegte Stoffverteilung zu 
einem wesentlichen Vorteile des Buches. 

Schickele - Strassburg. 

„Das Kind und seine PHege“, ein Hilfsbuch für Mütter. Von 
Prof. Dr. R. Hecker und Schwester Beruh. Wörner. 2. Auflage. 
4.—28. Tausend mit 44 Abbildungen. München 1917, Verlag von 
Franz Hanfstängl. Preis M. 1.—. 

Die zweite Auflage des nunmehr als „Hilfsbuch der Säuglings¬ 
pflege“ erschienenen Werkchens bedeutet eine Erweiterung gegen¬ 
über der vor drei Jahren erschienenen ersten Auflage, sowohl dem 
Gesamtumfange nach, als auch ganz besonders dadurch, dass ein 
theoretischer Teil aus der Feder von Hecker über einschlägige 
physiologische Momente, über Pflegefehler als Krankheitsursachen, 
über erste Hilfe bei Unfällen und Erkrankungen des Kindes* über 
Erkrankungen als solche, über Impfung, in Kürze beigegeben wurde. 
Der praktische Teil ist von Oberschwester Wörner bearbeitet und 
mit zahlreichen gut gelungenen Bildern illustriert. Der Schluss des 
Werkchens gibt der Mutter vor und nach der Entbindung zweck¬ 
mässige Ratschläge. 

Der Wert eines solchen, zur Belehrung für das Laienpublikum 
bestimmten Büchleins kann vorwiegend bemessen werden nach der 
in demselben enthaltenen Propaganda für Brusternährung, der leicht- 
verständlichen Darstellung der Entwicklung des Kindes und der Pflege 
desselben. Diese Fragen sind! in dem Büchlein zweckentsprechend 
behandelt, so dass dasselbe gewiss gut empfohlen werden kann. 

Rein ach. 

Ludwig Finckh: Inselfrühling. Erzählungen. Verlag 
Strecker & Schröder, Stuttgart 1917. 115 S. 

Diese 9 Idyllen hat Finckh seinen Kollegen „Den deutschen 
Aerzten“ gewidmet. Es sind liebenswürdige Bilder aus dem Herzen 
des Dichters, in denen er sich als Mensch offenbart und erzählt, was 
in ihm erklingt, und was ihm seine Heimat, der Bodensee, und sein 
Häuschen zufiüstern, denen er sich mit ganzer Tiefe, mit Leib und 
Seele, ergeben hat. In diesen rauhen Zeiten ein seltener Klang, uns 
selbst etwas vom Frieden einhauchend, den die Hingabe an die Natur 
und ans verborgenste Empfinden des Herzens ausstrahlt. Danken 
wir dem Kollegen für seine Widmung und beschenken wir uns selbst 
dadurch, dass wir das Büchlein lesen und kaufen und verschenken an 
beschauliche Menschen! Max N a s sa u e r - München. 

Neueste Journalliteratur. 

Bruns’ Beltraue zur klinischen Chirurgie, red. von Qarrfc, 
Küttner, v. Brunn. 109. Band. 4. Heft (53. kriegschlr. 
Heft.) Tübingen, Lau pp, 1918. 

Emil Schepelmann: Ueber die operative Verlängerung stark 
verkürzter Gliedmassen. 

Sch. berichtet aus dem Bergmannsheil und Hamborn (Bochum) 
eingehend über 19 operierte Oberschenkelverkürzungen, 1 Unter¬ 
schenkelfall. Verkürzungen 1. Grades (1—4 cm) werden im Laufe 
der Jahre in der Regel durch Beckensenkung gut ausgeglichen, jeden¬ 
falls kommt Operation nur nach Ablauf mehrerer Jahre in Frage, 
wenn die Beschwerden bestehen bleiben. Bei den Verkürzungen 
2. Grades (4— lücm) ist die Indikation zur Operation eine grössere, 
zumal da sie durch die Operation zu völliger Heilung gebracht wer¬ 
den können, bei Verkürzungen 3. Grades (d. h. über 10 cm) wird 
selten mehr normale Länge des Beines erzielt. Die Gefahr der 
Operation schätzt Sch. immerhin der kleiner Bauchhöhlenoperationen 
(Appendizitis) gleich. Besonders warnt er vor Operation bei noch 
bestehenden Fisteln, da er mit Kirschner die hohe Gefahr des 
Wiederaufflackerns entzündlicher Prozesse anerkennt. Betäubung 
mit Injektion von 3 ccm 5 proz. Novokainsuprareninlösung oder 1 ccm 
10 proz. Tropakokainlösung in den Lumbalsack genügt in der Regel zur 
Anästhesie. Zur Operation benützt er grosse Hautschnitte (15—20 cm) 
in der Regel in der Längsrichtung des Oberschenkels an der Äussen- 
seite, event. mit kleineren an der Innenseite. Der Knochen wird 
schräg durchmeisselt durch Verschiebung der Meisselflächen nach 
Art einer schiefen Ebene eine Verlängerung erreicht. Nach der 
Durchtrennung werden die Muskeln in den Etagen mit Jodkatgut, 
die Haut mit dünner Seide vereinigt. Sch. bespricht nach Anführung 
von 19 Krankengeschichten (mit Abbildungen und Röntgenogrammen 
vor und nach der Operation) die Resultate. 17 derartige Fälle 
waren mehr weniger erfolgreich und zeigten wesentliche Besserung 
des Ganges, 61,11 Proz. der Fälle ergaben vollständige oder nahezu 
vollständige Heilung. 1 Fall starb an einer wiederaufgeflackerten 
Gasphlegmone. 

M. H. M o e 11 g c n bespricht aus dem Festungslazarett Coblenz 
die Distraktionsklammerbebandlung der Schussfrakturen, die er be¬ 
sonders für die Frakturen der oberen Extremitäten warm empfiehlt 
und an zahlreichen Abbildungen und Röntgenogrammen betr. Fälle 
erörtert, er betont die bei entsprechender Technik und Auswahl der 
Fälle ganz hervorragenden Resultate, die in gewissen Fällen von 
Schussfrakturen mit ausgedehnten Weichteilzerstörungen von keiner 
anderen Behandlungsart übertroffen werden können, da sie neben der 
Stellungskorrektur auch auf die Erhaltng der Funktionsfähigkeit der 

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9. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


771 


Gelenke Rücksicht nimmt. Da die Methode aber die erste Zeit pein¬ 
lichste Ueberwachung erfordert, soll sic nicht in Fällen vor dem 
Transport angewendet werden. 

Alfr. P e i s e r behandelt die Frühoperation der Gelenkschuss- 
Verletzungen, für die er unter entsprechender Mitteilung zahlreicher 
Fälle mit Röiitgenogrammen warm plädiert, da sie fast ausnahmslos 
die Verhütung der Gelenkvereiterung bewirkt, besonders in den frisch 
zugehenden Fällen soll sie prinzipiell durchgeführt werden, besonders 
auch in den Fällen, wo ev. dem Gelenk nahe Fremdkörper die Be¬ 
teiligung des Gelenkes herbeiführen können. Bei der Schnittführung 
ist die spätere Funktion des Kapselapparates richtunggebend. 

Mit Recht verurteilt es P., wenn noch immer die bei Weichteil¬ 
wunden so beliebte Tamponade bis in das verletzte Gelenk hinein- 
geführt wird, da sekundäre Infektion desselben die unausbleibliche 
Folge ist. 

E. Graefenberg und Sachs-Müke besprechen die 
Anaeroblerinfektion der frischen Schussverletzungen. Nach ihnen 
sind alle frischen Schusswunden als infiziert anzusehen. Bei den 
Artillcriegeschoss- und Handgranatenverletzungen finden sich fast aus¬ 
schliesslich gasbildende Anaerobier, die aber nicht stets eine Gas- 
iniektion im Gefolge haben. Der bakteriologische Befund der frischen 
Wunde ist ohne Einfluss auf die Wundheilung. Ausgiebige Wund¬ 
revision, gründliche Abtragung der Wundränder und aller zerfetzten 
Weichteile, besonders der gestörten Muskulatur, beeinflusst sie 
günstig. Danach vermag die Naht am schnellsten die klaffende Wund¬ 
lücke zur Vereinigung zu bringen. 

Ludwig Frankenthal bespricht die Folgen der Verletzungen 
darch Verschüttung und hebt besonders die Schädigungen der Musku¬ 
latur (ischämische Nekrose) und Gefässschädigungen als wegen der 
Frage der Dienstbeschädigung wichtig hervor, die unteren Extremi¬ 
täten waren in 80 Proz. der Fälle betroffen, die Brust in 15 Proz. 

Schreiber. 

Zentralblatt für Gynäkologie. 1918. Nr. 25. 

L. S e i t z und H. W i n t z - Erlangen: Sind Röntgenhautver- 
brennmgen und Darmschädlgungen unter Zink- und anderen Schwer¬ 
netallfiltern vermeidbar? 

Die Frage wird bejaht. In ausführlicher Weise werden die Be¬ 
obachtungen und Veröffentlichungen von Franz, v. Franqug und 
Hcimann einer Kritik unterzogen und der Nachweis zu liefern ver¬ 
sucht, dass die Befolgung der Erlanger Technik einen bedeutenden 
Fortschritt bedeutet und keine Schädigungen nach sich zieht. 

Werner- Hamburg. 

Archiv für VenhuHugskrankheiten mit Einschluss der 
Stoffwechselpatliologie lind der Diätetik, red. von Prof. J. 
Boas-Berlin. Band XXIV, Heft 1 und 2. 

Keiling-Dresden: (Jeher Vorkommen, Beurteilung und Fest¬ 
stellung der Subazidität beim Ulcus ventricuH. 

Die eingehenden Untersuchungen, die Verfasser in dieser Rich¬ 
tung angestellt hat, lieferten das Ergebnis, dass beim einfachen runden 
Magengeschwür die Subazidität im Verhältnis zu allen anderen 
Magenkrankheiten ausserordentlich selten vorkommt, während bei 
Magengeschwüren, die infolge ihres hartnäckigen Verlaufs zur 
Operation kamen, ihre Häufigkeit steigt (m. 11 Proz., w. 20 Proz.). 
Die Subazidität tritt um so leichter ein, je asthenischer die Konstitution 
dts Kranken ist, demnach das Ueberwiegen bei Frauen, sowie be¬ 
sonders bei Tuberkulösen. Subazidität spricht ausserdem um so mehr 
für Karzinom, je kleiner der Tumor ist und je kürzere Zeit das Magen¬ 
leiden besteht. 

P a n c z y s z y n - Lemberg: Ueber den Einfluss und die Wir¬ 
kungsweise der grossen Gaben des Wlsmuthkarbonates bei chro¬ 
nischen Magenkrankheiten, welche mit Hyperazidität und Hyper¬ 
sekretion einhergehen. (Med. Universitätsklinik in Lemberg. Prof. 
G1 u z i n s k i.) 

Die, unabhängig von D e s t o t in Frankreich, auch schon von 
anderer Seite, unter anderen auch von C r ä m e r und mir schon vor 
Jahren gemachte Beobachtung des günstigen Einflusses grösserer 
Bismuthdosen auf manche Magenkrankheiten, als ganz zufälliges Er¬ 
gebnis gelegentlicher röntgenologischer Untersuchungen, bildet den 
Inhalt vorliegender Arbeit und ist derselben zu entnehmen, dass 
Bismuth. carbonic. in Dösen von 30—50 g pro die bei allen Magen¬ 
erkrankungen, die mit Hyperazidität und Hypersekretion einhergehen, 
von günstiger Wirkung ist. Dieselbe ist seinen alkalischen Eigen¬ 
schaften, seiner Neutralisation des hyperaziden Mageninhaltes, der 
Bindung der freien HCl, sowie auch der Bildung des in Wasser un¬ 
löslichen W'ismuthoxychlorates und seiner Verbindung mit Albuminaten 
und Magenschleim zuzuschreiben. Hiezu kommt ausserdem, dass 
obige Erfolge ohne .strenge Ulcusdiät erzielt wurden, was für die 
raschere Kräftigung und Erholung der Kranken von ganz besonderer 
Bedeutung. 

Thaysen -Kopenhagen: Beitrag zur Klinik und Röntgenologie 
der chemischen habituellen Obstipation 1. (Med. Universitätsklinik 
Kopenhagen. Prof. Kn. Faber.) 

Wenn sich Thaysen auch die, auf Grund von Röntgenunter¬ 
suchungen von Hart gewonnene Einteilung der chronischen Ob¬ 
stipation in die zwei Hauptgruppen der Kolon- bzw. Rektumobstipation 

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zu eigen gemacht hat, so verwirft er doch sowohl die von Hart 
auf klinischer Basis versuchte ätiologische Unterabteilung als auch 
die von anderer Seite vorgenommene Unterscheidung in spastische 
und atopische-Form. Für ihn ist das einzig brauchbare Einteilungs¬ 
prinzip das rein anatomische und so beschreibt er zunächst die 
Aszendensobstipation erst in ihrer unkombinierten und dann in ihrer 
gemischten Form. Nach entsprechender Würdigung der Aetiologie 
und des völligen Mangels charakteristischer klinischer Symptome 
kommt er hiebei auf das Verhältnis der Aszendensobstipation zur 
Pseudoappendizitis zu sprechen unter Betonung des erstmals von 
Dieulafoy vertretenen Standpunktes, dass ein grosser Teil der 
unter dein Namen chronische Appendizitis Erkrankter überhaupt nie 
eine Appendizitis gehabt habe, wofür der Misserfolg derartiger 
Appendektomien«, der nach v. Haberers Statistik bis über 40 Proz. 
steigt, der zwingendste Beweis. 

Räuber- Kissingen: Die Wirkung der Kissinger Rakoczy- 
Trlnkkur auf den Magen. 

Aus Räubers Untersuchungen erhellt, dass die Rakoczy- 
Trinkkur nicht nur tatsächlich imstande ist quantitativ die Magen- 
driisentätigkeit zu beeinflussen, sei es im erregenden, sei es im 
hemmenden Sinne, nein auch eine Artänderung des Sekretes der 
Magenschleimhaut findet statt, so zwar, dass minderwertige Darm- 
driisenzellen irn Magen durch die Trinkkur wieder zu hochwertigen 
Magendriisenzellen umgewandelt werden können. 

F. h r 1 i c h - Stettin: Zur Lehre von den Geschwüren des Magens 
und Zwölffingerdarms. 

So sehr ich mit E h r 1 i c h s Ausführungen übereinstimme, so¬ 
wohl hinsichtlich der Schwierigkeit, um nicht zu sagen, Unmöglichkeit 
der sicheren Unterscheidung zwischen Ulcus duodeni und Ulcus 
pyloricum, als auch bezüglich des oft fehlenden Zusammenhangs 
zwischen Nahrungsaufnahme und Beschwerden und der Unsicherheit 
der pathognostischen Bedeutung der Lokalisation des Druckschmerzes, 
so wenig kann ich mich doch mit der geringen Einschätzung des 
Wertes der Röntgenuntersuchung einverstanden erklären. Beachtens¬ 
wert erscheint mir ausserdem der Nachweis okkulten Blutes bei reiner 
Gallenblasenaffektion. 

E b s t e i n - Leipzig: Ueber das sogen. Zungenlutschen beim 
Menschen. 

Beschreibung eines Falles abnormer Zungenbeweglichkeit und 
zwar nicht, was gewöhnlich die Ursache, zufolge einer krankhaften 
Affektion im Nasenrachenraum, sondern einzig als Ausdruck einer 
seit frühester Kindheit geübter Zungenakrobatik. A. Jordan. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 25, 1918. 

A. W c b e r - Nauheim: Ueber den Venenpuls. 

Vergl. Referat Seite 412 der M.tn.W. 1918. 

N. Roth- Pest: Blutzuckeruntersuchungen bei Diabetes mellitus. 

Ergebnisse: Die Zuckerdurchlässigkeit der Nieren ist individuell 
verschieden. Zur Beurteilung der diabetischen Stoffwechselstörung 
ist die gleichzeitige Rücksichtnahme auf die Glykosurie, den Blut¬ 
zuckerspiegel und die ev. gebildeten Ketonkörper nötig. Der Zucker¬ 
gehalt des Blutes nimmt während der Mehltage anfangs zu, später ab 
und nähert sich den Normalwerten. Dieser Prpzess geht der Gly¬ 
kosurie nicht parallel. 

H. Debrunner - Berlin: Zur Klumpfussbehandlung bei Säug¬ 
lingen. 

Verf. bespricht die Korrekturen mittels fixierender Verbände, 
welche mit Klebemitteln angebracht werden. Betr. der Technik ist 
das Original zu vergleichen. 

Weiter- Hamburg-Eppendorf: Die Lokal- und Leitungs¬ 
anästhesie in einem Feldlazarett 

Referat über die vom Verf. geübte Technik. 

M. Seligmann -Berlin: Bericht über de Tätigkeit der Für- 
sorgeschwestern des Medizinalamtes der Stadt Berlin im Jahre 1917. 

Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift 1918. Nr. 25. 

C. M o e 1 i: Ueber Vererbung psychischer Anomalien. 

Siehe S. 575. 

B. Möllers und G. Wolff: Die bisher mit der Fleckfieber- 
schutzlmpfung gemachten Erfahrungen. 

Blutserum von Fleckfieberkranken (mit Zusatz von Formalin) 
gewährt zwar keinen unbedingten Schutz gegen eine Erkrankung. Je¬ 
doch scheint die Erkrankungszahl und zumal die Sterblichkeit dadurch 
abzunehmen. (Beobachtungen an etwa 650 Schutzgeimpften.) 

Laszlö G y ö r i: Weitere Erfolge der Autoserumbehandtung beim 
Fleckfleber. 

Die Autoserumtherapie übt eine ausgezeichnete Wirkung aus. 
Am zweckmässigsten ist es, das Blut am 8. Tage zu entnehmen und 
von dem Serum 5, 10, 15 und 20 ccm an den darauffolgenden Tagen 
zu injizieren (in die Vena cubitalis). 

H. Müller- Leipzig: Das Verhalten des Liquor cerebrospinalis 
bei Fleckfleber. 

In einem Falle wurde zunächst der Befund einer einfachen serö¬ 
sen Meningitis erhoben, später der einer leichten Leptomeningitis, die 
bald wieder abheilte. 

I. Kister und Delbanco - Hamburg: Zar Frage der Verbrei¬ 
tung der Trichophytie. Siehe S. 660/61. 

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772 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


A r n i n g - Hamburg: Die Behandlung der Trlchophytla barbae 
mittels Karbolsäureätzungen. 

Es wird zunächst eine absolute Austrocknung der kranken Haut 
zu erzielen gesucht, und alsdann werden die tiefen Infiltrate mit Kar¬ 
bolsäure geätzt. Es bildet sich eine Borke, die in 8—10 Tagen ab- 
gestossen wird. 

Kirsch ner - Königsberg: Die Behandlung der Gallenstein- 
Krankheiten. (Schluss.) 

Die interne Behandlung vermag wohl die subjektiven Beschwer¬ 
den des Anfalls zu mildern, nicht aber pathologisch-anatomischen Ver¬ 
änderungen entgegenzuwirken. Die Mortalität bei der chirurgischen 
Behandlung ist gross, wenn die Patienten erst nach vielen Anfällen 
dem Operateur überwiesen werden und erst recht, wenn es sich um 
eine plötzlich eingetretene lebensbedrohende Verschlimmerung han¬ 
delt. Ferner sind die Aussichten der Operation schlecht, wenn die 
Krankheit zu einer allgemeinen Erschöpfung geführt hat. Die Opera¬ 
tion vermeidet Rezidive, wenn die Gallenblase entfernt wird, wenn 
alle Steine entfernt werden und wenn schliesslich einer Neubildung 
von Steinen vorgebeugt wird. Dies geschieht durch unbehinderten 
Abfluss der Galle in den Darm. Adhäsionsbeschwerden und post¬ 
operative Bauchbrüche gehören zu den Seltenheiten. Die Indikation 
zur Operation ist gegeben, wenn der Patient innerhalb der ersten 
24 Stunden zur Operation kommt, sonst nur, wenn der Anfall eine 
ernstere Wendung zu nehmen scheint. 

L. Michaelis: Die Bestimmung und Bedeutung der Fermente 
im Magensaft. 

Im Anschluss an eine neue Methode zur Bestimmung des Pepsins 
und des Labfermentes wird besprochen, wie man den Ausfall dieser 
Proben und die Aziditätsbestimmung zu verwerten hat. 

Franz Herzog- Pressburg: Zur Diagnose der chronischen 
Peritonitis. 

Auskultiert man das Abdomen mit dem Stethoskop und drückt da¬ 
bei unter leichtem Druck den Bauch ein und vermindert den Druck 
dann wieder, so hört man ein Reibegeräusch bei vorhandener Peri¬ 
tonitis. Ausserdem kommt das Reiben noch zustande bei abnormer 
Trockenheit. 

G r o t h: Chronisch-entzündliche BauchdeckiengeschwiÜste. 

Es wird ein einschlägiger Fall mitgeteilt und im Anschluss daran 
die Aetiologie erörtert. 

A. Sasse- Kottbus: Schmerzloser intermittierender Tumor sall- 
valis der Ohrspeicheldrüse ohne nachweisbares Hindernis. 

Im Anschluss an die Veröffentlichung von Küttner wird ein 
Fall beschrieben, der die in der Ueberschrift niedergelegten Besonder¬ 
heiten aufwies. 

Robert B a u m s t a r k - Bad Homburg: Der diagnostische Wert 
des okkulten Blutnachweises In den Fäzes. 

Auf Grund einer sehr grossen Untersuchungsreihe spricht B. 
dem Nachweis von okkultem Blut in den Fäzes eine ausschlaggebende 
Bedeutung entschieden ab. 

E. G1 a s s: Ueber den Missbrauch der Sonde. 

Ausführungen gegen den Gebrauch der Sonde. 

Paul R i s s m a n n - Osnabrück: Die Heilung der Hohlwarzen 
ohne Operation. 

Durch beharrliche Dehnung der Hohlwarzen in der Schwanger¬ 
schaft und mit Hilfe einer starken Milchpumpe gelingt es, die Warze 
so weit vorzuziehen, dass das Kind sie fassen kann. 

Koblanck - Berlin: Der Entwurf des preussischen Hebammen¬ 
gesetzes. Boenheim - Rostock. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

Nr. 25. J. P h i 1 i p o w i c z - Wien: Ueber kombinierte chirur¬ 
gisch-interne Behandlung beim blutenden Magengeschwür. 

Die angeführten drei Fälle sprechen dafür und regen zu weiteren 
Versuchen in dieser Hinsicht an, dass jedes blutende Magengeschwür, 
ganz besonders das bedrohlich blutende, in der geschilderten kombi¬ 
nierten Weise zu behandeln ist, wobei auf die grosse Breite der 
Anastomo^e (ca. 10 cm Durchmesser), Vorbehandlung und konsequent 
mindestens 1 Monat, lieber länger dauernde Nachbehandlung, das 
Hauptgewicht zu legen ist. 

v. Winiwarter - Trient: Ein Fall von Perforation eines 
Magenkrebses. 

Die Erfahrungen aus diesem Falle lehren, dass man bei Magen¬ 
perforationen, wo eine absolut sichere Vernähung der Perforations¬ 
öffnung nicht möglich ist, die Resektion des erkrankten Magenteiles 
vornehmen soll. Dieselbe ist zwar der grösste in Betracht kom¬ 
mende Eingriff, schafft aber die besten Bedingungen, sowohl für die 
momentane als für die definitive Heilung. 

Karl D i e 11 - Belgrad: Bemerkungen zu Friesecke: Dia¬ 
gnostische Erfahrungen an Tuberkuloseverdächtigen. 

Erschienen in der M.m.W. 1917 Nr. 46 Feldärztl. Beil. 

Nikolaus B 1 a 11 - Czernowitz-Bistritz: Eine neue Methode der 
mechanischen Behandlung des Trachoms. 

Die Vorteile der Aspirationsmethode des Verfassers bestehen 
einerseits darin, dass der Heilungprozess ohne Bindehautvernarbungen 
abläuft; anderereits wird der Inhalt der Trachomkörner bis auf den 
letzten Rest aufgesogen und entfernt, so dass er die nichterkrankten 

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Konjunktivapartien nicht infizieren kann. Die durch die Saugwirkung 
erzielte starke Hyperämie beschleunigt den Heilungsverlauf we¬ 
sentlich. 

Maximilian K r a s s n i g - Wien: Ein Beitrag zur Pathologie und 
KHnik der Halsmarkverletzungen. 

Nach den Untersuchungen des Verfassers sind die Querschnitts¬ 
läsionen des Halsmarkes tödlich. Der Tod tritt auffallend frühzeitig 
ein, meist nach 1—2 Tagen. Je höher am Halsmarke die Ver¬ 
letzung sitzt, desto rascher erfolgt der tödliche Ausgang. Hingegen 
scheint der Umfang der Zerstörung von Marksubstanz innerhalb 
weiter Grenzen den Wundverlauf nur wenig zu beeinflussen. 

Robert W i 11 h e i m - Wien: Zum Lösungsvermögen der Galle 
gegenüber Cholesterinsteinen. 

Verf. berichtet kurz über Untersuchungen, die er unmittelbar 
vor dem Kriege in Angriff genommen hatte, und denen eine der 
(ilaessner sehen Arbeit sehr verwandte Versuchsanordnung zu¬ 
grunde lag. Dr. Z e 11 e r - München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Würzburg. Mai 1918. 

Bilke Johannes: Ueber aussergewöhnlich langes Latenzstadium bei 
Malaria. 

Wechsler Berta: Beitrag zur Kenntnis der Spinalaffektion bei 
progressiver perniziöser Anämie. 

Meyer Bernhard: Ueber spontane Inversio uteri. 

B a r t h o 1 m e Eugen: Weicher Schanker und Wassermann sehe 
Reaktion. 

Roeder Philipp: Ueber die klinische Bedeutung der Blutplättchen 
und deren Beziehungen zur apiastischen Anämie. 

Schubert Hans: Beitrag zur Kaliumtherapie, mit besonderer 
Berücksichtigung der Rhinolaryngologie. 

Wolz Gertrud: Ueber die Lage des Ohrpunktes (Ohrachse) in Be¬ 
ziehung zum Schädel und zum Gehirn. 

Bogendörfer Ludwig: Ueber die Beziehungen der Tränenwege 
zu der Nase. 

Weber Erhard: Sieben Fälle von akuter Pankreatitis und Pankreas¬ 
nekrose aus der Chirurg. Univ.-Klinik Würzburg 1909—1917. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Vereinigte ärztliche 6esellechaften zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 26. Juni 1918. 

Tagesordnung: Ueber Lymphogranulomatose. 

1. Klinisches Referat: Herr Kraus. 

Diese Art Krankheiten hat sich in den letzten Jahren erheblich 
vermehrt. Vortr. will sie eingeteilt wissen in Lymphozytome und 
entzündliche Granulome. Letztere wieder in geschwulstartige tuber¬ 
kulöse und skrofulöse Formen. Nach unseren bisherigen Kenntnissen 
besteht keine Berechtigung, die malignen Lymphome als Form der 
Tuberkulose aufzufassen. Die lokalisierten Lymphome, die der 
Lymphdrüsen, der Haut, die Mediastinaltumoren, die Mikulicz- 
sche Krankheit und die isolierte Splenomegalie sind nicht immer als 
Vorläufer einer Generalisierung anzutreffen. Differentialdiagnostisch 
ist hervorzuheben, dass diese Erkrankungsformen mit Typhus, Re- 
kurrens, septischem Ikterus verwechselt werden können. Für lang¬ 
sam verlaufende Fälle ist Arsen von Nutzen. Daneben oder sonst 
Röntgenbestrahlung, bei tiefem Sitz Radiumanwendung. Jedoch 
ist hierbei zur Vermeidung einer Blutschädigung das Blutbild dauernd 
zu kontrollieren. 

2. Pathologisch-anatomisches Referat: Herr Lubarsch. 

Vortr. demonstriert einen Fall, der ohne jede Verwischung neben¬ 
einander malignes Lymphom und Tuberkulose zeigt. Ein solcher 
Befund widerspricht doch unbedingt der Annahme, dass die malignen 
Lymphome durch abgeschwächte Tuberkelbazillen verursacht wer¬ 
den. Auch der Tierversuch fällt selten positiv aus, wenn man mit 
genügender Vorsicht vorgeht und das Material sorgfältig aussucht. 
Auch Much sehe Granula finde man sehr selten. Doch erhebt Vortr. 
Bedenken, bei derartigen Versuchen das Antiforminverfahren in An¬ 
wendung zu bringen. W.-E. 

Kriegsärztlicher Abend zu Berlin. 

(Eigenbericht.) 

Sitzung vom 25. Juni 1918. 

Tagesordnung: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Lentz, Vortr. Rat im Ministerium des 
Innern: Wie schützen wir uns vor Ruhr, Typhus und Flecktyphus? 

Die Cholerabekämpfung ist bisher erfolgreich gewesen. Es ge¬ 
lang bisher stets, die Seuche in Einzelfällen auszulöschen. Das 
Fleckfieber hat es r\ur zu einzelnen Lokalepidemien gebracht. Malaria, 
wolhynisches Fieber und Rückfallfieber vermochte nirgends Fuss zu 
fassen, die Diphtherieverbreitung ist gegenüber dem Frieden unver¬ 
ändert, das Scharlach ist sogar zurück gegangen, während Typhus und 
Ruhr eine erhebliche Zunahme zeigt. Alle Angaben beziehen sich auf 
die deutsche Zivilbevölkerung. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


9. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


773 


Vortr. demonstriert Kurven, aus denen sich die Krankheitsaus- 
debnung ergibt. 

Ruhrkranke kamen 1914 nichts ins Inland, sondern wurden in den . 
Feldlazaretten etc. behandelt, und so wurde die Ruhr erst 1915 durch 
Urlauber etc. verschleppt. 

Umgekehrt ging die Zahl der Typhuskranken sofort hoch, weil 
diese schon 1914 ins Inland verbracht wurden. 1915 wurden sie in den 
Feldlazaretten behalten, was zur Verringerung der Typhusfälle in der 
Zivilbevölkerung beitrug. Ausserdem ging 1915 und 1916 die Zahl 
der Typhuserkrankungen im Heere infolge der Durchimpfungen er¬ 
heblich zurück. 1917 ist bei der Zunahme der Erkrankungen, be¬ 
sonders der Ruhr und des Typhus, auch die durch Nahrungsmangel 
herbeigeführte Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit der Bevölke¬ 
rung in Betracht zu ziehen. 

Es ist hervorzuheben, dass, im letzten Winter die Kurve der 
Ruhr- und Typhusepidemien nicht so stark wie sonst abgesunken ist; 
es ist daher zu erwarten, dass bei Einsetzen warmer Temperatur die 
Typhus- und Ruhrfälle ansteigen werden. Zur Verminderung der 
Typhus- und Ruhrfälle ist die Aufklärung der Bevölkerung, dass es 
sich bei Typhus und Ruhr um Schmutzkrankheiten handelt, eine 
dringende Notwendigkeit. Der Vortr. gibt detaillierte Angaben um 
die Händedesinfektion nach dem Stuhlgang, die Desinfektion des 
Wasserzuges, des Aborts etc. 

Weiter bespricht Vortr. die Möglichkeiten, bei eintretenden Epi¬ 
demien durch Hinzunahme der Schulen, Aufstellung von Baracken etc. 
die ungenügende Zahl der zur Verfügung stehenden Infektionsbetten 
beliebig zu erhöhen. Ebenso ist auf den Wert der prophylaktischen 
Impfung hinzuweisen. Bei Ruhrimpfungsversuchen hinterliessen die 
Injektionen langdauemde atonische Geschwüre, doch fehlt dem Impf¬ 
stoff Dysbakta von B ö h n c k e und dem von D i 11 h o r n und 
L ö w e n t h a 1 diese Eigenschaft. Doch ist die Wirkung dieser 
Mittel noch nicht genügend ausprobiert, der diesjährige Sommer wird 
dazu wohl Gelegenheit geben. 

Bei Ruhr und Typhus ist die polizeiliche Anzeige auf Grund des 
klinischen Verdachtes zu erstatten^ schon aus dem Grunde, weil 
selbst der beste Bakteriologe unter günstigen 
äusseren Verhältnissen die Typhusdiagnose nur 
in 60 Proz., die Ruhrdiagnose nur in 30 Proz. der 
Fälle bakteriologisch erhärten kann. Für die Um¬ 
gebung bilden die Rvhrrezidive, welche mit minimalen klinischen 
Erscheinungen einhergehen können, eine grosse Gefahr. 

Es ist jetzt für die Ruhr versuchsweise an Stelle der früher vor¬ 
geschriebenen Schlussdesinfektion die fortlaufende Desinfektion am 
Krankenbett gesetzt und besonderer Wert darauf gelegt worden, 
ruchtriechende Desinfektionsmittel dazu zu verwenden. (Für Hände 
und im Zimmer nach Möglichkeit Sublimat, für den Stuhl Kalkmilch.) 
Man hofft auf diese Weise die Abneigung gegen die Desinfektion 
zu verringern und grössere Erfolge zu erzielen. Die Gewährung von 
Kohlehydraten bei Ruhrfällen hat sich als Mittel zur Förderung der 
polizeilichen Meldung der Ruhrfälle bewährt. Das Fleckfieber hat im 
Jahre 1918 zwei relativ kleine Epidemien von 80 und 50 Fällen 
veranlasst, jedoch ist seit 1914 eine dauernde Zunahme der Erkran¬ 
kungen zu konstatieren. Der Fleckfiebererreger geht bei der Laus 
auf mindestens zwei Generationen über, daher sind die Nisse für die 


dass lediglich die angeborene Anlage oder die Im ersten Jahrzehnt 
erworbene Disposition für die Pathogenese der sog. genuinen oder 
chronischen Epilepsie in Betracht kommt. Fälle von sog. Reflex¬ 
epilepsie wurden überhaupt nicht beobachtet. Zum Schluss wird 
auf die Frage der affekt-epileptischen Anfälle von Psychopathen 
näher eingegangen. (Der Vortrag erscheint ausführlich in der M.KI.) 

Aussprache: Herr Hahn und Herr L i 1 i e n s t e i n. Schluss¬ 
wort: Herr Meyer. 

1751. Sitzung vom 4. März 1918, abends 7 Uhr, im 
Carolinum. 

Vorsitzende: Herr Ebenau, Herr Herxheimer. 

Sitzung zu Ehren des Herrn Ludwig E d i n g e r in Gemeinschaft 
mit der Medizinischen Fakultät. 

Gedenkrede des Herrn Goldstein. 


Naturhi8tori8ch-medizinischer Verein zu Heidelberg. 

(Medizinische Sektion.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 29. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Braus. 

Schriftführer: Herr Homburger. 

Herr J. Hoffmann demonstriert zwei Fälle von Neuritis 
hypertrophica Interstitlalis. Der eine Fall betrifft einen 14 jährigen 
Knaben, bei dem Erscheinungen von Ataxie schon von früher Jugend 
auf beobachtet waren. Vor 7 Jahren war wegen dieser Ataxie ver¬ 
bunden mit Krallensteilung der Zehen, besonders der grossen und 
Fehlen der Sehnenreflexe bei ambulanter Untersuchung in der Klinik 
die Diagnose „F r i e d r e i c h sehe Krankheit“ gestellt worden. Jetzt 
zeigt Pat. neben diesen Symptomen ganz ausgesprochene Krallen¬ 
stellung aller Zehen, Hohlfussbildung, Paralyse der kleinen Zehen¬ 
flexoren, Rombergsches Phänomen, leichte Thenaratrophie beider¬ 
seits und leicht eingesunkene Spatia interossea an den Händen 
bei sonst wohlerhaltener grober Muskelkraft, weniger verdickte als 
sehr hart palpable Nervenstränge, kein Babinski. Bei genauester 
Prüfung der Sensibilität nur leichte Abstumpfung an den Zehen und 
an den distalsten Fusspartien. Hingegen zeigt die elektrische Unter¬ 
suchung neben einer hochgradigen Herabsetzung der faradischen und 
galvanischen Muskelerregbarkeit auch in scheinbar unbeteiligten 
Körpergebieten — z. B. im Gesicht — eine hochgradige Verminderung 
des Gefühls für die Reize des faradischen Stromes. — Fall 2 betrifft 
ein Mädchen von 17 Jahren, das die ersten Krankheitserscheinungen 
erst vor 8 Jahren beobachtet hat. Es besteht hier aber keine Ataxie, 
dagegen Parese der Strecker an den Unterschenkeln, leichte Equino- 
varusstellung der Füsse und Krallenstellung der Zehen, beiderseits 
Hohlfuss und erheblich verdickte und sich hart anfühlende, nicht 
druckempfindliche Nervenstränge, keine isolierten Atrophien der Mus¬ 
kulatur; Fehlen aller Sehnenreflexe. Die galvanische und faradische 
Erregbarkeit der Muskulatur und die Sensibilität für die Reize des 
faradischen Stromes verhalten sich wie im obigen Falle; dabei wohl¬ 
erhaltene Sensibilität für alle Reizqualitäten am ganzen Körper. 


Fleckfieberübertragung ebenso gefährlich wie die Läuse selbst. Vortr. 
gibt eine detaillierte Darstellung der bei der Entlausung zu treffen¬ 
den Massnahmen. Eine besondere Beachtung erfordern die Rück¬ 
wanderer, welche 1918 schon 4 Einschleppungen verursacht haben. 
Sie wurden anfangs einer 23 tägigen Quarantäne unterworfen, jetzt 
wird binnen 10 Tagen eine zweimalige Entlausung vorgenommen 
und nachher eine Beaufsichtigung durch „zuverlässige Personen“, wie 
Gemeindevorsteher etc., durchgeftihrt. 

Den Aerzten gibt Vortr. den Rat, keine Uebergeschäftigkeit zu 
tntfalten, sondern bei verlausten Personen aus dem Osten bei 
Influenza oder typhusähnlichen Erscheinungen von einer körperlichen 
Untersuchung bis nach durchgeführter Entlausung abzusehen. W.-E. 


Aerztllcher Verein in Frankfurt a. M. 

(Offizielles Protokoll.) 

1750. Sitzung vom 18. Februar, abends 7 Uhr, im 
Carolinum. 

Vorsitzender: Herr Ebenau. 

Schriftführer: Herr DreyfusS. 

Herr B. Fischer: Demonstrationen. 

Herr Max Meyer: Zur diagnostischen Beurteilung von Krampf¬ 
anfällen bei Erwachsenen. 


Die Einflüsse des Kriegsdienstes haben uns die Möglichkeit an 
die Hand gegeben, die Bedeutung exogener Faktoren für die Ent¬ 
stehung und Pathogenese epileptischer Anfälle in grösserem Mass¬ 
stab zu prüfen. Vortragender bespricht zunächst auf Grund seiner 
Erfahrungen als leitender Arzt einer Beobachtungs- und Behandlungs¬ 
station für Kriegsneurotiker und Anfallskran-ke die Häufigkeit epilep¬ 
tischer Anfälle hn Vergleiche zu hysterischen und geht dann auf die 
diagnostische Bewertung der einzelnen Anfallssymptome ein. Im Zu¬ 
sammenhang damit wird die Frage der Auslösbarkeit der epileptischen 
Anfälle auf experimentellem Weg besprochen. Im folgenden wird 


besonders eingehend die 
der Entstehung: von Anfäll 



Bedeutung dispositioneller Momente bei 
efeim01i Es hat sich ergeben, 


Die bis jetzt vorliegenden anatomischen Befunde D 6 j 6 r i n e s 
werden kurz besprochen. 

Beide vorgestellten Fälle reihen sich ohne weiteres den vom 
Vortragenden schon vor einigen Jahren beschriebenen an. Die ge¬ 
naue Differentialdiagnose gegen die Friedreich sehe Krankheit 
und die neurale Muskelatrophie ist besonders durch die palpatorische 
Untersuchung der Nervenstränge sowie durch die elektrische Prüfung 
der Sensibilität ohne weiteres ermöglicht. 

Herr A. Sack stellt einen Fall von Tuberculosis verrucosa cutis 
vor, der in typischer Weise alle klinischen Merkmale der Riehl- 
Pal tauf sehen Krankheit zeigt und insofern besonders beachtens¬ 
wert ist, als die Anamnese und der Verlauf des Leidens hier in un¬ 
widerleglicher Weise die Zusammenhänge zwischen der primären 
Lungentuberkulose und dieser Impftuberkulose der Haut aufdeckt. 
Der Pat., ein 50 jähriger Lehrer mit offener Lungentuberkulose (Ka¬ 
vernenbildung, tuberkelreiches Sputum, Hämoptyse), fiel vor 2 Jahren 
in ein Brombeergebüsch und kratzte sich den Handrücken blutig. 
Um die Blutung zu stillen, drückte er nach längerem Ansaugen der 
Wunden mit dem Munde sein mit Sputum durchtränktes Taschen¬ 
tuch fest an die Wunden und verband sie mit demselben Taschen¬ 
tuch. Schon nach 2 Monaten entwickelten sich an der verletzten 
Hautstelle rötliche, leicht schuppende, erhabene Knötchen, die im 
Laufe von 2 Jahren trotz .der dazwischen eingeleiteten Behandlung 
zum typischen Bilde der Tb. verruc. sich entwickelt haben. Der 
ganze Handrücken ist von einer mächtigen, in der Mitte vernarben¬ 
den, an der Peripherie von hohen hornigen Massen überlagerten, 
rissigen, in der Tiefe kleine Miliarabszesse beherbergenden Plaque 
eingenommen, die von einer erythematösen Zone nach aussen deut¬ 
lich begrenzt wird. Der Vortragende geht auf die verschiedenen 
Entstehungsarten dieser Impftuberkulose der Haut ein und bespricht 
kurz deren Stellung zu den übrigen Formen der Hauttuberkulose, 
indem er sich auf seine vor 21 Jahren erschienene Publikation über 
dasselbe Thema (Monatsh. f. prakt. Dermatol. 25. 1897) bezieht. 
Eine dringende Veranlassung, diese Form von dem Lupus verrucosus 
grundsätzlich abzusondern, liegt nicht vor. 

_ Driairal fr;n 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



774 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28 . 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 
Ausserordentlicher Deutscher Aerztetag in Eisenach 1918. 

(Eigener Bericht.) 

Die Eisenacher Tagung war von 246 abgeoidneten Aerzten 
aus allen Gauen des Deutschen Reiches besucht. Der Ernst der Zeit 
verbot von selbst festliche Veranstaltungen. Wer gekommen war, 
war der wichtigen Beratungsgegenstände wegen gekommen. 

Dem eigentlichen Aerztetag ging eine Vertrauensmänner¬ 
versammlung des L.W.V. am 22. Juni voraus. Einzelne 
Punkte der Tagesordnung wurden als vertrauliche, zurzeit für die 
Veröffentlichung nicht geeignete behandelt. 

Die Beseitigung der Karenzzeit wurde nach einem Berichte 
S t r e f f e r s - Leipzig als notwendiges Zubehör zur freien Arztwahl 
bezeichnet, zumal gerade eben aus dem Feld zurückkehrenden Aerzten 
nicht durch Aussperrung von der Kassenpraxis die Erwerbsmöglich¬ 
keit eingeschränkt, ja ganz genommen werden dürfe. 

In der Aussprache wies ich darauf hin, dass man die Aufhebung 
der Karenzzeit nicht verlangen solle, ehe man nicht die freie Arzt¬ 
wahl in weit grösserem Umfang als bisher durchgeführt habe. 

Die „Ka s s e n k ö n i g e“, d. h. die übergrossen Einkommen 
mancher Kassenärzte unter Ausserachtlassung ihrer Gesundheit durch 
übermässigen Aufwand an Zeit, aber häufig auch ungenügenden Auf¬ 
wand von Aufmerksamkeit, Beobachtung und Untersuchung des ein¬ 
zelnen, die Gewinnsucht 'einzelner durch Häufung von Extraleistungen, 
die Heranziehung von Patientenmassen durch gerade besonders be¬ 
liebte oder durch Reklame beliebt gemachte Heilmethoden geisselte 
Kormann -Leipzig als Schäden für unseren Stand, für die ihm an¬ 
vertrauten Kranken und für eine gerechte Einschätzung ärztlicher 
Leistung und ärztlichen Einkommens. Denn gerade die wenigen 
„Kassenlöwen“ würden zu gerne als die Regel hingestellt und als 
Zeichen dafür, wie es den deutschen Aerzten viel zu gut ginge. Ein 
Antrag, der verlangte, dass überall KontrolHnstanzen gegen Honorar¬ 
auswüchse geschaffen werden sollten, wurde angenommen. 

Der weitere Ausbau der Alterszulagekasse wurde gut¬ 
geheissen, so insbesondere, die Zustimmung der nächsten Haupt¬ 
versammlung vorausgesetzt, der Antrag, dass die im Felde befind¬ 
lichen Aerzte, welche ohne Verschulden die Eintrittserklärung ver¬ 
säumt hätten, bis ein Jahr nach Beendigung des Kriegszustandes unter 
den jetzigen Bedingungen gegen Erstattung der Verzugszinsen bei¬ 
treten können, sowie bei Zahlung von 100 M. oder eines mehrfachen 
Betrages die daraus erwachsenden Vorteile gemessen sollen. Die 
Witwen- und Hinterbliebenenfürsorge solle der Versicherungskasse 
Deutschlands verbleiben. Abzüge von den Honoraren zu diesen 
Zwecke wurden lebhaft empfohlen. 

Bei der Aussprache über die Tariikassen und die Post- 
unterbeamtenkassen fand das Verlangen höherer Honorar¬ 
sätze für Behandlung der in sogen, gehobener Stellung befindlichen 
Versicherten und ihrer Angehörigen lebhaften Anklang. 

Schliesslich wurde den Aerzten die Einführung des bargeld¬ 
losen Verkehrs (Postscheckkonto) als bequem, vor allem aber 
als vaterländische Notwendigkeit empfohlen. 

Der Abend des 22. Juni vereinigte die Teilnehmer zu einem ein¬ 
fachen, guten Mahl, bei welchem der Vorsitzende des Deutschen 
Aerztevereinsbundes Dippe einige Begrüssungsworte sprach, 
Ministerialdirektor Kirchner den Aerzten für die im Feld und in 
der Heimat gebrachten Opfer warme Anerkennung zollte und 
wünschte, dass der Aerztestand auf der für Staat und Menschheit 
notwendigen wissenschaftlichen und sozialen Höhe bleibe, dass nicht 
nur bald Frieden unter den kämpfenden Völkern komme, sondern auch 
der ärztliche Stand zu einem bleibenden und segensreichen Friedens¬ 
stand mit dem Volke (?) gelange. (Dass wir nie mit dem Volke als 
solchem uneinig gewesen waren, hob am nächsten Tage ein Redner 
gelegentlich hervor.) 

Die Tagung am 23. Juni eröffnete der Vorsitzende des Geschäfts¬ 
ausschusses Dippe mit einer warm empfundenen Rede. Er wies 
auf die Leistungen der Aerzte hin, durch welche es gelang, Heer und 
Heimat vor Kriegsseuchen zu bewahren und den Gesundheitszustand 
im Innenlande trotz Einschränkungen und Entbehrungen günstig zu 
erhalten. Er beklagte die Verluste an Aerzten während der ver¬ 
gangenen vier Jahre. Er wies auf die Wichtigkeit der vorliegenden 
Beratungsgegenstände hin. Die in Aussicht stehende Ausdehnung der 
bisherigen Versicherung der wirtschaftlich Schwachen gegen Gesund¬ 
heitsschädigung zu einer Versicherung des ganzen Volkes bringt uns 
in ein anderes Verhältnis zur Krankenversicherung, kann uns aber 
nicht veranlassen, auf unsere Freiheit zu'verzichten; die stetig zu¬ 
nehmende Einengung der freien Praxis darf nicht zur Flucht ins leid¬ 
lich bezahlte Beamtentum führen. 

Zum ersten Punkt der Tagesordnung: zur Ueberführung 
der Aerzteschaft aus dem Kriege in den Frieden 
erstatteten H a r t m a n n - Leipzig und S a r d e m a n n - Marburg 
ausführlichen Bericht. Ersterer schilderte die bisherigen Bemühungen 
der Organisationen um die Ausbildung und Fortbildung, um die Stel¬ 
lung der für das Vaterland tätigen Aerzte, so besonders der Vertrags¬ 
und Landsturmärzte, um die Versorgung der Hinterbliebenen, um den 
Austausch kriegsgefangener Aerzte u. a. m. Er besprach dann die 
Pflicht der ärztlichen Organisation, für die aus dem Kriege heim- 

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kehrenden, an Praxis und Gesundheit geschädigten Aerzte zu sorgen, 
wo es nicht schon geschehen sei, durch schleunige Errichtung von 
Hilfsfonds, durch Kräftigung der Darlehenskasse, durch Bereit¬ 
haltung und Uebergabe der früheren Praxis an die Zurückkehrenden 
seitens der vertretenden Kollegen, durch Freihalten von Assistenten¬ 
stellen für Kriegsteilnehmer, durch Zuweisung von Vertrauens-, 
Polizei-, Schularzt-, Fürsorgearztstellen namentlich für invalid Ge¬ 
wordene. Der zweite Berichterstatter erging sich über die Not¬ 
wendigkeit der wissenschaftlichen und praktischen Fortbildung der 
Feldärzte, hielt dieselbe für die Notapprobierten und alle während 
der Kriegsjahre Approbierten für notwendig, wünschenswert auch für 
diejenigen älteren Aerzte, welche lange Zeit nur im Feld einseitige, 
wenn auch noch so segenbringende Tätigkeit ausgeiibt haben. Für 
die ersteren seien mehrmonatliche Kurse an den Universitäten ge¬ 
eigneter als an Akademien. Genügende materielle Zuwendungen an 
die Kursisten müsse der Staat gewähren. Periodische Vortrags¬ 
zyklen könnten für die älteren lAerzte von den Vereinigungen für ärzt¬ 
liche Fortbildung veranstaltet w r erden. Schon während des Krieges 
sei hinter der Front durch Abkommandierungen die Einführung in die 
ärztliche Fürsorge, die Fortbildung in Geburtshilfe, Frauen-, Kinder¬ 
krankheiten in entsprechend nahe gelegenen Anstalten möglich, auch 
durch Austausch vom Feld in die Heimat. 

Im Verlauf der lebhaften Aussprache wurde ein Anschlag 
im Wartezimmer aller Aerzte angeregt und gutgeheissen, welcher die 
Klienten auffordern soll, zu ihrem früheren Arzt, sobald er wieder 
Praxis ausübe, zurückzukehren. Neben der Aufhebung der Karenz¬ 
zeit da, wo freie Arztwahl besteht, soll die Einführung letzterer, 
überall, wo sie nicht besteht, den Heimkehrenden die Existenz er¬ 
möglichen und erleichtern. Der unterfertigte Berichterstatter empfahl 
zur Vertretung Abwesender auf Grund des Hilfsdienstgesetzes be¬ 
rufene Kollegen vertraglich zu verpflichten, den Ort jenen nach ihrer 
Rückkehr wieder zu räumen, verlangte für die in Fürsorge tätigen 
hiefür genügend vorgebildeten Aerzte ihrem Nutzen für Staat und 
Allgemeinheit entsprechende Honorierung und wies endlich darauf 
hin, dass nicht nur die Stellung und Achtung der Vertrags- un*d 
Landsturmärzte, sondern auch die der für das Rote Kreuz freiwillig 
tätigen Kolonnenärzte sehr zu wünschen übrig gelassen hätte. 

Nachfolgende Entschliessung wurde einstimmig angenommen: 

„Der am 23. Juni 1918 in Eisenach versammelte Kriegsärztetag 
erklärt sich mit den Ausführungen der beiden Berichterstatter ein^ 
verstanden. Dankbare Anerkennung zollt er den zentralen und ört¬ 
lichen Organisationen wie auch den einzelnen Aerzten für all das, 
was sie bisher im Interesse der Aus- und Fortbildung der Kriegsärzte 
sowie zur Förderung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Helrnat- 
und Heeresärzte geleistet haben. An alle dfe Vereine aber, die mit 
der Schaffung solcher Einrichtungen noch im Rückstände sind, richtet 
er die dringende Aufforderung, schleunigst und wirksam das Ver¬ 
säumte nachzuholen. Die ärztliche Organisation hält £s für ihre 
Ehienpflichi, die ihrem Stande durch den Krieg geschlagenen Wunden 
soweit wie irgend möglich, aus eigener Kraft auf dem bewährten 
Weg der Selbsthilfe zu heilen.“ 

An die Zivil- und Militärbehörden stellt der Aerztetag folgende 
Forderungen für den Uebergang in den Frieden: 

„Es möchte bei der Demobilisierung und der Reihenfolge der 
Entlassung auf die verheirateten Aerzte, die Familienväter, die 
älteren Aerzte und auf die Zeitdauer der Abwesenheit von der Heimat 
nach Möglichkeit Rücksicht genommen werden; 

es möchten den heimkehrenden Aerzten militärische Stellen an 
ihrem Heimatorte zur Verfügung gehalten werden; 

ebenso möchte die Hälfte aller Assistentenstellen aH staatlichen 
und städtischen Krankenhäusern für Kriegsteilnehmer offengehalten 
uni daselbst Vorsorge getroffen werden für die Einrichtung von 
Dauerstellen für Verheil attte, 

für die wissenschaftliche und praktische Aus- und Fortbildung 
der Feldärzte sollen geeignete und genügende kostenlose Ausbildungs¬ 
möglichkeiten geschaffen werden; 

den Aerzten sollen aus den aufzulösenden Lazaretten Instru¬ 
mente, Mikroskope, Unteisuchungsstühle, Klinikeinrichtungen u. dgl. 
zu billigen Preisen und den Landärzten, Kleinstadt- und sonstigen 
Fuhrwerk benötigenden Aerzten, Pferde, Autos, Gummireifen usw. 
zu Enteigiiungspreisen zur Verfügung gestellt werden und zwar unter 
Ausschaltung des Zwischenhandels (Zusatz G r assm a n n); 

auch sollen ihnen die für die Handwerker geschaffenen Kriegs¬ 
hilfskassen zugänglich gemacht werden. 

Das Studium der Ausländer an den deutschen medizinischen 
Fakultäten und die Niederlassung ausländischer Aerzte in Deutsch¬ 
land, insbesondere in den Kur- und Badeorten, sollen in dem schon 
wiederholt vom Deutschen Aerztetag verlangten Masse beschränkt 
werden. ■; 

Der Aerztetag beauftragt den Geschäftsausschuss, die für diese 
Forderungen notwendigen Schritte unverzüglich bei den zuständigen 
’ Stellen einzuleiten.“ 

Zum zweiten Punkt der Tagesordnung: Abänderung der 
Reichs versichern n gsordnung sprach Streifer- Leip¬ 
zig. Er zeigte, wie die Veränderung des Geldwertes eine der Zeit 
entsprechende Gebührenordnung verlange, dass mit der beabsichtig¬ 
ten, nicht notwendigen Ausdehnung der Versicherungspflicht den 
Kassen höhere Beiträge zufliessen würden und damit auch die Mög- 

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9. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


775 


lichkeit gegeben sei, die Aerzte anständig zu bezahlen. Wird die 
Enkommeusgrenze erheblich erhöht, so bleibt nur mehr ein kleiner 
Reit für die freie ärztliche Praxis, würde gar jede Verpflichtung des 
Ausscheidens bei höherem Verdienst beseitigt, so erwüchse dem 
Aerztestand ein schwerer wirtschaftlicher Schaden. Vermehrung 
Je.* Versicherungsgnippen und Einführung der Angehörigenversiche¬ 
rung müssen uns zur festen Forderung der gesetzlichen Einführung 
der freicu Arztwahl mit genügender Bezahlung veranlassen. 

Nachstehende EntscMicssung, sowie der Zusatz Q o e t z - Leipzig 
fanden die Zustimmung der Versammlung: 

„Der ausserordentliche Deutsche Aerztetag vom 23. Juni 1918 
hält eine Erhöhung de? Gienzen für die Versicherungspflicht und die 
Vtrsicherungsberechtigung (§§ 165, 178, 314 RVO.) oder gar eine 
völlig unbegrenzte Versicherungsberechtigung, wie sie von den im 
Reichstage eingebrachten Anträgen beabsichtigt wird, nicht für not¬ 
wendig and im Rahmen der jetzigen kassenärztlichen Verträge für 
unvereinbar mit den ideeller, und wirtschaftlichen Lebensbedingungen 
des ärzthehen Standes und erhebt deshalb entschieden Widerspruch 
dagegen. Findet trotzdem gegen die gewissenhafte Ueberzeugung 
der deutschen Aerzteschaft eine Erweiterung des Kreises der Ver¬ 
sicherten statt und wird damit die freie ärztliche Berufstätigkeit 
weiter eingeschnürt, dann muss die freie Zulassung zur kassenärzt- 
lichen Tätigkeit für alle dazu bereiten deutschen Aerzte gesetzlich 
icstgelcgt und die kassenärztliche Entschädigung auf eine völlig neue 
Grundlage gestellt weiden. Unter diesen Voraussetzungen erklärt 
sich der Aerztetag damit einverstanden, dass die vielfach jetzt schon 
gewährte Krankenpflege an versicherungsfreie Familienmitglieder der 
Versicherten (§ 205 RVO.) zur Erhaltung und Stärkung der Volkszahl 
und Volkskraft unter die Regelleistungen der Krankenkassen auf- 
seLommcn wird.“ 

Zusatz Qoetz: „Für den Fall der Ausdehnung der Kranken¬ 
versicherung soll der Vorstand eine Normaltaxe feststellen, diq die 
Mindestgrenze dessen darstellen soll, was die Aerzte als Entlohnung 
für kassenärzthehe Tätigkeit fordern müssen.“ 

Nürnberg beantragt unter Zustimmung, von allen Bundes¬ 
staaten eine Erhöhung der Gebührenordnung zu verlangen, im Ab¬ 
lehnungsfälle die Bestimmung aufzuheben, dass für die Kassenpraxis 
die Mindestsätze gelten. 

Die Versammelten waren während der zwei Tage mit grösster 
Afimerksamkeit den Vorträgen und den sich anschliessenden 
Acusserungen gefolgt und konnten mit dem Bewusstsein voneinander 
scheiden, ihre Entschlüsse mit dem ernsten Willen gefasst zu haben, 
die Zukunft unseres Standes vor Schaden zu bewahren und ihn in* 
seiner Entwickelung zum Besten der Allgemeinheit zu fördern. 

Doernberger - München. 


Kleine Mitteilungen. 

Zur Uebertragbarkelt der Trichophytie. 

Mit Rücksicht auf die zunehmende Trichophytieverbreitung 
dürfte folgender Fall allgemeines Interesse haben. 

Ich hatte Gelegenheit einen Mann zu untersuchen, der Sycosis 
parasitaria des Bartes hatte. 

Die Dermatomykose war an der rechten Halsseite lokalisiert; 
teils isolierte Pusteln, teils Infiltrate und Knoten zeigend, die von 
Haarendurchbohrt waren. 

Seine Frau wies an der linken (unbehaarten) Halsseite mehrere 
ungefähr hellergrosse, runde Scheiben auf, die zentral weissliche 
Schuppen, am Rande einen ein wenig erhabenen rötlichen Ring eines 
Herpes tonsurans hatten. 

Die Erkrankung dürfte in beiden Fällen durch direkte Kontakt- 
uberiragung (Umarmung) der Sporen und Myzelien des Trichophyton 
:onsurans geschehen sein. 

Anbei sei noch erwähnt, dass beide Fälle in einigen Tagen bei 
Anwendung von 2proz. Resorzinsalbe tags, lOproz. Ichthyolsalbe 
nachts; Sohlt, kalii jodati 7,0 auf Aquae Menthae piperitae 100,0 
3 Esslöffel täglich zur Heilung gelangten. 

Dr. Werdisheim - Graz. 

Vergiftungsgefahr durch rohe Bohnen.*) 

Die Bohnen enthalten eine Gruppe von. stickstoffhaltigen 
Püanzenstoffen, die bei Vermischung mit den roten Blutkörperchen 
Mt diese agglutinierend (verklebend) wirken. Man hat diese Stoffe 
-Phasine“ genannt, nach der Schminkbohne (Phaseolus vulgaris), 
a deren Samenphasin am genauesten untersucht ist. Das Bohnen- 
phasttf verankert sich wie an die roten Blutkörperchen auch an die 
soüerten Zellen des Gehirns, der Nieren, der Leber, der Dünndarm- 
schieimhaut und veranlasst dadurch eine Agglutination dieser Zellen, 
bass trotzdem das Phasin beim Essen von Schminkbohnen oder Sau¬ 
bohnen nicht giftig wirkt, kommt daher, dass die Bohnen immer 
stkocht genossen werden, wobei das Phasin wirkungslos wird, und 
Ja» ferner die Fermente unseres Darmkanals die Phasine verdauen 
und entgiiten. Nur wenn grosse Mengen von Bohnen roh verzehrt 
werden, kann es zu Vergiftungen kommen. Kob er t führt in der 


*) Aus dem „Reichsanzeiger“. 

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„Chemikerzeitung" zwei Fälle von solchen Vergiftungen durch den 
Genuss roher Bohnen an. Ein belgischer Kriegsgefangener, der mit 
dem Schneiden von Bohnen beschäftigt war, hatte eine grössere 
Menge in rohem Zustande verzehrt. Er bekam die heftigsten Leib¬ 
schmerzen, der Leib trieb auf, und der Mann starb. Die Erkrankung 
wiederholte sich an einem anderen Gefangenen, der das Bohnen¬ 
schneiden übernommen hatte. Auch in diesem Falle erfolgte der 
Tod. Der Arzt kam so in die Lage, den ursächlichen Zusammenhang 
zu ermitteln und konnte in einem dritten Vergiftungsfalle den Mann 
vom Tode retten. Es handelte sich hier um Vergiftungen durch das 
•in den Bohnen enthaltene Phasin, dessen Giftigkeit, wie bemerkt, 
durch das Kochen aufgehoben wird. Die pflanzenfressenden Haus¬ 
tiere und besonders die Schweine können gegen rohe Bohnen bei 
langsamem Anfüttern unempfindlich gemacht werden. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 8. Juli 1918. 

— K r i e g s.c h r o n i k. Die oberste Heeresleitung veröffent¬ 
licht die Zahlen der Beute an Gefangenen und Material, die der 
deutschen Armee beim letzten Vormarsch hn Osten, der am 18. Fe¬ 
bruar d. J. begann, in die Hände fiel. Sie lauten phantastisch. Es 
sind 4 Armee-, 5 Korps- und 17 Divisionsstäbe, 4811 Offiziere und 
77 342 Mann als Gefangene; ferner wurden 4381 Geschütze mit 
2867500 Schuss Ärtilleriemunition, 1263 Minenwerfer, 9490 Maschinen¬ 
gewehre, 751 972 Gewehre mit 102 250 900 Schuss Infanteriemunition 
erbeutet. An fahrendem Material fielen 2100 Lokomotiven, 26 650 
Eisenbahnwagen, 63 102 Fahrzeuge (dann 13 650 Pferde), 1278 Kraft¬ 
wagen, 22 Panzerwagen, 27 Tankwagen, 28 Werkstattwagen und 
1705 Feldküchen in unsere Hand. 152 Flugzeuge, 1 Panzerzug, 
1 Eisenbahnzug mit Geschützen und 6 Lazarettzüge vervollständigen 
die Beute. — Die Lage an den Kampffronten hat sich nicht ver¬ 
ändert. Die Oesterreicher und Ungarn haben nun auch das Piave¬ 
delta geräumt. — Gegen die Landung englischer Streitkräfte an der 
Murmanküste hat die russische Regierung entschieden Widerspruch 
'eingelegt. Da dieser selbstverständlich ohne Erfolg war. trifft sie 
,Massnahmen zur Verteidigung des bedrohten Gebietes. — Der deutsche 
Gesandte in Moskau, Graf Mirbach, ist am 6. ds. bei einem Empfang 
im Gesandtschaftsgebäude von zwei Unbekannten ermordet w r orden. 
Man nimmt an, dass es sich um im Dienste der Entente stehende 
Agenten handelt. — Der deutsche Reichstag hat den Frieden mit 
Rumänien angenommen. — Der regierende Sultan Mohamed V. ist 
gestorben. An seiner Stelle hat sein Bruder, Mohamed VI. den 
türkischen Thron bestiegen. 

— Der Reichsausschuss für das ärztliche Fort¬ 
bildungswesen hielt am 29. Juni seine diesjährige Sitzung. 
Als Vorsitzender wurde an Stelle des verstorbenen Exz. v. Angerer 
Geheimer Rat Prof. Dr. v. Müller- München, als stellvertretender 
Vorsitzender Geh. Oberined.-Rat Prof. Dr. v. Waldeyer-Hartz 
und als Beisitzer die Herren Obermed.-Rat Dr. Greift- Karlsruhe, 
Präsident v. Nestle- Stuttgart, Obermed.-Rat Prof. Dr. N o c h t - 
Hamburg, Präsident Geh. Hofrat Prof. Dr. Renk- Dresden gewählt 
resp. wiedergewählt. Nach einem Jahresbericht des Generalsekretärs 
, Prof. Dr. Adam und nach Erledigung des Kassenberichtes ver¬ 
handelte der Ausschuss über die Einrichtung von kurzfristigen Fort¬ 
bildungskursen in der Frühdiagnose von Geschlechtskrankheiten, die 
in Gemeinschaft mit der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten im Herbst d. Js. stattfinden sollen, sowie 
über die Frage der Fortbildung der aus dem Felde helmkehrenden 
Aerzte. 

— Der Reichstagsausschuss für die Beratung des Spiritus- 
m o n o p o 1 s hat einen sozialdemokratischen Antrag, den für Heil¬ 
zwecke bestimmten Branntwein freizulassen, abgelehnt. 
In der Aussprache hatte der Präsident des Reichsgesundheitsamts 
Geh. Rat Bumm erklärt, dass die Freilassung des Spiritus für Heil¬ 
zwecke der Kontrolle halber unmöglich sei. Wenn alles teurer 
werde, könne auch die Verteuerung der Arzneien nicht abgewendet 
werden. 

— Die Reichsbekleidungsstelle ersucht uns um Aufnahme der 
nachstehenden Mitteilung: Infolge des Mangels an Baumwolle haben 
auch Lm Verbandstoffwesen Ersatzstoffe Eingang gefunden. Die 
Aerzte gewöhnen sich immer mehr an die Verwendung von Ersatz¬ 
verbandstoffen, zumal der Handel mit ihnen keinen Beschränkungen 
unterliegt. Die Kreppapierbinden, welche als Ersatz für 
Mullbinden dienen, lassen sich für Verbände an bettlägerigen Pa¬ 
tienten ohne weiteres verwenden und bewähren sich in Kranken¬ 
anstalten und Lazaretten aufs beste. Sofern es sich um ambulante 
Verbände handelt, genügt es, den Kreppapierverband einmal mit 
■einem Teil einer Papiergarngewebebinde zu umwickeln und die 
letztere durch eine Sicherheitsnadel zu befestigen. Dadurch erhält 
der Verbarkl einen Schutz nach aussen und sitzt tadellos fest. Die 
Papiergarn gewebebinden stellen sich im Preis etwas 
teurer. Da sie aber fast durchweg nur als Umhüllungsbinden Ver¬ 
wendung finden, genügt für dieselben eine Länge von 2 m, wodurch 
der Preisunterschied gegenüber 4 m langen Mull- oder Cambric- 
binden nicht mehr so erheblich ist. Zellstoffwatte eignet sich 

Original fröm 

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776 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


besonders als Ersatz für Verbandwatte und kann fast in allen Fällen 
statt dieser Verwendung finden. Als Ersatz für imprä¬ 
gnierte Gazen und imprägnierte Watten kommen 
solche aus Kreppstoff und Zellstoffwatte in den verschiedenen Imprä¬ 
gnierungen wie Jodoform. Vioform, Xeroform usw. in den Handel. 
Diese Stoffe werden in der gleichen Weise wie die imprägnierten 
Gazen und Watten angewandt. Da nun die vorhandene Baumwoll- 
faser für eine Reihe wichtigster Zwecke im Interesse der Heeres¬ 
verwaltung dringend benötigt wird, ist es vaterländische 
Pflicht jeden Arztes, seinerseits auf eine weitestgehende Ver¬ 
wendung der Ersatzverbandstoffe hinzuwirken und vor allen Dingen 
in der eigenen Praxis die letzteren soweit als irgend angängig ein¬ 
zuführen. 

— Wie die „Voss. Ztg.“ mitteilt, besteht in Magdeburg die 
Absicht, nach dem Kriege eine Akademie für praktische 
Medizin zu errichten, die sich an die vorhandenen grossen 
städtischen Krankenanstalten anlehnen soll. Die Regierung habe vor 
dem Kriegsausbruch bereits mit der Stadt Magdeburg verhandelt, 
um die Angelegenheit zu fördern, doch seien die Verhandlungen 
durch den Krieg unterbrochen worden. 

— Preisausschreiben über Intelligenzprüfung. 
Der Verein zur Förderung des mathematischen und naturwissen¬ 
schaftlichen Unterrichts hatte eine Preisaufgabe gestellt, in welcher 
Weise der Rechenunterricht zu gestalten sei, damit das Rechnen sich 
als ein brauchbares Mittel zur Prüfung der Intelligenz der Schüler 
verwerten lasse. Da diese Frage für die Auslese der begabten von 
besonderer Bedeutung ist, hat der Verein die Ablieferungsfrist für 
die Bewerbungsarbeiten bis zum 31. Dezember d. J. verlängert; 
diese sind an den Vorsitzenden Geh. Studienrat Dr. P o s k e, Berfin- 
Lichterfelde W., Friedbergstr. 5 einzusenden, (hk.) 

— Nach dem Rechenschaftsbericht über die Verwaltung des 
Pensionsvereins für Witwen und Waisen bayeri¬ 
scher Aerzte im 65. Verwaltungsjahr 1917 hat sich das Ver¬ 
mögen des Vereins nach dem Nennwert der Wertpapiere um 
um 60 628 M. 57 Pfg. auf 2 019 064 M. 45 Pfg. erhöht; nach Abzug 
einer Bankschuld zum Zwecke der Beteiligung an der Reichskriegs¬ 
anleihe beträgt der reine Vermögenszuwachs M. 32 800. Die Mit¬ 
gliederzahl verminderte sich auf 318 ordentLiche und 21 Ehren¬ 
mitglieder. Die Zahl der Pensionäre betrug 225 Witwen und 
50 Waisen, die Vereinsleistungen betrugen 69 263 M. 82 Pfg., die 
Witwenpensionen alter Norm 200, mit Dividende 280 M., neuer 
Nortn 300, mit Dividende 420 M. An Stelle des verstorbenen stell¬ 
vertretenden Vorsitzenden des Verwaltungsrates Dr. Karl Becker 
trat Geh. Sanitätsrat Dr. Ferdinand May in den Verwaltungsrat ein 
und übernahm die Funktion als Kassier, zum stellvertretenden Vor¬ 
stand wurde Sanitätsrat Dr. Karl Grassmann gewählt. 

— Mit Rücksicht auf die grosse Nachfrage nach Fürsorgerinnen 
für Stadt und Land nimmt die Städtische Wohlfahrts¬ 
schule für Fürsorgerinnen in Charlottenburg von 
jetzt ab zu ihren Wz jährigen Kursen halbjährlich, im April und 
Oktober jeden Jahres, Schülerinnen auf. Zu dem am 1. Oktober 1918 
beginnenden Lehrgang können Anmeldungen noch entgegengenommen 
werden; sie sind an die Schulleitung im Kaiserin-Auguste-Viktoria- 
Haus, Charlottenburg, Mollwitz-Privatstrasse, zu richten. Lehr- und 
Stundenplan sind dort erhältlich. Die Schule übernimmt nach Mög¬ 
lichkeit die Stellenvermittlung für die ausgebildeten Fürsorgerinnen. 

— Die Professoren Dr. Max N e i s s e r, Direktor des Hygieni¬ 
schen Instituts in Frankfurt, Dr. Franz S c h i e c k, Direktor der 
Augenklinik in Halle und Dr. Paul Gerber, Direktor der Poliklinik 
für Hals- und Nasenkrankheiten in Königsberg erhielten den Charakter 
als Geheimer Medizinalrat. (hk.) 

— San.-Rat Dr. O. H e i n z e, der ehemalige langjährige Schrift¬ 
leiter des „Aerztlichen Vereinsblattes“ und Generalsekretär des 
Deutschen Aerztevereinsbundes, hat sich, als der dazu berufenste, 
entschlossen, die von Graf begonnene und mit 1889 abschliessende 
Geschichte des ärztlichen Vereinswesens in Deutschland und des 
Aerztevereinsbundes (Leipzig 1890) fortzusetzen. Das dem Aerzte- 
vereinsbund gewidmete, höchst verdienstvolle Werk erscheint im 
Selbstverlag des Verfassers. Bisher liegt der I. Teil vollendet vor: 
„Geschichte des Deutschen Aerztevereinsbundes von 1890 
bis 1912“. Indem wir uns eine eingehendere Besprechung Vorbehal¬ 
ten, beschränken wir uns an dieser Stelle darauf, auf das Erscheinen 
des Werkes hinzuweisen und seine Anschaffung jedem Kollegen, dem 
die Geschichte unseres Standes in seiner wichtigsten Epoche am 
Herzen liegt, warm zu empfehlen. Der Preis (6 M., bei Sammel¬ 
bestellung für Vereine 5 M.) ist in Anbetracht der guten Ausstattung 
sehr niedrig zu nennen. Man bezieht das Buch von der Buch¬ 
druckerei Ackermann & Glaser in Leipzig. 

— Am 12. Juli findet in München die 2. Versammlung der 
Lebensmittelamtsärzte statt, bei der die Bildung einer 
„Vereinigung der Lebensmittelamtsärzte Deutschlands“ beschlossen 
werden soll. Im übrigen bilden Ausmahlung des Brotgetreides, Ein¬ 
heitliche Kalorienberechnung, Nährwert der Nahrung und andere 
zeitgemässe Fragen der Volksernährung Gegenstände der Tages¬ 
ordnung. 

— Am 28. September findet in Frankfurt a. M. unter dem Vor¬ 
sitze Prof. Herxheimers eine Tagung der siid west¬ 
deutschen Dermatologenvereinigung statt. 


— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 
23. bis 29. Juni wurden 5 Erkrankungen festgestellt, ferner 2 unter 
Kriegsgefangenen. Für die Woche vom 9. bis 15. Juni wurde noch 
1 Erkrankung nachträglich gemeldet. — Deutsche Verwaltung in 
Litauen. In der Woche vom 19. bis 25. Mai 233 Erkrankungen und 
12 Todesfälle. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 16. bis 22. Juni sind 
282 Erkrankungen (und 11 Todesfälle) gemeldet worden. 

— Cholera. Türkei. In der Zeit vom 1. November bis 
17. Dezember 1917 wurden 30 Erkrankungen (und 10 Todesfälle) ge¬ 
meldet 

— Pest. Türkei. Am 30. April in Trapezunt 1 Erkrankung. 

— In der 25. Jahreswoche, vom 16.—22. Juni 1918, hatten von 
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Frankfurt a. O. mit 50,1, die geringste Kaiserslautern mit 7,3 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Masern und Röteln in Bromberg, Königshütte, 
Oberhausen, an Diphtherie und Krupp in Berlin-Friedenau, Berlin- 
Reinickendorf, Offenbach, an Keuchhusten in Pforzheim. 

Vöff. Kais. Ges.-A. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Habilitiert: Prof. Dr. Julius Citron für innere Medi¬ 
zin, Dr. Paul G ü 11 1 c h und Dr. Max Weingärtner für Ohren-, 
Nasen- und Halskrankheiten, Stabsarzt Prof Dr. Friedr. Kon rieh 
für Hygiene und Dr. Paul Waetzold für Augenkrankheiten, (hk.) 

Frankfurt a. M. Der ordentliche Professor für Hygiene und 
Bakteriologie Dr. Max Neisser hat den Titel Geheimer Medizinal¬ 
rat bekommen. 

Kiel. Die Universität zählt in diesem Sommerhalbjahr 2437 
immatrikulierte Studierende, davon gelten 1818 als beurlaubt. 
Mediziner sind es 799, davon 35 Studierende der Zahnheilkunde, (hk.) 

Münster i. W. Die Zahl der in diesem Sommersemester 
immatrikulierten Studierenden beträgt nach der vorläufigen, am 
25. Mai d. J. abgeschlossenen Zusammenstellung 3142; mit Einschluss 
der zum Hören Berechtigten beläuft sich die Gesamtfrequenz auf 
3286. Davon gelten als beurlaubt, weil im Heere, Sanitätsdienst usw. 
befindlich, über 2300. Der medizinisch-propädeutischen Abteilung 
(medizinisches Studium innerhalb der ersten 5 Semester bis zur 
ärztlichen Vorprüfung einschliesslich) gehören 665 Immatrikulierte 
an, darunter 35 Studentinnen. 

Tübingen. Die Zahl der Medizinstudierenden beträgt in diesem 
Sommersemester 674, von 2659 Studenten (dazu 77 Hörer); männ¬ 
liche 529, weibliche 145, davon sind hier anwesend 134 Männer, 
142 Frauen, die übrigen im Heeresdienst. — Prof. Trendelen¬ 
burg hat den Ruf nach Wien abgelehnt. 

Todesfall 

In Göttingen starb der Direktor der dortigen Universitäts- 
Frauenklinik Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Philipp Jung im Alter 
von 48 Jahren. Prof. Jung, geboren zu Frankfurt a. M., war 
Schüler und Assistent von Pfannenstiel und A. Martin. 
1900 erhielt er die venia legendi in Greifswald, war dort zugleich 
Oberarzt an der Frauenklinik, kam 1908 als Ordinarius nach Erlangen 
als Nachfolger Karl Menges und 1910 nach Göttingen als Nach¬ 
folger Max Runges, (hk.) 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben: 

Oberarzt d. Res. Hermann Drey. 

Feldhilfsarzt Heinrich Härtel, Meerane (Sa.). 

Bataillonsarzt Hans Mae der, Berlin. 

Oberarzt d. Res. Gottfried Pr i essen, St. Hilbert b. Krefeld, 
stud. med. Oskar Schwab, Erlangen. 

Feldhilfsarzt Hans S t r u b e, Halle a. S. 

Herb. S a 1 e w s k i. Puschkau. 

Oberarzt d. Res. Gustav Schmidt, Langsdorf. 

Oberarzt d. Res. Arthur S c h o h 1, Pirmasens. 

Oberarzt d. Res. Herrn. Schuch, Lauf. 

Oberarzt d. Res. Ludwig Sonnenschein, Heidelberg. 
Landsturmpfl. Arzt Erich Stern, Berlin. 

Oberstabsarzt d. Res. Georg Stöckel, Neidenburg. 
Landsturmpfl. Arzt Jos. Sturm, Lindscheid. 

Stabsarzt d. Res. Gustav Stutz, Dortmund. 

Feldarzt Friedr. Weidner, Nordhausen. 

Ass.-Arzt d. Res. Martin Winkelman n, Leipzig. 

Stabsarzt Erich Wissmann, Sprackensohl. 

Feldunterarzt Friedr. Wüst, Diedenhofen. 


Bedenket der Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse! 

Einzahlungen sind zu machen auf das Scheckonto Nr. 9263 der 
Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse bei der Bayer. Hypotheken- 
und Wechselbank, München, Theatinerstrasse 11. 


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Mönchen S W. 2, Paul Heyscslr. 26 — Druck von L. Mühhlialcr't» buch- und Kunstdruckerei A.G., München. 

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Für Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Mosse, Theannerstrasse 1 


Medizinische Wochenschrift. 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Hr. 29. 16. Juli 1918. 


Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag behüt «ich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck g elangend en Orlginalbeiträge vor. 


Originalien. 

Die Behandlung eitrig-septischer Gelenkentzündungen 
aach Schussverletzung im geschlossenen Gipsverband*). 

Von Stabsarzt Prof. Dr. Carl Ritter, fachärztlichem Beirat 
für Chirurgie im Bereich des stellvertr. V. A.-K. 

Wohl nichts ist in -diesem Kriege so einstimmig verurteilt wor- 
-Jen. als der ^geschlossene Gipsverband bei Gelolnkschüalsen und 
^Jiussfrakturen der Glieder, deren Wunden noch nicht 'veriheijlt 
*a:en. Der Gipsverband wurde angelegt in der damals allgemein 
i-r richtig gehaltenen Anschauung, dass alle diese Schüsse aseptisch 
^yären und aseptisch blieben. Man bedeckte die Wunde mit steriler 
(jaze und legte den Gipsverband jals Transportverband an, um 
'chmerzhafte Bewegungen zu vermeiden und dem Glied die richtige 
L-se zu erhalten. Das Bild, das diese Verbände bei ihrer Ankunft 
nn Heimatsgebiet boten, war aber in der Regel wenig erfreulich. Von 
septischer Wunde oder reaktionsloser Heilung war selten die Rede. 
Lcimehr quoll Eiter aus allen Lagen des Verbandes, auch 
s: niehtsterilen Polsterwatte hervor. Der üipsverband selbst 
oft von Eiter durchnässt und erweicht. Kein Wunder, 
Aer.n man dagegen energisch Front machte und dringend 
Ptnsterung am Ein- und Ausschuss forderte, damit die Ausblutung 
:rd der Sekretabfluss aus der Wunde ungehindert wäre und die Ge- 
:!ir einer Phlegmone oder eines Abszesses vermieden werden könne; 
-enn man sah bald ein, dass die Lehre von den regelmässig asep- 
t sehen Schüssen falsch war, dass sie zwar Vorkommen, aber so sehr 
-:t Ausnahme bilden, dass die allgemeine Behandlung sich nicht auf 
einstellen darf. So gilt die Anlegung eines Gipsverbandes ohne 
Zensierung als schwere Unterlassungssünde, um so mehr, je erbeb¬ 
ter die Verletzung, je Verschmutzter die Wunde und je regel¬ 
mässiger die Eiterung im weiteren Verlauf des Krieges wurde. Ich 
F*i deshalb, wenn ich den geschlossenen Gipsverband, sogar bewusst 
>ci einer Reihe von eiternden Schussverletzungen der Gelenke emp- 
tle, wohl des Widerspruchs von vornherein sicher. Trotzdem ist 
etr Vorschlag nicht zu gewagt; denn er entspringt nicht einer kurzen 
Reihe von Beobachtungen, sondern gründet sich auf Erfahrungen, die 
:o:h weit in die Eriedenszeit hineinreichen. 

Uns stehen bei den Gelenkschüssen verschiedene Behandlungs¬ 
methoden zur Verfügung. Als souveränes Mittel gilt mit Recht die 
Ruhigstellung der Gelenke, meist allerdings meiner Ansicht nach sehr 
-nvollkommen durch Schienen erreicht, besser durch den vollkom¬ 
menere Ruhe bedingenden gefensterten Gipsverband gewährleistet, 
modern die Hochlagerung, die Wunden mit aseptischer Gaze bedeckt. 
DtrGelenkerguss selbst wird durch Punktion ohne oder mit nachfolgen- 
lerFüIIung mit antiseptischer Lösung (Jod,Karbol, Phenolkampfer usw.) 
■cer Spülung entleert. Gelingt die Entleerung so nicht genügend, so wird 
durch Inzision mit kurz oder längerdauernder Drainage verbunden, 
ns ist Payrs Verdienst, hier genaue Regeln nach einheitlichem 
Pan zur zweckmässigsten, anatomischen Schnittführung aufgestellt 
zu haben, um wirklich ausgiebigen anhaltenden Abfluss aus den buch- 
it-nreichen (ielenkhöhlen zu sichern, deren Entleerung sonst nicht ganz 
i-rich x ist. Auf der anderen Seite steht die Hyperämiebehandlung in 
F.-rm der Dauer- oder rhythmischen Stauung, besonders bei Knie, 
fuss, Ellenbogen und Hand, oder in Form arterieller Hyperämie in 
Form lokaler heisser Bäder bei Fuss und Hand. Auch bei Anwendung 
dv: Stauung bedient man sich bei eitrigem Erguss im Gelenk der In- 
z von, allerdings ohne besondere Drainage. Es ist zweifellos, dass 
tue mit allen diesen Mitteln in einer Reihe von infizierten Gelenk¬ 
obussen volle Heilung erzielt. Allerdings mit der Funktion ist es 
Tvht immer sehr glänzend bestellt; denn ist erst einmal das ver- 
t teile Gelenk längere Zeit drainiert, so ist es mit der Erhaltung 
der Wiederkehr voller Beweglichkeit vorbei, wenn man hier auch 
Zuteilen auffallende Ausnahmen beobachtet. Die Regel ist volle 
riedung nicht. Meist hält die Eiterung im Gelenk an, und dadurch 
& rd der Knorpel und die Gelenkbänder arrodiert, fallen der Nekrose 
rheim und unterhalten nun weiter die Eiterung, die die Kapsel 
zjtchbohrend oder von vorneherein paraartikulär verläuft. Sie kriecht 
■ieemoneartig in den Weichteilen w'eiter oder unterwühlt das 
Periost, entblösst den Knochen, so neue Nekrosen vorbereitend. 


*) Nach einem Vortrage in der militärärztlichen Gesellschaft zu 
PFsen im Oktober 1916. 

Nr. 29 

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Sie können wieder ins Gelenk oder nach aussen durchbrechen und 
bilden Fisteln, clie erst verheilen, wenn die sämtlichen Knochen¬ 
nekrosen beseitigt sind. Dazu kommen noch Sekundärinfektionen, 
vor allem Pyozyaneus. Die ganze Umgebung der Gelenke schwillt 
ödematös an. Die langdauernde Eiterung, Schmerzen und Fieber 
oft verbunden mit septischen Allgemeinerscheinungen bringen den 
Kranken sehr herunter, ln solchem Fall kommt man oft mit allen 
bisherigen Mitteln nicht mehr zum Ziel. Auch die Hyperämiebe¬ 
handlung wirkt, ganz abgesehen davon, dass die Behandlung im 
Felde sich schwer durchführen lässt, schon aus dem. Grunde nicht 
immer mehr, weil die Menschen gewöhnlich zu wenig Blut zu kraft¬ 
voller Blutbehandlung zur Verfügung haben. Hier wird in neuerer 
Zeit Aufklappung des ganzen Gelenkes mit Durchschneidung sämt¬ 
licher Gelenkbänder und Offenhalten der ganzen Gelenkhöhle emp¬ 
fohlen. und wenn auch das nichts nützt, die Resektion der Ge¬ 
lenkknochen mit ihrer Umbildung des Gelenkspalts in eine breit¬ 
klaffende Wundhöhle, clie den Abfluss der Sekrete in weitestem 
Masse gestattet. Das Endresultat einer solchen Behandlung ist 
natürlich weit weniger erfreulich, selbst wenn Heilung erzielt 
wird. In vielen Fällen kommt man damit wenigstens zum Ziel. 
Das Glied wird gerettet. Die Funktion des Gelenks ist allerdings 
jedesmal gestört. Im besten Fall entsteht eine Ankylose, zuweilen 
Schlottergelenk, das erst nachträglich durch Arthrodese in Ankylose 
umgewandelt werden muss. Ehe es aber dahin kommt, muss in. der 
Regel ein längeres Stadium der Eiterung, Sequesterbildung und Ab- 
stossung durchgemacht werden, das nicht selten den Kranken noch 
weiter herunterbringt. Denn mit beiden Operationen schafft man nicht 
immer den Krankheitsherd mit einem Male fort, vielmehr flackert die 
Infektion oft durch diese Eingriffe von neuem-auf. Zurzeit erfreuen 
sich beide eingreifenden Operationen einer zunehmenden Anerkennung. 
Aber auch ihnen ist oft der Erfolg versagt, und es kommt doch 
noch zur Amputation des Gliedes. Ja, wer aufmerksam die ein¬ 
schlägigen Arbeiten verfolgt, ist erstaunt über die hohe Zahl der noch 
bei infizierten Gelenkschüssen vorgenommenen Amputationen. Schon 
die Tatsache, dass es in unserer konservativen Zeit noch für nötig 
gehalten wird, wieder zu den Resektionen zurückzukehren, die im 
Frieden immer mehr zugunsten der konservativen Verfahren ver¬ 
drängt war, ist ein Beweis für die grosse Schwierigkeit der Behand¬ 
lung dieser infizierten Kriegsverletzungen. Mehr noch beweist das 
schon die grosse Rolle, die die Absetzung der Glieder spielt; denn, 
wer amputiert, gibt zu, dass er an die Möglichkeit einer Behandlung 
überhaupt nicht mehr glaubt, und sie als aussichtslos aufgibt. 

Aber auch die Amputation führt nicht immer mehr zum 
Ziel. Sie kommt als Ultimum refugium zu spät, da der Verletzte all¬ 
gemein septisch, oder durch das lange Krankenlager zu geschwächt 
ist. Jedenfalls ist die Zahl der 'an eitrigen Gelenkschüssen Gestor¬ 
benen nicht klein. Manche haben in der Erwägung, dass die Ampu¬ 
tation, wenn zu spät ausgeführt, keinen Sinn hat, früh amputiert. Ge¬ 
wiss werden die Resultate je früher, um so besser sein. Aber man 
kann nicht jeden Oberschenkel wegen eines Kmeschusses von vorn¬ 
herein amputieren. Es handelt sich hier wohlgemerkt nicht um die 
Frage der Frühamputation wegen Gefahr eines Gasbrandes, sondern 
der Eiterung. Anders ist es mit der Frühresektion, die ebenfalls das 
Krankenlager abkürzt, aber das Glied erhält und je eher ausgeführt, 
auch um so günstigere Resultate erzielt. Trotzdem wird zur prin¬ 
zipiellen Zerstörung des Gelenks in jedem Falle der Entschluss 
wieder für den Verletzten noch für den Behandelnden immer ganz 
leicht sein. 

Alles in allem kann man wohl sagen, dass das Bild der Resultate 
aller Behandlungsmethoden bei den Gelenk-Kriegsverletzungen nicht 
gerade günstig genannt werden darf, weder was das Leben, noch was 
die Funktion betrifft. 

Ich kam auf die Anwendung des geschlossenen Gipsverbandes 
auf Grund der Erfahrungen bei der Tuberkulose. Einerlei, ob es sich 
um einen tuberkulösen Gelenkerguss oder beginnenden Fungus han¬ 
delt, bringt bekanntlich ein Gipsverband oft Abschwellung und Ver¬ 
schwinden der ganzen Erscheinungen. Ich pflege das erstemal den 
Erguss der Diagnose wegen zu punktieren, tue es aber später nicht 
mehr und wechsele nur den Gipsverband. Die gleiche Wirkung des 
Gipsverbandes sieht man auch, wenn es sich um eitrige tuberkulöse 
Gelenkergüsse handelt*). Ferner machte ich die auffallende BeoJ>ach- 


*) Seit langen Jahren lege ich den Gipsverband übrigens dabei 
ohne den Gehbiigel nach Lorenz in der Weise an, dass er beim 
Fuss von den Zehen bis zur Grenze zwischen mittlerem und unterem 

»F I 

Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




MueNcheneR Medizinische Wochenschrift. 


Nr. iv . 




tung, dass, wenn ich mich gelegentlich einmal um eine kleine Fistel 
oder ein Geschwür nicht gekümmert hatte, und auch hier einen voll¬ 
kommen geschlossenen Gipsverband angelegt hatte, die Geschwüre 
kleiner wurden und vernarbten, die Fisteln sich schlossen. Ich ging 
dann bewusst so vor, und habe im Laufe der Zeit eine grosse Reihe 
auch ausgedehnter tuberkulöser Knochen- und Gelenkerkrankungen 
mit zahlreichen Fisteln und Geschwüren mittels des Gipsverbandes 
ohne Fensterung so behandelt, mit durchweg viel besseren Erfolgen 
als mit den gefensterten. 

Ich ging dann noch einen Schritt weiter und behandelte in glei¬ 
cher Weise septisch infizierte Gelenke. Der serös-eitrige oder eitrige 
Gelenkerguss wurde, wie ich das schon 1908 veröffentlicht habe, 
wiederholt, so oft er sich füllte, durch Punktion entleert. Han¬ 
delte es sich um schwere Infektionen, so wurde ausserdem das 
Gelenk wie bei einem Fungus in einem gepolsterten Gipsverband fest¬ 
gestellt So behandelte ich noch in Greifswald einen Fall von akuter 
Osteomyelitis, im Planum popliteum mit symptomatischem eitrigen 
Geleükerguss ebenfalls im Jahre 1908, der in der damaligen Arbeit 
eingehend mitgeteilt ist. Er heilte vollständig trotz starker periostaler 
Knochenwucherung ohne Aufbruch und ohne Abstossung eines Se¬ 
questers völlig aus. Sehr rasch ging die Temperatur herunter. Der 
Erguss verschwand und die Beweglichkeit konnte trotz der Feststel¬ 
lung des Gelenks erhalten werden. 

Einen zweiten, ganz ähnlichen Fall von akuter Osteomyelitis des 
Oberschenkels und eitrigem Erguss im Hüftgelenk, der ebenfalls mit 
Gipsverband behandelt wurde und ebenfalls ohne Aufbruch und Se¬ 
questerbildung, allerdings mit Versteifung des Hüftgelenks, habe ich 
später in der Breslauer chirurgischen Vereinigung vorgestellt. Nicht 
selten kamen aber nun Fälle ins Krankenhaus, bei denen ein eitriger 
Erguss schon vorher inzidiert und drainiert war. Analog wie die 
tuberkulösen Fisteln wurden nun auch sie einfach in einen ge¬ 
schlossenen Gipsverband getan, nachdem die Drains aus den eitrigen 
Inzisionswunden bzw. Fisteln entfernt waren. Wie dort wurde asep¬ 
tische Gaze aufgelegt, die umgebende Haut mit Jod oder Salbe vor 
Infektion geschützt. Der Erfolg war überraschend gut. Die Eiterung 
Hess nach. Frische Granulationen füllten die Fisteln und Wund¬ 
flächen und schlossen die Gelenkhöhle ab 1 *). Zuweilen punktierte ich 
noch den dahinter angesammelten Erguss, meist war das nicht mehr 
nötig. War keine Knochennekrose vorhanden, so kam völlige Ver¬ 
narbung zustande. Sonst blieb eine Fistel, die auf einen Sequester 
führte, der dann später durch Operation entfernt wurde Nicht in 
allen diesen Fällen konnte volle Beweglichkeit erzielt werden. Doch 
setzte sie auffallend oft später noch ein. Ich habe dabei nicht 
nur leichte, sondern auch schwere Infektionen und Eiterungen mit 
sogen, septischen Wundflächen, wie sie nach Osteomyelitis in der 
Nähe der Gelenke, nach Vereiterung einer ausserhalb operierten 
Luxation usw. Vorkommen, vor mir gehabt. Ich erinnere mich noch 
besonders eines Falls, bei dem eine schwere eitrige Phlegmone mit 
Eiterung an den Metakarpen und eitriger Entzündung der betreffenden 
Gelenke vorlag. Ich hatte alles versucht, Inzision, Stauung, lokale 
heisse Bäder usw. Endlich packte ich die ganze Hand in einen 
geschlossenen Gipsverband, kümmerte mich 8 Tage nicht dlarum. 
Von da an besserte sich alles zusehends und es trat Heilung ein. 

Dann kam der Krieg, ehe ich, wie beabsichtigt, diese Beobach¬ 
tungen veröffentlichen konnte. 

Im Felde schien anfangs keine Gelegenheit zur weiteren Anwen¬ 
dung des Verfahrens vorzuliegen; denn wenn ich die Infanterie- 
Gelenkschüsse, besonders die zahlreichen Knieschüsse, mit ge¬ 
schlossenem Gipsverband behandelte, so geschah das in dem von 
unseren Kriegschirurgen auf ausserdeutschen Kriegsschauplätzen ge¬ 
nährten Glauben, dass alle diese Verletzungen aseptisch wären und 
blieben. Es war also scheinbar nichts Besonderes, wenn nicht nur 
die Gelenkdurchschüsse, sondern auch die Steckschüsse, bei denen das 
Projektil im Knochen oder Gelenk lagerte (Röntgenbild stand uns 
ja nicht zur Diagnose zur Verfügung) unter kleiner aseptischer Dek- 
kung im geschlossenen Gipsverband ganz glatt oder nur mit minimaler 
Eiterung an der Ein- bzw. Ausschussstelle ausheilten, wenn keine 
Eiterung im Gelenk eintrat, vielmehr der Bluterguss nach der Punk¬ 
tion sich rasch resorbierte und nicht wiederkehrte. Allerdings ging 
mir der Glaube an die Aseptik der Infanterieschüsse doch schon nach 
der 1. Schlacht verloren, als jedes Infanteriegeschoss im subkutanen 
Gewebe seinen Abszess hatte und deshalb entfernt werden musste. 
Ebenso bildete sich bei Gelenkschüssen, bei denen die Kugel subkutan 
liegen blieb, ein subkutaner Abszess, der zur Inzision und Extraktion 
zwang. Aber man konnte diesen auffallenden Unterschied zwischen 
den subkutanen Steckschüssen, bei denen Eiterung die Regel und 


Drittel des Unterschenkels reicht, beim Knie von der Mitte des Ober- 
bis zur Mitte des Unterschenkels, bei der Hüfte den Oberschenkel und 
die Taille umfasst. Allerdings wird der Gipsverband möglichst dem 
Gliedteil anmodelliert. Der Bügel, der das Gehen sehr schwierig 
gestaltet, den Fuss leicht in Spitzfussstellung zwingt, und stets eine 
Erhöhung der anderen Sohle verlangt, ist überflüssig. 

**) Die Auffassung, dass eine Gelenkentzündung bei geschlos¬ 
sener Gelenkhöhle leichter ausheilt als bei offener, ähnlich einer 
infizierten Pleuraverletzung, einer Peritonitis, scheint mehr und mehr 
Anhänger zu finden, weshalb auch empfohlen wird, bei operativer 
Versorgung einer frischen Gelenkentzündung die Kapsel wieder zu 
nähen. Einen solchen Verschluss erreicht der Gipsverband noch 
nachträglich. 

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Gelenksteckschüssen, bei denen das Ausbleiben der Eiterung die Regel 
war, damit erklären, dass die subkutanen Gewebe leichter zur Eiterung 
neigen und die Infektionsstoffe schwerer resorbiert, die Gelenkhöhle 
aber ähnlich wie das Bauchfell grosse Mengen von Infektionsstoffen 
verträgt, da es sie rasch und vollständig durch Resorption beseitigt. 
Ich habe ja selbst durch Reiches Veröffentlichung zeigen können, 
dass dieser Gegensatz zum subkutanen Gewebe auch für die Pleura¬ 
höhle gilt. Nachträglich muss ich allerdings sagen, dass das doch nicht 
so ganz stimmt, denn die Geschosse sitzen nach unseren jetzigen 
Kenntnissen selten nur im Gelenk, meist auch im Knochen, der, wie das 
Röntgenbild zeigt, fast immer gesplittert ist und infizierte Knochen¬ 
schüsse neigen bekanntlich durchaus zur Eiterung. Wenn also hier 
die Eiterung ausblieb und aseptische Heilung eintrat, so ist wohl der 
Schluss gerechtfertigt, dass auch hier der geschlossene Gipsverband 
seine Dienste ähnlich wie bei den infizierten Gelenken vor dem Kriege 
getan hatte. Beweisender sind eine Reihe von Gelenkschüssen durch 
Granatverletzungen mit kleinem Ein- bezw. Ein- und Ausschuss, denn 
dass jede Granatverletzung zum mindesten, wenn nicht Gasbrand 
hinzutritt, eitrig infiziert ist, ist bekannt. Hinzu kommt eine Reihe 
von Fällen, in denen schon richtige eitrige Gelenkergüsse vor¬ 
handen waren, auch sie gingen ohne jede Inzision unter ein¬ 
maliger oder häufigerer Punktion und geschlossenem Gipsverband 
vollkommen zur Norm zurück, wobei auch die Funktion sich jedesmal 
meist im ganzen früheren Umfange wieder herstellte. Nicht alle haben 
wir allerdings entsprechend den Verhältnissen einer Sanitätskom¬ 
pagnie und eines Feldlazarettes bis zu Ende behandeln können, da 
wir dauernd evakuieren mussten. Doch ist die Mehrzahl bis zur 
Heilung, die übrigen bis zur definitiven Besserung bei uns behalten 
worden. 

Man wird mir vielleicht entgegenhalten, dass es sich hier um 
besonders milde Infektionen gehandelt hat. Mag sein, immerhin ist es 
auffallend, dass ich im Gegensatz zu anderen niemals eine Verschlim¬ 
merung, auch nicht das Bild einer Sepsis von solchen Gelenkschüssen 
ausgehen sah. Abgesehen von diesen Fällen hatte ich nur selten 
Gelegenheit zur Anwendung des geschlossenen Gipsverbandes im 
Feldlazarett. Auf der einen Seite nahm mit der Zunahme der Ar¬ 
tillerieverletzungen die Zahl der reinen oder in der Hauptsache sich 
auf die Gelenke beschränkenden Schüsse ab. Kam es dann bei 
solchen grossen Granatverletzungen mit ausgedehnten Knochenzer¬ 
trümmerungen und Weichteilzerfetzungen in der Nähe der Gelenke 
zur Eiterung, was, ehe wir sofort operativ vorgingen, ausnahmslos 
die Regel war, wenn nicht Gasbrand einsetzte, so spielte die Mit¬ 
beteiligung des Gelenkes nur eine verhältnismässig untergeordnete 
Rolle. Der gefensterte Gipsverband war dann cfas zunächst ge¬ 
gebene Verfahren. Er stellte einerseits die Gelenkknochen ruhig, 
gab andererseits den durch die Versengung entstehenden Nekrosen, 
vor allem von Muskeln und Haut, die Möglichkeit natürlicher Ent¬ 
fernung aus dem Körper. Mit Perubalsam, Mineralöl, Jodoformgaze 
oder physikalischen Methoden wurde die Granulationsbildung und da¬ 
durch die Abstossung der Nekrosen zu beschleunigen gesucht. Der 
Granatsplitter wurde damals in der Regel noch nur durch Ein¬ 
schnitt zu entfernen gesucht. Auf der anderen Seite nahmen, als wir 
des Gasbrandes wegen 1915 die schon 1914 von mir geforderte 
Exzisipn der Wunden systematisch ausführten, die Eiterungen über¬ 
haupt ganz erheblich ab. Manche Schussverletzung in der Nähe und 
mit Beteiligung des Gelenkes frühzeitig exzidiert, sahen wir, ob 
offen nachträglich mit Freiluft oder Sonnenlicht behandelt oder mit 
frischen Wunden nach wenigen Tagen in geschlossenem Gipsverband 
gelegt, reaktionslos ausheilen. 

Gelegentlich kam es aber auch hier nach anfänglich frischestem 
Aussehen der Wunden zur Eiterung. Während sie in der Regel 
harmlos verlief, sah man in anderen Fällen, dass die ganze Gelenk¬ 
gegend anschwoll, im Gelenk ein Erguss sich einstellte, die Sekretion 
dünnflüssiger und das ganze Aussehen der Wunde septisch wurde. 
Im gefensterten Gipsverband wurde die Schwellung an den Fenstern 
immer stärker, die Granulationen quollen immer mehr hervor, so dass 
man die Ausschnitte im Gipsverband weiter und weiter machen 
musste, bis er schliesslich jeden Halt verlor. In manchen Fällen, so 
z. B. am Fusse, sah ich anfangs mit täglich öfter wiederholten, lokalen, 
heissen Bädern Besserung eintreten, ebenso wie bei den Finger¬ 
tod auch Hand-) Gelenkschusswunden, die ich stets nur damit aus¬ 
nahmslos mit allerbestem Erfolge behandelt habe. Aber bald 
schwollen die Lymphdrüsen erheblich an, das Fieber stieg, so dass 
davon Abstand genommen werden musste. An anderen Gelenken 
waren Bäder unmöglich. Nach einigen traurigen Erfahrungen, die 
zu Amputation und Exitus führten, ging ich dann zum geschlossenen 
Gipsverband über, der sich von neuem als ein ausgezeichnetes Mitte] 
erwies, das langsam zu Entfieberung, frischen Granulationen und 
rascher Verkleinerung der Wunden, oft geradezu erstaunlich schneller 
Abnahme der gewaltig gedunsenen Weichteile führte. So konnten 
auch diese Kranken in günstigem Zustande ins Kriegslazarett ab- 
transportiert werden. 

Das Hauptan wendungsgebiet habe ich dann in den Heimat- 
lazaretten gefunden. Hier sah ich zuerst jene schweren chronisch-septi¬ 
schen Schussverletzungen der Gelenke in erstaunlicher Menge. Es sind 
das jene Fälle mit ungeheuer ödematöser Schwellung, die Umfangs- 
Zunahme bis um 30—40 cm aufweisen können. Sie tragen grosse 
Wundflächen mit schlaffen, blassen oder ödematös gequollenen Granu¬ 
lationen oder zahllose Fisteln, aus denen Gummidrains nach allen 
Richtungen heraussehen. Bei Abnahme des Verbandes entleert siel] 

Original from 

UNIVER3ITY OF CALIFORNIA 


16. Juli 1911 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Eiter in überreichlichen Mengen. Es besteht oft hohes septisches 
Eieber, meist bis 40® und darüber, und den typischen Remissionen. 
Vielfach sind die Glieder nur auf Schienen gelagert, die täglich mit 
Jem Verband gewechselt werden müssen, was mit grossen Schmerzen 
verbunden ist. Viele stecken in kunstvoll überbrückten Gipsver- 
hiimlen, an denen sich das gleiche Bild überquellender Granulations¬ 
bildung und Weichteilschwellung an den vom Gipsverband freien 
Stellen zeigt. 

Alle waren schon seit längerer Zeit in Behandlung ohne jede Bes¬ 
serung, meist sogar in steigendem Masse verschlechtert. 

In allen diesen Fällen waren operative Eingriffe vorangegangen, 
oft in überraschend schneller Folge. Und ich kann mich des Ein¬ 
druckes nicht erwehren, dass eine gewisse Polypragmasie an dem 
schwer septischen Zustand der Wunde vielfach mit Schuld war. Gar 
nicht immer war die Verletzung von vornherein so schwer gewesen. 
Nicht selten hatte es sich anfangs sogar um einen ganz einfachen 
Gelenkschuss oder Gelenkeiterung gehandelt, aus dem erst nach zahl¬ 
reichen Inzisionen der Gelenkkapsel, Spülungen, Drainage, breiter 
Tamponade, Nekrotomien oder Sueben nach Sequestern, Teilresek¬ 
tionen, Teilaufklappungen das jetzige schwere Krankheitsbild hervor¬ 
gewachsen war. Wir wissen ja, dass auf jeden derartigen Eingriff ein 
Wiederaufflackern der Infektion erfolgt, dass jede Ablösung des 
Periosts neue Knochennekrosen geben muss, die wieder unter Eiterung 
abgestossen werden. Ein häufiger Wechsel der Behandlung von Ruhe 
und hyperämisierenden Verfahren kann dabei einer Verschlimmerung 
weiter Vorschub leisten. 

Nicht alle Fälle waren gleich schwer. Aber in allen Fällen war¬ 
eine Aussicht auf Wiederherstellung der Gelenkfunktion nicht mehr 
anzunehmen, so dass der Entschluss mit einem- Schlage durch Ampu¬ 
tation den ganzen Krankheitsherd auszuschalten, nahe genug lag. Der 
Vorschlag zur Absetzung wurde mir denn auch nicht nur von Aerzten, 
sondern oft genug auch von den Kranken selbst immer wieder ge¬ 
macht und es gehörte schon Vertrauen zu dem Erfolg des geschlos¬ 
senen Gipsverbandes, um die Erhaltung des Gliedes durchzusetzen. 
Ganz besonders schwer war es oft bei den Konsultationen in aus¬ 
wärtigen Lazaretten, in die ich eben der Amputation wegen gerufen 
wurde, die Amputation abzulehnen und zu zeigen, dass das konser¬ 
vative Verfahren imstande ist, noch ein brauchbares Glied zu er¬ 
halten. 

Die Technik, die ich dabei anwandte, war so einfach wie 
möglich: Zunächst werden sämtliche Tampons und Drains entfernt, 
worauf gewöhnlich noch aus jedem Fistelkanal ein Schuss Eiter her¬ 
vorsprudelt. Meist verstopfen ja Drains mehr, als dass sie Entleerung 
garantieren, ganz abgesehen davon, dass sie die Wände der Fistel 
unnötig reizen. Dann wird die gesamte umgebende Haut mit Las- 
sarscher Paste in weitem Umfange eingerieben. Recht oft war sie 
in ekzematösem Zustand, durch das Ueberfliessen des Eiters gereizt. 
Auf die gesamten Wundflächen und Fisteln kommt aseptische (oder 
Jodoform-) Gaze, Zellstoff, je nach der Lage des Falles in grösseren 
oder kleineren Mengen. Später habe ich vielfach nur einen Gaze¬ 
streifen, mit Salbe bestrichen, auf die ganze Wundfläche und die 
Eistein getan und nur Zellstoff darüber gebreitet. Im allgemeinen 
ist mehr vor dem Zuviel als vor zu wenig zu warnen. Es folgt 
die Umwicklung der ganzen Fläche soweit der Grps reichen soll mit 
gelber Watte bzw. Holzmuli. Im allgemeinen genügt es für Knie- 
und Ellbogen ge lenk, wenn die Fälle leichterer Art sind, den Gipsver¬ 
band bis etwa zur Mitte des Ober- und Unterarms bzw. -Schenkels 
hinaufreichen zu lassen. Bei den schwereren tut man besser die 
ganzen Gliedteile bis an das nächste Gelenk heran mit in den Ver¬ 
band einzubeziehen. Die Festigkeit des Gipsverbandes ist ge¬ 
währleistet, wenn man ihn an den gesunden Teilen des Gliedes 
oben und unten anmodelliert. Die übrigen Gelenke ausser dem er¬ 
krankten sollen aber frei beweglich bleiben und, wenn auch vor¬ 
sichtig, stets geübt werden. Beim Handgelenk geht man oben bis 
zur Grenze zwischen mittlerem und unterem Drittel, unten werden 
die Metakarpen miteinbegriffen, die sämtlichen FmgeT bleiben frei. 
Bei Schulter und Hüfte wird Brust und Taille mit eingegipst. Da keine 
Lücke im Verband ist, so sitzt er, in dieser Weise angelegt, stets 
•iusgezeichnet. 

Eine besondere Lagerung ist in der Regel nicht nötig. Ich ver¬ 
meide Hochlagerung:, auch Kissen, damit der Kranke sidh nicht 
gewöhnt, das ganze Glied zu sehr als krank anzusehen und jede Be¬ 
legung im gesunden Gelenk zu vermeidten. 

Unmittelbar nach Anlegung des Gipsverbandes fühlt sich der 
Kranke ungeheuer erleichtert. Der feste Verband beseitigt mit einem 
Schlage die dauernd bei ungenügender Schienun* vorhandenen 
Schmerzen, die ihn nie das kranke Gelenk vergessen Hessen. Die 
"ohe Temperatur geht meist nicht mit einemmal, sondern allmählich, 
iber beständig herunter. Noch längere Zeit bestehen oft leichtere 
Temperaturerhöhungen über die Norm. Auch das Allgemeinbefinden 
bessert sich dementsprechend rasch in günstiger Weise. Bettruhe ist 
w Arm nicht immer nötig, doch tut man gut, in der ersten Zeit, bis 
&$ Fieber herunter ist, den Kranken im Bett zu lassen. Am Bein 
versteht sich das von selbst. Später, wenn die ersten Verbandwechsel 
den dauernden Fortschritt zeigen, kann man in beiden Fällen ruhig 
auistehen und herumgehen lassen, vorausgesetzt, dass man ganz syste¬ 
matisch vorgeht. Das Auffallendste ber der Behandlung mit dem 
geschlossenen Gips verband war 1. das schnelle Ab- 
'chwellen der Glieder. Schon deshalb ist es anfangs nötig, 
den Verband alle 8 Tage zu wechseln. In der ersten Woche kann 

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die Umfangsverminderung in extremen Fällen bis 10 cm betragen. 
Später geht die Abschwellung in langsamerem Tempo vor sich. Die 
Abnahme der Schwellung zeigt sich in Runzeiung der Haut. Die 
Farbe der Haut ist blass geworden. 

2. Das rasche Versiegen der Sekretion. Wunden 
und Fisteln, die noch Tag für Tag geradezu ungeheuere Eitermengen 
entleert haben, weisen beim Verbandwechsel nach 8 Tagen zuweilen 
nur die übliche Menge Eiters auf, wie sie bei allen offenen eitrigen 
Wunden täglich beobachtet wird. Auch diese Erscheinung ist be¬ 
sonders im Anfang zu beobachten, begreiflicherweise, weil anfangs 
die Aenderung des Verbandes gegenüber früher am stärksten sich 
geltend machen muss. Ich glaube deshalb auch, dass die Haupt¬ 
wirkung des geschlossenen Gipsverbandes in der Abhaltung jeg¬ 
lichen Reizes ist, der bisher vielfach künstlich, immer von neuem 
genährt wurde Es kann sein, dass die Sekretion anfangs doch noch 
zu stark ist, um gleich von vornherein den Gipsverband ganz zu 
schliessen. In solchen Fällen- beginnt man mit gefensterten Gips¬ 
verbänden. War vorher nur geschient und nicht gegipst, so wirkt 
schon der gefensterte Gipsverband in Bezug auf Ruhigstellung und 
Abhaltung von Reizen so günstig, dass die Besserung des allgemeinen 
wie lokalen Befundes unverkennbar ist. Zum Ziel kommt man aber 
mit dem gefensterten Gipsverband gewöhnlich nicht, da die Feiisterung 
den Reiz auf die Wunde bestehen lässt. Und deshalb soll man so¬ 
bald als möglich zum geschlossenen übergehen. 

M/it dem Verbandwechsel richtet man sich am besten nach der 
Abnahme der Absonderung und Schwellung. Ist die Absonderung 
reichlich und wird der Verband bald zu locker, so wird mau in 
häufigeren Pausen wechseln, später genügen statt 6—8 Tagen 14 Tage 
und 3 Wochen. 

Es braucht nicht hervorgehoben zu werden, dass die Wunde beim 
Verbandwechsel zunächst einen wenig günstigen Eindruck macht. Die 
Verbandstoffe sind durchtränkt von Eiter oder bedeckt mit Eiter¬ 
borken, die sich auch auf der durch die Salbe geschützten Haut - 
befinden. Es ist das Bild, das die ersten Beobachter des geschlos¬ 
senen Gipsverbandes in so hoher Entrüstung schilderten. Sind aber 
Eiter und Eiterborken vorsichtig entfernt, so findet man ausnahmslos 
die Granulationen weit frischer, wie früher, kräftig durchblutet, manche 
Fisteln geschlossen, die Hautränder mit den bekannten, weissblauen, 
neugebildeten Epithelsäumen versehen. Dass Heilungsprozesse auch 
im Knochen vor sich gegangen sind, sieht man daraus, dass meist 
schon Jetzt, sonst bei späterem Verbandwechsel, Sequester oft bis 
zu 3 oder 4 und mehr auf den Granulationen oder im Verband 
liegen, oder so zum Vorschein gekommen sind, dass man sie leicht 
mit der Pinzette entfernen kann. 

Genau in der gleichen Weise wie das erstemal wird der neue 
Verband angelegt. 

Auch wenn die Sekretion gering und die Schwellung zurückge¬ 
gangen ist, rate ich, nie denselben Verband in Schalen wieder anzu¬ 
legen. Er wind nie so fest wie ein zirkulär neu angelegter Gipsver¬ 
band und man hebt dadurch die günstige Eigenschaft des Verbandes 
auf. Grade der exakte Sitz des Verbandes ist von grosser Bedeutung. 
Lose, nicht anmodellierte Gipsverbändö, in denen das Glied keinen 
Halt hat und in denen die Wunde gescheuert werden kann, können 
sogar vorübergehende Verschlechterung bringen. 

Alle eben beschriebenen Veränderungen nehmen nun unter dem 
weiteren Gipsverband ihren Fortgang. Und wenn anfangs die rasche 
Abschwellung und Verminderung der Sekretion am meistert in Er¬ 
staunen setzte, so ist es jetzt der schnelle, spontane Schluss der 
Wunde, den man von Mal zu Mal sich vollziehen sieht. Auch grosse 
Wundflächen bedürfen späterhin meist keiner besonderen Hautdeckung 
durch Plastik oder Transplantation. Zuletzt bleiben nicht selten 
noch eine oder einzelne Fisteln zurück. Sie schliessen sich erst dann, 
wenn der Knochenprozess vollkommen ausgeheilt ist. ‘Es ist ver¬ 
führerisch, diesen Prozess wie in der Diaphyse, so auch 
in der Epiphyse durch Sequestrotomie zu beschleunigen, 
und es ist, wenn man im Röntgenbild, durch das man i a eine £ u t e 
Kontrolle über dSe Veränderungen im Innern hat, an günstig gelegener; 
Stelle einen oder mehrere Sequester sieht, sie operativ zu entfernen,, 
gewiss im allgemeinen nichts dagegen zu sagen. Erlaubt ist 
aber der Eingriff nur dann, wenn man dadurch nicht schadet. Da ich 
so oft habe schaden sehen, bin ich im allgemeinen Gegner allzufrühen 
operativen Handelns geworden. Die Gefahr eines erneuten Aul-, 
flackerns der Entzündung ist gross Man braucht es aber auch In 
der Regel nicht. Wenn man die Wunde und den Verband genau aii- r 
sieht, findet man so oft und regelmässig immer neue kleine Sequester, 
dass man schon daraus erkennt, wie konsequent die Abstossung, des 
abgestorbenen Knochens auf natürlichem Wege unter dem geschlos¬ 
senen Gipsverband vor sich geht. Es kann lange dauern, bis wirklich , 
alles abgestossen ist. Und ich habe deswegen öfter die. Leute vöri 
ihrem Gipsverband befreit und nur einen kleinen Salbenverband mit; 
Heftpflaster oder nur dieses angelegt. Rascher und endgültig kommt 
man aber, wie der Vergleich mir immer wieder gezeigt hat, mit dem 
geschlossenen Gipsverband zum Ziele, und deshalb rate ich, ihn so 
lange zu belassen, bis die Fistel sich ganz geschlossen hat. ' Ich 
weiss, dass man auch dann mit neuem Aufbruch rechnen muss. Die; 
Regel ist es aber nicht. 

In den meisten Fällen, die man in der Heimat sieht, ist es 
mit der Funktion von vornherein vorbei, und es kann nicht wunder- J 
nehmen, wenn sie nicht wiederkehrt Feste Ankylosen (ob knö-- 
cherne oder bindegewebige zeigt das Röntgenbild) ist dann immer 

I« 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




780 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20 . 


das Endresultat, das aber im Hinblick auf die Schwere der Er¬ 
krankung als überaus günstig bezeichnet werden muss, da es 
meist das Glied in einer normalen Stellung zeigt, was man 
bei der Resektion und Aufklappung leider nicht immer sagen kann. 
Selbst nach sekundären Teilresektionen ist dieses Resultat zuweilen 
mit deih geschlossenen Gipsverband erfolgt. Ist ein Jahr nach Schluss 
der Fistel vergangen, so ist eine operative Mobilisierung und Her¬ 
stellung eines neuen Gelenkes durch Interposition möglich. Viel 
besser ist aber der Erfolg in der Regel, wenn früh genug mit dem 
geschlossenen Gipsverband eingegriffen werden konnte. Man spricht 
so viel von dem schädigenden Einfluss des feststellenden Gipsver¬ 
bandes auf die Funktion. Ich kann das, wie ich oben schon betonte, 
gar nicht sagen. Im Gegenteil, obwohl wir alle wissen, dass es mit 
der . Funktion eines Gelenkes schon dann gewöhnlich aus ist, wenn 
ein* Gelenk inzidiert und für längere Zeit tamponiert oder drainiert 
ist (Bier), sah ich in den selbst monatelang behandelten, schweren, 
septischen Gelenken auch dann Beweglichkeit zurückkehren, wenn 
die Knochen zugleich von vornherein stark verletzt waren. Die Be¬ 
weglichkeit war zunächst nur gering, besserte sich öfter, war manch¬ 
mal aber so ausgiebig, dass das Glied in vollem Umfang wieder 
brauchbar war. 

Die Zahl der von mir mit dem geschlossenen Gipsverband be¬ 
handelten Gelenkfälle ist gross. Ich konnte schon im Oktober 
1916 übereine Reihe ausgezeichneter Dauererfolge 
in der militärärztlichen Gesellschaft in Posen be¬ 
richten. Ich habe aber dann noch ein volles Jahr 
gewartet, um weitere Erfahrungen zu sammeln und 
verfüge jetzt annähernd über 70 Fälle die ich teils in 
Posen in 3 zeitweise mir unterstellten Lazaretten, teils ausserhalb be¬ 
handelt habe. Es liegt in den Verhältnissen, dass die von mir be¬ 
handelten Fälle nicht alle bis zum Schlüsse beobachtet werden 
konnten. Immerhin ist auch deren Zahl jetzt gross genug, um allen 
Einwendungen gegenüber gesichert zu sein. (Solchen Einwänden 
gegenüber ist besonders dreierlei hervorzuheben. 1. Kein Todesfall 
kann dem Verfahren zur Last gelegt werden. Ich habe überhaupt 
nur einen einzigen Todesfall in der ganzen Zeit an den 
behandelten Fällen erlebt, obwohl cs sich wirklich zum Teil um sehr 
elende, heruntergekommene Kranke handelte. 

2. Es trat auch nie eine Verschlechterung ein, die auf das Ver¬ 
fahren zu beziehen gewesen wäre. Man könnte ja annehmen, dass 
in dem geschlossenen Gipsverband eine Eiterverhaltung auftreten 
müsste, die sich in allgemeiner Wirkung auf den Gesamtkörper, wie 
in lokaler, durch Auftreten neuer Infektionsherde äussern könnte. 
Nie aber wurde eine Thrombose oder Embolie beobachtet, nie das 
Auftreten neuer Herde in Knochen, Gelenk oder Weichteilen. Auch die 
zugehörigen Lymphdrüsen schwollen nicht an, sondern ab, wenn sie 
schon entzündet waren. Nur zweimal sah ich Anschwellung der 
Lymphdrüsen, als ein Gipsverband schon ganz lose geworden war 
und eine Reibung zwischen ihm und der Wunde stattgefunden hatte. 
Sofort wurde ein neuer, fester, geschlossener Gipsverband angelegt 
und die Lymphdrüsenschwellung ging völlig zurück. Auch eine 
Phlegmone oder ein Erysipel trat nicht auf. Möglich ist letzteres 
bei zu losen Verbänden sehr wohl; denn die Bedingung für sein 
Auftreten, Einreiben der Streptokokken in die durch Scheuern wund¬ 
gemachte Haut ist gegeben. Deshalb rate ich auch zu sorgfältigem 
Schutz der Haut'mit Salbe, wodurch das Erysipel stets vermieden 
werden kann (Ritter). Uebrigens wirkt, wenn er fest liegt, auch 
die absolute Ruhe des Gipsverbandes der Entstehung eines Erysipels 
entgegen. Auch neue Abszesse habe ich nicht während der Behand¬ 
lung entstehen sehen. Sollten sie sich zeigen, so sind sie natürlich 
mit kleinem Schnitt zu inzidieren. 

3. Da keine Komplikationen entstanden, war ich auch nie zum 
operativen Eingreifen genötigt. Ich bemerke das ausdrücklich, damit 
man nicht im Zweifel darüber ist, dass niemals nachträglich ein 
Gliedteil abgesetzt werden musste, nie eine Resektion oder Auf¬ 
klappung notwendig wurde. 

Nachdem die günstigen Erfolge des geschlossenen Gipsverbandes 
bei den Gelenken festgestellt waren, bin ich auch gelegentlich bei 
chronisch eitrigen Knochenschussverletzungen so vorgegangen. Auch 
da hatte ich ältere Erfahrungen schon aus der Friedenszeit, nicht 
nur von der Osteomyelitis her. Auch hier waren die Ergebnisse gut. 
Besonders setzt hier rasche Ueberhäutung der Wunden in Er¬ 
staunen. Interessant war mir die Wirkung des geschlossenen 
Gipsverbandes auf die Knochenfisteln, die die Heimatlazarette so 
unendlich häufig und in grosser Zahl füllen. Mit der völligen Ruhe 
des Gipsverbandes sehen wir auch hier so schnell und gründlich die 
Sequester sich abstossen und die Fisteln zur Heilung kommen, dass 
das Verfahren die Heilungsdauer nach meinen Beobachtungen ent¬ 
schieden abkürzt 2 ). 

Wenn man sich nun nach der Ursache für die günstige Wir¬ 
kung des geschlossenen Gipsverbandes bei diesen schweren Eite¬ 
rungen an den Gelenken (und Knochen) fragt, so muss man sie wohl 
in folgendem suchen: 

Zunächst kommt natürlich die absolute Ruhe, die der Gipsverband 
als solcher mit sich bringt, in Betracht. Mit der völligen Unmöglich- 


*) Wo die Sequester im Röntgenbild sicher und leicht erreichbar 
erschienen, haben wir sie in der vorsichtigen Art, auf die Klapp 
mit^echt hingewiesen hat und wie sie von mir seit langem geübt wird, 
natürlich stets entfernt. 


Digitized by Go, sie 


keit irgendwelcher Bewegungen, hören, was besonders bei den Ge¬ 
lenkeiterungen von grösster Bedeutung ist, die Schmerzen auf. Damit 
hebt sich das Allgemeinbefinden. 

Wichtiger ist die mit der absoluten Ruhe einsetzende, ver¬ 
minderte Resorption von Infektionsstoffen, die sich denn auch bald 
in Nachlassen des Fiebers äussert. Ganz lässt die Resorption zwar 
nicht nach. Sonst käme auch keine wirkliche Heilung zustande. Denn 
ohne Resorption gibt es keine eigentliche Heilung, sondern nur Ab¬ 
kapselung. Aber die Resorption wird ausserordentlich verlangsamt, 
da das wichtigste Mittel der Resorption, die Muskelaktion, fortfällt. 
Dass wirklich noch weiter resorbiert wird, zeigt sich darin, dass das 
Fieber nicht mit einem Schlage fort ist, sondern oft nur ganz allmäh¬ 
lich abfällt und in geringen Graden bei schweren Infektionen noch 
längere Zeit fortbestehen kann. 

Man wird mir einwenden, dass diese Wirkung des geschlossenen 
Gipsverbandes jedem Gipsverbande zukommt. Theoretisch ja, prak¬ 
tisch sehr oft nicht; denn sehr oft sind die Wunden bei den Schuss¬ 
verletzungen so ausgedehnt, dass, wenn man sie im Gipsverband 
vollständig offen freilegen will, die Verbindungsbrücken nur schmal 
sein können. Deshalb sind ja auch von manchem so gern besondere 
Gipsbügel mit Eisen oder Schusterspanunterstützung benutzt. Ist 
der Gipsverband gut mit Watte unterpolstert, so schmiegt sich, wenn 
auch im allgemeinen eine Art Festigkeit des Gliedes hergestelit wird, 
der Gipsverband am Gliede oben und unten gewöhnlich, nicht so fest 
an, dass Verschiebungen, Reibungen der Gelenkflächen und Be¬ 
wegungen der Muskulatur ausgeschlossen sind. Ich habe in solchen 
uns zugehenden Fällen sehr oft gesehen, dass die Verschiebungen 
sogar recht ausgiebig schon bei jeder Bewegung der Zehen oder 
Finger vor sich gingen. Das ist nun aber beim geschlossenen Gips¬ 
verband nicht möglich. Da die ganzen Wundflächen mit in den Ver¬ 
band einbegriffen sind, ist auch eine Verschiebung so gut wie aus¬ 
geschlossen. 

Zum mindesten ist also das Prinzip der Ruhigstellung bei ge¬ 
schlossenem Gipsverband ganz anders gewährleistet als bei offenem. 

Dazu kommt nun aber noch die Ruhigstellung auch der Wunde 
selbst. Ich habe auf die ausserordentlich schnelle Abschwellung 
und Sekretionsabnahme hingewiesen. Beides ist, wie ich schon auf 
dem Chirurgenkongress 1913 für die Behandlung der Tuberkulose 
mit dem Gipsverband ausführte, meines Erachtens die Folge davon, 
dass die sonstigen, steten Reize auf die Gefässnerven aufhören. Wo 
die Reize nachlassen, muss auch die Folge des Reizes, die Absonde¬ 
rung und entzündliche Schwellung der Gewebe, geringer werden. Ich 
erinnere hierbei an das Fenster bei der H a c k e n b r u c h sehen 
Klammerextension. Hackenbruch schildert sehr richtig, wie an 
dem Gipsfenster, allein schon infolge des Hautreizes durch die Frei¬ 
lassung vom Gips, ein mächtiges Oedem eintritt, das er für die rasche 
Heilung des Knochenbruches mitverantwortlich macht. Umgekehrt 
sehen wir in unserem Falle beim geschlossenen Gipsverband das 
vorhandene, oft gewaltige Oedem schwinden, überhaupt die ganzen 
Entzündungsphänomene zurückgehen. Mit der Verminderung der 
Resorption, dem Nachlassen der Reaktionserscheinungen auf die In¬ 
fektion werden Kräfte frei, die der Reparation gelten, der Lösung und 
Ausstossung der Sequester, die ungestörter und schneller vor sich 
gehen. Blut und Gewebe erschöpfen sich nicht mehr in der Abwehr 
der Infektion, sondern haben Zeit und Kraft für diese nun wichtigsten 
Zwecke. Die frischroten, überquellenden, alle Buchten und Fisteln 
ausfüllenden Granulationen sind dafür ebenso Beweis, wie der so 
überaus häufige Befund von kleinen Sequestern, die fast in jedem 
Verband auf diesen Granulationen liegen. 

Ich habe ferner in einigen Fällen Beobachtungen im Röntgen¬ 
bild dafür, dass unter der Behandlung eine langsame aber totale Auf¬ 
zehrung der Sequester stattfindet, ähnlich der Heilung ohne Auf¬ 
bruch bei akuter Osteomyelitis, die ich oben erwähnte. 

Wichtiger als sie sind die bindegewebige und knöcherne Ver¬ 
einigung der verletzten Knochenteile (zu bindegewebiger, knöcherner 
Ankylose) und andererseits die Wiederherstellung der teilweise zer¬ 
störten knöchernen Gelenkteile .zur Ermöglichung späterer Gelenk¬ 
funktion, wie wir sie gar nicht so selten trotz des feststellenden Gips¬ 
verbandes beobachten. 

Andererseits darf man aber nicht einfach annehmen, dass es sich 
letzten Endes nur um Fernhaltung jeglichen Reizes als Ursache des 
Gipsverbandes handelt. Denn in gewisser Weise übt auch der Dauer- 
verband eine Art Reiz aus, wie der Druck eines Tampons zu leb¬ 
hafter Granulationsbildung, der Druck auf die epithelisierenden Flächen 
Epithelproliferation hervorruft. 

Dieser dauernde Druck, ferner die dauernde gleichmässige Wärme 
des Gipsverbandes, ruft eine Hyperämie hervor, die zwar gering ist. 
aber doch nicht ganz als Heilfaktor im Sinne Biers übersehen wer¬ 
den darf. Immerhin spielen diese Reize wohl eine wenigstens iin 
Anfang geringere Rolle als die Ruhigstellung. 

Wie ich schon eingangs dieser Arbeit erwähnte, bin ich davon 
überzeugt, dass der Vorschlag, einen geschlossenen Gipsverband bei 
schweren, eitrigen Erkrankungen der Gelenke (und Knochen) anzu¬ 
legen, auf Widerspruch stossen wird. Daran werden auch die Er¬ 
folge und die Möglichkeit, ihre Wirkung zu erklären, nichts 
ändern. Man wird -dem entgegenhalten, dass unsere Anschauungen 
und unser bisheriges Handeln diesem Vorschlag zu sehr entgegen¬ 
ständen. 

Aber auch das ist nicht richtig. Wer deshalb glaubt, der Me¬ 
thode von vornherein jede Berechtigung absprechen zu können, den 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



16. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


781 


möchte ich an die Tatsache erinnern, dass wir ähnliche Verfahren 
schon seit langem und mit gutem Erfolge üben. 

1. Ich weiss noch sehr wohl, wie wenig sympathisch es mich als 
Eini.-Arzt berührte, der ich eben aus der streng aseptischen Schu¬ 
lung der Kieler Klinik kam, als ich im Rendsburger Lazarett 1895 sah, 
wie oberflächliche granulierende, schlecht heilende Wunden ohne 
aseptische Unterpolsterung direkt mit dem doch gewiss nicht asepti¬ 
schen Heftpflaster beklebt wurden. Manche verwenden das gleiche 
Verfahren ja auch bei chronischen Unterschenkelgeschwüren. An der 
Tatsache, dass darunter die Epidermisierung rasch vonstatten geht, 
ist aber nicht zu zweifeln, obwohl die Wunde dabei stark gereizt 
wird und nicht unerheblich eitert. 

2. Einen ähnlichen Abschluss machen wir bei der Transplantation 
nach Thiersch mittels des unmittelbar auf die Läppchen gelegten 
Protektivsilks. Nicht selten ist die Sekretion nicht ganz gering. 
Trotzdem heilen die Läppchen an, ich habe sogar immer den Eindruck 
gehabt, dass die noch vorhandenen Epithelinseln und der Epithelsaum 
v el lebhafter zur Proliferation angeregt werden, also ohne den festen 
Abschluss. Auch hier keine aseptisch aufsaugende Schicht dazwischen 
i;nd trotzdem kein Schaden. 

3. Die meisten Aerzte von heute halten es für richtig, auch bei 
eiternden Wunden den sogen, aseptischen Verband möglichst lange 
auf den Wunden liegen zu lassen. Sie haben ja drainiert und tampo¬ 
niert und glauben nun, dass die Wundsekrete durch das Drainrohr 
oder die kapilläre Aufsaugung des Tampons genügend nach aussen 
abgeleitet werden. In Wirklichkeit ist natürlich von aseptischem 
Verband keine Rede. Es ist eigentlich ein Eiterverband, da der keim- 
Treie Verbandstoff sich sofort mit Wundsekret vollsaugt und gefüllt 
bleibt. Aber auch von Drainage ist gewöhnlich keine Rede. Sieht 
man sich solche langliegenden' Verbände beim Verbandwechsel an, 
so sind sehr oft die Drains 3 ) verstopft und sehr oft ist das Sekret 
an dem oberflächlichen Tupfer fest eingetrocknet 4 ), und er bildet in¬ 
folgedessen einen recht vollständigen Abschluss der Wunde. Erst 
wenn er entfernt wird, quillt das Sekret aus der Tiefe reichlich her¬ 
vor. 

Man kann sehr darüber streiten, ob im Früh¬ 
stadium einer schwer infizierten Wunde ein 
solcher 'Dauerverband richtig ist, später ist 
tr ungefährlich und zur Anregung von Granu¬ 
lationen durch den Reiz dies eitrigen Tampons 
sogar gut. Nur darf man nicht von ihm behaupten, dass 
er das Gegenteil eines abschliessenden Verbandes ist. . Wer 
ihn so sehr verteidigt, hat keinen Grund, den geschlossenen 
Verband für schädlicher zu halten. 

4. Schliesslich erinnere ich an Ernst v. Bergmann. Wohl auf 
keinen hat man sich in allen neueren Kriegen und so auch in diesem 
bei der Behandlung der Schusswunden so oft berufen, als auf ihn, 
Jer seine glänzenden Resultate im Russisch-Türkischen Kriege der 
absoluten Ruhigstellung durch den Gipsverband verdankte. 

Er versuchte im Beginn jenes Krieges bei Knieschüssen erst 
nach Volkmanns Vorgang das antiseptische Verfahren: breite 
Eröffnung des Gelenks, Entfernung der Kugel, Ausspülung mit Karbol- 
’nsung. Drainage, dann die Resektion. Beide Male mit schlechtestem 
Resultat. Tod an Pyämie 2—3 Wochen später. In der Not liess er 
daher in der Folge die Wunden unberührt, packte Watte darauf und 
legte das Glied in Gips. Der Erfolg war der, dass in einer Serie 
von 15 Knieschüssen nur einer starb = 0,6 Proz., während noch 
:rn amerikanischen Kriege von 1000 = 837 gestorben waren. 

Man hat aber anscheinend dabei ganz vergessen, dass Berg¬ 
mann nicht den gefensterten oder überbrückten Gipsverband an¬ 
wandte — der war schon damals nicht neu, stammte für den Krieg 
vielmehr von Langenbeck —, sondern ihn geschlossen an- 
!egte. Er blieb sogar so wochenlang liegen, wurde nur bei besonderen 
Störungen entfernt. Er musste vielfach schon aus dem Grunde lange 
liegen bleiben, weil die Fahrt vom Hauptverbandplatz, wo'Berg- 
m a n n arbeitete, bis zu den Kriegslazaretten lang und beschwerlich 

’A «IT, 

Man sieht: Bergmanns Verfahren deckt sich praktisch voll¬ 
kommen mit dem, was. als es in diesem Kriege geschah, von allen 
Seiten getadelt wurde. Gerade die, die sich immer auf Bergmann 
bei all ihrem Tun beriefen, hätten also eigentlich am wenigsten 
Grund gehabt, den geschlossenen Gipsverband zu rügen. 

Man wird allerdings einenden, dass Bergmanns Fälle 
Jcrchaus anders lagen, und nach allem, was wir von Bergmanns 
Ansichten über die Behandlung von Eiterungen wissen, hätte ihm ein 
Vorschlag, eitrige Gelenkschüsse mit geschlossenem Gipsverband zu 
behandeln, ganz gewiss durchaus ferngelegen. 

Bergmann ging genau so wie wir in diesem Kriege, von 
v-em Gedanken aus, dass die Schüsse zwar theoretisch möglicherweise 
infiziert, praktisch aber so gut wie aseptisch waren, und es kam ihm 
nur darauf an, sie vor Schädigung von aussen her zu schützen, um 
vie so aseptischer Heilung entgegenzuführen, wie er denn selbst 


3 ) Ucber den Wert der Drainage denken wir ja überhaupt neucr- 
d;ngs anders als früher. Ich verweise besonders auf die sehr lesens¬ 
werte kritische Arbeit eines Schülers von Payr in der D. Zschr. f. 
Chir. vor 2 Jahren, der Payrs interessante Ideen wiedergibt. 

•) Er schliesst nur den Eiter ab, nicht die Einwanderung anderer 
Bakterien in die Wunde, nicht mal den rühmenden Namen eines keim¬ 
freien Schutzes verdient der aseptische Verband. 

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schreibt, dass er durch den sofortigen festen Verband die Wunden 
vor der neuen metallischen Noxe des Sondierens gehütet habe. Man 
hat nun die Sache vielfach, ja allgemein, so dargestellt, als ob 
Bergmann in der Tat praktisch aseptische Wunden vor sich ge¬ 
habt habe, die unter der schützenden Decke des Gipsverbandes auch 
aseptisch geheilt wären. 

Das ist aber nicht so: Bergmanns Fälle betrafen „Wunden, 
die lange auf dem Schlachtfeld gelegen hatten und zum TeH nach 
30—48, 4 sogar nach 60 Stunden versorgt wurden. Sie waren mit 
Watte aus Taschen, die wochenlang durch Kot und Staub geschleppt 
waren, bedeckt. Die Watte war zu gleichen Teilen mit organischem 
und unorganischem Schmutz durchseucht. Man wird mir also wohl 
Recht geben, wenn ich behaupte, dass sie eigentlich von vornherein 
nicht gerade die Bedingungen für eine aseptische Wunde besassen. 

Aber auch die Resultate waren keineswegs rein aseptische Hei¬ 
lung. Von der besonders eindrucksvollen zweiten Reihe von Knie¬ 
schüssen heilten 8 zwar ohne oder fast ohne Eiterung, dagegen eiter¬ 
ten 7 (2 wenig, 5 mehr), 3 mussten deswegen sogar amputiert wer¬ 
den, und einer von ihnen starb. 

Von durchweg aseptischer Heilung kann man danach doch wohl 
kaum sprechen, wenn es sich um eigentlich praktisch-aseptische 
Schusswunden gehandelt hätte, musste das Resultat nach Wochen 
aseptischer Behandlung unter der absoluten Ruhigstellung anders sein. 

Ich glaube aber, man muss aus diesen Beobachtungen Berg¬ 
manns einen anderen Schluss ziehen: 

Wir stehen ja jetzt nicht mehr auf dem Standpunkt der Berg¬ 
mann sehen Zeit, dass die Eiterung von aussen nachträglich an die 
Wunde herangekommen ist, sondern wissen besonders durch unsere 
jetzigen so reichen Kriegserfahrungen, dass das Geschoss selbst den 
Infektionträger darstellt, wie denn ja auch fast alle Schussverletzungen 
nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch infiziert sind, einerlei 
ob die Infektion rasch überwunden wird, oder längere Zeit latent 
bleibt, ob sie verhältnismässig harmlos verläuft, oder aber zu 
schwerer Eiterung führt. 

Wenn es deshalb in Bergmanns Fällen (auch nach der Be¬ 
handlung mit der absoluten »Ruhe des Gipsverbandes) so oft zur 
Eiterung kam, so war auch das die Ursache der primären Infektion 
durch das Geschoss. 

Ich ziehe aus seinen Beobachtungen den Schluss: 

Es handelte sich in seinen Fällen nicht um aseptische Wunden, 
die nun auch eigentlich selbstverständlich aseptisch heilen, sondern 
um infizierte, zum Teil sogar schwer infizierte Verletzungen, die 
ebenso selbstverständlich eitern mussten. Trotzdem schadete der ge¬ 
schlossene Gipsverband ihnen nichts, sondern nützte und brachte den 
grössten Teil derselben zu guter Heilung, wie ich auch nicht glaube, 
dass de ersten geschlossenen Gipsverbände in diesem Kriege trotz 
der Eiterung so viel geschadet haben. 

Vielleicht tragen auch diese und ähnliche Uebertegungen dazu 
bei, meinen Vorschlag etwas weniger „unannehmbar“ erscheinen zu 
lassen. Jedenfalls bitte ich, vorurteilsfrei 6 ) an das Verfahren heran¬ 
zugehen. 

Aus der medizinischen Klinik Giessen (Prot. Dr. Voit). 

(Jeber den Cholesteringehalt des Blutserums bei 
Krankheiten. 

Von Prof. Dr. Wilhelm Stepp, Oberarzt der Klinik. 

Das Cholesterin gehörte bis vor wenigen Jahren zu den Körper¬ 
bausteinen, über deren physiologische Bedeutung man nur wenig 
wusste. Das ist um so merkwürdiger, als es als sog. primärer Zell¬ 
baustein, der sich in gleicher Weise in jeder tierischen und pflanzlichen 
Zelle findet, schon lange bekannt war. Uebrigens hat das Cholesterin 
vor vielen Stoffen, besonders vor den eigentlichen Vertretern der sog. 
Zelllipoide, zu denen es gerechnet wird, den Vorzug, ausserordentlich 
widerstandsfähig zu sein, so dass sich wenigstens von dieser Seite 
für den Untersucher keine Schwierigkeiten ergeben. Der Hauptgrund 
dafür, dass das Cholesterin lange Zeit so wenig Aufmerksamkeit fand, 
lag in dem Mangel an guten undl nicht zu zeitraubenden Bestimmungs¬ 
methoden. In den letzten 10 Jahren sind mehrere derartige angegeben 
worden, und eine grosse Zahl von Forschern hat sich mit dem Studium 
des Cholesterins beschäftigt, so dass schon fetzt eine recht umfang¬ 
reiche Literatur darüber vorliegt*). Von den deutschen Autoren, die 
hier wertvolle Beiträge lieferten, seien u. a. Pribram, Hermann 


ß ) Manche Vorurteile sind inzwischen durch die etwa 54 Jahr 
nach meinem Vortrage erschienene Arbeit von Bier beseitigt, in der 
Bier zeigen konnte, dass das Auflegen eines undurchlässigen Deck¬ 
verbandes (Gaudafil) den Wunden nicht nur nicht schadet, sondern 
de Granulationsbildung mächtig anfacht und, worauf es ihm ankam, 
die Regeneration der Gewebe, besonders des Knochens (zur Aus¬ 
füllung grosser Knochenhöhlen), anregt. Allerdings ist ja der Ausgang 
beider Vorschläge recht verschieden. 

*) Vergl. Hugo Pribram: Der heutige Stand unserer Kenntnisse 
über die klinische Bedeutung des Cholesterins, M.K1. 1914 Nr. 28 

S. 1195. Hier findet sich die Literatur sehr vollständig verzeichnet 
und ich verzichte daher in meiner Arbeit auf einzelne Hinweise. 

Original from 

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78 2 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 29. 


und Neumann, Bac meist er und seine Mitarbeiter, Asch off 
und seine Schüler, Weltmann, Klinke rt, Beumer und Bür¬ 
ger, sowie Wacker und Hueck genannt. Halten wir uns an das, 
was als sicherer Besitz der Forschung schon jetzt angesprochen wer¬ 
den darf, so ist über den Stoffwechsel <fes Cholesterins Folgendes zu 
sagen: das Cholesterin wird als primärer Zellbestandteil mit der 
Nahrung, die zum grössten Teile aus tierischen oder pflanzlichen Ge¬ 
weben besteht, dauernd aufgenommen. Aus dem Darme resorbiert, 
gelangt es ins Blut, dessen Cholesterinspiegel bei vermehrter Zufuhr 
sofort ansteigt. Als Ausscheidungsorgan kommt wohl ausschliesslich 
die Leber in Betracht, die es mit der Galle in den Darm abgibt. Im 
Darm finden sich also das Cholesterin (bzw. die Phytosterine) der 
Nahrung und das zur Ausscheidung bestimmte Cholesterin der Galle 
zusammen. Was nun hiervon resorbiert, was als Koprosterin mit 
den Fäzes ausgeschieden wird, lässt sich natürlich so nicht ent¬ 
scheiden, sondern hier muss der Versuch am Gallenblasenfisteltier 
Aufschluss geben. Er zeigt uns, dass jede Mehrzufuhr von Cholesterin 
mit der Nahrung beantwortet wird mit einer Mehrausscheidung durch 
die Galle. Auch hier wird also wie bei allen Stoffen, düe dauernd mit 
der Nahrung zugeführt werden, die Ausfuhr genau auf die Einfuhr ein¬ 
gestellt sein müssen, wenn es nicht zu einer Anhäufung des Chole¬ 
sterins im Körper kommen soll. Leider ist es bisher noch nicht 
möglich gewesen, diese Fragen genauer zu verfolgen. Das liegt 
daran, dass „das Cholesterin der Nahrung“, wie ich mich kurzweg 
ausgedrückt habe, durchaus nicht nur als Cholesterin aufgenommen 
wird, sondern vielfach in Form der sog. Phytosterine. Aiuderen 
Verwandtschaft mit dem Cholesterin ist zwar kein Zweifel, aber sie 
sind chemisch noch weniger bekannt als dieses und ähnlich verhält 
es sich mit dem Koprosterin. Wir sind hier also nicht in der glück¬ 
lichen Lage, wie beim Eiweiss eine genaue Bilanz aufstellen zu 
können. Dagegen können wir das Cholesterin im Blute leicht be¬ 
stimmen und durch Beachtung der hier auftretenden Verschiebungen 
unter Umständen wichtige Aufschlüsse erhalten. Beim Gesunden 
schwankt der Cholesteringehalt des Blutes in enven Grenzen. Unter 
den besonderen Verhältnissen der Schwangerschaft ist er ganz regel¬ 
mässig erhöht. In krankhaften Zuständen findet man ganz erhebliche 
Abweichungen von den Mittelwerten beim Gesunden, und zwar so¬ 
wohl eine Vermehrung wie eine Verminderung. Die Zahl der bisher 
mitgeteilten Untersuchungen ist jedoch noch verhältnismässig klein, 
sodass weitere Forschungen dringend erwünscht scheinen. 

Von den Methoden der Cholesterin bestimmung 
sind heute vorzugsweise zwei in Verwendung: die von Windaus*) 
angegebene Digitoninmethode und die kölorimetrische 
von Autenrieth und Funk 8 ). Die erstgenannte, eine ausser¬ 
ordentlich schöne und elegante, aber doch recht zeitraubende Methode, 
kommt überall da in Frage, wo man freies und gebundenes Cholesterin 
nebeneinander bestimmen will; sie eignet sich in gleicher Weise für 
Flüssigkeiten wie für Organe. Das Autenrieth-Funk sehe Ver¬ 
fahren wird vor allem dem Bedürfnis des Klinikers nach einer rasch 
ausführbaren, genügend genauen Methode gerecht. Vor kurzem haben 
Wacker und H u e c k 4 ) eingehend die beiden Methoden in kritischen 
Studien geprüft und dabei die grosse Genauigkeit der kolorimetrischen 
Bestimmungsweise von Funk und Autenrieth bestätigen körnten. 

Während des letzten Jahres habe ich an einem beträchtlichen 
Material, das alle möglichen Krankheiten umfasst, Erfahrungen über 
den Cholesteringehalt des Blutes gesammelt und! mich dabei der er¬ 
wähnten kolorimetrischen Methode von Funk und Autenrieth 
bedient. Vorwegnehmen möchte ich gleich, dass auch ich sie als 
ein leicht ausführbares, exaktes Verfahren kennen gelernt habe, örs 
sich überall da, wo man grössere Untersuchungsreihen anstellen will, 
empfiehlt. Allerdings muss betont werden, dass das Gesagte nur 
da uneingeschränkt gilt, wo man das Serum untersuchen will. Ar¬ 
beitete ich mit G e s a m t b 1 u t. so hatte ich öfters erhebliche Schwie¬ 
rigkeiten, ein farbloses Extrakt zu bekommen, besonders bei Be¬ 
nutzung der einfacheren und kürzeren Chloroformmethode 8 ). Solche 
Schwierigkeiten entstanden nie, wenn das untersuchte Serum, wie 
meist, vollkommen klar und frei von gelöstem Hämoglobin war. 

Das Blut wurde den noch nüchternen Patienten frühmorgens mit 
der Aderlassnadel aus der Vena mediana entnommen und in einem 
sauberen, trockenen Reagenzglas aufgefangen, dieses verschlossen 
mehrere Stunden stehen gelassen, bis das Serum sich klar abgesetzt 
hatte. 

Mein Material umfasst über 100 Fälle, die zum Teil mehrmals 
untersucht wurden. Die vielfach recht interessanten Einzelheiten, düe 
sich dabei ergaben, werde ich an anderer Stelle ausführlich mitteilen. 
Die wichtigsten Ergebnisse bringe ich im Folgenden. 

'Bei Gesunden fanden sich Werte zwischen 0.13 und 0,17g 
in 100ccm Serum. Die Grenzen sind mit diesen Werten weit ge¬ 
steckt, so dass Zahlen unter 0.13 und über 0.17 nach meiner Erfahrung 
als sicher pathologisch gelten können. Autenrieth und Funk 
geben als Grenzzahlen 0.14 und 0,16 an, Bacmeisters Mitarbeiter 
Henes*) 0,11—0,182 mit einem Durchschnitt von 0,148. In der 


*) Zschr. f. ühvsiol. Chem. 65. 1910. S. 110. 

3 ) M.m.W. 1913 S. 1234. 

*) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 71. S. 373. 

8 ) Nach Autenrieth und Funk kann man sowohl Chloroform 
als Aether zur Extraktion des Cholesterins verwenden. (Näheres 
siehe in der zitierten Arbeit.) 

9 ) D. Arch. f. kl. Med 111. 1913. S. 132. 


gleichen Höhe bewegen sich die Werte der französischen Autoren 
(Chauffards und seiner Schüler, Grigauts usw.). 


Diabetes mellitus. 

Der Diabetes mellitus ist diejenige Krankheit, bei der wohl zu¬ 
erst eine starke Vermehrung des Cholesterins iin Blute gefunden 
wurde. Bekanntlich machten Klemperer und Umber als erste 
darauf aufmerksam, dass es sich bei der diabetischen Lipämie 
weniger um eine Lipämie als vielmehr um eine Lipoidämie 
handelt. Diese Angaben wurden von anderen Autoien bestätigt, und 
man hat bei schweren Diabetesfällen mit Lipämie sehr hohe Chole¬ 
sterinwerte gefunden. Ich habe im ganzen 21 Zuckerkranke unter 
meinen Fällen. Bei allen wurde neben dem Cholesterin auch der 
Blutzucker — dieser jedoch im Gesamtblut — bestimmt. Bei 8 von 
ihnen handelt es sich um Soldaten, bei denen wiederholt Zucker im 
Harn festgestellt war und die der der Klinik angegliederten Beob- 
achtungsstation zur Entscheidung über die Diensttauglichkeit über¬ 
wiesen worden waren. Bei allen hatte die Blutzuckerbestimmung 
(morgens nüchtern!) leicht erhöhte Werte ergeben 7 ). 


Tabelle 1. 


— 


Zucker im 

Cholesterin 


Fall 

Name, Alter 

Oesamtblut 

im Serum 

Bemerkungen 



ln Proz. 

in Proz. 



24 

13 

17 

14b 


16 

19 

20 
5 
3 

18 

11a 

14a 


1. Reihe 

Bä., 39 Jahre, Soldat 0,116 0,137 

Ni., 40 Jahre, Soldat 0,135 0,210 

05,22 Jahre, Soldat 0,136 0,127 

Stei., 22 Jahre, Soldat 0.137 0,096 

Stern , 30 Jahre, Soldat 0,148 0,158 

Gu., 37 Jahre, Leutnant 0,t62 0,111 

Bo, 62 Jahre. Landwirt 0,167 0,127 

Ep , 42 Jahre, Soldat 0,176 0,143 

He., 50 Jahre 0,176 0,116 

2. Reihe 
0,180*) 

0,148 
0,153 

0,265 
0,266») 

0,200 
0,153 
0,178 
0,524 


Ba., w , 17 Jahre 0,196 

AU., 43 Jahre 0,200 

Ne., 47 Jahre, Soldat 0,227 

Mo., 53 |ahre 0,227 

We., 48 Jahre 0,227 

He., w., 54 Jahre 0,236 

FL. w., 55 Jahre 0,245 

Bai., w., 29 Jahre 0,293 

Qol., 46 Jahre 0,310 


Schu., 29 Jahre, Soldat 0,321 

Mo., 43 Juire, Soldat 0,314 

Leh., w., 42 Jihre v 0,333 
WeL, w., 27 Jahre 0,328 

We., 45 Jahre 0,370 

Tr6., w., 49 Jahre 0,396 

Ba., w., 17 Jahre 0,418 

We., 48 Jahre 0,473 

*) Vergl. d<e 1. Untersuchung des 

») ” 2 . ” " 
*) i» tt 2. „ „ 


2. Untersuchung (4 Wochen nach 
der 1. Untersuchung). 
Oangrln einer Zehe. 

Azotimie. 
nach 


0,364 
0,22 
0.235 
0,173 
u.210 
0,266 
0,306») 

0,307«) 

gleichen Falles bei 11a. 

>. „ Ha. 

.Hb. 

„ „ „ 14b. 


Sehr starke Llpftmie; von 35 ccm 
Blut setzen sich 15 ccm als 
weisse Rahmschicht ab. Be¬ 
stimmungen nach Windaas. 
Lipimisches Serum. 

Beträchtliche AdlposiL 


Serum lipfimiach. 
1. Untersuchung. 
1. Untersuchung. 


Mit Ausnahme von Fall 21, bei dem ich vor 2 Jahren, bevor ich 
mit der F u n k - A u t e n r i e t h sehen Methode arbeitete, wegen der 
bestehenden starken Lipämie das Cholesterin im Gesamtblut bestimmt 
hatte, ist kein Fall zu den ganz schweren zu zählen, es handelt sich 
vorwiegend um leichte und mittelschwere Fälle. Wir können uns 
des Eindruckes nicht erwehren, dass die grössere Zurückhaltung in efer 
Fettdarreichung an Diabetiker, zu der wir durch die Kriegsverhält¬ 
nisse gezwungen sind, durchaus günstig gewirkt hat. Wir haben in 
der letzten Zeit keine auch nur annähernd so schwere Azidosis und 
Lipämie gesehen, wie wir sie früher so häufig beobachten konnten. 
Auch Fälle von C o.m a diabeticum kamen bei uns im letzten 
Jahre nicht mehr zur Aufnahme 8 ). 

In Tabelle 1 sind die Fälle nach ihrem Blutzuckergehalt steigend 
geordnet. Unter den in der ersten Reihe zusammengestellten 9 Fällen 
mit einem Blutzucker zwischen 0,116 und 0.176 Proz. ist nur bei 
einem ein erhöhter Cholesterinwert zu verzeichnen (Fall 2 mit 
0,135 Proz. Blutzucker und 0,21 Proz. Cholesterin). Da alle Pa¬ 
tienten bei der Blutentnahme, die regblmässig morgens vorgenommen 
wurde, noch nüchtern waren, darf eine alimentäre Hypercholesterin- 
ämie als ausgeschlossen gelten. 'Bei den übrigen Fällen mit nur ge¬ 
ringer Blutzuckererhöhung ist der Cholesterinwert im Blut normal. 

Vondeninder2. Reiheaufgeführtenl5Diiabetes- 
kränken mit einem Blutzucker zwischen 0,196 und 
0,473 Proz. zeigen 12 eine deutliche Hyperchole- 
sterinämie und nur 3 von ihnen normale Werte. Im 
Falle 21 mit dem sehr hohen Cholesterinwert von 0.524 Proz. 


7 ) Für die Ueberlassung der Fälle bin ich dem ordinierenden 
Arzt der Beobachtungsstation, Herrn Stabsarzt Dr. T h a u, zu Dank 
verpflichtet 

8 ) Verse weist in einer vor zwei Jahren erschienenen Arbeit 
(M.m.W. 1916 Nr. 30) darauf hin, dass in dem zurückliegenden Jahre 
im Leipziger pathologischen Institut kein Fall von Coma diabeticum 
mehr zur Sektion gekommen sei und erklärt diese Erscheinung gleich¬ 
falls mit der fettarmen Kost. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

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If. Juli 191S. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


783 


bestand eine aussergewöhnlich starke L i p ä m i e, das Blut 
setzte nach kurzem Stehen eine Rahmschicht ab, die mehr 
eis % des Gesamtvolumens betrug. Die Fälle mit normalem 
Cholesterinwert erwiesen sich auch sonst als leichte Formen. 
Im übrigen konnte man sagen, dass, je sch werer sich ein Fall 
klinisch verhielt, desto höher sein Cholesterinwert 
; m Blute lag. Jedenfalls besteht kein einfacher Parallelismus 
zwischen der Höhe des Blutzuckers und der des Cholesterins, wie 
ein Blick auf die Tabelle lehrt. Eine Besserung des ganzen Krank¬ 
heitsbildes mit Verschwinden des Zuckers aus dem Harn und Absinken 
des Blutzuckers scheint freilich auch stets mit einer Verminderung der 
Cholesterinämie einherzugehen. Das zeigen.sehr deutlich die Fälle 11 
und 14. 

Fall II. Blutzucker jn Proz. Cholesterin in Proz. 



0,418 

0,306 


0,196 

0,189 

Fall 14. 

0,473 

0,307 


0,227 

0,286 


Wie man sich die Cholesterinvermehrung beim Diabetes erklären 
kann, soll später besprochen werden. Ich möchte hier nur noch be¬ 
merken. dass ich bei einem pankreasdiabetischen Hunde 
einen Tag nach der Pankreasexstirpation einen Cholesterinwert von 
'\2 Proz. fand (bei einem Blutzucker von 0,319 Proz.). Die bisher beim 
menschlichen Diabetes ausgeführten Untersuchungen stimmen mit 
meinen Ergebnissen durchaus überein. 


Erkrankungen der Leber und der Gallenwege. 

Merkwürdigerweise liegen gerade bei Leber- und Gallengangs¬ 
erkrankungen' mir wenige Bestimmungen des Blutcholesterins vor, 
obwohl man bei der wichtigen Rolle der Leber als Ausscheidungs¬ 
organ für das Cholesterin gerade hier starke Veränderungen erwarten 
möchte. Besonders muss das für den Gallengangsverschiuss gelten. 
Untersuchungen haben denn auch beim Retentionsikterus 
starke Hyercholesterinämie ergeben. Unter den von mir untersuchten 
Kranken fand sich eine ganze Reihe mit völligem Gallengangsver¬ 
schluss. dessen Ursache ein Tumor oder entzündliche Veränderungen 


FaU 

Krankheit 

Cholesterin 
In Proz. 

Bemerkungen 

I 

Sarkommetastasen in der Leber 
bei prim. Chorioidealsarkom 

0,122 

Starker Ikterus, Stuhl gefärbt. 

9 

Leberkarzinom, prim. Karzi¬ 
nom de« Pankreaskopfes 
antoptisdi bestätigt, Chole¬ 
sterinstein in der Gallen¬ 
blase; enorm grosse Leber, 
fast ganz ans Krebsknoten 
bestehend 

0,336 

Stuhl sehr hell, aber nicht ganz ent¬ 
färbt. 

2. Untersuchung 14 Tage später. 

4 

Leberkarzinom* (prim. Oallen- 
blasenkarzinom ?) 

0,127 

Völliger Choledochusverschluss. 

1» 

OaBenbiaaenkarzinom .... 

0,153 

Völliger Gallengangsverschiuss, Stoflil 
dauernd entfärbt. 

6 

Ikten» graste* Cholämie . . . 

0,233 

0,148 

1. Untersuchung, Stuhl völlig entfärbt 

2. Untersuchung (15 Tage nach der 
1. Unters., 4 Tage vor dem Exitus). 

Kein Gallengangsverschiuss. 

17 

Ikterus, Cholelithiasis .... 

0,291 

13 

Ikterus catarrh. 

0,158 

Ikterus abkltngend, Stuhl gefärbt. 

IS 

Ikterus catarrh. 

0,21 

Abklingender Ikterus, Stuhl bereits 

10 

Infektiöser Ikterus. 

unter 0,08 
0,096 

wieder gefärbt. 

1. Untersuchung. 

2. Untersuchung, 8 Tage nach der 
1. Untersuchung. 

11 

Ikterus (Lues II). 

0,132 


5 

Cboldithteste . 

0,261 

0,200 


7 

Cboleüthiaste. 


8 

Cholezystitis. 

0,163 


14 

Cholezystitis. 

WeSscbe Krankheit. 

0,138 

0,408*) 

1. Untersuchung. 


»» »* .... 

0,346*) 

2. Untersuchung (7 Tage nach der 
1. Untersuchung). 


>» »* ..... 

0,316*) 

3. Untersuchung (22 Tage nach der 
1. Untersuchung). 


» »» . 

0,250 

4. Untersuchung (53 Tage nach der 
1. Untersuchung). 


*) Wert, erhalten aus Verarbeitung von 1 ccm Serum. Bei Verarbeitung' von 
1 ccm erhielt ich eine so intensive Farbenreaktion, dass die kolorimetrische Bestimmung 
mancher war. 

*) Von dem Chloroformextrakt aus 2 ccm Serum werden für die kolorimetrische 
Peftisrarong statt, wie gewöhnlich 5, nur 2 ccm verwandt, danach gute Ablesung*- 
•»ofltchkeit. 


Die rn Tabelle 2 zusammengestellten Befunde sind zum Teil 
recht überraschend. Betrachten wir zunächst die Fälle mit völligem 
Choledochusverschlus: 

F a 114 mit 0,127 Proz. Cholesterin, 

15 „ 0*360 „ 

16 „ 0,135 „ 

„ 6 „ 0*233 „ und 0,148 Proz. Cholesterin, 

„ 10 „ unter 0,08 Proz. und 0,096 Proz. Cholesterin. . 

Nur bei *2 Fällen finden sich erhöhte Werte, und bei dem einen 
beiden (Fall 6) sinkt der Cholesterinspiegel trotz Fortdauer des 
Choledochusverschlusses und Stärkerwerden des Ikterus zur Norm 
ab. Bei Fall 10 gar Ifegt er noch wesentlich tiefer, unter der Höhe 
des Gesunden. Das beweist mit aller Sicherheit, dass 
hierdnrchaus nicht rein mechanische Verhältnisse 
allein eine J2olle spielen. Der Retentionsikterus 
gebt nicht in allen FäJlen mit Hypercholesterin- 


ämie einher, wie man das in letzter Zeit allgemein 
angenommen hatte. Welches Schicksal das durch die Leber 
nicht zur Ausscheidung gelangende Cholesterin hat, wissen wir vor¬ 
läufig nicht. Jedenfalls wird es nicht rein passiv retiniert, wie etwa 
der Gallenfarbstoff. Da sich bisher Anhaltspunkte für die Annahme 
einer Bildung des Cholesterins im Körper nicht ergeben haben, so kann 
man auch nicht daran denken, dass vielleicht ähnlich wie bei den 
Gallensäuren seine Neubildung beim Gallengangsverschluss aufhört. 
Möglicherweise wird man später der Frage im Tierexperiment näh^r- 
treten können. Bei Fall 9 fand sich, trotzdem die Gallenwege nicht 
vollkommen verschlossen waren, ein recht hoher Cholesterinwert bei 
der 2. Untersuchung. Wir können ihn vielleicht durch den Sektions¬ 
befund erklären. Die Leber bestand fast ausschliesslich aus Krebs¬ 
knoten, vom normalen Lebergewebe war überhaupt nichts mehr zu 
sehen. Dass eine so schwer veränderte Leber kein Cholesterin mehr 
auszuscheiden vermöchte, Hesse, sich wohl denken. 

Dass wir bei der Cholelithiasis häufig auf Hyperchole- 
sterinämie treffen, ist aus den Arbeiten Bacmeisters, Aschoffs 
u. a. bekannt. Der Cholesterinreichtum der Galle, mit der der Ueber- 
schuss des Cholesterins aus dem Blute entfernt wird ist eine der 
Vorbedingungen zur Entstehung von Cholesterinsteinen. In den 
Fällen 5 und 7, wo die Diagnose mit Wahrscheinlichkeit auf Chole¬ 
lithiasis gestellt war, sind die Werte deutlich erhöht, 
ebenso in Fall 17, bei dem es sich um einen Kollegen- handelte, der 
im Felde erkrankt war, und den ich in der Rekonvaleszenz unter¬ 
suchen konnte. Die Diagnose wurde in diesem Falle dhrch den Ab¬ 
gang eines Steines gesichert. Der Stuhl war nie entfärbt. Für eine 
Cholelithiasis ist der Wert von 0,291 Proz. recht hoch. Bei einem 
Fall — dem letzten der Tabelle —, der wohl sicher als abklingende 
Weilsche Erkrankung angesprochen werden musste, fanden 
sich ungewöhnlich hohe Cholesterinzahlen bei nur geringem Ikterus 
und freien' Gallenwegen. Die mehrmalige Blutkontrolle zeigt hier 
sehr schön das langsame Absmken des Blutcholesterins von 
0,408 Proz. auf 0,25 Proz. Bemerkenswert ist, dass der immerhin 
noch deutlich erhöhte Wert von 0,25 Proz. sich noch am 53. Tage 
nach der 1. Untersuchung findet. Wenn es sich bestätigen 
sollte, dass sich bei der Weilschen Krankheit 
regelmässig so starke und hartnäckige Hyper- 
cholesterinämien finden, so wäre das recht wich¬ 
tig. Leider habe ich keinen Fall mehr zur Untersuchung bekommen. 

Nierenerkrankungen. 

Ueber den Cholesteringehalt des Blutes bei Nierenkrankheiten 
liegen sehr verschiedene Angaben in der Literatur vor. Während 
von der französischen Schule behauptet wurde, dass besonders die 
mit Retinitis albumin. einhergehenden Fälte hohe Cholesterinzahlen 
aufwiesen, wurde von anderen Autoren die Cholesterinvermehrung 
als ein Symptom der chronischen Nephritis überhaupt bezeichnet. 
Nach meinen Untersuchungen an einer Zahl von klinisch sehr genau 
beobachteten Fällen erscheint es verfrüht, jetzt schon etwas Bestimm¬ 
tes aussagen zu wollen. Die Klassifizierung der Form der Nieren¬ 
erkrankung wurde nach F. V o 1 h a r d vorgenommen. (S. Tabelle 3.) 

Die Mehrzahl der hier untersuchten Nierenkranken waren Sol¬ 
daten mit diffuser Glomerulonephritis. Teils handelte 
es sich um frische, sog. Feldnephritrden, teils um schon länger be¬ 
stehende Erkrankungen, die im Felde eine Verschlimmerung erfahren 
hatten. Von Sklerosen konnte ich leider nur zwei benigne und 
eine maligne (die sog. Kombinationsform im Sinne Volhards) 
beobachten. Dagegen findet sich in meinem Material ein typischer 
Fall der sehr seltenen genuinen Nephrosen. 

Von dien akuten Nephritisfällen (Nr. 3, 5, 6, 8, 12, 13, 
15 und 20) weisen drei eine deutliche Hypercholesterinämie 
auf (Nr. 6, 12 und 15). Fall 6 (mit 0.199 Proz.) heilte später mit 
„Defekt“ (nach Volhard) aus. Fall 12 mit geringfügiger Cholesterin- 
erhöhung (0,173 Proz.) ist als Uebergangsform zum H. Stadium auf¬ 
zufassen, bei Fall 15 handelt es sich um einen raschen Uebergang 
ins III. Stadium mit Azotämie und Urämie. Bei der chro¬ 
nischen diffusen Glomerulonephritis ist etwa in 
der Hälfte der Fälle der Cholesteringehalt des 
Serums erhöht, ein gesetzmässiges Zusammengehen dieses 
Symptoms mit einem anderen besteht jedoch nicht. Schwere 
Urämie mit den höchsten Indikan- und Rest-N- 
Wcrten kann H v p e r ch o I es t e ri n ä m i e vermissen 
lassen, wobei man allerdings, wie das der wiederholt untersuchte 
Fall 2 zeigt, daran denken muss, dass Schwankungen des Cholesterins 
ebenso Vorkommen können, wie solche des Rest-N. Es wurde, be¬ 
sonders von den französischen Klinikern, behauptet, dass Chole¬ 
sterinvennehrung im Blute sich regelmässig bei den Fällen von Ne¬ 
phritis nach weisen lasse, die mit Retmit. albumin. einhergingen. Ob 
dieser Satz so streng richtig ist. vermag ich auf Grund meines 
relativ kleinen Materials nicht zu sagen: jedenfalls — das glaube ich 
mit voller Bestimmtheit behaupten zu können — ist er nicht umkehr¬ 
bar. Bei sehr erheblicher Cholesterinämie kann die 
Retinitis albuminurica fehlen. 

Ganz aussergewöhnlich hoch ist der Chole¬ 
steringehalt des Blutes bei dlem Falle von Ne¬ 
phrose — fast lg Cholesterin in 100ccm Serum. So¬ 
weit ich sehe, ist ein derart hoher Cholesterinwert bisher in der 
Literatur nicht mitgeteilt worden. Die Frage nach ‘der Entstehung 
der Hypercholesterinämie bei Nierenkrankheiten soll später erörtert 



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7N4 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 29. 


Tabelle 3. 


Fall 

Name, Alter 

Krankheit 

Chole¬ 
sterin 
in Proz. 

Bemerkungen 

1 

Schi., 24 Jahre 

Chron. diffuse Olomerulo- 
nephritis, Anfang des Ul. Sta¬ 
diums 

Chron. diffuse Olomerulo- 
nephritis, III. Stadium 

0,158 

Kein« Rettnit. albuminnr. 

2 

OhlL. 25 Jahre, 
Soldat 

0,169 

Retinit. albuminur. Am 17. X. 
16 im Blut noch keine Retent. 


Derselbe 

do. 

0,200 

29. XI. 16 Aderlass im 
eklampt. uräm Anfall. 


Derselbe 

do. 

0,205 

4. XII. 16 (im Blut noch keine 
Retention). 


Derselbe 

do. 

0,153 

28. IV. 17 (seit Januar 17 
N-Retentlon im Blut). 

2. V. 17 (Urämie MiscMonn. 
Exitus am 11. V. 17. Sek¬ 
tion: Kleine Nieren). 


Derselbe 

do. 

0,225 

3 

Da., 26 Jahre, 
Soldat 

Akute diffuse Qlomerulo- 
nephritls (Feldnephritis) im 
Reparat.-Stadium 

0,122 

4 

Le., 23 Jahre, 
Soldat 

Chron. diffuse Qlomerulo- 
nephritis (nach Scharlach), 
111. Stadium 

0,127 

Keine Retinit albuminur. 
23 Tage später ta uräm. 
Anfall Exitus (sehr kleine 
typ. Schrumpfniere). 

5 

Kac., 45 Jahre, 
Soldat 

Akute diffuse Olomerulo- 
nephrith (Feldnephritis) 

0,143 

Keine Retinit. albuminur., spä¬ 
ter ausgeheilt mit „Defekt“. 

6 

Rei., 43 Jahre, 
Soldat 

Akute diffuse Olomerulo- 
nephrltis (Feldnephritis) 

0,199 

Keine Retinit. albuminur., 
später ausgeheilt mit „De¬ 
fekt“. (Neigung zu Blu¬ 
tungen, keine Blutdruck- 

7 

Be., 35 Jahre 

Nephrodrrhosis 

0,148 

Steigerung). 

Rest-N im Blut an der oberen 

8 

Ott., 29 Jahre, 
Soldat 

pyelonephr. 

Akute diffuse Glomerulo¬ 
nephritis (Feldnephritis) 

0,132 

Qrenze der Norm. 

Keine Retinit. albuminur., spä¬ 
ter ausgeheilt mit „Defekt“. 

9 

Neh., 22 Jahre, 
Soldat 

Chron. diffuse Olomerulo- 
nephritis, 11. Stadium 

0,194 

Noch keine Retent., ab und zu 
pseudo-urämische Anfälle. 
Keine Retinit. albuminur. 

10 

Rö. Wilh., 

38 Jahre 

Akute diffuse Olomerulo- 
nephritis 

0,153 

Keine Retinit. albuminur. 

11 

Wö. Heinr., 

21 Jahre 

Chron. diffuse Glomerulo¬ 
nephritis, II. Stadium (mit 
nephrot. Einschlag) 

0,183 

Noch keine Retention. Leichte 
Neuritis optic. rechts. 

12 

Mü., 37 Jahre, 
Soldat 

Akute diffuse Olomerulo- 
nephritis 

0,173 

0.163 

Keine Retention. Ausge¬ 
dehnte Retinit. albuminnr. 

8 Wochen später. 

13 

Ho., 42 Jahre, 
Soldat 

Akute diffuse Olomerulo- 
nephritis (mit Oedemen) 
Pneumonie, echte Urämie 

0,116 

Stark« Retention im - Blnt, 

1 Tag später Exitus. 

14 

M6. Marie, 

23 Jahre 

Chron. diffuse Olomeru o- 
nephritis, III. Stadium 

0,137 

Beträchtliche Retention im 
Blute. 

15 

Ba., 30 Jahre, 
Soldat 

Akute diffuse Olomerulo- 
nephritis mit raschem 
Uebergang ins III. Sta¬ 
dium, schwer« Azotämie, 
echte Urämie 

0,230 

Starke Retention, keine Re¬ 
tinit albuminur. 

16 

Ba. Katb., i 
48 Jahre 

Re., 20 Jahre 

Benigne Sklerose 

0,159 

Neuritis optic. 

17 

Chron. diffuse Olomerulo- 
nephritis, III. Stadium 

0,106 

Starke Retention, keine Re¬ 
tinit. albuminnr. 

18 

Kl-, 38 Jahre, 
Arzt 

Chron. diffuse Glomerulo¬ 
nephritis (Oedeme), III. Sta¬ 
dium, Azotämie 

0,23 

Starke Retention. Retinit 
albuminur. 

19 

Fel. Adolf, 

35 Jahre 

Chron. diffuse Olomerulo- 
nephritis, III. Stadium 

0,132 

Keine Retinit. albnminur. 
2 Tage später Exitus. 

20 

Schn. Bruno, 

9 Jahre 

Akute diffuse Glomerulo¬ 
nephritis (Oedeme) 

unter 

0,09«) 

21 

Tw., 21 Jahre, 
Soldat 

Chron. diffuse Olomerulo- 
nephritis, II.—UI. Stadium 

0,184 

Beginn. Retention. Keine 
Retinit albuminnr. 

22 

Reu. Karl, 

66 Jahre 

Sklerose (Kombinations* 
form) maligne 

0,163 

Deutliche Retention. 

23 

Kr.. 48 Jahre, 
Hauptmann 

Sklerose, benigne 

0,178 

Keine Retention. 

24 

Wie., 17 Jahre 

Nephrose (durch die Sek¬ 
tion als reine Nephrose im 
Sinne Volhards bestätigt 

zwisch. 
0,92 und 
1,0 *) 
0,66 

Serum lipämisch, keine Blut¬ 
drucksteigerung, keine Re¬ 
tention, enorme Oedeme. 

3 Monate später. 


*) Schwer bestimmbar. 

8 ) Da die cholorimetrische Bestimmung wegen des ausserordentlich hohen Chole- 
steringehalts in der gewöhnlichen Weise nicht möglich war, wurde, statt 2 ccm, 1 ccm 
Blutserum verarbeitet. Von dem Chloroformextrakt, das auch dann noch eine viel zu 
intensive Farbenreaktion ergab, wurde darauf mit verschiedenen Mengen (1, 2 und 
2 1 /« ccm) die Bestimmuug durchgeführt. Die gefundenen Zahlen ergaben bei der Aus¬ 
rechnung Werte zwischen 0,92 und 1,0 Proz. 

werden. Bei der Nephrose ist die starke Veifettung- nicht nur 
der Nieren- selbst, sondern auch der Leber so in die Augen fallend, 
dass man hier ohne weiteres an einen Zusammenhang zwischen 
Organverfettung und Lipämie denken muss. 

Fieberhafte Erkrankungen. 

Bei hohem Fieber wurde bisher meist ein starkes Absinken dies 
BlutchoJesterins verzeichnet. Auch ich konnte bei den von mir unter¬ 
suchten Fieberkranken meist unter der Norm gelegene Cholesterin¬ 
werte feststellen, aber durchaus nicht in allen Fällen. (S. Tabelle 4.) 

Ein Blick auf die Tabelle lehrt, dass zwar bei der überwiegenden 
Mehrzahl das Cholesterin deutlich vermindert ist, indes keineswegs 
bei allen. Man wird also nicht sagen können, dass 
schlechthin jede fieberhafte Erkrankung mit einer 
Herabsetzung des Cholesterinspiegels im Blut 
einhergeht. Bei den untersuchten Malaria- und Typhuskranken 
war die Verminderung jedesmal vorhanden, dagegen zeigte ein 
K r a nk er mit tuberkulöser Meningitis einen erheb¬ 
lich erhöhten, zwei Patienten mit Sepsis einen an der oberen 
Grenze liegenden, bzw. leicht erhöhten C h o 1 c s t e r i n w c r t. Es 
scheint also, dass der fieberhafte Zustand als solcher für den Chole¬ 
steringehalt des Blutes nicht allein massgebend ist. 

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Tabelle 4. 


Fall 

Name, Alter 

Krankheit 

Chole¬ 
sterin 
in Proz. 

Bemerkungen 

1 

BI., 24 Jahre, Soldat 

Malaria 

0,085 

Blut Im Anfall entnommen. 

2 

Wa., 20 Jahre, Soldat 


0,080 

do. 

3 

Hen., 26 Jahre, Soldat 


0,106 


4 

Ha., 21 Jahre, Soldat 


0,065 

do. 

5 

Schm.. 32 Jahre, Soldat 

„ 

0,096 

do. 


Derselbe 


0,111 

2 Tage nach dem Anfall 

6 

Le., 21 Jahre, Soldat 

Typhus abdom. 

0,100 

fieberfrei. 

7 

He., 31 Jahre, Soldat 

0,106 

8 

Pt, 15 Jahre 

»* »* 

0,075 


9 

Be., 21 Jahre, Soldat 

Pleuritis exsud. 

0,122 

Fieber zwischen 37° and 38°. 

10 

Rfl., 42 Jahre, Soldat 

Erysipel, fadd 
Pneumonie 

0,100 

Fieber zwischen 38* and 40®. 

11 

Mu., 41 Jahre, Soldat 

0,11 

Serum leicht lipämisch. Fie¬ 

12 

Sehr., 20 Jahre, Soldat 


0,157 

ber zwischen 39* and 40*. 
Fieber am 40*. 

13 

14 

Wt, 31 Jahre, Soldat 
Opp., 23 Jahre, Soldat 

Pneumonie mit 

0,100 

0,110 

15 

Oh., 20 Jahre, Soldat 

Meningismns 
Meningitis tubercul. 

0,22 

2 Tage später t. 

1 Tag später f. 

16 

Th., 68 Jahre 

Sepsis, Nierenabsz., 
Bronchopneumonie 

0,168 

17 

Schm., w., 35 Jahre 

Chronische Sepsis, 
Endokarditis 

0,173 

Fieber um :8*. 



Blutkrankheiten und einige andere Erkrankungen. 

Bei schweren Anämien hat man ein sehr verschiedenes Verhal¬ 
ten des Cholesterins gesehen, bald verminderte, bald normale, bald 
erhöhte Werte. Unter meinen Fällen findet sich einer mit schwerer 
perniziöser Anämie, <Jer sich unter Bluttransfusionen nach 
A. Weber vorzüglich erholte. Er wurde mehrmals untersucht, ln 
einem anderen Falle handelte * es sich um eine schwerste 
Anämie mit s k o r b u t ä h n 1 i c h e n Erscheinungen ohne 
irgendwelche Zeichen von Regeneration im Blutbild. Bei einem 
weiteren Fall, der zuerst wie eine perniziöse Anämie aussah. ent¬ 
puppte sich als Ursache der Anämie schliesslich ein Magenkarzinom. 


Tabelle 5. 


Fall 

Name, Alter 

Krankheit 

Chole¬ 
sterin 
in Proz. 

Bemerkungen 

! 

Sch., 46 Jahre 

Perniziöse Anämie 

0,161 



Derselbe 

99 »9 

0,153 

4 Wochen später 


Derselbe 


0,137 

2</a Monate später. 

2 

Ren., 49 Jahre 

Anaemia gravla mit skorbut- 
artigen Symptomen 

0,1'6 


8 

Da., 42 Jahre, Soldat 

Sekundäre Anämie bd Magen¬ 
karzinom 

0,127 



Derselbe 

do. 

0,096 

6 Wochen später. 

4 

Sch., w., 56 Jahre 

Myelämie 

0,096 

5 

Schi., w., 29 Jahre 

Malignes Oranulom (tuberkul. ?) 

0,117 


6 

Fe , w., 9 Jahre 

Purpur, simpl. 

0,100 


7 

Fex., 53 Jahre 

Sekundäre Anämie 

0,159 


•8 

Lo., w., 27 Jahre 

Sekundäre Anämie nach Kolitis 

0,138 


9 

HI., w., 40 Jahre 

Sekundäre Anämie bei chron. 
Sepsis 

0,100 


10 

E., 66 Jahre 

Arteriosklerose, chron. Myo¬ 
karditis , hochgradige Phlebo¬ 
sklerose 

0,132 


11 

Häu. 

Tabes dorsalls 

0,163 

WaR. im Blut 0, im 
Liqu. cerebrosp. - 4 - 


Derselbe 

♦ 9 II 

0,137 

2V, Monate spfi er. 

12 

ja , w., 45 Jahre 

Chron. Myokarditis, Vorhofs- 
flimmem 

0,163 

13 

Neu., 57 Jahre 

Chron. Myokarditis 
Trichinose 

0,122 


14 

Ol., 39 Jahre, Soldat 

0,153 


15 

— — 

Oravid. IX. mens. 

0,225 


16 

— — 

>. x. „ 

0,251 


17 

— — 

„ VIII. „ 

0,251 


18 

— — 

„ ix. „ 

0.194 

Leichter Ikterus. 


Fall 1 mit perniziöser Anämie zeigte zu Beginn der Be¬ 
handlung, als das Blutbild noch schwere Verändeiurigen aufwies, 
einen an der oberen Grenze der Norm liegenden Cholesterinwert. 
Mit der Besserung der Blutzusammensetzung geht das Cholesterin 
zu Mittelwerten herunter. 

Bei der schweren, im Blutbild an apiastische Anämie 
erinnernden Bluterkrankung (Fall 2) liegt der Cholesterinwert unter 
der Norm und bei Fall 3 sinkt dcT leicht verminderte Wert mit -der 
fortschreitenden Verschlechterung noch weiter ab. Verminderte 
Zahlen finden sich ferner bei der Mehrzahl der übrigen Patienten mit 
sekundärer Anämie, sowie bei denen mit Myelämie und 
malignem Granulom. 

Bei Arteriosklerose ohne Blutdrucksteiger un« 
konnte ich keine anormalen Cholesterinwerte feststellen. Bac- 
m e i s t e r und Henes 9 ) geben an, dass bei noch in der Entwicklung 
begriffener Arteriosklerose eine Erhöhung gefunden wurde, die ver¬ 
schwand, sobald der Prozess zum Stillstand kam. Eine Entscheidung 
darüber, welches Stadium der Entwicklung bei einem Fall von Arterio¬ 
sklerose jeweils vorliegt, scheint mir recht schwierig zu sein, und 
ich habe daher auf eine derartige Einteilung verzichtet. Bei dein 
unter Nr. 10 aufgeführten Patienten, einem alten Mann mit ungewöhn¬ 
lich starker Arterio- und Phlebosklerose, fand sich ein niedriger Nor¬ 
malwert. 

Bei einem Tabeskranken, der zweimal untersucht wurde. 


9 ) I. c. D.m.W. 1913 Nr. 12. 


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16. Jnli 1911 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


783 


lagen die Cholesterinzahlen in normalen Grenzen, ebenso bei zwei 
Herzkranken und bei einem Patienten mit Trichinosis. 

Die 4 letzten Fälle von Tabelle V sind Schwangere im 
9. und 10. Monat. Bei ihnen allen ist die Cholesterinvermehrung sehr 
deutlich ausgesprochen. 


Ueberblicken wir das vorliegende Material, so sehen wir eine 
Vermehrung des Blutcholesterins beim Diabetes 
mellitus, bei gewissen Erkrankungen der Leber und der 
Gallen w ege und bei Nierenerkrankungen. 

Wie schon kurz angedeutet wurde, geht beim Diabetes in 
der Regel die Cholesterinvermehrung nicht parallel mit dem Blut¬ 
zucker, aber sie ist auch keine — wenigstens durchaus nicht in allen 
fällen — mit der Azidosis eng verbundene Erscheinung. So waren 
unter den mitgeteilten Beobachtungen mehrere, bei denen trotz deut¬ 
licher Hypercholesterinämie keine Spur von Azeton im Harn nach¬ 
weisbar war. Man wird also beim Versuch, die Cholesterinanreiche¬ 
rung im Diabetikerblut zu erklären, nicht allein an die Azidosis denken 
dürien. Die Frage ist vorläufig noch nicht geklärt. 

Bei Erkrankungender Gallenwege hat sich die höchst 
bemerkenswerte Tatsache ergeben, dass der vollkommene Gallen¬ 
gangsverschluss durchaus nicht zu einer starken Anhäufung des Chole¬ 
sterins im Blut zu führen braucht, wie man zunäohst erwarten möchte, 
ja in einigen meiner Fälle fand sich, trotz wochenlang bestehender 
Gallensperre, ein niedriger Cholesterinwert. Wie kann man sich 
diese Erscheinung erklären? Einmal besteht die Möglichkeit, dass 
mit dem Eintritt der Gallensperre die Resorption des mit der Nahrung 
aufgenommenen Cholesterins erheblich notleidet. Dafür spräche man¬ 
ches. Wir wissen, dass das Cholesterin in der Nahrung stets mit 
den Fetten und Lipoiden zusammengeht; so sind besonders chole¬ 
sterinreich Sahne, Eier, Kalbshirn usw. Im Verein mit Fetten und 
Lipoiden wird das Cholesterin gut resorbiert. Beim Fehlen von Galle im 
Darm ist die Fettverdauung und Fettresorption schwer gestört, und 
es ist durchaus möglich, dass auch die Resorption des Cholesterins 
nottödet. Wissen wir doch überdies, dass die Aufsaugung einer Chole¬ 
sterinzulage zur Nahrung sich nur da glatt vollzieht, wo sie mit Fett 
und Lipoiden zusammen gegeben wird. Mit einer schlech¬ 
teren Resorption des Nahrungscholesterins, bzw. 
der sich wohl ähnlich verhaltenden Phytosterine 
w ird man bei vollkommener Gallensperre rechnen 
dürfen. Aber selbst wenn man das nicht annehmen wollte, können 
wir uns kein Bild davon machen, wieviel von dem Cholesterin unter 
bestimmten Verhältnissen in den Organen abgelagert wird. Von 
Wacker und H u e c k 10 ), die Fütterungsversuche mit Cholesterin 
bei Tieren angestellt und nicht nur das Blut sondern auch die Organe 
untersucht haben, wissen wir, dass in den Organen viel Cholesterin 
aufgespeichert werden kann, bis es im Blut in vermehrter Menge 
auftrit t. 

Schliesslich scheint mir noch eine weitere Möglichkeit be¬ 
rücksichtigt werden zu sollen, nämlich die dler Ausscheidung 
von Cholesterin durch den Darm. Tatsächliches hierüber 
wissen wir freilich noch nicht. • 

Wie man sich die starke Hypercholesterinämie bei 
dem längere Zeit beobachteten Fall von Weilscher Krankheit 
erklären soll, vermag ich nicht zu sagen. Hier kann von einer ein¬ 
fachen Stauungsretention nicht die Rede sein, da die Gallenwege stets 
frei durchgängig waren. 

Durch die Versuche von Hävers. 11 ) an einer s:hwan- 
geren Hündin mit Gallenblasenfistel ist klar erwiesen, dass 
die Leber während der Gravidität für das Cholesterin weniger 
durchlässig wird, und dass mit der Ausstossung der Frucht die re¬ 
gierten Lipoide in vermehrter Menge ausgeschwemmt werden. Hier 
hätten wir also eine aktive Cholesterinretention unter den beson¬ 
deren Verhältnissen der Gravidität. Ueber ihr Zustandekommen wissen 
wir noch nichts Näheres, aber sie lässt daran denken, dass auch in 
■.rankhaften Zuständen etwas Derartiges vorkommt. 

Für den Fall von Nephrose, mit dem ungeheuer hohen Wert 
von fast 1 g Cholesterin auf 100 ccm Serum, gelten, da es sich hier 
um eine Lipämie handelt, die zahlreichen Erörterungen, die man über 
das Wesen dieses Zustandes angestellt hat. Es sei hier u. a. be¬ 
sonders an die bereits zitierten Arbeiten von G. Klemperer und! 
Umber , *) und an die von A. M a g n u s-L e v y und L. F. M e y e r u ) 
erinnert. Soweit ich sehe, ist das Vorkommen von Lipämie bei 
chronischen Nierenleiden nirgends besonders betont worden. Nur 
F. Volhard hat in seinem mit Ph. Fahr 14 ) verfassten Werk das 
Aussehen des Blutserums bei Nephrosen als »milchig getrübt, pseudlo- 
chy’ös“ bezeichnet. In dem Werk von H. Strauss 15 ) habe ich 
nichts über das Vorkommen von- Lipämie und Hypercholesterinämie 
'-'ii Nephrosen finden können. Wie ich schon ausführte, wird man 
bei den schweren Verfettungsprozessen, die sich bei dieser Erkran¬ 
kung nicht nur an den Nieren, sondern auch an der Leber finden. 


,f ) Arch. f. exp. Path. u. Ther. 74. 1913. S. 416. 

”) s. Raemeister!, c., D.mW. 1913 Nr. 8 S. 385. 

13 > 1. c. 

**) Handbuch der Biochemie 4/1. 1909. S. 459—470. 

14 ) Die Brightsche Nierenkrankheit. Berlin 1914. Verlag von 
1 Springer. S. 86 u. 83. 

,s ) H. Strauss: Die Nephritiden. Berlin 1916. Verlag von 
U-bari <5c Schwarzenberg. 


Nr. 29 . 


Difitized b 1 


■V Google 


an den Uebertritt von Lipoiden ins Blut denken müssen, und man 
hätte so eine zwanglose Erklärung für dlie L i p ä m i e. 

Bei den übrigen Nierenerkrankungen hielt sich die Cholesterin¬ 
vermehrung in bescheidenen Grenzen und erreichte in keinem Fall 
das Doppelte des normalen Mittelwerts, immerhin ist sie bei einem 
erheblichen Prozentsatz unbestritten vorhanden. Hier ist aber die 
Genese eine ganz andere. Von lipoider Degeneration in den parenchy¬ 
matösen Organen ist besonders bei den in Schrumpfung übergegan¬ 
genen chronischen Glomerulonephritiden nicht die Rede. Vielleicht 
bringen hier, wie überhaupt in die ganze Frage dler Cholesterinämie 
die Untersuchungen von Wacker und H u e c k 18 ), A1 b r e c h t und 
W e 11 m a n n u. a. neues Licht. Diese Autoren haben nämlich gefun¬ 
den, dass bei Arteriosklerose, Nephritiden, Diabetes, 
dann während der G r a v i d i t ä t die N eb e nni e r e n r ind e sehr 
reich an Cholesterinfetten, dagegen bei etwas 
länger bestehenden infektiösen, aseptischen oder 
pyämischen Prozessen in der Regel sehr arm 
d a r a n i s t. Sie haben auf den Parallelismus zwischen diesem Be¬ 
fund und der bei den gleichen Erkrankungen festgestellten Hyper¬ 
cholesterinämie aufmerksam gemacht. Auf der anderen Seite konnten 
sie, wie ich bereits anführte, an Tieren zeigen, dass bei reichlicher 
Cholesterinzufuhr im Experiment andere Organe, z. B. Leber und 
Milz, grosse Mengen davon aufspeichern können, ohne dass es im Blut 
zu einer Anreicherung kommt. Wie man sieht, liegt hier eine Fülle 
von neuen Tatsachen vor, die für die weitere Forschung auf dem 
Gebiet des Cholesterinstoffwechsels bedeutungsvoll sind. 


Ruhrschutzimpfungen mit Dysbakta. 

Von Stabsarzt Prof. Dr. Boehncke und 
Oberarzt Dr. Elkeles, zurzeit im Felde. 

Dysbakta ist ein polyvalenter bazillär-toxisch-antitoxischer 
Ruhrimpfstoff, dessen genauere Zusammensetzung, Entstehung und 
theoretische Begründung zu ersehen ist aus: M.K1. 1917 Nr.41 „Ruhr¬ 
schutzimpfung im Kriege“ und B.kl.W. 1918 Nr. 6 „Untersuchungen 
über Ruhrimpfstoffe in vitro und in vivo“. 

Die Schutzimpfungen mit Dysbakta wurden meist im Spätsommer 
des vorigen Jahres an mehr als 100 000 Personen der Bevölkerung 
und der deutschen Truppen dies besetzten Ostens vorgenommen. Das 
über die Ausführung, den Verlauf und die Ergebnisse der mit Dys- 
bacta gemachten Schutzimpfungen niedergelegte und gesammelte 
Material bildet die Unterlage für die nachfolgende Mitteilung. 

In der Gesamtzahl der Impfungen sind zu annähernd! gleichen 
Teilen Miltärpersonen und einheimische Zivilpersonen enthalten. 
Während es sich in der Armee — von den geimpften Schwestern ab¬ 
gesehen — nur um männliche Personen des wehrfähigen Alters han¬ 
delt, setzen sich die geimpften Einheimischen aus Personen beiderlei 
Geschlechts und jeden Alters zusammen. 

Im Vordergründe des Interesses stand als wesentlichste Vorfrage 
die Verträglichkeit des Impfstoffes, die Frage also, ob Impfschäden 
beobachtet wären, ob Unterschiede der Impfreaktionen bei der ersten, 
zweiten, dritten Impfung bestünden, welchen Einfluss Alter und Ge¬ 
schlecht der Geimpften, die zur Impfung gewählte Tageszeit, Ruhe 
oder Beschäftigung nach der Impfung auf den Ablauf der Impf¬ 
reaktionen ausübten. 

Das Urteil über die Stärke der Impfreaktionen im allgemeinen ist, 
wie hinlänglich bekannt, in hohem Masse Gefühlssache, muss es bei 
dem Mangel an objektiven Kriterien immer sein. Beim Fehlen 
schwererer manifester Krankheitssymptome, wie Erbrechen, Durch¬ 
fall usw., bleibt nur die Temperatur als objektiver Gradmesser. 
So wichtig Temperaturmessungen aber auch sindl ein Urteil über die 
Stärke der hnpfreaktionen lässt sich aus ihnen allein nicht gewinnen. 
Wissen wir doch, dass erhebliches körperliches Unbehagen ohne 
nennenswerten Temperaturanstieg und umgekehrt trotz hoher Tem¬ 
peraturen auffallend geringe Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens 
gar nicht selten sind. Demgemäss finden sich unter den zahlreichen 
Berichten auch alle Abstufungen in der Beurteilung der Impfreaktionen. 
In den meisten Fällen wurde zum Vergleich die Typhusschutzimpfung 
herangezogen, was sehr berechtigt erscheint, da ja die Mehrzahl der 
Aerzte Erfahrungen auf diesem Gebiete hat. Während sich nicht 
ganz selten Mitteilungen über den auffallend milden Verlauf und die 
fast völlige Reaktionslosigkeit der Impfung — und zwar bei vielen 
Tausenden von Einzelimpfungen — finden, bilden doch die weitaus 
überwiegende Mehrzahl jene Berichte, die Dysbakta in vollkommene 
Parallele mit dem Typhusschutzimpfstoff stellen. Einzelne bezeichnen 
die Impfreaktionen als „vielleicht noch etwas stärker“ als die bei 
der Typhusschutzimpfung. Auf Grund schwererer Impfreaktionen 
kommen zu einem ungünstigen Urteile 2 Aerzte. Der eine impfte auf 
seiner Ruhrstation 8 Personen des Pflegepersonals im Alter von 
24—35 Jahren, die sämtlich zur Zeit „ausserordentlich angestrengt“ 
waren. Nach dem eingesandten Bericht bestanden die Beschwerden 
in Kopfschmerzen, Frieren, Schmerzen in den Armen, Schlaffheit, 
Arbeitsunlust; als örtliche Reizerscheinungen traten Rötung. Schwel¬ 
lung, Achseldriisenschwelking auf. Dauer der Beschwerdien 4 bis 
5 Tage Ausserdem fieberte eine Schwester 14 Tage hintereinander 
jeden Abend, fühlte sich angeblich besonders unwohl und bekam 
vermehrte Stühle. Ein Pfleger begann gleich nach der Impfung zu 

1B ) Arch. f. exp. Path. u. Ther. 74. 1913. S.416. 

3 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



786 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 29. 


.fiebern, so dass Aufnahme ins Lazarett erfolgen musste. „Hier fieberte 
er ohne erkennbare Ursache zwischen 39 und 40°; im Stuhlgang wur¬ 
den schliesslich Ruhr-Flexner-Bazillen nachgewiesen.“ .Die Nach¬ 
wirkungen waren zwar sehr schwere bei sämtlichen Impflingen, aber 
eine dauernde Schädigung trat bei keinem ein.“ Dieser an 8 Imp¬ 
fungen gewonnenen Erfahrung gegenüber sei hervorgehoben: Die auf¬ 
geführten allgemeinen Erscheinungen sind von den Schutz¬ 
impfungen bei Typhus her bekannt und) stellen einen noch erträglichen 
Grad der Impfreaktionen dar, an den wir uns mit der Zeit gewöhnt 
haben. Bei den ersten 6 Personen hat trotz der Allgemeinerschei¬ 
nungen Fieber nicht bestanden. Keiner der 8 Geimpften — ausser 
dem Pfleger — hat auch nur vorübergehend die Arbeit aussetzen 
müssen. Die Schwester und der Pfleger waren offenbar zur Zeit der 
Impfung im Inkubationsstadüum der Ruhr. Für diese Annahme spricht 
bei der Schwester die Vermehrung der Stühle bei gleichzeitig be¬ 
stehendem Fieber; bei dem Pfleger sind die Ruhrbazillen direkt nach¬ 
gewiesen worden. Zum Ueberfluss wurde die Sterilität des benutzten 
Impffläschchens nachträglich durch Kultu r verfahren erwiesen. 
Es erfolgte ferner bei der herstellenden Fabrik eine Nachprüfung der 
Wirkung des Impfstoffes im Tierversuch, die einwandfrei verlief. End¬ 
lich wurde festgestellt, dass mit derselben Operationsnummer des 
Impfstoffes ein Bataillon am gleichen Tage und Orte duichgeimpft 
war und weitere Liter derselben Operationsnummer bei Truppen¬ 
teilen eines anderen Armeebezirkes zur Verwendung gelangt waren, 
ohne dass sich im Impfverlauf all dieser in die Tausende sich be¬ 
laufenden Impflinge irgendwelche Besonderheiten gezeigt hätten. 
Ein anderer Arzt, der 14 Personen (Aerzte und Pflegepersonal) einmalig 
mit 0,5 Dysbakta geimpft hatte, unterliess weitere Impfungen, anr 
geblich, weil ihm die Reaktionen zu schwer erschienen. Nähere An¬ 
gaben und Begründungen fehlen in dem Bericht. Neben diesen beiden 
Gruppen finden sich unter den vielen tausend geimpften Personen noch 
aufgeführt ein 18 jähr. Mädchen, das nach der Impfung „Schüttelfrost 
(39 ü ), Benommenheit und sehr starke Kopfschmerzen“ bekam, nach 
3 Tagen aber völlig wiedlerhergestellt war; ein Mann erkrankte 5 Stun¬ 
den nach der ersten Impfung an Schüttelfrost mit 38° bei After¬ 
messung, fieberte bei inässigem Krankheitsgefühl ohne objektiven Be¬ 
fund und war nach 5 Tagen dauernd beschwerdefrei; bei einer weib¬ 
lichen Person sollen nach der zweiten Impfung Erscheinungen be¬ 
obachtet sein, die auf eine „toxische Myelitis“ hindeuteten (Impfung 
während der Menstruation, Einstich handbreit unter dem Schlüssel¬ 
bein, anscheinend senkrecht und ziemlich tief); ein Arzt erwähnt, dass 
er selbst nach der dritten Einspritzung eirre ihn Wz Tage ans Bett 
fesselnde Reaktion bekam. 

Hervorgehoben muss an dieser Stelle werden, dass — worauf in 
den Berichten hingewiesen ist —die Technik der Impfung von er¬ 
heblichem Einfluss auf den Ablauf der Reaktionen ist. Es kann kein 
Zweifel sein, dass schwere Reaktionen oft auf Rechnung unsachge- 
mässer Technik zu setzen sind, wobei namentlich des unzweck¬ 
mässigen tiefen Ein Stechens mit Verletzung der 
Muskelfaszie gedacht werden muss. 

Grundsätzliche Unterschiede im Verlauf der Impfung zwischen 
den beiden Geschlechtern w'urden von keiner Seite festgestellt, wenn¬ 
gleich vereinzelte Beobachter berichten, dass die Reaktionen bei den 
von ihnen geimpften weiblichen Personen ihnen bisweilen stärker 
erschienen wären als bei den männlichen. Trotzdem finden sich 
nirgends Bedenken, die Impfung in gleicher Form bei beiden Ge¬ 
schlechtern vorzunehmen. 

Auch für die verschiedenen Altersstufen lassen sich keine allge¬ 
mein gültigen Gesetze aufstellen. Einzelne Beobachter meinen, dass 
die jungen kräftigen Individuen heftiger reagieren; die meisten machten 
die gegenteilige Erfahrung. Wenn die Vorschrift in der dem Impf¬ 
stofffläschchen beigegebenen Gebrauchsanweisung lautete, dass Kin¬ 
der unter 4 Jahren nicht geimpft werden sollten, so war das eine 
theoretische Vorsichtsmassregel. Da sie jedoch vielfach nicht ein¬ 
gehalten wurde, erwies sich hierbei, dass sie entbehrlich ist oder 
jedenfalls in dem Umfange nicht aufrecht erhalten zu werden braucht. 
Die weniger als 4 Jahre alten geimpften Kinder reagierten nirgends 
stärker, eher leichter als die Erwachsenen; dlie Kinder erhielten meist 
nur die halben Impfdosen der Erwachsenen, soweit unter 4 Jahren, 
noch geringere Mengen. 

Auf die Frage, welchen Einfluss Ruhe oder Tätigkeit nach der 
Impfung auf den Impfverlauf ausüben, wird von vielen Seiten be¬ 
richtet, dass die Geimpften nach der Impfung mit Rücksicht auf die 
militärische oder wirtschaftliche Lage ihren Dienst in vollem Umfange 
erfüllen mussten, ohne dass eine ungünstige Beeinflussung des Impf- 
verlaufessfeststellbar gewesen wäre. Viele aber betonen nachdrück¬ 
lich die Erfahrung, dlass die Impfungen viel leichter vertragen werden, 
wenn die Geimpften nach der Impfung dienstfrei sind und der Ruhe 
pflegen können. 

Die einzelnen Impfzeiten (1.. 2., 3. Impfung) scheinen insofern von 
Einfluss zu sein, als die erste Impfung, namentlich wenn gleich 1 ccm 
Dysbakta injiziert wird, die stärkste, die 3. Impfung die schwächste 
Reaktion setzt. Es sind jedoch auch anders lautende Berichte einge¬ 
gangen, so z. B, dass die erste Impfung gut vertragen wurdte, während 
die 2. zuweilen auch noch die 3. Impfung starke Reaktionen machten. 
Einzelne Berichterstatter beobachteten, dass bei der 1. Impfung mehr 
die Allgemeinerscheinungen, bei der 2. Impfung die Lokalerschei¬ 
nungen in den Vordergrund traten. Eine Regel lässt sich also auch 
hier schwer aufstellen. Die Temperatur scheint jedenfalls, sowohl 
ibei der dreizeitigen wie bei der zweizeitigen Impfung, bei der ersten 


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Injektion am meisten beeinflusst zu werden (vergl. die entsprechenden 
Tabellen in Med. Kl. 1917 S. 1084). 

Die Impfintervalle werden zumeist mit 5 Tagen als hinreichend 
bezeichnet, doch empfehlen verschiedene Impfärzte dringend, einen 
7 tägigen Zwischenraum zu wählen. Die Vorschrift auf der Ge¬ 
brauchsanweisung bestimmte als Injektionsmodus: „1. Tag 0,5 ccm, 
5. Tag 1,0 ccm, 10. Tag 1,5 ccm. Falls besondere Beschleunigung in 
der Durchführung dringend geboten erscheint, kann die Impfung auch 
zweizeitig geschehen und zwar: 1. Tag 1,0 ccm, 6. Tag 2,0 ccm.“ 
(Vergl. Med. Kl. und B.kl.W. 1. c.) 

Da düe ausgeführten Schutzimpfungen nur zum kleinen Teil eigent¬ 
lich prophylaktische Impfungen vor dem Auftreten der Ruhr, zum weit¬ 
aus grössten Teile Umgebungsimpfungen nach Ausbruch der Ruhr 
waren, musste von vornherein mit der Möglichkeit gerechnet w r erden, 
dass unter den Geimpften auch Personen betroffen wurden, die sich 
im Inkubationsstadium der Ruhr befanden. Den Beobachtungen über 
solche Fälle wurde besondere Aufmerksamkeit zugewandt. Hierher 
gehören alle jene zahlreich gemeldeten Ruhrerkrankungen, die im un¬ 
mittelbarem Anschluss an dlie Schutzimpfung (meist die 1., seltener 
die 2. oder gar 3.) auftraten und die den Beobachtern als durch di*e 
Impfung geradezu „ausgelöst“ erschienen. Wiewohl die meisten 
Aerzte durch Befragen über das Befinden und Temperaturmessung bei 
den zu Impfenden bestrebt w'aren, Krankheitsverdächtige von der 
Impfung auszuschalten, konnten sie dadurch doch nicht ganz ver¬ 
hindern, dass Erkrankungen im unmittelbaren Anschluss an die Impfung 
auftraten, nämlich bei denjenigen Personen, die sich in einem noch 
so frühen Inkubationsstadium befanden, dass Krankheitserscheinungen 
noch völlig fehlten. In solchen Fällen wurde also nach den Be¬ 
richten der Impfärzte die „noch latente Krankheit durch die Impfung 
manifest“, so dass die Schutzimpfung als ein Mittel angesehen wurde, 
„die Truppe schnell von den bereits Infizierten zu reinigen“. Es ist 
daher eine öfters beobachtete Erscheinung, dass im unmittelbaren Be¬ 
ginn der Impfung ein ebenso plötzlicher wie schnell verschwindender 
Anstieg an Ruhrerkrankungen auftritt. Aus den Mitteilungen hierüber 
sei ein Fall als Beispiel herausgegriffen: In einem mit Dysbakta ge¬ 
impften Zivilarbeiterbataillon gestalteten sich die Zugänge an Ruhr, 
von Woche zu Woche berechnet, folgendermassen: bis 28. VII. = O, 
29. VII.— 4. VIII. = 6, 5.—11. VIII. = 8. 12.—18. VIII. = 1, 19. bis 

25. VIII. = 1, 26. VIII. bis 1. IX. = 6, 2.-8. IX. = 3, 9.—15. IX. = O, 
16.—*22. IX. = 1, 23. IX. und später = 0. Die Impfung setzte am 

26. VIII. ein und war am 6. IX. abgeschlossen. Sie brachte also ein 
deutliches Ansteigen in ihrem Beginn, damit war die Ruhr aber auch 
unterdrückt. 

Der Ablauf der Impfreaktionen und der Verlauf d^r Krankheit bei 
den im Inkubationsstadium Geimpften erfährt fast durchweg eine 
günstige Beurteilung. Es kann jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass 
auch vereinzelte Todesfälle zu verzeichnen sind. Ob der tödliche 
Ausgang der Krankheit in einem Zusammenhänge mit der Impfung 
steht, lässt sich kaum entscheiden. Es ist bekannt, dass schon von den 
anderen Schutzimpfungen her die Frage des Einflusses der Schutz¬ 
impfung, wenn sic in das Inkubationsstadium der betreffenden Krank¬ 
heit fällt, noch immer Gegenstand der Kontroverse ist. Sie soll daher 
im Rahmen dieses Berichtes nicht aufgerollt werden. Entsprechend 
unserem Standpunkte in dieser Frage legen wir jedoch Wert auf die 
Feststellung, dass es sich in den erwähnten Todesfällen, wie von den 
verschiedenen Berichterstattern besonders hervorgehoben wird, um 
schon vor der Impfung und Krankheit körperlich in hohem Grade ge¬ 
schwächte Personen gehandelt hat. 

Dass die Impfung einen absoluten Schutz gegen die Er¬ 
krankung gewährt, wird niemand nach den Erfahrungen mit den 
Schutzimpfungen bei anderen Infektionskrankheiten erwarten. Für die 
Gesamtprozentzahl der Erkrankungen bei Geimpften fehlen 
z. Z. noch von vielen Seiten die genauen zahlenmässigen Grund¬ 
lagen. In einem Falle, in dem eine Berechnung stattgefunden hat, 
werden bei über 30 000 Geimpften 0,42 Proz. Erkrankungen angegeben, 
wobei jedoch zu bedenken ist, dass, da es sich um Zivilpersonen 
handelt, vielleicht eine Anzahl leichterer Erkrankungen verheimlicht 
sein könnten. Todesfälle bei Geimpften sind ausserordentlich selten. 
Auch hier fehlen genaue Gesamtzahlen. In dem eben er¬ 
wähnten Bericht über mehr als 30 000 Impfungen starben in den Mo¬ 
naten nach der Impfung von den erkrankten Geimpften 1,45 Proz., 
von den erkrankten Ungeimpften 7,13 Proz. Ein anderer Be¬ 
richterstatter berechnet: 

1. Nach Impfung an 2033 Militärpersonen die Morbidität bei Ge¬ 
impften 0,44 Proz., bei Ungeimpften 1,01 Proz.; Mortalität 
bei Geimpften 0 Proz., bei U n g e i m b f t e n 1,9 Proz. 

2. Nach Impfungen an 2002 Militärpersonen eines anderen Heeres¬ 
teiles Morbidität bei Geimpften 0,25 Proz., bei Ungeimpften 
0,82 Proz.; Mortalität bei G e i m p f t e n und UngeimpftenO Proz. 

Um zu einem Gesamturteil über den Erfolg der Impfungen zu 
kommen, sollten die Berichterstatter Stellung nehmen zu den Fragen: 
1. Liegen bereits Erfahrungen vor, die auf einen Schutzwert des 
Impfstoffes hinweisen, ev. Beispiele? 2. Wird die Ausführung der 
Schutzimpfung in Zukunft auf Grund der bisherigen Erfahrungen in 
erweitertem Massstabe empfohlen? Ueber diese beiden Fragen liegen 
zahlreiche Urteile vor. Die Beispiele, die den nach Ansicht der Be¬ 
richterstatter unzweifelhaften Erfolg der Schutzimpfung erhärten sollen, 
sind so zahlreich, dass sie aus Raummangel hier nicht wiedergegeben 
werden können. Nur eine rein zahlenmässige Zusammenstellung soll 
ein Bild von der allgemeinen Stellungnahme der Impfärzte zur 

Original fro-m 

UNIVERSUM OF CALIFORNIA 




16. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


787 


Impfung entwerfen, ln der folgenden Tabelle befinden sich — nament¬ 
lich unter den 36 Berichten der ersten Spalte — eine grössere Anzahl 
Sammelberichte. Einige Berichte konnten keine Aufnahme in der 
Tabelle findlen, weil die zahlenmässigen Angaben ungenügend sind 
oder gan-z fehlen; besondere Beobachtungen enthalten sie nicht. 


Zahl der 
Bericht¬ 
erstatter 

Zahl der 
geimpften 
Personen 

Der Schulzwert wird 

Impfungen in erweitertem 
Masstabe 

36 

80500 

bejaht 

empfohlen 

2 

2324 

»» 

desgl., jedoch noch Abschwi- 
chung deslmpfstoffes gewünscht 

12 

7600 

nicht entschieden, weil Material 
nicht ausreichend erscheint > 

trotzdem empfohlen. 

38 

6000 

nicht entschieden, weil Material 
nicht ausreichend erscheint 

nicht entschieden, weil Material 
nicht ausreichend erscheint 

1 

167 

bejaht 

nicht empfohlen, wegen 4 Todes¬ 
allen bei in der Inkubation Oe- 
impften. 1 ) 

1 

790 

verntkt 

nicht empfohlen, weil kein Er¬ 
folg erkennbar.*) 

1 

14 

verneint 

nicht empfohlen, well Impf- 
reaktionen zu stark.*) 


*) Et tat ausdrücklich vermerkt, das« es sich um untere rnähi te Zivilpersonen ge¬ 
handelt hat, unter denen die Mortalitit 23 Prnz. betrug. 

5 Der Impfarzt kommt auf Orund eines Fehlschlusses zu einem falschen Urteil. 
Seine Unterlagen (Zahlen und Kurve) beweisen einen deutlichen günstigen Einfluss der 
knpfnag. Begründung muss, weil zu weitliuflg, unterbleiben. 

■) Es handelt sich um den bereits oben erwähnten Fall. 

Die kurvenmässige Darstellung der Ruhrerkrankungen im Ost¬ 
heere, auf deren Wiedergabe verzichtet werden muss, veranschaulicht 
besonders deutlich den Schutzwert der Impfung. Der Vergleich der 
Kurven der geimpften und ungeimpften Truppen zeigt einen jähen 
Abfall sofort nach -Durchführung der Impfung, während bei den Un¬ 
zeimpften die Ruhrzugangskurve bis zum Spätsommer weiter ansteigt 
und danach viel allmählicher abfällt. 

Zusammenfassend darf also festgestellt wer¬ 
den: Unter den Berichten über Ruhrschutzimpfungen mit Dysbakta 
an mehr als 100 000 Personen ist kein Fall einer dauernden Schädigung 
beobachtet worden. Impfreaktionen sind in der überwiegenden Zahl 
der Fälle aufgetTeten; mit ihnen ist also zu rechnen. Stärkere Re¬ 
aktionen sind oft auf unsachgemässe Impftechnik zurückzuführen. Alle 
Erscheinungsformen der Allgemein- und Lokalreaktionen werden nicht 
besonders aufg-eführt, dla sie sich nicht wesentlich von den von der 
Typhusschutzimpfung her bekannten unterscheiden. Impfreaktionen, 
die über das von da her gewohnte Mass hinausgehen, gehören zu den 
Seltenheiten. Alter und Geschlecht des Geimpften scheinen ohne Ein¬ 
fluss zu sein; Kinder erhalten am besten die halben Impfdosen der 
Erwachsenen. Es ist vorteilhaft, dafür zu sorgen, dass die Geimpften 
nach der Impfung dienstfrei sind undlder Ruhe pflegen können, durch¬ 
aus notwendig aber ist es nicht. Einen absoluten Schutz gegen die 
Ansteckung bildet die Impfung nicht. Ruhrfälle sind auch bei dreimal 
Geimpften beobachtet worden, der Verlauf der Krankheit war meist 
leicht. Todesfälle bei Geimpften gehören zu den grössten Selten¬ 
heiten. Die Umgebungsimpfungen werden am besten ohne Verzug 
beim ersten Ruhrfall begonnen, damit nach Möglichkeit vermieden 
wird, dass in der Ruhrinkubation befindliche Personen geimpft werden. 
Als Impfintervalle scheinen 5—7 Tage geeignet zu sein. Die drei¬ 
zeitige Impfung ist milder als die zweizeitige, die entsprechend der 
Vorschrift für dringendste Fälle reserviert bleibt. Den Schutzwert 
der Impfung mit Dysbakta bejahen 40 Berichterstatter nach Er¬ 
fahrungen an ca. 83 000 Geimpften, die Impfung empfehlen in er¬ 
weitertem Massstabe 50 Berichterstatter nach Erfahrungen an zirka 
90300 Personen, empfehlen nicht 3 Berichterstttter nadh Imp- 
iungen an nahezu 1000 Personen. Die kurvenmässige Darstellung der 
Ruhrerkrankungen im Ostheere spricht für einen Schutzwert der 
Impfung. 

Ueber die Dauer der Schutzimpfung lässt sich ein endgültiges Ur¬ 
teil noch nicht abgeben. Praktische Beispiele und die Ergebnisse 
serologischer Untersuchungen sprechen dafür, dass der Impfschutz 
3 Monate zum mindesten andauert, ohne dass bisher ein längeres An¬ 
halten des Schutzzustandes ausgeschlossen erscheint. 


Aus der medizinischen Klinik zu Würzburg. 

Ueber abnorm lange Inkubation bei Malaria. 

Von Dr. Bilke, Assistenzarzt d. Res. 

Mit abnorm langem Latenzstadium der Malaria beschäftigen sich 
:n letzter Zeit viele Veröffentlichungen, so die von Stadelmann, 
Mosse, Werner, Mühlens, Kirschbaum, Keller, Zie¬ 
rn an n. Die Frage, ob es sich in solchen Fällen um abnorm lange 
Idiubation oder um Rezidive nach unbemerkter Primärerkrankung 
landelt, wird in den meisten dieser Mitteilungen erörtert, aber zu¬ 
meist unentschieden gelassen. Teils mit Rücksicht auf diese Frage, 
teils aus ajjderen Gesichtspunkten möchte ich über 3 einschlägige 
Fälle aus der Würzburger medizinischen Klinik berichten. Es handelt 

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sich um klinisch und mikroskopisch nachgewiesene Malaria, die 
mindestens 6 % Monate, nachdem die Patienten die Malariagegend 
verlassen hatten, auftrat. 

Der 1. Fall betrifft einen 43 jährigen Landsturmmaim, der im 
Frühjahr 1914 wegen eines Lungenspitzenkatarrhs 14 Tage zu Bett 
lag, sonst immer gesund war. Am 1. XI. 1914 wurde er eingezogen, 
im Juni 1915 rückte er ins Feld nach Russland. Am 26. X. 1915 er¬ 
krankte er plötzlich unter Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Stechen in 
der linken Seite beim Atmen, Husten und Auswurf. Im weiteren Ver¬ 
laufe keine Schüttelfröste mehr. Patient kam nach 14 Tagen Revier¬ 
behandlung unter der Diagnose Lungenentzündung nach dem Festungs¬ 
lazarett Warschau, von da am 23. XI. 1915 in ein Berliner, von da am 
23. XII. 1915 in ein Würzburger Lazarett. Seit Beginn der Erkrankung 
blieb der Zustand im wesentlichen gleich, es bestand Husten, Auswurf, 
Gefühl von Mattigkeit, Stechen auf der Brust. Schüttelfröste kamen 
nicht mehr zur Beobachtung. Patient lag seit März 1916 in einem 
benachbarten, für Leicht-Lungenkranke eingerichteten Vereinslazarett 
in ganz malariafreier Gegend. Dort bekam er am 6. V. 1916 neuer¬ 
dings einen Anfall von Schüttelfrost. Damit beginnt eine 5 Wochen 
dkuernde unregelmässige Fieberperiode, anfangs verschieden hohes 
tägliches Fieber, nach 2 Wochen Tertiana-, dann Quotidiana-, daun 
wieder Tertianatypus. Während dieser Zeit bestanden noch geringe 
Schmerzen, aber deutliche objektive Symptome auf der Brust, der 
Auswurf wurde geringer. Am 6. VI. 1916 unter der Wahrscheinlich- 
keitsdiagnose Empyem der Pleura nach Reservelazarett Juiiusspitai 
verlegt. Bei der Aufnahme am 6. VI. findet sich an den Lungen fol¬ 
gender Befund):: L. h. geringe Schallverkürzung über der Spitze bis 
zur Skapula, von der 8. Rippe nach abwärts an Stärke zunehmende 
Dämpfung. Das Atemgeiäusch ist über der Spitze fast bronchial, 

1. h. u. fast aufgehoben. L. v. über Spitze und von der 3. Rippe nach 
abwärts Rasseln. R. h. über der ganzen Seite vereinzelte Rassel¬ 
geräusche. R. v. vereinzeltes Giemen und Pfeifen. Milzdämpfung 
reicht in der Mammillarlinie bis zum Rippenbogen, Rand nicht zu 
fühlen. Die Probepunktion ergibt keine Flüssigkeit, die Untersuchung 
des Sputums keine Tuberkelbazillen. Im Röntgenbild diffuse- Schatten 
1. u., deutliche Hilus- und Bronchialzeichnung, sonst nichts Besonderes. 
Am 7. VI. nachm. 3 Uhr Schüttelfrost. Temperatur 39,7°. 8 Uhr 

Blutuntersuchung: im Ausstrich bei Giemsafärbung zahlreiche Malaria¬ 
plasmodien intrazellulär. Am 8. VI. mittags 12 Uhr finden sich im 
Blutausstrich zahlreiche Malariaplasmodien, zum grössten Teile aus¬ 
getreten, zum Teil beim Austreten. Gegen 3 Uhr nachm, wieder 
Schüttelfrost. Temp. 40,0°. Am 9. VI. 2 Uhr 45 Min. nachm. Schüttel¬ 
frost, Temp. 39,3°. Vom 10. VI. ab wurde Chinin verabreicht und 
zwar nach dem N o c h t sehen Schema, seitdem keine Schüttelfröste 
mehr. Am 22. VIII. wird Patient entlassen. Er hat seitdem er unter 
Chinin steht keine Schüttelfröste mehr gehabt, die anfangs vorhandene 
Milzschwellung ist geschwunden. Malariaplasmodien sind im Blute 
nicht mehr nachweisbar. Der Lungenbefund ist etwas gebessert, 
hinten besteht noch kleinblasiges Rasseln. Tuberkelbazillen sind nie 
nachweisbar gewesen. 

Hier trat also im Mai 1916 ein zweifelloser Malariaanfall auf bei 
einem Manne, der seit dem November 1915 nicht mehr in malaria¬ 
durchseuchter Gegend gewesen war. Diese Fieberperiode begann 
nicht, wie bei den meisten Primärerkrankungen, mit regelmässigem 
Typus, sondern zunächst unregelmässig und erst nach einigen Wochen 
kommt die deutliche Tertianakurve zum Ausdruck. Ein derartiges 
Einfiebern spricht nach den allgemeinen Erfahrungen jedenfalls weit 
eher für ein Rezidiv als für eine erstmalige Erkrankung. Ueber einen 
Punkt können allerdings Zweifel bestehen, nämlich darüber, ob der 
vereinzelte Fieberanfall am 26. X. 1915 als Ausbruch der Malaria auf¬ 
zufassen oder der Lungenentzündung zuzurechnen ist. Da die erste 
Erkrankung von den behandelnden Aerzten als Lungenentzündung 
aufgefasst wurde, da ferner während der ganzen Krankkeitsdauer 
Lungenerscheinungen bestanden und noch bei der Aufnahme ins 
Juliusspital eine Infiltration an den Lungen vorhanden war. liegt es 
wenigstens nahe anzunehmen, dass es sich damals tatsächlich um 
eine Pneumonie gehandelt hat, die in chronische Pneumonie über¬ 
gegangen ist. Wenn diese Deutung richtig ist. dann trat bei dem 
Patienten ein Malariarezidiv auf, ohne dass eine wahrgenommene 
Primärerkrankung ^vorausgegangen wäre. Andernfalls wäre die 
Primärerkrankung nur kurz und klinisch cferchaus uncharakteristisch 
verlaufen. 

2. Fall: 42jähr. Landsturmmann, seit Februar 1915 im Osten, 
seit Mai an der galizischen Front, bekam am 28. IX. 1915 einen 
Kieferschuss, deshalb im Oktober der hiesigen Zahnklinik überwiesen. 
Ende März 1916 nach Hause beurlaubt, am letzten Tag des Urlaubs 
Schüttelfrost, im Lazarett noch zweimal Fieberanfälle im Tertiana¬ 
typus. nach Chinin entfiebert. Anfang Mai neue Fröste in unregel¬ 
mässigen Zwischenräumen, meist Ouodidiana-, später Tertianatypus. 
Anfang Juni Aufname ins Juliusspital, hier noch zweimal Fieberanfälle 
mit reichlichem Plasmodienbefund, durch Chinin (nach N o c h t) 
dauernd entfiebert. 

3. Fall: 23jähr. Soldat, bekam an der galizischen Front im 
September 1916 Ruhr, die rasch heilte, danach Polyarthritis mit lang¬ 
dauernden Nachwehen. März 1917 zur Ersatzabteilung. Juni 1917 
wieder Gelenkrheumatismus, danach links Pleuritis, die mehrmals 
punktiert wurde. Oktober 1917 entlassen als d. u. Anfang Februar 
1918 Husten, Mitte Februar abends Fieber mit leichten Schüttel¬ 
frösten. 21.11.1918: Spitaleintritt. Mässiger Hustenreiz, unsicherer 
Spitzenbefund. Geringe Temperaturerhöhung, die rasch lytisch ab- 

Original ftom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 29. 




klang. 25. II. mitten in Wohlbefinden Schüttelfrost ebenso am 
27. II. und 1. III. Im Blut nur ganz spärliche Halbmonde und un¬ 
sichere Ringe. Weiterhin (ohne Chinin) fieberfrei, auch nach Quarz- 
lampenbestrahlung, aber 19. III. nach intraglutealer Milchinjektion 
Schüttelfrost, im Blut einzelne Ringe und Halbmonde. Seitdem fieber¬ 
frei. Chininbehandlung nach N o c h t. 

Diese beiden Fälle sind noch bezeichnender als der erste, insofern 
als dort eine kurzdauernde Primärerkrankung zwar unwahrscheinlich, 
aber doch nicht absolut auszusschliessen ist, hier aber jeder Hinweis 
auf eine solche fehlt. Beim dritten Fall spricht, ähnlich wie beim 
ersten, das unregelmässige Einfiebern gegen einfach verlängerte 
Inkubation und für Rezidiv, beim zweiten beginnt das Fieber als 
typische Tertiana, was aber natürlich nicht gegen die Deutung als 
Rezidiv verwertet werden kann. 

Die drei Beobachtungen sind typische Beispiele von verlängerter 
Inkubation. Ihre Deutung als Rezidiv nach einer klinisch nicht oder 
(beim ersten Fall) höchstens andeutungsweise hervorgetretenen 
Primärerkrankung ist mindestens wahrscheinlich. Mit Rücksicht auf 
die Ausführungen von Lenz ist es noch bemerkenswert, dass alle 
drei im Frühling, also mit Beginn der wärmeren Jahreszeit einsetzten. 
Eine Heimabinfektion, wie sie neuerdings in den Berliner Diskussionen 
mehrfach erwähnt werden, erscheint bei den hiesigen Verhältnissen 
fiir unsere Fälle ausgeschlossen. 

Nachtrag. Nach Abschluss dieser Arbeit kamen an der Kli¬ 
nik noch 3 analoge Fälle zur Beobachtung. Die Malaria setzte beim 
einen in der Rekonvaleszenz nach Pleuropneumonie, beim zweiten 
während einer akuten Kriegsnephritis, beim dritten 2 Wochen nach 
einem Lungenschuss mit grossem Hämatothorax ein. Alle 3 waren 
im vorigen Sommer und Herbst an der Ostfront gewesen, hatten 
ebenso wie die obigen Fälle keine prophylaktischen Chiningaben er¬ 
halten, wussten nichts von Fieber zu berichten. Bei allen dreien be¬ 
gann das Fieber ganz uncharakteristisch und nahm erst nach etwa 
einer Woche deutlichen Tertianatypus an. 

Literatur. 

1. Stadel mann: M.m.W. 1916 Nr. 49. — 2. M os se: ebenda 
1917 Nr. 12. — 3. Werner: ebenda 1917 Nr. 42. — 4. Mühlens: 
ebenda 1917 Nr. 25. — 5. Kirsch bäum: ebenda 1917 Nr. 43. — 
6. Keller: D.m.W. 1917 Nr. 48. — 7. Ziemann: Lehrbuch S. 180 
und M.m.W. 1917 S. 501. — 8. Len z: M.m.W. 1917 S. 394. — 9. Dis¬ 
kussion zu Dorendorfs Vortrag. B.kl.W. 1917 Nr. 13. 


Aus dem Hygienischen Institut der Universität Königsberg. 

Zur Methodik der Wassermannschen Reaktion 
und die Frage ihrer Zuverlässigkeit 

Von Prof. Dr. H. Selter. 

Ueber den Wert der WaR. braucht man kein Wort mehr zu 
sagen. Derselbe ist bekannt und in vielen Tausenden von Unter¬ 
suchungen erprobt. Die WaR. gibt in vielen Fällen die einzige Mög¬ 
lichkeit, einen Zusammenhang mit einer früheren luetischen Infek¬ 
tion aufzudecken und leistet auch bei der Behandlung der frischen 
Lues hervorragende Dienste um den Heilverlauf zu kontrollieren. 
Bezüglich ihrer Spezifität erfüllt sie alle Anforderungen, die an eine 
serologische Reaktion gestellt werden können. Zwar wird sie auch 
bei einigen anderen Erkrankungsarten positiv gefunden, so bei den 
Spirochätenerkrankungen Rekurrens und Frambösie, ferner auch bei 
der tuberösen Form der Lepra. Diese Krankheiten sind aber bei uns 
ausserordentlich selten und lassen sich leicht differentialdiagnostisch 
abgrenzen. Wichtiger ist, dass Malariakranke, solange sie Malaria- 
parasiten im Blute haben, in vielen Fällen WaR. ergeben. Da jetzt 
im Kriege die Malaria besonders bei den in Mazedonien gewesenen 
Militärpersonen eine grössere Verbreitung hat. so ist hieran zu den¬ 
ken. Wird bei Malariakranken die WaR. positiv gefunden, so muss 
sie im Verlauf der Chininbehandlung öfter wiederholt werden, um 
zu sehen, ob sie hierdurch beeinflusst und negativ wird. Sind diese 
Erkrankungen auszuschliessen, so ist man berechtigt, eine positive 
WaR. als Beweis für eine luetische Infektion anzusehen. In einer 
Polemik zwischen Wassermann, Freudenberg und Hel¬ 
ler 1 ) über die Zuverlässigkeit der WaR. erwähnt Heller einige 
Fälle, bei denen er trotz positiver WaR. eine syphilitische Erkran¬ 
kung für ausgeschlossen hält. Der Beweis für das Fehlen einer 
syphilitischen Infektion wird aber sehr schwer zu erbringen sein, man 
müsste auf jeden Fall verlangen, dass ein solcher Patient jahrelang 
beobachtet würde. Wir wissen doch heute, dass es bei leichtver¬ 
laufenden syphilitischen Infektionen nicht immer zu einem deutlich 
erkennbaren Primäraffekt zu kommen braucht; öfter wird dieser auch 
unter einer anderen Affektion verdeckt sein. Ich habe verschiedent¬ 
lich Fälle gesehen, wo sekundäre syphilitische Erscheinungen auf¬ 
traten, ohne dass von dem Patienten das geringste Zeichen einer 
Infektion beobachtet war. 

Schwerwiegender und nicht unberechtigt ist der Einwand 
gegen die Zuverlässigkeit der WaR., dass sie von verschiedenen 
Untersuchern und in den verschiedenen Laboratorien ausgeführt 


1 ) B.kl.W. 1917 Nr. 5 u. 13. 

Digitized by Gouole 


abweichende Resultate ergibt. So ist es häufig vor gekommen, 
dass dasselbe Serum in einem Laboratorium als positiv, in 
dem anderen als negativ bezeichnet wird, was natürlich zu 
manchen Unzuträglichkeiten führen muss. Die Erklärung hierfür 
findet man, wenn man näher auf das Wesen der Reaktion, 
über das wir noch absolut im unklaren sind, eingeht. Wasser¬ 
mann ging von der Bordet-Qengou sehen Komplement¬ 
bindungsreaktion aus, bei welcher die Reaktion zwischen einem 
Ambozeptor und seinem Antigen durch Koinplcmentbindung mit Hilfe 
eines hämolytischen Systems zur Darstellung gebracht wird. Diese 
Theorie liess sich aber nicht mehr aufrecht halten, als man fand, 
dass man an Stelle des spezifischen Antigens, des Extraktes aus 
fötaler syphilitischer Leber, jeden Alkoholextrakt aus normalen Mus¬ 
keln verwenden kann. Man vermutete, dass die Reaktion auf alko¬ 
hollöslichen Lipoiden beruhe und konnte auch durch Lipoide, wie 
Lezithin, Cholesterin u. a. eine Bindung erhalten. Man nimmt des¬ 
halb heute an, dass es sich um eine Präzipitatbildung, also mehr einen 
physikalischen Vorgang v zwischen Luesserum und Extrakt handelt, 
wobei Komplement gebunden wird. Etwas Genaues wissen wir 
leider noch nicht darüber. Wassermann lässt diese Theorie 
fiir die unspezifischen Extrakte gelten, hält aber für die spezifischen, 
denen er eine grössere Wirksamkeit beimisst, an der Ambozeptor- 
Antigentheorie fest. 

Zur Wassermannschen Reaktion werden 5 Stoffe benötigt, 
Extrakt-Antigen, Menschenserum, Meerschweinchenserum-Komple- 
ment, Hammelblutkörperchen und Hammelbiutkörperchen lösendes 
Kaninchenserum-Ambozeptor. Ambozeptor und Hammelblutkörper¬ 
chen kann man als ziemlich konstant annehmen. Gänzlich unbe¬ 
kannt ist der Extrakt, der als die Seele der ganzen Reaktion anzu¬ 
sehen ist, über dessen Kräfte wir aber noch wenig orientiert sind. 
Rein empirisch wird vor der Benutzung eines neuen Extraktes an der 
Hand einer Reihe von Seren, die bereits WaR. mit anderen Extrak¬ 
ten gegeben haben, festgestellt, ob er diesen gegenüber eine gleich¬ 
wertige Bindungskraft besitzt. Dem Extrakt ist im wesentlichen die 
Ungleichheit der Resultate in verschiedenen Laboratorien zuzu¬ 
schreiben. Ich habe schon vor Jahren gesehen, dass ein Serum mit 
drei Extrakten negativ, mit einem vierten positiv reagierte und des¬ 
halb verlangt, man solle alle Laboratorien mit einem gleichartigen 
Extrakt ausriisten, womit man dann übereinstimmende Resultate bei 
sonstiger gleicher Methodik erhalten müsste. Dieser Vorschlag ist 
in gewisser Beziehung während des Krieges, wenigstens für die MiM- 
täruntersuehungen, erfüllt worden. Sämtliche preussische Militär- 
untersuchungsstellen erhalten die Extrakte aus dem unter Wasser¬ 
manns Leitung stehenden Kaiser-Wilhelm-Institut für experimen¬ 
telle Therapie. Da dieses nur spezifische Extrakte aus syphilitischen 
Lebern herstellt, ist es technisch natürlich nicht möglich, immer 
denselben Extrakt für längere Zeit auszugeben. Man ist dadurch 
aber auch nicht in der Lage, bei Benutzung verschiedener Extrakte 
— trotz derselben Versuchsanordnung — stets gleiche Resultate zu 
erhalten, wie ich in der Tabelle 1 zeigen kann. 

Von den weiteren zur WaR. benutzten Stoffen sind wechselnde 
Grössen das Menschenserum und das Meerschweinchenserum oder 
Komplement. Im menschlichen Luetikerserum werden die reagieren¬ 
den Teile je nach Stand der Krankheit natürlich in grösserer oder ge¬ 
ringerer Menge vorhanden sein, wie wir ähnliche .Verhältnisse auch 
bei Serumreaktionen bei anderen Infektionskrankheiten vorfinden. 
Man trägt dem Rechnung, indem man für den Ausfall der Reaktion 
verschiedene Bezeichnungen wählt: stark positiv, deutlich positiv, 
schwach positiv und zweifelhaft. Zweifelhaft nenne ich den Ausfall 
bei den Seren, die nur eine sehr geringe Hemmung erkennen lassen. 
Da ich es für möglich halte, dass auch geringfügige unspezifische 
Hemmungen Vorkommen, überlasse ich in diesen Fällen die Ent¬ 
scheidung dem Arzt. Handelt es sich um eine sichere luetische In¬ 
fektion mit früherer positiver WaR., bei der eine spezifische Behand¬ 
lung eingeleitet ist, so würde der zweifelhafte Ausfall dafür sprechen, 
dass die Reaktion noch nicht völlig negativ geworden ist. Liegt 
irgendein Verdacht für eine luetische Infektion vor. so ist der Arzt 
berechtigt, die Reaktion als positiv anzusehem; spricht alles gegen 
eine solche, so muss sie als negativ gelten. In zweifelhaften Fällen 
empfiehlt sich die Einleitung einer spezifischen Behandlung und eine 
spätere Wiederholung der Reaktion. 

Das Meerschweinchenserumkomplement hat eine wechselnde 
Bindungs- oder Ergänzungskraft, womit in vielen Laboratorien zu 
wenig gerechnet wird. Gewöhnlich gibt man 0,5 ccm einer lOproz. 
Serumverdünnung, also 0,05 zu, wie es in der amtlichen Anweisung 
des Kriegsministeriums vorgeschrieben ist. Meist hat man hierbei 
einen nicht unbeträchtlichen Ueberschuss, der störend einwirken 
muss. Es ist mir aber auch vorgekommen, dass diese Menge nicht 
zur Lösung der Kontrolle genügte, und dass ich bis zur 4fachen Dosis 
nötig hatte. Vor kurzem brach unter unseren Meerschweinchen 
eine Seuche, hervorgerufen durch Pseudotuberkulosebazillen, aus. 
Aus Tiermangel mussten wir auch die Tiere benutzen, die an der 
Seuche erkrankt, aber durchgekommen waren. Bei diesen Tieren 
sahen wir, dass der Komplementgehalt stark abgenommen hatte, und 
dass wir zur WaR. 0,06—0,07 brauchten. Schon seit Jahren habe 
ich prinzipiell vor jedem Versuch in einem Vorversuch das Meer¬ 
schweinchenserum genau ausgewertet und zum Hauptversuch die¬ 
jenige Menge genommen, die noch eine sichere Lösung herbeiführt. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



16. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


789 


Im Vorversuch gehe ich von einer Verdünnung 1:10 aus und setze 
mit and ohne Antigen an 0,6, 0,5, 0,4, 0,3, 0,2, 0,1; hat z. B. 0,2 nicht 
mehr ganz gelöst, dagegen 0,3, so nehme ich für den Hauptversuob 
0.35, oder 0,5 ccm einer Verdünnung von 0,7 :10. In den meisten 
Fällen ist 0,5 ccm einer Verdünnung 1:10 zu viel. Ein Zuviel an 
Komplement kann aber eine positive Reaktion- verdecken und unter 
Umständen negativ machen. Ohne Zweifel kann auch auf die 
wechselnde Bindungskraft des Komplementes der ungleichmässige 
Ausfall der Serumuntersuchungen in verschiedenen Laboratorien 
nirückgeführt werden. Kaup*), der ausgedehnte Untersuchungen 
über das Komplement gemacht und daraufhin eine besondere Modi¬ 
fikation der WaR. vorgeschlagen hat, misst diesem sogar die Haupt¬ 
schuld zu. Ich komme auf die Kaupsdie Modifikation noch unten 
zurück. Aus unseren Untersuchungen geht hervor, dass dem Extrakt 
die wesentlichere Bedeutung zuzuschreiben ist. In der Tabelle 1 


Tabelle 1. 

8655 Untersuchungen mit 2 Antigenen. 

Mit beiden Antigenen negativ 5872 

*, „ „ positiv 1977 

„ „ zweifelhaft 189 

., „ positiv und zweifelhaft 2166 

., einem Antigen positiv (das andere zweifelhaft) 166 

„ positiv (das andere negativ) 247 

„ zweifelhaft (das andere negativ) 204 
im ganzen positiv 2390 

„ „ positiv und zweifelhaft 2783. 


sr.c 5655 Untersuchungen an Seren, die gleichzeitig mit 2 Extrakten- 
2 us dem Wassermann sehen Institut ausgeführt wurden, zu¬ 
sammengestellt. Rechnet man nur die positiven Reaktionen, so 
enden wir in über 400 Fällen Differenzen, einschliesslich der zweifel¬ 
haften in über 600. Hätten wir nur mit einem Extrakt gearbeitet, und 
*ären die Seren zugleich in 2 verschiedenen Laboratorien unter¬ 
sucht worden, so wären in diesen 600 Fällen — also in fast 7 Proz. — 
voneinander abweichende Resultate herausgekommen. Bei Benutzung 
einer noch grösseren Anzahl von Extrakten hätten wir fraglos von 
den negativ reagierenden Seren noch weitere positive erhalten. Aus 
raseren Untersuchungen geht hervor, dass man auf ein negativ 
reagierendes Serum nicht allzuviel geben und nicht bestimmt den 
Schluss ziehen kann, dass eine luetische Infektion nicht vorliegt. In 
der amtlichen Anweisung wird- verlangt, dass bei erstmalig zur Unter¬ 
suchung eingesandten Seren nur dann eine positive Diagnose ab- 
zegeben werden soll, wenn bei allen Antigenen eine völlige Hemmung 
der Hämolyse festzustellen war. Ich halte dies nicht für richtig. 
Wenn man nicht berechtigt sein soll auch bei Hemmung der Hämolyse 
mit e i n e m Extrakt, während der andere gelöst hat, eine positive 
Diagnose abzugeben, dann müsste die ganze WaR. für unbrauchbar 
erklärt werden. Dadurch würde zugegeben-, dass ein Serum positiv 
reagieren könne, ohne dass man es mit Sicherheit als luetisch be¬ 
zeichnen dürfe. Bei unseren Untersuchungen hätten wir nach dieser 
Forderung 400 positive Fälle weniger gehabt. 

Vor kurzem hat M a n d e 1 b a u m 3 ) eine Modifikation angegeben, 
wodurch die eigenhemmenden Eigenschaften des Menschenserums 
gegenüber dem Komplement, die oft störend einwirken, ausgeschaltet 
werden sollen. Die ganze Aenderung besteht darin, dass das 
Menschenserum erst mit Kochsalzlösung 1:5 verdünnt und dann 
Stunde bei 56° inaktiviert wird, während bei der Wasser¬ 
mann sehen Methode das Serum erst inaktiviert und dann mit Koch¬ 
salzlösung verdünnt wird. Man sollte glauben, dass dieses gleich¬ 
ras sein müsste. Es ist dieses aber nach unseren Untersuchungen 
a: 250 Seren (Tabelle 2) nicht der Fall. Diese Sera wurden gleich- 

Tabelle 2. 

^0 Sera gleichzeitig nach Wassermann und Mandelbaum 
mit den gleichen Reagentien und je 2 Antigenen untersucht. 


Bei beiden 

negativ 160 

ff ff 

positiv 41 

ft ti 

zweifelhaft 2 

„ Wassermann allein 

positiv 3 

„ Mandelbaum „ 

positiv 17 

„ Wassermann „ 

zweifelhaft 16 

Mandelbaum „ 

zweifelhaft 11. 


ztr *‘g mit denselben Reagentien- nach Wassermann und 
Mandelbaum mit je 2 Antigenen untersucht. 160 waren bei 
beiden negativ, 41 positiv. Nach Wassermann waren ausserdem 
soch positiv 3, nach Mandelbaum 17; nach Wassermann 
allein hätten wir demnach 44 positive, nach Mandelbaum 58, 
-ebt unerheblich mehr. Bei den 20 differierenden Seren, die in 
Tabelle 3 zusammengestellt sind, haben wir versucht, die klinische 
Diagnose von dem einsendenden Arzt zu erhalten, was auch in 
19 Fällen möglich war. Nur in einem Fall wurde angegeben, dass 
kKnisch kein Anzeichen für Lues vorhanden und dass eine Infektion 
akht bekannt sei; m allen anderen- Fällen lag Lues sicher vor. Aus 
fe Tabelle geht auch wieder deutlich das verschiedene Bindungs- 

’) Arch. f. Hyg. 87. H. 1—4, M.m.W. 1917 Nr. 5 u. 34. 

*) Mjn.W. 1918 Nr. 11. 

Nr. 29. 

Digitized by Google 


Tabelle 3. 


Nr. 

1 Wassermann 1 

f Mandelbaum ! 

Klinische Diagnose 

Ant. 1 

Ant. 2 

Ant. 1 

Ant. 2 

i 

_ 

_ 


? 

Lues. 26. I. 18. 

2 

3 


— 

# 

29 I. 18 

PnmSraffekt. Infektion Okt. 16. 3 Kuren. 

4 

— 

— 

a 


Lues. März 19)5 

5 

? 

— 

? 

„ August 1916. 

6 

— 

? 

4 

„ Oktober 1917. Kuren gemacht. 
Alte Lues. 

Ulzera am weichen Oaumen. 

7 

8 

? 

_ 


4 + 

9 

? 

+ 

— 


Keine Angaben. 

10 

— 


44 

44 

Alte Lues. 

n 

? 

? 

4 

? 

Lues. Oktober 1917. 

12 

44 

++ 


— 

„ 15. April 18. 

13 

14 

4 + + 


4 

4 

„ 20. Februar 18. 

„ Infektion vor mehreren Monaten. 

15 

? 

— 

+ 

4 

Alte Lues. Infektion 1915. 

16 

? 

? 

44 

44 

Lues. 

17 

? 

— 

4 

4 

Klinisch keine Lues; Infektion unbekannt 

18 

— 

? 


4 

Lues. 

19 

? 

? 

4 



20 

— 

— 

4 

4 

„ 11. März 18. 


vermögen der Antigene hervor; das eine Antigen gibt eine deutlich 
positive Reaktion, das andere eine negative oder zweifelhafte, so bei 
den Seren 1, 3, 4, 5, 8, 11, 18, 19. Oft hat man den Eindruck, dass 
edn Antigen besser als das andere reagiert, im nächsten Versuch findet 
man wieder umgekehrte Verhältnisse. Man sieht aus dem Vergleich 
dieser Untersuchungen nach Wassermann und Mandelbaum, 
wie kompliziert die Verhältnisse bei der WaR. sind, wenn man schon 
bei so geringfügigen Aenderungen so weite Abweichungen erhält. 
Wir werden noch weitere Vergleichsuntersuchungen anstellen, um zu 
sehen, ob man statt der Wass e rm an n sehen Originalmethode 
besser die M a ndelb aum sehe Modifikation durchführt. 

Kaup hat in seinen Untersuchungen den Einfluss der ver¬ 
schiedenen Faktoren geprüft und ist zu dem Schluss gekommen, dass 
die Variabilität des Komplementes das Entscheidende sei. Kaup 
hat eine neue Modifikation angegeben, indem er in einem Vorversuch 
die geringste noch eben lösende Komplementmenge ohne Zusatz von 
Antigen bestimmt. Im Hauptversuch setzt er nun zu den ver¬ 
schiedenen Röhrchen abgestufte Komplementmengen, vom Kom¬ 
plementminimum aufwärtsgehend. Bei 4 Komplementstufen braucht 
er ohne Antigenkontrollen mit einem Antigen bereits 8 Röhrchen, 
während bei der Wassermann sehen Methode 2 nötig sind. Der 
Ausführbarkeit der Kaup sehen Modifikation stehen deshalb augen¬ 
blicklich wegen der schwierigen Beschaffung des Komplementes Be¬ 
denken entgegen. Sie bietet aber auch gegenüber der von uns schon 
seit langem angewandten Technik nichts wesentlich Neues. Ihr 
einziger Unterschied und Vorteil besteht vielleicht darin, dass sie mit 
der Komplementmenge noch weiter heruntergeht und dadurch unter 
Umständen etwas deutlichere Ausschläge ergeben wird. Wir haben 
60 Sera nach Kaup untersucht, sind aber nicht in der Weise wie 
Kaup vorgegangen, der die Sera nach seiner und der Original- 
Wassermanmnethode vergleichend untersucht hat. Wir haben erst 
die Sera nach unserer Technik untersucht und dann die zweifelhaft 
reagierenden mit demselben Komplement nach Kaup angesetzt. 
Ein Beispiel hierfür zeigt Tabelle 4. Im Vorversuch hatten wir mit 


Tabelle 4. 


Ästigen 

Pat- 

Serum 

Komple¬ 

ment 

Häm. 

.Serum 4 

Serum 22 

Serum 68 

Ergebnis nach Stunden 


V, 

IV. 


IV, 

V. 

iVs 

0,5 

0,1 

0,2 

1,0 

d. H. 

d. H. 

f. k. H. 

f. k. H. 

k. H. 

k. H. 

0,5 

0,1 

0,25 

1,0 

s. H. 

s. H 

f. k. H. 

d. H. 

k. H. 

f. k. H. 

0,5 

0,1 

0,3 

1,0 

s. H. 

s. H. 

d. H. 

s. H. 

k. H. 

f k. H. 

0,5 

0,1 

0,35 

1,0 

s.s. H. 

L. 

8. H. 

L. 

f. k. H. 

d. H. 


0,1 

0,2 

1,0 

d. H. 

s H. 

d. H. 

d. H. 

d. H. 

d. H. 


0,1 

0,25 

1,0 

s. H. 

L. 

8. H. 

s.s. H. 

s. s. H. 

s. s. H. 


0,1 

0,3 

1,0 

«.a. H. 

L. 

S.S.H. 

L. 

s. s. H. 

L. 


0,1 

0,35 

1,0 

L. 

L. 

L. 

L. 

L. 

L. 

0,5 


0,2 

1,0 

d. H. 

s. s. H. 





0,5 


0,25. 

1,0 

a. H. 

s.s.H. 





0,5 


0,3 

1,0 

t. s. H. 

L. 





0,5 


0,35 | 

1,0 

L. 

L. 






k. H. *■ komplette Hemmung, f. k. H. =* fast komplette Hemmung, d. H. =* deutliche 
Hemmung, s. H. =* schwache Hemmung, s. s. H. = sehr schwache Hemmung. L. s Lösung. 

Antigen bei 0,2 ccm Komplement — Verdünnung 1:10 — noch 
schwache Hemmung gefunden, 0,3 ccm war gelöst. Zum Haupt- 
versudh wählten wir 0,35 ccm. Nach Kaup haben wir nun von 
0,35 ccm fallende Mengen Komplement 0,35 0,3, 0,25 0,2 ccm zu¬ 
gesetzt. Der Ausfall ergibt uns kein klareres Resultat. Auch auf 
Qrund dieser Untersuchung würde ich bei den 3 Seren die Diagnose 
„zweifelhaft“ stellen, da der Unterschied gegenüber den Kontrollen, 
doch nur ein sehr geringer ist. Ich bin überzeugt, dass man nach 
unserer Technik jede kleinste HemmungsWirkung eines menschlichen 
Serums herausfinden wird. Sie erfordert natürlich peinliohst genaues 
Arbeiten, Antigen und Ambozeptor müssen in ihrer Wirkung absolut 
sicher bekannt sein, und sämtliche Kontrollen müssen unbedingt 
einwandfrei ausfallen. Ich halte es für dringend notwendig, dass die 
Wassermannuntersuchungen nur unter Leitung eines serologisch gnt- 

3 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


790 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


NT. 29 . 


geschulten Arztes ausgeführt, und dass die Ablesungen stets von ihm 
selbst vorgenommen werden. Eine Diagnose über Wassermann* 
sehe Untersuchungen ist eine so verantwortungsvolle Sache, dass sie 
nur mit grösster Vorsicht gestellt werden darf. Solange die theore¬ 
tischen Grundlagen der Reaktion nicht näher geklärt sind, muss man 
mit den vielen Fehlerquellen rechnen, und wird man ihnen nur be¬ 
gegnen können, wenn män sie auf das genaueste kennt und berück¬ 
sichtigt. 


Aus der medizinischen Klinik zu Freiburg i. Br. 

Zur Chemotherapie der Typhusbazillenträger. 

Von Privatdozent Dr. B. Stüber, Assistenten der Klinik 


II. Mitteilung. 


Wir haben in einer früheren Mitteilung 1 ) über unsere ersten chemo¬ 
therapeutischen Versuche an 20 Typhusbazillenträgern mit Zysti’n- 
quecksilber berichtet. Seit Abschluss dieser Versuche sind mm weitere 
58 Fälle aus der Behandlung entlassen worden. Als Präparat diente 
für den einen Teil der Fälle wiederum das Zystinquecksilber, für den 
anderen Teil Zystinabkömmlinge als Führungssubstanz, so das 
Zysteinquecksilberchlorid und das zysteinsaure Quecksilber. Bezüg¬ 
lich der theoretischen Ausführungen kann ich auf meine frühere Arbeit 
verweisen, hier sollen nur dfie praktischen Ergebnisse Erwähnung 
finden, ebenso blieb die Technik der bakteriologischen Untersuchung 
dieselbe. Die Kontrollzeit nach Abschluss der speziellen Behandlung 
wurde auf 8 Wochen verlängert. 

Das Material setzte sich aus 21 Typhus-, 34 Paratyphus-B- und 
3 Paratyphus-A-Bazillenträgern zusammen. 

Unter den Paratyphus-B-Fällen befanden .sich zwei reine Urin- 
und zwei Urin- und Stuhlbazillenträger, die übrigen Fälle waren 
Stuhlbazillenträger. 

Von diesen 58 Fällen wurden nun 24 mit Zystinquecksilber. 13 mit 
Zystinquecksilberchlorid, 8 mit zysteinsaurem Quecksilber behandelt. 
13 Fälle erfuhren eine kombinierte Behandlung. Auf die einzelnen 
Präparate verteilt setzt sich dementsprechend das Material folgender- 
massen zusammen: 


Präparat 

Zystin¬ 

quecksilber 

Zysteinqueck- 

silbcrchlorid 

Zysteinsaure« 

Quecksilber 

Kombinierte 

Behandlung 

Typhus . . 

8 

7 

4 

2 

Paratyphus B . . . 


5 da unter 


10 darunter 

15 

2 Urinbazillen- 

4 

2 Urinbazillen- 

Paratyphus A ._ 

1 

trlger 

1 

_ 

triger 

1 


24 | 

13 

8 1 

13 


Die Zeitdauer des Bazillenträgertums der behandelten Fälle 
gibt sich aus der folgenden tabellarischen Uebersicht. 

Bazillenträger seit Zahl der Fälle 


2 Monaten 2 

3 7 

4 11 

5 16 

6 3 

7 „ 8 

8 ,. 3 

10 ,. 2 

W* Jahren 2 

2—3 Jahren 2 

? 2 


er- 


Bezüglich der Wirkungsweise der einzelnen Präparate zeigten 
sich vor allem in- dem Auftreten von toxischen Erscheinungen Ver¬ 
schiedenheiten. So führte das zysteinsaure Quecksilber meist schon 
im Beginn der Kur zu einer Stomatitis, die eine Unterbrechung dler 
Behandlung erforderte. Es wurde deshalb dieses Präparat weiter nicht 
mehr gebraucht. Am günstigsten waren die Ergebnisse mit dem 
Zysteinquecksilberchlorid. Nebenwirkungen zeigten sich hier nur bei 
sehr langem, über viele Wochen hin sich erstreckenden Gebrauche, da¬ 
bei ist die desinfektorische Wirkung dieselbe wie beim Zystinqueck¬ 
silber. Auch die experimentellen Versuche mit diesem Präparat, auf 
die hier nicht näher eingegangen werden soll, ergaben sehr günstige 
Resultate. Dementsprechend verwenden wir es Jetzt ausschliesslich. 
Da Versuche mit diesem Präparat (Zystinal) zurzeit auch an anderen 
Lazaretten durchgeführt werden, so erscheint es mir zweckmässig, 
auch an dieser Stelle die Dosierung genau festzulegen. 

Die tägliche Dosis beträgt 3 mal 2 Tabletten. Letztere werden 
am besten ca. 1 Stunde nach den Mahlzeiten in Wasser gelöst ge¬ 
geben. Die Dauer der 'Kur beträgt 4 Wochen. Die Kur soll möglichst 
nicht unterbrochen werden. Im Beginne der Kur auftretende geringe 
Beschwerden von seiten des Magendarmkanals (Druckgefühl in der 
Magengegend, vermehrte Stuhlgänge) gehen nach kurzer Zeit bei ruhig 
fortgesetzter Kur wieder zurück. Eine Stomatitis ist selten und dann 
nur bei quecksilberempfindlichen Patienten, sie tritt auch dann nur 
gegen Ende der Kur auf, so dass letztere noch beendet werden kann. 

In einem Falle sah ich während der Kur eine akute Cholezystitis 


*) M.m.W. 1918 Nr. 8 S. *201 und 202. 


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Gck igle 


; mit Ikterus auftreten. Von anderer Seite wurde laut brieflicher Mit¬ 
teilung diese Komplikation in mehreren Fällen beobachtet. Wahr¬ 
scheinlich dlürfte es sich dabei um eine toxische Reizung der Gailen- 
blasenschleimhaut resp. Gallenwege infolge der in loco stattiindenden 
Quecksilberabscheidung handeln. Eine dauernde oder auch nur länger 
anhaltende Schädigung wurde nie beobachtet. 

DerErfolg derBehandlungbeidenobi^en Fällen 
war nun sehr günstig. 53 von den behandelten 55» 
Fällen konnten nach beendeter Kur und nach dlaran 
anschliessender 8 wöchentlicher Kontrollzeit ba¬ 
zillenfrei entlassen werden. Dabei handelte es sich durch¬ 
weg urn Fälle, die vor Beginn der Kur reichlich Bazillen ausschieden. 
Unter den erfolglos behandelten Fällen befanden sich zwei Urin¬ 
bazillenträger. Bei beiden bestand eine eitrige Zystitis, der eine der 
Fälle war ausserdem durch eine typhöse Orchitis kompliziert, es war 
von vornherein zu erwarten, dass unsere organotrope Therapie, die 
theoretisch auf ganz anderen Voraussetzungen beruht, in diesen Fällen 
versagen musste. Die übrigen 3 Fälle, die der Behandlung trotzten, 
waren Paratyphus-B-Stuhlbazillenträger von zweijähriger, 10— und 
8 monatlicher Dauer ihres Bazillenträgertums. 

Ocfters waren mehrere Kuren zum Erreichen eines Erfolges 
nötig, so wurden bei Typhusfällen 4 mal 2 Kuren, 1 mal 3 Kuren, bei 
Paratyphus J B-Fällen 9 mal 2 Kuren, 3 mal 3 Kuren, 1 mal 4 Kuren und 
bei Paratyphus-A-Fällen 1 mal 2 Kuren durchgeführt. Stärkere, länger 
dauernde Beschwerden sind auch bei diesen mehrfachen Kuren nie 
aufgetreten. 

j EszeigtesichalsobeiunseremMaterialbisjetzt 

1 einErfolgvonca. 90Proz. Ueber weitere Versuche wird dem¬ 
nächst berichtet werden. 

Nun möchte ich noch bei dieser Gelegenheit, wenn auch meine 
Versuche noch keineswegs abgeschlossen sindl und noch kein defini¬ 
tives Urteil gestatten, auf die unlängst erschienene Arbeit von Gei¬ 
ger 2 3 4 5 6 7 8 ) kurz eingehen. Bei seinen Versuchen traten im Gegensatz 
zu den meinigen weit mehr toxische Erscheinungen auf. Dieser Um¬ 
stand erklärt sich wohl zum grossen Teil aus der Verschiedenartig- 
keit des beiderseitigen Materials. Unter Geigers Patienten be¬ 
fanden sich viele, z. T. sehr alte, weibliche Personen, auch im ganzen 
genommen war das Alter der Patienten durchschnittlich höher, wäh¬ 
rend mein Material sich ausschliesslich aus gesunden, kräftigen und 
fast vorwiegend jugendlichen Militärpersonen zusammensetzte. Man 
ist wohl berechtigt, anzunehmen, dass die Widerstandskraft von 
letzteren eine bedeutend höhere ist und dementsprechend auch die 
toxischen Nebenwirkungen mehr zurücktreten. Dass aber in einer 
geringen Anzahl solche Komplikationen auftreten, ist fraglos, ich 
habe das auch immer betont. Es ist dies bei einem Desinfiziens wie 
dem in Frage stehenden auch gar nicht anders zu erwarten. Jeden¬ 
falls aber wurden auch von Geiger bleibende Schädigungen nie 
beobachtet. 

Was nun weiterhin die Schlüsse anbelangt, dfie Geiger aus 
seinen Versuchen auf die Wirkungsweise des Präparates zieht, so 
möchte ich dazu folgendes bemerken: Sein Material besteht aus fällen, 
die vorwiegend seit Jahren, mehrere sogar seit 20—40 Jahren, Ba¬ 
zillenträger sind. Es ist wohl selbstverständlich, dass in derartig 
inveterierten Fällen hochgradige chronisch entzündliche Veränderungen 
der Gallenblasenwand (Verdickungen, Schrumpfungen etc.) bestehen. 
Oft sind derartig verdickte Wände direkt von Bazillennestern durch¬ 
setzt. Dass in solchen Fällen jede Chemotherapie auf unüberwind¬ 
liche Widerstände stossen muss, ist ohne weiteres verständlich. Das 
war mir von Anfang an klar. Auch besitze ich selbst über eine 
Behandlung derartiger Fälle keine genügende eigene Erfahrung. Es 
gibt eben keine absolute Therapie. Und es erscheinen mir deshalb 
für einen endgültigen Prüfstein der Methode derartige Fälle keines¬ 
wegs ausschlaggebend. Zudem konnte auch in der Mehrzahl der 
Geig er sehen Fälle die Kur aus den obenerwähnten Anlässen nicht 
genau durchgeführt werden. Ein weiterer Grund meiner Ansicht nach, 
um mit prinzipiellen Schlüssen vorsichtig zu sein. Ausserdem aber 
dürfte in solchen schweren Fällen in der Regel eine einmalige Kur 
kaum zum Ziele führen. Das ist. wenn man sich die obenerwähnten 
Veränderungen der Gallenblase, die in derartigen Fällen doch ange¬ 
nommen werden können, vorstellt, verständlich. Hier kann wohl nur 
durch eine über längere Zeit hin in Zwischenräumen stattfindende 
Desinfizierung der Gallenwege ein Resultat erhofft werden. Dafür 
scheint das oben besprochene neue Präparat wegen seiner geringen 
Giftigkeit besser geeignet. Vielleicht muss in solchen Fällen auch 
die per-os-Applikation durch die subkutane resp. intravenöse Ein¬ 
verleibung ersetzt werden. Die diesbezüglichen Versuche sind z. Z. 
im Gange. Zwei der Geiger sehen Fälle sind nach beendeter Kur 
bazillenfrei geblieben. Geiger bezweifelt zwar, dass es sich bei 
diesen um eigentliche Bazillenträger gehandelt hat. Die Beweis¬ 
führung ist mir offen gestanden nicht ganz verständlich. Der eine 
dieser Fälle hat 1906 einen- Typhus durchgemacht und wird in den 
Protokollen, die ich durch die Liebenswürdigkeit von Herrn Geheimrat 
Uhlenhuth einsehen konnte, als „wahrscheinlich Bazillenträger 
seit 1906“ geführt. Seit 1911 wurden Untersuchungen ausgeführt und 
damals Bazillen nachgewiesen. Der andere Fall ist als „wahr¬ 
scheinlich Bazillenträger seit 1914“ bezeichnet. Ob man daraus, dass 
beide Fälle zuletzt nur einen positiven Befund auf wiesen als sie mit 
Typhuskranken zusammen waren, bindende Schlüsse auf ihr Nicbt- 


*) D.m.W. 1918 Nr. 18. 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 







16. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. - 


791 


bazillenträgertum ziehen kann, erscheint mir doch fraglich. Vor 
allem scheint in'ir dieser Zweifel berechtigt, wenn Untersuchungen in 
grösseren Zwischenräumen ausgeführt werden. Es kann so leicht 
ein positiver Stuhlbefund entgehen. Ich habe unter meinem Material 
manche Fälle, die wochenlang bei täglicher Untersuchung bazillenfrei 
waren, dann plötzlich einen, manchmal auch zwei Tage hintereinander 
massenhaft Bazillen ausscheiden, um Bann wieder Wochen hindurch 
negativ zu bleiben. Oft erfolgt die Ausscheidung beinahe in einem 
regelrechten zeitlichen Rhythmus. Es ist deshalb einleuchtend, dass 
man, wenn man nicht jeden, oder wenigstens jeden zweiten Tag 
untersucht, wie wir es uns jetzt zur Regel gemacht haben, zu ver¬ 
meintlichen negativen Resultaten gelangt. Deshalb möchte ich die 
obige Beweisführung Qeigers nicht ohne weiteres akzeptieren und 
annehmen, dass inehr für, als gegen das Bazillenträgertum dieser Fälle 
spricht. Darin, dass beide Fälle keine vollständige Kur durchgemacht 
haben, einen Grundl gegen die Wirkung des Präparates zu sehen, er¬ 
scheint mir nicht angängig. Ist es doch eine bekannte Tatsache, dass 
in Betreff der Wirkung eines Medikamentes die grössten individuellen 
Verschiedenheiten bezüglich des Endeffektes sowohl in quantitativer 
als qualitativer Hinsicht bestehen. Ich verfüge über viele Fälle, bei 
denen die Kur schon nach der Hälfte der gewöhnlichen zeitlichen. 
Dauer Erfolg hatte. Daraus den Erfolg eines Mittels bestreiten zu 
wollen, scheint mir pharmakologisch nicht haltbar zu sein. So wird 
man aus den Geiger sehen Versuchen nur das entnehmen können, 
dass in vielen, vor allem sehr lange bestehenden Fällen eine einmalige 
Kur keinen Erfolg verspricht. Das geht ja auch aus meinen eigenen 
Versuchen hervor. 

Selbstverständlich und das möchte ich nochmals betonen, werden 
manche Fälle unbeeinflusst bleiben, vor allem solche in denen hoch¬ 
gradige entzündliche Veränderungen der Gallenblase bestehen. Meist 
rändelt es sich dabei um ein sehr lange bestehendes Bazillenträgertum. 
Wie bei jeder Therapie, so versprechen eben auch hier die fri¬ 
scheren Fälle den besten Erfolg. Darauf glaube ich kommt es auch 
vor allen Dingen an, um auf diese Weise jeden Nachwuchs 
des Typhusbazillenträgertums im Keime zu er¬ 
sticken undl so, wie ich schon in meiner letzten Arbeit hervorhob, 
eine wirksame Prophylaxe zu ireiben. Dass dieses Ziel er¬ 
reicht werden kann, das glaube ich auf Grund meines Materials schon 
heute annehnien zu können, wenn auch die Versuche noch keineswegs 
abgeschlossen sind und vielleicht noch manche Modifikationen er¬ 
fahren dürften. 


Zur Frage der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. 

Von Prof. Dt. Kaulla (Stuttgart), zurzeit Kriegsgerichtsrat. 

Der dem Reichstag vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten enthält die seitens der 
Reichsregierung früher abgelehnte Strafdrohung gegen denjenigen, 
der „den Beischlaf ausübt, obwohl er weiss oder den Umständen 
nach annehmen muss, dass er an einer mit Ansteckungsgefahr ver¬ 
bundenen Geschlechtskrankheit leidet“. Nach der bisherigen Rechts¬ 
lage kann die Ausübung des Beischlafs durch eine geschlechtskranke 
Person nur dfeinn strafrechtlich verfolgt werden, wenn eine vollendete 
Körperverletzung vorliegt. Die Tatbestandsmerkmaie einer solchen 
können aber in derartigen Fällen vielfach nur ungemein schwer nach¬ 
gewiesen werden. Die vorgeschlagene neue Bestimmunge, die schon 
die Gefährdung als solche bedroht, wird daher, wenn sie, wie wahr¬ 
scheinlich, zum Gesetz erhoben wird, dazu dienen, Fälle, die ohne¬ 
hin bereits strafbar sind, dem Arm des Richters leichter erreichbar zu 
machen, und wird dadurch dem beleidigten Rechtsgefühl Befriedigung 
verschaffen. Weitgehende Erwartungen, dass diese vermehrte Mög¬ 
lichkeit der Bestrafung viel zur Vorbeugung gegen den gefähr¬ 
lichen Verkehr beitragen könne, scheinen aber auf keiner Seite gehegt 
*u werden. Es wird denn- auch seitens einer sehr grossen Zahl juri¬ 
stischer und insbesondere ärztlicher Sachverständiger verlangt, dass 
das Gesetz sich nicht mit jenem sog. Gefährdungsparagraphen be¬ 
tröge, sondern eine allgemeine Anzeige - und Behänd- 
iungspflicht einführe, ohne die ein grosszügiger und durch¬ 
greifender Kampf gegen die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten 
nicht möglich sei. Manche, die diesen Gedanken früher bekämpft 
haben, haben ihre Gegnerschaft aufgegeben, und im Reichstag 
scheinen die Aussichten für die Annahme einer derartigen Regelung 
»«uerdings sehr erheblich gewachsen zu sein. Es würde danach jeder 
Geschlechtskranke bei Strafe verpflichtet werden, einen Arzt aufzu- 
snehen und dessen Weisungen bis zur Heilung pünklich zu befolgen, 
und die Aerzte wären zu verpflichten, die entsprechenden Meldungen 
eine mit der Aufsicht hierüber zu betrauende Behörde zu erstatten. 

Es soll hier nicht weiter auf die mit schwerwiegenden Gründen 
und Gegen gründen umstrittene Frage eingegangen werden, ob der 
jedenfalls (angesichts einer Zahl von mindestens dreiviertel 
Millionen venerischer Erkrankungen im Jahre!) sehr grosse Verwal- 
tangsapparat, um dessen Einführung für das Reichsgebiet es sich 
liier handelt, woh 1 auch wirklich den erhofften Erfolg haben würde. 
Es sei nur festgestellt, dass die Meinungen der Sachverständigen 
ober den Nutzen oder Schaden einer derartigen Regelung tatsächlich 
sehr weit auseinandlergehen. Es dürfte daher, ehe zu einer so weit- 
f redenden und dabei vielfach überaus skeptisch beurteilten Neueinrich¬ 
tung geschritten wird, die Ueberlegung am Platze sein, ob es nicht 
*ttögHch ist und genügen würde, die während des Krieges für den 

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grössten Teil der in Betracht kommenden männlichen Bevölkerung, 
nämlich im Grundsatz für alle einberufenen Wehrpflichtigen, tat¬ 
sächlich bereits bestehende Einrichtung einer ständigen Gesundheits- 
kontrolle mit Behandlungszwang auch nach dem Kriege für die 
noch wehrpflichtigen Jahrgänge beizubehalten. Die Regierungsvor¬ 
lage führt an der Hand der Statistik bezüglich der Zugänge an 
venerischen Krankheiten in Armee und Marine den Nachweis, dass 
„seit dem Jahre 1881 die Verhältniszahlen auf die Hälfte bis ein 
Drittel der früheren zurückgegangen sind“. Im Anschluss an die 
Feststellung dieses glänzenden Erfolges des militärischen Systems 
der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten sagt die Begründung 
der Vorlage gewiss mit Recht: „würde bei der Zivilbevölkerung 
Aehnliches zu erreichen sein, so wäre damit ein unschätzbarer Gewinn 
sowohl für die Volksgesundheit als auch iür die Volkswirtschaft 
zu verzeichnen,“ Wenn trotzdem anscheinend noch niemals dem 
Gedanken nähergetreten worden ist, diesem bewährten System eine 
grössere Ausdehnung zu geben, so dürfte der Grund nicht sowohl 
in einer Verkennung seiner Brauchbarkeit an und iür sich gelegen 
haben, als vielmehr einzig darin, dass bis zum Kriege der Gedanke 
eines solchen Umsichgreifens des „Militarismus“ und seiner Zwangs- 
befugnisse etwas so Ungeheuerliches hatte; dass er überhaupt nicht 
ernstlich aufkommen konnte. 

Der Krieg hat in solchen Anschauungen manchen Wandel ge¬ 
schaffen. Vor allem aber hat sich die tatsächliche Grundlage für die 
Beurteilung der Frage seit dem Kriege sehr verändert. Denn während 
es früher nur einige hunderttausend Mann zur gleichen Zeit und 
junge Leute waren, die im aktiven Dienst standen rnd während dessen 
Dauer der Gesundheitskontrolle unterworfen waren, ist :es jetzt 
während des Krieges die ganze wehrpflichtige, viele Millionen Männer 
umfassende Bevölkerung — also fast difc ganze männliche Bevölke¬ 
rung, soweit sie dLm Lebensalter nach für die Ansteckungsgefahr 
wesentlich in Betracht kommt —, die zur Verfügung der Militär¬ 
behörde steht und sich zum allergrössten Teil auch jener gesundheit¬ 
lichen Zwangsfürsorge zu fügen hat. W'ürde eine geeignete, insbe¬ 
sondere eine schonende Form gefunden, um eine derartige Aufsicht 
über sämtliche Wehrpflichtige auch nach der Demobilmachung beizu¬ 
behalten, so würde es sich somit nur um die Fortsetzung eines Ver¬ 
fahrens handeln, das die allermeisten nun bereits jahrelang Monat für 
Monat über sich ergehen Hessen und mit der völligen Selbstverständ¬ 
lichkeit einer militärischen Pflicht hinzunehmen gewohnt sind, sicher¬ 
lich ohne dass ein normales Ehr- und Schamgefühl sich durch die vor- 
schriftsmässige Besichtigung beleidigt gefühlt hätte. 

Was die Frage anbelangt, ob umgekehrt der Militärverwaltung 
eine solche Erweiterung ihres bisherigen Aufgabenkreises zugemutet 
werden könnte, so bedarf es gewiss keines besonderen Hinweises, um 
darzutun, dass die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten nicht nur 
im aktiven Heere, sondern in dfcr ganzen, insbesondere aber in der 
wehrpflichtigen Bevölkerung ein Gegenstand von unmittelbar militäri¬ 
schem Interesse ist. 

Die gegebene Gelegenheit, Erhebungen über den Gesundheitszu¬ 
stand derjenigen Wehrpflichtigen vorzunehmen, die nicht dem 
aktiven Heere angehören, sind die Kontrollversammlungen, zu denen 
im Frieden, auf Grund der Wehrordnung, die Personen des Beur¬ 
laubtenstandes mit Ausnahme dter Land- und Seewehr II. Aufgebots 
teils ein- teils zweimal jährlich zusammenberufen werden. Diese 
Kontrollpflicht nötigenfalls auf die Land- und Seewehr II. Aufgebots 
und auch auf den Landsturm auszudehnen, könnte sicherlich als keine 
übermässige Zumutung an die Betroffenen erachtet werden, wenn 
damit einem gerade auch für die Zivilbevölkerung hochwichtigen 
Interesse der Volkswohlfahrt gedient wird. Ob und in welchem Um¬ 
fange etwa die Verheirateten und die ältesten Jahrgänge auszunehmen 
wären, würde nach den diesbezüglichen statistischen Feststellungen 
zu beurteilen sein* Die Kontrollversammlungen bieten auch die denk¬ 
bar geeignetste Gelegenheit, die Leute durch Ansprachen immer aufs 
neue über die Wichtigkeit des Kampfes gegen die Geschlechtskrank¬ 
heiten zu belehren und ihnen die Pflicht vor Augen zu halten, bei einer 
Erkrankung ohne Verzug einen Arzt aufzusuchen. Auch in den Militär¬ 
pässen, in denen die militärischen Verhaltungsmassregeln für den Be- 
urlaubtenstand vorgedruckt sind wäre ein kurzer Hinweis (insbe¬ 
sondere auf die sonst im allgemeinen* zu wenig bekannten öffentlichen 
Beratungsstellen für Geschlechtskranke) sehr wohl am Platz. 

Das Kontrollverfahren selbst Hesse sich etwa in folgender Weise 
denken. Bei Gelegenheit der Kontrollversammlungen fände eine ärzt¬ 
liche Untersuchung aller Kontrollpflichtigen statt. Inwieweit dabei 
die persönliche Besichtigung durch Einsendung eines ärztlichen Zeug¬ 
nisses über die Gesundheit bzw. die Behandlung eines Mannes ersetzt 
werden könnte, wäre eine Frage von verhältnismässig untergeordneter 
Bedeutung, die unter dem Gesichtspunkt zu lösen wäre, dass bei dem 
ganzen Verfahren einHöchstmass von Lückenlosigkeit und Zuverlässig¬ 
keit bei einem Mindestmass persönlicher Plackerei erreicht werden 
muss. Die Tatsache, dass die ärztliche Untersuchung stattgefunden 
hat, wäre jeweils durch einen Stempel im Militärpass zu bescheinigen. 
Die Geschlechtskranken wären in eine Liste einzutragen, die von 
dem Arzt persönlich zu führen und in der Weise als „streng geheim“ 
zu behandeln wäre, dass sie in die Hände desUnterpersonals überhaupt 
nicht und auch sonst nur in die Hände derjenigen Personen gelangt, 
die unmittelbar dienstlich mit ihr zu tun haben. In diese Liste wären 
auch der Name des behandelnden Arztes und alle Bemerkungen auf¬ 
zunehmen, die nötig sind, um eine Ueberwachtmg des Verlaufes der 
Krankheit hinsichtlich des persönlichen Verhaltens des Erkrankten zu 

Original ffom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


792 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 29. 


ermöglichen. Die hiebei unumgängliche Heranziehung des behandeln¬ 
den Arztes zur Erteilung von Auskünften an die Militärbehörde würde 
ebensowenig gegen die ärztliche Schweigepflicht verstossen als wohl 
irgendwelche sonstigen Standes- und Berufsinteressen der Aerzte- 
schaft gefährden. Auch die Weiterführung der Kontrolle bei einem 
Wohnungswechsel des Kranken Hesse sich auf der Grundlage des 
militärischen Meklesystems in verhältnismässig einfacher Weise er¬ 
reichen, am einfachsten durch eine Vorschrift, dass jeder, der sich 
wegen Wohnungswechsels bei einem neuen Bezirkskommando anzu- 
meldlen hat, sich grundsätzlich auch dem Arzt des Bezirkskommandos 
vorstellen muss. 

Die Hauptsache wäre, dass die Möglichkeit geschaffen würde, 
einen Wehrpflichtigen zwangsweise der militärärztHchen Behandlung 
zuzuführen, wenn sich bei der Besichtigung ergibt, dass er sich nach 
seiner Erkrankung nicht in ärztliche Behandlung begeben hat 
oder dass er in der Erfüllung der ihm gegebenen ärztlichen Ver- 
haltungsmassregeln nicht zuverlässig ist. Es würde sich also um die 
Einführung einer gesetzlichen Bestimmung handeln, derzufolge in 
solchen Fällen die Einberufung dies Mannes zulässig wäre. Die 
Einberufung müsste gegebenenfalls ausgesprochen werden, wenn 
die zuständige ärztliche Instanz sie beantragt, etwa dieselbe Instanz, 
der die Aufsicht über dieses Kontrollwesen zu übertragen wäre. Die 
Aussicht auf eine solche Einberufung im Falle der mit Sicherheit zu 
gewärtigenden Entdeckung der Krankheit würde sich höchstwahr¬ 
scheinlich als der allerwirksamste Ansporn zu einem sachgemässen 
Verhalten eines jeden Erkrankten* erweisen, weit wirksamer als 
Strafdrohungen. Die weitgehende Inanspruchnahme der Polizei und 
der ohnehin schon überlasteten Gerichte, wie sie zur Durchführung 
einer auf nicht militärischer Grundlage ruhenden Anzeige- und Be¬ 
handlungspflicht Platz greifen müsste, fiele weg und damit im wesent¬ 
lichen auch die sehr ernsten Gefahren für das Privatleben, die bei 
jener Inanspruchnahme und schon* im Gefolge der blossen Möglichkeit 
der Bedrohung mit ihr zu befürchten wären. 

Für die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten durch die bür¬ 
ge r 1 i ch e Gesundheitspolizei und gewissermassen zur Ergänzung des 
militärischen Kontrollsystems verblieben nur zwei Personengruppen 
von besonderer Bedeutung: die weiblichen Prostituierten und die 
Ausländer. Die erstere Gruppe wird im erreichbaren Umfang bereits 
ohnehin der Zwangskontrolle und gegebenenfalls einer Zwangsbe¬ 
handlung unterworfen. Und die im Inland lebenden männlichen Aus¬ 
länder der in Betracht kommenden Altersstufen einer ähnlichen An¬ 
meldepflicht und Gesundheitskontrolle zu unterwerfen wie sie für die 
Wehrpflichtigen eingeführt wäre, würde weder ein unbilliges Ver¬ 
langen, noch auch, wenn man Schikanen vermeidet, oraktisch un¬ 
durchführbar Äbin; ohnehin wird vielleicht künftighin das Ausländer¬ 
tum fester angefasst werden als vor dem Kriege. Am leichtesten 
würde sich diese Ausländerfrage aber jedenfalls dann erledigen, wenn 
es gelänge, den Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten in gross- 
ziigiger Weise und so wirksam zu organisieren, dass andere Länder 
dem deutschen Vorbild nachstreben. Dann wäre auch alle Aussicht, 
dieser furchtbaren Seuchen Herr zu werden! 


Aus der Universitäts-Frauenklinik in Innsbruck. 

Zur Fernhaltung der Röntgengase. 

Von P. Mathes. 

In Nr. 21 dieser Wochenschrift hat Köhler sehr bemerkens¬ 
werte Vorschläge für die Anlage von Röntgenijehandlungsräumen 
gemacht. Den Anstoss zu seinen Neuerungen hat das Streben ge¬ 
geben, die durch Strahlung hervorgerufenen Spannungsverluste in 
der Hochspannungsleitung möglichst zu verringern, auch sollten die 
einzelnen Teile des Apparates* von allen Seiten besser zugänglich 
sein. Seine erfolgreichen Bemühungen in dieser Richtung haben 
einen weiteren Gewinn darin gebracht, dass mit der Abnahme der 
Strahlung in der Leitung, die zum grossen Teil ausserhalb des Be¬ 
handlungsraumes geführt ist, die Durchsetzung der Luft mit Röntgen¬ 
gasen stark vermindert wurde. 

Früher schon hat S e i t z erwähnt, dass vorwiegend die nur im 
Dunkeln sichtbaren Ausstrahlungen der Hochspannungsleitung es 
sind, die die Luft im Röntgenrauine verderben. Je kleiner der Raum 
ist und je dichter die einzelnen Teile der Leitung zusammen gedrängt 
sind, desto stärker müssen die Ausstrahlungen naturgemäss sein. 
Das war an der Röntgenanlage der hiesigen Klinik von Anfang an 
zur Genüge bemerkbar. Zur Aufstellung des Röntgenapparates war 
bei meinem Amtsantritte nur ein sehr kleines Zimmer der räumlich 
ganz unzureichenden Klinik von 6,34 X 3,27 m Bodenfläche verfügbar. 
An- schwülen Sommertagen war die Luft des Zimmers trotz Offen¬ 
haltens von Fenster und Türen nach kurzer Arbeitszeit so verdorben, 
dass schwere Vergiftungserscheinungen bei Personal und Kranken 
an der Tagesordnung waren. Diese steigerten sich bis zur Un¬ 
möglichkeit weiter zu arbeiten, als nun auch die Lilienfeld röhre 
in Betrieb genommen wurde — die ganze Leitung entlang war ein 
Knistern und Summen vernehmbar, als deren Quelle ganze Strahlen¬ 
bündel unschwer erkennbar waren. Der Betrieb wurde nun stillgelegt 
und in folgender Weise Abhilfe geschaffen: 

Alles, was Hochspannungsleitung war, wurde etwa Vs m über 
eine Horizontalebene gebracht, die durch den unteren Rand der 
obersten Fenstertafel gelegt wurde In dieser Ebene wurde das ganze 

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Zimmer durch einen soliden Holzboden unterteilt. Milliampöremeter 
und parallele Funkenstrecke befinden sich über ihm und sind dureb 
ein herunterklappbares Fenster ebenso sichtbar wie die Widerstände 
der L i 1 i e n f e 1 d einriehtung. Die Kabel vom Apparat zur Hoch¬ 
spannungsleitung sind stark isoliert, die zur Röhre sind durch grosse 
quadratische Ausschnitte in der Holzdecke geführt, die Ausschnitte 
sind durch starke Glasplatten mit engen Bohrlöchern verschlossen; 
um die Reibung der Schnüre an den Bohrlöchern zu vermindern* 
sind in diese kurze Porzellandüsen eingelassen; durch die Aus¬ 
schnitte kann die Glimmlichtröhre beobachtet werden. Die für die 
Lilienfeld einriehtung notwendigen Zugschnüre laufen durch enge 
Bohrlöcher in der Holzdecke. Die Anlage für den Heizstrom der 
Lilienfeldröhre befindet sich ebenso wie die Kühlpumpe unter der 
Holzdecke. 

Durch diese Anordnung ist die gesamte Hochspannungsleitung 
aus dem Behandlungsraum ausgeschaltet. Der abgeteilte Raum, in 
dem sie sich befindet, ist ausreichend dacht nach unten abgeschlossen 
und gut durchlüftbar; dazu ist in den oberen Teil der durch Holz 
verschlossenen Fensteröffnung ein Ventilator angebracht, der Luft 
aus einem Schachte am anderen Ende des Raumes durch diesen 
durchsaugt. Die im Apparatschranke befindliche Vorschaltfunken- 
strecke ist in eine Glasröhre eingeschlossen, die aber auch weg¬ 
gelassen werden kann, wenn* wie geplant, ein hölzernes Abzugsrohr 
an dem Kastenausschnitt, der zur Kühlung des Induktors dient, an¬ 
gepasst und an einen darüberliegenden Ausschnitt in der Holzdecke 
dicht angeschlossen wird. 

Der Behandlungsraum bietet einen durchaus gefälligen Anblick 
und der Erfolg der Anordnung ist insofern ein vollständiger, als selbst 
nach mehrstündigem Betrieh die Luft von übelriechenden Gasen frei 
ist. Dass seitdem bei den-Kranken keine von den Beschwerden zu 
beobachten ist, die als durch Röntgenstrahlung direkt bewirkt allge¬ 
mein als unvermeidbar gelten, legt die Vermutung nahe, dass nicht 
die Bestrahlung, sondern nur die Röntgengase sie hervorrufen. 

Wenn ich mir auch bewusst bin, dass die von Köhler ge¬ 
troffene Anordnung in einer Hinsicht die vollkommenere ist, so glaube 
ich doch, dass die eben beschriebene für knappe räumliche Verhält¬ 
nisse eine wesentliche Verbesserung bedeutet. 


Aus der Militärärztlichen Akademie München. 

Ueber das Desinfektionsmittel Parol. 

Von Dr. v. Angerer. 

Die Militärärztliche Akademie erhielt zu Versuchszwecken eine 
Flasche Parol übersandt. Dieses Präparat wird von der Firma 
Dr. R a s c h i g - Ludwigshafen hergestellt und ist nach Angabe der 
Firma ein Parachlormetakresol in alkalischer Lösung: die gebrauchs¬ 
fertige Lösung enthält 33 Gewichts- oder 40 Volumprozent Parol. 

Mit Parachlormetakresol hat Laubenheimer Versuche an¬ 
gestellt und sehr günstige Resultate erhalten (Phenol und seine 
Derivate als Desinfektionsmittel. Urban & Schwarzenberg 1909). 
Da seine Versuche sich indessen auf Staphylokokken, an Granaten 
angetrocknet, beschränkten, schien eine ausgedehntere Prüfung er¬ 
wünscht. Es wurden daher weitere Untersuchungen mit Typhus, 
Koli und Staphylokokken angestellt. 

Die Versuche hatten folgendes Ergebnis: Parol ist in Stamm^ 
lösung eine gelbbraune, ziemlich dickflüssige Lösung, die sich mit 
Wasser gut mischt und zwar unter schwacher Opaleszenz. Die ver¬ 
dünnte Lösung ist fast geruchlos. Die Alkaleszenz der Stammlösung ent¬ 
spricht nach hier ausgeführten Titrationen etwa der einer 19proz. Natron¬ 
lauge. Nach Angabe der Firma ist Parol in 0,1—0,2 proz. Lösung zu ver¬ 
wenden; die ersten Versuche wurden daher zunächst mit einer 0,2proz„ 
Lösung angestellt. Als Vergleich wurde gleichfalls eine 0,2proz. Karbol¬ 
lösung verwendet. Die Bakterien wurden teils in Suspension, teils an 
Seidenfäden oder an Granaten angetrocknet verwendet. Zur Her¬ 
stellung des Testmaterials wurden 12—15 ständige Agarkulturen in 
je 2 ccm Kochsalzlösung abgeschwemmt. Mit dieser Aufschwemmung 
wurden die Fäden oder Granaten imprägniert und bei 37° in einer 
offenen Petrischale getrocknet. Nach Einwirkung des Desinfektions¬ 
mittels wurde das Testmaterial in mit Kochsalzlösung gefüllten Petri¬ 
schalen abgewaschen und in Bouillonröhrchen eingebracht Bei Ver¬ 
suchen nach der Suspensionsmethode wurden die Kulturen mit je 
5 ccm Kochsalzlösung abgeschwemmt, durch Zusatz einer entspre¬ 
chenden Menge des entsprechend verdünnten Desinfektionsmittels auf 
die gewünschte Konzentration gebracht (z. B. 1,8 ccm der Suspension 
4* 0,2 einer 2 proz. Parolverdünnung = 2 Prom. Endkonzentration) 
und hiervon in Bouillon ausgesät. Mehrfach vcurden neben den 
Bouillonkulturen Impfstriche auf Agarplatten angelegt. Hierbei er¬ 
gab sich häufig auf Agar kein Wachstum mehr, während die Bouillon 
noch gut bewachsen war. Diese Differenz beruht wohl darauf, dass 
das mitübertragene Desinfektionsmittel langsam an den Agar diffun¬ 
diert und somit im Impfstrich eine höhere, noch entwicklungshemmende 
Konzentration hat als in der Bouillon. (Vergl. hierzu Neufeld und 
Karl bäum: D.m.W. 1918 Nr. 5.) 

Die Resultate waren nicht ganz übereinstimmend. Dies ist ver¬ 
mutlich auf die wechselnde Zusammensetzung der Bouillon zurück¬ 
zuführen, die infolge der gegenwärtigen Zeitumstände nicht konstant 
gehalten werden konnte. Mehrfach kam Pferdefleischbouillon zur 
Verwendung, die beim Beimpfen mit Koli auch ohne besonderen 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


16. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


798 


Traubenzuckerzusatz starke Gasentwicklung zeigte. Desgleichen 
zeigten die verschiedenen Fleischbrühenproben aus den Dampfsterili¬ 
satoren der Freibank, aus denen Nährbouillon gekocht wurde, er¬ 
hebliche Unterschiede des Farbentones; es liegt nahe, daraus auch auf 
Verschiedenheiten in der chemischen Zusammensetzung zurückzu- 
schliessen. Auf die Bedeutung derartiger Schwankungen in der Zu¬ 
sammensetzung des Nährbodens hat neuerdings S ü p f 1 e hinge¬ 
wiesen. (Arch. f. Hyg. 85. H. 4.) 

Bei den Händedesinfektionsversuchen wurde nach der Technik 
von Börnste in (Zschr. f. Hyg. 79. 145) die Hand mit Koli infiziert. 
Um die rein chemische Wirkung ohne mechanische Nebenbeein- 
ilussung zu beobachten, wurde das Bürsten der Hand unterlassen. 
Nach Ablauf der Einwirkungszeit wurden die Hände oberflächlich mit 
sterilem Leitungswasser, dann mit Bouillon abgespült, diese Bouillon 
bebrütet und auf das Vorhandensein von Koli untersucht. Nach dem 
Abspülen mit Bouillon wurde dlie Hand auf Endoagar abgedrückt; 
ferner wurde Nagelfalz und Unternagelraum mit sterilem Filtrierpapier 
ausgerieben und das Papier in Bouillon bebrütet. Die Proben ergaben 
stets gleiche Resultate. 

Zwecks Raumersparnis gebe ich nicht die Tabelle in extenso an, 
sondern nur diejenigen Zeiten, in welchen die Abtötung erfolgte. + be¬ 
deutet Wachstum, — Abtötung. M. bedeuten Minuten, St. Stunden. 
Wenn schon die erste Probe abgetötet oder noch die letzte be¬ 
wachsen war, ist die Zahl eingeklammert 


I. Versuche mit 0,2proz. Parol bzw. Karbol. 
Ä. S u s p em s i o n e n. 



Parol 

Karbol 

Typb». 

Piratypfans B . . . . 

Fkaner-Rnhr .... 

Koli l. 

KoU 2. 

Staphylokokken . . . 

30 M. 4-, 35 M. -; 15 M.-|-,20M.-; 
25 M. 4-, 30 M. — 

(80 M. 4-): 2 St. 4-, 2V» M. — 

45 M. 4-, 50 M. - 
(7 St 4-) 

$*£ f Ü: = 

(90 M. 4-), (110 M. 4-), 
(90 M. 4-) 

(80 M. 4-), (7 St. 4-) 

(80 k 4-) 

(7 St. f) 

(7 St. -f) 

(7 st. 4-) 


Typhös an Oranaten . 
Typhus an Seidenfaden 
Koli an Seidenfaden 
Staphylokokk«n 

an Seidenfaden . 


B. Angetrocknet. 

40 M. -K 45 M. — 

25 M. -I-, 30 M. — 

5 St. +, 5V» - 

(9 St. +) 


(60 +) 

(9 St. -f) 

(9 St. 4-) 


II. Verschiedene Konzentrationen. 
A. Suspensionen. 

Typhus. 


Proz. 

| Parol | 

Karbol 

0,05 

0,1 

0,2 

70 M. -f, 90 M. - 
20 M. 35 M. - 

(8 St. 4-) 

2 St 4-, 5 St. - 
30 M. 4-, 35 M. - 

(8 St 4-). (8 st. 4-) 

0,3 

0,4 

(5 M. -) 

7 M. 4, 10 M. - 
4 M. 4-, 5 M. - 

(8 St. 4-). (8 St. 4-) 

0^ 

0,6 

0,8 

1.0 

1 M. 4-, 2 M. - 

2M. 4. 5 M. - 

2 St 4-, 5 St. - 
20 M. 4-, 25 M. - 

3 M. -|-, 5 M. — 


Koli. 


| Parol | 

Karbol 

KoU I 

Koli II 

Koli III 

KoU I 

Koli II 

Koli III 

4V,St 4. 5 M. - 
75 M. 4-, 00 M. - 

20 M. 4-, 30 M. — 

10 M. 4-, 15 M. — 

5M.4.7M.- 

5 M. 4, 6 M. — 
2 M. 4, 4 M, - 
2M.-f.3M.- 
1 M. — 

V3M.4-, IM. - 

5M.4.7M.— 
5 M. 4» 7 M. — 

1 M. -j-, 3 M. — 
V» M. 4, 1M.- 
Va M. 4-, IM.- 

6 St. — 
6 St. — 
6 St. — 

2 st. 4- 

2 M. 4-, 
i 5 M. - 

(60 M. -t) 

(60 M. -4) 

30 M. 4-, 
40 M. - 


Staphylokokken. 


Proz. 

Parol 

Karbol 

0,2 

2 St -h 5 St. - 

(8 St. 4-) 

0,3 

60 M. 4-,S0M. - 


0,4 

50M -f,60M.— 

(8 St. -4) 

0,5 

50M 4-,tOM — 


0,6 

25M.-K 30M.— 

3 St. 4-. 6 St - 

07 

10M.+, 15 M. — 


0,8 


60M.4-.80M.- 

0.9 

7 M. 4-, 10 M. - 


1,0 


15M.4-,20M.- 


Proz. 

| Parol 

1,2 

2 M. 4-, 5 M. - 


1,0 

5 M. 4-, 7 M. - 

(1 M. -) 

0,8 

7 M. 4-, 10 M. — 

5 M. 4-, 7 M. — 

0,6 

15 M. 4-, 20 M. — 

7M.+, 10 M.- 


B. Angetrocknet. 
Koli a. Seidenfaclen. 


Proz. 

| Parol 

0.2 

1 (120 M. 4") 

! 060 M. 4-) ! 



0*4 

100 M. - 

-, 120 M. - 

110 M. 

120 M. — 

110 M. 4-, 

120 M. - 

0,6 

50 M. - 

60 M. - 

70 M. 

m m. — 



0,8 

30 M. - 

40 M. - 

50 M. 

60 M. - . 

50 M. 4-, 

60 M. — 

1,0 

25 M. 4 

k 30 M. - 

25 M. 

4-, 30 M . - 

25 M. +, 

30 M. - 


Digitized b' 


■v Google 


C. Händedesinfektion. 

In 0,5 proz. Parol nach 40 Minuten in allen 3 Proben reichlich. 
Koli. In 1 proz. Parol nach 30 Minuten in allen 3 Proben und reich¬ 
lich Koli. Von 20 Minuten an trat in der Hand das Gefühl von 
Pelzigkeit auf. 

Aus diesen Versuchen ergibt sich, dass Parol ein. stark wirk¬ 
sames Desinfektionsmittel ist. Jedenfalls ist es dem Karbol an Wirk¬ 
samkeit stark überlegen. Dagegen scheint die in der Gebrauchs¬ 
anweisung angegebene Konzentration etwas zu gering bemessen. 
Insbesonders wenn die abzutötenden Bazillen in der Tiefe des Ma¬ 
terials sitzen (Seidenfäden), wird die Abtötung bei 1—2 Proz. nicht 
mehr prompt erreicht. In der. höheren Konzentrationen ergibt sich 
eine gute Desinfektionswirkung. 

Für die praktische Anwendung kommt die Konzentration von 
0,6 Proz. in Frage. 


Ein« neue Zusammensetzung des englischen Infanterie- 
Spitzgeschosses. 

Von Prof. Fessler, Chirurg in einem Kriegslazarett. 

Das englische Infanteriegeschoss, die jetzt gebräuchliche Kriegs¬ 
munition unserer Hauptfeinde, in Form und Länge ungefähr die Mitte 
zwischen dem französischen und deutschen Spitzgeschoss haltend, 
besteht, wie mehrfache Mitteilungen unserer Fach- und Tagespresse 
seit 1914 festgelegt haben, aus einem Nickelbronzemantel, der in 
seinen hintern Zweidritteln mit Hartblei gefüllt ist, während das vor¬ 
dere Drittel seines Hohlkegels einen Aluminiumkern enthält, der sich 
sowohl dem hinteren Bleikern, als auch dem Hohlmantel dicht an- 
schliesst, aber von ihnen vollkommen und leicht abtrennbar ist. 
Auf Längsschnitten durch das Geschoss lässt sich dieser vordere Teil¬ 
kern leicht herausheben. 

Auch während der jetzigen Offensive im Westen fand ich seit 
dem 22. III. 18 dieses Geschoss mehrfach bei Steckschussoperationen, 
die ich an unseren verwundeten Kameraden vorzunehmen hatte. 
Aber in einigen Fällen (im Verhältnis 1:2) dieser Steckschüsse hat 
der Geschosskern eine auffallende Neuerung gezeigt, die mir der Mit¬ 
teilung wert erscheint: 

Das vordere Drittel von ihm besteht nicht aus Aluminium, son¬ 
dern aus einer schwarzgrauen, leicht und gleichmässig schneidbaren 
Masse, in die auch hie und da kleine Bleitropfen aus dem hinteren 
Bleizylinder hineinragen. Der Nickelmantel des abgeschossenen Spitz- 
gescfoosses zeigt entsprechend der Zusammensetzungsstelle der beiden 
Kerne, an der Grenze des vorderen und mittleren Drittels der ganzen 
Geschosslänge, sehr oft Aufbeulung oder Einknickung, wenn das Ge¬ 
schoss mit der Spitze hart aufgeschlagen ist. Diese neue Kernspitze 
lässt sich ebenso leicht aus dem angeschnittenen Geschossmantel 
herausheben, wie die aus Aluminium geformte, bisher allein be¬ 
obachtete. Auch sie zeigt gepresste, vollkommen abgeteilte Form,, 
ist sehr leicht, hat makroskopisch keine erkennbare Struktur, quillt in 
verdünntem Weingeist etwas auf, löst sich aber weder in Wasser, 
noch in Weingeist, noch in Schwefeläther. Sie verkohlt langsam beim 
Verbrennen, lässt sich unter dem Mikroskop in gelbliche, dünne, band¬ 
artige Fasern zerlegen. Diese Fasern nehmen Methylenblau begierig 
auf, zeigen aber keine Kernfärbung. 

Ich neige der Ansicht zu, dass diese neue Füllmasse der englischen 
Geschossspitze aus gepressten Holzpapierfasern besteht. Sie be¬ 
sitzt ein viel geringeres spezifisches Gewicht als der übrige Bleikern 
und hat jedenfalls gleich dem Aluminium den Zweck, das Gewicht des 
Geschossvorderteils gegenüber dem'übrigen Gescho&körper bedeutend 
zu verringern, den Geschossschwerpunkt also recht weit nach rück¬ 
wärts in die Nähe der Basis zu verlegen. Ob bei dieser Konstruktion 
nun die Rücksicht auf die ballistische Leistungsfähigkeit des Ge¬ 
schosses, Hauptbelastung der Geschossbasis durch die treibende Kraft, 
massgebend war, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls wächst mit der 
Zurückverlegung des Schwerpunktes im Geschoss nahe seiner Basis, 
wie ich dies durch meine früheren Versuch® (veröffentlicht 1909 in 
der D. Zschr. f. Chir., sowie in den Verhandlungen der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie) für Spitzgeschosse überhaupt festgelegt 
habe, der Prozentsatz der Querschläger sehr bedeutend. Das neue 
Geschoss wird sich, sobald es einmal seitlich an einem härteren 
Widerstand angestreift ist, auf seinem weiteren Flug in den ver¬ 
schiedensten Richtungen um seinen Schwerpunkt drehen, wie ein aus 
dem Gleichgewicht gekommener Kreisel, es wird pendeln und sich 
überschlagen. Vielleicht hat Einschränkung des Aluminiumverbrauchs 
die Fabrikanten zu diesem Ersatz gezwungen. 

Aber auch andere Gründe können die Herstellung dieses neuen 
englischen Infanteriegeschosses beeinflusst haben, in der Absicht, es 
bei hartem Aufschlag leichter zum Zerreissen zu bringen. Für diese 
Absicht spricht die Mitteilung der Tagespresse, dass diese Patronen 
westlich der Ancre kistenweise in Gurten verpackt erbeutet worden 
sind mit der Zeichnung „Marque 72“ und der Aufschrift auf den Kisten 
„Explosiv“ (Kölner Kriegszeitung vom 15. April 1918). 

Aus mechanischen Gründen äussert die beim Abschuss dem Ge¬ 
schoss mitgeteilte Triebkraft sich in seinem hinteren, grösseren und 
auch spezifisch schwereren Kern durch stärkeren Druck nach vorwärts 
als im kleineren, leichteren Vorderteil, gleichgültig, ob dieser aus 
Aluminium oder Papier besteht. Letzteres aber ist nachgiebiger, zu- 
sammendrückbarer als das spröde, harte Aluminium. 

Original from 

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794 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 29. 


Dieser stoffliche Unterschied des vorderen Teilkems ist daher 
bei dem verstärkten Druck des hinteren Teils sehr wohl zu berück¬ 
sichtigen, um so mehr als der vordere Papierkern Spalten und Risse 
zeigt, in welche der hintere Bleikern eindringt. 

Es ist daher wohl denkbar, dass der .Bleikern durch den Druck von 
rückwärts, sobald ihm durch Aufschlag ein stärkerer Widerstand ent¬ 
gegentritt, gegen das stärker zusammendriickbare und bereits ge¬ 
spaltene Papier weiter vordringt, dadurch aber den Geschossmantel 
auseinanderzutreiben sucht, aufbeult und auch hier, im vordem Drittel, 
unter Umständen zum Platzen bringt. Jedenfalls wird dieses häufiger 
eintreten bei der Papierfüllung als bei der Aluminiumkernspitze. 

Damit hängt es möglicherweise zusammen, dass ich auf einer 
nicht geringen Anzahl von Röntgenbildern aus der letzten Offensive 
eine Zersplitterung des Geschosses in ungemein zahlreiche kleinste 
Metallstückchen sah bei gleichzeitig starker Knochenzertrümmerung, 
wie ich sie bisher im ganzen Kriege nicht beobachtet habe. 

Auch bei meinen Versuchen mit der deutschen S.-Munition habe 
ich im Vergleich zu obigem nur geringgradige Zertrümmerungen des 
Geschosses bei einem Schuss gegen den menschlichen Unterkiefer und 
das Schienbein unter mehreren hundert Knochenschüssen gesehen. — 
Die vielfachen Geschosstrümmer, namentlich der zerfetzte Geschoss¬ 
mantel gaben bei den Schussverletzungen der letzten Offensive häufig 
Veranlassung zur Geschossentfernung bei Eitersenkungen. Papierteile 
konnten allerdings hierbei nicht gefunden werden. Das liegt wohl 
daran, dass derartige kleinste weiche Teile im Schusskanal nicht 
leicht auffindbar sind. Wohl fand ich mehrmals den vorderen abge¬ 
brochenen Teil des Geschossmantels, nie aber einen Aluminiumkern. 

Fast alle Fälle, in denen es sich um hochgradige Geschosszer¬ 
trümmerung handelte, gingen mit ausgedehnter Knochenzerstörung 
einher, waren mit langdauernden Schwellungen und Vereiterungen 
dler Muskeim in denen diese Bleispritzer zerstreut waren, verbunden. 
Es wurde diese enorme Geschosszertrümmerung beobachtet bei 
mehreren Schüssen durch das Becken, dieOberarmdia- unds-metaphyse, 
aber auch bei der Unterarmdiaphyse,' wo sonst unsc r Spitzgeschoss 
.durchschlägt ohne deformiert zu werden. 

Ein interessanter Fall von Geschosswanderung. 

Von Dr. Ernst Steinitz, Stabs- und Regimentsarzt . 
eines Res.-Inf-Regt. 

Der folgendle Fall von Geschosswanderung ist bemerkenswert 
durch den weiten W T eg, den das Geschoss im Körper zurückgelegt 
hat, durch die lange Zeit, die es ohne starke Störungen in ihm •ver¬ 
weilte und durch die anscheinend gute Selbstbeobachtung des Ver¬ 
wundeten. 

Der Gefreite J. wurde am 20. VIII. 14 bei L. durch Infanterie¬ 
geschoss an der linken Schulter verwundet, das Geschoss traf ihn 
im Liegen geradle vor dem linken Schultergelenk. Ein Ausschuss war 
nicht vorhanden, die kleine Einschussöffnung heilte innerhalb einer 
Woche glatt, von dem Geschoss war nichts zu bemerken. Zeichen 
einer Verletzung des Schultergelenkes, der Rippen, Pleura oder Lunge 
traten nicht auf. Wegen einer gleichzeitigen Schrapnellverwundung 
am Fuss bKeb er längere Zeit im Lazarett. 

Als er im Jahre 1915 wieder ins Feld kam, verspürte er dauernd 
Schmerzen in der linken Brustseite, so dass er beim Marschieren mit 
Gepäck stets den ihn drückenden linken Tomisterriemen losmachen 
musste. Im Jahre 1916 war die schmerzhafte Stelle weiter nach hin¬ 
ten gerückt; als er im Herbst 1916 in Urlaub ging — es war damals 
ein weiter Weg zur Bahn zu Fuss zurückzulegen — konnte er dien 
Tornister kaum tragen, weil die Mitte des Rückens, da wo der Tor¬ 
nister aufliegt, sehr druckempfindlich war. Als er am Schluss des 
Marsches an der Bahn anlangte, war der schmerzhafte Punkt „weiter 
nach unten gerückt“, so dass er den Tornister wieder ohne Beschwerde 
tragen konnte. 

Am 20. XI. 17 meldete J. sich im Revier wegen Schmerzen in der 
rechten Gesässgegend, die seit einem halben Jahre bestehen sollten. 
Diese letztere Angabe erschien auf Grund dler Untersuchung wenig 
glaubhaft; es fand sich nämlich am oberen Rande der rechten Hinter¬ 
backe unter geröteter Haut eine haselnussgrosse fluktuierende Schwel¬ 
lung, die ganz den Eindruck eines frisch entstandenen eingeschmol¬ 
zenen Furunkels machte. Auf Inzision entleerte sich Eiter. Beim 
Verbandwechsel am nächsten Tage kam in der Tiefe der Wunde ein 
schwarzer harter Körper zum Vorschein, der sich mit der Pinzette 
ziemlich leicht hervorziehen Hess. Es war ein französisches Infan¬ 
teriegeschoss, das mit der stumpfen Seite nach unten gelegen hatte; 
es war vollkommen von einer schwarzen Oxydschicht überzogen undl 
bis auf die etwas umgebogene Spitze undeformiert. An der Schulter 
fand sich gerade vor der Mitte des Humeruskopfes eine % cm lange 
glatte Narbe. Brustkorb, Lungen und Pleura boten normalen Befund, 
• das Schultergelenk war vollkommen frei beweglich. 

Das Geschoss ist also offenbar bei der Verwundung nur in die 
Weichteife der Schulter bzw. vorderen Brust wand eingedrungen undl 
hat den Weg von dieser Gegend zum rechten Gesäss ausserhalb des 
Brustkorbes allmählich im Laufe von 3 Jahren zurückgelegt. Dass 
es auch die Mittellinie zu überschreiten vermochte, wird durch das 
auffallend gute Fettpolster, das der Mann gerade in der Lenden- und 
Hüftgegend aufwies, erklärlich. 


Notiz zur Behandlung der Sykosis barbae parasitaria. 

Von Prof. Arneth, zurzeit als Stabsarzt im Felde. 

Unter Betonung der Schwierigkeit der Behandlung dieser Er¬ 
krankung werden in letzter Zeit, abgesehen von der Röntgenbestrah¬ 
lung, fortgesetzt neue — speziell auch Injektions-Methoden zur 

Anwendung empfohlen. 

Es interessiert daher vielleicht den Praktiker im Felde, daran 
zu erinnern, dass auch mit dem alten einfachen Verfahren der 
Epilation in kurzer Zeit die besten Resultate erzielt werden können. 
Verfasser hat das Verfahren seit seiner Assistentenzeit an der Haut- 
und Syphilidiklinik in Würzburg ausschliesslich, desgleichen im Felde, 
angewandt und auch schwere Fälle, die selbst von Spezialisten ver¬ 
geblich behandelt worden waren, relativ rasch zur Ausheilung ge¬ 
bracht. 

Erst vor kurzem wurde noch ein Patient mit tiefen Infiltrationen 
und schwerer mit Schüttelfrösten einhergehender Lymphadenitis der 
Kieferwinkel- und Halsdrüsen eingeliefert, der in verhältnismässig 
kurzer Zeit wiederhergestellt werden konnte. 

Nur muss das Verfahren richtig ausgeführt werden. Mit einer 
Zilien- oder anatomischen Pinzette werden sämtliche Haare im be¬ 
troffenen Bezirk, auch die allerfeinsten, Stück für Stück möglichst in 
1—2 Sitzungen entfernt. Nur das Ausziehen gesunder Haare schmerzt. 
Meist muss ziemlich weit bis ins Gesunde epiliert werden, da ge¬ 
wöhnlich noch weit hinaus auch in makroskopisch gesund scheinender 
Haut erkrankte Haare (erkennbar an der eiterig verdickten Haar¬ 
wurzel) sich befinden. In der Zwischenzeit und weiterhin werden 
fortgesetzt Priessnitze (2—3 mal täglich) mit 2proz. essigsaurer 
Tonerdelösung gemacht, die die entzündlichen Produkte zum Rüde¬ 
gange bringen. 

Mit einer einmaligen Epilation, mag sie noch so gründlich ge¬ 
wesen sein, ist es aber fast nie getan. Das Verfahren muss vielmehr 
peinlichst so lange täglich, am besten durch den Arzt selbst, fort¬ 
gesetzt werden, als sich noch ein veränderter Haarbulbus findet. 
Wenn die Haare zum Fassen also wieder nachgewachsen sind, müssen 
sie noch ein-, meist jedoch mehrmals entfernt werden. Das ist 
natürlich schon schmerzhafter, da sich mehr gesunde Haare darunter 
befinden. Die meisten Patienten nehmen den Schmerz gerne in 
Kauf, wenn sie nur das entstellende Leiden mit Sicherheit los¬ 
bekommen. Kein Rasieren während der Behandlung, um sämtliche 
Haare für die Pinzette zugänglich zu machen! 

Intelligenten Patienten kann man auch die Pinzette selbst in die 
Hand geben und am Spiegel epilieren lassen, wodurch viel Zeit ge¬ 
wonnen wird. Kontrolle ist natürlich notwendig. 

Aus dem pharmakolog. Institut der Universität Frankfurt a. M. 

Thymolester als Darmdesinfizientien. 

Von Alexander Ellinger und Leo Adler. 

In Nr. 23 dieser Wochenschrift berichtet H. Landau über 
Versuche mit Thymolpalmitat und Thymokdeat an Mäusen, die mit 
Mäusetyphuskulturen infiziert wurden. Im Gegensatz zu den Resul¬ 
taten, die wir erhalten und in dieser Wochenschrift 1917 S. 561 ver¬ 
öffentlicht haben, konnte Landau unter sorgfältiger Einhaltung 
unserer Versuchsbedingungen, obwohl er sogar in 2 von 3 Versuchs¬ 
reihen kleinere Dosen der Bouillonkultur verfütterte als wir, kein Tier 
vor dem Tode an der Infektion retten. In unseren gleichartigen 
prophylaktischen Versuchen ging von 8 behandelten Tieren nur eins 
an Mäusetyphus zugrunde. 

Als uns Geheimrat Neufeld von dem ungünstigen Ausfall der 
Versuche Kenntnis gab, wiederholten wir, sobald uns die nötige 
Menge von einigermassen brauchbaren Versuchstieren zur Ver¬ 
fügung stand, unsere Versuche. Aus den folgenden tabellarischen 
Uebersichten ist zu ersehen, dass auch unsere Resultate ungünstig 
ausfielen, wenn auch nicht vollständig negativ wie die Landaus. 

Tabelle 1. Thymolpalmitat. 

15 Mäuse erhielten am 7 XII. 17 mit Schlundsonde um 2 Uhr 
15 Min. nachmittags 0,05 ccm Thymolpalmitat, 5 Stunden 
später 0,05ccm 24 Stunden alte Mäusetyphusbouillon auf 
Brot. Der Ester wurde in gleicher Weise und Menge noch 
14 Tage lang bzw. bis zum früher erfolgten Tode der 
Tiere gegeben. 

11 Tiere starben mit positivem Bazillenbefund 
im Herzblut: 


3 Tiere (Anfangsgewicht 14, 17. 25 g) 

am 6. Tage 

2 Tiere ( 


ifi. n g) 

,. 7. ., 

2 Tiere ( 


16, 19 k) 

8. „ 

1 Tier ( 


21k) 

„ 9. ., 

2 Tiere ( 


19. 21 k) 

„ 10. ,. 

1 Tier ( 


19 k) 

„ 22. ,. 


4 Tiere überstanden die Infektion. 

4 Tiere (Anfangsgewicht 15, 20, 20, 21 g) am 10. II. 18 getötet, 
MTy —, keine Agglutinine auf MTy. 

7 Kontrollmäuse in gleicher Weise infiziert zur gleichen 
Stunde. 


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16. Juli 1918. 


MUENCHENEft MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


t95 


6 Tiere starben mit positivem B a z i 11 e n b e f u n d 
im Herzblut: 


2 Tiere (Anfangsgewicht 

19, 21 g) 

am 5. Tage 

1 Tier ( 

18 g) 

„ 6. „ 

1 Tier ( 

18 g) 

„ 8. „ 

1 Tier ( 

17 gj 

„ 9. „ 

I Tier ( 

17 g) 

„ 22. ,, 


1 Tier (Anfangsgewicht 20 g) starb 
nach 6 Wochen, MTy —. 


MTy +• 


am 19. I. 18 


Tabelle 2. Thvmololeat. 

4 M ä u s e erhielten am 21. II. 18 mit der Schlundsonde 0,05 ccm 
Thymololeat, 5 Stunden später 0,05 ccm MTy -Bouillon 
auf Brot. Der Ester wurde in gleicher Weise 4 bzw. 9 Tage 
gegeben. 

3 Ti e r e (Anfangsgewicht 11, 11, 12 k) starben am 5. Tage: 
MTy +. 

ITierüberstanddielnfektion. Es starb am 24. IV. 18, 
nach mehr als 2 Monaten: MTy —, keine Agglutinine auf 
MTy. 

4 Kontrollmäuse zur gleichen Stunde in gleicher Weise in¬ 
fiziert, starben an Mäusetyphus. 

3 Tiere (Anfangsgewicht 11, 13, 18 g) starben a m 5. Tage: 
MTy -h 

1 Tier (Anfangsgewicht 12g) starb am 6. Tage: MTy -h. 


ln der ersten Reihe wurden von 15 Mäusen 4 gerettet, in der 
zweiten von 4 Tieren eines. Die Infektionsdosis betrug nur 0,05 ccm 
Bouillonkultur gegen 0,5 ccm in den früheren Versuchen. Die Be¬ 
urteilung des Palmitatversuches wird noch dadurch erschwert, dass 
von den Kontrollmäusen eine am Leben blieb, und dass bei dieser 
keine Mäusetyphusbazillen im Blut nachgewiesen werden konnten, 
als sie nach mehr als 6 Wochen starb. Leider unterblieb durch ein 
Versehen bei dieser Maus die Prüfung des Blutes auf Agglutinine, 
während bei den 4 überlebenden behandelten Mäusen die Prüfung 
aui Agglutinine mit negativem Resultat angestellt wurde. 

Das Ueberleben der einen nicht behandelten Maus ist für uns, 
falls nicht ein Versehen bei der Infektion vorgekommen ist, schwer 
erklärlich. Denn wir verfügen über ein Material von etwa 
200 Mäusen, die mit Dosen von 0,5 bis herab zu 0,005 ccm Bouillon¬ 
kultur infiziert waren, die ausnahmslos mit positivem Bazillenbefund 
im Blut gestorben sind. Nur wenn wir die Infektionsdosis auf 
0,0005 ccm erniedrigten, blieben, wie schon in unserer früheren 
Mitteilung erwähnt wurde, 4 Tiere von 14 am Leben. 

Für die Verschiedenheit der Resultate, die wir früher erhielten, 
und der der Landau sehen und unserer neuen Versuche eine aus¬ 
reichende Erklärung zu geben, sind wir zurzeit ausserstande. Wir 
haben unsere alten Protokolle nochmals sorgfältig durchgesehen und 
nicht den geringsten Anhaltspunkt für einen Versuchsfehler gefunden. 
Wir hatten seinerzeit keine Veranlassung, die erfolgreichen Versuche 
immer wieder in neuen Reihen anzustellen, da die Erfahrungen der 
grossen, noch nicht veröffentlichten Versuchsreihen — im ganzen 
wurden etwa 100 Tiere mit verschieden grossen Mengen Thymol¬ 
ester, verschiedenen Infektionsdosen und in verschiedenen Abständen 
von dem Zeitpunkt der Infektion behandelt — vollkommen gleich¬ 
sinnig verliefen. Von 8 prophylaktisch behandelten, stark infizierten 
Tieren starb eines an Mäusetyphus, von 6 Tieren, die 24 bis 38 Stun¬ 
den nach der Infektion mit kleiner Dosis behandelt wurden, ging 
eines an Mäusetyphus zugrunde. Wurde bei gleicher Infektionsdosis 
das Thymolpräparat in kleinerer Menge oder später gegeben, so 
waren prophylaktische wie Heilversuche vergeblich; wurde da¬ 
gegen auch die Infektionsdosis herabgesetzt, so kamen in prophy¬ 
laktischen Versuchen in einer Reihe von 7 Tieren 3 durch, in einer 
anderen von 8 Tieren 5, und erst wenn die Esterdosis auf Vio oder 
V» herabgesetzt wurde, starben sämtliche behandelten Tiere (2 Grup¬ 
pen zu je 4 Mäusen). 

Es erscheint zwecklos, Vermutungen über die Ursachen anzu¬ 
stellen, die den verschiedenen Ausfall der älteren und neueren Ver¬ 
suche bewirkt haben, ohne eine neue experimentelle Begründung. 
Wir müssen deshalb die endgültige Entscheidung hinaussohieben, bis 
uns ein ausreichend grosses Material an geeigneten Versuchstieren 
zur Verfügung steht, das zurzeit für uns nicht zu beschaffen ist. 

An unserer Ansicht, dass man den Mäusetyphus bei rechtzeitiger 
Anwendung mit wirkamen Darmdesinfektionsmitteln erfolgreich be¬ 
kämpfen kann, müssen wir auch nach den Darlegungen von Lan¬ 
dau, die sich hauptsächlich auf die Erfahrungen von Marks 1 ) 
stützen, festhalten. Dass die mit dem Futter aufgenommenen Bazillen 
den ganzen Darm durchwandern, lehrt die Kotuntersuchung. Wenn 
auch, wie wir in der früheren Veröffentlichung schon erwähnten, 
nach Infektion mit kleinen Dosen (0,005 ccm) die Bazillen im Kot 
meist nach 2 Tagen verschwinden, um erst nach stattgehabter 
Blutinfektion wieder aufzutreten, so sind sie doch nach 
stärkerer Infektion, w-ie uns eigene Beobachtungen zeigten, von 
Anbeginn bis zum Tode nachweisbar, auch wenn der Tod erst 
nach 9 oder mehr Tagen eintritt. Wir haben auch im Gegensatz zu 
Marks beobachtet, dass am zweiten oder dritten Tage im Darm 


*) Arb. a. d. Kgl. Inst. f. exp. Ther. zu Frankfurt a. M. H. 4, 
$.37, Jena 1908. 


sich Mäusetyphusbazillen fanden, während das Herzblut noch steril 
war. 

Auch die klinischen Erfahrungen bestärken uns in der Anschau¬ 
ung, dass das Thymolpahnitat ein wirksames Darmdesinfiziens ist. 
Wenn auch die Erprobung am Menschen noch keineswegs zu sicheren 
Resultaten geführt hat, so liegt uns doch eine Anzahl von Beobach¬ 
tungen vor, in denen selbst Bazillenträger, die über 6 Monate lang 
regelmässig Typhus- oder Paratyphusbazillen aussch-ieden, ihre Ba¬ 
zillen dauernd nach der Thymolesterkur verloren haben. Auch das 
nur vorübergehende Verschwinden von Ruhrbazillen aus dem Stuhl, 
das Schittenhelm 2 ) beobachtet hat, spricht für eine Wirkung 
-im Sinne der Entwicklungshemmung. Dass daneben auch zahlreiche 
Versager Vorkommen, namentlich wenn es sich um den Sitz von 
Bazillenherden in den Gallenwegen handelt, war vorauszusehen und 
ist von uns schon früher vorausgesagt worden. Aber nachdem 
Stepp in Nr. 22 dieser Wochenschrift gezeigt hat, dass sich bei 
einer Anzahl von Typhus und Paratyphusbazillenausscheiderm im 
Stuhl Bazillen fanden, in der mit der Duodenalsonde gewonnenen 
Galle dagegen nicht, erscheint es uns erneut geboten, zu Versuchen 
mit dem Thymolester aufzufordern. Schädliche Wirkungen 
des Präparats sind, wenn man sich an die von uns gegebenen 
Einschränkungen kachektischen Patienten gegenüber hält, nicht zu 
befürchten. Uns ist kein Fall von einer Giftwirkung zur Kenntnis 
gekommen. Dagegen lehrt die Erfahrung verschiedener Kliniker, 
dass man bei sonst gesunden Bazillenträgern mit der Dosis noch 
wesentlich höher gehen kann, als wir zuerst vorschlugen. Selbst 
Dosen von 3 Esslöffeln voll am Tage sind ohne Beschwerden ver¬ 
tragen worden. Die Aussichten auf eine bessere Desinfektions¬ 
wirkung grösserer Dosen sind nach unseren Tierversuchen natür¬ 
lich günstigere. Aber wir möchten doch in der Anwendung von 
Gaben über 15 g im Tage, namentlich bei mehrtägiger Darreichung, 
zur Vorsicht mahnen. — Ueber die klinischen Resultate kann im 
Zusammenhang erst berichtet werden, wenn ein grösseres Material 
kritisch gesichtet vorliegt. 


Aus dem städtischen Krankenhaus Charlotten bürg-Westend. 

Eine neue Verfeinerunf der Wassermannschen 
Reaktion. 

Von Dr. med. Gr. P. Hatziwassiliu, 

Assistent am Untersuchungsamt. 

Kurz nachdem der Aufsatz Mandelbaums in der M.m.W. 
1918 Nr. 11 erschienen war, fing ich an, diese „neue Modifikation“ 
nachzuprüfen. Mandelbaum berichtet „es sei ihm gelungen, die 
Ursache der Eigenhemmung der Sera zu erkennen und diese diurch 
geeignete Versuchsanordnung auszuscheiden“. Dabei geht er so vor, 
dass er die Sera nicht in konzentrierter Form bei 56° inaktiviert, 
sondern in einer Mischung von 0,5 ccm Serum 4- 2,0 ccm physio¬ 
logischer NaCl-Lösung X A Stunde lang bei 56° erwärmt. 

Da leider erfahrungsgemäss bei der Wassermann sehen Re¬ 
aktion hie und da eine Serumeigenhemmung auftreten wird, so lange 
eben das Serum als solches bleibt, so kann man wohl begreifen, wie 
wichtig und begrüssenswert eine derartige Methode wäre, die, neben 
ihrer Einfachheit eine äusserst unerwünschte Erscheinung ausschalten 
würde, die Eigenhemmung, über deren Ursache man heute noch nicht 
ganz völlig aufgeklärt ist. Ich habe stets genau nach den Angaben 
Mandelbaums gearbeitet und Sera in ganz frischem Zustande 
untersucht. Es ist nicht nötig, alle Sera aufzuzählen, die eine 
Uebereinstimmung ergeben haben. Nur Unterschiede seien hier wie¬ 
dergegeben: 


Nummer des Serums 

Original-Wa-Reaktion 

Mandelfrxuma Modifikation 

Serum Nr. 1191 

Eigenhemmung 

Flgwihmmmif 

„ „ 1218 

„ 

gelöst 

»» »» * 

9» 

99 

” ” s 

,, 

99 

»» »» ” 

II 

99 

*. „ 54 

stark positiv 

Eigenhemmung 

M *» JW 

fraglich 

starke Eigenhemmung 

„ „ 10« 

Eigenhemmung 

Eigenhemmung 


Diese kleine Tabelle gibt Resultate wieder, die seit Er¬ 
scheinen des Mandelbaum sehen Aufsatzes hier gesammelt 
wurden. Aber bei keinem Fall habe ich bestätigen können, was 
Mandelbaum sagt, dass viel mehr Sera mit seiner Modifikation 
ein positives Resultat aufweisen, als mit dem Originalwassermann. 

Ueber die theoretische Grundlage, warum denn ein Serum nach 
Verdünnen mit physiologischer NaCl-Lösung und nachträglichem In¬ 
aktivieren seine Eigenhemmung verliert, gibt Mandelbaum nichts 
Näheres an. 

Nun eine ganz kurze kritische Bemerkung: 

Es bestätigt sich nun wieder einmal, wie wenig man das Alexin, 
auch bei den sog. Modifikationen, berücksichtigt. Man arbeitet neue 
„Verfeinerungen“ aus, bei denen man auch wahllos 0,5 ccm Alexin 
der Verdünnung 1:10 verwendet und will damit bessere Resultate 
bekommen als mit dem Originalwassermann. Es steht für uns heute 


a ) Ther. Mh. 1918 S. 124. 


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796 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 29. 


fest (vergl. Kaups Schrift: „Kritik der Methodik der Wasser¬ 
mann sehen Reaktion und neue Vorschläge für die quantitative Mes¬ 
sung der Komplementbindung“ an der ich mitgewirkt habe), dass das 
Alexin ein Agens in der W a s s e rm a n n sehen Reaktion darstellt, 
das ungemein schwankend ist, im Gegensatz zur Anschauung von 
Wassermanns Schüler und Mitarbeiter Lange, der die gegen¬ 
teilige Meinung vertritt. Diese Tatsache habe ich selbst im Gruber- 
schen Institut zu München unter Anleitung Kaups tagtäglich beob¬ 
achtet, ja nicht nur das, sondern, dass die Höhe des Alexintiters eine 
ganz andere wird, wenn man die Auswertung des Alexins zusammen 
mit den anderen Agentien — Alexin und Normalserum und Alexin, 
Normalserum und Antigen — vornimmt, die doch bei der Wasser¬ 
mann sehen Reaktion mit dem Alexin Zusammenkommen und unbe¬ 
dingt berücksichtigt werden müssen. Auf der erkannten Gesetzmässig¬ 
keit in der Wirkung zwischen hämolytischem Antiserum und Aktiv¬ 
serum und auf genauer Kenntnis der Wirksamkeit der Antigene und 
der Patientensera fussend, hat uns K a u p eine quantitative Methode 
gegeben, die uns erlaubt, durch die besondere Serumkontrolle mit 
entsprechend steigenden Alexinmengen, vom Titer aufgefangen, auch 
den Grad der Eigenhemmung zu beurteilen und richtig zu verwerten, 
wenn sie nun einmal auftritt. 

Zusammenfassung. 

1. Die Mand e lb aum sehe „neue Verfeinerung“ gibt in dler 
Tat manchmal Lösung, wo der Originalwassermann Hemmung ergibt. 

2. Sie gibt aber auch Hemmungen, was in Widerspruch zu 
Mandelbaums Angabe steht. 

3. Sie gibt keine positiven Resultate, wo die Original- 
Wa ssermannsche Reaktion negativ ausfällt. 

4. Nur eine Modifikation, die quantitativ arbeitet, kann uns Ord¬ 
nung in die Verhältnisse der Wassermann sehen Reaktion 
bringen. 


Bücheranzeigen und Referate. 

Adolph Strümpell: Lehrbuch der speziellen Pathologie und 
Therapie der inneren Krankheiten. Zwanzigste vielfach verbesserte 
und vermehrte Auflage. Erster Band, mit 106 Abbildungen im 
Text und 6 Tafeln. 798 S. Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel, 
1917. Preis 12 M., geb. 15 M. 

Das berühmte Strümpell sehe Lehrbuch, dessen vorletzte 
Auflage im Januar 1914 erschien, erlebt trotz der dreieinhalb Kriegs¬ 
jahre eine neue, tatsächlich erheblich vermehrte und verbesserte 
Auflage. Dass ein Bedürfnis dazu vorlag — heute mehr als je — 
liegt auf der Hand. Denn es gibt kaum ein Gebiet auch der inneren 
Medizin, das nicht durch den Krieg wichtige Lehren erhalten hätte, 
oder dessen Wichtigkeit für den deutschen Arzt eine ganz andere 
geworden wäre, als in der glücklichen Zeit vor 1914. Man merkt das 
dem neuen Strümpell ebenfalls an, vor allem in den Kapiteln über 
die Infektionskrankheiten, von denen die Bearbeitung des Typhus, 
der Dysenterie, der Malaria, der Pocken und des Fleckfiebers deutlich 
und eingehend auf die Kriegserfahrungen hinweist und aus ihnen 
schöpft. Dazu kommt ein kurzer Abschnitt über die wichtigsten aus¬ 
ländischen Infektionskrankheiten, Maltafieber, Wolhynisches Fieber, 
Gelbfieber, Framboesie, Schlafkrankheit etc., ein Abriss, der trotz 
seiner gedrängten Kürze dem Studenten und Praktiker von Nutzen 
sein wird. 

Auch in manchen anderen Kapiteln, z. B. bei der Weil sehen 
Krankheit, treffen wir die neuesten Forschungen der Kriegszeit. 

Die Aufnahme vieler neuer Forschungsergebnisse belastet das 
Strümpell sehe Buch, wie schon immer, auch diesmal nicht und 
raubt ihm nichts von seiner individuellen Art und Wirkung; eine 
Gefahr, der infolge peinlichster Registrierung aller Ergebnisse der 
Literatur nicht alle berühmten Lehrbücher zu entgehen vermögen. 

Die Sorge des verehrten Autors, ob aus seinem nun 34 jährigen 
Buch heute ein veraltetes geworden sei, können wir mit gutem Ge¬ 
wissen verneinen und dürfen dem Werk, dessen zweiter Band 
hoffentlich bald erscheint, noch viele solche vermehrte und ver¬ 
besserte Auferstehungen prophezeien. 

H. Curschmann -Rostock. 

Hermann Gocht: Orthopädische Technik, Anleitung zur Her¬ 
stellung orthopädischer Verbandapparate. Zweite umgearbeitete Auf¬ 
lage, mit 235 Abbildungen. Ferdinand Enke, Stuttgart 1917. Preis 
geheftet M. 7.—, in Leinwand gebunden M. 10.—. 

Die neue Auflage der orthopädischen Technik erscheint zur 
richtigen Zeit. Der Krieg hat zahllose Neuerungen auf dem Gebiete 
des Apparatebaues gebracht, viel Gutes und viel Schlechtes. Die 
Spreu von dem Weizen zu sondern war niemand berufener, als der 
auch auf dem Gebiet der Technik viel erfahrene Verfasser. 

Die Arbeit bringt alle wertvollen Neuerungen. Die Zahl der 
Abbildungen ist von 162 in der ersten Auflage auf 235 in der neuen 
Auflage gestiegen. Das Buch bedarf keiner besonderen Empfehlung, 
es empfiehlt sich ‘für jeden, der einen Blick hineinwirft, von selbst. 
„ F. Lange- München. 


Prof. Adolf Bingel: lieber Behandlung der Diphtherie mit ge¬ 
wöhnlichem Pferdeserum. Vergleich von 471 mit antitoxischem Diph¬ 
therieheilserum und 466 mit gewöhnlichem Pferdeserum behandelten 
Diphtheriefällen — kein Unterschied. Mit 39 Kurven. Leipzig, 
F. C. W. Vogel, 1918. 86 Seiten. Preis ungeb. 3 M. 

Der Untertitel nimmt das wesentliche und höchst beachtenswerte 
Ergebnis der Untersuchungen bereits vorweg. Der Autor, der übri¬ 
gens an der Wirksamkeit des Diphtherieheilserums nicht im minde¬ 
sten zweifelt, hat von den in sein Krankenhaus eingelieierten Diph¬ 
theriefallen (Erwachsene und Kinder) jeweils den einen Kranken 
mit Diphtherieheilserum, den anderen mit gewöhnlichem Pferdeserum 
behandelt. Ein Vergleich der beiden so entstandenen Gruppen hin¬ 
sichtlich Fieberdauer, Lösung der Beläge, Auftreten, Dauer und 
Schwere der Lähmungen, Auftreten anderer Komplikationen usw. 
zwingt ihn zum Schluss, dass die Erfolge der Serumtherapie bei 
seinem Material nicht dem Antitoxingehalt des Serums zuzuschreiben 
sind, sondern irgendwelchen Stoffen des artfremden Serums; denn 
die Wirkung des antitoxinhaltigen Serums unterscheidet sich in keiner 
Beziehung von der des antitoxinfreien. 

Von welcher Tragweite diese Feststellungen für Theorie und 
Praxis sind, braucht nicht betont zu werden; notwendig sind aber 
bei der Wichtigkeit der Sache doch wohl noch weitere, ebenso objek¬ 
tiv durchgeiührte Untersuchungen an möglichst reichlichem und viel¬ 
gestaltigem Material (besonders Stenosenmaterial) G ö 11. 

Neueste Jouraaüteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medizin. 126. Bd. 3. u. 4. H. 

M. Semerau: Ueber Rückbildung der Arhythmia perpetua, zu¬ 
gleich Beiträge zum Mechanismus der Entstehung von Vorhofflimmern 
am Menschen. (Aus der med. Universitätsklinik Strassburg i. E.) 
(Mit 12 Kurven und 1 Tabelle.) 

Die auf Vorhofflimmern beruhende, als Arhythmia perpetua (auch 
als Flimmerarhythmie) bezeichnete Rhythmusstörung ist gelegentlich 
einer Rückbildung fähig, und zwar gibt es Fälle, bei denen das Vor¬ 
hofflimmern anfallsweise, ganz nach Art einer paroxysmalen Tachy¬ 
kardie auftritt, um ebenso rasch und unvermittelt abzuklingen, als 
auch solche, in denen die totale Herzunregelmässigkeit vor dem end¬ 
gültigen Einnisten noch ein oder mehrere Male für kurze Zeit wieder 
zu einer geordneten Schlagfolge zurückkehrt. Neben der anatomi¬ 
schen Alteration des Herzens sind oft noch andere Einflüsse mit im 
Spiele, die als wichtige Komponente das Auftreten der Flimmer¬ 
arhythmie begünstigen und zuweilen vielleicht selbständig auslösen. 
Bei der Entstehung der rückbildungsfähigen Formen von Arhythmia 
perpetua spielt die Uebererregbarkeit der Vorhofsmusljulatur und die 
reflektorisch, psychisch und auch toxisch bedingte Zunahme der 
Vaguserregung eine wichtige Rolle. Zwischen andauerndem und 
vorübergehendem Flimmern besteht kein prinzipieller Unterschied; 
bei der andauernden Form steht die durch Vorhofüberdehnung oder 
sonstige Ursachen geschaffene Uebererregbarkeit meist im Vorder¬ 
gründe, bei den vorübergehenden Formen überwiegt mehr der ner¬ 
vöse Faktor. 

J. Bauer: Beiträge zur klinischen Konstitutionspathologie. 
I. Habitus und Morbidität. (Aus der med. Abteilung der Allg. Poli¬ 
klinik in Wien.) (Mit 8 Abbildungen.) 

Abgesehen von dem „Habitus phthisicus bzw. apoplecticus“ ist 
die Frage nach den Beziehungen zwischen den äusseren Kennzeichen 
der individuellen Körperverfassung (=r Habitus) und der Häufigkeit 
bestimmter Erkrankungen (= Morbidität) wenig studiert worden. 
Französische Autoren haben nun 4 Menschentypen (Typus respiratorius, 
digestivus, muscularis, cerebralis) sowie Mischformen abgegrenzt, und 
auf der Unterlage basiert die vorliegende Arbeit, der Beobachtungen 
an 2010 männlichen Kranken zugrunde liegen. Der Typus respira¬ 
torius ist gekennzeichnet durch eine besondere Entwicklung des 
Thorax, sowie der der Respiration dienenden Abschnitte des Schä¬ 
dels und Gesichts. Der Thorax ist auffallend lang, die untersten Rip¬ 
pen reichen nahezu bis an die Darmbeinschaufel heran, der epi¬ 
gastrische Winkel ist spitz, das Abdomen unverhältnismässig klein, 
der Hals lang. Die mittlere Gesichtspartie zwischen Nasenwurzel 
und Nasenbasis ist stark entwickelt, die Nase gross, die Sinus maxil- 
lares und frontales weit, der Abstand der Processus zygomatici gross, 
ebenso die Vitalkapazität der Lungen. Die „Respiratoires“ werden 
besonders durch Nomadenvölker und Gebirgsbewohner repräsentiert, 
die Semiten entsprechen zum Teil diesem Typus. Der Typus di¬ 
gestivus zeigt das unterste Drittel des Gesichts mächtig entwickelt, 
der Abstand zwischen Nasenbasis und Kinn ist gross, ebenso der 
Mund, das Gebiss regelmässig, gut ausgebildet, der Unterkiefer vor¬ 
springend, die Augen klein, Hals kurz, Thorax breit und kurz, Ab¬ 
domen mässig entwickelt, meist vorgewölbt, epigastrischer Winkel 
stumpf, Nabel tief; meist besteht Fettleibigkeit. Beim Typus muscu¬ 
laris ist der Schädel harmonisch geformt, meist brachyzephal, das 
Gesicht zeigt eine quadratische Form. Augenbrauen lang, Bartwuchs 
und Behaarung des Körpers kräftig. Rumpf ebenmässig. Thorax und 
Abdomen entsprechend proportioniert, epigastrischer Winkel von Mit¬ 
telgrösse. Schultern breit und hoch. Der Typus cerebralis ist charak¬ 
terisiert durch ein gewisses Missverhältnis der Schädelgrösse zu dem 
grazilen Körper, starke Ausbildung des Stirnabschnittes des Ge¬ 
sichtes, grosse lebhafte Augen, grosse Ohrmuscheln, kurze Extremi- 


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16. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


797 


täten, kleine Fiisse; der zerebrale Typus stellt vorwiegend die Ver¬ 
treter der Intelligenz. Natürlich lässt sich nur ein geringer Bruchteil 
zwanglos in dieses Schema cinreihen, vielfach besteht ein Misch¬ 
typus (z. B. musculo-digestivus, cerebro-muscularis etc.) oder ein 
unbestimmter Typus. Am häufigsten fand sich der respiratorische 
Typus, dem in der reinen Form fast jeder 5., in einer kombinierten 
oder reinen Form fast jeder 2. Mann angehörte. Rein muskulär ist 
nur jeder 11., rein zerebral jeder 25., rein digestiv nur jeder 26. bis 
27. Mann. Bei Tuberkulose der Lungen erscheint der respiratorische 
Habitus in seiner reinen Form sehr beträchtlich, der zerebrale weni¬ 
ger stark gegenüber dem allgemeinen Durchschnitt vermehrt; die 
zwei anderen Typen erheblich vermindert. Unter den meist syphi¬ 
litischen Aortenkrankheiten sind die digestiven und muskulären 
Typen sehr zahlreich, bei Nierenkranken gleichfalls relativ hoch, bei 
Rheumatikern finden sich viele Vertreter des muskulären Typus. Bei 
einer Reihe von Erkrankungen (Bronchialkatarrh, Ulcus ventriculi und 
duodeni, nervöser Dyspepsie, Neurasthenie. Hysterie, Atherosklerose, 
Herzneurose) finden sich geringe Verschiebungen des Häufigkeitsver¬ 
hältnisses der einzelnen Habitustypen. Schliesslich wird noch ein 
Typ. chondrohypoplast. beschrieben, der sich durch auffällige Kürze 
der unteren Extremitäten im Verhältnis zum kräftigen Stamm charak¬ 
terisiert und kontinuierlich zum chondrodystrophischen Zwergwuchs 
überleitet. Zweifellos schafft nicht etw r a die Krankheit den Habitus, 
der allerdings durch Krankheiten (z. B. Hydrops, Kachexie etc.) be¬ 
einflusst werden kann, sondern der Habitus ist das primäre, 
präexistente, praemorbidc, disponierende oder 
immunisierende Terrain und wohl schon in der Keimanlage, 
also konstitutionell begründet; übrigens haben französische Autoren 
die obenerwähnten 4 Typen bereits am Säugling diagnostiziert und 
deren Umwandelbarkeit betont. Die Untersuchungen erscheinen pro¬ 
phylaktisch, prognostisch und diagnostisch bedeutungsvoll. 

M. Ljungdahl: Zur Aetiologie und Pathogenese des sog. spon¬ 
tanen^ Pneumothorax. (Aus der med. Universitätsklinik Lund.) 

Ein 17 jähriger, bisher ganz gesunder Mann erkrankt nach schnel¬ 
lem Laufen unter den Erscheinungen eines Pneumoperikards, die in 
2 Wochen völlig zurückgehen. Nach 2 Jahren erkrankt er ganz plötz¬ 
lich unter den Erscheinungen eines totalen rechtsseitigen Pneumo¬ 
thorax mit Verdrängung der komprimierten Lunge zur Hilusgegend, 
Genesung nach 3 Wochen. Aetiologisch kommt vielleicht Tuberkulose 
der mediastinalen Lymphdrüsen in Betracht. 

L. S. Fridericia und P. Möller: Ein Fall von auf das 
Septum ventriculorum lokalisierter Myokarditis mit eigentümlichen 
Abnormitäten im Elektrokardiogramm (verlangsamte Reizleitung im 
Unken Schenkel des His-Tawara-Btindels). (Aus der medizinischen 
Universitätsklinik des Rigshospitals und dem pathologisch-anatomi¬ 
schen Institut der Universität Kopenhagen.) (Mit 5 Abbildungen im 
Text.) 

Das in der Ueberschrift erwähnte Elektrokardiogramm gestattet 
vielleicht eine neue topische Diagnose der Myokarditis mit besonderer 
Lokalisation. 

A. J a r i s c h: Zur Kenntnis der Gehirnveränderungen bei Fleck- 
Heber. (Aus einem grossen mobilen Epidemielaboratorium der k. k. 
Landwehr.) (Mit Tafel I.) 

Aehnlich wie bei der Fleckfieberroseola spezifische Erkrankungs¬ 
herde an den kleinsten Gefässen des Koriums auftreten, so finden 
sich analoge Veränderungen in fast allen Organen, insbesondere auch 
im Gehirn. Bei den üehirnherdchen handelt es sich um halbkugelige, 
kugelige oder spindelförmige Auftreibungen der Gefässwand durch 
Zellinfiltrate; das Primäre ist eine Schädigung der Intima, dann kommt 
es zur Wucherung von Elementen der adventitiellen Gefässscheiden 
und schliesslich der Gliazellen. Die Zellanhäufungen gehen aus einem 
einfachen Endothelrohre unter vollständiger Zerstörung desselben 
hervor. Ausserdem gibt es noch Herdchen, deren Zusammenhang 
mit grösseren Gefässen, Präkapillaren oder Arteriolen ersichtlich ist. 
Da die Veränderungen hauptsächlich im kapillaren Anastomosengebiet 
erfolgen, fehlen Zirkulationsstörungen. Nervenfasern werden zerstört, 
soweit der Gefässprozess reicht. Während in der Haut und in der 
Konjunktiva die petechiale Umwandlung der Herdchen häufig ist, 
finden sich in Gehirnherdchen keine Blutaustritte; das rasch aui- 
tretende Infiltrat scheint gegenüber dem niedrigen Blutdrucke eine 
ausreichende Dichtung der lädierten Gefässw'and zu bewirken. Diese 
spezifischen Gefässherde, die in 15 von 16 Fällen nachweisbar waren, 
erklären in ihrer Summe die charakteristischen nervösen Erschei¬ 
nungen beim Fleckfieber. Sie finden sich im Hirnstamm und Rücken¬ 
mark. ebenso wie im Gross- und Kleinhirn vorwiegend in der grauen 
Substanz, am dichtesten stets im Nucleus olivarius. Natur und Sitz 
Jer Herdchen erklären die diffusen Reizsymptome, sowie das Auf¬ 
treten von Lähmungserscheinungen mit Herdcharakter, die fibrillärert 
Zuckungen der Gesichts- und Zungenmuskeln, die Schluckbeschwerden 
und Atemstörungen, den Tremor und die Spasmen, das Schwindel- 
zcfühl und Ohrensausen. Alle Fälle, in denen sich Gehirnherdchen 
in grösserer Zahl finden, zeigten intra vitam schwere nervöse Stö¬ 
rungen. dagegen besteht keine unbedingte Parallele zwischen der 
Ausbreitung des Hautexanthems und der Anzahl der Gehirnherdchen. 

C. Klieneberger: Morphologische Blutstudien in der Dia¬ 
gnostik der Malaria tertiana. (Mit 3 Kurven.) 

Die morphologische Blutuntersuchung bei Malaria tertiana zeigt 
abgesehen vom Parasitennachw'eis Hämoglobin-Erythrozyten-Leuko- 

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zytenveränderungen, und zwar sind als charakteristische und dia¬ 
gnostisch wertvolle Veränderungen Abnahme von Hämoglobin und 
Erythrozyten, Gestaltsveränderungen der roten Blutkörperchen (be¬ 
sonders stärkere Anisozytose), Schiiffnertüpfelung (wohl gleichbedeu¬ 
tend mit Basophilie) mit Vergrösserung und Abblassung der Erythro¬ 
zyten und Polychromasie beschrieben. Letztere sind Zeichen ein¬ 
facher, nichttoxischer, prognostisch günstiger Anämie und treten be¬ 
sonders in der Genesnngszcit erfolgreicher Malariaanämiebehandlung 
auf als Zeichen guter Regeneration. Was die Leukozyten anlangt, so 
findet man bei der Untersuchung eines Infektionsabschnittes ein Sta¬ 
dium starker Leukopenie von wechselnd langer Dauer, die durch 
absolute Lymphopenie und Neutropenie bedingt ist. Ebenso regel¬ 
mässig, aber von kürzerer Dauer werden im Ablauf jedes Zyklus 
leukozytotische Stadien nachweisbar, die durch Lymphozytose und 
Polynukleose veranlasst sind, daneben zeitlich rasch ablaufende, ge¬ 
ringere Schwankungen. Extreme Leukozytenzahlen (Vermehrung und 
Abnahme) und extreme Temperaturw'erte sind nicht gleichsinnig; 
vielmehr findet sich Leukozytose bei Fieberakme und Leukopenie bei 
Apyrexie in einer Reihe von Fällen, bei anderen dagegen Leuko¬ 
zytose im fieberfreien Intervall und Leukopenie zur Zeit der Fieber¬ 
akme. 

K. Beckmann: Ueber Isolysine und Autolyslne bei hämo¬ 
lytischem Ikterus. (Aus der Beobachtungsstation für innere Krank¬ 
heiten des Reservelazaretts I Stuttgart.) 

Bei einem Falle von erworbenem hämolytischen Ikterus fand sich 
im Blutserum ein- Isolysin und ein Autolysm, das wohl als spleno- 
genes Hämolysin, als Ausdruck einer gesteigerten normalen erythro- 
lytischen Milztunktion anzusehen ist. Bei einem Falle von familiärem 
hämolytischen Ikterus fand sich nur ein Autolysin, vielleicht handelt 
es sich dabei um denselben Stoff, jedoch von geringerer Wirksamkeit. 

F. A. H o f f m a n n - Leipzig; Zur Kenntnis des Achillessehnen¬ 
reflexes. (Mit 1 Kurve.) 

Die Geschwindigkeit der Reflexleitung ist auch beim Achillcs- 
schnenreflex keine konstante, sondern individuell verschiedene, ins¬ 
besondere haben Kälte, Alter, Grösse und organische Krankheiten 
eine Verlangsamung der Leitungsgeschwindigkeit zur Folge, das Ge¬ 
schlecht scheint ohne Einfluss. 

Besprechungen Bamberger - Kronach. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 144. Bd. 5.-6. Heft. 

v. Schlotliei rn: Ueber Kallusbildung auf Grund systema¬ 
tischer Röntgenaufnahmen bei heilenden Knochenbrüchen. (Aus der 
chirurgischen Universität in Marburg [Vorstand: Geh. Rat Prof. Dr. 
Koni gj.) 

Dem Röntgenbild nach gebührt dem Periost der Hauptanteil an 
der Kallusbildung. Die Beteiligung der Markhöhle ist im Verhältnis 
zum Periost gering. Kallusbildung von der Kortikalis aus lässt sieb 
im Röntgenbild nicht nachweisen. 

A. Liiweit und E. Hesse: Weitere Beiträge über Bakterien¬ 
befunde bei frischen Kriegsscbusswunden, besonders bei Lungenver¬ 
letzungen (anaerobe Pleurainfektion). 

Pleurablutergüsse erwiesen sich häufig als bakterienhaltig. Gas- 
bazillen fanden sich besonders bei Splitterverletzungen oder Steck¬ 
schüssen der Pleura. Blutergüsse der Pleura, die keine Neigung zur 
Resorption haben, sollten baldigst entfernt werden. Bei einem Bauch¬ 
steckschuss fanden sich im Blut der Bauchhöhle anaerobe Strepto¬ 
kokken. 

Des weiteren wurden die früheren Untersuchungen des Verf. 
(M.m.W. 1916 Nr. 19) über Bakterienbefunde an extrahierten Ge¬ 
schossen dufch eine neue Untersuchungsreihe ergänzt. 

Hermann Ziegner: Beiträge zu den infizierten Gelenksteck¬ 
schüssen. 

Von 153 Gelenksteckschiisscn blieben 66 steril, 87 waren infiziert. 

Die Therapie war eine aktiv chirurgische unter Hinzufügung der 
Payer sehen Phenolkampferbehandlung, die zw r ar keine desinfi¬ 
zierende. aber eine hyperämisierende Methode darstellt, und so von 
grossem Nutzen ist. Die Fälle zeigen den grossen Wert der Drainage 
nach hinten besonders für Hilft- und Schultergelenk; gegebenenfalls 
soll mit der Resektion nicht gezögert werden, wie denn das Geschick 
aller infizierten Gelenke vorerst durchaus in der Hand des Chirur¬ 
gen bleibt. 

Interessante Einzelheiten im Original. 

H. Flörcken -Paderborn. 

Monatsschrift für GeburtshiUe und Gynäkologie. Band 47 
Heft 4. 

K e i 11 e r - Wien : Ueber Doppelkarzinome des Uterus. 

Grosse pathologisch-anatomische Arbeit aus dem Institut für 
pathologische Histologie der Universität Wien mit 7 sehr schönen 
Tafeln histologischer 'Abbildungen und grosser Literaturangabe. 

Winter- Königsberg: Sollen wir Bevölkerungspofltik treiben? 

Winter war der erste gynäkologische Rufer im Aufriittcln des 
Gew issens der deutschen Aerzte, das Bevölkerungsproblem, wie es der 
Krieg schuf, in Angriff zu nehmen. In der vorliegenden Arbeit fasst 
er die Arbeiten zusammen, die auf Grund seines Weckrufes erschienen 
sind und die ihm zustimmen. Bumm aber hat im Juli 1917 sich 
g e g e n unsere bevölkerungspolitische Beteiligung ausgesprochen. 

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«INIVERSITZ OF CALIFORNIA 



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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 29. 


Winter geht nun auf B u in m s Gründe für sedne Ablehnung in der 
vorliegenden Arbeit ein. Bumm ist Pessimist in bezug auf die 
Bekämpfungsmöglichkeit des kriminellen Abortes. Dem setzt 
Winter seinen optimistischen Standpunkt entgegen, dde Hände 
nicht in den Schoss zu legen. Diesen Standpunkt fasst er in ein 
Programm zusammen, das er neuerdings zur Diskussion stellt, 
mit der dringenden Aufforderung, auf dem nächsten Kongress der 
Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie die Bevölkerungspolitik zum 
Gegenstand- der Beratung zu machen. 

Georg Ab el-Berlin: Ein Fall von Hydrocele feminlna. 

Erwin Schmidt und Gerhard Mönch - Tübingen: Zur Aetio- 
iogie der angeborenen allgemeinen Wassersucht. 

Schmidt ist im Felde nach Abschluss des ersten Teiles der 
Publikation gefallen. Mönch hat die Arbeit für die Veröffentlichung 
reif gemacht unter Hinzufügung eines dritten von ihm beobachteten 
Falles. In den beiden ersten Fällen muss wohl als Ursache des 
Krankheitsbildes der Kinder eine Schwangerschaftsniere der Mütter, 
die bei Beiden bestand, angesprochen werden, nachdem alle anderen 
Möglichkeiten erörtert sind. Auch der dritte Fall weist auf dieselbe 
Ursache hin. 

Philipp Schmidt-Tübingen: Ueber den Einfluss der Kriegs¬ 
ernährung auf das Körpergewicht der Neugeborenen. 

Die sehr zeitgemässe und interessante Arbeit ergibt, dass aus 
den bisherigen Statistiken mehrerer Kliniken- hervorgeht, und zwar 
einstimmig, dass sowohl der Allgemeinzustand als auch die Gewichts¬ 
und Längenwerte der im Kriege Geborenen so gut wie um nichts 
gegenüber denen aus der Friedenszeit differieren! Weitaus die 
meisten Autoren sind sich darüber einig, dass ein feststehender nach¬ 
teiliger Einfluss der Kriegsernährung auf das Gewicht der Neu¬ 
geborenen nicht vorliegt. Aus den eigenen Versuchen und Er¬ 
fahrungen geht hervor, „dass an der Tübinger Frauenklinik ein 
nennenswertes Abweichen im Verhalten des durchschnittlichen Ge¬ 
wichtes der Neugeborenen gegenüber früher bis jetzt nicht zu 
konstatieren ist“. Allerdings mit der Einschränkung, dass man wohl 
darauf achten müsse, ob nicht nn anderer in seiner Ernährungs¬ 
möglichkeit ungünstig beeinflusster Gegend doch sich andere Verhält¬ 
nisse ergeben könnten. In der Tübinger Gegend und bei dem dort 
vorliegenden Material an Frauen ist die Ernährung noch nicht 
fundamental geändert gegenüber den Friedenszeiten. 

Max Nassauer - München. 

Zentralblatt für Gynäkologie. 1918, Nr. 26. 

F. L i c h t e n s t e i n - Leipzig: Hyperemesls gravidarum und 
Krieg. 

Verf. berichtet über eine Abnahme der Hyperemesis um etwa 
die Hälfte und bespricht die eventuell in Frage kommenden Gründe 
für diese auffallende Beobachtung. 

J. A 11 m a n ii - Hamburg-Bergedorf: Operation oder Bestrahlung 
bei klimakterischen Blutungen? 

Bei starken Blutungen in den Wechseljahren ist unbedingt eine 
Excisio et Abrasio probatoria vorzunehmen, gleichgültig ob klinisch 
Verdacht auf Karzinom vorliegt oder nicht. An 5 Krankengeschichten 
von auf diese Weise früh erkannten — und entsprechend behan¬ 
delten — Karzinomfällen im Beginn werden die einschlägigen Fragen: 
Röntgen, Radium, Operation? besprochen. Werner- Hamburg. 

Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 
82. Band, Heft 3 u. 4. 

0. L o e w i - Graz: Ueber den Zusammenhang zwischen Digi¬ 
talis- und Kalziumwirkung. 

Die wesentlichen Erscheinungen der Strophanthinwirkung, 
nämlich Vergrösserung der Systole, die Rhythmusänderungen und 
die systolische Kontraktur sind als Kalziumwirkungen- zu erklären. 
Das Strophanthin sensibilisiert das Herz für Kalzium. Dies führt zur 
Annahme, dass in allen auf Strophanthin reagierenden Fällen die An¬ 
spruchsfähigkeit des Herzens für den Reiz des physiologischen Ca- 
Gehalts des Blutes pathologisch herabgesetzt ist und darin die Ur¬ 
sache der mangelhaften Herzfunktion liegt. 

0. Schmiedeberg: Ueber elastische Verkürzung und aktive 
Erschlaffung lebender Muskeln. 

A. Fröhlich und Th. Grossmann: Die Wirkung des 
Kampfers auf das strophanthinvergiftete Froschherz. (Pharmakol. 
Institut Wien.) 

Die günstigen Resultate der epikardialen Applikation auf das 
Froschherz sprechen für die Brauchbarkeit der Kampferwirkung als 
kurze Zeit währender Herzreiz; jedoch zeigten andere Versuche, 
dass Kampfer auch in kleinen Mengen fortgesetzt gegeben eine 
günstige Dauerwirkung ausüben kann. 

H. F ü h n e r: Untersuchungen über die periphere Wirkung des 
Physostigmins. 

Das Physostigmin besitzt eine an der kontraktilen Substanz 
selbst angreifende erregbarkeitssteigernde Wirkung gegenüber 
chemischen Reizen. 

J. AI m k v i s t - Stockholm: Beiträge zur Kenntnis der Aus¬ 
scheidung des Quecksilbers, insbesondere durch den Magendarm¬ 
kanal. 

Das Quecksilber kann durch die Schleimhaut des ganzen 

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Magendarmkanals ausgeschieden werden. Es entsteht eine beträcht¬ 
liche Transsudatbiidung aus den erweiterten Oberflächenkapillaren 
der Schleimhaut in das Lumen des Magendarmkanals und dadurch 
eine Ausscheidung von Quecksilber. Wahrscheinlich entstehen die 
Gefässerweiterungen durch Quecksilberwirkung auf das vegetative 
Nervensystem, möglicherweise als Sympathikuslähmung. 

L. Jacob. 

BerÜner klinische Wochenschrift Nr. 26, 1918. 

I. Boas-Berlin: Ueber den spektroskopischen Blutnachweis in 
den Fäzes und im Mageninhalt 

B. betont, dass die am häufigsten angewandten katalytischen 
Untersuchungsmethoden für den Nachweis okkulter Blutungen nicht 
durchaus zuverlässig sind. Verf. hat daher die spektroskopische 
Methode — im wesentlichen nach Snapper — systematisch in An¬ 
wendung gezogen und ihre Ergebnisse mit jenen der gebräuchlichen 
Methoden verglichen. Ergebnis: Bei geringem, mittelgrossem und 
sehr grossem Blutgehalt ist die spektroskopische Methode absolut 
beweisend, nicht absolut bei minimalsten Blutungen. Der spektro- 
kopische Blutnachweis im Mageninhalt übertrifft den katalytischen 
an Sicherheit und Schärfe. 

C. Hart: Neotenie und Infantilismus. 

Nicht zu kurzer Wiedergabe des Wesentlichen geeignet. 

K. P e t r e n - Lund: Ein Fall von syphilitischer Affektion im 
Muse, biceps. 

Beobachtung an einem 28jähr. Chauffeur, dessen Erkrankung 
zuerst den Charakter einer diffusen Muskelsyphilis darbot, im spä¬ 
teren Verlauf den einer gummösen Muskelerkrankung. 

C. Hamburger -Berlin: Vorschläge zur hygienischen Ver¬ 
wertung der grossstädtischen Freiflächen, im Interesse namentlich der 
Kinder, erläutert an dem Beispiele Gross-Berlins. 

Abbildungen und Einzelheiten dieser dem schreienden Interesse 
der Grossstadt entstammenden Vorschläge sind im Original zu ver¬ 
gleichen. 

A. Freude n berg - Berlin: Zur Frage der Divergenz der 
Wassermannresultäte. 

Erwiderung an H. M a y e r. Vergl. M.m.W. 1918 Nr. 4. 

Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 26, 1918. 

Uhlenhuth - Strassburg und Fromme- Düsseldorf: Ein 
Schutz- und Heilserum gegen die Weil sehe Krankheit. 

Durch Behandlung von Hammeln oder Pferden mit Injektionen 
von Organsaft gewinnt das Serum dieser Tiere bei schwächeren 
Dosen im Laufe von 2 Jahren, bei stärkeren Dosen innerhalb von 
8 Monaten Schutzstoffe, die frühzeitig bei Weil scher Erkrankung 
angewandt, beachtenswerte Erfolge erzielen Hessen. 

C. Schiatter -Zürich: Die Behandlung der akuten (hämato¬ 
genen) Osteomyelitis. 

Die Differentialdiagnose ist schwierig, so lange lokaler Druck¬ 
schmerz mit ödematöser Schwellung fehlt. Der Hauptgefahr, die in 
der Sequestrierung und in der Allgemeininfektion liegt, wird am besten 
vorgebeugt durch operative Entleerung des in der Markhöhle Hegen¬ 
den Eiters bzw. des subperiostalen. Wenn es der Allgemeinzustand 
des Patienten gestattet, soll man der Periosteröffnung eine Eröffnung 
der Markhöhle anschliessen. Mit der Enfernung der Knochen¬ 
nekrosen warte man bei fieberfreiem Verlauf bis zur ausgebildeten 
Demarkation. 

C. M o e 1 i: Ueber Vererbung psychischer Anomalien. 

Schluss folgt. 

Georg Locke mann - Berlin: Beiträge zur Biologie der Tu¬ 
berkelbazillen. 

Je älter die Stammlösung ist, umso langsamer erfolgt anfangs 
das Wachstum. Jedoch wird das Höchstgewicht bei allen Abimpf¬ 
kulturen ungefähr zur gleichen Zeit erreicht. 

Hermann Ta c hau und Heinrich M i c k e 1 - Heidelberg: Ruhe 
und Bewegung in der Behandlung des fieberfreien Lungenkranken. 

Bei mässiger Bewegung tritt der Temperaturabfall bei Lungen¬ 
kranken im Sitzen nur unvollständig ein. Aus den Beobachtungen 
ergibt sich für die Praxis, dass der Lungenkranke nach Bewegungen 
so lange liegen muss, bis die Temperatur normal geworden ist. 

L. K e c k - Strassburg: Ueber die Hautreaktion beim Typhus. 

Die intrakutane Injektion (von 4 Millionen) Typhuskeimen hat 

keine diagnostische Bedeutung. Dagegen scheint der positive Aus¬ 
fall der Reaktion für die Prognose günstig zu sein. 

Pfeiffer: Zur Serumbehandlung der Ruhr. 

In Frühfällen, mit Ausnahme der schwereren Fälle, waren die 
Erfolge gut, während bei Spätfällen ein Nutzen nicht beobachtet 
wurde. 

Lea T h i m m - Berlin: Behandlung von Dysenterie mit Palmitin- 
säure-Thymolester-Thymolpalmitat (M e r c k). 

Es wurde Pahnitinsäurethymolester 5 Tage lang 2 mal täglich 
5 g verabreicht mit gutem Erfolg. 

Capelle- Bonn: Ueber einige neue Narkoseversuche. 

Mit einem Gemisch von Sauerstoff und Kohlensäure gelingt es 
weitgehende Anästhesie zu erzielen. 

Johannes Becker- Halle: Zur Unterschenkelamputation. 

Beschreibung einer Methode. 

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lb. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


799 


Albert Knapp: Pseudozerebellare Schläfenlappenataxle. 

Bei der Ataxie infolge von Herden in den Schläfenlappen handelt 
lj, sich um ein Herdsymptom, nicht um eine Fernwirkung auf die 
Vierhügel, das Labyrinth oder das Kleinhirn. 

Erich Martini: Ein Protozoon des Menschenflohs. 

Es wird ein Parasit beschrieben, der in einem Floh gefunden 
wurde. 

S o lb r i g- Breslau: Zur Apothekenreform im Reich und ln 
Preussen. Boenheim - Rostock. 

Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1918. Nr. 20 

und 21. 

Nr. 20. Guggisberg: Beitrag zur Physiologie und Patho¬ 
logie der Plazenta. 

Verf. gelang es aus menschlichem Plazentarextrakt eine Substanz 
herzustellen, die kontraktionsbeifördernd auf den Uterus wirkt und 
ungiftig ist. Sie hat einen sekaleähnlichen Charakter und gehört zu 
den proteinogenen Aminen. 

A. Hotz: Die Heilung der kongenitalen Knochensyphilis Im 
Röntgenbifd unter dem Einfluss der spezifischen Therapie. 

Ausführliche Beschreibung eines Falles. 

Finkbeiner: Kretinismus im Nollengebiet. (Schluss.) 

Auf Grund sehr ausführlicher Erhebungen kommt Verf. zu dem 
Schluss, dass im Nollengebiet eine ziemlich ausgebreitete Endemie 
von nicht bösartigem Charakter besteht, bei der Trinkwässer, 
Boden, Kropf oder Infektion als Ursache nicht in Frage kommt, die 
aber vermutlich auf degenerativen Momenten beruht. 

K. Schugder-Samaden: Arrosion der Aorta durch tuberku¬ 
lösen Senkungsabszess. Ausführliche Beschreibung eines Falles. 

Nr. 21. Festschrift zum 50jähr. Bestehen der geburtshilflich- 
gynäkologischen Klinik in Basel. 

A. Lebhardt: Die geburtshilflich-gynäkologische Klinik in 
Basel in den 50 ersten Jahren Ihres Bestandes (1868—1918). 

P. H ü s s y : Zur Biologie der Schwangerschaftstoxikosen. 

Bei allen untersuchten Schwangerschaftstoxikosen fand Verf. im 
Serum adrenalinähnliche Substanzen, den Aminen nahestehend, ver¬ 
mutlich irgendwie von der inneren Sekretion der Hypophyse ab¬ 
hängig. 

F. E g 1 i: Die Resultate der operativen Behandlung des Uterus- 
karzlnoms an der Frauenklinik in Basel. 

Die Resultate sprechen zugunsten der vaginalen Operation. 

M. Weidemann: Zur Kasuistik schwerer Anämien während 
der Schwangerschaft. Beschreibung von 2 Fällen. 

Herde: Ein seltener Fall von Tubenfibrom mit Stieldrehung. 

L. Jacob. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Halle. Januar—Juni 1918. 

Drape Paul: Ueber Pfählungsverietzungen. 

Fbel Hermann: Beitrag zu den Rückenmarksschussverletzungen. 
ürein-Bäumer Emmy: Ueber die Heilbarkeit der Hirsch- 
Sprung sehen Krankheit durch Darmresektion. 

\ a n O y e n Adriaan: Klinische Erfahrungen über Radium- und Meso¬ 
thoriumbehandlung bei funktionellen Menorrhagien und Myomen. 
Petzhold Max: Ein retroperitoneales Lipom als Ursache einer 
akuten Leistenbrucheinkiemmung. 

Pfeifer Hugo: Ein forensisch bemerkenswerter Fall multipler Ver¬ 
letzungen durch stumpfe Gewalt bei hämorrhagischer Diathese; 
zugleich ein Beitrag zur Lehre von der autochthonen Kapillar¬ 
thrombose der Nieren. 

Schmalfuss Constantine: Die Wi 1ms sehe Operation bei 
Bronchiektasie mit zwei Fällen* an der chir. Univ.-Rlinik in Halle. 
Wallis Wilhelm: Beiträge zur Aetiologie der Glomerulonephritis 
unter besonderer Berücksichtigung der Tuberkulose. 

Universität Jena. Mai 1918. 

Lapke Fritz Konrad: Polyneuritis arsenicalis beim Kinde. 

Universität Königsberg. Januar—Juni 1918. 
Baumgarten Fritz: Ueber hysterische Gangstörungen bei Kriegs¬ 
teilnehmern. 

Bing Hans: Ein Fall von intermittierendem Magensaftfluss, 
(jürtier Frank: Die Schädigung des Darmes bei kurzdauernder 
Brucheinklemmung und ihre Bedeutung für die unblutige Re¬ 
position eingeklemmter Brüche. 

H a r t w i c h Georg: Die Erfolge mit Ohrknorpelplastik bei künst¬ 
lichem Lkiersatz.. 

Jedwabnik Regina: Die spezifische Therapie der Pneumonie. 
K was eck Stefan: Zur Behandlung der Tuberkulose mit Partial¬ 
antigenen nach Deycke-Much. 

Lack Herbert: Malaria und Leukämie in ihren gegenseitigen Be¬ 
ziehungen. 

Lapp Curt: Ueber Indikationen und Erfolge der künstlichen 
Schwangerschaftsunterbrechung bei Herzfehlern. 

Wohl i sch Edgar: Untersuchungen über Typhus- und Paratyphus¬ 
immunität in ihrer Beziehung zu bakteriziden Stoffen des in¬ 
aktivierten Menschenserums. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Bericht über die 2. Kriegstagung des Deutschen Vereins 
für Psychiatrie 

in Würzburg, 25. und 26. April 1918. 

Von Dr. L i 1 i e n s t e i n - Bad Nauheim. 

Bericht über die Folgen der Hirnverletzungen mit Rücksicht auf die 
Lokalisation der Hirnfunktion. 

Kleist- Rostock stellt fest, dass nach dem allgemeinen Er¬ 
gebnis der Kriegserfahrungen die Hirnverletzungen günstiger ver¬ 
laufen, als anzunehmen war. Die Ausfallserscheinungen bilden sich 
verhältnismässig leicht zurück, verglichen mit denjenigen bei arterio¬ 
sklerotischen Erweichungen und Geschwülsten, was wohl mit dem 
jugendlichen Alter und der guten Konstitution der Kriegsverletzten zu¬ 
sammenhängt. K. behandelt im einzelnen die Fokaltypen bezüglich 
der Lähmungen. Er nimmt an. dass sich ein Blasenzentrum in der 
Nähe des Beinzentrums befindet. In seinen weiteren Ausführungen 
behandelt er die Sensibilitätsstörungen bzw. die Gliederung 
des sensiblen Rindenfeldes. Bei den Sehstörungen (hemianopi- 
sche Störungen) drei Typen : Fokale Hemianopsie mit gerader, durch 
den Fixierpunkt gehender Trennungslinie, sehr häufig mit Verschonung 
des makulären Gebietes, Quadrantenhemianopsien, sektorenförmige 
Ausfälle, Skotome, darunter auch einige makulär-hemianopische 
Skotome. 

Bei der mehrfach beobachteten gliedkinetischen Apraxie ging 
stets ein gewisser Grad von Parese der Hand und Finger nebenher. 
Die parietale Akinese führt der Vortr. auf Verletzungen des 
hinteren Scheitellappens zurück, der Einrichtungen entnält, deren Aus¬ 
schaltung zu Bewegungsarmut des ganzen Körpers mit Katalepsie 
führt. 

Bei den Aphasien unterscheidet er motorische Aphasie, 
sensorische Aphasie (amnestische Aphasie trat 
selten als reine Form auf), grammatische Sprachstörungen, 
temporale Wortstummheit, Sprechdrang. 

K. bespricht Denk- und Rechenstörungen und verweist 
bezüglich der Amusie auf die Beobachtungen von K. M-endel 
und M. Mann. Zuletzt geht er auf die Verletzung des Stirnhirns 
ein, die zu affektiven Störungen, zwangsmässigen Ausdrucks¬ 
bewegungen, Ausfall an motorischer, sprachlicher und gedanklicher 
Regsamkeit und zu Bewegungsunruhe führen. Akinese und Hyper- 
kinese können sowohl vom Stirnhirn wie vom Scheitel-Schläfenlappen 
ausgehen. 

F o r s t e r - Berlin: Psychische Folgen der Hirnverletzungen, 
und Brodmann: Individuelle Variationen der Sehsphäre und ihre 
Bedeutung für die Klinik der Hinterhauptschüsse. (Nicht zu kurzer 
Besprechung geeignet.) 

Aussprache: P o p p e 1 r e u t e r - Köln berichtet über die 
Erfahrungen an der von ihm geleiteten Station für Hirnverletzte. 
Bezüglich der Lokalisation weist er auf den Fortschritt hin, der darin 
liegt, dass nicht nur Ausfälle, sondern auch Minderleistungen 
lokalisatorisch verwertet werden. Diese Ausfälle sind sensorisch oder 
motorisch, nie „psychisch“ bedingt. Stirnhirnverletzte bieten sehr 
mannigfaltige Symptome. Die traumatisch Neurasthenischen müssen 
durch objektive Methoden geprüft und individuell sehr verschieden 
behandelt werden. 

I s s e r ! i n - München weist auf den grossen Einfluss von Stö¬ 
rungen der Aufmerksamkeit hin. Die psychologische Analyse der 
verschiedenen Typen müsste mehr die Gedächtnisstörungen berück¬ 
sichtigen. 

O. Foerster -Breslau bespricht die Vertretung der einzelnen 
Gelenke und Muskelgruppen in der vorderen Zentralwindung. Funk¬ 
tioneile Symptome werden vielfach durch lange fortbestehenden 
Hirndruck bewirkt. 

G o lds t e in-Frankfurt weist auf 2 Fälle von gestörter 
Genitalfunktion bei Hirnverletzung seiner Beob¬ 
achtung hin. Dystrophia adiposo-genitalis (Verlust der 
Haare, Fettansammlung an Brüsten und Leib, Abrundungen der 
Form, Verlust des Sexualgefühls, Verkleinerung des Penis und 
Atrophie der Hoden bei einem erwachsenen Manne). Wahr¬ 
scheinlich Verletzung oder Schädigung der Hypophyse durch Hydro¬ 
zephalus. Im zweiten Falle Störung der Sexualfunktion im An¬ 
schluss an ein Schädeltrauma mit Störungen einer Kleinhirnhälfte. 
Wahrscheinlich Schädelbruch mit besonderer Be¬ 
schädigung des rechten Kleinhirns (Doppelbilder), viel¬ 
leicht durch eine Blutung auf dasselbe. 

Fräulein Reichmann -Königsberg bespricht einige Beob¬ 
achtungen über zerebrales Vorbeizeigen, bei denen eine Fernwirkung 
auf das Kleinhirn oder den Vestibularapparat ausgeschlossen werden 
konnte. 

Loewenthal - Braunschweig: Der objektive Nachweis des 
vasomotorischen Symptomenkomplexes kann durch die mehr oder 
minder starke Rötung des Kopfes und Gesichts beim Bücken und 
deren Verschwinden beim Aufrichten geführt werden. L. hat durch 
teelöffelweise Alkoholdosen einerseits und Ergotin andererseits 
Prüfungen des vasomotorischen Symptomenkomplexes vorgenommen 
und auch therapeutische Resultate erzielt. 


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MUF.NCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 29. 


P e ri t z - Berlin- führt die Blasenstörungen Hirnvcrletzter auf 
Thalamusverletzungen zurück, die durch Schädelsprengwirkungen 
liervorgerufen werden. Rechenstörungen werden häufig zusammen 
mit rechtseitigen Hemianopsien, also bei Verletzungen des linken 
Hinterhirnlappens beobachtet. Retrograde Amnesie ist bei Hirn¬ 
verletzten selten. 

Pfeifer: Motilität und Sensibilität sind in der vorderen und 
hinteren Zentralwindung getrennt lokalisiert. In der typischen 
Reihenfolge: Arm, Handgelenk, 2. bis 4. Finger, Daumen. Augen, 
Mund bezüglich der Motilität gibt es individuelle Variationen. Homo¬ 
laterale Hemiplegien sind nicht durch fehlende Pyramidenkreuzung, 
sondern durch Verletzung der Gegenseite zu erklären. 

Hübner unterscheidet drei Stadien in der Heilung Hirn¬ 
verletzter. Halluzinationen heilen bei ihnen, auch wenn sie sehr 
lange bestehen. Traumatische Demenz muss in ihre Bestandteile 
zerlegt werden. Reizbarkeit und psychische Depression sind häufig. 

Stransky warnt vor zu weitgehender Lokalisation. 

Raether: Die sog. „traumatische Demenz“ kann durch Be¬ 
handlung, auch ganz vertrottelt erscheinender Fälle, geheilt werden. 

Roeper: Von den Gehirnverletzten wird nur ein Teil sozial 
brauchbar. Ungefähr 20 Proz. sterben noch nachträglich. Von den 
Ueberlebenden blieben ungefähr sozial verloren, 3 /r beschränkt 
erwerbsfähig, aber dauernd geschädigt, und nur i h blieb frei von 
nachweisbaren Folgeerscheinungen. 

Weygandt - Hamburg demonstriert Innenreliefbilder vom 
Schädel, an denen die Folgen der Hirnschwellung sichtbar sind. 

L i e p m a n n -Berlin weist auf das prinzipielle Ergebnis der 
Beobachtungen hin, dass das jugendliche Gehirn Substanzverluste ohne 
schwere Ausfallerscheinungen erträgt. Bei älteren Leuten und be¬ 
sonders bei Arteriosklerose liegen die Verhältnisse ganz anders. Die 
sympathische Dyspraxie der linken Hand wird nicht immer durch 
Scheitelhirnläsionen bedingt, auch Herde in der vorderen Hirnhälfte 
(Stirnhirn) können Apraxie bewirken. Die kinästhetischcn Engramme 
sind nicht nur in einem Hirnlappen lokalisiert, verwickelte seelische 
Geschehnisse nehmen verschieden grosse Hirnteile in Anspruch. 

0. F oe r s te r - Breslau: Die Aufmerksamkeit ist keine einheit¬ 
liche Funktion. Rechenstörungen gehören in das Gebiet der Alexie. 
Gesteigerter Hirndruck tritt besonders bei frischen Verletzungen auf. 
Lumbalpunktion wirkt günstig. Hysterische und funktionelle Stö¬ 
rungen dürfen bei Hirnverletzten nur selten angenommen werden. 

Kleist (Schlusswort): Bei der Beurteilung des Vorbei- 
zeigens bei Stirnhirnverletztcn ist grösste Vorsicht geboten, da 
gerade bei Verletzungen der Stirngegend leicht durch Gcgenstoss 
Kleinhirnschädigungen auftreten und die der Basis nahe gelegenen 
Verletzungen des Vorderkopfes häufig zu Sprengungen der Schädel¬ 
basis bis in die hintere Schädelgrube hinein führen. Vorbeizeigen 
kommt auch als isoliertes Kleinhirnsymptom ohne Begleitung weiterer 
Kleinhirnerscheinungen vor, so dass ein isoliertes Vorbeizeigen nicht 
als Stirnhirnsymptom aufgefasst werden kann. 

Oskar S c h u 11 z e - Würzburg demonstriert eine neue Methode 
zur Darstellung des feineren Baues des Nervensystems. Zur An¬ 
wendung kommt eine 20 proz. Silbernitratlösung, gründliches langes 
Ausspülen in Formol und Wasser, Natronlauge, Liqu. Ammon, caust., 
Vergoldung wie bei Bielschowsky. 

Gold st ein- Frankfurt: Ueber die Behandlung und Fürsorge 
der Hirnverletzungen. Die Behandlung zerfällt in ärztliche, 
psycho1og i s ch-pädagog i s che und A r b e i t s b e h a n d - 
lung. Vortr. rät, in jedem Fall von Epilepsie nach Hirnverletzungen 
zu operieren. Er warnt vor Knochenplastik und empfiehlt die Fett¬ 
deckung nach L e x e r und R e h n. Die psychologisch-pä¬ 
dagogische Behandlung baut sich auf den Ergebnissen des 
psychischen Bogens und auf besonderen Spezialuntersuchungen auf. 
Vortr. erörtert die verschiedenen Schädigungsarten, die sich durch 
abstrakte Prüfungen nach weisen lassen. Für die Arbeitsbehand¬ 
lung stellt er als obersten Gesichtspunkt auf: Möglichst keine blosse 
Beschäftigung, sondern so bald wie möglich richtige Berufsarbeit. 
Eine statistische Nachuntersuchung der Leistungsfähigkeit ergibt, dass 
von 800 Kranken nur etwa 20 Proz. fast normal, 32 Proz. etwa 
2 /3-leistungsfähig, 32 Proz. nur zu leichter Arbeit unter Rücksicht 
brauchbar und 16 Proz. ganz arbeitsuntauglich sind. Gross angelegte 
allgemeine Statistik unbedingt notwendig, Rentenfestsetzung muss 
weitgehend prognostische Aussichten berücksichtigen, Prognose 
quoad vitam relativ gut. Vortr. befürwortet die Einrichtung einer 
kolonialen Siedlung auf dem Lande mit genossenschaftlicher Grund¬ 
lage. 

Aussprache: Herr Poppelreuter - Köln demonstriert 
Einrichtungen seines „Institutes für klinische Psychologie“ in seiner 
Anstalt für Hirnverletzte. Sehr nützlich sind für dieselben die kari¬ 
tativen Arbeitgeber, besonders bei den teilweise Erwerbsfähigen. 
Invalidenheime und Genossenschaften werden von den Leuten nicht 
erstrebt. Sie wünschen eine möglichst hohe Rente und einen guten 
Posten. 

Bayershaus berichtet über Erfahrungen, die er im 8. Armee¬ 
korps (Düsseldorf) machte. Unter 530 Hirnverletzten wurden 8 als 
kriegsverwendungsfähig, 47 als garnisonsverwendungsfähig, 146 als 
arbeitsverwendungsfähig, 345 als dienstunbrauchbar entlassen. 
18 sind gestorben. 

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Fräulein R e i c h m a n n - Königsberg hat beobachtet, dass unter 
den Hirnverletzten bei Aphasischen die besten Erfolge erzielt werden. 
Die Leistungsfähigkeit der durch die Werkstättenbehandlung in Königs¬ 
berg gegangenen Hirnverletzten wurde in Privatwerkstätten kon¬ 
trolliert. Das Institut arbeitete in Verbindung mit den Kriegsfürsorge¬ 
stellen. 

D r a e s e k e - Hamburg: Die Frauen der Hirnverletzten müssen 
bei der Ausbildung mit herangezogen werden. Sie bilden eine wert¬ 
volle Unterstützung. Angeboren schwachsinnige Hirnverletzte müssen 
ausgeschieden und ihrem früheren Beruf zugeführt werden. Sie be¬ 
lasten die Schule. 

Locwenthal - Braunschweig: Im ganzen sind die Erfolge der 
Schädeloperationen für die Erwerbsfähigkeit gering. Dagegen bilden 
die vasomotorischen Störungen ein dankbares Gebiet der Behand¬ 
lung. L. hat gute Wirkungen von einer Behandlung abwechselnd mit 
Ergotin und Brom gesehen. Auch Badekuren scheinen die Resorption 
zu beschleunigen. 

Pfeifer hat unter 150 Fällen der Kopfschussstation 51 Epi¬ 
leptiker. P. ist ebenfalls gegen eine Deckung des Schädeldefektes 
durch Plastik. In der Anstalt P.s werden Arbeiten für Heeres¬ 
lieferungen (Korbflechterei, Schusterei, Schneiderei) gemacht. Auch 
landwirtschaftliche und Gartenarbeit ist zweckmässig. 

P e r i t z - Berlin: Statt der Untersuchung des Liquors auf ver¬ 
mehrten Eiweissgehalt kann auch Leukozytenzählung des Blutes vor¬ 
genommen werden. Die Empfindlichkeit der Hirnverletzten gegen 
Geräusche konnte P. in der in seiner Anstalt eingerichteten Schlosserei 
und Munitionsfabrik nicht bestätigen. Einzelne Hirnverletzte brachten 
es bis zu einem Wochenlohn von 200 M. Landwirtschaftliche Arbeiten 
wirken bei Gehirnverletzten ungünstig. Günstig wirken gleichmässig 
typisierte Arbeiten (Taylorsystem). 

A s c h a f f e n b u r g - Köln: Unblutige Kopftraumen rufen häufig 
dieselben Erscheinungen hervor wie Kopfschüsse. Festzuhalten ist, 
dass blutige Verletzungen des Gehirns zu den schwersten Kriegs¬ 
schädigungen gehören. Spätabszesse sind häufig. Grosse An¬ 
strengungen werden nur von wenigen Hirnverletzten ertragen. 
A. möchte die Frage aufwerfen, was mit den unheilbar schwerge¬ 
schädigten. besserungsunfähigen Hirnverletzten geschehen soll. 
De lege gehören sie zurzeit in die Irrenanstalten. Wenn Organi¬ 
sationen im Interesse dieser Leute von den Psychiatern geschaffen 
würden, so würden die Behörden hierfür sicher dankbar sein. 

Bo n h o e f f e r - Berlin weist auf den Verein der Kriegsverletz- 
ten hin. 

Anton- Halle: Geistige Wechselwirkung Im menschlichen Ver¬ 
kehr und Psychologie der Masse. 

Die Gesetzmässigkeiten der Massenpsychologic werden behandelt, 
der Unterschied zwischen Wirkung der Masse und Wirkung der öffent¬ 
lichen Meinung festgestellt, auf geistige Epidemien hingewiesen. Der 
VortT. fordert auf, diesen vorzubeugen, weil gerade nach grossen 
Kriegen der Volksgeist mehr als sonst zu geistigen Epidemien neige. 


Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Vereinsamtliche Niederschrift.) 

Sitzung vom 9. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Lindner. 

Schriftführer: Herr Dünger und Herr Weber. 

Herr Welser: Ueber die Analyse der Bewegung mit der Zeit¬ 
lupe. (Neuer Ernemann Hochfrequenzkinematograph.) 

Unser Auge ist für das Erfassen rascher Bewegungen und für 
die Analyse derselben ungeeignet. Die Momentphotographie hat uns 
gelehrt, dass es eine grosse Anzahl von raschen Bewegungsvorgängen 
gibt, die unserer Wahrnehmung vollkommen entgehen. Zum Beispiel 
die Entwicklung einer Wolke aus den Mündungsgasen eines Ge¬ 
schützes. Die Momentphotographie erbrachte uns ferner den Be¬ 
weis, dass in den Bildern unserer Meister, z. B. den Schlachten¬ 
bildern Werners, eine Anzahl von Bewegungsphasen dargestellt 
sind, die tatsächlich niemals Vorkommen. In unseren bildlichen Dar¬ 
stellungen finden wir auch häufig eine unrichtige Wiedergabe des 
Vogelfluges. In der Beobachtung desselben haben sich uns die 
Japaner und Chinesen, wie die Momentphotographie uns gelehrt hat, 
als überlegen erwiesen. Durch die Momentphotographie können wir 
nun zwar alle Bewegungsphasen im einzelnen darstellen, wir können 
sie aber nicht zur Reproduktion des zusammenhängenden Be¬ 
wegungsvorganges benutzen. Auch die normale Kinematographie 
hat uns hier nicht weitergebracht. Sie gibt uns die Bewegungen 
im allgemeinen nicht anders wieder, als wie wir sie bereits mit freiem 
Auge sehen können. Wir sind mit normaler Kinematographie im¬ 
stande, nicht mehr als 16 bis maximal 25 Bilder in der Sekunde auf¬ 
zunehmen. Die Begrenzung der Bilderzahl ist gegeben durch die 
Zerreissbarkeit des Filmmaterials, welche nicht erlaubt, dass man 
den Film mehr als 25 Mal in der Sekunde in Bewegung setzt und 
wieder anhält. 

Zur besseren Erfassung der einzelnen Bewegungsphasen könnte 
man den Film besonders langsam ablaufen lassen, doch stört hierbei 
das Abblassen des Nachbildes unserer Netzhaut. Die normale Kine¬ 
matographie in ihrer heutigen Betriebsweise ist überhaupt nur denk¬ 
bar durch die Mitwirkung des Nachbildes, welches uns den Bild- 

Qriginal fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



16. Juli 1918. 


MuencheNer medizinische Wochenschrift. 


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titulruck von einem Bilde zum anderen ohne Abschwächung hinüber- 
leitet, wenn die Pause von Bild zu Bild nicht wesentlich mehr wie 
: * Sekunden beträgt. Würden wir den normalen Film abnorm lang¬ 
sam ablauien lassen, um die einzelnen Bewegungsphasen möglichst 
zu erfassen, dann reiht sich nicht mehr schnell genug Bild und Bild 
aneinander, die Pausen zwischen den Bildern dehnen sich auf *lw bis 
V- Sekunden und noch mehr aus und in diesen Pausen blasst bereits 
das Netzhaut ab. Es entsteht das lästige Flimmern, welches durch 
die Helligkeitsschwankungen zustande kommt. Es ist demnach das 
Problem der Bewegungsanalyse mit ruckweise bewegtem Film nicht 
zu lösen. Man muss zum kontinuierlich laufenden Filmband über¬ 
gehen, wenn man einen hohen Bilderwechsel in der Sekunde er¬ 
reichen will. Ein Abblenden des Objektives während der Bewegung 
desselben durch die rotierende Blende kann nicht mehr stattfinden, 
weil der Film dauernd in Bewegung ist. Auf den rasch ablaufenden 
Film müssen nun die einzelnen dicht aneinander gereihten Bilder ge¬ 
worfen werden und das geschieht durch ein Rad, an dem eine Anzahl 
von Planspiegeln montiert sind wie die Schaufeln an einem Ven¬ 
tilator. Die Schwierigkeit der Problemlösung liegt darin, dass dieses 
Spiegelrad synchron mit dem ablaufenden; Film sieh bewegen muss, 
derart, dass der auf das Filmband projizierte Lichtstrahl eine Strecke 
lang mit dem Filmband weiterwandert, bis er in einem Bruchteil der 
Zeit eine genügende Einwirkung auf die Chlorsilberschicht aus- 
geübt hat. 

Das Problem ist in mustergültiger Weise gelöst worden durch 
I)r. Lehmann, den verstorbenen physikalischen Mitarbeiter der 
Ernemannaktiengesellschaft und zwar durch die sog. „Zeitlupe“ und 
den Hochfrequenzkinematograph. Mit demselben kann man 200 bis 
M) Bilder in der Sekunde fertigen, man bekommt also auf jeden Be¬ 
wegungsabschnitt die fünfzehnfache Bilderzahl, als wie mit dem ge¬ 
wöhnlichen Kinematograph, und man kann nun den so gewonnenen 
Film mit gewöhnlicher Geschwindigkeit ablaufen lassen und erhält 
dann eine fünfzehnfache Verlangsamung aller Bewegungen, ohne dass 
man in der Betrachtung durch das Flimmern gestört ist. Zum ersten 
Male gewinnen wir durch den Hochfrequenzkinematograph einen 
Einblick in die Welt rascher Bewegungen, die unserem Auge bisher 
vollständig verschlossen geblieben ist. 

Es mutet eigenartig an, wenn man ein Pferd z. B. mit polypen¬ 
artig verlangsamten Bewegungen über eine Hürde hinwegsetzen 
sieht, wenn man den Fall und den Gang eines Menschen, eines 
Hundes, einer Katze in alle seine einzelnen Phasen aufgelöst in Ruhe 
verfolgen kann. Wundervoll wirken die verschiedenen Steuerungs¬ 
bewegungen der Taube beim Abflug, prächtig das in Tausenden ein¬ 
zelner Tropfen aufspritzende Wasser. 

Im Zusammenhänge mit dem Vortrage wurden die verschiedenen 
Systeme kinematographischer Aufnahme- und Wiedergabeapparate 
und an besonderem Modell die Wirkung des Maltheserkreuzes vor- 
s'etiihrt und am Schlüsse ein längerer, mit dem Hochfrequenzkinemato¬ 
graph angenommener Film gezeigt. 

Herr Beschorner: Der Film in der Tuberkulosebekämpfung. 


Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M. 

(Offizielles Protokoll.) 

1753. Sitzung vom 15. April 1918, abends 7 Uhr, im 
Carolinum. 

Vorsitzender: Herr Vohsen. 

Schriftführer: Herr Seckbach. 

Herr Vohsen: Dem Aerztl. Verein sind die Vorschläge zur 
Ausgestaltung des Frankfurter Volksschulwesens zugegangen, die 
neben der Beförderung der Begabten eine Hebung der Gesamt¬ 
leistungsfähigkeit der Volksschüler ins Auge fassen. Ich gebe nur 
das Wesentliche wieder, das die Aerzte berührt, die auf dem Gebiete 
des Schulwesens ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Zu unserer 
Genugtuung wird dies von der Stadtverwaltung anerkannt, die den 
Aerztlichen Verein bei der Vorberatung der die Schularztfrage be¬ 
treffenden Vorschläge mit beratender Stimme zugezogen hat und 
auch in ihren Beschlüssen, deren endgültige Genehmigung, wie mir 
rmtgeteilt wird, sicher scheint, den Vorschlägen der vom Aerztlichen 
Verein gewählten Kommission- gefolgt ist. 

Die Schülerzahl der Aufnahmeklasse ist auf die Höchstzahl von 
4f> Schülern beschränkt worden. Die Zahl vermindert sich in den 
* uteren Klassen erheblich (durch Abgang in Hilfs-, Förder-, Mittel- 
und höhere Schulen). Dies Ziel kann ohne finanzielle Opfer erreicht 
werden, da der bedeutende Geburtenrückgang schon jetzt in Er¬ 
scheinung tritt, indem gegen die Höchstzahl der aufgenommenen 
xhüler im Jahre 1913 von 8521 im Jahre 1917 nur 7629 aufgenommen 
wurden und ein bedeutender Rückgang dieser Zahl in den nächsten 
Uhren zu erwarten ist. In Lehrplan und Lehrmethode sind Aende- 
mngen geplant. Auf der Unterstufe eine stärkere Betonung des An- 
schauungs- und Beobachtungsunterrichts unter ausgiebiger Betätigung 
der Hände, in der Oberstufe stärkere Selbstbetätigung der Schüler, 
eigenes Experimentieren sowie Arbeit in dem Schulgarten und auf 
dem Felde. Eine Ergänzung des Beobachtungsmaterials erfolgt durch 
Ausflüge und Besichtigungen. Die Turnlehrpläne sollen durch Ein¬ 
führung des orthopädischen Turnens und Förderung des Sports er¬ 
gänzt werden. Für die Mädchen ist eine besondere Unterweisung 

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in Säuglingspflege nicht in Aussicht genommen. Diese soll in andere 
Unterrichtsfächer, insbesondere aber in den stark betonten Haus¬ 
haltungsunterricht eingefügt werden. Um den neuen Anforderungen 
gerecht zu werden, sollen die Lehrer in Jugendkunde und sozialer 
Hygiene fortgebildet werden. 

Besondere Aufmerksamkeit der Aerzte verdienen die Förder¬ 
schulen für schwach begabte Kinder, deren Auswahl durch die Schulen 
und deren Förderung durch die Schulärzte in Gemeinschaft mit 
Lehrern und Schulpflegerinnen erfolgen soll. Das Schularztsystem 
wird s o ausgestaltet, dass von den 52 Oüü Volks- und Mittelschul¬ 
kindern je etwa 2300—2500 Kinder auf einen Schularzt entfallen. 
Dieser ist so besoldet, dass er täglich 2—3 Stunden der Schule 
widmen kann. Von dem Schularzt im Hauptamt ist Abstand ge¬ 
nommen, da es wünschenswert erscheint, dass die rein gutachtliche 
Tätigkeit eine Ergänzung durch die Behandlung der Krankheiten 
findet, die ihm die Privatpraxis gewährt. Endlich soll versucht 
werden durch straffere Zusammenfassung der Schulärzte und Fort¬ 
bildungskurse die Arbeit zu vertiefen und das Gesamtresultat wert¬ 
voller zu machen. Für Vertretung, Reihenuntersuchungen und 
grössere Einzelaufträge sollen zwei hauptamtliche Schulärzte an¬ 
gestellt werden. Hierzu treten die beiden Stadtärzte, von denen der 
eine Spezialist für Tuberkulose und Erholungstürsorge, der andere 
für ärztliche Erziehungs- und Berufsberatung ist. Besondere Auf¬ 
merksamkeit soll der Schul-Zahnpflege durch Errichtung einer Zentrale 
und mehrerer Nebenstellen geschenkt werden. Fördereinrichtungen 
für erheblich schwachsichtige und erheblich schwerhörige Kinder 
sind im Anschluss an Blinden- und Taubstummenanstalten geplant. 
Für leicht psychopathische Kinder hat das Jugendamt ein eigenes 
Heim mit besonderer Schuleinrichtung geschaffen. Für schwere 
Psychopathen besitzen wir eine Abteilung in der Irrenanstalt. Die 
anderen Ausführungen der Vorschläge sind wesentlich pädagogischer 
Art. 

Herr B. Fischer: Demonstrationen. 


Aerztlicher Verein in Hamburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 25. Juni 1918. 

Die unter dem Vorsitz des Herrn E. Fraenkel stattfindende 
letzte Sitzung vor den Ferien galt, ebenso wie der grösste 
Teil der vorletzten Sitzung der Aussprache über den Vortrag 
des Herrn Schottmüller: Zur Behandlung der Spätlues und 
zeitigte eine ungemein eingehende Aussprache über alle strittigen 
und schwebenden Fragen in der Syphilispathologie und -therapie. 
Gennerich aus Kiel gab einen kurzen Ueberblick über seine in 
der M.m.W. mehrfach publizierten Ansichten und Resultate. Nonne 
betonte die zunehmende Häufigkeit der Frühtabes und Frühparalyse 
seit dem Einsetzen der Salvarsanära. Der Verlauf der Metalues ist 
durch das Salvarsan in nichts verändert. Non n es Material beträgt 
in den letzten 10 Jahren 1258 Fälle von Tabes im Krankenhaus, 280 
in der Privatpraxis, 907 Fälle von Paralyse bzw. 155. Er empfiehlt 
nur eine sehr vorsichtige Behandlung, da durch Intensivbehandlung 
mehrfach Verschlimmerungen beobachtet wurden. Kafka glaubt, 
dass die schon im Sekundärstadium dank unserer Fortschritte besser 
und früher erkannte Nervenlues als ein- Vorstadium der Paralyse 
aufzufassen ist und besonders sorgfältige — endolumbale Therapie 
erfordert. Bei bestehender Paralyse scheint die Kombination der 
Fiebertherapie mit Salvarsan bisweilen erfolgreich. B ö 11 i g e r be¬ 
handelt nur die akuten Schübe, lässt chronische Fälle lieber zu¬ 
frieden. Weygandt glaubt an die Heilbarkeit der Paralyse, pro¬ 
phezeit der endolumbalen Behandlung eine Zukunft. Die Kombination 
von Nervenlues mit Aortenlues ist nicht sehr häufig. — Ueber Aorten¬ 
lues spricht D e n e k e. der über mehr als 600 Fälle gesehen hat. 
Er akzeptiert die neue Einteilung Schottmüllers und gibt für 
die Aortitis supracoronaria und die Aortitis coronaria interessante 
kasuistische Beiträge. In der Therapie ist er zurückhaltend, emp¬ 
fiehlt die „Tölzer Kur“. Die röntgenologische Differentialdiagnose 
gegen Sklerose erörtert H a e n i s c h an charakteristischen Dia¬ 
positiven. Die pathologische Anatomie erörtert Fraenkel und 
weist auf die ganz auffallende Zunahme der Aortitis luica im Gegen¬ 
satz zur Abnahme der schweren tertiären Knochen- und Leberlues 
hin. Von 1910—17 waren unter 16 910 Sektionen 365 Todesfälle an 
Syphilis, darunter 238 an Aortitis luica. Hahn demonstriert im 
Röntgenbild einen Fall von Lungensyphilis und erinnert an die Wil¬ 
ma n sehen Publikationen- in der M.m.W.. ein Hinweis, der auch 
von Fraenkel nachdriicklichst unterstützt wird. Hahn bespricht 
sehr ausführlich die ganzen Fragen der Syphilistherapie mit Bezug 
auf die WaR. Hierüber besteht ja überhaupt zurzeit die grösste 
Divergenz der Ansichten. Sagt eine positive Reaktion, dass der 
betreffende Kranke noch krank und behandlungsbedürftig ist, oder 
sagt sie, dass sein Körper imstande ist, Immunkörper zu produzieren, 
oder sagt sie nur, dass das betreffende Individuum mal eine Spiro¬ 
chäteninfektion durchgemacht hat? In vielen Untersuchungen von 
alten Puellen, die vor 20—30 Jahren infiziert waren und positive WaR. 
aufwiesen, wurden nie Spirochäten gefunden. Wurde trotzdem be¬ 
handelt, so traten in einzelnen Fällen papulöse Effloreszenzen in 
die Erscheinungen, womit also der Satz „quieta non movere“ viel- 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 29. 


leicht berechtigte Begründung findet. — Die positive WaR. ist unab¬ 
hängig von der Virulenz der Spirochäten. Hahn fasst die WaR. 
als Immunitätsreaktion auf. Er bespricht ferner die Salvarsansclihdi- 
gungen, ferner den angeblich nach zuviel Salvarsan auftretenden 
Ikterus, den er nicht anerkennt. Ueber ähnliche Fragen äussert 
sich Delbanco, der vor der „Anbehandlung“ warnt und die 
„Durchbehandlung“, wenn man Salvarsan anwendet, notwendig 
findet. Er bespricht die Kontraindikationen, zu denen Arteriosklerose, 
Myokarditis und Nephritis gehören. Ebenso warnt Rumpel vor 
Salvarsan bei Aortenlues, das er allerdings nur in wenigen Fällen 
und mit kleinen Dosen vor Jahren versucht, dann aber wieder 
zugunsten der Jodtherapie aufgegeben hat. Herr G r a e t z bespricht 
vom biologisch-bakteriologischen Standpunkte aus das Wesen der 
WaR. und betont unsere allgemeine Unkenntnis von der Bedeutung 
dieser Reaktion. Welche Methode, ob die Originalmethode oder die 
J ac ob st ha Ische Kältemethode die Standardmethode sein soll, ist 
auch noch nicht bestimmt. Herr Schottmüller geht in seinem 
Schlusswort kurz auf alle Einwände der Gegner ein; er betont seine 
guten Resultate, die besser waren, als sie früher von ihm und anderen 
erzielt sind und fordert zur weiteren Nachprüfung auf. Werner. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 14. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Hoppe. 

Schriftführer: Herr H ü t z e r. 

Herr Recken: Erlebnisse aus meiner russischen Kriegs¬ 
gefangenschaft. 

Bericht des Schrift- und Kassenführers, Bericht des Ehrenrates. 

Festsetzung des Beitrages für das Jahr 1918. 

Wahl des Vorstandes: zum 1. Vorsitzenden wird Herr Moses, 
zum 2. Vorsitzenden Herr Hoppe, zum 1. Schriftführer Herr 
H ü t z e r, zum 2. Schriftführer Herr Dahmen, zum Kassenführer 
Herr Lehmann gewählt 

Sitzung vom 11. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Moses. 

Schriftführer: Herr H ü t z e r. 

Herr Dreesmann: Gastrostomie bei Ulcus ventriculi. 

Die operative Behandlung des Ulcus ventriculi besteht im all¬ 
gemeinen in der Anlegung einer Gastroenterostomie oder in der 
Resektion des Ulcus. Letztere kommt vornehmlich in Betracht, wenn 
das Ulcus nicht im Pylorusteil des Magens seinen Sitz hat. Vor 
kurzem hatte ich nun einen Fall zu behandeln, bei dem das Ulcus 
hoch oben an der Kardia sass und der Allgemeinzustand des Patienten 
sowie auch die lokalen Verhältnisse eine Resektion nicht gestatteten. 

Patient, 62 Jahre alt, Gastwirt, hatte seit Herbst 1916 Magen¬ 
schmerzen und Gefühl von Druck 1—2 Stunden nach den Mahlzeiten, 
kein Erbrechen, starke Abmagerung, Gewichtsverlust von 50 Pfund. 
Der Magenchemismus war normal. Die Röntgenaufnahme zeigte 
keinerlei Abweichungen von der Norm. 

Bei der am 12. VI. 1917 vorgenommenen Opfr^tion fand sich 
ein kleinapfelgrosser kraterförmiger Tumor hochoben'an der kleinen 
Kurvatur in der Nähe der Kardia. Vereinzelte Drüsen. Da bei dem 
schlechten Allgemeinbefinden des Patienten und bei den örtlichen 
Verhältnissen eine Resektion unmöglich war, entschloss ich mich zur 
Vornahme einer Gastrostomie in der Absicht, den Magen zu fixieren 
und die Ernährung durch den Mund für längere Zeit auszuschalten. 
Abgesehen von einer starken Blutung, die am Tage nach der Ope¬ 
ration eintrat, offenbar aus dem Ulcus, war der Verlauf normal. Die 
Ernährung geschah ausschliesslich durch die Gastrostomie und 
besserte sich das Befinden sehr bald im Anschluss an die Operation. 
Am 2. Oktober habe ich die Kanüle entfernt, zumal Patient schon 
vorher hier und da Speisen per os genommen hatte und zwar ohne 
Beschwerden. Anfang April 1918 hatte ich Gelegenheit, Patienten 
nochmals zu untersuchen. Die Wunde ist völlig geheilt, Patient fühlt 
sich absolut wohl, kann alle Speisen vertragen. Er hat ganz erheb¬ 
lich an Gewicht zugenommen. Auf Grund dieses Befundes dürfte 
wohl in ähnlichen Fällen der Versuch gemacht werden, durch die 
einfache Operation der Gastrostomie eine Heilung des Ulcus ventri- 
culi im' kardialen Abschnitt des Magens herbeizuführen. 

Herr Dreesmann: Tödliche Blutung aus einer Leberzyste. 

Bei dem in der Ueberschrift erwähnten Fall handelt es sich um 
eine 78 jährige Frau, die stets gesund war, abgesehen von einem 
linksseitigen Schenkelbruch. Am 2. XII. 1917 erkrankte sie plötzlich 
mit heftigen Leibschmerzen, Brechreiz, Aufstossen, Verhalten von 
Stuhl und Blähungen. Am 3. XII. wurde Patientin ins Krankenhaus 
aufgenommen. Es bestand starke Anämie, leicht ikterische Haut¬ 
färbung, Tympanie und leichte Druckempfindlichkeit des Bauches. 
Links war eine Hernie ing. und crur. vorhanden. Beide Hernien 
waren weich, nicht besonders schmerzhaft. Pulsfrequenz 110. Der 
Einschnitt auf die Hernien ergab keine Einklemmung, aber starke 
Blutung, die aus der Bauchhöhle stammte. Die Quelle der Blutung 
konnte trotz Erweiterung des Schnittes nach oben, auch nach An- 


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legen einer neuen Inzision unter dem linken Rippenbogen, nicht ge¬ 
funden werden. Infolge hochgradiger Schwäche der Patientin musste 
die Operation abgebrochen werden. Am Abend bereits erfolgte der 
Exitus. 

Die Autopsie ergab Fettleber mit mehreren Lymphzysten von 
Bohnen- bis Haselnussgrösse. Im rechten Leberlappen eine 
hühnereigrosse glattwandige Zyste. . (Untersuchung durch Prosektor 
Dr. Frank.) Die Wand der Zyste, teilweise von Blutgerinnsel be¬ 
deckt, teilweise glatt und hier von flachem Endothel bedeckt. An 
einer Stelle, wo die Zyste nach der Oberfläche geplatzt ist, ist das 
Lebergewebe in ziemlicher Ausdehnung vollständig nekrotisch. Es 
besteht eine scharfe Demarkationslinie. Ein durch Thrombus ver¬ 
schlossener grosser Ast einer Lebervene war in die Zyste perforiert. 
Es erscheint wahrscheinlich, dass vor der Blutung und Thrombose 
zwischen der Zyste und dem grossen Lebervenenast eine Kommuni¬ 
kation bestand. Da die Wand der Zyste in ganzer Ausdehnung bald 
mehr bald weniger von Blutung durchsetzt und an manchen Stellen 
zahlreiche kleine erweiterte Kapillaren aufweist, haben wir es mit 
einem Kavernom der Leber zu tun, welches in die Zyste und dann 
in die freie Bauchhöhle perforierte. Ausserdem hat sich im An¬ 
schluss an die Thrombose ein hämorrhagischer Infarkt im um¬ 
gebenden Lebergewebe ausgebildet 

Schreiben des Regierungspräsidenten betr. das gehäufte Auf¬ 
treten von Bartflechte unter der Zivilbevölkerung von Köln. 

Herr Meirowsky macht hiezu einige statistische Mitteilungen 
und Vorschläge zur Bekämpfung der Bartflechte. 

Auf Vorschlag von Meirowsky wird eine dreigliederige 
Kommission gewählt bestehend aus den Herren Dreyer, Lohmer 
und Meirowsky, die sich mit der Angelegenheit beschäftigen 
und dem Verein entsprechende Vorschläge unterbreiten soll. 


Aerztlicher Verein in Nürnberg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 17. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr J. Müller. 

Herr Stepp: Ueber Zink Vergiftung. 

Herr Waltershöf er: 1. Ein Fall von Schwarzwasserfieber. 

(Mit Demonstration von inakro- und mikroskopischen Präparaten.) 

Der 21 jähr. Soldat erkrankte am 7. Juli 1917 in Mazedonien an 
Tertiana. Bis 11. Juli bestand remittierendes Fieber; vom 20. Juli 
bis 10. August wurden in unregelmässigen Zwischenräumen Tempera¬ 
turen bis 39° beobachtet. In Deutschland traten am 16. und 17. Sep¬ 
tember nochmals Temperatursteigerungen bis 38,2° auf. 

Vom 1. Fiebertage an stand der Pat. unter Chinirh Die Be¬ 
handlung erfolgte nach dem Naht sehen Schema. Während der 
Durchfälle, die eine Abhängigkeit von den Fieberanstiegen erkennen 
lassen und die im Felde zur Annahme einer Ruhr führten, wurde 
Chinin intramuskulär gegeben. Vom 22. September an scheint Chinin 
abgesetzt worden zu sein. 

Am 9. Oktober 17 trat aus vollem Wohlbefinden heraus ein 
Schüttelfrost auf mit Temperatursteigerung bis 41°. Am anderen 
Morgen bestan^ Ikterus. Mittags setzte Erbrechen galliger Massen 
ein und schleimig-blutiger Durchfall. Der Kranke bekam am 9. Okt. 
abends zweimal 0,5 Chinin und am 10. 2 mal 1,0 Chinin. 

Am 11. Oktober wurde der Kranke auf meine Abteilung einge¬ 
liefert. Ich fand einen stark ikterischen Patienten in vollem Be¬ 
wusstsein, der dauernd erbricht. Jeder Versuch, sich mit dem 
Kranken zu beschäftigen, erhöht das quälende Erbrechen grünlicher, 
dünnflüssiger Massen, dabei gehen ununterbrochen per rectum grün¬ 
liche Schleimmassen ab. Meine Annahme, dass es sich um Schwarz¬ 
wasserfieber handle, wurde durch den Urin, der nach einiger Zeit 
in spärlicher Menge zu erhalten war, bestätigt. Derselbe war bur¬ 
gunderrot, in dünner Schicht grünlich schillernd. Er enthielt 4 Prom. 
Albumen, Guajakprobe ++-K Gallenfarbstoff fehlte. Beim Sedi- 
mentieren fällt der spärliche Bodensatz auf. Es fanden sich einige 
verfettete Epithelien und ganz vereinzelte Blutkörperschatten. 

Wenige Stunden nach der Aufnahme ging der Patient zugrunde. 

Bei der Obduktion fanden sich ikterische Verfärbung der inneren 
Organe, Anämie, ein schlaffes, dilatiertes Herz. Leber mässig ver- 
grössert, von braungelber Farbe mit deutlicher Zeichnung. Die 
Gallenblase war klein und enthielt 20 ccm einer schwarzgrünen, zäh¬ 
flüssigen Galle. Die Milz war vergrössert (15:11:5 1 /* cm). Das 
Gewebe schwarzbraunrot. Die Milzstruktur schlecht zu erkennen. 
Nur die M a 1 p i g h i sehen Körperchen traten als weissgraue Knöt¬ 
chen hervor. Im unteren Milzpol sass ein markstückgrosser, keil¬ 
förmiger Infarkt. 

Beide Nieren waren in reichliches Fettpolster eingelagert. Die 
Nieren von normaler Grösse. Kapsel leicht abziehbar. Oberfläche 
glatt. Hier ist die Farbenverteilung ungleichmässig. Tiefschwarz¬ 
rote Partien wechseln mit weissgelben Teilen ab. Auf dem Durch¬ 
schnitt ist Mark und Rinde gut voneinander getrennt. Entsprechend 
der an der Oberfläche sichtbaren Farbenverteilung unterscheidet 
man auch hier helle und schwarzrote, streifig angeordnete Partien. 
Auch die Markkegel lassen einen hellen und einen schwarzroten 

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16. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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grösseren Teil erkennen. Das Nierenbecken ist frei. In der rechten 
Niere sind die Veränderungen stärker als links. 

Die mikroskopische Untersuchung lässt erkennen, dass in den 
dunklen Partien die Nierenkanälchen angefüllt sind mit homogenen 
oder scholligen Einlagerungen, die das Lumen völlig ausfüllen. Die 
Kanäle sind erweitert. Ihr Epithel ist zusammengedrückt oder ver¬ 
loren gegangen. Andere Partien, die den als hell beschriebenen 
Teilen entsprechen, sind frei. Das Epithel ist hier normal. Auch 
die Glomeruli sind unverändert. 

Plasmodien konnten weder in Milz, Leber, Gehirn noch Knochen¬ 
mark gefunden werden. 

Es handelte sich hier um einen Fall von Schwarzwasserfieber, 
bei dem sich die Spuren des Zerfalls von Erythrozyten erkennen 
Hessen als Bilirubin in den Geweben, als Hämoglobinpfröpfe in den 
Nierenkanälchen und als Blutfarbstoff im Urin. Weder die Verstopfung 
der Nierenkanäle, noch die Schädigungen des Nierenepithels waren 
so hochgradig, dass hierdurch Anurie oder Urämie hervorgerufen 
wurden, die den tödlichen Ausgang erklärlich machen könnten. Es 
muss vielmehr angenommen werden, dass dieselbe Noxe, die zur 
Hämolyse führte, infolge einer toxischen Schädigung aller lebens¬ 
wichtigen Organe den Tod herbeiführte. Der Mann hatte früher 
eine Tertiana. Im Anfall konnten jetzt Plasmodien nicht nachge¬ 
wiesen werden. Auch an den Prädilektionsstellen (Knochenmark, 
Milz) fehlten Plasmodien und insbesondere Halbmonde. Nach meiner 
Erfahrung könnte man diesen negativen Befund für das Vorliegen 
einer Tertiana verwerten. 

2. Zerebrale Erscheinungen bei Malaria. (Mit Demonstrationen.) 

Gerade die Tropika ist es, die mit Vorliebe den Hauptherd der 

Produktion neuer Plasmodien in ein bestimmtes Organ verlegt und 
dabei die Funktion des Organs in einschneidender Weise schädigt. 
Wir kennen das vom Herzen, wo schwere Herzschwäche dann dem 
Leben ein Ziel setzt, wir wissen das vom Knochenmark, das mit 
schwerster Anämie auf diesen Vorgang reagiert. Am häufigsten 
wählt sich aber die Tropika das Gehirn aus, die klinischen Er¬ 
scheinungen können dabei recht mannigfaltige Bilder geigen. 

Bei dem zu besprechenden Fall trat im Anschluss an einen 
Tropikaanfall Teilnahmslosigkeit und Nackensteifigkeit auf. Wegen 
Meningitis wurde er auf meine Abteilung verlegt. Der Kopf wurde 
nach hinten gebeugt gehalten, beim Vorwärtsbeugen fühlte man 
Widerstand. Die Muskulatur der unteren Extremitäten war druck¬ 
empfindlich. Reflexe waren auslösbar, kein Klonus, kein Babinski; 
Pupillen gleichweit und reagieren. Milz war vergrössert, Leber 
ebenfalls. 

Obwohl aus der ganzen Vorgeschichte an eine Malaria mit 
meningealen und zerebralen Symptomen nicht gezweifelt werden 
konnte, wurde mehr aus therapeutischen Gründen eine Lumbalpunk¬ 
tion ausgeführt. Der Liquor war infolge einer Gefässverletzung 
leicht blutig gefärbt. Im Sediment fanden sich Erythrozyten mit 
Ringen und Halbmonden. Trotz sofortiger intravenöser Chininbe¬ 
handlung kam der Patient am nächsten Tage im Koma zum Exitus. 

Die Obduktion zeigte zahlreiche punktförmige Blutungen im 
Gehirn. Die Anordnung der Blutounkte war nicht herdförmig; ihre 
Verteilung auf graue und weisse Substanz gleichmässig. 

Bei der mikroskopischen Betrachtung fanden sich die Gehirn- 
kapillaren strotzend angefüllt mit Teilungsformen der Malaria 
tropica. Die Gehirnhäute waren frei. 

3. lieber Veränderungen am infizierten Erythrozyten bei Ma¬ 
laria tertiana und tropica. (Mit Demonstrationen.) 

Die Plasmodien der Malaria tertiana und tropica rufen in den 
befallenen Erythrozyten Veränderungen- hervor, die in der Mehrzahl 
für Malaria spezifisch sind. Schon das verschiedene Verhalten des 
Hämoglobins (Abblassung bei Tertiana — stärkerer Farbenton bei 
Tropika) der infizierten roten Blutkörperchen deutet darauf hin, 
dass die Einwirkungen auf die Wirtszelle bei beiden Malariaarten 
verschiedenartig sind, wohl bedingt durch besondere biologische 
Eigenschaften jeder Malariaart. 

Das Hämoglobin erschwert und verdeckt eine völlige Darstellung 
aller Veränderungen. 

Nach Entfernen desselben lässt sich feststellen, dass Tertiana 
ohne Schüffnertiipfelung nicht beobachtet wird, dass neben der 
Tüpfelung in jedem Falle auch eine Fleckung vorhanden ist, und 
dass die Veränderungen der Tertiana eine ungleich höhere Affinität 
zum Farbstoff besitzen als die der Tropika. Bei der Tropika wurden 
niemals der Schüffnertüpfehmg ähnliche Veränderungen im Zell- 
Iti be gefunden. 

Zum Herausheben gerade dieser Unterschiede eignet sich 
folgendes Verfahren: Objektträgerausstrich, Lufttrocknung 2 Stun¬ 
den; ohne jede weitere Fixierung Uebergiessen mit 
(iiemsalösung (5 Tropfen Stammlösung am 5 ccm Aqua dest.) und 
% Cf Um j e färben. Vorsichtiges Abschwenken in Wasser und Trock¬ 
nen an der Luft (Schrägstellen, nicht Fliesspapier). 

Bei Verwendung einer gut eingestellten Farblösung zeigen sich 
diese Unterschiede auch im dicken Tropfen. Hier haben sie sich an 
lausenden von Präparaten für die Differentialdiagnose als zuver¬ 
lässig bewährt _ 


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Kleine Mitteilungen. 

Therapeutische Notizen. 

Ein heuer Diathermieapparat. 

Bei den jetzt gebräuchlichen Diathermieapparaten wird das 
Wiensche Löschfunkensystem angewandt. Das hat den Nachteil, 
dass sich der reinen Hochfrequenzwirkung eine faradisierende Wir¬ 
kung infolge der Impulsfolge der Wechselstromerregung der Funken¬ 
strecke überlagert. 

In der Praxis sucht man die faradische Wirkung des gedämpften 
Systems dadurch zu beseitigen, dass man Partialfunken sehr hoher 
Impulsfolge (nach Angabe der Firmen bis zu 20 000 in der Sekunde) 
anwendet. Ganz beseitigen lässt sich das faradische Gefühl auf 
diesem Wege jedoch nicht. 

Das moderne System der Schwingungserzeugung durch den 
Röhrensender erzeugt nun gänzlich ungedämpfte Schwingungen von 
seither unbekannter Konstanz in Amplitude und Frequenz. Ich habe 
einen Diathermieapparat konstruiert, der dieses System benutzt und 
der bei Verwendung von Gleichspannung als Anodenspannung natur- 
gemäss Diathermieströme ohne jede faradische Nebenerscheinung 
erzeugt. 

Die hierzu erforderliche hohe Gleichspannung grosser Leistung 
bietet in der Beschaffung Schwierigkeiten. Es glückte jedoch auch 
bei Anwendung von Wechselspannungen das faradische Gefühl prak¬ 
tisch auszuschliessen. Nun ist es allerdings noch nicht entschieden, 
ob nicht etwa gerade die faradisierende Wirkung bei bestimmter 
Stärke neben der reinen Hochfrequenzwirkung einen günstigen 
klinischen Einfluss ausübt. Es ist deshalb interessant, dass es durch 
eine Spezialschaltung möglich ist, beim Röhrensender, der an sich 
den Vorteil ungedämpfter Schwingungen bietet, eine faradisierende 
Wirkung von beliebig einregulierbarer Stärke einzustellen. 

Es soll und kann heute noch nicht entschieden werden, ob der 
Röhrensender gegenüber dem alten System den Vorrang bean¬ 
spruchen kann. Das muss die klinische Praxis lehren. 

Der Apparat ist in einer demnächst im Zentralblatt für Röntgen¬ 
strahlen erscheinenden Arbeit näher beschrieben. Eine eingehende 
technische Behandlung des Stoffes wird folgen, sobald dies aus mili¬ 
tärischen Gründen statthaft erscheint. H. Fassbender. 


Die Behandlung derSeptikämien durch massive 
intravenöse Injektionen von isotonischem ge¬ 
zuckertem Serum empfehlen Georges A u d a i n und Fernand 
M a s m o n t e i 1 (Presse m6dicale 1917 Nr. 62). Diese Injektionen, 
schon längst gebräuchlich in Fällen von Schock, um den Blutdruck 
zu heben, bei Nephritis urämischen Ursprungs, um die Diurese zu 
steigern und bei Kachexie digestiver Ursache, um eine Nährwirkung 
zu haben, schienen auch von Vorteil bei Septikämie, wo sie aber 
eine mehr direkte Wirkung ausüben; denn sie haben hier eine hoch¬ 
gradige Hyperleukozytose zur Folge und bilden von diesem Gesichts¬ 
punkte aus eine Leukozyten anregende Substanz ersten Ranges. 
Verfasser haben festgestellt, dass die Zahl derselben von 5000—7000 
vor der Injektion auf 25 000 in weniger als H Stunde stieg und sich 
2—3 Stunden lang auf dieser Höhe hielt, um dann auf ca. 16 000 herab¬ 
zugehen. Ausser dieser ist auch die Nährwirkung der Zucker- 
injekt-ionen und auch die diuretische Wirkung zu beachten. Irgendein 
schädlicher Einfluss auf den Organismus und auf das Blut, speziell 
die roten Blutkörperchen, wurde nicht beobachtet. Subkutan scheinen 
diese Injektionen nur wenig Wirkung auf die Leukozytose zu haben. 
Man kann entweder Saccharose (10,35:100,0), oder Glukose 
(4,6:100,0) oder Laktose (10,89:100,0) anwenden; wichtig ist, dass 
die Lösung stets eine isotonische sei. Die Menge, die zu injizieren 
ist, wechselt nach individuellen Gesichtspunkten, im Durchschnitt 
beträgt sie 300—500 g, in schweren Fällen kann man aber 1000, 1500 
und 2000 g: pro Tag innerhalb 2—3 Tage injizieren. Die injizierte 
Menge ist im allgemeinen genügend, wenn die Zahl der Leukozyten 
ungefähr 25 000 erreicht — der Kranke in der der Injektion folgenden 
Stunde ein starkes Frostgefühl hat. Um den Temperaturabfall zu 
sichern, genügen meist 2—3 Injektionen von 500 g, in hartnäckigen 
Fällen muss man die Menge der Flüssigkeit erhöhen und die Behand¬ 
lung 10—12 Tage fortsetzen. Bei einem so behandelten Patienten 
wird gleichzeitig mit der Temperatur der Puls normal und es treten 
zuweilen an verschiedenen Körperstellen schmerzlose Abszesse mit 
dickem (aseptischen) Eiter auf, die aber keineswegs ein Aussetzen 
der Behandlung bedingen. Im allgemeinen muss man 4—5 fieberlose 
Tage abwarten, um mit der ganzen Behandlung aufzuhören. Man 
kann sie übrigens auch bei Allgemeininfektionen inneren Ursprungs, 
wie Erysipel, Rheumatismus usw. anwenden. Ausser der Leukozyten 
anregenden Wirkung haben diese Injektionen isotonischer Zucker¬ 
lösungen noch den Vorteil der Nähr- und diuretischen Wirkung, ver¬ 
halten sich also ähnlich den stärksten Leukozytose hervorrufenden 
Substanzen, wie speziell das Nukleinnatron. St. 


Qri-ginal from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



s04 


MUENcHfiNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 15. Juli 1918. 

— Kriegschronik. Die militärische Lage ist nicht ver¬ 
ändert. Im Monat Juni wurden 468 feindliche Flugzeuge und 
62 Fesselballone abgeschossen; wir verloren 153 Flugzeuge und 
51 Fesselballone. Ein amerikanisches Flugzeuggeschwader, das 
sich Koblenz zu nähern suchte, wurde restlos abgeschossen. — 
Staatssekretär des Aeussern v. Kühlmann hat seine Entlassung ge¬ 
nommen. Seine Stellung war nach einer entmutigenden und daher 
nach innen wie nach aussen überaus schädlich wirkenden Rede im 
Reichstag unhaltbar geworden. Sein Nachfolger wird der Admiral 
z. D. v. Hintze, bisher Kaiserl. Gesandter in Christiania. Vom Reichs¬ 
kanzler über den Wechsel in dem hohen Reichsamte im Haupt¬ 
ausschuss des Reichstags persönlich abgegebene Erklärungen be¬ 
friedigten dort und so fand die neue Forderung eines Kriegskreüits 
von 15 Milliarden Mark ohne weitere Schwierigkeiten Annahme. — 
Ueber die Bluttat in Moskau erklärte der Reichskanzler im Haupt¬ 
ausschuss, dass alle Spuren darauf hindeuten, „dass die fluchwürdige 
Tat auf Anregung der Entente geschehen ist“. Der Mord sollte das 
Signal sein für eine allgemeine Erhebung gegen die bolschewistische 
Regierung. Dieses Ziel wurde ebensowenig erreicht, wie die Absicht, 
die erfreulich guten Beziehungen zwischen der russischen und der 
deutschen Regierung zu stören. Der Aufruhr in Moskau wurde 
niedergeschlagen, die Sowjetregierung ist neu befestigt und das 
gegenseitige Vertrauen beider Regierungen ist unvermindert. . Für 
alle Zeiten aber wird die Geschichte die Tatsache verzeichnen, dass 
die „Kämpfer für Freiheit und Recht" selbst vor gemeinem Meuchel¬ 
mord nicht zurückschreckten, um ihre schändlichen Ziele zu er¬ 
reichen. 

— Der Reichstag hat das Branntweinmonopolgesetz 
in zweiter und dritter Lesung angenommen. Zur Ermässigung der 
Kosten für alkoholhaltige Heilmittel für minderbemittelte Volks¬ 
kreise, insbesondere der Kranken- und Knappschaftskassen, werden 
60 Pf. pro Kassenmitglied bewilligt; 4 Millionen werden zur Be¬ 
kämpfung der Trunksucht zur Verfügung gestellt. Die Gesetze betr. 
Bier- und Weinsteuer, Mineralwässer- und Limonadensteuer und die 
Zölle für Kaffee und Tee wurden in dritter Lesung angenommen. 

— Der Bundesrat hat dem Gesetzentwurf gegen Un¬ 
fruchtbarmachung und Schwangerschaftsunter¬ 
brechung seine Zustimmung erteilt. Der Entwurf sieht u. a. die 
Anzeigepflicht bei Unterbrechung der Schwangerschaft (mit Tötung 
der Frucht) durch ärztliche Eingriffe vor; also abermals eine Durch¬ 
brechung der ärztlichen. Schweigepflicht, der man. so sehr auch da¬ 
durch die Vertrauensstellung des Arztes gegenüber der Patientin 
u. U. geschädigt werden mag, im höheren Interesse der Verhütung 
indikationsloser Abtreibungen zustimmen muss. 

— Die vom Volksmund als „Spanische Krankheit“ be- 
zeichnete Pandemie Jjat sich rasQh über den grössten Teil Europas 
verbreitet; in Deutscnland dürfte kaum noch ein grösserer Landstrich 
davon frei geblieben sein. Das klinische Bild, unter dem die Krank¬ 
heit auftritt, ist das der Influenza; der Verlauf ist in der überwiegen¬ 
den Zahl der Fälle leicht und rasch, doch besteht Neigung zu Rück¬ 
fällen und auch Todesfälle, meist durch Lungenerkrankungen bedingt, 
fehlen nicht. Bakteriologisch ist die Krankheit bisher nicht aufge¬ 
klärt Der Pfeiffer sehe Influenzabazillus, nach dem allenthalben 
eifrigst gefahndet wird, wurde bisher nur ganz ausnahmsweise ge¬ 
funden; er kommt als Erreger also nicht in Betracht; meist werden im 
Auswurf und in den Organen, auch im Blut, Streptokokken, gelegent¬ 
lich auch Pneumokokken, gefunden. Eine ergebnisreiche Aussprache 
über die Krankheit, in der über das Material der Münchener Kliniken 
und Krankenhäuser berichtet wurde, fand am 9. ds. im Aerztl. Verein 
München statt. Auch hier wurde das Krankheitsbild, wenn auch nicht 
ganz widerspruchslos, als identisch mit dem der Influenza des 
Jahres 1889 bezeichnet. Die auffallende Erscheinung, dass fast nur 
Personen jüngeren Alters (meist unter 30 Jahren) befallen werden, 
wurde so erklärt, dass die ältere Generation von der früheren Pan¬ 
demie her noch durchseucht ist. Der Befund von Streptokokken, 
seltener von Staphylokokken und Pneumokokken, wurde auch hier 
gemacht, jedoch als Sekundärinfektion gedeutet, dagegen wurde der 
Pfeiffersche Influenzabazillus vermisst. Es wurde darauf hinge¬ 
wiesen, dass auch 1889 der Pfeiffersche Bazillus zunächst nicht 
gefunden wurde, obwohl er nicht zu übersehen gewesen wäre. Eist 
1892 wurde er entdeckt; e's handelt sich also wahrscheinlich auch hier 
um eine Sekundärinfektion (M an d e lb au m, Gruber). Der Ge¬ 
samteindruck der Besprechung war, dass zu Beunruhigung keine Ver¬ 
anlassung ist, dass es aber ebenso verfehlt wäre, die Krankheit 
zu unterschätzen und zu vernachlässigen. Vielmehr sind in allen 
Fällen sofortige Bettruhe und ärztliche Hilfe erforderlich. 

— Um für die Fortbildung der im Kriege approbierten jungen 
Aerzte Vorsorge zu treffen, hat am 29. Mai in Wien eine Konferenz von 
Vertretern der Ministerien, der med. Fakultäten, der Landessanitäts¬ 
verwaltungen, der Aerztekammern und anderer an der Frage be¬ 
teiligter Organisationen stattgefunden. Med.-Rat Dr. Ludw. Frey, 
Schriftführer der Wiener Aerztekammer, erstattete ein eingehendes 
Referat. Nach lebhafter Aussprache wurde folgender, von Professor 
Biedl formulierter Antrag einstimmig angenommen: „Um die un¬ 
bedingt notwendige weitere Ausbildung der im Kriege promovierten 
Aerzte zu ermöglichen, wird die Kriegsverwaltung ersucht, alle jenen 
jungen Aerzte, welche nicht schon längere Zeit an Spitälern tätig 


waren, an in Universitätsstädten befindliche Spitäler zu komman¬ 
dieren und die medizinischen Fakultäten von der erfolgten Komman¬ 
dierung unter Mitteilung der Listen zu entsprechender Zeit zu be¬ 
nachrichtigen. Die Organisation der Fortbildungsaktion möge dem 
Einvernehmen zwischen Kriegsverwaltung und einzelnen Fakultäten 
überlassen werden." Die Konferenz konstituierte sich als Kommis¬ 
sion für ärztliches Ausbildungs- und Fortbildungswesen. 

— Auf dem Berliner Kriegsärztlichen Abend vom 9. Juli hat Geh. 
Reg.-Rat Prof. Dr. Nernst einen Vortrag gehalten „über die 
Bedeutung der Chemie des Stickstoffs für unsere 
Z e i t“. Wie unser Berliner Mitarbeiter schreibt, hindert ihn leider 
ein Wunsch des Vortragenden, darüber zu berichten. 

— Fleckfiebcr. Kaiserlich deutsches Generalgouvernement 
Warschau. In der Woche vom 9.—15. Juni wurden 547 Erkrankungen 
(und 64 Todesfälle) angezeigt. In der W r oche vom 16.—22. Juni 
wurden 517 Erkrankungen (und 59 Todesfälle) gemeldet. — Oester¬ 
reich-Ungarn. In Ungarn wurden in der Zeit vom 27. Mai bis 2. Juni 
26 Erkrankungen (und 2 Todesfälle) gemeldet. 

— R u h r. Preussen. In der Woche vom 23.—29. Juni sind 
379 Erkrankungen (und 27 Todesfälle) gemeldet worden. 

— In der 26. Jahreswoche, vom 23.—29. Juni 1918. hatten von 
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Tilsit mit 40,5, die geringste Rüstringen mit 6.7 Todesfällen pro Jahr 
und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb 
an Diphtherie und Krupp in Koblenz, Wilhelmshaven. 

Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Bonn. Am 6. Juli fand in der Aula der Universität die 
1. Sitzung und Hauptversammlung der vor Jahresfrist gegründeten 
„Gesellschaft von Freunden und Förderern der Rheinischen Fried- 
iich-Wilhelm-Universität“ statt, die nunmehr schon über 600 Mit¬ 
glieder zählt. Aus dem Bericht des Vorsitzenden Geh. Rat Duis- 
b e r g - Leverkusen ging hervor, dass die gesammelten Beträge be¬ 
reits eine Höhe von mehr als 2 300 000 M. erreicht haben. An die 
Versammlung schloss sich, nachdem über die Tätigkeit der Gesell¬ 
schaft im atagelaiifcnen Jahre und über die Bewilligung von Mitteln 
für Universitätszwecke berichtet worden war, 3 wissenschaftliche 
Vorträge an und zwar über „Die Geologie im Kriege" von Geh. Rat 
Stein man n, über „Die keltischen Völker im heutigen Gross¬ 
britannien und Frankreich“ von Geh. Rat Thurneysen und über 
„Der jetzige Stand unserer Kenntnisse von der Ucbertragung wich- 
t'ger Infektionskrankheiten durch Tiere“ von Geh. Rat R. O. Neu- 
m a n n. — Geh. Rat Friedrich S c h u 11 z e, der bisherige Direktor 
der medizinsichen Klinik, ist zum Geh. Obermedizinalrat ernannt 
worden. Die Akademie für praktische Medizin in Köln ernannte ihn 
zu ihrem Ehrenmitgliede. 

Freiburg. Für das Fach der Geburtshilfe und Gynäkologie 
habilitierte sich Dr. Paul Lindig (aus Hannover), Assistent an der 
Frauenklinik, (hk.) 

Güttingen. Zum Rektor der Georg-August-Universität ist 
für das Studienjahr vom 1. September 1918 bis dahin 1919 der Geh. 
Med.-Rat Prof. Dr. Hans Reichenbach, Direktor des Instituts 
für medizinische Chemie und Hygiene, gewählt worden, (hk.) — Dis 
Universität zählt im Sommersemester 1918 3064 immatrikulierte 
Studierende, davon gelten 2254 als beurlaubt; Mediziner 565, davon 
1 Studierender der Zahnhcilkunde. (hk.) 

Halle. Die Universität Halle weist im laufenden Semester 
2541 immatrikulierte Studierende auf, davon gelten 1983 als beurlaubt. 
Die medizinische Fakultät zählt 452, davon 15 Studierende der Zahn¬ 
heilkunde. Dazu kommen 126 Hörer. Der Gesamtbesuch beträgt 
mithin 2667. (hk.) 

Jena. Frequenz: 1998 immatrikulierte Studierende, davon 1377 
im Heeres-, Sanitäts- oder Hilfsdienst. 465 Mediziner, darunter 
22 Studierende der Zahnheilkunde, (hk.) 

München. Ueber die Neubesetzung der Professur für 
Chirurgie erfahren wir, dass an erster Stelle der inzwischen ernannte 
Prof. Sauerbruch - Zürich von der medizinischen Fakultät vor¬ 
geschlagen war. In Betracht kamen ferner E nd e r 1 e n - Wiirzburg, 
Haberer - Innsbruck, L e x e r - J ena, Payr- Leipzig. 

Strassburg. Ernannt wurde der a. o. Professor Dr. Her¬ 
mann Matth es in Jena zum ordentlichen Professor und Direktor 
des pharmazeutischen Instituts an der Universität Strassburg als 
Nachfolger von Prof. Dr. Otto Oe st er len. (hk.) 

Todesfälle. 

In Breslau verschied Prof. Dr. Julius Schmid, Privatdozent 
für innere Medizin an der dortigen Universität und Primärarzt der 
medizinischen Abteilung am Allerheiligenhospital daselbst, im Alter 
von 44 Jahren. Er stammte aus Rottweil (Württemberg) und war 
lange Jahre Assistenzarzt an der Breslauer medizinischen Klinik unter 
den Professoren Käst, Stern und Strümpell, (hk.) 

In Krakau ist der Professor der pathologischen Anatomie an 
der dortigen Universität Dr. Leo Konrad G1 i n s k i im 48. Lebens¬ 
jahre gestorben, (hk.) 


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Einzahlungen sind zu machen auf das Scheckonto Nr. 9263 der 
Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse bei der Bayer. Hypotheken* 
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MÜNCHENER SEEsSSäSsäi 

Medizinische Wochenschrift. 

ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Nr. 30. 23. Juli 1918. 

Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 

Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 

65. Jahrgang. 

Der Verlag behilt rieh das ansschliessllche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zun Abdruck gelangenden Orlginalbeitrlge vor. 


Originalien. 

Aus dem Hygieneinstitut der Universität Greifswald. 

lieber einen Nährboden zur Züchtung des Bazillus typhi 
exanthematici (Bazillus Proteus X Weil-Felix).*) 

Von Prof. Dr. E. Friedberger und 
Dr. G. Joachimoglu, Assistenzarzt d. R. 

M. H.! Seitdem Weil und Felix 1 ) zuerst aus dem Urin zweier 
Fleckfieberkranker vom 12. bzw. 5. Krankheitstage ihren Proteus- 
baziilus X2 gezüchtet haben, der zunächst als Substrat für die be¬ 
kannte W e i 1 - F e 1 i x sehe Reaktion diente, hat es nicht an Be¬ 
mühungen gefehlt, auch innerhalb des Körpers bei Fleckfieberkranken 
diesen Bazillus nachzuweisen. Dienes 2 ) fand ihn zuerst im Blut 
bei 8 Fällen (30 Proz. der untersuchten Fälle) durch Züchtung aus 
dem Blutkuchen. Zu ähnlichen Resultaten kamen unter Verwendung 
der gleichen Methode Weil und Felix 3 ), R o t k y, G e r g e 1 y (zu¬ 
sammen 21 Fälle). 

Der Bazillus X 19 wurde wiederum aus dem Harn eines fleck- 
neberkranken russischen Arztes durch Weil und Felix 4 ) gezüchtet 
und späterhin auch bei zwei anderen Patienten von ihnen gefunden. 
Auch Dien es 6 ) und Gergely 8 ) haben über positive Fälle in 
spärlicher Zahl berichtet. Ferner hat Dien es 7 ) einmal aus Stuhl 
sowie aus Läusen, Zeiss 8 ) einmal aus Abszesseiter eines Fleck¬ 
fieberrekonvaleszenten X 19 gezüchtet. Neuerdings berichtet Felix®) 
eher gänzlich negatives Resultat bei 415 Blutproben von 250 Fleck- 
neberkranken, die er im Winter 1916/17 im deutschen Roten-Kreuz- 
Lazarett in Konstantinopel untersucht hatte. Nur in den Leichen¬ 
organen konnte er dreimal unter 18 Sektionsfällen den Bazillus nach- 
weisen, und zwar zweimal bei Fällen, bei denen die Züchtung aus 
dem strömenden Blut ein negatives Resultat ergeben hatte. Zeiss 
In. a. O.) ist es dagegen gleichzeitig gelungen 18 mal den Bazillus X 19 
^us dem Blut von lebenden Fleckiieberkranken zu züchten, indem er 
Jen Blutkuchen aus 5 ccm Blut nach Entfernung des Serums mit 
Kayser-Conradi-Galle überschichtete. Wachstum nach 5—15 Tagen. 
D:e Züchtung gelang bei 242 Fleckfieberproben zwischen dem 1. und 
2t). Krankheitstag 12 mal = 5 Proz. Zwischen dem 20. und 40. Krank- 
htitstag bei 31 Proben 4 mal Z e i s s = 13 Proz. 

Felix führt u. a. die Seltenheit seiner Resultate auf die Empfind¬ 
lichkeit der X-Stämme gegenüber dem Mediumwechsel und der 
SäurebikÜung durch Begleitbakterien zurück. 

Schon vorher hat F r i e d b e r g e r •*) darauf hingewiesen, dass 
s ch eben ganz allgemein keineswegs die leichte Ueberimpfbarkeit eines 
Mikroorganismus auf künstliche Nährböden mit der leichten Ueber- 
züchtung vom natürlichen Ort des Vorkommens auf diese Nährböden 
deckt und ferner hat er die Ansicht ausgesprochen, dass vielleicht 
-der Fleckfiebererreger nur in den allerersten Stadien der 
Krankheit reichlich im Blut vorhanden* sei und noch viel schneller 
aus der Blutbahn verschwindet als der Typhusbazillus“. 

Wenn wir bedenken, dass beim Typhus die Züchtung aus dem 
Blut jahrzehntelang überhaupt nicht und späterhin mit der Gallen¬ 
methode nur in den ersten 14 Tagen der Krankheit einigermassen 
regelmässig gelungen ist, so müssen wir tatsächlich beim Fleckfieber 
mi; seiner bedeutend kürzeren Dauer im Vergleich zum Typhus an- 
^ehmtn, dass auch die Erreger entsprechend früher wiedler aus dem 
Blut verschwenden; ja. es besteht die Möglichkeit, dass die Bazillen 
vielleicht nur in den letzten Tagen des Inkubationsstadiums bis 
zinn Ausbruch des Schüttelfrostes regelmässig im Blut nach¬ 
weisbar sind 10 ). Material aus dieser Zeit zu untersuchen hatten wir 


■) Vorgetragen im Greifswalder med. Verein. 

J ) VV.kl.W. 1916 Nr. 2. 

*) Feldärztl. Blätter d. K. u. K. 2. Armee 1916 Nr. 11. 

*) Feldärztl Blätter d. K. u. K. 2. Armee 1916 S. 2. 

0 W.kl.W. 1916 Nr. 28. 

*) n m.W. 1917 Nr. 15. 

*) Feldärztl. Blätter d. K. u. K. Armee 1917 Nr. 24. 

•j D.m°W. 1917 Nr. 39. 

•) M.m.W. 1917 Nr. 39 
•*) d m W. 1917 Nr. 42—44. 

i") Die obigen Prozentzahlen von Zeiss sprechen freilich nicht 
f . Sinne . Doch ist das Material absolut zu gering, um 

Nr. 30. 1 

Digitized by V^OOSlC 


selbst leider niemals Gelegenheit; während auch wir in- zahlreichen 
Proben des Blutes aus späteren Stadien mit den verschiedensten 
Methoden und unter Verwendung der verschiedensten Menge nur 
negative Resultate gesehen haben. 

Da unser spärliches Material und äussere Umstände es uns un¬ 
möglich machten, systematisch in der Umgebung von Fleckfieber¬ 
kranken Züchtungen aus Blut selbst vorzunehmen, um die Bazillen 
bei Frühfällen und möglichst vor Ausbruch des Fiebers nachzuweisen, 
so möchten wir heute empfehlen, dass cßa, wo reichliches Material ,n 
der jetzigen Jahreszeit noch vorhanden ist, nach Ausbruch einer 
Epidemie nicht nur Züchtungsversuche bei bereits klinisch ausge¬ 
sprochenen Kranken vorgenommen werden, sondern in erster Linie 
auch in deren Umgebung. Es ist möglich, dass auf diese Weise bei 
solchen Individuen, die nachher erkranken, im Inkubationsstadium die 
Bazillen häufiger gefunden werden. Das würde ebenso wie bei 
Typhus eine wesentliche Beschleunigung dler Krankheitsdiagnose be¬ 
dingen, *da ja gerade im Frühstadium „Weil-Felix“ ebenso wie Gruber- 
Widal meist negativ ist. 

Wir empfehlen nun für derartige Untersuchungen einen Nähr¬ 
boden, der ein sehr charakteristisches Wachstum der Proteusbazillen 
gewährleistet und ausserdem, das gilt namentlich für die Unter¬ 
suchungen von Stuhl, Urin, Konjunktivalsekret, Hautexzisionen usw., 
eine Reihe von Begleitbakterien, wenn auch keineswegs alle, unter¬ 
drückt 

Gelegentlich von Komplementablenkungsversuchen mit dem 
Serum Fleckfieberkranker und X 19-Stäinmen war es aufgefallen, dass 
die Bakterienaufschwemmung von X 19 in Berührung mit der Blut- 
körperchenanfschwemmung dieser in kürzester Zeit eine eigentüm¬ 
liche himbeerrote Verfärbung mit einem Stich ins Blauviolette ver¬ 
lieh. Diese Verfärbung tritt ja, wie wohl) Ijeder bei derartigen 
Versuchen schon beachtet hat, auch bei Verwendung anderer Bak¬ 
terien ein, aber doch nur selten so intensiv und schnell wie hier. 
Wenn man die Röhrchen vorher nicht schüttelt so ergibt die spektro¬ 
skopische Untersuchung, dass es sich hier um einen Reduktions¬ 
vorgang handelt. Das Oxyhämoglobin wird zu Hämoglobin reduziert 

Bei vergleichenden morphologisch-biologischen Studien über die 
verschiedenen Proteusstämme fiel uns wiederum <ffie starke »Reduk- 
tionsfähigkeit dieser Bakterien auf. Das legte uns den Gedanken nahe, 
das Reduktionsvermögen der X-lBazillen zu ihrer leichteren Er¬ 
kennung und zugleich zur Unterdrückung von Begleitbakterien auf 
künstliche Nährböden zu verwenden. Eine Hemmung von Begleit¬ 
bakterien erscheint .auch um dessentwillen erwünscht, weil deren 
Säurebildungsvermögen nach Felix das Wachstum der XiBazillen 
empfindlich verhindert. 

Als besonders geeignet zum Nachweis der reduzierenden Wir¬ 
kung erwies sich uns das vor etwa 20 Jahren in die Bakterio¬ 
logie eingeführte Kaliumtellurit in Mengen von 1—2,0 ccm der 
(alkalischen) 1 proz. Lösung zu 100 ccm neutralen Agars (bereitet aus 
Plazentafleischwasser) zugesetzt. Dabei beträgt die Konzentration auf 
Te berechnet (KaTeOa = 50,26 Proz. Te). 1:20 000 bzw. 1:10000. 
Der Vorteil dieses Nährbodens, der die Farbe des gewöhnlichen Agars 
zeigt, ist der, dass die Proteusbazillen nicht nur in sehr charakteristi¬ 
schen Kolonien- wuchsen, die wie die fast aller anderen hier wachsen¬ 
den Bakterien durch Reduktion des KaTeOa zum metallischen Te 
intensiv schwarz gefärbt sind, sondern es werden auch eine Reihe 
anderer Bakterien unterdrückt. 

Schon vor uns haben Scheurlen sowie K l e 11 “), G o s i o u *) 
u. a. Tellur Verbindungen dazu benutzt, um die reduzierende Eigen¬ 
schaft von Bakterien zu studieren und Conradi und Tr och 12 ) 
haben, von ähnlichen Gesichtspunkten ausgehend, das Kaliumtellurit 
zum leichteren kulturellen Nachweis von Diphtheriebazillen ver¬ 
wendet. 

Allerdings behauptet gerade Conradi bezüglich des Proteus¬ 
bazillus, dass das Wachstum bei Zusatz von Tellur zum Nährboden 
gehemmt werde. Das ist bis zu einem gewissen Gradfe richtig und 
nicht nur der Proteus vulgaris, sondern auch die X-Stämme und 


By 


sichere Schlüsse zu gestatten. Auch handelt es sich offenbar hier 
(lange Bebrütungsdauer grosser Blutmengen) nur um ganz vereinzelte 
Bazillen im Blut. 

u ) Zbl. f. Bakt. I. 1900. 27. S. 393 u. Zschr. f. Hyg. 33. 1900. 
S. 135 u. 137. 

n *) Zschr. f. Hvg. 51. 1905. S. 65. 

,2 ) Zbl. f. Bakt. I. Abt. 1912. Ref. Bd. 54. Beiheft S. 63. 

1 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 







806 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 


an-dere Proteusstämme, für deren teilweise Ueberlassung wir Herrn 
Privatdozent Dr. B r a u n - Frankfurt a. M. zu Dank verpflichtet sind, 
erfahren* durch Zusatz von Kaliumtellurit in Konzentrationen über 
1:13 300 Te sicher eine gewisse Hemmung. Diese ist jedoch relativ 
gering, und selbst bei der Verdünnung l:10000Te macht sich derEin- 
fluss des Tellurs nur in einer geringen Verzögerung des Wachstums 
geltend. Nach 48 Stunden sind die Tellurplatten stets wenigstens 
annähernd so gut bewachsen, wie die gewöhnlichen Agarplatten, 
Viele andere Bakterien erfahren bei diesen Konzentrationen des 
Tellurs eine mehr weniger vollständige Hemmung des Wachs¬ 
tums. 

Nachstehend geben wir zunächst eine Beschreibung des Aus¬ 
sehens der Agarplattenkultur bei der direkten Ausstreichung von 
Material aus 24 Stunden alten Schrägagarkulturen in Strichen mit der 
Oese und bei der Erzeugung isolierter Kolonien, wobei wir so vor¬ 
gingen, dass wir etwas Material von Agarkultur in Bouillon verrieben 
und eine Oese davon mit dem Drigalskispatel auf Telluragarplatten 
ausstrichen. 

Kulturen zur Erzielung isolierter Kolonien mit Drigalskispatel auf ie 
3 Platten ausgestrichen. 

Gewöhnlicher Agar. 

Nach 24 Stunden: Runde, durchscheinende, tautropfenartige 
Kolonien, über stecknadelkopfgross, nicht ausgeschwärmt, mikro¬ 
skopisch fast kreisrund. Rand etwas unregelmässig. Mitte leicht 
bräunlich gefärbt. 

Nach 48 Stunden: Auf den zwei ersten Platten Rasenbildung, 
Kolonien etwas grösser, sonst das gleiche Bild. 

Telluragar (Te 1:10 000 und 1:13 300). 

Nach 24 Stunden: Wachstum etwas geringer wie auf ge¬ 
wöhnlichem Agar, Kolonien dagegen fast annähernd gleich gross wie 
auf gewöhnlichem Agar. Man kann deutlich zwei Typen von Kolo¬ 
nien unterscheiden. 

1. Kreisrunde (bei mikroskopischer Untersuchung ist der Rand 
etwas unregelmässig), intensiv schwarz gefärbte Kolonien, und 

2. etwas hellere Kolonien mit unregelmässigem Rand und be¬ 
ginnendem schleierförmigen Wachstum. 

Nach 48 Stunden zeigen die letzteren Kolonien ein rasen- 
förmiges Wachstum über die ganze Platte hin, häufig umgibt das 
rasenförmige Wachstum auch die kreisrunden Kolonien. Der Rand 
des Schleiers ist stark gezähnt. 

Wir haben also hier die beiden Typen von Kolonien, die Weil 
undl Felix 13 ) schon auf gewöhnlichem Agar gesehen und als O- und 
H-Form bezeichnet haben. 

Strich kulturen. 

Gewöhnlicher Agar. 

Nach 24 Stunden: Strohhalmbreite, fettgewachsene Striche, 
an den Rändern rasenförmige Ausschwärmung. Am Ende der un¬ 
regelmässig begrenzten Striche Tochterkolonien von unregelmässiger 
Gestalt, zum Teil rund. J 

Nach 48 Stunden: Striche noch dicker bewachsen. Zunahme 
der Ausschwärmung. 

Telluragar (Te 1:10 000 und 1:13 300). 

Nach 24 Stunden: Nur am Anfang zusammenhängendes 
Wachstum, sonst die Striche aufgelöst in kleine Kolonien, zum Teil 
von unregelmässiger Gestalt. Die einzelnen* Kolonien sind kaum 
kleiner als auf der Normalagarplatte. 

• Nach 48 Stunden: Von den Rändern dter Striche typische 
Ausschwärmung. 

In der nachstehenden Tabelle sind eine Reihe Bakterien auf¬ 
geführt, deren Wachstum auf der Telluragarplatte im Vergleich mit 
den Proteusstämmen studiert wurde. 


auf <3er Kontrollagarplatte das Wachstum überall sehr üppig ist. Wird 
eine Oese Agarkultur in etwa 10 ccm Bouillon verrieben, und davon 
eine Oese mittels des Drigalskispatels zur Erzeugung isolierter Kolo¬ 
nien ausgestrichen, so haben wir ein reichliches Wachstum dicht ge¬ 
legener Kolonien überhaupt nur auf den Kontrollagarplatten, auf den 
Tellurplatten kein Wachstum, ausgenommen bei einem sporen¬ 
bildenden Bazillus aus Erde, bei dem Zusatz von 1,0 1 proz. Tellur¬ 
lösung (auf 100 Agar) nach 48 Stunden ein im Vergleich zur Kontrolle 
mässiges Wachstum schmutziger hellbraun gefärbter Kolonien mit 
etwas dunklerem Zentrum zeigt. Die pathogenen Stuhlbakterien und 
die Vibrionen werden auch bei der Strjchmethode so gut wie völlig 
unterdrückt. Staphylokokken aus Eiter werden daeggen kaum ge¬ 
hemmt (s. a. bei Gosio) auch nicht die Stuhlkokken und einige 
Gram-positive, nicht näher bestimmte Stuhlbakterien. 

Offenbar vermögen also die Mehrzahl der in der Tabelle auf¬ 
geführten Bakterien in kleineren Verbänden, oder als Einizelindividuen 
auf die Platten ausgestrichen (Verdünnungsmethode) das Kaliumtellurit 
nicht zu reduzieren und sind infolgedessen im weiteren Wachstum 
gehemmt. Nur da, wo sie von vorneherein in dicken Massen auf¬ 
getragen werden, summiert sich wohl das geringe normale Reduk¬ 
tionsvermögen der Einzelindivkhien und schafft dadurch gewisse 
Wachstumsmöglichkeiten. 

Demgegenüber zeigen der Bazillus X 19 und die übrigen der von 
uns untersuchten Proteusstämme auch beider Einzelaussaat ein üppi¬ 
ges Wachstum, wenn auch nicht ganz so intensiv wie auf der Kon- 
trollplatte. 

Nebenbei möchten wir noch bemerken, dass der Nachweis 
schwarzgefärbter Körnchen, wie sie durch Gosio allgemein und 
ferner durch C o n r a d i in Präparaten der auf Tellumährböden ge¬ 
wachsenen Diphtheriebazillen gefunden wurden, auch Ln den auf 
Tellur gewachsenen Proteuskulturen gelingt. 

Auffallend ist die Tatsache, dass selbst der Milzbrandbazillus 
und der Subtilis unserer Sammlung bei der Ausstrichmethode nur ein 
sehr spärliches Wachstum, bei der Aussaat mit dem Drigalskispatel 
überhaupt kein Wachstum zeigten. Soweit sie im ersteren Fall vor¬ 
handen war, war <®e Sporenbildung anscheinend normal entwickelt. 
Bringt man mit Milzbrandsporen getränkte Seidenfäden auf Agar- und 
Tellurplatten, so findet ein Auskeimen nur auf den ersteren statt. 
Vielleicht ist es darauf zurückzifführen. dass, wie auch Gosio 
annimmt, die Sporen kein Reduktionsvermögen haben, und infolge¬ 
dessen das Kaliumtellurit des Nährbodens die Entwicklung der Vege- 
tationsformen verhindert. 

Die Agglutinabilität der auf den Telluragarplatten gewachsenen 
Kolonien des Bacillus typhi exanthematici ist nicht oder, nur minim:.! 
vermindert. Man sieht, gerade in der durch Verreibung der Tellur¬ 
plattenkolonien leicht braun gefärbten Kochsalzlösung besonders 
schön die Häufchenbiklung. Die Unterschiede in der Agglutina¬ 
bilität zwischen der O- und der H-Form, wie sie Weil und 
Felix beschrieben haben, haben wir nicht deutlich wahrzu¬ 
nehmen vermocht. Die Verklumpung war überall von etwa 
gleicher Korngrösse wie bei den Kontrollen, die Kuppe gerade 
hier bei der H-Form etwas mehr dem Glase anhaftend, doch ist da 
der Unterschied minimal. 

Unter den in der Tabelle aufgeführten befindlet sich eine Reihe 
von Bakterienarten, bei denen Scheuerten und K 1 e 11 ein gutes 
Wachstum in ihren Versuchen festgestellt haben. Es ist aber zu be¬ 
achten, dass diese Autoren im wesentlichen nicht Natriumtelliirit. 
sondern das entsprechende Selensalz benutzt haben. 

Wir haben davon Abstand genommen, nachdem wir gesehen 
haben, dass das Selen vor dem Tellur keine Vorzüge hat. dass sich 
aber die rot gefärbten Kolonien viel weniger gut vom Nährboden 
abheben als die durch metallisches Tellur schwarz gefärbten (s. auch 
G o s i o). 

Wir haben in Versuchen mit künstlichem Mischungen uns davon 
überzeugt, dass die Auffindung der X 19-Kolonien leicht gelingt. Nach 




Wachstum auf gewöhnlichem Agar 

Wachstum auf Telluragar Te J : 13300 

Wachstum auf Telluragar Te 1:10000 

Nr. 

Bakterienart 



(Strichmethode) 

iStrichmethode) 



nach 24 Stunden 

nach 48 Stunden 

24 Stunden 

48 Stunden 

24 Stunden 

48 Stunden 


Bacillus Typhi exantbema- 








tici (X 19) . ... 

üppigstes Wachstum 

üppigstes Wachstum 

üppiges Wachstum 

üppigstes Wachstum 

üppiges Wachstum 

üppiges Wachstum 

2 

3 

Mikrococcus candicans 

B. addi lactici. 

»» »» 

” ;; 

ziemlich zahlreiche iso- 

;; ;; 

fast'kein Wachstum 

etwas ” 





lierte Kolonien 




4 

B. subtilis (railzbrandähnl.) 

r* 

ft }J 

splrllches Wachstum 

mässiges Wachstum 


Spur Wachstum 

5 

Staphylokokken (Luft) . . 

PS }» 



am Ausgang des Stri- 

fast kein Wachstum 

6 

Vibrio V .. 



minimal, am Ausgang 

sehr splrliche« Wachs- 

etwas Zunahme 





des Striches verein- 

tum 

ches vereinzelte Ko- 






zelte Kolonien 


lonien 


7 

Mlusetyphus. 



dito 

dito 

fast kein Wachstum 


8 

B. melanosporus . . 

»» ,! 


dito 

dito 

steril 

99 ff 

9 

10 

Coli .. 

Flexner ....... 

» ;; 

” 

dito 

dito 

dito 

dito 

Spur 

kein Wachstum 

99 9t 

11 

Prodlgiosus. 

üppiges Wachstum 

M ,, 

Spur (rötiiehbrann) 

dito 

Spnr (rötlich-braun) 

>» 9* 

12 1 

Typhus . 

»» »1 

Spur 

dito 

kein Wachstum 

»9 *9 

13 

Milzbrand. 

üppigstes Wachstum 

II »I 

fast kein 'Wachstum 

dito 

Spur 

fast ’lceta Wachstum 

14 

Oärtner . ... 

»» *» 

1» »» 

dito 

kein Wachstum 

15 

B. fluorescens non liq 

üppiges Wachstum 

1» 1» 

kein Wachstum 

minimales Wachstum 

. . S J? ur 

minimal 

16 

Paratyphus B 2 . . , 

üppigstes Wachstum 

>1 II 

» II 

i dito 

kein Wachstum 

Spur 


Alle diese Bakterien wachsen überhaupt nur bei direkter Aus¬ 
saat sehr grosser Mengen von Agarknlturen mit der Gese in den An¬ 
fangsteilen der Striche auf der Telluragarplatte sehr spärlich, während 


13 ) W.kl.W. 1917 N. 48. 


24, spätestens aber nach 48 Stunden sind z. B. in künstlich hergestell¬ 
ten Mischungen mit Kot zahlreiche Kolonien aufgegangen, im ganzen 
bedeutend weniger als auf der Agarplatte. Unter diesen, allerdings 
durchgehend schwarz gefärbten Kolonien lassen sich die Kulturen des 
Proteus durch ihre charakteristischen Formen leicht erkennen und 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 















23. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


807 


die Isolierung aus derartigem Material gelingt ohne Schwierigkeit. 
Leider fehlt es uns in der letzten Zeit an genügendem entsprechenden 
Material von Kranken und namentlich war es uns nicht möglich, Blut- 
platten von Leuten im Inkubationsstadium des Fleckfiebers anzulegen. 

möchten wir wenigstens mit den vorstehenden Ausführungen den 
Stellen, die ein grösseres Material jetzt noch zur Verfügung haben, 
(relegenheit zur Ausprobierung des Nährbodens geben. Speziell für 
die Züchtung aus Blut möchten wir es aber doch empfehlen, mit 
Rücksicht aui die, wenn auch geringe, hemmende Wirkung, die das 
Tellur auch gegenüber dem Bacillus typhi exanthematici zeigt, stets 
zugleich gewöhnliche Agarplatten anzulegen. 

Wir selbst wollen nur noch einige Worte über dlie Ursache und 
das Wesen dieser Reduktion im allgemeinen hinzufügen: 

Es erscheint uns aui Grund der Versuche von Cathcart und 
Hahn“) mit getrockneten Bakterien und mit Kulturen in Glyzerin 
oder 50 proz. Rohrzuckerlösung wahrscheinlich, dass es sich hier 
nicht um eine vitale Tätigkeit der Bakterien handelt, sondern um eine 
Eigenschaft des Bakterien e i w e i s s e s, die man aber keineswegs, 
wie es von diesen Autoren und Maassen 16 ) geschieht, als Enzym¬ 
wirkung deuten muss. Vielmehr könnte auch bei dem Bakterieneiweiss 
ein ähnliches Verhalten vorliegen, wie beim Eiweiss im allgemeinen, wo 
nach H e f f t e r s Untersuchungen nicht fermentativ wirkende Reduk¬ 
tasen in Frage kommen, sondern die Reduktion durch den in gewissen 
E; weisskörpern merkaptanartig gebundenen Wasserstoff bewirkt 
wird, dessen Existenz und reduzierende Fähigkeit für eine Reihe 
tierischer Organe von Heffter aufgedeckt worden ist. 

Heffter hat auch bereits derartige Eiweisskörper, spe¬ 
ziell mit Tellurverbindungen geprüft. Er berichtet z. B. über 
cie Eigenschaften dies Zysteins, Tellurate und Tellurite zu 
Tellur zu reduzieren-. Auch diese Tatsache der Reduktions¬ 
fähigkeit des Zysteins gegenüber dem Tellur legt es nahe, die Bak¬ 
terienwirkung gleichfalls als eine Reduktion im chemischen Sinn, un¬ 
abhängig von der Vitalität anzusehen. 

Dafür spricht auch die Reduktionsfähigkeit der Bakterien gegen¬ 
über einer Reihe von Farbstoffen, z. B. dem Methylenblau lS T 
iCisHisNsSCl] 17 ). dessen Molekül keinen Sauerstoff enthält, so dass 
hier die Reduktion offenbar durch Anlagerung von H zustande kommt 
und nicht durch das vitale Sauerstoffbedürfnis der Bakterien erklärt 
werden kann. Uebrigiens hat auch Gosio 'eine allerdings nur 
schwache Reduktionsfähigkeit der abgetöteten Typhusbakterien gegen¬ 
über Telluriten beobachtet. Bei toten Choleravibrionen, Pestbazillen 
und Staphylokokken war sie nicht nachweisbar. 

Wie stark die reduzierende Fähigkeit, spez. der Bakterien ist, 
ergibt sich daraus, dass sogar das Kaliumtellurat 18 ), das gegenüber 
chemischen Reduktionsmitteln sehr widerstandsfähig ist, durch Pro¬ 
teusarten leicht reduziert wird; bei entsprechender Konzentration, wie 
wir sie für das Tellurit angewandt haben. 


Aus dem Hygieneinstitut der Kgl. Universität Greifswald. 

lieber Nachweis von Fleckfieberantigen im Organismus 
eines Fleckfieberkranken mittels der Thermopräzipitin- 
reaktion*). 

Von Prof. Dr. E. Friedberger und 
Dr. G. Joachimoglu, Assistenzarzt d. R. 

In der vorausgegangenen Arbeit ist schon darauf hingewiesen 
’a orden, wie relativ selten z. Z. noch die Züchtung des „Bazillus typhi 
exanthematici“ (Proteus X-Weil-Felix) aus dem Organismus Fleck- 
fieberkranker gelingt, und es ist erörtert worden, dass dafür vielleicht 
die Tatsache verantwortlich zu machen ist. dass in Analogie mit 
dem Typhus beim Fleckfieber die Bakterien bereits im frühesten 
Stadium der Krankheit wieder aus dem Blut verschwinden. Das legte 
den Gedanken nahe, mittels anderer Methoden das Fleckfieberantigen 
im Organismus nachzuweisen. 

Aus den Untersuchungen von A. A s c o 1 i wissen wir, dlass es 
besonders bei Milzbrand, aber auch bei anderen Infektionen gelingt, 
im Körper das Antigen mittels der Thermopräzipitinreaktion auch dann 
noch nachzuweisen, wenn färberisch und kulturell die Bazillen nicht 
mehr aufzufinden sind. Es sind dann offenbar doch noch Reste der 
Bakterienleibessubstanzen vorhanden, die mit einem spezifischen Serum 
r eagieren. 

Ein analoges Verhalten durften wir beim Fleckfieber erwarten. 


“) Cathcart und Hahn: Arch. f. Hyg. 44. 1902. S. 295. 

IS ) Arb. Kais. Ges.A. 21. 

,fc ) Die Reduktion des Methylenblaus kann auch durch Zystein 
bewirkt werden. „So werden z. B. 2 ccm Methylenblaulösung 
(1:10(10) durch 0,4 g Zystein im Brutschrank in 20 Minuten ent¬ 
erbt.“ (A. Heffter: Med.-Naturwissenschaftl. Arch. 1. H. 1. S. 89.) 

IT ) Müller: Zbl. f. Bakt. 26. Orig. S. 51. — Wolff: Ebenda. 
27. S. 849. — G o t s c blich: Hb. d. path. Mikroorganismen. 1. S. 112. 

1S ) Kaliumtellurit K*Te0*4-3'H*0 enthält 39*39 Proz. Te. Ent¬ 
sprechend diesem geringen Gehalt sind bei der Herstellung von Tellur- 
.jgar mit diesem Salz grössere Mengen der 1 proz. Lösung zu ver¬ 
send en. 

•) Vorgetragen im Greifswalder medfizin. Verein, Sitzung vom 
1. Juni 1918. 

Difitized by Go, sie 


Leichenmaterial stand uns jetzt, da die Epidemien 1 bei uns erloschen 
sind, nicht mehr zur Verfügung. Dagegen gelang es uns, im 
Liquor cerebrospinalis eines aus Mazedonien zu¬ 
rückgekehrten, in der Heimat an Fleckfieber er¬ 
krankten Soldaten mittels der Thermopräzipitin- 
reaktiondasFleckfieber antigen einwandfrei nach¬ 
zuweisen 1 ). 

Wir lassen eine entsprechende Versuchsreihe nachstehend folgen: 

0,5 ccm Liquor cerebrospinalis des fleckfieberkranken Soldaten 
Sa. nach Ausbruch des Exanthems auf cter Höhe der Krankheit ent¬ 
nommen, werden mit 2,0 ccm physiologischer Kochsalzlösung 5 Mi¬ 
nuten in ein siedendes Wasserbad gestellt. Die Flüssigkeit ist leicht 
opak, zeigt vereinzelte Gerinnsel. Es wird bis zur völligen Klarheit 
durch ein quantitatives Papierfilter filtriert (Extrakt I). 

Ebenso wird mit dem Liquor cerebrospinalis eines Meningitis- 
kranken und mit dem Liquor zweier anderen fieberhaft Kranken (sicher 
kein Fleckfieber) verfahren (Extrakt II—IV). 

Diese vier Extrakte werden nun über normale Sera und Sera 
Fleckfieberkranker geschichtet. 

Röhrchen Nr. 1. Fleckfieberserum Nr. 684 (Agglutinationstiter 
1:320) 4 - Extrakt I: sofortige starke Ringbildung. 

Röhrchen Nr. 2. Normalserum 4 Lumbalextrakt I: keine 
Ringbildung. 

Röhrchen Nr. 3. Phys. NaCl-Lösung 4 Lumbalextrakt I: keine 
R i n g b i 1 d u n g. 

Bei dter Wiederholung mit einer Reihe weiterer Fleck¬ 
fiebersera und dem gleichen Extrakt war das Resultat stets 
dasselbe: sofortige Ringbildung: mit weiteren Normalseris keine Ring¬ 
bild ung. 

Mit dem Extrakt II waren die Resultate mit den gleichen Seris 
stets negativ. 

Fleckfieberserum Nr. 684 4 Lumbalextrakt II: keine Ringbildung. 
Drei weitere Fleckfiebersera, die alle mit dem Extrakt I positiv reagiert 
hatten, ergaben mit dtem Extrakt II keine Ringbildung. 

Mit Extrakt 111 und IV war das Ergebnis das Gleiche. Dagegen 
wurde mit Kaninchenimmunserum gegen X 19 und Lumbalextrakt l 
eine, allerdings schwächere Ringbildung erhalten. Etwa 10 Tage nach 
der Entfieberung war das Antigen nicht mehr im Liquor I nach¬ 
weisbar. 

Unsere Versuche, in Extrakten aus gekochtem Fleckfieberserum 
und Fleckfieberblut das Antigen nachzuweisen, haben bisher bei 
einem Fleckfieberblut und bei unseren spärlichen Vorräten an 
derartigen älteren, mit Phenol konservierten Seris zu keinem Er¬ 
gebnis geführt. Ebenso ist es uns bisher nicht gelungen, im Urin 
mit erwünschter Sicherheit das Antigen aufzufinden. Weitere Unter¬ 
suchungen, besonders auch mit Organen von Fleckfieber¬ 
leichen, behalten wir uns vor. 


Aus der medizinischen Universitätsklinik in Giessen. 
Vereinslazarett. (Direktor: Prof. Dr. Voit.) 

Ueber eine Kombination der Resultate beim Wasser- 
ausscheidungs- und Konzentrationsversuch zur Beur¬ 
teilung der Nierenfunktion. 

Von Dr. med. et phil. Erwin Becher, Assistent der Klinik. 

Die richtige Anwendung und Bewertung der von V o l h a r d an¬ 
gegebenen Wasserausscheidungs- und Konzentrationsprobe ist gerade 
jetzt, wo die Beurteilung von Nierenkranken militärisch recht wichtig 
ist, von grösster Bedeutung. In den letzten Jahren finden diese überaus 
einfachen Proben in Lazaretten eine weitgehende Verwendung. Er¬ 
freulicherweise verlaufen die meisten Feldnephritiden gutartig und 
heilen ganz oder mit Hinterlassung eines geringen Urinbefundes bei 
normalem Blutdruck ab. Die Fälle, die in das von V o 1 h a r d als 
3. Stadium der chronischen diffusen Glomerulonephritis bezeichnete 
Stadium übergehen und im Blute eine Retention von N-haltigen 
Schlackenprodukten autweisen, sind bei der Feldnephritis relativ sehr 
selten, kommen aber bei der grossen Häufigkeit der Erkrankung 
an sich dem Militärarzt doch öfter zu Gesicht. Wir haben hier 
in der Klinik bei unserem nicht sehr grossen Nierenmaterial im letzten 
Jahre 5 Fälle gesehen, die vor 1—2 Jahren eine Feldnephritis durchge¬ 
macht hatten, die nicht ausgeheilt war und in relativ kurzer Zeit ins 
3. Stadium mit Azotämie übergegangen war. Daneben sieht man 
nicht selten bei Soldaten Nephritiden, die schon vor dem Kriege 
bestanden und im Felde oder durch den Dienst in der Garnison er¬ 
heblich verschlechtert wurden. Diese Formen zeigen meist eine 
höhere Blutdrucksteigerung als die reinen Feldnephritiden, bei ihnen 
findet man häufiger Azotämie und echte Urämie als bei den im 
Felde erst entstandenen und noch nicht so lange dauernden Nieren¬ 
entzündungen. Einigen wenigen der im Stadium der Niereninsuffizienz 
befindlichen Kranken sah man die Schwere der Erkrankung gleich an, 
der grössere Teil sah aber ganz gut aus und liess auf den ersten 
Blick durchaus nicht den Emst der Erkrankung erkennen. Einer 
von ihnen war sogar kurz vorher kriegsverwe-ndungsfähig geschrieben 


4 Für die Ueberlassung des Materials sagen wir Herrn Prof. 
Mora witz, Direktor der Med. Klinik, an dieser Stelle unseren ver¬ 
bindlichsten Dank. 

1 * " 

Original fram 

UNiVERSITY OF CALIFORNIA 


808 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 


worden. Der Nachweis der Erhöhung des Reststickstoffs und Indikans 
■im Blutserum kann in kleineren Lazaretten und im Revier nicht ge¬ 
führt werden. Zur Feststellung von Hyperindikanämie im Serum 
ist vor kurzem von 'Haas 1 ) eine einfache und sehr brauchbare Me¬ 
thode angegeben worden, die in 2 ccm Serum den Nachweis der 
Niereninsuffizienz in kurzer Zeit gestattet. Will oder kann män aus 
besonderen Gründen eine Blutentnahme nicht machen, so kann man 
aus dem Ausfall der Wasser- und Konzentrationsprobe mit Sicherheit 
die Nephritiden mit stärkerer und in der Regel auch die mit beginnen¬ 
der Azotämie erkennen. Es ist bekannt, dass das Konzentrations- und 
Wasserausscheidungsvermögen der insuffizienten Niere schlecht ist. 
Man beobachtet nicht selten diffuse chronische Glomerulonephritiden, 
bei welchen eine der beiden Proben schlecht, die andere gut ausfällt 
(Fall 11—16) und' eine Retention von Schlackenprodukten im Blut 
nicht bestellt. Wie aus der Tabelle zu ersehen ist. kann bei diesen 


ft 

6 

£ 

Blutdruck 

Gesamtmenge des beim 
Wasserversuch in 4 Std. 
abgeschiedenen Urins 

Höchstes spezifisches 

Oe wicht beim Konzen¬ 
trationsversuch 

Funktionszahl 

Reststickstoff im Blut 

Indikan im Blut 


2 

3 

4 

5 

6 

i 

180 

175 

170 

140 

100 

150 

165 

185 

S03 

580 

890 

760 

685 

835 

927 

1375 

1009 
1007 
1012 
1016 
1012 
1012 
1006 
10 9 

17, 
12.8 
20,9 
23 6 
18,8 
20,3 
15,2 
22,7 

76,24 

181.5 

172.5 
130 

112 

64.5 

0,175 

2,2 

2,32 

1,2 

0,3 

erhöht 

erhöht 

0.187 

Wasserausscheidungs- u. Konzentrations- 
1 vermögen herabgesetzt, Funktionszah 1 
[unter 24, Retention von Reststickstof 
und Indikan im Blut. 

9 

10 

in 

125 

1370 

1105 

1019 

1016 

32,7 

27 

norma 

normal 

normal 

normal 

| Wasserausscheidungs- und Konzen¬ 
trationsvermögen herabgesetzt, 

| Funktionszahl über 24. 

1 

| 

3 

2 

£ 

-| 

i 

jS 

c 

■ 

11 

12 

140 

130 

1310 

1225 

1032 

1028 

45.1 

40.2 

40,15 
38 5 

0,1 

] Wasserausschndunusvermögen 
herabgesetzt, Konzentratlonsverm. 

1 gut. Funkt’onszahl normal. 

TT 

14 

15 

16 

1411 

138 

131 

110 

1925 

14>0 

1745 

1604 

1015 

1014 

1016 

1015 

34,2 

23,5 

33,4 

31 

60 

35 

U.12Ö 

0,12 

normal 

normal 

1 Wasserausscheidungsvermögen gut, 

} Konzentraiionsverm. herabgesetzt, 

I Funktionszahl über 24. 

17 

18 

160 

165 

265 

825 

1016 

1011 

18,6 

19,2 

40 

normal 

) Wasserausscheidungs- u. Konzentr.- 
>Verm. herabgesetzt durch Oedem- 
j bereitschaft, Funktionszahl unter 24. 

lT 

20 

135 

normal 

1825 

2025 

1033 

1025 

51.2 

45.2 

normal 

normal 

1 Wasserausscheidungs- u. Konzentr.- 
/ Verm, normal, Funktionszahl normal. 

21 

normal 

1347 

1020 

33,4 

- 

- 

/ Wasserausacheidungs- u. Konzentra- 
t tionsvermögen mistig herabgesetzt . 


Fällen eine Probe genau so ausfallen wie bei den Erkrankungen 
mit Azotämie. Bei Fall 8, 11 und 12 ist das Wasserausscheidungs¬ 
vermögen in ähnlicher Weise herabgesetzt und bei Fall 4, 13, 14, 15, 
16 das Konzentrationsvermögen. Niereninsuffizienz besteht aber nur 
bei Fall 4 und 8, weil hier der schlechte Ausfall der einen Probe durch 
einen guten der anderen nicht ausgeglichen wird, was bei den nicht 
retinierenden Patienten doch zutrifft. Es kann der schlechte Ausfall 
einer der beiden Proben kompensiert werden durch ein gutes Resultat 
des anderen Versuches. Man muss also beide Versuche zusammen 
betrachten. Es braucht aber bei ungenügendem Ausscheidungs- und 
Konzentrationsvermögen nicht immer Niereninsuffizienz zu bestehen 
(Fall 9 und 10). Es kommt auf den Grad der Wasserauscsheidungs- 
und Konzentrationsstörung an. Ich habe versucht, durch Kombination 
der Resultate beider Proben genauer auf die 'Nierenfunktion zu 
schliessen und habe die beiden letzten Zahlen des höchsten beim 
Konzentrationsversuch in 1— 1% Tagen erreichten spezifischen Ge¬ 
wichtes addiert zu dem hundertsten Teil des beim Wasser versuch in 
4 Stunden von 1500 ccm Wasser ausgeschiedenen Urins, z.B.: höchstes 
spezifisches Gewicht 1020, beim Verdünnungsversuch ausgeschiedene 
Menge 1500, die Funktionszahl ist dann 20 + 15 = 35. Man kann 
den Einwand machen, dass hierbei Zahlen zusammen kombiniert wer¬ 
den, die nichts miteinander zu tun haben. Die Funktionszahl hat keine 
bestimmte Bedeutung etwa in Bezug auf die Menge der ausgeschie¬ 
denen festen Bestandteile, sie stellt nur ein Mass für die Nieren¬ 
leistung dar unter gemeinsamer Berücksichtigung des Wasserausschei- 
dungs- und Konzentrationsvermögens. Es wird das, worauf es bei 
der Konzentrations- und Wasserprobe ankommt, d. h. die beiden 
letzten Zahlen des höchsten spezifischen Gewichtes und die Anzahl 
der Hunderte des in 4 Stunden ausgeschiedenen Wassers zusammen- 
gestelit. Die Komponenten der Funktionszahl werden bei der Addition 
gleich bewertet, d. h. es ist gleich, ob 1. der Wasserversuch 1500 und 
der Konzentrationsversuch 1010 oder 2. der letztere 1015 und der 
erstere 1000 ergibt, die Funktionszahl ist in beiden Fällen 15 4- 10 
= 25. Ich habe rein empirisch gefunden, dass die Funktionszahl ganz 
gut eine Orientierung über die Nierenfunktion erlaubt, je höher die 
Zahl ist, um so besser ist im allgemeinen die Nierenleistung und 
umgekehrt. Zur Erläuterung der Bedeutung der Kombination der 
Resultate beider Versuche möge folgendes Beispiel dienen: wir 
können die Niere vergleichen' mit einem Eisenbahnzug, der täglich auf 
einer bestimmten Strecke eine Ladung fährt. Wenn nun eine grössere 
Ladung transportiert werden soll, so kann man der Lokomotive mehr 


*) M.m.W. 1917 Nr. 42 S. 1363. 

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Wagen anhängen und die einzelnen Wagen stärker füllen. Das würde 
einem guten Ausscheidung^ und Konzentrationsvermögen entsprechen, 
wenn wir die gute Wasserausscheidung als Vehikel mit neuen Wagen 
und die gute Konzentrationsfähigkeit mit einer stärkeren Füllung der 
Wagen vergleichen. Mit einer schlechten Nierenfunktion wäre folgen¬ 
der Fall zu vergleichen: Die Lokomotive kann mit ihren Wagen die 
grössere Ladung nicht transportieren«; es stehen keine weiteren leeren 
Wagen zur Verfügung und die anderen Wagen können nicht stärker 
gefüllt werden, d. h. der Bahnzug fährt trotz der vermehrten Auf¬ 
gabe in der gewohnten Weise weiter und kann sich den neuen Ver¬ 
hältnissen nicht anpassen. Es kann nun auch, um den Vergleich 
weiter zu führen, der Zug bei einem grösseren zu transportierenden 
Gewicht seine Aufgabe nur durch stärkere Füllung der gewohnten 
Wagenanzahl erledigen, ohne weitere Wagen anhängen zu können 
oder umgekehrt, er kann neue Wagen anhängen, aber ohne dass eine 
stärkere Füllung der einzelnen Wagen möglich wäre. Es würde das 
dem Fall entsprechen, dass ein gutes Konzentrationsvermögen ein 
schlechtes Wasserausscheidungsvermögen ausgler.ht und umgekehrt. 

Ich habe vor einigerZeit schon über die Bildung und Bewertung 
der Funktionszahl im ödemfreien Stadium der Feldnephritis berichtet 2 ). 
Bei meinen ersten Versuchen habe ich die Patienten kürzere Zeit 
konzentrieren lassen als V o 1 h a r d angibt. Ich liess von abends um 
6 Uhr bis zum anderen Morgen um 11 Uhr nichts trinken und be¬ 
stimmte das spez. Gewicht des zwischen 9 und 11 Uhr morgens 
entleerten Urins. Die Konzentration dauert so 17 Stunden und die 
Zeit liegt so, dass der Patient von dem Versuch nicht viel merkt und 
entschieden weniger Unannehmlichkeiten hat als von einem IA Tage 
dauernden Dürsten. Das bei dem kürzeren Konzentrieren erreichte 
spez. Gewicht bleibt etwas zurück gegen das höchste in 24 bis 
36 Stunden erreichte; die Differenz ist bei den schlecht konzentrieren¬ 
den Fällen gering: 0—4, bei den gut konzentrierenden Fällen manch¬ 
mal etwas höher: 3—6, selten 10. Der längere Konzentrationsver- 
such gibt zweifellos bessere Resultate, da er das Ansteigen des spe¬ 
zifischen Gewichtes bei den gut konzentrierenden Fällen besser zeigt 
und so die Differenz zwischen den schlecht und gut konzentrierenden 
grösser wird. Zur Orientierung genügt aber deT kürzere Versuch. 
S trauss 3 ) lässt noch kürzere Zeit konzentrieren und führt Wasser- 
und Konzentrationsversuch an einem Tage aus. Ein 1 —VA Tage 
langes Dürsten konnte bei uns nur bei ständiger Aufsicht durchge¬ 
führt werden, sonst tranken die Leute doch, wenn sie der Durst quälte. 
Oft kann man dann aus den plötzlichen Aenderungen der ausgeschie- 
denen Menge und ihres spezifischen Gewichtes die Flüssigkeitsauf¬ 
nahme erkennen. Die Versuche wurden folgendermassen ausgeführt: 
Die Leute bekamen morgens nüchtern um 7 Uhr IA Liter Wasser 
oder Himbeerwasser zu tranken. Es wurde dann von 8—11 Uhr 
halbstündlich Urin gelassen; vor Beginn des Versuches musste die 
Blase entleert werden; während des Versuches liegt der Patient zu 
Bett und nimmt nichts weiter zu sich. Beim Konzentrationsversuch, 
der 2 Tage nach dem Wasserversuch ausgeführt wurde, mussten 
die Patienten von mittags um 12 Uhr an bis zum Abend des folgenden 
Tages, oder, wenn das spezifische Gewicht bis dahin nur wenig ge¬ 
stiegen war, bis zum darauffolgenden Morgen um 8 Uhr keine Flüssig¬ 
keit zu sich zu nehmen, mussten auch während des Versuches zu 
Bett liegen und bekamen mit Ausnahme der Getränke und Suppen die¬ 
selbe Diät wie sonst. Es wurde dann am 2. Versuchstage das spe¬ 
zifische Gewicht des stündlich entleerten Urins unter Berücksichtigung 
der Temperatur von morgens 8 bis abends 7 Uhr bestimmt; bei 
weiterem Dürsten wurde am folgenden Morgen um 8 Uhr nochmals 
gemessen. Nicht selten kömnen. die Patienten, (besonders Neur¬ 
astheniker, nicht stündlich und halbstündlich bei den Versuchen ihren 
Urin entleeren, dadurch wird die schematische Darstellung des ganzen 
Verlaufes der Versuche erschwert. Wenn man hiervon absieht, ist die 
Feststellung d«er in 4 Stunden zusammen abgeschiedenen Wasser¬ 
menge und des höchst erreichten spez. Gewichtes auch möglich, wenn 
der Patient nicht jede halbe oder jede Stunde Urin lassen kann. 
Der Verlauf der Ausscheidungs- und Konzentrationskurve ist be¬ 
kanntlich auch wichtig für die Beurteilung der Nephritis. Ich will 
darauf hier nicht näher eingehen 4 ). Durch Vergleichen der Funk¬ 
tionszahl mit den klinischen Symptomen und mit dem Verhaften des 
Reststickstoffes und Indikans im Serum konnte ich die Nephritiden in 
3 Gruppert einteilen: in solche mit normaler, solche mit herabge¬ 
setzter Funktion und-drittens solche mit Niereninsuffizienz. Ich habe 
diese Einteilung in der erwähnten Arbeit (1. c.) schon früher be¬ 
sprochen. Die Zahlenverhältnisse der Funktionszahl sind etwas an¬ 
dere, wenn man statt des kürzeren Konzentrationsversuches, wie ich 
ihn zuerst verwandte, den längeren anwendet. Ich wollte in dieser 
Arbeit über die Bedeutung der Funktionszahl bei langem Konzentra¬ 
tionsversuch berichten. ' 

Die Kranken mit einer Funktionszahl unter 24 retinierten Rest¬ 
stickstoff und Indikan im Blut befanden sich also im Stadium der 
Niereninsuffizienz (Fall 1—8). Die Reststickstoffbestimmungcto wur¬ 
den nach dem Hohlweg sehen Verfahren gemacht, wobei die obere 
Grenze des Normalen etwas höher — bei 60 mg in 100 Serum — 
liegt als bei anderen Bestimmungsmethoden. Die Indikanbestim- 
mungen sind nach der Methode von Haas gemacht, pathologische 
Werte kann man von 0,13 Proz. an aufwärts annehmen, wenn keine 


a ) Zschr. f. exper. Pathol. 19. 1917. H. 2 

3 ) Die Nephritiden. Berlin 1916. 

4 ) Vergl. Grote: M.m.W. 1917 Nr. 21 S. 689. 

, Original frem 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 







23. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


809 


abnorm Tiohe Bildung von Indikan im Darm stattfindet. Eine Reihe 
von Kranken zeigten eine Funktionszahl zwischen 24 und 40, bei 
diesen besteht keine Niereninsuffizienz, wohl aber eine Herabsetzung 
der Nierenfunktion. Beim Gesunden liegt die Funktionszahl über 
40, das höchsterreichte spezifische Gewicht liegt über 1025 und die in 
4 Stunden ausgeschiedene Wassermenge beträgt 1500 oder mehr. Ein 
Teil der Nierenkranken hat bei noch bestehendem geringem Urin- 
befund eine normale Nierenfunktion mit einer Funktionszahl von 
40 und höher. Die angegebenen Grenzen sind natürlich nicht scharf, 
bei Grenzfällen muss man andere Funktionsprüfungen mit in Betracht 
ziehen. Eine mässige Herabsetzung der Nierenfunktion im Sinne 
einer verminderten Funktionszahl sieht man manchma 1 auch beim 
Gesunden (vergl. Fall 21). Ich habe bei mehreren Patienten, die 
längere Zeit in der Klinik lagen, beobachtet, wie die Funktionszahl 
entsprechend der Aenderung des Allgemeinbefindens höher oder 
niedriger wurde. Ein Patient, der anfänglich nicht im Blute retinierte 
und erst nach einigen Monaten ins Insuffizienzstadium überging, zeigte 
ein kontinuierliches Absinken der Funktionszahl aus dem Bereich 
der herabgesetzten Nierenfunktion in das der Niereninsuffizienz. Hier 
wurde aus der Funktionszahl zuerst der Uebergang ins 3. Stadium der 
Glomerulonephritis vermutet und durch die darauf vorgenommene 
Blutuntersuchung bestätigt. Die Bedingungen, unter welchen die 
Funkticmszahl nicht verwandt werden kann, habe ich an anderer 
Stelle (1. c.) ausführlicher besprochen. Bei noch bestehenden 
Oedemen oder bei Oedembereitschaft ist die Funktionszähl wie über¬ 
haupt die Wasserproben nicht zu verwenden 5 ). Bei Fall 17 und 18 
fällt der Verdünnungsversuch ganz schlecht. aus, die Funktionszahl 
liegt unter 24 trotz normalem Gehalt des Blutes an Reststickstoff und 
Indikan. Die Wasserretention ist hier nicht renalen Ursprungs, 
sondern durch Oedembildung hervorgeruffen. Zur Feststellung un¬ 
sichtbarer Oedeme wiegt man zweckmässig die Patienten in den Tagen 
vor und nach dem Wasserversuch regelmässig. Ich will nicht un¬ 
erwähnt lassen, dass sich die Versuche, von denen ich einige Beiosiele 
hier wiedergebe, mir auf diffuse Glomerulonephritiden im subakuten 
und chronischen Stadium beziehen; meist handelte es sich um Feld¬ 
nephritiden. Ob die Funktionszahl bei anderen Nierenkrankheiten, 
etwa bei Sklerosen, ebenso zu bewerten ist wir bei der diffusen 
Glomerulonephritis, kann ich nicht sagen. Noch grössere Unterschiede 
als die gesamte ausgeschiedene Wassermenge gibt beim Wasserver¬ 
such bei guter und schlechter Nierenfunktion die grösste Halbstunden¬ 
portion, auf die auch vielfach von den Aerzten das Hauptgewicht ge¬ 
legt wird. Es ist keineswegs ratsam, bei Bildung der Funktions- 
zahf die einzelnen Komponenten und überhaupt den Verlauf der Ver¬ 
suche nicht zu berücksichtigen. Durch die Funktionszahl ist man aber 
gezwungen immer die Resultate beider Versuche zusammen zu be¬ 
trachten. was zur Beurteilung der Nierenfunktion notwendig ist. Die 
grösste Halbstundenportion lässt sich nicht gut mit dem Resultat 
des Konzentrafcionsversuches zu einer Funktionszahl kombinieren, auch 
lassen sich die Halbstundenportionen nicht immer scharf abgrenzen, 
und nicht sehen sind die Patienten überhaupt nicht dazu zu bewegen, 
genau halbstündlich Urin zu lassen. 

Ich will noch kurz auf einige Symptome aufmerksam machen, die 
hei schweren Nephritiden den Arzt sofort auf den Ernst der Er¬ 
krankung aufmerksam machen können. Die Formen mit Azotämie 
zeigen so gut wie immer eine Blutdrucksteigerung, dieselbe gehört 
ja zum 'Bilde der chronischen diffusen Glomerulonephritis. In sehr 
seltenen Fällen fehlt die Blutdrucksteigerung oder ist sehr gering. 
Wir haben solche Fälle beobachtet 6 ). Ferner kann allein die Be¬ 
schaffenheit des Harns auf die Art der Erkrankung hinweisen. Die 
Fälle mit Azotämie haben einen eigentümlich hellgelbgrünlichen 
dünnen Harn, dessen- Farbe so charakteristisch ist. dass man sie 
von anderen Urinfarben sofort unterscheiden kann. Das Sediment be¬ 
steht bei diesen Fällen oft vorwiegend aus Rundzellen und lässt 
zuerst an das Bestehen einer Zystitis oder Pyelitis denken. Zylinder 
und Erythrozyten treten ganz in den Hintergrund. Dieses Ueber- 
wiegen von Leukozyten im Urinsodiment fand ich bei vielen Feld¬ 
nephritiden mit Azotämie im chronischen Stadium. Ein dauernd 
erniedrigtes spezifisches Gewicht deutet im Verein mit Blutdruck¬ 
steigerung auf eine ernstere Erkrankung hin: Fälle mit niedrigem 
spezifischem Gewicht bei der Tagesmenge zeigen in der Regel auch 
eine schlechte Konzentrationsfähigkeit, beim Wasserausscheidungs- 
versuch besteht bei schweren Fällen nicht dieser Parallelismus zwi¬ 
schen dem Verhalten der Tagesmenge und Ergebnis der Probe, die 
tägliche Urinmenge 4st gross, die beim Verdünnungsversuch ausge- 
schiedene Menge klein. Ich möchte zum Schluss noch betonen, dass 
es natürlich nicht möglich ist. eine grosse Anzahl von Nephritiden, der 
Höhe der Funktionszahl nach ganz genau entsprechend der Nieren¬ 
funktion zu ordnen. Die Funktionszahl zeigt schon beim Gesunden 
manchmal nicht unbeträchtliche Schwankungen. 

Zusammenfassend können wir sagen, die Wasserausscheidungs- 
und Konzentrationsprobe kann jede für sich betrachtet keinen sicheren 
Aufschluss über die Nierenfunktion geben; die 'Resultate beider Ver¬ 
buche, die einzeln nur eine Teilfunktion prüfen und verschieden gut 


•) Volhard und Fahr: Die Brightsche Nierenkrankheit. 
S p r i n g e r, Berlin 1914. 

*) Zur sicheren Beurteilung der Höhe des Blutdruckes sind mehr¬ 
fach wiederholte Messungen am Patienten unbedingt erforderlich. 
Nur auf diese Weise entgehen -einem die nicht selten vorkommen¬ 
den kurzdauernden Blutdrucksteigerungen nicht. 

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ausfallen können, müssen zur Beurteilung der Gesamthmktion zu¬ 
sammen kombiniert werden. Die in der angegebenen Weise gebildete 
Funktionszahl erlaubt nach ihrer Höhe eine Einteilung der Fälle in 
solche mit normaler, herabgesetzter und insuffizienter Nierenfunktion. 


Aus der II. medizinischen Abteilung des Krankenhauses 
München-Schwabing (Oberarzt: Prof. Brasch). 

lieber die Influenza-artige Epidemie im Juli 1918*). 

Von W. Brasch. 

Die Aufforderung des Herrn Vorsitzenden, die Aussprache 
über die jetzt herrschende epitkraische Erkrankung zu eröffnen, bin 
ich gerne nachgekommen. Wir stehen vor etwas ganz Ungewöhn¬ 
lichem und es wird wohl noch kein Arzt in der Lage sein, ein nach 
allen Seiten scharf abgegrenztes klinisches Bild der Erkrankung zu 
geben. Jeder wird nur über das in seinem Gesichtsfeld Erschienene 
berichten können und je nach dem Material und der Stellung des 
Beobachters werden die Schilderungen verschieden sein. Die praktischen 
Aerzte werden wesentlich andere Bilder zu Gesicht bekommen wie 
die Aerzte der grossen Krankenhäuser und bei diesen werden sich auch 
wohl Verschiedenheiten je nach der Herkunft ihrer Kranken ergeben. 

Die mir unterstellte II. medizinische Abteilung des Kranken¬ 
hauses Schwabing hatte in der ihr angegliederten Seuchenabteilung 
ein aussergewöhnlich- grosses Material zur Beobachtung. Nicht nur, 
dass uns zahlreiche Zivilisten beiderlei Geschlechts, vor allem aus den 
grossen industriellen Betrieben im Norden der Stadt, schwer an der 
Grippe erkrankt, zugingen. Durch Verfügung des Sanitätsamts des 

I. Korps wurden uns auch an der Grippe schwer erkrankte Soldaten 
der Garnison zur Behandlung überwiesen. Wir sind uns nun völlig 
klar über die Sonderstellung der von uns beobachteten Erkrankungen 
und über die Unmöglichkeit, aus unseren Erfahrungen allgemein gül¬ 
tige Schlüsse über den Verlauf der eigenartigen Erkrankung zu ziehen. 

Das, was wir gesehen haben und nur das, möchte ich Ihnen in 
Kürze schildern. 

Als die neue Erkrankung zuerst in Erscheinung trat, glaubten 
wir es mit einem Aufflackern der Influenza, die aus der grossen Epi¬ 
demie der Jahre 1889—90 noch wohl bekannt war, zu tun zu haben. 
Da wir uns aber daran gewöhnt haben, nur diejenigen hierher ge¬ 
hörigen Krankheitsbilder mit dem Namen Influenza zu bezeichnen, bei 
denen der Pfeiffersche Influenzabazillus gefunden wird und da die 
eingehenden Untersuchungen unseres Bakteriologen, des Herrn 
Dr. Mandelbaum, in keinem Fall den genannten Bazillus nach- 
weisen konnten, wurden bald Zweifel darüber laut, ob die Erkrankung 
wohl mit der Influenza identisch sei und ob sie nicht als ein eigenes 
Bild aus dem grossen Sammelbegriff der Grippe angesprochen werden 
müsse. Unsere Beobachtungen hierin stimmen mit denen, die 
spanische Aerzte jüngst gemacht haben, völlig überein. Die Madrider 
Aerzte Coca und Zapata vermissten bei ihren Patienten stets den 
Influenzabazillus und leugnen, dass üim bei der jetzigen Epidemie 
irgendwelche ätiologische Bedeutung zukomme. 

So vielgestaltig das Krankheitsbild der jetzigen Grippe auch ist 
— Mayoral in Spanien bezeichnet sie geradezu als proteiforme 
Grippe —, so kann man doch im allgemeinen leichte, mit Fieber und 
katarrhalischen Erscheinungen einhergehende Erkrankungen von 
schweren, bei denen ernste Lungenerscheinungen im Vordergründe 
stehen, unterscheiden. Vielleicht empfiehlt es sich bei der weit¬ 
gehenden Aehnlichkeit mit der Influenza aber bis zur völligen' Klärung 
zunächst bei der Einteilung zu bleiben, wie sie aus praktischen 
Gründen bei der letztgenannten Erkrankung angenommen wird. Hier 
unterscheiden wir die 4 Hauptformen: 

1. die Influenza des Respirationstraktus, 

2. die Influenza des Intestinaltraktus, 

3. das Influenzafieber ohrre nachweisbare Organerkrankung, 

4. die Influenza des Zentralnervensystems. 

Nicht von Anfang an und nicht bei allen* Kranken waren diese 
Einzelformen voneinander deutlich abgrenzbar. Häufig traten zuerst 
allgemeine Infektionserscheinungen, Kopf- und Gliederschmerzen, 
Fieber auf, bei den einen sich langsam steigernd, bei anderen gleich 
von Anfang an heftig einsetzend, ja mit Ohnmachtsanfällen beginnend. 
Erst im weiteren Verlauf war mitunter die Unterscheidung der ein¬ 
zelnen Form möglich, zuweilen ging aber eine Form in die andere 
über oder es traten von Anfang an Kombinationen auf. 

Lassen Sie mich beginnen mit der Schilderung der Erscheinungen, 
die am Respirationstraktus auftreten, denn diese Form ist die häufigste 
und unbestritten schwerste. Von unseren gesamten 275 Fällen ge¬ 
hören hierher 216. 

Die Erscheinungen von seiten der Nase sind im allgemeinen 
wenig hervortretend. Koryza leichtester Art mit einfacher Rötung 
und Schwellung der Nasenschleimhaut war des öfteren zu beobachten, 
jedoch- fehlte*die bei der echten Influenza so häufige profuse Sekretion 
mit ihrem bald mehr schleimigen, bald mehr eitrigen Ausfluss aus 
der Nase. Die Affektion ging schnell und ohne grosse Belästigungen 
für die Patienten vorüber und diesem Grunde ist es wohl zuzu¬ 
schreiben, dass wir so wenig Nebenhöhlenerkrankungen zu ver¬ 
zeichnen hatten. Viel häufiger und auch schwerer waren schon die 
Erscheinungen am Kehlkopf und an der Trachea, und, wie ich hier 

*) Vortrag, gehalten im Aerztl. Verein München am 9. Juli 1918 

Original frorri 

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810 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 


gleich beifügen möchte, im Rachen. Sehr viel wurde über Schluck¬ 
beschwerden geklagt. Die objektive Untersuchung ergab dann meist 
eine diffuse aber nicht hochgradige Rötung und Schwellung der ge¬ 
samten Rachenorgane und häufig fanden wir eine leichte schleier- 
artige Epitheltrübung, jedoch niemals im Rachen selbst irgendwelche 
Auflagerungen oder 'Bildung von follikulären eitrigen Pfropfen. Dass 
in vielen Fällen die regionären Lymphdrüsen entzündlich geschwellt 
und druckempfindlich waren, versteht sich von selbst. Die Pharyn¬ 
gitis und Tonsillitis fanden wir als Frühsymptom in vielen Fällen, 
dem Ausbruch der schweren Erscheinungen vorausgehend, so dass 
der Gedanke, in den lymphatischen Rachenorganen die Eintrittspforte 
des Errege? s zu suchen, nicht von der Hand zu weisen ist. Ebenso 
häufig fand sich ein Befallensein des Kehlkopfs und der Trachea, 
denen objektiv eine leichte Rötung und Schwellung der Schleimhaut 
dieser Organe zugrunde lag. Fibrinöse oder gar diphtherische Be¬ 
läge konnten bei den leichten Formen nie, bei den schweren letalen 
Fällen intra vitam nicht festgestellt werden. Die subjektiven Be¬ 
schwerden waren meist dem Grade der Veränderungen entsprechend, 
gar nicht so selten fanden sich aber heftige andauernde Hustenreize, 
die im Missverhältnis zu* den objektiv wahrnehmbaren Kehlkopf¬ 
veränderungen standen. In den Baracken unseres Krankenhauses, in 
denen die Kranken zu 40 lagen, war zeitweise eine derartige an¬ 
dauernde bellende Husterei, dass die 'Nachtruhe vieler Kranker ge¬ 
stört und bei Tage das Auskultieren zeitweise unmöglich war. Dieser 
Krampfliusten ist ja auch bei der Influenza bekannt. Er wird von 
Leichtcnstern auf entzündliche Schleimhautveränderungen an 
der Bifurkation zurückgeführt. Bei 2 Patientinnen gelang es mit 
dem Kehlkopfspiegel die ganze Trachealschleimhaut zu Gesicht zu 
bekommen und es fand sich bei einen eine isolierte Rötung und 
Schwellung der Schleimhaut im unteren Drittel der Trachea. 

Ein schwereres Krankheitsbild entstand schon, wenn die Er¬ 
krankung auf die, feineren Bronchien Übergriff und das Bild der 
diffusen Bronchitis zustande kam. Es weicht in keinem Punkt von 
dem der Influenza-Bronchitis ab. Die Sekretion war sehr wechselnd, 
viele dieser Kranken zeigten subjektive Erscheinungen, die an Bron¬ 
chitis sicca erinnerten mit äusserst quälenden trockenen Reizhusten, 
andere zeigten erhebliche Sekretion eines schleimigen Sputums, das 
Leukozyten. Epithelien sowie Bakterien aller Art enthielt, nicht selten 
fanden- sich unerhebliche blutige Beimengungen. Der Husten 
steigerte sich auch hier manchmal zu wahren Paroxvsmen und die 
Kranken waren von der Husterei, die Tag und Nacht durchging, hoch¬ 
gradig erschöpft und klagten über heftige interkostale Schmerzen. 

Fliessend waren die Uebergänge zur katarrhalischen Pneumonie, 
die wir bemerkenswerterweise in nicht sehr grosser Zahl, nur 7 mal, 
zu beobachten Gelegenheit hatten. Sie unterschieden sich in nichts 
von dem bekannten Bilde der katarrhalischen Influenzapneumonie, 
nur fanden wir im Sputum niemals den Pfeifferschen Bazillus. 

Viel häufiger sahen wir das pneumonische Befallensein eines 
oder mehrerer Lungenlappen, das anfänglich öfter unter dem Bilde 
der kruppösen Pneumonie verlief. Meist war ein Unterlappen, 
manchmal beide Unterlappen befallen oder es bestand eine gekreuzte 
Pneumonie, und hierbei sahen wir Krankhcitsbildcr von einer 
Schwere, wie wir sie sonst nicht zu sehen gewohnt sind, ln der Mehrzahl 
waren es junge, kräftige Patienten, die so erkrankten mit intaktem 
Herz- und Gefässsystem. Wohl waren wir aus den Erfahrungen von 
früheren Influenzaepidemien auf eine Zunahme der kruppösen Pneu¬ 
monie gefasst, jedoch erkannten wir bald, dass ein grosser Teil der 
Formen, die wir hier sahen, mit den uns wohlbekannten, durch den 
Fränke Ischen Pneumokokkus verursachten nicht identisch war, 
denn sie zeigten im Beginn und Verlauf erhebliche Abweichungen. 
Eine gewisse Zahl der so Erkrankten war in den ersten Tagen, als 
sie nur an den Allgemeinerscheinungen der Grippe litten, ihren oft 
anstrengenden Beschäftigungen nachgegangen, und wir hatten den 
Eindruck, als wenn diese verschleppten Fälle am schwersten und 
prognostisch ungünstigsten verliefen. Ich glaube auf Grund zahlreicher 
trauriger Erfahrungen zu dem Rat berechtigt zu sein, sogleich bei 
Beginn der Erkrankung allergrösste Schonung, wenn möglich Bett¬ 
ruhe, verordnen zu wollen. Andere von unseren an Pneumonie 
erkrankten Patienten zeigten schon von Anfang an die Zeichen des 
allerschwersten Ergriffenseins. Hohes kontinuierliches Fieber, völlige 
Hinfälligkeit, schwerste Zyanose, starke Pleuraschmerzen, die jeden 
Atemzug zu einer Qual machten, kleiner, weicher, äusserst frequenter 
Puls liessen schon früh die Bösartigkeit des Krhnkheitsbildes erkennen. 
Bei sehr vielen der jungen und zweifellos nicht alkoholverdächtigen 
Patienten traten schon früh heftige Delirien auf, die allmählich in 
komatöse Bewusstlosigkeit übergingen und sehr häufig zum Tode 
führten. Bei manchen sahen wir auch eine hochgradige Gedunsen¬ 
heit und Hyperämie des Kopfes und der sichtbaren Schleimhäute, so 
ähnlich wie man es öfters bei schweren Fleckfieberkranken findet. 
Die Untersuchung der Lungen ergab in diesen Fällen die Zeichen 
der Verdichtung eines oder mehrerer Lungenlaopen daneben aber 
des öfteren zahlreiche feuchte Rasselgeräusche über anderen Lungen¬ 
partien. Gar nicht selten stand jedoch der geringgradige Lungen- 
befund in auffallendem Gegensatz zu der hochgradigen Dvspnoc und 
dem allgemeinen schweren Ergriffensein, so dass frühzeitig der Ge¬ 
danke an eitrige Lungenprozesse wachgerufen wurde, bei denen eine 
Toxinschädigung als direkte Ursache der bedrohlichen Erscheinungen 
angenommen werden muss. 

Eigenartig w'aren die Sputa dieser Kranken. Viele zeigten ein 
schleimig-eitriges Sputum, andere ein rostfarbenes, eiweissreiches, der 

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genuinen Pneumonie ähnliches, gar nicht selten aber sahen wir ein 
hämorrhagisches Sputum, das nahezu rein aus Blut bestand, einige 
Fibringerinnsel enthaltend. Es w urde in grossen Mengen ausgehustet, 
oft unter heftigen Beschwerden und wenn in diesen Fällen meist 
unter Zutritt von Lungenödem der Tod eintrat, so ergab die Sektion 
das Bild der hämorrhagischen Infiltration der Lungen, über die Herr 
Oberndorffer nachher berichten wird. 

In diesen Sputen hofften wir nun, ätiologisch bedeutsame Funde 
zu machen, aber unsere Erwartungen wurden enttäuscht. Im An¬ 
fang der Erkrankung waren die Sputa meist bakterienarm. in den 
Spätstadien wurden sie äusserst bazillenreich, es fanden sich Mikro¬ 
organismen aller Art. relativ selten sahen wir den kapseltragenden 
Pneumokokkus und niemals den Influenzabazillus. Auch hierdurch 
w ; ar die Eigenart der beobachteten Pneumonie gegenüber der be¬ 
kannten genuinen, wie sie bei früheren Influenzacpidemien auftrat, 
gekennzeichnet. 

Ganz besonders schwer und ungünstig und nahezu ausnahmslos 
letal verliefen die sog. biliösen Pneumonien, bei denen leichter Ikterus 
bestand und zuweilen eine Vergrösserung der Leber und Milz bestand. 

Im Urin dieser Kranken befand sich nichts Erwähnenswertes. 
Zeichen von stärkerem Befallensein der Niere waren in keinem Falle 
festzustcllen. 

Die zytologische Untersuchung des Blutes ergab in vielen Fällen 
eine echte Leukozytose bis 20 000 und darüber, bei mehreren der 
schnell gestorbenen Kranken sahen wir eine deutliche Verminderung 
der weissen Blutkörperchen, wie wir es ja bei septischen Erkran¬ 
kungen mit schwerer allgemeiner Intoxikation nicht selten beobachten. 
Ucber die bakteriologischen Blutimtersuclmngen wird Herr Dr. Man¬ 
delbaum berichten. 

Diese schweren Pneumonien, deren septischer Charakter aus 
der öfters begleitenden Milzschwellung zu erschlossen war, sahen 
wir in ziemlicher Anzahl. Innerhalb von etwa 10 Tagen kamen 77 
zur Beobachtung und ihre Mortalität war erschreckend gross. Sie 
betrug 24 und bemerkenswerterweise traf das traurige Schicksal zu¬ 
meist junge kräftige Individuen, bei denen keinerlei Erkrankung an¬ 
derer lebenswichtiger Organe bestand Warum die älteren Leute von 
dieser schweren Infektion grösstenteils verschont blieben, ist nicht ganz 
klar. Möglicherweise waren sie durch früher überstandere Grippeerkran¬ 
kungen bis zu einem gewissen Grade immunisiert. Es war auch daran 
zu denken, ob das Bestehen konstitutior^Her Anomalien, z. B. des 
Status lymphaticus die Ursache des ungünstigen Ausgangs der Er¬ 
krankung sein könnte und von Herrn Prof. Oberndorfer wurden 
wir darauf aufmerksam gemacht, dass bei einer gewissen Zahl bei der 
Sektion die Zeichen der gestörten Involution des lymphatischen 
Apparates bestanden. Bei unseren Untersuchungen intra vitam 
konnten w ir diese Zeichen aber nicht finden und es fehlte vor allem 
im Blut die hier charakteristische Mononukleose und auch eine Hyper¬ 
eosinophilie. So war der ungünstige Ausgang zumeist, wie Sie 
nachher auch hören werden, durch die Schwere der Infektion und 
durch Sekundärinfektionen bedingt. Der zeitliche Ablauf der Erkran¬ 
kungen war ganz verschiedenartig, manchmal kam es in 2—3 Tagen 
unter kritischen Erscheinungen zur Abheilung, in anderen Fällen fiel 
nach 5—8 Tagen unter lytischem Fieberabfall die Temperatur zur 
Norm. Die von Anfang an schwersten Kranken gingen oft nach 
2—3 tägigem Bestehen der Pneumonie zugrunde. 

Ich erwähnte schon die äusserst heftigen Plcuraschmcrzen un¬ 
serer Patienten und in der Tat trat das Befallensein der Pleura 
viel intensiver und deutlicher zutage, als wir cs sonst bei der Pneu¬ 
monie zu sehen gewöhnt sind. Ausgedehntes pleuristisches Reiben 
über grossen Lungenabschnitten, die Bildung seröser Exsudate mit 
ungewöhnlich schneller Neigung zur Vereiterung w'ar etw r as sehr 
Häufiges und zeigte die Bösartigkeit des Prozesses besonders deutlich. 

Bemerkenswert war öfter das Verhalten des Pulses. Letal ver¬ 
laufene Fälle liessen oft schon frühzeitig eine enorme Pulsbeschleuni¬ 
gung erkennnen. Der kleine w eiche, oft dikrote Puls betrug 130-— 14n 
in der Minute, bei den günstig verlaufenen Erkrankungen war oft 
trotz ausgedehnten Ergriffenseins der Lunge und erheblicher Ein¬ 
schränkung der respiratorischen Fläche der Puls im Verhältnis zur 
Temperatur auffallend langsam. Bei 39—40° Fieber wurden 90 -9h 
Pulsschläge gezählt. 

Gegenüber diesem schweren Befallensein des respiratorischen 
Apparates traten die gastrointestinalen Erscheinungen sehr zurück. 
Wie sahen sie in 5—ö.Proz. der Fälle und wir sind nicht sicher, ob sie 
sämtlich dem neuen Krankheitsbilde zuzurechnen oder ob sie zum Teil 
durch andere Faktoren, z. B. das nasse und kälte Wetter der letzten 
Wochen, bedingt sind. Akute Magenkatarrhe mit Erbrechen und allen 
Erscheinungen der akuten Enteritis wurden beobachtet, heftige 
Schmerzen im ganzen Leib oder an einigen Stellen und hier w ar 
die Ileozoekalgegend wesentlich häufiger schmerzhaft und druck¬ 
empfindlich als die ajideren abdominalen Regionen, ohne dass es ie 
zu schweren Erscheinungen gekommen wäre. 

Nervöse Erscheinungen fehlten bei keinem unserer Pa¬ 
tienten, vor allem sahen wir sie bei den beiden letzten 
Formen, die etwa dem Influenzafieber und der Influenza des 
Nervensystems entsprechen. Vor allem wurde über Kopfschmerzen 
geklagt, meist im Vorderkopf, nicht selten aber auch erstreckte sich 
der Schmerz über den ganzen Kopf und führte zu erheblicher Hant- 
hypeiästhesie des ganzen Schädels. Rücken- und Kreuzschmerzen 
traten oft schon von Anfang an in quälender Weise auf, wogegen wir 
ausgesprochene Nemaigien, die bei der Influenza so häufig sind, iiber- 

Original from 

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23. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


811 


fuupt nicht zu Gesicht bekamen. Dreimal sahen wir das Auftreten 
menirgjtischer Erscheinungen, aber in keinem Falle handelte es sich 
uin echte Meningitis, stets waren es Pseudomeningitiden. Unsere 
Patienten zeigten alle Erscheinungen -des erhöhten Hirndruckes: hef- 
ngste Kopfschmerzen, Benommenheit, Augenstörungen, Nackensteifig¬ 
keit, sogar das Kernig sehe Phänomen war nachweisbar und bei 
der Lumbalpunktion entleerte sich der Liquor unter hohem Druck. 
Jedoch war er völlig klar und weder an Eiweiss noch an 
Zellen reicher als normal. Bakteriologisch erwies er sich ais steril, 
hie aus diagnostischen Gründen ausgefiihrte Lumbalpunktion wirkte 
therapeutisch ausserordentlich günstig, die Hirndruckerscheinungen 
schwanden gänzlich und traten nicht mehr auf. Alle 3 Patienten sind 
genesen. 

Einigemale sahen wir auch bei den schweren Pneumonien die 
Erscheinungen des Meningismus, die wohl ebenso wie die oben¬ 
erwähnten durch toxische Einwirkungen auf die Meningen bedingt 
•*varen. Diese Kranken gingen fast ausnahmslos zugrunde. 

Ueber Erscheinungen von seiten der Haut kann ich wenig be¬ 
achten. Herpes sahen wir relativ selten, öfter eine mehr oder minder 
starke Konjunktivitis und zweimal ein Exanthem, das als toxisch 
jfigesprochen werden musste und scharlachätinlich aussah. 

Der Verlauf dieser leichteren Erkrankungen war ganz verschie- 
^fuirtig. einige unserer Patienten verloren nach 2—3 tägiger Bett¬ 
ruhe Fieber und Beschwerden und konnten ihre Arbeit wieder auf- 
r* Innen, bei anderen zog sich die Erkrankung über 6—8 Tage mit 
:rregelmässiger Temperatursteigerung hin. die erst allmählich wieder 
Är Norm zurückging. Bei vielen war die lange Dauer der Rekon¬ 
valeszenz auffallend mit ihrer anhaltenden Mattigkeit und wir hatten 
Jen Eindruck, als wenn die Rekonvaleszenz länger dauere als bei 
äderen Infektionskrankheiten und in keinem Verhältnis zur Kürze 
eer Fieberperiode stehe. 

Sehr auffallend war auch die Neigung zu Rezidiven. Nach 
2—3 fieberfreien Tagen erfolgte ein neuer, meist geringerer Fieber- 
anstieg mit einer leichten Wiederholung der früheren Erscheinungen. 
In anderen Fällen sahen wir eine allgemeine fieberhafte erste Periode 
mit leichten Halsbeschwerden, dann ein fieber- und beschwerdefreies 
Intervall, an das sich eine schwere bedrohliche Pneumonie anschloss. 
Dieses Verhalten ist uns von früheren Influenzaepidemien jawohlbekannt. 

Bezüglich der Therapie kann ich wenig sagen. Keines der 
üblichen von uns angewandten Mittel liess irgend eine wirkliche un¬ 
zweideutige Einwirkung erkennen^ Von einer Spezifität ganz zu 
.schweigen. Ja, wir hatten den Eindruck, als wenn die gebräuch- 
chen Antipyr^tika einige Male direkt schlecht vertragen würden. 
Wir haben deshalb unsere Patienten sehr vorsichtig rein sympto¬ 
matisch behandelt. Von der Anwendung des Kollargols und Elektrar- 
zois sah ich nichts, über die Serumtherapie kann ich noch kein 
endgültiges Urteil abgeben. Auch die sonst so leicht zugänglichen 
Magen-Darmaffektionen zeigten auf Anwendung von Darmantiseptizis 
keine prompt erkennbare Besserung, so dass wir auch hier mit der 
Medikation vorsichtig und zurückhaltend waren. 

Der Höhepunkt der Erkrankung ist leider noch nicht überwunden 
•.nd wir befürchten, dass sie noch weitere Opfer fordern wird. Jeden¬ 
falls werden unsere Untersuchungen fortgesetzt werden und wir 
inen. dass sie uns bald ätiologisch klarer sehen lassen und uns 
-ins unserer therapeutischen Machtlosigkeit erlösen werden. 


Aus der Prosektur d. städt. Krankenhauses München-Schwabing. 

lieber die pathologische Anatomie der influenzaartigen 
Epidemie im Juli 1918*). 

Von Prof. Dr. Oberndorfer. 

Wenn über die pathologische Anatomie der jetzt epidemisch 
^tretenden influenzaartigen Erkrankung Mitteilung gemacht-wird, 
so kann diese natürlich nur die deletär endenden Fälle betreffen, die 
seltenen Ausnahmen der glücklicherweise im grossen und ganzen 
Peinlich leicht verlaufenden und meist in volle Genesung über¬ 
gehenden Erkrankung. Doch lassen die Beobachtungen am Leichen¬ 
risch neben schweren auch leichte Veränderungen erkennen, die als 
Anrangsstadien der Erkrankung anzusehen wir berechtigt sind; so 
sich auch auf die anatomischen Veränderungen, die die leichten 
Erkrankungen setzen, ein Rückschluss ziehen. 

In der Mehrzahl der Fälle, die wir zur Sektion bekamen, 
indelte es sich um jugendliche Individuen im Alter zwischen 17 und 
25 Jahren, doch kommen auch höhere Altersklassen, wenn auch 
H.itener vor, wir sahen auch einen Todesfall bei einem 75 jährigen 
Mann, das weibliche Geschlecht tritt’ im ganzen, was Todesfälle an- 
iclangt, zurück. Die Mitteilung betrifft nur die Todesfälle, die in 
Jun ersten 14 Tagen seit Auftreten der Epidemie beobachtet worden 
■md. also nur die ganz akuten Fälle des Frühstadiums der Epidemie. 

Die hauptsächlichen anatomischen Veränderungen finden sich 
-asschliesslich im Respirationsapparat; das Bild ist so typisch, dass 
man reihenweise das gleiche Sektionsprotokoll diktieren könnte; 
besonders in den ersten Tagen der Epidemie waren die Fälle 
f asr ganz gleich. Die Intensität des Prozesses schwankt. In 
-en Anfangsstadien der Lungenerkrankutig — als solche be- 


*) Vortrag, gehalten im Aerztlichen Verein München am 9. VII. 18. 

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trachte ich kleine Herde ohne grössere Reaktion in der Umgebung — 
finden sich kleine, steeknadelkopf- bis erbsengrosse, ins Lungen¬ 
gewebe eingesprengte Hämorrhagien, denen bald eine derbere 
Infiltration folgt; diese kleinen Knoten, die meist subpleural liegen, 
wölben die Pleura etwas vor. Von hier zu grossen, knotigen, 
hämorrhagischen Infiltraten finden sich alle Uebergänge, ebenso alle 
Uebergänge von einfachen Blutungen ins Lungengewebe mit noch 
teilweise erhaltenem Luftgehalt zu derben, fast trockenen, infarkt¬ 
ähnlichen, blauschwarzen, hämorrhagischen Herden, die mit den 
hämorrhagischen Infarkten der Lunge auch die Keilform gemeinsam 
haben; die Basis des Keils liegt der Pleura zu; dies lässt schon auf 
die innige Beziehung der Herde zu den arteriellen Verzweigungen 
der Lunge schliessen. Thromben finden sich auf der Lungenschnitt¬ 
fläche in den arteriellen Verzweigungen in den rein hämorrhagischen 
Anfangsstadien fast niemals, die Blutung muss also auf Blutdurch¬ 
lässigkeit bestimmter Abschnitte des arteriellen Systems der Lunge 
zurückzuführen sein. Wir kommen darauf noch zurück. 

Neben den hämorrhagischen Infarzierungen, aber anscheinend 
später, kommen exsudativ-pneumonische Prozesse vor, die sich viel¬ 
fach mit den Blutungen verbinden und bald das Gesamtbild be¬ 
herrschen. Auch hier ist das Bild ein wechselndes. Bald trifft man 
echte kruppöse Hepatisation von lobulärer, manchmal auch lobärer 
Ausbreitung, im Stadium der roten oder grauen Verfärbung, doch 
sind die Farbtöne nicht reine wie gewöhnlich bei der kruppösen 
Pneumonie, eine bräunliche Mischfarbe tritt vor. In den pneu¬ 
monischen Infiltraten sind oft auch dunkle Einsprengungen, von um¬ 
schriebenen Blutungen herrührend zu sehen. An Stelle der trockenen 
Schnittfläche von körnigem Aussehen, die gewöhnlich die hepatisierte 
Lunge zeigt, findet sich hier häufig schmierig-schleimiger Belag wie 
bei der Friedländer-Pneumonie. Nicht selten schliessen die pneu¬ 
monischen Herde, besonders gegen den Rand zu, grössere und 
kleinere gelbweisse, trockene, keilförmige Einsprengungen ein, die 
anämischen Infarkten nach Form und Farbe entsprechen. Diese 
Infarkte gehen entweder in totale Gangrän mit beginnender Se¬ 
questrierung über oder vereitern. Auf der Pleura heben sich diese 
anämisch infarzierten Teile durch ihre gelbweisse Farbe und ihre 
deutliche Grenze scharf gegen die übrigen pneumonischen Partien ab. 

In der Mehrzahl der Fälle beherrscht aber nicht die massige 
fibrinöse Exsudation das Bild, sondern mehr die katarrhalische und 
desquamative Entzündung, die sich, nicht wie jene durch körnige, 
sondern durch glatte, milzähnliche Schnittfläche und grossen Blut- 
reichtum auszeichnet. Bei diesen Formen tritt als schwere Kom¬ 
plikation in der Mehrzahl der Fälle die Eiterung hinzu. 

Schon in ersten Stadien der Erkrankung fällt manchesmal die 
stärkere Eiterfüllung der Bronchien auf. Die kleinen Bronchien 
enthalten gewöhnlich dünnflüssigen Eiter, oft ist er aber eingedickt, 
bräunlich, bildet fast stets feste Pfropfe. Diese eitrige Bronchitis führt 
durch Auflockerung und Entzündung der Bronchialwand zu ihrer Er¬ 
weiterung. Es entsteht das Bild der eitergefüllten, zylindrischen 
Ektasie: Manchmal sieht man die ganzen mittleren und kleinen 
Bronchien in Eiterstrassen umgewandelt. Der Prozess beschränkt 
sich nicht auf die präformierten Hohlräume der Bronchien, manchmal 
fehlt in ihnen Eiterung, oder Bronchien und Gefässe sind von Eite¬ 
rungen umrahmt, die zweifellos von Lymphgefässen ausgehen. Oft 
aber bilden sich auch massenhafte kleine, stecknadelkopfgrosse, von 
Blutungen umgebene, gruppenweise gelagerte Abszesse, die mit den 
Bronchien nicht Zusammenhängen und als embolisch hämatogene auf¬ 
gefasst werden müssen; diese können konfluieren und zu grösseren, 
schmutzigbraunen, eitrigen Einschmelzungshöhlen führen. Des wei¬ 
teren kommen grössere, keilförmige Abszesse, die ebenfalls an¬ 
scheinend vom Blutgefässsystem ihren Ausgang nehmen, vor. 

Derartige Prozesse können nicht ohne Beteiligung der Pleura 
verlaufen; finden sich im Anfangsstadium neben den fast nie fehlenden 
punktförmigen Blutungen der Pleura, oft finden sich auch ausgedehnte 
Ekchymosierungen, feine, fibrinöse Auflagerungen, so gesellt sich in 
vorgeschrittenen Fällen starke Exsudation auf die Pleura hinzu. In 
der Mehrzahl der rasch verlaufenden Fälle sieht man mächtige Em¬ 
pyeme, bis 2 Liter fassend, die von dünnem, meist bräunlichen, also 
bluthaltigem Eiter gebildet werden. Die Fibrinflockenbeimischung ist 
eine mässige, auch auf der Pleura sind dicke Fibrinauflagerungen selten. 

Meistens ist nur eine Brustseite stark erkrankt. Doppelseitige 
Empyeme sind demzufolge auch die Ausnahme. Bei der Empyem¬ 
bildung wird die betreffende Lunge von der Brustseite abgedrüngt, 
komprimiert, atel^ktatisch. Die andere Lunge ist dann meist kom¬ 
pensatorisch gebläht. 

In einigen Fällen griff der exsudative Prozess der Pleura auf 
den benachbarten Herzbeutel über; neben beginnender, feinflockiger 
Eiterung und Fibrinauflagerung kam es manchmal zur aus¬ 
gesprochenen Zottenherzbildung mit Penikardempyem. 

Das Herz bietet, abgesehen von häufigen Blutaustritten auf der 
Rückseite der Vorhöfe und der Kammern, keine wesentliche Ver¬ 
änderung. Die Muskulatur ist immer kräftig, blass, in den rasch 
zur Sektion gekommenen Fällen gut kontrahiert, ohne sichtbare Ein¬ 
lagerung. Abgesehen von einigen Fällen, in denen ältere Klappen¬ 
erkrankung vorlag, wurde nur einmal eine frische, flache, nicht ab- 
wisebbare Hämorrhagie in dem Aortensegel der Mitralis gesehen. 
Auffallend hingegen war der öfters erhobene Befund der Verdickung 
der Gefässe des Lungenhilus, wir kommen darauf noch zurück. 

Original frorn 

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812 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 


Die Luftwege zeigen fast regelmässig starke Hyperämie, die 
oft zu Blutungen, manchmal zur ausgedehnten Blutung führt. Nur 
der Kehlkopf und die oberste Trachea sind häufig blass. Nie fehlt 
eitrig-schleimiger Belag, manchesmal fand sich auch schmutzigbraune, 
fibrinöse Pseudomembranbildung in der unteren Trachea und in den 
Bronchien. Oedem des Larynxeingangs, das manchmal hohe Qrade 
erreichte, war nicht selten. Ein bemerkenswerter Befund ist die fast 
regelmässig vorhandene mächtige Ausbildung der lymphatischen 
Apparate des Zungengrundes und des Rachenringes, die nicht nur 
Folge entzündlicher Schwellung, sondern zweifellos schon vorher ■ 
bestandener Hyperplasie ist. Bei diesem Befund ist wohl zu be¬ 
denken, dass es sich nahezu ausschliesslich um jugendliche Individuen 
handelt, bei denen die lymphatischen Apparate noch nicht in Rück¬ 
bildung begriffen sind. Die zweifellos vorhandene Hyperplasie der 
lymphatischen Apparate von Zungengrund und Rachenring Hand in 
Hand mit der fast stets sich findenden parenchymreichen, wenig ver¬ 
kleinerten Thymus mit den grossen Follikeln der MHz und des 
Darmes, die gewöhnlich gesehen werden, lassen die Diagnose, dass 
die meisten der erlegenen Fälle in die Gruppe des Status thymo- 
lymphaticus gehören, naheliegend machen. Dem Tod scheinen also 
vor allem Lymphatiker verfallen zu sein. Die zervikalen Lymph- 
drüsen sind oft leicht gerötet, nie fehlt sukkulente Hyperämie und 
Vergrösserung der Lungenwurzeldrüsen, bemerkenswert ist die 
regelmässige, starke Hyperämie und Schwellung der axillaren Drüsen 
bis Bohnen- und Haselnussgrösse. Die inguinalen Drüsen, ebenso 
die Drüsen des Stammes sind fast immer unverändert. Erweichungen, 
Nekrosen, Eiterungen, stärkere Blutungen in den Drüsen fehlen. . 

Das Verhalten der Milz ist ein wechselndes. Bald ist sie von 
gewöhnlicher Grösse, mässig bluthaltig, ihre Follikel sind deutlich, 
oft vergrössert, in der Mehrzahl der Fälle aber ist die Milz bis zum 
zwei- und; dreifachen vergrössert, weich, die rötlichviolette Pulpa 
quillt über und lässt sich als schmierige Masse abstreifen. Es ist 
also häufig das Bild des septischen Milztumors vorhanden. 

Die Leber zeigt nur selten trübe Schwellung. 

Die Nieren sind hyperämisch, deutlich gezeichnet, ohne Vor¬ 
quellen der Rinde; besonders hervorzuheben ist die Lipoidarmut der 
Nebennieren. 

Der Hauptbefund im Gehirn und den Hirnhäuten ist das starke 
Vortreten aller Gefässe durch ihre beträchtliche Blutfüllung. Aus¬ 
nahmsweise fand sich auch der Beginn einer Purpura haemorrhagica 
des Gehirns in Form kleiner, stecknadelkopfgrosser Blutungen an den 
Prädilektionsstellen der Hirnpurpura: im vorderen Teile des Balkens, 
in der Gegend des Ammonshorns, in der weissen Substanz des Klein¬ 
hirns. Eine Meningitis fand sich in keinem Falle. 

In einigen Fällen, besonders bei ausgedehnten, kruppösen Herden 
der Lunge war die Haut ikterisch verfärbt. In einigen Fällen waren 
noch Reste von ‘Herpesbläschen, besonders an der Oberlippe, zu 
sehen, nur in einem Falle wurde ein kleines, petechiales Exanthem, ähn¬ 
lich dem bei Flecktyphus oder Zerebrospinalmeningitis, auf der Brust¬ 
haut gefunden. 

Ein Nebenbefund war in 4 Fällen chronische Endokarditis mit 
Klappenschrumpfung. Derartig chronisch Erkrankte scheinen demnach 
besonders gefährdet zu sein. In solchen Fällen sieht man dann in 
der entzündeten Lunge eine besonders exzessive Ansammlung bräun¬ 
lich pigmentierter Zellen, sog. Herzfehlerzellen, im Alveoleninhalt. 
Besonders hervorzuheben ist noch, dass es sich irr der weit über¬ 
wiegenden Mehrzahl um sonst gesunde, kräftige Körper gehandelt 
hat, ältere Erkrankungen, insbesondere Tuberkulose, Nierenerkran¬ 
kungen usw. fehlten. Ein vorzugsweises Befallen werden vorher er¬ 
krankter und geschwächter Individuen scheint durch die Grippe also 
nicht zu erfolgen. Zu erwähnen ist noch gelblichweise, mehr oder 
minder ausgedehnte Fleckung der unteren Teile der geraden Bauch¬ 
muskeim die in einem Drittel der Fälle gesehen wurde. Die übrige 
Körpermuskulatur ist auffallend trocken, dunkelrotbraun. 

Wie bei jeder Epidemie, so ist auch hier zu erwarten gewesen, 
dass Fälle fieberhafter Natur, die mit der Erkrankung selbst nichts 
zu tun haben, in sie gruppiert werden. So kam ein Fall 1 akutest ver¬ 
laufender puerperaler Sepsis zur Beobachtung, der wegen der akut 
einsetzenden, schweren klinischen Erscheinungen, die mit denen der 
herrschenden Epidemie gleich waren, ebenfalls als spanische Krank¬ 
heit aufgefasst worden ist. 

Von den mikroskopischen Bildern erwähne ich nur die, die nach 
dem makroskopischen Befund nicht ohne weiteres zu Erwartendes 
boten. So fiel in der Trachea neben den makroskopisch erkennbaren 
Fibrinauflagerungen' in einem Fall auch die starke Fibrinausschei¬ 
dung in den tieferen Schichten der Schleimhaut, die hochgradige ent¬ 
zündliche Infiltration nicht nur der Schleimhaut, sondern auch der 
tieferen Schichten der Luftröhre, auf. Das Herz war auch mikro¬ 
skopisch nicht verändert, stärkere Verfettung fehlte. Von den Lymph- 
drüsen ist neben der enormen Gefässfiillung und Blutung die starke 
Wucherung der Endothelzellen, besonders der axillaren Drüsen, her¬ 
vorzuheben. Diese werden zu grossen, protoplasmareichen, plumpen 
Gebilden mit phagozytärer Funktion. Man sieht sie des öfteren vollge¬ 
stopft mit Leukozytentrümmern. Von Interesse isj auch der mikro¬ 
skopische Befund von Hautpetechien. Wie bei so Vielen anderen In¬ 
fektionskrankheiten finden sich auch hier in der Umgebung der Gefässe 
der oberen Kutis Rundzelleninfiltrate. In den Lungen ist neben der 
starken Exsudation in die Alveolen immer eine sehr starke, entzünd¬ 
liche Ieukozytäre Infiltration der Alveolenwände, der Bronchien, der 
kleinen Arterienwände zu sehen. Gerade diese letztere, die nie das 

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ganze Gefäss betrifft, sondern nur fleckweise auftritt, scheint uns ein 
Ausdruck der Blutungen begünstigenden Schädigung der Gefäss- 
wand, die vermutlich das Primäre ist^iu sein. Hierher gehört auch 
der mikroskopische Befund der obenerwähnten Blutung auf die Mitral¬ 
klappen: In der innersten Klappenschicht werden durch rote Blut¬ 
körperchen die Klappcnfasern auseinandergedrängt, das Endothel ist 
durch die massige Blutung geschädigt, in den tieferen Klappenschichten 
ist ebenfalls mässiger Blutaustiitt zu beobachten; es liegf also hier 
noch keine Endokarditis, wohl aber eine Schädigung der Klappen und 
ihrer * Innenhaut vor. die entweder toxischer Natur ist oder direkt 
durch den hypothetischen Krankheitserreger bedingt wird; es wird 
ohne weiteres zuzugeben sein, dass auf derartiger Basis Mischinfek¬ 
tion zur mykotischen Endokarditis führen könnte. Ein w-eiterer wich¬ 
tiger Beweis fiir eine tiefgehende Gefässschädigung scheint die oben 
schon erwähnte schwere Erkrankung der Pulmonalishauptäste zu sein, 
die besonders ausgedehnt in 2 rapid verlaufenden Fällen gefunden 
wurde. Die mikroskopische Untersuchung deckte hier eine’ schwere 
mykotische Arteriitis auf. mit leukozytärer Infiltration der ganzen 
Gefässwand, besonders der innersten Schichten, mit Auseinander- 
drängung und Spaltung der elastischen Fasern und fibrinös-nekroti¬ 
schen Auflagerungen ;uif der z. T. ebenfalls nekrotischen Intima. Bei 
Gramfärbung wimmelt hier alles von Streptokokken; eine stärkere 
Lymphangitis purulenta. die sonst manchmal die Gefässe und die 
Bronchien begleitet, fehlte in diesen Fällen. Auch das ganze Bild 
der Veränderung, dessen grösste Intensität an der Intima erreicht wird, 
spricht für eine vorangehende Erkrankung der Intima und nicht fiir 
eine sekundäre Schädigung und Infektion der Intima von der Gefäss- 
umgebung aus. Die oben beschriebene gelbliche Fleckung der unteren 
Teile der geraden Bauchmuskeln zeigt mikroskopisch das Bild der 
wachsartigen Muskeldcgeneration mit Kernschwund und scholliger 
Zerklüftung der Muskelschläuche, also Bilder, wie sie bei Abdominal¬ 
typhus. W e i 1 scher Krankheit. Tetanus beschrieben wurden. 

Was ist das Wesentliche der ganzen Erkrankung vom anatomi¬ 
schen Gesichtspunkte aus? In den akut verlaufenen Fällen steht im 
Vordergrund der Erscheinungen die Blutung der Schleimhäute, der 
Luftwege, der Lungen und der serösen Häute. Das deutet schon auf 
eine Läsion des Gefässsvstems der Kapillaren, d. h. auf ihre erhöhte 
Durchlässigkeit hin. Die Abszesse, soweit sic nicht von den Bron¬ 
chien fortgeleitet sind, sind ebenfalls hämatogenen Ursprunges: in 
2 Fällen gelang der Nachweis mykotischer Endarteriitis pulmonalis. 
eines an und für sich bei anderen pyämischen Erkrankungen äusserst 
seltenen Befundes. 

Nach unserer Meinung liegt also in erster Linie ein bakteriämi- 
scher Prozess vor mit Lokalisation des betreffenden Krankheits¬ 
erregers. besonders in den Lungengefässen. Der Blutung in den 
Lungen folgt die Ansiedelung der sekundären Krankheitserreger, der 
Ejterbakterien, die auf dem von dem hypothetischen, bisher noch un¬ 
bekannten Erreger der Grippe durch die von ihm ausgelösten Blu¬ 
tungen vorbereiteten Boden die besten Wachstumsbedingungen 
finden. Die von den sekundären Bakterien verursachten Verände¬ 
rungen beherrschen dann das Bild. Aber auch in vorgeschrittenen 
Fällen 1 deutet die Keilform der Krankheitsherde in den Lungen auf 
die vasale Genese hin. Damit ist nichts über die Eintrittspforten des 
eigentlichen Erregers in den Körper -gesagt. Primäre Herde, wie sie 
z. B. bei der Pestpneumonie. mit der rein äusserlich anatomisch die 
Lungenerkrankung manche Aehnlichkeit hat, öfters in versteckten 
Lymphdriisen gefunden werden, fehlen hier, den>n die stark hyperämi- 
scher» und leicht vergrösserten axillaren Lymphdriisen als erste Filter¬ 
station hinter der Eintrittspforte des Virus anzusejien, ist kaum mög¬ 
lich, da stärkere regressive Metamorphosen in den Lymphdriisen 
fehlen. Diese Frage ist also vorläufig noch ungeklärt, vielleicht sind 
auch hier die Eintrittspforte die Tonsillen, die bei der Endocarditis 
verrucosa und Gelenkrheumatismus auch die wahrscheinlichsten Ein¬ 
trittspforten sind. Eine Eigentümlichkeit der Erkrankung ist, dass die 
Erkrankung mit Vorliebe Jugendliche. Gesunde befällt, dass die Lvm- 
phatiker von ihr anscheinend besonders schwer ergriffen werden. 

Dadurch und z. T. auch durch die eben geschilderten anatomi¬ 
schen Veränderungen unterscheidet sich die Erkrankung von der im 
Jahre 1889—90 aufgetretenen Influenza. Es ist die Frage, ob sic 
mit jener einheitliche Aetiologie hat. Jedenfalls aber muss man sich, 
wenn; man sie als Influenza bezeichnen will, frei machen von der 
Voraussetzung, dass ihr Erreger der von Pfeiffer entdeckte Ba¬ 
zillus sei. Dieser wurde bei der heutigen Epidemie nicht gefunden. 
Ueber die wichtigen bakteriologischen Ergebnisse an unseren] Sek¬ 
tionsmaterial wird Herr Dr. M a n d e 1 b a u m ausführlich berichten. 


Aus der Prosektur des städtischen Krankenhauses München- 
Schwabing (Professor Dr. Oberndorfer). 

Epidemiologische und bakteriologische Untersuchungen 
Ober die pandemisehe Influenza*). 

Von Dr. M. Mandelbdum. 

Pandemien hat es vom grauen Altertum an bis in die jüngste 
Vergangenheit gegeben. Kennzeichnend für diese Seuchen war das 
plötzliche, unerwartete*, durch keine bestimmbaren Ursachen 
bedingte Auftreten in irgendeinem Lande und ihre blitzschnelle 

*) Vortrag, gehalten am 9. Juli 1918 itn Aerztl. Verein München. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


23. Ml 1018. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


818 


Verbreitung über die angrenzenden Länder, über ganze Erdteile, 
ja über die ganze Welt. Charakteristisch war weiter deren allmäh¬ 
liches Abklingen und das Freisein der betroffenen Lande während 
mehrerer Jahrzehnte. 

Die Krankheitserscheinungen, die sie bei den befallenen Menschen 
auslösten, waren fast immer gleich und die Beschreibungen, die von 
Jen verschiedenen Autoren jeweils gegeben wurden, decken sich in 
fast allen Punkten. Stets handelte es sich um das Befallenwerden 
des Respirationstraktus. Die Krankheitserscheinungen konnten 
leichtester Natur sein. Schnupfen, Husten; konnten aber auch das 
Bild einer schweren Erkrankung, die sogar zum Tode führen konnte, 
aufweisen. Seit 1742 erhielten diese Pandemien den Namen 
Influenza. Die letzte grosse Pandemie, die Europa heimsuchte, fiel 
m die Jahre 1889—90. Diese Pandemie war die erste, die mit den 
Hilfsmitteln der modernen Wissenschaft näher erforscht werden 
konnte. Zum erstenmal war man nicht darauf angewiesen lediglich 
auf die Symptome oder auf die durch die Krankheit gesetzten Ver¬ 
änderungen sein Augenmerk zu richten, sondern man konnte der 
Frage über die Ursache dieser Erkrankung nähertreten. 

Wie Sie wissen, gelang es im Jahre 1892 Pfeiffer einen 
neuen gut charakterisierten Bazillus zu entdecken, den er für den 
Erreger der pandemischen Influenza ansah und der deshalb den 
Namen Influenzabazillus erhielt. Er gilt bis heute als der Erreger 
der pandemischen Influenza. 

Es war deshalb das Nächstliegendste, als in den letzten Wochen 
wiederum nach fast 30 jähriger Pause eine neue Pandemie, von 
Spanien ausgehend, auch Deutschland erfasste, nach dem Influenza¬ 
bazillus als ätiologischem Faktor zu fahnden. 

Ich habe im Laufe der letzten 14 Tage eine grosse Anzahl von 
Sputas von Personen untersucht, die von der Seuche ergriffen 
uaren, ohne dass ich im gewöhnlichen Ausstrich Influenzabazillen 
nachweisen konnte. Es wurde neben der Methylenblaufärbung mit 
verdünnter Fuchsinlösung, sowie nach der Gram-Methode gefärbt, 
es wurden Kulturen auf bluthaltigen Nährböden angelegt, ohne jedes 
positive Resultat. Ein negatives Resultat, beim Untersuchen der 
Sputa der erkrankten Personen, sei es nun mit Hilfe des Mikroskops 
oder unter Zuziehung der Züchtungsmethoden, ist selbstverständlich 
nicht genügend, um den Schluss zu ziehen, dass der Influenzabazillus 
.n der zurzeit herrschenden Pandemie als ätiologischer Faktor nicht 
in Frage kommt. Zwar hat Pfeiffer schon mitgeteilt, dass bei 
frischen, fiebernden Influenzafällen im Sputum Influenzabazillen fast 
immer in grösserer Anzahl anzutreffen sind, zumal, wenn man direkt 
aus den Bronchien ausgehustetes Sekret nach vorherigem Waschen 
mit physiologischer Kochsalzlösung zur Untersuchung bzw. Züchtung 
benützt, aber eben der Autor hat ausdrücklich darauf hingewiesen, 
dass in manchen Fällen diese Erreger im Sputum auch fehlen können. 
Dagegen sollen Influenzabazillen in den tiefen Bronchien, vor allem 
aber in den tiefen broncho-pneumonischen Herden der an Influenza 
verstorbenen Personen stets und in ungeheueren -Mengen, ja fast in 
Reinkulturen angetroffen werden. Er stellte deshalb die Forderung 
auf, dass, wenn irgend möglich, der ganze Bronchialbaum, vom Kehl- 
kopi angefangen bis zu den Alveolen mikroskopisch und kulturell zu 
untersuchen sei. Dieser Forderung konnte ich an einem reichen 
Sektionsmaterial im Krankenhaus München-Schwabing gerecht 
werden. Ich hatte Gelegenheit bei sämtlichen durch die jetzige 
Epidemie bedingten Todesfällen das Sekret der feinsten und tiefsten 
Bronchien sowie das befallene Lungengewebe bakteriologisch zu 
untersuchen und konnte in keinem Falle Influenza¬ 
bazillen, weder mikroskopisch noch kulturell 
nachweisen. Aus diesem meinem Befund kann man 
wohl mit aller Sicherheit den Schluss ziehen, dass 
der Pfeiffersche Bazillus bei der jetzigen Pan¬ 
demie nicht als ursächliches Moment zu betrach¬ 
ten ist. 

Es drängt sich nach dieser Feststellung sofort die Frage auf, 

■ st die bei uns herrschende Epidemie, die ja nur ein Glied der zurzeit 
herrschenden, sich über Europa ausbreitenden, von Spanien aus¬ 
gehenden Pandemie bildet, verschieden von der im Jahre 1889—90 
herrschenden Seuche oder aber ist der Pfeiffersche Bazillus 
überhaupt nicht der Erreger der von Zeit zu Zeit die Welt heim¬ 
suchenden Pandemien. 

Epidemiologisch betrachtet gleicht die zurzeit herrschende 
Pandemie absolut der vorhergegangenen im Jahre 1889—90. Auch 
ibe Symptome, die durch die Krankheit hervorgerufen werden, 
stimmen im grossen und ganzen mit der Beschreibung überein, wie 
sie von den damaligen Beobachtern überliefert wurden. Einwand¬ 
freie Fachleute, die die damalige Epidemie mitmachten und studieren 
konnten, erklären übereinstimmend, dass am Beginn der Pandemie 
1889—90 die Bilder der Erkrankung dieselben waren, wie die heutigen. 

Auf einen Punkt möchte ich noch besonders aufmerksam machen. 
Wir haben oben gehört, dass Influenzapandemien, wenn sie längere 
Zeit in einem Lande geherrscht haben, nach Durchseuchung des¬ 
selben auf viele Jahre verschwinden. Es ist doch wohl das Natür¬ 
lichste anzunehmen, dass das Ueberstehen der echten Influenza eine 
starke Immunität gesetzt hat und dass erst dann wieder mit einem 
Neuauftreten einer solchen Epidemie gerechnet werden kann, wenn 
eine neue Generation herangewachsen ist, die ihrerseits jetzt wieder 
empfänglich geworden ist für eine Neuinfektion. Kommt es jetzt 


Nr. 30. 


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wieder zu einer Pandemie, so müssten vor allem die Personen er¬ 
griffen werden, die zeitlich nach der letzten Pandemie geboren 
wurden. Die Personen aber, die die vorhergehende Pandemie mit¬ 
gemacht, müssen, wenn anders das Ueberstehen der echten pan¬ 
demischen Influenza eine Immunität herbeizuführen vermag, über¬ 
haupt nicht oder aber in geringerem Grade erkranken. Ihre Er¬ 
krankung piuss, wenn sie befallen werden, leichter verlaufen. Selbst¬ 
verständlich darf der Zwischenraum nicht allzu gross sein, denn auch 
die durch das Ueberstehen der Erkrankung erworbene Immunität 
kann nach langer Zeit erlöschen. 

Wenn wir auf Grund dieser Ueberlegungen clie jetzt herrschende 
Epidemie betrachten, so müssen wir in der Tat zugeben, dass vor 
allem junge Personen von der Seuche ergriffen wurden und am 
meisten darunter zu leiden hatten und dass Todesfälle überwiegend 
auf das Alter von 18—30 Jahren treffen. Personen über 30 Jahre 
und ältere Personen wurden in der Regel von der Seuche überhaupt 
nicht befallen oder aber in geringem Grade. Dass es hierbei auch 
Ausnahmen gibt, ist selbstverständlich, denn alle Personen werden 
in den Jahren 1889—90 nicht erkrankt gewesen sein und bei andern 
kann die Immunität schon erloschen sein. Dieses Ueberwiegen des 
Befallenseins der jungen Individuen und das relative Freibleiben der 
älteren Personen ist um so auffallender, da es sich um eine Erkran¬ 
kung der Atmungsorgane handelt, die bei älteren Personen für In¬ 
fektionen bekanntlich viel empfänglicher und empfindlicher sind. Die 
Tatsache, dass seit der letzten pandemischen Influenza bis zum Auf¬ 
treten der jetzigen Seuche fast 30 Jahre verstrichen sind und dass 
die Personen, die vor allem von der Seuche ergriffen werden, unter 
30 Jahre sind, während die älteren davon zum grossen Teil frei 
bleiben, ist so kennzeichnend, dass meine Vermutung, es handle 
sich um dieselbe pandemische Influenza, deren Ueberstehen eine lang¬ 
dauernde Immunität herbeiführt, hiedurch sicherlich gestützt wird. 
Ich folgere deshalb: epidemiologisch sowie sympto- 
matologisch handelt es sich bei der jetzigen 
Epidemie um dieselbe Erkrankung wie im Jahre 
1889/90 und zwar um die pandemische Influenza. Das 
Ueberstehen dieser Erkrankung führt eine lang¬ 
dauernde Immunität herbei. 

Demgegenüber sei hervorgehoben, dass Erkrankungen, die be¬ 
dingt sind durch den Pfeifferschen Bazillus, keine Immunität 
hinterlassen. Durch die grundlegende Arbeit von Delius und 
Ko Ile wurde ferner festgelegt, dass der Pfeiffersche Bazillus 
auch im Tierversuch keine Immunität hervorzurufen vermag. Weiter-* 
hin sei bemerkt, dass der Pfeiffersche Bazillus seit seiner Ent¬ 
deckung schon oft gesehen und gezüchtet wurde und zwar sowohl 
bei Erkrankungen, die klinisch der Influenza ähnliche Symptome dar¬ 
boten, als auch bei Krankheitsfällen, welche mit der Influenza sicher¬ 
lich nichts zu tun haben. Ich erinnere nur an den Befund von 
Kerschensteiner, Klieneberger u. a., die des öfteren 
bei Tuberkulösen Influenzabazillen nachwiesen. Ferner haben 
Süss wein, Lippscher,'Biele, Jochmann u. a. in nicht 
allzuseltenen Fällen bei den Bronchopneumonien nach Masern 
Influenzabazillen gefunden. Ich selbst konnte in den letzten Jahren 
aus den bronchopneumonischen Herden von Kinderleichen nach 
Masern des öfteren Influenzabazillen züchten. Obwohl also überall 
in der Welt, an den verschiedensten Orten Influenzabazillen seit 
der letzten Pandemie gesehen und gezüchtet wurden, ist es doch 
seit 1890 nicht mehr zu einer durch den Pfeifferschen Bazillus 
bedingten Pandemie gekommen. Man hat deshalb rein theoretisch 
angenommen, dass zu einer Pandemie nicht nur das Vorhandensein 
des Influenzabazillus notwendig wäre, sondern dass auch noch ge¬ 
wisse, nicht näher bekannte Bedingungen hinzukommen müssten, 
um eben eine Pandemie auszulösen. Nun aber haben wir eine solche 
Pandemie. Die Bedingungen hierzu müssen also vorhanden sein. 
Aber trotzdem hat der Influenzabazillus bei der jetzigen Pandemie 
keine Rolle gespielt; denn sonst hätte ja die Seuche an verschie¬ 
denen Stellen gleichzeitig ausbrechen müssen, da der Influenza¬ 
bazillus noch in allerletzter Zeit an den verschiedensten Orten fest¬ 
gestellt worden war. Dies war aber, wie Sie alle wissen, nicht der 
Fall, sondern wie jede andere bisher bekannte Pandemie nahm die 
zurzeit herrschende Seuche ihren Ausgang von einem Punkt und folgte 
bei ihrer weiteren Verbreitung einfach den Verkehrswegen. 

Der Mikroorganismus, der die wirkliche pandemische Influenza 
verursacht, muss, wie Sie sich ja alle in den letzten Tagen über¬ 
zeugt haben, höchst infektionstüchtig sein. Seine Kontagiosität ist 
äusserst gross. Demgegenüber haben wir im Laufe der Jahre ge¬ 
sehen, dass der Influenzabazillus nur eine geringe Infektionskraft be¬ 
sitzt. Er vermag höchstens eine umschriebene Endemie, niemals 
aber eine Pandemie hervorzurufen. 

Auch der Umstand, dass Pfeiffer den von ihm beschriebenen 
Bazillus erst im Jahre 1892 entdeckte, also 2 Jahre nach dem Be¬ 
ginn der Pandemie, darf nicht übersehen werden; denn, ich werde 
dies später ausführen, die pandemische Influenza hinterlässt eine aus¬ 
gesprochene Disposition der Atmungsorgane zu Sekundärinfektionen, 
so dass noch lange Zeit nach überstandener pandemischer Influenza 
Halbparasiten, wie der Pfeiffersche Bazillus einer ist, sich 
auf den bakteriellen Infektionen gegenüber wenig widerstandsfähig 
gewordenen Atmungswegen ansiedeln können. Es sollte mich des¬ 
halb nicht wundern, wenn auch wir nach einiger Zeit Erkrankungen 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 


der Atmungswege und -organe zu Gesicht bekommen sollten, bei 
denen dann der Pfeiffer sehe Bazillus vielleicht wiederum ge¬ 
funden wird. 

Nach dem Gesagten komme ich zu dem Schlüsse, dass der 
Pfeiffersche Bazillus seinen Namen Influenza¬ 
bazillus zu Unrecht trägt — man sollte ihn vielleicht Ba¬ 
cillus haemophilus Pfeiffer nennen — und als Erreger der 
pandemischen Influenza nicht in Frage kommt. 

Die*nächste Frage lautet: Welche Mikroorganismen finden sich 
bei der zurzeit epidemisch auftretenden Erkrankung und in welchem 
ursächlichen Zusammenhang stehen sie zu dieser? Beim Untersuchen 
von Sputen aus frischen, im Anfangsstadium befindlichen Fällen 
findet man sowohl im Ausstrich wie auch bei der Züchtung die 
gewöhnlichen im Mund und Rachen vorkommenden Bakterien. 
Irgendwelche als Erreger in Frage kommende Gebilde fanden sich 
nicht. Das Ergebnis war also negativ. Auch der Versuch, den Er¬ 
reger aus dem steril entnommenen Blut zu erhalten, war ergebnislos. 
Als uns deshalb die typischen pathologischen Veränderungen, wie sie 
Ihnen Herr Prof. Dr. Oberndorfer soeben geschildert hat, vor 
Augen kamen, dachten wir nicht anders, als dass diese multiplen 
Abszesse die bronchopneumonischen Veränderungen der Lunge, die 
eitrig-fibrinösen Pleuritiden, das Produkt des fraglichen Influenza¬ 
erregers sein müssten und dass es nicht schwer fallen würde, in 
diesen betroffenen Geweben den Influenzaerreger nachzuweisen und 
ihn zum Wachstum zu bringen. Ich war deshalb aufs äusserste 
überrascht schon im gewöhnlichen Ausstrich vom Eiter aus den 
Abszessen oder von dem fibrinös-eitrigen pleuritischen Belag wohl- 
bekannte Mikroorganismen anzutreffen. In den meisten Fällen waren 
es Streptokokken (25 mal), doch fanden sich auch Pneumokokken 
(3 mal), sowie Staphylokokken (2 mal) und in einem Fall fand sich 
der Streptococcus mucosus* In den meisten Fällen handelte es sich 
um die Infektion mit einer von diesen Arten in Reinkulturen, öfters 
fanden sich jedoch auch die eine und die andere Art vergesellschaftet, 
oft auch noch in Begleitung eines schlanken, grossen Stäbchens, das 
nicht weiter differenziert werden konnte. Schon daraus, dass 
man nicht in allen Fällen immer ein und dieselbe 
Bakterienart fand, geht mit Sicherheit hervor, 
dass es sich hiebei nicht um die eigentliche Ur¬ 
sache der primären Erkrankungen handle, sondern 
dass hier sekundäre Infektionen vorliegen. In 
welch ungeheuerer Menge die Mikroben in der erkrankten Lunge 
oder auf der ergriffenen Pleura sich vorfinden, zeigen Ihnen die auf¬ 
gestellten Präparate. Jedes Gesichtsfeld ist übersät von dem je¬ 
weilig dominierenden Bazillus. Hiebei handelt es sich keineswegs 
um eine rasche Vermehrung dieser Mikroben in der Agone, sondern 
ganz im Gegenteil die Bakterien der Sekundärinfektion sind es, die 
zu den pathologischen Veränderungen führen wie sie von Herrn Prof. 
Dr. Oberndorfer geschildert und demonstriert wurden. Die 
sekundär eingedrungenen Bakterien machen die Abszesse, sie führen 
zu den bronchopneumonischen Herden, sie können eine kruppöse 
Pneumonie hervorrufen, sie bedingen die Pleuritiden und Empyeme. 
Nach meinen Beobachtungen scheint der Gang der Infektion bei der 
zurzeit herrschenden Epidemie folgender zu sein: Die Menschen 
erkranken infiziert durch den bis jetzt noch unbekannten Erreger 
der pandemischen Influenza ganz akut. Sie klagen über sehr starke 
Kopfschmerzen, haben hohes Fieber und es zeigt sich eine hoch¬ 
gradige Hinfälligkeit. Der Infektionserreger scheint sich vor allem 
in den oberen Luftwegen, besonders in der Trachea, anzusiedeln, 
von da auf die Bronchien bis in ihre feinsten Verästelungen über¬ 
zuwandern und von hier aus in das Lungengewebe einzudringen. 
Subjektiv besteht Husten und Hustenreiz und objektiv findet man 
die Symptome einer Bronchitis. Der Auswurf ist spärlich und bei 
der Untersuchung — natürlich muss man frisch ausgehustetes Sputum 
untersuchen — fast bakterienfrei. Tritt nun weiter keine Komplikation 
hinzu, so verläuft die unter dem Bilde einer akuten Allgemein- 
intoxikation eingesetzt habende Erkrankung, trotz des scheinbar 
schweren Krankheitsbildes, sehr rasch und ist in wenigen Tagen 
überstanden. In solchen Fällen handelte es sich um eine reine In¬ 
fektion mit dem noch unbekannten Erreger der pandemischen In¬ 
fluenza. Dieser Erreger scheint aber eine erhöhte Disposition für 
Infektionen mit den in der Mund- und Rachenhöhle vorkommenden 
Halbparasiten, den Streptokokken, Pneumokokken, Staphylokokken 
u. a. zu schaffen. Diese folgen genau dem Wege, den der Influenza¬ 
bazillus genommen. Das durch den Influenzaerreger entzündlich ver¬ 
änderte Gewebe scheint ein ausgezeichneter Nährboden für die oben¬ 
genannten sekundären Infektionserreger zu sein. Sie vermehren sich 
darin in ungeheuerer Menge und führen nun ihrerseits zu krankhaften 
Veränderungen. Das vorher fast bakterienfrei gewesene Sputum 
wird jetzt plötzlich stark bakterienhaltig und man findet in dem¬ 
selben eine gewaltige Menge von hämolytischen Streptokokken, oder 
von Pneumokokken, oder Bakterien einer anderen Art, die gerade 
zur Sekundärinfektion geführt hat. Jetzt erst kommt es zu den 
hartnäckigen Komplikationen, zu den Bronchopneumonien, zu den 
kruppösen Pneumonien, den Pleuritiden, und zu den Empyemen. Die 
Stkundärerreger also sind es, die zu den unheilvollen Komplikationen 
führen und schliesslich den Tod des Befallenen herbeiführen können. 
In den letzteren Fällen dringt der Erreger der Sekundärinfektion 
auch in die Blutbahn ein, setzt also noch eine Sepsis und es ist des- 

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halb nicht verwunderlich, wenn man nach dem Tode in dem Herzblut 
solcher Leichen dieselbe Bakterienart vorfindet wie im befallenen 
Lungengewebe. Dass man dieselben Bakterien dann ebenfalls in den 
geschwellten und geröteten Hals-, Axillar- und 'Bifurkationsdrüsen 
findet, ist weiter nicht verwunderlich. 

Auf einen weiteren Befund ist noch besonders aufmerksam zu 
machen. Der noch unbekannte Erreger der pandemischen Influenza, 
der ja den Boden vorbereitet für die Sekundärinfektion oder aber 
dessen toxische Produkte haben scheinbar eine hohe Affinität zu den 
Gefässen der Lunge, bei denen sie ausgedehnte Schädigungen der 
Gefässwände herbeizuführen scheinen. Deshalb kommt es so leicht 
zu Hämorrhagien, besonders in die Lunge hinein. Diese durch¬ 
bluteten Gewebe scheinen die Ansiedelung der Sekundärerreger noch 
mehr zu begünstigen. Für diese zunächst auf Grund der Befunde 
der häufigen Blutungen aufgestellte Vermutung hat Prof. Obern¬ 
dorfer nun auch die anatomische Grundlage gefunden. Die in die 
Blutbahn eingedrungenen Sekundärerreger vermögen in die durch 
den Erreger der pandemischen Influenza geschädigten Gefäss- 
wandungen der Lunge einzudringen und sich dort anzusiedeln. Es 
kommt zu der von Prof. Oberndorfer beschriebenen End- 
arteritis mycotica. Die Intimawandung ist durchsetzt mit unge¬ 
heueren Mengen von Streptokokken. Kleinere Gefässe werden durch 
diese Pilzwucherungen und durch die entzündlichen Reaktions¬ 
produkte verschlossen und es kommt zu den von Prof. Obern¬ 
dorfer beschriebenen keilförmigen Infarkten. In diesen ent¬ 
wickeln sich selbstverständlich die Sekundärerreger weiter und hier 
kommt es dann häufig zu den multiplen Abszessen und zu Ein¬ 
schmelzungen. 

Wir haben hier also die merkwürdige Erscheinung, dass die 
Sekundärerkrankung die weit gefährlichere ist als die Primär¬ 
erkrankung. Dem durch die Influenzainfektion bedingten und er¬ 
leichterten Einbruch der Sekundärerreger vermag der Körper in 
vielen Fällen nicht mehr zu widerstehen und es kommt zum Exitus. 
Deshalb werden auch nach dem Tode die durch die Sekundärerreger 
bedingten pathologischen Veränderungen niemals vermisst. Die 
Influenza ist also die Pfeilspitze, die die Wunde schlägt, der Sekundär¬ 
erreger aber das Gift, das sie zur tödlichen machen kann. 

Meine letzten Ausführungen kann ich also folgendermassen zu¬ 
sammenfassen: Der Erreger der pandemischen In¬ 
fluenza, die zurzeit herrscht, ist unbekannt. Er ist 
äusserst kontagiös. Die Infektion durch den¬ 
selben wird zum grössten Teil vom Menschen 
leicht überwunden. Er setzt eine Disposition 
zur Sekundärinfektion durch Streptokokken, 
Staphylokokken, Pneumokokken u. a. Diese Se¬ 
kundärerreger bedingen die Komplikationen und 
können zum Tode führen. 


Aus der Medizinischen Klinik Halle. 

Die sogenannte „spanische Krankheit“. 

Von Walter Hesse. 

Seit der letzten Influenzaepidemie in den Jahren 1889—90 kennt 
die Geschichte der Medizin keine Erkrankung von solchem Umfang 
und so schneller Verbreitung wie die in jüngster Zeit in Europa 
aufgetretene, dem Bilde der Influenza ähnelnde Infektionskrankheit. 

Im Mai d. J. drang von Spanien aus in alle Lande die Kunde 
von einer rätselhaften Erkrankung, die breite Schichten der Be¬ 
völkerung aufs Krankenlager warf und zahlreiche Opfer erfordern 
sollte. Lange Zeit herrschte völliges Dunkel über das Wesen dieser 
Erkrankung, die vielfach in den Zeitungsnotizen auf die Unter¬ 
ernährung im Kriege ursächlich zurückgeführt und mit der im Kriege 
hervorgetretenen Oedemkrankheit identifiziert wurde. Von Spanien 
aus verbreitete sich die Erkrankung innerhalb weniger Wochen über 
ganz Europa. Die ersten Fälle dieser Erkrankung sahen wir in 
Halle Mitte Juni, anfangs sporadisch, Ende Juni epidemieartig auf- 
treten. Zur gleichen Zeit wurde ganz Deutschland explosionsartig 
von djeser Erkrankung heimgesucht. Ueber die Natur dieser Krank¬ 
heit fehlen zur Zeit der Abfassung dieses Artikels (10. VII. 18) noch 
jegliche wissenschaftliche Veröffentlichungen. Doch so viel geht aus 
den täglichen Zeitungsnotizen hervor, dass die Erkrankung in ganz 
Europa im wesentlichen die gleichen Symptome aufweist und einen 
Verlauf nimmt, der mit der Influenza Aehnlichkeit hat. Die Er¬ 
krankungsziffer in Halle ist eine ziemlich hohe; auch in den übrigen 
Gegenden Deutschlands werden Massenerkrankungen in gleichem 
Umfange gemeldet. In besonders starkem Grade werden Leute be¬ 
fallen, die durch Wohnungsverhältnisse oder Beruf in grösseren 
Massen miteinander in nähere Berührung kommen, wie Militär, 
Fabrikarbeiter, Personal der Geschäftshäuser, der Eisenbahn etc. 
Ueber den Umfang der Erkrankung werden sich statistische Er¬ 
hebungen, die einigermassen Anspruch auf Richtigkeit machen 
dürften, kaum durchführen lassen, da bei dem häufig recht leichten 
Verlauf der Erkrankung nur in einem Teil der Fälle ärztliche Hilfe 
in Anspruch genommen wird. 

Das klinische Bild der im Volksmunde „spanische Krank¬ 
heit“ genannten Erkrankung ist ein ausserordentlich typisches. Die 

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23. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Mehrzahl der davon Befallenen erkranken ganz plötzlich ohne jede 
Prodromalsymptome mitten in der Arbeit mit Schüttelfrost oder 
leichtem Frostgefühl und sind sofort derartig won der Krankheit mit¬ 
genommen. dass sie sich nur noch mit Mühe nach Hause schleppen 
können. Die überwiegende Anzahl der Erkrankungen verläuft unter 
Fiebererscheinungen, und zwar folgt dem Schüttelfrost unmittelbar 
ein Temperaturanstieg, der in wenigen Stunden 39—40° und darüber 
erreicht, in einem Teil der Fälle aber sich nur auf mittlerer oder 
leichterer Freberhöhe bewegt. Der Fieberverlauf ist, wie beiliegende 
Kurven illustrieren, sehr mannigfaltig. Die Fieberkurve erreicht i 


neutrophilen Leukozyten zugunsten einer leichten Vermehrung der 
stabkernigen neutrophilen Leukozyten (Verschiebung der Leuko¬ 
zytenformel nach links im A r n e t h sehen Sinne). Das Erythrozyten- 
bikl ist quantitativ und qualitativ nicht nachweisbar verändert. Am 
Zirkulationssystem nimmt man in vielen Fällen bei den hochfieber¬ 
haften Fällen eine Bradykardie wahr. Die seltener zu beobachtende 
Tachykardie ist meist ein Begleitsymptom lobulär-pneumonischer 
Prozesse. Febrile Albuminurie tritt gelegentlich im Gefolge hoch- 
fieberhafter Zustände auf. Die Diazoreaktion im Urin ist stets 
i negativ; desgleichen fehlen pathologische Gallenfarbstoffe im Harn. 


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meist am ersten Tage ihren höchsten Stand; seltener ist ein Staffel- 
formrges Ansteigen zu beobachten. Der weitere Verlauf der Fieber¬ 
kurve ist entweder eine mehrtägige Kontinua oder eine bereits am 

2. oder 3. Tage einsetzende lytische Entfieberung; kritische Ent¬ 
fieberung ist relativ selten. Leichtere Erkrankungen verlaufen teils 
unter geringen Fiebererscheinungen, teils vollkommen fieberfrei. 

Zu den Hauptsymptomen der Erkrankung und zwar auch der 
tleberlos verlaufenden Fälle zählen neben der starken Prostration 
starkes Kopfweh, Schmerzen in der Lendengegend, Appetitlosigkeit, 
Erbrechen, Augentränen, Niesen, Schnupfen, Kratzen im Halse und 
Hustenreiz. In einem Teil der Fälle treten die katarrhalischen Er¬ 
scheinungen zugunsten rheumatischer Symptome in den Hintergrund. 
Gelegentlich stehen stärkeres Erbrechen, Anorexie und Durchfall im 
Vordergrund des Krankheitsbildes. In seltenen Fällen dominieren 
zerebrale Erscheinungen. Je nach dem Ueberwiegen der Krank¬ 
heitssymptome lässt sich eine Gruppierung in folgende 4 Haupt¬ 
formen durchführen: 

1. in eine katarrhalische Form der Erkrankung, 

2. in eine rheumatische Form der Erkrankung, 

3. in eine gastrointestinale Form der Erkrankung, 

4. in eine zerebrale Form der Erkrankung. 

Am häufigsten begegnet man der katarrhalischen Form. Hier 
ergibt die klinische Untersuchung in der Regel eine leichte Konjunkti¬ 
vitis gelegentlich mit Schwellung der Lidgegend, in vielen Fällen 
eine Koryza, leichte katarrhalische Angina und Pharyngitis, hin und 
wieder auch eine leichte Laryngitis. Trotz ausgesprochenen Husten¬ 
reizes fehlen etwa in der Hälfte aller Fälle während der ganzen 
Dauer der Erkrankung jegliche Zeichen einer Lungen- oder Bron- 
diialaffektion. Bei den schwereren Fällen jedoch vermissen wir 
selten katarrhalische Erscheinungen auf den Lungen im Sinne einer 
Bronchitis oder Bronchiolitis, während lobuläre Pneumonie zu den 
selteneren Symptomen gehört. Auswurf fehlt in der Regel in den 
ersten Tagen der Erkrankung und kommt häufig erst mit dem Ein¬ 
tritt der Entfieberung zur Beobachtung, wobei sich alle Uebergänge 
vom spärlichen rem-schleimigen bis zum reichlichen schleimig- 
eitrigen Sputum finden; blutig tingierter Auswurf ist äusserst selten. 

Bei der rheumatischen Form, die weit seltener als die katar¬ 
rhalische gesehen wird, werden die katarrhalischen Erscheinungen 
ucht ganz vermisst, wenngleich sie hier in den Hintergrund treten. 
Objektiv nachweisbare Gelenkveränderungen fehlen in der Regel an 
-en schmerzhaften Gelenken; ab und zu findet sich leichte Gelenk¬ 
schwellung; Gelenkergüsse kamen nie zur Beobachtung. Häufiger 
roch als Gelenkschmerzen werden myalgische Prozesse gesehen, die 
aber gleichfalls durch flüchtigen Charakter und geringe Intensität 
ausgezeichnet sind. 

Relativ seiten trifft man die gastrointestinale Form, die sich in 
öfterem Erbrechen zu Beginn der Erkrankung, in Anorexie und in 
mehr oder weniger zahlreichen diarrhoischen Entleerungen äussert. 
Der Stuhl zeigt dabei häufig, abgesehen von der flüssigen Konsistenz, 
nichts Pathologisches, gelegentlich etwas Schleim; stärkeren 
Schleim- oder gar Blutgehalt sahen wir nie. In seltenen Fällen 
beobachtete man auch Obstipation: 

Schwerere zerebrale Erscheinungen sahen wir einmal bei 
c nem Mann, der nach einem leichten Frösteln unter rasenden Kopf¬ 
schmerzen erkrankte und bereits nach 2 ständiger Erkrankung in ein 
schweres eineinhalbtägiges Koma verfiel, das zeitweilig von deli- 
ranten Zuständen unterbrochen wurde, und ein anderes Mal unter dem 
Bilde der Meningitis. 

Von seiten der übrigen Organe des Körpers fallen bei allen 
4 Formen der Erkrankung folgende Veränderungen auf. An der Milz 
'ermisst man bei den schwereren Formen selten eine leichte Ver- 
crösserung. Die Leber ist nie vergrössert gefunden worden. Im 
B utbilde findet man in der Regel eine Leukopenie. Die prozentuale 
Zusammensetzung des Leukozytenbildes erleidet eine Veränderung 
.m Sinne einer Verminderung der eosinophilen und basophilen Leuko- 
:yten und im Sinne einer leichten Herabsetzung der segmentkernigen 

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Einmal beobachteten wir ein scharlachähnliches Exanthem von ein¬ 
tägiger Dauer. Irgendwelche sonstigen schwereren Komplikationen 
kamen nicht zu unserer Beobachtung. 

Der Verlauf der Erkrankung ist in der Regel der, dass die sub¬ 
jektiven und objektiven Symptome innerhalb 2—5 Tagen zurück¬ 
gehen, längere Dauer der Erkrankung zählt zu den Ausnahmen. 
Die Schwere der Erkrankung findet im Ablauf der Fieberkurve ihr 
getreues Spiegelbild. Die Rekonvaleszenz tritt in den allermeisten 
Fällen sehr schnell ein. Nacbkrankheiten oder Rezidive kamen 
bisher nicht zu unserer Beobachtung. 

Bisher sind 19 Todesfälle in Halle und Umgebung zu unserer 
Kenntnis gekommen. Bei der Autopsie dieser Fälle fand sich stets eine 
schwere Entzündung der Trachea und Bronchen mit oberflächlicher 
Epithelnekrose, ferner eine schwere, mehr oder weniger ausgebreitete 
hämorrhagische lobuläre Pneumonie mH teils trockener, teils serös- 
hämorrhagischer oder eitrig-hämorrhagischer Pleuritis, weiterhin in 
einem Teil der Fälle eine beginnende eitrige Einschmelzung der 
hepatisierten Läppchen; als Nebenbefund ergab sich eine leichte 
Rhino-Pharyngo-Laryngitis und eine leichte Milzschwellung. 

Diese verschwindend kleine Zahl von Todesfällen gegenüber 
den nach vielen Tausenden zählenden in Heilung ausgehenden Fällen 
macht die Prognose zu einer relativ guten. 

Differentialdiagnostisch ist das Krankheitsbild der spanischen 
Krankheit von der Influenza klinisch nicht zu trennen. Hin¬ 
sichtlich des akuten Beginnes der Erkrankung mit Schüttelfrost 
und Hustenreiz hat die „spanische Krankheit“ mit der zen¬ 
tralen Pneumonie grosse Aehnlichkeit, von der sie durch den 
negativen Ausfall des Röntgenbildes abgegrenzt werden kann. 
Von praktischer Bedeutung ist die Differentialdiagnose gegenüber den 
abortiven Formen des Typhus abdominalis und den Paratyphus¬ 
infektionen, mit denen sie vornehmlich im Fieberverlauf, in den 
Kopfschmerzen, in der Bradykardie, in der Mifzschwellung, der 
Leukopenie, im Durchfall und in der Obstipation wesentliche Ueber- 
einstimmung der Symptome zeigt. 

Die Durchführung einer einigermassen erfolgreichen Prophylaxe 
erscheint wegen der hohen Kontagiosität der Erkrankung sehr 
schwierig. Da die Uebertragung einer Infektion auf dem Luftwege 
bisher nicht bekannt ist, erscheint eine Verschleppung der Krank¬ 
heitserreger auf dem Luftwege nach den übrigen Teilen Europas un¬ 
wahrscheinlich. Wir werden daher ausschliesslich mit einer Kontakt¬ 
infektion zu rechnen haben, wofür auch die in unserer Klinik wie in 
anderen Krankenhäusern beobachteten Zimmerendemien und die 
Massenerkrankungen beim Militär, in industriellen Betrieben etc. 
sprechen. 

Die Inkubationszeit dürfte auf ein bis mehrere Tage zu be¬ 
messen sein. 

Eine Therapie ist in der Mehrzahl der Fälle bei dem meist 
leichten Verfauf überflüssig, zumal die Erkrankung auch ohne Be¬ 
handlung meist ebenso schnell abklingt. In den schwereren Fällen 
kann' die Therapie bei dem Fehlen spezifischer Heilmittel nur rein 
symptomatisch sein. Die Allgemeininfektion suchten wir mit 
Schwitzprozeduren im Beginn der Erkrankung und medikamentös 
mit Salizylsäurepräparaten und Chinin zu bekämpfen. 

Was min die Aetiologie des eben beschriebenen Krankheits¬ 
bildes anbelangt, so herrscht hierüber zurzeit noch keine Ueberein- 
stimmung. Zeitungsnotizen zufolge soll in Spanien der Micrococcus 
catarrhalis als der Erreger der Epidemie angesprochen worden sedn. 
Von einigen bakteriologischen Untersuchungsstellen Deutschlands 
sollen bereits in vereinzelten Fällen positive Influenzabazillenbcfunde 
erhoben worden sein. Unseren daraufhin gerichteten Untersuchungen 
gelang bisher nur der Nachweis von hämolytischen Streptokokken, 
und zwar unter 8 Fällen zweimal im steril entnommenen Blut, ferner 
regelmässig im Pleuraexsudat (hier auch neben Staphylokokken), im 
Nasen-, Rachen- und Bronchialsekret. 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 


Aus dem k. u. k. Reservespital Nr. 4 der 4. Armee. 
(Kommandant: Landsturmoberarzt Dr. J. Klein.) 

lieber die Beziehungen der Nephritis zum Cholesterin 
(Lipoid)-Stoflfwechsel. 

Entstehungsbedlngungen der Retinitis albuminurica. 

Von Dr. Viktor Kollert und Dr. Albert Finger. 

Die Wichtigkeit des Studiums der Lipoidausscheidung im Ham 
für die Nephritisfrage ergibt sich aus der Häufigkeit des Befundes. 
Von 289 während des Krieges untersuchten Nierenkranken wiesen 101 
das Symptom auf. 

Im Laufe von an anderer Stelle *) veröffentlichten Untersuchungen 
wurde festgestellt, dass die Mehrzahl der Nierenkranken während der 
Periode, in welcher sie Lipoide im Harn ausscheiden, mehr oder 
weniger milchig trübes Serum (Pseudochylie) aufweisem während 
das Serum von Nephritikem ohne Lipoidausscheidung meist voll¬ 
kommen klar ist. Aus der Literatur geht hervor, dass sich beim 
Tier eine derartige Serumtrübung durch gleichzeitige Verfütterung 
von Cholesterin und Fett erzeugen lässt. Wird einem solchen Tier 
an einer beliebigen Stelle eine lokale Schädigung (z. B. Entzündung) 
gesetzt, so lagern sich in dem erkrankten Organ doppelbrechende 
Lipoide ab. Es wurde daher vermutet, dass bei Nierenkranken, welche 
pseudochylöses Serum haben und Lipoide im Harne ausscheiden, eben¬ 
falls eine Vermehrung des Cholesterins im Blute eine der Ursachen 
beider Erscheinungen sei und eine Anzahl von Seren daraufhin unter¬ 
sucht Sera von Lipoidfällen zeigten übernormale Werte bis zu 
2,88 g Cholesterin in 1000ccm, jene von Nephritikem, welche während 
der Beobachtungszeit keine Lipoide im Harne ausgeschieden hatten, 
zeigten normale Werte bis maximal 1,8 g. 

Die Hypercholesterinämie der Nephritikcr bzw. die Lipoidaus¬ 
scheidung im Harn entspricht nicht einem streng umschriebenen Krank¬ 
heitsbild (Lipoidnephrose), wohl aber einem bestimmten Symptomen- 
komplex resp. einer Krankheitsphase (nephrotischer Einschlag). Die 
Sublimatnephrose, die sich bekanntlich von der Mehrzahl der übrigen 
Nephrosen im klinischen Bilde scharf scheidet, nimmt auch in Bezug 
auf den Cholesterinstoffwechsel eine Sonderstellung ein, da bei ihr. 
soweit sich aus einem genau beobachteten Fall schliessen lässt, bis 
zum Lebensende normale Cholesterinwerte im Serum zu finden sind. 

Während die Vermehrung der verschiedensten Stoffe (z. B. Harn¬ 
stoff, Kreatinin) im Bl'ute von Nephritikem gewöhnlich auf einer 
mangelhaften Ausscheidung durch die Nieren beruht und dementspre¬ 
chend das Zeichen einer Niereninsuffizienz ist, dürfte die Hyperchole¬ 
sterinämie auf eine andere Weise zustande kommen. Normalerweise 
wird das Cholesterin, soweit bekannt, vorwiegend durch die Galle 
ausgeschieden. Erfolgt, wie dies z. B. in einer bestimmten Phase der 
Schwangerschaft der Fall ist, eine Funktionsänderung der Leber in 
dem Sinne, dass nur eine cholesterinarme Galle geliefert wird, steigt 
der Cholesterinspiegel des Blutes. Er sinkt wieder, sobald nach der 
Geburt eine Ausschwemmung des Cholesterins durch die Galle erfolgt. 
Bei der Nephritis und speziell bei der Kriegsnephritis sind bisher nur 
indirekte Hinweise auf eine Funktionsänderung der Leber bekannt. 
Hierher gehört der Befund von Jung mann einer auffällig starken 
Verfettung der Leber bei der Nephritis im Kriege. Ferner fand 
H i 1 d e b r a n d t, dass bei primären Nephropathien trotz Leberstauung 
oft kein Urobilinogen im Harn ausgeschieden wird. Nachunter¬ 
suchungen bei unseren Kranken bestätigten mehrmals diesen Befund. 

Da seit L a u b e r und A d a m ü k bekannt ist, dass ein Teil der 
Exsudatflecke bei der Retinitis albuminurica aus doppelbrechenden Li¬ 
poiden besteht, war zu erwarten, dass die Nierenerkrankungen, die 
zur Retinitis führen, mit Lipoidausscheidung im Harn einhergehen. Die 
ophthalmoskopischen Untersuchungen wurden in liebenswürdiger 
Weise von Herrn Dozenten L i n d n e r durchgeführt. Von 109 unter¬ 
suchten Nierenkranken hatten 10 Retinitis albuminurica. Sämtliche 
schieden im Sedimente Lipoide aus. Mehrere dieser Fälle zeigten 
auf der Höhe der subakut verlaufenden Nierenentzündung im Auge 
mehrere weisse Stippchen oder eine Sternfigur, die sich mit der 
Besserung der Krankheit zurückbildeten. Die systematischen Harn¬ 
untersuchungen ergaben ein gleichsinniges Zurückgehen der Harn¬ 
lipoide. Bei einem chronisch verlaufenden Falle mit einer alten Re¬ 
tinitis albuminurica wmrden im Harn nur nach wiederholtem Suchen 
einige grosse Lipoidtropfen, wie wir sie nur nach längerem Bestehen 
der Lipoidausscheidung finden, gesehen. Fälle mit Blutungen am 
Augenhintergrund sowie ein Nephritiker mit Retinitis exsudativa 
zeigten keine strengen Beziehungen zum Lipoidstoffwechsel. Da zum 
Zustandekommen der Retinitis alb. neben der lokalen Schädigung des 
Auges anscheinend eine höhergradige oder länger bestehende Hvper- 
cholesterinämie gehört, ist die Seltenheit dieser Augenerkrankung bei 
der akuten Nephritis verständlich. Aus den angeführten Sätzen 
folgern wdr, dass die Hypercholesterinämie neben der von Mach¬ 
witz und Rosenberg beschriebenen Azotämie zu den Ent¬ 
stehungsbedingungen der Retinitis albuminurica gehört und dass nach 
ihrem Zurückgehen auch die Augenveränderungen schwinden können. 

Eine weitere Stütze der von uns postulierten Zusammenhänge 
bilden die Nierenerkrankungen in der Schwangerschaft. Wie oben 
erwähnt, führt die normale Schwangerschaft zur Hypercholesterirv 


*) Med. Kl. 1917 Nr. 41. 

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ämie, die nach der Geburt rasch wieder schwindet. In ähnlichem 
Sinne wirkt die Nierenentzündung. Da wir also bei der Schwanger¬ 
schaftsnephrose zwei Prozesse vor uns haben, die gleichem Sinne 
den Cholesterinstoffwechscl beeinflussen, können wir erwarten, dass 
die Folgeerscheinungen der Hypercholesterinämie bei dieser Erkrankung 
besonders deutlich zutage treten. Eines der Charakteristika der 
Schwangerschaftsnephritis ist (Sach s), dass die Retinitis nach been¬ 
digter Schwangerschaft weit schneller schwindet als bei chronischen 
Nierenentzündungen ausserhalb der Gravidität. Dieser Unterschied ist 
durch den Sturz der Blutcholesterinwerte im Anschluss an die Geburt 
zwanglos erklärbar. 

Bei der Mehrzahl der Kriegsnephritiker schwinden die Harn- 
lipoide mit dem Rückgang der Oedeme. Bei mehreren in Bezug auf 
die Lipoidausscheidung chronischer verlaufenden Fällen gelang es, die 
Lipoide durch Cholesterin- und fettarme Diät zum Schwänden zu 
bringen. War der Nierenprozess während dieser Kur noch nicht aus¬ 
geheilt, so traten die Lipoide im Verlaufe einer anschliessenden 
Periode von Fleischnahrung wieder im Harne auf. Vielleicht dürfte 
auch die Thyreoidinbehandlung bei jenen Fällen, die den von Ep- 
p i n g e r aufgestellten Kriterien entsprechen, von Erfolg im Sinne 
einer Abkürzung der Ausscheidungsperiode der Lipoide sein. Bei 
Kranken, die durch diese Behandlung nicht entwässert wurden oder 
die bereits im Beginne der Behandlung ödemfrei waren, blieb jedoch 
ein Erfolg der Thyreoidinkur aus 

Die genauen Protokolle über die stattgehabten Untersuchungen, 
die ausführlichen Krankengeschichten sowie die Literaturangaben wer¬ 
den später veröffentlicht werden. 


Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses Bethesda in 
Duisburg (Prof. Hohlweg). 

Zur Behandlung der gonorrhoischen Infektion 
der oberen Harnwege. 

Von H. Hohl weg. 

In Nr. 44 der Feldärztl. Beilage zur M.m.W 1915 empfiehlt 
O. W e i s s die Behandlung der frischen Gonorrhöe mit künstlicher 
Steigerung der Körpertemperatur. Er geht dabei von der Tatsache 
aus, dass die Gonokokken in der Kultur bei einer Temperatur von 
42° innerhalb weniger Stunden absterben. Auch die Erfahrung, dass 
eine interkurrente Fiebererkrankung die Eiterabsonderung bei einer 
bestehenden Gonorrhöe häufig ausserordentlich günstig beeinflusst, 
beweist die Empfindlichkeit der Gonokokken gegenüber höheren 
Temperaturen. 

Weiss ging bei seinen therapeutischen Versuchen in der Weise 
vor, dass er den ganzen Körper des Patienten mit Ausnahme des 
Kopfes, der mit einer Eisblase bedeckt wurde, in ein heisscs 
Bad setzte, dessen Temperatur im Laufe von 30—40 Minuten von 
40 auf 43, ja 43,5° allmählich gesteigert wurde. Die dabei im Munde 
des Patienten gemessene Körpertemperatur steigt bei den Beob¬ 
achtungen von Weiss bis auf 41,8 und 42.6° an. Je höher sich im 
einzelnen Fall die Körpertemperatur des Patienten steigern Hess, desto 
prompter und vollständiger trat ein Erfolg der Behandlung ein. In 
der Tat gelang es Weiss bei frischen Gonorrhöen mit diesem Ver¬ 
fahren in einer grösseren Anzahl von Fällen innerhalb weniger Tage 
Ausfluss und Gonokokken dauernd zum Verschwinden zu bringen. 

In einem Falle von gonorrhoischer Infektion 1 der Blase und beider 
Nierenbecken hat mir das Verfahren von Weiss ausserordentlich 
gute Dienste geleistet. 

Krankengeschichte: 

Fräulein E. K., 18 Jahre alt, aufgenommen 18. X. 1917. 

Vorgeschichte. 1916 Scharlach. Seit Mitte Mai 1917 
Harndrang und Schmerzen beim Urinieren und häufig stärkere Blut¬ 
beimengungen zum Urin. Seit der genannten Zeit vom Hausarzt 
wegen „Nierenentzündung“ behandelt. 

Befund: Guter Ernährungszustand. 

Lungen und Herz: o. B. 

Abdomen nirgends druckempfindlich. 

Der Urin enthält reichlich Eiweiss und ein enormes Leukozyten¬ 
sediment. Beim Katheterisieren der Blase entleert sich zum Schluss 
fast reiner rahmiger Eiter. Kultur steril. 

Zystoskopie: Die ganze Blasenschleimhaut gleichmässig 
geschwollen und gerötet und mit reichlichem fixem Sekret bedeckt. 
Rechts und links an korrespondierenden Stellen des Blasenbodens 
und etwa am seitlichen Ende des als solchen nicht sicher erkennbaren 
Trigonums je eine kraterförmig zerfressene Oeffnung — Ureteren- 
mündung —, die sich beiderseits mit dem Ureterenkatheter nicht 
entrieren lässt. 

Bei Injektion von Indigo-Car min (Völcker-Joseph) nach 
20 Minuten geringe Blaufärbung des Blaseninhaltes. Blaufärbung des 
aus den Ureteren kommenden Urinstrahls konnte zystoskopisch in 
der genannten Zeit nicht wahrgenommen werden. 

Die Erkrankung wird mit Wahrscheinlichkeit als tuberkulöse 
angesprochen und die Prognose angesichts der Doppelseitigkeit des 
Prozesses den Angehörigen gegenüber ziemlich trübe gestellt. 

Bis zum Ausfall des Tierexperiments wird Patientin vorüber¬ 
gehend aus dem Krankenhause entlassen. 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




23. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


817 


Die nach der Entlassung der Patientin nochmals vorgenommene 
Färbung des Urinsediments ergibt die Anwesenheit von reichlichen 
Gram-negativen Diplokokken — Gonokokken —. 

13. XII. Wiederaufnahme ins Krankenhaus. 

Nach anfänglicher Verminderung der Beschwerden sind in den 
letzten Wochen Schmerzen und Harndrang wieder stärker geworden. 
Mikroskopischer Harnbefund wie früher. Zystoskopischer Befund 
unverändert. Ureterenkatheterismus gelingt jetzt beiderseits. Der 
Urin von beiden Seiten enthält ein starkes Leukozytensediment und 
Gonokokken. 

15. XII. Beginn der Fiebertherapie. 


Da'um 

Dauer des Bades 

Badetf inperatur 

nochstc Körpertmiperatur 
(im Munde g**ines<en> 

15. XII. 

14 Minuten 

33—43 0 

?8,2 * 

17. XII. 

16 „ 

3 -43 * 

3 < i) " 

19. Xll. 

IS „ 

33—43 0 

30,0 >' 

22. 'Xll. 

19 „ 

3S-43 ' 

39, S " 

27. XII. 

15 

33-4 3 " 

40,1 11 


Bereits am 21., also nach 3 Bädern, ist die Schwellung und 
Rötung der Blascnschleimhaut wesentlich zurückgegangen, der Blasen¬ 
urin erheblich klarer. Am 21. Katheterismus des linken, am 24. Ka- 
theterismus des rechten Harnleiters: Urin von beiden Seiten voll¬ 
kommen klar und völlig frei von Eiweiss und Leukozyten. Bei gleich¬ 
zeitigen Spülungen der Blase mit 0.25 proz. Cholevallösung ist auch 
der Blasenurin vom 29. XII. ab vollkommen klar, frei von Eiweiss und 
frei von Leukozyten und Gonokokken 

Die am 24. XII. vorgenommene Zystoskopie zeigt die Blasen- 
sch’timhaut selbst von vollkommen normalem Aussehen, jegliche Rö¬ 
tung zuriiekgegangen, die Ureterenmündungen vollkommen glattrandig 
und schlitzförmig. 

SO. XII. Vollkommen beschwerdefrei aus dem Krankenhaus ent¬ 
lassen. 

Es war also im vorliegenden Falle gelungen eine schwere gonor¬ 
rhoische Infektion der Blase und beider Nierenbecken mit Hilfe künst¬ 
licher Ueberhitzung durch wenige Bäder vollständig zur Heilung zu 
bringen. Wenn man bedenkt, dass unsere bisherige Therapie bei der 
Gonorrhöe der oberen Harnwege oft nur recht geringe Erfolge aufzu¬ 
weisen hatte und dass der schliessliche Ausgang solcher Erkrankungen 
häufig in einem mehr oder weniger vollständigen Zugrundegellen des 
Nierengewebes bestand, wird der vorstehende überraschende Behand¬ 
lungserfolg wohl zu weiteren Versuchen in ähnlichen Fällen be¬ 
rechtigen dürfen. 


Hat der Arzt das Recht, bei Knochenschussbrüchen die 
Wunde radikal auszuschneiden? 

Von Dr. Lorenz Böhler, Regimentsarzt i. d. R. 


v. Bergmann hat als Erster gezeigt, dass man bei Kriegs¬ 
wunden mit möglichst konservativen Verfahren die besten Heil¬ 
erfolge erzielen kann und Pirogoff berichtet, dass Schwerver- 
wumiete. welche mit Knochen- un-d Gelenkschüssen in eine Bauern- 
f.ütte gekrochen waren, ohne Behandlung auffallend gut heilten, wäh¬ 
rend diejenigen, welche in die Lazarette gebracht wurden, in denen 
s.e eine eingreifende Wundbehandlung mitzumachen hatten, fast aus¬ 
nahmslos zugrunde gingen. Höchen egg erzählt in seinen Vor¬ 
lesungen jedes Jahr, dass in den 80 er Jahren ein offener Knochcn- 
bruch In der Klinik als tödliche Verletzung galt, weil die neue anti- 
septisclie Wundbehandlung so eingreifend war, dass die Verletzten an 
Karboivergiftung zugrunde gingen, während zur gleichen Zeit die 
praktischen Landärzte ihre Fälle in derselben Zahl wie früher davon¬ 
brachten. weil sie die neue Behandlung noch nicht kannten oder 
wegen ihrer Kompliziertheit noch nicht durchführten. Er musste als 
junger Assistent mit dem Karbolsäureirrigator auf eine Leiter steigen, 
damit das allheilende Antiseptikum unter möglichst grossem Drucke 
auf den Knochen und besonders auf die Markhöhle gebracht werden 
konnte. Erst wenn der Knochen ganz \yeiss war, d. h. wenn Gangrän 
eingetreten war, wurde mit der Spülung aufgehört. 

Nach den Erfahrungen der jüngsten Kriege hielt man die Schuss¬ 
wunden für verhältnismässig gutartig, aber mit Ueberwiegen der 
Artillerieverletzungen änderte sich das Bild im jetzigen Kriege bald 
und Harre stellte am Kriegschirurgentag in Brüssel 1915 die For¬ 
derung auf, jeden Granatsteckschuss mit dem behandschuhten Finger 
auszutasten und das Geschoss samt den daran haftenden Tuchfetzen 
zu entfernen, alle Taschen und Höhlen freizulegen und das in der 
Ernährung gestörte Gewebe (Muskel- un-d Faszienfetzen, 
Knochensplitter u. a.) zu entfernen. Diese Forderung besteht voll¬ 
kommen zu Recht und hat sicher viele vor der tödlichen Infektion 
gerettet. Viele Chirurgen gingen aber rasch weiter und entfernten 
nicht nur das in der Ernährung gestörte Gew r ebe, sondern 
sie schnitten auch alles verdächtige Gewebe aus, bis die Wundhöhle 
überall frisch blutete. Bei Knocbenzertrümmerungen entfernten sic 
alle Splitter und glätteten die vorstehenden scharfen Enden der 
Bruchstücke. 

Friedrich hat als Erster das Ausschneiden der Wunden und 
primäre Naht empfohlen und experimentell begründet. Er wendete 
dieses Verfahren aber nur bei Weichteiiwmnden innerhalb der ersten 
6 Stunden nach der Verletzung an. Die Erfolge, welche man damit 
erzielen kann. sind, wie jeder weiss, sehr gute. 


Nr. 30. 

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Gck igle 


So berechtigt es ist, sicher abgestorbenes Gewebe zu entfernen, 
so verwerflich ist es nach meiner Ansicht, bei Knochenschussbrüchen 
die Wunde irn Gesunden auszuschneiden und besonders Knochensplitter 
vollständig wegzunehmen. Darauf hat besonders Perthes auf dem 
Kriegschirurgentag in Heidelberg im Januar 1916 hingewiesen und 
Gu le k e berichtete dort von einem Lazarett, in welchem der leitende 
Chirurg grundsätzlich alle Knochensplitter entiernte und in dem er 
•bei 20 so behandelten ObersehenkelschussbrLiehen ebensoviele Pseud- 
arthrosen sah. Ein radikales Wundaiissclineiden ist übrigens bei 
Knochenzersplitterimgen meist unmöglich, wenn man nicht gleichzeitig 
die Nervenstämme und Hauptgefässe mitnehmen will. 

Alexander Frankel sagte bei der Fcldärztlicheu Tagung der 
2. Armee in Lemberg im Februar 1917: „Die Wundrevision geht zu 
weit, wenn sie bei den Schussbrüchen der Gliedmassen alle freien 
Knochensplitter autsueht. um sie als vermeintliche Infektions¬ 
träger zu entfernen. Denn nicht nur, dass damit wertvolles Material, 
das zur späteren Konsolidation des Knochenbruches von grosser Be¬ 
deutung ist, unwiederbringlich verloren geht und derlei Schuss¬ 
brüche unter kunstgerechter Ruhigstellung sich selbst überlassen bei 
zumeist rein lokal beschränkter Reaktion ausheilen, bringen solche 
Eingriffe, die in der Absicht ausgeführt werden, der Infektion vorzu¬ 
beugen. in hohem Grade die Gefahr mit sich, infektiöses Virus in die 
Wunde hineinzutragen und den Uebertritt von in der Wunde schon 
befindlichem „schlummerndem“ Virus irr die Blut- und Lymphbalin 
geradezu herauizubeschwören. Mir sind solche Fälle, wo dies augen¬ 
scheinlich Schlag auf Schlag erfolgte und die zur Pyämie führten, 
genugsam bekannt geworden. Speziell bleibt mir der Eindruck un¬ 
vergesslich, wo auf diese Weise direkt eine Tetanusimektion provo¬ 
ziert wurde. Ein leicht erklärlicher Mechanismus, wenn man bedenkt, 
dass die Feststellung von Tetanusbazillen in der Wunde, ohne dass 
es ztun Ausbruch des Tetanus kam, durchaus nicht selten ist. Ein 
Gleiches gilt auch von den Erregern der Gasphlegmorie und des 
malignem Oedems.“ 

Ich verfüge über ein grosses Material von Schussfrakturen, das 
deshalb einen beweisenden Wert besitzt, weil ich es nicht nur einige 
Tage zu beobachten Gelegenheit hatte, sondern weil ich es ausnahms¬ 
los bis zur festen Konsolidation behandelte. Ich habe bis jetzt 
374 Schussfrakturen behandelt und zwar 69 Oberschenkel, 92 Unter¬ 
schenkel, 122 Oberarme, 91 Vorderarme. Von diesen verlor ich bei 
streng konservativer Behandlung 7 Oberschenkel (4 an Sepsis. 3 an 
Nachblutung), 1 Unterschenkel (Tetanus) und 3 Oberarme (1 Gas¬ 
brand. 1 Tetanus und 1 Nachblutung), und war in keinem Fall ge¬ 
zwungen, eine Amputation auszufülircn. Nur in einem Fall kam es 
zur Bildung einer Pseudarthrose (steriler Oberschenkelbruch). Dabei 
heilten die meisten Frakturen ohne Verkürzung und mit guter Funk¬ 
tion. Der grösste Teil derselben wurde mit hohem Fieber, jauchenden 
Wunden und phlegmonöser Entzündung eingelietert. Trotzdem 
operierte ich am ersten Tage äusserst selten, auch nicht bei Steck¬ 
schüssen. Am häufigsten musste ich bei Obcrschenkelbrüchen ein« 
greifen, um Senkungsabszessc zu vermeiden. Bei Unterschenkel- 
brüchcn waren operative Eingriffe äusserst selten nötig, die meisten 
waren ohne Operation innerhalb der ersten 8 Tage fieberfrei. Die 
gleichen Erfahrungen machte ich bei Oberarm- und Vorderarm¬ 
brüchen. Die Splitterungszone war häufig 10—20 cm. einigemal sogar 
25 cm lang. Entfernt man bei solchen Fällen primär alle Knochen¬ 
splitter und glättet die Bruchenden, wie es von vielen gefordert 
wird, so muss man auch eine ebenso grosse Verkürzung bekommen, 
wenn die Bruchstücke überhaupt zusanimi nheilcn, gewöhnlich kommt 
es aber zur Pseudarthrose. Wenn man unter aseptischen Kamelen 
subperiostal einen Knochen entfernt, so wächst derselbe wieder nach. 
Werden aber bei einer vereiterten Schussfraktur alle Splitter vom 
Periost abgelöst und weggenommen, so ist das Periost von Eiter 
umspiilt und es kommt meist nicht mehr zur Neubildung von* Knochen. 
Alle Autor-en, welche Knochenschussbrüche behandelt haben, heben 
einstimmig hervor, dass es ganz erstaunlich ist. wie die meisten 
Splitter, wenn sie nicht entfernt werden, in den neugebildeten Kallus 
einwachsen und dass bei starker Splitterung das Festwerden des 
Bruches oft auffallend rasch erfolgt. Ich habe diesen Verhältnissen 
immer ein besonderes Augenmerk geschenkt und habe besonders bei 
Splitterbrüchen des Unterschenkels, bei welchen die Splitter häufig 
weithin frei liegen, gesehen, dass sich gewöhnlich nur ganz ober¬ 
flächliche Lamellen von den Bruchstücken ablösen auch von solchen, 
die recht lose in der Wunde sitzen, während die Hauptmasse der¬ 
selben einheilt. 

Ausser -den 374 Knochenschussbrüchen, die ich zu Ende be¬ 
handelte, habe ich an der Front mehrere Tausend frische Frakturen 
innerhalb der ersten Stunden nach der Verwundung zu sehen Ge¬ 
legenheit gehabt. -Es waren -darunter Zertrümmerungen schwerster 
Art, bei welchen es wegen gleichzeitiger Zerreissung der Getässe 
rasch zum Absterben des ganzen Gliedes kam. Von jenen Ver¬ 
letzungen, bei welchen die Gefässe erhalten waren, sah ich nur in 
den seltensten Fällen derartige Knochendefekte, dass eine nennens¬ 
werte Verkürzung daraus hätte entstehen können. Am ehesten kam 
dies noch vor bei einem der beiden Vorderarmknochen. Ganz anders 
sahen aber die Verwundeten aus, die ich weiter hinten zu Gesichte 
bekam und bei welchen die Knochensplitter operativ entfernt worden 
waren. Sie zeigten mitunter Knochendefekte bis zu 20 cm Länge 
und am meisten verstümmelt waren diejenigen, bei welchen nicht nur 
alle Knochensplitter weggenommen worden w ? aren. sondern bei denen 
die ganze Wunde gründlich im Gesunden ausgeschnitten worden w ar. 

3 

Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 


818 


Glücklicherweise waren -diese Fälle ziemlich selten. Die Wunden 
sahen zwar rein aus aber für die künftige Funktion boten sie ein Bild 
der Verwüstung, wie sie ein feindliches Geschoss niemals zu erzeugen 
imstande ist, wenn es eben nicht das ganze Glied so zertrümmert hat, 
dass es nicht mehr lebensfähig ist. Interessant war die Beobachtung, 
dass in Zeiten grösserer Kampfhandlungen die Verwundeten häufig 
mit dem ersten Verband in meiner Abteilung ankamen oder nur mit 
kleinen Einschnitten. Sie boten für die Funktion eine viel bessere 
Prognose als jene Fälle, welche in Zeiten der Ruhe gründlich im Ge¬ 
sunden ausgeschnitten worden waren. Bei diesen letzteren war die 
Heilungsdauer immer viel länger und der Enderfolg doch schlecht, 
denn das weggeschnittene Gewebe lässt sich nicht mehr ersetzen. 

Ich habe auch Gelegenheit gehabt Hunderte von Pseudarthrosen 
zu sehen und bei der Anamnese stellte sich bei den meisten heraus, 
dass kürzere oder längere Zeit nach der Verwundung eine Operation 
vorgenommen worden war, um die Knochensplitter zu entfernen. 
Wenn es bei radikal operierten Fällen trotz der Wegnahme der Splitter 
doch zur Konsolidation kam, so war der Kallus so schwach: dass es 
bei der geringsten Gewalteinwirkung zur neuerlichen Fraktur kam. 
Es ist mir besonders ein Fall von radikaler Wundexzision in Er¬ 
innerung, bei welchem eine 7,5-cm-Granate den linken Unterschenkel 
getroffen hatte. Das Schienbein wurde dabei gesplittert und die Haut 
in der Umgebung der Wunde gequetscht. Der Fall wurde laut 
Anamnese der primären radikalen Wundexzision unterzogen. Alle 
Knochensplitter wurden entiernt, das obere und untere Bruchende 
glatt gemeisselt, die gequetschte Haut und die Muskeln gründlich 
ausgeschnitten. Das Wadenbein blieb erhalten. Nach der Operation 
war zwischen dem unteren und oberen Schienbeinstück eine 7 cm 
lange Lücke. Das untere Schienbeinfragment war nur 3 cm hoch. 
Die Haut fehlte in einer Länge von 10 cm und in einer Breite von 
7 cm. Die Wunde sah bei der Einlieferung 12 Tage nach der Ope¬ 
ration vollkommen rein aus. In dieser Zeit haben sich aber die 
Wunden auch ohne Operation meist gereinigt. Ohne Operation wäre 
dieser Fall wahrscheinlich ohne Verkürzung ausgeheilt. Jetzt wird 
nichts anderes übrig bleiben, als das Wadenbein zu resezieren und 
auf diese Weise die beiden Schienbeinenden aneinanderzubringen. Es 
entsteht dadurch eine Verkürzung von 7 cm. Die Einpflanzung eines 
Knochenstückes in den Schienbeindefekt ist unmöglich, denn ein 
transplantierter Knochen kann nur einheilen, wenn er von guten 
Weichteilen bedeckt ist, diese wurden aber bei der Operation eben¬ 
falls entfernt. Eine Wiederherstellung derselben durch eine Lappen¬ 
plastik ist am unteren Ende des Unterschenkels ebenfalls ausge¬ 
schlossen. 

Nach meinen Erfahrungen dürfen Knochensplitter bei Schuss¬ 
frakturen n i e entfernt werden, denn dieser Eingriff bedeutet immer 
eine schwere Verstümmelung des Verwundeten. Auch die 
über der Bruchstelle liegende Haut muss soviel als möglich geschont 
werden, um die Knochensplitter nicht freizulegen. Viele phlegmonöse 
Prozesse gehen bei guter nie unterbrochener Ruhigstellung von selbst 
zurück und wenn dies nicht der Fall ist. lassen sie sich meist durch 
kleine Einschnitte beherrschen, wenn diese nach vorhergehender Aus¬ 
tastung anatomisch richtig angelegt sind. Auch bei Fällen, bei w elchen 
bakteriologisch Gasbranderreger nachgewüesen worden waren, kam 
ich mit kleinen Einschnitten aus. In einem guten Streckverbande 
legen sich die Knochensplitter meist an ihre richtige Stelle und hem¬ 
men den Eiterabfluss nicht. Bei Weichteilschüssen, besonders bei 
jenen der unteren Gliedmassen wird man viel häufiger zum Eingreifen 
gezwungen sein, denn bei diesen kommt es oft zu kleinen Einschüssen 
in der Haut und derben Faszie, während in der Tiefe die Muskeln 
stark zertrümmert sind. In solchen Fällen muss die Haut und Faszie 
gespalten werden, um Abfluss zu schaffen. Bei Knochenbrüchen habe 
ich nur selten ähnliche Verhältnisse gesehen. Ich habe hier auch bei 
Steckschüssen nur seUen operiert und habe doch gute Erfolge er¬ 
zielt. Die Sterblichkeit betrug 2.94 Proz., die Zahl der Amputationen 
war 0. die Zahl der Pseudarthrosen 0.26 Proz. Perthes hat in 
seiner Statistik ,5,43 Proz. Todesfälle, 4,35 Proz. Amputationen und 
1.74 Proz. Pseudarthrosen. Auf Grund meiner guten Erfahrungen mit 
möglichst konservativer Behandlung wage ich in unserer radikalen 
Zeitrichtung die Behauptung aufzustellen, dass der Arzt unter keiner 
Bedingung das Recht hat. bei einer Schussfraktur die Knochensplitter 
zu entfernen. Bei manchen Aerzten ist dieses Entfernen von K** hen- 
splittern, das sie fälschlicherweise Sequestrotomie nennen (Sequester 
bilden sich aber erst nach Wochen) zu einer förmlichen Manie aus¬ 
geartet und sie verschonen nicht einmal fieberfreie Fälle. Als Beispiel 
dafür möchte ich nur anführen, dass ein Arzt, dem ich einen aseptisch 
geheilten Splitterbruch des Oberschenkels zeigte, der trotz einer 
Splitterungszone des Knochens von 14 cm Länge in 8 Wochen mit 
voller Funktion geheilt war (er hatte keine Verkürzung, konnte schon 
ohne Stock gehen und tiefe Kniebeuge machen), mich beim Anblick des 
Röntgenbildes mit den zahlreichen kleinen Splittern fragte, wann ich- 
bei diesem Verwundeten die Splitter entfernen werde. Der Frage¬ 
steller war ein Chirurg, der grundsätzlich jeden Knochenschussbruch, 
auch wenn er nicht fieberte, operativ freilegte, um alle Splitter zu 
entiernen und es nicht glauben wollte, dass ein Knochensplitter über¬ 
haupt einheilen kann. 

Die Forderung G a r r e s, dass alles in der Ernährung ge¬ 
störte Gewebe entfernt werden soll, besteht zu Recht, aber darüber 
hinaus darf man nicht gehen. Bei Knochensplittern kann man im vor¬ 
hinein nie entscheiden, ob sie lebensfähig sind oder ob sie absterben 
werden und wieviel von ihnen absterben wird. Dies lässt sich erst 

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nach Wochen ieststellen und dann ist es die Aufgabe einer Sequestro¬ 
tomie, die abgestorbenen Splitter zu entfernen. Bei guter, nie unter¬ 
brochener Ruhigstellung sieht man trotz Eiterung auch vollkommen von 
der Knochenhaut losgelöste Splitter w ieder einheilen, wenn dem Eiter 
genügend Abfluss geschafft wird und wenn chemische und mecha¬ 
nische Schädigungen, besonders in Form von antisöptischen energischen 
Spülungen ferngehalten werden. Es ist unsere Aufgabe, nicht nur 
möglichst viele Leben und Glieder zu erhalten, sondern auch dafür 
zu sorgen, dass diese Glieder wieder brauchbar werden. Die radikale 
Entfernung aller Knochensplitter bedeutet aber immer eine schwere 
Verstümmelung des Verwundeten, uie häufig einer Amputation sehr 
nahe kommt oder diese später noch notwendig macht. 

Bei Gelenkschüssen verfuhr ich ebenso konservativ w'ie bei 
Schussfrakturen. Ich habe ein Schultergelenk wegen starker Splitte¬ 
rung des Oberarmkopfes und hohem Fieber reseziert, aber das im An¬ 
schluss daran auftretende Schlottergelenk erschreckte mich derart, 
dass ich bei den folgenden Fällen, auch wenn beide Gelenksenden 
zertrümmert waren, versuchte, ohne Resektion auszukommen. Mit 
Ausnahme des Kniegelenkes gelang mir dies auch immer durch gute 
Drainage und absolute nie unterbrochene Ruhigstellung. 

Lange schreibt im Lehrbuch der Orthopädie, dass in den 80er 
Jahren eine grosse Operationsfreudigkeit auf orthopädischem Gebiete 
geherrscht habe und dass besonders wegen Tuberkulose viele Gelenke 
reseziert wurden, dass aber die Erfolge wenig erfreu'iche waren, weil 
die so Behandelten derartige Verkürzungen davontrugen, dass sie 
weder gehen noch stehen konnten. Ich fürchte, dass es bei den üe- 
lenkschiissen ebenso sein wird und ich habe auch zahlreiche Ver¬ 
wundete gesehen, bei welchen monatelang nach der ausgiebigen Re¬ 
sektion der periphere Gliedabschnitt nur als lästiges Anhängsel an 
einem grossen Hautsack herumbaumelte. Leider zeigen diejenigen, 
welche die Resektion empfehlen und häufig schon nach 2 tägigem 
Fieber ausiühren, nie funktionelle Resultate, sondern geben- sich da¬ 
mit zufrieden, dass sie. wie sie rühmend hervorheben, das Leben und 
das Glied des Verwundeten gerettet haben. Aber das Glied hat nur 
dann einen Wert, wenn es später wieder gebraucht werden kann, 
und das Leben kann man durch weniger eingreifende Massnahmen 
auch retten. W enn man Gclenkschiisse absolut ruhigstellt und, wor¬ 
auf das Hauptgewicht zu legen ist. diese Ruhigstellung nie unter¬ 
bricht. und im Bedarfsfälle am tiefsten Punkte diainiert. w r ird man 
meist ohne die verstümmelnde Resektion auskommen. 

Ich habe bis jetzt 109 Gelenkschüsse behandelt, und zwar 
15 Schultern (12 infiziert und 3 steril), davon 1 Fall reseziert; 29 Ell¬ 
bogen (21 infiziert und 8 steril), davon 2 Fälle teilweise reseziert und 
beide mit rechtwinkliger Ankylose ausgeheilt; 1 Hüftgelenk (infiziert): 
42 Kniegelenke (27 infiziert und 15 steril), davon 3 Fälle gestorben 
(1 im Anschluss an eine Aufklappung, die einzige, die Jch vor¬ 
genommen habe, und 2 innerhalb der ersten 24 Stunden mach der 
Aufnahme an Entkräftung ohne besondere Behandlung). 3 Fälle ampu¬ 
tiert wegen gleichzeitiger Zersplitterung des Oberschenkels auf mehr 
als 10 cm Länge, 1 Resektion (Entfernung der vollkommen zer¬ 
splitterten unteren Oberschenkelepiphyse); Sprunggelenke 22 (15 in¬ 
fiziert und 7 steril), davon wurde 1 Fall amputiert, und zwar 3 Monate 
nach der Verwundung, weil kein knöcherner Halt mehr vorhanden 
war. da ein grosser Granatsplitter alle Fusswurzelknochen und 11 cm 
vom Schienbein zersplittert und zum grössten Teil weggerissen hatte. 

Die Gesamtmortalität betrug also nicht einmal 3 Proz.. überdies 
waren von diesen 3 Todesfällen 2 gleich nach der Aufnahme gestor¬ 
ben. Die Zahl der Amputationen ist 4. und zwar wurden 3 Knie- und 
1 Sprunggelenk amputiert. Diese kurzen statistischen Angaben dürf¬ 
ten, wie ich glaube. Bew eis genug dafür sein, dass man bei absoluter, 
nie und unter keinen Umständen unterbrochener Ruhigstellung auch 
ohne Resektion und mit Ausnahme der ausgedehnten Kniegelenks- 
zertrümmcrungen auch ohne Amputation auskommen kann, ohne des¬ 
halb die Verwundeten der tödlichen Sepsis zu überliefern. 


lieber die Naht frischer Amputations- und Geienkwunden 
nach Schussverletzungen. 

Von Oberarzt d. Res. Dr. med. Hermann Kehl, Assistent 
der chirurgischen Universitätsklinik Marburg. 

Im Laufe der Jahre meiner kriegschirurgischen Tätigkeit im 
Felde ist es mir zur Gewohnheit geworden, an den durch Geschosse 
gesetzten Verletzungen von Extremitäten primär keine Hautnähte zu 
machen, auch wenn eine sorgfältige Ausschneidung der Wunde noch 
innerhalb kurz verstrichener Zeitspanne seit der Verwundung statt¬ 
finden konnte. 

Man würdigt diesen prinzipiellen Grundsatz, immer mehr, wenn 
man bei der Uebernahme von Patienten, sei es bei Lazarettablösungen, 
sei es bei vom Hauptverbandplatz eingelieferten Verwundeten, ge¬ 
legentlich sauber ausgeschnittene, mit exakt aneinander gelegten 
Hautw r undrändern, durch eng gelegte Knopfnähte iest verschlossene, 
frische Amputationswunden antrifft, in deren untersten Wundwinkel 
ein Gazedocht, durch die letzte Naht eingeschniirt. vorliegt. Unter 
der Vorstellung, dass innerhalb 6 Stunden nach der Verletzung noch 
alles kranke Gewebe ausgeschnitten werden kann, wird zu solchen 
Massnahmen geschritten. Man kann aber einer frischen Extremi¬ 
tätenwunde nicht ohne weiteres anseheti, was sich vom Gewebe 
erhalten und w as sich abstossen wird. Man kann sich auch nicht auf 

* 

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23 . Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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cie Angabe des Verwundeten über die Zeit der Verwundung verlassen 
in den Fällen, wo es sich um genaue Stundenangaben handeln, soll. 
Schliesslich muss berücksichtigt werden, dass in zerschmetterten 
Gliedern die Infektion, ich denke z. B. an den Fraenkel sehen Gas- 
baziüus. in Bruchteilen einer Stunde, unter Umständen weit über eine 
Extremität, sichtbar fortschreiten kann. 

Ich habe Wiederholt Fälle gesehen, die auf dem Hauptverband¬ 
platz wegen starker Zertrümmerung der Extremität, „im Gesunden“, 
also wahrscheinlich ziemlich hoch über der Wunde, friedensmässig 
amputiert und primär vernäht wurden. Solche Leute kamen elend, 
mit irequentem, kleinem Puls im Feldlazarett an, mit sauberem Ver¬ 
band. der immer aui primäre Wundnaht verdächtig ist. Nimmt man 
den Verband ab, so ist der vorliegende, vernähte Stumpf äusserst 
schmerzhaft, durch Oedem oder Gas prall aufgetrieben, meist ist auch 
schon eine Farbveränderung der Haut zu erkennen. Vielleicht ist 
dann der Patient noch durch eine höher angesetzte Nachamputation 
zu retten, häufig genug stirbt er bald nach diesem zweiten Eingriff. 
Ich habe keinen Fall mit derart versorgter Wunde gesehen, die nicht 
wieder hätte aufgetrennt werden müssen. 

Nachfolgende Krankengeschichte möge die Folgen solcher be¬ 
denklicher Massnahmen veranschaulichen: 

Musk. A. am 5. IX. 17 6 Uhr früh verwundet; am 7. IX. 17 1 Uhr 
mittags auf H.V.P., im unteren Drittel des rechten Unterschenkels 
amputierj. Laut Wundtäfelchen ist die nächste Wundversorgung am 
^. oder 10. September im Korpsbezirk“ erforderlich. (Auf Grund 
d.cser Notiz und mit Rücksicht darauf, dass Patient erst mittags .1 Uhr 
ir. Narkose operiert worden war, hatte ich am 7. IX. abends bei seiner 
Lazarettaufnahme keine Veranlassung den Verband zu erneuern.) Am 
8. September mittags, nachdem sich Patient am Vormittag noch ganz 
wohl befunden hatte, klagt er über Schmerzen in der linken Gesäss- 
häifte. Der sofort vorgenommene Verbandwechsel zeigt, dass die 
Hau: über der Amputationswundfläche vernäht worden ist. Der 
Amputationsstumpf ist bis zum Knie hinauf prall ödematös ge¬ 
schwollen. Kein Gasknistern. In der Gegend der linken Kreuzbein- 
iugt. :m Ansatzbereich des Muse, glutaeus max. findet sich eine sehr 
druckempfindliche, umschriebene Schwellung. Die in Narkose aus- 
geiührte Probeinzision der Weichteile des vernähtem Stumpfes ergibt 
ödematöse Durchtränkung des subkutanen Fettgewebes, ferner blass- 
graugrüne Muskulatur, die beim Einschneiden nicht zuckt. Absetzung 
des Beines im Kniegelenk. Kreuzschnitt über der linken Gesäss- 
schwellung. Haut und subkutanes Gewebe sind o. B., dagegen' zeigt 
d e Muskulatur nahe dem Knochenansatz dieselbe Veränderung, wie 
d'.e Wadenmuskulatur. In beiden Wundgebieten findet sich nirgends 
Eiter. Patient konnte 10 Tage mach den Operationen in gutem All¬ 
gemeinzustand abtransportiert werden. 

Nach dem klinischen Bild handelt es sich mit an Sicherheit 
grenzender Wahrscheinlichkeit um lebhafte Anaerobenentwicklung in 
dem vernähten Stumpf und eine Metastasierung der Keime in die linke 
Giutäahnuskulatur. Seither nahmen sämtliche ohne Eiterung einher- 
geheiiue Anaerobenmetastasierungen einen tödlichen Verlauf. Es war 
ein Glück, dass das sich entwickelnde Krankheitsbild so rasch seine 
richtige Deutung erfahren konnte. Durch den radikalen Eingriff an 
beider, oben bezeichneten Körperstellen war es möglich, die drohende 
Oerahr abzuwenden und den Patienten am Leben zu erhalten. Ich 
stehe aber nicht an, zu behaupten, dass der Patient durch die Ver- 
nähung des Amputationsstumpfes in ^diesen lebensgefährlichen Zustand 
\ ersetzt wurde. 

Unter dem Eindruck solcher Bilder, die Jahr für Jahr und an 
den verschiedensten Kampfschauplätzen sich mir immer einmal wieder 
carboten. behandelte ich anfangs auch die Gelenke, wenn sie durch 
Oraratsplitterverletzutigen geschädigt waren, als infizierte Wunden. 
Das irisch verletzte Gelenk wurde nach allen Seiten weit eröffnet, 
weniger in der Absicht, den Splitter zu suchen, als vielmehr in der 
Hoffnung, auf diese Art am ehesten der schweren Gelenkinfektion vor- 
ztbeugen und den sich bildenden Wundsekreten günstige Abfluss- 
btdingungen zu bieten. Meist mussten die Patienten weitertranspor- 
*. er: werden und es ist mir leider nicht bekannt geworden, was aus 
innen geworden ist. diejenigen, welche ich weiter verfolgen konnte, 
machten meist ein schweres Krankenlager durch. Die Gelenke ver- 
e terten. periartikulär entstanden Abszesse und wenn sie auch teil¬ 
weise mit Versteifung zur Ausheilung kamen, so musste doch in 
anderen Fällen reseziert und amputiert werden. 

Gegen solchen häufigen Verlauf bedeutet auch folgender Glücks- 
fah nichts, wie ich ihn in meiner Feldtätigkeit allerdings nur in diesem 
t uen Falle erlebte: 

Ein Verwundeter kommt sitzend transportfähig ins Lazarett. 
Der hnsengrosse Einschuss der linken Knieaussenseite wird erweitert, 
der Schusskanal führt in das Gelenk, wo der kleinerbsengrosse Splitter 
in einer Synovialfalte verhakt sass. Der Splitter wurde entfernt, die 
Kapsel vernäht und 3 Wochen später trat Patient mit vollkommen 
beweglichem Kniegelenk einen 14tägigen Erholungsurlaub an. Auch 
für ihn gilt die Krankheitsbezeichnung: „Granatsplittersteckschuss 
ilckes Kniegelenk“. 

Eine Wandlung in dem wenig hoffnungsvollen Schicksal der 
Gelenkverletzungen und besonders der Kniegelenkverletzungen trat 
ein. als die Naht der Gelenkkapsel nach vorausgegangener Gelenk- 
spültmg zur Ausführung kam. Klose (Med. Klin. 1916 Nr. 53) stützt 
sch auf die Friedrich sehe Sechsstundeninfektionslatenzfrist, er 
st auf seinem Hauptverbandplatz ausnahmslos ohne Röntgenapparat 
cer Splitter habhaft geworden, nachdem er mit breitbasigem Bogen- 

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schnitt das Kniegelenk auigeklappt hat. Der Verschluss des Ge¬ 
lenkes erfolgte durch primäre Naht. Ich habe mich zu solchem Vor¬ 
gehen nie entschlossen können und mich darauf beschränkt, den 
Patienten gut geschient baldigst einer chirurgischen Station zuzu- 
führen, wo ein Röntgenapparat zur Verfügung stand. Wenn der 
Patient so auch erst etwa 24 Stunden später in operative Behandlung 
kam, so war für ihn noch nichts verloren, wie ich mich persönlich 
bei Besuchen der rückwärtigen Kriegslazarette überzeugen konnte. 
Der Patient hatte aber den Vorteil, unter denkbar günstigen Um¬ 
ständen operiert zu werden. Konnte ich selbst unter Berücksichtigung 
des Röntgenbefundes operieren, so kamen zwei Operationsmethoden 
für die primäre Versorgung der Verletzung in Betracht: 

1. Gelenksehuss ohne Knochenverletzung — Reinigung des Ge¬ 
lenkes mit Entfernung des Geschosses und Gelenkkapselnaht. 

2. Gelenksehuss mit Knochenverletzung — teilweise oder voll¬ 
ständige Resektion ohne Naht. 

Bei den Gelenkschiissen ohne Knochenverletzung wird in Narkose 
und ohne Blutleere zunächst der Schusskanal ausgeschnitten, danach 
wird die Gelenkkapsel wunde erweitert. Handelt es sich um Steck¬ 
schüsse, so muss das Geschoss entfernt werden. Nur wenn der 
Splitter tief im Knochen eingekeilt sitzt, kann man hoffen, dass er 
einheilt. Ist die Gelenkhöhle genügend eröffnet, so muss eine reich¬ 
liche Durchspülung vorgenommen werden, bis die Spülflüssigkeit klar 
abfliesst. Der erweiterte Ein- oder Ausschuss gestattet auch grössere 
Blutgerinnsel, die durch eine weite Punktionskanüle nicht abfliessen 
können, sicher zu entfernen. Danach fortlaufende Katgutnaht der 
Kapsel. Weichteile und Haut w erden nicht genäht, sondern Jodoform¬ 
gaze in den Wundspalt eingelegt. Es ist zw'eckmässig die Kapsel fort¬ 
laufend zu nähen, da in den meisten- Fällen nach der Operation ein 
Erguss ins Gelenk entsteht. Bei Knopfnähtem, die in einem Falle 
zum Verschluss der Kapsel gelegt w urden, kam es zum Ueberfliessen 
des Gelenkes. Zum Glück infizierte sich der reichlich abfliessende 
Gelenkinhalt nicht, so dass eine Ausheilung des Gelenkes mit Beweg¬ 
lichkeit doch noch möglich wurde. Das Zurückgehen des Gelenk- 
ergusses wird durch häufig gewechselte, kalte Umschläge, die vom 
Patienten sehr angenehm empfunden werden, bewirkt. Selbstver¬ 
ständlich ist auch hier von der Dakinlösung Gutes zu erwarten, beruht 
doch ihre vielgepriesene Wirkung in der Hauptsache auf den altge¬ 
schätzten Eigenschaften jedes feuchten Verbandes. 

ln der Annahme, dass bei derr Gelerikspülungen der desinfizieren¬ 
den Eigenschaft der Spülflüssigkeit grosse Bedeutung beizumessen sei, 
wurde anfangs 3 proz. Karbolsäurelösung verwandt und unbedenklich 
vor der Kapselnaht ein Rest in der Gelenkhöhle zurückgelassen. Die 
primäre Kapselheilung gelang auch bei schwächeren Konzentrationen 
und als ich die Bemerkung von Heddaeus (Bruns Beitr. 105. S. 232) 
las, dass er mit gutem Erfolg Dakimlösung zur Gelenkspülung ver¬ 
wendet und ich mich selbst bei einem Fall von Kniegelenkverletzung 
ohne Knochenbeschädigung durch Granatwirkung, nach ausgiebiger 
Dakinspiilung des Gelenkes von ihrer Wirksamkeit als Spülflüssigkeit 
überzeugen konnte, war es mir nicht mehr zweifelhaft, dass derselbe 
Erfolg auch mit physiologischer Kochsalzlösung zu erreichen sei. 

Ich w ill damit sagen, dass bei den Spülungen der Gelenke das 
Ausw-aschen. als das mechanische Moment, wie auch in der Peritonitis¬ 
behandlung, die Hauptsache ist und der bakteriziden Wirkung der 
Flüssigkeit für den vorliegenden Zweck nur eine untergeordnete 
Rolle zuzuschreiben ist. 

Ausser anderen Fällen ohne Knochenverletzung konnte ich durch 
die Kochsalzspülung des Gelenkes auch einen Fall zur Ausheilung 
bringen, der durch Knochenverletzung kompliziert war und bei dem 
der Erfolg, wie bei allem solchen Fällen, für die erste Zeit nach der 
Operation zweifelhaft sein konnte. 

Musk. M. wurde am Tage vor der Operation, am 5. VII. 17, 5 cm 
unterhalb des Akromions in der Mitte der rechten Schulterwölbung 
durch Granatsplitter verwundet. Einschuss markstückgross in ge¬ 
schwollener Weichteilumgebung. Kein Ausschuss. Das Röntgenbild 
zeigt bis in die Gelenkfläche des Humeruskopfes reichende Oberarm- 
knochenabsprengumg. Der Granatsplitter steckt in Höhe der Achsel¬ 
falte wahrscheinlich im Bereich der Schultermuskulatur. In Narkose 
Ausschneiden der Einschusswunde. Taubeneigrosse Knochentrümmer¬ 
höhle, bis in das Gelenk reichend, ohne Zerschmetterung des Kopfes. 
Auskratzen der Knochenhöhle mit scharfem Löffel. Der Schusskanal 
führt durch das eröffnete Schultergelenk nach nochmaliger Gelenk- 
kapseldurchschlagung in die Schulterblattmuskulatur, wo der Granat¬ 
splitter nach Gegenimzision am hinteren 1 Deltoideusrande aus dem 
Teres minor entfernt wird. Ausgiebige Gelenkdurchspülung mit phy¬ 
siologischer Kochsalzlösung. Naht der hinteren Schultergelenkkapsel- 
w'unde. Verschluss der vorderen Kapselwunde durch Andrücken der 
Kapsel an den Gelenkknorpel mit Jodoformgazetampom, da Kapselnaht 
wegen Substanzverlust nicht möglich. Triangel verband. Pat„ der 
mit 38,5° operiert wurde, war am 2. Tage nach der Operation fieber¬ 
frei. Er blieb 6 Wochen unter Beobachtung; eine Infektion des Ge¬ 
lenkes trat bei reaktionslosem Heilverlauf der Wunden in dieser Zeit 
nicht ein. 

Aber nicht in allem Fällen gelingt es, durch die Naht das Gelenk 
primär zur Heilung zu bringen und dadurch die Wiederherstellung 
einer umfangreichen Gelenkfunktion zu erlangen. Tritt trotzdem 
Eiterung ein, so ist der Patient bis dahin noch, nicht gegen früher 
im Nachteil, denn mit dem Anlegen der Gelenkinzisionen beginnt erst 
das Stadium, mit dem seine Wundbehandlung früher anfing. Die 
Vereiterung tritt leichter ein, w'ernn Knochensprünge vorliegen, z. B. 

Original from 

UNtVERSITY OF CALIFORNIA 




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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 


auch bei Verletzung der Kniescheibe. Es sind dies die Grenzfälle, die 
zwischen den beiden obengenannten Gruppen von Gelenkverletzungen 
stehen. Ist der Knochen nur geringgradig verletzt, zeigt er nur einen 
Sprung oder ist ein kleiner Granatsplitter, ohne Zertrümmerung aus- 
zuiiben, tief in den Knochen eingetrieben, so kann man nach Gelenk- 
spiilunä das Gelenk nähen und dann abvvarten. wie in dem oben mit¬ 
geteilten Fall M. 

Grössere Knochenverletzungen, und damit wird die zweite Gruppe 
der Gelenkverletzungen charakterisiert, erfordern aber die sofortige, 
teilweise oder totale Resektion des Gelenkes ie nach dem Umfang 
der Zertrümmerung. In den spongiösen Knochentrümmern, mit ihren 
zahllosen Buchten, kann man mit keinem chemischen oder physikali¬ 
schen Mittel der Infektion beikommen, hier muss sofort radikal alles 
zertrümmerte Gewebe zur Schaffung glatter und übersichtlicher 
Wundverhältnisse entfernt werden. Damit werden dem Patienten, wie 
dem Arzte, bange Tage und Wochen erspart, während deren bei 
dauernd hohem Fieber und fortschreitender Wundeiterung der Kräite- 
vorrat des Patienten verzehrt wird und schliesslich ganz unmerklich 
nicht mehr der Kampf um die Erhaltung der Extremität, sondern um 
die Erhaltung des Lebens geht, das in dem vorgeschrittenen Stadium 
oft auch durch Amputation, wenn man sie dem Patienten noch zu¬ 
muten darf, nicht mehr erhaltet# werden kann. 

Nach diesem letzten Schema sind auch die vereiterten Gelenke 
behandelt worden, auch wenn anfangs keine Knochenverletzung vor¬ 
lag. Einige Tage kann man dem Eiterungsprozess wohl Zusehen. 
Tritt aber nicht bald Besserung und Temoeraturabfall ein. so zaudere 
man auch hier nicht mit Resektion und Amputation, um wenigstens das 
Leben des Patienten zu retten. 


Zur Behandlung der Fusswurzelschüsse. 

Von Dr. H. Krukenberg in Elberfeld. 

Die Behandlungsresultate der Fusswurzelschüsse sind, wenn man 
den Angaben der einzelnen Operateure Glauben schenken darf, nicht 
gerade glänzende. Es gibt kaum eine Körperstelle, an der es so 
schwer wäre, der Infektion Herr zu werden, wie die Fusswurzel. 
Die Synovialspalten der kleinen Fusswurzelknochen stehen von 
straften Bändern umgeben in den mannigfachsten Verbindungen mit¬ 
einander, die dem infektiösen Material zahlreiche Schlupfwinkel 
bieten. Meist sind nicht nur eine, sondern mehrere der die Fuss¬ 
wurzelknochen verbindenden vielgestaltigen Gelenkkapseln verletzt 
und damit die mannigfachsten Wege für die Infektion geöffnet. Daher 
kommt es, dass wir im Felde so häufig zu der Amputation nach 
Pirogoft oder zur Amputation dicht über dem Fussgelenk ge¬ 
nötigt sind. Die übliche 'The¬ 
rapie sucht den Herd der Ver¬ 
letzung und der Infektion durch 
atypische Erweiterung der 
Wunden und Entfernung der 
zertrümmerten Knochenmassen 
möglichst freizulegen. Dadurch 
werden oft weit klaffende 
tunnelartige Kanäle in der 
Fusswurzel gebildet, die den 
Heilverlauf komplizieren und 
doch die einzelnen Gelenk¬ 
spalten nicht genügend f rei¬ 
legen. Die verschiedenen Me¬ 
thoden der Fussgclenksresek- 
tion eröffnen nur das Talo- 
kruralgelenk und ergeben nur 
nach ausgiebiger Knochen¬ 
resektion einen genügenden 
Abfluss der Wundsekrete. 

Ich bin deshalb bei schwe¬ 
ren Artillerieverletzungen der 
Fusswmrzel zu dem folgenden 
eingreifenderen Vorgehen über- 
gegangen, das mir nach den 
bisherigen Erfahrungen die In¬ 
fektion weit sicherer zu be¬ 
herrschen scheint als die bis¬ 
herigen Methoden: 

Ich verbinde durch einen queren seitlichen Steigbügelschnitt die 
Einschussöffnung mit der Ausschussöffnung resp. lege bei Steckschuss 
den Schusskanal durch einen queren Schnitt vollständig frei. Ob ich 
innen oder aussen vorgehe und den Schnitt mehr am Fussrücken 
oder an der Fusssohle anlege richtet sich nach der Lokalisation des 
Schusskanals. Liegt dieser mehr nach aussen, so lege ich einen 
äusseren Schnitt an, liegt er mehr nach innen, so mache ich einen 
inneren Querschnitt. Der Durchtrennung setzen im wesentlichen die 
starken Bänder an der Oberfläche des Fussskeletts einen Widerstand 
entgegen. Darauf wird der Fuss an der Stelle der Verletzung mög¬ 
lichst vollständig aufgeklappt, derart, dass bei äusserem Schnitt 
Klumptussstellung, bei innerem Schnitt extreme Valgusstellung ent¬ 
steht. Auf diese Weise ist eine vollständige Freilegung und genaue 
Besichtigung sämtlicher Wundspalten möglich. Nach ausgiebiger 

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Versorgung der Wunde wird die keilförmige VVundhölile lose aus¬ 
tamponiert und durch einen fixierenden Verband klaffend gehalten. 
Eventeil kann auch nach der dem Schnitt gegenüberliegenden Seite 
ein Drainrohr durchgezogen werden. Bei Schnitt an der Aussenseite 
müssen die Peronealsehnen durchtrennt und ihr zentraler Stumpf 
durch Situationsnähte fixiert werden. In einem Falle musste ich 
nachträglich die infizierten Scheiden der Peronealsehnen eröffnen. 
Bei Schnitt an der Innenseite habe ich in einem Falle den Haupt¬ 
ast der A. dorsalis pedis ohne Schaden durchtrennt. Eine genaue 
Schnittrichtung lässt sich nicht angeben, sie richtet sich nach der 
primären Verletzung, an der Innenseite entspricht sie etwa der Grenze 
zwischen Skaphoid und Keilbeinen, an der Aussenseite dem Kuboi- 
deum. Ihr Verlauf ist nicht immer ein vollständig querer, sondern 
häufig etwas schräg gerichtet, immer aber muss die Fusswmrzel an 
der Stelle der Verletzung zum Klaffen gebracht werden. Die Tam¬ 
ponade wird beim Verbandwechsel allmählich immer lockerer. Die 
Rücklagerung in die normale Stellung gelingt ohne Schwierigkeit und 
ohne Schmerzen. Die nebenstehenden Abbildungen zeigen nach 
photographischer Aufnahme die Stellung des Fusses während eines 
Verbandwechsels bei klaffender und zusammengelegter Wundhöhle. 
Nach dem Eingriff reinigt sich die Wunde unter Tempefaturabrall 
meist schnell. Ich verzichte dann sehr bald auf die Tamponade, 
der Wundspalt wird zusammengeklappt, worauf sich die Wundhöhle 
schnell schliesst und der Fuss eine normale Form annimmt. Ueber 
die definitive Funktion kann ich, da ich die Kranken infolge Abtrans¬ 
ports aus den Augen verlor, keine Angaben machen. 


Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten. 

Von Dr. Fritz Lenz. 

Nicht nur sozialhygienisch orientierte Aerzte. sondern auch 
viele Laien, welche erkannt haben, wie die sog. Geschlechtskrank¬ 
heiten am Marke unseres Volkes nagen, haben seit Jahren mit mehr 
oder weniger resignierter Bitterkeit gesehen, dass von Staats und 
Gesetzes wegen so gut wie nichts gegen diese verderblichen L'ebi-l 
geschah. Unter den Gesetzentwairren des Jahres 1918 findet sich nun 
endlich ein Anlauf zur Tat*). 

ln $ 2 des Entwurfes Nr. 1287 A heisst es: „Wer den Bei¬ 
schlaf a u s ii b t, obwohl er w e i s s oder den Um¬ 
ständen nach amiehinen muss, dass er an einer mit 
Ansteckungsgefahr verbundenen Geschlechts¬ 
krankheit leidet, wird mit Gefängnis bis zu drei 
Jahren bestraf t.“ In § 3 ward sodann die Fernbehand¬ 
lung und vor allem die Behandlung durch Kurpfuscher 
für Geschlechtskrankheiten und überhaupt alle Krankheiten der 
Geschlechtsorgane bei Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre oder Geld¬ 
strafe bis zu 10 000 M. verboten. In § 4 wird es verboten, Mittel, 
Gegenstände oder Verfahren zur Heilung oder Linderung von Ge¬ 
schlechtskrankheiten öffentlich anzupreisen oder auszustellen, ln 
$ 5 ward die schon in den meisten Bundesstaaten bestehende Be¬ 
stimmung, dass Prostituierte einer gesundheitlichen Beobachtung 
unterworfen und zwangsweise* behandelt werden können, für das 
ganze Reich vorgeschlagen. In § 6 wird eine Einschränkung 
des bisherigen Kuppeleiparagraphen vorgeschlagen; 
das blosse Gewehren von Wohnung an Prostituierte soll künftig 
nicht mehr strafbar sein, w-enn damit keine Ausbeutung und kein 
Anhalten zur Unzucht verbunden ist. Sodann soll auch die Pro¬ 
stitution ohne Polizeiaufsicht künftig nicht inehr strafbar sein, 
sondern nur Verstösse gegen die Ueberwachungsvorschriften. In 
§ 7 wird für Ammen ein ärztliches Gesundheits¬ 
zeugnis verlangt, das Stillen fremder Kinder durch syphilitische 
Personen und das Inpflegegeben syphilitischer Kinder an Personen, 
die nicht von der Krankheit benachrichtigt sind, verboten. 

In der Begründung des Gesetzentwurfes steht der bevöl¬ 
kerungspolitische Gesichtspunkt obenan; dieser kann daher 
auch in der kritischen Beleuchtung vorangestellt werden. 

Sehr begrüssensu r ert ist es, dass gegenüber dem gegenwärtigen 
Rechtszustande auch die blosse Ansteckungs g e f ä h r d u n g durch 
Beischlaf unter Strafe gestellt wird. An und für sich ist ja- die ge¬ 
schlechtliche Ansteckung auch nach den gegenwärtigen Körper¬ 
verletzungsparagraphen strafbar. Da aber in zahlreichen, ja den 
meisten Fällen der Beweis nicht absolut sicher erbracht werden kann, 
dass die Ansteckung wirklich durch den Täter erfolgt ist, kann nur 
selten eine Strafe ausgesprochen werden. Wenn nun aber ein ge¬ 
fährdender Beischlaf an sich schon strafbar ist, können die Schul¬ 
digen viel besser gefasst werden. Für günstig halte ich auch die 
Bestimmung, dass nicht die Gefährdung mit Ansteckung überhaupt, 
sondern nur die durch Beischlaf strafbar sein soll; für die fahr¬ 
lässige Ansteckung durch Hebammen, Aerzte. Friseure usw. reicht 
der Körperverletzungsparagraph aus. Bedenklich erscheint mir aber, 
dass der Entwurf ausschliesslich Gefängnisstrafe vorsieht und nicht 
für leichte Fälle, in denen eine wirkliche Ansteckung gar nicht erfolgt 
ist, es dem Richter überlässt, wahlweise auf Geldstrafe zu erkennen. 


*) Der Entwurf ist im Verlage voe C. Heyman n. Berlin W. % 
erschienen und für 90 Pfg. käuflich. 

Original fro-m 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Man male sich einmal die Folgen aus. Wer die menschliche Natur 
einigermassen kennt und wem die Augen aufgegangen sind über die 
unglückseligen Verhältnisse unserer Zivilisation, welche die meisten 
jungen Männer der gebildeten Stände während des Alters der 
grössten Intensität der geschlechtlichen Triebe zur Ehelosigkeit ver¬ 
dammen, der wird nicht erwarten, dass durch Strafandrohungen der 
uussereheliche Verkehr wesentlich eingeschränkt werde. Die Mehr¬ 
zahl aller jungen Männer erkrankt daher über kurz oder lang zum 
mindesten an Tripper. Ein sehr grosser Teil der Infizieiten aber 
bleibt auch nach dem Abklingen der eigentlichen Krankheit noch an¬ 
steckend; ja es ist überhaupt eine heikle Sache, nach einer einmal 
stattgehabten Infektion mit Tripper oder Syphilis die Ansteckungs- 
tähigkeit sicher auszuschliessen. Werden nun die Hunderttausende 
junger Männer, welche wissen, dass sic eventuell noch ans'teckend 
sein könnten, darum jedem geschlechtlichen Verkehr entsagen? Die 
Frage stellen heisst sie verneinen. Wenn der Entwurf in der vor¬ 
liegenden Form daher Gesetz werden würde, so würde ein sehr 
grosser Teil unserer Studenten, Offiziere, Kaufleute usw. der Ge¬ 
fängnisstrafe verfallen; sie würden in ihrem Berufe unmöglich werden 
und vielfach ganz auf die abschüssige Bahn geraten. Die Erpressung, 
welche auf diesem Gebiete schon heute eine grosse Rolle spielt, 
würde üppig ins Kraut schiessen; zahlreiche junge Männer und ihre 
ganz unschuldigen Eltern würden zur Verzweiflung getrieben 
werden. Ja, es ist durchaus nicht von der Hand zu weisen, dass 
durch das Unmöglichwerden standesgemässer Ehen der Bestraften 
der bevölkerungspolitische Erfolg ein höchst negativer wäre, zumal 
da der qualitative Gesichtspunkt für eine wirklich weitschauende 
Bevölkerungspolitik noch entscheidender ist als der bloss quantita¬ 
tive. Der Zweck einer Strafbestimmung ist doch nicht Rache aus 
sittlicher Entrüstung, sondern der Schutz des Staates und seiner 
Bürger. Ich will gewiss den ausserehelichen Geschlechtsverkehr 
nicht in Schutz nehmen; die Entrüstung darüber darf uns aber nicht 
zu Massnahmen hinreissen, von denen man nicht übersehen kann, 
ub sie dem wahren Wohl des Volkes nicht am Ende schädlich sein 
werden. 

Für durchaus angezeigt halte ich daher auch die Bestimmung 
des Entwurfes, dass Strafverfolgung nur auf Antrag eintreten soll; 
dadurch wird die Erpressung und unverantwortliche Denunziation 
wenigstens einigermassen eingeschränkt. 

Ausser dem genannten sachlichen Einwand habe ich übrigens 
auch Bedenken gegen die Ausdruckweise des § 2. Dem Wortlaut 
nach würde die Ansteckungsgefährdung nämlich nur bei noch be¬ 
stehender „Krankheit“ strafbar sein. Nun aber ist es doch all¬ 
gemeiner medizinischer Sprachgebrauch, nur dann von „Krankheit“ 
zu sprechen, wenn wirkliche Krankheitserscheinungen vorhanden 
sind. Den Bazillenträger nennen wir nicht krank. So braucht auch 
jemand an einem durchgemachten Tripper oder einer Syphilis nicht 
mehr zu „leiden“, und er kann sehr wohl dennoch ansteckend sein. 
Ja, die meisten Infektionen erfolgen wahrscheinlich in diesem Sta¬ 
dium; sie würden aber nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfes 
nicht strafbar sein, was sicher nicht die Absicht des Gesetzgebers ist. 

Aus den genannten Gründen möchte ich folgende Fassung des 
§ 2 vorschlagen: Wer wissentlich eine andere Person 
durch Beischlaf der unmittelbaren Gefahr einer 
Ansteckung mit Tripper oder Syphilis aussetzt, 
wird mit Gefängnis bis zu 2 Monaten oder mit 
Geldstrafe bis zu 10 000 M. bestraft. Die Verfolgung 
tritt nur auf Antrag ein. Ist die andere Person 
durch den Beischlaf mit Tripper angesteckt wor¬ 
den, so tritt Gefängnisstrafe bis zu 2 Jahren ein. 
Ist eine Ansteckung mit Syphilis erfolgt, so ist 
auf Gefängnis bis zu 5 Jahren zu erkennen. 

Meines Erachtens muss die Strafandrohung mit der Grösse des 
angerichteten Schadens steigen, und das ist ja auch in unserem gel¬ 
tenden Strafgesetzbuch der Fall, welches z. B. die schwere Körper¬ 
verletzung viel härter bestraft als die leichte. Gerade die Anstek- 
kung mit Syphilis aber zeitigt in einem grossen Bruchteil der Fälle 
Folgen, die den Tatbestand der schweren Körperverletzung, ja oft 
sogar den der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang erfüllen. Ob¬ 
wohl diese Folgen zur Zeit der Strafverfolgung in der Regel noch 
’bcht eingetreten sein werden, ist es doch angezcigt, dass ihre Mög- 
.ichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit in dem Strafmasse zum Ausdruck 
kommt. Ein sehr verschiedenes Strafmass, je nachdem eine An¬ 
steckung erfolgt ist oder nicht, würde auch eine recht erziehliche 
Vorbeugungswirkung haben. Können wir schon nicht erwarten, dass 
die Mehrzahl jener Männer, welche eventuell noch ansteckend sein 
könnten, sich des geschlechtlichen Verkehrs enthalten, so kann durch 
geeignete Abstufungen der Strafandrohung doch erreicht werden, 
dass sehr viele durch sorgfältige Anwendung von Schutzmitteln 
einer Uebertragung Vorbeugen. Geschlechtlicher Verkehr, der nicht 
zur Infektion führt, darf meines Erachtens daher auch bei chroni¬ 
schem Tripper oder Syphilis nicht regelmässig mit Gefängnis be¬ 
straft werden; sondern bei erfolgreicher Anwendung von Schutz¬ 
mitteln wäre eine Geldstrafe am Platze. Und zwar scheint mir diese 
Aenderung des Entwurfes nicht nur mit Rücksicht auf das männliche, 
sondern auch auf das weibliche Geschlecht notwendig zu sein. So 
gut wie alle Prostituierten leiden bekanntlich an chronischer Gonor¬ 
rhöe und die meisten auch an latenter Syphilis. Alle diese würden 

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also bei weiterer Ausübung ihres Gewerbes mit Gefängnis zu be¬ 
strafen sein. Das aber steht jenen Bestimmungen des Gesetzent¬ 
wurfes entgegen, welche den Zweck haben, die Lage der Prostituier¬ 
ten menschlicher zu gestalten und ihre gesundheitliche Ueberwachung 
besser als bisher zu ermöglichen. Bisher war bekanntlich jeder 
wegen „Kuppelei“ strafbar, der durch „Gewährung von Gelegenheit“ 
der Unzucht Vorschub leistete, also auch der, welcher einer Pro¬ 
stituierten Wohnung gewährte. Um überhaupt nur wohnen zu 
können, waren die Prostituierten daher zu einer Verheimlichung 
ihres Tuns geradezu gezwungen, und so war eine durchgreifende 
gesundheitliche Ueberwachung der Prostitution von vornherein un¬ 
möglich gemacht. In gleicher Richtung wirkte die Bestimmung, dass 
die Ausübung der Unzucht durch eine Person, die nicht unter poli¬ 
zeilicher Aufsicht stehe, strafbar sei. Die Einschränkung des Kuppe- 
leiparagraphen und die Strafloslassung der Prostitution als solcher, 
welche der Gesetzentwurf vorsieht, würden sozialhygienisch ent¬ 
schieden segensreich sein. Durch die neue Strafbestimmung aber 
würde der Nutzen zum Teil illusorisch gemacht, wenn nicht auf¬ 
gehoben werden. 

Ich erkenne gewiss die gute Absicht jener Kreise an, die sich 
für eine exemplarische Bestrafung der geschlechtlichen Ansteckung 
einsetzen; wir müssen aber bei jeder sozialen Massnahme mit weit¬ 
reichenden Folgen sorgsam den zu erwartenden Nutzen gegen even¬ 
tuell eintretenden Schaden abwägen. Blinder Idealismus schadet 
oft nur, und die ausnahmslose Zulässigkeit von Gefängnisstrafe auf 
geschlechtliche Ansteckungsgefährdung halte ich für überwiegend 
schädlich. 

Den übrigen Bestimmungen des Gesetzentwurfes Nr. 1287 A 
wird man w-ohl rückhaltlos zustimmen können. Das Kurpfuscherei¬ 
verbot für Geschlechtskrankheiten dürfte von grossem Segen sein 
und ebenso auch die Tatsache, dass die Ankündigung und der Ver¬ 
trieb von Schutzmitteln gegen Ansteckung nicht unter Strafe ge¬ 
stellt werden sollen. 

Kann man in dieser Hinsicht den Gesetzentwurf als einen Fort¬ 
schritt begrüssen, so lässt er andererseits gerade an der entscheiden¬ 
den Stelle eine klaffende Lücke. Die wichtigste Massnahme zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten ist meines Erachtens die von 
Prof. v. Zumbusch u. a. geforderte verschwiegene Melde¬ 
pflicht der Aerzte, und diese lässt der Entwurf vermissen. Wohl 
heisst es in der Begründung: „Der vorliegende Gesetzentwurf be¬ 
fasst sich nicht erschöpfend mit allen Massnahmen, die im Kampfe 
gegen die Geschlechtskrankheiten in Betracht kommen. Er be¬ 
schränkt sich auf diejenigen Bekämpfungsmittel, deren Anwendung 
selbst in der jetzigen Kriegszeit keine Schwierigkeiten bietet und 
über deren Zweckmässigkeit grundsätzliche Meinungsverschieden¬ 
heiten nicht zu befürchten sind.“ Letztere Annahme scheint mir 
inehr als zweifelhaft zu sein; und was die Meldepflicht betrifft, so 
wäre diese sicher zu keiner anderen Zeit so leicht durchzuführen 
wie jetzt im Kriege bzw. am Uebergang in den Frieden, wo ohnehin 
umfassende Massnahmen zur Verhütung der Verschleppung von 
Syphilis und Tripper durch heimkehrende Kriegsteilnehmer nötig 
sind. Die Begründung des Gesetzentwurfes nimmt leider geradezu 
gegen eine ärztliche Meldepflicht Stellung, von der es heisst: „durch 
eine-solche Massregel würde man den Kranken lediglich (!) in die 
Hände der Kurpfuscher treiben und einer vom Standpunkt des Kran¬ 
ken wie seiner Umgebung gleich unerwünschten Geheimhaltung der 
Erkrankung Vorschub leisten.“ Demgegenüber möchte ich wieder¬ 
holen, dass eine Autorität wie v. Zumbusch durchaus anderer 
Meinung ist, und dass sich die Fachkommission des Mün¬ 
chener ärztlichen Vereins unbedingt für die Einführung 
einer Meldepflicht ausgesprochen hat. Ja, ich behaupte sogar, dass 
ohne diese der Erfolg des ganzen Gesetzes überhaupt höchst proble¬ 
matisch sein wird. Wie will man dem Angeschuldigten beweisen, 
dass er von der Ansteckungsfähigkeit seines Zustandes Kenntnis ge¬ 
habt habe? Bei der Gedankenlosigkeit der meisten Menschen ist 
cs sogar ganz glaubhaft, dass die Mehrzahl der Uebertragungen in 
der Annahme, geheilt zu sein, erfolgt, und zahlreichen Infizierten 
wird der Wunsch, geheilt zu sein, sehr leicht die entsprechende 
Ueberzeugung schaffen. Wenn dagegen gemäss den Vorschlägen von 
v. Zumbusch und der genannten Kommission des Aerzt- 
lichen Vereins München der Infizierte vom Arzte auf die 
Folgen aufmerksam gemacht werden und in Kontrolle bleinen muss, 
bis wirklich von einer Heilung die Rede sein kann, dann, aber auch 
erst dann ist von Strafbestimmungen irgend etwas Wesentliches 
für die Bekämpfung der. Geschlechtskrankheiten zu erhoffen. 

Solange eine Meldepflicht und Aufklärungspflicht von seiten 
des Arztes nicht besteht, müsste eine Verurteilung ausschliesslich 
von dem Gutachten eines Sachverständigen abhängig gemacht wer¬ 
den, dass der Angeklagte ansteckungsfähig sei. Dadurch aber würde 
der Sachverständige in der Regel vor eine unlösbare Aufgabe ge¬ 
stellt werden. Die meisten Uebertragungen von Syphilis und Gonor¬ 
rhöe erfolgen ja nicht im floriden Stadium der Krankheit, sondern 
in einem mehr oder weniger latenten. Reicht nun zwar die fach¬ 
ärztliche Untersuchung in der Regel aus, um der Behandlung den 
Weg zu weisen, so ist sie doch in den meisten Fällen nicht genügend 
sicher, um eine Verurteilung zu schwerer Gefängnisstrafe darauf zu 
gründen. Gerade der Sachverständige, welcher sich seiner schweren 
Verantwortung voll bewusst ist, kann daher meistens nur zu einem 

Original ffom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



822 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 


non liquet kommen, obwohl er selber überzeugt sein mag, dass die 
Ansteckung durch den Angeklagten erfolgt sei. Es würde daher in 
der Regel trotz wahrscheinlicher Schuld Freispruch erfolgen müssen, 
was dem Ansehen des Gesetzes und seiner Wirkung sehr abträglich 
sein würde. Von Gesetzen, die in der Hauptsache nur auf dem Papier 
stehen, haben wir doch besonders während der Kriegszeit schon 
genug. Wenn Gesetze gemacht werden, die von vornherein keine 
Aussicht haben, wirklich durchgeführt zu werden, so gewöhnt man 
dadurch die Bevölkerung nur an die Uebertretung und Nichtachtung 
der Gesetze zum Schaden von Staat und Volk. 

In der Begründung des Gesetzentwurfes ist noch gesagt, dass 
auch die Forderung der Beibringung von Gesundheitszeugnissen vor 
der Eheschliessung absichtlich keine Aufnahme- gefunden habe, und 
ich halte die Beschränkung in dieser Hinsicht für durchaus angebracht. 
Wenn man nämlich Ehezeugnisse einführen wollte, so müsste man 
entweder ein Ausnahmegesetz für Männer machen, oder man müsste 
auch die jungen Mädchen einer sehr peinlichen Untersuchung der 
Geschlechtsteile unterziehen. Ich schätze aber die Scheu der jungen 
Damen davor so gross ein, dass ich eine erhebliche Beeinträchtigung 
der Eheschliessungen davon befürchte. Aber auch die zwangs- 
mässige Untersuchung der Männer ist nicht unbedenklich. Die 
Schwierigkeit der sachverständigen Entscheidung, welche häufig bis 
zur Unmöglichkeit geht, habe ich schon erwähnt. Vor allem aber 
würden sehr zahlreiche Männer, die einmal Syphilis oder Tripper 
durchgemacht haben, die Untersuchung überhaupt scheuen, aus 
Furcht, es könnte etwas gefunden werden. Darunter würde die 
Eheschliessung zweifellos stark leiden. Es ist aber keineswegs er¬ 
wünscht, dass alle die Hunderttausende von Männern, welche eine 
Infektion durchgemacht haben, ehelos bleiben. Die allermeisten von 
ihnen würden durchaus gesunde Kinder erzeugen können; nur würde 
man die wirklich als Heiratskandidaten Einwandfreien durch keine 
noch so sorgsame Untersuchung sicher herausfinden können. Wir 
müssen daher ein gewisses Risiko auf uns nehmen, Wenn ein Teil 
von den Infizierten ihre Krankheit auf ihre Frauen überträgt, so ist 
das unter dem Gesichtspunkt der Bevölkerungspolitik gegenüber der 
Ehelosigkeit eines ebenso grossen oder noch grösseren Teiles das 
kleinere Uebel. In Anbetracht des grossen Frauenüberschusses wird 
dadurch, dass ein chronischer Gonorrhoiker seine Frau infiziert, im 
allgemeinen keine gesunde Ehe vereitelt; die Frau wäre eben sonst 
ganz ehelos geblieben, während sie so wenigstens in der Regel doch 
ein Kind bekommt. Viel bedenklicher ist unter diesem Gesichtspunkt 
die Verehelichung eines infizierten Mädchens, weil dadurch in der 
Regel einer gesunden Geschlechtsgenossin der Mann entzogen und 
eine gesunde Ehe verhindert wird. Vom Interesse der Gesamtheit 
aus wäre also die Untersuchung der Bräute viel wesentlicher als 
die der Männer. Aber aus dem obengenannten Grunde würde auch 
diese überwiegend schädlich sein. Anders wäre die Sache erst, 
wenn vorher mehrere Jahre lang die ärztliche Meldepflicht für In¬ 
fektionen bestanden hätte. Dann würde man sich nämlich darauf 
beschränken können, nur die einmal als krank Gemeldeten vor der 
Ehe zu untersuchen, und gerade diese hätten keinen Grund, sich 
wegen Verletzung des Schamgefühls zu beschweren. Unter den 
gegenwärtigen Verhältnissen aber wird in der Begründung des Ge- 
setzenwurfes die Forderung der Ehezeugnisse mit Recht zurück¬ 
gewiesen. 

Anhangsweise möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass in der 
Begründung des Gesetzentwurfes leider von „ererbter“ Syphilis die 
Rede ist. „Die Krankheit kann sowohl vom Vater als auch von 
der Mutter auf die Nachkommenschaft vererbt (!) werden.“ Diese 
Ausdrucksweise entspricht den modernen Einsichten der Erblichkeits- 
Wissenschaft sehr schlecht. Keine Infektionskrankheit kann ererbt 
oder vererbt werden. Erblich sind immer nur die Grundlagen der 
Konstitution, seien sie nun normaler oder krankhafter Natur. Von der 
entscheidenden Bedeutung der Erbanlagen für die Bevö'.kerungspolitik 
einschliesslich der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten findet sich 
aber in der Begründung des Gesetzentwurfes leider kein Wort. 


Pergamentpapier als Mittel zur Drainage. 

Von Oberstabsarzt d. L. I Dr. M ad lener, Chefarzt einer 
Sanitätskompagnie. 

Ein Mittel, das ich schon seit Jahren im Frieden angewendet 
habe und das mir bei Hunderten von Kropfoperationen, bei zahl¬ 
reichen Fällen intraabdominalen 1 Eiters, bei vielen anderen Eiter¬ 
höhlen und Höhlenwunden gute Dienste geleistet hat. gewinnt jetzt, 
als Ersatz für Gummi- und Gazedrains, erhöhte Bedeutung; das 
Pergamentpapier, das gerollt oder zusammengefaltet zur Ab¬ 
leitung der Sekrete eingelegt wird. Ich habe meist das Pergament¬ 
papier allein angewendet, in einer Minderzahl von Fällen, in denen 
ein Drain mit grösserem Querschnitt erwünscht war, auch mit einer 
Mulleinlage als Zigarettendrain. 

Das Pergamentpapier ist nicht imbibitionsfähig, reizt chemisch 
nicht und mechanisch möglichst wenig. Es wird durch die Sekrete 
weich, übt keinen Druck aus wie das Glasdrain, ja noch weniger wie 
das Gummidrain, das infolge seiner Elastizität bestrebt ist, seine 
gerade Form beizubehalten. Es verklebt mit der Umgebung nicht, 
wie die Gaze, und lässt sich ohne jeden Schmerz entfernen. 

Digitizer! by Gouole 


Es empfiehlt sich, das Pergamentpapier mit den Verbandstoffen 
in Dampf oder trocken zu sterilisieren. Kocht man es aus oder ent¬ 
nimmt man es einer antiseptischen Lösung, so ist das Papier zu 
schlapp und lässt sich nicht so dirigieren wie das steife trockene 
Papier. Das mit den Verbandstoffen sterilisierte Pergamentpapier 
wird jedesmal kurz vor dem Gebrauch in der gewünschten Grösse 
zugeschnitten, zusammengerollt oder zusammengefaltet und eingelegt. 
Nur um das Drain dicker zu machen und auch nach längerem Liegen 
in der Wunde etwas starrer zu erhalten, haben wir in manchen 
Fällen einen Gazedocht in das Papier gewickelt — nicht aber um 
die ableitende Wirkung zu erhöhen. Diesem Zweck könnte auch ein 
Docht aus Holzstoffgewebe dienen. 

Wenn man Pergamentpapier ungefähr eine Woche oder länger 
in einer eiternden Wunde liegen lässt — was praktisch selten der 
Fall sein dürfte —, wird es in Fetzen aufgelöst. 


Ueber die Deutung von streifenförmigen Schatten 
neben der Bruetwirbelsäule im Röntgenbild. 

Nachtrag zu meiner Arbeit in M.m.W. Nr. 16 S. 424 u. 425. 
Von Dr. med. Otto Kankeleit. 

In meinem Aufsatz habe ich darauf hingewiesen, dass die 
streifenförmigen Schatten neben der Brustwirbelsäule im Röntgenbilde, 
die ich mehrmals beobachtet habe, ohne nachweisbare anatomische 
Veränderung der Wirbelsäule oder ihrer Umgebung Vorkommen und 
bei gegebenen klinischen Symptomen zur Fehldiagnose führen können. 
Es fanden sich keine Literaturangaben über diese Erscheinung vor. 
Eine gewisse Beziehung zu ihr schien die Beobachtung von A. Köh¬ 
ler zu haben, welcher auf Röntgenbrldern von Extremitäten an den 
Schattenrändern dieser Organe helle Streiten sah. B. Walter 
deutete diese Streifen als optische Täuschung, als Mach sehe 
Streifen. 

In Heft 18 der M.m.W’. bemerkte A. Köhler, dass die von ihm 
beschriebenen Streifen von Prof. Wagner- München photo¬ 
metrisch ausgemessen und als physikalisch reell nachgewiesen seien. 
Die Deutung B. Walters treffe demnach nicht zu. 

Ich habe meine Röntgenphotographien den Her-ren Geheimrat 
Prof, der theor. Physik Sommerfeld und Prof. Wagner gezeigt, 
die beide die streifenförmigen Schatten neben der Brustwirbelsäule 
für zweifellos physikalisch reell erklärten und die etwaige Mitwirkung 
Mach scher Streifen abwiesen. Herr Prof. Wagner, der die Auf¬ 
nahmen von A. Köhler photometriert hat. hielt es dementsprechend 
für überflüssig, meine Aufnahmen ebenfalls photometrisch auszu¬ 
messen. Die Deutung B. Walters, die K ö h 1 e r sehen Streifen 
seien eine optische Täuschung, trifft demnach ebensowenig für die 
von mir beobachtete Streifenerscheinung zu. Ob die beiden Phäno¬ 
mene überhaupt eine Beziehung zueinander haben, lässt sich noch 
nicht sagen. Eine physikalische Erklärung des von mir beschriebenen 
Phänomens steht noch aus. 


Zur Abänderung der Conradi-Kayserschen 
Gallenanreicherungsmeüiode. 

Antwort auf die Erwiderung A. Maternas in Nr. 24, 
Jahrgang 65, 1918, der M.m.W. 

Von Dr. Wolfgang Seeliger. 

Herr Mat er na hat in Nr. 24 der M.m.W. vom 11. VI. 18 
eine in dieser Wochenschrift von mir empfohlene Abänderung der zu¬ 
meist gebräuchlichen Conradi-Kayserschen Gallenanreiche¬ 
rungsmethode (Nr. 18 der M.m.W. 1918) zur Züchtung von Typhus¬ 
bazillen aus dem Blute mit nicht recht verständlicher Heftigkeit an¬ 
gegriffen, so dass ich mich veranlasst sehe, in Kürze darauf zu er¬ 
widern. 

1. Das Prinzip meiner Abänderung habe ich in 5 Punkte zu¬ 
sammengefasst, nämlich: 1. Aenderung der bisher meist verwendeten 
Verdünnung des Blutes mit Galle im Verhältnis 1:2. 2. Bis viermalige 
Plattenaussaat der bebrüteten Gallekultur an 4 aufeinanderfolgenden 
Tagen. 3. Abimpfen grosser Mengen der Gallekultur auf die Züch¬ 
tungsplatte. 4. Abimpfen von der Oberfläche wie auch von den 
Bodenschichten der Gallekultur. 5. Bouillonzusatz zur 48 Stunden lang 
bebrüteten Galle. Von diesen 5 Punkten finden sieh bei M. nur er¬ 
wähnt Punkt 1 und 3 (W.kl.W. 1915 Nr. 15 und B.kl.W. 1917 Nr. 24). 
es sei denn, dass weitere einschlägige Veröffentlichungen Maternas 
mir entgangen sind. 

2. Mit nicht recht verständlicher Schärfe greift Herr M. die 
hervorragende Umständlichkeit der Methode an, die er für den Massen¬ 
betrieb ungeeignet hält. Die abgeänderte Methode soll aber keines¬ 
wegs eine Vereinfachung, sondern eine Verfeinerung der meist ver¬ 
wendeten Methoden darstellen. Die Beurteilung, ob die Methode 
im Grossbetriebe, der übrigens auch mir zur Genüge bekannt ist. 
sich praktisch erweist oder mehr für feinere Spezialuntersuchungen 
geeignet ist, steht hier nicht in Frage. Dessenungeachtet kann ich 

Original from 

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23. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


823 


Herrn M. mitteilen, dass ich längere Zeit hindurch bei einem Minimum 
von Arbeitskräften und bei einer grossen Zahl von Untersuchungen 
die genannte Methode ohne grossen Zeitverlust durchgeführt habe. 
Die komplizierte Oesenfischerei, die Herr M. für ganz besonders 
unpraktisch hält, lässt sich bekanntlich sehr einfach durch den Ge¬ 
brauch der Pipette, wie dies ja vielfach geschieht, vermeiden, voraus¬ 
gesetzt, dass einem Feldlaboratorium davon genügend zur Verfügung 
stehen. 

3. Herr M. weist darauf hin, dass die „Oesenmethode“ gegen¬ 
über seinem Verfahren 8—10 Proz. Fehler aufweist. Dass sein „Aus- 
giessverfahren“ der alten Oesenmethode überlegen ist, ist nicht zu 
leugnen; Herr M. vergisst aber, dass bei meiner Methode eben nicht 
wie bisher einige Oesen, sondern 20 Oesen auf die (Platte übertragen 
werden sollen. Warum trotzdem bei dieser Methode dieser Fehler 
sicher noch viel grösser sein soll wie bei der alten Oesenmethode, ist 
nicht ersichtlich. Das Ausgiessverfahren ist in unserem Falle nicht 
verwendbar, da wir prinzipiell an 4 Tagen die Galle verarbeiten, so¬ 
wie aus Gründen, die in 4. fixiert sind. 

4. Dass bei der Abimpfung der bebrüteten Gallekultur das 
Schütteln des Röhrchens vermieden werden soll, ist keineswegs so 
unverständlich, wie Herr M. glaubt. In der Regel sind die Typhus¬ 
bazillen nicht gleichmässig in der Galle verteilt, sondern die Mehrzahl 
der Bakterienindividuen wird in den obersten Schichten angereichert 
angetroffen, wenn auch die Fälle, dass unbewegliche Bakterien nicht 
nach der Oberfläche wandern, worauf ich früher hingewiesen habe, 
häufiger sind als zumeist angenommen wurda Daher ist es sehr 
wohl berechtigt, unter Vermeiden des Schütteins zunächst zu ver¬ 
suchen, an der Oberfläche der Galle angesammelte Typhusbazillen 
auf die Platte abzuimpfen und dann erst auch durch Abimpfen der 
Bodenschicht den zweiten Fall zu berücksichtigen. Wird von vorne- 
herein geschüttelt, wie Herr M. rät, so bleibt der Vorteil, event. in 
den oberen Schichten viel reichlicher Individuen wie in der Tiefe ab¬ 
zufangen, unausgenützt. 

5. Herr M. befindet sich im Irrtum, wenn er glaubt, dass 4 Endo- 
platten beim Ausstreichen der Galle in 4 aufeinanderfolgenden Tagen 
benutzt werden. Der Vorwurf eines heute weniger denn je zu recht¬ 
fertigenden Nährbodenverbrauches ist damit hinfällig. Wenn nicht 
stärkere Verunreinigungen der Platte die Verwendung eines neuen 
Kulturbodens erwünscht erscheinen lassen, kann selbstverständlich 
viermal die gleiche Platte benützt werden. 

6. Der Ansicht Herrn M.s, dass, wenn von jedem typhusver¬ 
dächtigen Fall ausser der Blutkultur und der Agglutinationsprobe auch 
noch Stuhl und Harn verlangt und untersucht wird, ausnahmslos (!) 
die bakteriologische Diagnose gelingen muss und nur in seltenen 
Fällen zur Erreichung dieses Zweckes eine wiederholte Untersuchung 
notwendig ist, kann ich in keiner Weise beistimmen. Namentlich sind 
es eine Reihe von atypischen Typhusformen, welche, wie ich an 
ariderer Stelle *) ausgeführt habe, der bakteriologischen Untersuchung 
schon allein wegen ihrer oft nur temporären Bakteriämie oder ihrer 
periodischen oder ganz fehlenden Ausscheidung der Erreger in Harn 
und Fäzes grosse Schwierigkeiten in den Weg setzen können und 
zeitweise den Nachweis ganz unmöglich machen. Vornehmlich in 
solchen Fällen, die ia keineswegs jetzt während des Krieges selten 
sind, befriedigt die bakteriologische Diagnostik vielfach nicht und 
weist manche unliebsame Versager auf. 


BQcheranzeigen und Referate. 

Ulrik Quen sei -Upsala: Untersuchungen über die Morphologie 
des Harnsediments bei Krankheiten der Nieren und der Harnwege, 
und über die Entstehung der Harnzylinder. Mit 20 farbigen Tafeln. 
Stockholm 1918, Nordiska Bokhandeln. (Sonderdruck aus Nordiskt 
Medicinskt Arkiv Bd. 50. Abt. II). 342 'Seiten. 

Qu. stellt sich eine doppelte Aufgabe: einmal aus der Art des 
Sediments auf die pathologisch-anatomischen Vorgänge, resp. die ana¬ 
tomisch-klinische Art der Nierenerkrankupg Rückschlüsse zu ziehen, 
und dann die Genese des Sediments, insbesondere der Zylinder näher 
zu untersuchen. Er benützt dazu ein Färbeverfähren des Sediments 
fmit Cadmium-Methylenblau und Sudan III). Der beigegebene Atlas 
gibt gute Abbildungen des gefärbten Sediments. Besonders wertvoll 
— zumal für Lehrzwecke — ist die Nebeneinanderstellung von Sedi¬ 
ment und Schnitten der gleichartig gefärbten dazugehörigen Niere. 

Wie zu erwarten ist die Ausbeute für diagnostische Zwecke ge¬ 
ring. Sie geht über das schon Bekannte nur in Einzelheiten hinaus. 
Hinsichtlich der Frage der Zylinder entstehun-g kommt er zu der An¬ 
schauung, dass die Mehrzahl aus den Hauptstücken stammt, und zwar 
durch Konfluieren von hyalinen Tropfen, dass ihre Genese im übrigen 
nicht einheitlich sei; sie könnten auch aus den Glomeruli stammen; 
Zylindrokle sollen aus der Niere selbst stammen. S c h 1 a y e r. 

G. Trier: Die natürlichen Grundlagen des Antialkoholismus. 

Vorlesungen an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. 
II. Halbband. Borntraeger, Berlin 1918. 352 S. Preis 12 M. 

Der zweite Teil ist womöglich noch interessanter als der erste. 
FMe Zusammenhänge mit der ganzen Alkoholfrage kommen hier von 


•) B.kl.VV. 1918. 

Digitized by Gouole 


selbst. Die Kapitel über das physiologisch-medizinische und das 
psychologische der Alkoholwirkung bringen aber das Thema in 
manche neue Zusammenhänge. Der technologische Teil enthält Aus¬ 
blicke von Interesse für jeden Gebildeten über die Art und die Be¬ 
deutung von Industrien, die mit der modernsten Alkoholerzeugung 
und Verwertung Zusammenhängen (Azeton,. Azetylen, Karbid usw.). 
Aussetzen möchte der Referent," dass unter den Massnahmen gegen 
Minderwertige, die in Amerika durchgeführt worden sind, Sterilisation 
und Kastration nicht scharf getrennt sind, und dass die Erklärung des 
Vomitus matutinus potatorum keineswegs zwingend ist. 

Bleuler. 

Dr. Carl Hochsinger: Gesundheitspflege des Kindes Im 
Elternhause. 4. Aufl. Leipzig und Wien, Franz D e u t i c k e, 1917. 
270 Seiten. Preis ungeb. 6.50 M. 

Das mit Recht beliebte Werk hat nunmehr die Stufe der Ent¬ 
wicklung erreicht, wo aus endogenen Ursachen nur mehr unbedeu¬ 
tende Abänderungen von Auflage zu Auflage nötig werden. Dass 
freilich einem so mächtigen und tief in alle Lebensverhältnisse ein¬ 
greifenden exogenen Faktor wie dem Weltkrieg gegenüber die neue 
Auflage reaktionslos geblieben ist, ist bedauerlich; sie kann besorgte 
Eltern in manche ernährungs- und pflegetechnische Verlegenheit 
bringen. G ö 11. 

Die neuen Kuranlagen des Bades Aachen. Erbaut von Karl 
S t ö h r. Verlagsanstalt Alexander Koch, Darmstadt 1917, VII und 
90 Seiten Folio, mit zahlreichen ganzseitigen Abbildungen und Plänen. 
Preis gebunden M. 27.50. 

Im Frühling 1914 wurde mit der Erbauung der grossartigen 
neuen Aachener Kuranlagen begonnen und es gelang trotz des Krieges 
das Werk bis Juni 1916 fertigzustellen, eine bewundernswerte 
Leistung. Die neuen Anlagen bestehen aus einem Kurhaus mit Fest¬ 
sälen, einem erstklassigen Hotel, einer grossen Wandelhalle, einem 
Badehaus. In diesem finden sich 33 Thermalbäder, eine Piszine, in 
der nach altbewährter Art Dauerbäder genommen werden- können, 
und alle nur wünschenswerten physikalisch-therapeutischen Ein¬ 
richtungen. Die Badeanlagen sind sehr hübsch um vier Schmuckhöfe 
angeordnet. Ueberhaupt ist die ganze Anlage nicht bloss vom ärztlich¬ 
hygienischen Standpunkt sehr zweckmässig, sondern auch ästhetisch 
sehr erfreulich, von vornehm gediegener und doch intim wirkender 
Art. Es kann uns Münchner sehr freuen, dass die schöne Schöpfung 
von einem Münchner Architekten herrührt und Münchner Kunst¬ 
gewerbe stark an ihr beteiligt ist. Die Kosten betrugen 6 Millionen. 
Die ganze Anlage befindet sich in dem schönen alten Stadtgarten. 
Die Stadt Aachen darf sich rühmen nun eine mustergültige Kuranlage 
zu besitzen, welche sicher eine starke Anziehungskraft ausüben wird. 
Die Ausstattung der Baubeschreibung ist sehr gut. 

Kerschenstein er. 

Neueste Jouraalliteratur. 

Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie. 
1918, Heft 4. 

Matz: Zur Funktionsprülung von Herz- und Gefässsystem bei 
gesunden und kranken Feldsoldaten. 

Neben gesunden Soldaten wurden solche mit organischen, gut 
und weniger gut kompensierten Herzfehlern, Arteriosklerose, ner¬ 
vösen Herzbeschwerden und nach überstandenem Fleckfieber unter¬ 
sucht, Puls und Blutdruck in Ruhe, beim Stehen, Gehen und nach 
Kniebeugen bestimmt. Nicht zu hohe Pulsfrequenz (114 im Durch¬ 
schnitt) mit schnellem Rückgang zur Anfangsziffer lässt auf gute 
Herzkraft schlossen, massige Blutdrucksteigening (130 mm Hg im 
Durchschnitt) mit raschem Abfall spricht für eine rege Respirations¬ 
kraft der peripheren Gefässgebiete und günstige Kompensations¬ 
leistung des extrakardialen Kreislaufs. Bedeutend höhere Er¬ 
hebungen von Puls und Blutdruck und langsamer Abfall sind Zeichen 
eines schlecht funktionierenden Herz- und Gefässsystems. 

G1 a x - Abbazia: Thalassotherapie der Kriegs verwundeten 
und -beschädigten. (Referat bei Tagung der ärztlichen Abteilung 
der waffenbrüderlichen Vereinigung in Baden bei Wien am 13. X. 17.) 

W e i s z-Pistyan: Die physikalische Behandlung des Gelenk- 
Theumatismus im Lichte der Vakzinenlehre. (Vortrag bei der Tagung 
in Baden bei Wien, September 1917.) 

Bemerkungen über die richtige Dosierung und Anwendung von 
Ruhe und Bewegungstherapie, Wärme und Kälte, ausgehend von 
dem Gedanken, dass von den Gelenken mit dem Blutstrom Toxine, 
Leukozyten, Organproteine, Zerfallsprodukte zentripetal zurück¬ 
fluten und durch die physikalischen Mittel richtig verteilt werden 
können. L. Jacob. 

Bruns’ Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von Garrö, 
Küttner, v. Brunn. 109. Band. 5. Heft. (54. kriegschir 
Heft.) Tübingen, Laupp, 1918. 

Borchard und C a s s i r e r: Ueber Behandlung von Rücken- 
marksverletzungen durch die Foerstersehe Operation. Verfasser 
teilen aus dem Res.-Laz. Friedenau 2 Fälle mit, in denen durch 
die Foer st ersehe Operation bedeutend grössere Bewegungsfrei- 

Qritjiraal fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




8$4 


MUfeNCHfiNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 


heit erzielt wurde und halten diese Operation für die schweren 
Fälle von spastischen Kontrakturen für gerechtfertigt. 

Julius Fleissig referiert aus dem k. k. Feldspital 1602 über 
Feldspitalschirurgie im Stellungskrieg 1915—1917 und zwar berichtet 
er in einem allgemeinen Teil über Dislokation und Funktion der 
Feldsanitätsformationen, wobei er die Funktion des Arztes unmittel¬ 
bar hinter der Stellung mit dem Verabreichen einer schmerzlindern¬ 
den Injektion, ev. einer Verbandrevision, provisorischen Schienung 
und dem Anlegen einer E s m a r c h sehen Binde für erschöpft hält, 
berichtet dann über Wundbehandlung, Verband und Verbandwechsel 
und erörtert dann im spez. Teil die Schussverletzungen, spez. die 
Schädelschüsse, und das operative Eingreifen bei denselben. Er 
geht auf die Fälle mit Hirnprolaps, dessen Ursache er in einem 
infektiös entzündlichen Prozess sieht, der sich in seinem eigenen 
oder benachbarten Bezirk abspielt, auf die Prellschüsse (deren Mor¬ 
talität er mit 30—35 Proz. bezeichnet) näher ein, bespricht auch 
die Halsverletzungen, Rückenmarksverletzungen, Thoraxschüsse und 
Lungenschüsse (bei denen er betont, dass mehrere Tage andauerndes 
Fieber nicht mit dem Schlagwort des Resorptionsfiebers abgetan 
werden darf, sondern als Symptom der Infektion des vergossenen 
Blutes aufgefasst werden muss, und dass die Morphiumbehandlung 
zur Beseitigung des quälenden Hustens und der Gefahr weiterer 
Blutung obenan steht). Bei der Besprechung der Bauchschüsse geht 
Fl. besonders auf die Diagnose, die Gefahr des Schocks und die ev. 
durch raschen Abtransport im Krankenautomobil gegebenen Schäd¬ 
lichkeiten näher ein und erörtert bei Besprechung der Gasphlegmonen 
besonders auch deren pathologische Anatomie, die Diagnose derselben 
und die Indikationen zur Behandlung. Die üasphlegrnone ist eine 
schwerste, die Amputation häufig genug erheischende und trotz 
dieser oft noch tödlich endende Erkrankung, der wir möglichst pro¬ 
phylaktisch zu begegnen haben. Auch die Schussfrakturen und Ge¬ 
lenkschüsse finden entsprechende Erörterung, spez. die des Knie¬ 
gelenkes. 

Hermann Hinterstoisser gibt aus dem schles. Krankenhaus 
in Teschen kriegschirurgische Beobachtungen im Heimatkrankenhaus 

(1914—15). Das mit ca. 4000 Betten repräsentierte Material ist da¬ 
durch besonders instruktiv, als die Fälle meist bis zur endgültigen 
Heilung in der Anstalt bleiben konnten. Auch H. hebt die Schädlich¬ 
keit langen Transportes, spez. bei Schädelschüssen hervor und unter 
54 Schädelschüssen (21 t) waren 10 Steckschüsse, 15 Durchschüsse 
und 7 Prellschüsse. Unter den 70 Lungenschüssen waren 54 Durch¬ 
schüsse des Brustkorbes. Die Blutansammlung wurde nur dann 
(Potain) entleert, wenn durch Verdrängung des Herzens und 
Atembeschwerden oder durch mehrwöchige, unveränderte Dauer die 
Indikation gegeben war. Unter den Bajonettstichen der Brust 
referiert H. über einen mit Zwerchfellverletzungen bzw. Hernie kom¬ 
plizierten und mit Resektion des linkseitigen Ouerdarmes mit Flexura 
lienalis und Zwerchfellnaht behandelten Fall. Bezüglich der 
Wirbelsäule- und Rückenmarksschüsse erwähnt H. nach seinen 
22 Fällen, dass man sich, viel häufiger als dies bisher geschehen, 
an die Operation dieser Fälle, und zwar so früh als möglich, heran¬ 
wagen solle. 

Auch auf die Schussbrüche der Gliedmassen geht er' näher eiq, 
bespricht besonders den Streckverband bei Ober- und Unter¬ 
schenkelbrüchen und die Vorzüge der S t e i n m a n n sehen Nagel¬ 
extension, die er in 39 Fällen benützte. Unter den 96 Gliedab¬ 
setzungen waren 2 Auslösungen im Hüftgelenk, 63 Oberschenkel¬ 
amputationen (26 wegen Gasbrand), 17 Unterschenkel- und Fuss- 
amputationen. Auch H. bedauert, dass er in einzelnen Fällen die 
Amputation zu lange hinausgeschoben (besonders bei infizierten Knie¬ 
schussbrüchen). Von 30 Aneurysmen und 17 Tetanusfällen (3 geheilt) 
werden auch die bemerkenswerten Fälle in ganz kurzen kranken¬ 
geschichtlichen Notizen angeführt. 

Z e h b e und Stammler geben aus dem Marinelazarett Ham¬ 
burg einen Beitrag zur Diagnose und Therapie der Steckschüsse im 
Mittelfeliraum und der traumatischen Aortenaneurysmen und refe¬ 
rieren über einen Fall von Minenverletzung (mit Nagel im Herz¬ 
schatten), in dem ein Abszess im Mittelfellraum angenommen wurde, 
aber bei der in Roth-Dräger-Narkose mit Tiegel schem Ueber- 
druckapparat nach Resektion von 10 cm der 4.—8. Rippe aus dem 
Mittelrippengelenk sich ein Hämatom zeigte und bei Versuch der 
Extraktion des Nagels eine so heftige Blutung aus dem traumatischen 
Aneurysma der Aorta auftrat, dass nur mit Mühe der Schlitz in der 
Aneurysmawand genäht und durch Tamponade gesichert werden 
konnte. Der Fall endete am 4. Tage an Sepsis und Pneumonie 
letal. Sehr. 

Zentralblatt für Chirurgie. Nr. 27, 1918. 

E. Pay r -Leipzig: Zur operativen Behandlung der fixierten 
Doppelflintenstenose an der Flexura coli slnistra — Kolonwinkel¬ 
senkung — (zugleich ein Eingriff gegen bestimmte Formen chronischer 
Obstipation. 

Zur operativen Beseitigung der „Doppelflintenstenose“ empfiehlt 
Verf. die Durchtrennung des Ligam. phrenico-colicum und colico- 
lienale, weiche den spitzen Winkel an der Flex. lienalis bilden, da¬ 
durch wird dieser spitze Winkel des Kolon ausgeglichen und fast 
zu einem R gestaltet. Die Technik dieser Operation, die nur beim 
fehlen schwerer Seit-zu-Seit-Verwachsungen zwischen den benach- 

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barten Darmteilen in Frage kommt, ist an der Hand von 4 Abbil¬ 
dungen genau beschrieben. Diese linksseitige „Kolonwinkelsenkung“ 
stellt einen einfachen, ungefährlichen Eingriff dar, der sofort günstige 
Verhältnisse für die Darmpassage schafft. 

Eug. B i r c h e r - Aarau: Zur Technik der Gastropexie und 
Hepatopexie. 

Verf. macht die Gastropexie in der Weise; dass er zuerst die 
hintere Magenwand durch eine längsangebrachte Raffung oder Fälte¬ 
lung verkürzte und dann (nach Rovsing) die Raffung der anderen 
Wand durch Längsnähte und ihre Fixation an der vorderen Bauch¬ 
wand annahm. Auch für die Operation der Hepatoptose gibt Verf. 
ein einfaches Verfahren an, das sich ihm gut bewährt hat. 

C. Lehmann-im Felde: Phosphorvergiftung durch Schuss- 
verletziing. 

Verf. berichtet kurz über einen Fall von Phosphorvergiftung nach 
Schussverletzung (mit Leuchtspurgeschoss). Auffallend war der 
starke Geruch nach Phosphor aus der Wunde, die rapide Abmagerung 
und des Ikterus, die nach 4 Tagen auftraten. Der Fall ging in Hei¬ 
lung aus. 

v. Gaza: Plastische Deckung freiliegender Arterien mit granu¬ 
lierendem Hautlappen. 

Zur Deckung der freiliegenden und arrosionsgefährdeten Arteria 
cubitalis benützt Verf. mit gutem Erfolge gestielte, bereits granu¬ 
lierende Hautlappen vom Wundrande, die mit einigen Hautnähten 
über der Arterie fixiert werden; nach 2—4 Tagen ist dieser Lappen 
fest angeheilt. 

L. D r ün e r - Quierschied: Verwendung der Steppnaht bei der 
Magenresektion. 

Bei der Magenresektion empfiehlt Verf. die Steppnaht mit mitt¬ 
lerem Katgut, welche nach Resektion des Karzinoms durch Ab- 
schneiden aller sichtbaren Katgutfäden wieder entfernt wird. Mit 
1 Abbildung. E. H e i m - zurzeit im Felde. 

Zentralblatt für Gynäkologie. 1918. Nr. 27. 

W. Rübsamen - Dresden: Weitere Erfahrungen über die 
Sakralanästhesle. 

Die Sakralanästhesie verdient viel grössere Verbreitung als bis¬ 
her, in der von E. Kehrer angegebenen Form eignet sie sich für 
alle gynäkologischen unff chirurgischen Laparotomien, einschliesslich 
des Nieren- und Gallenblasengebiets. In 86 Proz. der Fälle wurde 
völlige Anästhesie erreicht. Die Zahl der Versager wird bei Bes¬ 
serung der Technik noch geringer werden können. 

A. Giesecke - Kiel: Die Anwendung der Diathermie bei gynä¬ 
kologischen Erkrankungen. 

Auf Grund von mehr als 300 Fällen empfiehlt Verf. die Diathermie 
als eine Methode, deren Tiefenwirkung diejenige der anderen 
thermischen Prozeduren weit übertrifft. Verf. gibt genaue Daten über 
Indikation und Anwendungsweise. Werner- Hamburg. 

Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie. 
82. Band. 5. und 6. Heft. 

R. Seyderhelm: Ueber die Eigenschaften und Wirkungen 
des Oestrlns und seine Beziehung zur perniziösen Anämie der Pferde. 

Die perniziöse Anämie der Pferde wird nicht durch die von den 
Gastrophiluslarven in ihren Exkreten ausgeschiedenen, in vitro 
hämolytischen, seifenartigen Substanzen, sondern durch einen eben¬ 
falls mit den Larvensekreten abgesonderten, in charakteristischer 
Weise toxisch wirkenden, rote Blutkörperchen im Glase nicht 
lösenden, alkoholfällbaren Bestandteil (Oestrin) erzeugt. 

Straub: Die Mengen der digitalisartig wirkenden Substanzen 
im Oleauderblatt und die Art ihres natürlichen Vorkommens 
(Tamioidfrage). 

Das Oleanderblatt enthält etwa 2,5 mal so viel Wirksamkeit 
wie das Digitalisblatt. Die wirksamen Substanzen gehen restlos in 
wässerige Lösung ein, sind gut haltbar, ebensogut resorbierbar wie 
die des kristallisierten Oleandrin. 

Forschbach und 'Schaffer: Untersuchungen über ffie 
Kohlehydratverwertung des normalen und diabetischen Muskels. I. 

Die Gesamtkohlehydratmenge normaler, in Zirkulation befind¬ 
licher Hundemuskeln erfährt bei der Arbeit eine beträchtliche Ab¬ 
nahme, die des pankreasdiabetischen Hundes dagegen nicht. Hier 
bleibt die Menge der Glukose und der Zwischenprodukte konstant 
oder nimmt zu entsprechend dem Glykogenabbau, der nicht abnorm 
ist. Man spricht also zu Unrecht schlechthin von einer Ueber- 
schwemmung der Gewebe mit Zucker im Diabetes. Offenbar be¬ 
sitzen die Muskeln Vorrichtungen, die ihnen ermöglichen, ihren 
Zuckergehalt auf einer bestimmten Höhe zu halten, unabhängig von 
der Höhe des Blutzuckers. L. Jacob. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 27, 1918. 

H. Beitzke: Zur pathologischen Anatomie der Paratyphus-B- 
Erkrankungen. 

Die Sektionsbefunde von drei Gruppen von Fällen werden ein¬ 
gehend angeführt, den verschiedenen klinischen Bildern, welche 
einerseits einem Typhus ähnlich sind, andererseits auch einem 
choleraartigen Darmkatarrh, entsprechen auch gewisse Variationen 
des pathologisch-anatomischen Befundes. 

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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



23 . Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


825 


H. B r a u n - Frankfurt a. M.: Das Wesen der Well-Felix - 
sehen Reaktion auf Fleckfieber. 

Es handelt sich nach den Darlegungen des Verf. um eine unter 
dem Einfluss der Fleckfieberinfektion erfolgte starke Vermehrung 
normaler, gegen besondere Proteusstämme zufällig gerichteter 
Agglutinine. Von Bedeutung ist die besondere Art der Lokalisation 
des Erregers, welche bei anderen Infektionen nicht vorkommt. 

Karl Kroner: Ueber Influenzaähnliche Erkrankungen. 

Verf. schildert das klinische Bild der jetzt herrschenden Grippe¬ 
erkrankungen, welches von der Influenza doch in einigen Stücken 
abweicht. Den Influenzabazillus hat K. bei seinen Fällen nicht ge¬ 
funden und würde einem derartigen Befunde auch keine entscheidende 
Bedeutung beilegen, weil der Pfeiffersche Bazillus auch als 
Saprophyt vorkommt. 

J. H o 116 und Else H o 11 6 - W e i 1: Experimentelle Analyse 
der subfebrilen Temperaturen und ihre Ergebnisse. 

Es ergibt sich aus den mitgeteilten Untersuchungen, dass es 
eine Art von äusserst chronischer Subfebrilität gibt, die durch Anti- 
pyretika unbeeinflusst bleibt, durch Opium aber prompt erniedrigt 
wird. Diese Art beruht wahrscheinlich auf erhöhtem Tonus des 
Sympathikus. Klinisch muss sie von der inzipienten, befundlosen 
Lungentuberkulose abgegrenzt werden, mit welcher sie manche Be¬ 
rührung hat. Dies ist mit Hilfe der von Verff. empfohlenen pharma¬ 
kologischen Prüfung möglich. 

G. Seefisch - Berlin: Der chronische Hydrozephalus und das 
chronische Oedem der welchen Hirnhäute (Meningitis serosa) als 
Spätfolge von Schädelverletzungen. 

Das Oedem der weichen Hirnhäute ist eine nicht ganz seltene 
Spätfolge anscheinend leichter Verletzungen, besonders Schussver¬ 
letzungen des Hirnschädels, sein Krankheitsbild ist dem der Neur¬ 
asthenie ähnlich. Heilung bringt nur die Operation, welche zwei¬ 
zeitig auszuführen ist. Zur Deckung des grossen Defektes hat sich 
der doppeltgestielte Periost-Knochen-Brückenlappen sehr gut be¬ 
währt. 

J. R.^ F. R a s s e r s - Leiden: Der Nachweis okkulter Blutungen 
des Digestionsapparats. Nicht zu kurzer Wiedergabe geeignet. 

Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 27, 1918. 

J. Morgenroth und E. B u m k e - Berlin: Zur chemothera¬ 
peutischen Desinfektion durch Chinaalkaloide und ihre Abkömmlinge. 

Die Untersuchungen ergaben, dass das Eukupinotoxin 30 mal so 
stark wirkt wie das Eukupin. Dieser starke Vorsprung in der Wir¬ 
kung besteht aber nur zu Anfang, später, nach 24 Stunden, ist die 
Wirkung nur 2—4 mal so stark. Wichtig ist die starke Wirkung auf 
Pneumokokken, wodurch die Möglichkeit der Kombination mit Opto- 
dnn nahegerückt ist. Für Vuzinotoxin und Vuzin gilt dasselbe. 

G. A. R o s t - Freiburg i. Br.: Ueber die „kombinierte“ Strahlen¬ 
behandlung der Tuberkulose vom Standpunkt des Dermatologen. 

Neben die lokale Bestrahlung ist in neuerer Zeit die Allgemein¬ 
bestrahlung getreten, wodurch ebenfalls auf den lokalen Prozess ge¬ 
wirkt werden kann. Die Kriterien für die Reaktionsfähigkeit des 
Körpers sind die Allgemeinreaktion der Haut. Durch die Allgemein- 
bestrahlung kommt es teils zu subjektiven Besserungen, daneben 
aber auch zu Beschwerden wie Kopfschmerzen etc. Mitunter tritt 
Fieber und Eiweiss ^uf. Man hat also stets den Pat. genau zu be¬ 
obachten. Sodann kann es zu einer Herdreaktion kommen. Sehr 
wünschenswert ist eine Kombination der Allgemeinbehandlung mit 
einer lokalen Bestrahlung, sei es mit Hilfe der Quarzlampe, des Ra¬ 
diums oder der Röntgenbestrahlung. Gerade durch die letztgenannte 
kommt es zu wesentlichen Steigerungen der Wirkung. 

Nobel und Z i 1 czer : Paratyphus-A-Fälle mit Exanthem. 

Es wird über 16 Fälle berichtet, cfle mit einem roseolaähnlichen 
Exanthem einhergingen. Dabei verliefen die Fälle mittelschwer mit 
einer Krankheitsdauer von 3—4 Wochen. Beigefügt .ist ein histo¬ 
logischer Befund der Roseolen. 

C. M o e li : Ueber Vererbung psychischer Anomalien. (Schluss.) 

Erweitert nach einem Vortrag gehalten im Verein f. inn. M. u. 
Kmderhlk. Berlin. S. S. 575. 

Folke Lindstedt -Stockholm: Zur Kritik der Abderhal¬ 
den sehen Fermentlehre. 

Proteolytisches Ferment findet sich auch im Serum von nicht¬ 
graviden Frauen. Es entging den meisten Forschern, weil ihre 
Methodik nicht fein genug ist. 

Albert Bl au-Bonn: Ein einfacher Hebelstreck verband zur Be¬ 
handlung von Oberschenkelbrüchen. 

Beschreibung des von Dr. Ansinn angegebenen Verbandes. 
S. Originalartikel von A. M.m.W. 1918, S. 100 und S. 706. 

P i t z e n : Ein Narkoseapparat fürs Feld. 

Beschreibung eines Apparates, der sich mit Hilfe des Sauerstoff- 
lnhaiationsapparates leicht aufbauen lässt. 

Hans Köhler: Einfaches Verfahren zur Ortsbestimmung von 
Steckschüssen auf einer Röntgenplatte. 

Beschreibung einer Methode. 

H a n dm a n n - Döbeln: Eigenhändige Sondierung und Aus¬ 
spülung des Ductus nasolacrimalls durch einen teilweise Gelähmten. 

Mitteilung eines Falles und Warnung, den Patienten selbst zur 
Sondierung zu veranlassen. Boenheim -Rostock. 

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Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. Nr. 22-23,1918. 

R. S t a e h e 1 i n : Einige Fälle von Lungentuberkulose Im 
Militärdienst. 

Verf. geht auf einige Fälle näher ein und berichtet zusammen¬ 
fassend über däs spätere Schicksal von 64 Kranken. 

R o d e 11 a: Einige Bemerkungen über den Nachweis von Milch¬ 
säure im Magen und dessen Bedeutung. II. Mitteilung. 

Bemerkenswert 2 Fälle von Karzinom, bei denen neben freier 
HCl (20 und 6) positive Milchsäurereaktion gefunden wurde. 

T. H ü s s y: Erfahrungen mit der neuen Schwangerschafts¬ 
reaktion nach R o 11 m a n n. 

Verf. bezweifelt nach den Erfahrungen der Basler Klinrk, ob 
die Methode für die Praxis je geeignet sein wird, da die Resultate 
schwankend, die Technik subtil, das Problem der Spezifität noch 
nicht spruchreif ist. 

. S. G a 1 a n t: Zur Frage der Cutis verticis gyrata. 

Bericht aus einer Irrenanstalt über 7 Fälle. 

Nr. 23. 

Za n g ge r: Die Frage des Kausalzusammenhanges Unfall und 
Krankheit als Aufgabengebiet der Aerzte in der neuen Unfall¬ 
versicherung. Schluss folgt. 

Vogt- Basel: Unfallversicherung und Augenheilkunde. 

Bloch: Einiges über die Bestrebungen der Schweizerischen 
Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. 

A. V i s c h e r: Pneumothorax mit tödlichem Ausgang infolge von 
Anstechen der Lungenspitze bei Anästhesierung des Plexus brachlaüs. 

Klinische Beschreibung und Sektionsbefund. L. Jacob. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

Nr. 26. Fritz De mm er-Wien: Zur Pathologie und Therapie 
der Commotio und Laesio cerebrl. (Vortrag in der k. k. Ges. der 
Aerzte in Wien am 7. Juni 1918.) 

Siegfried Gatscher - Wien: Schwere otologische und andere 
intrakranielle Veränderungen in einem Falle von Schädeltrauma. 
Ein Beitrag für die Kenntnis der diagnostischen Bedeutung der vesti¬ 
bulären Funktionsprüfung bei intrakraniellen Prozessen. 

Verf. zieht hypothetisch aus dem beschriebenen Fälle folgende 
Schlüsse: Störungen im Gebiete der Kernregion der Augenmuskel¬ 
nerven, die bei der willkürlichen Innervation nur undeutlich in die 
Erscheinung treten, lassen sich auf reflektorisch-vestibulärem Wege 
leichter nachweisen, weil der Willkürimpuls etwaige anatomische 
Veränderungen leichter zu überwinden imstande ist als der Reflex. 

Für das Auftreten einer reflektorischen Augenbewegung auf 
einen bestimmten vestibulären Reiz ist in der Kernregion der Augen¬ 
muskelnerven eine vollkommen freie Bahn erforderlich. 

Tritt in der Kernregion eine anatomische Störung ein, so kann 
entsprechend der Lokalisation dieser Störung für die normale 
reflektorische Reaktionsbewegung eine andere auftreten, die in ihrer 
Form ebenfalls von der Lokalisation der Störung abhängt. 

Ist die vestibuläre reflektorische Bewegung der Bulbi in ihrem 
Auftreten behindert, so kann die zentrale Komponente des Nystagmus 
allein als Reflexerscheinung der Kalorisierung sich einstellen. 

Auf der Basis einer anatomischen Veränderung in der Kern¬ 
region der Augenmuskelnerven, die sich bei willkürlicher Innervation 
der Augenmuskeln nicht erkennen lässt, wären die Fälle von sog. 
„atypischen Nystagmus“ bei sonst normalen Labyrinthfunktionen zu 
erklären. 

Oskar Adler und Leo Pollak: Ueber die Anwendung und 
Wirkung des Chlorkalziums beim Menschen. 

Die Untersuchungen der Verfasser beschäftigen sich mit der 
Frage der intravenösen Anwendung des Chlorkalziums im allge¬ 
meinen und mit den Erscheinungen, welche nach den intravenösen 
Infusionen am gesunden und kranken Menschen beobachtet wurden. 

Felix Rosen thal: Zur Theorie und Praxis der Behandlung 
des Stotterns. Zu kurzem Referat nicht geeignet. 

Philipp L e i t n e r - Laibach: Beiträge zur Therapie der Typhus¬ 
bazillenträger. 

Die intravenösen Neosalvarsaninjektionen bei Typhusbazillen- 
trägern zeigten bei ca. 80 Proz. der Fälle eine dauernde Heilwirkung. 
Nur in ca. 20 Proz. blieb der Erfolg des H^ilversuches auch nach der 
zweiten Injektion aus. 12 Patienten wurden behandelt. 

Dr. Zeller- München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Berlin. März (Fortsetzung) bis Juni 1918. 
Löher Ernst: Ueber einen Fall von Quadrantenhemianopsie nach 
Schussverietzung des Hinterhauptes im Felde. • 

Lech n er Heinz: Ueber Kopftetanus. 

Meesmann Aloys: Ueber Erkrankungen des papillo-magulären 
Bündels im Sehnerven und ihre Beziehungen zu den Nebenhöhlen 
der Nase. 

Tarnogrocki Fritz: Behandlungsmethoden des Gasödems. 
Lasser Robert: Die Behandlung der Fistula ani. 

Baader Ernst: Die Arsentherapie der Syphilis bis zur Salvar$anära. 

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826 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 


Jansen Georg: Ein Beitrag zur Frühbehandlung der Gelenkschüsse 
mit Ausschneidung und Tiefenantisepsis. 

Schul tze Friedrich: Die Behandlung der Darminvagination. 

E 1 k i s c h Franz: Kombinierte Blutdrüsenerkrankungen. 

Davidsohn Georg: Ueber Gasbrand und dessen Metastasen. 

Richter Helmut: Ueber Harnblasenrupturen. 

Schramm Hermann: Ueber Lungenhernien. 

Foth Katharina: Todesfälle an Diphtherie, ihre Ursachen und die 
Möglichkeit ihrer Verhütung. 

Cohn Bruno: Ueber einen Fall von Osteomyelitis der Hinterhaupt¬ 
schuppe von einem Nackenfurunkel ausgehend, mit anschliessendem 
subduralen Abszess. 

Trcdcr Dr. phil. Max: Ein Fall von Ileus bei Coecum mobile. 

Kahle Johannes: Das klinische Bild des Paratyphus abdominalis 
A und B. 

Lorentz Gustav: Ueber seltene Formen von Erkrankungen durch 
Strahlenpilze, mit Berücksichtigung der Röntgen- bzw. Radium¬ 
therapie. 

Klag es Götz: Ueber die Häufigkeit und Dauer des Vorkommens 
von Diphtheriebazillen bei Rekonvaleszenten. 

Gleichfeld Günther: Behandlung des Prolapsus recti. 

Veilchenblau Ludwig: Ueber die operative Behandlung ver¬ 
steifter Gelenke, mit besonderer Berücksichtigung knöchern ver¬ 
steifter Ellbogengelenke. 

Köhler geb. Zuckschwcrd Dora: Die Behandlung tuberkulöser 
Halslymphdriisen. 

Schweitzer Erich: Ueber alte Erstgebärende. 

Sadelkow Paul: Intramedulläre Karzinommetastase als Ursache 
einer Haemat-omyelia tubularis. 

Staassengier Friedrich: Ueber einen Fall von Tumor des 
Talamus opticus. 

Brecher Bernhard: Histologische Veränderungen nach Bestrahlung 
bösartiger Geschwülste. 

Hecht Erich: Statistisches über die Ursachen der Herzhypertrophic 
(Hypertrophie des linken Ventrikels). 

Hellmann Georg: Ueber Brustbeingeschwülste. 

Seichter Rudolf: Ueber die Bedeutung der bakteriologischen 
Untersuchung des Blutes bei Säuglingen. 

Grüne wald Edgar: Erste chirurgische Versorgung von Schädel¬ 
schüssen im Feldlazarett; primäre Deckung von Hirn- und Dura- 
defekten durch Fett- und Faszientransplantation. 

Ger lach Ernst: Ueber Marschkrankheiten und Fusspflege. 

Krüger Johann: Die Behandlung des Megakolon. 

Tschang T s c h i n g Vü: Ueber Lebertumoren. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Medizinische Gesellschaft zu Chemnitz. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 13. März 19)8. 

Vorsitzender: Herr Nauwerck. 

Schriftführer: Herr Schuster. 

H-err Schuster: Krankenvorstellungen. 

1. 5 jähriger Knabe mit rayopathischer progressiver Muskel¬ 
atrophie, der erst mit VA Jahren das Gehen lernte. Mit 2VI» Jahren 
fiel den Eltern die .Abmagerung des Rumpfes, im 3. Jahre die Bildung 
eines hohlen Rückens auf. Im 4. Jahre wurden Arme und Beine 
schwach. Ein Sohn des Bruders der Mutter soll dieselbe Erkrankung 
als Kind gehabt haben. 

Bei dem Kranken fällt die hochgradige symmetrische Atrophie 
der Rumpf- und Nackemwiskulatur auf. Die Lendenwirbelsäule ist 
lordotisch verbogen, der Gang wiegend. Aus horizontaler Lage rich¬ 
tet er sich durch Drehen des Körpers, aus bückender Stellung durch 
Aufklettern der Arme an den Beinen auf. Der Leib ist vorgewölbt. 
Der Kopf sinkt nach hinten über und wird mit einem Ruck nach 
vorn geworfen. Der Gesichtsausdruck ist schmerzlich. Die 
Schwäche des Orbicularis oris macht ein Spitzen des Mundes und 
ein Pfeifen unmöglich. Die Kniesehnen- und Bauchdeckcnreflexc 
sind aufgehoben. Die Sensibilität ist erhalten. 

2. 56 jähriger Tischler mit A d d 1 s o n scher Krankheit bei offener 
Lungentuberkulose. 

Mitte August 1917 erkrankte derselbe mit leichter Ermüdbarkeit. 
Unlust zur Arbeit, nervöser Unruhe. Appetitlosigkeit, Magendrücken 
und Durchfällen. Irn Spätherbst 1917 verfärbte sich die Haut des 
Gesichtes und der Hände braun. Seitdem nimmt er an Gewicht ab. 

Der Kranke ist dürftig genährt; sein Körpergewicht beträgt 
46,3 kg. die Temperatur 37,6° C. Ueber den Lungen lässt sich eine 
offene Tuberkulose, links Stadium II, rechts I nach weisen. Das Er¬ 
gebnis des ausgeheberten - Probefrühstücks spricht für einen anaziden 
Magenkatarrh. Der Harn ist frei von Eiweiss und Zucker. Der 
Gehalt an Blutfarbstoff beträgt nach Sahli 55 Proz., der Prozent¬ 
satz an Leukozyten und Lymphozyten je 50 Proz. Die Zählung der 
Blutkörperchen ergibt 5 600 000 Erythrozyten und 5600 Leukozyten. 
Der Puls ist klein und beschleunigt, der Stuhl angehalten. An der 
Haut des Gesichtes, der Handrücken und des Halses findet sich eine 
fiusgesprochene Melanodermie. Die Warzenhöfe, Achselhöhlen und 

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Genitalien sind diffus dunkelbraun pigmentiert. Derselbe Befund er¬ 
gibt sich auch an den Schulterhöhen, Ellbogen und am Kreuzbein. 
Grössere zusammenhängende schwarzbraune Flecken sind an der 
Schleimhaut der Wangen, des Rachens, der Lippen und des Zahn¬ 
fleisches sichtbar. 

Im Anschluss an die Krankenvorstellungen wird des Näheren 
die Symptomatologie, der Verlauf und die Therapie dieser beiden 
Erkrankungen erörtert, bei der letzteren auch die pathologische 
Physiologie der Nebennieren und die Pathogenese der Addison- 
sclien Krankheit. 

Herr Thiele: Einheitsschule und Arzt. 

Leitsätze: 

1. Gegen die Zusammenfassung der Schulanfänger in der all¬ 
gemeinen Volksschule, damit also gegen die Grundlage der Einheits¬ 
schule, bestehen keine ärztlichen Bedenken. 

2. Die Hinausschiebung der endgültigen Entscheidung über die 
Schullaufbahn des Kindes und jungen Menschen und damit die Hinaus¬ 
schiebung der Berufswahl gemäss seiner Anlagen und Begabung 
überhaupt ist ein wesentlicher Vorzug des Einheitsschulgedankens 
auch im gesundheitlichen Sinn. 

3. Gegen die endgültige tatsächliche Auswirkung der Einheits¬ 
schuleinrichtung müssen allerdings vom bevölkerungspolitischen 
Standpunkte aus Bedenken erhoben werden, die nur durch innige 
Verknüpfung mit sozialpolitischen und sozialhygienischen Mass¬ 
nahmen, wenn überhaupt, beschwichtigt werden können. 

4. Daraus folgt, dass ohne dauernde Mitwirkung des sozial- 
hygienisch geschulten Arztes die vielversprechende Neueinrichtung 
des Schulwesens im Sinne der Einheitsschule nicht gelöst werden 
kann. 


Naturhistorisch-medizlnischer Verein zu Heidelberg. 

(Medizinische Sektion.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 8. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Braus. 

Schriftführer: Herr Hombürger. 

Herr H. Braus: Ueber das Sprunggelenk. 

Das Sprungelenk zerfällt in 2 Abschnitte: einer liegt oberhalb 
des Talus (supertalar). der andere unterhalb des Talus (subtalar). 
Das Sprungbein selbst hat keine Muskelanhettungen. Es macht des¬ 
halb jede Stellung der beiden angrenzenden Gelenkflächen mit. wie 
sich die Kugel eines Kugellagers bewegt, welche zwischen Achse 
und Nabe eingeschaltet ist. ln Wirklichkeit werden der super- und 
subtalare Abschnitt im Sprunggelenk bei fast allen Bewegungen kom¬ 
biniert, wie an Kinoaufnahmen deutlich nachzuweisen ist. Speziell 
bei der Pro- und Supination (Maulschellenbewegung) sind auch 
Scharnierbewegungen im supertalaren Abschnitt beteiligt. 

Die Führung dieser im Endresultat relativ einfachen Bewegungen 
kann nicht allein von den (ielenkflächen aus verstanden werden, 
wie etwa bei einer Maschine, wo feste undeformierbare Metalllager 
eindeutig bestimmen, welche Ausschläge gemacht und welche nicht 
gemacht werden können (vgl. dazu auch Petersen: Bänderkine¬ 
matik, Abhdl. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Math.-naturw. KL, 
1918) Der lebende Körper hat in den Muskeln eine Anzahl Arbeits¬ 
kräfte zur ständigen Verfügung, welche um das Gelenk herum so 
orientiert sind, dass sie sofort zugreifen, sobald die Stütz- und Fiih- 
rungsflächen der Gelenke nicht das leisten, was als Gesamtbewegung 
gewollt ist. Daher kommen die tiefgreifenden Folgen, wenn Ver¬ 
sager unter den Muskeln sind. Die Natur arbeitet ähnlich wie Völ¬ 
ker, denen ihre unbegrenzten menschlichen Arbeitskräfte grösste 
technische Leistungen ermöglicht haben (Pharaonenbauten), welche 
heutzutage nur mit komplizierten toten Mitteln statt der fehlenden 
lebendigen Kräfte ausfiihrtiar wären. Der untere Abschnitt des 
Sprunggclenkes ist dafür ein besonders lehrreiches Beispiel. 

Denn im subtalaren Abschnitt, welcher in sich in zwei Kam¬ 
mern zerfällt, ist die vordere Kammer (Afticulatio talocalcaneonavi- 
cularis) in sich beweglich, weil ein dreieckiger ligamentöser Ab¬ 
schnitt eingeschaltet ist: das überknorpeltc Pfannenband (Lig. calca- 
neonaviculare plantare). W. Gebhardt (Vh. Anat. Ges. Innsbruck 
1914 S. 154) hat diese Stelle so aufgefasst, dass der Druck des 
Sprungbeines auf das Band wie bei einer Spannrolle der Technik 
wirke, und dass unter der Last des Körpergewichtes das Fuss- 
gewölbe zusammengedrängt werde (Verkürzung des Gewölbefusses). 
Diese Hypothese wurde von mir experimentell geprüft, doch kann 
ich ihr daraufhin nicht beitreten. Es wurde der Taluskopf von einer 
möglichst kleinen Oeffnung aus weggemeisselt (ohne die umliegen¬ 
den Sehnen zu beschädigen) und in das Gelenk eine Mctallplattc 
eingelegt, welche dem Pfannenband an Grösse entspricht und von 
aussen her mittels eines Stabes gegen die Innenseite des Bandes 
angedrückt und wieder zurückgezogen werden kann. Die Führung, 
in welcher der Stab verschieblich ist, wird am Präparat in der rich¬ 
tigen Lage gehalten, und die ganze normale Konfiguration des Fusses 
wurde nach dem Ausmeisscln des Taluskopfes w'ieder hergestellt, 
indem der entfernte Knochen durch einen Ausguss mit Wood schem 
Metall ersetzt und die Kapsel über diesem fest vernäht wurde. 
Die genaue Form des Talus war dadurch garantiert, dass der Fuss 
eingegipst worden war, so dass der Ausguss von selbst die Form 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




23. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


827 


uiinehmeii musste, welche das weggenommene Stück hatte (davon 
hatten Vorversuche überzeugt). Es wurde ferner jeder Muskel, 
welcher im Leben die Tarsal- und Metatarsalknochcn fixiert, am 
Lr.terschenkel des Präparates mit einer Schnur angeschlungen und 
wurde durch Gewichte an der Schnur ein Zug ausgeübt, welcher 
der lebendigen Kraft des Muskels im Leben entspricht. Dadurch lässt 
vch der freischwebende Fuss des Präparates in jede beliebige natür¬ 
liche Stellung bringen und in ihr erhalten. Drückt man bei dem so 
vorbereiteten Präparat mit der eingelegten Metallplatte auf das 
Pfannenband, so ahmt man dadurch eine isolierte Druckwirkung 
Jcs Taluskopfes auf dieses Band nach: es wirkt der Mechanismus 
rieht als Spannrolle. Die Ausschläge, welche der Gewölbefuss 
Macht, können mit eingesetzten Nadeln (Schreibhebel) registriert 
werden. Sie sind ganz minimal (weder deutliche Verkürzung noch 
Verlängerung des Fusses tritt ein). 

Dagegen zeigt sich, dass bei jedem Druck auf das Piannenband 
der betreffende Nachbarmuskel, vor allem der M. tibialis posterior, 
rachgibt. Eine Gegenwirkung des Tibialis post, (durch stärkeren 
Zag an der betreffenden Schnur des Präparates) kann den Druck des 
Liluskoptes kompensieren. Stellen wir uns ein Idealmodell des 
Talus her (nach der von A. Dönitz, Dissert., Berlin 1903, aus- 
Kcarbeiteten Methode der Fortführung der Gelenkflächen, deren Re- 
Miliate meine Nachprüfung bestätigte), so resultiert ein Körper, der 
d.t Form eines Champagnerkorkes hat. Die vordere Kammer des 
Grunge lenk es umfasst das kugelige Ende dieses Körpers von vorn 
;ul von h i n t e n. Das zylindrische Gegenende ruht mit einer ba¬ 
sten Delle in der hinteren Kammer des Sprunggelenkes. Dreht sich 
-er Fuss tun die Längsachse dieses Idealkörpers im Sinn der Pro- 
and Supination, so kann in jeder Phase das Navikulare zum Kalka- 
,cus so gestellt werden, dass der Taluskopf von vorn und hinten 
eine feste Führungsfläche hat, wie etwa eine Kugel zwischen den 
beiden Backen einer Zange festgehalten wird, welche entsprechend 
etwaigen Unregelmässigkeiten der Kugelfläche beim Drehen der Kugel 
zu- und nachgeben. Das ist an der üebhardtschen Hypothese richtig, 
Liss es sich im Pfanenband um einen relativ beweglichen Abschnitt 
Jer Pfanne handelt, welcher uns erklärt, dass überhaupt eine Gliede- 
:ung der Pfanne in Hart- und Weichteile besteht. Das Band kommt 
-ber nicht der Form des ganzen Fusses zugute, sondern nur der 
variablen Form des Taluskopfes. Die geschilderte Form des 
bprungbeines ist eine Idealfigur. Es gibt von Punkt zu Punkt 
Abweichungen der Form und der Bewegungsart beim einzelnen In¬ 
dividuum und ganz besonders unter verschiedenen Individuen. Alles 
Cd s gleicht beim normalen Menschen die eingeschaltete Bandpartie 
unter der Wirkung der Muskeln aus. (Der wirkliche Talus ist 
ausserdem nur ein Teilstück des idealen Gesamtkörpers; es sind nur 
diejenigen Stellen des Umdrehungskörpers ausgeführt, welche dem 
möglichen Ausschlag der Bewegungen entsprechen.) 

Die einzelnen beteiligten Muskeln werden im Sinn ihres Ein¬ 
flusses auf das Sprunggelenk an der Hand des beschriebenen Modells 
analysiert. Es wird besonders die längst bekannte Tatsache demon- 
srrert. dass der M. peronaeus longus et brevis den Fuss senken 
Plantarflexion), und dass sie nicht, wie immer wieder von Klini¬ 
kern irrtümlich angenommen wird, heben können (Dorsalflexion). 
Dies hat seinen Grund darin, dass das Hypomochlion der Sehnen 
beider Muskeln hinter dem Drehpunkt liegt, um welchen sich der 
Gesamtfuss in der Unterschenkelgabel bewegt. Man kann durch die 
T erreihe verfolgen, dass das Hypomochlion erst in diese Lage kam, 
j s der Malleoius fibulae nach aussen rückte. Solange er nach 
§|>rn schaut, wie bei allen niederen Säugern, sind die Peronaei Dor- 
'»alflexoren, wie alle andern vom Nervus peronaeus communis ver¬ 
sorgten Muskeln (dorsale Muskeln des Unterschenkels, sog. Exteity 
>>ren). Beim Menschen, welcher mehr Muskelkraft nötig hat, um 
licn Fuss plantarw'ärts zu bewegen als ein Vierfiissler, weil dies 
>ii Gehen beim Abwickeln des Fusses vom Boden und im Stehen 
beim Erheben auf die Zehenspitzen regelmässig gegen das Ge¬ 
richt des gesamten Körpers stattfindet, sind die beiden genannten 
Peronaei durch die geschilderte Verlagerung des Malleolus lateralis 
s anz aus der Gruppe der Extensoren ausgeschieden. Der Tibialis 
.anterior. Extensor dig. longus, Ext. hall, longus und Peronaeus ter- 
•ids stehen allen übrigen Muskeln, welche zum Fuss gehen, gegen- 
iner als die einzigen Muskeln, welche dorsal flektieren können, 
i >a$ ist sehr wohl verständlich, weil sie nur das Gewicht des Fusses 
seihst und der Fussbekleidung. aber nicht, wie die übrigen Muskeln, 
aas Gewicht des Gesamtkörpers zu heben haben. Es muss bei der 
Pronation des Fusses, welche zwangsläufig mit einer Dorsalflexion 
Jes Fusses verknüpft ist, ausser dem Peronaeus longus und P. brevis 
och eine Aktion der wenigen dorsalflektierenden Muskeln stattfinden 
i Innervation durch N. peronaeus profundus), um der Plantarflexion 
:cr erstcren entgegenzuwirken und dafür eine Dorsalflexion zu er¬ 
zwingen. 

Diskussion: Während Herr Franke und Herr Wilms 
oer Auffassung des Vortragenden über die Funktion der Mm. pero- 
naei auf Grund chirurgischer Erfahrungen zustimmen, äussert Herr 
iiomburger gegen dieselbe Bedenken aus neurologischen Ge- 
Nchtspunkten. Alle Lähmungsformen, bei denen die Peronaei mit- 
betroften sind und auch isolierte Lähmungen dieser Muskeln zeigen 
«.men Ausfall oder eine Schwäche der Pronation des Fusses und der 
Hebung des äusseren Fussrandes. Es lässt sich durch isolierte elek- 

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trische Reizung dartun, dass die Peronaei den Fuss pronieren und 
den äusseren Fussrand heben. 

Herr Braus bezweifelt die Möglichkeit einer einwandfreien, 
isolierten, zur Hebung des äusseren Fussrandes führenden Reizung 
der Mm. peronaei und hält eine irrtümliche Erklärung der klinischen 
Bilder für wahrscheinlich. 

Herr Steckei in acher weist darauf hin, dass die vom Vor¬ 
tragenden an der Leiche vorgenommenen Ergebnisse in mehrfacher 
Hinsicht mit der täglichen Erfahrung am klinischen Material in 
Widerspruch stehen. In erster Linie spricht die leicht durchführbare 
isolierte elektrische Reizung der Peroneen gegen die Auffassung, 
die Hauptwirkung der in Frage stehenden Muskeln sei, plantar zu 
flektieren. Man beobachtet eben dabei immer wieder die Hebung 
des äusseren Fussrandes und die Abduktion des Fusses, sonst nichts. 
Zweitens spricht gegen die Plantarflexionswirkung der Peroneen 
die Beobachtung an den mit isolierter Lähmung des N. tibialis bc 
hafteten Patienten; diese können durchwegs nicht so plantarflektieren, 
w'as gefordert werden müsste, wenn die an der Leiche gewonnenen 
Vorstellungen richtig w’ären. Drittens spricht dagegen die Beobach¬ 
tung von Peroneuskontrakturen bei dem sog. kontrakten Plattfuss. 
Diese Kontrakturen sind nur so zu erklären, dass bei diesen schwer¬ 
sten Plattfussformen der äussere Fussrand in so extremer Weise ge¬ 
hoben ist, dass die hebende Funktion der Peroneen ganz entfällt und 
nunmehr eine Kontraktur etwa in derselben Weise zustande kommt 
wie am Biceps brachii, wenn der Arm in extremer Beugestellung 
eingegipst war. Hätten die Peroneen die hauptsächliche Funktion 
der Plantarflexoren, so wäre das Auftreten dieser Kontrakuren am 
Plattfuss durchaus unverständlich. 

Herr Wiedhopf: Ueber die Kepplersche Leitungs¬ 
anästhesie der unteren Extremität. 

Sie ersetzt die Narkose bei allen Operationen, auch bei den 
grössten. Das Verfahren ist sicher und ungefährlich; es wird an 
4 Diapositiven erläutert; wesentlich ist es. dass erst nach Auftreten 
von Parästhesien eingespritzt wird mit Ausnahme des N. cutaneus 
femoris lateralis, der subkutan und subfaszial abgeriegelt w ? ird; 
wegen Anastomosen mit dem N. lumboinguinalis, die Rost unter 
30 Präparaten 12 mal gefunden hat, w ird nicht an der empfohlenen 
Stelle sondern handbreit unterhalb der Spina iliaca eingespritzt. Es 
wird 2 proz. Novokain-Adrenalinlösung benutzt, konzentriertere Lö¬ 
sung, Zusatz von mehr Adrenalin als in den Tabletten (Meister 
Lucius & Brüning) enthalten ist, ist unnötig. Die Anästhesie dauert 
2—2M» Stunden. Narkotika werden vor der Einspritzung nicht ver¬ 
abfolgt. In 5—10 Minuten sind alle Nerven (Ichiadikus, gleichzeitig 
damit N. cut. fern, post., N. cut. fern, lat., N. femoralis, N. obturatorius) 
eingespritzt. Die Anästhesie tritt nach 15—20 Minuten ein. Die 
Leitungsanästhesie aller 4 Nerven ist nur bei Oberschenkeloperationen 
erforderlich, für Unterschenkel und Fuss genügen Ischiadikus und 
Femoralis oder Ischiadikus und quere subkutane Abriegelung des 
Saphenus unterhalb des Kniegelenks. Vorübergehende motorische 
Lähmungen sind häufig. Die Zuverlässigkeit der,. K e p p 1 e r sehen 
Anästhesie ist durch endoneurale Injektion bedingt. Es wird An¬ 
ästhesie der Haut, Muskulatur und Knochen von den Zehen bis 
zur Hüfte erreicht, nicht nur bis zur Oberschenkelmitte, wie be¬ 
hauptet wird. Beweis: eigene Erfahrungen und Betrachtung der 
Nervenversorgung des Beines. Nicht anästhetisch werden nur eng¬ 
begrenzte H a u t bezirke unterhalb des Leistenbandes, lateral vom 
Därmbeinkamm zur Trochanterhöhe bzw. dorsal bis zur unteren Ge- 
sässfalte. 52 Fälle betreffen 27 Radikaloperationen von Ober¬ 
schenkelknochenfisteln, 9 Unterschenkelknochenfisteln. 1 Oberschen- 
kelpseudarthrose usw., und stellen nur Eingriffe dar, die nicht in 
Umspritzungsanästhesie ausführbar w'aren. Indikation sehr weit 
gehend, alle Eingriffe am Bein werden ohne Narkose vorgenommen 
nur bei Imbezillen und sehr erregbaren Eatienten kann ausnahms¬ 
weise Narkose nötig werden. Die Vorteile der Leitungsanästhesie 
sind: keine Geiahr der Infektionsausbreitung, weil die Einspritzung 
meist weit im Gesunden erfolgt: unvorhergesehene Erweiterung des 
Operationsfeldes sind bei der Grösse des anästhetischen Gebietes 
leicht möglich: die Leitungsanästhesie kann ohne Schaden wiederholt 
werden: bei Hautlappenplastiken besteht keine Gefahr der Lappen¬ 
gangrän durch Adrenalinwirkung wie bei Umspritzung; Gipsverbände 
nach Pseudarthrosenoperationen werden durch den wachen Zustand 
des Patienten erleichtert: das Allgemeinbefinden des Patienten leidet 
im Gegensatz zur Narkose gar nicht. Beschwerden infolge des Durch¬ 
stechens der Haut und Muskulatur beim Punktieren der Nerven sind 
nicht beobachtet, ebensowenig toxische Schädigungen. Die Arteria 
femoralis kann gelegentlich angestochen werden, auch dabei sind 
Nachteile nicht beobachtet worden. 

Herr Franke: Demonstration einiger Hautplastiken am Bein. 

Vortragender zeigt Diapositive von 4 grossen Narbenge¬ 
schwüren am Fuss und Unterschenkel; die Leute waren alle 
1—2 Jahre behandelt mit Transplantationen und Plastiken, aber ohne 
Erfolg. Heilung wurde erzielt durch Ueberpflanzung eines Haut¬ 
fettlappens vom gesunden Bein nach der italienischen Methode. Die 
Brücke wurde in der 3. Woche durchtrennt, und zwar in der Regel 
in 3 Sitzungen unter Abständen von 2 Tagen. Man sieht auf diese 
Weise am besten, ob bereits genügende Ernährung eingetreten ist. 
Die Bedingungen für derartige Ueberpflanzungen sind am Unter¬ 
schenkel schlechter als am übrigen Körper, offenbar liegt das an den 

Original ffom 

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I 


828 _MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.__Nr. 30. 


Zirkulationsverhältnissen. Deshalb wurden vor der Operation die 
Leute mindestens 3 Wochen zu Bett gehalten. Dabei reinigen sich 
die Geschwüre und venöse Stauungen verschwinden vollkommen. 

Derselbe: Ueber Pseudarthrosen nach Schussfrakturen. 

Das Krankenmaterial des Res.-Laz. Ettlingen bringt es mit sich, 
dass die dort zur Behandlung kommenden Pseudarthrosen fast aus¬ 
nahmslos ein- oder mehrmals voroperiert sind. Derartige Leute sind 
begreiflicherweise höchstens noch einmal zu einer Operation zu be¬ 
wegen. Deshalb musste in erster Linie Gewicht darauf gelegt wer¬ 
den, mit einer Operation auszukommen, möglichst auch bei fistelnden 
Fällen. Der Begriff Pseudarthröse wird nicht überall einheitlich auf¬ 
gefasst, wie das beispielsweise die Diskussion über dieses Thema in 
der von der Prüfstelle für Ersatzglieder nach Berlin einberufenen 
Versammlung am 23.1.18 zeigte; dort wurden Schlottergelenke unter 
Pseudarthrosen vorgestellt. Unter Pseudarthröse soll ein nicht knö¬ 
chern geheilter Bruch verstanden werden, also eine Kontinuitäts¬ 
trennung im Verlauf eines Knochens, nicht aber ein Defekt an der 
Stelle eines normalen Gelenkes. Unter den Pseudarthrosen gibt 
es einige wenige Formen, die der klinischen Diagnose ohne Röntgen¬ 
bild Schwierigkeiten machen können, beispielsweise in der Fibula, 
an den Rippen, im proximalen Teil des Radius und zuweilen auch 
in der Ulna. Aber das sind gerade die Formen, die für die Funktion 
wenig bedeuten, so dass dem Patienten kein grosser Schaden er¬ 
wächst, wenn sie einmal übersehen werden. Der weitaus grösste 
Teil der Pseudarthrosen und gerade die, welche die Gcbrauchsfähig- 
keti der Extremitäten schwer schädigen, sind ausserordentlich leicht 
zu diagnostizieren. Im Gegensatz zu den Pseudarthrosen des Frie¬ 
dens sehen wir im Kriege häufig die falschen Gelenke dadurch ent¬ 
standen, dass mehr oder weniger grosse/ l'eilc eines Knochens ver- 
lorengegangen sind. Verzögerte Kallusbildung darf, nicht verwechselt 
werden mit echter Pseudarthröse. Man sieht hie und da Fälle, die 
nach 3—4 Monaten noch keine Spur von Konsolidation zeigen; macht 
man zu dieser Zeit ein Röntgenbild, so erkennt man um die zahl¬ 
reichen Knochenstücke, die eingelagert sind zwischen die Fraktur¬ 
enden, einen feinen Schleier von in Bildung begriffenem Kallus. In 
erstaunlich kurzer Zeit sieht man derartige Fälle oft spontan fest 
werden, die Schnelligkeit der Konsolidation erinnert fast an eine 
Kristallisation. Solche Fälle sind unter den von ihm als Pseud¬ 
arthrosen behandelten wohl picht anzutreffen, weil sie, wie gesagt, 
alle schon voroperiert waren. 

Unter den Behandlungsmethoden kann man wohl im wesent¬ 
lichen zwei unterscheiden: die eine arbeitet mit Implantation von 
allen möglichen Gegenständen, wobei zweifellos der Autotransplan¬ 
tation der Vorzug zu geben ist. Mit diesen Methoden hat der Vor¬ 
tragende sehr vorsichtig umgehen müssen und sie nur in streng 
ausgewählten Fällen angew’endet, weil ihm die Erfolge zu unsicher 
erschienen. Zu diesen Autoimplantationen gehört auch die von 
Völcker in einer früheren Sitzung des Vereins erwähnte Methode, 
die darin besteht, dass die abgemeisselten Knochenenden zerklopft 
und dann wieder an die Stelle der Pseudarthröse gebracht werden. 
Ebenso wie alle andern Implantationen scheint ihm dieses Verfahren 
nicht genügend sicher zu sein im Erfolg, ausserdem kann man beim 
Abmeisseln der Knochenenden eingewachsene Nerven übersehen 
und damit die spätere Nervennaht beträchtlich erschweren, ferner 
sind fistelnde Fälle jeder Implantation unzugänglich. Als eine der 
wesentlichsten Kontraindikationen gegen die Implantationen sind 
neben der Fistel nach den Erfahrungen des Vortragenden grosse 
Weichteilnarben an Stelle der Pseudarthröse zu betrachten. Löst 
man diese Narben ab und implantiert darunter, so schmilzt oft trotz 
anfänglich aseptischen Verlaufes die grosse Narbe ein, das Implantat 
liegt frei zutage und wird dann natürlich abgestossen. In der grossen 
Mehrzahl seiner Fälle hat er deshalb nicht implantiert, sondern die 
Knochenenden angefrischt. Dabei genügt aber nicht die linienförmige 
Anfrischung und Drahtnaht, sondern die Enden müssen 1—1,5 cm 
ineinandergeifen. Bei aseptischen Fällen wird die Situation durch 
eine Drahtnaht fixiert, bei eitrigen werden die Knochenenden durch 
eine zu diesem Zwecke angefertigte Zange zusammengehalten nach 
Entfernung aller Sequester. Drahtnaht wie Zange haben nur den 
Zweck, die geschaffenen Verhältnisse so lange zu fixieren, bis der 
in jedem Fall anzulegende Gipsverband angezogen hat. Denn der 
Assistent kann unmöglich ohne diese Hilfsmittel die Knochenenden 
ineinanderhalten. Eine grosse Erleichterung bei derartigen Opera¬ 
tionen ist die Anw'endug der Leitungsanästhesie, die neuerdings auch 
für den Oberschenkel mit Sicherheit angewendet wird. 

Die entstehende Zunahme der Verkürzung kann leicht in Kauf 
genommen werden bei der Schwere der Schädigung durch die Pseud- 
arthrose. An der oberen Extremität spielt die Verkürzung für die 
Funktion überhaupt kaum eine Rolle. Auch an der unteren Ex¬ 
tremität sind zweifellos Pseudarthrosen ein unvergleichlich viel 
grösseres Uebel, als die Zunahme der Verkürzung um 1—2 cm. Am 
Vorderarm und Unterschenkel wird in derselben Weise angefrischt und 
die Knochenenden ineincinander gefügt, wenn beide Knochen beteiligt 
sind; ist nur einer pseudarthrotisch, so wird beim Fehlen grösserer 
Narben die Autoimplantatiou bevorzugt, in den andern Fällen die 
Resektion auch des gesunden Knochens und das Ineinanderfiigen der 
Enden in der früher erwähnten Weise. An einer grossen Zahl von 
Diapositiven nach Röntgenbildern wird das Gesagte erläutert. 

Herr Rörig (als Gast) zeigt Röntgenbilder urologischer Fälle: 

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1. Kalkulosis einer Niere; vollständigen Ausguss der Nieren- 
kapsel in II cm Höhe, 5,2 cm Breite. Dabei bestanden auf dieser 
Nierenseite nie Schmerzen. 

2. Doppelseitige Riesennierensteine eines 19 jährigen Soldaten, 
links 9:5 cm , rechts 5:4,5 und 6:4,5 cm Grösse. 

3. Linksseitigen Nierenstein 4:2 cm Grösse. i 

4. Die Pyelographie einer mächtigen Hydronephrose. 1 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 14. Februar 1918. 

Herr Stöckel bespricht einen Fall von Blasenschrumpfung 
und dessen Behandlung. 

Diskussion: Herren Anschürt z, Stöckel. 

Herr Käppis: Vorstellung zweier gehellter Tumoren der 
hinteren Schädelgrube. 

a) Kleinhirribrückenwinkeltumor bei 24jährigem Mädchen. Neun: 
Monate lang krank. Erscheinungen allgemeinen Hirndrucks mit Aus¬ 
fall des rechten Akustikus. Zweizeitige Operation. Kurze Zeit Li¬ 
quorfistel. Vorübergehend Fazialisparese, die im Laufe von drei 
Monaten völlig verschwand. Völlige Rückbildung der Stauungs¬ 
papille. Im Februar 1918 nur noch leichte Hemiasthenie rechts, sonst 
alles normal. Walmissgrosser, abgekapselter Tumor. Mikroskopi¬ 
scher Befund: Fibrosarkorn. 

b) Kleinhirntumor links bei 13 jährigem Jungen. Dezember 1912 
zweizeitig entfernt; dicht unter der Oberfläche des Unken Klein¬ 
hirns sitzender, völlig abgekapselter, hühnereigrosser Tumor. 

Mikroskopischer Befund: Gliom. 

Der Tumor hatte ein halbes Jahr lang allgemeine Druckerschei¬ 
nungen gemacht, Schmerzen besonders rechts im Hinterkopf. Hemi¬ 
asthenie links. Seit Juli 1917 beim Militär, zurzeit im Felde; be¬ 
schwerdelos. 

Herr A n s c h ü t z berichtet über den Kriegschirurgenkongress 
in Brüssel. 

Ferner spricht er über Hämaturie kn Gefolge schwerer eitriger 
Appendizitis. 

Im Laufe der Jahre hatte A. Gelegenheit, bei fünf Patienten, 
die an schwerer eitriger Appendizitis mit Peritonitis operiert worden 
w aren, Hämaturie zu beobachten. Wenn diese Komplikation auch 
nur in einer sehr kleinen Prozentzahl der Fälle beobachtet w r urde, so 
prägt sie sich doch dem Gedächtnis fest ein, weil ihr Auftreten bei 
den Schwerkranken jedesmal grosse Sorge erweckte, die allerdings 
nur vorübergehend war. Vier Fälle betrafen jugendliche Individuen 
im Alter zwischen 10 und 14 Jahren, der fünfte ein Mädchen von 
25 Jahren. Bei sämtlichen Kranken trat die Hämaturie in der 
3.- 4. Woche nach der Erkrankung auf. Alle sind vollkom¬ 
men gesund geworden. 

Sehr charakteristisch ist der zuletzt beobachtete Fall bei einem 
lOjähr. Jungen, der 24 Stunden nach Beginn der Appendizitis eine 
ausgedehnte eitrige Peritonitis hatte. Im Verlauf kam es zu schweren 
Ueiiserscheinungen, die zwei Enterostomien nötig machten. 4 Wochen 
nach Beginn traten heftige Schmerzen in- der linken Nierengegend auf. 
Tags darauf zeigten sich reichlich rote Blutkörperchen und Blut¬ 
körperchenzylinder im Urin, kein Eiter, wenig Leukozyten. Die 
Blutung und Schmerzen w'aren sehr stark. Es wurde tropfenweise 
fast reines Blut aus der Urethra entleert. Nach wenigen Tagen 
fanden sich nur noch geringe Mengen von roten Blutkörperchen, 
zahlreiche hyaline Zylinder, wenig Leukozyten, wenig Epithelien, 
geringer Albumengchalt. 10 Tage später Urin vollkommen normal. 
7 Wochen nach Beginn der Krankheit, als Patient schon entlassen 
war, plötzlich heftige Schmerzen rechts in der Nierengegend, aber 
keine offensichtliche Hämaturie, nur rote Blutkörperchen und Blut¬ 
zylinder. Einige Tage später Urin vollkommen normal. 

Noch bei einem zweiten Fall waren die Koliken doppelseitig, 
bei dem dritten einseitig. Bei einem 11jährigen Mädchen traten 
Koliken nicht auf. nur Hämaturie. 

Die Hämaturie des 25jähr. Mädchens ist nicht ganz eindeutig 
insofern, als sie nach einer Punktion des Parametriums eintrat und 
auch Zylinder nicht nachgewiesen wurden. Es könnte sich um eine 
Urethrablutung gehandelt haben. Bei den anderen Fällen dürfte 
kein Zweifel sein, dass die Niere der Ort der Blutausscheidung ge¬ 
wiesen ist, wofür ausser den typischen, in der Nierengegend sitzen¬ 
den kolikartigen Schmerzen auch der regelmässige Befund von Blut¬ 
zylindern sprach. 

Man ist wohl gezwungen, einen direkten Zusammenhang zwi¬ 
schen der sclnveren Appendizitis und der Hämaturie anzunehmen. 
Ein direktes Uebergreifen der Erkrankung auf die Niere erscheint 
in den Fällen der Kinder ausgeschlossen. Eher wäre es denkbar, 
dass der Prozess auf dem Wege der Venen oder Lytnphbahner 
durch Thrombose oder Verschleppung in die Niere gelangt sein 
könnte. Es muss auch an die Möglichkeit von arteriellen Infarkter 
in der Niere gedacht werden, die jedoch schwer erklärlich sind, da 
keine Zeichen einer Endokarditis Vorlagen. 

Die beste Erklärung für das Auftreten der Hämaturie scheint ir 
der Annahme einer akuten zirkumskripten Nephritis zu liegen. di( 
ja bekanntermassen vielfach zur Erklärung der heftigen Nieren 
koliken und der Nierenblutungen verantwortlich gemacht wird. Voi 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



23., Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


829 


Israel. Xummell, Kotzenberg, Strauss etc. ist autoptisch 
und bei den Operationen das Bestehen solcher herdförmiger Nephrir- 
::den als Ursache derartiger Erscheinungen, wie wir sie nach Appen¬ 
dizitis sahen, festgestellt worden. Die Nephritis erklärt sich in un¬ 
seren Fällen einfach als eine toxische. Für Bakterienembolien war 
Jer Verlauf zu kurz. Leider konnte in den Fällen keine gesonderte 
Untersuchung der Nieren vorgenommen werden. 

Man kann annehmen, dass die Hämaturie auch bei Fällen nicht- 
operierter Appendizitis, wie das Frisch gesehen hat, eintritt, wo¬ 
durch die Diagnose des Grundleidens vollkommen verdeckt wird. 

In der Literatur ist bisher wenig über diese Komplikation be¬ 
richtet worden. In den grossen Sammelwerken über Appendizitis ist 
sie nicht erwähnt. Ein Fall findet sich bei Israel, einige sind in 
einer Arbeit von Frisch in der W.kl.W. 1913 ausgeführt. 

Diskussion: Herren Birk und N e u b e r. 

Herr Schüssler: Ueber Zystennieren. 

Vortr. berichtet über 4 Fälle von Zystennieren, die in der Kgl. 
;hir. Klinik behandelt wurden. Es handelte sich 

1. Um eine typische Traubenniere, die exstirpiert wurde bei 
tadelloser Funktion der anderen Niere. Spätere Nachuntersuchungen 
ergaben das allmähliche Erlahmen der zweiten Niere und deutliche 
Erscheinungen der Niereninsuffizienz. 

2. Eine unter der Diagnose: Alte Tuberkulose der Niere ekto- 
nuerte, hypoplastische obliterierte Zystenniere von 100 g Gewicht. 
Das Röntgenbild hatte einen intensiven Schatten von Apfelgrösse in 
ü«t rechten Nierengegend nachgewiesen, der in Verbindung mit langer 
zystitischer Anamnese eine verkalkte Tuberkulose vermuten liess. 
Exaus 5 Monate nach der Operation unter urämischen Erscheinungen. 
'Ausserhalb klinischer Beobachtung.) 

3. Doppelseitige infizierte grosse Zystenniere mit kurzer Anam¬ 
nese und Exitus 14 Tage nach der probatorischen Freilegung der 
rechten, allein palpablen Niere. 

4. Vorstellung einer 44 jährigen Frau mit doppelseitigen zysti¬ 
schen Nierentumoren. Niedriges spezifisches Gewicht. Spuren von 
Albuinen. Hypertonie. Verzögerte Indigokarminausscheidung, sowie 
Kochsalz- und Harnstoffretention. Behandlung wie die einer inter¬ 
stitiellen Nephritis. 

Besprechung der verschiedenen Theorien über die Pathogenese 
der Zystennieren und Zustimmung zu der Ansicht Berners, .dass 
eine Zystenniere durch Entwicklungsanomalien einer-, durch ge- 
ichwulstartige Proliferationen anderseits entstehe, was alle klinischen 
Erscheinungen erkläre. Diese sind in den Fällen, wo kein doppel¬ 
seitiger Tumor nachzuweisen ist, äusserst vieldeutig und das klinische 
Bild sehr wechselnd. Einen bestimmten Symptomenkomplex für 
Zystennieren gibt es nicht. Am konstantesten ist noch das niedrige 
spezifische Gewicht, was der sonstigen Aehnlichkeit mit der chro¬ 
nischen interstitiellen Nephritis entspricht. Die Therapie bei dia¬ 
gnostizierten Zystennieren muss stets konservativ sein. Nur bei 
vitalen Indikationen, wie profusen Hämaturien oder schweren Ver¬ 
eiterungen, kommt die Ektomie resp. Nephrektomie in Frage. 

Herr Käppis: Vorstellung eines fünfjährigen Jungen mit 
einer schnappenden Schulter. 

Der Fall wird besonders veröffentlicht werden. 

Herr Anschütz spricht über Hernien in Krieg und Frieden. 


Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 14. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr B a h r d t. 

Schriftführer: Herr Huebschmann, 

Herr Goepel: Erfahrungen mit dem Fried mann sehen 
I uberknlosemittel. (Nachwort.) 

M. H.! Gestatten Sie mir noch eine kurze Beantwortung einiger 
spezieller Anfragen, das Friedmann sehe Mittel betreffend, 
reiche in der letzten Sitzung wegen der vorgeschrittenen Zeit 
-seht mehr zur Sprache gebracht werden konnten. 

Was zunächst die Möglichkeit von Schädigungen durch das Mit- 
:d betrifft, so haben unsere klinischen Erfahrungen die Tatsache der 
AVirulenz der Fr i e d m ann sehen Tuberkeibazillen auch für den 
Menschen bestätigt. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass das 
Mittel indifferent sei. Ein spezifisches Heilmittel gegen Tuberkulose 
selbstverständlich nicht indifferent sein. Vielmehr ist seine Un¬ 
schädlichkeit und seine Heilwirkung, wie die jedles spezifischen Heil¬ 
ruttels, an die Beobachtung ganz bestimmter Regeln sowohl in 
:er Auswahl der Fälle als in der Dosierung und Appiikationsart ge- 
kirupit. Zur Erleichterung der Handhabung des Mittels werden dem 
Präparat Richtlinien für den Gebrauch beigegeben, die von Fried- 
rc a n n ausgearbeitet worden sind und den Bedürfnissen der Praxis 
Rechnung tragen. 

Die Höhe der Dosierung ist nicht abhängig von dem Alter der 
Patienten, sondern ausschliesslich von der mutmasslichen Reaktions¬ 
fähigkeit der Organismen. Im allgemeinen sind allerdings Kinder mehr 
rer anaphylaktischen Ausstossung des Impfstoffes geneigt, als Erwach¬ 
sene. da sie eine grössere Reaktionsfähigkeit im Sinne der Allergie be¬ 
sitzen, ganz besonders Kinder mit multiplen versprengten tuberku- 
Herden. Dementsprechend muss in solchen Fällen die Dosis 

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herabgesetzt werden. Andererseits sehen wir aber, dass Kinder mit 
sehr aktiven, isolierten, tuberkulösen Erkrankungsherden die volle Dosis 
der starken Emulsion willig aufnehmen und behalten. Ich erinnere an 
das vorgestellte Kind Peters mit den zahlreichen Fisteln am rechten 
Kniegelenk, welches auf die Volldosis der starken Emulsion mit einem 
vollständigen Umschwung seines Zustandes in denkbar günstigem 
Sinne geantwortet hat. Auch das zur Heilung gelangte Kind Ecke 
mit frischer Hüftgelenktuberkulose hat die Volldosis der starken 
Emulsion ohne Störung aufgenommen und behalten. Das Verhalten 
dieser beiden Kinder liefert den Beweis, dass hier ein Mangel an 
natürlichen Schutzkräften vorlag, während die multiplen versprengten 
tuberkulösen Herde der kleinen Kinder' vielleicht sogar direkt der 
Ausdruck und die Folge einer anaphylaktischen Ueberempfindlich- 
keit sind. 

Im Gegensatz zu den jugendlichen Individuen zeigen ältere 
Kranke, besonders Lungenkranke, im allgemeinen eine geringere 
Neigung zur anaphylaktischen Ausscheidung des Impfherdes, dafür 
aber wieder eine um so grössere zur Ablenkung und Erschöpfung 
der Schutzkräfte. Daher die Notwendigkeit der relativ schwachen 
Dosen speziell bei Lungenkranken. Bei spontan gut geschützten In¬ 
dividuen können wir aber auch hier einer starken Neigung zur 
anaphylaktischen Ausstossung begegnen. 

Dass bei Kindern dler Grund der erhöhten Neigung zu anaphylak¬ 
tischen Störungen in der Kollision mit den natürlichen Schutzkräften 
zu suchen ist, geht daraus hervor, dass die noch pirquetnegativen 
Neugeborenen ziemlich grosse Mengen des F r iedmannsehen Mit¬ 
tels ohne jede Störung der Resorption vertragen. 

Mit dem Fr i e dm a n n sehen Mittel behandelte Kranke sollen, 
wie von F r i e d in a n n immer betont worden und auch in meiner 
Klinik näher auseinander gesetzt ist, auf lange Zeit hinaus einem 
operativen Eingriff am Impfherd und Krankheitsherd, sowie einer 
Tuberkulinbehandlung nicht unterworfen werden. Dagegen beein¬ 
trächtigen Operationen, die mehrere Monate vor der Impfung vorge- 
nommen wurden, die Impfwirkung ebensowenig, wie vor der Impfung 
ausgeführte Jodoforminjektionen, z. B. die auch von mir geübte, 
der Impfung vorausgehende Jodoformbehandlung tuberkulöser Ab¬ 
szesse. Nach der Impfung ist auch Letztere zu unterlassen. 

Was weiter die Behandlung bereits in Heilung begriffener Fälle, 
resp. die gestellte Frage anbetrifft, ob man Patienten, die beispiels¬ 
weise gut beeinflusst aus Lungenheilstätten zurückkehren, durch die 
Impfung in noch höherem Masse gegen die Krankheit festigen kann, 
so deckt sich diese Frage mit der der Prophylaxe durch die Impfung 
überhaupt. Die Antwort geht dahin, dass, so vielversprechend die 
Schutzimpfung neugeborener und junger Kinder aus tuberkulösem 
Milieu ist, eine prophylaktische Impfung klinisch gesunder Er¬ 
wachsener gegen Tuberkulose nicht angebracht ist. Ein Individuum, 
welches mit seinen menschlichen Tuberkelbazillen, die es erfahrungs- 
gemäss frühzeitig aufgenommen hat, allein fertig wird, soll nicht in¬ 
jiziert werden, also auch nicht ein Individuum, welches sich in voller 
Genesung befindet. Man kann in diesem Zeitpunkt durch eine Impfung 
nur störend auf dien natürlichen Schutzmechanismus des Körpers ein¬ 
wirken und muss damit rechnen, einer starken allergischen Reaktion 
zu begegnen. Erst wenn der Körper durch erstmaliges oder erneutes 
Erkranken zu erkennen gibt, dass seine natürlichen Sohutzkräfte ver¬ 
sagen, erst dann, dann aber auch sofort, ist die Zeit für die Ein¬ 
fügung des Friedmann sehen Antigens gekommen. 

Was die Frage anbetrifft, ob die Injektion intramuskulär oder 
subkutan stattfinden soll, so hat uns die durch lange Zeit prinzipiell von 
uns durchgeführte subkutane Injektion und die dadurch ermöglichte 
Beobachtung des Impfdepots einen Einblick in die Gesetzmässig¬ 
keit des Verhaltens des letzteren gewährt, wie man einen solchen 
nicht gewinnen, kann, wenn man nur intramuskulär injiziert. Die Be¬ 
obachtung der subkutanen Impfstelle hat uns gezeigt, dass die Bildung 
eines massigen Infiltrats, welches allmählich, aber fortschreitend zur 
Resorption gelangt, die günstigste Aussicht für die Heilwirkung dar¬ 
bietet. Ein extrem starkes Infiltrat oder gar eine Erweichung und 
Perforation desselben beweist bereits, dass die Reaktionsfähigkeit des 
betreffenden Individuums, die identisch ist mit dessen Immunitätszu¬ 
stand, nicht richtig abgeschätzt worden ist und eine fehlerhafte Ueber- 
dosierung stattgefunden hat, denndie allergische Reaktion 
ist abhängig von der Höhe der Dosierung. In der 
richtigen Abschätzung der Reaktionsfähigkeit des 
erkrankten Individuums liegt daher die Kunst, aber auch 
dfie Schwierigkeit der Friedmann sehen Behandlung. Ideell 
ist der vollkommenste Heilerfolg zu erwarten durch die grösstmögliche 
Impfdosis, die einerseits der Klippe der allergischen Erweichung und 
andererseits der der Ablenkung und Erschöpfung der natürlichen 
Schutzkräfte eben entgeht. In der Praxis ist es jedoch notwendig, bei 
dem steten Schwanken des Immunitätszustandles und, so lange es 
keinen Weg gibt, den Immunitätstitcr objektiv festzustelten, hinter 
diesem Ziel zurückzubleiben und im Zweifelsfalle stets die geringere 
Dosierung zu wählen. 

Ich gebe zu, dass die Möglichkeit einer allergischen Ausstossung 
des Irnpfdepots bei der subkutanen Injektion, sofern man sich in der 
Abschätzung der Aufnahmefähigkeit des Individuums irrt, eine erhöhte 
ist, da die allergische Reaktionsfähigkeit der Gewebe von der äusseren 
Bedeckung nach der Tiefe zu abnimmt. in der Kutis am stärksten, 
in der Muskulatur am schwächsten ist. Bei Verwendung der stärkeren 
Dosen des Friedman n sehen Mittels hat deshalb die intramusku¬ 
läre, glutäale Injektion gewisse Vorteile, während bei den ganz 

Original ftom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



830 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30, 


schwachen Dosen die subkutane Injektion oberhalb der Kniescheibe 
gerade wegen der verlangsamten Resorption uno' auch aus praktischen 
Gründen vorzuziehen ist. 

Eine Wiederholung der Impfung ist dann a n g e z e i g t und not¬ 
wendig, wenn nach vorheriger Besserung in dem Zustand des 
Kranken wieder eine Verschlechterung eintritt oder wenn sich trotz 
richtiger Dosierung und langen Abwartens eine günstige Beeinflussung 
der tuberkulösen Erkrankung durch die Impfung nicht geltend macht. 
Voraussetzung ist, dass das von der ersten Injektion herriihrende In¬ 
filtrat völlig verschwunden ist. Im allgemeinen ist nach Anwendung 
der starken Emulsion eine Wiederholung der Impfung vor annähernd 
einem Jahre, bei Anwendung der ganz schwachen Emulsion vor 2 bis 
3 Monaten nicht angezeigt. Nach neuerlich von uns gemachten Er¬ 
fahrungen genügen für die Wiederholung der Injektion auch nach 
vorausgegangener starker Impfung ganz schwache Dosen (z. B. bei 
chirurgischen Kranken 0,5 ganz schwach), um den Heilvorgang oft in 
sehr auffallender Weise wieder anzuregen. 

Der Heilvorgang unter der Einwirkung des künstlichen Antigens 
entspricht durchaus dem der spontanen Heilungen. Er erfolgt durch 
Resorption oder Abkapselung, besonders bei ganz frischen Prozessen, 
und durch Eliminierung der Krankheitsherde auf dem Umwege iiber 
Erweichung, Abszessbildung und Perforation bei älteren Erkrankungs¬ 
herden. Die Anregung zur Einschmelzung der Herde durch die 
Impfung erklärt die günstige Wirkung der Impfung bei offener Gelenk¬ 
tuberkulose und bei nach Operationen zurückgebliebenen Eistein und 
schränkt andererseits die Impfung bei älteren geschlossenen Ge- 
ienkfällen e i n, denn das Auftreten von Einschmelzungen und Abszess¬ 
bildung ist bei geschlossener Gelenktuberkulose unbedingt ein Nach¬ 
teil. Dass vom pathologischen Standpunkt aus die eitrige Ein¬ 
schmelzung der tuberkulösen Herde und die Anbahnung der Eliminie¬ 
rung auf dem Wege der Perforation die Bedeutung eines Heilvor¬ 
ganges hat, genau wje bei akut entzündlichen Prozessen, scheint mir 
daraus hervorzugehen, dass man beim Einsetzen einer Miliartuber¬ 
kulose ein Versiegen der Absonderung der Fisteln neben Abschwellen 
der erkrankten Organe beobachten kann. Auch die tuberkulöse Ein¬ 
schmelzung stellt sich darnach, wie die akute Entzündung, als eine 
Heilreaktion dar, die in dem Augenblick erlischt, wo der Körper vor 
der Krankheit die Waffen streckt. In einem Falle von geschlossener 
Gelenktuberkulose sahen wir im Anschluss an die Impfung eine ausge¬ 
dehnte Osteophytbildung auf treten, wie sie bei Tuberkulose zu den 
grossen Seltenheiten gehört. Der tuberkulöse Prozess hatte unter dem 
Einfluss der Impfung seinen, spezifischen Charakter gleichsam ver¬ 
loren und das pathologische Bild näherte sich dem cler akuten 
Osteomyelitis. 

Wenn ich die Hauptindikationen für den Gebrauch des Fried¬ 
man n sehen Mittels nochmals kurz hervorheben darf, so betreffen 
dieselben in erster Linie die wirklich ganz frischen' Erkrankungen 
jedweder Organe, besonders auch der Lunge. Von vorgeschritteneren 
Fällen chirurgischer Tuberkulose hat sich uns das Verfahren am 
besten bewährt bei aktiver Nebenhoden- und Hodentuberkulose, 
Tuberkulose der weiblichen Brustdrüse, Rippen- und Wirbelsüulen- 
tuberkulose, namentlich der offenen Formen der ersteren, offener 
Gelenktuberkulose und bei nach Operationen zurückgebliebenen, nicht 
zur Heilung gelangenden tuberkulösen Fisteln. Wer mit dem Mittel 
noch keine eigenen Erfahrungen gesammelt hat. tut gut, sich zunächst 
auf obige Indikationen zu beschränken. Ein wahlloses Einspritzen 
der tuberkulös Erkrankten, womöglich bei gleichhoher Dosierung und 
gleichzeitiger Applikationsart, führt, wie die Erfahrung bestätigt hat, 
notwendig zu einem Misserfolg. Jeder tuberkulöse Kranke stellt ein 
Problem für sich dar und erfordert ein eigenes Studium, um ein Urteil 
über seine Konstitution und seine mutmassliche Reaktionsfähigkeit zu 
gewinnen. Neben der richtigen Auswahl der Fälle und 
der Rechtzeitigkeit der Impfung wird ein Erfolg 
nur durch ein sorgfältiges Ab wägen der Dosierung 
im einzelnen Falle verbürgt. 

Zum Schluss gestatten Sie mir noch einige Worte über die in 
der Diskussion erwähnten Verunreinigungen des im Jahre 1914 in 
den Handel gebrachten Präparates, die zu zahlreichen Angriffen Ver¬ 
anlassung gegeben haben. Ich möchte nochmals hervorheben, dass 
diese Vorwürfe in keiner Weise das Mittel als solches, sondern ledig¬ 
lich die frühere fabrikatorische Herstellung desselben betrafen. Die 
damalige Fabrik hat die Kultur rein von F r i e d m a n ti überkommen, 
wie die jetzige Fabrik und Herr Geheimrat Kruse die Kultur rein 
überkommen haben. Allerdings hat es sich herausgestellt, dass die 
fabrikatorische Herstellung eines Präparates lebender Tuberkel¬ 
bazillen auf nicht geringe Schwierigkeiten stösst. Das hat niemand 
voraussehen können. Sobald die Verunreinigung des damaligen 
Präparates feststand, ist ein Wandel geschaffen worden. 

Das Mittel wird jetzt von der Chemischen Fabrik „Bram“ in 
Leipzig-Oelzschau hergestellt. Friedmann hat von einer Frei¬ 
gabe des Mittels vorläufig abgesehen, um von den Herren, die das 
Mittel erhalten, regelmässig über Art der Anwendung und die Ent¬ 
wickelung der Fälle auf dem Laufenden erhalten zu werden. Durch 
ein solches Vorgehen und durch ein Zusammenflüssen der Erfahrungen 
an einer Stelle kann der fortschreitenden Erkenntnis nur gedient 
werden. 

Herr Hörhammer demonstriert einen Fall von grossem 
Thoraxwanddefekt auf der linken Seite, wodurch das Herz in 
grösserer Ausdehnung subkutan zu liegen kommt. 

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Der 50 jährige Patient wurde im Juni 1914 auswärts operiert 
Er hatte damals in der linken Brustseite eine kleine, aber sich raset 
vergrössernde Geschwulst. Die Geschwulst -wurde entfernt. Iir 
November trat aber schon wieder ein Rezidiv auf, das etwa taust 
gross war. Am 14. XII. wurde die 5. bis 7. Rippe reseziert, etwa 
3 Finger breit vom Sternum entfernt bis in die Axillarlinie. Di; 
mikroskopische Untersuchung ergab ein typisches Chondrosarkom 
Am 19. II. 17 kam Pat. nochmals zur Aufnahme, da sich wieder eir 
Rezidiv an den medialen und lateralen Rippenstümpfen entwickelte 
zugleich mit einer Hautmetastase nahe am Brustbeine. Es musst; 
deshalb die 4., 5., 6. und 7. Rippe an ihrem sternalen Ansatzteilt 
völlig entfernt werden. Es zeigte sich ein Durchwachsen des Tu¬ 
mors an der Spitze des Herzbeutels, so dass auch diese entfern! 
wurde. Ebenso waren Verwachsungen mit den Lungenrändern vor¬ 
handen. die reseziert werden mussten. In dem oberen Bereicht 
wurde auch noch die 3. Rippe partiell weggenommen. Die lateraler 
Stümpfe der Rippen wurden reseziert bis in den Bereich der Skapu- 
larlinie. Es entstand ein Pneumothorax, da Verwachsungen mit der 
Pleura gelöst werden mussten. Mit dem S c h o e m a k e r scher 
Ueberdruckapparat wurde das Kollabieren der Lunge durch Ab- 
steppung der Pleura costalis und parietalis verhindert. Pat. hat dis 
ersten 8 Tage nach der Operation gut überstanden, bekam aber dam: 
eine Pneumonie, welche einen letalen Verlauf anzunehmen drohte 
Schliesslich aber ist der Pat. wieder genesen und bisher völlig ge¬ 
sund geblieben. Der Mann soll deshalb gezeigt werden, weil man 
selten in so schöner Weise die Arbeit des Herzens beobachten kann 
und sieht, wie sich bei jeder Systole die Herzspitze unter drehender 
Bewegung nach vorn hebt. Zugleich werden auch die einzelnen 
Muskeifibrillen in der Kontraktion erkennbar. Ein starker Druck aui 
die Herzspitze lässt das Herz weit nach rechts und in die Tiefe 
verdrängen ohne besondere Beschwerden. Die Aktion des Herzens 
ist etwas beschleunigt. Unangenehm ist für den Patienten lang¬ 
dauerndes Liegen auf der linken Seite; beim Sprechen und Pressen 
wölbt sich der ganze Thoraxdefekt wie ein prall gespanntes Segel 
vor und wird beim Nachlassen des Druckes und in gewöhnlicher 
Ruhestellung tief eingezogeu. Zum Schutze für das Herz trägt Fat. 
eine Pelotte und ist imstande, ohne Beschwerden leichtere Arbeiten 
und tiänge zu verrichten. 

Diskussion: Herr Payr bemerkt, dass der eben vor¬ 
gestellte Fall ein Verständnis für die Wirkung der Kardiolysis 
Brauers in besonders klarer Weise eröffnet. Auch bei der schwie¬ 
lenbildenden Mediastinoperikarditis wird der knöcherne Thorax durch 
Entfernung genügend ausgedehnter Anteile von Brustbein und Rippen 
gesprengt, um dem Herzen die aui die Dauer unerträgliche Mehr¬ 
arbeit zu sparen. Das Herz braucht dann nur mehr die mit ihm un¬ 
lösbar verbundene Weichteildecke bei seiner Tätigkeit mitzubewegen. 
Der vorliegende Fall wäre auch für physiologische Studien der Herz¬ 
arbeit geeignet. 

Herr Hörhammer: Ueber Erkrankungen der Gallenwege 
durch Askariden. (Der Vortrag erscheint ausführlich in der M.m.W.) 

Diskussion: Herr Herzog demonstriert aus der Samm¬ 
lung des Pathologischen Instituts ein Präparat mit einem jungen 
Askaris im Pankreasgang und ein zweites mit mehreren Spulwürmern 
in den Gallengängen der Leber. Bei seiner pathologisch-anatomischer 
Tätigkeit im Felde (Südlitauen) fand er bei den Eingeborenen fast 
regelmässig Askariden im Darm, ebenso bei einem grossen Teil der 
dort sezierten deutschen Soldaten. (Schluss folgt.) 


Aerztlicher Verein in Nürnberg. 

(Offizielles Protokoll) 

Sitzung vom 27. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr J. Müller. 

Herr Port: 1. Fremdkörperextraktionen aus dem Kniegelenk 

Herr Port berichtet iiber 3 Fremdköperextraktionen aus den 
Kniegelenk. 

Im ersten Falle lag e<ne Schrapnellkugel hinter dem Liga 
mentum patellae frei zwischen den Kondyleti. 

Im zweiten steckte der kleine Granatsplitter hinter dem Condylu 
lateralis in der Gelenkkapsel. Die Auffindung gelang nach Frei 
legung des lateralen Gastroknemiuskopfes und Abtrennung desselben 
ähnlich wie Payr auf der Innenseite zur Eröffnung des Kniege 
lenkes vorgegangen ist. 

Im dritten Falle ergab die wiederholte Röntgenuntersuchung 
dass der kleine Granatsplitter seinen Platz im Gelenk wechselte 
Das letzte Bild stellte ihn hinter den Kondylen fest. Nach quere 
Eröffnung des Gelenkes zeigten sich am Condylus lateralis frisch 
Kratzspuren, arn C. internus ältere, schon grösstenteils ausgehcilt* 
Das Splitterchen aber war nirgends zu sehen oder zu fühlen. Ers 
nach Durchtremuing der Ligamenta cruciata, wodurch das Gelen 
sich so weit auseinanderziehen liess, dass man auch die hintere 
Gelenktnschen mit dem Finger austasten konnte, ward der Fremd 
körper dort gefunden und entfernt. Eine Naht der Ligament 
cruciata wurde nicht vorgenommen, dagegen die Gelenkkapsel un 
die Bänder und Easzieti an der Vorder- und Aussenseite des Oe 
lenkes sehr sorgfältig genäht. Diese eingreifende Operation hatt 
keinerlei Funktionsstörung Unterlassen. Nach 5 Wochen könnt 
Pat. das Knie vollkommen strecken und spitzwinklig beugen. 

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23. Uli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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2 . Pseudarthrosenoperationen. 

Herr Port zeigt an der Hand von Röntgenplatten und Kranken- 
dcmonstrationen die Erfolge der im Verlauf des vergangenen Jahres 
vorgenommenen Pseudarthrosenoperationen. 3 Silberdrahtnähte, alle 
< glatt geheilt. 8 Fixationen mit L a n e sehen Klammern, darunter 
ein Misserfolg. 21 Knochenbolzungen. Nach dem Vorgang, von 
Lex er geht Vortr. bei den Bolzungen in 2 Zeiten vor, um 
beim Aufstören von abgekapselten Infektionsherden die Plastik nicht 
;u gefährden. Er nimmt die Voroperation grundsätzlich jedesmal 
vor und zwar auch noch aus einem anderen Grunde. Bei den Kno- 
diendefökten bestehen jedesmal ausgedehnte Narben in der Haut 
und den Weichteilen, welche oft dem nachherigen Wundverschluss 
Schwierigkeiten bereiten. Oft wird auch die narbige Hautstelle nach¬ 
träglich gangränös und öffnet so der Infektion die Pforte. Es wird 
daher bei der ersten Operation alles Narbengewebe sorgfältig ausge¬ 
schnitten, die Knochenenden freigelegt wie zur Bolzung und dann ein 
reichlicher Hauilappen aus der Brust aufgenäht. Eine aufgestörte 
Eiterung verläuft nunmehr harmlos. Nach V4 Jahr ist der dicke 
rlautlappen so gut ernährt, dass man ihn bei der zweiten Operation 
ruhig durchschneiden darf. Die eigentliche Knochenbolzung ist nun¬ 
mehr eine verhältnismässig einfache Operation geworden. 

Diskussion: Herr Franz. 


ledizinisch- Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen. 

(Medizinische Abteilung.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Heidenhain. 

Schriftführer: Herr Schloessmann. 

Herr AI brecht: Die Bedeutung des Stirnhirns für die Orien¬ 
tierung des Körpers und die Koordination der Bewegungen. 

Nach kurzem Eingehen auf die Literatur bespricht der Vor- 
:ragende einen Fall, bei dem sich im Anschluss an~~eine Schussver- 
ictzung des unteren Drittels der rechten vorderen Zentralwindung 
Lpileptische Anfälle und schwere Schwindelerscheinungen ausgebildet 
hatten. Der Pat. war durch den Schwindel gezwungen, dauernd zu 
Bett zu liegen. Der Untersuchungsbefund war folgender: Pat. ist 
psychisch klar und geordnet, zeigt keinerlei Sucht zu übertreiben. 
Bewegungen in sämtlichen Extremitäten normal, desgleichen die Emp¬ 
findungen und Reflexe. Bei Stehen mit geschlossenen Augen fällt 
Pat. sofort nach hinten bzw. nach links hinten. Hörbefund o. B. 
Kalorisch gereizt tritt bei Spülung mit 20° Wasser im linken Ohr bei 
75 ccm Spülflüssigkeit deutlicher Nystagmus auf, rechts nach 600 ccm 
kein Nystagmus, aber schweres Schwindelgefühl und Erbrechen. 
Zeigversuch in allen Gelenken einwandfrei normal. Nach Abküh¬ 
lung der pulsierenden Narbe mit Chloräthyl links 
ccutlich es Vorbeizeigen nach aussen, rechts nach 
wie vor richtiges Zeigen. Bei der Operation (Prof. Per¬ 
thes) wird in Lokalanästhesie an der beschriebenen. Stelle ein 
Narbenstrang zwischen Dura und Hirnoberfläche durchtrennt, zwi¬ 
schen Dura und Gehirn Fett implantiert und die Wunde durch Naht 
geschlossen. Primäre Wundheilung. Nach der Operation zerebrales 
Erbrechen, das 5 Tage anhält. Seit der Operation Schwindel ganz 
wesentlich gebessert. Anfälle 1—2 mal am Tag und lange nicht 
mehr so intensiv. Nach 3 Wochen bei R o m b e r g noch Schwan¬ 
ken, nach 5 Wochen vollkommenes ruhiges Stehen. Die Wieder¬ 
holung der kalorischen Prüfung im rechten Ohr 
ergibt n a ch 350 ccm ganz deutlichen Nystagmus nach 
links. Pat. kann aufstehen und ausgehen. 

Auf Grund dieser Beobachtung glaubt der Vortragende, dass die 
vordere Zentralwindung bei der Orientierung des Körpers eine nicht 
unwichtige Rolle, wahrscheinlich im Sinne der Lewandowsky- 
schen Theorie, spielt. Ausserdem weist das wechselnde Resultat der 
kalorischen Prüfung darauf hin. dass die beschriebene Stelle auch 
mit der Auslösung der raschen Komponente des vestibulären Ny¬ 
stagmus zusammenhängt. 

Erörterung: Herr G a u p p zweifelt daran, ob der von dem 
Herrn Vortragenden geschilderte Fall zu so weitgehenden lokalisa- 
torischen Schlussfolgerungen berechtigt, wie dieser angestellt habe. 

Herr Albrecht: Wenn ich auf den Einwand von Kollegen 
G a u p p meinen bisherigen Standpunkt beibehalte, so glaube ich dies 
aamit begründen zu können, dass ich in dem vorliegenden Fall noch¬ 
mals auf folgende Tatsachen verweise: Der Pat. hatte vor der 
Operation schwerste Schwindelerscheinungen, die ihn dauernd ans 
Bett fesselten. Seitdem der Narbenstrang an der vorderen Kom¬ 
missur durchtrennt ist, sind die Schwindelerscheinungen nahezu be¬ 
hoben. der Pat. steht auf, kommt einem, wenn man das Zimmer 
betritt, vergnügt entgegen und fühlt sich sehr wohl. Dass das Vorbei¬ 
zeigen nach Abkühlung durch Zirkulationsstörungen erklärt werden 
könnte, halte ich für unwahrscheinlich. Es wäre dies ja nur durch 
Störungen in der hinteren Zentralwindung denkbar. Allein dann 
Titte ich eine Ataxie in dem gekreuzten Arm bekommen müssen. 
Das war aber nicht der Fall, es handelte sich um eine Störung in 
der Bewegungsrichtung. 

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Herr Heidenhain: Die Entdeckung der Nonhisfelder in der 
quergestreiften Muskelfaser, zugleich ein weiterer Beitrag zur syn¬ 
thetischen Morphologie. 

(Erscheint als Arbeit in den Anat. H. von B o n n e t und Merkel. 
Ein Auszug befindet sich im Anatomischen Anzeiger Bd. 51.) 


Akademie dar Wissenschaften in Paris. 

Ueber Beinprothesen. 

Bei dem gegenwärtigen grossen Bedarf an Prothesen nach Fuss- 
amputationen sind im Interesse einer richtigen Konstruktion der¬ 
selben alle Mitteilungen über die mechanische Beanspruchung des 
normalen Fusses wertvoll. 

In der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 
23. April 1918 berichtete Amar über seine Untersuchungen bezüg¬ 
lich der statischen und dynamischen Beanspruchung des Fusses durch 
die Körperlast, welche er im Hinblick auf die Konstruktion einer 
richtigen Beinprothese angestellt und bei 25 Amputierten auf ihre 
Richtigkeit hin geprüft hatte. 

(Prothese physiologique du pied, Note de M. Jules Amar, 
presentee par Edmond Perrier, C. R. Tome 166 Nr. 16, 1918.) 

Man nimmt die Fussabdrücke mit einer Wachsplatte auf; am 
geeignetsten dafür ist das Modellierwachs der Zahnärzte. Aus¬ 
dehnung und Tiefe des Fussabdrucks geben unter Berücksichtigung 
der gesamten Körperlast leicht Aufschluss über die Druckverteilung 
in den einzelnen Phasen, die sich ändern, je nach der Körperhaltung 
und verschieden sind beim Gehen, Laufen oder Arbeiten. Die Dauer 
einer jeden sowie das Oszillieren des Körpers 'bei ungenügender 
Unterstützung durch den Fuss und dessen Abweichungen wurden 
getreulich durch seinen Apparat (Trottoir dynamographique) auf¬ 
gezeichnet» Das aus den Abdrücken gewonnene Bifd deckte sich 
völlig mit dem Verlauf der Kurve und gebe Fingerzeige für den 
richtigen Bau von Apparaten. 

Im statischen Gleichgewicht des Körpers gelten bezüglich der 


Verteilung des Gewichts für den 

Normalen von 60 

kg Gewicht fol- 

gende Zahlen: 

Abdrücke. 

Total pro 1 qcm in 1 

Prozent bei 30 kg 

Ferse 

6100 g 

218 g 

20,35 

Mittelfuss 

9484 „ 

218 „ 

31,62 

Inneres Fussgewölbe 

5980 „ 

166 ., 

19,93 

Aeusseres 

4700 „ 

208 „ 

15,65 

Grosse Zehe 

1927 „ 

187 „ 

6,42 

Zweite 

388 „ 

83 „ 

1,29 

Dritte 

431 „ 

124 ,. 

1,43 

Vierte 

672 „ 

145 „ 

2,24 

Fünfte 

318 „ 

104 „ 

1,07 

Die Stützpunkte 

30 000. 

bilden einen 

äusseren Sockel 

(Ferse, äusseres 


Fussgewölbe, 4. und 5. Zehe), sowie ein inneres Gewölbe, das von 
der Ferse ausgehend auf der grossen Zehe und ihrem Metatarsus 
ruht. Beim Gehen ist es das Fussgewölbe, welches nach Art einer 
Wage die Kraftübertragung zwischen Ferse und Mittelfuss über¬ 
nimmt^ dabei wird letzterer durch die grosse Zehe unterstützt. Man 
muss unterscheiden ein Abwickeln der Ferse und ein solches des 
Mittelfusses, zwischen beiden eine Phase, in weicher der Fuss wiegt. 
Für 120 Schritte beträgt beim Schritt die Zeit in 500/1000 Sekunden 
nach den Aufzeichnungen des Apparates, für das Abwickeln der 
Ferse 157, des Mittelfusses 130 und das Wiegen des Fusses 213, zu¬ 
sammen also 500. Der Boden wird von der Ferse stark getroffen, 
indem das Unterhautfettgewebe zusammengedrückt und die stützende 
Oberfläche vergrössert wird; darauf wickelt sich die Ferse ab und 
das Gleiche wiederholt sich für den Mittelfuss. Unter einem von. 
vorn nach hinten verlaufenden Impuls löst sich der Fuss vom Boden 
unter Mitwirkung der grossen Zehe. Die Fussohle weicht dabei 
etwas nach innen ab, unter einem leichten Stoss von aussen her, 
der nötig ist für die Vorwärtsbewegung und für die Wahrung des 
dynamischen Gleichgewichts. In den alten Analysen von Carlet 
und M a r e y fehlen Angaben über diese Elemente des Schritts und 
ebensowenig wird der von der äusseren Seite kommende Stoss im 
ganzen Werk von Braune und Fischer erwähnt. Er sei aber 
konstant vorhanden und findet sich stets in den Fussabdrücken beim 
Gehen Fussamputierter verzeichnet. Dagegen fehlt der hintere 
Impuls bei allen, denen der Vorderteil des Fusses amputiert wurde; 
sie zeigten stets das Bestreben sich bloss auf die Ferse zu stützen, 
trotz des Schuhwerkes und orthopädischer Apparate. Man bekommt 
im Abdruck nur das Loslösen der Ferse vom Boden, wie bei Fort¬ 
bewegung mit einem Stössel. Die Prothese muss einen starken 
Mittelfuss haben, welcher fest mit dem Stumpf verbunden ist, und 
zwar durch Organe, welche nicht wundrerben und alle Bewegungen 
mitmachen. 

A. schliesst: Der Chirurg müsse bei jeder teilweisen Abtragung 
des Fusses darauf achten, eine feste nicht schmerzende Sockelfläche 
zu schaffen; die Ferse gewähre am meisten Kraft und Stabilität. 
Aus den Fussabdrücken ergebe sich ferner, dass die Amputation der 
Zehen und des Mittelfusses (L i s f r a n c) die ziemlich zahlreichen 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 30. 



:> 


832 


(40—50 Proz.) anderen Mittelfussamputationen (Chopar t) und die 
Amputation unter dem Talus leicht durch zweckmässige Prothesen 
kompensiert werden könnten. Die Fortbewegung sei kaum gestört, 
Stabilität und Gleichgewicht blieben normal und ermöglichten die 
verschiedensten Stellungen bei der Arbeit. 

Bei den anderen Amputationen* dagegen (P i r o g o f f) mit Ab¬ 
tragung der ferse, würde die Fortbewegung ähnlich aussehen als 
hätte der Patient einen Huf und stets wäre die Einhaltung des 
statischen Gleichgewichts erschwert; regelmässig erfolgte ein 
Stossen nach rückwärts. 

Die Fussabdrücke Amputierter beim Gehen zeigten ausserdem, 
dass das Bein bei teilweise* Erhaltung des Fusses stärker wirkte. 

Dr. L. K a t h a r i n e r. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 22. Juli 1918. 

— Kriegschronik. Am 15. Juli ist das deutsche Heer 
abermals zum Angriff übergegangen. Von Chateau-Thierry bis 
Massiges in der Champagne erstreckte sich, etwa 70 km breit, das 
Kampffeld. Der Erfolg war, dass die Marne zwischen Jaulgonne und 
Dormans überschritten und ein Brückenkopf am Siidufer errichtet 
wurde, dass ferner die Umfassung der Festung Reims fortgesetzt und 
die wichtige Bahnverbindung Epernay-Reims bedroht wurde und 
dass endlich das Kampfgelände der früheren Champagneschlachten 
den Franzosen entrissen wurde. Die Zahl der Gefangenen beträgt 
über 20 000. Am 18. Juli gingen die Franzosen ihrerseits an der 
Front zwischen Soissons und Chateau-Thierry zum Angriff vor. Es 
gelang ihnen unsere Linien an einigen Stellen einzudrücken; der 
Druck auf unsere rechte Flanke veranlasst die deutsche Heeres¬ 
leitung unsere über der Marne vorgeschobenen Truppen zurück¬ 
zunehmen. Am 19. und 20. setzte der Feind, schwarze und weisse 
Franzosen und Amerikaner, seine Angriffe unter rücksichtslosem 
Einsatz seiner ganzen Kraft fort; er erlitt eine blutige Abfuhr. Uns 
brachten die schweren Kämpfe der letzten Tage die beruhigende 
Gewissheit, dass die Franzosen bei einem wohlvorbereiteten Angriff 
zwar anfängliche Ueberraschungserfolge erringen können, dass aber 
zu einem Durchbruch, wie er uns bei St. Quentin, bei Armentieres 
und am Chemin des Dames gelang, ihre Kraft nicht hinreicht. 

— Der Reichstag hat die Regierungsforderung, dass auch die 
Leistungen der freien Berufe, also auch die der Aerzte, der 
Umsatzsteuer unterliegen sollen, gestrichen. 

‘— Die Grippepandemie ist noch immer in Zunahme be¬ 
griffen und es scheinen sich nach den neuesten Berichten auch die 
schweren und tödlich verlaufenden Fälle zu mehren. So werden 
100 Todesfälle aus der Schweizer Armee gemeldet, 200 Todesfälle 
auS England. Auch in Skandinavien breitet sich die Grippepandemie 
aus. Pathologisch-anatomische Beobachtungen aus Berlin, über die 
Prof. Lubarsch in der Med. Gesellschaft berichtete, stimmen mit 
den Münchener Erfahrungen (d. Nr. S. 811) weitgehend überein. 
Der Pfeiffersche Bazillus wurde dort nur einmal, sonst meistens 
Streptokokken gefunden. Auch in Berlin kamen fast nur kräftige 
junge Leute im Alter von 18—30 Jahren zur Sektion. Auch Lu¬ 
barsch erklärt diese Erscheinung damit, dass die ältere Gene¬ 
ration von früheren Influenzaerkrankungen her noch immun ist. 

— Am 1. Januar 1919 laufen zahlreiche Ver.träge zwischen 
Krankenkassen und A e r z t e n ab, da bei Inkrafttreten der 
RVO. viele Verträge mit 5 jähriger Dauer abgeschlossen wurden. 
Die inzwischen in vielen wichtigen Punkten veränderten Verhält¬ 
nisse lassen es als notwendig erscheinen, neue Verträge abzu- 
schliessen. Damit in diesen die ärztlichen Interessen allenthalben 
gewahrt werden, gibt der Leipziger Verband Richtlinien heraus 
(Aerztl. M. Nr. 28). Diese betreffen 1. die äussere Form der Ver¬ 
träge (womöglich Mustervertrag des L.V.), 2. die Vertragsform in 
rechtlicher Beziehung (es ist auf Kollektivverträgen zu bestehen), 
3. das Aerztesystem (die freie Arztwahl ist, wo sie besteht, bei¬ 
zubehalten, wo sie nicht besteht, anzustreben. Als „wichtige“ 
Gründe im Sinne des Gesetzes gelten dabei die Notwendigkeit, den 
Art>eitsmarkt auch den heimkehrenden Aerzten zugänglich zu 
machen, die Einbeziehung der Hilfsdienstpflichtigen in die Kranken¬ 
versicherung und die Einführung der Familienversicherung). 4. die 
Vergütung (Bezahlung nach Einzelleistung! Wo Pauschalbezahlung 
vereinbart wird, darf diese Sonderleistungen, Weggelder und Fuhr¬ 
werk nicht umfassen. Honorar an die Aerzteorganisation abzu¬ 
führen!), 5. die Vertragsdauer (kurzfristige Verträge abschliessen!), 
6. die Ausschüsse zur Durchführung des Vertrags (keine Mitwirkung 
von Laien!), 7. die Ziffer 11 des Berliner Abkommens (Kassen, die 
die Anerkennung der Ziffer 11 ablehnen, ist der Vertrag zu ver¬ 
weigern), 8. die Aenderung der RVO. (Verträge treten ausser Kraft 
bei Aenderung der Grenzen für Versicherungspflicht und Versiche¬ 
rungsberechtigung) und 9. die Kündigung der Verträge. Die Be¬ 
achtung dieser Richtlinien liegt im eigensten Interesse der ärztlichen 
Organisationen und der einzelnen Aerzte. 

— Ein Erlass des preuss. Ministers des Innern unterstellt die 
Unterrichtsunternehmungen zur Ausbildung von Frauen 
und Mädchen für den ärztlichen Hilfsdienst in 


Laboratorien und Krankenanstalten u. dergl. der staatlichen Aufsicht. 
Diese ist durch den Regierungs- und Medizinalrat und den zu¬ 
ständigen Kreisarzt auszuüben. Vorläufig sind für die Genehmigung 
solcher Einrichtungen usw. die Bestimmungen des Erlasses des 
Handelsministers vom 1. Mai 1917 sinngemäss anzuwenden. Die 
Erteilung des Unterrichts ist insbesondere nur solchen Aerzten ge¬ 
stattet, die eine genügende Ausbildung auf dem ihr Lehrfach be¬ 
treffenden Arbeitsgebiet nachzuweisen vermögen. Der Unterricht in 
der Chemie darf auch durch Chemiker erteilt werden, die eine ent¬ 
sprechende Ausbildung nachweisen können. Hiervon abgesehen kann 
Unterrichtserteilung durch NicRtärzte — Laboranten, Laborantinnen 
u. dergl. — nicht zugelassen werden. 

— Eine im Verlag Natur und Kultur Dr. Frz. Jos. Völler, 
München, soeben erschienene Schrift „Die Mehlmotte, Schilde¬ 
rung ihrer Lebensweise und ihrer Bekämpfung mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Zyanwasserstoffdurchgasung“ von Dr. phil. nat. 
Hans Walter Frickbinger in München zeigt, mit wie durch¬ 
schlagendem Erfolg es gelingt, mit Hilfe der Blausäuredurchgasung 
die Mühlen von diesem überaus gefährlichen Schädling zu befreien. 
Da das Verfahren aber auch für die Säuberung der Wohnungen von 
allen lästigen tierischen, auch die menschliche Gesundheit ge¬ 
fährdenden Parasiten, wie Läusen, Wanzen, Flöhen, Schwaben u. dgl. 
in gleicher Weise anwendbar ist, sollten auch Aerzte damit sitfi 
bekannt machen. Die genannte Broschüre (Preis M. 2.50) gibt dazu 
die Möglichkeit. Die Durchführung der Vergasung kann natürlich 
nur durch besonders geschulte Kräfte geschehen. 

— Die Schriftleitung von Pflügers Archiv geht vom 
171. Bande an die Herren Geheimrat Prof. Dr. E. Abderhalden 
in Halle a. S., Geheimrat Prof. Dr. A. B e t h e in Frankfurt a. M. 
und Prof. Dr. R. H ö b e r in Kiel über. Die Arbeitsverteilung zwischen 
den Herren wird ihrer Forschungsrichtung entsprechen: Abder¬ 
halden erbittet die Zusendung der Beiträge mit vorwiegend che¬ 
mischer Fragestellung und Methodik, B e t h e solche mit vorwiegend 
physikalischer Fragestellung und physikalischer und operativer Me¬ 
thodik und H ö b e r solche mit physikalisch-chemischer Fragestellung 
und Methodik. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Dem Stabsarzt Dr. Reinhard Ohm von der Kaiser- 
Wilhelm-Akademie für militärärztliches Bildungswesen ist der Titel 
Professor verliehen worden. 

Bonn. Der bisherige Extraordinarius in der med. Fakultät 
und Direktor der Hautklinik Prof. Dr. H o f f m a n n ist zum Ordi¬ 
narius ad personam ernannt worden. 

Giessen. Der Oberarzt an der Frauenklinik im Giessen, 
Dr. Willy Siegel, bisher Privatdozent in Freiburg i. Br., erhielt in 
der Giessener medizinischen Fakultät die venia legendi für Geburts¬ 
hilfe imd 1 Gynäkologie, (hk.) 

Göttingen. Dem Privatdozenten für Pathologie an der 
Göttinger Universität, Dr. Walter Fischer, zurzeit Leiter des 
pathologischen Instituts an der deutschen Medizinschule in Schanghai, 
ist der Titel Professor verliehen worden. 

Kiel. Prof. Dr. Arthur Böhme, Privatdozeet und Oberarzt der 
medizinischen Klinik in Kiel, wurde zum leitenden Arzt der inneren 
Abteilung der Augusta-Krankemanstalt in Bochum berufen, (hk.) 

München. Zum Vorschlag über die Neubesetzung der 
Chirurgieprofessur wird uns noch mitgeteilt, dass Prof. Sauer¬ 
bruch „unico loco“ einstimmig vorgeschlagen war. 

Wien. Oberstabsarzt Prof. Dr. Arnold D u r i g, derzeit 
Kommandant eines grossen Kriegsspitals und Vorstand des Physio¬ 
logischen Instituts an der Hochschule für Bodenkultur in Wien, ist 
als Nachfolger des Hofrates Siegmund E x n e r auf dem Lehrstuhl 
für Physiologie an der Wiener Universität in Aussicht genommen. 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben: 

Feldunterarzt Eugen A11, Ellwangen. 

Oberarzt d. Res. Alfred Aronheim, Gevelsberg. 

Stabsarzt d. L. Karl Barth, Leipzig. 

Landsturmpflichtiger Arzt Herrn. B u x, Neu-Ulm. 
Marinoberstabsarzt d. Res. Peter Christel, Mönchherrnsdorf. 
Stabsarzt d. Res. Peter D u p o n t, Reifental. 

Feldhilfsarzt Einstein, Buchau. 

Landsturmpflichtiger Arzt Theod. E 11 e 1, Neuhof. 

Feldhilfsarzt Alfr. Fi 1 b e r t, Plauen i. V. 

Unterarzt Georg Förch, Baierthal, Wiesloch. 

Feldhilfsarzt Ludw. Ganter, Freiburg i. Br. 

Feldunterarzt Ga r 1 i pp, Freiburg i. Br. 

Oberarzt d. Res. Siegfr Gossmann, Kassel. 

Oberstabsarzt d. L. Herrn. Griebel, Horst. 

Stabsarzt d. L. Konrad H e y d e r, Mülheim a. Rh. 
Feldhilfsarzt Friedr. Hörnemann, Arnsburg. 

Stabsarzt d. L. Friedr. K a e u f f e r, Lüttich. 

Feldunterarzt Joh. Ke r seht, Trier. 

Oberarzt d. Res. Wolfg. Kraeck, Lyck. 


Vertu vom 1. F. Lehmann ln München S-W. 2, Pani Heyseatr. 26. — Druck von E. Mflhlthaler’a Bach- und Kunatdruckerd A.Q., München. 

Di si ,izM „ GCK-gle Original frorn 


UNIVERSITl? OF CALIFORNIA 






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MÜNCHENER 


. Zusendungen sind zu richten 

FQr die Schriftleitung: AmuTfstr.26 (Sprechstunden 8H—1 Uhr). 
Für Bezug: an I. r. Lehmann> Verlag, Paul Heysestrasse 26. 
Fflr Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse 8. 


Medizinische Wochenschrift. 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 31. 30. Juli 1918. 

Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 

Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 

65. Jahrgang. 

Der Vertag behüt sich das aasschU 

essliche Recht der VervieWlttgang and Verbreitung der ln dieser Zeitschrift nun Abdruck gelangenden Orlginalbeltiige vor. 


Originalien. 

Aus der Züricher Universitäts-Augenklinik. 
(Direktor: Prof. Dr. 0. Ha ab.) 

Oie moderne klinische Untersuchung des vorderen Bulhus- 
abschnittes, ihre Technik und ihre Resultate.*). 

Von Privatdozent Dr. med. J. Stähli, Zürich, 
Augenarzt und Assistent der Klinik. 

M. H! Die Untersuchung des vorderen Bulbusabschnittes ist 
eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Untersuchung in der 
Untersuchungstechnik des menschlichen Auges; für den praktischen 
Arzt jedenfalls, der auch Ophthalmologie praktisch treibt, ist sie 
mindestens ebenso wichtig wie die Untersuchung des Augenhinter- 
grundes mit dem Spiegel. Man sagt gewöhnlich, dass etwa 70 bis 
80 Proz. aller Fälle, die wegen Augenleiden den Arzt aufsuchen, Er¬ 
krankungen des vorderen Bulbusabschnittes darstellen; wenn diese 
Angabe richtig ist — und sie wird, davon bin auch ich überzeugt, 
nahe an die Wirklichkeit treffen —, so. erhellt schon daraus zur Evi¬ 
denz die enorme praktische Bedeutung der Untersuchung des vor¬ 
deren Bulbusabschnittes. 

Diese Untersuchung des vorderen Bulbusabschnittes hat nun im 
Laufe des letzten Jahrzehnts und ganz besonders wieder im Laufe 
des letzten Jahrfünfts eine weitgehende Verfeinerung und Kom¬ 
plettierung erfahren; sie hat — man darf wohl sagen — immense 
Fortschritte gemacht. Zweck dieses Vortrages ist es, Sie in Kürze 
mit diesen Neuerungen der Untersuchungstechnik und mit den Resul¬ 
taten, die sie zeitigen, bekannt zu machen. Ich habe freilich nicht 
im Sinne, hier die sämtlichen modernen Methoden, die für die 
Untersuchung des vorderen Bulbusabschnittes in Betracht kommen, 
vor Ihnen durchzusprechen; es würde das für den Nichtspezialisten 
zum Teil auch gar kein Interesse bieten; ich beschränke mich 
darauf. Ihnen die Fortschritte auf dem Gebiete zu zeigen, das sowohl 
für den Augenarzt von Fach als auch ganz besonders für den Nicht¬ 
spezialisten das weitaus wichtigste ist: auf dem Gebiete der 
seitlichen oder fokalen Beleuchtung. 

Die sog. seitliche oder fokale Beleuchtung besteht bekanntlich 
darin, dass man im Dunkelzimmer (oder doch zum mindesten halb¬ 
verdunkelten Raum) Licht von einer seitlich vor dem Patienten auf¬ 
gestellten Lampe mit einer Sammellinse von etwa 13—18 Dioptrien 
Brechkraft auffängt, konzentriert, und mit diesem konzentrierten 
Licht das Auge beleuchtet. Seit langem hat man sich sodann daran 
gewöhnt, die fokal beleuchtete Stelle nicht nur mit unbewaffnetem 
Auge zu betrachten, sondern durch eine vergrössernde Lupe; an der 
Züricher KHnik verwendet man seit Dezennien die 6 fach ver- 
grössernde, äusserst handliche Hartnack sehe Kugellupe. 
Ich kann es in diesem Kreise füglich unterlassen, auf alle die Kniffe 
aufmerksam zu machen, die man kennen und beherrschen muss, um 
die seitliche Beleuchtung erspriesslich zu praktizieren und richtig aus¬ 
zunützen; ich will indes doch nicht verfehlen, auf einen- Punkt 
kurz hinzuweisen, gegen den erfahrungsgemäss von weniger Ge¬ 
übten ganz besonders oft gefehlt wird: Ihre Superiorität gegenüber 
der gewöhnlichen Tageslichtbetrachtung verdankt die seitliche Be¬ 
leuchtung mit in allererster Linie dem Umstande — neben anderen 
Gründen, auf die ich hier nicht einzutreten brauche -—, dass bei der 
seitlichen Beleuchtung im Dunketzimmer immer nur eine ganz be¬ 
stimmte, fast punktförmig kleine Stelle des Auges grell beleuchtet 
wird, dass aber das übrige Auge und auch schon die allernächste 
Umgebung der beleuchteten Stelle mehr minder im Dunkel bleiben. 
Das ist nun vor allem wichtig für die Untersuchung der Kornea. 
Auch bei der Untersuchung der Hornhaut bleibt, wenn man richtig 
fokal beleuchtet, d. h. gerade nur die Spitze des Lichtkegels auf 
die zu betrachtende Kornealveränderung richtet, schon die aller¬ 
nächste Umgebung der beleuchteten Hornhautstelle im Dunkeln; es 
bleibt also u. a. auch im Dunkeln die Vorderkammerbasisebene, Iris 
plus Pupille, und wir sehen deshalb die zu untersuchende Korneal¬ 
veränderung hell vor dunklem Hintergründe. Das ist 
nun eine Tatsache, die — aus leichP verständlichen Gründen — nicht 


*) Demonstrationsvortrag, am 4. Dezember 1917 in der Gesell¬ 
schaft der Aerzte des Kantons Zürich gehalten. 

Nr. 31. 


hoch genug eingeschätzt werden kann, sobald es sich um die Unter¬ 
suchung von hell gefärbten Kornealobjekten handelt, und hiezu ge¬ 
hört ja die überwiegend grosse Mehrzahl aller pathologischen Kor- 
nealveränderungen. Diese Tatsache gilt es nun aber auch konsequent 
auszunützen, und das tut man dadurch, dass man immer den Teil 
der Hornhaut, den man gerade fokal beleuchtet und durch die Kugel¬ 
lupe betrachtet, vor die dunkle Pupille bringt; man muss 
also z. B. das Auge um einen gewissen Betrag nach abwärts blicken 
lassen, wenn man eine Stelle im oberen Quadranten der Kornea be¬ 
trachten will, weil dann die fokal beleuchtete Stelle für unser be¬ 
obachtendes Auge vor die schwarze Pupille zu liegen kommt; tut 
man das nicht, so befindet sich die beleuchtete Hornhautstelle (für 
unser beobachtendes Auge) vor einem weniger dunklen Hintergrund, 
als es die Pupille wäre, und man begibt sich so eines enorm wich¬ 
tigen Vorteils; man darf eben nie vergessen, dass selbst eine dunkel¬ 
braune Iris noch immer sehr viel heller ist als das Schwarz der 
normalen Pupille 1 ). 

M. H.! Soweit der Stand der seitlichen Beleuchtung bis vor 
etwa einem Jahrzehnt! Und nun die Neuerungen, die uns seither be- 
schieden worden! Es sind in der Hauptsache drei P r i n z i p e, die 
den ganzen Fortschritt bedingt haben; und es sind d i e drei Prin- 
zipe, die da immer in Betracht kommen, wo es sich um die Ver¬ 
besserung, um die Effektsteigerung einer dem Sehen dienenden Appa¬ 
ratur handelt: Verbesserung der Beleuchtung, stär¬ 
kere Vergrösserung, Binokularprinzip. Für Sie als 
Nichtspezialisten kommen von diesen Verbesserungen wohl nur Punkt 
1 und 3 in Betracht, d. h. die Verbesserung der Beleuchtung und das 
Binokularprinzip; die Apparate mit stark vergrössernden optischen 
Systemen dagegen, die also das zweite Prinzip verkörpern würden, 
sind heute noch so enorm teuer, dass sie bis auf weiteres und wohl 
noch für lange nur für den Augenarzt von Fach und vor allem für 
die Kliniken und Lehrinstitute in Betracht fallen; und ich will auch 
das Ihnen nicht verschweigen: Die stark vergrössernden Apparate, 
die sog. Hornhautmikroskope, sind viel zu unhandlich, als dass sie 
im tagtägHchen Sprechstundenbetrieb des beschäftigten Praktikers, 
für die Untersuchung jedes einzelnen- Patienten, 
verwendet werden könnten: das ist nicht ein Fehler dieser Apparate, 
sondern liegt in ihrem Wesen begründet. 

Um so mehr lege ich nun aber Wert darauf, zu betonen, dass 
die Verbesserung der Beleuchtung und die Einführung des Binokular¬ 
prinzips nicht nur-den Augenarzt von Fach angeht, 
sondern jeden irgendwie auf dem Gebiete der Oph¬ 
thalmologie praktisch sich betätigenden Arzt. 
Ja, ich möchte sogar behaupten, dass sie für den Nichtspezia¬ 
listen fast noch notwendiger sind als für den Augenarzt von 
Fach; denn der Spezialist, der jahraus — jahrein nichts anderes tut, 
als dass er eben Augen untersucht, wird ev. auch mit einem weniger 
vollkommenen Armamentarium die richtige Diagnose stellen können, 
wogegen der Nicht-Spezialist, der vielleicht im Monat nur wenige 
Male in den Fall kommt, die seitliche Beleuchtung anzuw-enden, im 
gegebenen Moment sehr leicht versagt, wenn er die modernen Hilfs¬ 
mittel des Intensivlichts und der Binokularlupe nicht besitzt. Und 
was es praktisch bedeutet, z. B. die Diagnose „perforierende Bulbus¬ 
verletzung“ nicht gestellt zu haben, wenn etwa ein Eisensplitter 
ins Auge eingedrungen ist, das wissen Sie alle eben so gut wie ich. 

Ich kann übrigens hinzufügen, was ja auch nicht ganz unwesent¬ 
lich ist, dass sich jeder Arzt diese zwei wichtigen Verbesserungen, 
des Intensivlichts und der Binokularlupe, für ein ganz billiges Geld 
verschaffen kann; und ausserdem, dass er das Intensivlicht nicht nur 
in seiner ophthalmologischen Tätigkeit verwenden kann, sondern dass 
es ihm ebenso sehr bei seinen otiatrischen, rtoino- und laryngo- 
logischen Untersuchungen zustatten kommen wird. 

Noch ein paar besondere Bemerkungen zunächst zu Punkt 1: Ver¬ 
besserung der Beleuchtung. Früher benutzte man als Lichtquelle für 
die seitliche Beleuchtung (wie auch zum Ophtbalmoskopieren) Petrol- 
lampenv dann- Gasflammen und endlich das Licht der elektrischen 
Glühbirne. Heute verwenden wir die verschiedenen Arten des In¬ 
tensivlichts, wie es uns die moderne Technik beschieden hat. Die 
gewöhnliche Nernstlampe (die ich nicht zu verwechseln bitte mit der 


4 ) Ich möchte noch audrücklich darauf aufmerksam machen, dass 
man durch maximale Bulbusdrehung auch ganz extrem periphere 
Kornealveränderungen vor die dunkle Pupille bringen kann. 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 







834 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


Gullstrandschen Nernst-Spaltlampe, von der noch die 
Rede sein wird!) von 100 HK. ist gut; wir 'haben sie jahrelang an 
unserer Klinik benützt 51 ). Ich habe dann zuerst in meiner Privat¬ 
praxis 6ine andere Lampe eingeführt und Herr Prof. 0. H a a b hat 
sie seither in vielen Exemplaren auch für die Klinik angeschafft; wir 
arbeiten heute an der Züricher Klinik mit der sog. Azo-Projek- 
tionslampe der Deutschen Auergesellschaft, einer Osram- 
Drahtlampe von 150 HK. mit sehr gedrängt gebautem, in einer 
Ebene liegendem Leuchtkörper; bei dieser Anordnung des 
Leuchtkörpers werden die Lichtstrahlen vorwiegend nach einer 
Richtung emittiert und die Lampe eignet sich deshalb vorzüglich für 
Projektionszwecke. Vor der Nernstlampe hat diese Lampe vor 
allem den Vorzug (abgesehen davon, dass ihr Licht wesentlich kräf¬ 
tiger und weisser ist), dass sie momentan) mit maximaler Helligkeit 
leuchtet, also keine „Latenzzeit“ hat, und dass sie vollständig ge¬ 
räuschlos brennt. Die Lampe hat Normalsockel und Normalgewdnde 
und kann folglich an jede schon vorhandene Glühlampenfassung an¬ 
geschraubt werden. Die Brenndauer und Solidität der Azolampe 
lassen nichts zu wünschen übrig; ich habe schon mehr als drei 
Jahre immer das gleiche Exemplar in Gebrauch und untersuche aus¬ 
nahmslos jeden Patienten, der mich konsultiert, damit Eine Azo- 
Projektionslampe von 150 HK. kostet bei uns in der Schweiz (in 
Zürich zu beziehen durch das Elektrizitätswerk der Stadt) etwa 
12 Fr. 

loh möchte nicht versäumen, an dieser Stelle noch kurz darauf 
hinzuweisen, dass die Azo-Projektionslampe von 150 HK. auch beim 
Augenspiegeln als Lichtquelle verwendet werden kann und hier 
in geeigneten Fällen ganz ausgezeichnete Dienste leistet. Für ge¬ 
wöhnlich ophthalmoskopiere ich allerdings mit Gaslicht (Argand- 
brenner), aber bei Medienitrübung, beim Spiegeln im aufrechten Bild 
zur Beobachtung feinerer Fundusdetails, -insbesondere zu Makula-, 
Reflex- und Gefässstudien, ferner bei älteren Leuten mit enger Pupille 
etc. eignet sich das Intensivlicht der Azolampe aufs beste. Ich habe 
z. B. kürzlich einen Fall von Glaucoma 'haemorrhagicum gesehen^ wo 
man nur mit Hilfe des Intensivlichts durch die behauchte, trübe 
Kornea hindurch nooh sicher die vorhandenen Fundusblutungen dia¬ 
gnostizieren konnte. Bei älteren Leuten brauchen wir vielfach die 
Pupille gar nicht erst mehr zu erweitern (was nicht nur wegen der 
gewonnenen Zeitersparnis, sondern auch im Hinblick auf die # im 
Alter ja stets drohende Glaukomgefahr angenehm ist) und sehen trotz¬ 
dem im aufrechten Bild tadellos die Makula. Das Intensivlicht der 
Azolampe ersetzt den elektrischen Augenspiegel vollkommen; man 
sieht damit, wie mit dem elektrischen Augenspiegel, alle die ver¬ 
schiedenen Reflexerscheinungen am Fundus, wie sie unlängst mein 
hochverehrter Chef zusammenfassend beschrieben hat, aufs schönste. 
Auch manche Details, die man sonst nur im Vogt sehen rotfreien 
Licht wahrzunehmen vermag, erkennt man ebenso deutlich mit der 
Azolampe. 

Und dann der andere Punkt, das Binokularprinzip! Es ist schon 
eine schöne Sache um die kunstgerechte seitliche Beleuchtung mit 
Intensivlicht und H a r t n a c k scher Kugellupe, aber sie leistet noch 
nicht alles; wer nicht neben der Hartnacklupe noch irgendeine Binoku¬ 
larlupe besitzt, entbehrt sehr vieles. Wie oft begegnet es doch uns, 
den Spezialisten, dass wir an der Kornea mit „Hartnack“ bei Inten¬ 
sivlicht irgendeine feine pathologische Veränderung wahrnehmen, 
aber wir können zunächst — auch bei peinlich genauer Untersuchung — 
nicht sicher sagen, in welcher Tiefe der Hornhaut die Affektion ihren 
Sitz hat; darauf kommt aber ev. alles an! Da greifen wir dann gern 
zur Binokularlupe, die uns ein plastisch-räumliches Sehen und damit 
die Tiefenwahrnehmung ermöglicht; und bei einiger Uebung sind wir 
fast in allen Fällen imstande, in einem Augenblick den 
Tiefensitz der Affektion richtig (jedenfalls für praktische 
Bedürfnisse hinreichend genau) anzugeben. Ich erlaube mir, hier 
Ihnen zwei Arten von bewährten, billigen und dabei doch Vorzüg¬ 
liches leistenden Handbinokularlupen herumzureichen; sehr 
brauchbar ist diese von Berger angegebene Lupe, ich habe sie 
jahrelang ausschliesslich verwendet; heute ziehe Ich allerdings dieses 
etwas vollkommenere Exemplar, das aus der Zeisswerkstätte stammt, 
vor (3 fache Vergrösserung; bei Bestellung ist die Pupillardistanz 
des Untersuchers anzugeben). Die Anwendung der Binokularlupen 
ist äusserst einfach, technisch entschieden einfacher als die kunst¬ 
gerechte Untersuchung mit der Kugellupe; man stülpt einfach das 
Kopfband, das alle diese Handlupen führen, über seinen Kopf und 
hat nun* beide Hände frei; die eine Hand beleuchtet nun wieder mit 
der Pluslinse fokal das Auge, die andere Hand steht zum Auseinander¬ 
ziehen der Lider usw. zur Verfügung. 

Des weiteren möchte ich Ihnen sodann hier noch kurz das sog. 
Hornhautmikroskop der Firma Zeiss demonstrier«!. In diesem In¬ 
strument sehen Sie vor allem das Prinzip der starken Vergrösserung 
verkörpert, worauf ja auch der Name Mikroskop schon hinweist; 
Sie sehen daran aber auch das Binokularprinzip zur Anwendung ge¬ 
bracht, so dass der Apparat also auch gleichzeitig ein plastisches 
Sehen ermöglicht. Sie gewahren, auf einem Stativ montiert, ein 
verschiebbares Doppelokular und ein zugehöriges Biobjektiv; durch 


*) Vergleiche dre Publikationen des Verfassers: Deutschmann- 
sche Beiträge zur Augenheilkunde 1912, Dezemberheft, und Klin. Mbl. 
f. Aughlk. 54. 1915. S. 685. 


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Zahn und Trieb kann die ganze Optik in der Höhe, nach Breite urtd 
Länge verschoben werden. Man hat verschiedene Okular- und 
Objektivsätze, je nach der Stärke der gewünschten Vergrösserung; 
die grösstmögliche (praktisch noch verwertbare) Vergrösserung be¬ 
trägt bei unserem Instrument 84; gewiss schon eine ganz rÄpektable 
Vergrösserung, wenn Sie bedenken, dass Sie ja das lebende Auge 
eines lebenden Menschen untersuchen. 

Dieses Instrument leistet nun in der Tat in der Hand des Spe¬ 
zialisten und Forschers ganz Vorzügliches, insbesondere dann, wenn 
man es kombiniert mit einem anderen modernen Instrument ver¬ 
wendet, der G u 11 s t r a n d sehen Nernst-Spaltlampe. Sie 
sehen hier auch dieses Instrument aufgestellt; es handelt sich dabei 
auch um ein modernes Intensivlicht, nämlich um eine Nernstlampe; 
aber die Lichtquelle liegt hier nicht frei zutage, sondern ist in ein 
lichtdichtes Gehäuse eingeschlossen und durch Linsen und Blenden 
wird erreicht, dass immer nur ein ganz kleines, fast linienförmig 
schmales Strahlenbündel aus dem Apparat austritt; dies schmale 
Lichtbündel dient dann zur seitlichen Beleuchtung. Das hat nun seine 
Vorteile und seine Nachteile. Für wissenschaftliche Untersuchungen, 
im kombinierten Gebrauch mit dem Kornealmikroskop, schätze ich 
diese Nernst-Spaltlampe ganz ausserordentlich; die absolute Ruhe des 
untersuchten Auges, die zur Beobachtung mit stärkeren Vergrösserungen 
immer unbedingt notwendig ist, wird auf die Dauer nur erreicht, wenn 
man das Auge mit einem allseitig stark abgeblendeten, räumlich eng 
begrenzten Strahlenbündel beleuchtet. Aber für die Sprechstunde 
des vielbeschäftigten Praktikers ist diese Lampe zu unhandlich, ihre 
Verwendung zu sehr zeitraubend, wobei ich allerdings gern ein- 
räume, dass es auch in der tagtäglichen Praxis Fälle gibt, wo man aus 
rein praktischen Gründen mit grösstem Vorteil Zeiss-Mikroskop und 
G u 1 Ist ran d sehe Lamoe verwendet, wenn man darüber verfügt. 
Ich möchte schon jetzt darauf aufmerksam machen, dass alles das, 
was ich Ihnen nachher als durch die moderne Technik sichtbar ge¬ 
worden, schildern werde, ohne Zeissmdkroskop und 
N e r ns t - S p a 11 la m p e, nur mit dem primitiven Instrumentarium 
der Hartnack sehen Kugellinse (und ev. der Handbinokularlupe), 
aber bei Intensivlicht (Azolampe) gesehen werden kann. 

Bevor ich nun dazu übergehe. Ihnen noch kurz ein paar An¬ 
deutungen über die Resultate der modernen Untersuchungstechnik zu 
machen, möchte ich mir erauben, Sie noch rasch auf drei praktisch 
nicht unwichtige Modifikationen der seitlichen Be¬ 
leuchtung aufmerksam zu machen, drei Modifikationen, deren 
genaue Kenntnis und kunstgerechte Handhabung bis zu einem gewissen 
Grade die teuren Apparate des Hornhautmikroskops und der Nernst- 
Spaltlampe zu ersetzen vermögen. Es handelt sich dabei um Unter¬ 
suchungsmethoden, die mit dem primitiven Instrumen¬ 
tarium der gewöhnlichen seitlichen Beleuchtung 
(Beleuchtungslinse und Hartnacklupe) ausgeführt werden; eine minime 
Lageveränderung der Beleuchtungslinse (bei der ersten und dritten 
Modifikation) oder eine leise seitliche Verschiebung des Auges resp. 
Kopfes (bei der zweiten Modifikation) genügt, um von einem 
Moment zum anderen die seitliche Beleuchtung in ganz wich¬ 
tiger Weise zu variieren und nacheinander in kürzester Zeit 
die verschiedensten Dinge zu konstatieren. Der Patient braucht also 
seinen Platz nicht zu wechseln, er braucht zum Teil nicht einmal 
seinen Kopf zu drehen, seine Augenlage zu verändern; der Arzt er¬ 
hebt sich nicht von seinem Sitz, ja er verändert nur ganz unmerk¬ 
lich die eben schon innegehabte Haltung (denn Kopf und Hände blei¬ 
ben in der Hauptsache an der Stelle, an der sie eben schon sind): 
Alles Dinge, die ein rasches Arbeiten ermöglichen und die des¬ 
halb für den beschäftigten Praktiker nicht ohne Bedeutung sind. 

Zwei dieser Modifikationen (die erste und zweite) dienen der 
Untersuchung der Kornea, die dritte der Untersuchung der Iris. 

Da ist zunächst zu nennen die sog. indirekte seitliche 
Beleuchtung. Bei der gewöhnlichen fokalen Beleuchtung richten 
wir die Spitze des Lichtkegels auf die pathologische Veränderung der 
Kornea selbst; wir betrachten also die Objekte im auffallenden Licht 
und sehen z. B. einen Beschlagspunkt, eine Kornealtrübung oder dergl. 
hell auf dunklem Grund. Das ist bei der indirekten seitlichen Be¬ 
leuchtung anders. (Vergl. die schematische Textfigur 1.) Da richtet 
man die Spitze des Lichtkonus nicht auf die* zu untersuchende Stelle 
der Hornhaut, sondern quasi eine Etage tiefer, auf die Iris; ja man 
vermeidet es dabei geflissentlich, die zu untersuchende Kornealstelle 
irgendwie in den Bereich des Lichtkegels zu bringen 3 ). Wir betrach¬ 
ten hier die fragliche Kornealaffektion (die Stelle a der Fig. 1) im 
reflektierten oder indirekten Licht; denn es wird nun -die beleuchtete 
Stelle der Iris selbst zur Lichtquelle, die nach allen Richtungen Strah¬ 
len emittiert, unter anderm auch durch die Kornea — und dabei die 
Stelle a passierend — in unser beobachtendes Auge. Bei dieser 
Methode der Untersuchung sehen wir also ein Ulcus corneae, einen 
Beschlagspunkt oder dergl. nicht hell auf dunklem Grund, sondern 
im Gegenteil dunkel auf hellem Grund, weil eben die patho¬ 
logische Kornealveränderung die Durchsichtigkeit des Hornhaut¬ 
gewebes örtlich aufhebt oder doch beeinträchtigt und so einen 
Schatten erzeugt. Obliterierte Gefässe nach Keratitis par- 


3 ) Man dirigiert bei der indirekten seitlichen Beleuchtung die 
zu untersuchende Kornealveränderung auch nicht vor die dunkle 
Pupille, sondern vor die beleuchtete Iris. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


30. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


m 


enchymatosa, alte Qefässe nach skrofulöser oder trachomatöser 
Hornhautentzündung, manche Formen von Bändertrübung im Hydroph- 
ifialmusauge, dann vor allem die Betauung der Kornealrückfläche bei 
Iridozyklitis (wovon noch die Rede sein wird) und vieles andere mehr 
sieht man am besten im indirekten seitlichen Licht. Die indirekte 
seitliche Beleuchtung ist — allgemein gesagt — überall da am Platze, 
wo es sich um die Feststellung von feinsten farblosen Korneal- 
objekten (wie etwa die „Tautröpfchen“ bei beginnender Iridozyklitis 
oder die „Glasfäden“ der Bändertrübungen beim Glaucoma infant.) 
handelt oder aber um die Untersuchung von feigen und färberisch 
wenig auffälligen, durch vorgelagerte Korne altrü- 
bungen versteckten und deshalb der direkten seitlichen Be¬ 
leuchtung wenig zugänglichen Kornealveränderungen. Die indirekte 
seitliche Beleuchtung gibt natürlich, ganz wie das Durchleuchten mit 
dem Augenspiegel, keinen Aufschluss über die färberischen Qualitäten 
einer Kornealaffektion, aber sie entscheidet manchmal rascher und 
namentlich sicherer die Frage des blossen Vorhandenseins oder 
Nichtvorhandenseins einer gewissen Komealerscheinung, manchmal 
auch über die Ausdehnung einer Kornealveränderung in der Fläche, 
als die direkte seitliche Beleuchtung. 

Die zweite Modifikation ist die — wie ich sie abgekürzt nenne — 
seitliche Beleuchtung dm Reflex (anstatt zu sagen: seit¬ 
liche Beleuchtung mit Beobachtung im Reflex). Wenn man sorgfältig 
untersucht, begegnet man gar nicht allzu selten allerfeinsten punkt- 
iörmigen Veränderungen, punktförmigen Trübungen an der vorderen 
Hornhautfläche, von denen man zunächst (bei Untersuchung mit 
Hartnacks Lupe und selbst mit Binokularlupe) einfach nicht mit 
Bestimmtheit sagen kann: handelt es sich um eine Prominenz oder, 
was seltener in Frage kommt, um eine feinste Vertiefung oder aber, 
ist an der Stelle der punktförmigen Trübung die sog. Glätte, d. h. 
das Niveau der vonderen Hornhautoberfläche, überhaupt nicht ge¬ 
stört. Da hilft man sich dann rasch und sicher in folgender Weise 




(vergl. Textfigur 2): Bei der gewöhnlichen seitlichen Beleuchtung ver¬ 
meidet jeder Kundige, quasi automatisch, direktes Licht von der Kor¬ 
nea in sein Auge reflektiert zu bekommen; man bringt also sein be¬ 
obachtendes Auge nicht an die Stelle A des Schemas, wobei das Auge 
direkt reflektiertes Licht erhielte, weil in diesem Falle Einfalls- und 
Reflexionswinkel (die Winkel a und ß des Schemas) gleich gross 
wären, sondern in die Stellung B; praktisch macht man das 
immer einfach so, dass man den Patienten etwa anweist, er solle 
gegen unser linkes Ohr blicken, wenn die Lichtquelle rechts 
von uns steht, und umgekehrt. Handelt es sich nun aber einmal 
darum, bei allerfeinsten, punktförmig kleinen Veränderungen an der 
Kornealoberfläche die Tiefendimenstion zu bestimmen, so unter¬ 
suchen wir ausnahmsweise „im Reflex“, indem wir uns er¬ 
innern, dass man ja auch schon bei der gewöhnlichen Tageslicht¬ 
untersuchung sehr prompt feinste Niveauunterschiede an der vor¬ 
deren Hornhautfläche erkennt, sobald man das Hornhautspiegelbild, 
etwa den Fensterreflex, genau beachtet. Handelt es sich nun bei 
dieser Untersuchung „im Reflex“ um eine Erhabenheit (Auflagerung 
auf das Epithel oder Vorwölbung des Epithels durch eingelagertes 


o •—i 


o —n 

Fig. 3. 


Infiltrat oder dergh), so sehen wir (vergl. den oberen Teil der sche¬ 
matischen Textfigur 3) der Lichtquelle a b gewendet einen Schatten¬ 
bogen an der hügeligen pathologischen Veränderung, ihr zu gewendet 
einen grellen Reflex; handelt es sich um eine Vertiefung, so sehen 
Nr. 31. 

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wir den Schatten der Lichtquelle zugewendet, den hellen Reflex ihr 
abgewendet (vergl den unteren Teil der Textfigur 3); handelt es sich 
aber um eine Trübung in der Kornea, die weder Prominenz noch Ver¬ 
tiefung im vorderen Niveau bedingt, so zeigt die grelle homogene Re¬ 
flexfläche über der Trübung keinerlei Störung*). 

Endlich die dritte Modifikation; man kann sie etwa „d i a p u p i 1 - 
1 a r e seitliche Beleuchtung“ nennen (ich habe sie zuerst 
in meiner Publikation „zur Untersuchung mit Nemstlicht“, Deutsch- 
mannsche Beitr. z. Aughlk. 1912, Dezemberheft, beschrieben). Es hat 
sich gezeigt, dass man Pigmentdefekte und Rarefikationen im Pig¬ 
mentblatt der Iris, wie sie Vorkommen im Senium und dann nament¬ 
lich, was praktisch wichtiger ist, nach schwerer Contusio bulbi (wo¬ 
bei man gar nicht selten förmliche Löcher in der Iris, manchmal nur 
im Pigmentblatt, später gelegentlich auch durch die ganze Iris hin¬ 
durch sieht) und nach Iridozyklitis, am einfachsten dadurch feststellt, 
dass man Intensivlicht mit der Beleuchtungsimse schräg durch 
die Pupille ins Augeninnere schickt und dann mit Hartnack von 
vorn die Iris betrachtet. (Vergl. die schematische Textfigur 4.) Es 
liegt dann die Iris mehr oder weniger im Dunkeln und es leuchten 
die Stellen der Regenbogenhaut, an denen das Pigment rarefiziert 
ist oder ganz fehlt, mehr oder weniger stark rot auf. (Weil jeder 
Punkt im Glaskörper, der in der Richtung der auftreffenden Licht¬ 
strahlen liegt, zur Lichtquelle wird und Licht nach allen Richtungen 
ausstrahlt, also auch durch die Iris hindurch in unser 
Auge.) 

Und endlich noch ein paar kurze Bemerkungen über die Be¬ 
deutung unddie Resultate der besprochenen Untersuchungs¬ 
technik. Wie bereits erwähnt, will ich hier, da ich ja vor Nicht¬ 
spezialisten rede, nur solche Dinge erwähnen, die mit dem 
primitiven Instrumentarium der Ha r t n ac k sehen Kugellupe (und 
ev. Binokularlüpe) bei Intensivlicht gesehen werden können. Ich 
bitte Sie sehr, in der Folge das sich immer zu vergegenwärtigen. 

Zunächst sind da natürlich einmal alle die pathologischen Ver¬ 
änderungen, die man auch schon in der Gaslichtära kannte, also durch 
die alte Technik feststellen konnte, auch bei der modernen Unter- 
suchungstechnrk sichtbar. Der grosse Unterschied ist 
nur der, dass man mit der neuen Technik alles viel 
rascher, müheloser und deutlicher, zuverlässiger 
erkennt. Darauf beruht aber meines Erachtens gerade die nicht 
hoch genug einzuschätzende Bedeutung der neuen Technik, des 
Intensivlichts vorab, für den Praktiker — den Spezialisten sowohl 
als den Nichtspeziallisten —, indem selbst dem Vielbeschäftigten und 
weniger Geübten die Diagnose leicht gemacht wird. Wer die seit¬ 
liche Beleuchtung zu handhaben gelernt hat und bei der neuen Technik 
auch nur einigermassen gewissenhaft und systematisch untersucht, 
dem kann einfach eine pathologische Erscheinung im Bereich des 
vorderen Bulbusabschnittes nicht mehr entgehen und sei sie noch so 
fein. Sie sehen mit Intensivlicht mühelos — um nur ein paar der 
alltäglichsten und wichtigsten feineren Veränderungen im vorderen 
Bulbusabschnitt zu nennen — Beschläge der Kornealrückfläche, auch 
die feineren und feinsten Kalibers; Sie erkennen feinste alte Gefässe, 
beginnende Effloreszenzen, z. B. allerfeinste, eben erst beginnende 
tiefe Fleckung bei Keratitis parenchymatosa oder eine noch ganz 
frische, kleinste Herpesfigur der Kornea; Sie diagnostizieren zarte, 
wenig dichte, alte Hornhauttrübungen, können an diesen noch 
Dezennien nach überstandener Entzündung die Form der einstigen 
Effloreszenz erkennen und daraus auf die Aetiologie der duroh- 
gemachten Erkrankung schlossen; Sie sehen feinste Bändertrübungen; 
erkennen, ob Sie den Rosthof (eines Eisensplitters) vollständig ent¬ 
fernt haben, ob Sie bei Trichiasis alle störenden Zilien epiliert haben; 
Sie diagnostizieren spielend jene praktisch nicht unwichtigen und ziem, 
lieh häufig vorkommenden Fälle von Pseudotrichiasis 5 ), wo eine 
Zilie vom Mutterboden sich losgelöst hat, mit ihrer Spitze in ein 
Tränenröhrchen oder den Ausführungsgang einer Meibom sehen 
Drüse geraten ist und nun, hier unbeweglich festsitzend«, mit dem 
dicken Wurzelende beständig auf der Kornea herumreibt usw. 

Nun hat uns aber ausserdem die neue Untersuchungstechnik eine 
ganze Reihe von wichtigen und interessanten Dingen aufgedeckt, die 
wir bislang entweder überhaupt gar nicht gekannt 'haben oder die 
wir doch klinisch, am lebenden Auge, nicht haben wahrnehmen können. 

Ich erwähne zunächst ein paar Entdeckungen der letzteren Art. 

Dass die Hornhaut Nerven besitzt, bat man durch das Studium 
des toten Auges, aus der mikroskopischen Anatomie, längst gewusst. 


*) Die Untersuchung „im Reflex“ wird mit Vorteil auch dann 
praktiziert, wenn es sich darum handelt, auf der Conjunctiva 
t a r s a 1 i s etwa des Oberlides einen farblosen, durchscheinenden, 
feinsten Fremdkörper, z. B. ein Glassplitterchen (auch manche 
Strassenstaubpartikel sind farblos und durchscheinend wie Glas), 
festzustellen. Da lässt man nach dem Ektropionieren zweckmässig 
erst die Tränenflüssigkeit etwas verdunsten, und dann wird man 
plötzlich den bisher unsichtbaren Fremdkörper dadurch entdecken, 
dass er sich durch einen feinsten Schatten auf der dem Fensterlicht 
abgewendeten Seite verrät. 

B ) Gerade diese Fälle von Pseudotrichiasis sind nach meiner 
Erfahrung sehr viel häufiger, als man früher immer geglaubt hat; sie 
wurden früher sicher vielfach übersehen, weil das unpigmentierte 
Wurzelende der Zilien leicht übersehen wird. 

2 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



836 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


Nun ermöglicht es aber die neue Technik, auch am lebenden Auge 
ohne weiteres die Hornhautnerven, wenigstens die gröberen Stämm- 
chen (natürlich nicht die intraepithelialen Endstrecken) wahrzu¬ 
nehmen. Es ist dies um so wunderbarer, als ja bekanntlich die 
meisten Hornhautnerven marklos sind. Ich achte seit 1912 regel¬ 
mässig fast bei allen Augen, die ich untersuche, auf die Hornhaut¬ 
nerven und ich habe unter den Tausenden von Augen kein einziges 
gesehen, an dem man nicht mit dieser einfachen Technik (Hartnack¬ 
lupe!) die Hornhautnerven hätte wahrnehmen können 6 ). 

Lange bekannt sind dann auch z. B. die persistierenden Ueber- 
reste der fötalen Pupillarmembran, faden- und punktförmige zarteste 
Gebilde auf und vor der vorderen Linsenoberfläche. Die Fäden 
spannen sich, !4 mm und mehr vor der Facies anterior lentis in der 
Vorderkammer schwebend, von einer Seite der Iriskrause über die 
Pupille hinweg zur gegenüberliegenden oder sie inserieren mit dem 
einen Ende auf der Linsenkapsel; sie können so zahlreich sein, dass 
sie förmliche Plexus bilden und gelegentlich vermögen sie die Seh¬ 
schärfe nicht unwesentlich zu beeinträchtigen; manchmal zeigen sie 
die Farbe der Iris, sind also braun, grau etc. und dann relativ dick 
und leicht erkennbar, häufiger sind sie spinnwebartig dünn und wie 
Spinngewebe grauweiss. Die Punkte treten häufig gleich in der Viel¬ 
zahl auf (wobei diese Punktgruppen unter dem Namen des 
Sc hu b e r t sehen Pupillarsandes gehen), manchmal allerdings auch 
bloss zu Zweien oder Dreien oder ganz vereinzelt; charakteristisch 7 ) 
ist an diesen Punkten, dass sie gewöhnlich lanzettförmig sind oder 
Dreispitzform zeigen und dass die Punkte häufig serienmässig, wie 
Streptokokken, sich ordnen und gern sich in zierlichen Figuren 
(Bogen, Sternfiguren etc.) präsentieren. Diese Ueberreste der fötalen 
Pupillarmembran hat man nun auch in der Gaslichtära bereits am 
lebenden Auge gesehen, aber man meinte damals, es sei ein relativ 
seltenes Vorkommnis, wenn solche Ueberreste aus der Fötalzeit ge¬ 
funden wurden. Heute wissen wir, dank der neuen Technik, 
dass dem nicht so ist; ich habe selbst vor Jahren als junger Assistent 
eine Statistik über diese Ueberreste der fötalen Pupillarmembran auf¬ 
gestellt (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1912) und gefunden, dass 
ungefähr die Hälfte aller Augen irgendwie solche Ueber¬ 
reste, Faden oder Punkte, zeigt. 

Zum Schluss endlich noch ein paar Beispiele von kom¬ 
pletten N e u en t de c ku ng en, also Dinge, die man vor der 
Intensivlichtära überhaupt gar nicht gekannt hat. 

In Augen mit Regenbogenhautentzündung sehen Sie regelmässig 
eine interessante und klinisch nicht unwichtige Veränderung, die ich 
1912 beschrieb 8 ) und nach ihrem Aussehen Betauung der Kor- 
nealrückfläche genannt habe. Da kommt etwa ein Patient in 
Ihre Sprechstunde und klagt darüber, dass ihn seit gestern sein rechtes 
Auge schmerze. Sehen Sie genauer zu, so gewahren Sie vielleicht 
eine leichte perikorneale Rötung (auch diese kann in diesem frühen 
Stadium noch fehlen), es sind aber keine Beschlagspunkte da, es sind 
keine Synechien vorhanden, vielmehr ist die Pupille rund und reagiert 
allseitig, Sie können auch keine Veränderung an der Regenbogenhaut 
selbst, an ihrem Gefüge, an ihrer Zeichnung wahrnehmen. Bei ge¬ 
nauerem Zusehen gewahren Sie nun aber eine Unmenge von feinsten, 
zweifellos auf der Kornealrückfläche befindlichen, farblosen, durch¬ 
scheinenden Pünktchen, die durchaus an feinste Tauperlen erinnern. 
Man sieht diese Tauperlen am besten im indirekten Licht und zwar 
muss man aus Gründen, die ich hier nicht erörtern will, die Betauung 
immer vor dem Pupillarrand suchen, im besonderen an dem der 
Lichtquelle abgewendeten Seite des Pupillarrandes. Die klinische 
Bedeutung dieser Betauung ist nun die, dass diese Tautröpfchen bei 
Iridozyklitis schon sichtbar sind zu einer Zeit, da die übrigen typischen 
Symptome der Regenbogenentzündung noch fehlen, Symptome, als 
da sind Beschläge, Synechien, Vorderkammerexsudate, Veränderung 
an der Iris wie Hyperämie und ödematöse Schwellung. Es kann 
sogar jede Injektion des Auges noch vollständig vermisst werden; 
ich habe schon mehrfach eine drohende Iritis, die dann ein paar Tage 
später auch wirklich ausbrach, allein aus der Betauung diagnostiziert 
zu einer Zeit, wo ausser der Betauung der Kornea am ganzen Auge 
sonst absolut nichts positiv Abnormes zu sehen war. 

Ein anderes Beispiel von kompletter Neuentdeckung ist der von 
Bruno Fleischer beschriebene braune Ring in Keratokonus- 
Corneae. Fleischer hat an einem grösseren klinischen Material 
konstatiert, dass bei den meisten stärkeren Graden von Keratokonus 
in der Kornea ein klinisch — eben bei seitlicher Beleuchtung — sicht¬ 
barer zarter brauner Pigmentring beobachtet werden kann; ein 
Pigmentring, der im Epithel der Kornea seinen Sitz hat, gewöhnlich 
gleich auf beiden Augen und annähernd symmetrisch sich findet und 
der nun um die Konusspitze einen Kreis beschreibt. Der Kreis ist 


6 ) Aber gerade hier ist es ganz besonders wichtig, dass man 
immer die fokal beleuchtete Kornealstrecke vor die dunkle Pupille 
bringt, damit sich die feinen hellgrauen Linien der Nervenstämmchen 
möglichst deutlich vom dunkeln Grunde der Pupille abheben. 

7 ) Im Gegensatz zum „iritischen Pigment“, das mehr klumpige 
Pigmentpunkte zeigt und sich regelloser in der Fläche verteilt. Es 
gibt allerdings seltene Fälle, wo auch der Geübte und mit diesen 
Dingen speziell Vertraute nicht mit Sicherheit entscheiden kann, oB 
es sich um iritisches oder fötales Pupillarpigment handelt. 

8 ) Deutschmann sehe Beitr. z. Augenheilk. 1912, Dezember¬ 
heft. 


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manchmal etwas grösser, manchmal etwas kleiner; in den Fällen, die 
ich gesehen habe, hielt er sich immer nahe der Grenze zwischen mitt¬ 
lerem und innerem Drittel der Hornhaut. Man hat über diesen merk¬ 
würdigen braunen Ring in ophthalmologischen Fachzeitschriften schon 
viel diskutiert; begreiflicherweise, denn der Keratokonus gehört ja 
bekanntlich zu den Krankheitsbildern, deren Aetiologie uns trotz 
emsiger Forscherarbeit von Dezennien noch immer dunkel ist und 
deshalb Hypothesen weiten Spielraum lässt. Ich will Sie indes mit 
diesen, doch eigentlich nur den Augenarzt von Fach näher inter¬ 
essierenden Fragen, die sich an die Erscheinung des Fleischer- 
schen Keratokonusringes knüpfen, hier nicht weiter belästigen, ich 
möchte nur zum Schluss noch kurz erwähnen, dass ich vor einiger 
Zeit eine merkwürdige Beobachtung an der normalen Kornea gemacht 
habe, die — wie ich glaube — auch auf den Fiel scher sehen 
braunen Ring einiges Licht zu werfen vermag. 

Im November 1916 beobachtete ich erstmalig bei einer älteren 
Frau, die wegen Presbyopie unsere Poliklinik aufsuchte und deren 
Augen sonst in jeder Hinsicht durchaus normale Verhältnisse auf¬ 
wiesen, deren Corneae vor allem auch in bezug auf Grösse, Form, 
Wölbung, Durchsichtigkeit etc. vollständig normal waren, in beiden 
Corneae eine zarte horizontale braune Linie, die je im unteren Ltd- 
spalten'bereich, etwa in der Höhe des unteren Pupillarrandes, quer 
über die Kornea zog und die — nach dem klinischen Aspekt — sicher 
in den oberflächlichen Lagen der Hornhaut, wahrscheinlich auch (wie 
der F1 e i s c h e r sehe Ring beim Keratokonus) im Epithel liegen 
musste. In der Folge habe ich dann diese merkwürdige, bisher un¬ 
bekannte braune Linie mehrfach in normalen Corneae und immer an 
derselben Stelle und in der Hauptsache gleich aussehend wieder¬ 
gefunden; heute verfüge ich über nahezu 100 einschlägige Beob¬ 
achtungen. In einem Falle konnte ich eine solche braune horizontale 
Linie anatomisch-mikroskopisch untersuchen* (es wird ein Präparat 
demonstriert); der braune Farbstoff fand sich in Form allerfeinster, 
ziemlich stark lichtbrechender brauner Tröpfchen oder Körnchen im 
Epithel und zwar intrazellulär, um die Kerne herum ins Protoplasma 
eingelagert. Auf Einzelheiten dieser braunen Linie, auf das Wie, Wo, 
Wann und Woraus der Entstehung, kann ich hier nicht eintreten; 
ich muss auch darauf verzichten, hier die Beziehungen meiner Pig- 
mentlinie zum Fleischer sehen braunen Ring auseinanderzusetzen. 
In einem der nächsten Hefte der Klin. Mbl. f. Aughlk. wird für die 
Ophthalmologen von Fach, für welche diese Dinge doch immerhin 
einiges Interesse bieten, von mir des genaueren über diese braune 
horizontale Linie und über die Fragen, die damit in Beziehung zu 
bringen sind, gehandelt werden. 

M. H.! Dies ein paar dürftige Andeutungen über das, was die 
moderne seitliche Beleuchtung des vorderen Bulbusabschnittes alles 
zu leisten vermag. Die Beispiele könnten vermehrt werden; das 
angeführte mag indes genügen. Es lag mir nur daran zu zeigen, wie 
viel man bei einiger Uebung im Untersuchen mit primitiven Mitteln 
durch die neue Technik bereits erkennen kann, und wie sehr wir 
allen Grund haben, diese wichtigen und wenig kostspieligen modernen 
Verbesserungen der seitlichen Beleuchtung, namentlich also das In¬ 
tensivlicht und die Binokularlupe, möglichst bald Allgemeingut aller 
Aerzte werden zu lassen. Unsere Diagnostik, die ja doch für alle 
Zeiten der feste Grund ärztlichen Handelns ist und bleiben wird, kann 
dabei unendlich viel an Sicherheit gewinnen. 


Aus der Militärabteilung der psychiatr. Klinik der Akademie 
für praktische Medizin in Köln. 

(Leitender Arzt: Prof. Aschaffenburg.) 

Zur Psychologie und Therapie der Kriegeneurosen. 

Von Dr. Paul Edel, landsturmpfl. ord. Arzt und Leiter der 
Neurotikerabteilung Ensen b. Köln und Dr. Adolf Hoppe, 
Marinestabsarzt d. S. I., Rinteln, z. Zt. Köln-Lindenburg. 

Seitdem auf der Münchener Kriegstagung des Vereins deutscher 
Nervenärzte fl] und zwar unseres Erachtens mit vollem Recht, die 
Ansicht durchdrang, dass es sich bei den Erscheinungen der sogen. 
Kriegsneurosen nicht um die Folgen organischer Schädigungen irgemÄ- 
welcher Art handle, die Symptome vielmehr durch psychische Ver¬ 
mittlung entständen, hat sich mancher Neurologen eine eigenartige 
Auffassung der in Rede stehenden Zustände bemächtigt. Was nicht 
anatomisch greifbar ist, ist für sie gewissermassen auch nicht vor¬ 
handen, und so lesen wir denn z. B. bei Förster [2] die höchst 
befremdliche Ansicht, die Zitterer wüssten innerlich selbst, dass sie 
nicht richtig krank seien, während Lewandowsky eine für die 
Allgemeinheit noch weit bedenklichere Folgerung zieht, wenn er 
schreibt, die Geringschätzung der Neurotiker müsse populär werden, 
eine leichte körperliche Schädigung sei immer noch schlimmer als 
die schwerste Neurose. 

Nun wehrt* sich ja Lewandowsky in dem Aufsatze der 
M.m.W. [3], dem unsere Entgegnungen vorwiegend gelten, ausdrück¬ 
lich gegen den Einwurf, dass er diese Kranken für Simulanten er¬ 
klären wolle und betont, fast allzu geflissentlich, immer wieder, dass 
er die Wurzeln der neurotischen Erscheinungen im Unbewussten 
suche. Wir wollen mit ihm nicht darüber streiten, inwieweit wir 
berechtigt sind, ein solches Unbewusst-Psychisches anzunehmen, und 

Original frnm 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



30 . Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


837 


ihm zugeben, dass es trotz aller Bedenken und Einwände der Psycho¬ 
logen für uns Mediziner schwer wird, ohne diesen dunklen Unter¬ 
grund der Seele fertig zu werdten. Es ist wohl richtig, wenn er an 
anderer Stelle [4] behauptet, dass auch die Psychologie hier nur 
das Wort, nicht aber den Begriff meide. Trotzdem entgeht Lewan- 
d o w s k y der Gefahr nicht, alles, was er aus dem Bewussten nicht 
ableiten kann, nun dem Unbewussten aufzupacken und nicht nur von 
unbewussten Wünschen und Befürchtungen, sondern selbst von einem 
schlechten Willen und von Berechnungen im Unbewussten zu reden. 
Dabei begegnet es Ihm, dlass er auf die Dauer diese Trennung der 
Seele in zwei Stockwerke doch nicht durchführen kann und das 
Bewusste zur Erklärung zurückbleibender Krankheitsreste und thera¬ 
peutischer Misserfolge heranziehen muss, so dass der Unterschied 
zwischen dem Neurotiker und dem Simulanten doch am Ende kaum 
erkennbar bleibt. Es bleibt ein Flecken in Lewandowskys Cha¬ 
rakterisierung dieser Kranken, umso auffälliger bei einem Schrift¬ 
steller, der vor dem Kriege eine moralische Bewertung hysterischer 
Erscheinungen ausdrücklich ablehnte [5]. 

Der Ausgangspunkt, von dem aus iewandowsky den Neu¬ 
rotiker beurteilt, ist die Wunschhypothese, von der er ja auch für die 
Erklärung der Hysterie weitgehenden Gebrauch macht [6]. Die an¬ 
gebliche Tatsache, dass weder schwer Verletzte, noch Kriegsge¬ 
fangene an den typischen Neurosen erkranken, was für die Schwer- 
verwundeten durchaus nicht, für die Kriegsgefangenen nicht unbedingt 
zutrifft, benutzt er zu dem Schlüsse, dass dlie Erkrankten ihre Neurose 
Dekommen, um sich in Sicherheit zu bringen, nach seiner Ansicht, wie 
wir vermuten dürfen, unbewusst, so schwer es ist, sich eine unbe¬ 
wusste Absicht vorzustellen. Der Heimatwunsch, das Verlangen, aus 
ier Front wegzukommen, soll der eigentliche Vater der Neurose sein. 
Man wird schon gegen die Grundlage dieser Behauptung seine Be¬ 
denken äussern können. Wir und wohl alle, die mit Kriegsver¬ 
letzten zu tun haben, haben doch in ungezählten Fällen beobachtet, 
wie sich organische und psychogene Erscheinungen über- und durch¬ 
einander lagern, wie z. B. ein schwerer Schuss durch die Ellenbogen¬ 
gegend zu einer hysterischen Lähmung des Schultergelenkes führt, und 
selbst an Kopfschüsse, die doch gewiss geeignet sind, dem Heimat¬ 
wunsche Genüge zu tun, sidh hysterische Zustände anschliessen. 
Einen dahingchörigen Fall, noch aus der Friedenszeit, beschreibt Le- 
wandowsky sogar selbst in seinem Handbuche [71. Wir haben 
Neurosen bei Soldaten gesehen, bei denen Wunden, Narben, or¬ 
ganische Lähmungen oder Bewegungshinderungen z. T. so gross 
waren, dass die Patienten auch nicht unbewusst zu dem Schlüsse 
kommen konnten, die schwere Verwundung oder dauernde Verstüm¬ 
melung genüge nicht, um sie vor Wiedereinstellung ins Heer zu 
sichern. Ebenso fanden wir Neurosen bei Fällen mit hochgradiger 
Schwerhörigkeit oder Sehstörung, wo schon durch diese Leiden jede 
Dienstbrauchbarkeit ausgeschlossen war, oder bei ausgesprochener 
organisch bedingter Herzschwäche. 

Auch Kriegsgefangene bleiben, wie Iewandowsky zugeben 
muss, von Neurosen nicht völlig frei. Hier muss selbstverständlich 
dann ein anderer Wunsch, z. B. der nach Austausch, zur Erklärung 
der Krankheit herhalten. Wir haben hier einen der symptomatisch 
auffallendsten Fälle bei einem deutschen Austauschgefangenen beob¬ 
achtet, der einen Schädelschuss mit nachfolgender Trepanation ohne 
Folgen überstanden hatte, bei dem sich aber nach Monaten langsam 
die schwersten Zuckungen des ganzen Körpers entwickelten 1 , nach¬ 
dem er sich nachts einmal den Kopf an den Pfosten seines Lagers ge- 
stossen hatte. Dass dieses höchst unbedeutende Trauma nun den 
Wunsch nach Auswechselung hervorgebracht haben sollte, ist doch 
mehr als unwahrscheinlich, zumal der Kranke gar nicht erwartet 
hatte und nach seinen Erfahrungen beim Austausch auch gar nicht 
erwarten konnte, durch seine Neurose die Freiheit wiederzuerlangen. 

Der Seltenheit halber sei noch erwähnt, dass auch eine Kranken¬ 
schwester, die im feindlichen Feuerbereich Kranke gepflegt hatte, mit 
typischen Erscheinungen der Kriegsneurose zur Behandlung kam. 

Wir leugnen gar nicht, dass unter Umständen die Neurose auf die 
von Lewandowsky behauptete Weise sich entwickeln kann. 
Aber auch dann vermissen wir den nachdrücklichen Hinweis darauf, 
dass eben doch nur ganz bestimmt Veranlagte an diesem Leiden er¬ 
kranken, mag der Heimatwunsch noch so mächtig sein- und vielleicht 
sogar zu unerlaubten Entfernungen von der Truppe führen. Die 
Flucht in die Krankheit gelingt doch immer nur einem gewissen 
Bruchteil; freilich ohne dass wir nun in jedem einzelnen Falle sagen 
können, weshalb das so ist. Es gibt aber auch Fälle, bei denen 
die Ableitung aus Begehrungsvorstellungen in keiner Weise möglich 
ist. So haben wir hier einen Offizier beobachtet, bei dlem sich 
nach einer Verschüttung von 6 Stunden Dauer tickartige Zuckungen 
im Gesicht und der rechten Schulter, dem damals eingeklemmten 
Körperteil, einstellten. Er machte damit aber seinen Dienst weiter 
und verliess, als er später aus anderem Anlass in die Heimat zurück- 
gekehrt war, eines Tages unerlaubt seine Garnison; bei einem 
fremden Truppenteil beteiligte er sich dann mit Auszeichnung an 
cen Kämpfen, die Ticks bestehen aber heute noch unverändert weiter. 
Es wäre ja sehr schön für das Verständnis solcher Psychoneurosen, 
wenn man sie auf so einfache Weise, wie Lewandowsky will, 
aus Wunschvorstellungen oder auch unbewussten Wünschen ableiten 
könnte, der wirkliche Mechanismus wird aber wohl sehr viel kompli¬ 
zierter sein, oder wie Lewandowsky es früher ausdrückte, die 
hysterische Störung geht im Prinzip immer tiefer als die willkürliche 
Innervation [8]. 


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Es gilt in der Psychologie nicht anders wie in der Naturwissen¬ 
schaft überhaupt, der von vornherein angenommene Zweck dient 
nur dazu, das Ergebnis der Beobachtung zu verwirren und sollte 
daher nicht am Anfänge, sondern höchstens am Ende der Unter¬ 
suchungen stehen. Es ist auch sehr wohl zu verstehen und! muss 
für einzelne Fälle auch von Lewandowsky zugegeben werden, 
dass das ungeheure Erlebnis des Krieges als solches imstande ist. 
eine Hysterie auszulösen. Wir wissen alle, dass der Mensch viel 
aushält, und w’er Gelegenheit gehabt hat, zu beobachten, wie rasch 
sich eine arg mitgenommene Truppe bei Ruhe und guten Quartieren 
wieder erholen kann, wird nicht geneigt sein, die Macht der äusseren 
Eindrücke zu überschätzen. Hüllt sich doch selbst nach den Schilde¬ 
rungen unserer Kämpfer beim Trommelfeuer dke Seele in einen wohl¬ 
tätigen fatalistischen Stupor ein und hält sich so das Uebermass des 
Schreckens nach Möglichkeit fern. Aber auch dies hat eine Grenze; 
irgendwann einmal wird das Erlebnis mächtiger als das Subjekt, und 
die Folge ist die 'Neurose, ohne dass wir nun darum gleich von 
„schwächlichen“ 4 Reaktionen zu reden brauchten. Das Grauen vor 
dem Ueberwältigenden lässt sich nicht mehr bezwingen und verhindert 
dlie Gesundung. Gewiss, selbst dann, wenn jemand unter Aufbietung 
aller moralischen Spannkraft sich in irgend einer gefährlichen Lage 
heldenhaft benommen hat, ist er, wenn er nun zusammenklappt, in 
der sich entwickelnden Neurose „kein Held mehr“. Aber wer ist 
denn immer ein Held? Wer es sein 'will, wie Holofernes jn 
Hebbels Judith, wird leicht zum Bramarbas, während es Kleist 
in seinem reifsten Drama wagen konnte, uns den Sieger von Fehr- 
bellin in Todesfurcht zu zeigen. Tatsächlich werden ja diese Er¬ 
wägungen zu keinen anderen Ergebnissen führen, wie die (Lewan¬ 
dowskys und aller anderen Praktiker. Ehe «ein solcher Kranker 
nicht gewiss ist, dass militärische Leistungen vor dem Feinde ihm 
nicht mehr zugemutet werden, tritt eine Genesung meist nicht ein. 
Immerhin aber nimmt unsere Auffassung dem Neurotiker den Vorwurf 
einer, sei es* auch nur unbewussten Feigheit, während sie den von 
Lewandowsky zur Stütze herangezogenen Tatsachen, der Selten¬ 
heit der Kriegshysterie bei Schwerverletzten und Gefangenen, ebenso¬ 
gut gerecht wird. 

Wir mögen von dem „reaktiven“ Charakter der Hysterie im Sinne 
H e 11 p a c h s [9], von der psychischen Entstehung der 'Neurosen 
noch so sehr überzeugt sein, dürfen aber dabei nicht vergessen, dass 
auch diese Theorie eben nur eine Theorie ist, ein* Glaube, den man 
hat und der uns gewiss auch durch manche Fälle bestätigt wird, -dass 
cs aber in zahllosen anderen nicht gelingt, die Ursache zu ermitteln. 
Die Verschüttungen, die von derartigen Kranken so oft angeschuldigt 
werden, erweisen sich vielfach als nur in der Phantasie erlitten, in 
anderen Fällen fehlt es an der Zeit, in der sich dter angeschuldigte 
Begehrungs- oder Abwehrmechanismus hätte entwickeln können, man 
müsste dann annehmen, dass das „Unbewusste“ auch während der 
Ohnmacht weiter arbeitete; so, wenn ein Soldat, der nach einer 
wirklichen Verschüttung bewusstlos ausgegraben wird, nun gleich 
nach dem Erwachen eine schlaffe Lähmung des linken Armes zeigt; 
hier bleibt doch tatsächlich nichts anderes übrig, als die Lähmung auf 
den Schreck bei dler Verschüttung selbst zurückzuführen, zumal ähn¬ 
liche Verhältnisse bei einem ganz erheblichen Prozentsätze, gerade der 
Gelähmten, vorliegen. In dieselbe Gruppe möchten wir auch den Fall 
des obengenannten Offiziers rechnen, bei dem das ganze offensichtliche 
Interesse dahin ging, an der Front zu bleiben. Vor allem aber wollen 
wir stets daran denken, dass jedesmal zu dem Erlebnis auch die An-# 
läge gehört, eine Erwägung, die z. B. bei der Dienstbeschädigungs- 
frage ungemein schwer in die Wage fällt. Diese Disposition, die 
keineswegs mit erblicher Veranlagung oder schon stets vorhandener 
Nervosität gleichgesetzt werden darf, ist aber ein dunkles Etwas; 
Lewandowsky bemerkt mit Recht, dass niemand weiss, wie viel 
er aushalten kann, und dass manche, die über die Zitterer lachten, 
später selbst dem Schütteltremor erlagen. 

Was in Lewandowskys Darlegungen besondters auffällt, ist 
die misstrauische, ja wir möchten sagen, seine, natürlich unbewusst, 
feindselige Einstellung, gegenüber den Neurotikern. Sätze wie diese, 
man müsse solchen Kranken den Lazarettaufenthalt bis zu einem ge¬ 
wissen Grade verleiden. Arzt und Kranker sähen sich manchmal erst 
mit einem Augurenlächeln an, die Behandlung baue dem Kranken eine 
goldene Brücke, um sich von seinen Symptomen zu trennen, die 
Freude über die Genesung sei oft nichts anderes, als die Bemäntelung 
dies schlechten Gewissens, stehen alle auf einem Blatt. Dem reiht 
sich an, wenn bei der Behandlung die ekelhaften Apomorphininjek- 
tionen ‘halbwegs empfohlen werden, oder wenn sogar im Mittelarrest 
eine therapeutische Komponente entdeckt wird. Es mag ja sein, dass 
sein wohl überwiegend grossstädtisches Krankenmaterial ungünstiger 
war, als das unsrige. Jedenfalls sind wir hier immer sehr gut ohne 
Gewaltmassnahmen durchgekommen, so sehr Lewandowsky an¬ 
dererseits im Recht ist, wenn er vor einer Verhätschelung und Ver¬ 
zärtelung der Kranken, einer Ueberschätzung des „Nervenschocks“ 
warnt. 

Es gibt Fälle, die schon durch die in Bonn sog. „Therapie der 
Nichtbeachtung“ heilen, und ehe wir hier noch die Kaufmannsche Me¬ 
thode eingeführt hatten, hatten wir ohne sonstige Behandlung oft gute 
Ergebnisse dadurch erzielt, dass wir den Kranken Gelegenheit gaben, 
durch eine leichte, aber gut bezahlte Arbeit (Flechten von Granat¬ 
körben) viel Geld zu verdienen. Dabei verlor sich das Zittern oft 
ganz von selbst. Andere werdten gesund, wenn man sie nach 
Weichbrod ins Dauerbad oder nach Stier auf die unruhige Ab- 

2 * 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


teilung verlegt — wobei wir uns die ganz bescheidene Frage ge¬ 
statten, welches Geschrei sich wohl im Frieden erhoben hätte, wenn 
man Nervenkranke unter unruhigen Geisteskranken, vulgo „Tobsüch¬ 
tigen“ nntergebracht hätte. Für die meisten Fälle erwies sich aber i 
eine aktivere Therapie als geboten, und es bleibt — trotz aller 
üblichen Prioritätsstreitigkeiten und aller Modifikationen, die an dem 
ursprünglich angegebenen Verfahren vorgenommen worden sind —, 
Kaufmanns Verdienst, diesem Grundsatz unter den Nervenärzten 
Geltung verschafft zu haben. Dass die von ihm angegebene Behand¬ 
lung, namentlich im Anfang, sehr den Eindruck des Gewaltsamen 
machte, ist richtig, ebenso aber, dass sie im Laufe der Zeit wesentlich 
von Uebertreibungen gereinigt wurde. Die starken Sinusströme anzu- 
wenden, in denen man früher den Kern der Therapie -erblickte, wird 
nach den neueren Veröffentlichungen wohl niemand mehr den Mut 
haben. Das Prinzip ist ja überall das gleiche, auf so verschiedenen 
Wegen auch die Suggestion oder Autorität des Arztes sich Geltung 
verschafft. Es kommt immer nur darauf an, den gesunden Willen des 
Kranken wieder zu wecken und wirksam zu machen, ihn zu über¬ 
zeugen, dass er über seine Glieder verfügen kann und zu arbeiten fähig 
ist, wobei daran festgehalten werden muss, dass in den meisten 
Fällen die Leute wohl gerie wollen, aber nicht können, und hierzu 
eben der kundigen Wegleitung des Arztes bedürfen. 

Im einzelnen möchten wir zu der bei uns üblichen Methode der 
Behandlung folgendes anführen: 

Wir haben -hier Kranke aller Art zugeführt bekommen, frische 
Fälle, die vor kurzem erst von der Front kamen, und alte Renten¬ 
empfänger. Lewandowskys Bemerkung, dass Patienten, deren 
Dienstunbrauchbarkeit schon feststeht, ein besonders undankbares Ob¬ 
jekt der Behandlung sind, da sie ganz genau wissen, dass sie die 
Erscheinungen nicht aufzugeben brauchen und eine Rente erzwingen 
können, können wir nicht bestätigen. Durchweg haben sie sich nicht 
anders verhalten, als die noch in militärischem Dieust stehenden 
Leute. Gewiss bestand gerade bei ihnen häufig ein grosses Wider¬ 
streben, sich in die Krankenabteilung aufnehmen zu lassen. Dies 
kann nicht wundernehmen, da sie oft Monate lang und länger in Laza¬ 
retten herumgeschleppt waren, wo sie vielfach erfolglos behandelt 
wurden und auch nicht das Verständnis ihrer Kameraden fanden. 
Waren sie einmal auf der Abteilung, so setzten sie der Behandlung 
keinen Widerstand entgegen, und hingen nicht an der Rente, so¬ 
bald sie erst das Vertrauen gewonnen hatten, dass sie von ihren stö¬ 
renden Erscheinungen befreit werden könnten. Bei den Renten- . 
empfängern, die nur zur Beurteilung von den Bezirkskommandos 
zugesandt wurden und denen der Entschluss überlassen werden 
musste, ob sie sich behandeln lassen wollten oder nicht, fiel allerdings 
die Entscheidung sehr oft in verneinendem Sinne aus: es muss dahin¬ 
gestellt bleiben, ob durch den Wunsch, die Rente zu behalten oder 
durch das Misstrauen gegen eine erneute Behandlung. 

Davon, dass angebliche Kriegsneurotiker simulierten, konnten 
wir uns nur in den seltensten Fällen überzeugen. Für die meisten der 
zur Schau getragenen Symptome ist eine willkürliche Erzeugung ja 
sowieso ausgeschlossen, da niemand z. B. ein grobes Zittern oder eine 
Kontraktur tage- und wochenlang ohne Ermüdung durchhalten könnte. 
Auch darin sind wir mit Le wando wsky. wenigstens dem Ver¬ 
fasser der Abhandlung über Hysterie, ganz einer Meinung [10]. Schon 
die Tatsache, dass trotz -der unerhörten Kraftanstrengung, die ein 
starkes dauerndes Zittern bedeutet, trotz der anhaltenden Spannung 
der kontrahierten Muskeln alle Anzeichen der Ermüdung fehlen, be¬ 
weist nach unserer Ansicht, dass von irgendwelcher willkürlichen Mit¬ 
wirkung in der Regel keine Rede ist, und dass diese Erscheinungen 
weit eher mit den stereotypen Bewegungen dler Katatoniker in Paral¬ 
lele zu setzen sind. Von den nunmehr 200 Fällen, die bisher in der 
Kriegsneurotikerabteilung behapdelt wurden, kommen höchstens 
2 Leute als Simulanten in Betracht. Bei dem einen bestand anfangs 
ein bewusst schlechter Wille, hei dem zweiten ist das wahrscheinlich, 
aber nicht sicher. Es geschah nicht selten, besonders zu Anfang, dass 
wir bei Patienten den Eindruck gewannen, dass sie nicht wollten, 
einen inneren Widerstand dien Bemühungen des Arztes entgegen¬ 
setzten. Diese Anschauung hat sich je länger, je mehr als unrichtig 
erwiesen. Es zeigte sich vielmehr, dass wir die Kranken zunächst 
falsch angefasst hatten, es nicht verstanden, gegen die Störung in der 
für den speziellen Fall passenden Weise vorzugehen, und dass das 
anfängliche Fiasko demnach viel weniger an dem Patienten, als an 
der Methode lag. Dies trat um so mehr hervor und um so beweisen¬ 
der, weil wir hier von jedter gewaltsamen Behandlung Abstand ge¬ 
nommen haben. Bei den Patienten werden die Störungen beseitigt, 
ohne sie durch Schmerz, Ueberraschung oder sonstige Unannehmlich¬ 
keiten gefügsam zu machen. Auch ein ungünstiger Einfluss der An¬ 
gehörigen war nur in den seltensten Fällen zu bemerken; ausgeprägt 
war er eigentlich nur bei einem Kranken, einem völlig schwachsinnigen 
Menschen, um den die Eltern einen unberechtigten Rentenkampf führ¬ 
ten, und der sie durch eine plumpe Simulation unterstützte. 

Der Leiter einer Neurotikerabteilung muss sich bewusst sein, 
dass das Hauptgewicht nicht auf die neurologische, sondern auf die 
psychische Behandllung zu legen ist. Er darf niemals vergessen, dass 
alle, auch die auffälligsten motorischen Störungen nur Symtome sind, 
während die eigentliche Störung in der Psyche der Kranken liegt. 
Für den Erfolg ist entscheidend, dass der Arzt es versteht, ein sug¬ 
gestives Milieu zu schaffen, dass der Patient vom Augenblick der 
Aufnahme an die Ueberzeugung gewinnt, dass er gesunden wird. Es 
ist immerhin nicht unzweckmässig, wenn der behandelnde Arzt ein 

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Militärarzt ist, dass aber dieser Umstand sehr wesentlich zum Erfolge 
beiträgt, haben wir bei uns nicht erfahren. Einer von uns hat, bevor 
er eingezogen wurde, als Zivilarzt die Neurotikerabteilung in der 
psychiatrischen Klinik in Köln geführt, ohne auch nur im geringsten 
hierin einen Schaden für seinen Erfolg gesehen zu haben. Auch Nonne 
legt bei seiner Behandlung, wie er jüngst in Baden-Baden mitteilte, 
auf die Uniform kein ausschlaggebendes Gewicht. Wenn nur der 
Arzt das Vertrauen der Kranken besitzt, wird er auch über ungünstige 
Einflüsse hinwegkommen, so, wenn sich durch Zufall einmal eine 
Reihe refraktärer Fälle auf der Station ansammelt und! nun selbstver¬ 
ständlich eine Art Gegensuggestion gegen den Erfolg der Behandlung 
bildet. Wirkliche Schwierigkeiten haben wir übrigens nur von Leu¬ 
ten zu verzeichnen, die schwachsinnig waren oder einem Zustande von 
Demenz sehr nahe kamen. Doch auch hier würde es verfehlt sein, 
zu früh die Flinte ins Korn zu werfen und die Leute ungeheilt d.u. 
zu entlassen, da man doch noch den Erfolg sieht, wenn es nur ge¬ 
lingt, sie an der richtigen Stelle zu packen. 

Massnahmen, die offen oder versteckt darauf hinausliefen, den 
Patienten den Lazarettaufenthalt zu verleiden, haben wir grundsätz¬ 
lich vermieden, weder in der Richtung, dass wir die Langeweile zu 
steigern versuchten, oder gar, wie es Le wando wsky für das 
Wirksamste hält, die Kraken in Einzelzimmer verlegten. Wir haben 
auch von Bettruhe, mit Ausnahme von einzelnen Fällen, die sich 
in ganz besonders motorisch erregtem Zustande befanden, und von 
einem Besuchverbot gänzlich Abstand genommen, noch viel weniger 
halten wir es für zweckmässig, die Patienten durch Verabreichung von 
nur flüssiger Nahrung (in Wien redet man sogar von Luftdiät) in 
ihrem Ernährungszustände zu schädigen. Gewiss gibt es Ausnahme¬ 
fälle, aber auch nur Ausnahmefälle, bei denen es erwünscht sein 
könnte, wenn sie etwas kürzer gehalten würden. Im grossen und 
ganzen aber hat uns die Erfahrung gelehrt, dass die Ergebnisse der 
Behandlung durch eine Besserung der äusseren Verhältnisse sowohl 
des Aufenthaltes, wie auch der Kost und der Freiheit, nicht behindert 
wurden, sondern dass eine ansprechende Umgebung und gute Unter¬ 
kunftsverhältnisse ganz erheblich nützlich sind und die Behandlung 
merklich erleichtern. 

Infolgedessen glauben wir auch nicht, dass die Vorkehrungen, die 
Lewandowsky von seinen theoretischen Voraussetzungen her 
für die Kur sonst noch vorschlägt, ohne sie allerdings selbst durch¬ 
geführt zu haben (Gardinen zwischen den einzelnen Betten, Verbot 
der Unterhaltung, des Lesens und des Schreibens) das Heilungsresul¬ 
tat wesentlich heben werden, das Odium, mit dem eine derartig 
rigorose Behandllung die Neurotikerabteilungen belasten würde, wäre 
in jedem Fall grösser als der zu erwartende Erfolg. Alle diese Vor¬ 
schriften sind sicher nur von nebensächlicher Bedeutung gegenüber 
dem allein entscheidenden, dass der behandelnde Arzt es versteht, 
mit seinen Neurotikern umzugehen. 

Bei der Behandlung der Kriegsneurotiker wurde bisher bei uns 
von der Hilfe der Elektrizität, trotz sonstiger Anlehnung an das 
Kaufmannsche Verfahren, Abstand genommen, und zwar unter 
dem Eindruck von anfänglich bekannt gewordenen Todesfällen, und 
um jede Gewaltsamkeit abzuhalten. Auch machten sich bei uns be¬ 
rechtigte Zweifel über die Zulässigkeit schmerzhafter Behandlungs¬ 
methoden geltend, wie sie zweifellos als Folge der Kaufmann- 
Sehen Empfehlung vielfach zur Anwendung kamen. Wir haben bei 
unserer Art des Vorgehens, keinen Fall weniger geheilt 1 ). Es muss 
zugegeben werden, dass jedenfalls zunächst eine Heilmethode, die 
sich auf geeignete Belehrung und Turnübungen beschränkt, erheblich 
grössere Ansprüche an die Zeit, Ausdauer und Nervenkraft des behan¬ 
delnden Arztes stellt, wenn sich die Erfolge auf gleicher Höhe halten 
sollen, wie bei anderen Neurotikerstationen, die sich ganz an die 
Kaufmann sehen Vorschriften, mindestens hinsichtlich Benutzung 
der Elektrizität, hielten. Allmählich haben wir aber auch durch die 
Erfahrung gelernt, auch auf unserem Wege bequeme und leicht gang¬ 
bare Wege zur Psyche unserer Patienten zu finden, so dass jetzt 
unser Verfahren nicht mehr Zeit in Anspruch nimmt, als das von 
Kaufmann ursprünglich empfohlene mit starken Strömen. Ausser 
den genannten Verfahren nahmen wir die Hypnose in weitgehendstem 
Masse zu Hilfe. Insbesondere haben wir davon gute Ergebnisse 
bei leichteren Störungen, wie Stottern, Stimmlosigkeit usw. erzielt; 
ferner auch bei ger.ngem Zittern, insbesondere des Kopf ‘.s. Besonders 
gern haben wir auf Hypnose zurückgegriffen, wenn, wie das von 
vielen beklagt wird, eine ganze Reihe von Störungen, z. B. unerheb¬ 
liches Zittern des Kopfes oder dergl. nach der Behandlung zurück¬ 
blieben, die nach K a u f m a n n sehen Prinzipien nicht zu beseitigen 
waren. Gerade in solchen Fällen hat sich zur vollständigen Beseiti¬ 
gung der Störung und gewissennassen zur Ergänzung des Turnver¬ 
fahrens die Hypnose ausserordentlich bewährt. Im übrigen kann 
auf das schon vorher Gesagte verwiesen werden. Wir sehen darauf, 
dass strenge Ordnung •eingehalten wird, nehmen aber von den 
von Lewandowsky empfohlenen oder beschriebenen Zwangs- 
massregeln grundsätzlich Abstand und haben hierbei die besten Er¬ 
fahrungen gemacht. 

Nicht direkt zugänglich erwiesen sich dieser Behandlung die 
hysterischen Anfälle. Der Guss kalten Wassers, den Lewan¬ 
dowsky empfiehlt, ist im einzelnen Falle gewiss ein wirksames 
Mittel, um den Kranken zu sich zu bringen, einen weiteren therapeu- 


’) Der Prozentsatz der „Geheilten“ in der Kriegsneurotrker- 
abteilung hier beträgt 98 Proz. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




30. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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tischen Wert liat es aber nicht, wirkt sogar zuweilen sehr schädlich, 
kalte Ganzpackungen dürften schon ein zweischneidigeres Mittel sein, 
Apomorphininjektionen, die nichts sind als ein ganz nackter chemischer 
Zwang, haben aber in der Behandlung der Neurotiker so wenig etwas 
zu suchen, wie in derjenigen unruhiger Geisteskranker, wo sie vor 
einigen Jahrzehnten noch hie und da beliebt waren. Es ist aber ganz 
richtig, dass die Anfälle sowieso seltener werden, wenn man sie nicht 
beachtet und den Kranken ruhig „zappeln“ lässt; dann aber haben 
auch wir übereinstimmend} mit anderen Fachkollegen beobachtet, dass 
mit der Beseitigung der psychomotorischen Symptome auch die 
Krämpfe zumeist sehr selten werden und schliesslich ganz verschwin¬ 
den, vor allem, wenn die Kranken in einen geeigneten Wirkungskreis 
kommen. Vielfach „wissen“, wie Lewandowsky hervorhebt, 
die Leute, die in Lazaretten keine Anfälle bekommen, ja auch „ganz 
genau“, dass sie bei der Truppe oder grösseren Anstrengungen sofort 
rückfällig werden würden; kein Wunder, wenn man an den psychi¬ 
schen Zusammenhang der Neurose mit dlem Druck des militärischen 
Lebens denkt. Als Kuriosum sei übrigens angeführt, dass wir auch 
einen Kranken beobachtet haben, der behauptete, die Anfälle simuliert 
zu haben, um auf die Art in ein anderes Lazarett und von da leichter 
wieder an die Front zu kommen; tatsächlich handelte es sich nicht um 
Simulation, sondern der Kranke war sich nur der psychogenen Mit¬ 
wirkung bei seinen Krämpfen bewusst. Seinen Wunsch haben wir 
übrigens erfüllt; immerhin zeigt doch auch dieser noch halbwegs 
durchsichtige Fall, auf wie sondierbaren Bahnen sich oft die Gedanken¬ 
sänge der Hysteriker bewegen. 

Noch ein Wort über die leichten Störungen im Bewegungsappa- 
rat. die nach der Behandlung Zurückbleiben. Lewandowsky 
hält sie, seiner ganzen Auffassung entsprechend, für Sicherungs- 
rnassnahmen, mit denen der Kranke sich gegen eine Wiedereinziehung 
schützen will, allerdings mit der üblen Wendung, dass er sie aus dem 
bewussten Seelenleben ableitet; getreu dem alten S c h i 11 e r sehen 
Rezept, dort, wo die Theorie aufhört, den Rest dem andern ins Ge¬ 
wissen zu schieben. Wir möchten demgegenüber aber doch zu be¬ 
denken geben, dass es nicht so auffällig ist, wenn nach langer para- 
plegischer Unbrauchbarkeit der Beine noch eine leichte Unsicherheit, 
nach einer Armlähmung noch eine gewisse Schwäche dieses Gliedes 
zurückbleibt. Auch kleine organische Schädigungen [11] spielen wohl 
in manchen Fällen hinein. Eine sehr ausdauernde, verlängerte Be¬ 
handlung kann hier nach unseren Erfahrungen diese geringen Schäden, 
soweit sie nicht organisdh bedingt sind, auch noch beseitigen; viel¬ 
fach wird man aber auch schon aus Zeitmangel gezwungen sein, 
die Kranken mit ihnen zu entlassen undl nun den Ausgleich von der 
Zeit und der beruflichen Tätigkeit zu erwarten. 

Den grössten Wert haben wir von Anfang an auf eine ausgiebige 
Nachbehandlung gelegt, und zu diesem Zwecke für vielseitige Ar¬ 
beitsmöglichkeit gesorgt. Nicht, um die Kranken zu ..beschäftigen“ 
und sie irgendwelche mehr oder weniger unbrauchbare Kinkerlitzchen 
oder Hausgreuel herstellen zu lassen, sondern um ihnen in geordneter, 
lohnender Tätigkeit zu Gemüte zu führen, dass sie wieder arbeits- 
und erwerbsfähig sind. Wir haben dtezu, soweit nicht berufliche Tätig¬ 
keit in Frage kam, in grossem Umfange namentlich von gärtnerischen 
und militärisch wichtigen Arbeiten Gebrauch gemacht. Zugleich er¬ 
gibt die Arbeitsleistung dem Arzte ein sehr willkommenes Mass, 
etwa wirklich noch vorhandene Einbussen der Erwerbsfähigkeit objek¬ 
tiv festzustellen, und der Rentensucht auf Grund des Beobachteten 
entgegenzutreten. 

Das Ziel der Behandlung kann ja immer nur sein, die Arbeits¬ 
kraft der Neurotiker für die Gesamtheit nutzbar zu machen, wobei wir 
zumeist sogar gezwungen sind, auf die Arbeitsverwendlungsfähigkeit 
im militärischen Sinne zu verzichten. Die paar Fälle, in denen die 
Kranken garnisondienstfähig oder kriegsverwendungsfähig entlassen 
wurden, fallen demgegenüber nicht ins Gewicht. Für die meisten 
wirkt eine Berührung mit dem Militärischen positiv schädlich — wir 
sahen Rezidive nach einem harmlosen Anschnauzer des Feld¬ 
webels —; so dass wir es vorziehen, die Geheilten direkt zur 
Arbeitsaufnahme in die Heimat zu entlassen, nachdem der 
Ersatztruppenteil verständigt worden ist. Hier wirkt die Be¬ 
stimmung. dass die Neurotiker, wenn sie nicht arbeiten oder die 
Arbeit aufgeben, wieder zum Heeresdienst eingezogen werden sollen, 
sicher alr gutes Gegenmittel gegen Arbeitsunlust und auch gegen 
etwaige Wehleidigkeit und Verzagtheit, wenn dlas Arbeiten nicht 
gleich gelingen will. 

Zu wünschen wäre nur, dass die Tätigkeit der Entlassenen nun 
auch wirklich dem allgemeinen Wohl zugute käme und sich nicht 
auf Betriebe erstreckte, die so etwa durch die Grenzen Postkarten¬ 
verkauf und Kriegswucher bezeichnet werden; das Gesetz über den 
vaterländischen Hilfsdienst gibt hier eine wirksame Handhabe, von 
der wir allerdings nicht wissen, wieweit sie benutzt worden ist. Vom 
militärischen Standpunkt ist es gewiss unerwünscht, dass ein guter 
Teil körperlich tauglicher Männer durch die Kriegsneurose dem 
Heeresdienst verloren geht. Experimente in dieser Beziehung, wie 
sie früher vielfach von den Aerzten der Aushebungskommissionen 
angestellt wurden, haben aber keinen Zweck, wie die Erfahrung ge¬ 
lehrt hat; W'iedereiristellung. ja schon oft die Nachuntersuchung, be¬ 
deutet den Rückfall, eine Tatsache, der das Ministerium ja in fast 
zu weitgehendem Masse Rechnung getragen hat. wenn es vor Ablauf 
von 5 Jahren Nachuntersuchungen von Neurotikern untersagt hat. 
Hier muss sich der Militärarzt bescheiden lernen, und z. B. daran 
denken, dass auch überstandene — und restlos ausgeheilte — Geistes- 

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krankheit dauernd kriegsunbrauchbar macht, obwohl es vom psych¬ 
iatrischen Standpunkt weit unbedenklicher wäre, etwa einen Manisch- 
depressiven mit langen Intervallen ins Heer einzustellen als eipen 
„genesenen“ Neurotiker, bei dem nach wenigen Tagen oder Wochen 
die Reise durch die Lazarette wiedler losgeht. Es ist schon genug.er¬ 
reicht, wenn diese Kranken, die vorher die Lazarette füllten und be¬ 
reits im Strassenbilde zu einer typischen Erscheinung geworden 
waren, nun wieder unauffällig ihres Weges gehen, keine Kosten mehr 
machen, ihre Arbeit verrichten und so dem Vaterlande nützen können, 
wenn sie auch nicht mehr fähig sind, die Waffen zu tragen. 

Die Entlassung aus dem Heeresverband stellt uns aber bei jedem 
Neurotiker vor die Entscheidung zweier folgenschwerer, eng mit¬ 
einander verbundener Fragen, der nach der Dienstbeschädigung und 
der etwa zu gewährenden Rente. Auch hier vertritt Lewan¬ 
dowsky einen Radikalismus, in dem wir ihm nicht folgen können. 

Es sei gestattet, zur Erläuterung unseres Standpunktes ein kleines 
Beispiel aus einem andern Gebiet der Pathologie zu bringen. Wenn 
jemand, der an einem Knochensarkom leidet sich durch einen blossen 
Stoss odler eine schnelle Bewegung einen Knochenbruch (sog. Spon¬ 
tanfraktur) zuzieht, so werden wir nicht von Unfall reden. Ist aber 
bei einem anderen das Skelett nur aussergewöhnlich zart gebaut, so 
wird uns das niemals hindern, etwa einen leichten Fall als Ursache 
eines Knochenbruches anzuerkennen, auch wenn bei robusterem Bau 
des Stützapparates durch ähnliche Schädigungen keine Frakturen 
auftreten könnten. Im letzteren Falle betrachten wir den Unfall als 
wesentlich, im ersteren als unwesentlich. Vom Standpunkt einer 
rein beschreibenden, konditionalen Naturbetrachtung, wie sie V e r - 
worn vertritt [12], ist das sicher falsch, da sind alle Bedingungen 
gleichwertig, weil für den Eintritt der Ereignisse notwendig. Da 
wir aber im einzelnen Falle kein Kolleg über kausale und konditio¬ 
neile Naturbetrachtung halten, sondern eine juristische oder öko¬ 
nomische Wertung vornehmen sollen, werden wir ohne den Unter¬ 
schied „wesentlich“ und „unwesentlich“ gar nicht auskommen. 

Bei den Neurotikern gilt es, in jedem Falle das Verhältnis zwi¬ 
schen Disposition und krankmachendem Erlebnis festzustellen. Das 
ist freilich oft genug fine Gleichung mit 2 Unbekannten, die niemals 
eindeutig zu lösen ist; wir halten es aber für falsch, uns bei dieser 
Entscheidung von „Stimmungen“ leiten zu lassen, ohne dass wir mit 
Lewandowsky über diesen offenbaren Lapsus calami allzuschwer 
rechten wollten. Erwägen wir aber, dass wir es mit einem 
Heere der allgemeinen Wehrpflicht zu tun haben, dass bei 
der Aushebung unter den gegenwärtigen Umständen auf die 
körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nur die allernötigste 
Rücksicht genommen werden kann und dass nun die Rekruten 
nach kurzer Zeit mit der Wirkung der raffiniertesten technischen 
Hilfsmittel zur Menschenvernichtung aus eigener Erfahrung vertraut 
werden und sie oft am eigenen Leibe zu spüren bekommen, so wird 
man doch in den meisten Fällen einen leidlichen Anhalt gewinnen, 
um über die Dienstbeschädigung ein genügend sicheres Urteil ab¬ 
geben zu können. 

In jedem Falle wird zu prüfen sein, wie weit die eigentümlichen 
Verhältnisse des Militärdienstes auf den Mann eingewirkt haben. Wer 
bereits auf die Einberufung mit einer Neurose reagiert, wird keinen 
Anspruch auf eine Prämie für seine Nervenkonstitution erheben 
können. Hier befinden wir uns auch in vollem Einklang mit den 
massgebenden Vorschriften, da ja- von militärischem Dienst noch keine 
Rede war; solche Leute, die, wie Lewandowsky sehr nett sagt, 
stärker als die Wehrpflicht sind, wird man nur schleunigst wieder 
abschieben. Auch die Ausbildungszeit in der Heimat oder selbst im 
Rekrutendepot wird man im allgemeinen nicht als Dienstbeschädigung 
gelten lassen; rein wissenschaftlich gewiss zu Unrecht, denn in dbr 
Genese der Krankheit ist die militärische Verwendung des Mannes 
ein notwendiges Glied, praktisch aber zu Recht, da wir ein gewisses 
Mass psychischer Widerstandsfähigkeit beim Gesunden voraussetzen 
müssen, und die Rekrutenzeit besondere Schädigungen in Gestalt 
überwältigender Erlebnisse doch nicht bietet. Kann doch auch dter 
Student, der aus unüberwindlichem Ekel vor dem Präparierboden 
von der Medizin abgehen muss, nicht die Kolleggelder zurückver¬ 
langen; und wer aus der Nähe einen,Eisenbahnünfall mit beobachtete, 
kann wohl an derselben Neurose erkranken, wie einer, der im Zuge 
sass; Unfallansprüche hat aber nur der letztere. Etwas anderes wäre 
es. wenn (Her junge Soldat in dieser Zeit, sagen wir bei einer nächt¬ 
lichen Uebung oder einem Kasernenbrande, in wirklich gefährliche 
Lagen hineingeriete. Erkrankt aber der Infanterist nach langem 
und gefahrvollem Dienst im Schützengraben, nach einem Gefecht oder 
einer Verschüttung, der Flieger nach einem Absturz oder, um ein 
beobachtetes Beispiel anzugeben, der Wagenführer, nachdem er auf 
dem Rückzug von der Marne von seiner Kolonne abgekommen ist 
und sich nun allein durch Feindesland durchschlagen muss, so liegt 
Dienstbeschädigung jedenfalls vor, undl man tut den Leuten unrecht, 
wenn man die Krankheit lediglich auf eine bestehende, in den meisten 
Fällen zudem Vöhl nicht nachweisbare Veranlagung zurückführen will. 
Dass diese Auffassung ein Kompromiss ist und eben darum nicht voll 
befriedigen kann, verkennen wir nicht. Ein solcher Ausgleich auf 
mittlerer Linie ist aber immer noch besser, als nun durch kühnes 
Jonglieren mit Disposition und Konstitution, Ursache und Gelegenheit 
das Vertrauen zum Arzte zu erschüttern; wer im Dienst vor dem 
Feinde erkrankt [st, hat Anspruch auf eine wohlwollende Beurteilung. 

Man hat versucht — undl auch Lewandowsky tut das — die 
Tatsache der Dienstbeschädigung selbst als nicht gegeben hinzu- 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


stellen Martineck f 13] hebt mit Recht hervor, dass „Dienstbe¬ 
schädigung nur anerkannt werden kann, wenn noch bei der Entlassung 
Folgen der früher festgestellten Gesundheitsstörung vorhanden sind“. 
Das letztere sucht man bei den „geheilten“ Neurotikern zu leugnen. 
Aber dürfen wir uns wirklich schmeicheln, durch unsere Methode die 
Hysterie zu heilen, und 1 beseitigen wir nicht vielmehr das einzelne, 
nun gerade dien Kranken belästigende Symptom? Das gilt für die 
peripher angreifende Kaufmann sehe Methode noch mehr als 
für die Hypnose, die wenigstens die Psyche direkt anpackt und daher 
auch noch bei der Behandlung von Erregungszuständen, Schlaflosig¬ 
keit u. ähnl. wirksam ist, wo jene ihrer Natur nach notwendig versagt. 
Wir haben immer wieder gefunden, dass wohl das Zittern, die 
Lähmung oder das Stottern der Behandlung weicht, dass aber die 
nichtbehandelten, auch besser nicht zu behandelnden, dem Kranken 
meist unbekannten Symptome, Sensibilitätsstörungen, bis zum Klonus 
erhöhte Reflexe, Gesichtsfcldeinengungen usw. unverändert bestehen 
bleiben, und wir haben uns wohl gehütet, diie Kranken nun etwa auf 
diese, für sie ja meist praktisch völlig gleichgültigen Erscheinungen 
aufmerksam zu machen. Aber auch ernstere Erscheinungen, schlech¬ 
ter Schlaf mit unruhigen Träumen, Reizbarkeit und Ermüdbarkeit, 
bleiben bei manchen Fällen zurück und auch die enorme Labilität der 
Patienten, die ihre Neigung zu Rückfällen bedingt, ist doch eigentlich 
kein Zeichen der Genesung. Da es zumeist gelingt, den Kranken 
als völlig oder über 90 Proz. erwerbsfähig zu entlassen, ist die an¬ 
erkannte Dienstbeschädigung für ihn in der Regel nicht aktuell, und 
es ist wohl anzunehmen, dtass ihm diese platonische Anerkennung sehr 
gleichgültig sein wird. Eine gewisse Gefahr liegt aber zweifellos 
darin, dass bei Anerkennung der Dienstbeschädigung der Entlassene, 
auch wenn er keine Rente bezieht, noch nach Jahren alle möglichen 
Leiden auf die anerkannte Dienstbeschädigung zurückführen und An¬ 
sprüche erheben kann: darin ist Stier [14] unbedingt beizustimmen. 
Aber sind wir berechtigt, aus ökonomischen oder sozialen Gründen 
unserer ganzen medizinischen Anschauungsweise Gewalt« anzutun? 
Schon so ist doch, wenn auch, wie wir gern zugeben, in durchaus wohl¬ 
wollender Absicht, an Auslegung der Gesetzesvorschriften das Men¬ 
schenmöglichste geleistet worden, so, wenn für hysterische Läh¬ 
mungen. Taubheit und -Blindheit, kerne Verstümmelungszulage gewährt 
wird. Es Hesse sich gewiss darüber reden, ob nicht das Gesetz hier 
geändert werden könnte, etwa, dass aus einer anerkannten Dienst¬ 
beschädigung, die 5 Jahre lang nicht zur Zahlung einer Rente geführt 
hat, nunmehr weitere Ansprüche nicht abgeleitet werden können. So¬ 
lange aber -de Vorschriften gelten, haben wir uns ihnen zu fügen, 
und zwar wie sie gemeint sind, ohne Rücksicht auf soziale und päda¬ 
gogische Bedenken. „Jedenfalls darf die Erwägung, dass durch An¬ 
erkennung von Dienstbeschädigung bei einem Psvchooathen eine ihn 
schädigende Krankheitssuggestion erzeugt wird, für sich allein nicht 
ausschlaggebend sein, um Dienstbeschädigung abzulehnen [15].“ 

Ganz dasselbe gilt für die Festsetzung der Rente selbst. Wir 
bestreiten nicht im geringsten, dass cs sich auch hier in der Regel 
empfiehlt, die Rente so niedrig wie möglich zu bemessen; es gibt 
aber Fälle, bei denen eine derartige Bewertung durchaus nicht am 
Platze ist und Sätze bis zur Vollrente angebracht sind. Wo unsere 
Kunst versagt, dürfen wir uns doch unmöglich mit dem bösen Willen 
des Kranken trösten, und ihn nun, völlig ungenügend versorgt, seinem 
Schicksal überlassen. Gewiss ist die Angst vor der ungeheuerlichen 
finanziellen Dauerbelastung wohl berechtigt; für den Arzt gelten aber 
doch zuerst die medizinischen Gesichtspunkte. Wie aber hier tat¬ 
sächlich alles durcheinander geht, zeigt auf der anderen Seite die 
zumeist sehr weitherzige Anerkennung von Dienstbeschädigung bei 
progressiver Paralyse; hier sind die Verhältnisse fast immer viel 
durchsichtiger als bei den Neurotikern: weil aber die wenigen Fälle 
geldlich nicht ins Gewicht fallen, ist man weit eher geneigt, seinem 
Herzen einen Stoss zu geben. 

Zum Schlüsse noch ein paar Bemerkungen. Ueber Lewan- 
dowskys Vorschlag, Kranke, bei denen sich die Verhältnisse der 
heimatlichen Umgebung als gar zu ungünstig erweisen, ins besetzte 
Gebiet abzuschieben und dort zu behandeln, dürfte sich reden lassen. 
Ein dringendes Bedürfnis nach* derartigen Anstalten vermögen wir 
aber nach unseren Erfahrungen nicht anzuerkennen: tatsächlich dürfte 
es wohl auch genügen, die Kranken in solchen Fällen in ein mög¬ 
lichst entferntes Reservelazarett zu versetzen. Sehr einverstanden 
dagegen sind wir mit seinem Satze, es müsse ein olanmässiges Netz 
gespannt werden, durch dessen Maschen kein Neurotiker, der nicht 
svmptomfrei ist, hindurchschlüpfen könne. Hier ist namentlich be¬ 
dauerlich, dass es keine Möglichkeit gibt, die früher mit Versorgung 
entlassenen Neurotiker zu einer erneuten Behandlung zu zwingen: 
wie mancher, der jetzt eine grosse Rente bezieht, nichts tut und auch 
nichts leisten kann, wäre da noch wieder seinem Berufe zurück¬ 
zugeben. 

Ganz entschieden möchten wir aber noch einmal den Satz ab¬ 
lehnen, eine Geringschätzung der Neurotiker müsse populär werden. 
Wir wissen wohl, wie dieser gemeint ist. dass es sich auf die 
Neurosen, nicht auf die Kranken selbst beziehen soll. Es kann aber 
unmöglich die Aufgabe des Arztes sein, im Publikum eine Stimmung 
gegen irgendwelche seiner Patienten hervorzurufen, zumal dieses 
schon sowieso geneigt ist, Nerven- und Geisteskranke in der haar¬ 
sträubendsten Weise zu verkennen, sie wahllos nach den oberfläch¬ 
lichsten Kriterien zu bemitleiden oder zu verhöhnen. Der grösste Teil 
der Neurotiker hat im Felde seine Pflicht getan und ist ohne alles 
Verschulden erkrankt, hat also denselben Anspruch auf Achtung wie 


jeder andere Kriegsbeschädigte; auch an gutem Willen, die Krank¬ 
heit zu überwinden, fehlt es der Mehrzahl nicht; wir möchten wün¬ 
schen, dass alle Amputierten ebenso willig wären, den Gebrauch 
ihrer Prothesen zu erlernen. Es wäre ja vortrefflich, wenn unsere 
Zeit sich von Nervenkultur und Nervenkultus freimachen könnte und 
begänne, statt der Uebersensitivität und ausgeklügelten Verfeinerung 
auf allen Gebieten wieder das Einfache und selbst das Derbe zu 
schätzen. Damit aber hat es, wenn man so die neuesten „Kunst“- 
produkte in Dichtung und Malerei betrachtet, wohl noch lange Weile. 
Gewiss ist die Zahl derer, deren Nerven dien grossen Aufgaben der 
Vaterlandsverteidigung nicht gewachsen waren, bedauerlich hoch; 
aber doch auch nicht höher, als man in einem Millionenheer nach 
einem so langen Kriege, nach den unerhörten Strapazen und Ent¬ 
behrungen, den übermenschlichen Eindrücken einer modernen Schlacht 
erwarten konnte. Dass unser Heer diesen gewachsen war. dürfen 
wir als einen Beweis der unverbrauchten Nervenkraft des Volkes 
buchen. Die Kranken aber für den allgemeinen Charakter unserer 
Zeit durch Geringschätzung büssen zu lassen, wäre widersinnig und 
ungerecht. 

Notiz bei der Korrektur: 

Dieser Artikel wurde im Oktober 1917 verfasst und ist infolge¬ 
dessen an manchen Stellen durch die Ereignisse überholt. Wir haben 
uns entschlossen, ihn trotzdem und trotz des inzwischen allzu früh 
erfolgten Todes Lcwandowskys erscheinen zu lassen, zumal die 
Polemik gegen dessen Ansichten lediglich den Ausgangspunkt, nicht 
das Wesentliche unserer Auseinandersetzungen bildet. Die Verf. 

Literatur. 

1. M.m.W. 1916 S. 1594 u 1628. — 2. M.m.W. 1917 S. 1126. - 

3. Lewandowsky: Was kann in der Behandlung und Beurteilung 
der Kriegsneurosen erreicht werden. M.m.W. 1917 S. 989 u. 1028. — 

4. Die Hysterie. Hb. d. Neurol. 5. 1914. S. 725 ff. — 5. Ebenda S. 774. 

— 6. Ebenda S. 760. — 7. Ebenda S. 680. — 8. Ebenda S. 708. - 
9. Hellpach: Grundlinien einer Psychologie der Hysterie. 1904 

5. 86 u. öfter. — 10. a. a. O. 8. 709. — 11. Vgl. Oppenheim: Die 
Neurosen infolge von Kriegsverletzung. 1916 S. 214 ff. — 12. Der 
Vortrag jetzt auch in der Sammlung: Die militärische Sachverständig- 
keit. I. 1917. S. 8 ff. — 13. Verworn: Kausale und konditionale 
Weltanschauung 1912. Auch sonst vielfach. — 14. Ebenda S. 156 ff. 

— 15. Marti neck: a. a. O. S. 29. 


Aus der Chirurg. Klinik Tübingen. (Dir.: Prof. Dr. Perthes.) 

Ueber Behandlung des akuten und chronischen Empyems, 
insbesondere nach Schuesverletzungen, mittels des 
Aepirationeverfahrene nach Perthes*). 

Von Privatdozent Dr. Hartert. 


Wie auf vielen anderen Gebieten der Chirurgie hat der Krieg 
auch in der Lungenchirurgie so reiche Erfahrungen gebracht wie sonst 
in Dezennien nicht. Zwar können w i r in den Heimatlazaretten über 
die Versorgung der frischen Thorax- und Lungenwunden, über Lungen¬ 
naht und primären Verschluss grosser Pneumothoraxöffnungen nicht 
mitreden. Aber eine aktiver Behandlung bedürftige Komplikation der 
Brustschüsse, die neben der Blutung die häufigste und schwerste ist. 
kam in einer ganzen Anzahl von Fällen in unsere Behandlung: das 
traumatische Pleuraempyem. 

Ein kurzer statistischer Ueberblick über das gesamte Lungen¬ 
schussmaterial der Klinik seit Kriegsbeginn möge zeigen, in welchem 
Verhältnis die Anzahl der schweren infizierten Fälle zu den im wesent¬ 
lichen glatt verlaufenden Fällen stand, und wie sich Geschossart zu 
Infektion verhielt. 


Es wurden behandelt: 


51 Verwundungen durch 
33 
7 
4 

2 _ _ 

97 (8 t) 


Infanteriegeschoss 

Granate 

Schrapnell 

unbekanntes Geschoss 
Stich 


davo.i 15 Empyeme 
„ 18 

4 

1 

,. __2 _., 

40 (5 t) 


Beschränken wir uns bei der Darstellung auf die 3 wichtigsten 
Geschossarten, so stellt sich die Verteilung der mit und ohne Empyem 
verlaufenden Thoraxschüsse wie folgt dar: 


Inf.-Geschoss 


30 Proz. Empyeme. 


Granat 


55 


Schrapnell 


Es zeigt sich also auch bei dieser kleinen Anzahl von Fällen be¬ 
reits das sattsam bekannte Ueberwiegen des Granatsplitters bei in¬ 
fizierten Fällen. Von der Gesamtzahl der 40 traumatischen Empyeme 
kamen 18 unter 2 Monate alt. 21 über 2 Monate bis l 1 /? Jahre alt 
in Behandlung. 4 von ihnen starben an der Schwere der Infektion in 
den ersten 14 Tagen nach der Verwundung. Neben den traumatischen 

*) Nach einem Vortrag, gehalten im Med.-Naturw, Verein in 
Tübingen, 


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Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





30. Juli 1918. 


MUENCUENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


841 


Fällen blieb der regelmässige Zugang der spontanen Empyeme auf 
den Zivilabteilungen, so dass das Material vollauf genügte, reichere Er¬ 
fahrungen zu sammeln, von denen diejenigen, welche geeignet sind, 
allgemeineres Interesse zu beanspruchen, im folgenden mitgeteilt wer¬ 
den sollen. 

Für die Behandlung des akuten Empyems, sei es spontaner oder 
traumatischer Natur, ist die Grundforderung des „ubi pus, ibi evaqua“ 
iängst allgemein anerkannt. Nur die Frage über das Wie der Ent¬ 
leerung, ob durch Bülausche Heberdrainage oder Rippenresektion, 
ist nie ganz zur Ruhe gekommen. Erst letzthin hat M a s s i n i 0 
(Med. Klinik 'Basel) die Bülausche Heberdrainage auf Grund von 
17 damit behandelten Fällen wieder warm empfohlen. Die Methode 
wurde von ihm modifiziert, indem eine Wasserstrahlpumpe mit Druck¬ 
regulator die Saugwirkung des Hebers ersetzte. Ohne Zweifel hat 
die Heberdrainage eine ganze Reihe unbestreitbarer Vorzüge. Sie 
vermeidet einen eigentlichen chirurgischen Eingriff und ist daher auch 
von nichtfachchirurgischer Seite ausführbar, sie lässt zweitens keinen 
operativen Pneumothorax entstehen und drittens verhindert sie, soweit 
überhaupt möglich, Mischinfektion der Pleura bei ursprünglichen 
Monoinfektionen. Trotzdem haben wir bei jeder Art von Empyemen 
der Rippenresektion den Vorzug gegeben und durch Anwendung be¬ 
stimmter Technizismen mit den Vorteilen der Riopenresektion die der 
Heberdrainage zu vereinigen gesucht. Die Gründe, welche uns die 
Rippenresektion vorziehen Hessen, waren verschiedener Art. Erstens 
ermöglicht sie eine unmittelbare gründliche Entleerung auch des dick¬ 
flüssigsten Exsudates und vor allem der oft vorhandenen dicken 
Fibrinklumpen. die jede Nachbehandlung durch immer wiederkehrende 
Verstopfung der Abflusswege ausserordentlich erschweren können. 
Zweitens wird der Hauptübelstand der Drainage im Interkostalrauiji, 
die Abklemmung des Drainrohrs zwischen den Rippen, sicher ver¬ 
mieden, und drittens ist es möglich, weite Drainröhren — wir nehmen 
etwa I cm lichter Weite und mehr — zu verwenden! Das alles 
sind Dinge, die für den sicheren Erfolg der Nachbehandlung von 
uesentlicher Bedeutung sind. 

Nach erfolgter Rippenresektion und Entleerung der Pleurahöhle 
naben wir das Drainrohr, dessen unterste seitliche Oeffnung unmittel¬ 
bar an den inneren Wiundrand zu liegen kommt, luftdicht in die 
Thoraxwunde eingenäht. Einige breit fassende Kreuzstiche durch 
die Muskulatur genügen ohne weiteres zum luftdichten Abschluss. 
Die exakt ausgeführte Hautnaht sichert denselben weiterhin. Die meisten 
in dieser Weise versorgten Thorakotomiewunden heilen bis auf die 
nächste Umgebung des Drainrohrs oer nrimam, so dass auch weiterhin 
der luftdichte Abschluss erhalten bleibt. Wird derselbe gelegentlich 
undicht, so genügt die Einführung eines stärkeren Schlauches, ihn 
wiederherzustellen. Auch das zeitweilige Fortlassen des Drains führt 
rasch die gewünschte Verengerung des Wundkanals herbei. 

Die unmittelbare luftdichte Einnähung bietet n*un grosse Vorteile. 
Erstens gestattet sie sogleich im Anschluss an den Eingriff die Saug- 
hehandlung nach Perthes, welche nach unseren Erfahrungen ent¬ 
schieden eine schnellere und sicherere Heilung beim akuten Empyem 
cewährleistet. zu beginnen 3 ) und dadurch normale Druckverhältnisse 
m Thorax herzustellen. Alle üblen Nebenerscheinungen., die durch 
die breite Thoraxeröffnung hervorgerufen werden, kommen sofort 
rach der Eiterentleerung wieder in Wegfall. Perthes hat diese 
Modifikation als wertvolle Vereinfachung seines Verfahrens lebhaft 
begrüsst. 

Zweitens erscheint uns in gewissermassen aseptischer Beziehung 
der dichte Abschluss wertvoll., indem — besonders bei den gutartigen 
Pneumokokkenempyemen — das Eintreten der Mischinfektion ver¬ 
hindert oder wenigstens hinausgeschoben wird. Denn" dass in solchen 
Fällen das Hinzukommen einer Infektion mit noch weiteren Arten von 
Eitererregern und Sapronhyten nicht gleichgültig sein kann, steht wohl 
ausser allem Zweifel. Es gilt das von allem für die früheren Stadien 
der Erkrankung, in denen die Pleura noch resorptionsfähiger ist. Dass 
die luftdichte Einnähung die dauernde Benässung des Verbandes ver¬ 
hütet mag als weiterer Vorzug derselben gelten. 

In anderer durchaus origineller Weise hat Schmerz*) die 
luftdichte Einfügung des Schlauches herbeigeführt: Es wird bis auf die 
Rippe ein dünner Weichteilzylinder ausgeschnitten und dann die Rippe 
kreisrund durchbohrt. Durch diese Oeffnung wird ein über eine Sonde 
straff ausgespannter Schlauch eingeführt, der sich nach Aufheben der 
Ausspannung dehnt und verdickt und so in der Oeffnung vollkommen 
festsitzt. Für Fälle, wo dickere Drains nötig sind, zwängt Sch. einen 
durchbohrten Gummistopfen in Weichteilwunde und Resektionsstelle 
ein und erreicht so den dichten Abschluss. Auf Ausführung der Saug- 
behandhurg legt Schmerz besonderen Wert. Er fuhrt dieselbe 
sogar ambulant durch, ähnlich wie das bereits Härtel 4 ) 1910 an- 
zegeben hat, indem an das in die Pleurahöhle führende Drainrohr eine 
Flasche angeschlossen wird, in der durch Saugung mit einer Spritze 
ein luftverdünnter Raum erzeugt wird. Das Schmerzsche Ver¬ 
fahren erscheint zweckentsprechend. Doch wird mit der Methode von 
Härtel und Schmerz der Unterdrück sicher nicht so exakt dosiert 
rnd so sicher aufrecht erhalten werden können, wie mit der ursprüng¬ 
lichen Methode von Perthes. Dass sie für die Zeit, wenn die 


M Ther Mh. 29. Jahrg. S. 592 

*) W u 11s t e i n - W i 1 ms: Lehrb. d. Chir. 5. Aufl. 1915 S. 532 
und Mitt. Grenzgeb. 7. 1901. S. 581. 

*) ZW. f. Chir. 43. S. 1. 

4 ) Härtel: ZbJ. f- Chir. 37. S. 959 und B.kl.W. 1910 Nr. 25. 


'Patienten zeitweise aufstehen, eine nützliche Ergänzung der Per¬ 
thes sehen Methode abgeben kann, soll nicht in Abrede gestellt 
werden. 

Für unser Verhalten gegenüber chronischen Empyemen 
gewann ein einzelner Fall prinzipielle Bedeutung. Es handelte sich 
um ein Totalempyem nach Lungenschuss. Als der Verwundete in 
denkbar schlechtestem Allgemeinzustand (er wog noch 68 Pfund) zu 
uns kam, war das Empyem bereits 10 Monate alt, die Höhle noch 
VA Liter gross. Die Wandungen der Höhle waren, wie bei der 
Extraktion eines im Innern derselben liegenden Granatsplitters fest¬ 
gestellt werden konnte, von mächtigen Schwarten gebildet. Der Fall 
schien allein durch Thorakoplastik heilbar. Den erforderlichen Eingriff 
jedoch hätte der Mann niemals ausgehalten. Um wenigstens dem 
Eiter sicheren Abfluss zu verschaffen ünd vielleicht eine Verkleinerung 
der Höhle herbeizuführen, bis sich der Kranke für einen Eingriff erholt 
haben würde, wurde der Perthes sehe Saugapparat angeschlossen 
und die Höhle täglich mit Wasserstoffsuperoxyd gereinigt. Da ge¬ 
schah das Ueberraschende. Der Patient erholte sich, die 'Flöhte wurde 
von Tag zu Tag kleiner und nach Ablauf von einem Vierteljahr war 
das Empyem fistellos geheilt. 

Es ist nun nicht neu, dass das Saugverfahren auch nicht ganz 
frische Empyemfälle zur Heilung bringen kann, und dass es bei chroni¬ 
schen Empyemen insofern wirksam ist, als es die Höhle zu ver¬ 
kleinern vermag. Schon 1898, bei der Einführung seines Verfahrens, 
hat Perthes den Wert der Saugbehandlung für die veralteten Fälle 
ganz besonders betont 5 ). Aber die Tatsache der völligen Ausheilung 
eines fast 1 Jahr alten, spontaner Heilung nicht mehr fähigen Total¬ 
empyems allein durch» Saugung ist neu und von grundsätzlicher Be¬ 
deutung. 

Auf diese günstige Erfahrung hin haben wir die Perthes sehe 
Saugbehandlung auch bei älteren und völlig veralteten Empyemen 
konsequent durchgeführt mit dem günstigen Ergebnis, dass von den 23 
in Angriff genommenen Fällen in 20 die Empyemhöhle zur völligen 
Obliteration gebracht werden konnte, während in 3 Fällen, die aus 
äusseren Gründen nicht zu Ende behandelt werden konnten, die Höhle 
bis auf wenige Kubikzentimeter verkleinert war. Nur in einem Falle, 
der mit Bronchialfistel kompliziert war, waren die Bedingungen zur 
Saugbehandlung nicht gegeben, weil der Unterdrück durch Nach¬ 
strömen von Luft von der Lunge her sofort wieder ausgeglichen wurde. 
Hier musste dieselbe abgebrochen werden und eine Thorakoplastik an 
die Stelle konservativer Behandlung treten. Ueber das Alter der mit 
Saugung behandelten Empyeme, Dauer der Saugbehandlung und 
Grösse der Höhle beim Beginn der Saugbehandlung gibt folgende 
Tabelle eine Uebersicht. 


A. Mit völlig vernarbter Wunde entlassen. 


Nr. 

Name 

Art der Verwundung 

Alter der 
Empyeme 
bei Beginn 

Däner der 
Saugbe- 
handlung 

Qrösse der Höhle bei 
Beginn 

, 

J.R. 

Oranatateckacferiüs 

284 Tage 

78 Tage 

1200 ccm. 

2 

E. W. 

Oranatschuss 

125 „ 

117 „ 

1000 ccm. 

3 

E.H. 

Masch.O.Steckschuss 

80 ,, 

14 „ 

kleinere Höhle. 

4 

A. V. 

Qranatsteckschuss 

79 „ 

35 „ 

200 ccm. 

5 

A. N. 

Qranatsteckschuss 

W „ 

61 „ 

mittelgrosse Höhle. 

6 

P. S. 

Oranatdurcbschuss 

4» „ 

34 

mittelgrosse Resthöhle 

8 

Q. K. 

Infanteriedurchschnss 

«4 „ 

19 „ 

fl |. 

7 

F.F. 

Oranatd u r chschnss 

43 „ 

55 „ 

grössere Resthöhle. 

9 

R. W. 

Iofanteriedurchschuss 

M „ 

30 „ 

total. 


B. Mit völlig obliterierter Höhle, aber noch nicht 
geheilter Brust wandfistel entlassen. 

1300 ccm. 

400 ccm. 
kleinere H5hle. 
grosse Höhle. 

30o’ccm. 

50 ccm. 
giesse Höhle, 
grössere Höhle, 
grosse Resthöhle, 
mittlere Resthöhle. 


subtotale Höhle. 
1500 ccm. 
total. 


1 

J.K. 

Spontanempyem 

133 Tage 

71 Tage' 

2 

O. E. 

Infanteriedurchschnss 

108 „ 

38 „ 

3 

J. P. 

Spontanempyem 

102 „ 

43 „ 

4 

K. K. 

Granatsteckschuss 

69 » 

31 „ 

5 

E. K. 

Schrapnellsteckschuss 

78 „ 

24 „ 

6 

IW. 

Oranatsteck schuss 

75 „ 

27 ,, 

7 

W. V. 

Granatschuss 

47 „ 

61 „ 

8 

K. N. 

Qranatsteckschuss 

46 „ 

36 ., 

9 

O. N. 

Qranatsteckschuss 

45 „ 

15 „ 

10 

H. R. 

Oewehrschuss 

39 „ 

30 „ 

11 

J. K. 

Infanteriedurchschuss 

31 „ 

15 „ 


C. Mit minimaler Resthöhle en 

1 1 

W.L. 

Inf an teriedur chschnss 

77 Tage 

46 Tage 

2 

O. B. 

Infanteriesteckschuss 

46 „ 

43 „ 

3 

F.S. 

Messerstich 

28 „ 

63 „ 


Soll die Behandlung der Empyemresthöhlen erfolgreich 
sein, muss sie mit gross»er Sorgfalt und Geduld durchgeführt werden. 
So einfach dieselbe im Prinzip ist, so wichtig ist doch die genaue Be¬ 
achtung einer bestimmten Technik. Wenn die Saugbehandlung der 
Empyeme — auch der akuten — noch nicht die allgemeine Ver¬ 
breitung gefunden hat, die ihr zukommt, so liegt das offenbar daran, 
dass mancher Arzt gewisser Schwierigkeiten nicht Herr wurde und 
sich ein richtiges Urteil über die Wirksamkeit des Verfahrens nicht 
bilden konnte. Es erscheint daher berechtigt, unser Vorgehen, das wir 
im Laufe der Zeit ganz typisch lusgestaltet haben, im folgenden 
im Zusammenhänge kurz zu schildern, mag auch manche an sich 
bereits bekannte Einzelheit darunter sein. 

- t 

5 ) Verhandl. d. Deutsch. Ges. f. Chir. 27. Kongress 1898 Teil 1 
S. 71 und Perthes Erfahrungen bei der Behandlung des Empyems 
der Pleura: Mitt. Grenzgeb. 7. 1901. S. 581 ff. 


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Original fro-m 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


*42 


Bei jedem Fall von chronischem Empyem, der in die Behandlung | 
cintritt, wird vorerst eine genaue Bestimmung der Grösse der Rest¬ 
höhle vorgenommen. Nur so kann man einen sicheren Anhalt über 
die Wirksamkeit der Behandlung gewinnen. Eine Röntgenaufnahme 
mit Baryumfüllung der Höhle, im Liegen angefertigt, zeigt zunächst 
anschaulich die Lage der Höhle. Nicht jedoch vermag sie in allen 
Fällen eine richtige Vorstellung von ihrer Grösse zu vermitteln. Ist 
die Höhle nämlich flach gestaltet, wie es oft der Fall ist, so wird 
sie bei Ansicht von der Kante her zu klein und von der Fläche her 
zu gross erscheinen. Es ist daher zur genauen Grössenbestimmung 
der Höhle einzig die Ausfüllung mit Flüssigkeit geeignet. Die voll¬ 
ständige Anfüllung der Höhle ohne Zurückbleiben von Luft ist nun 
dadurch erschwert, dass die Füllöffnung am tiefsten Punkte der Höhle 
zu liegen pflegt. Man kann entweder durch Einführen eines zweiten, 
bis in die Kuppe der Höhle reichenden Schlauches die restlose Ent¬ 
fernung der Luft zu erreichen suchen, oder, was einfacher ist, man 
macht durch Beckenhochlagerung, am bequemsten auf dem Operations¬ 
tisch oder durch Unterlegen des Keilkissens im Bett, die Füllöffnung 
zum höchsten Punkte. Dann kann die Höhle ohne weiteres vollge- 
gosseir werden. Nach erfolgter Füllung wird die beim Aufrichten 
ausfliessende Flüssigkeitsmenge gemessen. Im Laufe der Behandlung, 
etwa zweiwöchentlich, wird die Ausmessung wiederholt. 

Eine zweite wichtige Aufgabe ist die luftdichte Einführung des 
Schlauches in die Thoraxöffnung. Zu einer Zeit, als noch Gummi¬ 
material vorhanden \yar. bedienten wir uns der von Perthes an¬ 
gegebenen Manschette, die aus emer breiten, in der Mitte von einem 
Schlauch durchbohrten Gummiplatte besteht Infolge der Unmöglich¬ 
keit, diese Manschette wieder zu beschaffen, war man gezwungen 
nach anderem zu suchen. Die Thoraxöffnungen der Empyemresthöhlen 
sind nun so gut wie ausnahmslos enge Fistelgänge, die erweitert 
werden müssen. Anstatt diese Erweiterung blutig, womöglich unter 
erneuter Rippenresektion, vorzunehmen, dehnen wir dieselbe langsam 
mit dem Laminariastift oder durch Einführung He gar scher Bolzen 
bis zu ausreichender Weite. Dann führt man einen passenden, starr- 
wandigen (starrwandig, damit er nicht unter der Wirkung des Unter¬ 
drucks kollabiert) Schlauch von mindestens 1 cm Lichtung ein. Der 
Schlauch wird etwa 10 cm tief eingeführt. Der in die Höhle hinein¬ 
ragende Teil des Schlauches ist mehrfach seitlich durchlocht und 
zwar bis an die Durchtrittsstelle durch den Thorax, damit sich auch 
der letzte Rest des Eiters glatt entleeren kann. Man muss sich mit 
der Einführung des Schlauches nach der Dehnung der Fistel beeilen, 

weil sich die elastischen 
Ränder der Fistel in 
wenigen Augenblicken 
beträchtlich zusammen- 
Diese Neigunn zur Ver¬ 
engerung ist uns jedoch 
andererseits erwünscht. 
Der Schlauch wird als¬ 
bald so fest umklammert, 
dass er vollkommen luft¬ 
dicht festsitzt. Um das 
Herausgleiten des Drains 
zu verhindern, wird e : n 
15 cm langes, mehrere 
Zentimeter breites Quer¬ 
holz (z. B. hölzerner 
Mundspatel) an den 
Schlauch gebunden und 
in die Verbandkissen 
einbandagiert. Bei die- 
:ht man auf die Dauer luft- 
Trockenbleiben des Ver¬ 
bandes und Unabhängigkeit von komplizier¬ 
teren Abdichtungsvorrichtungen, wie sie in den 
verschiedensten Formen empfohlen sind. 

Sobald sich nun im Laufe der Behandlung die Höhle mehr und 
mehr verkleinert, kommt es mit ziemlicher Regelmässigkeit zu Ab¬ 
flussschwierigkeiten dadurch, dass sich die zusammenrückenden 
Wandungen vor die Oeffnungen des Drains legen und diese ver- 
schliessen. Zuweilen, bei Anwendung grösserer Drucke, findet man 
förmliche, aus dem Gewebe angesaugte Fibrinzapfen, welche den 
Schlauch ausfüllen. 

Eine derartige Verstopfung des Schlauches, welche die Saug¬ 
behandlung unterbricht und den Eiter in der Höhle zurückbehält, ist 
nun nicht ohne weiteres in die Augen springend. Wenn man nicht 
von vornherein darauf achtet, erkennt man sie erst, wenn der Exsudat¬ 
abfluss plötzlich auffallend abnimmt oder ganz sistiert, oft unter 
Hinaufschnellen der Temperatur. Dann hat sich aber meist schon so 
viel Sekret in der Höhle angesammelt, dass dieselbe wieder erweitert 
wurde und damit ein Schritt rückwärts getan ist. Um diese Kom¬ 
plikation zu vermeiden, muss man häufig nach ihr fahnden. Wir gehen 
so vor, dass wir täglich Flüssigkeit durch das Drainrohr einspülen. 
Findet sich der Weg verlegt, so wird das Drain herausgenommen, 
gesäubert und in etwas anderer Lage oder mit neuen seitlichen Oeff¬ 
nungen versehen wieder eingebracht. Will man sich ausserhalb der 
Tageszeit, in welcher der Apparat zur Spülung vorbereitet ist, rasch 
Aufschluss über die Durchgängigkeit des Drains verschaffen, so hält 
man eine Streichholzflanrme vor die Oeffnung. 'Bei nur nennenswert 

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grossen Höhlen kommt die Flamme bei Atemzügen oder Hustenstössen 
in Bewegung, sofern der Weg frei ist. 

Die mit Wasserstoffsuperoxyd ausgeführten Spülungen haben 
noch einen weiteren wertvollen Zweck. Sie befreien die Höhle von 
stagnierenden Eiterresten und wirken auf diese Weise bakterien- und 
toxinvermindernd. Der Erfolg der Spülungen ist oftmals eklatant. 
Wir haben lange Zeit fiebernde Fälle vom Augenblick des Einsetzens 
der Spülungen ab entfiebern sehen, so dass ein zufälliges Zusammen¬ 
treffen wohl ausgeschlossen ist. Von mancher Seite wird über Ver¬ 
haltungen, Bildung abgesackter Empyeme geklagt durch zu rasche 
Entfaltung der Lunge. Auch diese Störung dürfte vielleicht durch 
die Spülung vermieden bleiben, da die eindringende Flüssigkeit un¬ 
vollständige und brückenartige Verklebungen, hinter denen sich noch 
Hohlraum findet, zu lösen imstande ist. Für diese Auffassung spricht 
der Umstand, dass wir niemals derartige Störungen beobachtet haben. 

Bei akuten Empyemen spülen wir übrigens nicht grundsätzlich. 
Reine Pneumokokkenempyemc werden, wenn sie fieberfrei bleiben, 
meist erst gegen das Ende der Behandlung gespült, wenn der Eiter 
fötiden Geruch annimmt. Mit Staphylo- und Streptokokken infizierte 
Fälle hingegen spülen wir schon nach Ablauf einiger Tage, wenn die 
Reflexempfindlichkeit der Pleura abgenommen hat. Bei jauchigen 
Empyemen halten wir die Spülung vom Augenblick der Eröffnung ab 
für angezeigt. 

Die Saugwirkung des Flaschenaspirators kann übrigens auch da¬ 
durch beeinträchtigt werden, dass der den Eiter aus dem Thorax ab¬ 
leitende Schlauch im Bogen hängt. Dann sammelt sich in diesem Teil 
des Schlauches eine Sekretsäuie an. deren Gewicht der Saugung 
entgegenwirkt. Es ist daher darauf zu achten, dass der ableitende 
Schlauch in seiner ganzen Ausdehnung stetiges Gefälle besitzt. 

Neben der Saugbehandlung werden bei akuten wie chronischen 
Empyemen jene Uebungen nicht vernachlässigt, die durch Erhöhung 
des intrapulmonalen Druckes auf die Verkleinerung der Höhle ein¬ 
wirken. Wir verwenden gewöhnlich eine mit Wasser gefüllte Flasche, 
in welche der Kranke durch ein mehr oder weniger tief eingetauchtes 
Rohr oft wiederholt Luft einbläst. Man muss sich jedoch darüber 
klar sein, dass die kurzzeitige Wirkung dieser Uebungen gegenüber 
der stetig Tag und Nacht wirkenden kraftvollen Saugung nur eine 
untergeordnete Rolle spielen kann, besonders bei den grossen Wider¬ 
ständen des chronischen Empyems. 

Während wir beim akuten Empyem mit einer Druckdifferenz 
von 15 cm Wasser beginnen, wird beim chronischen Empyem ent¬ 
sprechend den viel grösseren zu überwindenden Widerständen hoher 
Unterdrück, bis zu 50 cm Wasser und mehr, angewandt. Zuweilen 
sieht man unter der starken Saugwirkung das Exsudat etwas hämor¬ 
rhagisch werden, ohne dass damit ein Nachteil verbunden wäre. Bei 
stärkerer Blutbeimengung sollte man jedoch mit dem Druck herunter¬ 
gehen. Die Wirkung des hohen Unterdrucks ist oft erstaunlich. Bei 
unbehandelten, völlig stationär gewordenen Resthöhlen kann man von 
Tag zu Tag das zunehmende Zusammenfallen der erkrankten Brust¬ 
seite verfolgen. Werden die hdien Unterdrücke, was besonders im 
Beginn der Behandlung der Fall ist, als unangenehmer oder schmerz¬ 
hafter Zug empfunden, so muss man sich zweitweilig, besonders wäh¬ 
rend der Nachtruhe, mit geringeren Drucken begnügen oder gelegent¬ 
lich Narkotika geben. 

An Stelle des von Perthes verwendeten Flaschenaspirators ist 
hie und da auch mein Tropfsaugapparat 0 ) zur Erzeugung des Unter¬ 
druckes verwendet worden. An sich ist die Saugkraft des Tropf¬ 
saugapparates mehr als genügend, da sie sich bis zu 2 m Wasser 
leicht steigern lässt. Auch das angesaugte Volumen von etwa 5 Litern 
in 24 Stunden ist ausreichend, da die absaugende Leistung nur der 
Menge des gebildeten Exsudats plus Höhlenverkleinerung zu ent¬ 
sprechen braucht. Gleichwohl halte ich die Verwendung des Tropf¬ 
saugapparates, der bei der Absaugung von Flüssigkeiten mit freiem 
Spiegel zur Trockenlegung nach Blasenoperationen und ähnlichen 
Zwecken Gutes leistet, zur Saugbehandlung beim Empyem für weniger 
geeignet als den Flaschenaspirator. Während nämlich der Flaschen¬ 
aspirator eine Undichtigkeit im System durch Abläufen des Inhalts 
der oberen Flasche sogleich augenfällig anzeigt, hat man beim 
Tropfsaugapparat derartige Anhaltspunkte nicht. Nehmen wir z. B. 
an, an der Durchtrittsstelle des Drains durch die Brustwand sei eine 
nur geringfügige Undichtigkeit vorhanden, so kommt es in der 'Höhle 
gar nicht zur Entstehung eines Unterdruckes, weil die geringen, in der 
Zeiteinheit angesaugten Luftmengen dem Zustrom durch die Undichtig¬ 
keit nicht die Wage halten können. So kann man lange Zeit ab- 
saugen, ohne dass irgend ein Effekt damit verbunden ist. Nach aussen 
wird die Wirkungslosigkeit der Behandlung dabei nicht kenntlich. 
Bei der ebenfalls zur Absaugung verwendeten Wasserstrahlpumpe 
sind kleine Undichtigkeiten unwesentlich, da sie mehrere Liter in 1 der 
Minute anzusaugen vermag. Da aber die Wasserstrahlpumpe an die 
Leitung gebunden ist und grosse Wassermengen wochen- und monate¬ 
lang verbraucht werden, ohne dass irgend ein Vorteil gegenüber dem 
sparsam und geräuschlos seinen Dienst tuenden Aspirator T ) (Ab¬ 
bildung; um die Zeichnung zu vereinfachen, ist der Kranke nicht liegend 
dargestellt worden) vorhanden wäre, so wird in der Tübinger Chirurg. 
Klinik nur noch der letztere zur Empyembehandlung verwendet. 

Ein wichtiger Punkt bedarf noch der Erwähnung. Auch bei gutem 
Erfolg der Saugbehandlung mit dauernder Verkleinerung der Höhle 

°) Zbl. f. .Chir. 4L S. 2. 

7 ) Bezugsquelle: Alexander Schädel, Leipzig. 

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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



sem Vorgehen errek 
dichten Abschluss, 


30, JuH 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


843 


und. was zu betonen ist, ungehindertem Exsudatabfluss, gehört es 
geradezu zum normalen Verlaufe, dass von Zeit zu Zeit Temperatur¬ 
steigerungen ohne Aenderungen im physikalischen Befund auftreten, 
übrigens in völlig gleicher Weise, wie ich das auch bei nur drai- 
nierterc Fällen gesehen habe. Meist geht unter Kopfschmerzen und 
allgemeinem Unbehagen die Temperatur sprunghaft in die Höhe, um im 
Verlauf einiger Tage lytisch zur Norm abzusinken. Die Ursache dieser 
Temperatursteigerungen ist wahrscheinlich in Aenderungen der Bak¬ 
terienflora des Empyemeiters zu suchen, sei es, dass die pyogenen 
Erreger aus irgendwelchen Gründen vorübergehend Virulenz¬ 
steigerungen erfahren, oder an Menge zunehmen, sei es, dass neue 
Bakterienarten eingeschleppt worden sind. Für diese letztere Auf¬ 
lassung spricht auch der Umstand, dass das Fieber oft in unmittel¬ 
barem Anschluss an das Wechseln des Drains oder sonstiges Mani¬ 
pulieren (Sondieren) im Sinne der Neueinschleppung von Keimen auf- 
tritt. Die praktische Folgerung ist, dass man nicht sogleich beim Auf¬ 
treten von Fieber die Punktionsspritze zur Hand zu nehmen braucht, 
um nach abgesacktem Eiter zu suchen, sondern dass man in Ruhe 
den weiteren Verlauf einige Tage abwarten kann. Zuweilen schien 
das wiederholte Einbringen von 50—100 ccm 1 prom. Höllenstein^ 
lösung nach der Wasserstoffsuperoxydspülung — analog dem Vor¬ 
gehen bei Blasenspülungen — von günstigem Erfolg auf den Fieber¬ 
abfall zu sein. 

Trotz unserer günstigen Erfahrungen gerade bei chronischen 
Empyemen kann nicht behauptet werden, dass mit dem Aspirations¬ 
verfahren alle Fälle ohne Ausnahme zur fistellosen Ausheilung zu 
bringen sind. Nur einem Teil, allerdings einem sehr beträchtlichen Teil 
der veralteten Fälle, wird die Thorakopiastik dadurch erspart. 

Von vornherein scheiden für die Saugbehandlung iene Fälle aus, 
:d denen eine Lungenfistel die Herstellung des Unterdrucks unmöglich 
macht. Man erkennt sie daran, dass bei Anlegen des Flaschen¬ 
aspirators nach luftdichter Einfügung des Drains der Wasserspiegel 
der oberen Flasche nicht nach einer der Höhlengrösse entsprechenden 
Senkung stehen bleibt, dass vielmehr alles Wasser der oberen Flasche 
unter Nachströmerr von Luft durch die Lunge in die untere Flasche 
abfliesst. Ungeeignet zur Saugbehandlung sind auch die Fälle, in 
denen eine eigentliche Höhle überhaupt nicht mehr besteht, sondern 
nur ein ganz enger Kanal oder ein flächenhafter Spalt, dessen Wan¬ 
dungen in Berührung sind. 

In allen anderen Fällen raten wir den Aspirationsapparat anzu¬ 
legen. So lange bei Prüfung in etwa 10 tägigen Zwischenräumen eine 
fortschreitende Verkleinerung durch Ausmessung der Höhle pach- 
weisbar ist, wird das Aspirationsverfahren fortgesetzt. Es wird zu¬ 
gunsten des operativen Verschlusses der Höhle verlassen, wenn der 
Hohlraum trotz Anwendung des Unterdrucks bei wiederholten Aus¬ 
messungen die gleiche Grösse aufweist. Auch dann, wenn durch das 
Saugverfahren mir eine Verkleinerung, nicht eine völlige Obliteration 
des Hohlraums beim chronischen Empyem erzielt werden kann, ist 
viel gewonnen, denn die Schwere des Eingriffs wird bei der Thorako¬ 
piastik ja wesentlich durch die Grösse der zu beseitigenden Höhle 
bestimmt. 

Zum Schluss sei kurz zusammengefasst, was ich als Fortschritte 
in der Empyembehandlung bezeichnen möchte. 

1. Beim akuten Empyem: Primäre luftdichte Einnähung des 
Schlauches nach typischer Rippenresektion. Sie macht alle besonderen 
Abdichtungsvorrichtungen überflüssig, führt in Verbindung mit der 
Perthes sehen Saugbehandlung rasche Wiederentfaltung der Lunge 
herbei und schiebt das Eintreten der Mischinfektion hinaus, kurz die 
luftdichte Einnähung vereinigt die Vorteile der B ü 1 a u sehen Heber¬ 
drainage mit denen der Rippenresektion. 

Die Anwendung des Perthes sehen Aspirators zur Erzeugung 
des Unterdruckes ist allen anderen Verfahren überlegen. 

2. Beim chronischen Empyem: Konsequente langdauernde Durch¬ 
führung der Saugbehandlung nach Perthes mit hohem Unterdrück. 
Es sollte — abgesehen von den Fällen mit Lungenfistel — kein Fall 
der Thorakopiastik unterworfen werden, ehe nicht die Wirkungslosig¬ 
keit der Saugbehandlung in 1—2monatiger Dauer nachgewiesen ist, 
oder die Verkleinerung der Höhle durch Unterdrück nachweisbar an 
ihrer Grenze angelangt ist. 

Erreichung des zur Aspirationsbehandlung notwendigen luft¬ 
dichten Abschlusses durch allmähliche schonende Dehnung der be¬ 
stehenden Fistel und Einführung weiter starrer Drainrohre. 

Grundsätzliche tägliche Spülung der mischinfizierten Empyem¬ 
höhlen mit Wasserstoffsuperoxyd, erstens zur Reinigung der Höhle, 
zweitens zur Kontrolle der Durchgängigkeit des Systems. 


Anmerkung bei der Korrektur: Erst nachträglich kam 
mir Isetins kurz vor meinem Vortrage erschienene Arbeit „zur 
Skthode der Pleuraempyembehandlung“ (Bruns Beitr. 102. S. 587) zu 
r ■. t r c h freue mich, eine weitgehende Uebereinstimmung unserer 
jesicM. j ers auc h bezüglich der konservativen Behandlung 

its chronischen Empyems feststellen zu können. 


Nr. 3'. 


Ergebnisse röntgenologischer Konstatierungen innerer 
Krankheiten im Kriege. 

1. Ein Beitrag zur Pathogenese und Diagnose der Magen- 
und Zwöiffingerdarmgeschwüre*). 

Von Dozent Dr. Martin Haudek. 

M. H.! Eine VA jährige Tätigkeit als Röntgenologe des k. k. Erz- 
herzog-Rainer-Militärspitals und der k. u. k. Reservespitäler Nr. 1 und 
16, dreier grosser Militärspitäler in Wien, deren Wirkungskreis vor 
allem die Vornahme der militärärztlichen Begutachtung des Dienst¬ 
tauglichkeitsgrades der sich krankmeldenden Offiziere und Soldaten 
umfasst, hat mir Gelegenheit gegeben, reiche Erfahrung darüber zu 
sammeln, was das Röntgenverfahren, das jetzt zum ersten Male in 
einem Kriege zur Beurteilung innerer Krankheiten in ausgedehntem 
Masse herangezogen worden ist, hiebei zu leisten vermag, wo die 
Grenzen der radiologischen Leistungsmöglichkeit liegen und wie sich 
das Zusammenarbeiten zwischen Röntgenologen und -dem begutachten¬ 
den Militärarzt zu gestalten hat. 

Die Konstatierungstätigkeit gehört zu den wichtigsten und 
schwierigsten Arbeitsgebieten der Aerzte im Kriege. Jeder dia¬ 
gnostische Irrtum ist viel verhängnisvoller als im Frieden, anderer¬ 
seits bedeutet die ausserordentlich grosse Zahl der ständig zu absol¬ 
vierenden Untersuchungen, der Mangel an wichtigen Behelfen — beim 
Röntgenologen u. a. der Piattenmangel —, vor allem aber das ge¬ 
änderte Verhältnis zwischen Arzt und Patienten eine Quelle erheb¬ 
licher Schwierigkeiten. Letzterer Umstand setzt die diagnostische 
Verlässlichkeit der Anamnese und der subjektiven* Beschwerden 
wesentlich herab und bringt es mit sich, dass für das militärärztliche 
Zeugnis in erster Linie nur objektive Krankheitserscheinungen als 
Basis anerkannt werden. Unter solchen Voraussetzungen gewinnt 
das Röntgenverfahren, das die Symptomatologie innerer Krankheiten 
in nennenswerter Weise bereichert hat, eine erhöhte Bedeutung, 
namentlich in der Magendiagnostik, wo die Ausbeute der älteren dia¬ 
gnostischen Methoden e : ne geringe ist und der Wegfall der Anamnese 
eine besonders empfindliche Lücke öffnet. Die Verantwortlichkeit des 
Röntgenologen wird auf dem Gebiete der Magenradiologie besonders 
gross, weil der Internist hier etwaige Fehlbefunde nicht einmal zu 
erkennen und richtigzustellen vermag wie auf dem Gebiete der Herz- 
und Lungenkrankheiten. 

Die Frage des zuweisenden Arztes bezieht sich hier insbesondere 
darauf, ob ein Magen-Zwölffingerdarm-Geschwür nachweisbar ist oder 
nicht. Vom Röntgenologen wird in dieser Richtung auf Grund des 
Röntgenbefundes ein präzises Teilresümee verlangt, das dann für das 
Gesamtgutachten hauptsächlich ausschlaggebend ist. Nun ist die Ver¬ 
pflichtung zur Abgabe eine solchen Resümees, das eigentlich einer 
Diagnose gleichkommt* ein höchst unangenehmer Zwang, weil die 
röntgenologisch gefundenen Anomalien durchaus nicht immer eindeutig 
sind und manche Symptome sich wohl als Vorkommnisse bei 
Ulcus, nicht aber als Kennzeichen eines solchen er¬ 
wiese^ haben. Die blosse Anführung der Symptome geht aber auch 
nicht an, weil dem weniger kundigen Internisten die Auslegung der¬ 
selben schon gar nicht überlassen werden kann. Auch mit der Aeusse- 
rung eines „Verdacht auf Ulcus“ ist wenig getan, da eine solche im 
militärärztlichen Zeugnis nicht anwendbar ist. Die Befreiung aus 
diesem Dilemma würde die Existenz von „W e r t i g k e i t s- 
t ab eilen“ der röntgenologischen Symptome bedeuten, welche dem 
Internisten bekannt sind. Dann brauchte der Röntgenologe seinen Be¬ 
fund demselben nur mitteilen, das Verständnis für dessen Bedeutung 
wäre das gleiche wie für die Mitteilung des Stuhl- und Ausheberungs¬ 
befundes oder des Resultats der Wassermann sehen Reaktion. 

Einen Versuch in dieser Richtung stellen die Tabellen 1, 2 und 
3 dar. Auf Tabelle I sind jene morphologischen Symptome verzeich¬ 
net, die ein Ulcus ventriculi oder duodeni beweisen oder wenigstens 
sein Vorhandensein wahrscheinlich machen. Tabelle 2 enthält funk¬ 
tioneile Symptomenkomplexe, die in Beziehung zum Ulcus stehen 
und mit Ausnahme des Kardiospasmus gleichfalls zu einer Wahr- 
scheinlichkeitsdjagnose berechtigen. Die zweiten Kolonnen der Ta¬ 
bellen zeigen schematische bildliche Darstellungen der Symptome, 
die dritten Kolonnen Angaben über die Beweiskraft; die Kolonnen 4 
und 5 verzeichnen die Verwechslungsmöglichkeiten und den Grad 
derselben, Kolonne 6 bezieht sich auf den Ursprung des Symptoms. 

Die Zusammenstellung (st auf Grund der bei Hunderten von 
Operationen gesammelten Erfahrungen erfolgt. Sie ist eine Frucht 
der gesamten Ergebnisse der radiologischen Forschung auf dem Ge¬ 
biete der Magendiagnostik, deren Ausbau bis zur jetzigen Stufe sich 
in 14 Jahren seit den grundlegenden Arbeiten von Rieder und 
Holzknecht vollzogen hat. Mit Genugtuung kann gesagt werden, 
dass es hauptsächlich österreichische und deutsche Autoren waren, 
deren Arbeiten hier ausschlaggebend waren. 

Tabelle 3 enthält die einzelnen funktionellen Abweichungen von 
der Norm, welche bei der Ulcusdiagnose wohl auch wertvolle Auf¬ 
schlüsse zu geben vermögen: doch lehrt hier die Erfahrung, dass 
die Diagnose auf Ulcus, deren Hauptstütze solche Anomalien bilden, bei 
der Operation nicht immer bestätigt wurde, so dass auch nach dieser 
die Frage offen blieb, was diesen Patienten, die seit Jahren an intcr- 


") Vortrag, gehalten in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien 
am 1. Februar 1918. 


3 


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844 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


Tabelle 1. Morphologische Ulcussymptome*). 


Symp¬ 

tome* 

I. Magen-Nische 

II. Einkerbung 
der grossen Kurvatur 
a) geringgradig 

b) hochgradig 
(Sanduhrmagen) 

III. Perigastritiscbe 

Zacken an der grossen 

Kurvatur 

IV. Einrollung 
der Pars pylorica 

V. Duodenal- 
Nische und De¬ 
formitäten des 
Bulbus duodeni. 

VI. Deformitlteo 
des Bulbasschat- 
tens (Defekt u. a.) 


o 



Ol 





Bild : 

s 

1 

1 

u 

j 

• 


■v 

Beweis¬ 

kraft: 

Vollkommen 

Qross 

Vollkommen 

Vollkommen 

Oross 

Oross 

Oross 

Ver- 

Sehr gering 

Oering 


Sehr gering 

Oering 

Ziemlich gross 

wechs- 

lungs- 

mögficb- 

keH: 

Bulbus duod. 

Flex. duod.-jejun. 

Karzinom 

(Pseudo-Nische) 

Druck von aussen 
(Linke Fiexur) 
Pneumatose 
Neurogene Spasmen 

Druck von aussen 
(Linke Fiexur) 
Pneumatose 
Neurogene Spasmen 

Dauerfalten 

Druck von aussen 

Druck von aussen 
(Darmblähung) 

Normaler Bulbus, 
mangelhaft gefüllt 

(Technisch schwierige 
Darstellung) 

Ur¬ 
sprung : 

z. T. Ulcuskrater 
z. T. Kontraktion -f* 

Narbenwirkung 
Kontraktion -f 

N. (= Neurogen) 

Narbenwirkung 

wie I 

Narben Wirkung 
Kontraktion -f- 


*) Vergl. die Abbildungen und Symptombeschreibungen beij. Freud, Jahreskurse für ärztl. Fortbildung, August 1917, und Chaoui u. Stierlin, M. m. W. 1917, Nr. 48 u. 49. 


Tabelle 2. Funktionelle Symptomenkomplexe, die bei Ulcus Vorkommen. 


Symp¬ 

tome: 

I. Cardiospasmus 
a) geringgradig 

b> hochgradig 
(Splndelige oder idio¬ 
pathische Dilatation) 

II. Pylorusstenose 

a) geringgradig Mag^efftls^e 

Stenose oder Spasmus magenextasie 

III. Pylorusfixation 

IV. Duodenaler Mo- 
ti 1 itätsty pus 

V. Duodenalstenose 
auch spastisch 

Retention 

Normaler Oesophagu- 
stonus 

Hochgradige Retention 
Atonie d. Oesophagus 
Dilatation d. Oesophagus 

Retention 

Normaler oder gestei¬ 
gerter Tonus 
Gesteigerte Peristaltik 

Hochgradige Retention 
Atonie 

Fehlende oder zeitweise 
gesteigerte Peristaltik 
Dilatation des Magens 

Verlagerung d. Pylorus 
nach rechts oben 
Passive Un Verschieb¬ 
lichkeit 

PPM 

Schnelle Füllung 
Retention 
Peristaltik 
Dilatation 

Bild: 

L 


✓ 

— 

J 


fc. 

Beweis¬ 

kraft: 

Oering 

Oering 

Oross 

Sehr gross 

Massig gross 

Oross 

Oross 

Ver- 

wechs- 

lunga- 

tnftgUch- 

keit: 



Druck von aussen 
Karzinomstenose 

Cholezystitis 
Verlagerung 
(Intraabdom. Druck 
Bauchdeckenspannung 
Hypertonie) 

Neurogene Hypertonie 
Bauchdeckenspannung 

Druck von aussen 
Karzinom 

Ur¬ 
sprung : 

N. N. 

z. T. Kontraktion 4- 1 „j.l_ 

z. t. Narbe 1 Narbenwirkung 

Narbenwirkung 

Kontraktion 4 - 
N. 

z. T. Narbe 
z. T. Kontraktion -f~ 


Tabelle 3. Funktionelle Symptome (Anomalien), die 
bei Ulcus Vorkommen. 


Anomalien des Kontraktions-Zustand« s 


1. Hypertonie = Totalkontrakt'on 

2. Oastrospasmus = Paroxysmale regionäre 
oder totale Magenkontraktion 

3. Zirkuläre Spasmen (s. Tab A u B) 

4. Dauerfalten der (Muscularis mucosae) 


II. Anomalien der Peristaltik 


1. Hyperperistaltik 
a) dauernd 

bl wechselnd {Ermüdungsform) 

2. Antiperistaltik 


III. Anomalien der Entleerung 


1. Hypermotilität, ev. mit Spitrest 

2. Retention 


IV. Anomalien der Sekretion: Hyper- bezw. 
Parasekret on 


N. 


Folgend. Magentonus (Magenform) 
der Peristaltik 
der Hypersekretion 
der Pyloruskontraktinn 
der Schrumpfung amPylorus 
den Pylorusreflexe? 


(Orosse Intermediärschicht, grosse Kapsel¬ 
distanz. kleine 6 Slundenreste bei offenem 
Py^orus usw.) 


V. Anomalien der Sensibilität 


Lokalisierbare Druckpunkte 


VI Anomalien der Verschieblichkeit 


S. Tab. A. I., III., IV., V. u. VI. 
Tab. B. III. 


Mit oder ohne Ulcus? 
N. 


Ulcusfolge (Serosaentzündung) 


Ulcusfolge (Perigastritis) 


mittierenden, ulcusverdächtigen Schmerzen leiden., eigentlich fehle; 
dabei muss den- Röntgenologen speziell die Frage interessieren, woher 
denn die funktionellen Symptome eigentlich rühren, wenn sie in ihren 
geringen Graden nicht an das Vorhandensein eines Ulcus geknüpft 
sind. Geht man die Literatur durch, so findet man, dass auf solche 


Weise alle funktionellen Symptome gelegentlich Schiffbruch gelitten 
haben, wie der Sechsstundenrest verschiedener Grösse, die Steigerung 
des Kontraktionszustandes des Magens, der Peristaltik und der 
Sekretion. Sogar die Sanduhrspasmen) haben, wie Stierlin und 
de Quervain U j mitteilem, bei der Operation nicht immer in einem 
Ulcus ihre Erklärung gefunden, so dass nachträglich Tabes. Hysterie 
und andere nervöse Zustände für ihre Entstehung verantwortlich 
gemacht wurden. 

Bei den Röntgenuntersuchungen! im Kriege zum Zwecke der 
‘militärärztlichen Konstatierung ist mir selbst zweimal der Fäll vorge¬ 
kommen, dass die Laparotomie, die zum Teil wegen der hartnäckigen, 
ulcusverdächtigen Beschwerden des magenkranken Soldaten, zum Teil 
gestützt auf den Befund „röntgenologisches Verdachtsmoment auf 
Ulcus“ unternommen wurde, ergebnislos verlaufen ist, indem das 
supponierte Ulcus vom Operateur nicht gefunden worden ist. In dem 
einen Fall war wiederholt ein Sechsstundenrest und deutliche peri¬ 
staltische Bewegung am Duodenum gefunden worden, in dem anderen 
Fall erwies sich eil e ausgedehnte Lumenverkleinerung der Pars py- 
lorica, die durch Wochen bestand und als grobe Wandläsion einge¬ 
schätzt werden musste, nur als regionärer Gastrospasmus, da eine 
organische Wandveränderung weder am Magen noch an den Nachbar¬ 
organen gefunden wurde. Ich hatte die Operation in keinem der Fälle 
indiziert, doch darin liegt eben eine besondere Schwierigkeit bei 
militärärztlichen Untersuchungen, dass über gewisse Symptome, die 
bei Ulcus Vorkommen, ein solches jedoch keineswegs beweisen, einer¬ 
seits im Interesse des Patienten nicht hinweggegangen werden kann, 
andererseits eine Fehllaparotomie hinterher die Folge des geäusserten 
Verdachtes sein kann. 

Solche Vorkommnisse, die immer wieder zeigen, dass sowohl die 
ulcusverdächtigen Schmerzen als auch viele röntgenologische Ano¬ 
malien nicht nur bei organischen Magenwandveränderungen, sondern 
auch ohne solche auftreten können, sind mir seit langem ein Anlass 
gewesen, mich mit dem Wesen des Schmerzes bei den ulcusver¬ 
dächtigen Kranken und der Herkunft der abnormen Röntgenphänomene 
analytisch zu befassen, dem Ursprünge beider nachzugehen. 

Zum Studium der Beziehungen zwischen Schmerz und Geschwür 
bot mir schon vor einer Reihe von Jahren die röntgenologische Fest¬ 
stellung von Geschwüren durch das Nischensymptom, welche einer 


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30. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


845 


Autopsie in vivo ohne Operation, also bei unbeeinflusst fortdauernden 
Organfunktionen «leichkommt, ausgezeichnete Gelegenheit. 

Vor allem fiel mir oft der Umstand auf. dass Patienten mit 
Magennischen, die ich in der Rekonvaleszenz oder nach angeblicher 
Heilung durch interne Therapie oder Gastroenterostomie untersuchte, 
oftmals bestimmt angaben, keinerlei Schmerzen mehr zu verspüren, 
obwohl ihre dem Geschwürskrater entsprechende Nische noch in 
unveränderter Form und Grösse weiter bestand. Darunter gab es 
Leute, die durchaus nicht mehr strenge Diät hielten, sondern die 
Vorschriften nach ihrer Neigung überschritten. Es ging hieraus offen¬ 
kundig hervor, dass es nicht das Geschwür an sich sein konnte, 
welches die oft so ungemein heftigen Schmerzen hervorrief, da ja 
sonst bei dem* Sitz des Geschwürs an der kleinen Kurvatur die 
Schmerzen hätten beständig sein müssen. Die Scheuerung des Ge¬ 
schwürs durch die Speisen war es also nicht, die den Schmerz hervor- 
rief, wie man sich dies vielfach vorstellt. 

Hiezu stimmte auch die Angabe mancher Patienten, deren Opera¬ 
tion ein grosses penetrierendes, wohl schon viele Monate altes Ulcus 
ergab, dass sie erst seit kurzer Zeit, in einem Fall waren es 4. 
in einem anderen Fall 8 Tage, überhaupt Schmerzen spürten. 
Auch typische Sanduhrspasmen so\\ie Pylorospasmen sah ich, ohne 
dass zur Zeit als das Symptom konstatiert wurde, Schmerzen be¬ 
standen hätten. 

Ich kam durch diese und weitere Beobachtungen zu folgender 
Auslegung der verschiedenen Arten von Schmerzen bei peptischen 
Geschwüren. 

1. Die Spontan schmerzen, welche wochen- und monate¬ 
lang aussetzen, um dann periodisch für ebenso lange Zeit zu exazer- 
bicren, gleichen völlig krisenartigen Schmerzen. Nach 
der vollkommen eindeutigen Lokalisation dieser Schmerzen auf die 
Magengrube, auf die sie sich beschränken oder von der sie nach 
verschiedenen Richtungen ausstrahlen, ist der Ausgangspunkt 
dieser Schmerzen der Plexus solaris; auch eine verschieden 
heftige Druckempfindlichkeit dieser stets ausserhalb des Magens ge¬ 
legene Region ist eine regelmässige Erscheinung Die Franzosen be¬ 
zeichnen diesen epigastrischen Druckpunkt bekanntermassen gerade¬ 
zu als Point solaire. 


2. Der Schmerz, der in der Zeit der Schmerzperioden in 
regelmässig zeitlichem Zusammenhang mit der 
Mahlzeit auftritt, i s t in erster Linie ein Aetzungsschmerz. 
Fr tritt auf. wenn der Magen leer ist und wenn das auch im nüchternen 
Zustand kontinuierlich erzeugte abnorme Magensekret, sei es mit dem 
Geschwür oder mit der gereizten Schleimhaut des Magens, allein 
d. h. unvermengt in Berührung kommt. So lange der Magensaft noch 
mit Speisen vermengt ist, fehlt dieser Schmerz. Daher tritt er nach 
kleinen Mahlzeiten früher auf als nach grossen, ferner wird er sich bei 
hochsitzenden Geschwüren früher bemerkbar machen als bei solchen 
der Pylorusregion und des Duodenums, da hier die Speisen länger 
verweilen. Die Richtigkeit des Ausdruckes Aetzungsschmerz können 
alle jene Patienten bestätigen, welche an Hochkommen des sauren 
Magensaftes bis in den Mund leiden. Sie beschreiben die Empfindung 
als äusserst unangenehm, „das scharfe Wasser mache ihnen förmlich 
die Zähne lang“. 

Der zeitlich mit der Nahrungsaufnahme zusammenhängende 
Schmerz, der häufig ein Hungerschmerz und Spätschmerz ist, ist von 
Kreuzfuchs und G 1 a e s s n e r \2] auf einen Spätpylorcspasmus 
bezogen worden. Gegen diese Auslegung spricht mir die röntgeno¬ 
logische Beobachtung, dass man den Sechsstundenrest sehr häufig 
durch Emporheben zum Pylorus, also durch künstliches Ueberwinden 
der Hubhöhe aus dem Magen schaffen kann, was das Offenstehen des 
Pylorus ebenso beweist wie die rasche Entleerung des Rückstandes, 
wenn man den Patienten in rechte Seiten- und Beckenhochlage bringt. 
In gleichem Sinne überzeugend wirkt das augenblickliche Eintreten 
nachgetrunkener BaryuTnaufschwemmung in das Duodenum, wo es sich 
mit dem Bulbusrest vermengt. Der Sechsstundenrest ist also in der 
Mehrzahl der Fälle nicht durch Pylorospasmus bedingt, sondern durch 
Sedimentierung des Kontrastbreies in einem Magen mit grosser Hub¬ 
höhe. d. h. langem aufsteigendem Schenkel bei reichlicher Hyper¬ 
und Parasekretion. Das Offenstehen des Pylorus macht es begreiflich, 
dass eine kleine Menge Milch oder Natronlösung, die der Patient 
gegen seine Schmerzen zu sich nimmt, sofort wirken kann. Sie dringt 
in den Magen und von da durch den offenen Pylorus in die Pars 
superior duodeni ein, welche gleichfalls das scharfe Sekret enthält, 
das ein etwa vorhandenes Geschwür reizt und coupiert daher augen¬ 
blicklich die Schmerzen. SoistauchderHunger-undSpät- 
schmerz seinem Wesen nach kein für Ulcus bewei¬ 
sendes Symptom; er ist ein Aetzungsschmerz, der 
wohl heftiger ist, wenn ein Geschwür vorhanden ist, 
aber auch ohne ein solches deutlich ausgesprochen 

Se/ Dass die' Parasekretion keine Ulcusfolge, so.idern neurotischen Ur- 
snrunzes ist wird heute kaum mehr bestritten. Somit weisen also die 
hiHpn Arten des Spontanschmerzes, der krisenhafte Schmerz und der 
Öe *ek re torische Schmerz auf den neurogenen Ursprung hin. 

^ p . dritte Art von Schmerzempfindung, die bei Ulcus vorkommt, 
c/ne sc j tr iebene Druckpunkt. Die Erfahrung, dass bei bluten- 
ist der V eno j 0 gisch nicht sichtbaren Geschwüren der Druckpunkt in 
den. röntg während die kallösen Ulcera ihn regelmässig auf- 

der man aus der genauen Lokalisation des Druckpunktes 

weisen, 'r he leicht feststellen kann, spricht dafür, dass der Druck- 
iiui d\e ££ vom Ulcus selbst, sondern von der reaktiven Entzündung 


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der Serosa herrührt. Der Druckpunkt bew eist also eigentlich die um¬ 
schriebene Entzündung des bekanntermassen hochempfindlichen Peri¬ 
toneums und nicht den Substanzverlust, ist also kein primäres Ulcus- 
symptom, sondern gehört zu den Ulcusfolgen. 

, Bei der Analyse des Ursprungs der morpho¬ 
logischen Symptome sind iene auszuschalten, welche reine 
Ulcus folgen sind. Es sind dies die perigastritischem Ver¬ 
änderungen, und zwar die narbige Pylorusstenose, der narbige 
Sandührmagen, die Pylorusfixation, die Einrollung und die groben 
Zacken an der grossen Kurvatur, schliesslich die narbigen Ver¬ 
änderungen am Duodenum. An primären Symptomen bleiben also 
die Ulcusnische und die zirkulären Spasmen, das sind die Einkerbung 
der grossen Kurvatur, sowie deT Kardio- und Pylorospasmus. 

Vergleicht man das Bild der Nische mit dem anatomischen Be¬ 
fund, so fällt sofort auf, dass dieselben durchaus nicht übereimtimmen. 
Während die Nische ihren dreigeschichteten Inhalt fast völlig vom 
Magen abschliesst. hat ihr anatomisches Substrat, das tiefgreifende 
Geschwür, eine weit offene Verbindung mit dem Magen; der kardiale 
Rand ist nur ganz wenig überhängend, der pylorusvvärts gerichtete 
Rand sogar treppenförmig abfallend (Fig. la u. b). Das Zustande- 

a Fig. 1. b 

Profilskizze eines grossen in die 
Leber penetrierenden Magenge¬ 
schwürs. M = Magenlumen, L = 
Leberparenchym. 

a Röntgenbild: Der Nischeninhalt 
ist durch die vorspringenden Oe- 
schwörsränder vom Magenlumen 
fast abgeschlossen, 
b anatomisches Bild: Oegen den 
Magen weit offenes Ulcus. 



kommen zweier tiefer Buchten, welche ein grosses Baryumdepot und 
eine grosse Gasblase bergen, bedarf daher einer Aufklärung. Ich er¬ 
blicke dieselbe in einer spastischen Kontraktion der das Geschwür 
umgebenden Muscularis propria. Durch ihre Dauerkontraktion schiebt 
die umgebende Magenwand die Geschwürsränder an dem in ein Nach¬ 
barorgan eingemauerten oder in straffe Adhäsionen eingebetteten Ge¬ 
schwürsgrund kulissenartig vorbei und verengt an dieser Stelle das 
Lumen des Geschwürs, so dass zwischen dem Geschwürsgrund und 
der Magenhöhle eine Art von Geschwürshals entsteht. 

Auch die den Chirurgen auffallende Erscheinung, dass winzige 
Ulcuskrater durch linsengrosse Baryumdepots in Nischen bei der 
Röntgenuntersuchung erkannt werden konnten, rührt daher, dass der 
Spasmus in dem regionären Segment der Magenmnskulatur eine Bucht 
um den Ulcuskrater geschaffen hat, welcher bei der Operation infolge 
der Narkose nicht besteht (Fig. 2 a u. b). 

a Mg. 2. b 

Profilskizze eines kleinen Oeschwürs der kleinen Kurvatur «-). 

a Röntgenbild: Die vorspringenden Oeschwürsränder sch Hessen 
eine kleine das Bariumdepot bergende Bucht ab. 

b anatomisches Bild: Ein winzige^ offener Krater. 



Zu dieser Erklärung stimmt weiterhin die Erscheinung, dass eine 
Nische zeitweise verschwindet und wieder auftritt. Da eine ana¬ 
tomische Ausheilung und das Wiederaufbrechen des tieien Geschwürs 
nicht denkbar ist, kann nur angenommen werden, dass infolge desAuf- 
hörens des Spasmus die Bucht zeitweilig nicht bestand. Bei den 
kleinsten Geschwüren ist also der Erregungs¬ 
zustand der umgebenden Muskulatur geradezu die 
Voraussetzung für das Zustandekommen des 
Nischensymptoms, der Ulcuskrater allein wäre 
hiezu ungenügend. Der Wegfall der erhöhten- Kontraktion ruft 
den Anschein der Heilung des Geschwürs hervor. 

Ein Beispiel für eine ähnliche Wirkung der peristolischen Kon¬ 
traktion der Magenwände ist der Mechanismus der Magenentleerung 
nach Gastroenterostomie. Bei dieser müsste durch eme weite Oeff- 
nung der Inhalt in wenigen Minuten unverdaut abfliessen, würde die¬ 
selbe nicht durch Wandkontraktion verkleinert, ja zeitweise ver¬ 
schlossen werden. 

Bei den zirkularen Engen tragen die hohen Stadien zweifel¬ 
los den Charakter narbiger Schrumpfung mit sekundärer Dilatation des 
prästenotischen Abschnittes. Die Bilder der benignen Kardiastenose, 
des Sanduhrmagens auf Ulcusbasis und der benignen Pylorusstenose 
(vergl. Tab. 1 u. 2) zeigen vollkommenen Parallelismus in anatomi¬ 
scher und funktioneller Beziehung, sowie auch hinsichtlich ihrer Ent¬ 
wicklungsstadien. Verfolgt man diese Bilder rückläufig, so kommt 
man von den hohen Graden der Stenose mit Ektasie zum primären 
Spasmus; dieser ist an der Kardia durch die Erscheinung der be¬ 
ginnenden Stauung bei Erhaltensein der tonischen Funktion und bei 
Fehlen jeder Dilatation des Oesophagus, am Pylorus gleichfalls an 
geringgradiger Retention bei erhöhter peristolischer und peristaltischcr 
Funktion des Magens zu erkennen. 

Diese Beobachtungsreihe führt, was speziell die Entstehung der 
sog. spindeligen oder idiopathischen Speiseröhrenerweiterung betrifft, 
zur Unterstützung des Standpunktes von Mikulicz und M e 1 z e r, 
der in dem Kardiospasmus das Primäre gesehen hat. gegenüber der 
Auffassung Rosenheims, für den die Atopie der Schlundmuskula¬ 
tur das Primäre, Entzündungen der Oesophagusschleimhaut im kar- 

Originalfrom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



846 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


dialen Gebiete und der Spasmus deT Kardia den sekundären Zustand 
bedeuteten. Für di« Unterstützung der Theorie von F. Kraus, dass 
die Atonie des Oesophagus und der Spasmus der Kardia gleichzeitig 
durch eine Ursache entstünden, gibt die röntgenologische Beobach¬ 
tung, die -das allmähliche Nachlassen des Tonus mit der zunehmenden 
und dauernden Belastung des prästemotischen Abschnittes bei allen 
3 Lokalisationen des Spasmus feststellen kann, keinen Anhaltspunkt, 
was allerdings einer Widerlegung derselben nicht gleichkommt. Die 
ösophagoskopischen Untersuchungsergebnisse von E. Glas [3] bei 
der idiopathischen Dilatation des Oesophagus weisen gleichfalls auf 
den primären Kardiospasmus hin, da er in der Mehrzahl der Fälle 
Hypertrophie der Muskulatur, also wie bei der Pylorusstenose, dann 
das Bestehen des Kardiospasmus bereits im Beginne der Erkrankung 
und schliesslich das mehrfache Fehlen von entzündlichen Verände¬ 
rungen der Schleimhaut nachweisen 1 konnte. 

Das Initialstudium des Sanduhrmagens ist die Einkerbung der 
grossen Kurvatur; in diesem Stadium fehlt noch jede Enge: durch den 
breiten Verbindungskanal an der kleinen Kurvatur füllt sich auch der 
untere Magenteil augenblicklich, von einer Erweiterung des oberen 
Magenteils ist noch keine Rede. Bezüglich der Kerbe kann in diesem 
Stadium der Röntgenologe noch im Zweifel sein, ob sie bloss einer 
stehenden Welle (Kaufmann) oder, wie sie Rieder nennt, 
einem fixierten Stadium der Peristaltik, oder schon der länger¬ 
dauernden bedeutungsvollen tetanischen Kontraktion einos Ring¬ 
muskelsegments (Faulhaber |4l) entspricht. Aber auch in letz¬ 
terem Falle ist nur mit Wahrscheinlichkeit und nicht mit voller 
Sicherheit zu erwarten, dass der Chirurg an Ort und Stelle ein Ulcus 
der kleinen Kurvatur findet; das Fehlen der vollen Sicherheit be¬ 
weisen ja die oben zitierten Erfahrungen von Sti erlin und 
de Quervain. 

Unter den funktionellen Symptomen, die bei Ulcus beobachtet 
werden, sind vor allem die Aenderungen des Tonus von Interesse, 
die sich durchwegs als Steigerungen des primär bestandenen Kontrak¬ 
tionszustandes darstellen. Hiezu zählen die Totalkontraktion, der 
Gastrospasmus und die Dauerfalten. 

Für die Hypertonie oder Totalkontraktion des Magens ist zu¬ 
nächst die Verkürzung des Magens, der statt in Form eines langen 
Bogens als Sehne die beiden Fixpunkte, die Kardia und das obere 
Duodenalknie verbindet, charakteristisch: sie ist die Folge einer ab¬ 
normen Kontraktion der Längs- und Schrägmuskelfasern des Magens. 
Das zweite Merkmal, die abnorme Enge des antralen und die ver¬ 
mehrte Breite des kardialen Teils ist eine Folge der Kontraktion der 
Ringmuskulatur, welche an dem muskelstarken Antrum zu einer be¬ 
deutenden Lumenverengerung führt, die nach oben hin allmählich ab¬ 
nimmt und schliesslich in dem muskelschwachen kardialen Anteil in 
einer kompensatorischen Erweiterung ausklingt. 

Die Peristaltik solcher Mägen ist in der Regel abnorm tief. Aus 
den bekannten. Allgemein akzeptierten Erklärungen Albert Mül¬ 
lers über die Umschichtungsvorgänge bei der Kontraktion und Er¬ 
weiterung muskulärer Hohlorgane ist die tiefe Wellenbildung an den 
aufgeschichteten Wänden des kontrahierten Magens durchaus ver¬ 
ständlich. 

Weit auffälliger ist die schnelle Entleerung solcher Mägen, weil 
sowohl die Beschwerden der Patienten als auch die chemische Unter¬ 
suchung des Mageninhaltes das Vorhandensein von Hyperazidität und 
Hypersekretion zumeist sicherstellen. Es besteht hier ein offen¬ 
kundiger Widerspruch zu den Erwartungen, zu denen uns unsere Vor¬ 
stellung über das Zustandekommen des Chemoreflexes berechtigt, 
wonach bei Hyperazidität eine reflektorische Verzögerung der Py- 
lorusöffnung zu gewärtigen ist. 

Kreuzfuchs und Glässner [2l haben eine abnorm ge¬ 
steigerte Pankreasfunktion, die zu einer Hyperalkaleszenz des Duo¬ 
denalinhalts führt, als Ursache dieser Hypermotilität angenommen; 
der stark alkalische Duodenalinhaii soll sofort die überschüssige 
Magensäure abstumpfen, so dass der hemmende Duodenalreflex weg¬ 
fällt. Abgesehen davon, dass der Beweis für die Steigerung d*er 
Pankreasfunktion noch aussteht, die in der Tat kolossal sein müsste, 
um die Neutralisation der aus dem Magen eintreffenden Schüsse von 
stark saurem Inhalt augenblicklich durchzuführen', würde ja der 
Hungerschmerz beim Ulcus duodeni, bei dem die geschilderten funk¬ 
tionellen Verhältnisse häufig angetroffen werden, unverständlich sein. 

Für die schnelle Entleerung bei Hyperazidität und Hypersekretion 
mit oder ohne Ulcus lässt sich eine viel einfachere Erklärung geben. 
Wenn wir uns die Geschwindigkeit der Magenentleerung als eine 
Resultierende des Wirkens der austreibenden Kräfte und der Wider¬ 
stände am Pylorus vorstellen, so liegen hier die Verhältnisse in jeder 
Beziehung für eine rasche Entleerung günstig. Die peristolische und 
peristaltische Funktion des Malens ist entschieden gesteigert, der 
Widerstand in Form der Hubhöhe fällt durch die Verkürzung des 
Magens und die relativ tiefe Lage des Pylorus weg, schliesslich, wms 
am meisten den Ausschlag gibt, der Pylorus steht offen. Wir sehen 
das kontinuierliche Uebertreten von Mageninhalt in das Duodenum 
direkt in Form eines Schattenbandes, welches das Antrum pylori 
und die Pars superior duodeni verbindet. Die Existenz eines Mus- 
culus dilatator pylori nach Toldt gibt den Schlüssel für das Ver¬ 
ständnis dieses Bildes. Mit der Totalkontraktion der Magenmuskula¬ 
tur sind auch die zwischen dem Sphincter pylori verlaufenden Längs¬ 
fasern des Dilatator is einen erhöhten Tonus versetzt und durch die 
gleichzeitige Kontraktion des Sphinkter und Dilatator pylori ist dessen 
Lumen in einen wohl engen, aber permanent offenen Kanal verwan¬ 
delt, durch den der flüssig-breiige Mageninhalt ebenso unaufhörlich 

Digitizedby (jOOOlC 


abfliessen kann, wie wir es bei der skirrhösen Infiltration des Pylorus 
sehen, wo ein anatomisch verengter, aber starrwandiger Pylorus das 
bekannte Bild der Pylorusinkontinenz darbietet. 

(Schluss folgt.) 


Aus der k. Universitäts-Ohrenklinik in Würzburg. 
(Vorstand: Professor Hofrat L)r. W. Kirchner.) 

Ueber die Anwendung von Ortizon in der Ohren¬ 
heilkunde. 

Von Ur. C. Kirchner. 

Angeregt durch die guten Erfolge, welche mit Ortizon bei 
Verletzungen und Wunden erzielt worden sind, versuchte ich dieses 
Präparat auch bei der Behandlung von Ohrenkrankheiten, und da 
mir ein Bericht über die Anwendung und Wirkung des Mittels in 
der Ohrenheilkunde bis jetzt nicht bekannt geworden ist, halte ich es 
für zweckmässig, meine Erfahrungen mit diesem Mittel das meine 
Erwartungen vollauf erfüllte, ipitzuteilen. 

Ich habe das Ortizon in den drei Formen, am häufigsten aber in 
Pulverform, und zwar bei akuten und chronischen Mittelohreiterungen 
verwendet. Das Ortizonpulver brachte ich mittels eines Wattestäb¬ 
chens oder Pulverbläsers in den Gehörgang, an das durchlöcherte 
Trommelfell oder an die gewucherte Paukenhöhlenschleimhaut. So¬ 
bald das Pulver in die Tiefe des Gehörganges gelangt, entwickelt sich 
sofort ein ungemein dichter Schaum, wodurch in kurzer Zeit der Ge¬ 
hörgang derart gereinigt wird, dass die otoskopisehe Untersuchung 
ohne weitere Schwierigkeit erfolgen kann. Gerade bei akuten Olir- 
eiterungen ist dieses Präparat als direkt ideal zu^ bezeichnen, be¬ 
sonders wenn die Absonderung serös-eitrig ist. Die Schmerzhaftigkeit, 
das brennende Gefühl, das öfters beim Eingiessen von lauwarmer 
Wasserstoffsuperoxydlösung entsteht, trat niemals bei der Puver- 
behandlung mit Ortizon auf. Auch bei chronischen Mittelohreite¬ 
rungen zeigte sich nach kurzer Zeit ein Nachlassen der Eiterung, auch 
der ungemein lästige iible Geruch, den manche chronische Ohreite¬ 
rungen mit sich bringen, verschwand sehr bald und die mit zähen, 
schmierigen Massen bedeckten Mittelohrbuchten reinigten sich rasch 
und vollständig, so dass man die geschwellte Paukenhöhlenschleim¬ 
haut deutlich überblicken und zweckmässig behandeln konnte. Noch 
auf einen anderen wesentlichen Punkt möchte ich liier himveisen. 
Es ist jedem Ohrenarzt bekannt, dass Ausspülungen, auch wenn die 
Flüssigkeit noch so gut lind richtig temperiert ist. von den Patienten 
mitunter sehr schlecht vertragen werden, dass Schwindelgefühl, Er¬ 
brechen, Ohnmacht u. dgl. auftreten, welche Erscheinungen bekannt¬ 
lich mit einer Reizung des inneren Ohres in Zusammenhang zu bringen 
sind. Derartige Zustände sind für den behandelnden Arzt immer 
unangenehme Zwischenfälle, auch der Patient selbst wird ängstlich 
und mit Bangen lässt er bei der nächsten Behandlung eine weitere 
Ausspülung ausführen. Unter solchen Umständen sieht sich der Ar-zt 
genötigt, jedes Ausspülen zu unterlassen. Aber auch Eingiessungen 
von Arzneilösungen werden zuweilen ebenso schlecht vertragen wie 
die Ausspritzungen und verursachen dieselben Beschwerden. In 
solchen Fällen habe ich sehr gute Erfolge bei der Anwendung des 
Ortizonpulvers gesehen. Die genannten Beschwerden. Schwindel. 
Kopfschmerz, Uebelkeiten traten nicht mehr auf. Infolge seiner 
intensiven Schaumentwäcklung reinigt das Ortizonpulver den Gehör¬ 
gang und die tiefen Ohrteile gründlich und oft besser, als es durch 
Ausspülung möglich ist. Die Anwendung von Ortizonpulver ist auch 
angezeigt bei denjenigen Ohreiterungen, die in Abheilung begriffen 
sind, bei denen nur noch geringe Eiterung besteht und die daher nicht 
mehr mit Ausspülungen und Einträufelungen von Wasserstoffsuperoxyd 
oder anderen Arzneilösungen behandelt werden dürfen. Einblasung 
von Ortizonpulver beschleunigt, wie ich vielfach beobachten konnte, 
den Heilverlauf solcher Mittelohreiterungen, so dass sehr bald die 
Absonderung aufhört und die Trommelfeilöffnung sich schliesst. Be¬ 
kanntlich sollen bei Trommelfellzerreissungen infolge direkter oder 
indirekter Gew'alteinwirkung. Explosionen etc. keine Eingiessungen 
oder Ausspülungen vorgenommen werden, auch wenn bereits geringe 
Sekretion und Röte am Trommelfell vorhanden ist. da Gefahr be¬ 
steht, dass dadurch eine langwierige, mitunter schwere Mittelohr¬ 
eiterung hervorgerufen wird Durch Einblasen von Ortizonpulver 
lässt, wie ich beobachten konnte, diese serös-eitrige Absonderung bald 
nach, eine Uebertragung auf die Mittelohrteile und darauffolgende 
Eiterung fand nicht statt, der Gehörgang wurde stets auf diese Weise 
von Staub und anderen eingedrungenen schädlichen Massen gereinigt 
und bald Heilung erzielt. Das Ortizonpulver bewirkt nicht nur eine 
Reinigung des Gehörganges, cs zerstört auch die Bakteriengifte in 
demselben und entfernt ohne besondere Reizung die übelriechenden 
Eitermassen. Ferner hat das Wundstreupulver den grossen Vorzug, 
dass es überall hin leicht zu transportieren ist. was bei den übrigen 
Waserstoffsuperoxydpräparaten nicht der Fall ist. Beabsichtigt man 
eine Lösung von Wasserstoffperoxyd herzustellen, so kann man dies 
sofort. Es werden 5 g Pulver in 3 Esslöffel Wasser gelöst und auf 
diese Weise hat man eine 3 proz. Wasserstoffsuperoxydlösung. 

Weiterhin habe ich mit sehr gutem Erfolge die zweite Form, 
die Ortizonstifte angewandt. Ueber die Verwendungsmöglichkeit von 
Ortizonstiften sind viele Berichte erschienen. Diese Stifte werden 
in der Kriegszeit mit gutem Erfolge in den Lazaretten verwendet, 
besonders, wie ich schon erw'ähnt habe, bei den grossen eitrigen 
jauchigen Wunden. Auch iu der Ohrenheilkunde feisten diese Stifte 

Original from 

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-30. Juli 19IS. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


847 


treffliche Dienste. Von einer Einführung in den Gehörgang habe ich 
abgesehen, ich habe nur die Ortizonstihe in Operationswunden ein¬ 
gelegt, die sehr stark eiterten. Die Wunden reinigten sich nach 
kurzer Zeit, der eitrige Belag verschwand und eine gute Granulations- 
biklung trat auf. Auch der üble Geruch, der bei Ohroperationen mit 
starken Eiterungen besonders im Sommer sehr lästig von Jedermann 
empfunden wird, liess nach. Schmerzen traten niemals nach dem 
Einlegen der Stifte auf, ich habe 4—5 Stifte ohne irgendwelche Be¬ 
schwerden von seiten der Patienten eingelegt. Als dritte Form 
kommt Ortizon in Form von Kugeln zur Anwendung. Auch mit diesem 
Präparat habe ich Versuche angestellt. Es ist bekannt, dass manche 
Ohrkrankheiten in engem Zusammenhang mit einer Erkrankung der 
Schleimhaut des Nasenrachenraums stehen. Schwellungen der 
Schleimhäute führen zu Tubenkatarrhen und der Ohrenarzt muss 
auch besonders auf diese Erkrankungen sein Augenmerk richten, um 
eine Heilung des Ohrleidens zu erzielen. Man verordnet daher Gurge- 
lungen mit Alaun, gewöhnlichem Kochsalz, Borpulver u. dgl., auch 
3 proz. Wasserstoffsuperoxyd findet vielfach Anwendung. Dieses 
Wasserstoffsuperoxyd wird aber sehr häufig schlecht vertragen. Erst 
mit der Einführung von „Perhydrol Merck“ wurde in diesem Punkte 
eine wesentliche Besserung erzielt. Die Ortizonkugeln sind be¬ 
quem auizubewahren und ihre Anwendung ist sehr leicht und ein* 
fach. Ein bis zwei Kugeln löst man am besten in lauwarmem Wasser 
auf und erhält auf diese Weise ein angenehm schmeckendes Mund¬ 
wasser. das desinfizierend auf die Mund- und Rachenschleimhaut 
wirkt. Eine Anätzung der Schleimhaut des Mundes oder des Rachens 
konnte ich niemals beobachten. Nach kurzem Gebrauche liess die 
Schwellung der Schleimhaut im Nasenrachenraum n'aeh. die Patienten 
wurden bald von dem lästigen Würgreiz befreit. Das Nachlassen 
der Schleimhautschwellung blieb natürlich nicht ohne Einfluss auf 
das Ohrenleiden, auch dieses besserte sich alsbald. Ein grosser Vor¬ 
zug des Ortizon ist* seine Ungiftigkeit. Man kann es daher Kindern 
ohne Gefahr als Gurgelwasser verordnen, da das Verschlucken der 
Lösung vollständig unschädlich ist. Wie aus meinen Versuchen und 
Beobachtungen mit Ortizon sich ergeben hat, besitzen wir in diesem 
Präparat ein vortreffliches Mittel, das dem offizineilen Wasserstoff¬ 
superoxyd in vielen Fällen vorzuziehen ist und in seinen drei Formen 
sehr gut in der Ohrbehandlung zu verwenden ist. 


Aus dem Reservelazarett Schloss Hornberg. 
(Chefarzt: Privatdozent Dr. Kehrer.) 

Die Aufdeckung des wahren Hörvermögens bei 
funktioneller Schwerhörigkeit. 

Von Dr. Balthasar Berthold, Oberarzt d. R. 


Nadoleczny hat September 1916 einen Versuch angegeben 
zur Feststellung der Hörweite bei vorgetäuschter oder übertriebener 
Schwerhörigkeit bzw. Taubheit (M.m.W. 1916 Nr. 37): Der Unter¬ 
suchte wird auf Ablesen geprüft. Zu gleicher Zeit ruft eine verdeckt 
airfgestdlte Person in leiser Flüstersprache auf 4—5 m Entfernung 
Reizworte zu. Bei gut eingelernten Kräften ergibt das Resultat fast 
immer die Tatsache einer funktionellen Störung des Hör¬ 
apparates. Zu jener Zeit gab es für die Otiater nur organische oder 
simulierte Schwertiörigkeit oder Taubheit. Das Krankheitsbild der 
hysterischen Schwerhörigkeit bzw. Taubheit wurde zum erstenmal 
mit aller Energie von Prof. K ü mm e 1 - Heidelberg vertreten, und 
ist jetzt als Krankheitseinheit von fast allen Otiatern anerkannt. 

Es lag nun nahe, den „Nadoleczny“ auch für die hysterische Total¬ 
taubheit und für die hysterische Schwerhörigkeit anzuwenden. Gegen 
die Vornahme des Versuchs bei der totalen Taubheit ist nichts ein- 
zuwenden. der Versuch ist vielmehr das einzige Mittel, um die sprach¬ 
liche Ansprechbarkeit des Gehörorgans nachweisen zu können. Da¬ 
gegen haben wir uns immer gesträubt, den Versuch auch auf hyste¬ 
rische Schwerhörige zu übertragen, denn nur ein geringer Prozentsatz 
dieser Leute kann ablesen, und es wäre ein grober Kunstfehler, die 
Leute zuerst ablesen zu lehren — wenn es sich auch mir um die Zabl- 
worte 1—10 handelte —; um diesen Versuch ausführera zu können. 
Man w'ürde einen iatrogenen hysterischen Infekt auf das so leicht 
empfängliche hysterische Gemüt setzen, und der Hysteriker würde 
— um sein Krankheitsbild geschlossen vorführen zu können — die 
von einem Arzte gelehrten Anfangsgründe im Absehunterricht weiter 
ausbauen, er würde lernen, die Gehörseindrücke ganz zu verdrängen, 
er würde total taub. Wir müssen daher alles vermeiden, was auch 
nur im geringsten dazu geeignet wäre, hysterische Symptome zu ver¬ 
steifen, zu vermehren, oder gar die Grundlage zu einer neuen 
Hysterie zu bilden. 

Ich habe zum Teil aus diesen Erwägungen heraus nach einer 
anderen Methode gesucht und glaube, sie auch gefunden zu haben. 

Die Diagnose der funktionellen Schwerhörigkeit (Hysterie und 
Simulation) von der organischen Schwerhörigkeit wird vom Otiater 
mit leidlicher Sicherheit gestellt. Die funktionellen Hörgeschädigten 
des 14. A.K. werden fast ausschliesslich dem Reservelazarett Hom¬ 
berg zur Psychotherapie überwiesen (200 seit Januar 1917). Dabei 
handelt es sich fast ausnahmslos um eine durch Granatexplosion be¬ 
dingte Aufpfropfschwerhörigkeit (alte Trommelfellperforation, alte 
Tromtnelfellnarben, Verkalkungen etc.). Nur zaghaft wagte man sich 
an diese Fälle heran, weil man unter jetzigen Bedingungen nur „via 


Nr. 31. 

Digitized by 


Gck igle 


dolorosa“ ein gutes Endresultat bei der Psychotherapie erreichen 
kann. 

Nach längeren Versuchen ist es nun gelungen, einen für die 
hysterische Seele unschädlichen Weg ausfindig zu machen, der bei 
der Hörprüfung die psychogene Ueberlagerung durchdringt und das 
absolute Hörvermögen aufdeckt. 

Die Prüfung geht derart vor sich, dass der Arzt mit der lautesten 
Umgangssprache oder Schreien (je nach den von seiten des Patienten 
angegebenen Graden des Hörvermögens) einen eng umschriebenen 
Wortschatz zwei- und schliesslich dreistelliger Zählen so lange zuruft 
bis der Untersuchte ohne Zögern prompt, exakt und automatisch nach¬ 
spricht. Die Reizworte (ich rufe gewöhnlich die Zahlen 10, 20, 
30 etc. bis 200, sodann Zahlen wie 113, 155, 163, 158 etc.) müssen 
mit immer kürzerem Intervall folgen und wenn Schlag auf Schlag 
die Antwort erfolgt, wird die letzte Ziffer der Zahl beim Zurufen des 
Zahlworts in lauter Flüstersprache gesprochen; dadurch ist 
die laute Fliistersprache zwischen lauteste Sprache geschaltet. Z. B.: 



lauteste Sprache 

laute Fliistersprache 

lauteste Sprache 

153 

hundert 

dreiund 

fünfzig 

121 

hundert 

einund 

zwanzig 

147 

hundert 

siebenund 

vierzig 


Man überrumpelt den Patienten. Es ist zweckmässig, immer 
wieder Zahlen einzuschalten, die ganz in lauter Sprache zugerufen 
werden. 

Der Arzt muss sich eine gewisse Technik aneignen, damit die 
Silben der Zahlen nicht stockend vorgebracht werden, sondern gut 
gebunden sind. Die Psyche des Untersuchten ist nunmehr — bei 
plötzlicher Einschaltung der Fliistersprache — nicht imstande, die 
differenzierten Stimmstärken zu apperzipieren. An Hand einiger 
Krankengeschichten möchte ich diese Methode erläutern. 

36 jähriger Unteroffizier, im Feld 1917, erkrankt an Schwerhörig¬ 
keit rechts ohne scheinbare Ursache; die einigemal im Revier vor¬ 
genommene Ohrspülung soll schuld sein an der jetzt noch bestehen¬ 
den hochgradigen Schwerhörigkeit. Abgesehen von leichter Trübung 
beider Trommelfelle und einer ganz leichten Unwegsamkeit der rech¬ 
ten und linken Ohrtrompete waren in der Heidelberger Klinik keiner¬ 
lei Veränderungen nachweisbar. Da der Vestibularapparat normal 
ansprechbar, und weil der Patient durch die Uebertäubung des linken 
Ohres durch die Lärmtrommel der Aufforderung (in gewöhnlicher 
Umgangssprache) die Augen zu schliessen, prompt naebkam, wurde 
von Herrn Prof. Kümmel die Diagnose auf funktionelle Schwer¬ 
hörigkeit gestellt. 

Bei der Aufnahme im hiesigen Lazarett am 17. XI. 17 hörte Pat. 
links leise Flüstersprache auf 6 m, rechts nur lauteste Umgangs¬ 
sprache auf 5 m. Aus 5 m Entfernung wurden nun folgende Zahlen 
in lautester Umgangssprache und lautester Flüstersprache — letztere 
in Fettdruck — zugerufen: 


Reizwort 

Reaktion 

Reizwort 

Reaktion 

10 

10 

153 

153 

20 

20 

147 

147 

30 

30 

158 

158 



167 

167 



133 

103* 



147 

147 

180 

180 

129 

129* 

190 

190 

179 

179 

200 

200 

118 

108* 

Auf Grund 

dieser Reaktion (der 

mit * bezeichncten Zahlen) 

wurde Patient 

sofort psychotherapiert 

und eine 

Flüstersprache auf 


6 m rechts erzielt. 

2. Es handelt sich um einen 36 jährigen Militär-Rentenempfänger, 
der wegen Verschlimmerung einer Schwerhörigkeit bis zur Taubheit 
auf beiden Ohren mit 50 Proz. Rente und Verstümmelungszulage 
Februar 1916 aus dem Heeresdienst entlassen wurde. 

19. XI. 17 zur Nachuntersuchung zu Herrn Prof. Kümmel- 
Heidelberg. Dortiger Befund: Ist total taub. An beiden Trommel¬ 
fellen, besonders links deutliche narbige Veränderungen, Ohrtrom¬ 
peten gut durchgängig. Da der Vestibularapparat auf kühle Aus¬ 
spülungen beiderseits regelrecht reagiert und weil Pat. auch Wör¬ 
ter — angeblich! — abliest, die nicht ablesbar sind, wurde von Herrn 
Prof. Kümmel aufgepfropfte, funktionelle Schädigung des Gehör¬ 
apparates angenommen. „Wie gross der Anteil der organischen 
Schwerhörigkeit in Wirklichkeit ist, lässt sich erst durch die 
Psychotherapie feststellen.“ 

Bei der Aufnahme am 21. XI. 17 in hiesiges Lazarett ist Patient 
total taub. Auch der Versuch von Nadoleczny schlug fehl. Durch 
die von mir angegebene „Aufbaumethode“ (s. M.m.W. 1917 Nr. 38 
S. 1251) gelingt es für kurze Zeit (3 Minuten), die Apperzep¬ 
tion der Vokale zu erzwingen. Erneute Sperrung wurde durch An¬ 
wendung galvanischer Ströme von 15—20 Milliampere gebrochen. 
Apperzipiert lautes Schreien auf 4 m. Der jetzt vorgenommene (aus 
4 m Entfernung) oben beschriebene Versuch ergibt folgendes Re¬ 
sultat: 


Reizwort 

Reaktion 

Reizwort 

Reaktion 

Reizwort 

Reaktion 

10 

10 

115 

115 

135 

135* 

20 

20 

136 

136 

117 

117 

30 

30 

149 

149 

148 

148* 


Original frorri 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




848 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31- 


Reizwort Reaktion 

Reizwort Reaktion 

Reizwort Reaktion 


158 158 

129 

129* 


135 135 

115 

115 



113 

103* 

191) 190 


149 

149 

200 200 


148 

108* 

Erneute Suggestion 

(Suggestivspritze, 

Belobigung = 

Zucker- 


brot!) erzielen eine Hörschärfe links und rechts laute Flüstersprache 
auf 3-—4 m partiell. 

3. 31 jähr. Gefreiter L. Sch. habe schon vor dem Kriege an 
Ohrenleiden gelitten. Im Felde angeblich nach Granatexplosion am 
28. VIII. 14 beiderseitiges Ohrlaufen. Deswegen zurück in die Heimat. 
Wieder ins Feld. Erneute Störung dies Hörvermögens durch Granat¬ 
explosion Juli 1917. Wegen' hochgradiger Schwerhörigkeit ins La¬ 
zarett. Am 16. XI. 17 in Ohrenklinik Heidelberg. Dortiger Befund: 
An beiden Trommelfellen leichte Trübung und geringe Vernarbung. 
Links starke Einziehung. Linke Tube stenosiert. Auf Grund wech¬ 
selnder Hörbefunde diagnostizierte Prof. Kümmel: „in der Haupt¬ 
sache eine psychogene Schwerhörigkeit, wenn auch links eine leichte 
Mittelohrschwerhörigkeit vorhanden sein kann“. Bei der hiesigen 
Aufnahme am 22. XI. 17 hörte Patient rechts normal, links laute 
Umgangssprache auf 4 m, laute Flüstersprache ad concham. Prüfung 
des Gehörs nach meiner Methode: Der Untersuchte steht in 4 m 
Entfernung. Es wird laute Umgangssprache und laute Flüstersprache 
zugerufen. 


Reizwort 

Reaktion 

Reizwort 

Reaktion 

10 

10 

113 

113 

20 

20 

135 

135 

30 

30 

14b 

14b 



135 

135* 



119 

119 



113 

113* 



158 

158* 

190 

190 

119 

119 

200 

200 

145 

145* 

Gestützt 

auf das Ergebnis 

wrnrde die sofortige 

Therapie vorge 

nommeii, die 

für das linke Ohr 

Flüstersprache auf 

5 m ergab. 


Die Methode hat gegenüber der von Nadoleczny ange¬ 
gebenen einige Vorteile: Das Ablesen wird ausgeschaltet, wir sind 
nicHt mehr an die Intelligenz des Prüflings oder an dessen guten 
Willen gebunden. Durch den kurzen militärischen Befehl wird der 
Untersuchte zum schnellen Nachsprechen des Gehörten, zur Ein¬ 
schaltung der einfachsten Reflexbahn zwischen üehörzentrum und 
motorischem Sprachzentrum gezwungen. Die Apperzeption des ge¬ 
hörten und gesprochenen Wortes kommt zu spät, um irgendwelche 
Bremsung vornehmen zu können. Die Methode stellt in ihrer An¬ 
wendungsweise letzten Endes eine Ablenkung des Bewusstseins, eine 
Ueberrumpelung des Patienten dar, die dadurch bewerkstelligt wird, 
dass unter der psychisch aufgezwungenen Einstellung auf das 
schnelle Nachsprechen die Stimmstärke (Flüsterzahl) unbeachtet 
bleibt und bei ihrer plötzlichen Zwischenschaltung unbewusst, auto¬ 
matisch mitgesprochen wird. Wir sind bildlich gesprochen imstande, 
die auf dem Wege der Schallperzeption befindliche Falltiire für einige 
Zeit — bei hysterischen Störungen — zu heben. Dass aber auch die 
angegebene Methode bei simulierter Schwerhörigkeit ihre Anwendung 
finden kann, liegt in ihrem Prinzip der Ueberrumpelung. 

Besondere Bedeutung wird diese Art der Hörprüfung für den 
vielbeschäftigten Sanitätsoffizier haben, der nunmehr imstande ist, in 
sehr kurzer Zeit den objektiven Befund des wahren Hörvermögens 
festzustellen. 

Ueber Wasserbeurteilung im Felde. 

Von Stabsarzt Prof. Dr. Fromme, Korpshygieniker. 

Es gehört zu den Aufgaben der truppenärztlichen Tätigkeit, über 
die Brauchbarkeit und Trinkbarkeit eines Wassers Aufschluss zu 
geben. Die Beurteilung der Beschaffenheit eines Wassers hängt von 
der Entscheidung ab, ob K r a n k h e i t s k e i m e • hineingelangen 
können, also Typhusbazillen, Paratyphusbazillen, Ruhrbazillen, 
Cholerabazillen und andere krankmachende Bakterien, die mit den 
Entleerungen, vor allem Stuhl und Urin, in grossen Mengen in die 
Aussenwelt ausgeschieden werden. Praktisch ist demnach fest¬ 
zustellen, ob auf irgendeine Weise fäkalische Bestandteile sich dem 
Wasser beimischen. Die Anlage muss daraufhin zunächst einer ein¬ 
gehenden örtlichen Besichtigung unterzogen werden. 

Aus Flüssen, Bächen, Teichen, Seen, Gräben, 
W fesenquellen stammendes Wasser ist als verunreinigt an- 
zusehen. 

Q u e 11 w a s s e r ist mit Vorsicht zu beurteilen. Seine Güte 
hängt wesentlich von der Filterkraft der durchwanderten Erd- und 
Gesteinschichten ab. Bei 'Kreide und Kalkformationen gelangen 
durch deren Zerklüftungen oft oberflächliche Verunreinigungen ins 
Grund- und Quellwasser. Fassung und Umgebung der Quelle müssen 
so beschaffen sein, dass auch hier Verunreinigungen vermieden 
werden. 

Bei Brunnen ist zunächst die Umgeh u n g genau zu be¬ 
sichtigen. Besonders in eng verbauten Höfen achte man auf schwer 

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zugängliche Winkel, aui Dungstätten auch des Nachbargrundstückes. 
Jauche-, Abort-, Müllgruben, Ställe, Schmutzwasserrinnen müsset» 
eine Entfernung von dem Brunnen haben, die mindestens so viele 
Meter beträgt, wie der Brunnen tief ist (nicht unter 10 m). Bei 
Versickergruben erhöht sich die Entfernung um die Tiefe der Sicker¬ 
grube. 

Die Brunnenschächte sollen wasserdicht abgedeckt sein,, 
der B r u n n e n r a ji d ist bis auf 30 cm über Oberfläche zu erhöhen,, 
die S c h a c h t w a n d bis zu 1 m unter Oberfläche wasserdicht aus¬ 
zuzementieren. Fehlt Zement, so lassen sich als Notbehelf durch 
Lehm sowie Bretter, die mit Dachpappe oder Blech beschlagen sind,, 
wasserdichte Wände hersteilen. 

Müssen iniolge Pumpenmangel oder aus anderen Gründen Zieh¬ 
oder Windenbrunnen benutzt werden, so kann durch zweck¬ 
mässige Einrichtung und Handhabung der Grad der Verunreinigung 
des YVassers vermindert werden. Am Seil oder an der Kette ist ein 
Eimer dauernd zu befestigen, der nur zur Wasserentnahme dient. 
Um ihn zu anderen Zwecken ungeeignet zu machen, empfiehlt es sich., 
am Boden Bügel anzubringen, so dass er nicht hingestellt werden 
kann. Denn der Schmutz, der beim Hinstellen des Eimers in der oft 
durch Nässe verunreinigten Brunnenumgebung an dem Eimerboden¬ 
haften bleibt, bedingt eine erhebliche Verunreinigung des Brunnen¬ 
wassers. Bei Nichtbenutzung des Brunnens wird der Eimer an einem 
am Windengestell angebrachten Haken aufgehängt. Um den herab¬ 
gelassenen Eimer zum Untersinken zu bringen, beschwert man den- 
oberen Rand des Eimers an einer Seite durch Anbringen eines Eisen- 
stiiekes. So sinkt er rasch unter und Beschädigungen der Anlage 
und Verunreinigungen des Wassers werden leichter vermieden. 

Neben dem Brunnen ist ein Rost zum Aufstellen der Wasser¬ 
eimer anzubringen. Die Schachtöffnung wird mit Deckel verschlossen,, 
die ganze Anlage zweckmässig mit einem kleinen verschliessbaren 
Brunnenhäuschen umgeben. 

Trotz dieser Vorsichtsmassregeln bleibt bei offenen Schacht¬ 
brunnen die Möglichkeit der Verunreinigung bestehen. Das Wasser 
solcher offener Schachtbrunnen darf deshalb grundsätzlich- 
nur in abgekochtem Zustande genossen werden. 

Schachtbrunnen lassen sich nur durch Einbauen von Pumpen* 
in einwandfreie Anlagen umgestalten. Das Pumpenrohr wird an der 
Schachtwand befestigt, damit das Ausflussrohr möglichst nicht über 
dem Schacht liegt. 

Die Pumpe muss auf erhöhter Unterlage stehen, so dass nach 
allen Seiten hin guter Abfluss möglich ist. Der Schacht selber ist 
durch überfallenden Deckel gegen einfliessende Tagewässer zi* 
sichern. 

Für sichere Abdichtung besonders an den Durchtrittsstellen der 
Rohre ist zu sorgen, damit vom Pumpenstock oder vom Pumpen¬ 
gestell her herunterilicssendes Wasser nicht in das Brunnenwasser 
gelangt. Solche Undichtigkeiten treten leicht infolge der Erschütte¬ 
rungen beim Pumpen ein. Daher ist gute Befestigung des Pumpen¬ 
stocks nötig. Im Schacht muss noch eine wasserdichte Zwischen¬ 
decke eingebaut werden, die etwa herunterfliessendes Wasser auf¬ 
fängt und Verunreinigungen, die beim Einsteigen in den Schacht aus 
Anlass von Reparaturen ins Wasser fallen, fernzuhalten. 

Bei Schachtbrunnen, deren Wasserspiegel weniger als 7—8 ni 
unter Oberfläche liegt, aus denen also das Wasser allein durch Sauger* 
gefördert werden kann z. B. mittelst der einfachen Abessinier- 
Pumpen, wird die Pumpe abseits vom Schacht airigestellt und durch 
Schlepprohr mit diesem verbunden. Schacht und nähere Umgebung 
werden dann durch Einzäunung gegen Zutritt gesichert. 

Bei der Beurteilung der örtlichen Verhältnisse eines Brunnens 
ist daher auch damit zu rechnen, dass der Brunnenschacht weit von 
der Pumpe entfernt, nicht selten an bedenklicher Stelle liegt. Seine 
Lage muss bekannt sein, wenn man entscheiden will, Pb Ver¬ 
unreinigungen in das Brunnenwasser hineingelangen können. 

Weit grössere Sicherheit gegen Verunreinigung des Grund- 
wassers durch Oberflächenwasser gewähren indes Rohr- 
b r u n n e n. Das sind einmal die Abessinierbrunnen, die bis¬ 
in das Grundwasser eingerammt werden, und dann vor allem die 
B o h r b r u n n e n. Bei Neuanlagen von Brunnen ist ihnen daher 
auch aus hygienischen Gründen der Vorzug zu geben. Auch hier ist 
wichtig Sicherung des Bohrlochs, Erhöhung des Erdreichs, Beto¬ 
nierung im Umfange von 2 m Umkreis bzw. Abdeckung mit wasser¬ 
dichtem Material, sichere Stützung des Pumpenstocks. 

Bohrbrunnen werden oft mit A r b e i t s - oder Revisions¬ 
schächten angelegt, oder als Schachtbrunnen begonnene Anlagen 
später als Bohrbrunnen zu Ende geführt. Diese Schächte müssen 
am Boden desgleichen undurchlässig hergestellt werden. Besondere 
Sorgialt ist auch hier auf die Stellen zu verwenden, an denen die 
Rohre durchtreten. 

Die Wasserentnahmestelle soll wenigstens 10 m weit 
vom Brunnen entfernt liegen, da erfahrungsgemäss die Stellen 
leicht verschlammen und so das Brunnenwasser gefährden. Von der 
Entnahmestelle muss das Ueberlaufw'asser in undurchlässiger und irr 
dem Brunnenschacht oder Bohrloch entgegengesetzt laufender Rinne 
weit fortgeleitet werden. Ebenso sind Einrichtungen zum 
Spülen und Waschen so weit wie möglich vom eigentlichen 
Brunnen entfernt anzulegen, so dass das Schmutzw-asser vom Grund¬ 
wasser des Brunnens ferngehalten wird. 

Original From 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



30. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Die Entnahme von Wasser ist bequem, versehen mit Vorrich¬ 
tungen zum Aufstellen von Eimern usw., andererseits aber auch so 
anzulegen, dass Wasservergeudung vermieden wird. Hochgeführte 
Leitungen empfehlen sich zur Entnahme von Wasser für Wasser wagen. 

Der Wasserbedarf steigert sich zu bestimmten Stunden am Tage. 
Um für diese Zeiten Wasservorrat zu sammeln und so ein Warten 
und Drängen und etwaige Beschädigungen zu vermeiden, empfiehlt 
sich Anlage von Hochbehältern in der Nähe von Brunnen, aus 
denen das Wasser durch Zapfhähne entnommen wird. Bei grösseren 
Anlagen kann aus ihnen das Wasser in ausgedehnten Leitungen weit¬ 
hin verteilt werden. Die Beurteilung von Wasser aus Wasser¬ 
leitungen hat sich auf die Möglichkeiten der Verunreinigung an 
der Gewinnungsstelle und auf dem Wege von hier bis zum Zapfhahn 
zu erstrecken. 

Sind so alle Möglichkeiten der Verunreinigung des Wassers im 
Boden sowohl wie auf dem Wege vom Grundwasser bis zum Ent- 
nahmegefäss durch eine gründliche örtliche Besichtigung berück¬ 
sichtigt, so gehen wir nunmehr zur Beurteilung des Wassers 
selber über. Uns stehen hierzu zur Verfügung die physi¬ 
kalische, die bakteriologisch-mikroskopische und 
die chemische Untersuchung. 

Ein physikalisch einwandfreies Wasser ist klar, 
farblos, geruchlos, frei von Beigeschmack und frei von festen Stoffen. 
Die Prüfung auf diese Anforderungen ist leicht durchführbar und gibt 
für die Beurteilung wertvolle Anhaltspunkte. Das Erkennen leichter 
Trübungen und Vorhandensein von festen Stoffen wird erleichtert, 
wenn das zu untersuchende Wasser in gut gereinigte Literflaschen 
aus farblosem Glase eingefüllt wird. Ich habe hierzu Flaschen im 
Gebrauch, die mit einem schwarzen Längsstreiien versehen sind, vor 
dem sich Trübungen und Schwebestoffe leicht abheben und erkennen 
lassen. Mit einiger Uebung werden so die feinsten Teilchen erkannt'. 
Weiterhin gibt einen guten Aufschluss über Anwesenheit solcher 
Körper etwaiger Niederschlag, der sich nach eintägigem Stehen am 
Flaschenboden ansammelt. 

Bei der Untersuchung mit dieser Prüf i lasche lassen sich 
organische (Detritus und Plankton) und anorganische Bestandteile 
mikroskopisch meist leicht erkennen. Anwesenheit von Pflanzen¬ 
resten macht die Qualität des Wassers besonders bedenklich. 
Anorganische Beimengungen wie Eisen, Kreide brauchen nicht gegen 
die Genussfähigkeit des Rohwassers zu sprechen. 

Die Prüfung einer Wasserprobe auf seine physikalische Be¬ 
schaffenheit in Verbindung mit der örtlichen Besichtigung ergibt in 
den meisten Fällen bereits eine Entscheidung über die Qualität des 
betreffenden Brunnens. Da sie an Ort und Stelle ausgeführt werden 
kann, so führt sie schnell zum Ergebnis. 

Die bakteriologische Untersuchung eines Wassers hat 
den Zweck, etwaige Verunreinigungen festzustellen: durch Auszählen 
der in bestimmten Wassermengen enthaltenen Keime und durch 
quantitativen Nachweis der für eine fäkalische Herkunft sprechenden 
Kolibazillen. Unter Keimzahl versteht man die in 1 ccm Wasser 
nach 48stündiger Bebrütung bei 22° in einem bestimmten Gelatine¬ 
nährboden ausgezählte Anzahl von Keimen. Um zu verwertbaren 
Ergebnissen zu kommen, ist sachgemäss vorgenommene Entnahme 
und Uebersendung der Proben Voraussetzung. In nach¬ 
folgender Anweisung wird auf die wichtigsten Punkte aufmerk¬ 
sam gemacht. Als Flaschen verwenden wir sterilisierte 200 ccm- 
Flaschen. deren Kork an der Flaschenöffnung mit Watte umgeben, 
Kork und Watte dann wieder mit Papier überdeckt ist, das durch 
Bindfaden um den Flaschenhals befestigt wird. 

Anweisung für die Entnahme von Wasserproben zur bakteriologischen 
und chemischen Untersuchung. 

A. Proben zur bakteriologischen Untersuchung. 

1. Sow eit es sich nicht um Laufbrunnen handelt, sind die Brunnen 
bei starkem Auslauf 5, bei schwachem Auslauf 10 Minuten lang 
gleiehmässig abzupumpen. Die Proben werden dann, ohne dass mit 
dem Pumpen zeitweilig aufgehört wird, in eine sterile Flasche ein- 
geiüllt. 

2. Die für die Uebersendung der Proben bestimmten Flaschen 
sind sterilisiert aus dem Laboratorium des Korpshygienikers zu er¬ 
halten. Bei den Flaschen darf der durch Watte uird Papier abge¬ 
schlossene Kork beim Oeffnen der Flasche mit den Fingern nicht 
berührt werden, die Flasche nicht länger geöffnet bleiben, als zum 
Einfliessen des Wassers nötig ist. Nach dem Einfüllen ist-das Schutz¬ 
papier mit dem Bindfaden wieder fest zu umschnüfen. 

3. Auf den Schildern ist zu vermerken: 

a) Ort, Strasse, Hausnummer bzw. Brunnennummer, 

b) Zeit der Entnahme, 

c) Bemerkungen, die sich auf eine möglicherweise aicht sterile 
Entnahme beziehen. 

4. Die Proben sind auf schnellstem Wege dem Laboratorium im 
K. H. Qu. zuzustellen. Beim Transport sind die Flasqhen vor Licht 
und Wärme zu schützen. Sie sind aufrecht zu tragen, so dass eine 
Benässung der Watte möglichst vermieden wird. 

B. Proben zur chemischen Untersuchung. 

I. Zur Einfüllung eignen sich peinlichst gereinigte 1-LLterflaschen, 
die mit gutem Kork versehen sind. Nach einem Abpumpen des 

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Brunnens während 5—lü Minuten sind die Flaschen zweimal mit dem 
betreffenden Wasser gründlich auszuspülen und dann erst zu füllen. 

2. Die Flaschen sind mit einem Schild zu versehen, auf dem 
Herkunft und Zeit der Entnahme genau zu verzeichnen sind. 

3. Die Proben sind desgleichen dem Laboratorium, des Korps¬ 
hygienikers zu übersenden. Eine so eilige Uebersendung wie für 
zur bakteriologischen Untersuchung bestimmte Proben ist nicht er¬ 
forderlich. 

Ein gutes Wasser ist nahezu frei von Keimen. Keimzahlen über 
200 deuten auf Verunreinigungen. 

Neben der Keimzahlfeststellung ist eine qualitative Unter¬ 
suchung auf Kolibazillen nötig, weil eine niedrige Keimzahl 
allein nicht beweisend für einwandfreie Beschaffenheit des Wassers 
ist. Auch bei niedriger Keimzahl können sich Kolibazillen finden, 
die auf irgendwelche mit Fäkalien in Berührung gekommene Zuflüsse 
hindeuten. 

Die chemische Untersuchung des Wassers, deren Wert für 
die Trinkwasserbeurteilung vielfach überschätzt wird, kommt mehr 
in Frage, wenn die Zusammensetzung der Wässer mit Rücksicht auf 
dauernden Gebrauch und auf industrielle Verwertung bekannt sein 
muss. Ob ein Wasser stark kalkhaltig ist oder nicht, spricht für die 
Feldverhältnisse wenig mit. Von ganz besonderen Verhältnissen, 
z. B. bei Verdacht auf Vergiftungen des Wassers, sehe Ich dabei ab. 
Für den Feldgebrauch ist daher die chemische Wasseruntersuchung 
meist entbehrlich. 

Das Ergebnis unserer Untersuchungen soll nun zu einem Urteil 
über die Brauchbarkeit des Wassers führen. Dabei handelt 
es sich in erster Linie zu entscheiden: Ist das Wasser in rohem 
Zustande genussfähig oder muss es abgekocht werden? 
Denn bei der Beurteilung der Trinkbarkeit in gekochtem Zustande 
kommt es auf den Grad der Verunreinigung weniger an, da durch 
Abkochen selbst stark verunreinigtes Wasser .genussfähig gemacht 
werden kann. Die Fragestellung wird also sein: Kann ich das Wasser 
ungekocht trinken? Diese Frage ist nur zu bejahen, d. h. eine 
Tri nkwasseran läge ist als einwandfrei zu be¬ 
zeichnen. w'enn 

1. auf Grund der örtlichen Besichtigung der Anlage ein Hinein- 
gelangen von Verunreinigungen ins Wasser auszuschliessen ist, und 

2. wiederholte physikalische Untersuchungen ein farbloses,, 
geruchloses Wasser ergeben, das frei von Beigeschmack und frei vorr 
festen Stoffen ist. 

Sind diese Forderungen nach jeder Richtung hin gut begründet 
und sind Erkrankungen, die durch Wasser Verbreitung finden, in der 
Umgebung der fraglichen Anlage nicht beobachtet, so kann die 
Anlage als unbedenklich freigegeben werden. 

ln Zweifelsfällen, wenn also z. B. die örtliche Besichtigung über 
die Herkunft des Wassers keinen sicheren Aufschluss gegeben hat, 
wäre die Freigabe erst zu gestatten, wenn ferner 3. eine mehrfache 
bakteriologische Untersuchung von sachgemäss entnommenen 
Wasserproben eine niedrige Keimzahl (unter 200) und Fehlen von 
Kolibazillen (in 1 ccm) ergeben hat. 

Wird so verfahren, dann wird man sich über einwand¬ 
freies Wasser liefernde Anlagen in den meisten Fällen auf Grund 
der örtlichen Besichtigung und der physikalischen Untersuchung in 
kurzer Zeit Rechenschaft geben können. Auch der Erfolg vor¬ 
genommener Aenderungen und Verbesserungen von Anlagen lässt 
sich durch die fortlaufende physikalische Untersuchung des Wassers 
leicht verfolgen. 

Weiterhin wird ein unnötiges Einsenden von Proben 
zur bakteriologischen und chemischen Untersuchung vermieden. 
Denn ergibt die örtliche Besichtigung, dass das Brunnenwasser ver¬ 
unreinigt werden kann, oder lassen sich bei der physikalischen 
Untersuchung Trübungen und Schwebestoffe feststellen, so würde 
eine bakteriologische Untersuchung ebenfalls ein ungenügendes Er¬ 
gebnis liefern. Eine Einsendung der Probe ist dann zwecklos. 

Anlagen, die neuerdings instand gesetzt sind, bedürfen 
längere Zeit, bis das an sich gute Wasser von den durch die Wieder¬ 
herstellungsarbeiten in das Wasser gelangten Verunreinigungen be¬ 
freit ist. Eine Beschleunigung der Reinigung wird durch regel¬ 
mässiges tägliches Abpumpen erreicht. 

Anlagen, deren Wasser zum Rohtrinken freigegeben ist, bedürfen 
natürlich einer ständigen Kontrolle und Untersuchung. Denn gerade 
in Feldverhältnissen ist ständig mit Beschädigungen und Ver¬ 
unreinigungen der Anlagen zu rechnen. 

Trotz aller Verbesserungen und Erleichterungen bleibt die 
Truppe nun doch in vielen Fällen auf Wasser angewiesen, das den 
Anforderungen nicht entspricht. Da bleibt als sicherstes Mittel, um 
verdächtiges Wasser unschädlich zu machen, das Abkochen. 

Filter haben sich im Feldgebrauch nicht bewährt, weil sie 
unsicher arbeiten, nicht leistungsfähig genug sind und die erforder¬ 
liche Kontrolle einwandfreien Funktionierens unmöglich ist. 

Die fahrbaren Trink wasserbereiter liefern ein 
durch Filtration und Kochen einwandfrei gestaltetes Wasser. Sie 
finden vielfach Verwendung. Reinigung des Wassers durch 
chemische Mittel^ ist nicht sicher und bleibt ein Notbehelf. Diese 
in der K.S.O. niedergelegte Auffassung besteht auch jetzt noch zu 

Original frn-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



550 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


Recht. An Entkeimungsmitteln kommt am meisten der Chlorkalk 
in verschiedener Anwendungsform in Betracht. Seine Wirkung ist 
in der Praxis nicht sicher, wie Versuche ergaben. Die Verfahren 
sind für den Mann auch zu umständlich; der Geschmack des Wassers 
wird durch Chlor beeinflusst. 

Man kann sagen, dass alle diese Verfahren, bedenkliches Wasser 
zu einwandfreiem zu gestalten, im Felde praktisch keine Bedeutung 
gewonnen haben. Ja, selbst das einfache Abkochen geschieht auch 
nur unter besonderen Verhältnissen, sei es, dass die Vorgesetzten 
mit Nachdruck darüber wachen oder z. B. dann, wenn bereits Er¬ 
krankungen in der Truppe den einzelnen Mann zur Vorsicht warnen. 
Als Aushilfe empfiehlt sich die Verabfolgung des Wassers in Form 
von Tee, Kaffee und vor allem als Mineral- und Selterswasser. 

Für Wasch- und Gebrauchs wasser sind grundsätzlich 
dieselben Anforderungen zu erstreben, wie für Rohtrinkwasser. In 
vielen Fällen ist man aber gezwungen, in den Anforderungen her¬ 
unterzugehen und man wird sich dann mit einem Wasser begnügen 
müssen, das wenigstens keine grobsinnlichen Verunreinigungen er¬ 
kennen lässt. 


Orthopädisches Spital und Invalidenschulen (k. u. k. Reserve¬ 
spital Nr. 11) in Wien. 

(Kommandant: Oberstabsarzt Prof. Dr. Hans Spitzy.) 

Behelfsprothesen für Hüftgelenksenukleierte. 

Von Primararzt Dr. Rudolf Stephan Hoffmann, 
k. k. Regimentsarzt. 

Die Notwendigkeit von Behelfsprothesen während des Spitals¬ 
aufenthaltes ist heute allgemein’ ebenso anerkannt, wie die Zweck¬ 
mässigkeit der von Spitzy seit Anfang des Krieges empfohlenen 
Gipsprothesen *). Wurde ihre Notwendigkeit mit den unbedingt ein¬ 
tretenden Formveränderungen des zum Gehen benützten Stumpfes 
richtig begründet, so bleibt die Frage, warum wir auch Amputierte 
ohne Stumpf, also im Hüftgelenk enukleierte, zunächst ebenso ver¬ 
sorgen, bei denen doch auf Acnderungen am Orte der Verletzung 
nicht mehr zu rechnen ist. Das geschieht aus zwei Gründen. Erstens 
sind die Patienten, wie die Mehrzahl der Amputierten, oft noch nicht 
verheilt, wenn wir sie übernehmen. Es stehen Behandhrhgen oder 
Eingriffe ir. Aussicht (Entfernung von Sequestern, Fremdkörpern, In¬ 
zision von Fisteln etc.), welche immerhin die Amputationsstelle, 
die oft überdies viel Weichteile enthält, noch ändern können. Zwei¬ 
tens aus einem nichtärztlichen Grunde. Die Beckenkorbprothese ist 
die schwierigste Form. • Sie erfordert genaueste Anpassung, müh¬ 
samste Arbeit und daher längste Anfertigungszeit, ein Umstand, der 
besonders bei einem Massenbetrieb, wie unserem, sich fühlbar macht. 
In diesen Wochen soll aber der Amputierte jedenfalls schon kriieken- 
Ics gehen lernen, allenfalls auch schon geschult werden. Das Gehen 
auf der Behelfsprothese w-ird überdies wertvolle Winke für die Her¬ 
stellung der Dauerprothese ergeben, z. B. empfindliche Stellen am 
Sitzknorren oder Hüftbeinkamm besonderer Aufmerksamkeit emp¬ 
fehlen. Die Form des Gehbehelfs hat sich allerdings sehr verändert. 
Im Anfang machten wir es so: Wir legten einen Beckenkorb aus Gips 
an, mit Schusterspänen verstärkt, innen mit einem Trikotschlauch 
überzogen, der auf beiden Hüftbeinkämmen festgesetzt, nach dein 
Trocknen in der Medianlinie an der Bauchseite aufgeschnitten, hier 
mit dem umgeschlagenen Trikot eingenäht und durch 2 Paar Bän¬ 
der zum Festschitallen gerichtet wurde. In diesen Gipsteil wurde 
gleich ein zur Röhre gerolltes Pappendeckelstück eingegipst, das 
unten mit einem zweiten runden Stück Pappendeckel geschlossen, 
gleichsam einen künstlichen Oberschenkelstumpf bildete, der hohl 
und leicht w r ar und das Anpassen unserer gewöhnlichen Oberschen¬ 
kelgehbügel, damals noch ohne Kniegelenk, ohne weiters gestattete. 
Wir hielten damals das Gehen mit Kniegelenk für schwerer als es ist. 
versahen auch hoch oben am Oberschenkel Amputierte zunächst mit 
steifem Gehgeriist. um erst später zum gelenkigen überzugehen, 
während heute jeder, auch der Enukleierte, sofort mit Kniegelenk 
geht. Nur bei doppelt Oberschenkelamputierten mache ich diesbezüg¬ 
lich eine Ausnahme. 

So war naturgemäss die nächste Verbesserung die ständige Ver¬ 
wendung des Kniegelenks. Das Gehen war aber besser als das 
Sitzen. Das schöne Hüftgelenk der Dauerprothesen liess sich natür¬ 
lich nicht machen. Ich amputierte daher den künstlichen Pappen¬ 
deckelstumpf und veränderte den eisernen Gehbiigel entsprechend. 
Die äussere Seitenstrebe wmrde nach oben bis zur Seite des Gips¬ 
beckenkorbes verlängert, w^o sie mit der gewöhnlichen Blechpratze 
endigt. Die innere wurde oben gegabelt und fasst mit einem vorderen 
und hinteren sagittal gestellten Halbzirkel den Beckenkorb von vorn 


*) Spitzy: Zur Prothesenfrage. M.m.W. 1915 Nr. 41 und 
Behelfsprothesen. D.m.W. 1916 Nr. 24. — Er lach er: Schienen¬ 
führung bei Unterschenkel- und Unterarmstümpfen. Arch. f. Orthop. 
14. H. 3. — Hoffmann: Die ärztliche Versorgung der Beinampu¬ 
tierten. Zbl. f. d. ges. Ther. 1915 H. 10 u. 11 und Ueber ein doppeltes 
Hüftscharnier bei Oberschenkelprothesen. M.m.W. 1917. Nr. 49. — 
S eid ler: Schwierige Immediatprothesen. M.m.W. 1915 Nr. 1. — 
Hoffmann und Stracker: Einiges über die Behelfsprothesen im 
Wiener orthop. Spital. Zsch. f. orthop. Chir. 37. 


und hinten, und zwar seitlich von der Mittellinie; das Bandeisen wird 
dem Gipsmodell genau von 3 Seiten angesclnenkt. Unmittelbar 
unter der Gabelung sitzt ein einfaches Scharnier, ein korrespondieren¬ 
des in gleicher Höhe an der äusseren Gehbügelstrebe, letzteres mit 
einem einfachen Riegel mit vorstehendem Griff versteifbar. Die 
Eisenteile oberhalb der Scharniere werden eingegipst und wir haben 
eine einfache Prothese mit Hiift- und Kniegelenk. Natürlich steht die 
Hüftgelenksachse tiefer als die normale und das Sitzen ist immer 
noch kein ideales. Aber schon die Möglichkeit, die Prothese zwei¬ 
mal rechtwinklig abbiegen zu können, ist ein Vorteil. 



Abb. 1. Abb. 2. 


Was bleibt als Nachteil? Das Gewicht. Es hat sich zwar gegerv- 
über der ersten Form nicht geändert, denn was an Eisen dazukam 
wurde durch das Wegfallen des künstlichen Stumpfes an Pappen¬ 
deckel und Gips erspart. Aber es ist noch immer recht hoch. Es 
macht z. B. bei einem mittelgrossen Manu mehr als 6 kg. 



Abb. 3. Abb. 4. 


Wir haben daher neuestens wieder eine Aenderung versucht. 
Wir haben auf der amputierten Seite den Gipsbeckenkorb w esentlich, 
um Handbreite und mehr, erniedrigt, so dass er nicht mehr über den 
Darmbeinkamm, sondern nur noch über die Gegend der Hiiftpfanne 
reicht und das Becken nicht mehr von oben und seitlich, sondern auf 
dieser Seite nur seitlich fixiert, während die andere Hälfte wüe früher 
auf dem Darmbeinkamm reitet. Die äussere Gehbügelachse wurde 
noch weiter nach oben verlängert, so dass sie jetzt den Gipsring 
überragt, ein Trochanterschamier bekommt, wie wir es bei hoch am 
Oberschenkel Amputierten immer geben, und zwischen Darmbein¬ 
kamm und Rippenbogen mit der bei uns typischen gepolsterten festen 
Hüftgelenksplatte endet, die mit einem schnallbaren Taillengurt fest 
verbunden i4t. Die Befestigung ist, wüe die Erfahrung gelehrt hat, 
eine vollkommen genügende, die Ersparnis an Gips, und daher an 
Gewücht, eine sehr beträchtliche. Der abgebildete Fall zeigt denselben 
Mann mit der Prothese, der früheren und deT neuen Form. Die alte 
Prothese wiegt 6K und die neue kg. Damit ist das Haupt¬ 
argument der Enukleierten gegen das Tragen der Gipsprothese wirk¬ 
sam bekämpft und ihnen wieder eine Erleichterung gewannen, die, so 
unscheinbar sie aussehen mag, bei dem einzelnen Invaliden doch dank¬ 
bare Anerkennung finden kann. 


□ igitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



30. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


851 


Ein Fall von Kaskadenmagen, bedingt durch extra 
ventrikulären Tumor. 

Von Marine-Oberstabsarzt Dr. v. Wilucki. 

Bevor man anfing die Magenerkrankungen methodisch durch 
Rontgenstrahlen zu untersuchen, kannte man nur den rein anatomisch 
bedingten Sanduhrmagen. 

Durch die Röntgenstrahlen lernte man noch den rein funktio¬ 
nellen oder spastischen Sanduhrmagen kennen und den Pseudo-Sand- 
uhrmageii. der hervorgerufen wird durch extraventrikuläre Tumoren. 

Eine besondere Form des Sanduhrmagens 'ist nun der von 
Rieder beschriebene Kaskadenmagen. 

Bei ihm liegen die beiden Magensäcke nicht wie die Glaskugeln 
der Sanduhr übereinander, sondern sie sind seitlich zueinander ver¬ 
schoben und getrennt durch einen stufenförmigen Absatz, über den 
der Magenbrei aus dem oralen in den pylorischen Sack hineiniällt. 

Die Brücke kann dabei ganz kurz sein oder auch länger, der 
Spasmus kann intermittierend oder persistierend sein. 

Die Ursache ist beim Kaskadenmagen analog dem Sanduhr¬ 
magen nicht einheitlich. 

Wir kennen drei verschiedene Möglichkeiten, die diese eigen¬ 
artige Magenform hervorrufen können. 

Anscheinend ist die häufigste Ursache ein Spasmus, hervor¬ 
gerufen durch ein Ulcus ventriculi oder ein Ulcus duodeni. Zweitens 
kann der Kaskadenmagen anatomisch bedingt sein durch entzündliche 
Prozesse (Verwachsungen), wie w r ir sie bei einer Perigastritis finden 
oder durch Schrumpfungsprozesse bei einer bösartigen Geschwulst. 
Endlich können drittens raumbeengende Prozesse von aussen die 
Magenwände eindrücken, z. B. das luftgefüllte Kolon oder bösartige 
Geschwülste. 

Die zuletzt genannte Ursache scheint seltener zu einem Kas- 
kadermiagen zu führen. 

Vor kurzem hatte ich aber Gelegenheit, einen solchen Fall zu 
beobachten. 

Klinisch sprach bei dem 69 jährigen Mann, der über Schmerzen 
m der Magengegend klagte, nichts fiir eine organische Magenerkran¬ 
kung. Ich fand normale Magenwerte, Stuhl und Urin waren ebenfalls 
normal. Es bestand starke Kachexie, eine sekundäre Anämie und 
links unter dem Rippenbogen konnte man einen sehr harten druck¬ 
empfindlichen Tumor nicht nur fühlen, sondern auch sehen. 

Röntgenologisch sah man bei sagittaler (Fig. 1—4) und bei 
frontaler (Fig. 5—8) Durchleuchtung das typische Bild eines Kas- 
Kadenmagetis. dessen Konturen vollkommen scharf und glatt waren, 
ohne irgendwelche perigastrische Veränderungen und ohne Füllungs- 
viefckte. 


r 

r 

r 


JT 

ritt- 1. 

t lg. 2. 

fig 3. 

F.g. 4. 






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Jä 


r«g. 5. Fi*. 6. Fig 7. Fig. 8. 


Sehr interessant war die Entfaltung des Magens. Der erste 
Bissen erfuhr an dem Isthmus einen kurzen Aufenthalt, um dann in 
den pylorischen Sack hineinzufallen. Darauf füllte sich in erster Linie 
die obere Schale, und nachdem sich später auch die untere Schale 
gefüllt hatte, erweiterte sich allmählich der ungefähr bleistiftdicke, 
10 cm lange Kanal fast bis zur Breite des ganzen Magens und zeigte, 
ebenso wie besonders der untere Magensack, sehr lebhafte peristal¬ 
tische Wellen, also keinerlei Zeichen eines 
starren, gleichmässig durch den Brei ange¬ 
füllten Rohres. Durch manuellen Druck Hess 
sich der Brei leicht vom Magenboden in den 
oralen Sack hineinpressen. 

Das Vorliegen eines wirklichen Hinder¬ 
nisses, sei es spastischer oder anatomischer 
Art, konnte man demnach mit grosser Wahr¬ 
scheinlichkeit ausschliessen. 

Um mit annähernder Sicherheit perigastri¬ 
sche Veränderungen ausschliessen zu können, wurde der Kranke 
.juch in rechter Seitenlage durchleuchtet. Sie ergab eine sehr gute 
Beweglichkeit des Magens, keine Formveränderungen, mithin auch 
keine .Adhäsionen (Fig. 9). 


Die Gesamtkapazität des Magens war gross. Es bestand eine 
Ektasie geringen Grades. Das Duodenum war sehr deutlich sichtbar, 
erweitert und dauernd sehr stark mit Brei gefüllt. 

Es wurde daher jede organische Erkrankung, Ulcus und Kar¬ 
zinom des Magens ausgeschlossen und die Diagnose extraventriku¬ 
lärer Tumor gestellt. 

Die Operation (Dr. Stammler) bestätigte diesen Tumor, ein 
Karzinom von über Faustgrösse, das anscheinend von der Flexura 
Iienalis ausging und bedeckt war von dem in der Mitte kanalförmig 
zusammengezogenen Magen. Wahrscheinlich drückte der Tumor 
auf die Wände des Duodenums oder des oberen Dünndarmes und 
führte so zu der auffallend starken kontinuierlichen Füllung des deut¬ 
lich sichtbaren Duodenums und zur Insuffizienz des Pylorus und zur 
Ektasie. 


Milchinjektionen bei entzündeten Leistendrüsen. 

Von Marinestabsarzt Dr. S c h u e 11 e r, Schiffsarzt S. M. S. . . . 

Die günstigen Erfolge, die von Milchinjektionen bei akutem Ge¬ 
lenkrheumatismus berichtet und auch von mir beobachtet worden 
sind, haben mich veranlasst, diese Behandlung in einem Falle von 
entzündeten Leistendrüsen bei weichem Schanker anzuwenden, wo 
bei dem bisher üblichen Vorgehen der chirurgische Eingriff wohl un¬ 
vermeidlich gewesen wäre. 

Der Ober-Signalgast W. von einem Hilfsscbiff, 20 Jahre alt, 
hat Anfang Oktober 1917 in Nordenham mit einem unbekannten Mäd¬ 
chen verkehrt. Seit Anfang Dezember besteht ein Geschwür am 
Gliede, das er an Bord mit Bädern von Kalium permanganicum-Lösung 
und Dermatol behandelt hat; da aber keine Besserung eingetreteu. 
wird er am 14. Dezember 1917 hierher ausgeschifft. 

Befund: Mittelgross, gut genährt, keine syphilitischen Erschei¬ 
nungen. An Stelle des Bändchens ein hantelförmiges, schmierig be¬ 
legtes Geschwür, oberflächlich, nicht verhärtet, 1,5:0,5 cm gross. 
Haut, Schleimhäute, Haare nichts Besonderes, Zahnzustand gut. Die 
rechten Leistendrüsen sind hart geschwollen, doch nicht druck¬ 
schmerzhaft. Im Schanker keine Spirochäten zu finden. 

Unter Kochsalzumschlägen auf den Schanker wurden in den 
nächsten 8 Tagen nie Spirochäten gefunden, der Schanker wurde 
dann mit Da k inscher Lösung behandelt und ist bis Anfang Januar 
zu einer glatten Narbe verheilt. Die infiltrierten Drüsen der rechten 
Leiste gehen unter heissen Umschlägen nicht zurück, sondern wer¬ 
den weich und die Haut ist darüber gerötet. Da ich nun ein 
Einschmelzen der Drüsen verhindern möchte, mittlerweile auch die 
linken Leistendrüsen sich verhärtet haben, so werden am 27. Dezem¬ 
ber. morgens 9 Uhr, 10 ccm sterilisierte Milch in die Subkutis des 
rechten Oberschenkels injiziert. Im Laufe des Tages steigt die 
Temperatur bis abends 5 Uhr auf 39,6°. fällt am nächsten Morgen 
auf 36,9°, steigt im Laufe des Tages bis abends 7 Uhr auf 38,3° und 
ist am 29. XII. wieder normal. Das Befinden des Behandelten war gut, 
er klagte lediglich über etwas Kopfschmerzen (Eisbeutel). Je einen 
Tag vor und nach der Injektion habe ich das Blut untersucht und 
6600 Leukozyten vor, 7200 am Tage nach der Injektion gezählt: davon 
waren Polymorphkernige 64 Proz., Lymphozyten 26,4 Proz., Eosino¬ 
phile 2,7 Proz., grosse Mononukleäre 5,3 Proz. (!) und Mastzellen 
1,6 Proz. Ausser an der Injektionsstelle, wo die Haut etwas spannt, 
keine Beschwerden. Die Bubonen sind kleiner geworden, die Haut 
darüber nicht mehr gerötet, kein Druckschmerz, kein Zeichen einer 
Erweichung. Serumreaktion negativ. 

Im weiteren Verlaufe gingen die Infiltrationen gut zurück, da ich 
jedoch die Resorption beschleunigen wollte, so machte ich am 
5. Januar 1918 eine zweite Injektion von 10 ccm sterilisierter Milch 
in den linken Oberschenkel. Die Temperatur stieg wieder unter 
leichten Kopfschmerzen bis auf 39,1 °, hielt sich dort 2 Stunden des 
Nachmittags, fiel am nächsten Morgen auf 36,4 °. erhob sich noch am 
Nachmittag auf etwa 37.5° und blieb dann regelrecht. Das Be¬ 
finden war anhaltend gut, die Bubonen bildeten sich vollkommen 
zurück, so dass W. am 14.1. dienstfähig entlassen werden konnte. 

Natürlich bin ich mir bew'usst. dass dieser eine Fall keine bin¬ 
dende Beweiskraft haben kann. Allein ich möchte anregen, das von 
mir geübte Verfahren an einem grösseren Material nachzuprüfen, 
w'as mir leider nicht möglich ist. Es w r äre jedenfalls ausserordentlich 
zu begriissen, wenn auf diese einfache Weise die bisher üblichen 
chirurgischen Eingriffe vermeidbar würden; teils aus kosmetischen 
Gründen, teils aber aus Gründen der Zeitersparnis in der Behandlung. 


Ueber die Behandlung der Hämorrhoiden mit Supra- 
renininjektionen. 

Von Dr. H. Krukenberg, Elberfeld. 

Da mir bei meiner Tätigkeit im Felde ein Paquelin nicht immer 
zur Verfügung stand, die Anzahl der zur Behandlung aufgenommenen 
Hämprrhoidari'er aber nicht gering war, sah ich mich veranlasst, 
mich nach anderen schneller und sicherer als die internen Medi¬ 
kamente wirkenden Behandlungsmethoden umzusehen. Eine solche 
glaube ich in der parenchymatösen Einspritzung von Suprarenin, 
w ie solches in Ampullen in Lösung von 1 :1000 seitens der Heeres¬ 
verwaltung geliefert wird, gefunden zu haben. Das Suprarenin ruft 



Fig 9. 


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Original fro-m 

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852 


MUENCHENER MEDIZINISCH!! WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


sein schnulle Schrumpfung der Hämorrhoiden hervor. Anfänglich 
habe ich das.Mittel nur bei leichten Fällen angewandt und fand, dass 
Knoten bis zu Haselnussgrösse nach einmaliger Einspritzung von 
ccm im Verlauf von 8 Tagen vollständig verschwanden. Ich bin 
dann zur gleichen Behandlung auch bei grossen Hämorrhoidal- 
geschwülsten übergegangen. Die Einspritzung geschah wie bei der 
Lokalanästhesie unter gleichzeitigem Vorschieben der Nadel in das 
(jewebe. Nach der Einspritzung tritt eine geringe Anschwellung ein, 
während die Schmerzen nur gering sind oder gänzlich fehlen. Schon 
am 2. bis 3.'Tage beginnt die Schrumpfung. Es werden nun all¬ 
mählich die verschiedensten Stellen der Knoten injiziert bis die 
Geschwulst vollständig verschwunden ist. Eine pflaumengrosse 
Hämorrhoidalgeschwulst wurde so binnen 3 Wochen gänzlich be¬ 
seitigt. In einem anderen Falle war von einer kleinapfelgrossen ge¬ 
lappten Geschwulst mit oberflächlich ulzerierter prolabierter Schleim¬ 
haut nach 15 Injektionen im Verlauf von 7 Wochen nur noch ein 
Kranz welker Hautfalten zu konstatieren. 

Nachteilige Folgen habe ich von dem Verfahren nie gesehen. 
Es tritt im Gegensatz zu den Karbolinjektionen keine Verätzung und 
keine Schorfbildung ein, die Knoten schrumpfen vielmehr und machen 
ohne Narbenbildung normalem Gewebe Platz. Als Einzeldosis habe 
ich stets % ccm (1:1000) angewandt, nur in einzelnen Fällen habe 
ich im Laufe der Behandlung die Dosis auf 1 ccm erhöht. Auch dann 
sah ich keine Nachteile, möchte aber doch in Rücksicht auf ander¬ 
weitig beobachtete Suprareninintoxikationen raten, als Einzeldosis 
’ ccm beizubehalten, da diese Dosis zur Erzielung des Erfolges voll¬ 
ständig ausreicht. Die Patienten hüteten meist die ersten Stunden 
nach der Einspritzung das Bett und wurden aui leichte Diät gesetzt, 
im übrigen wurden abgesehen von Sorge für regelmässigen Stuhl¬ 
gang weiter keine Kautelen beobachtet. 


Bücheranzeigen und Referate. 

Julius Tandler: Lehrbuch der systematischen Anatomie. 

1. Band, 1. Heft: Osteologie. 160 S., 156 Abbild. Leipzig, 
F. C. W. Vogel, 1918. Preis 6.— M. 

Unter den heutigen Verhältnissen, wo es dem Leiter des 
anatomischen Unterrichtes schwer fällt, den Studierenden ein nach 
Form, Inhalt, Umfang und Gesichtspunkten einwandfreies Lehrbuch 
der Anatomie zu empfehlen, darf ein neues Lehrbuch stets auf ein 
sorgfältig prüfendes Interesse aller Fachkreise rechnen. Die Dar¬ 
stellung der Knochenlehre, wie sie Tandler gibt, weicht nicht 
w esentlich von der üblichen Form ab. Nach ganz kurzen in dieser 
Form vielleicht zu kurzen - allgemein orientierenden Vorbemer¬ 
kungen folgt eine Uebersicht über die Zusammensetzung der Bau¬ 
materialien und der allgemeinen Eigenschaften der Knochen. Die 
Abfassung dieses so interessanten Abschnittes enttäuscht etwas. 
Hier macht es sich besonders geltend, dass der Verfasser vollständig 
auf Anführung weiter orientierender Literatur verzichtet hat. Diesen 
Mangel hat das T a n d I e r sehe Buch mit manchen anderen modernen 
Lehrbüchern gemeinsam. Wer sich aber ein umfangreiches Lehrbuch 
anschafft, möchte durch dasselbe auch später, wenn das Interesse 
für Einzelfragen erwacht, w eitergeleitet w'erden. Es w iirdc genügen, 
wenn am Schluss der einzelnen Kapitel auf umfangreichere Dar¬ 
stellungen in Handbüchern oder auf klassische Originalarbeiten ver¬ 
wiesen würde. - Bei der Darstellung der speziellen Knochenlehre 
ist im Interesse des Praktikers die sinnfällige Schilderung der 
Knochenentwicklung im kindlichen Organismus sehr zu begriissen. 
Die Beschreibung der Knochen und deren bildliche Darstellung 
stehen durchaus auf der Höhe. Auf eine Durchdringung des Stoffes 
mit den wichtigsten Ergebnissen der vergleichend-anatomischen 
Forschung ist leider fast vollständig verzichtet worden. Man darf 
auf die Fortsetzungen gespannt sein, die ja erst eine vollständige 
Beurteilung ermöglichen werden. Das ganze Werk ist auf 4 Bände 
berechnet, die Ausstattung — Papier, Druck, Wiedergabe der Ab¬ 
bildungen - ist besonders angesichts der Kriegszeit sehr gut, der 
Preis des vorliegenden Heftes sehr niedrig bemessen. 

v. M ft 11 e n d o r f f - Greifsw ald, z. Zt. im Feld. 

Atlas der Kriegs-Augenheilkunde samt begleitendem Text von 
Prof. Dr. A. v. S z i 1 y - Freiburg i. Br. Sammlung der kriegs- 
ophthalmologischen Beobachtungen und Erfahrungen aus der Uni¬ 
versitäts-Augenklinik in Freiburg i. Br. Dritte Lieferung. Preis 
30 M. Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart, 1918. 

Die vorliegende Lieferung stellt den Schluss dieses hervor¬ 
ragenden Werkes dar. Die Ausstattung steht durchweg auf der hier 
bereits gebührend gewürdigten Höhe der beiden ersten Lieferungen. 
Ausser dem Schluss des zehnten Kapitels über die perforierenden 
Bulbusverletzungen sind behandelt: 11. Makulare Veränderungen. 
Konturschüsse, Kontusionen und Luitstreifschüsse. 12. Kampfgas¬ 
erkrankungen. Verwundungen und Verbrennungen durch Kampfgase, 
Gasgranaten. Flieger- und Brandbomben. Leuchtpistolen u. a. 
13. Organische Läsionen der Motilität und Sensibilität nebst Be¬ 
merkungen über psychisch-gnostische Ausfallserscheinungen bei 
Gehirnschüssen. 14. Ueber psychogene Kriegsneurosen. 15. Ver¬ 
wundungen der Nasennebenhöhlen und der Tränenableitungswege. 
16. Die plastischen Operationen an Kriegsverwundeten. 

Während die meisten der sonstigen Kapitel naturgemäss mehr 
Bekanntes enthalten müssen, da hier die Kriegs-Augenheilkunde sich 

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nur wenig von der Friedens-Augenheilkunde unterscheidet, kommt 
besonders dem 11., 12. und 16. Kapitel auch ein grosses aktuelles 
kriegspathologisches Interesse zu. Die oft nur aui den gelben Fleck 
beschränkten und deshalb von oberflächlichen Untersuchern leicht 
zu übersehenden Lochbildungeil nach Kontusionen, die in vortreff¬ 
lichen Bildern veranschaulicht sind, kommen auch auf der hiesigen 
Augenstation sehr häufig zur Beobachtung und erklären manche 
anfangs unverständliche Schwachsichtigkeit. Das Kapitel über die 
Kampfgasschädigungen wird zweifellos durch spätere Erfahrungen 
no^h bereichert werden; das Auftreten von Sehnerven- und Netz¬ 
hautblutungen mit nachfolgender Atrophie des Sehnerven liefert der 
Untersuchung wichtige Fingerzeige. Die plastischen Operationen 
endlich, die in vorzüglicher photographischer Wiedergabe ver¬ 
anschaulicht sind, bilden einen sehr erheblichen Teil der ophthalmu- 
logischen Arbeit während der Dauer und nach Beendigung des 
Krieges. 

Das schöne Werk wird einen hervorragenden Platz in der 
Kriegsliteratur aller Zeiten einnehmen. S a 1 z e r - München. 

Oberstabsarzt Dr. Walter Hirt: Ein neuer Weg zur Erforschung 
der Seele. 246 Seiten. München, Verlag von E. R e i n h a r d t, 1917. 

„Wieder einmal ward der Versuch gemacht, das verschleierte 
Bild zu enthüllen. Aber ein anderer Weg wird diesmal eingeschla- 
gen, so abweichend von den bisherigen, so exponiert und angreifbar, 
dass von vornherein mit einer vernichtenden Kritik gerechnet werden 
muss. Ich hätte den Mut zu einer Veröffentlichung auch nur schwer 
gefunden, wenn mir nicht auf diesem kühnen Streifzuge allem An¬ 
schein nach eine wuchtige wissenschaftliche Entdeckung gelungen 
wäre, die Entdeckung, dass die langsam fortschreitende Vergrösse- 
rung des Schädelbinnenraums beim Menschen vorwiegend auf alt¬ 
ruistischer Basis beruht.“ Mit diesen Worten leitet der Verf. seinen 
Versuch ein, auf dem Wege der Synthese die Seele zu 
„erklären", in Fortsetzung einer 1914 erschienenen Arbeit über 
„Das Leben in der anorganischen Welt", die von anderer Seite in 
dieser Wochenschrift (1914, Nr. 28, S. 1574) besprochen worden ist. 
Er geht dabei aus von drei allgemeinen ,.I) a seinsgesetze n", 
die sowohl alles Physische wie alles Psychische gleicherweise um¬ 
fassen. deren erstes dahin lautet, dass jeder Körper (und jede Seele) 
alles Erreichbare anzieht (Gesetz der Anziehungskraft), das zweite, 
dass jeder Körper (und Seele) von seiner Umgebung beherrscht wird 
(Gesetz der Umgebung), das dritte, dass das überall zwischen den 
Körpern (und Seelen) bestehende Spannungsverhältnis sich fort¬ 
während ändert (Gesetz der beständigen Bewegung). Aus diesen 
drei „Daseinsgesetzen" erklärt Verf. nicht allein die* Seele, sondern 
auch das Sittengesetz. Der Egoismus entspricht dem Ueberwiegen 
des ersten, der Altruismus dem des zweiten Gesetzes. „Das Siiten- 
gesetz ist ein in beständigem Wechsel befindliches Spannungsverhält¬ 
nis zwischen dem einzelnen Individuum und seinen Mitmenschen". 
Zunehmende altruistische Gesinnung führt zu 
einer V e r g r ö s s e r u n g des Gehirns, das daher bei den 
Chinesen mit ihrem Familienkult das höchste Durchschnittsgewicht 
erreicht! Die tiefsten psychologischen Probleme werden weiterhin 
spielend gelöst an der Hand seelischer Figuren: für das W e b e r sehe 
(iesetz wird eine neue allgemeine Formulierung gefunden, den drei 
Attributen der Substanz ein viertes zugefügt. „Für die verschiedenen 
Strömungen der Seele findet man unter Zugrundelegung der drei Da¬ 
seinsgesetze eine so vollkommene Erklärung, dass man sich nicht 
leicht der Ueberzeugung entziehen kann, auf dem Wege der Wahr¬ 
heit zu sein." Durch „kosmische Einfühlung" rcisst Verf. „den 
Schleier von der Psyche"; durch „Synthese ihrer drei Grundströ¬ 
mungen" lässt er „das Wollen entstehen“. Selbst das Problem des 
Lebens bietet keine Schwierigkeiten mehr: „Leben ist das in be¬ 
ständiger Bewegung befindliche, nach allen Seiten hin ins Unendliche 
auslaufende Spannungsverhältnis zwischen den kleinen Teilen der 
Materie, ihren Zusammenlagerungen und Verbindungen untereinander 
und mit der Umgebung", und damit ist auch der Gegenpol, der Tod. 
für uns kein Rätsel mehr. Tod ist das Auseinanderfallen, das Ende . 
des Zusammenarbeitens einer Gruppe von Spannungsverhältnissen 
— — — etc." Und schliesslich der Gottesbegriff: „Er ist 
eine Relation zwischen dem Individuum und der Umgebung." „Mit 
dieser Definition erklären wir die gewaltige, erdrückende und er¬ 
habene Grösse, ferner die Labilität in sich ... und schliesslich die 
Tatsache, dass jeder Mensch ... einen anderen Gottesbegriff hat." 

Die eingangs angeführte Erwartung des Verf. auf eine vernich¬ 
tende Kritik dürfte kaum enttäuscht werden. 

Erich Leschke - Berlin. 

Neueste Journalliteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medizin. 126 Batjd, 5. und 
6. Heft. 

A. Schittenhelm und H. Schlecht- Kiel: Ueber Poly¬ 
arthritis enterica. (Mit 7 Kurven.) 

Aus dem Verbände der akuten Polyarthritis lässt sich eine 
Gruppe absondern, die trotz aller Aehnlichkeit sich durch ein charak¬ 
teristisches Krankheitsbild und therapeutische Eigenart abhebt und 
als Polyarthritis enterica bezeichnet wird, w-ozu noch die Poly¬ 
arthritis dysenterica gehört. Die Gtlenkaiiektion zeigt einen aus¬ 
gesprochenen, polyartikulären, serös-exsudativen Charakter, die 
Gelenkerkrankung verläuft überwiegend subakut und erstreckt sich 

Original from 

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30. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


853 


nicht selten auf viele Monate, meist jedoch mit Ausgang in Heilung, 
wenn auch gelegentlich leichtere Gelenkveränderungen lange Zeit 
Zurückbleiben. Die Krankheit verläuft meist mit mehr oder weniger 
hochgradigem Fieber, selten afebril, häufig tritt Konjunktivitis und 
Urethritis dazu, gelegentlich auch Pleuritis; Tendovaginitis, Peri¬ 
ostitis und muskelrheumatische Schmerzen sind häufig, das 
Herz bleibt dagegen in der Regel ganz frei, gelegent¬ 
lich wurde kurzdauernde hämorrhagische Nephritis beobachtet. Be¬ 
sonders bemerkenswert ist. dass die Polyarthritis e n t e r i c a 
auf Salizylpräparate gar nicht reagiert, auch nicht 
auf Antipyretika, Salvarsan, Kollargol, Vakzine- und Serumbehand¬ 
lung. Die Behandlung ist eine symptomatische, lokale und hydro¬ 
therapeutische. Differentialdiagnostisch ist die Polyarthritis rheu- 
matica acuta durch das plötzliche Befallen der Gelenke, wobei die 
Entzündung durch Rötung, Hitze und periartikulöses Oedcm be¬ 
sonders hervortritt, die Neigung zu Herzkomplikationen, profusen 
Schweisseu und gute Reaktion auf Salizylpräparate meist leicht ab¬ 
zugrenzen. Zweifellos liegt dabei ein enteraler Infektionsmodus 
zugrunde und zwar wohl nicht durch Dysenteriebazillen oder deren 
Toxine, sondern durch andersartige Keime. 

A. Kästner: Ueber Endocarditis lenta. (Aus der inneren Ab¬ 
teilung des Stadtkrankenhauses Dresden-Johannstadt.) 

Das Krankheitsbild der Endocarditis lenta zeichnet sich im 
Gegensatz zu den anderen septischen Endokarditiden, die unter 
schweren Allgemeinerscheinungen, hohen Temperaturen und Schüttel¬ 
frösten einen akuten Verlauf nehmen, durch einen wesentlich 
milderen, protrahierten, wenn auch schliesslich letalen Ausgang aus 
und ist durch den Streptococcus viridans bedingt. Der Beginn der 
Erkrankung ist ausgesprochen schleichend, so dass meist ein be¬ 
stimmter Krankheitstag nicht angegeben werden kann, unbestimmte 
Krankheitserscheinungen wie Mattigkeit, Gliederschmerzen, Ziehen 
in den Muskeln, Magenverstimmung, Kopfweh, leichtes Fieber. Nacht- 
schweisse werden häufig als Iniluenza gedeutet; fast immer haben 
die Kranken früher einmal Gelenkrheumatismus durchgemacht. Die 
Temperatur bewegt sich zwischen 38 und 39°, Schüttelfröste fehlen 
meist oder treten erst gegen das Ende der Krankheit auf, um so den 
septischen Charakter des Leidens zu zeigen. Besonders charak¬ 
teristisch sind die mannigfachen Embolien, die dadurch entstehen, 
dass sich kleine, infizierte Partikel von den erkrankten Herzklappen 
loslösen und in verschiedenen Organen Infarkte bilden, die bei dem 
milden Charakter des Leidens nicht vereitern, insbesondere auch 
Milzinfarkt, der sich durch akuten Schmerz und Milzvergrösserung 
äussert. Embolien in der Lunge und im Gehirn zeigen sich klinisch 
.ils Pneumonien, Pleuritiden bzw. Hemiplegie und Aneurysmen, 
purpuraähnliche Hautblutungen sind häufig, gegen Ende des Lebens 
entwickelt sich fast ausnahmslos eine embolisch bedingte hämor¬ 
rhagische Nephritis. Am Herzen findet sich eine Endokarditis meist 
der Mitralis, aber auch an anderen Klappen, im Blute Streptococcus 
viridans wie 16 eigene Beobachtungen zeigen. ' Die Krankheit bevor¬ 
zugt das jugendliche und mittlere Lebensalter und ist durch Anämie 
oft schweren Grades, Herzgeräusche, Milztumor, schliesslich hämor¬ 
rhagische Nephritis ausgezeichnet. Die Diagnose gegenüber Tuber¬ 
kulose, Gelenkrheumatismus, Anämie, Malaria, okkulte Abszesse etc. 
ist nicht leicht, entscheidend ist stets der Nachweis des Strepto¬ 
coccus viridans im Blute. Wie die Viridansinfektion erfolgt, ist noch 
unbekannt; der Erreger findet sich in den oberen Luftwegen, Ton¬ 
sillen. Magendarmkanal und Vagina und gelangt durch eine Erkran¬ 
kung dieser Organe in den Kreislauf. Die Therapie (Kollargol. Sal¬ 
varsan. Arsazetin, Serum, Vakzine) ist sehr unbefriedigend und eine 
symptomatische Behandlung bei der langen Dauer des Leidens nötig. 

V. Reichmann; Tuberkulin und Tuberkulose (mit besonderer 
Berücksichtigung des Blutbildes). (Aus der mediz. Klinik in Jena.) 

Das Tuberkulin an sich führt beim Menschen zu einer Ver¬ 
minderung der Lymphozyten, $ein Gegenkörper, der wahrscheinlich 
in nächster Beziehung zu diesen Zellen steht, zu ihrer Vermehrung. 
Auf geringe Dosen tritt ein Steigen der Lymphozyten, auf hohe Dosen 
ein Fallen der Lymphozyten ein. Beim Tuberkulösen erfolgt dieses 
Sinken schon bei niederen Dosen als beim Gesunden. Kommt es zu 
einer Herdreaktion, so ist der Lymphozytensturz besonders deutlich. 
Von dieser Herdreaktion zu unterscheiden ist die Tuberkulin- 
inioxikation nach Ueberdosierung, die zum hochgradigen Schwäche- 
ßefühi, blassem, welkem Aussehen und mehrere Tage anhaltender 
Lymphozytopenie führt. Fieber ist ein untrügliches Zeichen einer 
tuberkulösen Reaktion, wenn es von Lymphozytenverminderung be¬ 
gleitet ist. Tuberkulöse Meerschweinchen reagieren auf Tuberkulin- 
njektion mit akutem Lymphozytensturz, der meist bis zum Tode 
des Tieres anhält. Zwischen dem Blutbild eines Tuberkulösen und 
eines mit Tuberkulin Geimpften besteht kein prinzipieller Unter¬ 
schied. Die Lymphozyten steigen bei beginnender Tuberkulose an 
und fallen gegen das letale Ende. Tuberkulin hat eine harntreibende 
Wirkung. 

Fr. Weinberg: Achylla gastrica und perniziöse Anämie. 

<Aus der mediz. Klinik der Universität Rostock.) 

Die Beobachtung an 107 Fällen von perniziöser Anämie ergab, 
aass neben dem Blutbefund die Achylia gastrica das 
wichtigste, konstanteste Symptom ist, und zwar 
handelt es sich dabei nicht ,um eine exogen bedingte, sondern 
um konstitutionelle Acmylie, die in Verbindung mit einer 

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konstitutionellen Minderw ertigkeit des Knochen¬ 
markes zu perniziöser Anämie führt. Die Achylia 
gastrica -ist ein diagnostisch wichtiges, wenn nicht das wichtigste 
Friihsymptom der perniziösen Anämie. Müder (iesichtsausdruck, 
schlaffe Haut, graue Gesichtsiarbe müssen, besonders bei jungen 
Menschen, stets an „Facies achylica“ denken lassen. Blutunter¬ 
suchungen bei Achylikern zeigen erhöhten Färbeindex, Leukozyten 
vermindert oder an der unteren Grenze der Norm, Vermehrung der 
Lymphozyten, vereinzelt Myelozyten und Myeloblasten. Normo- 
blasten, deutliche Myelozytose und eine bei normalem oder erhöhtem 
HCl-Gehalt auffällige Poikilozytose, also Blutbefunde bei „latenter 
perniziöser Anämie“. Die Achylia gastrica ist primär und konsti¬ 
tutionell ein Gegensatz zur sekundären Achylie z. B. öei Lungen¬ 
schwindsucht oder Magenkarzinom, wo sie hauptsächlich durch ent¬ 
zündliche Veränderungen der Magenschleimhaut bedingt ist (Gastritis 
anacida). 

A.* Bittort: Die Pathogenese der biliösen Pneumonie. (Aus 
dem Reservelazarett I Leipzig.) 

Der Verf. beobachtete zahlreiche mit Gelbsucht verbundene 
Fälle kruppöser Pneumonie, wobei der Ikterus verschiedene Stärken 
zeigte, vom leichten Subikterus bis zu schwerster Gelbsucht; der 
Auswurf war mitunter schon beim Aushusten „grasgrün“, häufiger 
zunächst gelblich, rötlich, um nach einigen Stunden beim Stehen an 
der Luft durch Oxydation des Bilirubins gras- bzw\ oft „moosgrün“ 
zu werden. Was die Entstehung des Ikterus bei Pneumonie anlangt, 
so wird er als Folge einer Blutstauung in der Leber, von anderer 
Seite als mechanischer Ikterus durch Gastro-Duodenalkatarrh zu 
erklären versucht, ln den vorliegenden Fällen trifft diese Erklärung 
ni.cht zu. Die Stühle enthielten trotz einer wenig färbenden (Milch-, 
Mehl- usw.) Diät sehr reichlich Gallenfarbstoff bei gleichzeitigem 
Ikterus und waren fast stets sehr dunkel, so dass, zumal noch reich¬ 
lich Urobilin neben Bilirubin im Harn war, wohl Polycholie infolge 
Hämolyse und hämolytischer Ikterus anzunehmen ist. Ob die oft 
epidemieartige, biliöse Pneumonie durch besonders die Erythrozyten 
schädigende Pneumokokken entsteht, oder durch individuell oder all¬ 
gemein auf die Blutkörperchen deletär wirkende Verhältnisse be¬ 
günstigt wird, bedarf weiterer Untersuchung. 

Bamberger - Kronach. 

Bruns’ Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von Gar re, 

Küttner, v. Brunn. 11U. Band. d. Heit. Tübingen, 
Lau pp, 1918. 

Prof. Kirschner gibt aus der Königsberger Klinik einen Bei¬ 
trag zur Operation der Hydrocele testis. Nachdem die am häufigsten 
geübte Exstirpation des parietalen Blattes der Tunika ein unverhält¬ 
nismässig grosser Eingriff ist, leicht Hämatom im Gefolge hat und 
zu Infektionen führen kann, strebte K. ein einfacheres Verfahren zur 
dauernden Beseitigung der Hydrozele an, indem er eine Verbindung 
des Hydrozelensackes mit dem Urtferhautzellgewebe zur Ableitung 
der Flüssigkeit herstellte; der technisch einfache Eingriff hat sich 
ihm vollkommen bewährt. Der untere Pol des Hydrozeleneies wird 
mit der linken Hand möglichst weit gegen den Leistenkanal und die 
Vorderwand des Hodensackes gedrängt, über der sich vorwölbenden 
Kuppe die ausgespannte Haut in der Längsrichtung durchtrennt, so 
dass sich der untere Pol der Hydrozele etwa bis zu 14 ihrer ge¬ 
samten Länge aus dem Schlitz hervordrängen lässt, derselbe wird 
durch einen kreuzförmigen Schnitt in seiner ganzen freigelegten Aus¬ 
dehnung gespalten. Nach Abfluss des Hydrozelenwassers kann das 
Innere des Sackes mit dem Hoden ausgiebig besichtigt werden, da 
der Hoden sich weit vor den Hautschnitt vorziehen lässt. Nach sorg¬ 
fältiger Blutstillung wird jeder der vier Zipfel an seiner Spitze mit 
Nadel und Faden durchstochen und jeder dieser vier Fäden mit der 
Nadel unter Leitung des Auges ein zweites Mal an einem derartigen 
Punkt der Innenseite des Sackes rückläufig hindurchgeführt, dass der 
Zipfel beim Knüpfen des Fadens sich um seine Basis nach innen um¬ 
schlägt und seine Peritonealseite auf die Peritonealseite des Hydro¬ 
zelensackes zu liegen kommt. So bekommt der Hydrozelensack an 
seinem unteren Pol eine grosse quadratisch gestaltete Oeffnung. Man 
lässt nun die herausluxierte Hydrozele ins Skrotum zurückgleiten 
und vernäht im Bereich des kleinen Hautschnittes Subkutangewebe 
und Haut sorgfältig. 

Erwin Baumann berichtet aus der gleichen Klinik über 
die unblutige Behandlung der frischen Frakturen am oberen Humerus¬ 
ende. Er betont die konservative Behandlung derselben, da die 
Erfolge weniger von der erzielten anatomischen Stellung der Frag¬ 
mente als von der Ungeschädigten Erhaltung des Bewegungsapparates 
des Schultergelenks abhänge. B. extendiert in 70—100° Abduktion 
beim Erwachsenen in der Regel mit 10—15 Pfund, lässt nach 10 bis 
14 Tagen den Extensionszug mildern, und vom 10. Tage an passive 
Bewegungen vornehmen. B. teilt einige typische Fälle mit ent¬ 
sprechendem Röntgenogramm mit, die alle die gute Abduktion und 
Erhebung des Armes (zum Teil trotz fortbestehender Dislokation) 
zeigen. 

Der gleiche Autor gibt einen Beitrag zur sog. spontanen 
Perforation des Darmes oberhalb von Strukturen und Okklusionen. 

Hans Wendling berichtet aus der Krankenanstalt Aarau über 
Ausschaltung der .Nervi splanchnici durch Leitungsanüsthesie bei 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


854 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


Magenoperatiouen und anderen Eingriffen in der oberen Bauchhöhle 

(ein Beitrag zur Kenntnis der Sensibilität der Bauchhöhle), es ge¬ 
lingt nach W. die Nervi splanchnici über dem Ganglion solare durch 
Leitung- und Infiltrationsanästhesie mit Novokain zu blockieren, 
deren Technik er schildert und bei Magenresektion, Gastroentero¬ 
stomie, Pyloroplastik, Gastrotomie, Cholezystenterostomie bewährt 
fand, wie er an zahlreichen Beispielen zeigt. 

M. R o s e n t h a 1 berichtet aus dem Darmstädter Krankenhaus 
über auffallend häufiges Auftreten von Magengeschwürsperforationen 
in der letzten Zeit (9 in Vs Jahr) und bespricht Diagnose und Behand¬ 
lung der Magengeschwürsperforation. 8U—85 Proz. können bei 
Operation in den ersten 12 Stunden gerettet werden. 

W. Noetzel gibt aus dem Bürgerhospital Saarbrücken einen 
Beitrag zur Operation des penetrierenden Magengeschwürs der 
kleinen Kurvatur und lünterwand, er rät, diese wie als perforieren¬ 
des Ulcus mit einfacher mehrschichtiger Uebernähung nach Ablösung 
vom Untergrund zu behandeln mit anschliessender Gastroentero¬ 
stomie. Bei nicht penetrierendem kallösen Ulcus der kleinen Kurva¬ 
tur hat N. immer die Querresektion ausgeführt. 

Otto Jüngling berichtet über ein typisches Phänomen 
(schnappender Ellbogen) bei angeborener Verlagerung des Radius- 
köpfcbens nach vorn unter Mitteilung zweier durch Operation ge¬ 
heilter Fälle (mit Röntgenogrammen). 

Hans Burckhardt gibt aus der Chariteeklinik Berlin eine 
eingehende Arbeit Physikalisches über Atmung unter normalen und 
pathologischen Verhältnissen, Druckdifferenz verfahren und Blut¬ 
bewegung unter Mitteilung mehrfacher physikalischer Versuche und 
eingehender Kritik der Versuche anderer Autoren (Cloetta, 
Jäger, Lohmann, Müller und Rohden, Tiegel, 
Dreyer etc.). 

Leo Zindel berichtet aus der Strassburger Klinik über meta- 
pneumonische Strumitis im Anschluss an die Arbeit von H o n s e 11 
(13 operierte Fälle). 

Der gleiche Autor referiert im Anschluss an 1 Fall über chirur¬ 
gische Eingriffe bei multiplem Leberzystadenom. 

Fr. K e y s e r bespricht aus der Jenaer Klinik die Bewertung 
neuerer chirurgischer Transplantationsbestrebungen (Bruchsacktrans- 
plantatlon, Deckung eiternder Hautdefekte, Transplantationsimmuni¬ 
tät; nach ihm ist die homoplastische Bruchsacktransplantation der 
homoplastischen Epidermistransplantation nicht überlegen. 

Th. N ä g e 1 i berichtet aus der Bonner Klinik über Exstirpation 
einer Dermoidzyste des vorderen Mediastinum unter näherer Be¬ 
schreibung des Falles mit Abbildungen und Röntgenogrammen. 

Dem Heft ist das Namen- und Sachverzeichnis zu Bd. 101—110 
der Beiträge angeschlossen. Sehr. 

Zentralblatt für Chirurgie. Nr. 28, 19 i 8. 

O. Goetze-Haile a. S.: Ein neues Prinzip zur Wiederher¬ 
stellung aktiver Beweglichkeit bei Schlottergelenken mit grossem 
Knochendefekt. 

Verfassers Prinzip besteht darin, dass er bei den miteinander 
verwachsenen Muskeln wieder eine möglichst normale Funktion her¬ 
stellt, indem er Verwachsungen löst Und alle blossgelegten Teile 
völlig mit Haut umkleidet, und die Wirkung der zerstörten Knoohen- 
und Gelenkteile durch einen ausserhalb des Gliedes gelegenen Ap¬ 
parat ersetzt; dieser Schienenhülsenapparat, der aus vier beigegebenen 
Abbildungen ersichtlich ist, schafft in der quer durch die Gelenk¬ 
gegend ziehenden, vorne von einer Beugerbrücke, hinten von einer 
Streckbrücke begrenzten Lücke ein künstliches Gelenk und hält durch 
zwei feste Zügel die Muskelansätze in stets gleicher Entfernung 
vom Drehpunkt. Die Operation ist am Platze bei aktiv unbeweg¬ 
lichen Schlottergelenken, bei Verletzungen, Entzündungen und Neu¬ 
bildungen, die eine so ausgedehnte Resektion erlangen, dass ein 
aktiv unbewegliches Sohlottergelenk resultiert und vielleicht bei der 
Mobilisierung versteifter Gelenke. 

Bernh. Z o n d e k - Landsberg a/Warthe: Zur Diagnose des 
Aneurysma traumaticum. 

Verf. berichtet ausführlich über drei Fälle von Aneurysmen, 
die diagnostisch bemerkenswert waren; im 1. Fall wurde das laute 
Stenosengeräusch durch den die Gefässe komprimierenden Knochen¬ 
kallus hervorgerufen, ohne dass ein Aneurysma selbst vorhanden 
war. Im 2. Fall weist nur das Fehlen des peripheren Pulses auf ein 
Aneurysma hin; im Falle 3 sind nur heftige Parästhesien nachweis¬ 
bar. E. Heim, zurzeit im Felde. 

Zentralblatt für Gyaäkologle. Nr. 28, 1918. 

A. M a y e r - Tübingen: Ueber die Behandlung von Insuffizienz 
des Blasenschliessmuskels mit Injektion von flüssigem Menschenfett. 

Bericht über 4 Fälle, in welchen die Methode mit erstaunlich 
gutem Resultat verwandt wurde. Das Fett wurde gelegentlich von 
Laparotomien aus den Bauchdecken steril gewonnen und über der 
Flamme in einem sterilen Tiegel ausgelassen, dann filtriert, und das 
Filtrat um den Sphinkter mittels Pravazspitze deponiert. 

P. H ü s s y-Basel: Weitere chemotherapeutische Untersuchungen 
zur Bekämpfung des Mäusekarzinoms. 

Mit Akridiniumverbindungen, insbesondere dem Kadmiumsalz 
gelingt es in vielen Fällen, das Mäusekarzinom zum Verschwinden 


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zu bringen. Nicht nur durch Umspritzung, sondern auch durch 
Fernwirknng sind gute Resultate zu erzielen, besonders bei grösseren 
Dosen. Ob diese Substanzen sich zur Heilung des menschlichen 
Karzinoms eignen, ist noch nicht untersucht. Der eingeschlagene 
Weg ist vielversprechend. Werner- Hamburg. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 28, 1918. 

Leopold Landau zum 70. Geburtstag. 

L. Pick: L. Landau zum 70. Geburtstag. 

Würdigung der hauptsächlichsten Arbeiten und der Lehrtätigkeit 
des Jubilars. 

Th. Landau- Berlin: Die Grenzen der operativen Gynäkologie. 

Ueberblick über gynäkologische Operationsmethoden und ihre 
Indikationsgebiete, besonders Abgrenzung der Indikationen für chirur¬ 
gische und Strahlenbehandlung bei den verschiedenen gutartigen 
Affektionen des Uterus. Bericht von Erfahrungen über maligne Neu¬ 
bildungen, die der Strahlenbehandlung unterzogen worden waren. 

E. Falk-Berlin: Intrauterine Belastung und angeborene Wir¬ 
belsäuleverkrümmung. 

Verf. konnte in 3 Fällen, über welche eingehender berichtet 
wird, Störungen in der Morphogenese der Wirbelkörper nach- 
weisen, die ihre Ursache allein in der ersten Entwicklung der 
blastematischen Wirbelsäule haben können, wo die embryonale 
Lage so gesichert ist, dass eine grob mechanische Beeinflussung 
nicht in Frage kommt. Veri. legt in seinen Darlegungen auf letzteren 
Zusammenhang das Hauptgewicht. In den meisten Fällen von an¬ 
geborenen Wirbelverkrümmungen liegt die eigentliche Ursache der 
Difformität nicht in grob-mechanischen Hinderungen, sondern in 
Störungen der Wachstumsrichtung und -energie durch Ernährungs¬ 
störungen der embryonalen Zellen. 

Neuhäuser - Ingolstadt: Die Wundbehandlung mit dem Kat- 
gutnetz. 

Verf. berichtet über 104 mit dem Verfahren behandelte Fälle 
verschiedener Art. Das Katgutnetz ist darnach ein wirksames Mittel 
zur Ausfüllung von Substanzverlusten aller Art, zur Therapie schwer 
heilender Wunden und verschiedener entzündlicher Prozesse. 

M. W e i n r e b - Berlin: Ein Beitrag zur Therapie der Ureteren- 
verletzungen bei Laparotomien. 

Kasuistischer Beitrag, eine 32 jähr. Frau betreffend, bei welcher 
sich die einfache Methode von Stöckel-Fränkel sehr gut be¬ 
wahrte. 

H. Landau - Berlin: Versuche über die Desinfektions Wirkung 
von Sublimat, Jodtinktur und Provldoformtinktur auf der mensch¬ 
lichen Haut. 

Ergebnisse: Die Desinfektion mit Sublimat steht bezüglich der 
Wirkung auf die normalen Hautbakterien der Tageshand der Alkohol¬ 
desinfektion erheblich nach. Die Hände einzelner Versuchspersonen 
zeigen gegenüber Sublimat ausserordentlich starke Unterschiede. 
Die Wirkung des Sublimat auf den Keimgehalt der Hand hält mehrere 
Stunden an, oft sind sogar die Flände 1 Stunde nach dem Sublimat¬ 
gebrauch keimärmer als unmittelbar darnach. Der Anstrich der 
Haut mit Jodtinktur, noch weniger mit Prov.-Tinktur, ist ungenügend 
zur Desinfektion der Haut. 

Pick: Ueber die pathologische Anatomie des Paratyphus ab¬ 
dominalis. (Schluss folgt.) G r a s s m a n n - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. 1918. Nr. 28. 

August Bi er-Berlin: Beobachtungen über Regeneration beim 
Menschen. 

P. Schrumpf- Berlin: Die Häufigkeit syphilitischer Erkran¬ 
kungen in der inneren Medizin. 

Vortrag im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu 
Berlin. Siehe M.m.W. 1918 S. 742. 

W. Hoffmann: Ueber die Erfolge regelrecht durchgeführter 
Malariaprovokationen. 

Durch Provokation durch Wärme oder leichte Faradisation der 
Milzgegend gelingt es in 8,5 Proz. der von Malaria Genesenen Plas¬ 
modien nachzuweisen. 

T s c h i p e f f und Fürst- München: Beobachtungen über 
Paratyphus A in Bulgarien. 

Paratyphus A tritt in Bulgarien in einer kaum an Typhus er¬ 
innernden Form auf. Roseolen sind meist nur angedeutet, Milztumor 
fehlt, ebenso Durchfälle. Die Form der Fieberkurve ist entweder 
influenzaähnlich oder typhusähnlich. 

Fritz Schlesinger - Berlin: Eine neue Infektionskrankheit. 

Vor Ausbruch der Influenza beschriebener Symptomenkomplex 
dieser Krankheit. 

M. G i o s e f f i - Triest: Vergiftung mit Rizinussamen. 

2 Stunden nach Genuss von Rizinussamen erkrankten 2 Brüder 
u. a. mit heftigen, in der Nabelgegend lokalisierten Leibschmerzen 
und starkem, anfangs schleimigem, später galligem Erbrechen. Nach 
12 Stunden war der Puls klein, frequent, die Augen tief eingefallen, 
die Extremitäten und die Nase kalt und zyanotisch. Im Harn fehlten 
pathologische Bestandteile. Nach 3—4 Tagen hörte das Erbrechen 
auf Darmirrigationen und Koffeininjektionen auf. Die Rekonvaleszenz 
dauerte über eine Woche. Bei einem der Brüder wurde ein Malaria¬ 
rezidiv ausgelöst. # 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



30. Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


855 


Siegfried W o 1 f f - Onesen: Hemmungen der Säuglingsfürsorge. 

Die Hemmungen sind bei dem Arzte zu suchen, der den Für¬ 
sorgearzt nicht genügend unterstützt, bei den oft ungeeigneten 
Schwestern, im Ressortpartikularismus, bei den wohltätigen Damen 
und bei den Eltern, die sich gegen eine Hospitalisierung oft sträuben. 

Rissmann -Osnabrück: Ueber Fürsorgebestrebungen. 

Boenheim - Rostock. 

Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. 19i8.Nr.24u 25. 

A. Hofmann - Zürich: Gibt die Achylla gastrica eine Prä- 
disposition für die Entwicklung des Magenkarzinoms? 

Aui Grund einer Statistik von 368 Fällen verneint Verf. die Frage. 

H. Zangger: Die Frage des Kausalzusammenhangs Unfall und 
Krankheit als Aufgabengebiet der Aerzte in der neuen Unfall¬ 
versicherung. 

F. Na v i 11 e- Genf: Le traitement et la guerison des Psycho- 
ncvroses de guerre invet£rees ä l’hospital S. Ändrg de Salins. 

J. Aeb ly-Zürich: Zur Frage der Krebsstatistiken. 

Ausführliche Kritik besonders vom mathematischen Standpunkt. 
Vorschläge zu einer rationellen Statistik und Empfehlung der von 
L i P p s ausgebauten Theorie der Kollektivgegenstände (Kollektiv- 
masslehre). L. Jacob. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

Nr. 27. Otto Pötzl-Wien: Ueber die räumliche Anordnung 
der Zentren in der Sehsphäre des menschlichen Grosshirns. (Vor¬ 
trag, gehalten im Verein f. Psych. u. Neurol. in Wien, April 1918.) 

Der Standpunkt der Projektionslehre ist der Ausgangspunkt für 
den Verfasser, der nicht nur die Anschauungen Wilbrands und 
Saengers über die Anordnung der Teilzentren in der Regio 
calcarina des Menschen in allen Hauptzügen bestätigt, sondern sie 
in einigen Einzelheiten noch erweitert: Die räumliche Anordnung 
der Zentren im weiteren Bereich der Sehsphäre, im Umkreis der 
Regio calcarina wird mit der Orientierung der Teilzentren in der 
engeren Sehphäre in Verbindung gebracht. 

R. H o f s t ä 11 e r - Wien: Ueber die Mukosa des amenor- 
rhoischen Uterus (mit spezieller Berücksichtigung der Kriegs- 
amenorrhöe). 

Aus dem Studium der histologischen Bilder der Uterusmukosa 
in den Fällen von Amenorrhoe (Kriegsamenorrhöe) scheint der 
Schluss berechtigt, dass die Ovulation in den meisten länger dauern¬ 
den Fällen meistens ausbleibt, da man stets nur postmenstruelle 
Mukosabilder oder Atrophie bis zu gänzlichem Schwund findet. Die 
selbst ein Jahi lang ausgebliebene Menstruation kann sich durch 
Hebung der ganzen Körperkräfte oder durch einen Reiz auf die 
Ovarien (oft sexueller Natur) von selbst wieder einstellen; jeden¬ 
falls ist das Wiederauftreten der monatlichen Blutung ein Beweis 
für die wieder stattgefundene Ovulation; die Amenorrhoe jedoch ist 
kein Beweis dafür, dass keine Ovulation stattgefunden hat. 

P. Szäsz: Ueber primäre Diphtherie des äusseren Gehör- 
ganges. 

Das interessanteste Ergebnis der Untersuchungen des Verfassers 
ist der Nachweis von Diphtheriebazillen in einer ausserordentlich 
grossen Anzahl von Gehörgängen ohne pathologische Veränderungen. 
Es scheint, dass Leute mit feuchten äusseren Gehörgängen, falls sie 
mit Diphtheriebazillen in Kontakt kommen, leichter zu Bazillenträgern 
werden als normale Leute im Rachen, oder wenn zu gleicher Zeit 
Rachen und Gehörgang mit Diphtheriebazillen besät werden, die 
Bazillen aus dem Rachen früher verschwinden als aus dem Gehör¬ 
gange. 

Otto Sachs-Wien: Anaphylaktischer Anfall nach Milch- 
'Injektionen. 

Der mitgeteilte Fall von anaphylaktischem Anfall nach Milch¬ 
injektion ist der zweite in der Literatur beschriebene. Das thera¬ 
peutische Ergebnis der Milchinjektionen war abgesehen von dieser 
sicherlich recht unangenehmen Komplikation wenig ermunternd, um 
diese fortzusetzen. 

Ad. Leop. Scherbak-Bruck - Kirälyhida: Physikalische 
Diagnose eines Gebirnabszesses. f 

Ira Gegensatz zu den oft notwendigen diagnostischen Punktionen 
des Hirns mit Kanüle oder Skalpell ist das zufällig gefundene Hilfs¬ 
mittel einer Behorchung der beklopften oder sonstwie erschütterten 
Dura so einfach und unschädlich, dass es einer Nachprüfung wert 
scheint. 

Nr. 28. W. Falta-Wien: Ueber das Vorkommen von ge¬ 
bundenem Chlor in den Körperflüssigkeiten und seine Bedeutung für 
die Faserstoffgerinnung. (Mitgeteilt in der Sitzung der k. k. Ges. der 
Aerzte in Wien am 7. VI. 18.) 

G. Mansfeld -Pressburg: Ueber Emulsionstherapie. 

Die erste Mitteilung betrifft die physiologischen Grundlagen 
dieser neuen Methode der Arzneibehandlung. Die Emulsionstherapie 
erwies sich am Menschen als vollkommen gefahrlos. Die intravenöse 
Injektion von Kampfer-Fettemulsionen in schweren Fällen von 
Pneumonie, sowie die von Chiran-Fettemulsionen bei Malaria führten 
zu sehr befriedigendem 'Ergebnis. Die Versuche werden fortgesetzt. 

V. Kollert und A. Finger: Zur Frage der Retinitis 
nephritica. 


Bei einer Anzahl akuter Nephritiden trat während der Phase 
der Ausscheidung von Lipoiden im Harne eine Retinitis albuminurica 
mit typischen Ablagerungen auf. Das Auftreten von Lipoiden in der 
Niere und im Äuge entspricht koordinierten Vorgängen, zu deren 
Entstehen eine pathologische Veränderung des betreffenden Organes 
und eine Stoffwechselstörung nötig ist. Das am leichtesten fassbare 
Zeichen der Stoffwechselstörung ist die Trübung (Pseudachylie) des 
Serums, die mit einer Vermehrung der Neutralfette und des 
Cholesterins verbunden ist und klinisch beim Nierenkranken mit 
Symptomen, die zum nephritischen Bilde gerechnet werden, in Be¬ 
ziehung stehen (Oedeme, hochgradige Albuminurie). Die Unter¬ 
suchungen zeigten, dass nach dem Rückgang der Pseudachylie und 
Hypercholesterinämie keine neuen Ablagerungen im Auge und wahr¬ 
scheinlich in der Niere auftraten; zugleich setzte oft eine Ent¬ 
wässerung Des Kranken ein und die starke Eiweissausscheidung 
schwand. Aus der Beobachtung des Serums und des Harnlipoide 
lässt sich eine Prognosestellung des Verhaltens der weissen Flecke 
im Auge, soweit sie Lipoide sind, ableiten. 

Gustav W o t z i 1 k a: Zur Verwendung akustischer Reflexe bei 
der Diagnose der Taubheit und Simulation. 

Der Verfasser löst den palpebralen Reflex durch das plötzlich 
starke Ertönenlassen von Stimmgabeln und Pfeifen aus und benützt 
ihn differentialdiagnostisch zur Unterscheidung von Taubheit und 
Simulation. 

O. Löwy: Zur klinischen Diagnose „Gasentzünduug“. 

Die Diagnose Gasbrand ist klinisch mit Sicherheit überhaupt 
nicht zu stellen, sondern sie kann nur mit Zuhilfenahme der Bakterio¬ 
logie vor. sich gehen. Der Verfasser beweist diesen Satz, indem er 
zeigt, dass ein ' sonst selten menschenpathogenes Bakterium in 
Kombination mit anderen Krankheiten (Erysipel, Sepsis, ausgedehnte 
Verletzungen) Bilder eines echten Gasbrandes vortäuschen kann. 
Man darf daher auch nur unter Berücksichtigung der Aetiologie der 
Gasentzündung ein Urteil über den Erfolg einer Therapie, namentlich 
einer Serotherapie, fällen. 

J. Fischer: Semmelweis’ Lehre. (Vortrag, gehalten 
in der Hauptvers. der k. k. Ges. der Aerzte in Wien am 15. III. 18.) 

cf. S. 443 der M m.W. 1918. Dr. Z e 11 e r - München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Breslau. Juni 1918. 

Rat tu er Benjamin: Die Ligaturbehandlung der Hämorrhoiden und 
ihre Resultate. 

Oppenheim Erwin: Ueber Mikropodie nach Schussfrakturen des 
Unterschenkels. 

Pusch Gerhard Fritz: Spontane Hiiftluxationen als Komplikation 
. des Typhus abdominalis. 

Sch me der Ernst: Ueber die künstliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft wegen Tuberkulose. 

Mohry Bernhard: Die normale Plazentarperiode (nach den Geburts¬ 
protokollen der Breslauer Universitäts-Frauenklinik in den Jahren 
1900—1907). 

M a s c h k e Konrad: Sind an den Atemschwankungen des arteriellen 
Blutdruckes Tonusschwankungen der Gefässe beteiligt? (Nur 
Titelblatt.) (Die Arbeit erscheint im Pflüger sehen Archiv für 
Physiologie.) 

Roesch Walter: Zur Differentialdiagnose der Zwerchfellhernien 
und Zwerchfellrelaxationen. 

Rotter Luise: Zur Kenntnis des Atophans und einiger Atophan- 
derivate. 

Universität Heidelberg. Juni 1918. 

Baer Ludwig: Ueber Pathologie und Chirurgie der Leberver¬ 
letzungen mit besonderer Berücksichtigung der Kriegsschüsse. 
Berns Richard: Ueber die während der Jahre 1913 bis 1917 in der 
Universitäts-Augenklinik zu Heidelberg operierten Fälle von Nach¬ 
stär. 

Finzer Heinrich: Ueber einen Fall von plasmozytärem Myelom der 
Darmbeinschaufel. 

Freudenberg Ernst: Ueber Enteiweissung durch Tierkohle. 
Kahn Erich: Ueber fünfzig in der Universitäts-Augenklinik zu Hei¬ 
delberg zur Behandlung gekommene Fälle von doppelseitiger 
Kriegserblindung. 

Kipp Paula: Ein Fall von Hemiatrophia corporis sinistra (aus¬ 
genommen Kopf) mit sklerodermatischen Veränderungen. 

Liese Grover Bernhard: Ein Fall von Vorderkammer- und Kornco- 
skleralzyste mit Endothelauskleidung. 

Rindt L. A.: Kriegsdermatologie. 

Rothschild Leopold: Intrakorneale Tätowierung (Tierversuche). 
Spatz Hugo: Beiträge zur normalen Histologie des Rückenmarks 
des neugeborenen Kaninchens mit Berücksichtigung der Verände¬ 
rungen während der extrauterinen Entwicklung. 

Wächter Franz: Die Tonsillektomie und ihre Erfolge an der Hei¬ 
delberger Universitätsklinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkranke. 
W a 11 z Wilhelm: Polypöse Herzmetastase bei Cystadenoma pseudo- 
mucinosum sarcomatosum ovarii. 

Wiest Ernst: Ueber das destruierende embryonale Hepatom. 

Za iss Wilhelm: Ueber Tränendrüsenoperationen. 


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856 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


Vereins* und Kongressberichte. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 10. Juli 1918. 

Herr J. Schütze: a) Ein neues radiologisches Ulcussymptom 
bei Magenuntersuchungen, b) Röntgendiagnose bei Lungentumoren. 

(H u f e l a n d ische Gesellschaft.) 

a) Vortr. zeigt Röntgenbildcr, auf denen die grosse Kurvatur 
erhebliche Zackung aufweist — von ihm als Zähnelung bezeichnet. 
Er deutet dies Symptom, das mehr oder weniger stark auftreten 
kann, als Zeichen eines frischeren ulzerösen Zustandes und erklärt 
es als kleine Spasmenbildung an den links gelegenen Magenpartien, 
ausgelöst durch den Ulcusreiz, der auf dem Wege des* vegetativen 
Nervensystems fortgeleitet wird. Es handelt sich also nicht um 
kleine peristaltische Wellen. Die Zähnelung kommt sowohl bei 
Geschwüren des Magens als auch des Duodenums vor und zeigt sich ge¬ 
legentlich bei Cholezystitis. Ueber den Sitz des Ulcus gibt sie nur 
dann Aufschluss, wenn sie bei Druck auf den Schmerzpunkt ein¬ 
springt („den Magen überläuft eine Gänsehaut“) oder sich erst bei der 
Duodenalpassage in stärkerem Masse bemerkbar macht, wodurch 
der Verdacht eines Duodenalulcus erweckt würde. 

Nicht zu verwechseln mit der Zähnelung sind perigastrische Ver¬ 
wachsungen und Szirrhusbildung. 

b) Obwohl für die Erkennung von Lungentumoren das Röntgen¬ 
verfahren das allergeeignetste ist, kommen doch auch Fehl¬ 
diagnosen vor. 

Vortr. zeigt ein Lungenbild, das im unteren Teil der linken 
Lunge einige kleine Flecke aufwies, die als tuberkulöse Infiltrate 
aufgefasst wurden, sich aber später als weiche Metastasen eines 
primär am Kreuzbein sitzenden Sarkoms erwiesen. Ausser der an 
den primären Tumor angrenzenden Gegend, die fortgeleitetes Tuinor- 
wachstum zeigte, fanden sich nur in der Lunge und am Brustfell 
Metastasen, die also im Röntgenbild nichts für Tumoren Charak¬ 
teristisches boten. 

Ein anderer Fall zeigte nach Ablauf einer Pneumonie im rechten 
unteren Thoraxteil einen länglich eiförmigen Schatten an der hinteren 
Thoraxwandung, der sich vom Zwerchfell trennen liess und den Ver¬ 
dacht eines Tumors oder^ Echinokokkus erweckte, in Wirklichkeit 
handelte es sich um abgekapseltes Empyem; noch zwei weitere ähn¬ 
liche Bilder von abgekapseltem Empyem werden gezeigt. 

Herr Orth; Lieber Colitis cystica und ihre Beziehung zur Ruhr. 

Das gehäufte Auftreten der Ruhr ermöglicht es, alte Streitfragen 
einer erneuten Untersuchung zu unterziehen, so die Frage, ob die 
sagoähnlichen Körnchen in den Dejektionen Ruhrkranker aus der 
Nahrung stammen oder ob es sich um Produkte der erkrankten Darm¬ 
wand handelt. 

Die hier in Betracht kommende Veränderung wird unter dem 
Namen Colitis cystica zusammengefasst. Es handelt sich in allen 
Fällen um Retentionszysten von sehr verschiedener Grösse bis zn 
Erbsengrösse. Die kleinen Formen sitzen nur in der Schleimhaut 
und entstehen aus den L i e b e r k ü h n sehen Krypten. 

Die grösseren Formen sitzen in der Submukosa. Ein Zusammen¬ 
hang mit der Ruhr besteht nicht in allen Fällen, besonders zwischen 
den kleinen Zysten ist es für die grössere Zahl der Fälle abzulehnen. 
Bei den grossen Formen handelt es sich um Heterotopie von Drüsen, 
da in der Submukosa normalerweise Drüsen nicht vorhanden. 

Man muss nach alledem annehmen, dass es verschiedene Arten 
von tiefen Schleimzysten im Darm speziell bei der Dysenterie gibt, 
nämlich atypische, intrafollikuläre Drüsen, ferner solche, die durch 
die Muscularis mucosae hindurebgedrungen sind und schliesslich 
solche, bei denen es sich um Geschwüre handelt, die sekundär mit 
Drüsen ausgekleidet sind. Alle Zysten auf heilende Geschwüre 
zurückzuführen, ist nicht richtig. 

Ueber die Schleimklümpchen hat schon V i r c h o w hervor¬ 
gehoben, dass er mit Jod vielfach Blaufärbung bekommen hat und 
er hat sie für Ainylum erklärt. Andre erklärt sie als Sekrete 
von Lymphknötchen. Das kann nicht zutreffend sein. Es fragt sich, 
inwieweit sie durch die Nahrung entstanden sind. Man muss 
zweierlei Arten unterscheiden, von denen die eine reinen Schleim, 
die andere in einem Schleimklümpchen einen Kern von Amylum hat. 
Letzterer lässt sich nur finden bei amylumhaltiger Nahrung. Es ist 
vielleicht so, dass man die aus der Nahrung stammenden Klümpchen 
in frühen Stadien, die reinen Schleimfälle später findet. Diese Auf¬ 
gabe ist von der Klinik zu lösen. Handelt es sich um Kartoffelstück¬ 
chen, so dürfte auch die Bewegung des Darmes und die Wirbel¬ 
bildung in den Zysten eine Rolle spielen. W. 

(Weitere Berliner Berichte siehe S. 859.) 


Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 14. Mai 1918. (Schluss.) 

Herr Payr stellt einen geheilten Fall von Radikaloperation 
wegen Ulcus pepticum jejuni nach Gastroenterostomie vor. 

44 jähriger nervöser Mann, vor 9 Jahren appendektomiert, seit 
12 Jahren sehr stark hyperazid; seit 1913 ist andauernder Blutgehalt 


des Stuhles festgestellt. Seit 5—6 Jahren Schmerzen nach Nahrungs¬ 
aufnahme, Hungerschmerz. 

Frühjahr 1914 in süddeutscher Universitätsstadt von ausge¬ 
zeichnetem Chirurgen operiert. Ulcus duodeni 6 cm hinter dem 
Pylorus. 1. Pylorusausschaltung nach v. Eiseisberg, 2. Gastro- 
enterostomia antecolica anterior, 3. Brauns Enteroanastomose. 

Anfängliche Besserung und Gewichtszunahme. Nach Vz Jahr 
Wiederkehr der Magenbeschwerden. Vom Herbst 1915 ab wieder 
Blut im Stuhl. Schwere Blutung mit Teerstuhl im Febryar 1917. 
Im September 1917 bedingten peritoneale Erscheinungen in der 
linken Oberbauchgegend längere Krankenhausbehandlung; man nahm 
eine Perforation eines Geschwürs an. 

Die R a d i k a 1 o p c r a t i o n (Payr), am 26. IV. 18 ausgeführt, 
ergab ausgedehnteste Verwachsungen zwischen Netz, Querkolon und 
Dünndarmschlingen mit der vorderen Bauchwand. Nach ihrer Lö¬ 
sung gelingt es, den Magen, die vordere Gastroenterostomie und die 
Enteroanastomose frelzulegen; sie zeigen tadellose, noch erkennbare 
Nahtlinien. 

Am abführenden Schenkel der Gastroenterostomieschlinge fühlt 
man querfingerbreit von der Magenanastomose entfernt eine Ver¬ 
härtung und Verdickung der Darmwand von über Daumennagelgrösse, 
welche als der Sitz des peptischen Geschwüres angesehen werden 
muss; in ihrer Umgebung bestehen besonders starke Adhäsionen. Es 
wird beschlossen, die das Ulcus tragende Dünndarmschlinge zu re¬ 
sezieren und eine neue hintere Gastroenterostomie .mit kürzester 
Schlinge anzulegen. 

Der Eingriff gestaltet sich a) wegen der schweren Verwach¬ 
sungen der Jejunumschlinge mit dem hinter ihr liegenden Querkolon 
und b) wegen der Kürze der nach der Resektion für die hintere 
Gastroenterostomie zur Verfügung stehenden obersten Dünndarm¬ 
schlinge recht schwierig, konnte aber doch ohne jeden Zwischenfall 
zu Ende geführt werden. Die hintere Gastroenterostomie wurde 
breit ausgeführt, die Vereinigung, der resezierten Darmschlinge nach 
dem Seit-zu-Seit-Typus gemacht. 

Glatter Verlauf ohne wesentliche Komplikationen. Patient ist 
völlig beschwerdefrei. 



\n 


Ulcera pept. jcj. 


Entero- 

anastomose. 


Resektionspräparat des 
Ulcus pepticum jejuni. 


Das Resektionspräparat (s. nebenstehende Figur) zeigt 
2 knapp nebeneinander stehende Ulzera peptica nahe der ehemali¬ 
gen Gastroenterostomie. 

Das Ulcus pepticum ist eine wichtige, wenn auch seltene Spät¬ 
komplikation nach Gastroenterostomie. 

Payr hat 7 Fälle operiert, etwas mehr gesehen. 3 davon 
kamen auf ca. 700 (!) Gastroenterostomien seines eigenen Ulcus- 
materiales, 4 w'aren anderen Ortes operiert worden. 

Payr glaubt, dass die an seiner Klinik sehr ausgedehnte Ver¬ 
wendung der Resektion der Magengeschwüre das Fehlen 
grösserer Beobachtungszahlen dieser Erkrankung erklärt; nach 
gleichzeitigem Pylorusverschluss ist diese Ulcusbildung allem An¬ 
schein nach häufiger als nach einfacher Magendarmverbindung. 

Herr Payr hat die seinerzeit sehr häufig gebrauchte Pylorus¬ 
ausschaltung beim Geschwür des Zwölffingerdarms aus 
Gründen, die anderen Orts besprochen werden sollen, seit einigen 
Jahren wieder aufgegeben. Bei Gastroenterostomie wegen dieser 
Erkrankung wird das Ulcus pepticum am häufigsten beobachtet. 


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50. Juli 1918. 


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Die Erscheinungen sind: neuerliche Schmerzen bald nach 
der Nahrungsaufnahme, gegen den Rücken» ausstrahlend, besonders 
bei starker Adhäsionsbildung, neuerliche Hyperazidität und 
Hypersekretion. Andauernder Befund okkulten Blutes im 
Stuhl ist häufiger als Massenblutungen (Teerstuhl). Zum Blut¬ 
erbrechen kommt es selten. Starke Abmagerung und Kräfteverfall 
begleiten die Erkrankung. 

Ausser der Blutung sind die wichtigsten Komplikationen die 
Penetrationen gegen Nachbarorgane mit Bildung innerer 
Darmfisteln z. B. gegen das Querkolon mit Durchfall unverdauter 
Speisen, Perforation in die freie Bauchhöhle. 

Das Ulcus sitzt selten- direkt am Gastroenterostomiering, ge¬ 
wöhnlich im Bereich der Jejunumschlinge selbst. 

Im Gegensatz zu den Erfahrungen v. Haberers, der das 
peptische Geschwür stets nur nach hinterer Gastroenterostomie 
gesehen hat, beobachtete es der Vortragende unter 7 Fällen 4 mal 
nach der vorderen. 

Die innere Therapie versagt in der Regel. Ein Versuch mit 
der Röntgentiefenbestrahlung zur Behebung der Hyperazidität nach 
W ilms käme wohl in Betracht. An der Leipziger Klinik gemachte 
Versuche mit dieser Behandlung sind noch nicht spruchreif. 
Palliative Eingriffe, wie die Anlegung einer neuen, an tieferer 
Jejunumstelle sitzenden Gastroenterostomie u. a. m. geben in der Regel 
nicht den gewünschten Erfolg. Die Radikaloperation mit Resek¬ 
tion der das peptische Geschwür tragenden Jejunum¬ 
partie ist die weitaus sicherste, wenn natürlich auch nicht den 
Erfolg absolut sicher gewährleistende Behandlungsart. Die Eingriffe 
können, besonders wenn es sich um hintere Gastroenterostomie mit 
kürzester Schlinge gehandelt hatte, sehr schwierig sein, lassen sich 
aber von dem abdominal chirurgisch wohl Bewanderten- wohl immer 
durchführen. 

Herr Payr demonstriert ein Präparat zur Frage: Pyosalplnx 
mit DarmkompUkatlonen. 

25iähriges Mädchen zeigt seit 3M* Monaten täglich sich wieder¬ 
holende abendliche Temperatursteigerungen bis über 39° bei sonst 
gutem Allgemeinbefinden, jedoch leichten Darmstörungen, Meteoris- 
mus. Koliken. Die Blutuntersuchung ergibt 16 000 Leukozyten, die 
gynäkologische einen zweimannsfaustgrossen, druckempfindlichen 
Tumor der linken Adnexe mit dem Uterus fest verklebt, allem An¬ 
schein nach auch (Röntgenbild) mit der Flexura sigmoidea. 

Die Laparotomie am 2. V. 1918 (Payr) ergibt einen von der 
linken Tube ausgehenden entzündlichen Tumor mit kleineren und 
grosseren Perforationen a) ins Zoekum, b) in eine Dünndarmschlinge 
und c) in die auf den Tumor heraufgezogene und dadurch beinahe 
spitzwinklig geknickte Sigmaschlinge. Alle drei Darmschlingen 
werden gelöst, die Durchbruchstellen exzidiert und sorgfältigst mehr¬ 
schichtig übernäht. Die Pyosalpinx wird nach Mobilisierung des mit 
dem Douglasperitoneum unlösbar verklebten hinteren Blattes des 
Lig. latum ohne besondere Schwierigkeiten aus ihren Verklebungen 
befreit und entfernt, Mikulicz-Tamponade: das Präparat 
zeigt die mehrfachen Darmdurchbruchstellen. Fs erfolgte völlig 
glatter Verlauf ohne Darmfistelbildung. ' 

Herr Payr hat im Laufe der Jahre eine grosse Anzahl von ent¬ 
zündlichen chronischen Adnextumoren mit schweren Darm¬ 
komplikationen gesehen. Nicht selten waren es Fälle aus¬ 
wärts operiert mit während oder nach der Operation ent¬ 
standenen Darmfisteln sowohl des Dünn- als des Dickdarms, 
manchmal sogar beider Darmanteile. In anderen lagen nach spon¬ 
tanem Eiterdurchbruche gegen die Bauchdecken oder die Scheide 
zutage getretene Darmfisteln vor. Während die Operation frischer 
entzündlicher Adnexerkrankungen gegenwärtig wohl von nahezu 
ailen Gynäkologen auf die wenigen Fälle mit vitaler Anzeige be¬ 
schränkt wird, kann der Eingriff bei chronischem Verlauf oft¬ 
mals nicht umgangen werden. ' 

Liegen Darmkomplikatimicn vor, dann bringen pallia¬ 
tive Eingriffe, wie Drainage gegen die Scheide, das Rektum, nur 
selten Erfolg. 

Es empfiehlt sich unbedingt, völlig klare Verhältnisse durch die 
Laparotomie zu schaffen und radikal vorzugehen. Die Dureh- 
nruchstellen vom und zum Darm müssen aufgesudit, gelöst, wenn 
gesunde Serosa vorhanden; iibernäht werden; sonst müssen die be¬ 
treffenden Darmabschn-itte reseziert werden — handelt es 
-■.Ich um Dünndarm, wenn möglich in der ganzen Ausdehnung der 
schwer mit dem Adnextumor verklebten Partie, die oft genug eine 
ganze Anzahl von Fisteln beherbergt. 

Auch beim Dickdarm, im besonderen der Sigmaschlinge lohnt 
cs sich, reine Verhältnisse, wenn nötig, durch die Resektion zu 
schaffen. Die Ausschaltung des Fistelbereichs durch Kolostomie 
an höherer Stelle gewährleistet keineswegs den Er¬ 
folg. Der Adnextumor selbst als Quelle stets sich erneuernder 
Komplikationen muss stets entfernt werden. Bei Tuberkulose sind 
die Aussichten derartiger Fälle nicht günstig, sonst wurden gute 
Ergebnisse erzielt. 

Herr Payr hält einen Vortrag: Zur operativen Behandlung der 
fixierten „Doppelflintenstenose“ an der Flexura coli slnlstra (zugleich 
eta Eingriff gegen bestimmte Formen chronischer Obstipation). 

Payr hat in edner Anzahl früherer Arbeiten über eine durch 
Adhäsionen fixierte scharf spitzwinklige Knickung an der Flexura 

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Henalis coli berichtet, hat gezeigt, dass ähnliche scharfe Winkel¬ 
bildungen auch an der Flexura coli dextra Vorkommen können. 

Es handelt sich um manchmal sehr derbe Seit-zu-Seit-Verlötung 
von Endteil des Querdarms mit dem Anfangsteil des Colon desceradens 
durch meist dem grossen Netz entstammende Adhäsionen. Bei einem 
zweiten von Payr beschriebenen Typus, den er als fixierte 
K o 1 o p t o s e bezeichnet, fehlen zwar ausgedehntere Seit-zu-Seit- 
Verklebungen, ist aber der Querdarm durch oft straff gespannte Ver¬ 
wachsungen des grossen Netzes an tiefer gelegener Stelle (Nabel¬ 
bruch, Leisten- oder Schenkelhernien, Appendixgegend, Laparotomie¬ 
narben, Flexura sigmoidea, weibliches Genitale) in stark ge¬ 
senkter Lage (Transversoptose) festgehalten. 

Dadurch entsteht eine Erschwerung der Dickdarmpassage mit 
einem klinisch meist gut ausgesprochenen Bilde, an dem man zwei 
Haupttypen: a) die sich wiederholenden Ventilverschlüsse (Gas¬ 
sperren), b) die chronische Darmstase, zuweilen sogar ernste Stenose 
unterscheiden kann. 

Für die schweren Formen der Seit-zu-Seit-Verlötung empfehlen 
sich breit angelegte En-teroanastomosen zwischen Colon 
transversum und descendens, noch bequemer zwischen dem tief 
herabhängenden Querkolon und der sich bequem ablegenden- Flexura 
sigmoidea. 

Beim Fehlen schwerer Adhäsionsverbindung 
an den Läufen der Doppelflinte hat Payr seit 10 Jahren 
in einer Anzahl von Fällen die Senkung des linken Kolon¬ 
winkels mit Durchtrennung des Lig. phrenico-colicum 
mit bestem Erfolge ansgeführt. Ein Schnitt parallel zum linken 
Rippenbogen gibt genügenden Zugang. Das obengenannte Band wird 
entweder quer durchtrennt oder wenn es länger ausgezogen ist, 
exstirpiert. Der linke Koloruwirrkel lässt sich mm unschwer um 
8—12 cm senken, wird an neuer tiefer gelegener Stelle wieder durch 
Nähte am Retroperitoneum fixiert, der dreieckige oder streifen¬ 
förmige Peritonlealdefekt an der Winteren Leibeswand sorgfältig 
durch Naht geschlossen, die Unterbindungsstümpfe des Bandes 
versenkt. 

Die Vorteile dieses allerdings nur für gewisse Fälle passenden 
Verfahrens sind: 

1. das Darmlumen wird nicht eröffnet; keine Gelegenheit zur 
Bildung neuer Adhäsionen; 

2. es schafft keine ausgeschaltete Darmpartie; 

3. es ist technisch einfach, in kurzer Zeit auszuführen; 

4. gestattet sofortige Anwendung sämtlicher Massnahmen zur 
Anregung der Peristaltik. 

Der Eingriff wird im Epidiaskop in verschiedenen Bildern vor¬ 
geführt. 

Ausserdem gibt Herr Payr eine eingehende Darlegung der 
normalen und vergleichenden Anatomie der Flexura lienalis coli, der 
einschlägigen Fragen der Physiologie des Dickdarms, der KHnik der 
in den letzten Jahren nach seinem Namen bekannten Erkrankung. 

Herr Kleinschmidt: Demonstration von Magenresektions- 
präparaten. 

Kl. demonstriert eine grössere Reihe von- Magenpräparaten aus 
dem grossen Resektionsmateriale der Leipziger Klinik. 

Aus den- Präparaten lässt sich beweisen, dass es oft unmöglich 
ist, bei Zweifelsfällen, in denen eine Diagnose, ob Ulcus, ob Karzinom, 
vor der Operation mit allen Untersuchungsmethoden nicht gestellt 
werden konnte, durch die Probelaparotomie Klarheit zu schaffen. 

Für Ulcus spricht folgender Befund: 

1. der Sitz des Tumors an der kleinen Kurvatur oder Hinterwand, 

2. entzündliche Veränderungen der Magenwand, 

3. deutlich fühlbare Delle ohne wallartigen Rand oder Sattel¬ 
form des Ulcus, 

4. entzündliche Verklebungen mit den Nachbarorganen, 

5. Perforationen in Nachbarorgane, besonders Pankreas, Leber 
oder vordere Bauchwand, 

6. Fehlen von Metastasen. 

Für Karzinom sprechen: 

1. abgegrenzter Tumor, 

2. solider Tumor, 

3. Ulcus mit wallartigen Rändern, 

4. Metastasen. 

Es kommen aber, wie gesagt, viele Fälle vor, in denen der Be¬ 
fund so unsicher ist, dass eine exakte Diagnose nicht möglich ist, 
da viele Ulzera grosse Tumoren bilden, bei denen die Entzündungs¬ 
erscheinungen so chronisch verlaufen, wie wir sie auch bei Kar¬ 
zinomen finden. Andererseits gibt es Karzinome, die dieselben Ver¬ 
wachsungen zeigen wie die chronischen Ulzera. Diese Verhältnisse 
finden sich am häufigsten an der kleinen Kurvatur. Am schwierigsten 
ist die Diagnose bei den Karzinomen, die auf Ulcusbasis entstanden 
sind. Dann kann die Diagnose unter Umständen selbst am makro¬ 
skopischen Präparate nach der Resektion noch nicht gestellt werden 
und erst die mikroskopische Untersuchung schafft Klarheit. 

Trotz dieser Schwierigkeit der Diagnose kommt der Chirurg 
nicht in Verlegenheit in bezug auf die Behandlungsweise. Sitzt der 
Tumor an dem Pylorus, so wird man nur dann zur Resektion 
nach B i 11 r o t h II schreiten, wenn die Diagnose Karzinom sehr 
wahrscheinlich ist oder wenn ein jahrelang bestehendes chronisches 
Ulcus angenommen wird, in dessen Ausheilung man sehr berechtigte 

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Zweifel setzen muss. Selbstverständliche Voraussetzung ist ein leid¬ 
licher Allgemeinzustand. In anderen Fällen wird man sich mit einer 
Gastroenterostomie begnügen. 

Sitzt der Tumor an der kleinen Kurvatur, so wird man auf alle 
Fälle eine Queresektion ausführen, da sic bei gutausgebildeter 
Technik kaum einen grösseren Eingriff bedeutet als die Gastro¬ 
enterostomie. 

Die guten Operationserfolge der Leipziger Klinik beweisen die 
Richtigkeit dieser Indikationsstcllung. 


Aerztlicher Verein zu Marburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 30. Januar 1918. (S c h 1 u s s.) 

Herr König: Aus dem Gebiete der Nlerenchirurgie. 

1. Darmblutung bei Hydronephrosis calculosa. 

37 jähr. Kranke, von der med. Klinik überwiesen am 2.1. 18. 
Vor langen Jahren rechtsseitige Nierenkoliken, dann völlig ohne Be¬ 
schwerden. Etwa 6 Wochen vor der Aufnahme plötzlich ohnmacht¬ 
artige Anwandlung, danach starke Blutungen aus dem Darm. In der 
med. Klinik noch 3 Tage lang chemisch nacligewiesen. 

Kein Befund vom Magen. Dagegen fand sich ein praller Tumor 
rechts im Epigastrium und von der Nierengegend fühlbar. 

Zystoskopie: Rechts leukozytenreicher, links freier Urin. 

Röntge nbild er: Grosse Nierensteinmasse. 

5.1.18. Nephrektomie mit v. B e r g m a n n schem Nierensclmitt. 
Grosse Sackniere, um 90® nach abwärts gedreht, und noch handbreit 
über die Wirbelsäule nach links hinüberreichend, Konvexität auf 
dem Promontorium. Harte Steinmasse im Nierenbecken, Kelche er¬ 
weitert, Inhalt trüb, Nierciisubstanz fast geschwunden.. 

20.1. 18. Glatter Verlauf. Keine Blutung mehr aufgetreten. 

Die Beobachtung einer schweren Blutung aus dem Magendarm¬ 
kanal liess zunächst den Gedanken an Ulcus um so mehr auftreten, als 
die Patientin von dem Tumor in ihrem Bauch keinerlei Beschwerden 
hatte, ja eigentliche keine Kenntnis. Es schien zweifelhaft, ob sie 
durch den Tumor bedingt sein könne. 

Trotzdem ist das anzunehmen. Die mächtige Geschwulst war 
quer durch den Retroperitoneairaum zwischen Wirbelsäule und vor¬ 
derer Bauchwand ausgespannt und vermochte die grossen mesen¬ 
terialen Venen zu komprimieren und so eine Stauuiigs- 
blutung hervorzurufen, wie wir das z. B. im Becken sehen. K. hat 
vor Jahren bei einem 11jährigen Mädchen einen Echinokokkus aus 
dem Beckenbindegewebe entfernt, welcher eine Stauungsblutung her¬ 
vorgerufen hatte. 

2. Nierensteinoperationen. 

K. stellt 2 wegen Nierenstein operierte Patienten vor, zur Be¬ 
sprechung des operativen Vorgehens. 

a) Fr. V., 45 jähriger Mann. Seit Herbst 1914 Schmerzen in der 
Nierengegeud, erster Kolikanfall im Herbst 1915. seitdem häufiger, 
zuletzt alle 4—5 Wochen. Von der med. Klinik überwiesen 9. X. 16. 

Steindiagnose durch Röntgenbild; im Urin Eiwciss und Leuko¬ 
zyten. 

12. X. 16. Lumbalsclmitt. Nierenbecken schwer zugänglich. 
Längsschnitt durch die Niere. Im Nierenbecken, dicht 
vor dem Eingang zum Ureter, bolmengrosscr Stein, wird entfernt. 
Blutstillung schwer, starker Blutverlust. Tamponade mit Vioform- 
gaze, ausserdem Naht. Kochsalzinfusion. Kampfer. 

13. X. 16. Urin rein blutig. Puls stark beschleunigt, klein; 
grosser Durst. Kochsalz mehrmals, Herzmittel. Gegen Abend Ver¬ 
bandwechsel. Entfernung der Nähte aus der Niere, des Tampons. 
Schnittfläche mit geronnenem Blut bedeckt. Blutung aus dem Par¬ 
enchym gering. Tamponade. Tröpfcheneinlauf. 

19. X. 16. Urin seit mehreren Tagen mikroskopisch blutfrei, im 
Verband schwache Blutfärbung, reichlich Urin, Tampon erneuert. 

25. X. 16. Allgemeinbefinden noch immer schlecht, jedoch Puls 
kräitig. Urin ca. 2000, leicht getrübt. 

3. XL 16. Patient steht auf. 

18. XI. 16. Fortschreitende Erholung. Im Urin noch einige 
Leukozyten, sonst frei von Eiweiss und Blut. 

25. XI. 16. Entlassen. Wunde später langsam geschlossen. 

Befund am 29. I. 18: Patient hat noch etwas Rückenschmerzen, 
hat leichte Beschäftigung. Urin frei von Beimengungen. 

b) W. E., 24 jähriger Mann. Seit dem 12. Jahre anfallsweise 
Schmerzen in der rechten Unterbauchseite, nach der Arbeit. Auch 
nachts sehr stark. Rechte Nieren- und Uretergegend leicht druck¬ 
empfindlich. Im Urin: Eiweiss *K im Sediment reichlich Leukozyten. 
Erythrozyten, Salze. Zystoskopisch: Rechter Urin trübe. Im Rönt¬ 
genbild dreikantiger Stein. Von der med. Klinik verlegt am 2.1.18. 

9.1.18. Operation. Rechtsseitiger Nierenschnitt. Nierenhilus 
von rückwärts freigelegt, Fett entzündlich verdickt, Ureter schwer 
freizumachen: erst nach Freilegung der Gefässc von vorn und des 
oberen Pols fühlt man den Stein im Nierenbecken gleiten. Eröffnung 
des Nierenbeckens von rückwärts, dabei starke venöse Blu¬ 
tungen am Uebergang zur Niere. Stein 1 '4 cm lang; Ureter frei. —- 
Nierenbeckennaht, Versicherung nach Payr. Blutung steht sofort. 
Niere an Fascia lutnbodorsalis fixiert. Naht, bis auf Drain in die 
Weichteile. 

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Nr. 31. 

17.1. Guter Verlauf Nur sehr geringe Sekretion aus der Wunde. 

30.1. Wird mit kleiner granulierender Wunde vorgestellt. 

Die beiden Fälle zeigen den grossen Wert der Extraktion der 

Steine vom Nierenbecken aus. durch Pyelotomie, gegenüber der Spal¬ 
tung der Niere, der Nephrotomie. Im ersten Fall war der Stein nur 
durch breiten Zugang von der Niere her zu finden. Folge: eine sehr 
blutige Operation, noch mehrere Tage dauernde Blutung, schwere 
Schädigung des Allgemeinzustandes. monatelanger Heilungs verlauf; 
im zweiten Fall sehr geringe Beeinträchtigung durch die Operation 
und die glatte Heilung in wenig über 14 Tagen. K. weist darauf hin, 
dass die Pyelotomie wieder durchaus die bevorzugte Steinoperation 
geworden sei, er selbst hat sie in einer Anzahl von Fällen sehr 
leistungsfähig gefunden. Die Fistelbildung wird durch die verbesserte 
Technik — Lappenplastik aus der Capsula fibrosa — vermieden. 
Interessant ist. dass eine bei der Pyelotomie an der Umsch lagst eile 
auf die Niere auftretende schwere, und momentan nicht zu stillende 
venöse Blutung durch das Herunterschlagen des Payr sehen Lappens 
sofort stand. 

3. Blutungen aus der Niere aus unbekannter Ursache. 

a) H. K., 38 jähriger Mann. Von der med. Klinik verlegt am 

4. XII. 1917. 

September 1904 Harnröhrenverletzung, Operation, Dauerkatheter. 
Heilung. Nach der Entlassung aus der Klinik bemerkte Pat. den Ab¬ 
gang von Steinen. Im Mai 1905 war er wiegen Nephritis in einer med. 
Klinik. Weiter ohne Beschwerden. 

Im Oktober 1917 starker Blutabgang mit dem Urin. Von der 
med. Klinik verlegt am 4. XII. 17. Noch immer starke Hamblutung. 

7. XII. Ureterenkatheterismus: linke Niere reichlich Eiweiss, im 
Sediment Leukozyten, reichlich Erythrozyten; rechte Niere schwache 
Eiweisstriibung, vereinzelte Leuko- und Erythrozyten. RörctgenbHd 
ergibt keinen Steinschatten. 

12. XII. 17. Freilegung der linken Niere, tiefstehend, beweglich, 
überall Verwachsungen zwischen Capsula fibrosa und addposa. Ah- 
schieben der Capsula fibrosa. Sektionsschnitt bis tief ins Nieren¬ 
becken, in diesem flüssiges Blut. 

Sonst kein Befund, kein Stein. Probeexzision aus der Niere. 
Starke Blutung aus der Schnittfläche. Durchgreifende Nähte. Fixa¬ 
tion an der Fascia lumbodorsalis. 

Erste Tage nach der Operation noch starke Hämaturie. Wei¬ 
terer Verlauf gut. 3.1.18 entlassen. 

28.1.18. Noch leichte Schmerzen. Urin klar. Mikroskopisch 
im Zentrifugat ein paar Leukozyten; ganz leichte Eiweisstrübung. 

Untersuchung der Probeexzision vom Patholog. Institut; Ein¬ 
zelne hyaline Glomeruli. Keine degenerativen Veränderungen am 
Epithel der Harnkanälchen. Nur einige wenige Erythrozyten in den 
gewundenen Harnkanälchen. 

b) Frau A. K. St., 26 Jahre. Pat. hat schon mit 16 Jahren eine 
starke Blutung aus den Harn wiegen gehabt, die damals auf eine In¬ 
jektion (Gelatine) gestanden haben soll. 

Bei der am 14. XII. 16 erfolgten Aufnahme besteht seit 4 Wochen 
anhaltendes schweres Harnbluten. Urin sieht aus wie Blut mit Ge¬ 
rinnseln. Pat. stark anämisch. Linke Niere deutlich fühlbar, etwas 
empfindlich, rechte Niere nicht fühlbar. 

Wiederholte Zystoskopie ergibt keinen sicheren Befund. Mikro¬ 
skopisch reines Blut und thrombotisches Gerinnsel. Keine Bak¬ 
terien. 

Pat. kommt immer weiter herunter, hat Ohnmachtsanfällc. 

30.1.16: a) Sectio alta, Blase klein, unverändert. Aus dem lin¬ 
ken Ureter kommt stossweise blutiger Urin; aus der rechten Seite 
entleert sich auch bei längerer Beobachtung nichts. Linker Ureter 
leicht zu sondieren, der rechte ist nicht zu sehen oder zu sondieren. 
Anwesenheit einer rechten Niere fraglich. 

Schluss der Blase. 

b) v. B e r g m a n n scher Nierenschnitt und Freilegung des Ure¬ 
ter der linken Seite. Letzterer etw^as weit, zeigt bis tief unten ins 
Becken sonst nichs Abnormes. 

Niere steht tief, fühlt sich sehr prall an. Fibröse Kapsel wird 
abgestreift. Niere durch Längsschnitt bis ins Nierenbecken eröffnet. 

Auf der Schnittfläche der rückwärtigen Hälfte liegt in einem 
hochgelegenen Nierenkelch ein dickes Blut¬ 
gerinnsel. Nichts Krankhaftes weiter. Probeexzision. 

4 durchgreifende Katgutnähtc. Naht. 

1.1.17. Verlauf gut. Urin, spontan entleert, ist von dem 
Einsriff an frei von Blut. 

Langsame Erholung. Schwere sekundäre Anämie, von Prof, 
v. Bergmann behandelt. 

30.1.18. Pat. wird in blühender Gesundheit vorgcstellt. Urin 
o. B. Narben verheilt. 

Befund des probeexzidierten Stückes der Niere, vom Patholog. 
Institut, ergibt nichts Krankhaftes. 

K. stellt beide Beobachtungen zusammen als Beitrag zu dein 
schwierigen Gebiet der Nierenblutung ohne bekannte Ur¬ 
sache Während der 38 iährige Mann nach der Anamnese — 
schweres Trauma 1904, Abgang von Konkrementen nach Abheilung 
der Urethrotomie — trotz negativer Röntgenaufnahme und der Er¬ 
öffnung von Niere und Nierenbecken doch immer noch verdächtig ist 
irgendwo kleine Steine zu haben, muss dieser Gedanke bei der 
26jährigen Frau ausscheiden, bei welcher die Blase geöffnet und 

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30l Juli 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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durchsucht, und Niere, Nierenbecken und Ureter durch Nephrotomie, 
durch Betastung und Sondierung des Ureter geprüft wurden. Man 
wird auch an kleine Polypen in den Harnwegen, welche zuweilen 
solche Blutung machen können, nicht mehr denken. Dieser Falt ge¬ 
hört damit in das Gebiet der essentiellen Hämaturie, der 
Blutung aus einer Niere, Nephralgie hematurique, des von Nitze 
auf gestellten Krankheitsbildes, das so manche Deutung gefunden hat. 
Es ist bekannt, dass Albarran, Israel u. a. eine Art der hämor¬ 
rhagischen Nephritis für vorliegend erachteten, und zwar soll nach 
S t r ä t e r bei 94 mikroskopischen Untersuchungen in 78 Fällen 
(83 Proz.) Nephritis irgendeiner Art konstatiert sein. 

In unserem Fall hat die pathologisch-anatomische Untersuchung 
keinen Anhaltspunkt für eine Erkrankung der 
Niere ergeben. Die Blutung, ohne Grund auftretend, mässig er¬ 
schöpfend, andauernd, entstammte der linken Seite, während rechts 
gar kein Ureter in der durch Sectio alta eröffneten Blase zu finden 
war. 

Es scheint nicht unmöglich, dass nur eine Niere vor liegt, und 
dass übermässige Spannungszustände in dieser einen. Niere zu der 
Blutung Anlass gaben. 

Von Wichtigkeit ist das sofortige' Au f h ö r e n der Blu¬ 
tungen nach Eingriff, der an der Niere in Entkapselung, 
Nephrotomie, Nierennaht und Fixation bestand, wodurch die an¬ 
scheinend verlorene Frau gerettet wurde. Derartige günstige Be¬ 
einflussungen sind von Israel u. a. mitgeteilt. Bin besonders inter¬ 
essanter Fall gehört Barling (1914): 3 Wochen lang schwere Blu¬ 
tung aus der linken Niere bei 69jähriger Frau; Operation: Nephro¬ 
tomie bis ins Nierenbecken — nichts zu finden. Heilung und völlige 
Gesundung, 11 Jahre später Tod an Hirngeschwulst; bei der Sektion 
erwies sich die Unke Niere normal. 

4. Nephralgie mit Urinveränderung. 

K. weist auf die mit Tiefstand der Niere verbundenen schmerz¬ 
haften Krankheitsformen hin, bei denen sich pathologische Ausschei¬ 
dungen im Urin der betreffenden Niere finden. Es handelte sich um 
jugendliche Individuen weiblichen Geschlechts, bei denen durch den 
Ureterenkatheterismus aus der Niere der erkrankten Seite Urin ent¬ 
leert wurde, welcher Eiweiss und Leukozyten enthielt. Gerade der 
letztere Umstand gab den Anlass, bei der Operation sich nicht mit 
dem Befunde der Ren mobilis zu begnügen, sondern die ganze Niere 
zu untersuchen, in dem gleich zu besprechenden Faill, im Gedanken 
an die Möglichkeit einer Tuberkulose, diie Niere zu spalten. 

1. W., 23 Jahre, aufgenommen am 23. V. 16. 

Seit ca. 7 Jahren krank. Bleichsucht. Im Herbst 1915 bemerkte 
sie leichte Schwellung der rechten Seite und Schwellung der Füsse. 
Nach Weihnachten 1915, Schmerzen in der rechten Nierengegend. 
Die Schmerzen gingen nicht fort. Im März 1916 stellte der Arzt eine 
Erkrankung der rechten Niere fest und überwies die Pat. der Klinik. 

25. V. Zystoskopie und Ureterenkatheterismus: links Urin klar, 
o. B.; rechts leicht trübe, enthält Eiweiss und Leukozyten. 

Rechte Niere deutlich fühlbar. 

3. VI. Freilegung der rechten Niere; etwas tiefstehend. An der 
Oberfläche befinden sich keine Krankheitserscheinungen. Langer 
Nephrotomieschmtt bis ins Becken — makroskopisch nichts abnormes. 
Kleine Probeexzision aus dem Parenchym. 

Nephropexie mit Periostlappen aus der 12. Rippe, durch die 
Capsula fibrosa. Katgutnähte der Niere. Schluss der Wunde bis auf 
kleinen Tampon. 

5. VI. Im Urin dauernd kleine Blutmengen. Puls und Allgemein¬ 
befinden gut. 

6. VI. Plötzliche starke Blutung aus der Blase und Kollaps. 

7. VI. Wiedereröffnen der Niere — auf der Schnittfläche blutende 
Arterie, die unterbunden wird. Kochsalz, Kampfer. 

16. VI. Pat. sieht noch sehr blass aus. Aus der Blase entleeren 
sich noch immer viele Blutgerinnsel, aus der Nierenwunde noch viel 
Urin. 

1. VIII. Wunde bis auf Fistel verheilt. Urin klar, ohne Befund. 
Allgemeinzustand besser. 

23. IX. Pat. hat sich sehr erholt, wird mit kleiner noch wenig 
sezernierender Wunde entlassen. 

Befund des Pathologischen Instituts aus dem Probeexzisions¬ 
stück: vereinzelt hyaline Glomeruli, keine Anzeichen von Nephritis 
oder Tuberkulose. 

Es finden sich also in einem Falle, bei dem allmählich sich Zeichen 
einer Erkrankung einer Niere entwickeln, Schwellung; Schmerzen der 
fühlbaren Niere, Eiweiss- und Leukozytenbeimengung im Harnleiter¬ 
urin, bei der Operation trotz genauester Durchforschung keine patho¬ 
logisch-anatomischen Veränderungen in der Niere selbst. In einem 
anderen ähnlichen Falle, bei dem nicht die Nephrotomie gemacht, 
sondern nur eine Probeexzision vorgenommen wurde, zeigte sich 
pathologisch-anatomisch Veränderung an den Glomerulis, die als 
Glomerulonephritis angesprochen wurde. 

Auffällig war aber in den Fällen, neben dem Tiefstand der Niere, 
die herdförmige Entwicklung narbiger Verdichtungen der Nieren¬ 
kapsel, so dass Adhärenzen zwischen Capsula fibrosa 
und adiposa entstanden, auch wohl mit der Nierenrinde. 

Hier ist wohl die Erklärung für diese Beobachtungen zu finden; 
diese Schwarten in der an Nerven reichen Kapsel 
erklären die Schmerzen, die Nephralgie. Ihre Entstehung muss auf 

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peri- bzw. paranephritische Zustände zurückgeführt 
werden, — die Ursache für diese liegen wieder in Iniektionen. Die 
Niere ist das Ausscheidungsorgan für die Mikroorganismen, wedche 
die Blutbahn durcheilen. Wir wissen, dass dies Ergebnis viel häufiger 
ist, als wir früher annahmen. Wir wissen, dass nicht nur Eiterherde 
in der Marksubstanz von Kokken in den Harnkanälchen ausgehen, 
auch die Glomeruli, die Rinde werden Sitz der Infektion. Und ebenso 
kann die umgebende Kapsel, können die Saftbahnen der Capsula 
adiposa, die Infektion auf nehmen. 

K. ist die Häufigkeit paranepliritischer Abszesse aufgefallen. 
Auf 62 chirurgische Nierenkranke ‘ kamen 10 paranephritische 
Eiterungen. Da nun durchweg nicht jede Infektion zu Eiterbildung 
führt, so vermag man sich sehr wohl vorzustellen, wie in anderen 
Fällen aus der Entzündung in der Nierenumhüllung Schrumpfungen, 
Schwarten, Narben entstehen, gleichzeitig mag als Rest der Infektion 
der Niere noch eine Leukozytenabsonderung im Harn bestehen. D i e 
herdförmigen Kapselschrumpfungen und die dar^ 
aus entstehende Nephralgie sind Folgen über¬ 
standener Infektionen. 

Die Behandlung ergibt sich daraus: Die Kapsel muss freigemacht 
und abgestreift werden, die Niere muss mittels der Kapsel hochgenäht 
werden. 

5. Ueber Nierenoperationen, besonders Nephrotomie. 

Die breite Spaltung der Niere wird bezüglich ihrer Gefahren 
sehr verschieden bewertet. So haben sich in einer Sitzung der 
Holländischen Gesellschaft für Chirurgie 1912 im Anschluss an einen 
Vortrag über einseitige (essentielle) Nierenblutungen von S t r ä t e r 
gewichtige Stimmen gegen die Berechtigung der Nephrotomie aus¬ 
gesprochen, andere ihre Gefahren gering gewertet. Indessen sind diie 
Fälle, bei denen lebensgefährliche Blutungen ihr folgten, wie unser 
beschriebener, ja bei denen die Nephrotomie nötig wurde, nicht aus 
der Literatur verschwunden; so hat L o b e n h o f f e r kürzlich noch 
eine solche Beobachtung mitgeteilt. 

Die Gefahren bestehen 1. in Schädigung des Parenchyms durch 
Durchschneidung grosser Arterienäste mit nachfolgender Nekrose. 
Zondek hat eine Schnittführung angegeben, welche dies vermeiden 
soll. Ein Blick auf gute Korrosionspräparate, wie ich sie hier bei 
Herrn Geh. Rat Gasser im Anatomischen Institut sah, zeigt, dass 
die Verletzung nicht zu vermeiden ist, — wirklich sind erfahrene 
Autoren auch dieser Ansicht. 

2. Die grösste Gefahr ist die sekundäre Blutung aus der durch¬ 
schnittenen Niere. 

Diesen Gefahren gegenüber muss die Nephrotomie nach 
Möglichkeit vermieden werden. Für die Nierensteine 
ist, wo irgend ausführbar, die Pyelotomie in moderner Technik ge¬ 
boten, sonst eventuell eine kleine Inzision durch die Niere. 

Kann die Nephrotomie als Diagnosfcikum ganz entbehrt werden? 
In vielen Fällen genügt, nach Dekapsulation, eine Probeexzision. In 
anderen, z. B. bei Verdacht auf Tuberkulose, genügt das nicht immer, 
wie K. einmal erlebte. 

Es bleiben also Fälle, bei denen die Nierenspaltung unvermeidlich 
ist. Hier machen wir den gewöhnlichen Sektionsschmitt, nach völliger 
Freilegung der ganzen Niere, achten genau auf alle durchtrennten 
Gefpssäste. 

Aber das scheint nicht zu genügen. Sehr beachtenswert sind die 
Bestrebungen russischer Chirurgen (Tschaika, Fedoroff u. a.), 
die Blutungen durch lebende Tamponade aus der Capsula adiposa zu 
verhüten (1914). K. ist der Meinung, dass ähnliche Methoden auch 
bei uns angewendet werden müssen. 

Diskussion: Herr v. Bergmann: Die Lageveränderung 
der hydronephrotischen Niere ist durch die Verschiebung des Nieren¬ 
steins und durch die veränderte Schattenprojektion in der Form des 
Steinbildes besonders gut demonstrabel. Der Blutbefund bei der 
Patientin mit essentieller Nierenblutung liess eine apiastische Anämie 
ausschliessen, obwohl die Regeneration ungewöhnlich lange ausblieb. 


Kriegsärztlicher Abend zu Berlin. 

(Eigenbericht.) 

Sitzung vom 23. Juli 1918. 

Vor der Tagesordnung: 

Ing. Perls: Ueber Beschäftigung von Kriegsblinden in den 
Siemens-Schuckert-Werken. 

Tagesordnung: 

Herr Fleischmann, Ueber die spanische Krankheit. 

Abgeschlossenes über die Epidemie mitzuteilen, ist zurzeit noch 
nicht möglich. Man möge die Erkrankung Grippe nennen, weil In¬ 
fluenza nur beim Vorhandensein von Influenzabazillen diagnostiziert 
werden kann, und Pfeiffersche Bazillen bei der gegenwärtigen 
Erkrankung nur äusserst selten angetroffen werden. 

Bernhardt hat einen Diplo-Strepto-Bazillus als Erreger der 
Krankheit beschrieben. Die Mehrzahl der Erkrankungen beginnt blitz¬ 
artig mit einem Schüttelfrost, mit Allgemeinbeschwerden, starken 
Schweissen; Herpes wird in etwa 5—10 Proz. der Fälle beobachtet. 
Dazu kommt die Beteiligung verschiedener ürgansysteme, in erster 
Linie des Respirationssystems, mit Entzündung der Luftröhre. Meist 
■ verläuft die Erkrankung mit 1—4 tägigem Fieber relativ harmlos. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


Bemerkenswert ist, dass auch in relativ leichten Fällen der Puls in¬ 
folge Vagusreizung relativ verlangsamt ist. Der Blutdruck ist niedrig, 
es besteht meist leichte Albuminurie, 'Leukopenie, resp. die Zahl der 
Leukozyten hält sich an der unteren Grenze des Normalen. Dabei 
besteht gewöhnlich eine ausgesprochene Mononukleose. 

Ernster wird- der Charakter der Erkrankung beim Hinzutreten 
von Pneumonien, meist Bronchopneumonien, bis zu lobulärer Aus¬ 
dehnung. Der Auswurf kann dabei hämorrhagischen Charakter an¬ 
nehmen. Das Fieber wird dann intermittierend. Der Exitus tritt 
dann auch durch toxische Herzschwäche ein. Daneben beobachtet 
man gegenwärtig eine Häufung lobärer Pneumonien, und grösserer 
einseitiger Ergüsse, meist Empyemen seropurulenten Charakters mit 
krümeligen Leukozytenhaufen, meist von lehmig-schmieriger Farbe. 
Sie enthalten hämolysierende Pneumo- oder Streptokokken. Die 
Entleerung dieser Empyeme kann entweder durch Punktion oder durch 
Rippenresektion erfolgen. Sind die Fälle jedoch relativ einseitig und 
ist starke Herzschwäche vorhanden, so ist die Operation vorzuziehen. 
Die nervösen Formen, die bei früheren Influenzaepidemien häufig 
waren, sind anscheinend meist mit Meningitis serosa kombiniert. 
Mittelohrentzündungen und Nebenhöhlenentzündungen sind nicht sel¬ 
ten. Kinder und Säuglinge bleiben auch bei der diesmaligen Erkran¬ 
kung, ebenso wie bei der grossen Influenzaepidemie von 1889 voll¬ 
kommen verschont. Es soll damals in* der Heubnersehen Klinik 
nicht ein einziger Influenzafail vorgekommen sein. Klinisch scheint 
die Erkrankung mit der früheren Influenzaepidemie identisch. Nur 
scheint der Verlauf ein kürzerer und leichterer. Die grösste Erkran¬ 
kungsziffer und Sterblichkeit scheint in den mittleren Jahresklassen 
bis zu 40 Jahren zu liegen, während bei der früheren Epidemie das 
höhere Lebensalter gefährdet war. Auch er führt diese Erscheinung 
auf eine von früher bestehende Immunität zurück. 

Eine absolute Immunität gegen Influenza gibt es nicht. Und 
auch diesmal sind, wie früher, Nachepidemien zu erwarten. Iso¬ 
lierungsversuche sind bei der Infektiosität der Erkrankung kaum 
durchführbar. Für Tuberkulöse, Diabetiker ist nach Möglichkeit ein 
besonderer Schutz zu fordern. In Krankenhäusern empfiehlt sich die 
Errichtung besonderer ürippesäle. 

Diskussion: Herr Mühsam hat ins den letzten 6 Wochen 
26 EmpyemrfäUe gesehen, während er früher im ganzen Jahr nur 
20—50 Fälle hatte. Meistens handelt es sich um jugendliche In¬ 
dividuen, in der Mehrzahl der Fälle im Alter um 20 Jahre herum. 
Erst hat er die Fälle fast sämtlich operiert, und ist dann zur Punk¬ 
tion und Spülungen mit Eucupin übergegangen. Einen erheblichen 
Unterschied' in den Erfolgen hat er nicht gesehen. Bei den Exsudaten 
überwiegen die Streptokokkenempyeme. Er hat im ganzen 4 Todes¬ 
fälle: bei den Komplikationen darf man mit Herzstimulantien nicht 
sparen. 

Herr Aronsohn berechnet aus den von ihm beobachteten 
Fällen eine Mortalität von 1,5 Proz., wie sie analog übrigens auch in 
der Schweiz festgestellt worden ist. Die Streptokokken werden- zwar 
im Sputum und in den Empyemen fast regelmässig gefunden, trotzdem 
besteht kaum ein Zweifel, dass die Infektion durch ein invisibles Virus 
erfolgt, und die Streptokokken fast immer nur Begleitbakterien dar- 
stellem. 

Herr Bernhardt begründet auf Grund seines Materials bei 
dem es sich um explosionsartiges Auftreten der Erkrankung handelt, 
die Sonderstellung des von ihm gefundenen Diplo-Streptokokkus. 

Herr Gin ns: Ueber die Ausbreitungswege der Spanischen 
Krankheit 

Die meisten Epidemien haben ihren Ausgangspunkt im Osten. 
Ueber die diesmalige kann man sich nur an der Hand von unzuver¬ 
lässigem Zeitungsmaterial informieren. Danach scheint sie nicht von 
Spanien ausgegangen zu sein, da im April bereits die Westfront die 
Grippe durchmachte. Auch in China herrscht jetzt die Erkrankung, 
vielleicht kam sie von dort nach England. Die Verbreitungsweise 
hängt in erster Linie von den Verkehrsverbindungen ab. W.-E. 


Vereinigte ärztliche Gesellechaften zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 17. Juli 1918. 

Tagesordnung: 

Herr Lubarsch: lieber Beobachtungen bei der Grippe¬ 
epidemie. 

Bei den 14 zur Sektion gekommenen Fällen fanden sich über¬ 
einstimmend katarrhalische oder pseudomembranöse Veränderungen 
an der Luftröhre, und waren teils gering und ähnelten teils Ver¬ 
schorfungen. Die Membranen sind nicht zusammenhängend, sondern 
mehr körnige Beschläge. Die Prozesse in den Lungen neigen zu 
hämorrhagischen Entzündungen, die bronchopneumonischen Ver¬ 
änderungen zeigen die Neigung, sich zur Pleura auszudehnen und zu 
Ergüssen zu führen. Die Fälle standen bis auf drei im Alter von 
20 bis 27 Jahren. Der Kräfte- und Ernährungszustand war in den 
betreffenden Fällen relativ gut. Der Tod ist auf die Erkrankung der 
Bronchien zurückzuführen, die Leute sind zum Teil direkt erstickt. 

Herr Citron unterscheidet ein etwa einen Tag dauerndes 
Initialstadium, dann Schüttelfrost mit Kontinua und Lyse in 3 bis 
4 Tagen. Es besteht Rötung des Rachens und leichte Schwellung 
der Tonsillen. An den Lungen bei starkem Hustenreiz ausser 
Giemen nichts festzustellen. Im Blut Leukopenie, bis zu 1600 Leuko- 


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zyten, besonders gehen die polynukleären Elemente zurück. Schon 
am 3. bis 4. Krankheitstag treten Bronchopneumonien auf, bei denen 
die Prognose dann schlecht ist. W.-E. 

Sitzung vom 24. Juli 1918. 

Vor der Tagesordnung demonstriert Herr v. Hansemann 
Präparate der Influenzaepidemie 1889, welche genau die gleichen 
pathologisch-anatomischen Befunde aufweisen, wie sie die jetzige 
Epidemie zeigt. 

Tagesordnung: 

Herr S. B e r g e I: Beiträge zur Lehre von der Hämagglutination 
und Hämolyse. (Mit Lichtbildern und mikroskopischen Präparaten.) 

Bei der immunisatorisch erzeugten Hämagglutination und Hämo¬ 
lyse wirkt die Lipoidsubstanz der roten Blutkörperchen als Anflgen, 
und die Antikörperbildung beruht auf dem chemischen Vorgänge 
einer Lipasenbildung. Diese Lipase wird geliefert von den Lympho¬ 
zyten, in denen der Vortragende ein rettspaltendes Ferment rtach- 
weisen konnte, und die als Reaktion auf die intraperitoneale Injektion 
von roten Blutkörperchen, z. B. bei der weissen Maus, in grossen 
Massen auftreten. Diese von den einkernigen weissen Blutkörper¬ 
chen gebildete Lipase stellt sich infolge mehrfacher Vorbehandlung 
mit der gleichen Blutkörperchenart spezifisch gegen das betreffende 
Erythrozytenlipoid ein. Dieser neugebildete „Zwischenkörper“ 
wird, wie bei allen fermentsezernierenden Zellen, nur in einer Vor¬ 
stufe, als Zymogen, geliefert, das sich späterhin in die Umgebung 
ergiesst, und durch eine in den Körperflüssigkeiten normalerweise 
vorhandene Substanz zu einem vollwirksamen hämolytischen Fer¬ 
ment aktiviert. Diese Lipase wird durch das homologe, zur Vor¬ 
behandlung benutzte, als Antigen wirkende Lipoid absorbiert. Auch 
der Pankreasextrakt, der hämolytisch wirkt, verliert durch Ab¬ 
sättigung mit Erytlirozytenlipoid, nicht aber durch eine solche mit 
Eiweiss- oder anderen Substanzen, die hämolytische Wirkung. 

Man kann nicht bloss innerhalb des Tierkörpers, sondern auch 
auf dem Objektträger beim Vermischen des Bauchhöhlenexsudates 
des vorbehandelten Tieres mit den betreffenden roten Blutkörperchen 
die einzelnen Phasen der Hämagglutination und Hämolyse beobachten. 

Herr Bürger: Tödliche Nierenentzündung nach Behandlung 
der kindlichen Krätze mit Naphthol. 

Kasuistik und Litcraturiibersicht. W.-E. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Sozialer Ausschuss des ärztlichen Bezirksvereins Nürnberg. 

Protokoll der Sitzung vom 18. Juni 1918. 

Vorsitzender: Dr. A. St au der. 

Bekämpfung der Bartflechtenepidemie. 

Anwesend: 12 Mitglieder des sozialen Ausschusses; ferner als 
Gäste: Herr Reg.-Rat v. A x t h e Im als Vertreter des K. Bezirksamts 
Nürnberg, Herr Rechtsrat Berghofer als Vertreter des Stadt¬ 
magistrats Nürnberg, 4 Sanitätsoffiziere als Vertreter des K. Sanitäts- 
amts Nürnberg, 2 Mitglieder der Baderinnung Nürnberg, 2 Mitglieder 
der Vereinigten Krankenkassen und 2 Vertreter der Presse. 

Nach Eröffnung der Sitzung durch Herrn Dr. Stauder be¬ 
richtet Herr Dr. G ö r 1 ausführlich über die Bartflechte in Deutsch¬ 
land und speziell in Nürnberg. Inhalt des Berichtes: Frühere Ver¬ 
breitung der Bartflechte, jetzige Ausdehnung, Ursache, Krarokheits- 
erscheinungen, Behandlung, Ausdehnung in Nürnberg, Vergleich mit 
den übrigen Hauterkrankungen, der durch die Erkrankung verursachte 
materielle Schaden und speziell der Ausfall an/ Arbeitskraft, 'Art der 
Uebertragung und im Anschluss daran Vorschläge zur Eindämmung 
der Epidemie. 

An den Bericht schliesst sich eine ausgedehnte Diskussion an. 

Herr Rechtsrat Berghofer teilt mit, welche Vorkehrungen 
bis jetzt der Stadtmagistrat Nürnberg getroffen hat, insbesondere 
um die Bader in den Stand zu setzen, die nötige Reinlichkeit in ihrem 
Betrieb walten zu lassen; es gelang eine erhöhte Seifenzuteilung für 
alle in den Friseurstuben Beschäftigten zu erzielen, dagegen wurde 
eine vermehrte Zuwendung von Wäsche nicht erreicht. 

Herr Hagen als Vertreter der Baderinnung erklärt, dass die 
Mitglieder der Innung schon längst zur grössten Vorsicht ermahnt 
und immer wieder ermahnt werden und dass dieselben wiederholt 
durch Vorträge auf die Krankheit und ihre Gefahren aufmerksam ge¬ 
macht wurden. Er erinnert daran, dass die Friseurgeschäfte nicht 
so viel Seife, Alkohol und Wäsche bekommen könnten als zur Rein¬ 
lichkeit nötig sei und erklärt, dass die Friseurstuben nicht als Brut¬ 
stätte der Bartflechtenepidemie betrachtet werden können, da im 
allgemeinen grosse Reinlichkeit in den Friseurstuben herrsche. 

Herr Dr. Epstein erinnert daran, dass die Friseurstuben zwar 
nicht als Brutstätte der Bartflechte zu betrachten seien, dass aber 
von da aus die Krankheit oft weiterverbreitet wird; es sei vor allem 
nötig, dass der Pinsel abgeschafft würde, da gerade durch den Pinsel 
sehr häufig Uebertragungen stattfinden; besonders häufig sei die 
Uebertragung auf dem Lande und vom Lande aus. Redner hält die 
Einrichtung einer Kranken rasierstube für dringend not¬ 
wendig und auch für durchführbar, zumal dieselbe auch in Hamburg 
eingerichtet wurde und dort einen regen Zuspruch habe. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



30. Juli 1018. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


861 


Herr Dennemarck als Vertreter der Baderinnung erwidert, 
dass der Pinsel gar nicht verboten werden könne, weil das Einseifen 
mit Wattebausch in den meisten Fällen technisch unmöglich sei und 
beim Einseifen mit der Hand die Ansteckungsgefahr für den Friseur 
noch grösser sei. Herr Dennemarck schliesst sich der Ansicht 
des Herrn Hagen an, dass die den Rasierstuben zur Verfügung 
jestellte Wäsche, Alkohol und Seife zu knapp sei. 

Herr Bezirksarzt Dr. W e t z e 1 teilt nochmals mit, was der 
Staidtmagistrat in der Angelegenheit schon getan habe und berichtet 
über die diesbezüglichen oberpolizeilichen Vorschriften. Der Redner 
erklärt noch besonders, dass den Badern kein Vorwurf gemacht 
werden soll, da im allgemeinen grosse Reinlichkeit in den Rasier¬ 
stuben herrsche, dass aber doch die Gefahr der Uebertragung von 
den Rasierstuben nicht gering einzuschätzen sei, zumal zurzeit sehr 
viel ungeschultes Personal dort tätig sei. Der Redner befürwortet 
ebenfalls die Einrichtung einer Krarakenraslerstube, ferner die Ein¬ 
richtung eines obligatorischen Kurses für Bader im städtischen Kran¬ 
kenbause. 

Herr Stabsarzt Dr. Rodler spricht als Vertreter des Sanitäts¬ 
amts über die Ausbreitung der Bartflechte beim Militär und die bis 
jetzt dort getroffenen Massnahmen. Er hält die Einrichtung von 
Rasierstuben für bartflechtenkranke Soldaten für zweckmässig und 
notwendig und zwar sollten diese Rasierstuben getrennt von den 
Krankenrasierstuben für Zivilpersonen errichtet werden. 

Herr Dr. Stander verweist nochmals darauf, dass eine 
generelle Belehrung und Untersuchung der Bader und ihrer An¬ 
gestellten unbedingt nötig sei und dass in den Rasierstuben ein 
Plakat aufgemacht werden solle des Inhalts, dass es verboten ist, 
hautkranke Personen zu bedienen. 

Der Vorsitzende bespricht zum Schluss die vom Berichterstatter 
gemachten Vorschläge, die in folgender Form angenommen werden: 

1. In der Presse soll die Stadt- und Landbevölkerung über die 
Erkrankung und die Art ihrer Verbreitung weitgehend aufgeklärt 
werden. 

2. Die Aufklärung beim Heer erscheint dringend notwendig. Die 
Soldaten an der Front und in der Heimat müssen soweit als möglich 
über die Krankheit unterrichtet werden. 

3. Die Belehrung der Bader hat zwangsweise in Kursen zu er¬ 
folgen und das Personal muss selbst auf bereits erfolgte Ansteckung 
untersucht werden. 

4. Es sind Krankenrasierstuben zu errichten, in welche die Bader 
jeden Kranken und jeden Verdächtigen zu verweisen haben. Diese 
Krankenstuben könnten vom Stadtmagistrat und dem stellvertreten¬ 
den Generalkommando event. mit Unterstützung der Krankenkassen 
errichtet werden. 

5. Auch beim Militär sind Krankenrasierstuben zu errichten. 

6. Die Nürnberger Hautärzte werden gebeten ein Merkblatt 
über die Bartflechte und deren Behandlung an alle Aerzte heraus- 
zogeben. 

7. Dem sozialen Ausschuss wird die Aufgabe übertragen, beim 

stellvertretenden Sanitätsamt III. bayer. Armeekorps, beim Stadt¬ 
magistrat Nürnberg, beim K. Bezirksamt Nürnberg und bei der 
K. Regierung von Mittelfranken geeignete Anträge im Sinne der vor¬ 
stehenden Beschlüsse 1—6 zu stellen und die Mithilfe der Presse 
zur Aufklärung der Oeffentlichkeit über die Gefahren der Bartflechte 
zu erwirken. D-. S t e i m h e i m e r. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 29. Juli 1918. 

— Kriegschronik. Während der ganzen Woche ist die 
deutsche Front zwischen Noyon und Reims das Ziel heftiger Angriffe 
gewesen; doch blieb dem Gegner jeder grössere Erfolg versagt. — 
Die U-Bootsbeute des Monats Juni betrug 521 000 Bruttoregister- 
tormen. Der Gesamtverlust der Feinde an Handelsschiffsraum steigt 
damit auf 18 251000 Bruttoregistertonnen. Der neue, 32 000 Tonnen 
grosse White Star-Dampfer „Justitia“ wurde versenkt. — Der öster¬ 
reichische Ministerpräsident Dr. v. Seidler ist zurückgetreten. 
Er hatte vor kurzem in einer Rede im Abgeordnetenhause den 
deutschen Kurs proklamiert und erklärt, dass sich in Oesterreich 
nicht gegen die Deutschen und nicht ohne die Deutschen regieren 
lasse; eine Bekenntnis zum Deutschtum, wie es in Oesterreich, von 
einem Regierungsvertreter seit Jahrzehnten nicht gehört wurde. Er 
hat sich damit im Deustchen Reich ein gutes Andenken gesichert. 
Sein Nachfolger ist der frühere Unterrichtsminister Freiherr 
v. Hussarek-Heinlein. Seidler wurde zum Kais. Kabinets- 
direktor ernannt. — Die wiederholt verbreitete Nachricht vpm Tode 
des Exzaren Nikolaus ist jetzt amtlich bestätigt worden. Der Be¬ 
zirkssowjet von Jekatarinburg verurteilte ihn angesichts der durch 
das Vor rücken der Tschecho-Slow'aken drohenden Gefahr zum Tode 
und liess das Urteil am 1. Juli vollstrecken. So hat er das namen¬ 
lose Unheil, das er durch seine schwächliche Haltung gegenüber den 
Kriegshetzern verschuldet hat, mit dem Tode gebüsst. 

— In der Berufungsverhandlung in dem Disziplinarver¬ 
fahren gegen Prof. Henkel vor dem Thüringischen Ober¬ 
verwaltungsgericht in Jena ist am 24. ds. das Urteil verkündet 
worden. Es lautet auf Aufhebung des Urteils der Dienststrafkammer, 


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auf Freispruch des Beschuldigten und auf Ueberbürdung 
der Kosten auf die Staatskasse. Dieser Umschwung zugunsten 
Prof. Henkels ist im wesentlichen bewirkt durch das die Tätig¬ 
keit H.s im allgemeinen günstig beurteilende Gutachten Geheimrat 
Bum ms und durch die erwiesene Unzuverlässigkeit mehrerer 
Zeugen, die ihre früheren Aussagen in bezug auf einige besonders 
belastende Fälle nicht aufrechterhalten konnten. So kam das Ge¬ 
richt zu der Ueberzeugung, dass der Beschuldigte in keinem Falle 
sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht habe, dass ihm viel¬ 
mehr nur eine gewisse Nachlässigkeit in der Wahrnehmung ein¬ 
zelner Dienstgeschäfte vorgeworfen werden könne. Diese würde 
aber nur dann strafbar sein, wenn sie als Ausfluss einer leichtfertigen 
Auffassung der Dienstverpflichtungen überhaupt zu betrachten wäre. 
Durch die gründliche Nachprüfung der gesamten Tätigkeit H.s, wie 
die Verhandlung sie ergeben hat, hat sich das Gericht aber über¬ 
zeugt, dass die verhältnismässig wenigen Fälle, in denen H. nicht 
durchaus einwandfrei verfahren ist, nicht einer leichtfertigen Auf¬ 
fassung des Dienstes oder einer anfechtbaren Gesinnung entsprungen 
sein können, sondern in Zufälligkeiten irgendwelcher Art, m Arbeits¬ 
überlastung u. dgl. ihren Grund haben müssen. Diese Verfehlungen 
stünden daher mit der Persönlichkeit des Beschuldigten und mit den 
Aufgaben seines Amtes nicht derart in Widerspruch, dass sie als 
formale Dienstvergehen angesprochen werden könnten. Somit 
musste der Beschuldigte freigesprochen werden. — Ein näheres Ein¬ 
gehen auf den Fall behalten wir uns vor. Zu Erörterungen gibt ja 
die Verhandlung und die im Urteil festgelegte Ansicht des Gerichts 
Stoff genug. Zu begrüssen bleibt es im Interesse unserer Universi¬ 
täten und des ärztlichen Standes jedenfalls, dass durch die Verhand¬ 
lung ein in hervorragender Stellung wirkender Hochschullehrer und 
Arzt von den gegen ihn erhobenen schweren Beschuldigungen ent¬ 
lastet wurde. Der Eindruck freilich, dass die Tätigkeit des Prof. H. 
nicht auf der vorbildlichen Höhe stand, wie wir es von einem Lehrer 
des ärztlichen Nachwuchses wünschen müssen, konnte auch durch 
die Berufungsverhandlung nicht verwischt werden. 

— Freitag, den 12. Juli 1918 fand in M ü n c h e n die 2. T a gu n g 
der Lebensmittelamtsärzte statt, zu welcher Einladungen 
an verschiedene grosse Kommunen im Deutschen Reich ergangen 
waren. Zweck der Versammlung war: 1. eine freie Vereinigung der 
Lebensmittelamtsärzte zu gründen, da die Aufgaben, welche an diese 
ärztlichen Prüfungs- und Versorgungsstellen mit der Zeit heran¬ 
getreten sind, so gross und verantwortungsreioh wurden, dass ge¬ 
meinsame Beratungen über die Durchführung behördlicher Anord¬ 
nungen und gemeinsame Beschlussfassung in anderen schwierigen 
Fragen unumgänglich erscheinen, 2. Sollte sofort mit der Beratung 
besonders dringlicher Materien die Möglichkeit einer generellen Eini¬ 
gung auf gewisse Forderungen, welche von seiten der ärztlichen 
Lebensmittelversorgung erhoben werden mussten, geprüft werden. 

So stand vor allen Dingen die Frage einer Verbesserung unseres 
Kriegsbrotes zur Diskussion, die hauptsächlich dadurch entstanden 
war, dass an die ärztlichen Prüfungsstellen vieler Lebensmittelämter 
ungewöhnlich hohe Anforderungen für die Gewährung von Kranken¬ 
brot gestellt werden, denen bei den Vorschriften, weiche für den 
Bezug dieser Brotsorte gelten, nicht mehr entsprochen werden konnte. 
Die Ansprüche an eine besondere Sorte von Brot für Magen, und 
Darmempfindliche würden herabgehen, wenn es gelänge, das Kriegs¬ 
brot zu verbessern. Die Versammlung einigte sich darauf dahin¬ 
zuwirken, dass der Kleiegehalt unseres heutigen Kriegsbrotes ver¬ 
mindert werden, sowie dass nur gut gereinigtes und womöglich 
enthülstes Mahlgut zur Brotherstellung zugelassen werden soll. Eine 
Umfrage bei den verschiedenen ärztlichen Stellen der Lebensmittel¬ 
ämter soll eine möglichst generelle Klarbeit speziell über diese 
Forderungen bringen. Das Resultat der Umfrage soll als Material 
dem Kriegsernährungsamte zugeleitet werden. Weiter wurde die 
Frage der Kalorienberechnung unserer heutigen Nahrung einer be¬ 
sonderen Diskussion unterzogen. Hierzu äusserte sich auch die 
Deutsche Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie in München. 
Weitere Punkte betrafen die Belieferung der Lazarette und Militär¬ 
personen. Endlich wurden Verbesserungsvorschläge über die Ver¬ 
teilung kleinerer Restmengen von Nahrung, welche für die Allgemein¬ 
heit als Verteilungsobjekt wegen ihrer Geringfügigkeit unzulänglich 
sind, zum Zwecke der Verstärkung der Vorräte für die Kranken- 
versorgung in Betracht gezogen. Die Versammlung dürfte ihrem 
Zwecke entsprochen haben, jedenfalls zeigte sie die Notwendigkeit 
gemeinsamen Vorgehens der ärztlichen Prüfungsstellen in den 
grösseren Kommunen und es ist erfreulich, dass vor allen Dingen 
die Beteiligung von Berlin, Dresden und München sehr rege war. 

-- Dem preuss. Abgeordnetenhaus ist der Entwurf eines 
Jugendfürsorgegesetzes zugegangen. Das Gesetz will die 
Systemlosigkeft und Zersplitterung, die bei den privaten Wohlfahrts¬ 
einrichtungen und Jugendfürsorgevereinen entstanden ist, beseitigen 
und Mittelpunkte schaffen, von denen aus die Jugendfürsorge ein¬ 
heitlich überwacht und durchgeführt werden kann. Zu diesem Zweck 
verpflichtet es jeden Stadt- und Landkreis, ein Jugendamt zu er¬ 
richten; ausserdem kann Gemeinden mit mehr als 10 000 Eiwohnern 
gestattet werden, besondere Jugendämter zu errichten. Den Kreis¬ 
jugendämtern gehören der Landrat als Vorsitzender, der Kreisarzt, 
Geistliche und 12 erfahrene Männer und Frauen, darunter auch 
Aerzte, an. Ihre Aufgabe ist die Waisenpflege, die Ausübung der 

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MUFNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 31. 


86 2 


Berufsvormundschaft über uneheliche Kinder, die Beantragung der 
Fürsorgeerziehung, die Beaufsichtigung des Haltekinderwesens und 
die Unterstützung hilfsbedürftiger Minderjähriger. Durch den Ent¬ 
wurf wird die geplante reichsgesetzliche Regelung der Jugend¬ 
fürsorge in weitere Ferne gerückt. Angesichts des dringenden Be¬ 
dürfnisses aber, das für ein derartiges Gesetz besteht, war der 
raschere Weg der Landesgesetzgebung vorzuziehen. 

— Man schreibt uns: Die chemische Fabrik von E. Merck in 
Darmstadt begeht am 24. August eine 25Ü-Jahrfeier. Die Fabrik 
ist aus der noch jetzt in Darmstadt bestehenden Engelapotheke her¬ 
vorgegangen, die 1668 in den Besitz der Familie Merck kam. 
Unter den bis heute dieser Familie angehörenden Inhabern der 
Apotheke wurde Heinr. Eman. Merck, ein Enkel des als Freund 
Goethes bekannten Kriegsrats Job. Heinr. Merck, der Gründer der 
Fabrik. Rege wissenschaftliche und freundschaftliche Beziehungen 
verbanden ihn mit J. v. Liebig. Teils durch Liebig angeregt, 
wandte er sich vornehmlich der Alkaloiddarstellung zu und gewann 
bereits 1827 Morphin in grösseren Mengen. Unter seinen Nach¬ 
folgern wurde die Fabrikation auf zahlreiche Präparate für Chemie, 
Pharmazie und Medizin, darunter auch organtherapeutische Präparate 
und Sera, ausgedehnt. Aus einem kleinen Gartenhaus, in dem 
H. E. Merck die ersten Versuche zu fabrikatorischer Betätigung 
unternahm, erwuchs die zuletzt eine Bodenfläche von etwa 8000 qm 
bedeckende alte Mercksche Fabrik. In den Jahren 1903/04 er¬ 
folgte ihre Verlegung in die neuen Fabrikanlagen ausserhalb der 
Stadt, die auf einer Gesamtbodcntläche von weit über 300 000 qm 
jetzt nahezu 75 000 qm bebaute Fläche mit über 300 Einzelgebäuden 
einnehmen. Die Zahl der Angestellten beträgt heute über 2200. 

— Ein Nachtrag zu Gehes Codex der Bezeichnungen von 
Arzneimitteln, kosmetischen Präparaten und wichtigen technischen 
Produkten mit kurzen Bemerkungen über Zusammensetzung, An¬ 
wendung und Dosierung ist erschienen (Gehe & Co., A.G., Dresden N.). 

— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 
7. bis 13. Juli wurde der Ausbruch des Fleckfiebers in Lautenbach, 
zur Gemeinde Oedheim gehörig (Oberamt Neckarsulm, Württem¬ 
berg), gemeldet. Die Zahl der Erkrankungsfäile ist nicht angegeben 
worden. — Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warschau. 
In der Woche vom 23. bis 29. Juni wurden 535 Erkrankungen (und 
49 Todesfälle) gemeldet. — Deutsche Verwaltung in Litauen. In der 
Woche vom 26. Mai bis 1. Juni 202 Erkrankungen und 10 Todesfälle; 
vom 2. bis 8. Juni 172 Erkrankungen und 10 Todesfälle. — Deutsche 
Kreisverwaltung in Suwalki. In der Woche vom 26. Mai bis 1. Juni 
l Erkrankung. — Oesterreich-Ungarn. In Ungarn wurden in der Zeit 
vom 3. bis 9. Juni 9 Erkrankungen (und 1 Todesfall) angezeigt. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 30. Juni bis 6. Juli 
sind 291 Erkrankungen (und 28 Todesfälle) gemeldet worden. 

— Cholera. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau. In Warschau ist bei einem am 5. Juli aus Moskau heim- 
gekehrten Deutsdhen klinisch und bakteriologisch asiatische Cholera 
festgestellt worden; der Kranke ist gestorben. Die Ansteckung ist 
wahrscheinlich auf der 7 tägigen Fahrt von Moskau über Molodetschno 
erfolgt. — Russland. Zufolge Mitteilung vom 6. Juli ist in der süd¬ 
lichen Urkraine und auch im nördlichen Bessarabien die Cholera aus- 
gebrochen. 

— Pest. Niederländisch Indien. Im Mai wurden auf Java 
31 tödlich verlaufene Erkrankungen gemeldet. 

, — In der 27. Jahreswoche, vom 30. Juni bis 6. Juli 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Flensburg mit 37,2, die geringste Rüstringen mit 5,7 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬ 
storbenen starb an Masern und Röteln in Beuthen. an Unterleibs¬ 
typhus ln Altenburg. Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Bonn. In der medizinischen Fakultät habilitierte sich der 
Assistent am physiologischen Institut Dr. Walter Thörner mit 
einer Antrittsvorlesung über „die Grundlagen des Erregungsvor¬ 
ganges und der Erregungsleitung im Nerven“. 

Erlangen. Der Ordinarius und Direktor des anatomischen 
Instituts an der Universität Erlangen Geh. Hofrat Dr. Leo Ger lach 
ist vom 1. September d. J. an von der Verpflichtung zur Abhaltung 
von Vorlesungen befreit worden, (hk.) 

Frankfurt a. M. Der Ordinarius für normale Anatomie, 
Prof. Dr. Goeppert, wurde zum Dekan der medizinischen Fakultät 
für das Studienjahr 1918—1919 gewählt. 

Giessen. Zum Rektor der Universität Giessen wurde der 
Direktor des anatomischen Instituts Geh. Med.-Rat Dr. Hans Strahl 
ernannt, (hk.) 

Greifswald. Der a. o. Professor für gerichtliche Medizin 
Dr. Martin Nippe in Erlangen hat einen Ruf an die Universität 
Greifswald als Nachfolger des verstorbenen Kreisarztes Geh. Medi¬ 
zinalrates Prof. Dr. Otto B e u m e r erhalten. 

Halle. Krankenhausdirektor V o 1 h a rd - Mannheim hat die 
Berufung als Direktor der Medizinischen Klinik angenommen. — Prof. 
Schmieden hat den Ruf nach Würzburg als Nachfolger von 
Geheimrat End er len abgelehnt. 

Leipzig. Dr. Hermann S t i e v e. bisher Privatdozent in Mün¬ 
chen, der vom 1. April 1918 als Nachfolger von Prof. Dr. Hans Held 
zum 2. Prosektor am anatomischen Institut der Universität Leipzig 


Verlagm ]. P. Lehmann In München S.W. 2, Paul Heyaestr. 26. — 

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berufen wurde, hat sich in der Leipziger medizinischen Fakultät für 
Anatomie und Anthropologie habilitiert, (hk.) — Für das Fach der 
Kinderheilkunde habilitierte sich Dr. Eduard Freise, Assistenzarzt 
an der Kinderklinik und Poliklinik, mit einer Probevorlesung über das 
Thema: „Konstitution und Ernährung irn frühen Kindesalter“, (hk.) 

M a r b u r g. Die Philipps-Universität Marburg zählt in diesem 
Semester 2458 immatrikulierte Studierende, davon gelten 1692 als 
beurlaubt im Heeres-, Sanitäts- oder Hilfsdienst stehend. Der medi¬ 
zinischen Fakultät gehören an 549, davon 47 Studierende der Zahn¬ 
heilkunde. Zusammen mit den 20 Hörern beträgt die Gesamtzahl der 
Berechtigten 2478. (hk.) 

M ii nche n. In der medizinischen Fakultät habilitierte sich für 
orthopädische Chirurgie Dr. Georg Hohmann mit einer Probe¬ 
vorlesung über Fortschritte in der Behandlung der Lähmungen. — 
Der frühere Ordinarius und Direktor der psychiatrischen Klinik der 
Universität Heidelberg, Geh. Hofrat Dr. Franz N i s s 1, der Ostern d. J. 
zum Abteilungsvorstand der histopathologrschen Abteilung der 
Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München berufen 
wurde, ist zum Honorarprofessor der Psychiatrie in der Münchener 
medizinischen Fakultät ernannt worden, (hk.) 

W ü r z b u r g. An Stelle Enderl e ns hat Prof. Schmiede n- 
Halle einen Ruf als Leiter der chirurgischen Universitätsklinik er¬ 
halten. Die Entscheidung steht noch aus (hat inzwischen abgelehnt). 
Für die Orthopädieprofessur waren vorgesctolagen primo loco 
Dr. Port- Nürnberg und Prof. Drehmann - Breslau, secundo loco 
Privatdozent Dr. B a i s c h - Heidelberg und Dr. H ob mann - 
München. Dr. Port hat den Ruf erhalten. — Die Julius-Maximilians- 
Universität Wiirzburg zählt in diesem Semester 1822 immatrikulierte 
Studierende, davon gelten 1358 als beurlaubt. Nach dem Fachstudium 
sind 736 Mediziner, 42 Studierende der Zahnheilkunde. Dazu kommen 
47 Hörer und Hörerinnen. Der Gesamtbesuch beträgt 1869. (hk.) 

Dorpat. Mit Zustimmung der Obersten Heeresleitung wird 
die Universität Dorpat im kommenden Wintersemester ihre Tätigkeit 
wieder aufnehmen. Die Einschreibungen beginnen am 2. September, 
die Vorlesungen am 16. September. 

Graz. Habilitiert: Dr. Heinrich S c h r o 11 e nb *a c b fiir 
Neurologie und Psychiatrie, (hk.) 

Todesfälle. 

In Wien starb unser verehrter langjähriger Berichterstatter 
Dr. Emanuel Frank. Seit etwa 30 Jahren hat er der Mjn.W. über 
die Verhandlungen der Wiener ärztlichen Gesellschaften berichtet 
und sie durch seine „Wiener Briefe“ über die ärztlichen Verhältnisse 
im verbündeten Kaiserstaat auf dem Laufenden gehalten. Mit 
welcher Gewissenhaftigkeit, Pünktlichkeit und Sachkenntnis er sich 
seiner nicht leichten Aufgabe entledigte, ist unseren Lesern bekannt. 
Unsere Wochenschrift ist ihm für seine treue Arbeit zu grossem 
Dank verpflichtet und sie wird dem verehrten Mitarbeiter ein» ehren¬ 
des Andenken bewahren. 

In Zürich starb im Alter von 32 Jahren, als Opfer sednes Be¬ 
rufes, an Lungenentzündung Dr. Otto Steiger, Privatdozent für 
innere Medizin ander Züricher Universität und Obenarzt der med. Ab-, 
teilung des Kantonssspitals. (hk.) 

(Berichtigung.) In dem Referat über die Arbeit von 
Ph. Ludwig FI o r y „Ueber Einwirkung von Novokain auf die 
Nieren“ in Nr. 26, S. 711, 2. Sp. d. W. muss es heissen: „6 mal fand 
sich ganz leichte (nicht schwere) Eiweissausscheidung“. 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben; 
Stabsarzt Johannes Flemming. 

Feldunterarzt K r e h, Butzbach. 

Feldunterarzt Kreutzer, Eickel. 

Oberarzt d. Res. Max L a m s b a c h, Niederlössnitz. 
Oberarzt Kurt Landmann, Nidda. 

Feldunterarzt Kurt Lange, Sagan. 

Oberarzt d. Res. Wern. Last, Vogelsang. 

Feldunterarzt Ernst L o t z e, Halle a. S. 

Feldunterarzt Wilh. M a h 1 a u, Frankfurt a. M. 
Assistenzarzt d. Res. Markiewicz, Roschki. 
Assistenzarzt d. Res. Kurt Martheus, Oerlinghausen. 
Feldunterarzt Rud. Meier, Stadtoldendorf. 
Feldunterarzt Kurt Meyer, Königsberg. 

Oberarzt d. Res. Kurt Morgenstern, Spandau. 
Zivilarzt Hans M ü h 1 s t ä d t, Dresden. 

Oberarzt d. Res. Friedr. Müller, Kamenz. 
Oberstabsarzt Nicolai, Berlin, 
stud. med. Otto Scheibe, Erlangen, 
cand. med. Moritz Schleich. 


Bedankat dar MUnchanar Aarztliehan Krlagahilfskassa! 

Einzahlungen sind zu machen auf das Scheckonto Nr. 9263 der 
Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse bei der Bayer. Hypotheken- 
und Wechselbank, München, Theatinerstrasse 11. 


Druck von E. Mflhlthaler’s Buch- und Knaatdrnckerd A.Q., Mfincfacn. 

Original ftom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





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MÜNCHENER 

ATA Für Anzeigen tmd Beilagen: an Rudolf Moese, Theatinerstrass« L 

Medizinische Wochenschrift. 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 32. 6. August 1918. 


Schriftldtung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag befallt sich das ausschliessliche Recht der VervielfUtignng and Ver br e i t un g der In dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Oriffattlbdtrflge vor. 


Originalien. 

Ueber Haematoma durae matris und Schädeltrauma. 

Von Professor Dr. Otto Busse. 

Im Band 214 von Virchows Archiv beschäftigen sich zwei 
Arbeiten mit der Pachymeningitis haemorrhagica interna. Die eine 
von W o h 1 w i 11 behandelt mehr die Histogenese und nimmt auf 
Grund mikroskopischer Untersuchungen Stellung zu der Frage, von 
welchen Teilen der Dura mater die Wucherung der neuen Binde- 
gewebsmembran ausgehe, und welche Rolle dabei die exsudativen 
Prozesse spielen, die andere Arbeit, von Boeckmann versucht 
die alte Streitfrage, ob eine primäre subdurale Blutung zum Ausgang 
einer richtigen Pachymeningitis werden könne, auf neue Weise, zu 
lösen, die bis zu einem gewissen Grade der von M e 1 n i k o w - 
Rasvedenkow aufgestellten Forderung nach experimenteller 
Untersuchung entsprechen soll. Die zahlreichen durch die Entwick¬ 
lung der Gehirnchirurgie ermöglichten Operationen am Schädel von 
Menschen geben nach Boeckmann ein sehr geeignetes Material 
zur Entscheidung der Frage, wie weit Trauma und Blutung mit der 
Pachymeningitis Zusammenhängen. 

In dem Sinne hat Boeckmann den Sektionsbefund von 
57 Fällen, die im Berliner Augusta-Hospital am Schädel operiert 
worden waren, geprüft und zusammengestellt. Da in den betreffenden 
Sektionsprotokollen von einer Pachymeningitis nichts vermerkt ist, 
so kommt er zu dem Schlüsse, „dass durch eine Blutung an sich, 
Pachymeningitis nicht hervorgerufen werden könne“. Meines Er¬ 
achtens völlig zu Unrecht! Denn 1. ist bei den betreffenden Sektionen 
das Verhalten der Dura überhaupt nicht besonders beachtet oder 
protokolliert worden. Meist heisst es in den überaus kurzen Sektions¬ 
berichten nur: „Die Dura ist straff gespannt“. Die Innenfläche ist nur 
ausnahmsweise erwähnt, und darum gewinnt man aus den Proto¬ 
kollen keineswegs die Sicherheit, dass jede, auch unbedleufende patho¬ 
logische Veränderung wirklich notiert wurde, dass also leichte Grade 
einer Pachymeningitis interna nicht doch vorhanden gewesen sind. 
2. ln zwei Fällen lässt der sehr lakonisch gehaltene Sektionsbericht 
Zweifel zu, ob nicht pachymeningitische Veränderungen Vorlagen. 
Bei Fall 9 lautet der Sektionsbefund: „Auf linker Schädelseite geringer 
Gehirnprolaps. In der Umgegend der Operationswunde geringfügige 
braunrote Auflagerung auf der Innenseite der Dura“. 
Bei Fall 44 ist bemerkt: „Auf linker Seite neben dem Sinus longi- 
tudinalis subdurales Hämatom“. Da stärkere Grade der 
Pachymeningitis haemorrhagica als „Haematoma durae ma¬ 
tris“ bezeichnet werden, so ist die obige Bezeichnung „subdurales 
Hämatom“, das sich 24 Tage nach der Operation findet, zum mindesten 
stark verdächtig, zumal in beiden Fällen jede genauere Untersuchung 
zur Entscheidung dieser wichtigen Frage vermisst wird. 

Wenn in den 57 Sektionsfällen nach Ausweis der Protokolle 
wirklich nur 8 mal eine Blutung vorhanden gewesen ist, so kann 
man meines Erachtens daraus nur folgern, dass bei kunstgerechter 
Operation am Schädel nur verhältnismässig selten Blutungen Vor¬ 
kommen, nicht aber, „dass bei konstitutionell Gesunden Trauma und 
aseptische Blutungen allein nicht genügen, um eine Pachymeningitis 
hervorzurufen“. Wer die Arbeit nicht aufmerksam und kritisch ge¬ 
lesen hat, könnte einwenden, dass man einige Zeit nach der Opera¬ 
tion eine Blutung deshalb nicht fändle, weil solche restlos resorbiert 
worden sei. Wäre dem so, darm müssten wir bei denjenigen Fällen, 
die am ersten oder zweiten Tag nach der Operation eingegangen 
sind, eine Blutung relativ häufiger finden als bei denjenigen, die 
den Eingriff wochenlang überlebt haben. In Wirklichkeit ist 
das Verhältnis aber gerade umgekehrt, denn von denjenigen, die die 
Operation nicht länger als 2 Tage überlebten, waren 13 ohne Blu¬ 
tung, 2 mit Blutung, von denen, die si 2 länger als 20 Tage überlebten, 
waren 13 ohne Blutung, 3 mit Blutung. 

Diese Ergebnisse sind nun in dler Tat nicht dazu angetan, die 
von Jores und seinem Schüler van Vleuten untersuchten und 
ausführlich beschriebenen Beobachtungen von Organisationsvorgängen 
posttraumatischer Blutungen der verschiedensten Stadien zu ent¬ 
kräften. 

Gewiss kann der von Boeckmann eingeschlagene Weg zur 
Klärung der Frage herangezogen werden, ob eine aseptische sub¬ 
durale Blutung zu einer Pachymeningitis führen kann. Man müsste 
aber dann in jedem Sektionsfalle die Innenfläche der Dura genau und 
in Zweffelfällen auch mikroskopisch untersuchen. Sollten sich hier- 

Ur. 32. 


bei Abweichungien von den Jores sehen Befunden ergeben, so wäre 
noch immer zu erwägen, dass eine mit allem Raffinement der 
modernen Technik und unter grösstmöglicher Schonung der Gewebe 
ausgeführte Operation in puncto der Gewehschädigung einem schwe¬ 
ren Schädeltrauma nicht ohne weiteres gleichzusetzen ist. 

Keinesfalls lassen sich aber aus dem Material von Boeck¬ 
mann die folgenden, im Original gesperrt gedruckten Schlusssätze 
ableiten: „Hiernach dürfte als erwiesen gelten, dass bei konstitutio¬ 
nell Gesunden Trauma und aseptische Blutungen allein nicht genügen, 
um eine Pachymeningitis hervorzurufen“, und: „der Wert des Trau¬ 
mas für die Aetiologie der Pachymeningitis interna haemorrhagica 
ist also ohne Zweifel bisher überschätzt worden“. 

Wer als Gutachter diese Sätze zur Richtschnur nimmt und im 
konkreten Falle bei einem Haematoma durae matris die Bedeutung 
einer vorangegangenen nachgewiesenen Schädelverletzung verneint, 
würde meines Erachtens dem Versicherten bitter Unrecht tun und 
deshalb möchte ich diese Sätze nicht unwidersprochen lassen. Denn 
die Frage nach den Folgen des Schädeltraumas hat durch die 
Unfallbegutachtung eine eminent praktische Bedeutung gewonnen, und 
es besteht keineswegs zwischen den Klinikern und Pathologen völlige 
Einigkeit darüber, wie weit man dem Trauma eine ätiologische Rolle 
für die Entwicklung des Hämatoma durae matris zuerkennen soll. 

In den Lehrbüchern der Unfallmedizin wird die Aetiologiie der 
Schädelverletzung für die genannte Erkrankung meist bedingungslos 
anerkannt und auch Orth sieht in einem von ihm erstatteten Ober¬ 
gutachten der Wissenschaftlichen Deputation den Kausalzusammen¬ 
hang zwischen einem tödlich verlaufenen Haenratoma durae matris 
und einem 6 Wochen vorher erlittenen Fall von 4 m Höhe als er¬ 
wiesen an, während dieser Zusammenhang von einem der ersten 
Gutachter verneint worden war. 

Ich brauche wohl kaum besonders hervorzuheben, dass damit 
nicht gesagt ist, dass jede Pachymeningitis haemorrhagica interna 
auf ein Trauma zurückgeführt werden soll. Selbstverständlich gibt 
es eine spontane Entstehung dieser Erkrankung. Leider gibt es keine 
absolut deutlichen anatomischen Unterschiede zwischen der trauma¬ 
tischen und der spontanen Pachymeningitis, wenigstens nicht für die 
särkeren Grade derselben, wenngleich ich für die geringeren Grade 
die von Jores angegebenen Merkmale gerne gelten lassen will. 

Einen Fall gibt es allerdfings, der mit einiger Notwendigkeit auf 
die traumatische Entstehung des Hämatoms hinweist, das ist die Be¬ 
schränkung einer hochgradigen Veränderung auf eine Seite der Dura 
mater oder gar nur auf einen Teil der einen Hälfte, während die 
übrigen Abschnitte der harten Hirnhaut entweder ganz frei von Blu¬ 
tungen oder nur minimal befallen sind. 

Die ersten Fälle dieser Art habe ich schon in Greifswald ge¬ 
sehen. Einmal handelte es sich um einen älteren Herrn, der von 
einem Radfahrer angefahren und mit einer Kopfseite auf die Bord¬ 
schwelle des Bürgersteiges aufgeschlagen war. Als der Mann nach 
einigen Wochen starb, fand sich eine mächtige Pachymeningitis 
haemorrhagica, die nur auf eine Hälfte der Dura mater beschränkt 
war. Das anatomische Bild dieser umschriebenen mehr oder minder 
organisierten Blutung ist so charakteristisch, dass mein Lehrer Gra- 
w i t z und- ich seitdem in einer ganzen Reihe ähnlicher Befunde dar¬ 
aus von uns aus die Anamnese, d. h. die traumatische Entstehung ab¬ 
leiten und durch Nachfragen ermitteln konnten, dass in der Tat ein 
schweres Kopftrauma vorhergegangen war. Zur Erklärung dieser 
charakteristischen umschriebenen Veränderung reicht also meines 
Erachtens die Heranziehung der allgemeinen Ursachen wie Nieren¬ 
erkrankungen, Potatorium, Syphilis, Anämie etc. nicht aus. sondern 
die umschriebene Veränderung drängt geradezu dahin, für die lokale 
Erkrankung auch eine lokal wirksame Ursache zu suchen, und diese 
wird eben in dem Schädeltrauma gefunden. Dabei wird man meist 
die Blutung an der Stelle treffen, wo die Gewalt eingewirkt hat, 
in seltenen Fällen dagegen bildet sich die Bhitgeschwulst auf der 
gegenüberliegenden Seite, d. h. in der Gegend des Contrecoup aus. 

Sehr wichtig für die BeurteMung einschlägiger Fälle ist nun die 
Tatsache, dass die Verletzung keineswegs zur Zertrümmerung des 
Schädels selbst geführt 'haben muss. Im Gegenteil: in der grossen 
Mehrzahl der von uns beobachteten Fälle hatte die Gewalt nur Weich¬ 
teilwunden hervorgerufen, während die Knochen keine Spur einer 
Verletzung erkennen Hessen. 

Diese Fälle betreffen — wenn wir von dem Haematoma durae 
matris der kleinen Kinder, 'die eine besondere Stellung einnehmen, 
absehen — fast stets ältere Individuen, und zwar sehr viel häufiger 
Männer als Frauen . Dies zeigt, dass die Entstehung der fraglichen 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 







864 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


Erkrankung durch die Altersveränderungen am Gehirn, den Gehirn¬ 
häuten und den Gefässen begünstigt wird. Eine gewisse Disposition 
muss deshalb wohl angenommen werden und, wenn Boeckmann 
die Leute, bei denen die Involutionserscheinungen des Alters beginnen 
und begonnen haben, nicht mehr als „konstitutionell Gesunde“ an¬ 
sieht, dann hätte er wohl mit seinem oben zitierten Satze recht. Aber 
in praxi liegt doch düe Sache nun so, dass die Erkrankung sich nach 
einem Schädeltrauma bei älteren Arbeitern ausbildet, die bis dahin 
und vielfach auch noch längere Zeit hinterher ihre oft schweren 
körperlichen Arbeiten ohne Schwierigkeiten geleistet 'haben und 
oft auch bei den Sektionen keine Zeichen einer konstitutionellen Er¬ 
krankung aufweisen, wenn anders man nicht die gewöhnlichen Alters¬ 
veränderungen, wie einen gewissen Grad von chronischer Arachnitis, 
einer beginnenden Atrophie des Gehirns, und vielleicht die ersten An¬ 
fänge einer Atherosklerose schon als „konstitutionelle Erkrankung“ 
bezeichnen will. 

Bevor ich auf diese Verhältnisse näher eingehe, möchte ich 
einige der in den letzten Jahren von mir beobachteten Fälle kurz 
mitteilen, die die eminent praktische Bedeutung dieser ganzen Frage 
dartun. Es handelt sich dabei zunächst um 3 Fälle, die ich im Auf¬ 
träge von Unfallversicherungen oder Gerichtsbehörden untersucht 
habe, um zu entscheiden, ob der Tod mit einem meist länger zurück¬ 
liegenden Schädeltrauma in ursächlichem Zusammenhänge gestan¬ 
den hat. 

Fall 1 betrifft einen 58jährigen Mann, der am 14. Juni 1915 
verstorben und auf Veranlassung des Bezirksgerichts Zürich von mir 
seziert wurde, um festzustellen, ob ein Zusammenhang zwischen einem 
am 2. Juni 1914, also vor Jahresfrist erlittenen Unfall, und dem Tode 
bestände. Aus den Akten, unter denen sich auch ein Gutachten des 
Herrn Dr. S ch ab 1 i t z, Sekundärarzt der Epileptischen Anstalt findet, 
entnehme ich folgende Vorgeschichte: 

J. B. wurde 1875 in Armadas (Spanien) geboren, ist also bei 
Eintritt des Todes 58 Jahre alt gewesen. Am 2. Juni 1914 fiel ihm, 
da er bei einem Neubau mit dem Ausheben von Erde beschäftigt war, 
eine Gerüststange, die niedergelegt werden sollte, auf den Kopf. 
B. verlor die Besinnung für kürzere Zeit. Er wurde sofort in das 
Kantonsspital gebracht, und hier wurden zwei Wunden am Schädel 
festgestellt; die eine von 5 cm Länge befand sich auf der Scheitel¬ 
höhe, die andere von 3 cm Länge lag am Hinterkopf. Von einem 
Assistenzarzt wurden die Wunden, die nur Weichteile, nicht den 
Schädelknochen betrafen, sachgemäss gereinigt, genäht und ver¬ 
bunden. Der 'Heilungsverlauf ging glatt vor sich und am 26. Juni 
konnte B. als geheilt aus dem Spital entlassen werden. B. litt aller¬ 
dings noch an Kopfschmerzen, weshalb ihm noch Schonung für einige 
Zeit empfohlen wurde. Die Schmerzen wurden bei dem am 20. Juli 
1914 unternommenen Versuche zu arbeiten so heftig, dass er die 
Arbeit nach wenigen Stunden wieder einstellen musste. Diese Kopf¬ 
schmerzen, die in regelmässigen Perioden an Stärke zunehmen soll¬ 
ten, bildeten auch die hauptsächlichsten Klagen bei seiner Beobachtung 
in der Unfallstation der Anstalt für Epileptische. Auch hier konnten 
rein objektiv lediglich die gut verheilten, über dem Knochen verschieb¬ 
lichen Narben festgestellt» werden, ausserdem aber ein plötzliches 
Emporschnellen des Pulses, wenn sich B. in der Gegend der Narben 
am Kopf kratzte (M a n n k o p f sches Zeichen). Diese Symptome, 
die z. T. auf das Trauma, zum grösseren Teil auf Arteriosklerose, 
vielleicht vom Alkoholmissbrauch herrührend, bezogen wurden, Wie¬ 
ben auch in der Folgezeit bestehen und hinderten B. angeblich irgend¬ 
welche Arbeit zu verrichten. Am 14. Juni 1915, nachdem B. wenige 
Tage vorher noch an Gerichtsstelle erschienen war, um seine Forde¬ 
rung auf Unfallvergütung geltend zu machen, trat unvermutet und 
überraschend der Tod ein. Durch Nachfragen bei der Logierwirtin 
des Verstorbenen, der Wittwe K., habe ich auch nur ermitteln können, 
dass die obengeschilderten nervösen Symptome dauernd fortbestan¬ 
den, z. T. sich verstärkt, z. T. sich mit anderen, etwas unklaren 
nervösen Störungen gepaart haben. Etwa am 10. Juni 15 klagte B. 
über Frösteln, Husten und Fieber, hielt sich mehr als gewöhnlich im 
Bette auf und schleppte sich nach den Angaben der Frau K. müh¬ 
sam am 12. Juni zum Gericht. Am Abend des 13. Juni und in der 
folgenden Nacht wurde der Zustand des B. so schlimm, dass Frau 
K. vom herbeigerufenen Arzt die Ueberführung des B. in das Spital 
angeraten wurde. Ehe dieser Transport zur Ausführung kam, trat der 
Tod ein. 

Sektionsbefund: Untersetzte männliche Leiche von kräftigem, ge¬ 
drungenen Körperbau. Die Haut, besonders des Gesichtes, aber auch 
die am Nacken ist dunkelblaurot. Die Verwesung macht sich auf 
dem Bauche durch Grünfärbung schon etwas bemerkbar, im ganzen 
ist aber die Leiche noch gut erhalten. 

Die Sektion beginnt mit der Untersuchung des Schädels. Etwas 
vor der Mitte des Schädels findet sich eine quer über den Scheitel 
verlaufende, z. T. breite Narbe, von 5,5 cm Länge. Die Haare fehlen 
hier z. T. in einer Breite von 1 cm. Die Haut lässt sich leicht ab- 
ziehen und ist auch an der Narbe mit dem Knochen nicht verbunden. 
Am Knochen fällt die starke Füllung und Entwicklung der Blutgefässe 
auf, er ist aussen geradezu blau gesprenkelt. Das Schädeldach ist sym¬ 
metrisch und ohne jede Narbe oder Verletzungsspur, besonders ist 
die Partie unter der Hautnarbe auch vollkommen glatt. Der Schädel 
ist von mittlerer Dicke, auch innen ziemlich stark vaskularisiert. 
Ebenso ist die Dura mater ungewöhnlich reichlich von kleinen Ge¬ 
fässen durchsetzt, so dass an ihrer Aussenfläche überall kleine Blut¬ 
punkte durch Austritt von Blut aus den zerrissenen Gefässen ent¬ 


stehen. Auch nach Abspülen stellen sich diese kleinen Blutpunkte 
bald wieder ein. Besonders reichlich ist die Entwicklung in der Um¬ 
gebung des Sinus longitudinalis. Dieser selbst enthält nur Toten¬ 
gerinnsel in mässiger Menge. Die rechte Durahälfte ist auf der Innen¬ 
fläche mit kleinen Blutspritzern bedeckt, insonderheit ist im vorderen 
Drittel eine etwa zweifrankstückgrosse Stelle durch ihre rote Färbung 
auffallend. Hier liegen Blutgefässe und Blutungen der Innenfläche der 
Dura mater in sehr -dünnen Membranen auf. Die linke Durahälfte löst 
sich beim vorsichtigen Durchschneiden von einer dicken Gewebs- 
schicht, die auf ihrer Innenfläche, also zwischen Dura mater und 
Arachnoidea gelegen ist, aber doch so, dass sie in einer, wenn auch 
losen Verbindung mit der Dura mater steht, während sie sich leicht 
und vollkommen von der Arachnoidea löst. Diese Membran zieht sich 
vom Boden der vorderen Schädelgrube an der Vorder- und Seiten¬ 
fläche derselben hin und endet medial an der Falx cerebri hinten, 
etwa 5 cm vor dem Teil der Dura mater, der die Protuberantia 
occipitalis überzieht. Diese Membran läuft nach den Seiten zu ganz 
flach und dünn aus, so dass sie schliesslich als ein kaum messbares 
gelblich-bräunliches Häutchen der Innenfläche aufliegt; gegen die 
Mitte hin nimmt sie an Dicke zu und ist an den dicksten Stellen 6 bis 
10 mm dick. Die der Arachnoidea zugekehrte Fläche ist im ganzen 
glatt und sehnenartig, aber sehr deutlich mit Sternchen neugebildeter 
Venen besetzt. Durch die grauweisse Membran schimmert dann das 
tiefer gelegene, vielfach bräunlich gefärbte Gewebe hindurch. Immer¬ 
hin ist auffällig, dass sehr wenig frische Blutungen in dieser Pseudo- 
memoran vorhanden sind. 

Das Gehirn selbst ist von einer weichen, sehnigen Hirnhaut 
überzogen. In dieser verdickten Arachnoidea ist sehr viel Oedem- 
flüssigkeit vorhanden. Die linke Seite des Gehirns ist vielleicht ein 
ganz klein wenig abgeflacht. Irgendwelche Verletzungsspuren, Pig¬ 
mentierungen oder Narben sind weder an der Oberfläche noch an der 
Unterfläche des Gehirns sichtbar. Die Seitenventrikel enthalten je 
20 ccm klarer Flüssigkeit. Die übrigen Ventrikel sind leer, das Epen- 
dym ist zart. Die Gyri des Gehirns sind verhältnismässig klein. Das 
Gehirn ist blutreich, z. T. sogar von vielen Blutgefässen durchsetzt. 
Die Konsistenz ist überall gleichmässig fest, auch graue und weisse 
Substanz überall scharf von einander geschieden. Die Dura an der 
Basis des Gehirns enthält hier und da auch kleine flache Blutspritzer¬ 
chen in einem dünnen Häutchen, im grossen ganzen ist sie aber un¬ 
verändert. Die Arterien an der Hirnbasis sind dünnwandig und 
elastisch. Die Knochen der Basis sind unverletzt, insonderheit ist 
auch das Orbitaldach vollkommen intakt. 

Es mag genügen, die weiteren Veränderungen nur noch kurz 
aus der Diagnose anzugeben: Pharyngitis, Bronchitis, Tracheitis 
catarrhalis. Hyperplasia recens gland. lymphat colli. Hyperplasia 
recens lienis. Struma nodosa. 

Hieraus ergibt sich, dass bei dem Manne eine frische infektiöse 
Entzündung des Rachens, der Luftröhre und der Mandeln bestand, cliss 
aber weiterhin, was uns besonders interessiert, als Erklärung für die 
schweren rervösen Symptome und Kopfschmerzen ein dickes Hämatom 
und die Zeichen frischer und älterer Blutungen über dem linken Stirn- 
und Scheitellappen gefunden wurden, während) auf der rechten Seite 
nur verschwindend dünne Andeutungen solcher Pseudomembran vor¬ 
handen waren. Da an der linken Kopfseite ein Jahr vor dem Tode 
das Trauma eingewirkt hat, da im Anschluss an das Trauma die Ge¬ 
sundheitsstörungen bestehen blieben, so scheint durchaus naheliegend, 
einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Schädeltrauma und dem 
Hämatom anzunehmen. Es mag dahingestellt bleiben, wie weit ein 
gewisser Grad von Potatorium die Entwicklung des Hämatoms nach 
der erstmaligen Blutung begünstigt hat. Demgemäss bin ich zu 
folgendem Schlussgutachten gekommen: 

„Durch die am 2. Juni 1914 erlittene Schädel Verletzung ist eine 
schwere Erkrankung der harten Hirnhaut veranlasst worden, die nie¬ 
mals ganz ausgeheilt ist und dauernd weiter zunehmende Gesund¬ 
heitsstörungen und eine erhebliche Schwächung des Körpers veran¬ 
lasst hat. Diese Gesundheitsstörungen haben in dem seit dem Unfälle 
verflossenen Jahre den Mann gehindert durch regelmässige Arbeit den 
Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Veränderung hat auch den Or¬ 
ganismus soweit geschwächt dass er einmal für weitere Erkrankungen 
empfänglich wurde und zum anderen Schädlichkeiten, wie einer Hals¬ 
entzündung, erlag, die ein anderer Organismus gewöhnlich leicht 
überwindet.“ 

Fall 2 0. Der etwa 60 jähr. Maurerpolier N. kam am 29. Mai 1914 
wegen andauernder Kopfschmerzen in ärztliche Behandlung. Ueber 
die Entstehung dieses Leidens wusste weder er noch seine Frau 
zunächst etwas anzugeben. Später erklärte die Ehefrau, dass von 
den Mitarbeitern ihres Mannes berichtet worden sei: N. habe sich 
Ende März bei den Umbauarbeiten im Hause des Gemeindeammanns 
heftig den Kopf an einem Balken gestossen. Die betreffenden Arbeiter 
erklären, dass N. sich in der Tat „chaibemässig“ an einen Balken 
gestossen habe, dass ihm ganz „trümlig“ geworden sei. Der Ver¬ 
storbene war sehr gut beleumundet, und dlass seine Frau von dem 
Unfälle nichts wusste, war den Bekannten durchaus erklärlich, weil 
sie annahmen, dass bei dem sehr guten Zusammenleben der Eheleute 
der überhaupt wortkarge N. seiner leidenden Frau von dem vielleicht 
als bedeutungslos angesehenen Begebnis nichts habe erzählen wollen. 


*) Fall 2 und 3 sind auch in der Dissertation von M a r j a s c h: 
Trauma und Pachymeningitis haem. int. Zürich 1916 verwandt 
worden. 


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6. August 1918. 


M-UBNCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


865 


um sie zu schonen. Seit Mitte Juni sollte N. im Bett bleiben und 
sich ruhig halten. In den letzten Tagen vor dem Tode war er be¬ 
wusstlos, und nun stellten sich auch Temperatursteigerungen, die vor¬ 
her nicht beobachtet worden waren, ein. Tod am 8. Juli. Die von 
mir auf Ersuchen der Unfallversicherung „Zürich“ am 10. Juli morgens 
in Morgen ausgeführte Sektion ergab folgenden Befund: 

Die Leiche des etwa 60jähr. Mannes ist kräftig gebaut, in mas¬ 
sigem Ernährungszustände. Bei dem fast noch schwarzen Haupthaar 
und Bart würde man das Alter erheblich geringer taxiert haben. Die 
Sektion beginnt mit der Eröffnung der Schädelhöhle. An den äusseren 
Bedeckungen ist nichts Bemerkenswertes festzustellen, ebensowenig 
lassen die Knochen des Schädeldaches krankhafte Veränderungen, er¬ 
kennen, insonderheit finden sich hier keine Spuren frischerer oder 
älterer Blutungen, noch Zeichen einer Fraktur. Nach Abheben der 
Schädelkappe erscheint die rechte Hälfte der Dura mater eigentümlich 
bräunlichgrünlich gefärbt, während die linke fiälfte das gewöhnlich 
graurote Aussehen zeigt. Die Art. meningea media mit ihren Aesten 
;st beiderseits mässig gefüllt. Auf der Innenfläche der linken Dura- 
hälfte findlet sich eine Pseudomembran mit frischen und älteren Blu¬ 
tungen und neugebildeten Gefässen und eigentümlich gelblicher Fär¬ 
bung. Diese 'Pseudomembran ist nur Bruchteile eines Millimeters 
dick. Ganz anders hingegen liegen die Verhältnisse auf der rechten 
ürosshimhälfte. Hier fliesst beim Durchschneiden der Dura mater 
sehr viel, teils etwas bräunlich gefärbtes Blut ab; es lassen sich 
etwa 150 ccm davon auffangen. Dieses Blut ist auf der Innenfläche 
Jer Dura mater in einem Hohlraum gelegen, der nach aussen von der 
mit einer Vaskularisationsscbicht bedeckten Dura mater, gegen das 
Gehirn aber von einer etwa 1 mm dicken und noch dickeren Schicht 
einer organisierten Membran abgeschlossen wird. Diese Membran 
hat eine teils schwärzliche, teils schokoladenbraune Färbung und bei 
der später vorgenommenen mikroskopischen Untersuchung finden sich 
in ihr massenhafte Hämatoidinkristalle neben amorphem- Blutpigment 
und frischen Blutkörperchen. Wie dick dieser Bluterguss der Innen¬ 
fläche der Dura mater aiJgelegen hat, ersieht man am besten nach 
Abheben der Dura an der Asymmetrie der beiden Grosshirnhälften: 
während die linke in gewöhnlicher Weise konvex gewölbt ist, er¬ 
scheint de rechte abgeflacht und geradezu mit einer konkav gestellten 
Delle versehen, derart, als ob das Gehirn gewaltsam ihit der Faust 
an mehreren Stellen zusammengedrückt worden wäre. Diese Asym¬ 
metrie macht sich auch weiterhin bemerkbar, indem, die mediane 
Fläche der rechten Hemisphäre weit nach links hinübergeschoben 
und ausgebuchtet ist. Die Oberfläche der rechten Seite ist auch 
eigentümlich bräunlich gefärbt. Die Pia mater ist an beiden Hemi¬ 
sphären etwas verdickt. Die Arterien an der Basis sind fast leer 
und dünnwandig. 'Die Ventrikel dies Gehirns enthalten wenige Tropfen 
klarer Flüssigkeit, das Ependym ist zart. In der Gehirnsubstanz selbst 
befinden sich keine makroskopisch wahrnehmbaren Veränderungen, 
insonderheit sieht man keine älteren oder frischeren Blutungen, oder 
die Residuen derselben, auch nicht an den Streifenhügeln. An den 
Seitenwandungen des Schädlels, an der mittleren und unteren Schädel¬ 
grube ist die Dura mater mit bluthaltigen pigmentierten Pseudo¬ 
membranen bedeckt, die rechtseitige ist sehr viel dicker als die link- 
seitige. Die Knochen der Schädelbasis sind unverändert, insonderheit 
ohne Frakturen oder Sprünge. 

Aus dem weiteren Sektionsprotokoll hebe ich nur noch hervor, 
dass in beiden Lungen zahlreiche Aspirationsherde mit Uebergang in 
Brand vorhanden sind, dass Herz und Nieren gesund, die Arterien 
dünnwandig und elastisch sind. 

Die Sektion hat also, um es kurz zusammenzufassen, eine Blutung 
älteren Datums an der Innenfläche der rechten Hälfte der harten 
Hirnhaut ergeben, sehr viel geringere mit Blutungen verbundeneAus- 
schwitzungen auf der Innenfläche der linken Durahälfte. Durch diese 
Blutungen ist eine Kompression und Verdrängung der rechten Gross¬ 
hirnhalbkugel veranlasst worden. Weiter finden sich in den -Lungen 
Herde von Aspirationspneumonie, die z. T. in brandigen Zerfall über¬ 
gegangen sind. 

In dem von mir erstatteten Gutachten wurde der Zusammen¬ 
hang zwischen dem Stoss gegen den Kopf und dem Haematoma 
aurae matris dextrae, und damit zwischen dem im März erlittenen 
Unfall und dem im Juli eingetretenen Tode bejaht. 

Fall 3. Der 52jähr. Fuhrmann B. hat am 6. Oktober 1911 
beim Aufladen von Steinen auf einem einachsigen Karren dadurch 
einen heftigen Schlag gegen die rechte Stimhälfte erlitten, dass die 
fest, d. h. ungelenkig angebrachten Handgriffe des Karrens, als dieser 
beim Aufladen der Steine nach hinten kippte, mit voller Gewalt 
gegen die Stirn schlugen. B. taumelte infolge dieses Schlages zu- 
rjck, wurde aber von den umstehenden Kameraden aufgefangen, so 
dass also ein wirkliches Umfallen damals nicht erfolgte. Es fand 
sich eine Quetschungswunde an und oberhalb der rechten Augenbraue, 
die von Herrn Dr. R. in S. durch Nähte verschlossen und verbunden 
wurde und dann reaktionslos heilte. Der als fleissig und tätig ge¬ 
schilderte Fuhrmann B. hat die Arbeit nicht unterbrochen, obwohl ihm 
dieses empfohlen wurde. Ende Dezember desselben Jahres stellten 
sich bei dem bis dahin gesunden Manne Kopfschmerzen ein, die ihn am 
16. Januar nötigten, die Arbeit niederzulegen. Es traten nun schwere 
Erscheinungen von seiten des Gehirns auf, wie Bewusstseinsstörungen, 
Lähmungen und stärkeres Erbrechen. Herr Dr. R. führt diese Sym¬ 
ptome auf eine Hirnhautentzündung (vielleicht tuberkulöser Art) zu¬ 
rück. Am 25. Januar trat dann der Tod ein, nachdem bei dem 
Kranken mehreremale ein auffallend langsamer Puls bemerkt worden 


Nr 32 


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Gck igle 


war. Auf Ersuchen der Unfallversicherung „Helvetia“ habe ich am 
26. I. 1912 die Sektion in S. ausgeführt, die folgendes ergab: 

Sektionsbefund: Sehr kräftig gebaute männliche Leiche. Auf der 
rechten Augenbraue befindet sich eine alte Narbe. An der Schädel¬ 
haut ist nichts Auffälliges. Mit ganz besonderer Sorgfalt werden die 
Weichteile, Periost und Knochen in der Umgebung der Narbe, also 
im ganzen oberen Augenhöhlenrand, angesehen. Das Gewebe ist 
hier sowohl wie in dem spärlichen Fettiager, als auch am Periost 
leicht gelblichbraun* gefärbt, offenbar infolge einer alten Blutung. 
Der Knochen selbst ist absolut glatt, ohne jede Spur einer älteren 
Narbe oder eines Risses. »Der Schädel sägt sich mittelschwer. Beim 
Sägen fliesst schon reichlich gelbbräunliche Flüssigkeit aus der Säge¬ 
spalte ab, so dass schliesslich die ganze Oberfläche des Schädels 
wie mit einer gelbbräunlichen Farbe angestrichen erscheint, der 
Farbenton erinnert etwas an Schokolade. Ar. der Schädelkappe 
ist keine Veränderung zu sehen, auch innen nicht. Die Dura mater 
ist beiderseits straff gespannt. Der Längssinus enthält wenig Toten¬ 
gerinnsel. Beim Aufschneiden der linken- Dura quellen bräunlich¬ 
schwarze Blutmassen und Gerinnsel hervor. Diese liegen als eine 
etwa 1,5 cm dicke Schicht auf der Innenfläche der linken Dura mater 
und zwar mit dieser fest verbunden, doch so. dass die Hirnhaut sich 
in zwei Blätter scheidet, zwischen denen die reichlich abgeflossene 
Flüssigkeit enthalten war. Auf der rechten Seite der Dura mater ist 
die Innenfläche nur ganz leicht gelblichbräunlich gefärbt und -hier 
und da mit kleinen, wirklichen- ßlutherden bedeckt. Nach Abziehen 
der Dura fällt nun eine sehr beträchtliche Asymmetrie des Gehirns auf. 
Die rechte Gehirnhälfte zeigt die gewöhnliche Form und Wölbung, 
während die linke vollkommen abgefiacht ist, und zwar so, dass eine 
starke Delle über dem seitlichen Teil des Stirnlappeus besteht, eine 
andere zweite über dem Scheitellappen, beide sind durch eine flache 
Delle miteinander verbunden. Der Hinterhauptslappen ist nicht ein¬ 
gedrückt. lieberall i$t die weiche Hirnhaut zart und durchscheinend, 
links an der Oberfläche gelbbräunlich gefärbt, an der Basis des Gehirns 
aber auch zart und durchscheinend. Von den Arterien weist die 
linke Vertebralis eine etwas erweiterte und in der Wandung ver¬ 
dickte Stelle auf, ist mit dunkelkirschrotem Blut angefüllt, aber ohne 
besondere, schwerere Veränderungen. An der Gehirnrinde ist nir¬ 
gends etwas besonderes pathologisches zu sehen, ebensowenig am 
Gehirn, abgesehen von den erwähnten Abflachungen. Die Ventrikel 
enthalten wenig Flüssigkeit, das Ependym ist zart. Das Gehirn ist 
überall von gleichmässiger Konsistenz und ölutgehalt. An der Schä¬ 
delbasis werden die Sinus aufgeschnitten, sie enthalten Totengerinnsel, 
die sie nicht vollkommen ausfüllen. Alsdann wird die Dura mater 
von der Schädelbasis gelöst, diese, besonders auch die Orbitaldächer 
werden auf etwaige Sprünge und Fissuren genauestens untersucht; 
es ist dabei nichts Krankhaftes zu finden. 

Aus der Beschreibung der übrigen 'Körperhöhlen hebe ich nur 
Folgendes hervor: Die Aortenklappen sind insuffizient, leicht ver¬ 
dickt und an den Winkeln miteinander verwachsen. An beiden Lungen 
nur ein stärkerer Grad von Hypostase. Die linke Niere erweist sich 
schon bei der äusseren Freilegung als sehr erheblich vergrössert und 
lässt sofort eine Anzahl von Zysten erkennen, die miss- z. T. bis 
kleinapfelgross durch die Fettkapsel teilweise hindurchschimmem. 
Beim Abpräparieren der Fettkapsel sieht man, dass die Zysten viel¬ 
fach nur von dem fibrösen Ueberzug der Kapsel bekleidet sind und 
beim Versuche, diese abzuziehen, einreissen. Die Zysten- liegen teil¬ 
weise dicht beieinander, so dass sie nur durch feine weisse Septen 
getrennt werden. An anderen Stellen treten sie aus deutlich erkenn¬ 
barem Nierengewebe heraus, und dann ist dbs Nierengewebe von 
vielen kleinen, bis steck nadef köpf grossen Zysten durchsetzt. Die 
Niere misst 21:11:8 cm. Der Ureter ist dünn, das Nierenbecken 
verhältnismässig eng. Nebenniere unverändert. Die rechte Niere 
misst 19:9:8 cm, sie ist ganz ähnlich der linken. Die Zysten ent¬ 
halten, wie auch bei der linken Niere, ganz verschiedenfarbigen Inhalt, 
z T. wasserhell, z. T. bräunlich gefärbt, so dass die Nieren ein 
vollständig buntscheckiges Bild liefern. Die Leber ist ebenfalls von 
grauschwarz aussehenden, meist kleineren Zysten durchsetzt, die 
sowohl an der Oberfläche als auch auf der Schnittfläche, manchmal 
als vielkammerige Zysten mit zarter glatter Wandung hervortreten. 
Das Pankreas wird herausgenommen, es liegt in reichlichem Fett¬ 
gewebe eingebettet und lässt besonders in seinem Schweifende auch 
eine Anzahl von kleinen, mit graurotem Inhalt gefüllte Zysten er¬ 
kennen. 

In dem Gutachten wurde auseinandergesetzt, dass neben den 
Zystennieren, Zystenleber und Zystenpankreas, neben dem gering¬ 
fügigen Herzfehler ein Haematoma durae matris sin. die letzte und 
eigentliche Todesursache bildet. Dieses Hämatom dränge bei seiner 
einseitigen Ausbildung dazu, eine lokale Entstehungsursache anzu¬ 
nehmen. Die Nierenveränderungen können die Ausbildung der Pachy- 
meningitis begünstigt haben, aber es wäre naheliegend, eine Gelegen¬ 
heitsursache für die umschriebene schwere Erkrankung der Hirnhaut 
zu suchen, als solche komme in erster Linie die Kopfverletzung in Be¬ 
tracht. Dieses Hämatom reicht in seinen Anfängen* viel weiter zurück 
als die nur durch 4 Wochen beobachteten- Krankheitserscheinungen. Es 
müsse angenommen werden, dass sich aus einer zunächst unbedeuten¬ 
den Verändterung im Verlaufe von Wochen und Monaten durch immer 
wiederholte Blutungen allmählich eine so umfangreiche Blutgeschwulst 
gebildet habe, dass dadurch Reizungen und Schädigungen des Gehirns 
verursacht wurden. Deshalb spräche der freie Intervall von 2 % Mo¬ 
naten keineswegs dagegen, dass der am- 6. Oktober erlittene Unfall 

2 

Original fro-m 

UNIVER3ITY OF CALIFORNIA 




866 


MUBNCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nt. 32. 


den am 25. Januar eingetretenen Tod verschuldet habe. Dass Trauma 
und Blutgeschwulst auf verschiedtenen Seiten gelegen sei, könne durch 
Contrecoupwirkung unschwer und ungezwungen erklärt werden. Wenn 
sich also nicht feststellen Hesse, dass in der Zwischenzeit eine Er¬ 
schütterung (vielleicht Fall oder Stoss im Rausch) die linke Kopf¬ 
seite getroffen habe, so müsse angenommen werden, dass der Unfall 
am 6. Oktober 1911 Blutung und Nachblutung an der Innenseite der 
harten Hirnhaut veranlasst und somit den, Tod des B. verursacht habe. 

Diese drei hier mitgeteilten Fälle betreffen sämtlich Männer, de 
über 50 Jahre alt und an einem grossen Hämatom der Dura mater 
gestorben sind. In allen drei Fällen war das Hämatom auf die eine 
Seite der harten Hirnhaut und zwar nur auf einen Teil derselben be¬ 
schränkt, während die anderen Bezirke nur sehr geringe pachymenin- 
gitisohe Veränderungen aufwiesen Bei allen drei Personen war schon 
während des Lebens? dar Verdacht geäussert worden, dass das Gehirn¬ 
leiden und der schliesslich dadurch herbeigeführte Tod durch ein 
länger zurückliegendes Schädeltrauma veranlasst sein könnte. Aus 
den oben angedeuteten Ueberlegungen heraus wurde angesichts der 
charakteristischen Ausbreitung der Blutgeschwulst der Zusammenhang 
zwischen Unfall und Todl bejaht und dabei in dem einen Gutachten 
ausgeführt, dass eine derartig umschriebene massige Blutansamm¬ 
lung mit den charakteristischen Veränderungen der Resorption, Or¬ 
ganisation und des Rezidivierens, falls ich sie etwa als zufälligen Be¬ 
fund bei einer Sektion fände, mir den Gedanken an eine traumatische 
Entstehung direkt aufdränge, und dass ich dann zur Erklärung dbs 
Befundes in der Vorgeschichte oder durch Nachfragen bei den Ange¬ 
hörigen auf eine Schädelverletzung geradezu fahnden würde. Da 
nun hier ein schweres Schädeltrauma zu einer Zeit, die der Dauer der 
anatomischen Veränderung entspräche, von Zeugen beobachtet wor¬ 
den sei, so bestünde nicht der geringste Zweifel an dem ursächlichen 
Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem tödlichen Leiden. 
Dieser Standpunkt ist von den Versicherungen auch voll anerkannt 
werden. 

Der Bluterguss lag im ersten und im zweiten Falle an der Stelle, 
wo die Gewalt eingewirkt hatte, im dritten dieser Stelle gegenüber, 
ähnlich wie beim Contrecoup. Die Krankhejtserschdnungen haben nur 
in dem ersten 'Falle unmittelbar im Anschluss an dien Unfall bezüglich 
an die Entlassung aus dem Krankenhaus eingesetzt, waren aber so 
unbestimmter Natur, dass eine Diagnose während des Lebens nicht 
gestellt werden konnte. Bei den beiden anderen Verunfallten wurde 
dem Trauma keine besondere Beachtung geschenkt und die Arbeit 
nicht unterbrochen. Die ersten Krankheitssymptome machten sich bei 
beiden erst nach länger als 2 Monate dauerndem Intervall bemerkbar 
und führten dann in 4 bzw. in 6 Wochen zum Tode, ohne dass man 
auch hier zu einer bestimmten Diagnose gekommen wäre. 

Das längerdauemde, über Monate reichende Intervall ist für diese 
Fälle ungemein wichtig, spricht also keineswegs gegen die trau- 
matische Aetiologie, sondern deutet nur an, dass offenbar die massige 
Blutansammlung nicht uno actu unmittelbar bei oder nach dem Trauma 
erfolgt ist, sondern das Endresultat eines chronischen Krankheits¬ 
prozesses darstellt, bei dem häufig wiederholte Blutungen aus den 
vielen neugebildeten Blutgefässen der Organisationsmembran erfolgt 
sind. Der Umstand, dass die Verletzten durch Wochen und Monate 
absolut beschwerdefrei sind, lässt mit Sicherheit darauf schliessen, 
dass die primäre Blutung nur gering gewesen sein muss, und dass 
dementsprechend auch die zur Resorption der Hämorrhagie einge¬ 
leitete Gewebsreaktion anfangs nur unbedeutend war. 

Die Frage, warum denn in diesen Fällen von relativ gering¬ 
fügigen Schädelverletzungen später eine so bedeutungsvolle Ver¬ 
schlimmerung eintritt, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. 
Hier wirken wohl mehrere Faktoren zusammen. Einmal spielt wohl 
zweifellos das Alter der Verletzten eine wichtige Rolle: Die Ver¬ 
kleinerung des Gehirns, die Veränderung der Gehirnhäute und die 
Beschaffenheit der Arterien und Venen mögen zu Störungen des Hei¬ 
lungsprozesses führen. Zum anderen glaube ich aber, dass das un¬ 
zweckmässige Verhalten der Verunfailten dn der auf das Trauma 
folgenden Zeit ganz besonders daran schuld ist, dass sich im Anschluss 
an die erste Blutung eine richtige Pachymeningitis haemorrhagica mit 
ihren rezidivierenden Blutungen entwickelt. Offenbar führt die 
schwere körperliche Arbeit zu häufigem Wechsel in der Blutgefäss¬ 
füllung im Schädel und diese wechselnden Kongestionen undl Anämien 
begünstigen, wie leicht einzusehen ist, das Auftreten von erneuten 
Blutungen, die dann weitere Organisationen und Gefässneubildungen 
Hervorrufen. Die gleiche Ansicht vertritt auch Kaufmann in 
seinem Handbuch der Unfallmedizin, wenn er (III. Auflage 2. Bd. 
S. 186) schreibt: „Einige Fälle machen es wahrscheinlich, dass die 
rasche Wiederaufnahme der Arbeit ohne das nach Kopfverletzungen 
stets zweckmässige ruhige Verhalten die Nachblutung in das primäre 
Hämatom veranlasste.“ 

Ausser den Altersveränderungen und dem unzweckmässigen Ver¬ 
halten der Verletzten kann in jedem Falle noch ein oder das andere 
Moment mit wirksam gewesen sein. Sicher werden die Bedingungen, 
welche sonst bei der spontanen Pachymeningitis als ursächlich ange¬ 
sehen werden, auch nach einem Trauma den Heilungsprozess ungünstig 
beeinflussen und das Rezidivieren dler Blutungen unterstützen können. 
In diesem Sinne möchte ich in dem dritten der oben berichteten Fälle 
das Bestehen der Zystennieren nicht für bedeutungslos ansehen, wäh¬ 
rend im ersten Falle auch ein gewisser Grad von Potatorium mit¬ 
gewirkt haben kann. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch einem anderen Gedanken 

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kurz Ausdruck geben, der das häufige Vorkommen der Pachymenin¬ 
gitis bei Potatoren betrifft. Gewiss ist der mit dem Alkoholgenuss 
verbundene Wechsel in der Blutfüllung des Gehirns und seiner Häute 
und die Alteration der Gefässwände für die in Frage stehende Er¬ 
krankung von Bedeutung. Wenn man nun aber auch grobmechanischen 
Einwirkungen, wie dem Schädeltrauma, eine wichtige Rolle für die 
erste Entstehung oder eine Verschlimmerung der Pachymeningitis zu¬ 
billigt, dann muss man diesem Umstande auch hier insofern Rechnung 
tragen, als ja Potatoren wohl öfter als andere Menschen Schädel¬ 
traumen ausgesetzt sind, und in der Tat glaube ich. dass das häufige • 
Vorkommen von Blutungen auf der Innenfläche der harten Hirnhaut bei 
Potatoren zum guten Teil damit zusammenhängt, dass diese im 
Rauschzustände fallen oder auch sonst mit dem Kopf anstossen oder 
anschlagen. Es läge hier eine gewisse Analogie mit dem Othämatom 
vor, das man fast nur bei Geisteskranken fand und durch lange Zeit 
auf spezifische Gefässveränderungen zurückführen wollte, während 
man heute weiss, dass es durch rein mechanische Insulte (Misshand¬ 
lungen) hervorgerufen wird und dleshalb in gut geleiteten und ge¬ 
nügend beaufsichtigten Irrenheilanstalten fast vollkommen verschwun¬ 
den ist. 

Zum Schlüsse möchte ich noch einen letzen Fall von Haematom:’ 
durae matris anführen, der nach mancherlei Richtung beachtenswert 
ist und insonderheit auch zeigt, dass unter Umständen die allerstärksten 
Grade dieser Erkrankung symptomlos oder fast svmptomlos ver¬ 
laufen und sich der Diagnose auch bei eingehender ärztlicher Unter¬ 
suchung während dies Lebens gänzlich entziehen können. 

Bei einer klinischen Sektion eines 78 jä-hr. Mannes, der an Leber¬ 
zirrhose behandelt worden war, fand sich ein grosses, altes, recht¬ 
seitiges Haematoma durae mitris. Der Mann, Nachtwächter von 
Beruf, war am 26. April 1917 mit ausgedehntem Hydrops ascites und 
zunehmender Schwäche in das Kantonsspital aufgenommen. Der 
Beginn der Erkrankung 1 ) war seit etwa 6 Wochen bemerkt worden. 

Bis dahin will der Mann stets gesund gewesen sein. Er bemerkte 
eine zunehmende Körperschwäche und Atemnot und Anschwellung des 
Leibes. Die Diurese war äusserst gering und war ebensowenig wie 
die Herztätigkeit durch geeignete Behandlung und Diuretika zu heben. 
Der Tod erfolgte am 3. Mai. 

, Bei der Sektion fand sich eine atrophische, kleinhöckerige Leber¬ 
zirrhose und eine Flüssigkeitsansammlung von 8 Litern im Bauch. 
Auch die Nieren waren klein und geschrumpft. In der rechten Lunge 
bestanden die Anfänge von hypostatischer Pneumonie, ausserdem be¬ 
stand Emphysem mit chronischer katarrhalischer Bronchitis, Als zu¬ 
fälliger Sektionsbefund wurde nun ein ungewöhnlich grosses Hämatom 
der rechtseitigen harten Hirnhaut aufgedeckt. Im Sektionsprotokoll 
heisst es: „Sehr grosser, kräftig gebauter Mann, der für sein Alter 
noch verhältnismässig jung aussieht. An, den weichen Bedeckungen 
des Schädels nichts Auffälliges. Die Oberfläche der Schädelkappe ist 
glatt, ohne Narben oder Spuren von Verletzungen. Die Kappe lässt 
sich von der Dura mater leicht lösen und weist auf der Innenfläche 
nur die normalerweise dlurch Arterien und Hirnwindungen veranlassten 
Unregelmässigkeiten auf. Die Dura mater ist straff gespannt und 
schimmert in- den vorderen Abschnitten der rechten Hälfte eigen¬ 
tümlich bräunlichbläulich infolge einer darunterliegenden biäunlichen 
Masse. Der Längsblutleiter enthält wenig feuchtes Blutgerinnsel. 
Nach Durchtrennen und Zurückschlagen der rechten Durahälfte findet 
man hier zur grossen Ueberraschung ein ungewöhnlich grosses Häma¬ 
tom, das der Innenseite im vorderen Bezirk fest anliegt und alle 
Zeichen eines ganz alten Gerinnsels in sich trägt. Diese geschwulst¬ 
artige Blutansammlung wird gegen den Araohnoidealraum hin durch 
eine dicke, braun gefärbte Membran abgegrenzt, in der viele rote 
Blutgefässe zu erkennen sind. Die Blutgeschwulst liegt etwas mehr 
in den vorderen als in. den hinteren Teilen der Dura mater, hat eine 
grösste Länge von 12, eine Breite von 6 und eine Dicke von 5 cm. 
Sie erreicht nicht die Mittellinie des Schädels, sondern bleibt von der 
Falx noch gut 2 cm entfernt. Um diese Geschwulst herum zieht eine 
fast 2 cm messende, pelzig aussehende Zone einer bräunlich gefärbten 
Pseudomembran, in der Blutungen und rote Gefässe zu erkennen sind. 
Auf dem Durchschnitt zeigt die wulstförmige Geschwulst ein marmo¬ 
riertes Aussehen, die äussere Begrenzungszone ist etwa 3 mm dick, 
aussen sieht man die bräunlichgelbe Partie, dann eine strichförmige 
rote Zone und dann folgt eine 2 mm breite Schicht eines glasig aus¬ 
sehenden weisslichen Bindegewebes. Diese Schicht setzt sich an bei¬ 
den Seiten in die sehr verdickte Dura fort. Dabei ist ein scharfer 
Unterschied zwischen der alten 'Dura und der neuen bindegewebigen 
Membran nicht überall erkennbar. Aussen findet sich auf der Dura 
wiederum eine Schicht rötlichen, schwammigen Gewebes, das viele 
neugebildete Blutgefässe enthält. Der zwischen den beiden binde¬ 
gewebigen Blättern der Dura und der Pseudomembran liegende Teil 
des eigentlichen Ergpsses besteht teilweise aus dunkelkirschrotem 
oder bräunlichem, geronnenem Blute, z. T. aus hyalin durchscheinen¬ 
den Abschnitten, z. T. aber aus bräunlichem odter gelblichem opakem 
Material. Die linke Seite der Dura mater ist sehr viel dünner, nur 
über dem Scheitellappen ist eine polsterartige Verdickung zu sehen 
bis zu 4 mm Dicke, an der eine äussere, z. T. vaskularisierte eigent¬ 
liche Dura und eine innere Begrenzungsmembran sich unterscheiden 
lässt. In der Umgebung der beetartigen Begrenzung sind rote Flecken 
zu erkennen. 


l ) Die Daten entnehme ich dein Krankenjournal der Med. Klinik 
(Prof. E i c h h o r s t). 

Original frern 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



6. August 1918. 


MUENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


86? 


Entsprechend der Geschwulst an der Dura mater ist auf der 
rechten Seite des Gehirns eine längliche, wulstförmige Eirsenkurig 
zu erkennen, die sich von der Spitze dfes Stirnlappens bis zum 

hinteren Teil des Schei¬ 
tellappens hinzieht. Ein 
3 cm breiter Streifen 
neben der medianen In- 
zisur ist als ein nicht 
eingedrückter Rand er¬ 
halten. Der Grund dieser 
eingebuchteten Partie hat 
eine bräunliche Färbung, 
ohne dass aber dabei 
die Hirnhaut verdickt 
wäre. Sehr deutlich 
mac ht sich diese Delle 
aut efnem Querschnitt 
des Gehirns durch die 
Asymmetrie kenntlich (s. 
Fig.). 

Diese grosse Blutgeschwulst hat sehr bemerkenswerterweise 
trotz Der starken Deformierung des Gehirns keine Symptome gemacht. 
In der Krankengeschichte sind keine nervösen Störungen, keine Kopf¬ 
schmerzen vermerkt, die Bewegungen der Augen waren frei und unbe¬ 
hindert, die Pupillen eng und etwas träge reagierend. 

Ich habe nun versucht durch wiederholtes eingehendes Befragen 
der Angehörigen etwas Näheres über Ursache und Beginn der Ver¬ 
änderung in Erfahrung zu bringen* Der Mann hatte mit Frau und 
Tochter zusammengelebt, war ein im ganzen mässiger Biertrinker. 
Aui meine Frage, ob der Verstorbene nicht über Kopfschmerzen, 
SchwinDelanfälle oder dergl. geklagt hätte, wurde mir geantwortet, 
dass der Vater ein stiller, verschlossener Mensch gewesen sei. der 
überhaupt wenig gesprochen hätte; er sei einmal im Zimmer umge¬ 
fallen und konnte seitdem wohl noch schlechter hören als vorher, 
sonst haben die Frauen nichts von Ohnmachts- oder Schwächeanfällen 
bemerkt. Ueber Kopfschmerzen habe er nie geklagt, doch sei es den 
Frauen aufgefallen, dass er des öfteren den Kopf in beide Hände ge¬ 
stützt und die Ellenbogen auf die Knie gestemmt hätte. In dieser 
vornübergebeugten Stellung habe er des öfteren längere Zeit dage¬ 
sessen. Auf meine Frage, ob der Mann vor kürzerer oder längerer 
Zeit einmal einen Schlag oder einen Stoss gegen den Kopf erhalten 
hätte, wurde mir berichtet, dass S. vor längerer Zeit, vor 
etwa 4—5 Jahren, einmal einen schweren Fall von 
der vordem Hause befindlichen Stein treppe, etwa 
6—8 Stufen tief, getan habe. Damals sei er mit der 
rechten Gesichtshälfte auf den steinernen Fuss- 
boden aufgeschlagen und habe längere Zeit einen 
ausgedehnten Bluterguss in der Umgebung des 
rechten Auges gehabt, auch sei das Gesicht aufder 
rechten Seite da m.a ls an vielen Stellen abgeschun¬ 
den gewesen. 

Mehr konnte ich trotz mehrfach wiederholten Befragens von der 
intelligenten Tochter nicht herausbringen. 

Darnach steht aber das eine fest, dass das grosse Hämatom keine 
besonderen Erscheinungen gemacht hat. Das erklärt sich z. T. wohl 
aus dem Alter des Mannes und der Tatsache, dass in dieser Zeit das 
Volumen des Gehirns ev. schon erheblich abgenommen hat und dass 
sich deshalb auch eine so umfangreiche massige Geschwulst wie die 
vorliegende im Schädelinnern ansammeln kann, ohne dass das Gehirn 
dadurch beengt würd. Immerhin bleibt es auffällig, dass angesichts der 
hochgradigen Deformität des Gehirns, zumal diese auch auf die Zentral¬ 
windungen ausgedehnt ist. keine Druck- oder Reizerscheinungen her¬ 
vorgerufen wurden. 

Was die Aetiologie in diesem Falle betrifft, so bin ich geneigt, die 
Entstehung Des massigen umschriebenen Hämatoms, das nach seinem 
ganzen Verhalten offensichtlich sehr alt ist, auf den um 4—6 Jahre 
zurückliegenden Fall von der steinernen Treppe und die damals er¬ 
littene Kopfverletzung zurückzufirhren. Auf der linken Hälfte der Dura 
mater findet sich lediglich eine Verdickung der Dura, hervorgerufen 
durch einemicht oder nur wenig pigmentierte Bindegewebsschicht, die 
sich mit einiger Mühe von der eigentlichen Hirnhaut trennen lässt. 

Möglich, ja wahrscheinlich ist, dass auch in diesem Falle die 
Umbildung einer einfachen subduralen Hämorrhagie in eine so massige 
lokale Pachymeningitis durch das Alter des Mannes und das Pota- 
tonum und das unzweckmässige Verhalten nach dem Unfall begünstigt 
wurde, möglich isj ja natürlich auch, dass die Anfänge der Pachy¬ 
meningitis schon bestanden, als der Fall eintrat. 

Selbst wenn man dies, dbs vollkommen unbewiesen, also hypo¬ 
thetisch ist, für diesen und die übrigen Fälle annehmen würde, wenn 
also danach durch den Unfall ein schon bestehendes Leiden verschlim¬ 
mert würde, wäre die Unfallversicherung für die Folgen voll haftbar. 
Denn die Pachymenigitis ist ein Leiden, das in der grossen über¬ 
wiegenden Mehrzahl der Fälle ohne jede Störung des Wohlbefindens 
und der Erwerbsfähigkeit verläuft und zumeist nur als zufälliger Be¬ 
fund bei der Sektion angetroffen wird. Die katastrophale Wendung 
zum Schlimmen wird erst durch das Schädeltrauma veranlasst und 
darum ist die nach dem Unfall erst einsetzende wirkliche Erkrankung 
und der tödliche Ausgang auch als die alleinige Folge des Unfalles 
anzusehen. 

Diesem praktischen Gesichtspunkte gegenüber tritt die theo- 

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retische wissenschaftliche Streitfrage, ob eine gewisse Disposition zur 
Bildung des Haematoma durae matris gehöre, oder dieses auch ohne 
solche Disposition entstehen könne, zurück. 


Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Strassburg i. Eis. 
(Direktor: Prof. Dr. Salge.) 

Behandlung der Bazillenruhr im Säuglingsalter. 

Von Dr. Eberhard Nast, Assistent der Klinik. 

Nachdem die Ruhrepidemie des Jahres 1917 beendigt ist, sei 
es mir erlaubt über die Erfahrungen, die wir an Säuglingen dabei 
gemacht haben, einiges Nähere mitzuteilen. In letzter Zeit sind so 
mannigfaltige, mehr oder minder wissenschaftlich zu verteidigende 
Therapien der Ruhr veröffentlicht worden, deshalb möchte ich, ohne 
mich auf eine Kritik der anderen Arbeiten einzulassen, Theorie und 
Praxis unserer Behandlung kurz zeigen. 

Ich will sofort bemerken, dass die Art der Behandlung bei allen 
unten beschriebenen Fällen prinzipiell dieselbe war und nur nach der 
Schwere der Ruhr abgestuft wurde. 

Im ganzen wurden nach diesem Prinzip 21 Kinder unter 1 Jahr 
behandelt; zu Tode kamen 5 Fälle, somit 24 Proz. Die Behand¬ 
lungsdauer schwankte zwischen 6 Wochen und 5 Monaten bis völlige 
Heilung erzielt w'urde. Als völlige Heilung wurde erst angesehen, 
w'enn bei normaler (dem jeweiligen Alter des Säuglings entsprechen¬ 
der) Kost ein längerer Gewichtsansatz bei normalem Stuhl beobachtet 
wurde. Alle Fälle waren klinisch einwandfreie Ruhr und fast alle 
auch bakteriologisch oder serologisch erhärtet. Die zu letalem Ende 
gekommenen Fälle sind grösstenteils einer Sekundärinfektion 
(Bronchopneumonie) zum Opfer gefallen. 

Unsere Säuglingsbehandlung bestand in groben Zügen in folgen¬ 
dem: 

Die ersten 1—2 Tage manchmal bis 2 stündlich 1 Kaffeelöffel 
Rizinusöl, teilweise einhergehend 1—2 Darmspülungen mit A proz. 
essigsaurer Tonerde. Die ersten Stunden nur Tee, dann aber sofort 
beginnend mit kleinen Mengen' zentrifugierter Frauenmilch und Lie- 
b i g - K e 11 e r scher Malzsuppe. Gesamtmenge am 1. Tag ca. 200 ccm; 
dann langsam steigend bis zur Erhaltungsdiät (ca. 70 Kalorien pro 
Kilogramm Körpergewicht). Bei Besserung der Stühle langsamer Er¬ 
satz der zentrifugierten Frauenmilch durch gewöhnliche Frauenmilch. 
Erst bei normalem Ansatz unter dieser Ernährung Austausch von 
Malzsuppe gegen Halbmilch und erst zum Schluss völlige Heraus¬ 
nahme der Frauenmilch. Bei älteren‘Säuglingen wurde dann noch zur 
gemischten Kost übergegangen. Nur wenn diese Kost gut vertragen 
wird und gleichzeitig Ansatz besteht, kann von einer geheilten Ruhr 
gesprochen werden. Dysenterieserum wurde in keinem der Fälle 
gegeben. An Medikamenten nur in 1 Fall Bolus alba aber ohne einen 
raschen Erfolg zu erzielen. Von stärkeren Tenesmen w^aren die Säug¬ 
linge bei unserer Behandlung völlig frei, so dass dagegen keinerlei 
Medikament notwendig war. Opium und Kalomel halten wir nicht 
nur für überflüssig, sondern direkt für schädlich. Wegen der oft 
zu Beginn schon einsetzenden Herzschwäche w’aren öftere Gaben 
von Koffein und teilweise Kampfer nicht zu umgehen. Das nach dem 
akuten Stadium oft auftretende Salzsäuredefizit des Magens wurde 
durch Acid. mur. dil. 3 mal täglich 5—10 Tropfen mit Erfolg be¬ 
kämpft. 

Die von uns gew ählte Ernährungstherapie der Ruhr resultiert aus 
folgenden Ueberlegungen: 

Der ruhrkranke Säugling erträgt eine auch nur kurzdauernde 
Hungerperiode sehr schlecht, deshalb muss bald mit der Nahrungs¬ 
zufuhr begonnen werden. Diese Tatsache kann nicht genug hervor- 
gehoben werden; w'ir sahen bei einigen Fällen, die schon, ehe sie 
in unsere Behandlung kamen, 1—2 Tage gehungert hatten, eine so 
rasch fortschreitende Kachexie, dass sie m 2 Fällen nicht mehr auf¬ 
gehalten werden konnte und zum Tode führte. Der in Fäulnis über¬ 
gegangene eitrige Darminhalt muss sobald wie möglich aus dem 
Körper entfernt werden, daher oftmalige Gaben von Rizinusöl und 
Darmspülungen. Ist der Organismus nun so weit vorbereitet, so muss 
die Ernährungstherapie einsetzen. Die Hauptsache ist: wir müssen 
Speisen zuführen, deren Nutzwert fast gleich dem Kalorienw r ert ist, 
mit anderen Worten wir dürfen nur Speisen geben, die auch yom 
magendarmkranken Säugling in seinem geschädigten Darm mit mög¬ 
lichst geringer Verdauungsarbeit möglichst stark ausgenutzt w-erden 
können. Dann kommen wir mit geringen Quantitäten Speisen aus und 
haben gleichzeitig sehr geringe Schlackenbildung. Fett- und Eiweiss 
eignen sich in grösseren Mengen beim magendarmkranken Säugling 
nicht als Energiequelle, da sie eine viel zu grosse Verdauungsarbeit 
beanspruchen. Eiweissiiberfütterung verbietet sich schon wegen der 
dadurch hervorgerufenen Fäulnisflora im Darm, die wdr ja auf alle 
Fälle vermeiden wollen. Zu fettreiche Nahrung ist wegen der bei 
Säuglingsruhr sehr oft und: früh bestehenden Achylie nicht angebracht, 
da dadurch neue Verdauungsstörungen künstlich erzeugt werden. Von 
den Kohlehydraten hat die Maltose aber die höchste Assimilations¬ 
grenze, während diese bei Milchzucker beim magendarmkranken 
Säugling gesunken ist 1 ). Daneben hat erhöhte Maltosegabe auch noch 
leicht die Peristaltik befördernde Wirkung, weshalb sie für den nihr- 


Q Keller: 
Säuglinge. 


Malzsuppe, eine Nahrung für magendarmkranke 

2 # 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


868 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


kranken Säugling besonders geeignet ist; wir haben ja die Absicht, 
den Darm in massiger Peristaltik zu erhalten* urn eine eventuell noch 
vorhandene Fäulnisflora möglichst auszuscheiden. Die Frauenmilch 
als natürlichste Nahrung des Säuglings, zu nehmen, ist wegen ihres 
hohen Fettgehaltes nicht ratsam, denn wie oben gesagt, ist ja gerade 
die Fettverarbeitung beim ruhrkranken Säugling sicher am frühesten 
gestört. Diesen Fehler können wir aber durch Fettentziehung aus- 
scheiden. Die Frauenmilch ist unbedingt notwendig, um die Flora 
des Darmes möglichst günstig zu beeinflussen und um die Wider¬ 
standskraft des durch die schwere Infektion bedrohten Säuglings¬ 
organismus zu heben. 

Diese Ueberlegungen führen uns damit ganz von selbst auf die 
Kombination von entfetteter Frauenmilch, wie man sie durch Zen¬ 
trifugieren erhält, und Liebig-Keller scher Malzsuppe. 

Beispiele unserer Erfolge mit dieser kombinierten Ernährungs¬ 
therapie bei Ruhr sollen folgende Kurven und kurzen Krankenge¬ 
schichten zeigen *). 

Fall 1. Kind M. L., geb. 17. VII. 17. Tag der Aufnahme 
6. VIII. 17. Anamnese: 9 Tage gestillt nach normaler Geburt. Nah¬ 
rung alle 3 Stunden 3 Teile Haferschleim und 1 Teil Milch. Seit 
4 Tagen Durchfall, bekam deshalb 2 Tage nur Schleim, ohne Besse¬ 
rung. Seit 'heute Blut im Stuhl. 

Aufnahmebefund: Jämmerliches Kind, leicht zyanotisch, sehr 
schlechter Turgor, leichter Intertrigo; Leib eingesunken. Lungen frei. 
Herz: sehr leise Töne, Puls kaum fühlbar. Stuhl blutig-eitrig. 

Therapie: Kind bekam 2mal zweistündlich 5ccm Rizinusöl, eine 
Darmspülung. Wegen Herzschwäche Koffein. Untertemperaturen 
wurden durch Wärmflaschen ausgeglichen. Die eisten 10 Stunden 
Tee, dann 3 Tage lang 100 ccm zentrifugierte Frauenmilch + 100 ccm 
Malzsuppe. Die zentrifugierte Frauenmilch wurde langsam gesteigert, 
so dass am 8. Tage 300ccm erreicht wurden, dazu 100 ccm Malzsuppe: 
dabei war bereits GewichtsstilLstand eingetreten. Am 13. Tage bei 
Besserung der Stühle schon Gewichtszunahme, deshalb Zusatz von 
50ccm voller Frauenmilch. Am 30. Tage war der langsame Ersatz 
der zentrifugierten Frauenmilch durch Frauenmilch bei Gewichts¬ 
zunahme und Besserung der Stühle beendigt. Am 34. Tage deshalb 
langsames Herausziehen der Frauenmilch und Gabe von Y\ Milch. 
Stuhle normal. Am 51. Tage ist Frauenmilch durch Drittelmilch 
ersetzt und am 56. Tage auch Malzsuppe ersetzt und gleichzeitig Halb¬ 
milch gegeben worden. Am 63. Tag Kind mit Halbmilch geheilt 
entlassen. 

Wir sehen also, dass das Kind trotz seiner grossen Jugend von 
3 Wochen und einem Gewicht von 2560 g die Ruhr anstandslos über¬ 
standen hat. Der anfängliche Gewichtsverlust war nur 250 g. Schon 

2 ) Wegen Raumersparnis wurden nur folgende 3 Fälle näher be¬ 
schrieben, da sämtliche anderen Fälle nichts prinzipiell Neues bieten. 


nach 10 Tagen konnten wir ein ständiges Ansteigen der üewichts- 
kurve konstatieren. Infolge der sehr langsamen Herausnahme der 
Frauenmilch wurde diese Kurve auch bei der Abstillung nicht unter¬ 
brochen. 

Kurve 1. 


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6. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


869 


Fa 11 2. Kind L. B., geb. 5. IV. 17. Tag der Aufnahme: 2. VIII. 17. 
Anamnese: Schon früher wegen Durchfall in klinischer Behandlung, 
bis jetzt ganz nett gediehen. Seit 1 Tag schleimig-blutiger Stuhl. 

Aufna'hmebefufld: Ganz nett entwickeltes Kind. Turgor schlecht, 
Hautfarbe blass, sehr matt, Bauch eingefallen. Lungen und Herz: 
kein Befund. Stuhl blutig-eitrig. 

Therapie: Die ersten 8 Stunden Tee und zweistündlich 5 ccm 
Rizinusöl, -dann 1 Tag 100 ccm zentrifugierte Frauenmilch + 100 ccm 
Malzsuppe. Am 3. Tag 200 ccm zentrifugierte Frauenmilch 4- 100 ccm 
Malzsuppe. Am 5. Tage Zusatz von 50 ccm Frauenmilch mit 200 ccm 
Malzsuppe. Stühle noch blutig-eitrig. Am 17. Tage ist die zentri¬ 
fugierte Frauenmilch durch Frauenmilch ersetzt. Malzsuppe dieselbe 
Menge, 200 ccm. Gewicht hält sich seit dem 15. Tag. Stühle sind sehr 
gebessert. Unter Beibehaltung dieser Nahrungsmenge (ca. 100 Ka¬ 
lorien pro kg) ganz langsame Gewichtszunahme bis zum 62. Tage. 
Oberlappenpneumonie mit hohem Fieber und Gewichtssturz. Pneu¬ 
monie wird überstanden unter reiner Frauenmilchgabe. Am 68. Tage 
wieder Zusatz von Malzsuppe. Gewicht steigt wieder ganz langsam. 
Am 85. Tage Beginn der vorsichtigen Abstillung, die bei guter Ge¬ 
wichtszunahme am 120. Tage beendet ist. Allgemeinzustand sehr gut. 
Nach 137 Tagen unter Halbmilch und Halbmilchbrei geheilt entlassen. 
Der erste Gewichtsverlust betrug 470 g, dann langsame Zunahme. 
Die schwere Oberlappenpneumonie überstand das Kind in der ersten 
Rekonvaleszenz gut, trotz Abnahme von 400 g. Nachher ging Ab¬ 
stillung ohne Schwierigkeit bei ständiger Gewichtszunahme gut 
vorüber. Eine Hausinfektion von Varizellen wurde ohne irgend¬ 
welche Reaktion durchgemacht. Sonst wurden bei den geheilten 
Fällen Sekundärinfektionen nicht beobachtet. 

Fall 3. Kind A. E., geb. 20. II. 17. Tag der Aufnahme: 
7. VII. 17. Anamnese: Rechtzeitig geboren (Gesichtslage), 4 Monate 
Brust und X A Milch und Vi Schleim. Seit 14 Tagen keine Brust mehr. 
Jetzt 5 Mahlzeiten X A Milch Yi Schleim. Seit 1 Woche krank, trinkt 
nicht, Durchfall, bekam Tee und Schleim, hustet etwas. 

Aufnahmebefund: gut entwickeltes Kind, gesunde Hautfarbe, 
matter Gesichtsausdruck, Bauchhaut teigig, weich, leidlicher Turgor. 
Lungen: keine Dämpfung, spärlich Giemen, Herz: kein Befund. 
Stuhl blutig-eitrig. 

Therapie: Am 1. Tage 50 ccm Frauenmilch + 80 ccm Malzsuppe. 
Am 2. Tage 500 ccm Frauenmilch 4 - 300 ccm Malzsuppe. Diese 
Nahrung fortgesetzt bis zum 5. Tag. Stühle werden schlechter und 
häufiger. Es tritt mehrmaliges Erbrechen auf. Deshalb Uebcrgang 
zu zentrifugierter Frauenmilch und 4 malige Gabe von 1 Teelöffel 
Rizinusöl. Am 8. Tage 300 ccm zentrifugierter Frauenmilch ~h 100 ccm 
Malzsuppe. Am 10. Tage Ersatz von 100 ccm zentrifugierter Frauen¬ 
milch durch 100 ccm Frauenmilch. Am 16. Tage wieder 300 ccm 
Frauenmilch 4 - 300ccm Malzsuppe: das Gewicht hält sich, Stühle 
sind fast normal, nur noch 2—3 mal täglich. Am 21. Tage lang¬ 
sames Abstillen, das unter Gewichtszunahme am 34. Tage beendet 
ist. Allgemeinbefinden selir gut*. Stühle normal. Turgor gut. Am 
46. Tage bei gemischter Kost (Halbmilch und Halbmilchbrei und 
(iemüse) geheilt entlassen. 

Kurve 3. 




Anfangs wurde sicher eine zu fettreiche Nahrung gegeben, ebenso 
war die Menge zu gross, deshalb keine Besserung der Stühle, sondern 


Verschlechterung, dazu noch Verschlechterung des Allgemeinbefindens 
(Erbrechen) und plötzlicher Gewichtssturz von 300 g. Zur Reparation 
unter fettarmer Nahrung waren 14 Tage notwendig, in denen kein 
Ansatz erfolgte, erst dann Gewichtszunahme und sehr rasche völlige 
Heilung. 


Aus einem Reservelazarett. 

Eine neue Art chirurgischer Beobachtung. 

Vorläufige Mitteilung. 

Von Dr. E. Sehrt. 

In der Tübinger inneren Klinik ist unter (). Müllers Leitung 
eine neue Methode klinischer Beobachtung entstanden, die in ihren 
Auswirkungen alles weit zu übertreffen scheint, was auf diagnosti¬ 
schem Gebiet in dem letzten Jahrzehnt geleistet worden ist. Es ist 
die Beobachtung der Hautkapillaren am Lebenden mit dem Mikro¬ 
skop. Wir sind wahrscheinlich soweit oder eigentlich hat es die 
ärztliche Kunst erreicht, dass wir von einer Hautroseoie sicher sagen 
können, ob sie durch Flecktyphus, durch Typhus abdominalis, durch 
Scharlach, durch Masern entstanden ist, oder ob es sich um irgend 
ein anderes Exanthem handelt. Alle diese Roseolen zeigen bei 
der mikroskopischen Lupenbetrachtung ein ganz charakteristisches 
Bild ihrer Kapillarversorgung, das im wesentlichen übereinstimmt 
und seine ungezwungene Erklärung findet in den pathologisch- 
anatomischen Verhältnissen 

Im Anschluss hieran habe ich versucht die K a p i 11 a r Beob¬ 
achtung auf das chirurgische Gebiet zu übertragen und Fragen 
der Lösung näher zu bringen, die den Chirurgen seit jeher besonders 
wichtig erschienen sind. Bis jetzt wurde der Darm und das 
Gehirn im Tierexperiment in das Bereich der Untersuchungen ge¬ 
zogen. Erschien es doch von vornherein aussichtsvoll, gerade ein 
einerseits relativ dünnes, daher für Lichtstrahlen leicht durchdring- 
bares, andererseits ein sehr blutgefässreiches Gewebe, wie es der 
Darm ist, der Untersuchung zu unterziehen. Zunächst warf sich 
die Frage auf: Können wir bei der Lupenbetrachturig 
einem Darm teil ansehen, ob er lebensfähig ist oder 
n i c h t? Diese Frage ist ja für den Chirurgen von unermesslicher 
Wichtigkeit bei der Darmresektion. Haben wir einen Teil des 
Darmes weggenommen und gehen wir an die Wiedervereinigung 
der Darmlumina, so ist die erste Bedingung für den Erfolg der 
Operation, dass wir Darmteile vernähen, von denen jeder sicher 
lebensfähig ist, die verheilen können. Wieviele Menschenleben sind 
nicht schon der Tatsache zum Opfer gefallen, dass selbst der er¬ 
fahrenste Beobachter diese Frage nicht immer lösen kann. Wir 
wissen, dass — gleichgültig wie wir auch immer die Darmresektion 
machen, ob wir das Mesenterium am Darmansatz durchschneiden, 
oder ob wir die (in dieser Beziehung etwas unsicherere) Keil¬ 
exzision des Mesenteriums ausführen — die Zone der Blutgefäss¬ 
versorgungsstörung nicht selten viel weiter geht als wir annehmen, 
dass also zur Zeit der Operation der anschliessende Darrnteil gesund 
aussehen kann und doch der sicheren Nekrose anhcimfallcn muss. 
So haben wir uns daran gewöhnt, bei der Resektion des brandigen 
Darmteils beim eingeklemmten Bruch oft eine um das Vielfache 
grössere Darmschlinge wegzunehmen, als der brandige Teil selbst, 
nur um sicher zu gehen, im Gesunden zu operieren. Wir tun das, 
weil es eben kein absolut sicheres Merkmal für die einwandfreie 
Lebensfähigkeit des Darmes gibt. Hier kann nur die mikroskopische 
Beobachtung Klarheit geben und oft hat sich wohl jeder Chirurg 
schon bei der Operation gewünscht, mit dem Mikroskop einen kurzen 
Blick in die Tiefen der Geheimnisse der so dünnen Darmwand 
zwischen seinen Fingern tun zu können. 

Zur Kapillarbeobachtung habe ich zunächst den Tier darin 
benutzt und zwar den Dünndarm des narkotisierten Schweines, der 
anatomisch mikro- wie makroskopisch von allen Tierdärmen dem 
Menschendarm am nächsten steht. Beobachtet man den vor die 
Bauchhöhle gelagerten Darm mit dem Lupenmikroskop, so ist man 
erstaunt, in welch neue Welt des Naturgeschehens man blickt! Bei 
50 -60 facher Vcrgrösserung sieht man die Darmwand durchsetzt von 
einem Gewirr feiner, schlanker, fast glcichmässig dicker, gewundener, 
in Knäuel sich verwirrender und sich wieder mühelos auflösender 
roter Röhren. Dabei das Ganze in dauernder Bewegung! Die 
tieferen Schichten schieben sich in das Gewirr der höher gelegenen 
roten Röhrensysteme hinein, um im nächsten Augenblick ein ganz 
anderes Bild zu bieten. Man wird unwillkürlich erinnert an jene 
Drehbildchen des Kaleidoskops der Latema magica der Kinderzeit, 
wo man staunend vor dem weissen Schirm dem immer neuen Ge¬ 
schehen des Ineinandergreifens der Farbenfiguren und ihrer grotesken 
Bildungen zusah. 

Das Peritoneum ist, da es von der dünnen serösen Peritoneal¬ 
flüssigkeit überspült ist, zunächst nicht als solches zu erkennen. Die 
Kapillaren schweben ln einem hellrosa gefärbten Medium; offenbar 
werden die eigenartigen Bewegungen durch die Muskulatur bedingt. 
Die Methode führt vielleicht zu einer weiteren Klärung der Peri¬ 
staltikfrage und den Beziehungen zwischen Serosa und Musku- 
' latur. Hat man nun einige Minuten dieses merkwürdig farben- 


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. Original frorn 

UNIVERS1TY OF CALIFORNIA 





















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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


prächtige Bild betrachtet, so sieht man durch das Okular, wie das 
Ganze sich überzieht mit einem unsagbar feinen, spinnengewebs¬ 
artigen, opaleszierenden Gitternetz. 

Dies ist die beginnende Fibrin bildung. Bemerkt 
werden muss noch, dass die Kapillaren fast alle eine gleiche Dicke 
zeigen und als schmale dünne Röhrchen imponieren, in denen man 
sogar die Blutbewegung sieht. Nunwird ein Teil des Mesen¬ 
teriums unterbunden. Die Folge ist, dass die Kapillaren 
des dazu gehörigen Darmteils sich mächtig erweitern, aus den 
schlanken, gewundenen Röhren werden breite langgestreckte Bänder. 
Rote Punkte liegen jetzt hie und da ausserhalb derselben. Das 
erst so bewegungsvolle Bild ist starr geworden. 

Stellenweise erinnert das Bild an das mikroskopische eines 
kavernösen Angiomes* Zwischen den breiten roten Bändern sieht 
man nun auch dünne leere weissliche Stränge (arterieller Teil der 
Kapillaren?). Nun konnte festgestellt werden: makroskopisch wird 
der Darmteil, dessen Gefässe unterbunden sind, allmählich bläulich. 
Diese bläuliche Verfärbung geht durchaus ohne scharfe Grenzen 
sowohl peripher- wie zentralwärts am Darm weiter auch auf die 
Darmstrecken übergreifend, deren Gefässe sichtbar nicht unter¬ 
bunden sind. Der Punkt, jwo peripher und zentral nach dem Verlauf 
der unterbundenen Mesenterialgefässe anzunehmen ist, dass hier die 
Blutversorgung wieder beginnt, wird bezeichnet und nun die Darm¬ 
teile ober- und unterhalb der 32 cm langen ausser Blutversorgung 
gesetzten Schlinge mit dem Lupenmikroskop betrachtet. Hier zeigt 
sich nun dass, obwohl gar nicht zu verstehen^ ist, dass die Blut¬ 
versorgung auch oberhalb gestört sein sollte, die Darmwand 
noch 28 cm nach oben zu ganz ähnliche Gefäss- 
störungen zeigt, wie das absichtlich gefäss- 
gestörte Darmstück. Dagegen beginnt peripherwärts schon 
2 cm unterhalb der der Nekrose verfallenen Darmschlinge normaler 
Darm. Ich betone, dass makroskopisch oberer wie unterer Teil sich 
völlig glichen und doch waren im oberen Darmteil, der 28 cm lang 
war, Verhältnisse, die bei einer Vernähung sicher zur Perforation 
und zur tödlichen Peritonitis geführt haben würden 1 ). 

Ich glaube mit der Lupenmikroskopbeob¬ 
achtung des Darmes i in gegebenen Falle sicher 
sagen zu können, ob er lebensfähig ist oder 
nicht. 

Ein ebenfalls ganz neues, nie gesehenes Bild entrollt sich bei 
der Kapillarbeobachtung des Gehirns. 

Diese wurde vorgenommen am Rinderhirn in der Agone des 
Tieres. Auch hier sehen wir zwischen den breiten Piagefässen jene 
unsagbare feine Kapillarverteilung, nur spärlicher wie am Darm. 
Besonders deutlich zeigt sich das Spinngewebegeflecht der Arach- 
noidca, das auffallend über den Venen hervortritt. Nach dem ein¬ 
getretenen Tode des Tieres sieht man deutlich, wie an einzelnen 
Stellen innerhalb der Kapillaren Gerinnungsherde entstehen, deren 
eine oft wandständige Partie auffallend hell und lichtbrechend ist 
(Speckhautgerinnsel?), deren andere Hälfte aus Blutklümpchen be¬ 
steht. Jetzt finden sich überall neben den Kapillaren Blutaustritte. 
Gut und scharf sieht man sogar vorher in den grösseren Kapillaren die 
Bewegung der einzelnen Blutkörperchen. Dabei alles ausserordent¬ 
lich plastisch, fast stereoskopisch wirkend. 

Es ist kein Zweifel, dass die mikroskopische Lupenbetrachtung, 
die wir alle von der Betrachtung der Froschzunge im physiologischen 
Experiment her seit langem kennen, von dem sie sich im Grunde ja 
nur durch die Stellung der Lichtquelle zu dem zu beobachtenden 
Gegenstände unterscheidet, einen neuen Abschnitt physiologischer 
und patho-physiologischer Betrachtung einleitet, wenn wir sie auch 
auf andere Organe anwenden. So kann z. B. die Frage der 
Kapillarembolie erweitert erörtert werden (bei dem Darm 
konnte ich durch Einspritzen von Luft in die Mesenterialvene Luft¬ 
bläschen in grösseren Kapillaren deutlich sehen), die Wirkung von 
Arzneimitteln (AspLrin, Chloroform usw.) kann in ihrer Aus¬ 
dehnung auf die Gehirngefässe weiter erforscht werden, ja vielleicht 
können die schwierig zu klärenden Beziehungen zwischen Gehirn- 
tätigkeit und Gehirnkapillaren durch die direkte 
Beobachtung eine neue Beleuchtung erfahren. Vieles andere 
scheint mir sicher zu sein: Bei einem nicht zu weit unter der Hirn¬ 
rinde liegenden Tumor oder Abszess werden sicher Ver¬ 
änderungen im Kapillarbild zu sehen sein, die sogar relativ charak¬ 
teristisch sein werden. Aus dem Gebiete der Bauchchirurgie greife 
ich nur eines heraus: Wir werden schnell und sicher das gefäss- 
haltige Karzinomknötchen von dem gefässlosen Serosa- 
tuberkel mit der Lupenbetrachtung unterscheiden können. Und 
so manches andere mehr. 

Ueber weitere Ergebnisse diesbezüglicher Forschungen, vor 
allem auf chirurgischem Gebiet, werde ich seinerzeit berichten. 


4 ) Bei der Schlachtung war der Darm in ca. 70 cm Ausdehnung 
völlig schwarz (schätzungsweise Messung des Tierarztes). 

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Aus der medizinischen Klinik und Nervenklinik Tübingen 
(Vorstand: Prof. Dr. Otfried Müller). 

Zur Frage der Lymphozytose im Liquor bei seröser 
Meningitis. 

Von Dr. Meta Holland, Assistenzärztin der Klinik. 

Für die Diagnose des von Quincke gezeichneten Krankheits¬ 
bildes der serösen Meningitis ist die Feststellung einer 
wasserklaren, vermehrten, unter erhöhtem Druck stehenden Zere¬ 
brospinalflüssigkeit von ausschlaggebender Bedeutung. Dabei wird 
allgemein in den Lehrbüchern und in den meisten über diese Fälle 
erschienenen Publikationen übereinstimmend aut den verhältnis¬ 
mässig geringen Eiweissgehalt und die fehlende Pleozytose hin¬ 
gewiesen, wenn auch das Vorkommen spärlicher Lymphozyten bei 
schwach positiver ülobulinreaktion und der vereinzelte Nachweis 
von Bakterien zugegeben wird. Die Hauptsache ist die Druck¬ 
erhöhung. Dennoch finden sich Abweichungen von der Norm, was 
das physiologisch-chemische und histologische Verhalten des Punk- 
tates betrifft, nicht allzu selten auch bei den serösen Meningitiden. 
Bei den Unsicherheiten, die den älteren Methoden der Zellzählung 
und Eiweissfällung anhafteten, und den widersprechenden Befunden 
der histologischen Substrate ist es erklärlich, dass 1909 Allard 1 ) 
in seiner Monographie über die Lumbalpunktion die Diagnose einer 
serösen Meningitis weniger durch die Eigenschaft des Liquor als 
durch den Krankheitsverlauf und die in der Anamnese erhobenen 
typischen Beschwerden und konstant wiederkehrenden Klagen er¬ 
härten will. Einen ausschlaggebenden Wert legt dagegen schon 1899 
Krönig*), der Begründer der Zytodiagnostik des Liquors, einer 
exakten histologischen Analyse des Punktates bei, die zur Abgren¬ 
zung einer serösen Meningitis durchaus unerlässlich sei und allein 
eine Differentiakliagnose zwischen sog. Pseudomeningitiden und Hirn¬ 
tumoren einerseits und echter seröser Hirnhautentzündung anderer¬ 
seits ermögliche. An gleicher Stelle macht er auf den diagnostischen 
Wert der Lymphozytose im Liquor aufmerksam: Bei reinen Formen 
der serösen Meningitis findet man „ausser einigen roten Körperchen 
die Zahl der Lymphozyten erheblich, die Zahl der Endothelien 
massig vermehrt“. Eine Vermehrung der Lymphozyten im Liquor 
beschreibt 11 Jahre später Eduard Schwarz 3 ) bei Krankheits¬ 
typen, die dem der traumatischen serösen Meningitis, wie sie heute 
dargestellt und aufgefasst wird, sehr ähnlich sind. Auch nach an¬ 
scheinend geringem Trauma ohne jegliche Kommotionserscheinungen 
glaubt er Zertrümmerungen des Gehirns verantwortlich machen zu 
müssen für das Auftreten von Blut im Liquor (blutiger Bodensatz und^ 
gelber Liquor beiin Stehen und Zentrifugieren); und eine nach Schwin¬ 
den des Blutes sich entwickelnde Lymphozytose spricht er als Aus¬ 
druck dieser der Erweichung anheimfallenden Zertrümmerungsherde 
an. Leider unterblieben genaue Druckmessungen während der Lum¬ 
balpunktion, so dass eine Einordnung dieser Krankheitsbilder, die aut 
dem Boden einer „Commotio cerebri“ entstanden, in die Gruppe 
der serösen Meningitiden sich nicht sicher ermöglichen lässt. Nor¬ 
maler Liquorbefund, abgesehen von starker Drucksteigerung, darf 
auf Grund späterer Publikationen als wohl fundierte und allgemein 
angenommene Tatsache bei seröser Hirnhautentzündung nach Kopf¬ 
trauma gelten. Im Gegensatz zu den von S c h w a r z erhobenen 
Befunden stehen zahlreiche Veröffentlichungen. So war in 16 von 
Schlecht 4 ) in Kiel untersuchten Fällen von Meningitis serosa 
traumatica der Liquor beziigl. Globulinreaktion und ZellgehaU als 
durchaus normal anzusprechen, und Weitz 5 ) konnte zeigen, dass 
Liquordruckerhöhimg nach Kopftrauma ohne veränderte Beschaffen¬ 
heit der Lumbalfliissigkeit, die in diesen Fällen nicht als qualitativ 
verändert anzusprechen ist, einherzugehen pflegt. Beispiele dteser 
Art überwiegen in der Literatur, so dass eine ausgesprochene 
Lymphozytose der Zerebrospinalflüssigkeit bei seröser Meningitis 
immerhin als Ausnahme gelten muss, und das Auftreten von stark 
vermehrten lymphatischen Zellen im Liquor nach mehr oder- weniger 
starkem Kopftrauma neben rein seröser Exsudation der Meningen 
noch eine andere Ursache und Erklärungsmöglichkeit beanspruchen 
darf, sei es im Sinne Ed. Schwarz’ als Produkt eines Umwand¬ 
lungsprozesses kleinerer oder grösserer Zertrümmerungsherde im 
Gehirn, sei es als Residuen ausgedehnter Hirnhautblutungen 
iWeitz 8 )]. 

In letzter Zeit kamen in der Medizinischen Klinik in Tübingen 
einige Fälle von seröser Meningitis zur Beobachtung, die mit erheb¬ 
licher Lymphozytose einhergingen, welche nach Abklingen der stür¬ 
mischen, das krankheitsbild einleitenden Erscheinungen unter all¬ 
mählichem Zurückgehen verschwand. 

Die Veröffentlichung dieser Fälle mag bei dem praktischen 
Interesse der Frage und dem immerhin nicht allzuhäufigen Vor¬ 
kommen vielleicht gerechtfertigt erscheinen. 


J ) Allard: Die Lumbalpunktion. Erg. d. inn. M. u. Kinderhlk. 1909. 

2 ) K r ö n i g: Vh. d. Kongr. f. inn. M. 1899 Bd. 17. 

3 ) Ed. Schwarz: St. Petersburger Med. Wschr. 1910 Nr. 19. 

4 ) Schlecht: D. Zschr. f. Nervenhlk. 47. u. 48. 1913. 

5 ) Weitz: Neurol. Zbl. 1910 Nr. 19. 

•) Weitz: Ueber die diagnostische Bedeutung der Lumbal¬ 
punktion. Württ. m. Korr.Bl. 1914. 

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6. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Fall 1. X. Z., 6 Jahre, Bauerskilid. Aufnahme in die Klinik 
am 21. VI. 17. Am 13. VI. Fall von der Scheuer 4 V* m herab auf Klee. 
Dabei Kopfverletzung durch Anschlägen an einem Stein. Blutung 
aus einer Stirnwunde, jedoch nicht aus Ohren, Nase und Mund. 
Kein Erbrechen, keine Bewusstlosigkeit. Befinden im ganzen un¬ 
gestört. nur grosse Abgeschlagenheit. Am 18. VI. heftige Kopf¬ 
schmerzen. In der Nacht vom 19. auf den 20. Fieber, Erbrechen 
und Benommenheit. Unfreiwilliger Abgang von Urin. Laute Schreie 
und Verwirrtheitszustand. Keine Lähmungserscheinungen. Zähne¬ 
knirschen. Immer Klagen über heftiges Kopfweh, hohes Fieber. 
Wegen Verdacht auf Gehirnabszess zur chirurgischen Klinik ge¬ 
schickt. Nach Augenuntersuchung in der Augenklinik der Medi¬ 
zinischen Klinik zur Behandlung überwiesen. 

Frühere Krankheiten: Masern, sonst stets gesund. Hereditäre 
Verhältnisse o. B. 

Befund bei der Aufnahme: Ernährungs- und Kräftezustand gut. 
Muskulatur und Fettpolster gut entwickelt. Knochen: Skoliose der 
oberen und mittleren Brustwirbelsäule mit Konvexität nach links. 
Keine Zyanose, keine Dyspnoe. Atmung beschleunigt. Temperatur 
40,6. Sensorium benommen. Puls beschleunigt, 128 Schläge, von 
regelrechter Spannung. Füllung und Grösse. Ueber dem rechten 
Auge, etwa 2—3 cm von dem Orbitalrand entfernt, auf dem Tuber 
frontale erbsengrosse Wunde. Schwellung der rechten Gesichts¬ 
hälfte, Druckempfindlichkeit in der Gegend des rechten Stirnbeins. 
Dermographismus vorhanden. Bauchdecken re flex lebhaft gesteigert, 
Patellarreflexe lebhaft, Achillessehnenreflex ebenfalls. Kein Fuss- 
klonus, Babinski, Oppenheim, Remac negativ. Kernig negativ. 
Augen: Ptosis rechts. * Augenhintergrund o. B. Keine Stauungs¬ 
papille. Sehvermögen beiderseits 5 /» (Befund der Augenklinik). 
Pupillen reagieren auf Licht und Konvergenz. Zunge stark belegt, 
mit weissem trockenen Belag, sonst o. B. Lunge o. B. Herz: 
nach Grösse und Funktion normal. Akzidentelles systolisches Ge¬ 
räusch an der Spitze. Abdomen: Andeutung von Kahnbauch. Ausser 
sehr lebhaften Bauchdeckenteflexen nichts Besonderes. Keine Hyper¬ 
ästhesie, Milz und Leber perkutorisch und palpatorisch o. B. Leuko¬ 
zyten 10 400. Urin: frei von Eiweiss, Zucker und Urobilinogen, 
Diazo schwach positiv. 

Lumbalpunktion: Anfangsdruck 140, Liquor wasserklar. 
Nach Ablassen von 3 ccm Enddruck 120 mm. Globuiinreaktion nega¬ 
tiv, im Kubikmillimeter 48 Lymphozyten. 

24. VI. Temperatur 39,1. Puls dauernd beschleunigt. Kernig 
angedeutet. Nackenstarre nicht eindeutig nachweisbar. Unfrei¬ 
williger Abgang von Stuhl und Urin. Schreie, Benommenheit. 
Atmung mässig beschleunigt, keine Anzeichen für Pneumonie. Pir¬ 
quet negativ. Druckempfindlichkeit in der Wundumgebung. 25. VI.: 
Entfiebert. 27. VI.: Temp. 39,1, noch benommen, lässt unter sich. 
2. VII.: Temp. normal. Befinden gut, Sensorium frei. Puls ziemlich 
beschleunigt. Stirnwunde eitert. Haut wenig verschieblich, ist mit 
dem Periost des Stirnbeins verwachsen. 10. VII.: Aufs neue Tem¬ 
peraturerhöhung. 2. Lifmbalpiunktion ergibt normale Ver¬ 
hältnisse: Anfangsdruck 140, nach Ablassen von 2 ccm Enddruck 
130 mm. Liquor durch Anstechen eines peripheren Blutgefässes 
leicht sanguinolent. Globulinreaktion. Im Kubikmillimeter nach Ab¬ 
zug der roten Zellen 20 weisse, die polymorphkernigen Leukozyten 
überwiegen. Keine Symptome, die für meningitische Reizung spre¬ 
chen. 16. VII. Die eiternde Stirnwunde wird inzidiert und die Ver¬ 
wachsungen mit dem Periost ^gelöst (Anästhesierung mit Chloräthyl). 
Blutuntersuchung ergibt normale Verhälnisse, abgesehen von einer 
Eosinophilie von 8 PrQz. Seit der Inzision dauernd entfiebert. Puls 
noch immer hoch. Befinden durchaus gut. Wird am 29. VII. als ge¬ 
sund entlassen. 

F a 11 2. B. H., 35 Jahre, Schriftsetzersfrau. Aufnahme in die 
Klinik am 22. VIII. 17. Beginn schleichend, allmählich. Anfang 
August beim Holzholen im Wald an einem sehr heissen Tage habe 
sie sich überanstrengt und starken Blutandrang zum Kopf bekommen. 
Dazu stechende Kopfschmerzen. Auf dem Nachhauseweg habe sie 
gemeint, es rühre sie ein Schlag. Zu Hause nach kalter Abwaschung 
etwas Besserung. In der Nacht traten heftige Kopfschmerzen auf, 
die sich nicht mehr verloren. Nach 2 Tagen auch heftige Rücken¬ 
schmerzen. Patientin ging zum Arzt, der sie mit Aspirin, Schwitzen 
und Einreibungen behandelte und die Schmerzen im Kreuz und in 
der Lendengegend als rheumatisch bezeichnete. Am 9. VIII. Temp. 
38,4. Puls nicht beschleunigt. Die Rückenschmerzen verloren sich 
nicht mehr, wurden heftiger, und als im Verlauf der nächsten 8 bis 
10 Tage Schwindel, Uebelkeit und Brechreiz eintrat, ging die Pa¬ 
tientin zur Poliklinik. Beginn der Behandlung am 18. VIII. Er¬ 
brechen, Uebelkeit. 19. VIII.: Nachlassen der Beschwerden, Druck¬ 
schmerz der Lendenmuskulatur geringer, Bewegungen nicht mehr 
so schmerzhaft. Patientin steht auf. Darauf am 20. VIII. früh¬ 
morgens 2 mal leichte Ohnmächten, starkes anhaltendes Erbrechen 
und heftige Kopfschmerzen, Nackenstarre, Rückenschmerzen, Schmer¬ 
zen in den Waden. Befund der Poliklinik: Rachen o. B. Leichter 
Opisthotonus, Kernig positiv, links stärker als rechts, Oppenheim 
links vorhanden, rechts negativ. Babinski beiderseit negativ. Qor- 
don: positiv. Patellarreflex beiderseits nicht auslösbar. Pupillen o. B. 
22. VIII.: Heftige Kopfschmerzen und Erbrechen, schwerkranker Ein¬ 
druck, leichte Benommenheit. Der Medizinischen Klinik unter dem 
Verdacht epidemischer Genickstarre überwiesen. 


Befund bei der Aufnahme: Sensorium frei, keine motorische Un¬ 
ruhe, keine Exantheme, keine Gelenkschwellungen. Menses be¬ 
stehen zurzeit. Temperatur 40,3. Gesicht hoch fieberhaft gerötet, 
keine Zyanose, keine Dyspnoe,. Puls relativ langsam, 88 Schläge in 
der Minute. Puls ungleichmässig, aber nicht unregelmässig, von 
regelrechter Spannung und Grösse. Keine Exantheme, kein Herpes 
labialis. Kernig negativ. Patellarreflexe vorhanden, Bauchdecken¬ 
reflex mässig lebhaft. Links Oppenheim positiv, sonst durchaus 
normaler Nervenstatus. Keine Nackenstarre. Lebhaftes vasomoto¬ 
risches Nachröten. Augen: durchaus o. B. Keine Augenmuskel¬ 
störungen. Pupillenreaktion prompt. Hirnner-ven intakt. Keine 
Basalsymptome. Sensibilität intakt. Keine H>*perästhesie. Zunge 
ist auf den hinteren zwei Dritteln stark belfgt, mit trockenem 
borkigem Belag. Rachenreflex vorhanden, Tonsillen o. B., keine 
Lymphdrüsenschwellungen. Thorax etwas schmal und flach. 
Lungengrenzen an normaler Stelle, perkutorisch und auskultatorisch 
o. B. Herz nach Grösse und Funktion normal. Abdomen: kein 
Meteorismus, keine Roseolen. Milz nicht fühlbar. Leberdämpfung 
überragt den Rippenbogen in der Mammillarlinie um einen Quer- 
finger, nirgends Druckempfindlichkeit. Urin: wegen bestehender 
Menses nicht untersucht. 

Lumbalpunktion sofort nach der Aufnahme: Anfangs¬ 
druck 290, Enddruck 170, Liquor vollkommen wasserklar. Während 
der Punktion ziemlich starke Druckschwankungen. Globulinreaktion 
positiv. Im Kubikmillimeter 187 Lymphozyten. Wassermann im 
Liquor negativ. Der Liquor wurde auf Hammelblut bakteriologisch 
untersucht und war steril. Keine Meningokokken. 

23. VIII. Blutuntersuchung: Leukozyten 13 711, darunter Poly¬ 
nukleäre 83®/7 Proz., Lymphozyten 8 Proz., Mononukleäre S 1 ^ Proz. 
Keine Eosinophilen. Die Neutrophilen sind stark segmentiert. 
Rote normal, gut hämoglobinhaltig. 

Nach der Lumbalpunktion Besserung, kein Erbrechen, keine 
Durchfälle; Kopfschmerzen und Kreuzschmerzen lassen nach. 
Reflexe normal. 26. VIII. Temperatur normal. Entfieberung 
kritisch. Pulmo durchaus o. B. Bakteriologische Stuhluntersuchung 
ergab keinen Anhaltspunkt für Typhus oder Dysenterie. Koli 
vorhanden. Urin frei von Eiweiss. 1. IX. 2. Lumbal¬ 
punktion: Anfangsdruck 200. Nach Ablassen von 6 ccm Enddruok 
von 120—130 mm. Liquor wasserklar, kein Spinnwebgerinnsel beim 
Stehen. Globulinreaktion positiv. Mikroskopisch 46*/» Lympho¬ 
zyten im Kubikmillimeter. Meningokokken wurden im Lumbal¬ 
punktat nicht nachgewiesen; auch im Rachenabschnitt keine Meningo¬ 
kokken nachweisbar. Während der Punktion mässige Druck¬ 
schwankungen im Steigrohr. Blutuntersuchung vom 30. VIII. ergab 
als prognostisch günstiges Zeichen ein Steigen der Eosinophilen und 
der Lymphozyten. Leukozyten 7800, darunter 69,8 Proz. Poly¬ 
nukleäre, 17 Proz. Lymphozyten, 3 Proz. Eosinophile, 0,6 Proz. Baso¬ 
phile, 9,4 Proz. Monozyten, 0,2 Proz. Plasmazellen, Neutrophile 
durchweg gut segmentiert. Rote normal, keine blassen Formen. Be¬ 
finden gut. Nach der Lumbalpunktion wieder Erleichterung. 6. IX. 
3. Lumbalpunktion: Anfangsdruck 170 mm. Nach Ab¬ 
lassen von 3—4 ccm Blutdruck 100 mm. Schwankungen gering. 
Liquor ganz klar. Kein Spinnwebgerinnsel. Keine suspensierten 
Flöckchen. Globuiinreaktion schwach positiv, opaleszent. Im Kubik¬ 
millimeter 14 Lymphozyten. Sensorium immer frei. Noch Klagen 
über Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit und Kreuzschmerzen. 
Die Punktionen werden dut ertragen und gewähren der Patientin 
stets Erleichterung. 20. IX. Menses eingetreten. Dabei stärkere 
Kopfschmerzen, vermehrter Schwindel und Blutandrang zum Kopf. 
Temperatur in letzter Zeit leicht erhöht. Befinden sonst gut. Pa¬ 
tientin nimmt an Gewicht zu. Wassermann aus dem Blut negativ. 
3. X. 4. Lumbalpunktion: Anfang9druck 130 mm. Nach Ab¬ 
lassen von 1 ccm Blutdruck 110 mm. Durch Anstechen eines 
peripheren Blutgefässes ist der Liquor sanguinolent. Globulin¬ 
reaktion schwach positiv. Im Kubikmillimeter 8 Lymphozyten. 

11. X. Temperatur dauernd leicht erhöht (37,4—37,5° bei Bett¬ 
ruhe). Ueber der linken Spitze vereinzelte feuchte Rasselgeräusche. 
Abdomen, Cor, Reflexe o. B. Augenuntersuchung in der Augenklinik 
ergab leichte Hyperämie der Papillen, Erweiterung der Papillen- 
gefässe,, leichte Verwaschenheit der nasalen Grenzen und geringe 
Schwellung der Papillen — „offenbar als Ausdruck einer noch be¬ 
stehenden zerebralen oder meningealen Hyperämie“ (Prof, 
Fleischer). 5. Lumbalpunktion: Anfangsdruck sehr 
niedrig, 60 mm Wasser. Dann schnelles Absinken des Drucks, ohne 
Abfliessenlassen des Liquors, auf 30 mm, dann 0 Druck, nach 
weiterem Zuwarten sogar negativer Druck. Infolgedessen wurden 
nur 5 Tropfen Liquor und die in dem Steigrohr befindliche Flüssig¬ 
keit abgelassen. Das Punktat war vollständig klar. Globulinreaktion 
negativ. Im Kubikmillimeter 5*/» Lymphozyten. 

13.X. Erneute Blutuntersuchung ergab 11200 Leukozyten (10 Uhr 
vorm.), 88% Proz. Polynukleäre, 7% Proz. Lymphozyten, VA Proz. 
Uebergangsformen, X A Proz. Eosinophile. 19. X. Erneute Blut¬ 
untersuchung (6 Uhr nachm.): Leukozyten 6800, Leukozyten 67 Proz., 
22 Lymphozyten, 10 Proz. Uebergangsformen, 1 Proz. Eosinophile. 
Allgemeinbefinden gut. Menses eingetreten. Während der Periode 
zunehmende Kopfschmerzen, Schwindel und Blutandrang zum Kopf. 
Pulmo o. B. Keine Geräusche über der linken Spitze mehr wahr¬ 
nehmbar. Reflexe durchaus normal. Cor: 1. Ton an der Spitze 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


paukend, sonst o. B. Ausgesprochener lebhafter Dermographismus 
vorhanden. Temperatur normal. Nach Hause entlassen. 

Fall 3. Aussen-konsultative 'Praxis von Herrn) 'Prof. Müller. 
Mädchen von 24 Jahren in wenigen Tagen mit Kopfschmerz, Fieber 
und allgemeiner Abgeschlagenheit zu einem schweren Krankheitsbild 
verändert. Liegt mit stark getrübtem Bewusstsein bei zurück- 
gebogenem Kopf, lordotischer Wirbelsäule und angezogenen Beinen 
auf der Seite im Bett, üesicht gerötet. Allgemeine Hyperästhesie. 
Kernig angedeutet. Temperatur nach anfänglicher Steigerung auf 40, 
abgesunken auf 37,3. Diagnose des praktischen Arztes tuberkulöse 
Hirnhautentzündung. 

Lumbalpunktion: Druck 170, 12 Zellen im Kubikmilli¬ 
meter, ausschliesslich Lymphozyten, kein Spinnwebgerinnsel. 
Globulinreaktion positiv. Nach der Lumbalpunktion subjektiv Er¬ 
leichterung. Die Diagnose bleibt offen im Hinblick auf die Lympho¬ 
zytose. Meerschwein wird injiziert, bleibt gesund. Allmählich ein¬ 
tretende Besserung. Nach 14 Tagen infolge erneuter stärkerer Be¬ 
schwerden wiederholte Lumbalpunktion: Druck 130, 
5 Zellen, ausschliesslich Lymphozyten. Globulinreaktion negativ. 

Allmählicher Rückgang sämtlicher Erscheinungen. Ausgang in 
Genesung. 

In allen Fällen wurde die Lumbalpunktion nach der Quirtcke- 
schen Vorschrift in horizontaler Seitenlage mit möglichst voll¬ 
ständiger Ausschaltung der Bauchpresse ausgeführt. Der Anfangs¬ 
druck wurde erst einige Minuten nach Aufhören der starken anfäng¬ 
lichen Druckschwankungen abgelesen, um etwaige fehlerhafte Be¬ 
urteilung in der Druckerhöhung zu vermeiden. Die Globulinreaktion 
haben wir mit gleichen Teilen Liquor und einer heiss gesättigtem 
Ammoniumsulfatlösung ausgeführt und die Zellvermehrung mit Hilfe 
der Fuchs-Rosenthal sehen Zählkammer festgestellt. Bei der 
Differenzierung der Zellen wurde die Gefahr einer Verwechslung 
der Lymphozyten mit etwa vorhandenen Erythrozyten, auf die auch 
Reichmann 7 ) besonders aufmerksam macht, durch wiederholte 
Kontrolle und Verwendung des Liquors gleich nach der Entnahme 
berücksichtigt und. soweit es bei den heute geltenden Färbungs- und 
Fixierungsmethoden überhaupt möglich ist, vermieden. 

In Fall 1 handelt es sich um eine posttraumatische 
seröse Meningitis. Abgesehen von dem vollkommen wasserklaren, 
nicht bluthaltigen Liquor bietet der Punktionsbefund sowie das ganze 
Krankheitsbild eine gewisse Aehnlichkeit mit den von Schwarz 
beschriebenen und oben erwähnten Fällen. Da das Kind erst relativ 
spät, 8 Tage nach dem erlittenen Unfall und 4 Tage nach Auftreten 
der ersten stürmischen Krankheitserscheinungen, in unsere Behand¬ 
lung kam, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit entscheiden, ob anfangs 
etwas Blut im Liquor vorhanden gewesen war, das mit dem Auf¬ 
treten der Lymphozytose schwand, wie Schwarz es m einem 
analogen Falle annimmt. Wir möchten es aber bei der Kürze des 
zwischen Unfall und Ausführung der ersten Lumbalpunktion liegenden 
Zeitraumes hier verneinen. Zur Erklärung der Lymphozytose sind 
Erweichungsprozesse im Gehirn verantwortlich gemacht worden 
neben .zerebralen und meningealen Blutungen und Reizzuständen der 
Meningen. K r ö n i g 8 ) setzt die seröse Exsudation der Hirnhäute, 
die mit Lymphozytenvermehrung einhergeht, in Analogie zu den 
Exsudaten seröser Höhlen mit ihrer formenreichen Zellbildung und 
Ueberwiegen der Lymphozyten überall da, wo es sich um lym¬ 
phatische Spalträume handelt, zu denen der Arachnoidealsack vor¬ 
nehmlich gehört. 

Dass es sich in unserem Fall um postkommotionelle Ver¬ 
änderungen an den Hirnhäuten gehandelt hat. die den veränderten 
Liquor zur Folge hatten, dürfen wir annehmen, wenn wir auch bei 
fehlender Kontrolle durch eine Autopsie auf eine sichere Deutung der 
Herkunft der Zellen verzichten müssen. Doch ist uns die Be¬ 
stätigung der von Schwarz vor Jahren erhobenen Befunde der¬ 
artiger Fälle wertvoll, und wir glauben auch durch ein rein kasuisti¬ 
sches Material mit einer bis ins einzelne noch ungeklärten Sym¬ 
ptomatologie die Aufmerksamkeit auf diesem Gebiete in Anspruch 
nehmen zu dürfen. 

Fall 2 bot der diagnostischen Beurteilung bei dem atypischen 
Beginn anfänglich einige Schwierigkeiten. Den Verdacht auf über¬ 
tragbare Genickstarre, unter dem die Kranke eingewiesen wurde, 
beseitigte das Ergebnis der ersten Lumbalpunktion, die bakterio¬ 
logisch und zytologisch keine Anhaltspunkte für eine epidemische 
Zerebrospinalmeningitis ergab. Im fieberhaften, akuten- Stadium 
überwiegen bei «der Weich sei bäum sehen Meningokokken¬ 
meningitis im Lumbalpunktat bekanntlich die polynukleären Leuko¬ 
zyten; und erst in der Rekonvaleszenz sollen die Lymphozyten vor¬ 
herrschen und die Polynukleose durch eine wesentlich gering- 
gradigere Lymphozytose verdrängt werden 9 ), so dass in vielen 
Fällen die Lymphozytenvermehrung — analog ihrem Auftreten im 
Blutbild bei Chronischwerden vieler Krankheitsprozesse — als ein 
besonders günstiger, weil postinfektiöser oder posttoxischer Vorgang 
aufzufassen ist. Das oft sehr wechselnde Bild einer tuberkulösen 


7 ) Reichmann: D. Zschr. f. Nervenheilk. 42. 1912. 

*) Krönig: Histologische und physikalische Lumbalpunktions¬ 
befunde und ihre Deutung. Verhandl. d. Kongr. f. innere Med. 1899. 

9 ) Vgl. Befunde 0. Götz und F. Hanfland: D.m.W. 1916 
Nr. 42 und Reich mann: D. Zschr. f. Nervenheilk. 42. 1911. 


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Meningitis schloss der Krankheitsverlauf, die anhaltende und auf¬ 
fallende Besserung gleich nach der ersten Druckentlastung durch 
Ablassen des vermehrten und unter erhöhtem Druck stehenden 
Liquors aus, und eine luetische Erkrankung des Zentralnervensystems 
kommt bei dem negativen Ausfall der Wassermann sehen 
Reaktion in Blut und Lumbalflüssigkeit sowie bei dem Verlauf der 
Erkrankung nicht in Frage. Eine gewisse Einschränkung der im 
Diskussionsbereich liegenden diagnostischen Möglichkeiten ist durch 
das Fehlen eines vorhergegangenen Traumas oder einer akuten 
Infektion gegeben. Die initialen Kreuz- und Kopfschmerzen dürfen, 
wie häufig beobachtet und beschrieben, nur als die Meningitis ein¬ 
leitende Symptome betrachtet werden. Dennoch glaube ich, dass 
wir ohne die Annahme eines infektiösen Momentes, selbst bei dem 
Fehlen jedes bakteriologischen Nachweises im Liquor und unter dem 
Vorbehalt der Möglichkeit einer in der Anamnese erwähnten 
Insolation, bei der Deutung des Krankheitsbildes nicht auskommen. 
Bestärkt wurden wir in dieser Auffassung durch die Blutunter¬ 
suchung, die zuerst eine polymorphkernige neutrophile Leukozytose 
mit fehlenden eosinophilen Zellen ergab und bei der Entfieberung als 
prognostisch günstiges Zeichen eine Abnahme der neutrophilen und 
ein Steigen der eosinophilen Formen. Wenn auch die Lumbal¬ 
punktion über die Aetiologie und Natur der Meningitiden stets 
direktere und zuverlässige Schlüsse zulässt, so kann doch in un¬ 
klaren Fällen die Blutuntersuchung ein nicht zu unterschätzendes 
Hilfsmittel bedeuten und uns wertvolle Aufschlüsse vermitteln 10 ). 

Bei Fall 3 blieb die Diagnose zunächst offen im Hinblick auf 
die Lymphozytose, bis der ganze Krankheitsverlauf mit Ausschluss 
anderer diagnostischer Möglichkeiten sowie der wohltätige Einfluss 
der Lumbalpunktion auf die subjektiven Beschwerden und den 
objektiven Befund das 'Krankheitsbild- als seröse Meningitis kenn¬ 
zeichneten. Wie in den vorher beschriebenen Fällen, so ging auch 
hier der allmähliche Rückgang der Pleozytose mit der Besserung der 
anderen Symptome Hand in Hand 

Die Veröffentlichung dieser zytologiscben Befunde im Liquor bei 
seröser Meningitis möge als kleiner Beitrag der Bestätigung unserer 
Auffassung dienen, dass der Zellcharakter im Lumbalpunktat eine 
ätiologische Diagnose nicht gestattet, sondern bei sorgfältiger und 
wiederholter Kontrolle der erhobenen Werte nur Schlüsse auf die 
Verlaufdauer und Prognose der Erkrankung ermöglicht und nur im 
Verein mit anderen Untersuchungsmethoden chemisch-physikalischer 
und bakteriologischer Natur ein diagnostisches Hilfsmittel bedeuten 
kann. 


Aus der Kgl. Universitäts-Kinderklinik Erlangen. 
(Direktor: Prof. Dr. Ja min.) 

Ueb«r Stenosen der Luftwege bei epidemischer Grippe 
im Trüben Kindesalter. 

Von Dr. Ernst Stettner, Assistent der Klinik. 

Die über Spanien gekommene, nunmehr über ganz Mitteleuropa 
verbreitete Influenza tritt in den verschiedensten klinischen Formen 
(nasaler, pharyngealer, trachealer, bronchialer, pulmonaler, enteraler, 
septischer Typ) auf, die -durch Konstitution und Lebensalter -des be¬ 
troffenen Individuums noch weitgehende Variationen erfahren. Für 
das Kindesalter sind die trachealen Formen bei der Enge der Luft¬ 
röhre von recht verhängnisvoller Bedeutung, das lehren einige jüngst 
beobachtete Fälle: 

F a 11 1. 2Vt jähriges Mädchen, am 10. VII. erkrankt zunehmende 
Atemnot, stridoröses Atmen, Zyanose, Einziehung der Flanken, am 
12. VII. in extremis eingeliefert. Aus der Nase quillt eitriger Schleim, 
Pulslosigkeit Zyanose, agonale Atmung, trotzdem Tracheotomia in¬ 
ferior. Kanüle sofort durch schmierigen zeisiggelben Schleim ver¬ 
legt, bei künstlicher Atmung kein- Hin- und 'Herstreichen von Luft zu 
erzielen. Exitus. Sektion verweigert. 

Fall 2. lOmonatiger weiblicher Säugling, vor 3 Tagen mit 
Fieber, rasselndem Atmen, Verschleimung erkrankt, Zunahme der 
Atemnot, keuchende Atmung. Unruhe. Nahrungsverweigerung. 
15. VII.: Sehr bläss, pastös, leicht rachitisch, meist ruhig, lufthungrig. 
Konjunktivitis. Atemzüge von feuchten rasselnden Geräuschen 
begleitet, inspiratorische Einziehungen der Zwischenrippenräume. 
Trinkt schlecht, beisst auf die Brustwarze, dabei viel eitriges Sekret 
aus der Nase wie bei -Fall 1. Im Nasenrachenraum, soweit zu über¬ 
sehen, kein Belag. Bei der 'Rachenuntersuchung vermehrte Atemnot, 
Würgen, aus der Tiefe des Larymx quillt wieder schmieriger zeisig- 
gelber Schleim. 38,2, Puls 140. Ueber den -Lungen zerstreut klingen¬ 
des grobes Rasseln, Herz o. B. Abdomen o. B. Reflexe herabgesetzt. 

— 6000 IE. Di.-Serum subkutan, Dampf spray. Nach anfänglicher 
Besserung Zunahme der Stenose. Unru-he, Zyanose. 2 stündlich Ol. 
camphor., 2 mal Senfwickel, Tracheotomie unterbleibt, 22 Stunden 
nach der Einlieferung Exitus. 

-Bei der Sektion diphtherische Beläge des Larynx. aus dor Glot¬ 
tis ragt eine Membran hervor, Kruppmembran der Trachea und Bron- 

10 ) Naegeli: Ueber die diagnostische Bedeutung der Hämato¬ 
logie für die Neurologie. Referat, gehalten in der 8. Versammlung 
der Schweizerischen Neurolog. Gesellschaft in- Luzern, 8./9. XI. 1912. 

— Naegeli: Die Leukozytosen, 

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chien. Blutungen im Lurrgengewebe (Pathologisch-anatomisches In¬ 
stitut Erlangen, Geheimrat Prof. Dr. Hauser). Bakteriologische 
Untersuchung der Trachealmembran Di. —, -des Nasensekrets (noch 
vom Lebenden) Di. —, dagegen Streptokokken, „wie sie in den letz¬ 
ten Wochen öfters aus Sputum, Rachenschleim und Sektionsmaterial 
(Lunge) bei der Diagnose Influenza gefunden wurden, keine Pfeif- 
fer sehen* Imfluenzabazillen“ (Bakteriologische Untersuchungsanstalt 
Erlangen, Prof. W e i c h a r d t). 

F a 11 3. 15. VII. VA jäbr. Junge. Vor 2 Tagen plötzlich nach 

Husten-anfall starke Atembeengung, bellender Husten, Fieber, seitdem 
Unruhe und erschwerte geräuschvolle Atmung. Bei der Aufnahme 
inspiratorisches deutliches Trachealgeräusch. Stimmhaftes 
Schreien. Rhinitis, Konjunktivitis. Keine Beläge im Rachen, 
Bronchitis, inspiratorische Einziehung der Zwerchfellgegtnd. 38,8. 
Dampf, abwartende Therapie. Nach 4 Tagen Verschwinden des 
Atmungsgeräusches. Heilung. 

Die sichere Identifizierung dieser Fälle ist vor vollkommener 
Klärung der bakteriellen Aetiologie nicht möglich. Es kann sich einst¬ 
weilen nur um eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Influenza 
handeln, die im Rahmen der allgemeinen Epidemie wohl zu stellen 
ist und sich in den genannten Fällen auf die Möglichkeit der Infektion 
in der näheren Umgebung der Kinder gründet, ferner darauf, dass am 
18. VII. zwei im gleichen* Krankenzimmer untergebrachte andere 
Kinder mit leichteren Grippeerscheinungen erkrankten. 

Die mitgeteilten Fälle lehren, dass für die Vornahme einer 
Tracheotomie kein Anlass besteht, da in der Regel die Luftwege bis 
in die feineren Bronchien durch Membranen und Schleim verlegt sind. 
Serumeinspritzung ist ebensowenig angezeigt. Die DifferentialdiagiiOse 
gegenüber Diphtherie ist nicht leicht, in manchen Fällen unter Um¬ 
ständen nach dem klinischen Bilde unmöglich; sie ist vielleicht nur 
bei Anwesenheit jenes cremeartigen zeisiggelben Sekretes im Nase 
und Larynx am Krankenbett zu stellen. Die Therapie kann leider 
einstweilen keine spezifische sein, sie hat in erster Linie die Aufgabe 
das gebfidete Sekret zu verflüssigen und mit Analepticis dem rasch 
eintretenden Verfall zu begegnen. 

Zusammenfassung: Bei Erkrankung an epidemischer 
Grippe ereignen sich im frühen Kindesalter Formen von Verlegung 
der Luftwege, die klinisch unter dem Bilde schwerer Tracbeal- und 
Larynxstenose verlaufen und pathologisch-anatomisch durch Ent¬ 
zündung der Trachea und Bronchien unter Bildung von Membranen 
und schmierigem Sekret bedingt sind. 


Aus dem Pathologischen Institut des Allgemeinen Kranken¬ 
hauses St. Georg-Hamburg. 

Zur Pathologie der diesjährigen Grippe. 

Von M. Simmonds. 

Bei dem Widerspruch der Mitteilungen über die Aetiologie der 
diesjährigen Grippeepidemie dürften die folgenden Angaben von Inter¬ 
esse sein. In unserem Institut ist es sowohl auf der Herrn Dr. Ja¬ 
cob s t h a 1 unterstellten bakteriologischen Abteilung i>hm und seinem 
Assistenten Herrn Dr. T e b r i c h, sowie auf der anatomischen Ab¬ 
teilung meinem Assistenten Herrn Dr. Olsen letzthin in zahlreichen 
Fällen gelungen, die Pfeifferschen Influenzabaziillen im Auswurf 
von Kranken und in den Luftwegen der Verstorbenen mikroskopisch 
und kulturell nachzuweisen. Regelmässig waren gleichzeitig Strepto¬ 
kokken, seltener Pneumokokken und Staphylokoken vorhanden. In 
den eitrigen Ergüssen und Herden konnte ich stets, im Herzblut häu¬ 
fig Streptokokken in Reinkultur nachweisen. 

In 28 seit dem 4. Juli obduzierten Fällen lag stets Pneumonie vor. 
Sie zeichnete sich durch ihre unregelmässige Ausbreitung und die 
w echselnden Bilder aus. Bald lagen schlaffe, blutreiche Infiltrate von 
glatter Schnittfläche vor, bald derbere hämorrhagische Herde, bald 
rote oder graue Hepiatisationen, of*t Zerfalls- und Eiterbildungen 
innerhalb der infiltrierten Partien mit Nekrose der darüberliegenden 
Pleura. Durch das Nebeneinander hämorrhagischer und landkarten¬ 
artiger Zertallsherde bekam das Organ bisweilen ein völlig marmo¬ 
riertes Aussehen. Die Pleura war stets mit kleinen Hämoirhagien 
besetzt und in Form einer fibrinösen oder eitrigen Entzündung be¬ 
teiligt: mehrmals lag ein umfangreiches Empyem vor. Larynx, Tra¬ 
chea und Bronchien, besonders die letzteren zeichneten sich durch 
intensive Rötung, bisweilen durch kleine Schteimbautnekrosen aus. 
Stets enthielten sie reichlich schleimig-eitriges Sekret, mehrfach 
waren sie mit fibrinösen Membranen so stark bedeckt, dass völlig das 
Bild eines deszendierenden Krupps mit starker Einengung der Bron¬ 
chien hervorgerufen wurde. Am Kehlkopf fanden sich bisweilen Ne¬ 
krosen der Schleimhaut, Geschwürsbildung, Perichondritis, öfter Glot¬ 
tisödem. Nur einmal traf ich auch auf der Magenschleimhaut Schorf¬ 
bildungen. Das Perikard war häufig in Form einer fibrinösen, einmal 
einer eitrigen Perikarditis beteiligt. In letzterem Falle fand sich auch 
Eiter in der Bauchhöhle. Regeltnrässig fanden sich weiche Milz¬ 
schwellung, Trübung der Leber und Nieren, Ekchymosen des Epi- 
kard und der Nierenbeckenschleimhaut. 

Die histologische Untersuchung der Organe ist noch nicht ab¬ 
geschlossen, doch kann« ich schon jetzt die Angaben Obern¬ 
dorffers über die eigenartigen Veränderungen an kleinen Lungen- 
zefässen vollkommen bestätigen. 

Nr. 32 . 

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Aus der Aehnliöhlkeit der anatomischen' Bilder mit den während 
der 80 er und 90 er Epidemie beobachteten Befunden, vor allem auf 
Grund des Nachweises der spezifischen Bakterien ziehe ich den 
Schluss, dass die diesjährige Grippeepidemie dieselbe Krankheit dar¬ 
stellt wie die der Jahre 1889 und 1890. Sie dürfte sich nur durch 
das häufigere Auftreten von Streptokokkenmischinfektionen und die 
dadurch bedingten ersten Komplikationen von der früheren Epidemie 
unterscheiden. 


Aus der K- Militärärztlichen Akademie. 

Pathologisch-anatomische und bakteriologische Befunde 
bei dem sog. Morbus Ibericus (1918)* 

Von Stabsarzt Dr. Hermann Schöppler. 

Vor ungefähr einem Monat durchzog die Tageszeitungen die 
Nachricht, dass in Spanien eine bisher unbekannte Seuche aufge¬ 
treten sei, die einen grossen Prozentsatz von Todesfällen unter 
der Bevölkerung forderte und die besonders dadurch zu grossem 
Schrecken Veranlassung gab, dass die von der Seuche befallenen 
Personen zumeist eines plötzlichen Todes verstarben. Nicht lange 
dauerte es, da trat auch bei uns jene sog. spanische Krankheit in 
die Erscheinung und forderte ihre Opfer. Im Gegensatz also zu jener 
Epidemie, die im Jahre 1889/90 von Osten durch Europa zog, stehen 
wir heute vor einer ganz ähnlichen Seuche, die jedoch vom Westen 
her ihren Einzug nach Deutschland hielt. 

Bereits am 22. VI. 18 wurde von, seiten der Militärärztlichen 
Akademie die erste Obduktion eines an der „Spanischen Krankheit“ 
Verstorbenen gemacht. Schon damals konnte als besonders in die 
Augen springender Befund eine eigentümliche Beschaffenheit der 
Lungen festgestellt werden, nämlich die hämorrhagische Bronchopneu¬ 
monie. Dieser Befund hat sich nun bis heute fast bei allen Obduk¬ 
tionen als wiedeikohrend erwiesen. Die Lungen zeigten auf dem 
Durchschnitt folgendes Bild: Auf der Schnittfläche sah man leicht 
prominierende, dunkelrote, mit unregelmässigen Grenzen versehene, 
zumeist iuftiose Bezirke, die beim Abstreifen mit dem Messer wie 
trocken erschienen. Dazwischen liegt, hellrotes, noch lufthaltiges, 
glänzendes Gewebe. Andere Steilem zeigen wieder blutie infiltrierte 
Flächen, die lebhaft an ausgetretenes Blut in das Lungengewebe er¬ 
innern. Dabei waren die Lungen stets ausserordentlich bint-und saft¬ 
reich. Unn ausgeschnittene Stückchen, die in eine Sch«aie gelegt 
wurden, bildete sich nach kurzer Zeit eine starke Ansammlung einer 
schmutzigrotem Flüssigkeit. 

Kruppöse Pneumonien, ebenfalls mit hämorrhagischem Charakter, 
wurden unter der Zahl der Sektionen nur zweimal beobachtet. Auch 
eitrige Bronchopneumonien konnten bisher nur zweimal festgestellt 
werden. Einmal fand sich als gleichzeitiger Befund eine chronische, 
ulzerierende Lungentuberkulose vor. 

Von seiten der anderen Organe kam hauptsächlich am Herzen 
der Zustand der fettigen Degeneration zur Beobachtung. Das Herz 
erwies sich als ein schlaffer, im seinem Höhlen erweiterter, gelb¬ 
brauner Sack. Das Herzfleisch war stark brüchig. Das subepikardiale 
Fet-t war n.ur wenig vorhanden. In einem Falle fand sich eine chro¬ 
nische, verruköse Endokarditis der Aortenklappen und der Mitral¬ 
segel. Zweimal wurde eine frische fibrinöse Perikarditis und einmal 
eine hämorrhagische fibrinöse Perikarditis festgestellt. 

Die Schleimhaut der Trachea und der grossen Bronchien erwies 
sich als diffus gerötet und geschwollen 1 und war mit kleinen, bis 
linsengrossen Hämorrhagien durchsetzt. Sie war mit schaumigem, 
leicht totgefärbtem Schleim bedeckt. 

Die Leber bot das Bild der Fettinfil-tratiom, der trüben Schwellung. 
Die Farbe auf dem Durchschnitt war eine hellbraune und war die 
Zeichnung der Läppchen zumeist verwaschen. Die Konsistenz des 
Gewebes war brüchig. In einem Falle konnte als Nebenbefund eine 
Steinbildung in der Gallenblase festgestell-t werden. In einem weiteren 
Falle fand sich das Bild der hypertrophischen« Leberzirrhose. 

Die Milz zeigte keim konstantes Verhalten. Es fand sich sowohl 
die weiche, zerfliessende Pulpa der septischen Milzi, als auch die 
derbe, dunkelrote Stauumgsmilz. In anderen Fällen konnten patho¬ 
logische Veränderungen am MHzgewebe überhaupt nicht festgestellt 
werden. Zweimal wurden die weichen Hirnhäute im Zustande einer 
sulzigen, ödematösen QueHung vorgeifunden, einmal konnten ausge¬ 
dehnte Hämorrhagieu der weichen Hirnhäute, die an die blutige 
Durchtränkung derselben bei einem Trauma erinnerten, zu Protokoll 
gegeben werden*. An den übrigen Organen fanden sich pathologische 
Veränderungen nicht vor. 

Bemerkt möchte noch werden, dass bei allen Obduzierten auf¬ 
fallend war, dass das Fettgewebe sowohl des Körpers als auch der 
Organe eine ausserordentliche Reduzierung aufwies. 

Mikroskopisch fand sich irr den Lungen eine strotzende Uebcr- 
fiillung der Kapillaren mit Blutkörperchen. Die Alveolen waren er¬ 
weitert und mit Blut angefüllt, das auch in das Gewebe selbst ein¬ 
gedrungen war. Daneben konnten« die bekanntem Vorgänge der Des¬ 
quamativpneumonie festgestellt werden. Fibrin lie*ss sich fast nie 
auffinden. Der Herzmuskel zeigte bei Sudamrill-Fäibuug die Ein¬ 
lagerung feinster Fetttröpfchen, so dass derselbe auch im mikro¬ 
skopischen Bilde die anatomische Diagnose bestätigte. 

Auf Grund der erhobenen Befunde muss bei dem liier ge¬ 
schilderten Sektionsergebmis die hämorrhagische Pneumonie als das 

? 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


874 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


Hauptcharakteristische der sog. „spanischen Krankheit“ angesprochen 
werdenu Diese hämorrhagische Pneumonie ist so auffallend, dass sie 
unwillkürlich an die Bilder, wie sie z. B. von G a f f k y - 
Pfeiffer-Sticker-Dieudonne [9], von A1 b r e c ht und 
ühon [10] und von Dürck [11] bei der Pestpneumonie ihre 
Schilderung und Abbildung fanden. Anamnestisch, sei hier noch 
angefügt, wurde zumeist angegeben, dass die Verstorbenen nur kurze 
Zeit unter unbestimmten Symptomen, wie z. B. an Kopfschmerzen, 
Schwindelgefühl, allgemeiner Mattigkeit, Gliederschmerzen, Brechreiz 
und Hustenreiz erkrankt waren. Nicht« selten trat der Tod plötzlich 
ein, so z. B. bei einem Manne, d*er ohne besondere Krankheitserschei¬ 
nungen im Revier krank lag, sich aus dem Bette beugend, die Schuhe 
anziehen wollte und dabei vonnüberfallend tot zur Erde stürzte. 

Bemerkenswert erscheint auch, dass von allen bisher Obduzierten 
nur Leute jüngeren Alters zur Sektion kamen, ältere Leute an¬ 
scheinend eine Immunität gegen die Erkrankung besitzen. 

Bakteriologisch konnten sowohl aus dem Lumgensaft, als auch 
aus dem Blute, der Ventrikelflüssigkeit, dem Milzgewebe, bisher auf 
den beikannten Nährböden (Biutnährböden) und in Bouillon fast nur 
Streptokokken festgestellt werden. Im Lungensaftausstrich erschienen 
sie so zahlreich, als ob sie bereits in Reinkultur vorlägen. In zwei 
Fällen fanden sich auch Staphylokokken und in einem Falle wurden 
Diplokokken gefunden. Weitere Untersuchungen sind noch im Gange. 

Der Befund würde somit dem von Bernhardt [12] ähnlich 
sein, der beim Abstreifen der hinteren Rachenwand den Diplostrepto- 
kokkus in ungeheueren Mengen regelmässig züchten konnte und der 
diesen Erreger in die grosse Gruppe der Pneumostreptokokken ein¬ 
teilt und den er als Diplococctis epidemicus bezeichnet. Inwieweit 
natürlich der gefundene Erreger spezifisch für die Erkrankung sein 
mag, müssen weitere Untersuchungen noch ergeben. 

Beim Ueberblick über die vorstehenden Befunde drängt sich un¬ 
willkürlich die Frage autf, ob hier wirklich eine „neue“ Krankheit 
Europa heimgesucht habe. 

Aus dem ausführlichen Saanmelberichte von Leyden und 
Guttmann [51 können wir ersehen, dass im Jahre 1889/90 eine 
ganz ähnliche Epidemie durch Europa gezogen war. die jetzt allgemein 
unter dem Namen der Influerczsa bekannt ist. Auch damals traten 
ähnliche Krankheitsbilder zutage wie heute, wenn auch damals von 
seiten der oberen Respirationsorgane die Haupterscheinungen zu ver¬ 
zeichnen waren. Doch betont Leichtenstern [4] schon in jener 
Zeit das Vorkommen der zelligen Pneumonien, welche eine glatte 
homogene, feuchtglänzende, massig dunkel oder hellblaurote Schnitt¬ 
fläche von fleischartiger Konsistenz darboten. Ribbert j71 weist 
darauf hin. dass nur selten lobäre Pneumonien, dagegen häufig 
lobuläre Pneumonien ausgetreten, seien. Er weist ferner auch darauf 
hin, dass das Lungengewebe mit dunkelblauroten, dichtgedrängten, 
konflüierenden Verdichtungen durchsetzt war und gibt einmal folgen¬ 
des Sektionsbild: Der rechte Unterlappen war marmoriert, indem 
dichte pneumonisch infiltrierte, undeutlich begrenzte, erhabene, granu¬ 
lierte Stellen mit schlaffen, ödematösen Stellen abwec'hseln. Fink¬ 
ler [2] prägte damals sogar das Wort der Influenzapneumonie. 

Mikroskopisch fand sich: Zellreichtum, ausgebreitete interstitielle, 
zeitige Infiltration und Fibrinarmut. 

Fettige Degeneration des Herzmuskels war auch bei der Epi¬ 
demie 1889/90 keine Seltenheit. Doch waren es damals, wie aus den 
Zusammenstellungen von Frank (3) hervorgeht, nur alte Leute, die 
davon befalen waren. Das gleiche gilt hier auch für das Jahr 1893/94 
nach den Aufstellungen Norwitzkys |6], 

Babes [1] konnte Gehirnödeme anführen und Leichten¬ 
stern [4] auf die Hämorrhagien der weichen Häute der Konvexität 
Hinweisen. 

Auch damals schon nahm die Leber nur selten an der Erkrankung 
teil, und sah Weichselbaum [8] nur zweimal trübe Schwellung 
derselben. 

Eine kurze und treffende Zusammenstellung der pathologischen 
Befunde der Epidemie 1889/90 finde ich bei Ribbert [7]. Der¬ 
selbe schreibt: „Wenn, wir schliesslich die Veränderungen 1 nach all¬ 
gemeinen pathologischen Begriffen ordnen wollen, so sehen wir, dass 
weitaus der grösste Teil derselben entzündlicher Natur ist. So findet 
sich zellige Infiltration in dem Gewebe der Schleimhäute, der serösen 
Häute, der Meningen. dajgegen kaum je im Innern der parenchymatösen 
Organe. Diese Entzündungen Sind verbunden mit ausgedehnten ex¬ 
sudativen- Prozessen, auf den'Schleimhäuten mit Vermehrung der 
normalen Sekretionsprodukte mit Beimengung oft sehr reichlicher 
Eiterkörperchen, auf den serösem Häuten mit Bildung von fibrinösen 
Massen, seropurulenter und eitriger Flüssigkeiten, auf den Meningen 
mit eitriger Infiltration. Neben diesen entzündlichen Erscheinungen 
treten degenenative Prozesse in den Hintergrund. Wir fanden in der 
Leber trübe Schwellung, in dem Nieren die gleichen Veränderungen 
mit beginnender Fettentartung, im Herzmuskel fettige Degeneration 
verzeichnet “ 

Auffallend ist, dass auch im Jahre 89/90 zunächst einmal Strepto¬ 
kokken bakteriologischerseits als Hauptbefund angegeben werden, 
wenn auch Mischungen anderer pathogener Keimformen beschrieben 
werden. Ziehen- wir Vergleiche mit den Befunden von der Epidemie 
des Jahres 1889/90 mit den Befunden, welche wir bei der sog. „Spani¬ 
schen Krankheit“ bi« jetzt erheben konnten, so wird es kaum einem 
Zweifel unterliegen, dass recht viele Aetrolicfakeiten mit dem Damals 
und dem Jetzt vorhanden sind. So dürfte die vorliegende Epidemie 

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vorerst nichts weiter darstellen, als eine Neuauflage der Pandemie 
vom Jahre 1889/90. 

Literatur. 

1. V. Babes: Vorläufige Mitteilungen über einige bei Influenza 
gefundene Bakterien. Zbl. f. Bakt. 7. Bd. — 2. Finkler: Mono¬ 
graphie über die Pneumonien. Wiesbaden 1892. — 3. L. Franck: 
Zusammenstellung pathologischer Befunde bei Influenza. Iu.-Diss., 
München 1890. — 4. Leichtenstern: Mitteilungen über die In- 
fluerizaepidemie in Köln. D.m.W. 1890. — 5. E. Leyden und 

5. Guttmann: Die Influenzaepidemie 1889/90. Wiesbaden 1892. — 

6. H. Norwitzky: Die Influenzaepidemie 1893/94 im Königreich 
Bayern. In.^Diss., München 1895. — 7. Ribbert: in Leyden und 
Guttmann und: Anatomische und bakteriologische Beobachtungen über 
Influenza. D.m.W. 1890 Nr. 4. — 8. W e i c h s e 1 ba u m: zit nach 
Leyden-Guttmann. Ausführliche Literatur siehe bei Leyden und 
Guttmann. — 9. Gaffky-Pfeiffer-Stic'ker-Dieudonne: 
Bericht über die Tätigkeit der zur Erforschung der Pest im Jahre 
1897 nach Indien entsandten Kommission. Berlin 1899. — 10. Al¬ 
fa recht und Ghon: Ueber die Beulenpest in Bombay im Jahre 
1897. Wien 1898. — 11. H. Dürck: Beiträge zur pathologischen 
Anatomie der Pest. Jena 1904. — 12. G. Bernhardt: Zur Aetio- 
logie der Grippe von 1918. M Kl. 1918. 

lieber das Auftreten von Bullae haemorrhagicae bei 
der akuten Otitis media. 

(Ein Beitrag zur Identitätsfrage der „Spanischen Krankheit“ 
und der Influenza.) 

Von Dr. Schmücken, ldstpfl. Arzt an einem Kriegslazarett. 

Bei Influenzaepidemien sind bekanntlich Mittelohrentzündungen 
keine Seltenheit. Auch bei der „Spanischen Krankheit“ treten die¬ 
selben anscheinend in ungefähr gleicher Verhältniszahl auf. 

Da die Identität der „Spanischen Krankheit“ und Influenza, 
welche nach dem klinischen Verlaufe im allgemeinen angenommen 
wird, noch nicht völlig gesichert ist, so möchte ich auf eine Eigen¬ 
tümlichkeit im Verlaufe der Mittelohraffektionen Hinweisen, welche 
schon seit langer Zeit als pathognostisch für Influenza bekannt ist 
und welche auch bei der jetzigen Epidemie mehrfach von- mir be¬ 
obachtet wurde. 

Die akute Influenza-Otitis ist charakteristisch durch das Auf¬ 
treten von Bullae haemorrhagicae auf dem Trommelfelle. DeT Spie¬ 
gelbefund ist derart, dass auf dem im ganzen mehr oder weniger ge¬ 
röteten Trommelfell eine oder mehrere dunkelrote, prallgespannte 
Blutblasen sitzen, welche bisweilen das ganze Trommelfell verdecken. 
Entsprechend der Abhebung der obersten Epidermisschicht bei dem 
Herpes labialis — welcher übrigens bei den jetzigen Erkrankungen, 
wie stets bei Influenza sehr selten ist — sind die Blutblasen durch 
Abheben der obersten Trommelfellschicht entstanden. 

In den Bullae haem. wurden früher wiederholt Influenzabazillen in 
Reinkultur nachgewiesen. 

Die klinischen Erfahrungen haben gelehrt, dass zwar durchaus 
nicht in allen Fällen von Influenza Bullae haem. auftreten, dass jedoch, 
wenn dieselben vorhanden sind, die Diagnose auf das Bestehen von 
Influenza gestellt werden kann. 

Der Verlauf ist gewöhnlich so, dass der Patient einige Tage 
nach Einsetzen des Fiebers Obrenschmerzen verspürt und dann fast 
regelmässig ein bis mehrere Tage darauf etwas blutigen Ausfluss aus 
dem Ohre bemerkt. In vielen Fällen ist der Krankheitsprozess damit 
zum Stillstand gekommen. Es hat weniger eine Otitis media als 
eine Myringitis bestanden, eine isolierte Entzündung des Tromm elf eilest 
Nach Platzen des Blutbläschens und Ausfluss des blutig-serösen In¬ 
haltes trocknet das Häutchen der Blase allmählich ein und wird 
schliesslich abgestossen. 

In anderen Fällen kommt es zur allgemeinen Mittelohrentzündung 
und spontaner oder operativer Perforation des Trommelfelles und zu 
einer anfänglich bisweilen recht heftigen, meist aber doch günstig 
verlaufenden Eiterung. 

Bei den frischen Otitiden, die in letzter Zeit in unsere -Behand¬ 
lung traten, waren sechsmal typische Bullae haem. vorhanden, wäh¬ 
rend ich in den letzten Jahren bei Tausenden von Ohruntersuchungen 
nicht ein einziges Mial mehr Blutblasen auf dem Trommelfell be¬ 
obachtet habe. 

Diese 6 Patienten waren vorher sämtliche unter den charakte¬ 
ristischen Erscheinungen der Grippe erkrankt. Bei allen war das 
Grundleiden, als sie in die Behandlung der Ohrenst-afeion kamen, im 
wesentlichen bereits abgelaufen. 

Während bei einem Falle eine so starke Allgemeinentzündiung 
des Trommelfelles bestand, dass gleichzeitig mit der Eröffnung der 
Bulla eine Parazentese ausgeführt werden musste, waren die Bullae 
haem. bei den übrigen 5 bereits geplatzt und teilweise ein getrocknet. 

Eine bakteriologische Untersuchung konnte daher nicht vor¬ 
genommen werden, die charakteristischen Befunde am Trommelfelle 
sprechen jedoch durchaus dafür, dass wir es 'bei der „Spanischen 
Krankheit“ mit einer echten Imuenza zu tun haben, und decken sich 
•demnach mit den übrigen klinischen Beobachtungen. 


Grigiralfrcm 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



6. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


875 


Aus der Wassermann-Untersuchungsstelle einer Armee. 

Me in icke 8 Serumreaktion auf Syphilis 

Von Fritz Lesser, zurzeit Stabsarzt im Felde. 

Auf ein 12 jähriges Bestehen kann die Wassermannsehe 
Reaktion zurückblicken. Ursprünglich als serodiagnostische Methode 
gedacht, hat sie mit der Zeit eine immer weitergehende Bedeutung 
für die Syphilis erlangt, so dass man heute von einer diagnostischen, 
prognostischen und therapeutischen Bedeutung der WaR sprechen kann 

Die WaR. hat während der langen Zeit ihres Bestehens 
..manchen Sturm erlebt“. In fast ununterbrochener Folge sind Ver¬ 
besserungen, praktisch leichter zu handhabende Modifikationen, auch 
zahlreiche Ersatzmethoden veröffentlicht worden. Doch wie wenig. 
hat sich von alledem behauptet! Abgesehen von den Verbesserungen, 
die auf eine höhere Empfindlichkeit der WaR. hinzielen und insbe¬ 
sondere die Organextrakte (Antigen) betreffen, hat sich eigentlich 
nichts durchgerungen. Die Wassermann-Originalmethode mit ihren 
5 Ingredienzien ist auch heute poch die einzige in der Praxis geübte 
und allgemein anerkannte serodiagnostische Methode der Syphilis. 
Nun ist jüngst eine, vielleicht nicht unebenbürtige Partnerin an ihre 
Seite getreten; der Wa.R. ist gleichsam eine Zwillingsschwester ent¬ 
standen, denn die neue Reaktion ist der WaR. nahe verwandt. 

In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft vom 
23. Mai 1917 berichtet E. Mein icke 1 ) über eine neue Methode 
der serologischen Luesdiagnose. 

Ebenso wie bei der WaR. handelt es sich um eine Bindung 
zwischen Eiweisskörpern des Syphilitikerserupis und Lipoiden eines 
alkoholischen Organextraktes, nur in der Sichtbarmachung dieses 
Vorgangs gehen beide Methoden auseinander. Während bei der 
WaR. die Bindung zwischen dem Luesserum und den Extrakt¬ 
lipoiden unter Verankerung von Meerschweinchenserum (Kom¬ 
plement) vor sich geht, und die Verankerung durch die Benutzung 
eines hämolytischen Systems (Hammel-Kaninchenserum als Ambo¬ 
zeptor und Hammelblutkörper) dem Auge des Untersuchers sichtbar 
gemacht wird, kann die neue Reaktion auf den Ambozeptor und die 
Hammelblutkörper als Hilfsreagentien verzichten: Die Bindung 
zwischen Luesserum und Extraktlipoiden findet 
nämlich bei der Meinicke-Reaktion (MR.) sicht¬ 
baren Ausdruck durch den Eintritt einer koch¬ 
salzbeständigen Fällung*). Also auch das Komplement 
kommt in Fortfall und die MR. arbeitet somit mit zwei Reagentien, 
nämlich mit Organextrakt und mit Kochsalzlösung; der ganze Tier¬ 
stall (Meerschweinchen. Kaninchen, Hammel) wird entbehrlich. 

Die Ausführung der MR. zerfällt in zwei Abschnitte: 

I. Phase: Zu 0,2 ccm inaktiviertem Patientenserum fügt man 0,8 ccm 

verdünnten Organextrakt. Nach Umschütteln kommen die Röhr¬ 
chen über Nacht in den Brutschrank von 37° oder in ein Wasser¬ 
bad von 35 0 C. Am nächsten Morgen müssen sämtliche Röhrchen 
Ausflockung zeigen. Die Röhrchen werden einmal umgeschüttelt 
und der Stärkegrad der Flockung protokolliert. 

II. Phase; Zu jedem Röhrchen, das Ausflockung zeigt, fügt man 
1 ccm Kochsalzlösung von täglich zu ermittelnder Konzentration, 
indem man die Flüssigkeit am Rande des Glases herablaufen lässt. 
Ohne umzuschütteln, stellt man die Röhrchen in den Brutschrank 
oder über ein Wasserbad von 40° und zwar so lange, bis sich 
der Niederschlag in den als Kontrollen mitgeführten negativen 
Fällen vollständig gelöst hat, was etwa eine Stunde in Anspruch 
nimmt. Alsdann erfolgt die Ablesung des Resultates. Bei nega¬ 
tivem Ausfall sind die Flocken verschwunden, bei positivem oder 
schwach positivem Ausfall haben sie sich mehr oder weniger 
erhalten. 

Hiernach liegt es sehr nahe, den Hauptvorteil der MR. in der 
vereinfachten Technik zu sehen, vielleicht in der Möglichkeit, dass 
der Praktiker nun die Serodiagnostik der Syphilis selbst betreiben 
und der Inanspruchnahme besonderer. Laboratorien entraten könnte. 
Diese Erwägungen halte ich nicht für zutreffend. Die Zubereitung 
und Instandhaltung der wenigen Reagentien, vielleicht auch die An¬ 
stellung der Vorversuche und Kontrollen, sind bei der MR. gewiss 
einfacher als bei der WaR.; dagegen ist die MR. in bezug auf pein¬ 
lichste Sauberkeit aller Geräte, genaueste Innehaltung aller Zeit¬ 
verhältnisse viel empfindlicher als die WaR. Ausserdem müssen 
immer grössere Versuchsreihen angesetzt werden, wenn man zu¬ 
verlässige Resultate erhalten will; verschiedene bekannte Fälle 
müssen als Kontrollsera herangezogen werden. 

Die vereinfachte Technik ist noch insofern ein Vorteil, als an 
Stelle von drei, sehr variablen, täglich veränderlichen biologischen 
Reagentien ein konstantes, chemisches’ Reagens, Kochsalzlösung, tritt. 
Besonders das Komplement wird m. E. zu wenig zur Erklärung der 
Divergenzen bei der WaR. in Rechnung gezogen. Gerade die ge¬ 
häuften Divergenzen an einzelnen Tagen sind sicherlich auf ein be¬ 
stimmtes Verhalten des Komplements, auf eine wechselnd starke 

U B.kl.W. Nr. 25 S. 613 und später 1918 Nr. 4 S. 83. 

*) Die in jüngster Zeit viel erwähnte, aber für die Praxis nicht 
brauchbare Bruck sehe Reaktion stellt im Gegensatz zur MR. und 
WaR. eine blosse Fällungsreaktion dar. 

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Affinität zu dem Eiweissiipoidkomplex zurückzuführen, so das man 
direkt von einem Tagesausfall sprechen kamt. 

Auf einzelne Punkte, die bei der Anstellung der MR. besonders 
zu berücksichtigen sind, soll sogleich hingewiesen werden: 

Das Pätientenserum muss gelblich, vollkommen klar, frei 
von jeglichem Bodensatz sein. Der Ungeübte sollte jedes Serum 
zentrifugieren. Hämolytische, ebenso chylöse Sera geben Fehl¬ 
resultate. Dies ist ein Nachteil gegenüber der WR., bei der es 
weniger ausmacht, ob ein Serum hämolytisch, chylös oder etwas 
trübe ist. Besonders bei Einsendung von Blutproben durch die Post 
können die Sera, wenn sie erst nach längerem Schütteln und später 
als 24 Stunden nach der Blutentnahme in die Hände des Untersuchers 
gelangen, häufig nach Mein ick es Methode nicht untersucht 
werden. Menschliche Sera zeigen auch zuweilen Autolyse, besonders 
Sera von Paralytikern. Ein Nachteil der MR. liegt auch darin, dass 
Spinalflüssigkeit wegen zu geringen Eiweissgehaltes nicht untersucht 
werden kann. 

Die Blutproben müssen also für die MR. besonders vor¬ 
sichtig behandelt werden. Die Blutentnahme unmittelbar nach den 
grösseren Mahlzeiten muss vermieden werden. Nach vollendeter 
Gerinnung des entnommenen Blutes muss der Blutkuchen alsbald 
vom Rande des Glases gelöst werden, was am besten durch Auf¬ 
klopfen des Glases gegen die Hand geschieht. Spätestens 24 Stunden 
nach der Blutentnahme muss das Serum vom Blutkuchen befreit 
werden. 

Das Inaktivieren erfolgt bei 55° C, 15 Minuten lang. 
Während es bei der WaR. gleichgültig ist, ob das Serum 10 Minuten 
oder eine Stunde lang, ob es bei 54, 56 oder 58 0 erhitzt wird, fallen 
die Unterschiede bei der MR. sehr erheblich ins Gewicht. Durch 
Abweichen von der Vorschrift büssen die Sera an Flockbarkeit ein, 
die Ausflockung bleibt am Ende der I. Phase aus, so dass die Sera 
nicht weiter verarbeitet werden können. 

Bezüglich des Inaktivierens bei der WaR. konnte ich fest¬ 
stellen, dass Sera von Nichtsyphilitikern, die im aktiven Zustande 
eine positive Reaktion ergaben, schon nach 3 Minuten- langem 
Erwärmen bei 55° C das unspezifische Hemmungsvermögen ver¬ 
loren hatten 3 ). Das Inaktivieren der Sera, sowohl für 
die WaR. wie für die MR. kann daher einheitlich 
auf die Dauer von 15 Minuten bei 55° C festgelegt 
werden. 

Trotz vorschriftsmässigen Inaktivierens tritt in einer geringen 
Anzahl von Fällen gar keine oder eine ungenügende Flockung nach 
Zusatz des Organextraktes ein, so dass diese Fälle nicht der MR. 
unterworfen werden können. Der Grund für das Ausbleiben der 
Flockung ist noch unbekannt. Wir müssen aber feststellen, dass 
diese Zufälle, je mehr wir uns auf die Methode eingearbeitet haben, 
immer seltener geworden sind; sie sind auf etwa 3- L 4 Proz. zu be¬ 
messen. 

Als Anti ge ne Kommen für die MR. zurzeit nur alkoholische 
Auszüge aus Fötallebern und vielleicht auch aus Normalherzen in 
Betracht. Mit Cholesterin verstärkte Extrakte (Sachs) oder 
Aetherextrakte (Lesser), die die Empfindlichkeit der WaR. be¬ 
deutend erhöhen, können für die MR. nicht Verwendung finden: Bei 
dem Sachs sehen Extrakt fällt bei der Verdünnung mit Wasser das 
Cholesterin aus, so dass der verdünnte Extrakt an sich schon Nieder¬ 
schläge zeigt; bei Lessers Extrakt ist das Umgekehrte der Fall, 
selbst nach dem Digerieren mit dem Patientenserum bleibt die 
Flockung aus, offenbar weil der Aetherextrakt eine Emulsion, keine 
Suspension, darstellt, und die Lipoide zu fest in Schwebe gehalten 
werden, um nach Bildung des Biweiss-Lipoidkomplexes zur Aus¬ 
flockung kommen zu können. Andererseits sind durchaus nicht alle 
alkoholischen Herzextrakte, die für die WaR. geeignet sind, auch für 
die MR. brauchbar. Sehr gute Wassermannextrakte führen bei Ver¬ 
wendung zur MR. häufig keine Flockung in der ersten Phase herbei 
oder liefern unspezifische Resultate. 

Bezüglich der Verdünnung des Organextraktes habe ich mich 
bei der MR. streng an das vom Autor angegebene Verfahren ge¬ 
halten. Die Art der Verdünnung ist bei der MR. für den Ausfall des 
Ergebnisses von weit erheblicherer Bedeutung, als bei der WaR.. 
da, je nach dem Tempo der Extraktverdünnung, die entstehende 
milchige Trübung eine feinere oder gröbere Verteilung kleinster 
unsichtbarer Partikelchen aufweist. 

Die in der zweiten Phase der MR. anzuwendende Kochsalz¬ 
konzentration muss für jede Versuchsreihe erst ermittelt 
werden. Man stellt Vorversuche an und wählt dazu gut flockbare 
Sera, mindestens 2 negative und 1 schwach positives Serum des 
letzten Versuchstages. Von jedem dieser Fälle setzt man, zugleich 
mit dem Hauptversuch, 3—6 Röhrchen an. Bevor man am nächsten 
Tage den Hauptversuch weiter bearbeitet, versetzt man die Vor¬ 
kontrollen mit je 1 ccm verschieden starker Kochsalzlösungen, deren 
Konzentration sich gewöhnlich zwischen 1,6 Proz. bis 2,6 Proz. 
chemisch reinen Chlornatriums bewegt. Für den Hauptversuch wird 
dann die Kochsalzkonzentration gewählt, die die erwarteten Resultate 
an den Vorkontrollen gezeitigt hat. Auch bei dem Hauptversuch 
lässt man zweckmässig 2 negative und 1 schwach positives Serum 
noch einmal mitgehen, genau wie bei der WaR. 


3 ) cf. Stilling: B.kl.W. 1917 Nr. 11. 

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876 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


Das Ablesen des Endergebnisses ist bei der MR. 
besonders für den Anfänger etwas schwieriger, als bei der WaR. 
Bei letzterer handelt es sich als Endeffekt um einen Farbenunter¬ 
schied, der naturgemäss viel sinnfälliger, in die Augen springender 
ist, als eine feine Flockung, die man, oft mir in bestimmter Haltung 
gegen das Licht, mit einer Lupe feststellen kann. Sehr empfehlens¬ 
wert ist bei der MR. die Benutzung des Agglutinoskops von 
K u hn - W o i t h e. Auch die Vorversuche müssen unter dem 
Agglutinoskop geprüft werden und das verlangte Resultat aufweisen; 
das Agglutinoskop zeigt oft eine feinste Flockung, die bei Betrachtung 
mit der Lupe leicht übersehen werden kann 4 ). 

Der Stärkegrad der MR. wird entsprechend der Be¬ 
urteilung der WaR. mit ± und 1 bis 4 Kreuzen bezeichnet. 

Das Protokoll über die Reihe muss folgende Vermerke ent¬ 
halten : 

1. Beschaffenheit des Patientenserums, ob trübe, hämolytisch, 
chylös etc. Bei positivem Ausfall ist das Resultat eines solchen 
Serums nicht einwandfrei zu verwerten. 

2. Grad der Flockung am Ende der ersten Phase: Fälle, die gar 
nicht oder schlecht geflockt haben, dürfen nicht weiter verarbeitet 
werden. 

3. Endergebnis: Grad der Flockung am Ende der zweiten Phase. 

Meine eigenen Erfahrungen mit der MR. er¬ 
strecken sich auf 2953 Fälle, die zugleich nach Wassermann unter¬ 
sucht wurden. Beide Reaktionen wurden vollständig unabhängig 
voneinander angestellt. Um jede Beeinflussung auszuschalten, 
wurden die Arbeiten räumlich voneinander getrennt ausgeführt. 
Meine Laborantin, Frau Hammer, hat sich um die Anstellung der 
MR. besonders verdient gemacht. 

Die MR. wurde mit alkoholischem Leberextrakt, die WaR. mit 
verschiedenen Extrakten angestellt. 

MR. und WaR. waren übereinstimmend negativ in 
1803 Fällen, übereinstimmend positiv in 714 Fällen, 
different 6 ) in 436 Fällen, und zwar: nur MR. positiv in 
302 Fällen, nur WaR. positiv in 134 Fällen. 

Die differenten Fälle bedürfen einer klinischen Erläuterung: Bei 
den Meinicke-positiven Fällen handelt es sich um 35 Primäraffekte, 
111 Fälle von latenter Lues, 62 Fälle, die in antisyphilitischer Be¬ 
handlung standen, wo die Wassermann sehe Reaktion zur Kon¬ 
trolle der Kur verlangt wurde; 31 Fälle betreffen Prostituierte, wo- 
von 5, bei Verwendung weiterer Extrakte, auch nach Wassermann 
positiv reagierten. 63 Fälle erregten klinisch den Verdacht auf Lues 
und zwar: 2 Fälle wegen Iritis. 1 Fall: nervöse Störungen. 2 Fälle: 
Nervenleiden mit Sprachstörungen. 1 Fall: andauernde Kopf¬ 
schmerzen. 1 Fall: Kopfschmerzen und Schwindelgefühl. 1 Fall: 
Kubitaldrüsen. 3 Fälle: Ulzerationen am Mund. 1 Fall: Furunkulose? 

1 Fall: Aneurysma. 3 Fälle: Leistendrüsen. 1 Fall: Geschwüre an 
beiden Unterarmen. 1 Fall: Kondylome? 1 Fall: Pupillenträgheit, 
Spätepilepsie. 1 Fall: Phimose. 1 Fall: yicera cruris. 1 Fall: 
Ulcera mollia. 1 Fafl: vor mehreren Monaten Erosionen am Glied. 
1 Fall: Aorteninsuffizienz. 1 Fall: Ulcus gummosum. 38 Fälle ohne 
nähere klinische Angaben; von diesen reagierten 12 bei Verwendung 
weiterer Extrakte auch nach Wassermann positiv. 

Die nur Wassermann-positiven Fälle betreffen: 20 Primär¬ 
affekte, 48 Fälle von latenter Lues, 36 Fälle: Kontrolle der Kur. 
10 Prostituierte. 20 Fälle zur Diagnose und zwar: 1 Fall: Kopf¬ 
schmerz und Haarausfall. 1 Fall: Tabes! 1 Fall: Malaria. 1 Fall: 
Rekurrens. 1 Fall: Hautausschlag. 1 Fall: Ptosis. 14 Fälle ohne 
klinische Angaben. 

Am meisten muss eine, (i egen Überstellung der Ver¬ 
suchsreihen interessieren, wo MR. und WaR. mit dem¬ 
selben Antigen angestellt wurden. Verwendung fand 
der von Wassermanns Institut ausgegebene Fötalleberextrakt 
Nr. 23. Für diesen Vergleich kommen 1489 Fälle in Betracht. 

MR. und WaR. waren übereinstimmend negativ in 
913 Fällen* übereinstimmend positiv in 343 Fällen, 
different in 233 Fällen, und zwar: nur MR. positiv in 192, nur 
WaR. positiv in 41 Fällen. Die nur Meinicke-positiven Fälle sind 
bereits oben klinisch erläutert worden. 

Aus einem Vergleich der letzten Versuchsreihen müssen wir 
schliessen, dass, beim Anstellen beider Reaktionen mit 
dem gleichen Organextrakt die MR. der WaR. be¬ 
deutend überlegen ist. Die Zahl der positiven Fälle, die mit 
beiden Reaktionen zusammen erzielt w'urden, beträgt 576: die WaR. 
lieferte 384 positive Fälle, die MR. dagegen 535. Setzen, wir die 
Zahl 576 gleich 100 Proz., so lieferte die WaR. 66,7 P r o z., die 
M R. 92,9 Proz. positiver Ausschläge. 

4 ) Der Ungeübte ist bestrebt, die Röhrchen zur Feststellung einer 
Flockung aufzuschütteln. Man muss daran festhalten, dass bei wirk* 
licher Flockung die Flüssigkeit gleichmässig von kleinsten 
Körnchen durchsetzt ist, die in Suspension bleiben, so dass Auf¬ 
schütteln überflüssig ist und sogar vorhandene feinste Flöckchen zur 
Auflösung bringen kann. Einzelne Partikelchen, Körnchen, die in der 
Flüssigkeit schwimmen, dürfen nicht als Flockung angesprochen 
werden. 

*) Grösstenteils handelt es sich um Fälle, bei denen die eine 
Reaktion negativ, die andere schwach positiv ausfiel. 


Bei den vorstehend erwähnten 1489 Fällen wurde die WaR. zu¬ 
gleich auch noch mit einem Aetherextrakt angesetzt. Hiernach ergibt 
die Gegenüberstellung der MR. und WaR. folgendes: Ueberein- 
stimmend negativ: 874 Fälle. Uebereinstimmend positiv: 373 Fälle. 
Different: 242 Fälle und zwar: nur MR. positiv 152, nur WaR. positiv 
90 Fälle. Hiernach beträgt die Zahl der positiven Fälle mit beiden 
Reaktionen 615. Setzen wir diese Zahl mit 100 Proz. an, so ergibt 
die WaR. (mit Aetherextrakt) 75 Proz., die MR. (mit Alkohol- 
extrakt) 85 Proz. positiver Reaktionen. 

Es gibt wohl heute kaum einen Serologen, und es sollte aucli 
keinen geben, der sich damit begnügt, die WaR. nur mit einem ein¬ 
zigen Antigen anzustellen. Proportional der Zahl der zur WaR. 
benutzten Antigene steigt die Zuverlässigkeit der Reaktion, steigt die 
Zahl der positiven Befunde. Konnte doch durch das Arbeiten mit 
5 Extrakten die Zahl der positiven Ausschläge um das Doppelte 
(100 Proz.!) gesteigert werden. 

In den vorstehenden Gegenüberstellungen beider Reaktionen 
wurde das Ergebnis der WaR. nach Anwendung nur eines Extraktes 
festgelegt. Stellen wir die WaR. mit mehreren Extrakten und noch 
dazu mit Antigenen verschiedenartiger Provenienz an, so liefert die 
WaR. weit mehr positive Resultate und wird dann vielleicht der 
MR. überlegen sein, da, wie schon erwähnt, bei der MR. zurzeit nur 
alkoholische Leber- oder Normalherzextrakte Verwendung finden 
können. Hier werden weitere Forschungen einzusetzen haben, um 
vielleicht auch die MR. noch empfindlicher zu gestalten. 

Besonders bemerkenswert ist. dass einzelne Sera ausschliesslich 
bei der MR. einen positiven Ausiall ergaben, während die WaR. 
trotz Verwendung mehrerer Extrakte stets negativ ausfiel. Diese 
Fälle betreffen vorwiegend Primäraffekte, zum geringeren Teil in 
Behandlung stehende Fälle. Irgend ein konstantes, gesetzmässiges 
Verhalten war aber nicht nachweisbar. 

Die Spezifi zität der MR. ist, nach vorstehenden Fällen zu 
urteilen, wohl der WaR. gleichzusetzen. Das erscheint nur natürlich. 
Die Grundidee beider Reaktionen scheint ja die gleiche zu sein, näm¬ 
lich die Bildung eines festen Komplexes zwischen Eiweissstoffen des 
Luesserums und Extraktlipoiden. 

Wie wird es nun bei der MR. mit den divergenten Re¬ 
sultaten ein und desselben Serums an verschiedenen Unter¬ 
suchungsstellen sein? Ueber diese Erscheinung ist ja bei der WaR. 
in letzter Zeit recht häufig Klage geführt worden. 

Erwähnt wurde schon, dass die Zahl der divergenten Resultate 
proportional der Zahl der angewandten Extrakte steigt. Da die MR. 
in der Wahl der Extrakte zurzeit beschränkt ist und überdies die 
Variabilität der biologischen Reagentien (Komplement, Ambozeptor, 
Hammelblutkörper), die ebenfalls divergente Resultate erleichtern, 
in Fortfall kommen, so werden verschiedene Untersuchungsergebnisse 
bei det* MR. vielleicht seltener zutage treten. 

Für die Praxis muss als Grundsatz gelten, wofern neben der 
WaR. auch die MR. zur Serodiagnostik der Syphilis herangezogen 
wird, dass das Resultat beider Reaktionen getrennt angegeben, und 
nicht etwa als Endergebnis die Bilanz aus beiden Reaktionen ge¬ 
zogen wird. Gerade dunkle, klinisch unklare Fälle, wo der Prak¬ 
tiker auf den serologischen Ausfall recht erwartungsvoll blickt, geben 
erfahrungsgemäss — Schicksalstücke — besonders häufig zweifel¬ 
hafte oder divergente Resultate. Hier schafft der klinische Verlauf, 
der Erfolg der angewandten Therapie, die mikroskopische Unter¬ 
suchung eines exzidierten Gewebsstückchens oder die Autopsie oft 
später Klarheit, und somit wird der Kliniker selbst entscheiden, ob 
die WaR. oder MR. im betreffenden Falle zuverlässiger war. 

Zusammenfassend kann man sagen: Die MR. stellt eine äusserst 
wertvolle Bereicherung der Scrodiagnostik der Syphilis dar. Sie 
gibt dem geübten Untersucher durchaus zuverlässige Resultate, wo¬ 
fern man von einer beschränkten Zahl von Seren, sowie von der 
Spinalflüssigkeit, an denen die MR. nicht angestellt werden kann, ab¬ 
sieht. In Gegenden (Tropen), wo Meerschweinchen nicht zu beschaffen 
sind, gibt die MR. nunmehr die Möglichkeit, die Serodiagnostik der 
Syphilis einzuführen. Wie sich das Verhältnis der WaR. und MR. 
zueinander in der Praxis gestalten wird, muss abgewartet werden. 
Wo sich nur immer die Möglichkeit bietet, die WaR. auszuführen, 
wird man stets beide Reaktionen nebeneinander anstellen. Die WaR. 
und MR. werden sich in vielen fraglichen und zweifelhaften Fällen 
gegenseitig stützen und ergänzen.- Hierin liegt meines Erachtens ein 
Hauptvorteil der MR. für die Praxis. Nur allzu häufig kommt es 
vor, dass die WaR., je nach der Empfindlichkeit des benutzten 
Antigens, und je nach der Eigenart des jeweiligen Meerschweinchen¬ 
serums an dem betreffenden Untersuchungstage, verschiedene 
Resultate zeitigt. Hier wird der Serologe es dankbar begrüssen, 
wenn er, anstatt immer weitere Extrakte zur Klärung des betref¬ 
fenden Falles heranzuziehen, die Möglichkeit hat, noch eine zweite 
Serumreaktion zu Rate zu ziehen. Die gegenwärtige Knappheit an 
Versuchstieren drängt dazu, die Zahl der Wassermannuntersuchungen 
möglichst einzuschränken und daher muss gerade jetzt die MR. be¬ 
sonders willkommen sein. Ich möchte die MR, schon heute nicht 
mehr entbehren wollen. 


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6. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


877 


Die Erzeugung einer akuten Entzündung in den Unter- 
leibeorganen. 

Von Hofrat Dr. A. Theilhaber. 

Die Diathermie ist ein vorzügliches Mittel, um auf schmerzlose 
und ungefährliche Art in tiefliegenden Organen eine akute Entzündung 
zu erzeugen. 'Dass die Wirkung der Diathermie sich nicht auf die 
Hervorrufung von Hyperämie beschränkt, wie gewöhnlich ange¬ 
nommen wird, zeigten mir die Experimente an Tieren: Ich habe das 
Ohr eines Kaninchens diathermiert: eine Elektrode wurde auf den 
Rücken gelegt, die Stromstärke betrug 80 Milliampere, die Behandlung 
dauerte 15 Minuten. Darnach zeigte sich beträchtliche Erweiterung 
auch der mittleren Arterien, die mehrere Tage anhielt. Wenn ich 
die Bauchhaut eines Kaninchens 3—4 mal je 15 Minuten mit 2 bis 
300 Milliampere behandelte, so stellte sich nicht bloss erhöhte Tem¬ 
peratur, Schwellung und Rötung daselbst ein, sondern es zeigten 
sich auch ausserordentlich zahlreiche Petechien. Die diathermierten 
Gewebe enthielten auch an den Stellen«, an denen keine Blutextravasate 
vorhanden w'aren, starke Anhäufungen von Rundzellen. Narben nach 
Brustdrüsenoperationen, die Lh öfter diathermiert hatte, Hessen noch 
viele Monate nach Aussetzen der Diathermiebehandlung die Wirkung 
derselben deutlich erkennen: Sie waren nicht blass, wie andere ältere 
Narben, sondern rot wie in den ersten Monaten nach der Operation, 
und es zeigte sich dort häufig eine keloidartige Hyperplasie der 
Gewebe. Diathermiert man bei Menschen das untere Augenlid, so 
entsteht sofort beträchtliches Oedem, das mehrere Tage anhält. Wie 
mir durch Mitteilung des Herrn Prof. Mayr, Vorstand der chirurgi¬ 
schen Klinik der tierärztl. Fakultät bekannt wurde, ist die akute 
Entzündung ein Mittel, das die Tierärzte zur Heilung vieler Krank¬ 
heiten verwenden; sie rufen dieselbe häufig mittels Glüheisen, Arsenik¬ 



ätzung etc. hervor. Beim Menschen wird man wohl schonender© 
Methoden bevorzugen. Die Diathermie ist nicht bloss viel milder, 
sondern es erstreckt sich auch ihre Wirkung weit mehr in die Tiefe. 
Für die Behandlung gynäkologischer Affektionen wurde sie schon von 
S e 11 h e im. Lindemann u. a. angewandt. Sie hatten bereits 
mitgeteilt, dass durch die Diathermie viele subakute und chronische 
Formen von Perimetritis, Parametritis, entzündlichen Tubenerkran- 
kungen usf. günstig beeinflusst werden, was ich ebenfalls bestätigen 
kann; auch bei Amenorrhoe wurden manchmal Erfolge beobachtet. 
Es ist mir nun auch gelungen bei einer Anzahl von anderen Er¬ 
krankungen der Unterleibsorgane mit dieser Behandlungsmethode 
rasche Heilungen zu erzielen: So erreichte ich in kurzer Zeit Heilung 
bei einer Anzahl von Blasenerkrankungen, und zwar des öfteren bei 
den so häufig vorkommenden Fällen von partieller Incontinentia urinae 
infolge von ungenügender Funktion des Blasenschliessmuskels, auch 
bei einzelnen Entzündungen der Harnblase, ferner bei nervösen 
Blasenaffektionen, auch bei Pruritus vulvae; gute Dauererfolge wur¬ 
den ferner erzielt durch mehrmalige Anwendung der Diathermie bei 
mangelnder oder sehr geringfügiger Geschlechtsempfindung. Sehr 
günstige Resultate hatte ich mittels dieser Behandlung bei spastischen 
Obstipationen, hier wirkt die Diathermie offenbar in zweifacher Weise, 
als Antispasmodikum, ferner auch direkt Peristaltik erregend, nament¬ 
lich bei Einführung einer Elektrode in das Rektum; die hierdurch 
hervorgerufene starke Hyperämie der Rektalschleimhäut erregt auf 
reflektorischem Wege intensive peristaltische Bewegungen, auch der 
höher liegenden Darmabschnitte, ja gewöhnlich treten auch anti- 
peristaltische Bewegungen auf, so dass die von mir vor der Ein¬ 
führung der Elektrode in das Rektum injizierten Salzwassermengen 
rasch in die oberen Darmabschnitte befördert wurden; es war infolge¬ 
dessen immer wieder notwendig, neue Salzwassermengen in das 
Rektum einzugiessen, was mühelos sich abspielt, da der Irrigator mit 
der Salzlösung fortwährend in Verbindung mit der Elektrode bleibt. 
Auf diese Weise gelangten meist während einer einzigen einviertel¬ 
stündigen Behandlung 2—3 Liter Salzwasser in den Dickdarm, ohne 
dass irgendwelche nennenswerte Beschwerden auftraten, dagegen 
fanden nicht selten unmittelbar nach Abschluss der Sitzung bei Frauen, 
die zuvor an hartnäckiger Verstopfung gelitten hatten, mehrere reich¬ 
liche Stuhlentleerungen statt, so dass die Patientinnen das Gefühl 
einer grossen Erleichterung hatten. Es lässt sich also in diesen Fällen 
oft eine reichliche Evakuation erzielen. Voraussichtlich wird diese 
Behandlungsart auch bei manchen Fällen von Darmlähmung nach Unter¬ 
leibsoperationen sich nützlich erweisen, bei manchen anderen Erkran- 
kungsfällen wird vielleicht auch die antiperistaltische Bewegung sich 
mit Vorteil für die rekele Ernährung mit Milch etc. verwenden 

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lassen. Sehr gut waren auch andauernd die Erfolge, die ich mittelst 
dieser Behandlung nach Operationen von Karzinomen behufs Ver¬ 
hütung von Rezidiven erzielte; die Hyperplasie, der vermehrte Zell¬ 
reichtum und der reichliche Leukozytengehalt, die im Bindegewebe 
infolge der durch die Diathermie hervorgerufenen akuten Entzündung 
sich einstellen, sind ein ausgezeichnetes Schutzmittel gegen die Neu- 
entstehungi von Krebsgeschwülsten und gleichzeitig ein gutes Mittel, 
um die Aufsaugung kleinster, zurückgebliebener Karzinomkeime zu 
begünstigen. Auch bei einer Anzahl von Neuralgien, Neuritiden und 
Neurosen der Unterleibsnerven wurde baldige Heilung erreicht. 

Ich hatte nun schon längere Zeit die Meinung, dass es möglich 
sein müsse, zweckmässigere Elektroden als die bisher angewendeten 
für die Diathermierung der Organe des Unterleibes zu finden. Wir 
müssen doch an die Diathermiebehandlung tiefliegender Gewebe, ähn¬ 
lich wie bei der Röntgenbehandlung, die Forderung stellen, viel 
Energie bei gleichzeitiger möglichster Schonung der Eintrittspforte 
in die Tiefe zu bringen. Dieser Forderung wurde durch die bisher 
üblichen Elektroden in unbefriedigender Weise Rechnung getragen. 
Herr Dr. Christen, Vorstand der Strahlenforschungsstelle von Rei¬ 
niger, Gebbert & Schall, hatte auf meine Veranlassung die 
grosse Liebenswürdigkeit, bei der Konstruktion zweckmässigerer 
Elektroden mitzuhelfen. Um den Strom mit möglichst geringer Dichte 
eintreten zu lassen, soll man eine recht grosse Eintrittsstelle wählen. 
Eine solche ist der durch Flüssigkeit entfaltete Mastdarm. Chri¬ 
sten schlug also vor, einen Metallstab in den mit Flüssigkeit ge¬ 
füllten Mastdarm einzuführen; um die Joule sehe Wärme nicht am 
unrichtigen Orte zu erzeugen, müssen wir eine Flüssigkeit einfüllen, 
deren elektrischer Widerstand möglichst gering ist, jedenfalls muss 
er geringer sein als der Widerstand der bestleitenden physiologischen 
Flüssigkeit, des Blutes. Am empfehlenswertesten ist eine Kochsalz- 
löung, die höher konzentriert ist als die „physiologische“. Damit 
aber der Strom nicht an unerwünschter Stelle n den Körper eintrete 
(beim Mastdarm etwa durch den Sphinkter), musste die Elektrode 
in Glas eingebaut werden. Das Glas ist an der Stelle des gewünschten 
Stromeintritts mit Dehnungen versehen, die so bemessen werden 
mussten, dass nicht durch Einschnürungen der Strombahn starke ört¬ 
liche Wärmeentwicklung eintritt. Eine solche Erwärmung würde 
sofort in Erscheinung treten, wenn die Darmschleimhaut Gelegenheit 
hätte, sich dicht an die Sonde anzulegen, deshalb ist. wie gesagt, 
für beständige gute Füllung des Mastdarms zu sorgen, ein Irrigator 
mit 3proz. Salzwasser von etwa 38° C ist gefüllt und in ständiger Ver¬ 
bindung mit dem einen Schenkel der Elektrode. Sobald die einge¬ 
gossene Flüssigkeit grossenteils durch die Kontraktionen des Rek¬ 
tums in das Kolon hinaufgepresst ist, macht sich ein Brennen in der 
Gegend der Löcher der Glashülle der Elektrode bemerkbar, es muss 
sofort der Hahn geöffnet werden und abermals 6—800 ccm Salzwasser 
in den Mastdarm fliessen. Bei vielen Affektionen der inneren weib¬ 
lichen Geschlechtsorgane und der Därme nimmt man zweckmässig 
als aktive Elektrode die Mastdarmelektrode, bei Affektionen der Blase 
haben wir eine ähnliche Elektrode wie wir sie für den Mastdarm an¬ 
wenden, etwas modifiziert in die Blase eingeführt, die Blase wurde 
meist mit etwra einem halben Liter 1 proz. Kochsalzlösung gefüllt. 
Die Blasenelektrode kann durch Kochen sterilisiert werden. Auch 
eine neue äussere Elektrode wurde konstruiert, es ist eine Art Gürtel, 
der um das ganze Becken oder bei Darmaffektionen um höher¬ 
liegende Abschnitte des Unterleibes herumgelegt wird. Der Gürtel ist 
mit einer grossen Anzahl etwa fünfmarkstückgrosser Metallplatten be¬ 
setzt, die auf dem stramm ungezogenen Tuche befestigten Metall¬ 
platten stehen durch Metallschnüre miteinander in Verbindung, die 
Enden des Gürtels w r erden durch Klemmen befestigt. 

In manchen Fällen erschien es zweckmässig bei Anwendung 
dieser äusseren Elektrode als aktive Elektrode eine vaginale zur 
Anwendung zu bringen. Als solche liess ich eiförmige von ver¬ 
schiedener Länge und Dicke konstruieren. Der Introitus vaginae 
wird durch eine Glashülle isoliert. Man wählt das Ei so gross wie 
möglich um eine möglichst grosse Berührungsfläche zu haben, je 
grösser die Fläche, um so mehr Strom geht durch, ohne die Schleim¬ 
haut zu verletzen. Bei unseren Elektroden muss so viel Strom an¬ 
gewandt werden, als ohne lästiges Wärmegefühl ertragen wird. 
Es war dies sowohl bei der Blasen- als bei der Mastdarm- 

elefktrode meist 1000 bis 1300. bei den grossen Scheidenelektroden 
2000 bis 2500 Milliampere. Dass die jetzige Behandlungsmethode 
der mit den früher üblichen Elektroden w r eit überlegen sei, 

war im vornhinein anzunehmen. Schon der Umstand, dass 

die Haut ein sehr schlechter Leiter für den Strom ist und deshalb 

unnütz viel Wärme konsumiert, musste bei der bisher üblichen Be¬ 
handlung einen ungünstigen Einfluss bezüglich der Zeitdauer der 
Behandlung ausüben. Bei unserem Verfahren wird nur eine Elek¬ 
trode auf die Haut aufgelegt, in manchen Fällen (bei manchen 
Uteruserkrankungen) werden auch beide Elektroden in die inneren 
Organe (Blase und Mastdarm) eingeführt. Wenn eine Elektrode auf 
die Haut aufgelegt wird, so kann die Beanspruchung der Haut durch 
den Gürtel mit seiner grossen Berührungsfläche herabgesetzt w ; erden. 
Vergleichende Temperaturmessungen in Blase, Mastdarm und Scheide 
zeigen, dass die Wirkungen in bezug auf die Erwärmung als unge¬ 
fähres Mass der Stärke der Wirkung auf dieBeckenorgane oft zehnmal 
so stark w^ar als bei der Mehrzahl der früheren Methoden. In der Tat 
wurden die guten Resultate in wesentlich kürzerer Zeit und mit einer 
geringeren Anzahl von Sitzungen erreicht. Konnte ja doch bei den 
früher gebräuchlichen Mastdarmelektroden immer nur ein Segment 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32 . 


87;s 


der Beekenhöhle bestrahlt werden, mit unseren Elektroden jedoch 
die ganze Beckenhöhle, was natürlich sehr wichtig ist, namentlich 
bei der Behandlung umfangreicher Exsudate, ferner bet dem Be¬ 
streben kleine Karzinomreste im Beckenbindegewebe zur Aufsaugung 
zu bringen und Hyperplasie des Beckenbindegewebes hervorzurufen, 
was für die Verhütung von RüdkfäMen nach Krebsoperationen sehr 
wichtig ist. Ferner steht uns jetzt eine grosse Anzahl vor* Kombina¬ 
tionen der Elektroden zur Auswahl für die verschiedenen Erkrank ungs- 
forinen zur Verfügung: vesiko-abdominale, vagino-abdominale, 
rekto-abdominale, vesiko-vaginale, vesiko-rektale, rekto-dorsale 
und vagino-dorsale etc. — Die Beherrschung der Technik dieser Art 
von Behandlung kann man sich in sehr kurzer Zeit aneignen, in weit 
kürzerer Zeit als die der Röntgentechnik. Nachteile von Belang 
habe ich bei dieser Behandlungsmethode noch nicht erlebt, aber 
selbstverständlich ist korrekte Ausübung notwendig, sonst könnten 
wohl nachteilige Folgen eintreten. Die Elektroden wurden von der 
Firma Reiniger. Gebbert & Schall angefertigt. 


Oie Uebertragung der Ruhr durch Fliegen und ihre 
Bekämpfung durch fliegeneichere Latrinen. 

Von Stabsarzt Dr. H. Schür mann, z. Zt. Korpshygieniker. 

Die Bedeutung der Fliegen für die Uebertragung der Ruhr wird 
wohl von jedem, der im Felde den zeitlichen und örtlichen Zusammen¬ 
hang zwischen Fliegenplage und Ruhrausbreitung verfolgt hat, an¬ 
erkannt. Jeder aufmerksame Beobachter weiss. dass gerade die blu¬ 
tig-schleimigen Teile frischer Ruhrstühle besondere Leckerbissen für 
Fliegen sind. Die Infektion der Nahrungsmittel ist die natürliche Folge 
des Fliegendaseins, das sich zwischen- Kot und Küche bewegt. 

Versuche, die ich vor Jahren anstellte, hatten mir gezeigt, dass 
Fliegen, die auf Ruhrentleerungen gesessen haben, ausser Koli- ge¬ 
legentlich auch Ruhrbazillen übertragen. Im Sommer 1916 beob¬ 
achtete ich das folgende, halb zufällige und fast natürliche Experi¬ 
ment: In meinem so gut wie möglich gegen Fliegen gesicherten 
Laboratorium waren frische Endoplatten mit etwas gelüftetem Deckel 
zum Trocknen aufgestellt, da bemerkte ich auf einem der Nährböden 
eine Fliege. Die Platte wurde, zumal ich mit der Lupe die Saug- 
sptiren des Fliegenrüssels in Gestalt von 5 matten Punkten deutlich 
erkennen konnte, als unbrauchbar zurückgestellt. Als mir am näch¬ 
sten Tage die Platte, die bei 22— 30° C im Zimmer gestanden hatte, 
wieder in die Hand gelangt, bemerkte ich an drei von diesen Stellen 
kleine, zarte Kolonien, die sich bei eingehender Untersuchung als 
Flexnerruhrbazillen entpuppten. Als die Fliege den Nährboden infi¬ 
zierte, war im Laboratorium kein ruhrbazillenenthaltendes Material 
für sie zugänglich gewesen. In gegenüberliegenden Krankenräumen 
befanden sich keine Ruhrkranken. Die Ruhrabteilung war 400, der 
nächste Abort, der aber nicht von Ruhrkranken benutzt und fliegen¬ 
sicher geschlossen war, 50 m entfernt. Wahrscheinlich war die Fliege 
von der ebenfalls 50 m entfernten Aufnahmeabteilung, wo die ruhrver¬ 
dächtigen Zugänge Steckbecken benutzten, herübergeflogen. Jeden¬ 
falls muss man'schliessen, dass eine Fliege mit ihrem Rüssel Ruhr¬ 
bazillen noch nach einer gewissen Zeit und nach Zurücklegung eines 
gewissen Weges in infektionstüchtigem Zustande übertragen kann. 

Wie gross nun der Anteil der Fliegen bei der Ausbreitung der 
Ruhr im Verhältnis zu den anderen Uebertragungsweisen, insbe¬ 
sondere dem unmittelbaren und mittelbaren Kontakt und auch ddr 
Wasserinfektion ist. lässt sich allgemein kaum entscheiden, sicher ist 
er je nach den Umständen recht verschieden. Bei einer zwar leich¬ 
teren, aber ausgedehnten Epidemie unter den an der Winterschlacht 
in Masuren beteiligten- Truppen im März und April 1915 — die 
Vorläufer waren bis zum Anfang Februar zurückzuverfolgen —, die 
damals und noch lange nachher von vielen irrtümlich als Colitis 
haemorrhagica aufgefasst, von mir aber trotz grosser äusserer Schwie¬ 
rigkeiten der bakteriologischen Untersuchung als Y-Ruhr erkannt 
wurde, können die Fliegen kaum eine Rolle gespielt haben, aus dem 
einfachen Grunde, dass überhaupt fast keine Fliegen vorhanden waren. 
Dagegen war später bei jedem Anschwellen der Ruhrkurve, nament¬ 
lich bdi einer gemischten (hauptsächlich Flexner- und Shiga-Kruse-) 
Epidemie im Sommer 1915 und einer Flexnerepidemie im Sommer 1916 
ein Parallelgehen mit der Fliegenplage unverkennbar. Dabei hatte 
ich den Eindruck, dass die Fliegen jedesmal an der erstmaligen 
stärkeren Ausbreitung der Ruhr schuld waren, während später auch 
der Kontakt eine Rolle spielte. Wenigstens konnte ich im Herbst 1915 
trotz des grossen Fliegensterbens kein Sinken der Ruhrkurve ver¬ 
zeichnen. 

Ueberhaupt kommen ja bei vorsichtigem Urteil für das Aufhören 
von Epidemien, wenn sie einmal eine gewisse Ausdehnung erreicht 
haben, viel weniger äussere Umstände, auch nicht unsere meist viel 
zu spät wirksam werdenden Bekämptungsmassnahmen, als vielmehr 
innere, im Wesen der Infektionskrankheiten selbst liegende Ursachen 
in Betracht. Bei jeder Epidemie bleibt die Zahl der klinisch und bakterio¬ 
logisch erkrankten Infektionen weit hinter der Zahl der im epidemiologi¬ 
schen Sinne Infizierten zurück. Das Erlöschen einer Seuche ist häufig nur 
die Folge der vollkommenen oder fast volllkommenenDui chseuchung.die 
eben beim Einzelnen recht oft unter der Schwelle der klinischen Er¬ 
kennung bleibt. 

Anders liegt die Sache, wenn unsere Seuchenbekämpfung als 
wirkliche Vorbeugung bereits der Entstehung von Epidemien von 


Digitized 


eugung bereits der Entsteh) 
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langer Hand her entgegengearbeitet oder spätestens bei der ersten 
Ausbreitung wirksam entgegentritt. Dann kann z. B. durch plan- 
mässige Fliegenbekämpfung die Verbreitung der Ruhr eingeschränkt, 
eine im Entstehen begriffene Epidemie unterdrückt werden. Auch 
wirkt selbstverständlich in diesem Sinne eine -durch die Witterungs¬ 
verhältnisse oder andere Umsände eintretende Abnahme der Fliegen¬ 
plage. 

Es handelt sich nun darum, nicht nur die Fliegenplage als solche 
zu bekämpfen und möglichst viel Fliegen zu vernichten, sondern vor 
allem die Uebertragung von Ruhrbazillen durch Fliegen unmöglich 
zu machen, d. h. den Fliegen den Zutiitt zu den Nahrunsgmitteln und, 
was noch wichtiger und wirksamer ist, zu den infektiösen Entlee¬ 
rungen zu versperren. Da über die vielen Verfahren zur direkten 
Fliegenbekämpfung, von denen das Totschlägen noch Immereines der 
besten bleibt, und über das Fernhalten der Fliegen von Nahrungsmitteln, 
Küchen-, Wohn- und Krankenräumen, Stallungen und Dungstätten 
wohl genügende Erfahrungen vorliegen, die uns gelehrt haben, dass 
wir uns stets mit relativen, darum aber nicht gering zu schätzenden 
Erfolgen begnügen müssen, so will ich mich hier auf jenen dunklen 
und wunden Punkt, den man als das Problem der fliegensicheren 
Latrine bezeichnen kann, beschränken. 

Unsere gewöhnlichen, mehr oder weniger offenen Feldlatrinen 
sind zur Fernhaltung der Fliegen recht wenig geeignet. Hieran ändern 
auch die schönsten Vorschriften über Desinfektion und Bedecken der 
Abgänge mit Erde nicht viel. Denn erstens ist es ganz unmöglich, die 
nötigen Mengen von Desinfektionsmitteln auch nur für die ruhrver¬ 
dächtigen Entleerungen zu beschatten und im Felde rechtzeitig über¬ 
all heranzubringen, zweitens ist auch beim- besten Willen die An¬ 
wendung des Spatens nach jeder Stuhlverrichtung nur unvollkommen 
zu erreichen. Ruhrkranke insbesondere sind häufig gerade nach der 
Anstrengung, die mit der schmerzhaften Entleerung verbunden ist, 
ganz erschöpft und körperlich gar nicht fähig, sofort das Bedecken 
mit Erde ordentlich auszuführen. 


°) 


Der aufgeklappte Deckel versperrt den Aus¬ 
gang, so dass der Benutzer gezwungen wird, 
zum Verlassen der Latrine den Deckel zu 
scbliessen. 

a) u. b) ScbGtzengrabenlatrinen 
(wagrechter Querschnitt). 

c) Latrinen für Ortsunterkünfte usw. 

Die Umziunung ist. wenn möglich, durch 
Bretterwände mit Dach zu ersetzen. 

d) Aborthftuschen (wagrechter Querschnitt) 

Die Tür öffnet sich nach innen und ist bei 
Benutzung ohne weiteres geschlossen. 

Die Latrinenkästen bezw. Aborthäuschen sind 
versetzbar anzufertigen. 

Boi der Konstruktion von» geschlossenen, „fliegensicheren“ La¬ 
trinen legte ich besonderen Wert auf zwangstnässigen Deckelschluss, 
weil ein regelmässiges Zumachen der gewöhnlichen Abortdedkef be¬ 
kanntlich durch Vorschriften und Strafen doch nicht zu erreichen ist. 
aufgeklappt werden, unterbrochen ist. 

Im Sommer 1916 liess ich bei einem Feldlazarett für Infektions¬ 
kranke 18 leicht versetzbare Aborthäuschen aufstellen, bei denen der 
Deckelschluss selbsttätig beim Verlassen durch eine mit der Tür ver¬ 
bundene Mechanik bewirkt wurde. Obwohl sich dieses Muster ganz 
gut bewährte — wenigstens hörten die bis dahin unvermeidlichen 
Hausinfektionen an Ruhr trotz weiterer Ruhrzugänge sehr bald auf — 
war ich in der Folgezeit bemüht, für den- zwangsmässigen Deckel¬ 
schluss eine andere, möglichst einfache, ohne besondere Mechanik ar- 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 











O. August 1018. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


879 


beitende und für jede Feldlatrine geeignete Lösung zu finden. Dies 
gelang schliesslich durch folgende Anordnung: 

Der Deckel ist nicht, wie gewöhnlich, nach hinten, sondern seit¬ 
wärts aufzuklappen. Der Zu- bzw. Ausgang der Latrine ist so gelegt, 
dass er durch den aufgeklappten Deckel versperrt wird. Hierdurch 
wird der Benutzer gezwungen, zum Verlassen der Latrine den Deckel 
zu schliessen. 

Die Abbildungen erläutern das Gesagte. 

a und b zeigen die Ausführung für den Schützengraben, c für 
.Ruhestellungen und Ortsunterkünfte. Hierbei ist der Latrinenkasten 
von einer festen Umzäunung (wenn möglich durch Bretterwand mit 
Dach zu ersetzen) umgeben, die nur an den Stellen, wohin die Deckel 
aulgeklappt werden, unterbrochen* ist. 

Bei den Aborthäuschen (d) wird die Tür zweckmässiger Weise 
so angebracht, dass sie sich nach innen öffnet. Dann ist das Häuschen 
bei Benutzung ohne weiteres geschlossen. Oben in der Tür bringt 
man nur eine etwa markstückgrosse, nicht vergitterte Oeffnung an, 
durch die ein einziger, schmaler Lichtstrahl in den im übrigen dunklen 
Inrrenraum fällt. Fliegen; die in das Häuschen hineingeraten sind, 
werden, w'ie man leicht beobachten kann, von dem Lichtstrahl wie 
magnetisch angezogen und wandern sehr bald durch die kleine Oeff¬ 
nung hinaus. Unterstützen kann man diesen Vorgang und das Fern¬ 
halten der Fliegen überhaupt durch einen dunklen Anstrich der Innen¬ 
wände (z. B. mit Teer). 

Die Latrinenkästen bzw. Aborthäuschen sind am besten versetz¬ 
bar anzufertigen. 

Das neue, für das Feld erdachte und stellenweise schon erprobte 
System dürfte sich auch im Frieden für die Abortanlagen in Kasernen, 
Schulen, Wohn- und Krankenhäusern, Fabriken, Bahnhöfen und Eisen¬ 
bahnwagen eignen. 

Selbstredend empfiehlt es sich, auch diese „fliegensicheren“ La¬ 
trinen wenigstens von Zeit zu Zeit, bei Seuchengefahr häufiger und 
regelmässig zu desinfizitren. Der Verbrauch an Desinfektionsmitteln 
kann aber wesentlich geringer sein als bei den gewöhnlichen Latrinen. 


Aus der Kgl. Chirurg. Klinik zu Halle (Prof. Dr. S c h m i e d e n.) 

Ein Verbandstisch für den Schützengraben. 

Von Dr. Otto Qoetze, Marine-Oberassistenzarzt d. Res. 

Das Anlegen des ersten Verbandes im Schützengraben stösst 
auf grosse Schwierigkeiten, wenn es sich um schwerere Ver¬ 
letzungen des .Rumpfes oder der Oberschenkel handelt. Der auf 
dem Boden des engen Schützengrabens liegende Verwundete lässt 
zu seinen Seiten oft keinen Platz mehr für den Krankenträger oder 
den Arzt, so dass er einen zirkulären Verband, Schienenverbände etc. 
nur mangelhaft und unter grossen Schmerzen erhalten kann. 

Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, einen geeigneten Ver¬ 
bandstisch auch im Schützengraben zu benutzen. Folgende einfache 
Einrichtung hat sich mir lange Zeit in den flandrischen Schützen¬ 
gräben wohl bewährt: 

Als Material benützt man die gleichen Bohlen und Bretter, die 
bei einem Unterstandsbau gebraucht werden. Zw'ei etwa 180 cm 
lange, parallele, hochkant stehende Bohlen werden durch zwei hand¬ 
breite ca. 65 cm lange Bretter 
zu einem rechteckigen Rahmen 
verbunden, der auf den Boden 
des Verbandsunterstandes zu 
liegen kommt. Sechs bis acht 
ebensolche Bretter werden 
verschieblich quer über den 
Rahmen gelegt; sie besitzen 
auf ihrer Unterseite zwei Quer- 
klötzc, die ein Abrutschen vom 
Rahmen verhüten; die beige¬ 
gebene Abbildung, auf der das 
zweite Brett umgedreht ist, 
um die Querklötze zu zeigen, 
veranschaulicht die Konstruk¬ 
tion. 

Der Verwundete liegt auf 
diesem Tisch etwa 20 cm hoch. 
Er kann bequem entkleidet 
werden, ohne dass man seinen 
Körper hochzuheben und ihm überflüssige Schmerzen zu bereiten 
braucht. Entsprechend der Lokalisation seiner Verletzung werden die 
Bretter von hier aus kopfwärts und fusswärts verschoben bis er mit 
dieser Stelle freischwebend liegt und man leicht die Wunden über¬ 
sehen und auch ohne Hilfe exakte zirkuläre Rumpfverbände anlegen 
kann. Bei Beinschüssen entfernt man die unteren Bretter ganz. 

Die Aufstellung des Verbandstisches erfolgt mit dem Fussende 
nach dem Eingang des Unterstandes zu. Man kann den Rahmen 
auch mit Griffen versehen und ihn zum Belegen und zum Zurück¬ 
lagern des Verwundeten auf die Krankentrage ins Freie ziehen. Auch 
für bequemere, höhere Verbandsräume haben wir einen ähnlichen, 
leichteren Rahmen mit verschiebbaren Sprossen benutzt. Eine in 
dieser Weise umgebaute Trage gab. auf zwei Böcke gestellt, einen 
sehr brauchbaren Operatiop^sch ab. 

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ratiopÄ^sch ab. - 

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Der Verbandstisch wurde bei uns befehlsgemäss jedesmal als¬ 
bald nach Beziehen einer neuen Stellung in 20 Minuten von den 
Krankenträgern jeder Kompanie unter Leitung des Sanitätsmaaten 
zurechtgezimmert. Wo überhaupt Unterstände gebaut werden, ist 
auch das Material zu diesem Tisch, Bohlen und Bretter, vorhanden. 

Der Tisch nimmt nur w r enig Platz weg und kann, wenn 
momentan nicht benutzt, an die Wand hochgestellt werden. Das 
geringe Wertobjekt bleibt beim Verlassen der Stellung natürlich 
einfach liegen. Die Transportfrage ist also denkbar einfach gelöst 
und dem Grundsatz Genüge getan, dass alle behelfsmässigen Mittel 
im Schützengraben die Beweglichkeit des Bataillons- oder Kompanie¬ 
sanitätspersonals nicht behindern dürfen. 


Tetanusbehandlung durch endokranielle Seruminjektion 
nach Betz-Duhamel. 

Von O. Doerrenberg, Geh. Med.-Rat, leitender Arzt des 
Vereinslazarett Stadtkrankenhaus boest. 

Bei dem noch immer ziemlich zahlreichen Auitreten von Te¬ 
tanuserkrankungen auch nach rechtzeitiger Schutzimpfung diiriten Er¬ 
fahrungen von Interesse sein, die im Lazarett des Stadtkranken¬ 
hauses Soest in zwei Tetanusfällen nach schwerer Extremitätenver¬ 
letzung nach dem Vorgänge von Betz und Duhamel (d. W. 1917, 
S. 1314) mit Einspritzung des Serums unter die Dura des Grosshirns 
gemacht worden sind. 

Der eine Fall betraf eine am 28. III. erfolgte Zerschmetterung 
des linken Oberschenkels und des Kniegelenkes. 

Der andere Fall, Zerschmetterung des rechten Unterarms am 
28. III., wurde vom Reservelazarett Schützenhof eingeliefert, nach¬ 
dem er dort am 10. IV. eine Lumbalinjektion von 25 ccm Serum ohne 
Erfolg erhalten hatte. 

Die Injektionen wurden am 11. bzw r . 14. IV. beiderseits von der 
Mittellinie etwas vor der Kranznaht vorgenommen, um eine gleich- 
mässige Verbreitung des Serums über das Gebiet der vorderen 
Zentralwindung zu erzielen und deren Reizung möglichst zu ver¬ 
meiden. 

Es empfiehlt sich die Schädelöffnung nicht zu klein zu nehmen, 
etwa % ein, um ein Anstechen des Gehirns mit Sicherheit zu ver¬ 
meiden. 

Injiziert w urde beiderseits 5 cm, möglichst langsam, um ein 
Wiederausfliessen zu vermeiden. 

Der Erfolg w'ar im Falle 1 durchschlagend. Die Muskelkrämpfe 
hörten nach etwa 48 Stunden auf, die Kieferklemme besserte sich 
ebenfalls sehr bald und war nach einigen Tagen verschwenden. Im 
Falle 2 trat nach anfänglicher Besserung allmählich wieder Ver¬ 
schlimmerung ein; deshalb am 24. IV. Wiederholung der Injektion 
der gleichen Menge Serums, diesmal etwas hinter der Kranznaht, 
mit dem Eriolge, dass die Kieferklemme bereits nach 2—3 Stunden 
wesentlich gebessert und nach einigen Tagen ganz beseitigt war. 
Auch das elende Allgemeinbefinden war schon wenige Stunden nach 
der Injektion gebessert. 

In beiden Fällen wurde daneben Tetanusserum lokal und sub¬ 
kutan sowie Magnes. sulf. subkutan angewandt, ohne merklichen Ein¬ 
fluss auf den Verlauf. 

Danach scheint das Verfahren von Betz und Duhamel in 
der Tat das Normalverfahren bei Tetanus zu sein, zumal seine An¬ 
wendung mindestens ebenso einfach und ungefährlich ist wie die 
Lumbalinjektion. . 

Für schwerere und namentlich ältere Fälle wird es vielleicht 
zweckmässiger sein, mehr als 5 ccm zu injizieren, möglicherweise 
verdient auch die Injektion hinter der Kranznaht den Vorzug. 


Ein einfacher Zeichenapparat für mikroskopische Zwecke. 

Von Dr. Paul Weill. 

Die „Behelfseinrichtungen“ spielen jetzt im Kriege in der Medi¬ 
zin keine geringe Rolle: auch im Laboratoriumsbetriebe haben wir 
schon manchen Ersatz einführen müssen. Auf der Suche nach einem 
billigen und auch für wissenschaftliche Zwecke brauchbaren Zeichen¬ 
apparat bin ich auf eine denkbar einfache Konstruktion gekommen, 
die zudem noch den Vorzug besitzt, dass das notwendige Material 
jedem Arzt zur Hand ist. Man braucht weiter nichts als einen 
Kehlkopfspiegel (Nr. 5) und ein Eisenblech. 

Das beigegebene Bild bedarf keiner ausführlichen Erläuterungen. 
Man fertigt sich selbst oder lässt durch einen Schlosser einen Bügel 
aus Blech herstellen von 2—2,5 cm Breite, der mittels einer Schraube 
fest am Tubus angebracht w erden kann. An einer Seite dieses Bügels 
wird eine röhrenförmige Erweiterung zurechtgebogen oder angelötet, 
deren Lumen für den Stiel des Kehlkopfspiegels eben noch durch¬ 
gängig ist. Bei meinem Apparat lässt sich der Spiegel gerade noch 
in der Röhre verschieben, sitzt aber andererseits so fest, dass er nicht 
durch eine Schraube gehalten werden muss. Mittelpunkt der spiegeln¬ 
den Fläche, welche sich etwa 2—3 cm oberhalb des Okulars befindet, 
und die optische Achse des Mikroskops müssen zusammenfallen, 
ebenso Medianebene des Mikroskops und des Spiegels. Beide Be¬ 
dingungen sind unschwer zu erfüllen. 

Original from 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


Das Mikroskop wird uni 45° geneigt, dann muss in der Horizon¬ 
talebene ein helles Bild des Gesichtsfeldes sichtbar sein, voraus¬ 
gesetzt, dt ss die Lichtquelle stark genug ist und sich Okular mit 
Zeichenapparat sowie die Zeichenfläche 
im Dunkeln befinden. 

Als Lichtquelle lässt sich sehr 
gut direktes Sonnenlicht benützen; 
besser ist — aus gleich zu erwähnenden 
Gründen — eine hochkerzige Glühlampe 
oder Kohlenbogenlampe. Eine 100 her¬ 
zige Osramlampe ist schon gut brauch¬ 
bar. Für stärkere Vergrösserungen 
(Immersion) habe ich befriedigende Re¬ 
sultate erzielt mit einer öOOkerzigen 
Halbwattlampe, bei der eine Sammel¬ 
linse zwischen Licht und Mikroskop¬ 
spiegel eingeschaltet werden kann. 
Lichtdichten' Abschluss des 
Zeichenapparates und der Zeichenfläche 
erreichte man am besten durch ein 
schwarzes Stoffzelt, das aber wegen der 
Tuchknappheit nicht zu beschaffen ist. 
Ich habe mir deshalb ein kleines schil¬ 
derhausähnliches Gebäude aus Pappe 
hergestellt, dessen Rückwand eine für 
das Mikroskop passende Oeffnung auf¬ 
weist. Arbeitet man zudem noch im 
verdunkelten Raume, so lassen sich 
tadellose Bilder erzielen; auch wenn 
man die Zeichenfläche direkt auf den Tisch auflegt, die Entfernung 
der letztem vom Zeichenspiegel etwa 35 cm beträgt, ist die Schärfe 
des mikroskopischen Bildes noch eine absolute bei Verwendung der 
Halbwattlampe. 

Physikalisch ist die ganze Vorrichtung ohne weiteres verständ¬ 
lich. Das Prinzip der Anwendung der Lichtstrahlenreflexion zum 
mikroskopischen Zeichnen ist nicht neu; es sind schon vor dem Kriege 
durch verschiedene Firmen Zeichenspiegel in den Handel gebracht 
werden, die auf jenem Prinzip beruhen. Der für den Privatmann 
schon damals nicht billige Anschaffungspreis (30—40 M. für den 

Spiegel ohne Verdunkelungsvorhang und Lichtquelle), der jetzt erheb¬ 
lich gestiegen sein 1 dürfte, veranlasst mich, auf diese einfache Vor¬ 
richtung hinzuweisen, die es auch dem mit einem Behelfslaboratorium 
wissenschaftlich Arbeitenden ermöglicht, für Veröffentlichungen ein¬ 
wandfreie Abbildungen herzustellen. Naturgemäss lassen sich auf 
diese Weise mikroskopische Bilder auch einem grösseren Kreis 
demonstrieren, ein Vorteil, der um so höher zu bewerten ist, als in 
den seltensten Fällen ein Projektionsapparat zur Verfügung stehen 

dürfte. 


Ergebnisse röntgenologischer Konstatierungen innerer 
Krankheiten im Kriege. 

1. Ein Beitrag zur Pathogenese und Diagnose der Magen- 
und Zwölffingerdarmgeschwiire. 

Von Dozent Dr. Martin Haudek. 

(Schluss.) 

Beim Gastrospasmus, der als totale und regionäre Steigerung 
der Hypertonie aufzufassen ist, ist das Offenstehen des Pylorus gleich¬ 
falls ein. typisches Bild, das Schwarz [5] mit dem Hinweis auf 
den Dilatator pylori nach T o 1 d t zutreffend erklärt hat. 

In den Fällen, wo der erhöhte Tonus des Magens nicht mehr 
während der ganzen Verdauungsperiode vorhält, also gewissermassen 
ein Ermüdungsstadium auftritt, sehen wir mit der zunehmenden Ver¬ 
längerung des Magens und dein Auftreten einer Hubhöhe eine Sekret¬ 
stauung und das lange Zurückbleiben eines Baryumsediments platz¬ 
greifen, also <len Uebergang der hyperperistaltischen Magenform in 
die maximalsekretorische von Katsch und Wcstphal [6l. Bei 
ersterer kann die Sekretanstauung nur im Bulbus duodeni stattfinden, 
wo auch der Hungerschmerz entsteht. 

Was die Beziehungen der Hypertonie oder Totalkontraktion zum 
Ulcus betrifft, so wird sie, wie oben erwähnt, in Form des geschilder¬ 
ten Symptomenkomplexes, der Hypertonie, Hyperperistaltik und 
Hypermotilität bei Hyperazidität als Zeichen von Ulcus duodeni an¬ 
gesehen. E. Schlesinger [71 bezeichnet dieses Syndrom als 
Exzitationsneurose infolge eines solchen. Doch muss es sein Vor¬ 
kommen bei Ulcus pylori, Cholelithiasis, Pankreaserkrankungen, 
Appendizitis, kolitischen Prozessen, Tabes, Hysterie. Neurasthenie 
und Neurosen zugeben, namentlich was die geringen Stadien des Bil¬ 
des betrifft. Also auch hier kommt man bei der Auslegung des ab¬ 
normen Erregungszustandes des Magens in Kollision mit Ursachen, 
die man zusammenfassend als neurogen, sei es direkt oder reflek¬ 
torisch bezeichnen kann. 

Auch bei den seltenen Fällen von Gastrospasmus,. die 
in der Literatur verzeichnet sind, wurden ausser lokalen Ursachen, 
wie Magengeschwüren und entzündlichen Prozessen am Magen und 
dessen Umgebung, Nervenerkrankungen, wie Hysterie und Tabes, 

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oder Intoxikationen als auslösende Momente des paroxysmalen Reiz¬ 
zustandes der Magenmuskulatur erkannt. 

Ausser 'den angeführten Zuständen von Tonuserhöhung oder 
Spasmus, welche der Muscularis propria zuzuschreiben sind, gibt es 
auch noch abnorme Kontraktionszustände der Muscularis mucosae, 
welche bei Ulcus gefunden werden, ohne dass ihr Vorkommen an ein 
solches gebunden sein muss. Es sind dies die Dauerfalten, 
welche Schwarz [8] als Zeichen einer Gastritis rugosa 
beschrieben und zu den peptischen Geschwüren in Beziehung gebracht 
hat, eine abnorme Verstärkung der an der grossen Kurvatur gelegenen 
queren Magenfalten, welche physiologischerweise nach Füllung des 
Magens mit der Normalmahlzeit sich ausgleichen und nur im Falle 
verstärkter Kontraktion auch nach der üblichen Entfaltung des 
Magens noch erkennbar bleiben, wobei sie der grossen Kurvatur 
eine gerippte, gefranste, vielzackige Randbeschaffenheit verleihen. 
Auch das gelegentlich beobachtete stärkere Hervortreten der Längs¬ 
falten der Magenschleimhaut in der Umgebung von Nischen gehört 
hierher. 

Bei der Analyse der röntgenologischen Phänomene, die bei 
Ulcus zur Beobachtung kommen, gelangt man demnach zu Ergeb¬ 
nissen, die sich in folgenden Sätzen zusammenfassen lassen: 

1. In den frühen Stadien aller primären Röntgenphänomene findet 
man motorische oder sekretorische Reizerscbeimmgen, welche — mit 
Ausnahme der Nische — auch ohne Ulcus, bei rein nervösen Erkran¬ 
kungen Vorkommen, so dass die Differentialdiagnose schwierig sein 
kann und vielfach die Frage offen bleibt, ob diese Reizphänomene 
auf reflektorischem Wege durch das Geschwür hervorgerufen worden 
oder als primär neurogen aufzufassen seien. Dies ist die Haupt¬ 
ursache der diagnostischen Unsicherheit bei blossen funktionellen 
Anomalien. 

2. Der Magen reagiert auf den ihm zugeführten Reiz stets mit ge¬ 
steigerter Kontraktion. Die Art der Reaktion, also die Form der ge¬ 
steigerten Kontraktion hängt von der primären Magenform ab. 

Mit letzterer Tatsache stehen Beobachtungen betreffend die 
Lokalisation der Geschwüre in Zusammenhang. Bei Schrägmägen 
und kurzen Hakenmägen (Fig. 3 a). also bei erhaltenem Tonus, und 
bei Individuen mit breiter unterer Thoraxapertur kann eine allgemeine 
Tonuserhöhung, eine Totalkontraktion eintreten, bei schmalbrüstigen 
Individuen, bei Frauen mit langem vertikalen Hakenmagen, dann bei 
primärer Tonusverminderug, wo die Magenmitte physiologisch eng 
und die Längs- und Schrägmuskulatur schon gedehnt, bzw. dauernd 
abgeschichtet und weniger reaktionsfähig ist (Fig. 3 b), werden vor¬ 



zugsweise zirkuläre Spasmen Zustandekommen. Daher sind Sanduhr- 
engen und Nischen, die Zeichen der Geschwüre des mittleren Magen¬ 
teiles, bei Frauen weit häufiger als bei Männern, während bei letz¬ 
teren überwiegend zirkumpylorische Geschwüre und im ganzen kon¬ 
trahierte Mägen angetroffen werden. 

Die Bedeutung spastischer Erscheinungen am Magen habe ich 
schon in einer 1911 erschienenen Arbeit ..Radiologische Beiträge zur 
Diagnose des Ulcus und Carcinoma ventriculi“ (M.m.W. 1911 Nr. 8) 
in folgender Weise berücksichtigt: 

„Ich halte eine Reihe von Patienten seit einem Jahr und mehr 
in Beobachtung, welche an Hyperaziditäts- und Ulcusbeschwerden 
von wechselnder Intensität leiden und konstant Motilitätsstörungen 
geringen Grades aufweisen. Ihr Krankheitsverlaut gleicht ganz dem 
solcher Patienten mit chronischem Ulcus: nach Spitalsbehandlung 
und Diät Besserung, ja völliges Verschwinden der Beschwerden, 
dann ohne bekannte Ursache wieder Exazerbation derselben. Beiden 
Gruppen ist die spastische Disposition gemeinsam, bei der letzt¬ 
genannten hat sich das Ulcus durch Blutungen, positiven Palpations¬ 
befund manifestiert.“ 

Die spastische Disposition erschien mir als eine Art Vorstufe des 
Magengeschwürs, und die weiteren Beobachtungen und Erfahrungen 
haben diesen Eindruck in mir nur befestigt. Durch ihr Bestehen ist 
der Ulcusdiagnose auch bei sachgemässer Anwendung des Röntgen- 
verfahrens eine Grenze gezogen, der sich das Interesse an der Frage 
der Ulcusentstehung zuwenden muss. 

Die Aetiologie der peptischen Geschwüre ist noch heute eine 
umstrittene Frage. Es ist bezeichnend, dass ein Chirurge wie Payr, 
der der Pathologie des Magengeschwürs besonderes Interesse ge¬ 
widmet hat, am Schlüsse einer Abhandlung über die Aetiologie der 

Original ffom 

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6. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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peptischen Geschwüre [9] noch 1909 sagt: „Die Vielgestaltigkeit der 
iiir die Geschwürsentstehung herangezogenen ^Vorstellungen legt nur 
Jie Unvollständigkeit der Lehre von der Entstehungsart des Ulcus 
pepticum an den Tag.“ Und in der letzten Auflage seiner Diagnostik 
der Magenkrankheiten äussert sich der erfahrene Boas [10] um 2 Jahre 
später dahin, man müsse Back mann vollkommen beipflichten, 
wenn er sagt, dass iii der grossen Mehrzahl der Fälle die Aetiologie 
des Magengeschwürs unbekannt ist und man zur Erklärung derselben 
ganz auf das Gebiet der Hypothese hingewiesen ist. Auch die Frage, 
ob Hypersekretion und Hyperazidität Ursache oder Folge des Ge¬ 
schwürsleidens seien, bezeichnet Payr als zur Stunde noch un¬ 
geklärt. 

Nur in einem Punkte besteht eine Meinung, nämlich darin, dass 
Jie Ernährungsstörung in einem Bezirk der Magenschleimhaut und 
Jie nachfolgende Andauung dieser Schleimhautpartie durch den sauren 
Magensaft zum Geschwür führen. Für das Zustandekommen der 
Zirkulationsstörung werden bakterielle, toxische, mechanische, ther¬ 
mische, chemische und nervöse Einflüsse geltend gemacht; Leube 
mass der Veränderung der Blutbeschaffenheit wie sie bei Chlorose 
und Anämie vorkommt, Virchow dem mechanischen Gefässver¬ 
schluss durch Thrombose, Embolie und atheromatöse Prozesse der 
Magenarterien grossen Einfluss bei. 

Dass experimentell erzeugte Substanzverluste am Tiere rasch 
heilen, obwohl sie der Einwirkung des normalen, also sauren Magen¬ 
saftes unterliegen, davon konnten auch Clairmont und ich uns über¬ 
zeugen, als wir 1908 an Hunden durch Exzision von Stücken aus der 
Mukosa und Muskularis des Magens Geschwüre zu erzeugen ver¬ 
suchten. um nachzuprüfen, ob die Theorie, dass Bismut am Substanz¬ 
verluste haften bleibe, richtig sei oder nicht. Bei der Untersuchung 
4 Tage nach der Operation fanden wir keine auffallenden Schatten 
an der Operationsstelle; wie sich nach Tötung der Tiere ergab, hatten 
sich aber die Substanzverluste in der kurzen Zeit schon wieder aus- 
gefüllt. Wir kamen so zur Bestätigung der Erfahrung von G r i f i n i, 
Vassale [11] und M a 11 h e s [12l und schlossen, dass die normale 
ölutzirkulation einerseits die normale Beschaffenheit des Magensaftes 
andererseits für das Zustandekommen von peptischen Geschwüren 
nicht günstig sei. 

Der Versuch, ein Magengeschwür durch grobe Zirkulations¬ 
störung zu erzeugen, misslang W. Braun, obwohl er V* der er¬ 
nährenden Magenarterien zu diesem Zwecke unterband, weil die 
Magenschleimhaut, wie Disse nachwies, durch ein submuköses 
Arteriennetz von dem aus feine Endarterien zwischen den Bündeln 
Jer Muscularis mucosae zur Mukosa ziehen, ausgezeichnet ernährt ist. 

Die experimentelle Erzeugung von progredienten Geschwüren, 
welche durch ihr anatomisches Verhalten und ihre klinischen Erschei¬ 
nungen in weitestgehendem Masse mit dem chronischen menschlichen 
L'lcus übereinstimmen, ist zuerst Payr [13] gelungen, der durch 
ctidovasale Injektionen von Formol, Alkohol und heisser NaCl-Lösung 
dauernde Gefässschädigung erzielte. 

Payrs Versuche schienen Virchow s Annahme (s. oben) 
ebenso zu bestätigen w ? ie die Vermutung v. E i s c 1 s b e r g s, dass die 
postoperativen Magenblutungen auf dem Wege retrograder Pfortader¬ 
embolie entstünden. 

Indessen meint Rössle [14], dass das Ulcus rotundum des 
Magens trotz der Erfolge Payrs nicht dieselbe Genese zu haben 
braucht, da bei der histologischen Untersuchung von Erosionen Ver¬ 
stopfungen der Arterien und Venen stets vermisst w erden, ln älteren 
Defekten seien wohl häufiger Thromben vorhanden, aber sie bedeuten 
nichts für deren Entstehung. Ferner macht er geltend, dass in allen 
jüngeren Geschwüren Embolien in der Leber und der Milz stets 
fehlen, während doch in Payrs Experimenten die Leber mitergriffen 
war. und schliesslich hat Rössle in Fällen von embolischer und 
thrombotischer Pfortaderverstopfung Magengeschwüre nie gesehen. 
Wie weit der Einwand R össles bezüglich der Erklärungen der 
postoperativen Magenblutungen berechtigt ist, werden w ? ohl noch 
weitere Untersuchungen zu lehren haben. Was aber die Ueber- 
tragung der Payr sehen Ergebnisse auf die Entstehung der pep- 
; sehen Geschwüre beim Menschen betrifft, führt Westphal [15] 
gegen diese mit Recht an, dass der Beginn der Entstehung derselben 
.n der Mehrzahl der Fälle in ein frühes Alter fällt, wie dies auch 
C a c k o v i c [ 161 jüngstens an 172 operativ behandelten Ulcuskranken 
durch genaue Erhebung der Anamnese festgestellt hat. Mag also 
auch bei manchen Ulcuskranken. das Bestehen von Arteriosklerose 
zur Zeit der Operation oder Obduktion nachgewöescn werden, so ist 
idmit der Beweis für den ursächlichen Zusammenhang dieser Ver¬ 
änderungen mit der scinerzeitigen Entstehung des Geschwürs durch¬ 
aus nicht erbracht. Auch dass Magengeschwüre gerade bei Herz¬ 
fehlern und allgemeinen Zirkulationsstörungen aus sonstigen Ursachen 
besonders häufig seien, möchte ich nach den Erfahrungen an meinem 
ausserordentlich grossen Beobachtungsinaterial verneinen, wenngleich 
tm gegenteiliger Standpunkt in der Literatur mehrfach vertreten ist. 
Es scheint also, dass Payrs geglückte Versuche nur für die bei 
älteren Individuen vorkommenden Geschw'üre und Magenblutungen, 
vielleicht auch für die postoperativen Magenblutungen, nicht aber 
für die Mehrzahl der Fälle von Geschwüren an Lebenden die Ent- 
'tehungsbedingungen aufzuklären vermögen. 

Eine Brücke zum Verständnis dieser Fälle dürfte in einer anderen 
Richtung der experimentellen Ulcusforschung gelegen sein, welche 
>ch auf den Zusammenhang zwischen peptischen Geschwüren und 

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.Störungen im Nervensystem bezieht Von den Experimenten 
Schiffs, der nach Durchschneidung der Thalami optici, der Pedun- 
culi cerebri, der Hälfte der Pons und der Medulla oblongata hämor¬ 
rhagische Infiltrationen und partielle Erweichung der Magenwand fand 
und den Versuchen Kämmerers, der durch Durchschneidung des 
Vagus und Sympathikus schon 1828 Zerstörungen der Magenwand 
liervorrief, führt die Entwicklungsreihe über B r o w n - S e q u a r d. 
Ebstein, Ewald und Koch über 'I'alrna und van Y z e r e n 
zu den Versuchen Lichte nbelts |17], der nach Durchschneidung 
und faradischer Reizun*g des Vagus allein Ulcera ventriculi erzeugte, 
die bis zu 3 und 5 Monaten bestanden und durch die fehlende Hei¬ 
lungstendenz direkt an das menschliche Ulcus rotundum erinnerten. 
Als Ursache der Geschwürsentstehung hatte van Yzcren Gefäss¬ 
verschluss durch Kontraktion der Muscularis propria angenommen, 
während Lichtenbeit den Verschluss der Endarterien durch 
Krampf der Muscularis mucosae verantwortlich machte Als Weg 
der Geschwürsentwicklung wurde von jedem der genannten Autoren 
primär der Krampf der Magenmuskulatur, sekundär die Abklemmung 
der Endarterien in der Mukosa, dann die lokale Ischämie, schliesslich 
Erosion, danach Ulcus durch fortdauernde Andauung angenommen. 
Für die Theorie der primären Ischämie der kleinsten Magen¬ 
arterien sind Klebs und Lebert, in letzter Zeit Beneke [18] 
eingetreten, die allerdings die spastische Ischämie der kleinsten 
Magenarterien selbst als ursächliche Momente ansprachen. Erwähnt 
sei noch, dass Dalla-Vcdo wa, S c hm i n c ke und Kobayaschi 
durch Reizung und 'Exstirpation des Ganglion coeliacum ausge¬ 
sprochene hämorrhagische Erosionen hervorrufen konnten. 

Wenngleich nervöse Einflüsse auf die Entstehung des peptischen 
Magengeschwürs längst erkannt worden waren, so konnten doch alle 
diese Experimente nicht vollkommen überzeugend wirken. Ihre 
Uebertragung auf die Ulcuspathogenese am Menschen bedurfte erst 
des Beweises, dass Störungen in den nervösen Zentren, Bahnen 
oder Endapparaten, wie sie am Tier experimentell gesetzt worden 
waren, am Lebenden tatsächlich Vorkommen und dass zwischen sol¬ 
chen nervösen Störungen und der Geschwürsbildung ein Zusammen¬ 
hang besteht, der sich schon in der Häufigkeit des gemeinsamen Vor¬ 
kommens beider dokumentiert. 

Die Lehre vom Wesen und der Bedeutung des vegetativen 
Nervensystems ermöglichte ein weiteres Fortschreiten unserer Er¬ 
kenntnisse. Langleys Scheidung des parasymoathischen Systems, 
das auch als autonomes System, nach H. H. M e v e r als erweiterter 
Vagus bezeichnet wird, vom sympathischen System nach ihrem viel¬ 
fach differenten, anatomischen und physiologischen Verhalten, und 
H. H. Meyers Gruppierung gewisser Pharmaka nach ihrer elek- 
tiven Reiz- oder Lä'hmungsWirkung auf das eine oder andere System 
bildete die Basis für erfolgreiche klinische Arbeiten, die uns der 
Erkenntnis der Uulcusentstehung näher brachten. 

Eine solche war die von Eppinger und Hess [19] aufkestellte 
Lehre der V a g o t o n i e. die einmal durch die besondere Empfindlich¬ 
keit gewisser Individuen gegen Pilokarpin und Atropin, die auf den 
erweiterten Vagus wirken, bei Unempfindlichkeit gegen das den 
Sympathikus reizende Adrenalin, und andererseits durch die Häufung 
spontaner Kennzeichen eines funktionell erhöhten Vagustonus charak¬ 
terisiert ist. In der V a g o t o n i e erblicken Eppinger und Hess 
eine Neurose, die sie als funktionelle autonome 
Systemerkrankung auffassen, indem alie ihre Symptome sich 
mit einem Reizzustande im erweiterten Vagusgebiete in Einklang 
bringen lassen. Diesem Krankheitsbilde ist die vagotonischc 
Disposition als zugrundeliegend gedacht, d. i. eine abnorme 
Reizbarkeit der gesamten oder nur bestimmter autonomer Fasern, die 
beim Hinzutreten eines adäquaten Reizes, auch wenn derselbe gleich¬ 
sam unter dem Schwellenwerte liegt, auf den ein normales Nerven¬ 
system eben noch anspricht, zur Entwicklung des Krankhcitsbildes 
Vagotonic führen kann. Für den Magen sind als Folgen der Vagus¬ 
reizung Hypersekretion mit oder ohne Hyperazidität, stürmische 
Magenperistaltik, die leicht auch in Antiperistaltik ausarten und sich 
sogar in Form von Erbrechen äussern kann, ferner Beeinflussung der 
Umschichtung des Magens, die sich in Tonussteigerung kundgibt, 
und schliesslich Krampf der beiden Schliessmuskeln schon lange be¬ 
kannt. Tatsächlich fanden Eppinger und Hess bei ihren Vago- 
tonikern. die sie nach deren grosser Pilokarpinempfindlichkeit agnos¬ 
zierten — dieselben bekamen 1 auf subkutane Einverleibung von 
0.01 Pilocarpinum hydrochloricum Schweissausbruch und Speichel¬ 
fluss —, vielfach Hyperazidität und Hvpersekretion und Zeichen von 
gesteigerter Magenkontraktion und Pylorospasmus. Einen Kausal¬ 
nexus zwischen Ulcus und Vagotonic stellten Eppinger und Hess 
nicht her, sie nahmen vielmehr nur ein blosses Nebenein^ndervor- 
kommen an, was aus folgender Aeusserung her vorgeht: „Kommt es 
beispielsweise bei vagotonischen Individuen zur Entwicklung eines 
Ulcus ventriculi. dessen Entstehung von einer nervösen Komponente 
zunächst nicht abhängt, so kann man sich vorstellen, dass der lokale 
Reiz, der von dem anatomischen Krankheitsherd ausgeht, in erster 
Linie in die Bahn des leicht erregbaren Vagus ausstrahlen wird.“ 

Entscheidend für das Verständnis der nervösen Ulcusentstehung 
sind die Arbeiten G. v. Bergmanns [20] und seiner Schüler; 
er vereinigt die Ergebnisse seiner klinischen und röntgenologischen 
Beobachtungen üher Magenspasmen hei Ulcus mit den experimen¬ 
tellen Ergebnissen L i c h t e n b e 11 s und nennt das Ulcus gerade¬ 
zu spasiriogcn. Die Disposition fasst er allgemeiner als Eppinger 
und Hess als eine Disharmonie i m vegetativen N e r - 

Original frnm 

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882 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


v cn System überhaupt auf, da er zu den Stigmen derselben auch 
die weite Pupille, ein sympathikotropes Zeichen, rechnet. 

Die Zeichen dieser Disharmonie findet er unter 60 Ulcusfällen 
58 mal, das häufige Vorkommen der röntgenologisch festzustellenden 
Magenspasmen hebt er besonders hervor. Auch nach seiner Vor¬ 
stellung können spastische Zustände am Magen durch Gefässabklem- 
mung Geschwüre erzeugen. Von ihm veranlasste Versuche seines 
Schülers W e s t p h a I, mit Pilokarpin an Tieren peptische Geschwüre 
zu erzeugen, haben insbesondere beim Kaninchen guten Erfolg (De¬ 
monstration der Bilder aus der W e s t p h a 1 sehen Arbeit). Es ge¬ 
lingt also hier zum ersten Mal unter Nachahmung der bei den Ulcus- 
kranken- in der Regel angetroffenen nervösen Disposition zu Magen¬ 
spasmen peptische Geschwüre am Versuchstier zu erzeugen, ein Er¬ 
folg, der ausserordentlich vielsagend erscheinen muss. 

Die Auffassung v. Bergmanns über die nervöse 
Entstehungsart der Geschwüre gibt eine ausge¬ 
zeichnete Erklärung für die Schwierigkeiten, auf 
welche die U 1 c u s d i:a g n o s e st ö s s t, w e n n wir d e n 
röntgenologischen Symptomen bis in ihr Quellen- 
gebiet nach gehen: andererseits erscheint mir die 
schwere Abgrenzbarkeit der frühen Geschwürs- 
Stadien von nervösen Störungen und die Ergeb¬ 
nisse der Analyse der Genese der R ö n tf g e n Sym¬ 
ptome und der Sc h in e r z p h ä n o m cne g e e i g n c t, 
v. Bergmanns Auffassung nachdrücklich zu unter¬ 
stützen. 

Verdienstvoll ist sein Ausspruch, dass es grundverkehrt sei, 
Zeichen allgemeiner Neurose gegen die Ulcusdiagnose zu verwenden, 
wie dies fast allgemein geschehe. Wir gelangen unter seiner An¬ 
wendung zu einer zweckmässigen Gruppierung der ulcusverdächtigen 
Fälle, in eine solche, wo sichere morphologische Symptome oder 
verlässliche Symptonienkomplexe bzw. Magenblutnngen die Dia¬ 
gnose eines Ulcus ermöglichen und in eine zweite, bei welcher zu 
den subjektiven Angaben des Patienten nur die klinischen und rönt¬ 
genologischen Zeichen einer gesteigerten motorischen und sekre¬ 
torischen Funktion hinzukommen. Bei der zweiten Gruppe sollen 
wir, und das ist eine namentlich für die Konstatierungsuntersuchung 
wichtige Formulierung, zunächst auf das Vorhandensein nervöser 
Magenstörungen schliessen. Geringe Grade von funktionellen Ano¬ 
malien können wir einem geringen Ulcusverdacht. höhere Grade 
einem gröberen Ulcusverdacht gleichsetzen, aber das negative Opera- 
tiirsergebnis bedeutet keine so schwere Enttäuschung mehr. Es be¬ 
deutet nur, dass die nervösen Magenstörungen sicli noch nicht in 
einem Ulcus oder, richtiger gesagt, in einem chronischen Ulcus mani¬ 
festiert haben, denn eine Erosion, selbst wenn sie zu heftigen Blu¬ 
tungen Anlass gegeben hat, kann ja spurlos ausgeheilt sein. 

Nun mag es viele unter Ihnen geben, für die der Gedanke s dass 
ein Ulcus lediglich die Folgeerscheinung einer nervösen- Störung 
sein soll, zu ungewöhnlich ist, um ihn schon nach der bisherigen Be¬ 
weisführung zu akzeptieren, doch finden wir in der Literatur der letz¬ 
ten Jahre noch eine Reihe wichtiger Argumente hiefiir. Zunächst 
einen Fall von Tabes, den Schüller [211 beschreibt, bei dem ein 
Ulcus ventriculi bestand. Schüller spricht bei dieser Gelegenheit 
die Vermutung aus, dass das Ulcus ventriculi bei Tabes in Analogie 
zu setzen sei mit dem Malum perforans pedis, und somit als tro- 
phische Störung aufzufassen sei. E x n e r [22], der als Operations¬ 
verfahren bei gastrischen Krisen die doppelseitige subdiaphragmale 
Vagusdurchschneidung angegeben hatte, fand sogar bei Laparotomien, 
die aus diesem Anlass ausgeführt wurden. 6 mal unter 10 mal orga¬ 
nische Veränderungen am Magen. Eine Nachforschung am Weich¬ 
sel b a um sehen Institut ergab, dass unter 75 obduzierten Tabi¬ 
kern 5. d. i. 66 Proz., bei der Obduktion ein Ulcus aufgewiesen hatten. 

Noch interessanter ist die Mitteilung von Heyrovsky. dass 
er in 36.3 Proz. der an der Klinik Hochenegg beobachteten Fälle von 
Kardiospasmus ein Ulcus ventriculi nach weisen konnte. Diese Er¬ 
fahrung spricht wohl ganz besonders dafür, dass Ulcus und Kardio¬ 
spasmus einer gemeinsamen Ursache entspringen. Da für den Kar¬ 
diospasmus eine Störung im Vagus angenommen wird, leitet uns auch 
diese Parallele zum vegetativen Nervensystem als Quelle der Ulcus- 
entstehung. 

Bei dem vollen Parallelismus, der sich röntgenologisch bei der 
Entwicklung des Kardiospasmus, Sanduhrspasmus und Pylorospasmus 
von den geringen Graden bis zu den Spätstadien mit sekundärer 
Dilatation ergibt, ist auch für die beiden letztgenannten Spasmen 
der neurogene Ursprung wahrscheinlich. Dass auch die zirkulären 
Spasmen am Magen durchaus nicht immer Ulcusfolgen sind, dafür 
sprechen die oben angeführten Fälle, wo man bei der Operation ein 
Ulcus nicht auffinden konnte. Ich möchte daher Bergmanns [23l 
diesbezügliche Auffassung: ..Es ist keine Frage, dass hier der Ulcusreiz 
selbst das entsprechende muskuläre Segment zur Kontraktion bringt, 
wohl durch Vermittlung des automatischen Nervenplexus“' nicht ohne 
weiteres zu der meinen machen. Es muss vorläufig dahingestellt 
bleiben, wie oft ein zirkulärer Spasmus reflektorisch, also auch auf 
nervösem Wege bei einem Ulcus entsteht, wie oft aber der zirkuläre 
Spasmus schon vor dem Ulcus da war. 

Ein altes Beweismittel der ätiologischen Forschung in der Me¬ 
dizin sind die Schlüsse, die wir ex nocentibus et juvantibus ziehen 
können. Diese Schlüsse wäll ich für die neurogene Ulcustheorie an 
der Hand einer graphischen Darstellung durchführen (Tab. 4). ln 
der grossen vertikalen Kolonne finden wir die Erscheinungen bei den 


Tabelle 4. 


Ulcus- 


Nervöse 
Magen- — 
Störung 


” 1. Motorische ~ 
ReizphSnomene 

2. Sekretorische 
Reizphänomene 

3. Intermittie¬ 
rende Schmerzen 

4. Magenblutung 

5. Sichere Rönt- 
gensymptome _ 


r Störung in den 
nervösen 


Gesteigerte 

Magenkontrakt. 

Gesteigerte 

Drüsenfunktion 



# Centren 

Bahnen 

(Vagus, Sympt- 


L.Cndapparaten 


ulcusverdächtigen Fällen, von denen 1, 2 und 3 nur zur Diagnose 
einer nervösen Störung, 4 und 5 zu der eines Ulcus berechtigen. Als 
unmittelbare Ursache der Geschwürsentstehung finden wir in der 
vierten Reihe die verstärkte Magenkontraktion* und die gesteigerte 
Drüseniunktion. Beide sind wieder Folgeerscheinung eines abnormen 
Innervationsreizes also N -h Die ursächlichen Störungen können 
von den nervösen Zentren, Bahnen und Endapparaten ausgehen. 

Ist dieses Schema der Ulcuspathogenese richtig, dann müssen 
sich die bekannten Noxen und therapeutischen Behelfe beim Ulcus 
mit demselben in Einklang bringen lassen. 

Als Noxen kennen wir Diätfehler — sie steigern die Sekretion 
Aufregungen und Unlustgefühle; diese wirken direkt reizerhöhend aut 
die nervösen Ausgangspunkte. Auch die schädliche Wirkung der 
Kälte ist uns bekannt, sie ruft Spasmen und Gefässvereugerung her¬ 
vor. Die nachteilige Wirkung mancher Gifte, wie des Pilokarpin. 
Morphium usw. bezieht sich teils direkt auf die Muskulatur, teils auf 
das Nervensystem. Hier finden wir also keinen Widerspruch, die 
Wirkung der Noxen fügt sich vollkommen in dieses System ein. 

Und nun die Wirkung der Therapie: Die Psychotherapie, 
die vor allem Ausschaltung von schädlichen Aufregungen im Auge 
hat. wirkt gewissermassen kausal, sie soll das Auftreten der Inner¬ 
vationsreize verhindern. Die Wärme wirkt antispasmodisch, Atro¬ 
pin antispasmodisch und antisekretorisch: wenn es nicht immer wirk¬ 
sam ist, hat dies seine Ursache darin, dass wohl nicht immer ein 
erhöhter Vagusreiz die Quelle der abnormen Erscheinungen ist. 
Schliesslich bekämpft Diät und alkalische Therapie nur 
die Sekretion. Aber die Versuche von Lichtenbeit und West- 
p h a I. denen es gelang durch dauernde Kochsalzbespülung der Magen¬ 
schleimhaut das Auftreten von Erosionen bei Fortdauer der von ihnen 
zum Zwecke der Zirkulationsstörung gesetzten Reize hintanzuhaltcn. 
zeigt, wie effektvoll die Alkalitherapie sein kann, wenn sie das imUeber- 
schuss erzeugte Magensekret wirklich dauernd neutralisiert. Dies ge¬ 
lingt allerdings nicht in der Weise, dass man die Patienten, wie dies 
häufig geschieht, ihr Speisesoda bloss unmittelbar nach dem Essen 
nehmen lässt, sondern die Natrontherapie bewährt sich dann am 
besten, wenn der Kranke untertags etwa alle Stunden einen Schluck 
Natronlösung zu sich nimmt, die er in der Periode der Verschlechte¬ 
rung des Zustandes stets bei sich führt. Das Natronfläschchen 
ist tatsächlich ein ausgezeichneter therapeutischer Behelf, eine Art 
Dauerspülung, welche, was ihre symptomatische Wirkung betrifft, die 
Hungerschmerzen am wirksamsten bekämpft. Aus den gleichen Er¬ 
wägungen lässt man ja auch solche Kranke, bei denen die gesteigerte 
motorische und sekretorische Magenfunktion immer wieder Hunger¬ 
gefühle hervorruft, auch viele kleine statt weniger grosser Mahl¬ 
zeiten einnetomen. 

Damit kommen wir unmittelbar zur Wirkungsweise der 
Operationen bei Magengeschwüren'. Wo haben zu¬ 
nächst die Leistungen der zumeist ausgeführten Gastroentero¬ 
stomie ihren Angriffspunkt? Abgesehen von jenen Fällen, we¬ 
der neue Magenausgang den durch Schiumofung oder sonstige Ver¬ 
änderung unbrauchbar gewordenen alten ersetzen soll, und wo der 
Effekt der Operation tatsächlich auch ein sehr guter ist, bezweckt die 
Anastomose nichts anderes als die dauernde Ableitung des im Ueber- 
sefouss erzeugten Magensaftes, die Verhinderung der Sekretstauung, 
des Zustandekommens von Hungerschmerzen und die weitere Reizung 
eines schon vorhandenen Geschwürs. Woher kommt es nun, dass 
die Gastroenterostomie diesen Aufgaben, wie die vielen Klagen der 
Internisten bezeugen, so häufig nicht gerecht wird? 

Die Ursache liegt darin, dass zunächst beim zirkutrm* -, nr>c v " 
Ulcus des hypertonischen Magens mit eher schneller Entleerung die 
Speisen die neue Oeffnung nur zum geringen Teile benützen (Fig. 4). 
Mit den Speisen fliesst aber auch das Sekret immer wieder durch 
das Antrum und Duodenum und ätzt das dort sitzende Geschwür, 
w'obei es im Duodenum gelegentlich zur Stauung kommen kann., man 
denke nur an den Dauerbulbus, der bei Ulcus duodeni vorkommt. 
Hier ist also die Anastomose allein von vornherein aussichtslos, 
nur eine Pylorusausschaltung oder Resektion kann hier von Nutzen 
sein. 

Mehr Erfolg verspricht die Gastroenterostomie bei langen Mägen 
mit grosser Hubhöhe und vermindertem Tonus, wenn sich an solchen 
ein juxtapylörisches Ulcus etabliert. Hier findet die Stauung vor 
allem im pylorischen Sack statt. Ist das Ventil am tiefsten Punkte 
des Magens angelegt, dann kann die Stauung mit ihren Konsequenzen 
verhindert werden. Aber die röntgenologische Beobachtung ana- 
stomosierter Mägen zeigt sehr häufig, dass die abführende Jejununi- 
schlinge oft um mehr als Handbreite höher als der kaudale Pol dem 
Magen anliegt und es ist nicht allzu selten, dass in diesem ein Kon¬ 
trastbreirest zurückbleibt, der uns vor Augen führt, dass auch die Se¬ 
kretstauung noch nicht behoben ist (Fig. 5); solchen Patienten schafft 
der Rat, bei der Verdauung die Linkslage zu bevorzugen, nicht selten 
Besserung. 


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Gck igle 


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6. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


m 


In der letzten Zeit wird nach den Misserfolgen der Gastroentero¬ 
stomie vielfach gegen dieselbe Stellung genommen, sie soli mit 
der Ausnahme <fer Pylorusstenose stets durch eine Radikaloperation 
ersetzt werden. Nun sind solche Operationen wegen technischer 
Schwierigkeiten, ausgedehnter Verwachsungen. Magenschrumpfung 
und sonstiger Komplikationen und des Schwächezustandes des Pa¬ 
tienten aber nicht selten unausführbar, während der bei weitem 
leichtere Eingriff der Gastroenterostomie möglich ist. Tch glaube, 



Fig. 4. ' Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7. 

Fig. 4. Anastomcse an einem hypertonischen Magen mit schneller Entleerung. Der 
Mageninhalt fliesst weit reichlicher durch den Pylorus als durch die Anasto- 
mose ab. 

Fig. 5. Hochangelegte Anastomose bei iangem Hakenmagen. Eariumrückstand nach 
4 Stunden. 

Fig. 6. Spastischer Sanduhrmagen mit Nische trotz gutfunktionierender Anastomose am 
unteren Sack. 

Fig. 7. Kurzer breiter Schrägmagen nach Querresektion; vorher bestand eine Magen¬ 
form wie 3b. 

dass sich in solchen und auch in anderen Fällen mit der Gastro¬ 
enterostomie mehr erzielen Hesse als bisher, wenn der Operateur 
die Wahl des für die Anlegung der Anastomose geeigneten Punktes 
nicht bloss nach chirurgischen, sondern auch nach den geschilderten 
funktionellen Gesichtspunkten träfe, d. h., wenn er mehr als bisher 
darauf bedacht wäre, den bei gefülltem Magen und aufrechter Körper¬ 
haltung tiefsten Punkt des Magens zu ermitteln. Hiebei könnte er 
sich zunächst des vor der Operation angefertigten Röntgenbildes be¬ 
dienen, aber auch bei der Operation wäre eine Orientierung möglich, 
z. ß. durch die Anfüllung des Magens mit physiologischer Kochsalz¬ 
lösung bei gleichzeitiger Beckentieflage. Dies gäbe eine genügende 
Darstellung der gewöhnlichen Form- und Grössenverhältnisse des 
Magens. 

Am unbefriedigendsten ist die Wirkung der Gastroenterostomie 
beim hochsitzenden Magengeschwür. Bei diesem besteht sehr häutig 
eine bloss spastische Enge, und zwar zumeist unterhalb des Ge¬ 
schwürs, worauf Perthes zutreffend hingewiesen hat. Bei der 
Operation ist diese spastische Enge häufig nicht vorhanden, der 
Chirurg legt die Anastomose wie gewöhnlich an. Nach der Operation 
stellt sich die Sanduhrenge wieder her und schnürt den unteren, 
drainierten vom oberen, nicht drainierten Sack ab. ln» diesem aber 
sitzt die üeschwürsroiscbe, welche, wie die oftmalige Erfahrung zeigt, 
trotz der unten gut wirkenden Anastomose, sich noch weiter ver- 
grössert (Fig. 6). 

Statt der Gastroenterostomie wird daher beim Geschwür des mitt¬ 
leren Magenteils die quere Magenresektion ausgeführt. Diese be¬ 
seitigt nicht nur die spastische Enge, sondern bewirkt auch durch eine 
Verkürzung des ganzen Magens günstigere Entleerungsverhältnisse 
ais sie vorher bestanden haben. Eine Sekretstauung findet jetzt an 
keiner Stelle des Magens statt, im Gegenteil eine ausserordentlich 
schnelle Entleerung, welche auch bei den Patienten häufig Hunger¬ 
gefühl hervorruft, ist die Regel (Fig. 7). 

Da die alleinige Exzision der Geschwüre wegen ihrer Erfolg¬ 
losigkeit aufgegeben wurde, ist es nicht unmöglich, dass die „mo¬ 
torische Umstimmung des Magens“ die Veränderung der Magen- 
motilität. die Verhinderung der Sekretstauung und die Beseitigung 
der zu Spasmen neigenden, bei den bezeichiieten Individuen schon 
physiologisch engen Magenmitte das wirksame Agens war und nicht 
die Fortschaffung des Geschwürs. Daraus würde folgen, dass man 
auch bei langen Mägen mit Hypersekretion und Ulcusbeschwerden 
die Querresektion auszuführen das Recht hätte, auch wenn bei der 
Laparotomie das Ulcus nicht gefunden wird. Dieser Gedanke ist 
übrigens nicht neu, denn nach dem Vorschlag von Errrmo Schle¬ 
singer hat Katzenstein in Berlin bei einem hochgradig atoni- 
schen Magen durch die gleiche Operation einen ausgezeichneten Effekt 
und zwar wie auch Emmo Schlesinger \24] meint, durch Aende- 
lung der motorischen Verhältnisse herbeigeführt. 

Soviel über die Wirkungsweise der internen und chirurgischen 
Therapie beim Ulcus, voi, der ich glaube sagen zu können, dass sie 
mit unserer Vorstellung der nervösen Ulcusgenese vollkommen har¬ 
moniert. 

Nehmen wir die nervöse Pathogenese des Ulcus für 
einen Teil der Fälle als erwiesen am, so wird sich uns 
wieder die Frage aufdrängen, welcher Art ist diese nervöse 
Störung? Man wird sich nicht gern damit zufrieden geben, 
dass eine Disposition, ob sie jetzt spastische Disposition 
heisst oder Vagotonäe oder Disharmonie im vegetativen Nerven¬ 
system, die alleinige Ursache sei. Dass die Disposition eine grosse 

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Rolle spielt, soll ja ohne weiteres zugegeben werden. Man hat ja 
eine solche, wenn auch unter anderen Vorstellungen, ich erinnere an 
den Habitus asthenicus (Stiller), den Lymphatismus (E. S t ö r k) 
usw., stets gerne angenommen. Schon das häufige familiäre Vor¬ 
kommen des Ulcus spricht ja für den Einfluss der Konstitution, aber 
wie R ös sie und v. Bergmann sagen, man braucht noch ein 
primum movens, das zur Disposition hinzukommt. Nun mit der Auf¬ 
fassung R ö s s I e s, der als pathologischer Anatom ihm zugängliche 
pathologisch-anatomische Veränderungen heranzuziehen geneigt ist, 
mag man sich, wenn man sein Material kritisch betrachtet und es mit 
den eigenen Erfahrungen vergleicht, doch nicht recht befreunden. 
Ich möchte die postoperativen Blutungen ausschalten, die haben ja 
doch möglicherweise eine andere Ursache als die chronischen Ge¬ 
schwüre, die den Diagnostiker interessieren. Von der Appendizitis 
aber scheint es mir, dass sie ebenso wie die spastische Obsti¬ 
pation und der Kardiospasmus eine krankhafte Erscheinung ist, welche 
dem Ulcus koordiniert ist, d. h. gleichen Ursachen entspringen 
dürfte, weniger aber selbst als Ursache anzusehen ist. Bei solcher 
Auffassung wird das Material, das R ö s s 1 e vorbringt, gewürdigt, aber 
als Bestätigung nach einer anderen Richtung. 

Schon viel weiter kommen wir, wenn wir den Gedanken 
v. Bergmann atifgreifeii und ihn mit unseren Erfahrungen ver¬ 
gleichen: Das psychische Trauma als auslösende Krankheits¬ 
ursache bei vorhandener Disposition. Ich glaube, jeder von uns hätte 
diesen Gedanken selbst ausgesprochen, wenn ihn nicht v. Berg¬ 
mann schon vorgebracht hätte. Ich habe als Ursache der Ver¬ 
schlechterungen im Zustand dauernd in Beobachtung stehender Ulcus- 
patienten, weit häufiger das Auftreten psychischer Erregungszustände 
den Mitteilungen der Patienten entnehmen können, als das Einge¬ 
ständnis wesentlicher Diätfehler. Und wie viele Anamnesen be¬ 
ginnen nicht geradezu mit einem psychischen Trauma: Verlust eines 
Familienmitgliedes, schwere berufliche Sorgen oder drückende ma¬ 
terielle Verluste? Dass das Ulcus und ulcusähnliche Beschwerden 
uns im Kriege weit häufiger begegnen als im Frieden, mag hierin mit 
seine Begründung haben. 

Aber auch dieses ätiologische Moment kann uns nicht ganz Ge¬ 
nüge tun; wir sind zu sehr gewohnt. Krankheitserscheinungen in 
anatomisch nachweisbaren Krankheiten wurzeln zu wissen; warum 
sollen die Erscheinungen im Verdauungstrakt, wenn sie nervösen Ur¬ 
sprunges sind, nicht den Ausdruck in Krankheiten des Nerven¬ 
systems finden? Halten wir danach Umschau, so treffen wir tat¬ 
sächlich Mitteilungen in der Literatur an. welche diese Vermutung 
unterstützen. Kraus und P a 11 a u f |25l, Heyrovsky (261 und 
Marburg konnten bei 2 Fällen von Kardiospasmus Zeichen einer 
schweren Vagusneuritis histologisch nachweisen. In letzter 
Zeit teilte Singer (271 einen Fall von Pytorospasmus und Magen¬ 
blutung bei organischer Vagusaffektion mit, welche in¬ 
folge von Kompression des Nerven durch tuberkulöse Bronchialdrüsen 
hervorgerufen worden waren 

Es sind dies nur wenige Fälle gegenüber einer un¬ 
geheuren Zahl von Magengeschwüren, Magenblutungen und Kardio- 
spasmen. Aber wir müssen bedenken, dass wahrscheinlich nicht im 
Vagus allein, für den übrigens Eppinger und Hess die Vagus¬ 
neurosen als Erkrankung auf dem Boden ein^r vagotonischen Dis¬ 
position annehmen, sondern auch in den nervösen Zentren, in den ein¬ 
geschalteten Ganglien und schliesslich in den nervösen Endapparaten 
krankhafte Veränderungen ihren primären Sitz haben dürften. Sind 
doch experimentelle Zirkulationsstörungen «oder Geschwüre durch 
Schädigung jedes einzelnen dieser Abschnitte schon erzeugt worden. 
So sah W es t p h a I nach Durchschneidung der Serosa und der Mus- 
cularis propria des Magens, also des ganzen A u er b a c h sehen 
Plexus und zahlreicher Nervenbahnen, zuerst zirkumskripte Anämien 
und dann schwarz-braune Verfärbungen auftreten. Cannon er¬ 
hielt das röntgenologische Bild eines Dauerbulbus sowohl nach Durch¬ 
schneidung des Ganglion coeliacum, als auch nach Durchtrennung 
der Serosa des Duodenums. Nach unserem heutigen Wissen über die 
Pathologie, insbesondere über die pathologische Histologie sind wir 
nicht in der Lage Erkrankungen dieser genannten nervösen Apparate 
zu erkennen, bzw. auszuschiiessen. Vor allem findet auch bei der 
Obduktion eine Untersuchung derselben gar nicht statt. Wie viele 
„funktionell“ Erkrankte, Neurotiker, Neurastheniker, ja auch „Simu¬ 
lanten“ mögen sich mit dem Fortschreiten unsererErkenntnisse auf dem 
genannten Gebiet als krank am vegetativen Nervensystem erweisen? 
Heute wissen wir, dass ein Mann mit spastischer Spinalparalyse an 
multipler Sklerose leidet, aber die Bedeutung des B a b i n s k i sehen 
Reflexes und der tonisch-klonischen Zuckungen an den willkürlichen 
Muskeln war Aerzten in einer früheren Zeit auch unklar und mag 
ihnen als funktionell gegolten haben, wie wir es jetzt von der Hyper¬ 
peristaltik, Hypertonie und den zirkulären Spasmen glauben. 

Mit der Annahme der nervösen Ulcusentstehung ergibt sich aber 
noch die wichtige Anregung, auch die Entstehung von Krankheits- 
erscheinungen an» anderen Organen, deren Funktion vom vegetativen 
Nervensystem abhängt, mit Störungen in diesem System in ursäch¬ 
lichen Zusammenhang zu bringen. Wir können dabei über den Kar¬ 
diospasmus und die spastische Disposition hinausgehen. Ich zeige 
hier das Bild eines älteren Mannes, der an heftigen Darmbeschwer¬ 
den litt und bei dem klinisch Verdacht auf Darmkrebs bestand. 
Die Röntgenuntersuchung ergab eine deutliche Verengung an der 
Flexura hepatica, wie bei einem kleinen Skirrhus. Die Operation, 
die Hofrat v. Eiseisberg ausführte, ergab indessen ein negatives 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


Resultat. Es war also nichts als ein regionärer Kolonspasmus, aber 
bei einem Mann, der an heftigen Darmkrämpfen litt. Liegt nicht auch 
hier der Gedanke nahe, dass dieser nervöse Darmkrampf, der sogar 
in einer groben Formveränderung in Erscheinung trat. Ausfluss einer 
nervösen Erkrankung war? 

Denken wir an die Appendizitis und Cbolelithiasis. Liegt die 
Vorstellung so fern, dass ein neurogener Reiz Krampf des Appendix 
und Sekretstauung in diesem hervorruft? Seit den Untersuchungen 
von Max Cohn, die neuerdings von Freud bestätigt worden sind, 
wissen wir, dass fast jeder normale Appendix sich mit Kontrastbrei 
füllt, dass er also ein inhaltsbergendes Lumen hat. Ein Krampf kann 
nun diesen Inhalt stauen. Die Stauung führt zur mechanischen Rei¬ 
zung der Schleimhaut, der sich die Infektion anschliesst. Geht der 
nervöse Reiz vom nervösen Endapparat aus, dann ist mit der Appen¬ 
dektomie der Kranke geheilt. Ist aber der Reiz zentralen Ursprungs 
und nicht nur auf den Appendix beschränkt, dann sind die Beschwer¬ 
den im Initestinaltrakt mit der Operation nicht behoben. Andererseits 
muss der Krampf der Appendixmuskulatur nicht zur Entzündung 
führen, es waren nur Anfälle von Colica appendicularis und der Opera¬ 
teur findet den Wurmfortsatz unverändert. Für die Cholelithiasis 
könnte die gleiche Genese akzeptiert werden. W e s t p h a 1 erwähnt 
diese Vorstellungen schon und ich weiss nicht, ob nicht viele andere 
Autoren sich die Entstehung dieser Krankheiten ebenso vorgestellt 
haben, jedenfalls sind aber unsere heutigen Vorstellungen in dieser 
Richtung schon viel konkreter. 

Bei der Pneumonie kann die Erkältung durch vagokonstrik- 
torische oder spastische Reizwirkung auf dem Wege der Ischämie 
eine Epithelschädigung hervorrufen, welche die stets vorhandenen 
Infektionskeime erst wirksam werden lässt; also auch hier ein 
nervöser Weg. 

Bei Arteriosklerose, insbesondere bei der Koronarsklerose, wo, 
wie die Arbeiten von Max Herz [28] u. a. uns gezeigt haben, das 
psychische Trauma eine so hervorragende Rolle spielt, kann die 
ischämische Intimaschädigung, auf nervösem Wege herbeigeführt, die 
Vorstufe für die spätere Degeneration, Kalkeinlagerung und Ge¬ 
schwürsbildung abgeben. Auch die Wirkungen von Alkohol. Nikotin, 
Blei und anderen Giften führen ja über die nervösen Wege. Aber 
die Ischämie, als ihre krankheitserzeugende Form — zuerst in ihrer 
Bedeutung am Magen erkannt — ist das zweite Glied, das uns die 
Entwicklung des Krankheitsprozesses verständlich macht. 

Ich bin mir bewusst, dass der letzte Teil meiner Ausführungen 
hypothetischer Art ist. aber auch über Hypothesen kann, wenn ihnen 
nur ein zutreffender Gedanke zugrunde liegt, der Weg zur richtigen 
Erkenntnis führen, nach der wir streben. 

Zusammenfassung. 

1. Die Auffassung G. v. Bergmanns, dass ein grosser Teil 
der peptischen Geschwüre beim Menschen nervösen Ursprungs sei, 
wobei ischämische Zirkulationsstörungen der Magenschleimhaut, her¬ 
vorgerufen durch Krampf der Muscularis propria (Van Yzeren) 
oder mucosae (Lichtenbeit) das Bindeglied zwischen nervösem 
Reiz und der Erosion darstellen, erklärt einerseits die Erfahrungs¬ 
tatsache, dass die geringen Stadien der röntgenologischen Anomalien 
nicht nur bei Ulcus, sohdern gelegentlich auch ohne ein solches bei 
Bestehen blosser nervöser Störungen angetroffen werden, anderer¬ 
seits ist die Erkenntnis, dass die primären röntgenologischen Ulcus- 
phänomene in ihren frühen Stadien einem allgemein oder zirkulär 
erhöhten Kontraktionszustand des Magens entsprechen oder mit einem 
solchen innig verknüpft sind — wie die Nische — geeignet, obige 
Auffassung zu unterstützen. Die spastische Disposition, die mir 
schon vor 7 Jahren als eine Art Vorstufe des Magengeschwürs er¬ 
schienen ist, stellt sich nach den Fortschritten unserer Kenntnisse 
über den Zusammenhang zwischen inneren Krankheiten und dem vege¬ 
tativen Nervensystem, die wir besonders Eppinger imd Hess 
und v. Bergmann zu verdanken haben, als eine Teilerscheinung 
der allgemeinen nervösen Disposition dar, die von Eppinger und Hess 
als Vagotonie, von v. Bergmann als Disharmonie im vegetativen 
Nervensystem bezeichnet wird. 

2. Daraus ergibt sich die Gruppierung der ulcusverdächtigen 
Fälle ir solche, wo nur Schmerzen und motorische sowie sekre¬ 
torische Reizphänomene eine nervöse Magenstörung zu diagnosti¬ 
zieren gestatten und' nur zu einem Verdacht auf Ulcus berechtigen, 
und in eine zweite Gruppe, bei der die sekundäre Manifestation des 
Ulcus durch sichere Röntgensymptome oder Magenblutungen er¬ 
wiesen ist. Der fortschreitende Ausbau der röntgenologischen Ulcus- 
symptomatologie kommt der Scheidung dieser Gruppen zustatten. 

3. Die nervöse Ulcuspathogenese wird unterstützt durch die 
Beobachtung des gemeinsamen Vorkommens von Kardiospasmus, 
dessen neurogene Aetiologie anerkannt ist und peptischen Geschwüren 
(Heyrovsky), dann von Tabes und Geschwür (Schüller, 
Exner) und schliesslich von organischen Vaguserkrankungen und 
Magenblutungen und Geschwüren (Paltauf, Heyrovsky, 
Singer), dann auch durch die Beweisführung ex nocentibus et 
juvantibus, wobei insbesondere die grosse Bedeutung psychischer 
Störungen für die Verschlimmerung gutartiger Magenerkrankungen 
hervorgehoben zu werden verdient. 

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4. Die Erkenntnis, dass die röntgenologischen Ulcussymptome 
bis zu einem gewissen Grade Folgeerscheinungen einer Störung im 
vegetativen Nervensystem sind, mahnt dazu, unsere bisher geringen 
Kenntnisse auf dem Gebiete der Pathologie, insbesondere der patho¬ 
logischen Histologie desselben, zu erweitern; vielleicht wird es dann 
möglich sein, an Stelle der Begriffe „nervöse Disposition“, „Neurose“ 
usw. die Bezeichnung bestimmter Erkrankungen im vegetativen 
Nervensystem, sei es der Zentren, der Bahnen —' Vagus und Sym¬ 
pathikus — oder der nervösen Endapparate zu setzen, welche sich 
durch Reizerscheinung an den von ihnen beherrschten inneren Or¬ 
ganen — Magen, Darm, Herz, Gefässe, Bronchien etc. — erstmalig 
verraten. Damit würde der Parallelismus zur Pathologie des Zen¬ 
tralnervensystems hergestellt werden, wo uns nach den Arbeiten 
der letzten Jahrzehnte Reizerscheinungen an den Quergestreiften 
Muskeln geradewegs als charakeristische Kennzeichen bestimmter 
Krankheiten dienen. 

Literatur. 

1. Sti erlin: M.m.W. 1912 Nr. 15 u. 16. — 2. Kreuzfuchs 
und Glässner: M.m.W. 1913 Nr. 11. — 3. E. Glas: W.kl.W. 1907 
Nr. 14. — 4. F a u 1 h a b e r: M.m.W. 1910 Nr. 14. — 5. G. Schwarz: 
Fortschr. d. Röntgenstr. 17. H. 3. — 6. K a t s c h und Westphal: 
Mitt. Grenzgeb. 26. H. 3.-7. E. Schlesinger: B.kl.W. Nr. 43. — 
8. G. Schwarz: W.kl.W. 1916 Nr. 49. — 9. Payr: Jahreskurse 
für ärztliche Fortbildung 1909. — 10. Boas: Diagnostik und Therapie 
der Magenkrankheiten. 6. Aufl. Thieme, Leipzig, 1911. — 

11. Vassale: Zieglers Beitr. 3. S. 423. — 12. Matth es: Vh. d. 

12. Kongr. f. inn. M. 1893. — 13. Payr: D.m.W. 1909 Ni.36 u. 37. — 
14. Rössle: Das runde Geschwür des Magen- und Zwölffingerdarms 
als zweite Krankheit. Mitt. Grenzgeb. 25. — 15. W e st p h a 1: Unter¬ 
suchungen zur Frage der nervösen Entstehung peptischer Ulcera. 
D. Arch. f. klin. M. 114. — 16. v. Cackovic: Arch. f. klin. Chir. 
98. — 17. Lichtenbeit: Die Ursachen des chronischen Magen¬ 
geschwürs. Jena 1912. — 18. Beneke: Ueber die hämorrhagischen 
Erosionen des Magens (Stigmata ventriculi). Vh. d. Path. Ges. 
1908. — 19. Eppinger und Hess: Die Vagotonie. Berlin, Hirsch¬ 
wald, 1910. — 20. v. Bergmann: Das spasmogene Ulcus pepticum. 
M.m.W. 1913 Nr. 4. — 21. Schüller: W.kl.W. 1908 Nr. 27. - 
22. Exner: W.kkW. 1912 Nr.38. — 23. v. Bergmann: Die Rönt¬ 
genuntersuchung des Magens. Kraus u. Brugsch, Spez. Ther. u. 
Path. inn. Krkh. 1913. — 24. Emmo Schlesinger: Mitt. Grenzgeb. 
25. — 25. Pal tauf: W.kl.W. 1908 S. 205. — 26. Heyrovsky: 
Kardiospasmus und Ulcus ventriculi. W.kl.W. 1912. — 27. G. Sin¬ 
ger: M.K1. 1916. — 28. Max Herz: W.kl.W. 1906.Nr. 14. 


BQcheranzeigen und Referate. 

Urologische Operationslehre. Herausgeg. von Prof. VoeIcker- 
Heidelberg und Prof. H. Wossl d Io - Berlin. 1. Abteilung. Mit 
22 teils farbigen Abbildungen und 3 farbigen Tafeln. Leipzig 1918. 
Verlag von Georg Thieme. Preis 19 Mark. 

Der Hauptvorzug des vorliegenden Werkes ist die e r - 
schöpfende Darstellung aller chirurgischen Massnahmen am Uro¬ 
genitalsystem, sowohl der blutigen wie auch der unblutigen, also auch 
der Behandlungsarten, die bisher nur zerstreut zu finden waren. Das 
Werk ist aus diesem Grunde geeignet, Lücken auszufüllen, welche 
die neueren grossen Operationslehren belassen. 

Ueber Asepsis, Antisepsis und Narkose in der 
Urologie berichtet Prof. C o 1 m e r s - Koburg in mustergültiger 
Weise. Mit Recht verwendet er besondere Sorgfalt auf das Kapitel 
der hier so oft in Frage kommenden lokalen und regionären An¬ 
ästhesie. Die Darstellung der grundlegenden Punkte über Ein¬ 
führung von Instrumenten in Harnröhre und Blase 
hat Referent übernommen. Eine Reihe von Abbildungen veran¬ 
schaulichen die in Betracht zu ziehenden anatomischen Verhältnisse. 
Die Technik der endoskopischen Operationen der 
Harnröhre beschreibt E. Wossidto - Berlin. Auch wer 
skeptisch dem Wert und der Notwendigkeit dieser Eingriffe gegen¬ 
übersteht, wird dem von reicher Erfahrungen zeugenden Abschnitte 
Interesse entgegenbringen. Viel wichtiger sind die in trefflicher 
Weise behandelten blutigen Operationen der Harn¬ 
röhre aus der Feder desselben Verfassers. Die Operationen 
an der Prostata behandelt der leider vor kurzem verstorbene 
Prof. H. Wos‘sidlo, die an den Sameroblasen Prof. Voelqker- 
Heiuelberg; gerade dieses letztere kleine Kapitel bringt eine Fülle 
von interessanten, z. T. vom Autor neugeschaffenen Operations¬ 
methoden. die eingehend an der Hand von guten Abbildungen be¬ 
handelt sind. Das von Blum- Wien übernommene Kapitel i n t r a - 
vesikale Operationen ist interessant und kritisch ge- 
schriebet.. Mit besonders grosser Sachkenntnis und Liebe behandelt 
es den Abschnitt Lithotripsie und intravesikale Tumorbehandlung. 

Die Operaiionslehre, die ein Schwesterwerk der in demselben 
Verlag erschienenen „Operativen Gynäkologie“ von D ö d e r 1 e i n 
und Krönig darstellt, ist vorzüglich ausgestattet und mit zum Teil 
künstlerischen Abbildungen versehen. Es ist nur zu wünschen, dass 
der zweite Teil, in dem die Namen Voelcker, Kümmel!, Zucker- 

Qrityiroal fro-m 

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b. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


885 


kan dl, Li c li t c n b c r g und Kroemer vertreten sein werden, 
bald folge. Kielleuthner- München. 

L. Michaelis: Kompendium der Entwicklungsgeschichte des 
Menschen. 7. Auflage. 161 S., 50 Abbild, im Text und 2 Tafeln. 
Leipzig, Thieme, 1918. Preis 4.40 M. 4- 25 Proz. Zuschlag. 

Das kleine Büchlein von Michaelis bedarf keiner Einführung 
mehr. Unzähligen von Studenten ist es in seinen sechs früheren Auf¬ 
lagen ein treuer Berater gewesen und wird es weiter bleiben. Wer 
ein Freund von knappen Darstellungen ist, wird hier in kurzer Form 
eine seltene Fülle von Tatsachen klar zusammengestellt finden. Der 
Preis ist sehr niedrig, wenn die Ausstattung des Buches in Betracht 
gezogen wird. v. Möllendorff -Greifswald, z. Zt. im Feld. 

Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. J. Wolf: Die BevölkerungspoHtik der 
Gegenwart. 39 S. Leipzig 1918. Teubner. 1 M. 

Die vorliegende Schrift gibt einen anregenden Vortrag des be¬ 
kannten und verdienstvollen Bevölkerungspolitikers wieder. Be¬ 
sonders begrüssenswert ist es, dass Wolf nunmehr auch die quali¬ 
tative Bevölkerungspolitik in Form der Rassenhygiene in den Kreis 
seiner Betrachtungen zieht. Unter den Massnahmen zur Förderung 
der Geburten scheint mir nicht genügend Gewicht auf die Aus¬ 
schaltung der wirtschaftlichen Motive übertriebener Geburten¬ 
verhütung durch ein grosszügiges Ausgleichsprogramm im Sinne 
ü r u ö e r s oder Z e i 1 e r s gelegt zu sein. Fritz Lenz. 

Neueste Journalliteratur. 

Braus* Beiträge zur klinisciien Chirurgie, red. von Üarrfc, 
KQttner, v. Brunn. 111. Band. 1. Heft. Tübingen, 
Laupp, 1918. 

Drachter gibt in seiner Habilitationsschrift aus der chirur¬ 
gischen Abteilung der Kinderklinik München „über Thorax, Respira- 
tioostraktus und Wirbelsäule“ eine eingehende Untersuchung über 
Entstehung von Thorax- und Wirbelsäuledeformitäten bei Erkrankungen 
des Respirationstraktus, bespricht sowohl die angeborenen als er¬ 
worbenen Deformitäten und geht auf den formgestaltenden Einfluss 
der Muskulatur etc. näher ein; er schildert unter Beigabe zahlreicher 
Abbildungen und Versuchsprotokolle die Effekte von an Hühnern 
angestellten Tierversuchen. Jm wesentlichen sind die im Gefolge von 
Erkrankungen im Bereich des Respirationstraktus entstehenden Tho¬ 
raxdeformitäten die Folge eines in der Brusthöhle nötig gewordenen 
Raumausgleiches, zu dessen Vollzug die knöcherne Thoraxwand mit 
herangezogen wird. Die Lunge erfüllt in bezug auf die Thoraxwand 
eine diese stützende Funktion; ist diese ungenügend und treten nicht 
andere stützende Faktoren für die Lunge oder Teile derselben ein, 
so muss die Thoraxwand einsinken. Diese Stützfunktion der Lunge 
kann sowohl von anderen Organen, als von Flüssigkeiten, Gasen, Ploin- ' 
ben übernommen werden. Um auf die Wirbelsäule wirken zu können, 
bedarf die Lunge der Vermittlung der Thoraxwand. Ohne sichtbare 
Veränderungen dieser kann die Lunge die Wirbelsäule nicht beein¬ 
flussen. Für eine therapeutische Beeinflussung einer seitlich ver¬ 
bogenen Brustwirbelsäule bieten sich nach Dr. günstige Aussichten, 
wie er aus Versuchen-, mittels Pneumothorax und Phrenikotomie Wir¬ 
belsäulenverkrümmung zu beeinflussen, folgert. 

Ph. J. Schultz gibt aus der Frankfurter chirurgischen Klinik 
einen Beitrag zur Kasuistik des einseitigen angeborenen Nieren« 
mangels mit gleichzeitiger Nierendystopie und referiert unter Bei¬ 
gabe von Abbildungen über einen Fall solitärer Beckenniere, der als 
Tumor imponierte und operativ angegangen wurde. Sch. stellt 17 
operativ behandelte Fälle von Solitärniere zusammen. Die Diagnose 
der Solitärniere ist unter Berücksichtigung aller klinischen Sym¬ 
ptome im allgemeinen nur möglich, wenn auch Zystoskopie und Ure¬ 
terkatheterismus mit angewandt werden. Wo dies unterlassen und 
die Bauchhöhle eröffnet wurde, ist vor Exstirpation unklarer retro- 
peritonealer Tumoren der Bauchhöhle und des Beckens zu warnen, 
bevor man sich nicht von der Existenz mindestens einer hinreichend 
funktionierenden Niere überzeugt hat. 

Paul Klemm bespricht aus dem Rigaer (Krankenhaus die 
Aetiologie und Pathogenese der verschiedenen Formen der Appendi¬ 
zitis. Kl. sieht in der Produktion von Leukozyten die spezifische 
Tätigkeit der Appendix, ihr physiologischer Zweck ist als Ent¬ 
giftungsvorrichtung aufzufassen. Fast ständig findet man auf der 
Appendixschleimhaut das Bact. coli comrn. und lässt die grosse 
Präponderanz dieses über andere Bakterien die Appendizitis als Koli- 
mykose bezeichnen. Der zentripetal gerichteten Bakterieninvasion 
stellt sich der zentrifugale Leukozytenstrom entgegen. Eine Akti¬ 
vierung der Keime erfolgt bei sich stauendem Sekret, unter der 
Ernährungsstörung in dem sich auftreibenden stenosierten Appendix¬ 
abschnitt kann es zu der ganzen Stufenleiter der Veränderungen 
(von Katarrh bis zu Ulcus und Gangrän) kommen. Der Kotstein als 
solcher wirkt nicht entzündungserregend, die in Schwellung ge¬ 
ratende Schleimhaut kann ihn aber so umfassen, dass eine Verlegung 
des Lumens etc. eintritt. 

Eugen B i r c h e r berichtet aus der Krankenanstalt Aarau über 
die Gfabefhand, zugleich ein Beitrag zur Theorie der Missbildungen. 
B. schildert unter Beigabe zahlreicher Röntgenogramme an 2 Fällen 

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(Mutter und Tochter) eine mit H.vperdaktylie und Brachydaktylie 
verbundene Syndaktylie einzelner Metakarpi und führt einige weitere 
Fälle an. 

Karl M u 11 e y bespricht aus der Grazer Klinik einen Fall von 
Aneurysma der Art. Uenalis, geheilt durch Splenektomie; er stellt 
4 operierte Fälle zusammen und gibt Abbildungen seines Falles. 

Georg Bönninghaus referiert aus der Breslauer Klinik über 
den Drüsenkrebs des harten Gaumens an der Hand eines eigenen 
Falles und mehrerer aus der Literatur und schildert das klinische 
und pathologische Bild dieser Erkrankung. 

Friedr. Bode berichtet aus dem Krankenhaus Homburg v. d. H. 
über Niereninsuffizienz bei Nephritis und Perinephritis und ihre 
chirurgische Behandlung. B. teilt einen Fall mehrfach operierter Ne¬ 
phritis und- Perinephritis bei 32 jähriger Frau näher mit uncj 
sieht in den im Perinephrium sich abspielenden entzündlichen Pro¬ 
zessen einen besonderen Anlass für die renale Amme, die zur Frei¬ 
legung der erkrankten, im Zweifelsfalle beider Nieren zur Ausheilung 
des perinephritischen Infektionsherdes Veranlassung gibt. Sehr. 

Zentralblatt für Gyiäkologie. 1918. Nr. 29. 

Carl Rüge II-Berlin: Ueber Geschlechtsbildung und Nach¬ 
empfängnis. 

Bisher sind wir nicht berechtigt, die Frage der menschlichen 
Geschlechtsbildung für geklärt zu halten und nach Siegels Theorie 
von der Möglichkeit einer willkürlichen Geschlechtsbestiriimung zu 
sprechen. Ebensowenig ändert das Studium der Kriegsschwanger¬ 
schaften die bisher gültige Anschauung über die Nachempfängnis. 
Eine Ueberfruchtung ist auch durch Siegels Beobachtungen nicht 
bewiesen, sondern muss vielmehr weiterhin als durchaus unwahr¬ 
scheinlich gelten. 

W. Rübsamen- Dresden: Zur operativen Behandlung von 
Rektumproiapsen mittels freier Faszientransplantatlon. 

Verf, unterstützt die von A. Mayer in Nr. 18 des Zentral¬ 
blattes empfohlene Methode durch Bericht über einen guten ope¬ 
rativen Erfolg bei gleichzeitig bestehendem Genital- und Rektum¬ 
prolaps. Werner- Hamburg. 

Archiv für Kinderheilkunde. 66. Band, 5. u. 6. Heft. 

Hugo S e 1 1 h e i m - Halle: Milchüberleitung. 

Physiologische Betrachtungen über die beim Saugen auf mütter¬ 
licher und kindlicher Seite wirkenden Kräfte; dort das Muskelsystem 
der Brustdrüse und der von hinten wirkende Milchdruck, hier die 
eigenartigen Saug- und Druckbewegungen am kindlichen Mund. 

L. Steiner- Vivis (Schweiz): Zur Aetiologie und Prophylaxe 
der Skrofulöse. 

Die Skrofulöse ist auf der Insel Java eine grosse Seltenheit. 
Die Ursache ist nicht etwa Rassenimmunität, auch nicht geringer 
Milchgenuss, sondern der dauernde Einfluss von Licht und Sonne auf 
den Zustand der Haut — im Gegensatz zu Europa. Die Skrofulöse 
ist nach St. eine Störung des Körpers, namentlich des lymphatischen 
Systems, wodurch dessen Widerstandskraft gegen verschiedene 
Noxen und speziell gegen die Tuberkuloseinfektion herabgesetzt wird 
und deren Ursache in einer durch übermässige Kleider lahmgelegten 
Hautfunktion gelegen ist. Empfehlung von Licht- und Sonnenbädern 
bei kleinen Kindern urrd entsprechender Kleiderreform. 

Frieda Lederer -Prag: Therapeutische Versuche und Er¬ 
fahrungen bei Pertussis. 

Der Versuch mit Pookenvakzination erzielte in der Hälfte der Fälic 
einen befriedigenden Erfolg, insoferne die Zahl der Anfälle während 
der Eruption rasch abnahm. Auch mit Revakzination empfiehlt sich 
ein Versuch, wenn die Erstimpfung weit zurückliegt. Die Erfolge 
mit der Violi sehen Methode: Impfung mit dem Serum vakzinierter 
Kälber ergab zweifelhafte, die Behandlung mit Sputuminjektionen 
nach K r a u s s ungünstige Resultate. Die früheren guten Erfahrungen 
F i s c h 1 s mit dem Antitussin werden bestätigt. 

Karl Haeberlin - Wyk-Föhr: Ueber die körperliche Entwick¬ 
lung vom Kinde im Frieden und Krieg. 

Die Beobachtungen in der Kinderheilstätte Wyk ergaben, dass 
für die Jahre 1915—16 hinsichtlich Gewicht, Länge, Brustumfang, 
Muskelkraft der armen und reichen Kinder, und hinsichtlich der Blut¬ 
beschaffenheit der armen Kinder kein Unterschied zwischen Frieden 
und Krieg vorhanden ist. Auch für die Herabsetzung der Immunität 
finden sich keine Zeichen. 

Benitta W o 1 f f - München: Spasmophlle Krämpfe im ersten 
Quartal der Säuglingszeit. 

Das Auftreten der Spasmophilie manifester Art im ersten Drittel 
der Säuglingszeit ist zwar viel seltener als im zweiten Drittel, aber 
doch auch nur als vereinzelt zu konstatieren. Jedenfalls ist ein Alter 
unter 3—4 Monaten kein zuverlässiger Ausschlussgrund für Spasmo¬ 
philie. 

Marcelle T r a u g o 11 - Frankfurt a. M.: Ueber die Punktion des 
Sinus longitudlnalis heim Säugling. 

Im Anschluss au eine nach der T o b 1 e r sehen Vorschrift vor¬ 
genommene Sinuspunktion, die beim ersten Einstich ohne Schwierig¬ 
keit gelang, trat eine Nachblutung aus dem Sinus auf, die nicfht nur 
zu einem subduralen, sondern auch zu einem subkutanen Bluterguss 
geführt hat und der der Säugling trotz späterer Entlastung erlegen ist. 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



886 


MUENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


Josef B a u e r - Düsseldorf: Beiträge zur aktiven Immunisierung 
gegen Diphtherie. 

Immunisiert wurde mit einer Mischung von Diphtherietoxin und 
Antitoxin mit geringem Oiftüberschuss. In den untersuchten Fällen 
war eine deutliche Steigerung des Antitoxingehaltes im Blut zu 
konstatieren. 

J. Parlane K i n 1 o c h - England: Beeinflusst die Kuhpocken- 
impfung die Gesundheit der Kinder, insbesondere den Ablauf der an 
geimpften Kindern später auftretenden Krankheiten in ungünstiger 
Weise? f 

Kein Anhalt dafür. Hecker. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1918. 
86. Band, 2. Heft. 

J. W. M i 11 e r - im Felde: Ueber die pathologische Anatomie und 
die Uebertragung der Weil sehen Krankheit. 

Mit Sicherheit kann die Diagnose der Weil sehen Krankheit 
am Sektionstische nur in unkomplizierten Fällen gestellt werden. 
Vorhanden müssen jedenfalls sein: die Spirochäten in Nierenschnitten, 
kleinfleckige, wachsige Muskelentartung und akute Nephritis. Dazu 
kommen dann noch eine Reihe histologischer Befunde, die zum Teil 
konstant sind. Der Eintritt der Spirochäte erfolgt nach Verf. im 
hinteren Abschnitt der Nasen- und Mundrachenhöhle. Den Primär¬ 
affekt bilden kleine Bläschen in den Tonsillarkrypten. Auch durch 
frische Kontinuitätstrennungen der Körperhaut kann eine Infektion 
erfolgen. Die Verbreitung geschieht in der Hauptsache durch den 
Kot und Harn von Ratten. Insekten spielen keine Rolle. 

P. Schmidt und W. S c h ü r m a n n - Halle: Zur Frage der 
Stärkekleisteranaphylaxie. 

Die Arbeit ist eine Erwiderung auf die Veröffentlichung von 
E. Friedberger und G. Joachimoglu „Ueber die vermeint¬ 
liche Anaphylaxiebildung aus Stärke“. Schmidt und Schür- 
inann entkräften durch neue Versuche die Einwände Fried¬ 
bergers und bezeichnen sie sämtlich als hinfällig. 

H. Ritz und H. S a c h s - Frankfurt a. M.: Die physikalische 
Theorie der Anaphylatoxinbildung. 

Auch diese Arbeit ist eine Entgegnung auf die ebengenannte 
Veröffentlichung von Friedberger und G. Joachimoglu, in 
der sie zu dem Schluss kommen, dass die Gegenbeweise Fried- 
bergers die von ihnen begründete physikalische Theorie zur Er¬ 
klärung der Anaphylatoxinbildung nicht erschüttern können. Die 
Einzelheiten beider Arbeiten könnten nur in längerer Ausführung 
wiedergegeben werden. 

F. Klose- Berlin: Bakteriologische und serologische Unter¬ 
suchungen mit einem zur Gruppe der Gas-Oedembazillen gehörenden 
Anaeroben. 

Aus Fällen von Gasödem wurden Stäbchen gezüchtet, die zu 
den anaöroben gehören und bei Pferden, Ziegen. Kaninchen, Meer¬ 
schweinchen, weissen Ratten und Mäusen das Krankheitsbild des 
malignen Oedems hervorrufen. Die Bazillen enthalten ein giftiges, 
filtrierbares Stoffwechselprodukt, welches den Tod der Tiere 'herbei¬ 
führt. Es wird bei einstiindigem Erwärmen bei 56° zerstört. Kanin¬ 
chen und Meerschweinchen konnten damit immunisiert werden. Das 
hergestellte Gift ist als echtes Bakterientoxin erkannt. 

Bruno Heymann - Berlin: Ueber die Verbreitungsweise der 
übertragbaren Darmkrankheiten. 

Während früher die Uebertragung der infektiösen Darmerkran¬ 
kungen fast ausschliesslich dem Trinkwasser zur Last gelegt wurde, 
hat sich doch allmählich die Anschauung durchgerungen, dass in der 
grossen Mehrzahl der Fälle eine Kontaktinfektion im Spiele ist. 
Hey mann konnte durch sehr beweisende und einleuchtende Ver¬ 
suche dies erhärten. Er prüfte experimentell zwei Möglichkeiten der 
Verschleppung, das Spülklosett und die an Haut und Unter¬ 
kleidern angetrockneten Bakterien. Brachte er ge¬ 
färbtes Wasser oder später Prodigiosuskulturen in das Wasser des 
Spülklosetts und setzte es in Tätigkeit, so konnte er um das Klosett 
herum bis zu 1 m Entfernung und auch bis etwa 1 m Höhe zahlreiche 
Tröpfchen und Keime wiederfinden. Noch interessanter verlief der 
zweite Versuch, bei welchem an der Gesässgegend am After Pro¬ 
digiosuskulturen verteilt wurden. Nach 4, 5, 7 und 8 Stunden wurden 
Unterbeinkleider und Strümpfe über Platten ausgeschüttelt und es 
zeigte sich dann, dass die an die Haut und an die Kleider ange¬ 
trockneten Keime in sehr bedeutender Menge auf den Platten wieder¬ 
gefunden werden konnten. Die Gefahr des Verstreuens der Bakterien 
beim Tragen von offenen Unterbeinkleidern bei Frauen ist, wie ein 
anderes Experiment zeigte, bedeutend grösser als beim Tragen von 
geschlossenen Beinkleidern. Damit ist sicher festgestellt, dass 
auch feinste, an der Haut und der Unterkleidung angetrocknete Kot¬ 
teilchen weiteste Verbreitung finden können. 

Hans L a n d a u- Berlin : Versuche über den Einfluss grosser 
iBM^ntziehungen auf die Antlkörperbüdung. 

. Verf. prüfte die Angaben Langers nach, der nach täglich 
wiederholten Blutentziehungen beim Kaninchen eine enorm hohe 
Titerbildung erzielt haben wollte. Die Resultate Langers konnten 
nicht bestätigt werden. 

R. Thiele- Lodz. Die Milchkontrolle in Polen links der 
Weichsel. 

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Da die Milchverhältnisse im besetzten Polen sehr viel zu 
wünschen übrig Hessen — es waren nicht weniger als 74 Proz. ver¬ 
wässert — richtete die deutsche Verwaltung Milchkontrollstationen 
ein, die bisher eine sehr segensreiche Tätigkeit entfaltet haben. 
Auffälligerweise wurden bisher keine Proben gefunden mit höherem 
Schmutzgehalt, wiewohl der Kleinbetrieb der Milchversorgung recht 
unsauber war. Es liegt das daran, dass fast überall Milchfilter be¬ 
nutzt werden. Frischhaltungsmittel konnten bisher nicht nach¬ 
gewiesen werden, ebenso auch keine Fälschungsmittel. 

Ludwig K e c k - Strassburg i. E.: Beitrag zur Klinik und Bak¬ 
teriologie der Ruhr. 

Nicht allein bei der Dysenterie Kruse-Shiga kann ein schweres 
toxisches Krankheitsbild entstehen, sondern auch bei der Y-Flexner- 
Ruhr. Gelenkrheumatismus und Konjunktivitis sind typische Ruhr- 
nachkrankheiten. Zwischen ihnen und der primären Ruhrerkrankung 
liegt ein zeitliches Intervall. Sie sind aber bisher nur sicher bei 
Kruse-Shiga-Ruhr beobachtet worden. 

Die Agglutination soll mit blossem Auge und mit der Lupe 
betrachtet werden. Für die Y-Agglutination ist der Titer 1:200 im 
allgemeinen beweisend. Für die Shiga-Kruse-Agglutination bereits 
der Titer von 1:100. Mit der Lupe sichtbare Präzipitationen sind 
dabei verwertbar, dagegen nicht beim Y-Typus. 

Friedrich Kanngiesser: Geschichtliche Beiträge zur Seuche 
des Thukydides. 

Polemik gegen Paul Richter. R. O. Neu mann- Bonn. 

Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 29, 1918. 

J. Orth- Berlin): Ueber Colitis cystica und Ihre Beziehungen 
zur Ruhr. 

Vergl. Bericht der M.m.W. über die Sitzung der Berl. med. Ges. 
vom 10. Juli 1918. 

E. H e r z f e I d und R. K I i n g e r - Zürich: Zur Chemie der 
luetischen Serumreaktionen. 

Während die ursprüngliche Annahme, dass die Wassermann¬ 
reaktion auf der Gegenwart spezifischer Antikörper beruhe, heute 
..kaum noch ernstlich verteidigt wird“, scheint die — auch von den 
Verfassern gestützte — Hypothese, dass es sich bei dieser Reaktion 
nicht um chemisch neuartige Körper handle, vielmehr um eine 
grössere Labilität gewisser Eiweissteilchen im Serum, sich durch¬ 
zusetzen. Die Schlüsse, welche Mein icke kürzlich aus der von 
ihm gefundenen Reaktion gezogen hat und sich auch gegen An¬ 
schauungen der Verfasser wenden, sind, wie letztere hier ausführen, 
nicht zutreffend. Die M.söhe Versuchsanordnung sagt über das 
Wesen der luetischen Serumveränderungen nicht mehr aus, als die 
schon bekannten Reaktionen. 

Schönstadt - Berlin-Schöneberg: Die operative Verengerung 
der Nasenhöhle. 

Abbildung und Schilderung des Verfahrens, das geeignet scheint, 
die Ozäna günstig zu beeinflussen. 

Neumann - Elberfeld: Der Ausbau der Heilfürsorge für Kriegs¬ 
beschädigte. Referat. 

Pick: Ueber die pathologische Anatomie des Paratyphus 
abdominalis. 

Verf. bespricht an der Hand eigenen Materials die schwierige 
Differentialdiagnose in pathologisch-anatomischer Hinsicht zwischen 
Typhus und Paratyphus abdominalis und sagt, dass, je mehr bei einem 
klinisch an Typhus erinnernden Verlauf im Sektionsbild, unter Zurück¬ 
treten oder Fehlen eigentlicher typhöser Veränderungen am parm- 
Lymphapparat, eine allgemeine Enteritis, kombiniert mit follikulären 
oder ulzerösen Prozessen das Bild bestimmt, desto eher an Para- 
typhus gedacht werden müsse. Ein pathognomonisches Zeichen 
pathologisch-anatomischer Art gibt es für den Paratyphus nicht. Die 
bakteriologische Leichendiagnose bleibt von grosser Wichtigkeit. 

Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 29 } 1918. 

Otto K a h 1 e r - Freiburg: Die Behandlung der Blutungen aus 
den oberen Luftwegen. Schluss folgt. 

Albert Fromme- Göttingen: Beitrag zur Behandlung der Hirn¬ 
zysten. 

Nach Hinweis auf die Schwierigkeit der Diagnose empfiehlt 
Verf., falls nicht eine Totalexstirpation möglich ist, was nur selten 
der Fall sein wird, Drainage der Zyste mit einer formalinisierten 
Kalbsarterie. 

H. S c 11 e r - Königsberg: Die tuberkulöse Infektion im Kindes¬ 
alter und ihre Bedeutung für die Phthise. 

Nach Hinweis auf die Anschauungen von Behring und auf die 
Zahl der Tuberkulösen kommt Verf. dahin, dass die Immunität gegen 
Tuberkulose wohl nur im Kindesalter erworben werden kann und 
dass sie verstärkt würd durch fortwährende Neuaufnahme von 
TuberkelbaziHen. Chronisch verlaufende Phthise beim Erwachsenen 
hängt mit der kindlichen Infektion zusammen, während in diesem 
Alter eine Infektion bei nicht vorbereitetem Körper schnell zum 
Tode führt. 

H. Schelble - Bremen: Klinisches über Ruhr bei Kindern. 

Verf. beobachtete im Kriege drei Ruhrepidemien, davon eine 
1917 von 82 Fällen, die zu 25 Proz. letal verlief. Per Verlauf war 

Original fram 

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fi. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


887 


bei Gpchwistern verschieden schwer. Unter den Erkrankten war 
kein Säugling. Es werden daim die Erscheinungen von seiten der 
einzelnen Organen besprochen. Die Prognose ist schwierig zu stellen. 
Ja sie weder von der Zahl der Stühle, noch vom Fieber, noch vom 
Auftreten von Erbrechen zu Beginn abhängt. Der Hauptwert der 
Behandlung wurde auf die Diät gelegt. Für den Fäll des Ausbruchs 
einer neuen Epidemie muss vor dem Genuss von rohem Obst und 
Salaten gewarnt werden. 

Gross: Ueber die Wirkung des Ruhrheilstoffs Boehncke. 

Auf Grund von 59 Fällen wird ausgeführt, dass in sehr schweren 
Fallen der Heilstoff versagt, bei Fällen mit Erscheinungen einer 
schweren Allgemeinintoxikation wird eine Kombination des sub¬ 
kutan zu gebenden Heilstoffs mit einer Vorgabe kleinerer Menge von 
Dysenterieserum empfohlen. In leichteren Fällen und in Fällen mit 
schweren örtlichen Erscheinungen waren die erzielten Erfolge sehr 
günstig. 

Rudolf Eden- Jena: Operative Lösung von Pleuraverwachsungen 
zwecks Anlegung eines künstlichen Pneumothorax. 

Um bisher aussichtslose Fälle von Lungentuberkulose zu be- 
iundeln, empfiehlt sich die Lösung eines grösseren verwachsenen 
Lungenabschnittes, so dass dann die Pneumothoraxbehandlung ein- 
ireten kann. 

B o de - Homburg: Deckung grosser Weichteildefekte mittels 
„Huffplastik“. 

Es wird an der Hand zweier Fälle die Berechtigung der von 
Sonntag eingeführten Muffplastik gezeigt, d. h. der Bildung eines 
Hautlappens aus der Bauchhaut bei Fehlen grosser Hautstücke. 

E. S a c h s - Königsberg: Die Gefahren der Nierenerkrankungen 
in der Schwangerschaft. 

Bei Nephropathia gravidarum braucht man nur sehr selten zur 
Unterbrechung der Schwangerschaft zu greifen, da die Erkrankung 
selbst, wie auch Komplikationen meist, ja fast immer vorbei gehen, 
ohne dauernde Störungen zu hinterlassen. Die akute Nephritis hat 
in der Schwangerschaft denselben Verlauf wie sonst. Vermutlich 
würde auch eine Unterbrechung der Schwangerschaft daran nichts 
ändern. 

Anders liegen die Umstände bei der chronischen Nephritis, 
wo es in der Schwangerschaft viel leichter zur Insuffizienz kommt 
als sonst. Die Prognose ergibt erst der Verlauf jedes Einzelfalles. 
Jede Komplikation,mit einem genuinen Herzfehler bedingt eine grosse 
Gefahr. Es besteht ein sicherer Zusammenhang mit vorzeitiger 
Plazentaablösung. Oft genug ist man vor die Frage der Indikation 
ues künstlichen Abortes gestellt. 

Fritz Lesser: Kriegswissenschaftliche Beiträge zur Syphilis. 

In etwa 50 Proz. wurde bei Puellis publicis nur durch die 
Wasser m ann sehe Reaktion die Syphilis festgestellt. während 
klinische Erscheinungen fehlten. Extragenitale Luesinfektionen sind 
selten. Abortivkuren von drei Injektionen von Neosalvarsan ge¬ 
nügen. solange die Bhituntersuchung negativ ausfällt. 

Ernst Lyon: Wirbelschmerzen bei Malaria. 

In einem kleinen Prozentsatz der Malariakranken kam es zu 
Wirbelschmerzen beruhend auf Mehrarbeit des Knochenmarks und 
aut toxischer Schädigung desselben. 

T e b r i c h: FHegendichte, versetzbare Kastenlatrine. 
Beschreibung und Art der Aufstellung. 

Bocnheim - Rostock. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Leipzig. April—Juni 1918. 

Miersch Arndt: Ueber Exstirpation eines grossen Schulter¬ 
sarkoms. 

Kurlus Wladislaus: Ueber vorzeitige Mutterschaft. 

Weber Richard August: Die Hüftgelenksexartikulation und ihre 
Ausführung nach heutiger Kriegserfahrung. 

Tröster Franz: Ein Fall von Pulsionsdivertikel der Speiseröhre. 
L n h d e Paul Gerhard: Statistik sämtlicher Fälle von Hyperemesis 
gravidarum an der Universitäts-Frauenklinik zu Leipzig von 1887 
bis 1914. 

Döring Heinrich Otto Konrad: Beiträge zur Kenntnis der ange¬ 
borenen Herzfehler. 

Kempf Hans Richard: Ueber die Bedeutung der Nebennieren¬ 
blutungen für den plötzlichen Tod. 

Lien har d Ernst Otto: Ueber kutane Tuberkulinbehandlung nach 
Ponndorf. 

Backhaus August Reinhold Eduard Erich: Ueber den Einfluss der 
Kopfhaltung bei einem besonderen Fall der Lageempfindung. 
Landau Walter Richard: Ueber Kehfkopfverletzungen durch 
Selbstmordversuch. 

K ed z i er ski Bronislaus: Ueber zwei Fälle von Tabes dorsalis mit 
seltener beobachteten Lähmungserscheinungen im Bereich der 
Hirnnerven. 

Mehlborn Charlotte: Ueber einen Fall von Myosarkom des 
Darmes. 

Hey mann Otto: Ueber die Beziehungen zwischen Lungenentzün¬ 
dung und akuten Infektionskrankheiten des Kindesalters im 
Königreich Sachsen. 


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Vereins- und Kongressberichte. 
Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 20. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Scharfe. 

Schriftführer: Herr S t i e d a. 

Herr Grund zeigt einen Soldaten, der bei einer Verschüttung 
vor etwa 6 Monaten eine Quetschung des linken Unterschenkels er¬ 
litt. Es besteht ein tonischer Krampizustand in der Unterschcnkei- 
muskulatur, besonders in der Wade. Während der M. soleus stän¬ 
dig hart kontrahiert ist, ist an den Bäuchen des M. gastroenemius 
meist nur der äussere kontrahiert, von den dorsalen Muskeln des 
Unterschenkels meist nur der M. extensor hallucis. Nach aktiven 
Bewegungen Vermehrung des Krainpfzustandes, der sich in den für 
gewöhnlich ireien Muskeln nach einigen Sekunden unter starkem 
Muskelwogen löst; elektrisch ähnliches Verhalten. Die ständige 
Kontraktur ist so stark, dass das Kniegelenk nur mit starker Ge¬ 
walt gestreckt werden kann und ausgesprochener Spitzfuss be¬ 
steht: entsprechender Gang. 

Es handelt sich hier um einen organischen Muskelkrampf peri¬ 
pheren Ursprungs, wie er in Verbindung mit Myokymie bekannt ist. 
Ungewöhnlich ist aber der hohe Grad und das beständige Andauern 
des Krampfes. Man kann hier von einer myokymischen Kontraktur 
sprechen. 

Der Vortr. w r eist auf die grosse Gefahr hiiiu, solche Dinge 
für hysterisch zu halten. Es erhebt sich die Frage, ob nicht manche 
bisher für hysterisch angesprochene Kontraktur tatsächlich hierher 
gehört. 

Dass die vom Vortr. gegebene Erklärung richtig war, ergab eine 
wenige Tage nach der Vorstellung vorgenommene Lumbalanästhesie, 
während deren der Krampf zwar teilweise verschwand, dafür aber 
die Myokymie der befallenen Muskulatur sich in ganz ungewöhn¬ 
lichem Masse verstärkte, auch die elektrischen Veränderungen noch 
deutlicher wurden. 

Herr B. Pfeifer: Zur Lokalisation der Motilität und Sensibili¬ 
tät in der Hirnrinde. 

Nach einem Ueberblick über die historische Entwicklung und den 
gegenwärtigen Stand der Lehre von der Lokalisation der Motilität 
und Sensibilität in der Hirnrinde betont der Vortragende, dass die 
zahlreichen während des Krieges zur Beobachtung kommenden Fälle 
von Schussverletzungen des Gehirns besonders geeignet sind, zur 
Klärung der Frage beizutragen. In dem Sonderlazarett für Hirn¬ 
verletzte an der Landesheilanstalt Nietleben, zeigten unter 100 Fällen 
von Schussverletzungen des Gehirns 40 keinerlei motorische oder 
sensible Ausfallserscheinungen. Hierbei handelte es sich in der 
Hauptsache um Stirn-, Schläfe- und Hinterhauptsverletzungen. Die 
übrigen 60, deren Schussverletzungen im wesentlichen die Zentro- 
parietalgegend betrafen, zeigten motorische und sensible Halbseiten¬ 
störungen, und zwar war die Motilität und Sensibilität in 49 von 
diesen Fällen gemeinsam, wenn auch häufig in verschiedenem Grade 
betroffen, während es sich bei den übrigen 11 Fällen 5 mal um teils 
reine, teils fast reine motorische und 6 mal um teils reine, teils fast 
reine sensible Sensibilitätsstörungen handelte. Die Fälle werden im 
einzelnen genauer besprochen und an der Hand von Protektionen er¬ 
klärt. 

Die vorliegenden Kriegserfahrungen liefern eine Bestätigung der 
schon früher, wenn auch nicht häufig gemachten klinischen Beobach¬ 
tungen im Sinne der dualistischen Lehre der getrennten Lokalisation 
von der Motilität und Sensibilität im Gehirn. Sie stehen im stärksten 
Widerspruch zu der Anschauung von D e j e r i n e und L o n g. dass 
einerseits Motilitätsstörungen ohne Sensibilitätsstörungen und 
andererseits Sensibilitätsstörungen ohne Motilitätsstörungen bei orga¬ 
nischen Erkrankungen nicht Vorkommen. Dagegen stehen sie im 
Einklang mit den anatomisch-lokalisatorischen und experimentell¬ 
physiologischen Tatsachen. 

(Autoreferat. — Ausführliche Veröffentlichung erfolgt in der 
D. Zschr. f. Nervenhlk.) 

Besprechung: Herren Anton, Grund, Pfeifer. 

Herr K. Brodmann: Zur Lage des Sehzentrums. 

Nach den neuesten Erfahrungen ist das kortikale Sehzentrum, 
d. h. dasjenige Rindengebiet, von dem aus ausschliesslich hemi- 
anopische Gesichtsfelddefekte Zustandekommen, identisch mit einem 
umschriebenen tektonischen Rindenfelde, der durch den Kalkarina- 
typus ausgezeichneten Area striata. Dieses histologische „Sehfeld“ 
w ? eist, wie Vortr. an Lichtbildern von verschiedenen Gehirnen zeigt, 
weitgehende individuelle 'Variationen seiner Topographie auf. Die 
Variationen betreffen die Gesamtlage des Feldes in der Okzipital¬ 
rinde, die relative Ausdehnung auf der lateralen und medialen Seite 
der Hemisphäre, seine Flächengrösse und Flächengestaltung, die Be¬ 
ziehungen zu gewissen Haupt- und Nebenfurchen des Hinterhaupt¬ 
lappens und schliesslich den Anteil der freien und der Furchenrinde 
an der Gesamtfläche des Feldes. Namentlich die Unterschiede in 
der lateralen und medialen Ausdehnung sind wesentlicher Art, kli¬ 
nisch bedeutungsvoll und so erheblich, wie man bisher nicht einmal 
ahnen konnte. Durch die Feststellung solcher topographischer Ab¬ 
weichungen, insbesondere durch den Nachweis, dass bei manchen 


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MUENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


Gehirnen das Sehfeld um den Okzipitalpol herum weit auf die la¬ 
terale Fläche der Hemisphäre übergreift, während es bei der Mehr¬ 
zahl nur einen kleinen Bezirk nach aussen* vom Pol umfasst oder 
sich ganz auf diesen selbst beschränkt und sogar bei einem Bruch¬ 
teil der Gehirne ausschliesslich an der Innenseite der Hemisphäre 
liegt, können vielleicht gewisse Widersprüche über die Lage der kli¬ 
nischen Sehsphäre, wie sie namentlich in den Auffassungen von 
Henschen und Monakow bestehen, wenigstens teilweise und 
in einzelnen fällen ihre Aufklärung finden. 

(Ausführliche Veröffentlichung später!) 

Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 25. April 1918. 

Herr Kisskalt: Abweichungen von der durchschnittlichen 
Konstitution und Krankheitsdisposition. 

Das von Q u 6 t e 1 e t zuerst gefundene Gesetz, dass man bei 
Massenmessungen in der Natur einen bestimmten Wert am häufigsten 
findet, und dass Abweichungen um so spärlicher sind, je bedeutender 
sie sind, hat beim Menschen am meisten Bestätigungen durch Längen¬ 
messungen gefunden. Auch für Funktionen des Organismus gilt es, 
z. B. für die Giftdisposition. Injiziert man Ratten etwa die tödliche 
Dosis von Koffein, so findet man auch bei g'leichalterigen Tieren nicht 
unbeträchtliche Differenzen, zahlreiche Tiere von mittlerer Empfind¬ 
lichkeit, wenige von grosser und geringer. Für Tetanusgift lassen 
sich keine Unterschiede in der Giftdisposition nachweüsen. Die 
Ursache bei Koffein ist die Ausscheidung durch die Niere. 

Auch bei Desinfektionsversuchen zeigt sich verschiedene Wider¬ 
standsfähigkeit der Bakterien. Nach der einen Auffassung geht die 
Abtötung nach dem Exponentialgesetz und würde wie die mono¬ 
molekularen Reaktionen verlaufen. Nach der anderen entspricht der 
Verlauf etwa dem Binomialgesetz, wie die erwähnte Giftdisposition. 
Ersteres ist anscheinend der Fall bei starken, letzteres bei schwachen 
Desinfektionsmitteln. Ebenso gehen* auch chemische Umsetzungen 
vor sich, indem z. B. beim Zusammenhängen von Hundertstel nor¬ 
maler Kaliumpermanganat- mit Oxalsäurelösung die Umsetzungs- 
geschwindigkeit nach einer Inkubationszeit allmählich ansteigt. und 
von der höchsten Höhe in einer Kurve, die der Exponentialkurve 
ähnlich ist, wieder abfällt. 

Herr Frey: Wesen und Behandlung der absoluten Herz- 
unregelmässlgkelt. 

Einleitend spricht der Vortragende über die Erkennung der 
absoluten Herzunregelmässigkeit aus der Palpation des Pulses und 
ihre Abgrenzung vor allem gegenüber extrasystolischen Arrhythmien. 
Die Unterscheidung ist wesentlich, weil der Puls, irreg. abs. fast stets 
ein ernsteres Leiden darstellt, während Extrasystolen keinerlei 
direkte Rückschlüsse erlauben hinsichtlich des Zustandes des Herz¬ 
muskels. 

Nach einem kurzen historischen Ueberblick wird an Hand von 
Pulskurven und Elektrokardiogrammen der Nachweis geleistet, dass 
das Wesen des Puls, irreg. abs. in Flimmern der Vorhöfe besteht. 
Unter 100 Fällen mit absoluter Herzunregelmässigkeit findet sich bei 
44 Fällen ein Klappenfehler mit akuter oder chronischer Endo¬ 
karditis. bei 32 Fällen die Zeichen einer allgemeinen Arteriosklerose. 
Aus diesem Befund zusammen mit dem Ergebnis der mikroskopischen 
Untersuchungen der pathologischen Anatomen ist der Schluss zu 
ziehen, dass bei den meisten Fällen von Puls, irreg. abs. der Herz¬ 
muskel organisch geschädigt iist. Dementsprechend wird in jedem 
einzelnen der 100 Fälle das Individuum nachweisbar vermindert 
leistungsfähig gefunden, wenn auch eine gewisse Arbeitsfähigkeit 
bei 4 Fällen erhalten ist. Während die Therapie sich bis jetzt aus¬ 
schliesslich darauf beschränkte, durch Digitalispräparate die un¬ 
günstigen Folgen der Tachykardie für die Zirkulation zu vermindern, 
ist es nun gelungen, in Chininpräparaten, namentlich dem Chinidin, 
ein Mittel ausfindig zu machen, welches das Vorhofflimmern* an sich 
zu beseitigen vermag. An Hand tabellarischer Zusammenstellungen 
wird der überraschend günstige Einfluss des Chinidins auf Puls¬ 
frequenz, Diurese und subjektives Befinden der Kranken dargetan 
und durch die entsprechenden Elektrokardiogramme der Beweis ge¬ 
liefert, dass bei 7 von 12 Fällen wenigstens vorübergehend das 
Vorhofflimmern normaler Schlagfolge Platz machte. Bei einer 
Dosierung von 3 X0,4 g Chinidin täglich während 3—6 Tagen stellen 
sich keinerlei unangenehme Erscheinungen ein; bei einem Fall be¬ 
stand eine auffallende Empfindlichkeit gegenüber Chinidin, indem 
schon nach 2iX 0,4 g ohnmachtsähnliche Zustände gefolgt von 
zerebraler Erregung einsetzten. Es scheint wünschenswert, das 
Präparat auf breiterer Basis auf seine Brauchbarkeit zu prüfen. 

Diskussion: Herr Heine ist nach eigener Beobachtung 
des Falles, welcher nach Chinidin die erwähnten zerebralen un¬ 
erwünschten Symptome darbot, der Ansicht, dass es sich dabei nicht 
um die bekannten Chinin-Gefässwirkungen handelte, sondern um 
einen hysterischen Zustand. Eine systematische Untersuchung ver¬ 
schiedener Fälle vor und nach der Chinidinverabreichung mit Hilfe 
der Adaptationsmethode ergab keinerlei Beeinträchtigung des Seh¬ 
vermögens, so dass das Präparat jedenfalls mit Rücksicht auf das 
Sehorgan unbedenklich verabfolgt werden kann. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 8. April 1918. 

Vorsitzender: Herr Moses. 

Schriftführer: Herr H ü t z e r. 

Herr Rubensohn berichtete über einen Rückenmarkstumor 
bei einer bisher völlig gesunden 17 jährigen Patientin. Die Erkran¬ 
kung manifestierte sich in zunehmenden Schmerzen, ausstrahlend vom 
11. Dornfortsatz in beide Oberschenkel. Nach 3 Monaten gesellte 
sich spastische Paraparese in beiden unteren Extremitäten hinzu, 
sowie ein völliges Fehlen der unteren Bauchdeckenreflexe. Nach 
einigen Wochen tritt Patellar- und russklonus bei positivem Ausfall 
des Babinsky sehen und Oppenheim sehen Phänomens hinzu, 
sowie zonenförmige Hypästhesie von unterhalb des Nabels bis direkt 
3 Querfinger oberhalb der Leiste ein, von dort an völlige Anästhesie. 
Nach Ausschluss der differentialdiagnostisch möglichen Rückenmarks¬ 
affektionen stellt Referent die Wahrscheinlichkeitsdiagnose einer Ge¬ 
schwulst der Rückenmarkshaut in Höhe des 10. Dorsalsegmentes. Die 
Operation führte zur Entfernung eines 2 cm langen, 1 Vs cm breiten 
und 2 cm dicken gutartigen Neurofibroms der Rückenmarkshaut in 
Höhe des 12. Dorsalsegmentes. Die Tatsache der fälschlich etwas zu 
hoch lokalisierten Geschwulst wurde erklärlich durch die, wie ge¬ 
wöhnlich in solchen Fällen bedingte, starke Liquoranhäufung ober¬ 
halb der Geschwulst, ferner aber durch eine allerdings fragliche 
Meningitis serosa circumscripta, die sich dem äusseren Auge durch 
die sulzige, umschriebene Veränderung der Dura in Höhe eben des 
10. Segmentes offenbarte, so dass eben durch diese Veränderung 
direkt oberhalb der Geschwulst diese selbst fälschlicherweise an 
Stelle der entzündlichen meningealen Veränderung vermutet wurde. 
Auf Grund seiner Beobachtung kommt R. zu dem Schluss, dass nur 
der Bezirk einer erheblicheren Kompression des Markes als der für 
die Segmentdiagnose wichtigste Ort in Frage kommt, so dass durch 
die oberste Grenze der lokalen Anästhesie das dieser anästhetischen 
Zone zugehörige Rückenmarksegment als der Sitz des Krankheits¬ 
herdes zu gelten habe, dass aber der Hautbezirk mit einer geringeren 
Herabsetzung des Gefühl-etc.-Vermögens schon einer Zone des 
Markes entsprechen kann, die nicht von) der Geschwulst selbst, son¬ 
dern sekundär durch eine durch die Kompression bedingte Liquor¬ 
stauung, Meningitis serosa, verursacht wird. Patientin ist nach Ab¬ 
lauf von 3 Monaten als völlig geheilt entlassen und übt zurzeit ohne 
jegliche Beschwerden ihre frühere Beschäftigung wieder aus. 

Herr Huismans: l.ein Fall von Mediastinaltumor: 13jähriger 
Junge mit stark gedunsenem zyanotischem Gesicht, Anasarka der 
Beine und starkem Caput Medusae. Ueber dem Corpus sterni ein 
han-dtellergrosses Feld von Teleangektasien. Mediastinum per¬ 
kutorisch stark verbreitert. Herztöne rein. Im Röntgenbild raum¬ 
beengender Tumor mit scharfer Abgrenzung gegen die Lungen, der 
nur als Sarkom gedeutet werden konnte. Operation kam nicht in 
Frage. Tod nach kürzester Zeit. Sektion verweigert. 

2. Einiges aus dem Gebiete des Vagus. 

a) ein Fall von Herzdissoziation: 66jähriger Herr, der wenige 
Tage nach der Hospitalaufnahme unter zunehmenden Dekompen¬ 
sationserscheinungen zugrunde geht. Riva-Rocci* systolisch 210; 
2. Aortenton klappend, Transsudat links, im Urin etwas Eiweiss. 
Pulsfrequenz dauernd 28 p. m. bei einem Jugularvenenpuls von 
ca. 104. Diagnose: Arteriosklerosis, Nephritis chron.. schwielige 
Myokarditis, Dissociatio cordis infolge Schwiele jn- der Reizleitung 
(Atrioventrikularknoten). Da Patent angab, mehrfach hmgefallen zu 
sein, musste an Adams-Stokes (Reizleitungstyp) gedacht werden. 

Die Sektion ergab eine Schwiele im Atrioventrikularbündel als 
Ursache der Dissoziation. 

Der Vortragende verbreitet sich über die normale Reizleitung. 
Die beim Adams-Stokes auftretenden Ohnmachts- und Krampfanfälle 
erklären N a g a y o und viele andere durch die Annahme einer durch 
den Kammersystolenausfall erzeugten Anämie des Gehirns bzw. der 
Medulla oblongata. Weshalb gibt es aber so viele Fälle von Disso¬ 
ziation ohne Adams-Stokes? Nach Huismans spielt entweder 
der zeitweise Kammersystolenausfall mit seinen plötzlichen Schwan¬ 
kungen in der Blutversorgung eine Rolle oder aber bei dauernder 
Dissociatio cordis eine allgemeine Arteriosklerose, die zur Epilepsie 
oder ihren Aequivalenten führt (cf. M.m.W. 1909 fll u. 12]). 

b) zwei Fälle von Sanduhrmagen: Klinisch war für beide Fälle 
charakteristisch, dass bei vorhandener okkulter Magenblutung und 
herabgesetzter freier HCl sich im Fundusteil konstant eine tiefe 
Furche der grossen Kurvatur zeigte, welche wie ein Finger auf den 
Sitz des diagnostizierten Ulcus hinwies, und dass die Speisen nur 
durch eine enge Passage an der kleinen Kurvatur zum Pylorus ge¬ 
langen konnten. Mässige Unterschiede in der Breite der Stenose 
konnten schon im Röntgenbilde nachgewiesen werden. Es wurde 
angenommen, dass das Ulcus die ganze Zirkumferenz des Magens 
narbig zusammenziehe und so den engen Kanal erzeuge. Da breiige 
Speisen sehr schlecht durchgingen und insbesondere bei der ersten 
Patientin nach jeder Mahlzeit starke Schmerzen auf traten, wurde 
Operation empfohlen. In beiden Fällen war das Resultat ein gutes 
und dauerndes. Die Querresektion des in beiden Fällen stark ver¬ 
wachsenen Magens bestätigte die Diagnose. 


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6. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


889 


War nun im Röntgembikl schon die wechselnde Grösse der 
Passage zwischen Fundus und Pylorusterl auffallend, so passte die 
grosse innere Zirkumferenz des resezierten Magenstückes in keiner 
Weise zu dem klinischen Bilde. Im zweiten Falle konnte noch nach 
3 tägiger Härtung in Formalin ein innerer Stenosenumfang von 9 cm 
iestgestellt werden, während das Röntgenbild — perspektivische Ver¬ 
größerung inbegriffen — einen Durchmesser der Stenose von 1,5 bis 
2,0 cm ergab. Rechnete man bei letzterer für die Magenwand zwei¬ 
mal 0,5 cm ab, so blieb für die Passage 0,5—1,0 cm und der Umfang 
war dementsprechend gleich 1,57—3,14 cm. 

Der Unterschied konnte mir auf einem Spasmus beruhen, der 
neben der Narbenstenose bestand. Die Anschauungen über die 
Genese des Sanduhrmagens erfuhren eine wesentliche Aenderung. 
Ursprünglich wohl immer als „anatomischer“ Sanduhrmagen 
(cf. Emmo Schlesinger: Die Röntgendiagnostik, 1917) aufgefasst 
und als durch Narben (Ulcus, perigastritische Prozesse, Karzinom etc.) 
entstanden angesehen, präsentiert er uns im Röntgenbilde eine erheb¬ 
liche, im zweiten Falle den Umfang der Stenose auf A verkleinernde 
spastische „funktionelle“ Komponente. 

Das wäre an sich nichts besonderes. Auffallend und unerklärlich 
ist aber, dass sich auch hier wieder eine Kontraktion der glatten 
Muskulatur anscheinend dauernd erhält, dass dieselbe dem Sonden¬ 
druck unter Umständen leicht nachgibt, und auf Atropin, wie H. beim 
Kardiospasmus und andere auch beim Sanduhrmagen bemerkten, 
zeitweise verschwindet. Holzknecht und S g a 1 i t z e r ver¬ 
wandten 0,05—0,08 Papaverin ante coenam mit demselben Erfolg. 
Die Einwirkung dieser Mittel erfolgt auf dem Wege über den Magen¬ 
vagus, welcher mit seinen dünnen Markröhrchen und marklosen 
Fasern auf die GangRenzellenhaufen des Magens im Sinne der Be¬ 
schleunigung der Motilität resp. eines Spasmus wirkt (cf. R. L. M ü 1 - 
ler: D. Arch. f. klm. Med. Bd. 100). 

Es bleibt nur die Frage, ob und weshalb der Spasmus wirklich 
dauernd persistiert. Selbst wenn eine abnorme Erregbarkeit besteht 
— und vielleicht gerade dann —, muss jede Muskulatur einmal er¬ 
müden. Huismans hält deshalb den anscheinend persistierenden 
Spasmus doch nur für einen intermittierenden durch den Reiz der 
Nahrung oder überhaupt eines anderen Ingestums (Bariumbrei) her- 
vorgerufenen, der nur so lange besteht, als noch Ingesta in dem zu- 
tührenden Magenteil sich befinden. Deshalb ist auch eine Kontrolle 
im Röntgenbild nicht möglich. 

Die vorgestellten Fälle beweisen wieder, dass das Röntgenbild 
doch häufig zu Fehlschlüssen führt und dass das letzte Wort immer 
von der Autopsia in vivo aut mortuo gesprochen wird. 


Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 28. Februar 1918. 

Herr Wendel: Chirurgische Demonstrationen. 

Herr The u erkauf berichtet über einen Fall von akutem 
Ileus duodenalis. 

Es handelte sich um einen hochgradig nervösen Herren von 
43 Jahren. Vor 18 Jahren hatte er eine Lues. Er litt an leichter 
Reizbarkeit und langanhaltender Verstimmung nach Aerger und Ver¬ 
druss. Idiosynkrasien zeigten sich schon in cjer Kindheit. Er konnte 
kein Obst essen und Aepfel nicht einmal riechen, er musste danach 
btechen. Bis zu seinem 12 .Jahre hatte er oft Schmerzen in der 
Nabelgegend und es sich seitdem angewöhnt, vor jedem Verlassen 
der Wohnung diese Gegend zu betasten und zu beklopfen. Als 
junger Mann litt er unter leichtem Erröten. Er schwitze und schwitzt 
noch jetzt viel und leicht. 

Vor dem Kriege Biertrinker (täglich 6—8 Schoppen Echtes), war 
sein Gewicht während des Krieges von 235 Pfund auf 160 Pfund 
hernntergegangen. 

Eines Tages erregte ihn ein von seinem Bruder in einer Erb¬ 
teilungssache geschriebener Brief ausserordentlich. Er konnte vor 
Aerger den ganzen Tag nichts essen und ging abends in die Kneipe. 
Am folgenden Tage heftige Auseinandersetzung, als Pat. seinen Bruder 
von der Bahn abholte. Auf dem Heimwege starkes Druckgefühl 
vor dem Nabel, Ucbelkeit, aber kein Erbrechen. Am folgenden Tage 
schleimig-bräunliches Erbrechen. 

23. XI. Bei der Untersuchung klagte er über Schmerzen in der 
Nabelgegend. Rechtsseitige Pupillenstarre auf Licht- und Akkommo¬ 
dation, linke Pupille weiter als die rechte, langsam reagierend. 
Sehnenreflexe vorhanden. Magengegend etwas druckempfindlich, 
massig gewölbt. Schmerzen oberhalb und unterhalb des Nabels und 
nach dem Rücken hin. Leib weich, nirgends aufgetrieben. Bauch¬ 
decken schlaff, mit zahlreichen Striae. Stuhl vor 2 Tagen, Abgang 
von Winden spärlich. Bitteres Aufstossen. 

24. XI. ruckweise einsetzende, heftigere Schmerzen, die lange 
.inhielten, abends grünliches Erbrechen. 

In der Nacht vom 24.125. XI. Erbrechen grosser Mengen grau¬ 
grüner, nicht fäkulent riechender Flüssigkeit. Stuhl und Winde aus- 
gcblieben, grosser Durst. 

Magengegend voll und prall. Stand des unteren Magenrandes 
etwa 2 Querfinger oberhab des Nabels. Plätschergeräusch, keinerlei 
peristaltische Wellen, keinerlei Druckempfindlichkeit. Die Gegend 
unterhalb des Nabels schlaff, weich, nirgends aufgetrieben. Nach dem 


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Einführen des Magenschlauches flössen 2 Liter einer grasgrünen 
Flüssigkeit von selbst heraus. Darnach ist die Magengegend zu¬ 
sammengefallen und weich. Spülung. Hoher Einlauf und subkutan 
15 mg Morphium mit Vs mg Atropin. 

Am 26. und 27. XL kein Erbrechen. Magenspülungen und hohe 
Einläufe. Subkutane Injektionen. 

Am 28. XI. Bauchlage und wegen sichtlichen Kräfteverfalles Er- 
nährungstropfklistiere mit Zuckerwasser und Peptonwasser. 

Am 29. XL nach dr hohen Eingiessung Abfluss von etwas kotig 
gefärbtem Wasser, dem einige schwache Winde folgten. Patient ver¬ 
trägt die Bauchlage nicht, er empfindet sie unangenehm, deshalb rechte 
Seitenlage. 

30. XI. gehen vormittags die ersten kräftigen Winde ab, der 
Magen ist bei Einführen des Magenschlauches aber immer noch mit 
etwa 1 Liter einer gelblichen Flüssigkeit gefüllt. Am Nachmittage 
2 mal dünner wässeriger Stuhl und reichlich Winde. 

An den folgenden Tagen noch leichte Delirien und mehrmals 
unwillkürlicher Stuhlabganig. Vom 4. XI. ab vollkommen klar und 
schnelle Genesung. 

Am 26. I. zeigte Aufblähung des Magens Stand der unteren Kur¬ 
vatur 4 Querfinger oberhalb des Nabels, Magengegend dabei nicht 
gewulstet. Wassermann negativ. Nach Probefrühstück Gesamt¬ 
azidität 50, freie HCl 30. 

Am 24. XII. und 10. I. nach Beschäftigung mit dem Weihnachts¬ 
baum ziehende Schmerzen vom Nabel nach der Blinddarmgegend mit 
zahlreichen gurrenden Geräuschen. Gelegentlich eines Sprech¬ 
stundenbesuches fühlt die aufgelegte Hand eine kleinfaustgrosse sich 
steifende und dann wieder erschlaffende Dünndarmschlinge. 

Nach kurzer Schilderung der Symptome und der Theorien, von 
denen die eine die Ursache in einer akuten Magendilatation bzw. 
Atonia gastro-duodenalis, die andere in einem primären mesenterialen 
Atonia gastro-mesenterialen Darmverschluss sieht, und eine dritte 
Magenatonie und arterio-mesenterialen Darmverschluss als ge¬ 
sonderte Krankheiten auffasst, bekennt sich der Vortr. als Anhänger 
der Theorie der primären Magen-Zwölffingerdarmatonie und des 
sekundären Darmverschlusses. Auf der Höhe der Krankheit be¬ 
herrschen das Krankheitsbild die Erscheinungen des sekundären Darm¬ 
verschlusses. Fällen, in welchen der leere, zusammengefallene Dünn¬ 
darm im kleinen Becken liegend gefunden ist, während die gespannte 
Gekrösewurzel das Duodenum komprimierte, erklärt er sich so ent¬ 
standen, dass während der Entwicklung der Magenatonie die Peri¬ 
staltik den Dünndarminhalt austrieb und dass der nun leere, von 
keinem Darmgas geblähte Dünndarm infolge seiner Schwere in das 
kleine Becken sank, dabei die Gekrösewurzel spannend. Ein fett-* 
armes Gekröse hält er für günstig zur Herbeiführung diieses Vor¬ 
ganges und erklärt sich damit die Häufigkeit des Auftretens der 
Krankheit bei fettarmen Personen. 

Dass ohne primäre Magenatonie eine durch Erschlaffung der . 
Bauchdecken und Schwund der Fettansammlung im Gekröse ent¬ 
standene Straffung des Mesenteriums den Darmverschluss herbei- 
führen könne, hält er für unwahrscheinlich. 

In der jetzigen Kriegszeit, in welcher die Fettbäuche geschwunden 
und die Bauchdecken bei vielen Personen erschlafft sind, hätte man 
eine Zunahme des duodenalen Ileus bemerken müssen, was, soweit 
ihm bekannt, nicht der Fall sei. Ausserdem sprächen die von anderen 
Autoren geltend gemachten Gründe dagegen (Ausbleiben der venösen 
Stase, Fehlen von Nekrosen und entzündlichen Veränderungen in der 
Gegend der Einklemmungsstelle, nicht immer beobachtete Begrenzung 
der Duodenalblähung am Mesenterialansatz, häufig ganz fehlende 
Schmerzen, was wegen der äusserst empfindlichen Gekrösenerven 
bei Zerrung am Gekröse nicht möglich sein soll). 

Als Ursachen solcher Magenatonien werden Narkosen, die schon 
normalerweise häufig kurzdauernde Atonien hervorrufen, toxische 
Einwirkungen auf das Zentralnervensystem bei Infektionskrankheiten, 
Traumen oder nervöse Einflüsse angegeben. Neuerdings erklärt 
Bruine Ploos van Amstel in einem in den Würzburger Abhand¬ 
lungen erschienenen Aufsatze alle Fälle als auf nervösem Wege ent¬ 
standen und beschuldigt insonderheit eine vegetative Neurose als 
eigentliche Ursache. Er gibt danach dem Krankheitsbilde einen be¬ 
sonderen Namen, nämlich neurotischen mesenterialen Darmverschluss. 

Zu diesem gehört nach Ansicht des Vortr. der oben beschriebene 
Fall. Denn die neuropathische Konstitution des Patienten lässt sich 
bis in die Kinderjahre verfolgen. Die heftigen, sich um den Nabel 
hinziehenden Leibschmerzen während seiner Kindheit werden als 
periodisch wiederkehrende kolikartige Leibschmerzen, sog. rezidi¬ 
vierende Nabelkoliken eines neuropathischen Kindes gedeutet. — 

In das Gebiet des vegetativen Nervensystems, zur Vagotonie ge¬ 
hörig, wirid gerechnet die Ueberempfindlichkeit gegen besondere 
Gerüche, verbunden mit nervösem Erbrechen, das leichte Erröten und 
Schwitzen und ferner die auch jetzt im Januar beobachtete spastische 
Darmsteifung. Neuropathisch ist seine tiefgehende, das Normale weit 
überschreitende Gemütsdepression, nach Aerger und Aufregung. 

Ob nun diese oder etwas anderes das die Atonie auslösende 
Moment darstellt, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen, ist aber nicht 
ganz von der Hand zu weisen. 

Ob die van Amstel sehe Theorie für alle Fälle gültig ist, 
wie er behauptet, wird erst weitere Beobachtung zeigen müssen. 

Bei der Behandlung spielt die Hauptrolle die Schnitzler sehe 
Bauchlage, die empfohlen wurde in der Idee, den einschnürenden 

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890 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


Saum der Qekrösewurzel dadurch wieder zu lüften, dass der nach 
abwärts gefallene Darm nach oben zurückfallen soll. Sie bewährt 
sich zur Behebung des Duodenalverschlusses, ganz gleichgültig, ob 
er als primärer oder als sekundärer angenommen wird. In manchen 
Fällen war die Wirkung geradezu überraschend, schon einige Minuten 
nach der Umlagerung hörte das Erbrechen auf und Flatus erschienen, 
in anderen Fällen dauerte es längere Zeit und in manchen Fällen 
blieb die Wirkung aus. 

Vortr. erklärt sich dies aus dem Grade und der Ausdehnung der 
Atonie. Ist die Atome eine leichte, z. B. bei Reflexatonien nach 
Bougieren, Katheterisieren, Bauchoperationen usw., so kann ein 
plötzlicher Umschlag der Krankheitserscheinungen durch die Bauch¬ 
lage mit erhöhtem Becken hervorgerufen werden, weil nach dem 
Abfluss der Magen-Duodenalflüssigkeit der Tonus sich schnell wieder¬ 
herstellt und das die Wiederherstellung verzögernde und schädigende 
Moment der Magendarmblähung fortfällt. 

Wo tiefe atonische Zustände vorliegen, wird die Bauchlage zu¬ 
nächst keine Aenderung bringen. Fortgesetzte Bauchlage bzw. 
Beckenhoch- oder Seitenlage ist aber doch zu empfehlen* damit bei 
zunehmender Erholung des Magen- und Zwölffingerdarmes die Ge¬ 
legenheit zum sofortigen Abfluss der Duodenalflüssigkeit gegeben ist 
und das schädigende Moment der Stauung fortfällt. 

In zweiter Linie empfiehlt Vortr. die Entleerung des Magens 
durch den Schlauch, namentlich in den schweren Fällen. Er hält es 
für verständlich, dass häufige Spülungen einer stärkeren Ausdehnung 
des Magens entgegenarbeiten und dass die Berieselung einen direkt 
heilenden Einfluss auf die Atonie ausübt. 

Zur Stillung des Durstes sind Kochsalzwasserinfusionen und 
Tropfnährklistiere mit Zuckerwasser oder Peptonwasser empfohlen. 
Letztere sind in unserem Falle dem Patienten sehr angenehm ge¬ 
wesen und haben sich sehr bewährt. 

In den meisten Fällen kommt man mit diesen Mitteln aus. 
Grosse Unruhe wird man durch Injektionen von Morphium mit Atropin 
oder durch Atropin allein (1 mg) beseitigen. Das Atropin würde 
namentlich in Fällen von nachgewiesener Vagotonie zu versuchen sein. 

Auf diese Weise gelingt es, die Operation, die häufig nur das 
letale Ende beschleunigt, überflüssig zu machen. 

Diskussion: Herr Wendel hat den von Herrn Theuer- 
kau'f vorgestellten Fall von duodenalem Ileus zweimal konsultativ 
gesehen, bei der ersten Konsultation die Bauchlage angeordnet und 
bei der zweiten sich von der günstigen Wirkung der Bauchlage über¬ 
zeugt. Er hat den Patienten ausserdem einige Monate nach voll¬ 
kommener Heilung noch einmal untersuchen können. Er erkennt die 
prädisponierende Bedeutung einer Neurose für das Zustandekommen 
der Magendilatation und eines sekundären duodenalen Ileus durchaus 
an, möchte aber bei dem ganzen Krankheitsbilde doch einen grösseren 
Nachdruck auf die mechanische Komponente gelegt wissen, welche 
nach seiner Ueberzeugung entweder von Anfang an vorhanden ist 
oder jedenfalls später hinzukommt. Nur sie erklärt den prompten 
Erfolg der Schnitzler sehen Bauchlage. Auf alle Fälle muss ge¬ 
fordert werden, dass die Kenntnis dieser einfachen Behandlung All¬ 
gemeingut der Aerzteschaft wird, damit sie in jedem Falle rechtzeitig 
angewenddt wird. Andererseits sind besonders durch die Arbeit von 
v. Haberer sichere Fälle eines primären duodenalen Ileus in der 
Literatur bekannt und sogar Strangulationsveränderungen sind, wenn 
auch selten, berichtet. Man muss also darauf geiasst sein, dass es 
seltene Fälle gibt, in denen die Bauchlage nicht ausreicht und doch 
ein chirurgischer 'Eingriff nötig wird. Aus diesem Grunde ist zu 
fordern, dass von Anfang an möglichst ein Chirurg bei der Behandlung 
hinzugezogen wird, wie es Herr T heuerkauf in diesem Falle 
getan hat. 

Herr Theuerkauf (Schlusswort): Manche Autoren berichten, 
dass sie ganz allein durch Magenspülungen den Duodenalileus geheilt 
haben. So berichtet Borchardt in einer Sitzung der Berliner 
ined. Ges. 1908, dass er von 4 Fällen von Duodenalverschluss 3 allein 
durch frühzeitige und wiederholte Magenspülungen gerettet habe und 
dass er glaube, den ersten nur deshalb verloren zu haben, weil er 
die Diagnose nicht frühzeitig genug stellte. Immerhin soll man sich 
nicht darauf verlassen, sondern die unschädliche Bauchlage bzw. 
Beckenhochlage oder rechte Seitenlage anwenden. 

In unserem Falle empfand Patient die Bauchlage nicht als 
Wohltat, er hatte davon keinerlei Erleichterung und wollte am 
anderen Morgen wieder aus ihr heraus. Ich Hess ihn nun die rechte 
Seitenlage einnehmen, die ihm besser zusagte. An diesem Tage ging 
nach der hohen Eingiessung mit dem kotigen Wasser etwas Wind 
ab, wir haben es wenigstens als Wind gedeutet. Kräftige Flatus 
erfolgten erst am folgenden Tage, nachdem bis dahin alles ruhig war. 


Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg. 

(Medizinische Sektion.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 16. Juli 1918. 

Herr H. K o s s e I: Bemerkungen und Demonstrationen zur gegen¬ 
wärtigen Influenzaepidemie. 

Demonstration von Ausstrichpräparaten aus Sputum von In¬ 
fluenzakranken und von Reinkulturen der Pfeiffer sehen Influenza¬ 
bazillen ans einem tödlich verlaufenen Fall von Influenzapneumonie. 

Digitized by Gck sie 


Die Beschaffenheit des Auswurfs ist für den Ausfall der Untersuchung 
massgebend. In dem gleichen Sputum können in den eitrigen Teilen 
sehr zahlreiche Influenzabazillen vorhanden sein, während sie in 
anderen, ebenso aussehenden Massen fehlen. Auswurf aus den 
tieferen Teilen des Bronchialbaums oder aus bronchopneumonischen 
Herden ist am günstigsten für den Nachweis. Bei der Entwicklung 
der pneumonischen Herde treten oft andere Bakterien in den Vorder¬ 
grund, namentlich Streptokokken, ierner Pneumokokken; auch Sta¬ 
phylokokken wurden in Fällen beobachtet, in denen die Herde starke 
Neigung zu eitriger Einschmelzung zeigten. In solchen Fällen miss¬ 
lang der Nachweis der Influenzabazillen. 

Die gegenwärtige Pandemie unterscheidet sich von den meisten 
bisherigen Seuchenzügen der Influenza dadurch, dass sie von Westen 
nach Osten über Europa zieht. Jedoch auch früher ist das Fort¬ 
schreiten der Krankheit von Westen nach Osten beobachtet worden. 
Bei der Epidemie des Jahres 1580 hiess die Krankheit in Deutschland 
„Spanischer Ziep* 4 , ein Name, der auf westeuropäischen Ursprung 
der damaligen Seuche hinzuweisen scheint. Völlig dunkel ist die 
Ursache der plötzlichen pandemischen Verbreitung, während doch 
seit der letzten grossen Epidemie 1889/93 Ausbreitung in kleinerem 
Umfange wiederholt beobachtet w'urde. Aehnliches findet sich bei 
der Ausbreitung anderer Infektionskrankheiten, z. B. den Masern. 
Die bisherigen Erklärungen aus meteorologischen Ursachen sind völlig 
unzureichend. 

Akademie der Wissenschaften in Paris. 

Fettkörper als Träger von Impfstoffen. 

In der französischen Armee wird die Immunität gegen Typhus 
abdominalis und Paratyphus durch obligatorische Impfung erzielt. 
Träger des Impfstoffes T.A.B. kann sowohl Wasser als auch, nach 
den neuesten Untersuchungen, noch besser streng aseptisches Oel 
sein, welches, direkt in die Blutbahn eingespritzt, rascher zur Wir¬ 
kung käme, als wenn das Antitoxin subkutan verimpft würde. Das 
Unbedenkliche des Verfahrens wurde zuvor im Tierexperiment er¬ 
probt, worüber in der Sitzung der Pariser Akademie der Wissen¬ 
schaften vom 18. Februar 1918 Bericht erstattet wurde. (Injections 
intra-veineuses d’huil. contribution ä l’etude physiologique du lipo- 
vaccin T.A.B., Note de M. M. E. Le M o g n i c et J. Gantrelet, 
presentee par M. Charles Richet C. R. Tome 166 Nr. 4, 1918.) 

Zunächst hätten sie festgestellt, dass die Injektion von 1—2 ccm 
Oel in die Vena saphena des Hundes nichts schade. Ein 6,5 kg 
schwerer nicht anästhesierter Hund bekam 3 ccm Oel um 10 Uhr 
25 Min., 10 Uhr 35 Min. und 10 Uhr 45 Min. und 4 ccm um 10 Uhr 
55 Min.; es trat keinerlei Reaktion ein. Man hätte also im ganzen 
13 ccm oder 2 ccm pro 1 kg Lebendgewicht gegeben. Es traten 
keinerlei beunruhigende Erscheinungen, weder während der Ope¬ 
ration noch 24 Stunden darnach ein. Ganz ebenso verlief auch eit? 
weiterer Versuch bei einem Hund von 13 kg, welcher 26 ccm in 
10 Min. erhielt. Nie wurden mehr als 2 ccm pro 1 kg gegeben; 
daraus folgte, dass diese Menge ohne weiteres vom Organismus 
vertragen würde. Sie hätten den Blutdruck in der Karotis eines 
Hundes im wachen und chloroformierten Zustand mit dem Queck¬ 
silbermanometer gemessen, um festzustellen, inwieweit der Tonus 
in Herz und Gefässen beeinflusst würde. Ein Hund von 6 kg bekam 
2 ccm pro 1 kg in 35 Min., ohne dass eine Störung, etwa eine Dyspnoe 
eintrat. Die Druckspannung war nur um 1 cm gesteigert und nach 
weniger als % Stunde wieder normal. Ein 12 kg schwerer nicht 
anästhesierter Hund erhielt 50 ccm. Es schadete also gar nichts, 
wenn der Hund 25 ccm, also 2 ccm pro 1 kg erhalte; bei 3 ccm da¬ 
gegen wäre ein Hund eingegangen, welcher 2 ccm ohne weiteres 
vertragen hätte. Man könne also unter Berücksichtigung indi¬ 
vidueller Schwankungen unbedenklich 1,5 ccm injizieren; woraus 
man ersehen könne, wie unbegründet die Furcht vor einer Embolie 
wäre. Ihre pharmakologischen Untersuchungen hätten sie auf das 
Lipovakzin T.A.B. ausgedehnt. Sie hätten Lipovakzin benutzt, das 
pro 1 ccm Oel 2 mg Typhusbazillen Eberth, 2 mg Para A und 1,5 mg 
Para B, zusammen also mehr als 7 Milliarden Bazillen enthalten 
hätte. Damit hätten sie eine intravenöse Injektion einem Hund ge¬ 
macht, Vio ccm pro 1 kg Lebendgewicht. Keinerlei Steigerung des 
Blutdrucks sei eingetreten; im Gegenteil sei bisweilen ein schwaches 
Sinken zu konstatieren gewesen. Beim nicht anästhesierten mit 
Lipovakzin injizierten Hund habe der Tonus 5—10 Stunden, jedoch 
nur innerhalb der physiologischen Grenzwerte geschwankt. Wenn 
man die intravenöse Injektion von Lipovakzin beim wachen Tier 
vornehme, finde man eine Steigerung der Bulbärsymptome und der 
Nervenreaktion überhaupt. Nur selten trete Gallenerbrechen. 
Tenesmus oder Diarrhöe ein, bisweilen höchstens eine geringe Er¬ 
schöpfung. Das Lipovakzin T.A.B. sei in Oel viel weniger toxisch 
als in Wasser. Niemals hätte der Hund schwerere Erscheinungen 
gezeigt, wenn er nicht mehr als 1,6 ccm pro 1 kg Lebendgewicht 
erhalten hätte; diese Dosis wäre aber viermal grösser als die letale 
Dosis von T.A.B. in Wasser. Man könnte also Fettkörper gut als 
Träger verwenden; bei direkter Injektion in die Gefässe wirkte es 
rascher und milderte die durch den Typhus oder den Paratyphus- 
bazillus verursachten Krankheitserscheinungen bzw. unterdrückte sie 
ganz. Dr. L. K a t h a r i n e r. 


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6. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


891 


Kleine Mitteilungen. 

Therapeutische Notizen. 

Ultraviolettlichtbestrahlungen zwecks K u - 
pierung der Influenza. Eine Reihe von — jetzt schon 
mehrere Jahre zurückliegenden — Erfahrungen lässt es mir ange¬ 
bracht erscheinen, darauf hinzuweisen, dass allgemeine Ultraviolett¬ 
lichtbestrahlungen bei beginnender Grippe nicht selten geradezu 
kupierende Wirkung haben. Es empfiehlt sich, an zwei, höchstens 
drei aufeinander folgenden Tagen den Körper von beiden Seiten 
zuerst je zwei, dann drei Minuten in einer Entfernung von zuerst 
etwa 70, dann 50 cm allgemein zu bestrahlen. Ruhe unmittelbar 
darauf unbedingt erforderlich. (Vgl. meine kurze Veröffentlichung 
April 1917 dieser Wochenschr.) 

Dr. Viktor Hufnagel jr., Oberstabsarzt d. Ldw., zurzeit 
Strassburg i. Eis., im Frieden Bad-Orb. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 5. August 1918. 

— Kriegschronik. Den Empfindungen, die uns beim Be- 
Beginn des 5. Kriegsjahres bewegen, hat unser Kaiser in einer Bot¬ 
schaft an das Deutsche Volk würdigen Ausdruck verliehen. Wenn 
uns auch weitere Entbehrungen und Prüfungen nicht erspart blieben, 
hätten wir doch die feste Gewissheit, dass Deutschland aus diesem 
Völkersturme stark und kraftvoll hervorgehen werde. Da die Feinde 
den Frieden noch nicht wollen, heisse es weiter kämpfen und wirken, 
bis sie bereit sind, unser Lebensrecht anzuerkennen. Und König 
Ludwig von Bayern stellte in seinen Aufrufen an sein Volk und Heer 
von neuem den un-beugsamen Willen zum Durchhalten in der Heimat 
und den unerschütterlichen Siegeswillen der Armee, dem der schliess- 
liche Erfolg gehört, fest. Im Vertrauen auf unsere Führer und ent¬ 
schlossen, iedes Opfer zu bringen, das für die Sicherstellung unserer 
Zukunft noch notwendig werden sollte, treten wir in das 5. Kriegsjahr 
ein. Der fortdauernde feindliche Druck auf unsere rechte Flanke hat 
die deutsche Heeresleitung veranlasst, die gegen die Marne zu stark 
ausgebauchte Front weiter zu verkürzen und ein-e Sehnenstellung zwi¬ 
schen Soissons und Reims einzunehmen. Diese Operation wurde 
glücklich und ohne grössere Verluste ausgeführt. — An der alba- 
nichen Front haben die Oesterreicher, die vor starken italienischen 
Angriffen über die Vojusa zurückgegangen waren, am Skenemi die 
Lage wiederhergestellt. Offiziöse Mitteilungen über die Öster¬ 
reichische Offensive am Piave zeigen, dass dort schimpflicher Ver¬ 
rat die österreichische Armee um den verdienten Erfolg gebracht hat. 
— Eine zweite Mordtat, verübt in Kiew an dem deutschen komman¬ 
dierenden General v. Eichhorn, beleuchtet grell die Schwierig¬ 
keiten, mit denen wir im Osten noch zu kämpfen haben. Die Entente 
versucht mit allen Mitteln und mit sichtlichem Erfolg das unglück¬ 
liche russische Volk von neuem zum Kriege gegen Deutschland zu 
zwingen. Zunächst gilt der Kampf der Regierung der Bolschewiki. 
Während die Tschecho-Slovaken von Osten her bis über Jekaterin- 
burg vorgedrungen sind, hat England an der Murmanküste beträcht¬ 
liche Truppenmassen gelandet und organisiert dort und im Gouverne¬ 
ment Archangelsk den Abfall von der Moskauer Regierung, deren 
Lage dadurch schwer bedroht erscheint. Man darf zur deutschen 
Heeresleitung das Vertrauen haben, dass sie sich auch hier vor 
Ueberraschungen zu schützen weiss. 

— Das ursprünglich nur für die Verkehrsbeamten gedachte, jetzt 
aber auf die ganze bayerische Beamtenschaft ausgedehnte Be¬ 
amten Versicherungsgesetz, dessen Anregung unserem 
weitblickenden Verkehrsminister v. S e i d 1 e i n zu danken ist, ist dem 
bayerischen Landtag nunmehr zugegangen. Die geplante Versicherung 
zerfällt in die Kinderzulagenversicherung und in die Lebensversiche¬ 
rung, diese in die Witwenrentenversicherung und in die Kapitalver¬ 
sicherung. Von besonderem Belang ist die Kinderzulagen- 
Versicherung, da wir hier einem ersten grösseren staatlichen 
Versuch gegenüberstehen, kinderreichen Familien die Last der Auf¬ 
zucht auf Kosten der Ledigen und Kinderlosen zu erleichtern und so 
der gewollten Beschränkung der Kinderzahl in etwas vorzubeugen. 
Das Gesetz bestimmt, dass Ledige, Verwitwete und Geschiedene 
ohne Kinder, wenn sie gegenüber der geschiedenen Ehefrau eine 
Unterhaltspflicht nicht zu erfüllen haben, bis zum vollendeten 55. Le¬ 
bensjahr 4 Proz., Verheiratete oder Geschiedene ohne Kinder mit 
Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihren Ehefrauen bis zum vollen¬ 
deten 55. Lebensjahre 2 Proz., alle übrigen Versicherten 0,5 Proz. 
vom reinen Gehalt zu bezahlen haben. Die jährliche Zulage schwankt 
je nach der Gehaltsklasse und dem Alter der Kinder zwischen 90 
und 300 M. Ueber das vollendete 24. Lebensjahr hinaus wird die 
Zulage nicht gewährt. Die Kosten dieser Kinderzulagenversicherung 
werden auf 14 764 000 M. berechnet; davon trägt die Staatskasse über 
12Vs Millionen; also eine sehr bedeutende Leistung des Staates im 
Interesse dieses bevölkerungspolitischen Zieles. Die Vorlage hat 
bisher in der Presse eine verständnisvolle Aufnahme gefunden. 

— Zu dem in der Tagespresse wieder gegebenen Satz aus der 
Urteilsbegründung im Prozess Henkel „dass die Zulassung ge¬ 
bildeter Laien und namentlich wissenschaftlich Interessierter zum 

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Operationssaal anscheinend in den Kliniken in gewissem Umfange 
üblich ist und nicht als anstössig gilt" hat die medizinische 
Fakultät München folgende Erklärung abgegeben: Wir lassen, 
schon vom rein menschlichen Standpunkt der Rücksichtnahme auf die 
Empfindungen der Kranken aus. selbstverständlich niemals Laien zu 
klinischen Demonstrationen und Operationen zu und verwahren uns 
auf das schärfste gegen eine etwaige Verallgemeinerung der obigen 
Behauptung, weisen sie jedenfalls für die hiesigen Verhältnisse voll¬ 
kommen zurück. 

— Der Professor der Gynäkologie in Genua, Prof. Bossi, ein 
verbissener Deutschfeind und Kriegshetzer, wurde für schuldig be¬ 
funden, schwere Verfehlungen administrativer und geschlechtlicher 
Art, sowohl gegen das Personal, wie gegen Kranke der Klinik, ver¬ 
übt zu haben. Er wurde für 2 Jahre des Amtes und Gehaltes ent¬ 
hoben. 

— Auf eine Anfrage im englischen Unterhaus, ob Offiziere und 
Mannschaften, die sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen 
haben, strafbar seien, antwortete der Unterstaatssekretär für 
Krieg Macpherson, dass Offiziere, die wegen Geschlechtskrankheiten 
in ein Hospital aufgenommen werden, die vollen Verpflegungsgebühren 
(2 s. 6 d. täglich) zu bezahlen haben und aller ihrer Feldzulagen 
verlustig gehen. Geschlechtskranke Mannschaften haben für den 
Hospitalaufenthalt 7 d (= 56 Pf.) zu bezahlen- und verlieren ebenfalls 
die Zulagen und die kürzlich bewilligte Aufbesserung der Löhnung. 
Verheimlichung einer Geschlechtskrankheit ist strafbar und wird mit 
2 Jahren Gefängnis mit schwerer Arbeit geahndet. 

— In den 51 Krematorien des Deutschen Reiches sind im Jahr 
1917 13 942 Einäscherungen, gegen 11 463 im Jahre 1916, vor¬ 
genommen worden. 

— Das Amt eines Kais. Kommissärs und Militärinspek¬ 
teurs der frei w i 11 i gen Krankenpflege wurde an Stelle 
des Fürstens zu Solms-Baruth dem Fürsten zu Hohenlohe-Lengenburg 
übertragen. 

— Für die Ernährung kranker Säuglinge und Kleinkinder w-erden 
an die Münchener Apotheken folgende Milchzubereitungen 
verteilt: Eiweissmilch und Buttermilch nach F i n k e 1 s t e i n und 
Meyer der Firma Töpfer in Böhlen (Sachsen), Buco und Ramogen 
der Deutschen Milchwerke in Zwingenberg (Hessen), Plasmon der 
Firma Plasmon G. m. b. H. in Neubrandenburg (Mecklenburg), Larosan 
der Chemischen Werke Grenzach A.G. in Grenzach (Baden). Die 
Abgabe erfolgt ausschliesslich gegen ärztliche Verordnung, die auf 
gesondertem Blatt zu erfolgen hat. Die unter ärztlicher Leitung 
stehenden Anstalten können die Erzeugnisse unmittelbar von den 
Herstellern beziehen. 

— Nach einer Zuschrift des Reichsamts des Innern ist durch 
Untersuchungen, die im Staatlichen Hygienischen Institut in Lodz 
ausgeführt worden sind, nachgewiesen worden, dass polnische Fabri¬ 
kanten von Bonbons in letzter Zeit häufig an Stelle von Zitronensäure 
die giftige Oxalsäure benutzen. Da trotz des bestehenden Ausfuhr¬ 
verbots aus Polen und des deutschen Einfuhrverbots anzunehmen ist. 
dass durch Schmuggel oder bei der Hinreise von Militärpersonen usw. 
immer noch Bonbons aus Polen nach Deutschland gelangen, wird 
hiemit vor dem Genuss der söge n. polnischen Bon¬ 
bons öffentlich gewarnt. Für möglichst weite Verbreitung 
dieser Warnung ist zu sorgen. 

— In Seelmanns „Sammlung von Einzeldarstel¬ 
lungen des Reichsversicherungsrechts“ sind einige 
weitere Hefte erschienen, die auch für Aerzte von Belang sind. Es 
sind Heft 6: „Weitere Kriegsverordnungen im Bereiche des Reichs¬ 
versicherungsrechts“; Heft 7: „Verordnung über Versicherung der im 
vaterländischen Hilfsdienst Beschäftigten“; Heft 8: „Die Recht¬ 
sprechung der Versicherungsbehörden zum 2. Buche der RVO. 
(Krankenversicherung)“; und Heft 9: „Die Kosten im Verfahren von 
den Versicherungsämtern und den Oberversicherungsämterii“. Der 
Preis der in Stephan Geibels Verlag in Altenburg S.-A. heraus¬ 
kommenden Hefte beträgt M. —.90 bis M. 1.60. 

— Cholera. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau. Unter polnischen Rückwanderern aus Russland wurden 
am 19. Juli 4 Cholerafälle in Warschau festgestellt. Die zur Ver¬ 
hütung einer Verbreitung der Krankheit erforderlichen Massnahmen 
sind getroffen. — Schweden. Zufolge Mitteilung vom 15. Juli sind 
in Stockholm 5 Erkrankungen mit 1 Todesfall unter der Besatzung 
eines aus Russland dort eingetroffenen Dampfschiffes festgestellt 
worden. — Russland. Zufolge Mitteilung vom 12. Juli wurden in 
Petersburg bisher über 500 Erkrankungen gemeldet und laut Mit¬ 
teilung vom 17. Juli in Moskau, wohin die Cholera hauptsächlich 
durch Matrosen aus Petersburg eingeschleppt wurde, bis dahin 
28 Erkrankungen. Ferner wurden zufolge Mitteilung vom 15. Juli 
in Astrachan und Saratow kleinere Choleraherde festgestellt. 

— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 
14. bis 20. Juni 2 Erkrankungen. — Kaiserlich Deutsches General¬ 
gouvernement Warschau. In der Woche vom 30. Juni bis 6. Juli 
wurden 372 Erkrankungen und 43 Todesfälle angezeigt. — Deutsche 
Verwaltung in Kurland. In der Woche vom 9. bis 15. Juni 1 Er¬ 
krankung, vom 16. bis 22. Juni 1 Todesfall. — Deutsche Verwaltung 
in Litauern In der Woche vom 9. bis 15. Juni 188 Erkrankungen 
und 5 Todesfälle, vom 16. bis 22. Juni 202 Erkrankungen und 8 Todes¬ 
fälle. - Oesterreich-Ungarn. In Ungarn wurden in der Zeit vom 

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892 


MUENCrtENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 32. 


10. bis 16. Juni 18 Erkrankungen un<l 1 Todesfall festgestellt, 
vom 17. bis 23. Juni 14 Erkrankungen und 4 Todesfälle. 

— In der 28. Jahreswoche, vom 7. bis 13. Juli 1918. hatten von 
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Worms mit 41,5, die geringste Recklinghausen-Land mit 12,8 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Enwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬ 
storbenen starb an Keuchhusten in Eisenach, Hamborn. 

Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Der Geh. Med.-Rat Dr. N. Z u n t z, Professor der 
Physiologie an der Landwirtschaftlichen Hochschule, feierte sein 
goldenes Doktorjubiläum. 

Breslau. Zum Rektor der Universität für das neue Studien¬ 
jahr 1818/19 wurde der ordentliche Professor in der philosophischen 
Fakultät, Literaturhistoriker, Geh. Reg.-Rat Dr. Max Koch, gewählt, 
zum Dekan der medizinischen Fakultät Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 
K ü s t n e r. Dieselben treten ihr neues Amt am 30. September an. 

F r a n k f u r t a. M. Dr. med. Franz J a h n e 1, Assistent an 
der psychiatrischen Klinik, hat sich für Psychiatrie habilitiert. 
Thema der Antrittsvorlesung: Die pathologische Anatomie als Mittel 
zur Erforschung der Geistigen Erkrankungen. 

Heidelberg. Den Privatdozenten Dr. Karl Franke, Assi¬ 
stenzarzt an der Chirurgischen, Klinik Dr. Richard S i e b e c k, Assi¬ 
stenzarzt der Medizinischen Klinik und Dr. Bernhard Bai sch, 
Assistenzarzt der Chirurgischen Klinik, wurde der Titel ausserordent¬ 
licher Professor verliehen. — Ernannt wurde der Direktor der Heil- 
und Pflegeanstalt bei Konstanz Professor Dr. med. Karl W i 1 m a n n s 
vom 1. Oktober d. J. ab zum ordentlichen Professor der Psychiatrie 
und Direktor der psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg 
als Nachfolger von Prof. N i s s 1. (hk.) 

Jena. Die Studenten der „Jenenser Klinikersohaft“ haben an¬ 
lässlich der Beendigung des Henkel-Prozesses Herrn Prof. Rössle 
eine Ovation in Form einer Vertrauenskundgebung dargebracht. 

Marburg. Zum Rektor der Universität wurde für das Amts¬ 
jahr 1918/19 der Geheime Med.-Rat Prof. Dr. Friedrich König, 
Direktor der chirurgischen Klinik, gewählt. Zum Dekan der med. 
Fakultät wurde Prof. Dr. Zange m eiste r, Direktor der Frauen¬ 
klinik, gewählt, (hk.) 

München. Die Münchener Medizinische Fakultät hat Herrn 
Regierungspräsidenten Dr. Ritter v. Winterstein zum Doktor 
der Medizin ehrenhalber ernannt in dankbarer Anerkennung der Ver¬ 
dienste, die er sich als Direktor im Ministerium des Innern für 
Kirchen- und Schulangelegenheiten um die Fakultät und die Be¬ 
gründung der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie er¬ 
worben hat. 

Strassburg. Die a. o. Professoren Geh. Med.-Rat Dr. 
Arnold Cahn (innere Medizin) und Dr. Hermann Freund (Ge¬ 
burtshilfe und Gynäkologie) wurden zu Honorarprofessoren in der 
med. Fakultät ernannt. Der a. o. Professor und Direktor der Klinik 
für Ohren- und Kehlkopfkrankheiten Dr, med. Paul Ma nasse ist 
zum ordentlichen Professor ernannt worden, (hk.) 

W ü r z b u r g. Dr. Konrad Port- Nürnberg hat den Ruf als 
a. o. Professor für orthopädische Chirurgie angenommen. 

Basel. Dr. Andreas V i s c h e r, Assistent der chirurgischen 
Klinik, hat sich für Chirurgie habilitiert. 

Zürich. Der Regierungsrat wählte zum Nachfolger des nach 
München übergesiedelten Prof. Sauerbruch den Leiter der 

11. chirurgischen Abteilung der K. K. Krankenanstalt Rudolfstiftung in 
Wien Prof. Dr. Paul C1 a i r m o n t. Ausser ihm erhielt Stimmen 
der langjährige Stellvertreter Sauerbruchs Prof. Dr. Hen sehen 
in Zürich. 

Todesfall. 

Bei einem schändlichen Fliegerangriff auf ein Kriegslazarett nörd¬ 
lich der Marne fiel der Prosektor am anatomischen Institut der Uni¬ 
versität Freiburg i. B. Privatdozent Dr. Bereuberg-Gossler. 


Korrespondenz. 

Ueber den Nachweis von Fleckfieberantigen im Organismus eines 
Fleckfieberkranken mittels der Themopräzipitlnreaktion. 

Bemerkung zu obiger Arbeit von Friedberger und Joachimoglu 
in Nr. 30 dieser Wochenschrift 

von Prof. E. Gottschlich in Giessen und Prof. Dr. W. S c h ü f - 
mann in Halle a. S. 

Anlässlich ihres interessanten Befundes von spezifischem Fleck¬ 
fieberantigen im Liquor cerebrospinalis eines Fleckfieberkranken 
(Nachweis mittels Thermopräzipitinreaktion mit Seren von Fleck¬ 
fieberkranken) stellen Friedberger und Joachimoglu weitere 
Untersuchungen mit Organen von Fleckfieberleichen in Aussicht. Wir 
möchten hierzu bemerken, dass wir solche Versuche mit Kochextrakt 
aus Fleckfieberorganen bereits vor 3 Jahren angestellt und in der 
Med. Klinik 1915 Nr. 48 gemeinsam mit Bloch veröffentlicht haben; 
diese Versuche ergaben ebenso wie die bisher von Friedberger 
und Joachimoglu mitgeteilten Versuche mit gekochtem Fleck¬ 
fieberserum und Fleckfieberblut durchaus negative Resultate. Da- 
gegen gelang es uns damals, mittels der Kompiementbindungsmethode 


unter gewissen Bedingungen (Verwendung aktiven Rekonvaleszenten¬ 
serums) spezifische Antigene im Blut von Fleckfieberkranken (durch 
Behandlung mit destilliertem Wasser und mehrmaliges Gefrieren- 
und Wiederauftaucnlassen) deutlich nachzuweisen; allerdings erwies 
sich auch diese Reaktion als für die praktische Fleckfieber¬ 
diagnose ungeeignet, wie wir a. a. O. ausgeführt haben. 

Da Friedberger und Joachimoglu unsere damalige 
Arbeit nicht e/wähnen und Versuche mit Organextrakten von Fleck¬ 
fieberleichen (die, wie gesagt, bereits von uns angestellt waren) sich 
Vorbehalten, so wollten wir an unsere damaligen Ergebnisse, wenn 
sie sich auch nicht als praktisch verwertbar erwiesen, nur kurz 
erinnern. 


Heissluft-Händedesinfektion. 

Bemerkungen zur Arbeit von Prof. F. Lichtenstein in Nr. 26 
d. Wochenschr. 

Von Dr. M a x W e i h m a n n, Assistenzarzt d. R„ Orientkriegschau- 

platz. 

Aelmliche theoretische Erwägungen, befruchtet durch Be¬ 
sprechungen mit Prof. W r e d e - Jena und Geh.-Rat K r ö n i g - Frei- 
burg, sowie mit Herrn Knabe vom Med. Warenhaus Berlin, ver- 
anlassten mich im Dezember 1911 zur Angabe eines dem Lichten- 
st ein sehen Schwitzapparat ähnlichen Kastens zur chirurgischen 
Händedesinfektion. Ich empfehle einige konstruktive Einzelheiten 
dieses Kastens in die Neuversuche zu übernehmen: Um die Tem¬ 
peratur während des Schwitzens regulieren zu können und um Strom 
zu sparen, waren am Boden des Kastenraumes zwei wippende Platten 
vorgesehen, durch deren Herabdrücken mit den Handflächen die Glüh¬ 
birnen .eingeschaltet wurden, und deren Entlastung zu selbsttätigem 
Ausschalten führte. Die Platten wurden vor jeder Desinfektion mit 
sterilem Fliesspapier belegt, um den Kastenraum nicht mit Schweiss 
zu verunreinigen. Die Abdichtung des Raumes an den zwei Oeff- 
nungen zur Einführung der Unterarme wurde dadurch der individuell 
verschiedenen Armdicke angepasst, dass sich beim Herabdrücken 
einer der „wippenden Platten“ die zugehörige Einführungsöffnung 
durch Schlingenzug um den Unterarm schloss. Die Schwitzräume 
für beide Hände waren durch Asbest-Scheidewand getrennt. — Ab¬ 
reise zum Tripoliskrieg unterbrach meine Versuche. 


Zum Fall Henkel. 

Der Prosenior der Medizinischen Fakultät Jena Herr Professor 
W. Biedermann ersucht uns um Aufnahme nachstehender 
Erklärung. 

Nachdem Herr Prof. Henkel indem Dienststrafverfahren vom 
Oberverwaltungsgericht freigesprochen worden ist, halten sich die 
Unterzeichneten Mitglieder der medizinischen Fakultät in Jena zu 
folgender Erklärung für verpflichtet: Wir billigen nach wie vor das 
Vorgehen unseres Kollegen Rössle und sind der Ueberzeugung, 
dass er nach Pflicht und Gewissen so bandeln musste, wie er ge¬ 
handelt hat. 

Im Aufträge der Herren Binswanger, S t i n t z i n g, Maurer, 
Stock. Lexer, Abel, Ibrahim unterzeichnet 
Jena, den 28. Juli 1918. W. B i e d e r m a n n. 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben: 

Landsturmpfl. Arzt Dr. Carl B e h r e. Stolzenau. 

Emil B r i e h n, Popelken (Kr. Labiau). 

Sanitätsrat Rob. Engel, Schönecken. 

Feldunterarzt Karl Erhard. 

Prof. Dr. Herbert v. Berenberg-Gossler, Freiburg. 
Stabsarzt Emil B r i e h n, Meislatein. 

Oberarzt d. L. Dr. Adolf E y 1, Lüneburg. 

Oberarzt Alfred Hoitzhausen, Wittenberg. 

Stabsarzt d. R. Dr. Heinrich J a t h o, Kassel. 
Feldunterarzt Johann K erseht, Trier. 

Feldhilfsarzt Frz. Morgenthaler. 
cand. med. Kurt Otto, Hamburg. 

Oberarzt d. Res. Hans Pförtner, Dramburg. 
Fcklunterarzt Rieh. Riedel, Mirkowitz. 

Assistenzarzt d. Res. Herrn. Rüster, Darmstadt. 
Oberarzt d. Res. Heinr. Schlüter, Nordkirchen. 
Feldhilfsarzt Kurt Schmidt, Cochabamba. 

Stabsarzt d. Res. Herrn. Schüler, Dietenhausen. 
Feldunterarzt Frz. Heinr. Simons, Alsweiler. 
Feldhilfsarzt Konrad Specht, Behle. 

Unterarzt Ernst Sporleder, Emden. 

Oberarzt Hans Stahl, Hamburg. 

Zivilarzt Hugo Weissenberg, Tichau. 

Feldunterarzt Frz. Weissenfe Id, Westerholt. 

Oberarzt d. Res. Gottfr. Wetze 1, Mettmann. 


Vertag vor |. P. Lehmann In München S W, 2 , Pani Heyaestr. 26 . — Druck von E. Mflhlthaler’t Buch- und Knnttdrnckerei A.O., München. 


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Medizinische Wochenschrift. 


Mr. 33. 13. August 1918. 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Schriftleltung: Dr. B. Spatz, Arnulf Strasse 26. 
* Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag bfhff l steh das ansschUessllcbe Recht der Venrlelültignnc and Verbrdtang der in dieser Zeitschrift znm Abdruck gelang ea d en Ortgbnlbdftrlft vor. 


Originalien. 

Aus der dermatologischen Universitätsklinik in Wtirzburg. 
(Vorstand: Prof. Dr. Karl Zieler). 

Zur Frage der Zuverlässigkeit der Wassermannschen 
Reaktion*). 

Von Karl Zieler. 

M. H.! Die Frage der Zuverlässigkeit der W ass ermann - 
sehen Reaktion hat in der letzten Zeit wieder mehrfach die Gemüter 
beschäftigt. Ich erinnere besonders an die Auseinandersetzungen 
zwischen Freudenberg 1 ) Heller 9 ) und A. v. Wasser¬ 
mann*). 

Wassermann hat sich zweifellos ein sehr grosses Verdienst 
durch die Entdeckung erworben, dass mit Extrakten aus syphilitischen 
Organen eine brauchbare diagnostische Reaktion bestimmter Körper¬ 
flüssigkeiten, insbesondere des Blutes, festgestellt werden kann. 
Dieses Verdienst ist bei den erwähnten Auseinandersetzungen von 
keiner Seite bestritten, sondern im Gegenteil stets durchaus an¬ 
erkannt worden. Es ist deshalb nicht geeignet, die Sachlichkeit not¬ 
wendiger Auseinandersetzungen zu fördern, wenn Wassermann 
die sachlich berechtigte, wenn auch vielleicht nicht immer hinreichend 
geschickt abgefasste Kritik seines Untersuchungsverfahrens, durch 
Freudenberg, Heller usw. als persönliche Angriffe bezeichnet 
hat. Aeussert sich doch ein Schüler und: früherer Mitarbeiter Was¬ 
sermanns, Bruck 4 ), dahin: „Die unbefriedigende Tat¬ 
sache kann nicht geleugnet werden, dass wir jetzt, 
10 Jahre nach der Entdeckung dieser praktisch so 
wichtig gewordenen Reaktion genau so viel oder 
besser so wenig über ihr Wesen wissen wie in den 
ersten Jahren. Wir arbeiten weiter mit lauter Unbekannten 
und ehe wir nicht wenigstens einiges Licht in diesem Dunkel 
finden, werden auch alle technischen Verbesserungen der Kom- 
ptementbindung und alle Organisation der Untersuchungsstellen 
nicht zu dem gewünschten Ziele führen“ 6 ). 

Wenn Freudenberg schliesslich sich dahin äussert, dass der 
Praktiker hinsichtlich des Ausfalls der WaR. völlig vom Untersucher 
abhängig sei, so hat er in anderem Sinne Recht, als er gemeint hat: 
Die WaR. stellt allerdings derartige Anforderungen an die technische 
Ausführung, dass wir mit Wassermann sagen müssen: Die Zu¬ 
verlässigkeit der «WaR. nach .der Originalvorschrift hängt sehr erheb¬ 
lich vom Untersucher ab! Dass diese Zuverlässigkeit auch in Staats¬ 
anstalten nicht immer gewährleistet ist, dass sogar „falsche“ Er¬ 
gebnisse Vorkommen können, beweisen die Ergebnisse, über die 
Kanp') gelegentlich berichtet [S. 138; s. a. Bruck 4 ), Rosen¬ 
thal 7 ) u. a.]. 

Wenn ich zu dieser Frage als Kliniker, der persönlich sich jahre¬ 
lang eingehend mit der Wassermannschen Reaktion und ihrer 
Technik beschäftigt hat, das Wort nehme, so geschieht es ans folgen¬ 
den Gründen: 

Es ist Wassermann unbedingt darin beizustimmen, dass die 
bisherige Erörterung geeignet ist Beunruhigung bei den Aerzten her¬ 
vorzurufen, die schliesslich über den Wert des Ausfalls der WaR. 
urteilen müssen. Wassermanns eigene Aeusserungien 3 ) sind 
leider auch nicht gerade geeignet diese Beunruhigung zu beseitigen, 
da sie — von seinen Angriffen gegen seine „Gegner“ sehen wir ab — 
nur auf eine, u. E. allerdings die hauptsächlichste Fehlerquelle, den 
Untersucher, eingehen. Diese Frage ist aber so wichtig, dass sie bei 
der Bedeutung, welche die WaR. gerade im Kriege gewonnen hat, 
unbedingt einer endgültigen Entscheidung bedarf. Der Praktiker 
muss vollkommen darüber im Klaren sein, was er von dem Ausfall 
der WaR. im einzelnen Falte zu halten« hat. Er muss die Grenzen und 

•) Nach einem Vortrag in der physikalisch-medizinischen Ge¬ 
sellschaft in Würzburg. 

*) B.kl. W. 1916 Nr. 42 und 1917 Nr. 13. 

*) B.kl. W. 1916 Nr. 35 und 1917 Nr. 13. 

*) B.kl.W. 1917 Nr. 5. 

4 ) M.m.W. 1917 Nr. 35 und 36. 

•) Sperrungen auch im Original. 

•) J. K a u p: Kritik der Methode der Wassermann sehen 
Reaktion usw. Arch. f. Hyg. 87. 1917. 

T ) B.kI.W. 1917 Nr. 8. 

Nr 33 1 

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die Zuverlässigkeit der Methodik kennen, soll eine unnötige Beun¬ 
ruhigung vermieden werden. Andererseits muss die Methodik, mit 
der wir arbeiten, so eingestellt sein, d!ass unzuverlässige Ergebnisse 
ausgeschlossen sind. Das war bisher, wie wir offen sagen können, 
auch im Kriege nicht der FalL 

Die Wassermannsehe Reaktion beruht bekanntlich darauf, 
dass s. Z. Wassermann, Neisser und Bruck die von Bor¬ 
det und Gengou entdeckte Komplementbindung für die Syphilis¬ 
diagnose verwendet haben, indem sie an Stelle der Extrakte aus Bak- 
terienikulturen Extrakte aus syphilitischen Organen verwendet haben. 

Die Komplementbindung mit Bakterienextrak¬ 
ten ist eine für die verschiedenen Infektionen spezifische Me¬ 
thode. Sie hat z. B. in der von Wassermann für den Rotz an¬ 
gegebenen Form eine ganz hervorragende praktische Bedeutung ge¬ 
wonnen. 

Demgegenüber ist die WaR. mit Organextrakten keine 
streng spezifische Methode. Es handelt sich also bei ihr 
auch nicht um eine Komplementbindung im engeren 
Sinne, wenn wir auch, dem allgemeinen Gebrauch entsprechend, 
uns dieses Ausdruckes bedienen, sondern um einen Kompiement- 
verbrauch. Die geniale Entdeckung Wassermanns wird da¬ 
durch aber nicht berührt. Sie hat sich jedenfalls so bewährt, 
dass wir in ihr eine für die Praxis zw ei fellos her- 
vorragend brauchbare Methode zur Syphilisdia¬ 
gnose sehen müssen. 

Allerdings kann schon die verschiedene Wertigkeit 
der Organextrakte, auf die ich noch zurückkommen werde, 
verschiedene Ausfälle der Reaktion in derselben Blutflüssigkeit be¬ 
dingen, die vielleicht nicht verkommen würden, wenn wir mit spe¬ 
zifischen Spirochätenextraktem arbeiten könnten. Der Umstand, dass 
wir es mit einer für die Syphilis zwar sehr charakteristischen, letzten 
Endes aber unspezifischen Reaktion zu tun haben, wirdi meines Er¬ 
achtens von den Kritikern viel zu wenig berücksichtigt. 

Auch Veränderungen im Krankenserum können bei 
der Untersuchung derselben Blutflüssigkeit an verschiedenen Stellen 
(z. B. zu verschiedener Zeit, bei verschiedener Aufbewahrung usw.) 
von Bedeutung sein und bedingen zweifellos oft einen verschiedenen 
Ausfall der Untersuchung *). 

Ich habe auch den Eindruck, als ob, ganz abgesehen von diesen 
sehr wichtigen Punkten, von manchen Aerzten an die Leistungsfähig¬ 
keit der WaR. zu hohe Anforderungen gestellt werden. 
Selbstverständlich kann die WaR. nie das allein ausschlag¬ 
gebende diagnostische Mittel, sondern immer nur ein 
Glied in der klinischen Beweiskette bilden. Gewiss hat der ein¬ 
wandfrei positive Ausfall in einem zuverlässigen Laboratorium einen 
hohen Wert. Steht er aber im Gegensatz zum klinischen Befunde 
bzw. wird er durch diesen nicht gestützt, so soll er diagnostisch nur 
verwertet werden, wenn bei mehrfach wiederholter Untersuchung (zu 
verschiedenen Zeiten entnommener Blutproben) mit mindestens 3 Ex¬ 
trakten stets übereinstimmende Resultate erzielt werden. Diese For¬ 
derung muss der Kliniker für die bisherige Methodik unbedingt stellen. 
Denn es steht ausser Zweifel, dass auch ohne Sy¬ 
philis, wenn auch wohl nur vorübergehend, positiver Ausfall 
der WaR. gefunden wird (weicher Schanker, Scharlach, Lepra, 
Fleckfieber usw ). Es mi^s auch ferner berücksichtigt werden, dass 
eine positive WaR. (z. B. bei alter Syphilis) unabhängig von den 
fraglichen Erkrankungen (etwa Krebs der Zunge) vorliegen kann! 
D i e WaR. erlaubt eben nur eine allgemeine, keine 
Organdiagnose. 

Zweifelhafte Befunde sollten stets als zweifelhaft be¬ 
zeichnet werden und bedingen die Wiederholung der Untersuchung. 
Die Verwertung des Ergebnisses ist SachedesKli- 
nikers. Es ist deshalb unzulässig, dass der Serologe, 
etwa auf Grund ihm bekannt gewordener Tatsachen aus der Kranken¬ 
geschichte oder weil er sich scheut, zweifelhafte Befunde herauszu- 
geben, sich für positiv oder negativ entscheidet (s, bei 
Freudenberg). Das muss zu einer Herabwürdigung des Wertes 
der Methode führen und hat es schon vielfach getan. Es ist eben 
nicht Sache des Serologcn, die Diagnose „Syphilis“ 
zustellen, sondertidesKllnikers, dem Jener seinen Befund 

•) So kommt es vor, dass ein. Serum z, B. heute mit Extrakt A 
positiv, mit Extrakt B negativ reagiert, während morgen Extrakt A 
ein negatives und Extrakt B ein positives Ergebnis liefert. 

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Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 






Nr. 33. 


MULNCHLNLK MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


übermittelt. Denn wir haben es bei der WaR. ja nicht mit einer 
nur für Syphilis spezifischen Reaktion zu tun. 

Es ist auch jetzt noch nicht unnötig, darauf hinzu weisen, dass 
selbst ein wiederholter negativer Ausfall der WaR. für 
sich allein niemals Freisein von Syphilis beweist 
und selbstverständlich noch viel weniger, dass fragliche 
klinische Erscheinungen nicht mit Syphilis Zusam¬ 
menhängen oder ein Syphilitiker nicht behand¬ 
lungsbedürftig sei. 

L Technisches. 

A. Welehe Gründe sind nun dafür verantwort¬ 
lich zu machen, dass die WaR., sorgfältige Technik 
vorausgesetzt, an verschiede ne'n Untersuc hu n g s - 
stellenöei demselben Serum verschied enausHällt? 

Dass bei der Verwendung der gleichen Reagentien an verschie¬ 
denen Stellen bei gleicher Technik im allgemeinen übereinstimmende 
Ergebnisse erzielt werden können, geht ja aus Wassermanns 
Tabelle hervor. Dazu gehört aber, wie auch neue Versuche von 
Kaup beweisen, Verwendung der gleichen Extrakte, des gleichen 
hämolytischen Ambozeptors und Komplements. Das ist nun so gut wie 
nie zu erreichen. Extrakte und hämolytischer Ambozeptor könnten 
wohl so hergestellt werden, dass sie überall gebraucht werden können, 
nie aber das stets frisch zu verwendende Meerschweinchenserum. 
Und von diesem hängt der Ausfall ab! Wir müssen aber ver¬ 
langen, dass die Methode mit verschiedenen Rea¬ 
gentien anverschiedenenOrten übereinstimmende 
Ergebnisse liefert. Ist das möglich? 

Kaup bejaht diese (Frage unbedingt für seine neue Methodik, 
bestreitet aber diese Möglichkeit für das Arbeiten nach der Original¬ 
vorschrift von Wassermann auf Grund verschiedener neben¬ 
einander hergehender Versuchsreihen mit denselben Blutflüssigkeiten 
an verschiedenen Untersuchungsstellen, auf die hier verwiesen sei. 
Wassermann äusert sich zu dieser Frage nur insoweit, als er 
Unstimmigkeiten stets auf den Untersucher, d. h. auf fehlerhafte 
bzw. nachlässige Technik zurückführt. Das geht erheblich zu weit 9 ). 
Wassermann» beschwert sich allerdings nicht mit Unrecht da¬ 
rüber, dass als WaR. Untersuchungen bezeichnet und verwertet wer¬ 
den», die von den von ihm gegebenen Vorschriften sehr weit ab¬ 
weichen. 

Es ist selbstverständlich nicht meine Absicht, auf alle technischen 
Einzelheiten dieser Frage einzugehen. Die Hauptstreitpuukte müssen 
aber berücksichtigt werden. Im übrigen sind diese Tragen schon 
an anderen Orten eingehend genug behandelt worden, so dass ich 
darauf verweisen kann. Ich erwähne hier nur Arbeiten von Sor- 
man i l0 ), T h o m s e n 10 ), Margarete Stern 1 ") und besonders die 
von Kaup bzw. von C. Lange. 

Zunächst sei betont, dass die verschiedenen Antrgene zweifellos 
eine verschieden grosse Fähigkeit haben, das Komplement zu binden 
(je nach der Grösse ihrer Eigenhemmung), ebenso wie auch ver¬ 
schiedene Komplemente rn verschiedener Stärke durch das gleiche 
Antigen gebunden, werden trotz gleicher Binduragstfähigikeit im hämo¬ 
lytischen! Versuch“) (Gr a et z, R. Müller, M. S t e r n, E. Sonn¬ 
tag, Thomsen u. a.). Wird hierauf keine Rücksicht genommen 
wie bei der Originalvorschrift Wassermanns, so können, ohne 
dass es dabei zu unspezifischen Reaktionen zu kommen braucht^ bei 
geringer Bindungsfähigkeit der Extrakte für das stets in gleicher 
Menge verwendete Komplement zu viel negative Ergebnisse die 
Folge sein, im umgekehrten »Falle aber ein hoher Prozentsatz an posi¬ 
tiven Ergebnissen [s. a^ *)]. Schon Boas hat darauf aufmerksam 

9 ) So sagt C. Lange (ZschT. f. Imm.Forsch. I. Teil. Orig. 26. 
1917.): „Die Originaltechnik ist bei Beachtung sämt¬ 
licher vorgesclkriebener Details auch in den fein¬ 
sten quantitativen Verhältnissen genau ausbalan- 
ciertund bedarf keiner Verbesserung. Bei Verwendung 
standardisierter Extrakte und genauer Einhaltung der 
Originalvorschrift müssen verschiedene Untersucher zu gleichen Re¬ 
sultaten kommen, eine Forderung, die wir im Dahlemer Institut durch 
grössere Versuchsreihen ausnahmslos erfüllen konnten. Wir stehen 
nicht an, zu behaupten, dass sämtliche Differenzen in den mit dem 
gleichen Serum erhaltenen Resultaten restlos auf falsches Arbeiten 
zurückgeführt werden müssen.“ 

10 ) Diese u. a. Literatur s. bei E. Sonntag: Die Wasser¬ 
mann sehe Reaktion. Berlin, Jul. Springer, 1917. 

11 ) Ueber derartige Befunde hat z. B. M. Stern (Zschr. f. 
I»mm.Forsch. I. Teil. Orig. 22. 1914.) ausführliche Protokolle mitge¬ 
teilt, die wir hier in einer Uebersicht anführen wollen (M. Stern 
wählt gleiche Komplement- und wechselnde Ambozeptorwerte): Die 
Komplementdosis 0,5 ergibt völlige Hämolyse mit einer Ambozeptor¬ 
verdünnung 1:1600. Die Austitrierung von 7 im hämolytischen Ver¬ 
such also gleich wirksamen Komplementen (A:S. 133; I—VI: S. 141 
bis 143) ergibt mit 3 verschiedenen Extrakten folgende Ambozeptor- 
werte: 


Komplement: 

A. 

I 

11 

III 

IV 

V 

VI 

Hämolyt. Syriern allein . . 
Dasselbe mit Extrakt IX . 

1:1600 

1:1600 

1:1600 

1:1600 

1:1600 

1:1600 

1:1600 

1 : 800 

1:1000 

1 :1000 

1:1000 

1:1600 

1:1600 

1:1000 

„ ,, „ XI . 

1 : 800 

1:1200 

1:1200 

1:1200 

1:1600 

1:1600 

1:1200 

ii „ „ xx. 

1:1200 

1:1600 

1:1600 

1:1600 

1:1600 

1:1600 

1:1600 


Difitized by Gouole 


gemacht, dass das Ergebnis der WaR. in hohem Grade von den 
Schwankungen des Komplementgehaltes abhängen müsse. Jene bei¬ 
den Möglichkeiten, können selbstverständlich, wie z. B. an verschie¬ 
denen Tagen an derselben Untersuchungsstelle, auch beim gleichen 
Serum an verschiedenen Untersuchungsstellen zutage treten. Die 
meisten Untersuchungsstellen sind deshalb schon lange dazu über- 
gegangera, die Beziehungen des Komplementes im Versuch nicht nur 
zum hämolytischen Ambozeptor, sondern auch zu den verschiedenen 
Extrakten festzustellen, weil eben die Bindungsfähigkeit des Kom¬ 
plements allein und in Gegenwart der Extrakte eine recht verschiedene 
sein kann (M. Stern u. a.). Werden diese doppelten Beziehungen nicht 
berücksichtigt, so müssen sehr wechselnde Ergebnisse die Folge sein. 
Auch die Beeinflussung des Komplements durch zugefügtes Serum 
neben denj Extrakt ist von Bedeutung und zu prüfen (Kaup, Sonn- 
t a g), weil dadurch die „antikomplementäre“ Wirkung der Extrakte 
deutlich beeinflusst wird. Essind also in erster Linie Ver¬ 
schiedenheiten des Komplements und seiner Bin- 
dungsf ähigkeit, die beim gleichen Serum den ver¬ 
schiedenen Ausfallder Untersuchung an verschie¬ 
denen Stellen bedingen. Verschiedenheiten der Extrakte, 
Veränderungen im Serum sind ebenfalls zu berücksichtigen (tage¬ 
langes Stehen usw.). Auf die grosse Bedeutung der Veränderungen 
im Serum hat Bruck*) eingehend hingewiesen. 

Das wäre ein Teil der in Betracht kommenden- technischen 
Fragen. „Aber über die Herkunft und die Natur und die gegenseitigen 
physikalischen, chemischen und biologischen Beziehungen der bei der 
W a ss erma n raschen Reaktion wirksamen Stoffe haben wir auch 
bis heute kein klares Urteil. Darum» können dieselben gelegentlich die 
Reaktion beeinflussen, ohne dass wir dabei etwas anderes als eine 
Störung festzustellen imstande sind.“ (M. Stern.) 

Es ist keine Frage, dass derartige Momente mit dazu beitragen, 
dass immer wieder neue Methoden- der Vereinfachung bzw. der „Ver¬ 
feinerung“ der WaR. angegeben werden. »Dass wir auf dem Wege 
der Vereinfachung nicht weiter kommen* dürfte hinreichend klar sein. 
Die Unbekanntem hn Versuch mehren sich und 1 damit muss un¬ 
weigerlich auch dre Zuverlässigkeit' des Ausfalls abnehmem W i r 
dürfen aber nicht daran Vorbeigehen, dass die von 
den verschiedenen Seiten gelieferten mühevollen 
Arbeiten zur Verfeinerung bzw. zur Verbesserung der 
WaR. ihren Grund eben darin habeiu dass die ur¬ 
sprüngliche Technik der Methode den Ansprüchen 
nicht mehr genügt. Das geht ja auch aus Brucks Kritik 
hervor. Wasserman n bestreitet mm auch heute noch, dass seine 
Methodik verbesserungsbedürftig sei und hat das im einzelnen durch 
seinen Schüler C. Lange ausführen lassen fs. a. Anmerkung 9 )1. Wir 
müssen deshalb auf diese Fragen noch etwas näher eingehÄi. 

B. Die Wassermannsche Technik und deren Kritik. 

Wir haben schon betont, dass Wassermann mit »Recht sich 
darüber beschwert hat, dass als WaR. Untersuchungen und Methoden 
bezeichnet werden, die von den von Ihm gegebenen Vorschriften 
sehr weit abweichen. Deshalb müssen wir seine Forderungen im 
einzelnen kurz besprechen, soweit sie für unsere Frage von Bedeu¬ 
tung sind. 

Wassermann verlangt zunächst, dass die Blutflüssig¬ 
keit spätestens 24 Stunden nach der Blutentnahme 
untersucht wird. Das wird sich regelmässig zwar nur selten 
durchführen lassen 1 *). Es ist aber trotzdem nicht zu beanstanden, 
wenn Wassermann in der Abweichung hiervon eine unzulässige 
Abänderung seiner Vorschrift sieht. Denn bei längerer Auf¬ 
bewahrung des Blutes (Verschickung usw.) treten zweifellos 
nicht selten in der Blutflüssigkeit Veränderungen auf, 
die den Ausfall der Wa»R. beeinflussen können (Eigemhemmumg usw., 
s. o.). Dies muss bei der Anstellung des Versuches unbedingt be¬ 
rücksichtig werden 13 ). 

Wassermann verwendet 14 ) für das hämolytische System 
eine 5 proz* Hammelblutkörperchenaüfscbwemmung (= 11 proz. Ham- 
melblutaufschiwenrmumgX während! viele Untersucher (z. B. Kaup) 
eine 5 proz. Hammelbilutaufschwemmumg verwenden. 

Wassermann» betont weiter die Wichtigkeitder Ver¬ 
wendung frischen Meerschweinchenserums als 
Komplement und sagt: eine Auswertung des Komplements-sei 
überflüssig, da „das Serum gesunder Meerschweinchen 
frisch nach Entnahme einen ganz konstanten Kom¬ 
plementgehalt besitzt“ [Lange 1# )l. Andere Eigebn-isse 
seien» allein darauf zurückzuführen, dass man nicht gleichmässig her¬ 
gestellte Blutmischungen verwendet habe 16 ) Wassermann 
arbeitet deshalb stets mit der gleichen Komplementmenge (0,5 ccm 
einer 10 proz. Meerschweinchenserumverdünnung), von der eine etwa 
einer 2,5—3 proz. Verdünnung entsprechende Menge für die Hämolyse 

ia ) Bei klinischen Fällen haben wir das stets eingehalten. 

13 ) Die Serumkontrolle darf in einfacher Dosis mit 5 proz. Kom¬ 
plement keine Spur einer Hemmung zeigen (L, a n g e). 

14 ) Ebenso auch wir. 

lft ) Sperrung im Original. 

1Ä ) Das Vorkommen von Normalambozeptoren im Serum von 
älteren Meerschweinchen ist, wenn es nicht hohe Grade erreicht, für 
den Ausfall des Versuchs ohne Bedeutung. Die Berücksichtigung im 
Vorversuch ist aber nötig (M. Stern u. a.). 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



13. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


genüge. Diese Menge (Koinplementeinheii) werde also im Versuch 
etwa dreifach genommen und müsse aucli so überschüssig gewählt 
werden, da die Hemmung durch die Extraktgebrauchsdosis V* Kom- 
plementeinheiten betrage. Es müsse somit in jeder Mischung, der 
Extrakt beigefügt ist, mindestens 7 proz. Komplement enthalten sein, 
wenn völlige Hämolyse gesichert .sein soll. 

Unterschiede m der Bindungsfähigkeit des Komplements (s. o.) 
hat Lange nie ieststellen können. 

Als sicher negative Seren sind hiernadh jene anzusehen, die nicht 
mehr als etwa 7 Proz Komplement verbrauchen, die also die Eigen- 
nemimmg des Extraktes zum mindesten nicht erhöhen, sie vielleicht 
sogar herabsetzen. 

Nun gibt es Seren (von Fiebernden, Karzinom, Scharlach usw.), 
die mehr Komplement bei Gegenwart von Extiakt verbrauchen, ohne 
dass diese Reaktionen als positive WaR. bezeichnet werden dürften. 
Deshalb sei der Komplementüberschuss nötig. Denn diese positiven, 
aber unspezifischen Komplernentbindungen müssten ausgeschaltet 
w erde n, wenn dadurch auch sichere Syphilisseren mit schwacher 
Hemmung als> negativ bezeichnet werden. Die Grenze zwischen 
negativer und positiver Reaktion, die ja eine fliessende, keine scharfe 
ist, müsse so gezogen werden, dass falsche Ergebnisse ausgeschlossen 
smd. Lange hat das in einer sehr übersichtlichen Tabelle dar¬ 
gestellt 

Aus dieser Tabelle geht übrigens klar hervor, 
dass die Titrierung des Komplements einen er¬ 
heblichen Wert besitzt, insbesondere für die Aus¬ 
sonder un>g derartiger Grenzfälle, bzw. für die Fest¬ 
ste 11 ungder Grössedes Komplementverbrauchs 17 ). 
Da nun eine stärkere Eigen he mmung des Serums, z. B bei 
länger aufbewahrten Seren, erst dann deutlich wird (durch die Serum¬ 
kontrolle), wenn mehr als der Komplementüberschuss verbraucht 
wird, was immerhin selten ist, so empfiehlt Wassermann für 
die Untersuchung älterer Seren eine Serumkontrolle mit einfacher 
Serumdosis und nur 5 Proz. Komplement 18 ). Dann muss eine Eigen¬ 
hemmung, die bei negativen Seren mit leichter unspezifischer Hem¬ 
mung das Ergebnis beeinflussen könnte, sich auch in der Kontrolle 
zeigen, also wenn die Eigenhemmung mehr als 2 Proz. Komplement 
verbraucht. Bei der Serumkontrolle mit doppelter Dosis würde das 
erst bei einer Eigenhemmung, die etwa einem Verbrauch von 4 Proz 
Komplement entspricht, der Fall sein 1 "). Derartige Fälle sind immer¬ 
tun selten. Sie können aber ohne Prüfung mit verschiedenen Kom¬ 
plementmengen Täuschungen hervorrufen und haben das sicher schon 
oft getan, wenn auch das Ergebnis fast stets in der Breite der zweifel¬ 
haften Ausfälle bleiben wird 18 *). 

Diese Feststellungen Langes scheinen mir sehr für die 
Notwendigkeit des» Arbeitens mit abgestuften (steigenden) Kcmple- 
mentmengen (K a u p) zu sprechen. 

Eine schwache Seite der Orginalvorschrift bilden die Ex¬ 
trakte. Die Feststellung der Gebrauchsdosis erfolgt rein auf dem 
Versuchswege durch Prüfung neben einem oder mehreren guten Ex¬ 
trakten (Standardextrakten) an einer grossen Zahl negativer und 
positiver Seren. Diese Prüfung ist also eine ganz subjektive, bei 
der eilte volle Uebereinstimmung zu den grössten Seltenheiten gehört. 
Das hat wohl jeder Untersucher schon empfunden. Gewiss können 
diese Unterschiede sehr gering sein. Dass die Abweichungen! nach 
oben oder unten aber bei allen Seren ausnahmslos in der gleichen 
Richtung liegen, kann ich nicht bestätigen. Zum mindesten ist das 
keine ausnahmslose Regel. So sehen wir, dass bei einer Reihe am 
gleichen Tage mit den gleichen Extrakten untersuchter Syphilisseren 
teils U eher einst imm ung (positiv bzw. zweifelhaft) besteht, teils z. B. 
Extrakt A einen positiven bzw. zweifelhaften, Extrakt B einen nega¬ 
tiven Ausfall gibtbei strenger Einhaltung von Wassermanns 
Vorschriften. Hier können nur Verschiedenheiten im menschlichen 
Serum oder Verschiedenheiten in den Beziehungen zwischen Ex¬ 
trakt und ‘untersuchtem Serum bzw. zwischen ihrer Mischung und 
dem Komplement zugrunde liegen. Denn hier ist ja überall das gleiche 
Komplement verwendet worden. Dass wir hierfür in erster Linie 
das Krankenserum verantwortlich machen müssen, geht auch daraus 
hervor, dass bei der Verwendung der doppelten Serummenge solche 
Fälle z. B. durchweg übereinstimmende Ergebnisse mit beiden Ex¬ 
trakten (positiv bzw. negativ) liefern können. Derartige Beob¬ 
achtungen sind auch von anderer Seite gemacht worden. 


17 > Diese Tabelle spricht schon allein für die Richtigkeit des Ge¬ 
dankens, auf dem K au p seine Methode aufgebaut hat, mit steigenden 
Komplementmengen zu arbeiten. 

18 ) Bei Verwendung von 10 proz. Komplement für die Serum- 
kontrolle muss die doppelte Serumdosis genommen werden, Eigen¬ 
hemmung des Serums wird aber hierbei erst deutlich, wenn sie 
wesentlich stärkere Grade erreicht hat (etwa das Doppelte). 

1B ) Solche „unspezifische“ Hemmungen zeigen sich nicht selten 
dadurch an, dass die Serumkontrolle nur sehr langsam sich löst. 

1# *) Zusatz bei der Korrektur: Nach Berczeller gibt es auch 
Hemmungen, die nicht auf der Wirkung der Organextrakte beruhen, 
sondern auf deren Alkoholgehalt Täuschungen dadurch können ver¬ 
mieden werden durch Zusatz von Alkohol zur Serumkontrolle (W.kl.W. 
1918 Nr. 17). 

*°) Derartige Befunde sogar mit denselben Seren an verschie¬ 
denen (z. B. an zwei aufeinanderfolgenden Tagen) sind auch von 
anderer Seite beobachtet worden (s. a. Anm. 2). 


Nr. 33. 


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>y Googk 


m 

Aus der nicht unbeträchtlichen Reihe von Untersuchern, die im 
Gegensatz zu W a s s e r m a n n die Originalmethode der WaR. für 
verbesserungsbedürftig halten, nenne ich hier nur Kaup, weil sein 
Verfahren sich am meisten zum Vergleich mit der Originahnethode 
eignet und ausserdem seine Untersuchungen mir geeignet scheinen, 
manche bisherige Schwierigkeiten zu beseitigen. Die Methoden', die 
unerhitztes (aktives) Krankenserum verwenden, berücksichtige ich hier 
überhaupt nichi 3i ). 

Kaup steht wie eine Reihe anderer Forscher auf dem Stand¬ 
punkt, bei gleich grossem Ambozeptorüberschuss 
nicht stets die gleiche (wie Wassermann), sondern grundsätzlich 
eine möglichst geringe Komplementmenge zu verwen¬ 
den, um die Schärfe der Reaktion zu erhöhen. Sonst könne bei ge¬ 
ringem Reaktionskörpergehalt die spezifische Bindung verdeckt wer¬ 
den, weil genügend Komplement für das hämolytische System frei 
bleibe. Bei starker Eigenhemmung des Extraktes könne allerdings 
dabei im negativen Seren eine Hemmung eintreten! 

Nach Kaups Erfahrungen, die sich mit denen vieler anderer 
(Boas, Müller, M. Stern u. a.) decken, zeigt normales Meer- 
schwemchenserum ein starkes Schwanken der Komplementwerte so¬ 
wohl von Meerschweinchen zu Meerschweinchen wie von Mischserum 
zu Mischserum. 

Mögen hierbei vielleicht auch äussere Bedingungen mitspielen, 
so beweisen doch die Mitteilungen von Kaup, Bruck, Rosen¬ 
thal u. a., dass Verschiedenheiten des Komplementes auch in staat¬ 
lichen bzw. militärischen Instituten Vorkommen (Kaup S. 138), dass 
ihre Nichtberücksichtigurng zu fehlerhaften Ergebnissen führt und 
dass sie deshalb beachtet werden müssen. Sind aber Schwankungen 
im Koniplementgehalt des Meerschweinchenserums vorhanden, so 
müssen diese in jedem Falle berücksichtigt werden und zwar unter 
Beachtung des Einflusses der Extrakt- und Serumzusätze. Die so für 
das hämolytische System als ausreichend erkannte Menge wird von 
Kaup als Komplementeinheit bezeichnet. Da also sowohl Extrakt 
als auch Serum einen Einfluss auf die Wirksamkeit des Komplements 
und aufeinander haben, so müssen im- Untersuchungsgemisch die Ex¬ 
trakt- und Serummengen und damit deren Einwirkung aufeinander 
stets die gleichen sein. Ist so die Mindestmenge 22 ) Komplement be¬ 
stimmt wordens, so werden von ihr ansteigend im Versuch höhere 
Dosen gewählt, um die Breite der Komplementbindung durch d*as 
Extrakt-Serumgemisch beurteilen zu könneni Kaup wertet also im 
Versuch gleichzeitig quantitativ aus. Die Wahl verschiedener Serum¬ 
oder Extraktmengen! zu quantitativer Auswertung des Hemmungs- 
körpers (Boas, Sorraani, Sonntagu. a.) lehnt Kaup ab. Da¬ 
durch würde das gegenseitige Verhältnis und damit die Wirkung der 
einzelnen Stoffe aufeinander verschoben und es würde für jede 
Mengenveränderung eine neue Komplementauswertung nötig seia da 
z. B. die für 0,1 Serum und 0,1 Extrakt ermittelte Komplementmerage 
nicht für 0,2 Serum und 0,1 Extrakt passend sei usw. Kaup geht 
dabei von der Annahme aus, dass allein - das Komplement auf die 
Reaktionsverhältnisse der Reagentien, insbesondere des Extrakts und 
Versuchsserums keinen Einfluss ausübe. Beweise für diese Auffassung 
teilt aber Kaup nicht mit 2J ). Theoretisch ist jedenfalls nicht einzu- 
sehen, dass ein ähnlicher Einfluss, wie ihn das menschliche Serum 
in der Mischung der Reagentien ausübt, bei verschiedenen Mengen 
des Komplements nicht vorhanden sein soll. Denn -dieser Einfluss 
kommt nach Kaup u. a. nicht nur der Blutflüssigkeit Syphilitischer, 
sondern auch der gesunder Menschen zu. 

Auf Grund von, wie ich glaube, sehr beachtenswerten Unter¬ 
suchungen hat Kaup neue Grundsätze für -die Auswertung -der 
Extrakte aufgestellt Diese Auswertung erfolgt nicht rein em¬ 
pirisch in fortlaufenden Versuchen (Wassermann'u. a.) an einer 
grossen Reihe positiver und negativer Seren, sondern es wird die 
Zonerrverteilung (eiweissfällende, blutlösende, hemmende und spe¬ 
zifische Stoffe bindende Zone) mit und 1 ohne inaktiviertes Normal¬ 
serum und mit und ohne Komplement bei Gegenwart sensibilisierter 
Hammelblutkörperchen geprüft. Dann sei ein einziger geprüfter Ex¬ 
trakt vollkommen ausreichend. Die verschiedenen Befunde bei einem 
Serum mit verschiedenen Extrakten seien nur durch deren unge¬ 
nügende Auswertung, durch Hineingelangen in die lytische Zone usw. 
bedingt. 


S1 ) Für meine Darstellung eignet sich die Kaupsche Methode 
deshalb am besten zum Vergleich mit der Originalmethode, weil beide 
mit gleichen Serum- und Extraktmengen arbeiten. Bei Methoden, 
die abgestufte Serum- (Thomsen u. a.) bzw. Extraktmeqgen 
(Sachs, Sormani u. a.) verwenden, liegen die Verhältnisse we¬ 
niger einfach, ein Vergleich ist schwieriger. Damit soll über den 
grösseren oder geringeren Wert anderer Methoden und Abänderungen 
gar nichts gesagt sein. 

22 ) Durch frühere Ablesung im Vorversuch (Auswertung des Kom¬ 
plementes mit Extrakt und Serum) sichert sich Kaup einen- gewissen, 
wie er annimmt, gleichbleibendem Komplementüberschuss. Er arbeitet 
also im Versuch, wie Wassermann 1 , mit einem Komplementüber¬ 
schuss, nur sei dieser nicht von verschiedener Grösse. 

23 ) S c h 1 o s s b e r g e r hat festgestellt, dass der Zusatz inakti¬ 
vierten Meerschweinchenserums zu den Extraktkontrollen die „anti- 
komplementären“ Eigenschaften der Extrakte abschwäche, also ähn¬ 
lich wirkt wie bei Ka u p s Versuchsanordmung das Normalserum (s. a. 
frühere Mitteilungen von Ritz und Sachs). 

2 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


896 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 


Kaup berichtet leider nicht über vergleichende Untersuchungen 
mit mehreren Extrakten nebeneinander, die uns noch notwendig er¬ 
scheinen 93 *X Sollten- sich aber Kaups Befunde vollkommen be¬ 
stätigen, so würden sie einen grossen Gewinn und eine erhebliche 
Vereinfachung der Methodik darstellen. 

Dass die bisherige Auswertung der Extrakte keine befriedigenden 
Ergebnisse liefert, zeigt das oben gegebene Beispiel. Wir selbst 
haben deshalb stets mit 3 Extrakten gearbeitet, andere (K o 11 e, 
M. Stern) verlangen sogar 5! Das ist, wie wir offen zu* 
geben müssen, das Zeichen eines schweren Miss¬ 
trauens gegen unsere bisherige Extraktauswer¬ 
tung. Kaups Ergebnisse scheinen hier einen wesentlichen Fort¬ 
schritt darzustellen. Ein abschliessendes Urteil über ihren Wert 
möchten wir allerdings erst abgeben, wenn grössere Umtersuchungs- 
reihen mit mehreren nach Kaup ausgewerteten Extrakten neben^ 
einander vorliegen 24 ). 

Die Eigenhemmung, deren Vorkommen Wassermann 
(Lange) für frische (und frisch verarbeitete) menschliche Blutflüssig¬ 
keit überhaupt bestreitet, ist nach Kaup etwas sehr Häufiges. Be¬ 
sonders bei schutzgeimpften Militärpersonen noch Monate nach der 
(Cholera-Typhus-) Schutzimpfung, auch wenn vor und sofort nach 
der Schutzimpfung Eigeiibemmuwg sich nicht hat nachweisen lassen. 
Da nach A o k i und Landsteiner die Eigenhemmung im Serum 
mit der Bildung von Antikörpern parallel gehe, so seien die „posi¬ 
tiven“ Ausfälle der WaR. bei manchen Infektionskrankheiten (Schar¬ 
lach, Tuberkulose, -Pneumonie, Malaria, Lepra usw.) vielleicht öfter 
auf nicht richtig erkannte E'igenhemmuiDg zurückzufiihren^ also mit 
spezifischer Komplementbinduog verwechselt worden 25 ). 

Kaup macht nun der Original m et hode Wasser- 
m a n n s zum Vorwurf, dass bei ihr eine ganze Reihe 
von sicheren Syphilisfällen der Feststellung ent¬ 
gingen. Die Originalmethode mit ihrer Vorschrift der Verwen¬ 
dung einer gleichbleibenden Komplementmeuge genüge in keiner 
Weise der Forderung, „dass stets eine bestimmte Menge spezifischer 
Stoffe gleichmässig nachgewiesen werden kann“. Die reine Kom- 
plemen-teinheit (im hämolytischen Versuch) und auch die Gebrauchs* 
einheit mit Einnechnung der Extrakt- und Serumhemmung seien 
schwankende Grössen. Das Verhältnis dieser Summe zu dem gleich- 
bleibenden Kompl-ementüberschuss müsse deshalb ein verschiedenes 
werden. Bei dieser Sachlage muss es daher bei der Anwendung 
d>er Originalmethode zu einem stark wechselnden Ausfall der Re¬ 
aktion. bedingt durch den Wechsel der Empfindlichkeit kommen“. 
Nach der Originalmethode erzielt die Untersuchung desselben Serums 
durch verschiedene Untersucher übereinstimmende Ergebnisse nur bei 
völliger Uebereimsfcimmung der Reagentien <was praktisch nicht durch¬ 
führbar ist). Daran würde auch die Verwendung staatlich geprüfter 
Extrakte und) Hämolysine, die an sich wünschenswert ist, nichts 
ändern. Diese Uebereinstimmung lässt sich aber nach Kaup bei 
seiner Methodik, auf deren weitere Einzelheiten ich hier nicht ein- 
gehen will, erreichen (a. a. 0. S. 167), ohne dass die gleichen Reageutien 
an den verschiedenen Untersuchungsstellen verwendet werden. Und 
dieser Forderung müsste eine Methodik gerecht werden, die den An¬ 
spruch auf vollkommene Zuverlässigkeit erhebt. Die Gefahr unspe¬ 
zifischer Hemmungen scheint dabei durch die Art der Anordnung 
geringer zu sein als bei der Originalmethode. Allerdings besteht diese 
Gefahr bei strenger Einhaltung der Wassermann sehen Vor¬ 
schriften auch rticht, aber eben nur unter bestimmten Voraussetzungen. 
Dazu gehört auch, dass die einzelnen Seren an verschiedenen Unter¬ 
suchungsstellen nur nach gleicher Vorbehandlung (Verschickung, Auf¬ 
bewahrung usw.) untersucht werden, wie das in den von Kaup be¬ 
richteten Untersuchungen wohl geschehen ist. Dann sind Stö¬ 
rungen durch Umsetzungen im Krankenserum mit ihren Folgen wohl 
zu vermeiden, die sonst allein verschiedene Ergebnisse bei der Unter¬ 
suchung desselben Serums bedingen können. 

(Schluss folgt.) 


-’ 3 *) Zusatz bei der Korrektur: W. v. Kaufmann gibt an, dass 
auch nach der Kaupschen Methode beim Arbeiten mit mehreren 
Extrakten die Ergebnisse beim selben Serum voneinander abweicheii 
können (MK-1. 1918 Nr. 25). 

24 ) Ich möchte hier nur darauf hinweisen, dass auch bei Ver¬ 
wendung spezifischer Bakterienextrakte, z. B. bei der Rotzdiagnose, 
durch die regelmässige Heranziehung mehrerer Extrakte die Dia¬ 
gnostik erheblich verbessert wird. Also auch hier sind wohl Serum¬ 
verschiedenheiten von Bedeutung, die eine verschiedene Wirksam¬ 
keit der Extrakte bedingen. Bei (in letzter Linie) unspezifischen 
Organextrakten dürfte diese Möglichkeit noch weniger auszuschliessen 
sein. Deshalb ist es mir zweifelhaft, ob bei der Kaupschen Me¬ 
thode die Verwendung eines Extraktes ausreichend ist. Diese Frage, 
die wohl noch weitere Feststellungen verlangt, Jiraucht uns aber hier 
nicht zu beschäftigen, da die K a u p sehe Methode auch nach Unter¬ 
suchungen an anderer Stelle als vollkommen spezifisch anzusehen ist. 

25 ) Die Tatsache, dass nach allgemeiner Anschauung bei Syphilis 
Eigenhemmung häufiger gefunden wird als sonst, spricht jedenfalls 
„eher für als gegen die Anschauung, dass die WaR. im Zusammen¬ 
hang mit einer Immunreaktion des Organismus steht“ (Rud. Mülle r). 


Aus der Kgl. Universitätsklinik für Hautkrankheiten in Kiel. 

lieber die Wirkung von Terpentineinspritzungen auf 
Eiterungen und Entzündungen. 

Von Prof. Dr. Victor Klingmüller. 

In einer früheren Arbeit habe ich meine Erfahrungen über Be¬ 
handlung von Entzündungen und Eiterungen durch Terpentin¬ 
einspritzungen mitgeteilt (s. D.m.W. 1917 Nr. 41). In dieser Arbeit 
war ausgeführt, dass es gelingt, durch Einspritzungen von Ol. tere- 
binth. rectific. eine Reihe von Krankheiten, welche mit Entzündungen 
und Eiterungen einhergehen, günstig zu beeinflussen, oder zu heilen. 
Ueber die weiteren Erfahrungen und Beobachtungen bei dieser Art 
von Behandlung möchte ich in folgendem berichten. 

Was zunächst die Technik anbelangt, so weise ich noch 
einmal darauf hin, dass man die Terpentineinspritzunge» so gut wie 
schmerzlos machen kann, wenn man sie — w'ie ich damals angab — 
in die Gesässgegend, etwa in der hinteren Aehsellinie, bis tief auf 
den Knochen der Beckenschaufel etwa 1 bis 2 Querfinger breit unter¬ 
halb ihres oberen Randes gibt. Nach Reinigung der Haut mit Jod¬ 
tinktur spritze ich sehr langsam ein und verschiebe die Nadel, oder 
steche an einer anderen Stelle ein, w^enn das Terpentin stärkere 
Schmerzen auslöst. An dieser Stelle trifft man nämlich nicht Muskel¬ 
gewebe, denn dieses ist ausserordentlich empfindlich gegen Ter¬ 
pentin. Ich lasse die Kranken jetzt nicht mehr, wie ich früher angab, 
nachher im Bett liegen, da es sich nicht als unbedingt notwendig 
erwiesen hat. 

Was die Dosis anbelangt, so bin ich im grossen und ganzen 
bei einer 20proz. Verdünnung des Ol. terebinth. rectific. in Ol. olivar. 
geblieben. Stärkere Lösungen können grössere Beschwerden ver¬ 
ursachen. Im allgemeinen gebe ich die Dosis jetzt kleiner und beginne 
gewöhnlich mit V* ccm der 20 proz. Lösung = 0,05. Ueber diese 
Dosis gehe ich im allgemeinen nicht hinaus, denn sie scheint vollauf 
zu genügen. Man kann sie in Zwischenräumen von einigen Tagen 
beliebig oft wiederholen. Unter gewissen Bedingungen wird es 
allerdings angebracht sein, die Dosis zu erhöhen, so z. B. bei Tripper 
der Augenbindehaut, der Gelenke und Sehnenscheiden. 

Ich möchte schon, an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, 
dass die weiteren Erfahrungen mit Einspritzungen von C r o t o n ö 1 
dieselben günstigen Ergebnisse gezeitigt haben, aller¬ 
dings in viel kleinerer Dosis von etwa VI»— 1 mg. Weitere Versuche 
in dieser Richtung sind noch nicht abgeschlossen. 

Was nun die Wirkung auf die verschiedenen 
Krankheiten anbelangt, so kann ich das früher Gesagte nur 
bestätigen. Besonders haben wir weiter günstige Erfahrungen ge¬ 
macht bei gonorrhoischen Komplikationen. Allerdings 
möchte ich noch einmal vor unzweckmässiger Verwendung bei gonor¬ 
rhoischer Erkrankung der hinteren Harnröhre des Mannes warnen. 
So überraschend es in einzelnen Fällen wirkt, so ist andererseits 
zweifellos, dass infolge der Terpentineinspritzung, wie z. B. auch 
nach Gonokokkenvakzine, die Gonorrhöe sich nun erst recht in den 
Nebenhoden und Samensträngen festsetzen kann. Einige Fälle von 
gonorrhoischen Anhangserkrankungen der Frau sind überraschend 
günstig beeinflusst worden. 

Weiter hat sich das Terpentin bewährt bei Furunkeln, 
Furunkulose, Folliculitis barbae, impetiginösen 
Formen akuter und chronischer Ekzeme, infiltrier¬ 
ten Ekzemen der Handteller und F u s s s o h 1 e n, bei 
Acne vulgaris, darunter bei Fällen schwerster Art, Schw r eiss- 
drüsenabszessen der Achselhöhle usw. 

Ebenso haben die weiteren Beobachtungen bestätigt die 
günstige und heilende Wirkung des Terpentins bei Pityriasis 
rosea, Lichen ruber, Impetigo contagiosa und be¬ 
sonders auch bei Lupus erythematodes. 

Die gleichen Erfahrungen liegen weiter vor bei Erkran¬ 
kungen der Blase und des Nierenbeckens. 

Eigenartig ist die Wirkung des Terpentins hei tuberkulösen 
Erkrankungen. Wir haben jetzt zweifelsfrei festgestellt, dass 
gut reagieren das sog. Skrophuloderma, vereiterte Halsdrüsen, und 
dass auch beim Lupus vulgaris eine Einwirkung nicht zu verkennen 
ist. Immerhin möchte ich bei der Langwierigkeit dieser Krankheit 
mir ein abschliessendes Urteil noch nicht erlauben. 

Die jetzt so stark verbreitete T richophytie und zwar ober¬ 
flächliche und tiefe Formen behandeln und heilen wir ausschliesslich 
mit'Terpentineinspritzungen. 

Die Terpentineinspritzungen wirken nicht bloss bei Krank¬ 
heiten, welche durch Bakterien oder Pilze hervorgerufen werden, 
sondern auch bei entzündlichen Vorgängen, deren Ursache uns nicht 
genau bekannt ist. So ändert sich mit einem Schlage das ganze 
Krankheitsbild bei einer ganzen Reihe von Fällen akuter Der¬ 
matitis, mögen diese Hautentzündungen mehr unter die Gruppe 
der akuten Ekzeme oder artifizieller Dermatitiden zu rechnen sein, 
jedenfalls bei Hautentzündungen aus verschiedenen Ursachen. So 
ist es uns z. B. auch gelungen, bei dem StrpphulusderKinder 
meist durch eine einzige Einspritzung zu erreichen, dass die Patienten 
von dem wochen- oder monatelang bestehenden, mit starkem Juck¬ 
reiz einhergehendeu nesselartigen Ausschlägen befreit blieben. Der¬ 
artige Erfahrungen haben uns auch veranlasst, in einem Falle von 


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Gougle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



[8. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


m 


Salvarsanexanthem Terpentin anzuwenden und zwar mit 
zweifellos sehr gutem Erfolg. Ueber diese Fälle und einige Beob¬ 
achtungen ähnlicher Art wird Herr Dr. G r a b i s c h in einer späteren 
Veröffentlichung berichten. 

Wir haben also gesehen, dass die Einspritzungen von Ter¬ 
pentinöl unter die Haut imstande sind, auf die verschiedenartigsten 
Entzündungen und Eiterungen einen Einfluss auszuüben. Es erhebt 
sich nun die Frage, wie haben wir uns diese Wirkung vorzustetlen? 

In meiner früheren Mitteilung hatte ich erwähnt, dass ich zu 
der Anwendung des Terpentins deshalb gekommen war. weil ich 
nicht ganz von der spezifischen Wirkung bakterieller Präparate, oder 
von Bakterienextrakten überzeugt war. Allein schon die Tatsache, 
dass eine Reihe anderer Stoffe wie Proteine, Vakzinen usw. wenig¬ 
stens ähnliche Wirkungen auszulösen vermögen, regte zu Versuchen 
an. Mit der heilenden Wirkung solcher Präparate ist eng verknüpft 
die sog. örtliche Reaktion von Krankheitsherden durch spezifische 
Bakterienextrakten, wie sie in klassischer Weise das Tuberkulin 
hei Tuberkulose hervorzubringen vermag. In der Tat gelingt 
es auch mit Terpentin oder Crotonöl derartige örtliche 
Anreizungen hervorzurufen und zwar nicht nur bei Tricho¬ 
phytie, Gonorrhöe, Furunkulose usw., sondern auch bei 
Tuberkulose, z. B. bei Lupus vulgaris. Allerdings sind 
die örtlichen Erscheinungen nicht ganz so ausgeprägt, wie bei Tuber¬ 
kulin, aber bei einer ganzen Reihe von Lupusfällen, die wir daraufhin 
geprüft haben, ist einwandfrei festgestellt, dass etwa in derselben 
Zeit wie bei Tuberkulin, also nach 6 bis 12 oder mehr Stunden sich 
eine Schwellung und Rötung des Krankheitsherdes einstellt, welche 
mit oder ohne Temperatursteigerung etwa einen Tag anhalten kann 
und dann unter Abschuppung des Herdes langsam verschwindet. 

Ferner ist hervorzuheben, dass bei einer genügend hohen Dosis 
von Terpentin, Crotonöl oder ähnlichen Stoffen das Blutbild sich 
verschieben kann, insofern sich eine Vermehrung der weissen 
Blutkörperchen und zwar in erster Liuie der vielkernigen Leuko¬ 
zyten einstellt. Diese Vermehrung ist aber bei kleineren Dosen, 
welche trotzdem eine heilende Wirkung ausüben, kaum oder gar 
nicht ausgeprägt. Wir können also dieser Veränderung allein die 
Ursache der Wirkung nicht zuschreiben. 

F i e b er tritt bei kleineren, mittleren oder selbst grösseren 
und zwar heilenden Dosen nicht ein. Es kommt also für die Be¬ 
utteilung der Wirkung gar nicht in Frage. 

Es ergeben sich nach meiner Ansicht folgende Möglich¬ 
keiten für eine Erklärung der Wirkung: 

1. Das im Blute und in den Körpersäften kreisende Terpentin 
oder seine Oxydationsformen können rein chemisch wirken, indem 
sie die von den pathogenen Pilzen ausgehenden körperfremden Gift¬ 
stoffe unwirksam machen. 

2. Das Terpentin oder ähnliche Mittel lenken diejenigen Stoffe 
von dem Krankheitsherd ab, welche die schädigenden Pilze an sich 
lieranlocken. Die stärkere Gewalt des Terpentins macht dadurch 
die pathogenen Pilze zu unwirksamen Schmarotzern, deren sich der 
Körper leichter entledigen kann. Die pathogenen Pilze vermögen 
dann eben nicht mehr diejenigen Stoffe an sich heranzuziehen, welche 
die Gewebsveränderungen verursachen. In erster Linie sind das 
natürlich die weissen Blutzellen. Es wäre ja aber auch denkbar, 
dass auch noch andere Bestandteile des Blutes, oder gelöste Stoffe 
dazu gehören, deren Nachweis im Krankheitsherd uns durch die 
bisherigen Untersuchungsarten nicht möglich ist. 

3. Die Aehnlichkeit der Wirkung des Terpentins mit derjenigen 
von spezifischen Vakzinen lässt ohne weiteres die Erklärung zu, dass 
der Körper zur Bildung von Stoffen angeregt wird, welche entweder 
Gegengifte gegen die pathogenen Bakterien oder eine Art von 
Opsoninen sind. 

4. Eine weitere Möglichkeit, die Wirkung des Terpentins zu 
erklären, ist folgende: Terpentin oder ähnliche Stoffe haben eine aus¬ 
gesprochen entzündungserregende Wirkung. Bringe ich diese Stoffe 
in die Blutbahn, so wird der Körper, wie bei jedem anderen fremden 
i'toff, mit der Bildung von Gegenstoffen (Antikörpern) antworten. 
Es bildet sich also mit anderen Worten ein Entzündungsantikörper. 
Ifteser müsste die Eigenschaft haben, gegen Entzündungen und 
Eiterungen der verschiedensten Art wirksam zu sein, und damit 
natürlich auch die Wirkung pathogener Pilze abschwächen oder auf- 
heben. Wäre diese Annahme richtig, so würde sich ein weiterer 
Weg zu Versuchen ergeben, nämlich, einen Antikörper herzustellen, 
welcher möglichst vielseitig (polyvalent) ist. Versuche dieser Art, 
w eiche im Gange sind, werden zeigen, ob diese Auffassung richtig ist. 

Alle Erklärungsversuche beruhen natürlich mehr oder weniger 
auf Vermutungen, aber sie scheinen mir die Richtungen anzudeuten, 
m welchen weitere Untersuchungen zu machen sind, um die Frage 

spezifischer Reaktionen weiter aufklären zu helfen. 


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Aus der med. Klinik Marburg. (Prof. G. v. Bergmann.) 

Purpura mit und ohne Thrombopenie. 

Von Privatdozent Dr. G. Katsch, Oberarzt der Klinik. 

Die symptomatologischen Formen, die vom Morbus maculosus 
Werlhofii aufgestellt wurden, sind zahlreich und strittig. Gerade 
wenn für einen Einzelfall gefunden werden soll, unter welche Kate¬ 
gorie er am besten eingereilit würde, treten Meinungsverschieden¬ 
heiten wie objektive Schwierigkeiten hervor. Man unterscheidet 
eine Purpura Simplex mit Blutungen ausschliesslich in die äussere 
Haut. Hämorrhagische Purpura heisst dagegen jeder Fall mit 
Schleimhautblutungen. Die Peliosis rheumatica ist charakterisiert 
u. a. durch Gelenkerscheinungen und wurde von Schoenlein in 
Beziehung gebracht zur Polyarthritis. Die H e n o c h sehe Purpura 
abdominalis mit Inappetenz und Koliken sowie Darmblutungen ist 
ein weiterer Typ. W i 11 a n s Purpura urticans fügt sich an. Bei 
ihr sind ausser Blutflecken auf der Haut auch erythemartige und 
urtikarielle Erscheinungen zu bemerken. Und schliesslich wurde 
auch durch Hcnoch eine seltene Purpura fulminans eingeführt. 
Sie verläuft akut und tödlich unter Auftreten gewaltiger Haut¬ 
blutungen, ähnlich wie in schwersten Fällen von hämorrhagischen 
Pocken. Aber alle Einteilungen befriedigten bisher wenig — schon 
wegen der zahlreichen Uebergänge, die zwischen den verschiedenen 
aufgestellten Typen sich darboten. Das Bedürfnis zu gliedern war 
lebhaft und entsprach zum Teil guter klinischer Beobachtung. Die 
Möglichkeit aber eine Gliederung durchzuführen, war bei der 
mangelnden Einsicht in das Wesen dieser interessanten Krankheit 
oder dieser Krankheit e n nicht gegeben. Und da überdies die er¬ 
wähnten symptomatologischen Sonderungen uns über das Wesen der 
Erkrankungen nichts sagten, da prognostische oder therapeutische 
Differenzen sich aus der Gliederung nicht ergaben, so war es nur 
berechtigt, wenn allmählich in neuerer Zeit efne positivistische 
Richtung in der Beurteilung der Purpuraformen herrschend wurde; 
welche lediglich festhielt an der grossen klinischen Einheit des 
Morbus maculosus Werlhofii. Hierin wurden begriffen alle Fälle von 
primärer hämorrhagischer Diafhese, die nicht hereditär bedingt sind 
und nicht durch einseitige Ernährung. Schon diese negative 
Definition durch Ausschluss von Hämophilie und Skorbut zeigt aufs 
deutlichste, in welcher völligen Unklarheit über das Wesen der 
Krankheitsgruppe man sich befindet. Im Rahmen dieser Einheit des 
Morbus maculosus Hess man die besonderen Typen nur als Unter¬ 
formen oder klinische Varianten gelten: das ist der Standpunkt, wie 
wir ihn in vielen zusammenfassenden Darstellungen der neueren Zeit 
finden, so bei Litten im N o t h n a g e Ischen Handbuch, so bei 
Morawitz im Handbuch der inneren Medizin von Mohr- 
Staehelin. Morawitz wendet sich ganz ausdrücklich gegen 
das „Schematische dieser Trennungen“, „die sich nur auf einige mehr 
oder weniger wichtige klinische Symptome stützen“. Und darüber 
hinaus glauben wir nicht fehl zu gehen, wenn wir annehmen, däss 
die Mehrzahl der modernen Kliniker in den verschiedenen Purpura¬ 
formen nur Varianten einer Krankheitsgruppe sehen und kein grosses 
Gewicht legen auf die Unterscheidung der einzelnen Unterformen. 
Auch die Hämatologie brachte zunächst keine Förderung dieses Ge¬ 
bietes. 

Nun ist neuerdings aus dieser Krankheitsgruppe eine Er¬ 
krankungsform scharf umrissen und herausgehoben worden: die¬ 
jenige Purpura, welche mit einer starken Verminderung der Blut¬ 
plättchen einhergeht. .Von Denys, dann von Bensaude und 
Rivet zuerst klinisch beschrieben, erhielt sie von E. Frank 1 ) 
den Namen „essentielle Thrombopenie“. — Keineswegs aber ist die 
verminderte Plättchenzahl charakteristisch für alle Formen der 
Purpura, wenigstens, wenn wir den heute gangbaren, verschiedene 
Unterformen einschliesseuden Begriff der Purpura oder des Werlhof 
zugrunde legen. Dies verdient betont zu werden. Denn an¬ 
scheinend ist es nicht überall berücksichtigt; so lässt z. B. Fonio*) 
n u r eine Blutfleckenkrankheit mit Plättchenverminderung noch 
gelten. Ebenso Hunter 1 ). Und wenn von den oben genannten 
Autoren und mehreren anderen Fälle von Purpura m i t Thrombo¬ 
penie eingehend geschildert sind, so gewinnen gerade dadurch auch 
die weniger beachteten Fälle von Purpura ohne Thrombopenie 
ein erhöhtes Interesse. — Vier Fälle von Purpura kamen in kurzer 
Zeit auf unsere Klinik: sie seien mitgeteilt. Es sind zwei Fälle, die 
mit einigen individuellen Zügen das typische Bild der „essentiellen 
Thrombopenie“ bieten — wir bringen sie zuerst —; die beiden 
andern gehören in das Gebiet der Purpura Henoch. 

Soweit mir bekannt geworden ist. sind bisher nur wenige Fälle 


1 ) B.kl.W. tt>15 Nr. 18 u. 19. Literatur dort. 

2 ) F. schreibt, er würde es wagen, „aus der Blutuntersuchung 
die Differentialdiagnose zwischen Hämophilie oder Purpura, resp. 
dem stärkeren Grad derselben: Morbus maculosus Werlhofii zu 
stellen; bei der ersteren hohe Plättchenzahlen bei Insuffizienz der 
einzelnen Gebilde, bei der letzteren niedrige Plättchenzahlen bei nor¬ 
malem Verhalten des einzelnen Gebildes“. Dies Schema ist zu eng, 
wie wir zeigen werden. Grenzgebiete 28. 

3 ) W. K. Hunter: Recent Advances in Haematölogy. London 
1911. Pag. 91. 

2 * 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


898 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 33. 


von H e n o c h scher Purpura auf die Zahl der Blutplättchen unter¬ 
sucht worden. Silbermann fand sie bei einem Fall „stark ver¬ 
mehrt“ (Festschrift für H e n o c h). Frank erwähnt beiläufig, dass 
er einen Fall von Hcnoch scher Purpura gesehen hat, bei dem 
Thrombozyten vorhanden waren. Dasselbe ist bekannt von zwei 
Fällen von Duke (zit nach Frank), während für die Peliosis rheu- 
matica und einige Fälle von Purpura simplex bereits die französischen 
Autoren darauf hingewjesen haben, dass eine Thrombozytenver¬ 
minderung dabei nicht eintritt. 

Krankengeschichte I. Der kriegsgefangene 34jährige 
Russe F. hat in jungen Jahren Typhus durchgemacht. Sonst war 
er nicht krank. Seit Anfang 1915 arbeitet er bei einem Bauern. Im 
Frühjahr 1916 längere Zeit Durchfälle. Seit dieser Zeit fühlt er sich 
dauernd nicht mehr so kräftig wie vorher, hat aber weiter tüchtig 
gearbeitet. Vor 2 Tagen, am 24. X. 17, bemerkte er plötzlich ein 
Anschwellen seiner linken Wange von aussen und an der Innen¬ 
seite. Die Anschwellnug tat nicht weh, fing aber an, fortwährend 
etwas zu bluten. Auch auf der Unterlippe und der Zunge bildete sich 
eine blutunterlaufene Blase. Ob er am Körper blutige Stellen hatte, 
beachtete er nicht. Er fühlte sich kaum krank. Einige 
Tage vor seiner Einlieferung begann eine Zellgewebsent¬ 
zündung am Mittelfinger der rechten Hand. Er wurde deshalb 
geschnitten. — Ueber seine Ernährung wolle er nicht klagen, sie 
sei anders gewesen als im Frieden. Hauptsächlich hat er Kartoffeln 
und Kohl gegessen. Er sei dabei satt geworden. Früher nie Nei¬ 
gung zu Blutungen. 

Status praesens. Mittelkräftiger Mann.. Kam zu Fuss an. 
Etwas blass. Linke Wange stark geschwollen. Am rechten Mund¬ 
winkel zeigt die Unterlippe eine markstückgrosse blutunterlaufene 
Steile. Aus dem Munde kommt unaufhörlich etwas Blut und ein 
starker, widerlicher gangränöser Gestank. In der Mundhöhle sieht 
man an der linken Wange ein zerklüftetes Geschwür mit schmierigen 
Belagen. Blutkoagula lassen sich abstreifen. Das Geschwür dehnt 
sich nach hinten aus bis an den Kieferwinkel und greift zwischen 
dem Oberkieferzahnfortsatz und der Wange nach oben. Am Zahn¬ 
fleisch Entzündungszeichen, doch sind die Zähne nicht gelockert. Am 
weichen Gaumen eine flächenhafte blutunterlaufene Stelle. — Nach 
Entkleidung des Mannes sieht man am ganzen Körper hirsekorn- 
grosse bis linsenförmige kleine Petechien von teils bläulicher, teils 
rotgelber Farbe, nur vereinzelte, etwas grössere Hautblutungen. 
Am Mittelfinger der rechten Hand abheilendes inzidiertes Panaritium. 
— Milz nicht fühlbar, nicht vergrössert. Puls klein, etwas frequent 
(90). Herztöne leise. — Blutplatten bleiben steril. — Das Blutbild 
zeigt eine leichte Leukozytose: 11500 Leukozyten, wovon 66 Proz. 
neutrophile. Im übrigen ist das Blutbild normal. 5 Millionen Rote. 
Hämoglobin 70 Proz., Färbeindex mithin 0,6. Im Magnesiumsulfat¬ 
präparat sind keine Thrombozyten zu finden. Stauungs¬ 
versuch am Arm bewirkt das Hervortreten neuer Petechien. Bei 
Betrachtung der Kapillaren über der Lunula des 4. Fingers nach 
der .Methode von W e i s s 4 ) zeigt sich nichts besonderes. 

Verlauf. Das grosse Wangengeschwür heilte allmählich ab. 
In der Mundhöhle und am weichen Gaumen traten noch mehrfach 
neue Sugillate auf. Mehrfach starkes bedrohliches Nasenbluten. 
Schübe von neuen Petechien der Haut kamen und gingen. Das All¬ 
gemeinbefinden war während der ganzen Zeit wenig gestört. — Die 
Behandlung bestand in einer Ernährung wie bei Skorbut. Ausser 
Calcium lacticum wurde mehrfach 10 proz. Koagulenlösung ange¬ 
wandt. Einen erkennbaren Erfolg zeigte diese Behandlung nicht. 
Im ganzen Verlauf bot das Blutbild wenig Interessantes. Die geringe 
Leukozytose (auf das infizierte Mundgeschwür oder auf das Panaritium 
zu beziehen) war schon nach 6 Tagen verschwunden. Die roten 
Blutkörperchen verminderten sich infolge der Blutungen bis auf 

3 Millionen am 11. XI. 17. Zu dieser Zeit war das Hämoglobin 47, 
der Färbeindex 0,7. Es traten zu dieser Zeit einige poJychromophile 
und punktierte Rote auf. Später nahm Hämoglobin und Zahl der 
Roten allmählich wieder zu. Am 15. I. 1918 waren die Zahlen: 

4 360 000 Rote, 80 Hämoglobin, Färbeindex 0,8. Die Zahl der 
Blutplättchen war in den ersten vier Wochen 
gleich 0 oder fast gleich 0. Am 23. XI. 17 wurden 26100 
gezählt. Am 1. XII. 17: 50160. Am 15. I. 18 : 88 000. An diesem 
Tage wurde ein Gerinnungsversuch gemacht, der früher leider nicht 
ausgeführt war. 20 Tropfen in ein sorgfältig gereinigtes Uhr¬ 
schälchen gegeben zeigten bei Prüfung mit einem geknöpften Glas¬ 
faden einen Gerinnungsbeginn nach 16 Minuten. Das Ende der Ge¬ 
rinnung war erst nach 50 Minuten da. (Man konnte erst dann das 
Uhrschälchen um 90 0 drehen.) Der Blutkuchen presste einige 
Tropfen Serum aus. Der Stauungsversuch war zu dieser Zeit noch 
positiv, sowie auch noch später im März 1918. 

Entlassen aus der Behandlung wurde der Mann schon am 
21. XI. 17 und tut seitdem wieder anstrengenden Dienst ohne Be¬ 
schwerden. 

E p i k r i s e. Schwere Stomatitis und einseitige Ernährung 
Hessen an Skorbut denken. Freilich gilt gerade die Ernährung mit 
der kalireichen Kartoffel nicht als Skorbutursache. Auch daran 
konnte gedacht werden, dass von dem Panaritium aus eine Sepsis 
mit symptomatischer Purpura bestehe. Dieser diagnostischen Zweifel 


*) D. Arch. f. klin. Med. 119. 1916. 

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' wurden wir sofort enthoben durch das Fehlen der Blutplättchen im 
Magnesiumsulfatpräparat a ). Erwähnt sei bei dieser Gelegenheit, dass 
wir in 2 Fällen von symptomatischer Purpura bei Sepsis bzw. Endo¬ 
karditis die Plättchen nicht vermindert fanden. Typisch war das 
sehr geringe Krankheitsgefühl. Noch viele Monate, nachdem der 
Mann sich subjektiv als völlig geheilt betrachtete, Hess sich latente 
Blutungsbereitschaft bei ihm nachweisen. Uebrigens bei 90 000 
Thrombozyten °). 

Krankengeschichte II. 26 jährige Bauersfrau Kath. F., 
hat stets bei der Menstruation viel Blut verloren. Mit 17 Jahren 
musste sie wegen heftigen Nasenblutens den Arzt aufsuchen. Hat oft 
stark geblutet. Der Arzt sprach von gewohnheitsmässigem Nasen¬ 
bluten. Nach Geburt des ersten Kindes starke Nadiblutung (Frauen¬ 
klinik). Vor einem Jahr schweres Nasenbluten mit Purpura. 
März 1918 unter heftiger Blutung Abort im dritten Monat. Zugleich 
erneute Purpura. Seit 2 Tagen ununterbrochen Nasenbluten, das 
schliesslich in der chirurgischen Poliklinik durch Tamponade zum 
Stillstand kam. Von dort eingewiesen. 

. Status praesens. 3. IV. 1918: Sehr blass. Temperatur 38. 
Am ganzen Körper unter Bevorzugung der Beine frische Purpura. 
Petechien und Suggillate verschiedener Grösse, teils konfluierend. 
Geringe Blutaustritte in die Mundschleimhaut. Nase blutet trotz 
Tamponade von Zeit zu Zeit. Milz nicht vergrössert. Keine Gelenk¬ 
erscheinungen, * keine Gliederschmerzen. Keine urtikariellen Erup¬ 
tionen. Urin frei. Blutplatten bleiben steril. Blutbild: 20 Proz. 
Hämoglobin nach Sahli, 1 180 000 Rote (F. J. O., 89), Poikilozytose, 
Anisozytose, Polychromophilie, viel Normoblasten. Leukozyten 
vermehrt, 15 000, davon 85 Proz. neutrophile, 7,5 Proz. Lympho¬ 
zyten, 7,5 Proz. Uebergangsformen und Mononukleäre. Keine 
Thrombozyten. Beginn der Gerinnung im Uhrschälchen in 
2 Minuten, Ende schon nach 9 Minuten. Es wird in 24 Stunden kein 
Serum ausgepresst (irtetractilite du caillot von Hayem). 

Epikrise. Liess sich bei Fall 1 das konstitutionelle Moment 
dartun durch den Nachweis einer Blutungsbereitschaft lange nach der 
„Heilung“, so ergibt hier die Anamnese den entsprechenden Nach¬ 
weis. Menorrhagien und „habituelles“ Nasenbluten waren abhängig 
von der Werlhofdiathese. 

Wenn wir davon absehen, dass bei unserer zweiten Patientin 
durch die erhebliche Anämie eine grosse Schwäche eingetreten war. 
so zeigte auch sie ein auffallend geringes Krankheitsgefühl. Da sie 
obendrein einen leichten hämorrhagischen Schub im Vorjahr gut 
überwunden hatte, betrachtete sie ihren Zustand höchst optimistisch. 

— Im Gegensatz dazu war schweres Krankheitsgefühl bei den beiden 
folgenden Fällen vorhanden. Sie betreffen zwei kleine Mädchen 
von 3 Vs und 7 Jahren. Beide fieberten anfangs etwas und litten an 
erheblichen Magendarmsymptomen: Appetitlosigkeit, Erbrechen, 
Darmkoliken, Blutdurchfälle. Sie fallen dadurch unter den Begriff 
der Purpura Henoch. Bei beiden war die Zahl der Blutplättchen 
nicht nur nicht vermindert, sondern deutlich erhöht, die Gerinnungs¬ 
zeit bei Fall IV verlängert. 

Krankengeschichte 111. Das kräftige, gut ernährte und 
gepflegte 3 Vs jährige Mädchen Viktoria S. aus gesunder Familie er¬ 
krankte aus voller Gesundheit mit einem leichten Schnupfen. Dabei 
kam es am 7. X. 17 zu massig starkem Nasenbluten. Am folgenden 
Tage zahlreiche Blutflecken an den Beinen und am Körper. Als am 
12. X. das Kind in die Klinik kam, war inzwischen noch mehrfach 
Nasenbluten aufgetreten. Keine Gelenkschmerzen. 

Status praesens. Nicht wesentlich anämisch. Leicht ge¬ 
dunsenes Gesicht. Im Wesen weinerlich und missvergnügt. Beide 
Nasengänge mit an ge trockneten Blutkrusten verstopft. Ab und zu 
blutete es hiernach. Am ganzen Körper Blutextravasate, meist in 
Form grösserer Suggillationen. Doch kamen auch kleinere Petechien 
vor, gelegentlich konfluierend. Manchmal Blutung aus Wangen - 
Schleimhaut und Zunge; dem Stuhlgang war ein wenig rotes Blut 
aufgelagert. Der Harn dagegen war (übrigens während des ganzen 
Decursus) blutfrei und auch eiweissfrei. Milz nicht vergrössert. Die 
Suggillationen traten einerseits überall da besonders auf, wo durch 
Anfassen oder Aufliegen ein Druck ausgeübt wurde, andererseits 
vorzugsweise an den unteren Extremitäten. Geringe Temperatur¬ 
erhöhung nur im Anfang. 

Verlauf. Am 8. Krankheitstage plötzliches Blutbrechen und 

— unter Koliken — reichliche intestinale Blutverluste. Es war viel 
rotes, daneben auch hämatinisiertes Blut in den Stühlen. Das Kind | 
war nun plötzlich sehr elend und matt. 3 Tage später kam ein neuer 
Schub von zahllosen Petechien. Dann keine Blutung mehr, das Kind 
erholte sich Schritt für Schritt von seiner schweren Anämie. Das 
Blutbild zeigte als Bemerkenswertestes eine Vermehrung der 
Plättchen. Die Werte beliefen sich bei Zählung nach der Methode 
von Sahli- Fonio im überfärbten Magnesiumsulfatpräparat aui 
350 000—460 000, schwankten indes bei den mehrfachen Zählungen. 


5 ) Vgl. die Fälle von „sporadischem Skorbut“ bei Wagner: 
M.m.W. 1904 Nr. 36 u. 37, die wohl Purpurafälle waren. Nach W. 
ist es „mehr Sache subjektiver Anschauung, eine mit hämorrhagischer 
Diathese einhergehende Erkrankung als Skorbut oder Purpura zu 
bezeichnen“. 

6 ) Frank beobachtete Blutung nach Bindenstauung nur bei 
weniger als 75 000 Thrombozyten. 

Original from 

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13. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


899 


Da als Normalwert 200 000—300 000 Plättchen angesetzt werden (nach 
Fon io), so darf von .einer massigen Vermehrung gesprochen 
werden. Das übrige Blutbild gibt Zeichen der kindlichen 
Anämie: Makrozyten, eine Anzahl Normoblasten und als weiteres 
einen sehr grossen Reichtum an punktierten Erythrozyten, sowie 
einige leukozytäre Jugendformen. Also Beweise für lebhafte 
Regenerationsvorgänge im Knochenmark. Alle diese Symptome 
machten nach und nach wieder normalen Befunden Platz. 

E p i k r i s e. Der Fall ist durch die Magendarmerschemungen 
hinreichend als H e n o c h sehe Purpura charakterisiert. Er zeigte 
nicht alle dafür angegebenen Symptome. Gelenkschwellungen 
fehlten, und es iehlten die rheumatoiden Schmerzen (ebenso wie nur 
in Fall II von den 10 Fällen Henochs) 7 ). Und was die flüchtigen 
Oedeme betrifft, die in Henoch sehen Fällen gefunden werden, so 
war mit etwas gutem Willen zuzugeben, dass das Gesicht des Kindes 
im Anfang etwas gedunsen aussah. Im übrigen markierten grosse 
Suggillate und Konfluieren der Hautblutungen einen Unterschied 
gegen die S ch oenle i nsche Peliosis rheumatica, bei der kein 
Konfluieren der Petechien Vorkommen soll. Auf letztere Unter¬ 
scheidung ist in neuerer Zeit wenig Gewicht gelegt, weil überhaupt 
die Tendenz bestand, alle Purpuraformen nur als Varianten gelten 
zu lassen. Da wir jetzt in den Stand gesetzt sind, hier exaktere 
Trennungen vorzunehmen, ist ein Zurückgehen auf die Schoen- 
1 e i n sehe Darstellung vielleicht wesentlich. Viele Autoren sind ge¬ 
neigt, die Purpura Henoch schlechthin der Peliosis von Sc h oen¬ 
le i n zu subsumieren, von der sie sich nur «dadurch unterschiede, 
dass ausser den Gelenkerscheinungen noch Darmblutungen vorhanden 
sind. Henoch selbst nähert die nach ihm benannte Form der 
Purpura durchaus der Peliosis und äussert sich in seinen Vorlesungen 
gar nicht über die Grösse der Petechien, auf die Sch oenle in 
so viel Gewicht legt. Unser Fall ist keine Thrombopenie — das zeigt 
das Blutbild. Er passt nicht auf Schoenleins Beschreibung der 
Peliosis. Er beweist also die Berechtigung, an einer Purpura Henoch 
als besonderem Krankheitsbild festzuhalten. — Völlige Heilung trat 
ein, jedoch war latente Blutungsbereitschaft bei sehr energischer 
Stauung später noch lange nachweisbar. (Letzte Nachuntersuchung 
10. IV. 18.) 

Krankengeschichte IV. Das von ordentlichen kleinen 
Bauersleuten stammende 7 jährige Mädchen Klara C. war von jeher 
zierlich, aber gesund und zeigte keine Neigungen zu Blutungen. Es 
bekam nach Angabe der Mutter ganz überraschend am 10. XII. 17 
zahlreiche dunkle Flecken am Körper, besonders an den Beinen. 
Einige Tage später klagte es über Bauchschmerzen und sass immer 
ganz zusammengekrümmt. Der Appetit blieb fort, das Kind erbrach 
einige Male. Der Stuhlgang fehlte 3 Tage lang. Dann am 17. XII. 
pechschwarzer Stuhlgang. Seitdem haben die Bauchschmerzen 
etwas nachgelassen. Aber der Appetit und das Befinden blieben noch 
schlecht. Das Kind klagt über Schmerzen in den Gliedern. 

Status praesens, am 20. XII. 17. Grazil gebautes zartes 
Kind. Blasse Gesichtsfarbe. Schleimhäute nicht wesentlich ab¬ 
geblasst. Es liegt teilnahmslos da, zeigt keinen Appetit und äussert 
von Zeit zu Zeit, dass es Schmerzen im Leib hat. Seltener auch 
Schmerzen in den Handgelenken. An den unteren Extremitäten zahl¬ 
reiche kleine Hautblutungen und eine Anzahl Epitheldefekte, die fast 
wie Kratzeffekte bei Skabies aussehen. Daneben nicht durch Kratzen 
veränderte kleine Petechien. Zunge in wechselnder Weise meist grau 
belegt. Tonsillen vergrössert, ohne Pfropfe. Milz nicht zu tasten, 
erscheint aber beim Beklopfen etwas vergrössert. Im Stuhlgang 
Guajakprobe sehr stark positiv. Urin frei von Eiweiss, zeigt ein 
geringes Sedimentum lateritium. Die Indikanprobe ist positiv. 

Verlauf. 22. XII. Schub von Hautblutungen: Grösse eines 
Stecknadelkopfes bis zur 'halben Grösse einer Linse. 23. XII. Inner¬ 
halb weniger Minuten treten deutliche Oedeme auf, an beiden 
Händen und am linken Fuss. Dabei wird über Gelenkschmerzen 
geklagt. — An der Stelle der gestrigen Venenpunktion keine Nach¬ 
blutung. Gerinnungszeit im Uhrschälchen etwas verlängert (auf 
70 Minuten): der Blutkuchen presst Serum aus. Agarplatten bleiben 
sieril. An den Hautkapillaren nichts besonderes sichtbar (Methode 
Weiss). 24. XII. Auch an den Armen frische Petechien. Auf der 
Brust einige Erythemflecken. 25. XII. Nahrungsaufnahme dauernd 
sehr gering. Die Oedeme an den Extremitäten zurückgegangen. Am 
linken Unterarm heute grosse Urtikariaeruptionen, die nach vier 
Stunden wieder spurlos verschwinden. 26. XII. neue Petechien 
an den Armen. 27. XII. Morgens Nierenblutung. Rotes 
Blut im Harn. Der Harn, der bisher eiweissfrei war, enthält nach 
Esbach 12 Prom. Eiweiss. Sediment: keine nephritischen 
Zeichen, nur Blut. Mittags: plötzliches Auftreten von Augen¬ 
muskelzuckungen. Dabei völlige Bewusstseinsaufhebung. Es folgen 
Zuckungen im rechten Arm, dann auch im rechten Bein. Ferner in 
der rechten Gesichtshälfte. Die halbseitigen Krämpfe wiederholen 
sich in schneller Folge. Das Kind verfällt zusehends, liegt schliess¬ 
lich mit Trachealrasseln und schlechtem Puls wie moribund da. 
Am späten Abend erholt sich die Kranke allmählich, Krämpfe bleiben 
fort, das Bewusstsein kehrt wieder. Es besteht eine rechtsseitige 
Lähmung mit Aphasie. Unwillkürlicher Harnabgang. Wahrscheinlich 


7 ) Henoch: Kinderkrankheiten, 11. Aufl., S. 845. 

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handelte es sich um eine Hirnblutung. Da aber von diesem Tage 
an allmählich die Zeichen einer akuten Nephritis auftraten, besteht 
auch die Möglichkeit, dass es sich hier um eklamptisch-urämisdhe 
Krämpfe im Sinne V o 1 h a r d s gehandelt hat. 28. XII. Ueber Nacht 
ist die Lähmung und Sprachstörung vollständig verschwunden. Nur 
eine leichte Fazialisasymmetrie besteht noch (Kontraktur rechts). — 
Im weiteren Verlauf kamen noch mehrfach geringe petechiale und 
erytbematöse oder urtikarieHe Hauteruptionen vor. Wenig starke 
Darmblutungen wiederholten sich noch. Im übrigen besserte sich 
das Kind, bis in zunehmender Weise die Nierenblutungen in den 
Vordergrund traten. Dem anfangs nur aus roten Blutkörperchen 
bestehenden (täglich kontrollierten) Harnsediment mengten sich am 
1. I. 18 vereinzelte Zylinder bei. Reichlicher fanden sieb diese 
erst am 10. I. 18. Geringes Gesichtsödem trat nunmehr auf und 
gelegentlich wurde erbrochen und über erneutes Nachlassen des 
Appetits geklagt. Zur Zeit der Abfassung dieser Mitteilung besteht 
bei dem Kind noch immer eine Glomerulonephritis, Zeichen von 
hämorrhagischer Diathese fehlen jetzt. Das Blutbild zeigte im 
Anfang nichts Abnormes, ausser einer Vermehrung der Eosinophilen 
(auf 8 Proz.), welche während des ganzen Verlaufes mit Schwan¬ 
kungen bestehen blieb und zurückzuführen ist auf Trichocephalus 
dispar, dessen Eier in den Stühlen nachgewiesen wurden. Das 
Hämoglobin betrug bei der Einlieferung noch 85 Proz., bei 
4 140 000 Erythrozyten (F. i. 1). In den ersten schweren Tagen 
sank dann das Hämoglobin bis auf 65 am 29. XII. Die Roten be¬ 
trugen an diesem Tage 4 260 000 (F. J. 0,7). Nach kurzer Remission 
im Januar 1918 nahm die Anämie weiter zu, am 11. Februar betrug 
das Hämoglobin wieder nur 60 Proz. Die Zahl der Leukozyten war 
anfangs leicht vermehrt, sie betrug am 20. XII. 15 800. Im späteren 
Verlauf sank sie allmählich auf normale Werte ab, im Februar 
wurden noch 7800 gezählt. Die Thrombozyten betrugen beim 
Eintritt in die Behandlung 253 000. Allmählich stieg ihre Zahl. Am 
12. I. 18 würgen 421 200 gezählt (Hgb. 70). Am 31. I. waren 521 000 
vorhanden (Hgb. 62), und am 11. II. wurde ein Höchstwert von 
717 000 (bei 60 Hgb.) gezählt. Danach sank die Zahl wieder etwas: 
am 25. II. 341 000 (bei 62 Hgb.); am 12. III. 367 500 (bei 59 Hgb.); am 
28. III. 528 000 (bei 45 Hgb. und 4 Millionen Roten, also F. J. 0,5). 

Epikrise: Gelenkerscheinungen, Oedeme, urtikarielle Erup¬ 
tionen machten das Krankheitsbild in diesem Falle reicher (Purpura 
urticans). Das Ansteigen der Thrombozytenwerte über die Norm, 
das erst nach einigen Blutverlusten eintrat, lässt uns diese 
Thrombozy tose als eine posthämorrhagische ansehen, die nicht 
etwa mit der Krankheit unmittelbar etwas zu tun hat. Eine 
Parallele zum Blutplättchenbefund der Hämophilie: vermehrte, aber 
unterwertige Plättchen [Fonio 8 )] darf nicht ohne weiteres ge¬ 
zogen werden. Nach dem Verschwinden der Purpura war wiederum 
latente Blutungsbereitschaft tiachzuweisen, freilich nur nach sehr 
energischer Stauung. Die Prognose wird ungünstig durch die 
Nephritis, die wie in einigen anderen in der Literatur bekannten 
Fällen |3 Fälle von Henoch 9 )] sich an die Erkrankung anschloss. 

Wir haben also hier 2 Fälle von Purpura hämorrhagica mit 
nicht nur erhaltener, sondern vermehrter Blutplättcbenzahl. Es wird 
interessant sein, ob dieser Befund der Blutplättchenvermehrung bei 
Purpura Henoch konstant gefunden wird. Es fragt sich, ob diese 
Thrombozytose mit der Krankheit unmittelbar etwas zu tun hat oder 
ob es sich nur um eine posthämorrhagische PlättChenvermehrung 
handelt, wie sie schon Bizzozero, der Entdecker der Blutplätt¬ 
chen, kennt. Unser Fall 4, bei dem die Plättchenvermehrung erst 
bei zunehmender Anämie auftrat, lässt hieran denken. 

Die von uns gebrachten Krankengeschichten lassen erkennen, 
dass nicht allein die verschiedene Blutplättchenzahl die Purpura mit 
Thrombopenie und die Henoch sehe Purpura unterscheidet. Im 
Gegenteil, mit dem Rückhalt dieses exakten Befundes erkennen wir 
jetzt wohl deutlicher die klinische Verschiedenheit der Syndrome und 
sehen, wie berechtigt die Aufstellung der Purpura Henoch als be¬ 
sondere Form gewesen ist. Bei der Purpura mit Thrombopenie 
steht, wenn man den Gesamtverlauf berücksichtigt, ein konstitutio¬ 
nelles Moment stark in Frage. Und das geringe Krankheitsgefühl 
ist hier ebenso charakteristisch wie das anfänglich sehr schlechte 
Befinden bei der Henoch sehen Krankheit. Bei dieser waltet 
durchaus der Eindruck von etwas Akutem, selbst wenn sich die 
Krankheit mit Schüben in die Länge zieht. Man ist fast versucht, 
an eine Infektion zu denken. 

Uebrigens gibt es auch andere Purpurafälle, die das Henoch- 
sche Syndrom nicht bieten und dennoch keine Thrombopenie zeigen. 
Das gilt, wie wir erwähnten, für die Peliosis. Ich darf ferner die 
Aufmerksamkeit lenken auf einen soeben von Morawitz als 
„falschen sporadischen Skorbut“ publizierten Fall von Purpura 10 ). 
Dieser hatte 200 000 Blutplättchen im Magnesiumsulfatpräparat und 
war übrigens dem klinischen Bilde nach weder zur Peliosis rheu- 
matica, noch zur Henoch sehen Purpura zu rechnen. Gelenk¬ 
erscheinungen fehlten, Schleimhautblutungen waren vorhanden, die bis 
handtellergrossen Blutflecken hatten nicht den Schoenlein- 
schen Typ. 


8 ) Grenzgebiete Med.-Chir. 28. 

9 ) 1. crt. 

10 ) M.mAV. 1918 Nr. 13. 

Original from 

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900 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 33. 


Das von Fon io aufgestellte Schema: 

Hämophilie — zahlreiche insuffiziente Plättchen 

Purpura resp. Werlhof — verminderte Plättdienzahl 
wird unzureichend, wenn wir die Fälle von He noch scher Purpura 
mit normaler Thrombozytenzahl resp. Thrombozytose einreihen 
wollen, oder auch Fälle, wie den eben angeführten von M o r a w i t z. 
Sie passen in keine der beiden Kategorien. Und die Plättchen¬ 
zählung allein genügt nur dann zur Unterscheidung von Hämophilie 
und Purpura, wenn sich eine verminderte Plättchenzahl ergibt. 

Hatten schon die französischen Autoren, ferner Duke, Coe") 
auf einen-Kausalnexus zwischen Plättchenverininderung und Purpura 
hingewiesen, so erblickt Frank in dem Mangel an Blutplättchen 
das Wesen der. „essentiellen Thrombopenic“ und somit das Wesen 
der zugehörigen hämorrhagischen Diathese. Hierneben gehalten sind 
die Fälle von H e n o c h scher Purpura ohne Thrombopenic nicht 
ohne Interesse und regen zum Nachdenken darüber an, ob wirklich 
die Thrombopenie in jenen anderen Fällen der einzige Grund für die 
hämorrhagische Diathese ist. 

Theoretisch erscheinen die Frankschen Vorstellungen über den 
Mechanismus der hämorrhagischen Diathese bei essentieller Thrombo¬ 
penie nicht völlig überzeugend. Es ist allenfalls zuzugeben^ 
dass der Mangel an Thrombozyten cs erklärt, dass eine — 
irgendwie erregte — Blutung aus elfjfinetem üefäss nicht oder 
schwerer als .in der Norm zum Stellen kommt. Die Aggregierung 
der Plättchen, die den Gerinnungsgang einleitcn soll, fällt hier fort. 
Aber warum kommen Blutungen überhaupt zu¬ 
stande, auch w^o sie nicht durch Druck oder Stoss hervorgerufen 
wurden? Frank erklärt das folgendermassen: er geht davon aus, 
dass diese Spontanblutungen vielfach in Hautgebieten stattfinden, 
in denen eine Verlangsamung des Blutstromes vorhanden ist. Das 
trifft in eindeutiger Weise zu für das Stauungsexperiment, das beim 
Purpurakranken (selbst im Intervall) zu mehr oder weniger kleinen 
Blutextravasationen führt, wie auch in unserem ersten Fall. Das 
trifft ferner zu für die besonders häufigen Blutungen an den Unter¬ 
schenkeln der Kranken. Und endlich ist zuzugeben, dass durch 
vasomotorische Einflüsse lokale Veränderungen der Strom- 
gesdiwindigkeit fast überall in der Haut gelegentlich auftreten 
können. In solchen Gebieten verlangsamter Strömung sammeln sich 
nun unter normalen Verhältnissen die Plättchen in der Randzone des 
Stromes, sie haften gleichsam an den Gefässwänden; und nach 
Frank sind es diese im Stromrande angehäuften Plättchen, die 
den roten Blutkörperchen den Zugang zu den feinen Gefässwand- 
lücken verlegen und deren Austreten verhindern. Wenn dagegen 
die Plättchen fehlen, dann gibt es in solchen Gebieten verlangsamter 
Strömung nichts, was die Roten hinderte, durch die Lücken der 
Gefässwände zu schlüpfen: so kommt es zu Extravasaten. 

Diese Vorstellung hat fraglos etwas Bestechendes, aber sie be¬ 
friedigt bei näherer Betrachtung nicht durchaus. Man versuche, sich 
quantitativ vorzustellen, wieviel Blutplättchen dazu gehören, um 
die grosse Zahl der roten Blutkörperchen in den verschiedenartigsten 
Stromgebieten der Haut von der Gefässwand wirklich fernzuhalten! 
Im entnommenen Blutstropfen verhalten sich die Blutplättchen zu 
den Roten wie 250 000 zu 5 Millionen oder wie 1:20. Zugegeben 
selbst, dass sich bei Stromverlangsamung in engen Gcfässen dies 
Verhältnis erheblich verschiebt, so macht cs dennoch Schwierig¬ 
keiten, in einem Bezirk eine so erhebliche Ueberzahl an Thrombo¬ 
zyten anzunehmen, dass die Roten dadurch von den Gefässwänden 
ferngehalten w'erden. Zumal doch bei den „Schüben“ von Blutungen 
an sehr vielen Körperstellen zugleich die Extravasate sich bilden, 
also an all diesen Bezirken das numerische Verhältnis zwischen den 
beiden Formelementen sich so bedeutend zugunsten der Plättchen 
verschieben müsste. 

Und weiter: Es kommt bei Leukämien gelegentlich zu sehr er¬ 
heblichem Schwund der Thrombozyten, so sehr, dass sie bei sorg¬ 
lichem Suchen nicht nachzuweisen sind. Das ist gerade bisweilen 
der Fall nach Röntgenbestrahlungen der Milz, wie Frank selbst 
hervorhebt und wie wir wiederholt beobachtet haben. Auch bei 
solchen Leukämikern mit Thrombopenie gibt es hämorrhagische 
Diathesen. Aber nicht mit Notwendigkeit. Es kommen solche Leuk¬ 
ämien vor, bei denen die Blutplättchen im Magnesiumsulfatpräparat 
fehlen und bei denen dennoch keine Spur von Purpura oder sonstiger 
hämorrhagischer Diathese sich zeigt. 

Wollte man das Vorhandensein dieser Thrombopenie ohne Blu¬ 
tungen in Zusammenhang bringen mit der Purpura mit Thrombo¬ 
penie so müsste man allenfalls darauf zurückgreifen dass die Ursache 
des Plättchenmangels in beiden Fällen verschieden ist: bei der 
essentiellen Thrombopenic verminderte Plättchenbiklung (?), bei der 
Leukämie nach Milzbestrahlung starker Plättchenzerfall. In diesem 
Sinne liesse sich eine Beobachtung von uns deuten. Es handelte sich 
um eine schwere myeloische Leukämie, bei der nach der Bestrahlung 
wiederholt (4 mal) einerseits Plättchenmangel im Blut, anderseits 
sehr erhebliche Thrombosen an den Beinen, ja bis zur Vena hypo- 
gastrica auftraten. Hier könnte durch den von den Röntgenstrahlen 
bewirkten Thrombozytenzerfall und Zellzerfall überhaupt das Blut 
abnorm reich an Thrombokinase geworden sein'und infolgedessen 


“) Journ. oi Ainer^ Med. Assoz^l906 p. 1090. zit. nach Hunter. 


DigitizfflJ by (jjOOQIC 


eine vermehrte Gerinnungstendenz vorübergehend zeigen. Aber auch 
hier bewegen wir uns ganz im Hypothetischen. 

Sicher gibt es eine Purpura ohne Thrombo¬ 
penie und es gibt Thrombopenie ohne Purpura. 
Wenn wir das berücksichtigen, werden wir nicht ohne weiteres be¬ 
reit sein, bei einer Form der Purpura das Wesen der Krankheit 
und die einzige Ursache der Blutaustritte in dem Mangel der 
Blutplättchen zu suchen. Der Mechanismus der spontanen 
Extravasierung der roten Blutkörperchen verlangt weitere Klärung. 

Die Fälle, bei denen die Thrombopenie fehlt, suggerieren eine 
andere Erklärungsweise. Besonders bei unserem Fall 4 fällt auf, 
dass ausser den Petechien und Sugillaten noch andere Veränderungen 
der Haut beobachtet wurden in Gestalt von Erythemflecken, urti¬ 
kariaartigen Eruptionen und flüchtigen Oedemen. Diese Unter¬ 
scheidungen weisen unbedingt auf vegetative Innervationsstörungen, 
moderner gesprochen, auf Störungen der neurokapillären Vorgänge. 
Sollten solche auch für die Blutungen mitverantwortlich sein? Ge¬ 
rade für die viszeralen Blutungen der Purpura Henoch liegt der 
Gedanke nahe, wenn man an die profusen Darmblutungen denkt, 
die experimentellen Eingriffen am Ganglion coeliacum folgen. Und 
ohne auf die Literatur näher einzugehen, darf ich darauf hinw r eisen, 
wie in den Arbeiten von v. Bergmann 12 ) und Rössle 13 ) über 
die Ulcusgenese der Gedanke uns geläufig geworden ist, dass vom 
Nervensystem aus Blutungen erregt werden. Bei Experimenten am 
Darm habe ich selbst solche neurotische Blutungen gesehen: und 
die Arbeiten von W e s t p h a I ”), sowie neuerdings von Q u n d el¬ 
fin g c r K ’) bringen dafür ein gründliches experimentelles Material. 
Subendokardiale Blutungen werden neuerdings von pathologisch¬ 
anatomischer Seite auf Vagusläsionen zurückgeführt (Berb¬ 
ling e r l0 ). — Man darf vermuten, dass bei der Purpura Henoch 
irgend ein (bakteriotoxisches?) Agens durch Schädigung vegetativer 
Nerven verschiedenartige vasomotorische Störungen und stellenweise 
lokale Stasc und Blutaustritt bewirkt. Die Natur der Schädigung 
ist völlig unklar, aber dass eine Alteration nervöser Art eine Rolle 
dabei spielt und zum Mechanismus der Blutextravasierung gehört, 
ist in hohem Grade wahrscheinlich. Schon Henoch selbst hat auf 
diese Hypothese hingewiesen. 

Gilt dies für die Purpura Henoch, so m uss für die Purpura 
mit Thrombopenie. für das Krankheitsbild von Dcnys, Bensaude 
und R i v e t und E. Frank der Einwand gemacht w erden, dass hier 
gerade unterschiedlich keine typisch vasomotorischen Hauterup¬ 
tionen das Purpuraexanfhem begleiten. Alle urtikarieHen Begleit¬ 
erscheinungen und Oedeme fehlen ja hier. Und vielleicht ist des¬ 
halb auch der Mechanismus der Extravasierung ein 
anderer. Wenn früher L e 1 o i r auf Grund anatomischer wech¬ 
selnder Befunde unterschied zwischen einer „Purpura par modification 
des vaisseaux“ und einer „Purpura par modification du sang“ 17 ), so 
würden wir jetzt vielleicht in ähnlicher Weise abkommen auf eine 
Unterscheidung von neurogener und hämatogener Purpura. Aber 
wir sind uns klar.: noch ist der Mechanismus der einen wie der 
anderen unsicher, rein hypothetisch. Frank scheint uns in einem 
Punkt nicht ganz konsequent. Er will gelegentliche Stromverlang¬ 
samungen in verschiedensten Bezirken des Integumentes erklären, 
die ja auch nach seiner Hypothese die Extravasierung vorbereiten. 
Dabei spricht er „von abnormen Erregbarkeitsverhältnissen der Ge- 
fässnerven, wie sie vielleicht dem Purpurakranken eigentümlich 
sind“. Hier steckt ein wunder Punkt seiner Theorie: denn wenn 
solche Innervationsstörungen postuliert werden müssen, dann ist 
jedenfalls die Thrombopenie nicht die alleinige Ursache der Extra- 
vasierungen, sondern nur ein Faktor in ihrem Mechanismus. 
Das ist nicht unwesentlich, w^enn wir von einer essentiellen 
Thrombopenie sprechen, von der Frank weiter sagt, sie gehöre 
zu „denjenigen biologisch 'höchst interessanten Zuständen, bei denen 
eine „Bedingung“ w'eggelassen ist, deren unter physiologischen 
Verhältnissen schwer entw'irrbare Rolle nun plötzlich klar hervor¬ 
tritt“. So wenig also bis jetzt eine Ursache vorliegt;, die Hypo¬ 
these von Frank endgültig abzulehnen, so gebietet doch die Kritik, 
darauf hinzu weisen, dass seine Annahme über den Mechanismus der 
spontanen Blutaustritte der Stützung bedarf. 

Zu diesen Betrachungen wurden wir veranlasst duteh Purpura¬ 
fälle mit und ohne Thrombopenie. Sie führen uns dazu, ähnlich wie 
Haycm und Schüler sowie Frank, von neuem Trennung der 
im Sammelbegriff des Werlhof enthaltenen Krankheitstypen anzu¬ 
streben. Diese erscheinen uns nicht mehr als formverschiedene 
Spielarten derselben Krankheit. Und wenigstens bei Schoetilein 
und bei Henoch war das Trennungsbedürfnis eine Folge guten 
klinischen Blickes. Durch Berücksichtigung der Blutplättchen (Zäh¬ 
lung, Gerinnungsversuch) haben wir ein wichtiges neues Symptom, 
das uns trennen hilft. Aber auch dieses Trennen ist zunächst nur 
ein symptomatisches. 


12 ) M.m.W. 1913 Nr. 4. — ia ) Grenzgeb. Med. u. Chir. 25 H. 4. 
u ) D. Arch. f. klin. Med. 1914. 

,!i ) Grenzgeb. Chir. u. Med. 1917 und Dissert. Würzburg 1917. 
,n ) Zbl. f. Herz- u. Gefässkrankh. 1916 H. 14. 

17 ) Ann. de Dermat. et de Syphiligraph. 1884. 

Original fr cm 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



13. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


901 


Aus dem Oscar-Helene-Heim in Berlin-Zehlendorf. 

Beitrag zum Bau des Sauerbruch-Kunstarmes. 

Von Prof. Biesalski. 

Um einen vollen Erfolg der Sauerbruchoperation zu bekommen, 
ist es bekanntermasseti nicht nur notwendig, dass die Muskelstümpfe 
vor der Operation durch aktive Uebungen, Massage und Elektri- 
sation möglichst gekräftigt werden, wobei man dann häufig die 
Freude erlebt, dass anscheinend völlig atrophische und ungeeignete 
Muskelstümpfe in kurzer Zeit wieder an Kraft und Volumen zunehmen, 
sondern es ist ebenso dringend notwendig, dass nach der Operation, 
sobald die Kanäle trocken sind und eine Belastung vertragen, die 
Leute tägliche Uebungen an einem Apparat machen, den Sauer- 
b r u c h beschrieben hat, und den man in beliebiger Weise improvi¬ 
sieren kann. Unsere „Uebungsuhr“ (Fig. 1) zeigt 2 Zifferblätter 


mit Zeigern, diese sitzen an Holzrollen, über welche eine Schnur, 
von den Elfenbeinstiften kommend, läuft, an deren anderem Ende, 
nachdem sie mehrere andere Rollen passiert hat, ein Gewicht hängt. 
Die Schulter des Mannes wird fest gegen die Lehne eines Stuhles 
geschnallt, so dass er sie nicht zurückziehen kann. Zieht er nun mit 
den Muskelstümpfen, so bedeutet das Weiterrücken des Zeigers von 
einer Zahl zur anderen je 1 cm Weg, zugleich wird die Kraft geübt 
oder gemessen, je nachdem man das Gewicht am Ende der Schnur 
verändert. Die Leute, denen diese Uebungen viel Spass machen, 
schon weil sie beschäftigt werden und Fortschritte sehen, ziehen 
gewöhnlich gleich von Anfang verhältnismässig weite Strecken, da¬ 
gegen fällt es ihnen schwer, den Muskelstumpf wieder nachzulassen, 
d. h., ihn durch das Gewicht der Schnur bis auf seine äusserste 
Länge ausziehen zu lassen. Das aber ist nötig, damit sie einen 
möglichst langen Weg bekommen, und wir legen unsere Uebungen 
hauptsächlich daraufhin an, dass sie dieses Nachlassen üben — ge¬ 
rade wie beim tiefen Atemholen der Kranke möglichst tief ausatmen 
muss, als Voraussetzung dafür, dass er tief einatmen kann. Die 
Leute lernen dann die Muskelstümpfe gleichzeitig anspannen; dann, 
einen unabhängig vom anderen anziehen, schliesslich mit offenen und 
später mit geschlossenen Augen auf Kommando plötzlich die Zeiger 
auf verschiedene, vorher angegebene Zahlen einstellen. Das bedeutet 
Uebung der Koordination, die notwendig ist. wenn der Mann später 
zu gleicher Zeit pronieren und die Finger schliessen soll, mit Muskeln, 
die niemals für diese Zwecke verwandt wurden. 

Diese Beobachtung, dass die Leute ihre Muskelstümpfe nur 
schwer bis zur äussersten Grenze ausdehnen lassen, entspricht der 
Physiologie des Muskelstumpfes, für den ja keine Kraft mehr da ist, 
welche ihn gegenüber seinem früheren gesunden Zustand passiv 
streckt. Dazu kam elüe^zweite Beobachtung, nämlich die, dass ein 

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solcher Mann an der Uebungsuhr 5—6 cm Weg hatte, im Sauerbruch¬ 
arm aber kaum 2. Beide Beobachtungen haben uns dazu veranlasst, 
in unseren Sauerbrucharni eine Federkraft einzubauen, welche den 
Muskelstumpf streckt und ihm damit den vollen Weg gibt, den 
er auch, vom Gewicht belastet, an der Uebungsuhr hat. Ich stellte 
meiner, unter der Leitung von Herrn Reinhard Zeibig stehenden 
Werkstatt die Aufgabe, diese Federkraft aber so zu bauen, dass sic 
den Muskelstumpf zwar nach geschehener Kontraktion streckt, aber 
während der Kontraktion ihn so wenig wie möglich und so kurze Zeit 
wie möglich belastet; denn eine Federkraft findet sich auch in anderen 
Sauerbrucharmen und Händen, aber dort muss dann der Muskelstumpf 
i seine eigentliche Arbeit leisten, z. B. die Finger schliessen, und ausser¬ 
dem während der ganzen Zeit noch die mit der Kontraktion steigende 
Federkraft bewältigen. 

Der Aufbau unseres Armes (Fig. 2) gestaltete sich demnach 
folgendermassen: Vom Bizepskanal geht eine Schnur D über ein 
Hebelsystem zur Hand. Vom Trizepskanal geht die 
Schnur E über eine Rolle zu einer senkrecht zu dieser 
Zugrichtung- liegenden Umschaltvorrichtung für die Pro- 
natiou. Beide Schnüre passieren die ideale Achse des 
mechanischen Gelenkes A, damit sie in jeder Ellcnbogen- 
gelenkstellung gleich lang sind. Die Schnur D setzt 
sich, wie in Fig. 3 dargestellt ist. an einen zweiarmigen 
Hebelarm an und läuft über ein 
Kreissegment, damit der Hebelarm 
immer gleich lang bleibt. Der Hebel 
dreht sich im Drehpunkt 1. An dem 
nach der arideren Seite hingehenden 
kürzeren Hebelarm setzt sich in 
Drehpunkt 2 eine Gal Ische Kette an, 
die zu der Feder 3 führt, welche 
ihrerseits am Traggeriist befestigt ist. 
Die Gail sehe Kette der Feder 
läuft über einen Exzenterbogen, der 
bis hinter den Drehpunkt 1 geht. 
Wenn nun an der Zugschnur die 
Kraft P angreift, so wandert Punkt 2 
gegen Punkt 1, d. h., der für die Kette 
bestimmte kurze Hebelarm verkürzt 
sich, bis schliesslich die Kette in den 
Drehpunkt 1 eintritt und damit der 
Hebelarm und zugleich auch die Wir¬ 
kung der Feder ausgeschaltet ist. Das 
praktische Ergebnis davon ist, dass 
der Muskelstumpf im Anfang, wäh¬ 
rend er die Finger zu beugen be¬ 
ginnt, die Federkraft zu überwinden 
hat, die nur ganz kurze Zeit um etwas 
zunimmt, um dann wieder vollständig 
abzufallen, so dass; der Muskelstumpf 
schon selir bald von der Federkraft 
gar nicht mehr belastet ist, sondern 
seine volle Kraft auf die Betätigung 
des Finger Schluss s verwenden 
kann. Genau dasselbe ist bei dem 
Trizepszug angewandt, nur sinn¬ 
gemäss abgeändert in der senkrech¬ 
ten Ebene zu seiner Zugrichtung, wie 
es in der unteren Hilfszeichnung in 
Fig. 2 dargestellt ist. Wie gering die Belastung des Muskelstumpfes 
durch die Federwirkung ist, zeigt das Arbeitsdiagramm in Fig. 4. wo die 
Wege Po bis Pa die vom Muskel zu leistende Arbeit darstellen. Wer 
mit solchen Zeichnungen vertraut ist, wird sehr schnell die Art der 
graphischen Darstellung herauslesen. Eine genauere Beschreibung, 
die sehr umständlich werden würde, muss ich aus Mangel an Raum 
hier unterlassen. 

Wie kräftig die Feder genommen werden muss, hängt von dem 
einzelnen Fall ab. Auf dem langen Hebelarm sind, wie Fig. 2 zeigt, 
mehrere Löcher angebracht, die es gestatten, den dberen oder den 
unteren Zug an einem kürzeren oder längeren Hebelarm angreifen 
zu lassen, je nachdem der Mann viel Weg oder viel Kraft hat. Im 
übrigen gewöhnen sich die Leute schnell an die Feder, die man 
schliesslich immer schwächer nehmen kann, so dass sie ihnen im 
wesentlichen nur noch als Erinnerungsmittel dient, den Muskelstumpf 
beim geringsten Zug nachzulassen. Man kann übrigens auch für Leute, 
die empfindlich sind, und die der Federzug in der Ruhestellung be¬ 
lästigt. durch einen einfachen Hebel, der in der Zeichnung nicht dar¬ 
gestellt ist, diese völlig ausschalten, indem nämlich ein kleiner Keil 
zwischen den kleinen Hebelarm und die Basis des Lagers von 1 in 
Fig. 3 eingeschaltet wird. 

Diese Federkonstruktion macht den Arm sozusagen zu einem 
Universal-Sauerbrucharm, weil es nunmehr ganz gleichgültig ist, 
welch eine Hand oder Arbeitsklaue darangesetzt wird, weil eben 
die Streckkraft für den Muskelstumpf sowieso schon da ist. 

In Fig. 5 setzt die vom Schulterblatt kommende Schnur B an 
der Unterarmschiene an, indem sic über einen Kreisbogen geht. Beim 
Vorbewegen des Vorderarmes beugt sich also der Oberarm, wie das 
schon van Peetersen 1844 angegeben hat. 

Auf der Achse des Kreisbogens ist ein Zahn angebracht, der in 

Original frem 

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902 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nt. 33. 


eine Verzahnung der Oberarmschiene eingreift. Wenn der Mgnn 
seinen Oberarm vorwärts bringt und dann den Unterarm beugt, so 
schaltet er den Zahn aus und die Bewegung ist frei. Er braucht seinen 
Oberarmstumpf dann nur mit einem kurzen Ruck nach rückwärts zu 
bringen, so hört damit der Zug an der Schnur B auf und eine Feder 
drückt den Zahn in das Zahnrad ein, weil die Feder schneller wirkt 
als das Gewicht des Unterarmes. Der Ellbogen ist dadurch festge¬ 
stellt, und zwar kann der Mann das in so viel Beugestellungen tun, 
als er Sperrlöcher im Zahnrad 'hat. Will er den Unterarm wieder 
strecken, so bringt er den Oberarnustumpf etwas nach vorn, löst 
damit die Zahnarretierung und lässt nun den Unterarm, während die 
Schnur den Kreisbogen hoch und damit den Zahn von dem Zahnrad 
fernhält, langsam heruntergleiten. Der Mann kann also ohne Zu¬ 
hilfenahme der anderen Hand sein Ellbogengelenk an diesem Arm be¬ 
liebig feststellen, was an sich von Bedeutung ist, ganz besonders 
aber für Ohnhänder. 

Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Strassburg i. Eis. 

Zur operativen Behandlung des Gebärmutter-Scheiden¬ 
vorfalls*). 

Von Dr. med. Benzei, Assistent der Klinik. 

Bei der ausserordentlichen Dehnung von Uterus und Scheide 
durch Schwangerschaft und Geburt, wodurch an diese Organe die 
höchsten Anforderungen gestellt werden, bleiben trotz bester Invo¬ 
lution im Puerperium vorerst unscheinbare, aber irreparable Residuen 
bestehen, die bei weiteren Schädigungen durch schwere körperliche 
Arbeit und dadurch bedingten gesteigerten intraabdominellen Druck 
zu einer Erschlaffung der sog. Uterushaltebänder und des Becken¬ 
bodens führen können. So kommt es, dass der Prolaps zu den 
häufigsten Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane gehört. Wäh¬ 
rend er z. B. an der hiesigen- Frauenklinik nach einem Durchschnitt 
der letzten 15 Jahre mit 8 Proz. der klinischen Kranken vertreten ist. 
steht er in dem Material der Tübinger Klinik mit 12 Proz. an der 
Spitze der Häufigkeitsskala sämtlicher Kranken. 

Hinsichtlich der Pathogenese des Genitalprolapses gehen die 
Anschauungen der meisten Autoren weit auseinander, ja. sie stehen 
sich vielfach schroff gegenüber. Während die einen einer Insuffizienz 
der ligamentären und faszialen Befestigungen des Uterus die Hauot- 
schuld an dem Zustandekommen des Prolapses zuschreiben, wobei 
auch hier wieder die Ansichten über die fixatorische Bedeutung ein¬ 
zelner Befestigun'gmittel weit differieren, verlegen andere, insbe¬ 
sondere Halb an und Tandler, auf Grund eingehender Unter¬ 
suchungen' an Leichenpräparaten das Hauptgewicht auf den Becken¬ 
boden, der nach ihrer Ansicht den alleinigen Stützapparat für Uterus 
und Scheide darstellt. Von- manchen wird auch eine vermittelnde 
Stellung eingenommen, sofern sie sowohl einem Defekt des Becken¬ 
bodens als auch der Ueberdehnung und Erschlaffung der elastischen 
Bänder Bedeutung beilegen. 

Wenn wir uns zum näheren Verständnisse dieses Streites der Mei¬ 
nungen die Topographie der weiblichen Beckenorgane in grossen Um¬ 
rissen veranschaulichen, so sehen wir, dass der Uterus von einem 
System elastischer Haltebänder im Becken in schwebender Anteflcxio- 
versio gehalten wird, unter denen der peritoneale Ueberzug, die Lig. 
lata, sowie die Fascia endopelvina, insbesondere deren transversal 
vom Collum uteri zur Beckenwand verlaufenden Faserziige die wich¬ 
tigsten sind. Daneben kommen noch die bindegewebigen Verbin¬ 
dungen des Uterus mit seinen Nachbarorganen: Vagina. Blase, Rek¬ 
tum in Betracht, wodurch alle diese Organe miteinander verankert 
sind. Dieses ganze Organsystem ruht nun auf dem Beckenboden. der 
seinerseits wieder von einer Gruppe differenter Muskelzüge gebildet 
wird, als deren Hauptrepräsentant der Levator ani gilt. Durch eine 
längsovale Oeffnung des Levator, den sog. Levatorspalt, auch Hiatus 
genitalis genannt, passieren Vagina und Urethra. H a 1 b a n und 
Tandler stellen nun die Lehre auf, dass in allen Fällen von Pro¬ 
lapsen eine Vergrösserung des Hiatus genitalis nach Länge lind Breite 
vorhanden sei, eine von vielen Anhängern dieser Lehre bestätigte 
Tatsache, die eindringlich darauf himveist. dass d^r Insuffizienz des 
Beckenbodens eine ausschlaggebende Bedeutung für das Entstehen 
eines Prolapses zukommt. Die Aetiologie dieses Leidens wird damit 
nicht verworfen, da ein und dieselbe Ursache, das Geburtstrauma, als 
schädigender Faktor in Betracht kommt, und in den selteneren Fällen 
von angeborener Erschlaffung der Fixations- und Stützapparate, so 
z. B. bei Virgines, wurde von H^lban und Tandler jedesmal 
eine Erschlaffung und Atrophie des Levator ani gefunden. 

Je nach der mehr oder minder starken Beteiligung dieser kompli¬ 
ziert ungeordneten und in ihrer Deutung als Stütz- hzw. Fixations- 
apparate des Genitale ganz verschieden bewerteten Gebilde tritt das 
Leiden- in den mannigfachsten Formen klinisch in Erscheinung. 

Man unterscheidet im allgemeinen zwischen dem Deszensus 
und Prolaps des Uterus, wobei als anatomische Begrenzung beider 
Begriffe der Vulvaverschluss — Constrictor cunni - gilt. Liegt beim 
nathologischen Tiefstand des U.terus die Portio vaginalis noch inner¬ 
halb der Scheide, ist dieselbe also äusserlich noch nicht sichtbar, 
so handelt es sich um einen Deszensus, überschreitet sie den Schei- 
denchlussapparat, so ist der Begriff des Prolapses gegeben. 

*) Nach einem am 23. 111. 18 im Unter-Elsässischen Acrzteverein 
gehaltenen Vortrage. -> 

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An der Dislokation des Uterus nach unten beteiligt sich die 
vordere Scheidenwand mitsamt der Blase sowie die hintere Vaginal¬ 
wand in stärkerem oder geringerem Grade, sei es, dass die nach ab¬ 
wärts sinkende Gebärmutter das Scheidenrohr mit herunterzieht, sei 
es. dass beide Gebilde infolge Insuffizienz des Beckenbodens ihre 
Stütze einbüssen und in toto herabsinken. Das Bild jedes Vorfalls ist 
nun ausserordentlich variabel wegen der fliessenden Uebergänge. die 
zwischen den Anfangserscheinungen des Descensus uteri mit geringem 
Vorfall einer Scheidenwand und dem Endstadium des Totalprolapses 
mit völliger Inversion beider Scheidenwände liegen. 

Die Klinik der Erkrankung wird kompliziert einmal durch die 
Mitbeteiligung der Nachbarorgane wie Blase, Urethra und Rektum an 
dem Tiefertreten, ferner durch die pathologischen Veränderungen-, die 
an diesen Nachbarorganen infolge der Dislokation auftreten. 

Es kommt zur Zystokele infolge Mitbeteiligung der Blase beim 
Tiefertreten der vorderen Scheidenwand, zur Zystitis mit aufsteigen¬ 
der Pyelonephritis, zur Rektokele infolge Auflockerung des Septum 
rckto-vaginale und zur Vorbuchtung der Rektumampulle an der hin¬ 
teren- Scheidenwand. 

Durch den Zug der vorderen Scheidenwand an der Zervix Wird 
das Kollum verlängert, die Portio wird hypertrophisch und schwillt 
infolge der Zirkulationsstörungen ödematös am Kommt es zum 
totalen Prolaps, so ist den äusseren Schädigungen des Organs Tür 
und Tor geöffnet. Es kommt zu Dekubitalulzera, zu entzündlicher 
Infiltration der Scheidenschleimhaut und zu oft tiefgreifenden Fis¬ 
suren, die das Leiden für die Trägerin zu einem recht qualvollen ge¬ 
stalten. Die ersten Anfänge einer methodisch-chirurgischen Behandlung 
datieren von der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und suchen 
durch Anfrischung an der hinteren Scheidenwand und Verengerung 
des Introitus das Leiden wirksam zu bekämpfen. 

Es folgte die Methode von Simon und fast gleichzeitig die 
Hegarsche Kolpoperineorrhaphie, die den Angriffspunkt zur Ver¬ 
engerung der Scheide auf die Hinterwand und den Damm verlegte, ein 
Gedanke, der im Prinzip für alle später angegebenen Methoden bis 
auf die neueste Zeit massgebend blieb. 

Die Miteinbeziehung der vorderen Scheidenwand in den Opera- 
tionsplan führte zur elliptischen Anfrischungsfigur der Elvtrorrhanhia 
anterior, während schon früher Marion Sims durch Ausschnitt eines 
hufeisenförmigen Lappens aus der vorderen Scheidenwand eine Ver¬ 
engerung der Scheide erzielte. Aus dieser Schnittführung entwickelte 
sich die Kolporrhapia ant. dupl. nach Fehling, um eine Dehnung 
der medianen Narbe durch die Blase zu vermeiden. Spätere Vor¬ 
schläge legen mit Recht besonderes Gewicht auf den Anteil der Harn¬ 
blase an der Entwicklung des Leidens. Im Verfolg dieses Gedankens 
schritt man zur Abpräparicrung der Blase und zur Raffung derselben 
mittels Tabaksbeutelnaht nach Sänger, G e r s u n y und H. Freund. 

Mit der wachsenden Erkenntnis über den Anteil, den der Uterus 
am Genitalprolaps hat. wurden weitere Methoden zur Amputation 
der hypertrophischen Portio und zur Exzision des Kollum bei Elon¬ 
gation derselben ersonnen. Aber während diese Gelegenheitsopera- 
tioncn am Uterus mehr lokal-symptomatischen 1 Charakter hatten, 
blieb cs erst einer späteren Zeit Vorbehalten, unter Berücksichtigung 
der Bedeutung, die der pathologischen Lageveränderung des Ut-erus 
beim Genitalprolaps zufällt, wirklich kausale Therapie zu treiben. 
Es kam die kombinierte Operationsmethode auf. die darauf hinzielt, 
neben einer exakten Scheidenplastik den ganzen Uterus in den Opera¬ 
tionsplan miteinzubeziehen. 

Die zahlreichen hierfür angegebenen Methoden lassen sich zweck¬ 
mässig in 2 grosse Gruppen trennen, die konservativen und die ver¬ 
stümmelnden, je nachdem die Verfahren auf die physiologische Funk¬ 
tion von Gebärmutter und Scheide Rücksicht nehmen oder nicht. So¬ 
fern nun bei einigen konservierenden Verfahren nicht alles erhalten, 
bei manchen verstümmelnden nicht das ganze Organ geopfert wird, 
gibt es Zwischenglieder analog den verschiedenen Abstufungen und 
Erscheinungsformen, in denen v/ir den Genitalprolaps kennen gelernt 
haben. 

Von den konservativen Methoden der profixierenden Operationen 
verdient die Alexander-Adams sehe Operation an erster Stelle 
genannt zu werden, weil sie mit Recht als die physiologischste gilt, 
sofern sie der Normallage des Uterus am ehesten Rechnung trägt. 
Daneben verbindet sie den Vorteil eines relativ leicht zu nennen¬ 
den Eingriffs, weil die Bauchhöhle dabei verschlossen bleibt. Schwie¬ 
rig für den Operateur kann sich indessen diese Operation gestalten bei 
schlechter Entwicklung der Ligamenta rotunda, die bekanntlich nach 
kurzer Spaltung des Leistenkanals an ihrer fächerförmigen präingui- 
nalen Ausstrahlungszone freipräpariert, aus dem Kanal gezogen und 
beiderseits an die Faszienschenkel des Obliquus abdom. ext. vernäht 
werden. 

Im Gegensatz zur A 1 e x a n d e r - Ad a m s sehen Operation als 
Hilfsoperation hat die Ventrofixur, besonders von Küstner warm 
vertreten, den Nachteil einer Laparotomie mit ihren Gefahren und 
bleibt am besten nur für jene Fälle von fixierter Retroflexio reserviert, 
die eine intraperitoneale Lösung von Verwachsungen an Uterus und 
Adnexen erforderlich machen. 

Aus dieser Operation entwickelten sich die vaginalen Fixationen, 
besonders in ihren späteren Modifikationen nach Mackenrodt und 
Diihrssen. Sie bezwecken, der aus ihrem Verband gelockerten 
Gebärmutter an der vorderen Scheidenwand eine feste Stütze zu 
geben und sie dabei gleichzeitig als Widerlager für die Blase zu 
verwenden. Unerlässliche Vorauss^J^g jf^ü/ ihre Anwendung ist 

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13. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


903 


gute Beweglichkeit des nicht zu grossen Uterus. Sie werden in der 
Weise ausgeführt, dass nach Vornahme eines Türflügel- oder Ovalär- 
schnittes an der vorderen Scheidenwand und Abpräparieren der 
Schleimhautlappen die Blase zurückpräpariert und die Plika eröffnet 
wird. Nach Raffung der Blase vermittels Tabaksbeutelnaht wird der 
Uterus vorgezogen und mit seiner vorderen Wand in der Weise an 
die Scheide fixiert, dass durchgreifende, Vaginalwand, Peritoneum 
und Uterus umfassende Ligaturen gelegt werden, wobei die gekürzte 
vordere Scheidenwand vollständig über dem Uterus geschlossen wird. 
Um dem Uterus eine bessere Beweglichkeit zu geben als bei seiner 
Fixation an die Scheide, wurde von einigen Operateuren die Vesiko- 
fixation des Uterus in der Weise vorgenommen, dass nach Eröffnung 
der Plica von der Vagina aus der Uterus mit der hinteren Blasen- 
wand fixiert wurde. 

Die von W. A. Freund zur Heilung von Totalprolapsen alter 
Frauen angegebene Methode, nach welcher der Uterus aus dem 
Douglas gestülpt und mit seiner hinteren, angefrischten Fläche an die 
vordere Vaginal wand, die vordere Korpusfläche an die hintere Schei¬ 
denwand fixiert wird, leitete zu dem Werth ei in sehen Interpositions- 
verfahren über, bei dem der Uterus vorne herausgestülpt und mit 
seiner Hinterfläche an die vordere Scheidenwand extraperitoheal 
fixiert wird, so dass er zwischen Vagina und Blase zu liegen kommt. 

Allen diesen zahlreichen vaginalen Fixationen, deren Grund¬ 
prinzip in einer plastischen Verwendung des Organs liegt, sind ge¬ 
wisse Schranken gesetzt. Bei hochgradiger Erschlaffung des Becken- 
bindegewebes und des Peritoneums, bei seniler Atrophie des Uterus 
oder bei hochgradiger pathologischer Veränderung von Uterus und 
Scheide ist die vaginale Totalexstirpation des Uterus der einzige Weg 
zur Heilung. Nach dieser Indikation wurde zuerst von Kalten¬ 
bach im Jahre 1880 operiert. Das Verfahren wurde von A. Martin 
in der Folge noch dahin erweitert, dass letzterer mit dem Uterus auch 
die Vagina opferte. 

Unter diesen Methoden der operativen Behandlung des Gebär¬ 
mutterscheidenvorfalls, die in ihren zahlreichen Modifikationen noch 
nicht annähernd erschöpfend wiedergegeben sind, möchte ich 3 Grund¬ 
typen herausgreifen und an dem Material der hiesigen Frauenklinik 
näher besprechen. Es sind dies die Scheidenplastik kombiniert 


1. mit der A 1 e x a nd e r - Ada m s sehen Operation, 

2. mit Vaginifixura uteri und 

3. mit Totalexstirpation des Uterus. 

Die Scheidenplastik hat auf Grund der Halban-Tandler- 
schen Lehre insofern eine Modifikation erfahren, als von einigen An¬ 
hängern dieser Lehre (K r ö n i g, L a t z k o) die Ausführung der 
Levatornaht bei der hinteren Kolporrhaphie bevorzugt wird, während 
die meisten anderen Operateure auf diese eingreifende und blutige 
Operation verzichten. Man könnte vielleicht einen vermittelnden Weg 
in der Weise empfehlen, dass man nach Resektion der hinteren Vaginal¬ 
schleimhaut tiefere, die oberflächliche Faszie mit Teilen des (Mus- 
culus transversus perinei profundus umfassende versenkte Nähte ev. 
in 2 Etagen übereinander anlegt, bevor man zum Schluss von Scheide 
und Damm schreitet. Die Indikation zur Alexander-Adams- 
schen Operation in Verbindung mit Scheidenplastik war für uns in 
allen Fällen gegeben, wo es sich um gebärfähige Frauen handelte, bei 
denen der Scheiden Vorfall mit Retroflexio oder Tiefstand des Uterus 
kompliziert war. Um die Fixation der verkürzten Bänder nicht zu 
gefährden, wurde prinzipiell die Scheidenplastik vorausgeschickt, der 
ganze Eingriff aber in einer Sitzung vorgenommen. 

Auf diese Weise wurde die Operation in den Jahren 1914—1916 
im ganzen bei 28 Frauen ausgeführt mit einem Durchschnittsalter von 
35,8 Jahren und einer Durchschnittsfertilität von 5,3. Bei 2 Patien¬ 
tinnen handelte es sich um ein Rezidiv nach einer 2 bzw. 3 Jahre 
vorausgegangenen Scheidenplastik. Es ist aber nicht unwichtig, darauf 
hinzuweisen, dass diese beiden Frauen in der Zwischenzeit einmal 
geboren hatten. In einem Falle war die Operation kompliziert durch 
eine gleichzeitig bestehende linkseitige Leistenhernie, die gelegent¬ 
lich der AI exander-Adams sehen Operation mitoperiert wurde. 
Die Konvaleszenz war zweimal gestört, einmal durch eine Infektion 
der linken Alexander wunde, das anderemal 1 durch eine Thrombo¬ 
phlebitis der linken Zervikalvenen, die die Nachbehandlung um 
mehrere Wochen verlängerte. Die übrigen 26 Patientinnen wurden 
nach 12—14 Tagen aus der klinischen Behandlung entlassen. In 
sämtlichen Fällen war der Entlassungsbefund gut. 

Um nun ein verlässliches Urteil über das orthopädische Dauer¬ 
resultat gewinnen zu können, wurden alle Frauen in der ersten Januar¬ 
woche d. J. brieflich zur Nachuntersuchung in die poliklinische Sprech¬ 
stunde bestellt. Leider wurden diese Untersuchungen durch die er¬ 
schwerte Zureiseerlaubnis sowie durch die damals einsetzende Kälte¬ 
periode nicht unwesentlich beeinträchtigt, sofern der Aufforderung nur 
10 Frauen Folge leisteten. Da indessen unter den 10 brieflichen Ant¬ 
worten bei 4 die einzelnen Fragen durch Aerzte ausgefüllt waren, 
so glaube ich doch bei 14 Fällen die Resultate voll bewerten zu 
können. Da ausserdem die Operation bei allen Frauen 1—4 Jahre 
zurücklag. waren auch in zeitlicher Hinsicht die Bedingungen für 
ein definitives Urteil über das Endresultat erfüllt. Bei den Unter¬ 
suchungen wurde Wert darauf gelegt, ob sich in Rückenlage bei der 
Aufforderung zum Pressen die vordere oder hintere Scheidenwand vor¬ 
wölbte. Daneben wurde die Dicke und Höhe des Dammes berück¬ 
sichtigt sowie der genaue Stand der Gebärmutter. Als völlig geheilt 
wurden diejenigen Frauen angesehen, bei denen der Beckenboden 
fest und der Stand des Uterus normal wm. Als gebessert diejenigen. 


Nr. 33. Digjtized by Google 


bei denen entweder der Damm mehr oder weniger schlaff oder der 
Uterus in pathologischer Lage war. Als nicht geheilt endlich die¬ 
jenigen Fälle, bei denen ohne Aktion der Bauchoresse ein Teil der 
Scheide proiabierte. 

Die nach diesen Richtlinien vorgenommenen Untersuchungen er¬ 
gaben nun, dass unter unseren 14 Fällen 12 völlig geheilt, 1 Fall ge¬ 
bessert, 1 weiterer Fall nicht geheilt war. Diese Ziffern entsprechen 
einer Dauerheilung von 85,7 P r o z. Das Resultat bleibt unge¬ 
fähr das gleiche, wenn ich sämtliche briefliche Mitteilungen mitbe¬ 
rücksichtige, wobei Ich unter unseren 20 Fällen über 17 Hei tu n g e n 
= 85 P r o z. verfüge. Unter den geheilten Frauen hatten im 
ganzen 3 am normalen Ende der Schwangerschaft geboren Geburt 
und Wochenbett verliefen ohne Besonderheiten. Unter den Nichtge- 
heilten befand sich eine zur Zeit der Untersuchung im 3. Schwanger¬ 
schaftsmonat. 

Im Gegensatz zur Alexander-Adams seihen Operation 
wurde die Vaginifixura uteri mit Scheidenplastik in demselben Zeit¬ 
raum nur dreimal ausgeführt. In einem Falle handelte es sich um eine 
Privatpatientin von Herrn üeheimrat Fehling, die beiden übrigen 
Fälle fanden sich Anfang d. J. in der Poliklinik zur Nachuntersuchung 
ein. Bei der ersten dieser Frauen, einer 39 jähr. Vl.-para, wurde die 
Operation mit doppelseitiger Tubensterilisation kombiniert, im zweiten 
Falle handelte es sich um eine 46 jähr. Patientin, bei der erstmalig im 
Januar 1913 eine Portioamputation mit vorderer und hinterer Kolpor¬ 
rhaphie ausgeführt war. Diese Patientin kam nach 3 Jahren mit 
schwerer Urininkontinenz wieder, als deren Ursache wir einen er¬ 
neuten Scheidenvorfall mit grosser Zystokele feststellten. Beide 
Frauen können jetzt, nach mindestens zweijähriger Frist, als dauernd 
geheilt bezeichnet werden. Auch die Privatpatientin ist nach münd¬ 
licher Mitteilung von Herrn Geheimrat Fehling bisher beschwerde¬ 
frei geblieben. 

Wir kommen nunmehr zum dritten und letzten Verfahren: der 
Totalexstirpajion des Uterus mit vorderer und hinterer Kolporrhaphie. 
Diese Operation wurde im Zeitraum 1913—16 im ganzen 8 mal ausge¬ 
führt bei Frauen, die sich in einem Durchschnittsalter von 51,3 Jahren 
befanden. In 4 Fällen handelte es sich um einen Totalprolaps des 
Uterus mit völliger Inversion beider Scheidenwände und mehr oder 
weniger ausgedehnten Dekubitusgeschwüren, je einmal um einen 
myomatös vergrösserten Uterus bzw. chronischen Uterusinfarkt, in den 
beiden übrigen Fällen schloss die Kleinheit der Gebärmutter ihre 
plastische Verwendung in der Scheide aus. Bei einer der mit Total¬ 
prolaps behafteten Frauen war 5 Jahre vorher eine Portioamputation 
mit vorderer und hinterer Kolporrhaphie vorausgegangen. Sie bekam 
indessen nach knapp 1 Jahre ein Rezidiv, das 4 Jahre von einem aus¬ 
wärtigen Arzte mit wechselndem Erfolge durch Einlegen von Ringen 
behandelt wurde. 

Abgesehen von dieser Patientin, deren Rekonvaleszenz durch 
eine schliesslich glücklich überstandene Lungenembolie kompliziert 
war, konnten alle Operierten nach 2—3 wöchentlicher Nachbehand¬ 
lung und fieberfreiem Verlauf aus der klinischen Behandlung entlassen 
werden. 

Bei 3 von diesen 8 Frauen konnten wir uns Anfang Januar durch 
genaue Untersuchung von der Straffheit des Beckenbodens und des 
Scheidenrohres, das völlig unnachgiebig war, überzeugen.. In Ueber- 
einstimmung mit diesem objektiven Befund stand das subjektive Be¬ 
finden dieser Frauen, die frei von jeglichen Beschwerden waren und 
ihre Arbeitsfähigkeit wieder erlangt hatten. Auch die brieflichen Mit¬ 
teilungen von drei weiteren Frauen Lauteten durchweg günstig. Lei¬ 
der waren unsere Ermittelungen über das Ergehen der beiden übrigen 
Frauen ergebnislos. Immerhin lassen sich bei diesen Operierten 
die schriftlichen Antworten eher verwerten, weil es sich durchweg 
um alte, teilweise dekrepide Frauen handelte, bei denen wir mit der 
Arbeitsfähigkeit und dem subjektiven Wohlbefinden schon sehr viel 
erreicht haben. 

Die Einwände, dass diese Operation die.Frauen verstümmle, 
fallen nicht ins Gewicht, da wir grundsätzlich den Eingriff nur damt 
ausführen, wenn sich die Frauen im Klimakterium befinden. Somit ist 
es nur die Lebensgefährlichkeit, die zu einer gewissen Zurückhaltung 
veranlassen muss, wenn das Leiden mit Degenerationserscheinungen 
des Herzens oder chronischen Lungenaffektionen verbunden ist. Hier 
ist sorgfältige Vorbehandlung der Frauen dringendes Erfordernis. 
Auch besitzen wir in der Lokalanästhesie, die wir seit 2A Jahren 
methodisch bei allen Prolapsoperationen anwenden, ein sicheres Mittel, 
die mit der Inhalationsnarkose zumal bei älteren Frauen verbundenen 
Gefahren für Herz und Lungen; zu vermeiden. 

Mit Rücksicht auf die relativ geringe Zahl der sicher verwert¬ 
baren Fälle haben wir in einer Tabelle weitere Zahlenreihen der be¬ 
sprochenen 3 Operationstypen zusammengestellt. Sie stammen von 
früheren Dissertationen aus der hiesigen Frauenklinik, die mir von 
Herrn Geheimrat Fehling gütigst zur Verfügung gestellt wurden. 


Art der Operation 


Jahr¬ 

gang 

Zahl der 
ope¬ 
rierten 
Fälle 

Nach¬ 

unter¬ 

sacht 

Oehellt 

Pro*. 

1904—06 

46 

26 

24 

K ’ 1 

1907-13 

77 

54 

49 

90,0 

1902-12 

33 

23 

16 

69,6 

1913 

3 

2 

2 

— 

1914-16 

28 

14 

12 

85,7 

1914-16 

3 

am 


— 

1913-16 

8 

3(3) 

3(3) 

~~ 


Scheidenplastik mit Alexander-Adams 

|| || Vaginifixura uteri . 

|| !| Alexander-Adams . 

„ Vaginifixura uteri 
„ mit vaginaler Totalexstirpation 


Original fro-m 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




904 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 33. 


Da alle diese Frauen nach einheitlichen Gesichtspunkten hin¬ 
sichtlich der Indikation wie auch der Technik behandelt wurden, hat 
diese Zusammenstellung einen grösseren Wert als die vergleichsweise 
Gegenüberstellung der Resultate anderer Kliniken, in denen teils die 
Tecknik mehr oder weniger abweicht, teils auch die subjektiven 
Anforderungen einzelner Operateure hinsichtlich Dauerheilung, Ar¬ 
beitsfähigkeit verschiedene sind. 

Ans der vergleichenden Betrachtung dieser Zahlen ist zu ersehen, 
dass wir trotz sorgfältigster Auswahl der Fälle nicht immer in der 
Lage sind, den gewünschten Effekt zu erzielen. Diese Misserfolge 
beruhen nicht zum geringsten Teile auf dem Umstande, dass die 
Frauen nach der klinischen Entlassung bald ihre Arbeit wieder auf¬ 
nehmen, wodurch das junge Narbengewebe über Gebühr gedehnt wird. 
Ferner ist zu bedenken, dass dieses Narbengew'ebe mitsamt dem 
künstlich gefestigten Damm durch die Minierarbeit der Bauchpresse 
bei Defäkation usw. im Laufe der Zeit gelockert wird. Endlich ist 
zu berücksichtigen, dass wir mit jeder Prolapsoperation künstliche 
Verhältnisse schaffen, und dass wir nicht ln der Lage sind, 
den Tonus der erschlafften Fixations- und Stützapparate wieder her¬ 
zustellen. Dieser Uebelstand ist eben mit jeder Methode verbunden, 
die es sich zum Ziele setzt, aus ihrem Verband gelockerte Organe zu 
fixieren. 


Aus der Universitäts-Frauenklinik Freiburg i. Br. 
(Direktor: Qeheimrat Krönig f.) 

Weitere Vereinfachung des Dämmerschlafes unter der 
Geburt 

Von Privatdozent Dr. P. W. Siegel. 

Nachdem Krönig und G a u s s die Grundlagen des Dämmer¬ 
schlafes unter der Geburt erkannt hatten und dadurch‘als erste in 
der Lage waren, mit gutem Erfolg einwandfreie Schmerzlosigkeit 
unter der Geburt zu erzielen, ist von den von Beiden angegebenen 
Prinzipien des Dämmerschlafes nicht wieder abgegangen worden. Das 
Prinzip lag fest. Die Kritik beschäftigte sich nur mit der etwas 
komplizierten Methodik des Dämmerschlafes und sträubte sich gegen 
den eigentümlichen Zustand, in den ein Teil der Kinder durch den 
Dämmerschlaf kommen kann, nämlich gegen die sog. Oligopnoe der 
Kinder. 

Auf die grundlegenden Veröffentlichungen von G a u s s hin sind 
nun zahlreiche Versuche angestellt worden, die Technik des Dämmer¬ 
schlafes zu vereinfachen und die Oligopnoe der Kinder herabzusetzen. 
Diese Untersuchungen führten aber trotz ihrer Reichhaltigkeit nicht 
zu einem befriedigenden Ziele, weil den Untersuchern die not¬ 
wendigen Erfahrungen im ursprünglichen Dämmerschlaf fehlten. Erst 
7 Jahre nach Einführung des Dämmerschlafes konnten wir ihn auf 
Grund unserer sehr grossen Klinikerfahrung technisch vereinfachen. 
Es gelang uns, den individuellen Faktor nach Möglichkeit auszu¬ 
schalten und durch ein relativ einfaches, für alle Frauen gleiches In¬ 
jektionsschema den Dämmerschlaf über die ganze Geburt durchzu¬ 
führen und dabei Erfolge zu erzielen, die gleichmässiger waren als 
diejenigen, die wir mit dem ursprünglichen, individuellen Dämmer¬ 
schlaf erreichten. Das Wesentlichste an dieser Vereinfachung ist, 
dass sich die geburtsleitende Person mehr und mehr von der ge* 
bärenden Frau loslösen kann, nicht mehr unbedingt um sie herum¬ 
sein und jede einzelne Injektion von Fall zu Fall bestimmen muss. 

Ich möchte aber trotzdem noch einmal ganz besonders betonen, 
dass in der Hand eines erfahrenen Beobachters mit der ursprüng¬ 
lichen, individuellen Methode des Dämmerschlafes Gleiches, in einigen 
Fällen sogar noch Besseres geleistet werden kann. Der Nachteil ist 
eben nur der, dass dazu erst grosse Erfahrung erworben werden muss 
und dass es in der menschlichen Unzulänglichkeit liegt, jeden einzelnen 
Fall mit der notwendigen Sorgfalt individuell zu behandeln. Darum 
stehen wir heute auf dem Standpunkte, in den Kliniken, wo Aerzte- 
und Schwesternwechsel häufiger eintritt, wo Grösse des Materials 
und mangelnde Zeit des Beobachters eine ununterbrochene Be¬ 
wachung in jedem Falle nicht gestatten, uns mit dem schematischen 
Dämmerschlaf zu begnügen. 

Mitte 1916 veröffentlichte nun Hüssy 1 ) aus der Basler Klinik 
eine von ihm erprobte, neue Form des Dämmerschlafes unter der 
Geburt und bediente sich dazu in sehr einfacher Weise der oralen 
Applikation eines neuen Mittels, das er „Tachin“ nannte. Diese 
Tachintabletten verabreichte er 1, 2, 3 oder auch 4 mal in Abständen 
von 2 Stunden. Er wollte im Anschluss daran eine weitgehend be¬ 
ruhigende Wirkung, eine intensiv schmerzstillende Wirkung und 
richtigen Dämmerschlaf unter gleichzeitiger Anregung der Wehentätig¬ 
keit bei der gebärenden Frau gesehen haben. Die Erfolge wurden 
später von Baumann 2 ) aus derselben Klinik bestätigt. 

Diese neue Methode ist zweifelsohne sehr einfach. Darum war 
es selbstverständlich, dass auch wir uns sofort an die Ausprobierung 
dieses Mittels machten. Leider konnten wir die Erfolge Hüssys 
und Baumanns in keiner Weise bestätigen. Die Anforderungen', 
die wir gewohnt waren an einen Dämmerschlaf und an eine Schmerz¬ 
losigkeit unter der Geburt zu stellen, wurden nicht im allerentfernte- 


‘) Hüssy: Zbl. f. Gyn. 1916 Nr. 21. 

-) Baumann: Mschr. f. Geb. u. Gyn. 1916. 

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sten erfüllt. Es ist für uns wichtig, dass in jüngster Zeit Wort¬ 
mann 3 ) auch gleich ungenügende Resultate mit den Tachintabletten 
erzielt hat, so dass wir uns kaum getäuscht haben dürften. Unser 
Wunsch, die Tachintabletten mit Skopolamingaben zu kombinieren, 
scheiterte, da die Chem. Fabrik 'Basel glaubte, eine Verflüssigung ihres 
Mittels „Tachin“ zur subkutanen Injektion nicht ermöglichen zu 
können. 

Die Hüssy sehe Veröffentlichung hat aber für uns den Vorteil, 
dass sie bei uns den Wunsch auslöste die Technik unseres Dämmer¬ 
schlafes einer Revision zu unterziehen. Da die Chem. Fabrik Basel 
nicht mit uns in Verbindung treten konnte, wandten wir uns an B ö h - 
ringer & Söhne. 

Wir gingen nämlich von dem Gedanken aus, das von B ö h - 
ringer & Söhne hergestellte Narkophin in unserem, heute als 
erprobt geltenden Dämmerschlafschema (Skopolamin haltbar + Nar¬ 
kophin) durch ein Mittel zu ersetzen, das neben der schmerzlindernden 
zugleich eine wehenanregende Wirkung in sich trägt. Nach ver¬ 
schiedenen Analysen* und Experimenten kamen wir zu dem Präparat 
„Amnesin“, das in Ampullen von 1,2ccm durch Böhringer & 
S ö4i n e hergestellt, sich heute im Handel befindet. 1 ccm des Amnesin 
enthält 0,012 g milchsaures Morphin-Narkotin und 0,2 g Chin. bihydro- 
chlor. carbamin. Diese Zusammensetzung des Mittels schien uns ge¬ 
eignet, unseren schematischen, bereits vereinfachten Dämmerschlaf 
noch mehr zu vereinfachen. 

Wenn wir auch mit unserem letzthin veröffentlxhten Schema des 
Dämmerschlafes *) sehr zufrieden waren, wie ich das schon in unserer 
letzten Arbeit ausdrückte, so wurde die Anwendung in erster Linie 
durch den Gebrauch des Chloräthyls doch noch immer erschwert. 
Um nämlich den Erfolg sicherzustellen, mussten wir bisher beim 
Durchschneiden des kindlichen Kopfes Chloräthyl geben. Wir konnten 
das nicht umgehen, da der Schmerz, der durch das Durchschneiden 
des kindlichen Kopfes ausgelöst wird, zu stark ist und da beim Unter¬ 
lassen der Chloräthylzugabe der einwandfreie Erfolg des Dämmer¬ 
schlafes in Frage gestellt wurde. Wir hatten berechnet, dass wir nur 
76—85 Proz. volle Erfolge erzielen, wenn wir den schematischen 
Dämmerschlaf ohne Chloräthylgabe durchführen. Eine Vertiefung des 
Dämmerschlafes durch starke Skopolamin-Narkophindosen zur Vermei¬ 
dung des Chloräthyls war dagegen wegen der erhöhten Neben¬ 
erscheinungen, besonders wegen der Wehen Verlangsamung, nicht 
möglich. 

Wir überlegten nun, dass bei einem tieferen Dämmerschlaf mit 
gleichzeitig systematisch durchgeführter leichter Wehenanregung die 
Wehenverlangsamung ausbleiben könnte und dabei der Durchtritt 
des kindlichen Kopfes auch ohne Chloräthylgabe nicht gemerkt zu 
werden brauchte. Aus dem Grunde griffen wir zur Kombination des 
milchsauren Morphin-Narkotin mit Chinin. Das Chinin ermöglichte 
uns, die zeitlichen Abstände für die einzelnen Injektionen zu ver¬ 
kürzen und dabei doch durch die gehäuftere Kombination des Skopo¬ 
lamin haltbar mit dem Alkaloid gleichzeitig die schmerzstillenden 
Komponenten in ihrer Wirkung zu potenzieren. 

Mit dieser neuen Kombination von Skopolamin haltbar 8 ) und Am¬ 
nesin stellten wir nun zwei Untersuchungsserien von je 200 Fällen an, 
indem wir als Wesentlichstes in dem Schema des vereinfachten 
Dämmerschlafes die Injektionen nach der dritten* Spritze statt 
1 A stündlich, das erstemal alle 1)4, das zweitemal alle Stunden 
folgen Hessen. Da nach dem zweiten Modus die Resultate die 
besseren sind, gehe ich nur dieses endgültige Schema in Folgendem 
wieder: 


Schema. 

Dämmerschlafbeginn: 1)4 ccm Skopolamin -f 1)4 ccm Amnesin 


Vk Stunden nach 

9» 

VA „ 

99 

+ )4ccm Amnesin 

1* „ 

ff 

)4 „ 

19 

+ A ccm Amnesin 

2 A 


)4 „ 

99 


3)4 

ff 

)4 „ 

99 


4A 

• 9 

)4 ., 

99 

+ )4ccm Amnesin 

5>4 

99 

>4 „ 

99 


6)4 

99 

A „ 

99 


1A 

99 

A „ 

99 

+ A ccm Amnesin 


und so fort, jede Stunde A ccm Skopolamin haltbar. Jede dritte 
Skopolamindosis wird mit A ccm Amnesin kombiniert. Die Geburt 
erfolgt ohne Zugabe irgendeines anderen Narkotikum. 


Um zu zeigen, was wir mit dem neuen Präparat erreicht haben, 
sind in den folgenden 4 Tabellen die Resultate zusammengestellt 
und mit unseren Resultaten aus der schon verschiedenfach genannten 
Veröffentlichung in der Monatsschr. f. Geb. u. Gyn. über den Schema, 
tischen Dämerschlaf in Parallele gestellt. Es ist hier nicht nötig, bis 
ins einzelne zu gehen, wie in dieser letzten Veröffentlichung, da die 
Verhältnisse im allgemeinen genau dieselben geblieben sind bis aiif 
die in den folgenden Tabellen niedergelegten Unterschiede. Der 
Einfachheit halber bezeichnen wir im folgenden den ursprünglichen 
schematischen Dämmerschlaf mit 1 )4 stündlichem Injektionsintervall 
nach der dritten Injektion als Schema 1, den neuen Dämmerschlaf 
mit 1 stündlichem Injektionsintervall als Schema 2 und den jetzt 
gültigen Dämmerschlaf mit stündlichen Injektionen als Schema 3. 


*) Wortmann: Zbl. f. Gyn. 1918 Nr. 1. 

*) Mschr. f. Geb. u. Gyn. 46. 1917. Nr. 6. 

Ä ) Skopolamin haltbar in Ampullen von 1 ccm Lösung — 0,0003 g 
Substanz hergestellt von der Chem. Fabrik Grenzach. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 






13. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


905 


Tabelle 1: Erfolge beim schematischen Dämmer¬ 
schlaf. 


Schema 

Zahl der 
Pille 

Injektionsintervall nach 
der 3. Injektion 

vollkommene 

Erfolge 

teilweise 

keine (Tiruftr^ 

2 

3 

1000*) 

200 

200*) 

1V* Stunden 
l 1 /« Stunden 

1 Stunde 

94,6 Pro*. 

74 Pro*. 

90 Proz. 

3,8 Pro*. 
23 Pro*. 
9,5 Proz. 

1,6 Proz. 

3 Pro*. 

0,5 Proz. 


cf. Monatsschrift f. Qeb. u. Oyn. 1917 Bd. XLVI Nr. 9. 
Obiges endgültiges Schema. 


In der Tabelle 2 sind die Fälle nach spontanen resp. operativen 
Eingriffen zusammengestellt, wobei zu bemerken ist, dass als opera¬ 
tive Eingriffe natürlich alle durdh Lageanomalien bedingte einge¬ 
rechnet sind. 

Tabelle 2: Operationsfrequenzbeimschcmatischcn 
Dämmerschlaf. 



Injektion«- 

| Geburt 


Intervall 

spontane 

operative 

1 

l*/ 9 Stunden 

87,7 Proz. 

12,3 Pro*. 

2 

iy 4 Stunden 

93 Pro*. 

7 Pro*. 

3 

1 Stunde 

91 Pro*. 

0 Proz. 


ln Tabelle 3 sind die Fälle nach Art der Wehen zusammen- 
gestellt und zwar beschränke ich mich hier nur auf die Kritik „gute 
Wehen“ für Eröffnungs- und Austreibungsperiode. Schlechte Wehen 
sahen wir in der Eröffnungsperiode nie, in der Austreibungsperiode, 
sowohl bei Schema 2 wie 3, selten. Es muss ausdrücklich hinzugefügt 
werden, dass prinzipiell keine Hypophysenpräparate gegeben wurden, 
dass also nicht noch zum Schluss die Wehentätigkeit künstlich an¬ 
gepeitscht zu werden brauchte. 

Tabelle 3: Wehenkritik beim schematischen 
Dämmerschlaf. 


Schema 

Injektions- 

Intervall 

Eröffnungs¬ 

periode 

Austreibung?- 

periode 

1 

!'/, Stunden 

87,6 Pro*. 

84,7 Pro*. 

2 

l 1 /« Stunden 

94 Pro*. 

89 Proz. 

3 

1 Stunde 

98 Pro*. 

91 Proz. 


In Tabelle 4 endlich ist das Verhalten der Kinder unmittelbar 
nach der Geburt niedergelegt. Unter den asphyktischen Kindern sind 
nur diejenigen geführt, die nach der Asphyxie zum Leben kamen. 
Unter den toten Kindern sind die asphyktischen mit nachfolgendem 
Tode, die frischtoten und die perforierten Kinder gezählt. Die 
mazerierten Kinder sind dagegen in einer besonderen Rubrik notiert, 
weil die Mazeration der Kinder sicher nicht der Geburtsleitung zur 
Last zu legen ist. 


Tabelle4: Befindender Kinder nach der Geburt im 
schematischen Dämmerschlaf. 


Schema 

Injektions¬ 

intervall 

lebens¬ 

frisch 

Das Ktn 
oligo- 
pnoTsch 

d ist bei der 
apnoiseh- 
asphyktisch 

Oeburt 

frischtot 

mazeriert 

1 

2 

3 

IV* Stunden 
IV« Stunden 

1 Stunde 

63.8 Pro*. 
89 Pro*. 

86 Proz 

31,2 Pro*. 

9 Pro*. 

10 Proz 

1,7 Proz. 
0.5 Proz. 

0 Proz. 

2,8 Proz 

1.5 Proz. 

2.5 1 roz. 

0,5 Proz. 

0 Proz. 

1,5 Proz. 


Ueberblicken wir diese 4 Tabellen, so fällt uns zunächst auf, 
dass die Erfolge mit dem schematischen Dämmerschlaf in alter Form 
(Schema 1) bei gleichzeitiger Ghloräthylgabe die besten waren. 
Bei Schema 2 mit dem Injektionsintervall von Stunden sind die 
Erfolge wohl als befriedigend aber nicht als vorzüglich zu bezeichnen. 
Dagegen sehen wir bei Schema 3 annähernd dieselben vorzüglichen 
Erfolge, wie beim ursprünglich schematischen Dämmerschlaf 
(Schema 1). Wir haben bei dem Schema 3 noch den Vorteil, dass 
wir trotz mangelnder Chloräthylgabe keinen eigentlichen Versager 
sahen. Das beruht darauf, dass gerade diejenigen Dämmerschläfe, die 
sich über eine grosse Spanne von Zeit hinziehen, dabei ausserordent¬ 
lich günstig verlaufen. Durch die grossen Zwischenräume von 
1 % Stunden kam es nämlich vor, dass, wenn der Dämmerschlaf mehr 
wie 10 Injektionen erforderte, die Frauen nicht mehr so ganz im 
Dämmerschlaf blieben. Durch die Verkürzung der Injektionsintervalle 
auf eine Stunde ist dieser Nachteil aber voll ausgeschaltet worden. 
Durch die mit der stündlichen Applikation verbundene, sich stündlich 
wiederholende, leichte Wehenanregung ist weiterhin bei leicht er¬ 
höhter Wehentätigkeit die Frequenz der spontanen Geburt sichtlich 
erhöht worden. Das ist ein nicht unwesentlicher Vorteil, der eine 
sichtbar verbesserte Wehentätigkeit in der Eröffnungs- und Aus¬ 
treibungsperiode (Tabelle 3) garantiert. 

Ein weiterer Vorteil zeigt sich in dem Verhalten der Kinder nach 
der Geburt. Die mit so vielen Worten beanstandete Oligopnoe der 
Kinder nach der Geburt ist von 31 Proz. bei Schema 1 auf 10 Proz. 
bei Schema 3 herabgedrückt worden. Die Mortalität der Kinder unter 
der Geburt ist die gleiche geblieben und bewegt sich in den für 
Kliniken normalen Prozentzahlen von 2,5 Proz. 

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Der Vorteil der verringerten Oligopnoe wiegt den geringen 
Nachteil der etwas geringeren vollkommenen Erfolge von 90 Proz. 
bei Schema 3 gegenüber 95 Proz. bei Schema 1 auf. Dieser Vorteil 
wird dadurch noch wertvoller, dass diese 90 Proz. volle Erfolge stets, 
bei dem ursprünglich vereinfachten Dämmerschlaf die 95 Proz. Erfolge 
dagegen nur dann erreicht werden, wenn unter ganz besonders 
günstigen Verhältnissen von einer darin geübten narkotisierenden 
Person die Chloräthylgabe vorsichtig und dabei doch genügend ge¬ 
geben wird. Ausserdem müssen wir hier noch einmal ausdrücklich 
hervorheben, dass der Dämmerschlaf um so erfolgreicher ist, je früher 
er beginnt. Der richtige Zeitpunkt des Beginns ist annähernde Regel¬ 
mässigkeit und beginnende unangenehme Empfindung der Wehen. 

Wir sehen also, dass wir mit dem Schema 3, das wir danach 
als das günstigste und heute für uns gültige Injektionsschema ansehen, 
bei leichtester Technik Vorzügliches zu leisten imstande sind. Wir 
sparen dabei die Chloräthylzugabe und damit eine für diese Chlor¬ 
äthylzugabe notwendige, geschulte Person, die in dieser Cfoloräthyl- 
gabe eine gewisse Erfahrung besitzen muss. Gleichzeitig ist die 
Wehentätigkeit während der ganzen Geburt sehr gut. Die Geburt 
findet genau, wie ursprünglich, im Mittel zwischen der 6. und 7. In¬ 
jektion statt. 75 Proz. aller Geburten erfolgen vor der 7. Injektion 
und 91 Proz. der Geburten spontan. Endlich setzen wir den für die 
Umgebung und die Geburtsleitung unangenehmen Zustand der 
Oligopnoe der Kinder sowohl nach Frequenz, wie auch nach Intensität 
herab. Tritt Oligopnoe auf, dann dauert diese Oligopnoe nicht länger 
wie allerhöchstens 5 Minuten. Nach dieser Zeit atmen und schreien 
alle Kinder normal, ohne jeden Reiz, ohne jedwede Therapie. Das 
war bei dem ursprünglich vereinfachten Dämmerschlaf (Schema 1) 
nicht der Fall. Hier gelang es nur, 70 Proz. der oligopnoisdten Kinder 
innerhalb der ersten 5 Lebensminuten zum normalen Atmen und 
Schreien zu bringen. 

Es ist uns also mit dem Injektionsschema 3 gelungen, die einzigen, 
eigentlichen Nachteile, die die bisherige Schematisierung des Dämmer¬ 
schlafes aus dem individuellen Dämmerschlaf übernahm, die Applikation 
von Chloräthyl und die Oligopnoe der Kinder, erfolgreich zu be¬ 
kämpfen. Diese Vorteile sind für uns so gross, dass wir ihnen eine 
ganz wesentliche Bedeutung in der Beurteilung des Dämmerschlafes 
zuschreiben möchten. Diese weitere, wesentliche Vereinfachung wird 
darum für die wünschenswerte und notwendige Verallgemeinerung des 
Dämmerschlafes unter der Geburt von Wichtigkeit werden. Sie er¬ 
möglicht uns, bei noch mehr eingeschränkter persönlicher Erfahrung 
für Arzt, Mutter, Kind und Umgebung beste und befriedigendste 
Resultate zu erzielen. 


Aus der Prosektur des städtischen Krankenhauses und aus 
der bakteriologischen Abteilung des Festungslazaretts Mainz. 
(Ceiter: Stabsarzt d. R. Dr. G. B. Grub er.) 

Zur pathologischen Anatomie und zur Bakteriologie 
der influenzaartigen Epidemie im Juli 1918. 

Von Dr. G. B. Gruber und Dr. A. Schädel. 

Auch uns hat sich in grösserem Umfang Gelegenheit zur Unter¬ 
suchung der Grippe geboten, die in den letzten Wochen über unser 
Land hinwegzog. Die ausgezeichnete Darstellung, welche die Patho¬ 
logie und Bakteriologie dieser epidemischen Erkrankung durch 
Oberndorfer und Mandelbaum (in Nr. 30 der M.m.W. 1918) 
erfahren hat, erübrigt ein breites Eingehen auf die Erfahrungen, die 
wir gemacht haben. Deshalb sei es gestattet, nur kurz mitzuteilen, 
dass wir die Befunde der genannten Autoren weitgehend bestätigen 
können. 

Was die pathologische Anatomie der letal endenden 
Fälle anbelangt, so drängte sich uns der Eindruck auf, als hätten wir 
es mit einer ausgeprägten Lungenseuche zu tun. Die Erschei¬ 
nungen des Atmungsap<parates standen durchaus im Mittelpunkte des 
Befundes; sie gaben der tödlichen Erkrankung das Gepräge. Dabei 
kann unberücksichtigt bleiben, dass der Affekt quantitativ sehr ver¬ 
schieden zum Ausdruck kam, und dass die entzündliche Reaktion auf 
den Infekt der Lunge nicht immer gleichartig verlief. Zumeist lag 
das Bild einer ausgedehnten, fibrinös-eitrigen Bronchitis und einer 
hämorrhagisch-eitrigen Bronchopneumonie vor. Der letztgenannte 
Befund glich dann häufig einem Bild, wie es bei embolisch entstan¬ 
denen, blutig-eitrigen Lungenherden im Fall von pyämisch erkrankten 
Schwerverletzten während des Krieges oft genug gesehen werden 
konnte. Eigentliche, gut abgrenzbare Infarktbildungen konnten da¬ 
bei aber von uns nicht festgestellt werden. In der Regel hatte die 
Erkrankung peripherste Lungenteile getroffen und dort kleinste oder 
auch grössere eitrige Herde gebildet, von denen aus sich eine richtig 
gehende, phlegmonöse, interstitielle Lungenentzündung nach der einen 
Seite, eine eitrige Pleuritis mit sehr reichlichem Exsudat nach der 
anderen Seite ausbildete. Abgesehen davon, sind auch lobuläre, ja 
lobäre, fibrinöse Entzündungserscheinungen in den Lungen angetroffen 
worden, die aber mehr oder weniger doch wieder ausgezeichnet 
waren durch schwere Eiterung in den Bronchien oder durch schmie¬ 
rige, eiterähnliche und eitrige, abszessartige Einschmelzungen' ganzer 
Abschnitte des infiltrierten Lungengewebes. Ueberhaupt scheint dem 
Verlauf der rasch ungünstig fortschreitenden Lungenaffektion sehr 
bald die Tendenz zur Nekrosierung und Vereiterung von Lungenge- 

Originalfrom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



906 


JVIUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 33. 


webe eigen zu werden. Auch dann, wenn grosse Entzündungsherde 
der Ltmge gar nicht gegeben waren, sahen wir nicht selten eine stark 
eitrige Einschmelzung von ganz frischem Aussehen im Wandbereich 
und in der nächsten Umgebung von »peripheren Bronchialgängen', wo¬ 
durch das Bild brochiektatischer Abszedierung zustande kam. Ja, in 
einem Falle entstand airf diese Weise in unglaublich kurzer Zeit ein 
Pyopneumothorax, da die Einschmelzung eines subpleural gelegenen 
Herdes zur Pleuraruptur geführt hatte. Amt auffälligsten von alfen 
diesen verschiedenen Bildern, die fast alle durch die Neigung zur Ge- 
websblutung neben der Eiterung sich auszeichneten, war uns die sehr 
ausgeprägte interstitiell» pneumonische bzw. phlegmonöse Affektion, 
welche das Lungenparenchym wie von einem recht groben, getb- 
weissen Netz durchzogen sein Hess. Um kleinere und um grössere 
Zweige der Lungengefässe sah man Kränze dünnen, gelbweissen und 
gelbgrünlichen Eiters. Dass derartige Gefässe thrombotisch verstopft 
erscheinen konnten, war bei so schwerer, perivaskulärer Entzündung 
nicht auffällig. 

Die mikroskopische Untersuchung der Lungen liess 
in allen Fällen Zeichen von exsudativer fibrinöser Entzündung er¬ 
kennen, die freilich sehr häufig fast verschwand vor dem massigen, 
blutig-eitrigen Exsudat. Stellen mit ganz reiner Blutung fehlten in 
unserem Material. Die_Fibrinausschwitzung war manchmal ungeheuer 
dicht. Sie füllte die Bronchialgänge stellenweise in Form von Zy¬ 
lindern völlig aus. sie durchsetzte die Bronchialwände und Septen. 
sie erfüllte selbst noch gelegentlich penbronehiale Lymphgefässe und 
interstitielle Gewebsliickcn. Das angrenzende Lungengewebe war 
durch mächtige venöse Hyperämie und breite Blutaustritte ausge¬ 
zeichnet. so dass hämorrhagische Herde und eitrig durchsetzte Züge 
und Inseln abwechseltem. Dieser Ausschwitzung folgte an manchen 
Stellen anscheinend sehr rasch die Nekrose. ImBereichder nekrotisieren¬ 
den Entzündung, die auch von den Parenchympartien, also von aussen 
her, auf die Septen und ihre Gefässe Übergriff und zu Bildern schwerer 
Peri- und Panarteriitis führte, waren gelegentlich Bakterienrasen 
mit Spezialfärbungen festzustellen. Hier konnten Doppelkokken und 
auch kurze Kettenkokken mit positivem Gramverhalten angetroffen 
werden. 

Was die übrigen Atmungswege anbelangt, so war eine 
Schwellung und tiefe Rötung der Trachea meist vorhanden. Auch 
der Kehlkopf war mitunter einbezogen. 'Einmal sahen wir hier eine 
schwere, eitrige Pericbondritis mit Abszessbildung, mehrfach war der 
Kehlkopf von Fetzen schwer abziehbarer, schmutzig-brauner, krup¬ 
pöser Schleier überzogen. Diese enthielten eine reine Ansiedelung 
Gram-positiver Diplo-Streptokokken. Auch Ulzeration der Gaumen¬ 
bögen konnte festgesteltt werden. Starke Schwellung, grosser 
Saftreichtum und blaurotes Aussehen zeigten regelmässig die lym¬ 
phatischen Organe der Lungen, des Halses und des Schlundes. 
Das Verhalten des Thvnrus. der in seiner Ausbildung durchaus dem 
Alter der meist jugendlich Verstorbenen entsprach, war nieht anders 
als es durch eine stark feuchte Schwellung des ganzen Mittelfelles 
sein musste. Wir konnten diese Schwellung nur als kollaterale Er¬ 
scheinung zu dem entzündlichen Vorgang im Pleurabereich auffassen. 
Beispiele für bestehenden Status thvmolymphaticus konnten wir nicht 
wahrnehmen. Auch zur fibrinösen Perikarditis war es mehrfach 
gekommen. Im Herzfleisch machten sich öfters Blutaustritte 
geltend. Einmal entsprachen diese einer mikroskopisch erhobenen, 
ganz frischen, lockeren, leukozvtären Myokardinfiltration Hinter 
einem Oedem der leicht getrübten Hirnhäute steckte in 2 Fällen 
eine mikroskopisch erwiesene, durch Strepto-Diplokokken bedingte, 
beginnende Entzündung, welche klinisch noch keine ausgesprochene 
Meningitis, sondern nur Zeichen des sog. Meningismus hervorgerufen 
hatte. In einem Falle 'hatte sich beiderseits in der Scheitel- und 
Okzipitalregion des Grosshirns ein enzephalitischer Herd ausge¬ 
bildet. Fälle von Hjrnpurpura sahen wir nicht. Recht verschieden 
verhielt sich die Milz, doch bot sie häufig das Bild des septisch 
erweichten und» vergrösserten Organes. Leber und Nieren zeich¬ 
neten sich nicht selten durch trübe Schwellung aus. die sich an 
den Nieren einmal bis zum Bild erheblicher, akuter Degeneration ge¬ 
steigert hatte. Diese war auch klinisch durch Eiweissausscheidung 
und Zylindrurie aufgefallera. Endlich ist noch anzirführen, dass wir 
in 5 Fällen ganz ausgesprochene Bilder von charakteristischer, 
wachsartiger Muskeldegeneration vorfanden. 4«mal im 
Bereich der geraden Bauchmuskeln, einmal in den grossen Brust¬ 
muskeln. Ferner sei nicht übergangen, dass einmal eine Otitis media 
und einmal ein metastatische Ophthalmie das Bild komplizierte. 

Fast alle Patienten waren unter dem Bilde der Herzschwäche 
gestorben. In den meisten Fällen lag eine akute Erweiterung 
der rechten Herzhälfte, oft auch ein Oedem der nicht 
befallenen Lun genabschnitte vor. Im grossen und 
ganzen deutet der pathologisch-anatomische Befund darauf hin. dass 
bei diesen tödlichen Fällen von Grippe sich ein septischer Prozess 
geltend machte, ausgehend von den Atmungsorganen. Dass es sich 
dabei um eine echte Bakteriämie handeln kann, lehrt der positive 
Keimnachweis, im Milzsaft ■ und in der Hirnhautflüssigkeit. Von der 
Giftwirkung der Erreger überzeugen uns die trüb geschwellten Organe 
und die wachsartige Muskeldegeneration. vielleicht auch die gesehene 
Vorliebe für Gewebsblutungen. Die tödliche Erkrankung betraf nur 
vollkräftige, noch* jugendliche Menschen beiderlei Geschlechtes. 
Unter denen, die ihr erlagen, befanden sich keine, welche durch chro¬ 
nische Lungenerkrankungen, z. B. durch ulzeröse Phthise ausge¬ 
zeichnet waren. 

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Unsere bakteriologischen Untersuchungen erstrecken sich auf ein 
viel grösseres Material als wie nur auf die Leichenöffnungen. Sie 
Hessen uns nicht zu einem einheitlichen Resultat gelangen. In den 
Auswurfproben von 250 Kranken haben wir die verschiedensten Keime 
gefunden, darunter auch in 14 Fällen einen Keim der nach Anordnung, 
färberischem Verhalten und Kultureigenschaften dem Pf e i f f e r sehen 
Influenzabaziilus entsprach. Dieser Keim war in 5 Sputen rein ent¬ 
halten, welche wir in einer Krankenstube, unmittelbar von den Pa¬ 
tienten hinweg zur Untersuchung bringen konnten. Es handelte sich 
dabei um allerjtingst erkrankte Leute. Weitaus die Mehrzahl der 
Sputen, besonders in weiter fortgeschrittenen Tagen der Krankheit, 
zeichnete sich durch Gram-positive Diplokokken und Diplo-Strepto- 
kokken aus. 

Zunächst erhofften wir von der bakteriologischen Untersuchung 
der Leichenfälle volle Klärung. Jedoch wurden wir in unserer Hoff¬ 
nung getäuscht. Aus dem Lungeneiter und aus dem Eiter der Pleuri¬ 
tiden, wie aus dem Milzsaft und aus der Hirnflüssigkeit konnten wir 
in wenigen Fällen zweifellose Pneumokokken, d. h. gekaoselte, Gram¬ 
positive, lanzettförmige Diplokokken züchten, die auch das gewöhn¬ 
liche Verhalten dieser Kokken beim Kultur- und beim Tierversuch 
zeigten. Ausserdem aber fanden wir in überwiegender Zahl einen 
Diplokokkus oder Dipio-Streptokokkus von Gram-positivem Verhalten 
und ganz analoger Form als wie der Pneumokokkus. Nur gelang cs 
uns nicht, diesen Keim zur Kapselbildung zu zwingen, auch* wuchs er 
mit auffallender Vorliebe in Form kurzer Ketten und griff in manchen 
Fällen Hämoglobin lytisch an. Es bleibe hier dahingestellt, ob dieser 
Keim dem Pneumokokkus verwandt ist, oder ob er als eine be¬ 
sondere Pneumokokkenart angesehen werden muss. Von Bedeutung 
für die Therapie und Prognose mag sein, dass er ziemlich hinfällig 
befunden worden ist. Bei der Beobachtung von Kranken mit 
kleineren Pleuraergüssen fanden' wir nach wiederholten Punktionen 
bei der Untersuchung des Punktates, wie die Zellen des pleuritischen 
Exsudates sich gar bald über die Keime hermachten, sie umschlossen 
und- offenbar vernichteten. Ihre Färbcfä'higkeit büssten die Keime 
hierbei ein; bald fand man nur noch Leukozyten und das Exsudat 
erwies sich beim Kulturversuch als frei von lebenden Keimen. Das 
Allgemeinbefinden der Patienten liess eine günstige Prognose zu. 
'Die ganze Bedeutung dieser verschiedenen!, vielleicht miteinander 
verwandten Keime ist nicht ganz klar ersichtlich. Aber das ist wohl 
nicht zweifelhaft, dass diese Pneumokokken und Diplo-Streptokokken 
für den Ausgang der Grippeerkrankuug. für diese deletären Lungen¬ 
affekte, verantwortlich zu machen sind. Auch das scheint zweifellos 
erwiesen, dass sie nicht in allen Grippcfällen von Anfang an in den 
'Krankheitsprodukten auffindbar waren. Neigten wir anfangs zur Mei¬ 
nung, in diesen Keimen die Urheber der ganzen Krankheit zu sehen, 
so müssen wir von dieser Ansicht abgehen bei Berücksichtigung des 
nunmehr vorliegenden eigenen und fremden, umfänglichen Materials, 
vor allem der divergierenden Untersuchungsergebnisse am Auswurf 
frisch Erkrankter. Mandelbaum dürfte wohl das Richtige ge¬ 
troffen haben, wenn er diesen Keimen nur eine sekundäre, allerdings 
unheimliche Rolle im Verlauf der Grippe zuspricht, dabei aber ein 
noch unbekanntes primäres Virus annimmt, das den schwer schädigen¬ 
den sekundären Keimen den» Weg ebnet: ein Virus, gegen das die 
ältere Generation durch Ueberstehen der Influenzaepidemie von 1890 
immun geworden ist. 

Zum Schlüsse sei noch auf 2 Tatsachen hingewiesen, welche 
vielleicht danach angetan sind, auch eine gewisse Virulenzerhöhung 
der Pneumokokken und Diplo-Streptokokken annehmen zu lassen: 

1. Darauf, dass die Zahl der beobachteten, rein kruppösen 
Lungenentzündungen schon in den letzten Wochen, ja Monaten vor 
dem Juli in unserer Gegend unverkennbar angestiegen ist. 2. Darauf, 
dass kleinere, in der geographischen Ausdehnung zwar beschränkte, 
aber ebenfalls sehr brutal angreifende, und in relativ geringen Fällen 
tragisch endende, seuchenartige Limgenerkrankumgefl seit einigen 
Jahren wiederholt zu beobachten waren. Der eine von uns hatte 
im Winter 1914 und im darauffolgenden Frühjahr 1915*) zum ersten 
Male, im Frühjahr 1917 zum zweiten Male an 2 weit getrennten 
Plätzen Deutschlands die Möglichkeit, am Sektionstisch Beobach¬ 
tungen über gehäufte Todesfälle an akuten, eitrigen, bronchopneu- 
monischen Affekten mit nebenher gehend er fibrinös-eitriger Pleuritis 
und Empyembildung. sowie mit phlegmonöser, interstitieller Pneu¬ 
monie, bedingt, soweit untersucht, durch' Pneumokokken- bzw. Diplo- 
Streptokokkenwirkung. bei jungen, kräftigen und Ihrer Konstitution 
nach für schweres Kranksein durchaus nicht prädestiniert erscheinen¬ 
den Männern zu machen, genau in derselben Weise, wie dieses in den 
jüngstvergangenen Wochen allgemeiner festzustellen war. Damals 
fielen die Erkrankungen, die klinisch ebenfalls als Grippe angesprochen 
wurden, mit ungünstigen klimatischen Einflüssen zusammen*. Ferner 
betraf die Erkrankung körperlich stärkst angestrengte junge Leute, 
die bei ihrem Tagewerk zunächst meist erhitzt und durchnässt, sodann 
dem Einfluss von Kälte, Schnee und Wind stundenlang ausgesetzt 
waren, die ferner in Unterkünften eng beieinander hausten, in- Unter¬ 
künften. welche eine Uebertragung von» Keimen mittels Tröpfchen¬ 
infektion beim Husten, Schnauben, Niesen recht wohl verständlich 
erscheinen Hessen. 


*) Vgl. auch L e n ?' Ausführungen über gehäufte Pneumonien 
in einem Gefangenenlager im Winter und Friihia.hr 1915. M.m.W. 
1917 S. 195. 

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13. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


907 


Aus der Militärärztlichen Akademie München. 

Zum Nachweis von Typhus-, Paratyphus- und Ruhr¬ 
bazillen im Stuhl. 

Von Dr. Karl v. An ge rer. 

Die Identifizierung der Typhus- und Ruhrbazillen beruht im 
w esentlichen auf der Agglutination und dem kulturellen Verhalten. 
Zur Prüfung dieses letzteren ist im Laufe der Zeit eine grosse Reihe 
von Nährböden angegeben w orden, so die L ö f f 1 e r sehen Grün- 
iösungen, die B a r s i e k o w sehen, die Agarnährböden nach Rot¬ 
berger bzw. O 1 d e k o p oder Rosenthal, die Trauben- und 1 
Milehzuckergärröhrchen usw. Fast alle Spezialnährböden beruhen 
indessen bei all ihrer Vielgestaltigkeit auf ein und demselben Prinzip, 
nämlich auf den Veränderungen, welche der Nährboden durch die zu 
prüfende Zersetzung des Trauben- oder Milchzuckers erfährt. Diese 
Zuckerzersetzung äussert sich, wenn sie als Säuerung ohne Gas¬ 
bildung erfolgt, in der Fällung von Eiweisskörpern (Löffler, 
Barsiekow, Malchnährböden) oder in dem Farbenumschlag von 
Indikatoren (Barsiekow, Oldekop 1 ), Löffler II). Ist die 
Säuerung von Gasbildung begleitet, so äussert sich diese ausserdem 
in Schaumbildung (Barsiekow, Löffler), Gasansammlung im 
Gärröhrchen, Zerreissung der Agarmasse (Zuckeragar). Es können 
daher die meisten Spezialnährböden in einfacher Weise in Lackmus¬ 
zuckerbouillongärröhrchen in der Anordnung nach Dur h am zu¬ 
sammengefasst werden^ Die Herstellung erfolgt ganz in der gleichen 
Weise wie sonst Trauben- oder Milchzuckerröhrchen angefertigt 
w erden, nur erhält die Zuckerbouillon noch einen Zusatz von 4 Proz. 
Lackmuslösung nach. Kubel-Tiemann. Die Reaktion muss 
neutral sein, stärkere Alkaleszenz ist zu vermeiden, da sonst allen¬ 
falls von Bakterien' gebildetes Alkali nicht beobachtet werden kann. 
Die Sterilisierung erfolgt in der Welse, dass die Röhrchen in den 
bereits auf 100° geheizten Autoklaven gestellt werden, dann lässt man 
den Dampf 5 Minuten ausströmen, schiiesst das Ventil, wartet das 
Steigen des Manometers auf X A Atmosphären ab und lässt diese 
Temperatur 2 Minuten ein wirken. Dieses Verfahren tötet auch Sporen 
von nicht allzu grosser Resistenz im Innern der Gärröhrchen ab. 
Längeres Kochen bewirkt Abnahme der Gasbildung bei der Ver¬ 
gärung. Zeigt z. B. ein mit einem fraglichen Stamm geimpftes 
Traubenzuckerröhrchen Säurebiklung ohne Gasbildung, so ist zu er¬ 
warten, dass dieser Stamm in der Löfflerlösung I eine Fällung mit 
klarer Schicht darüber, in Barsiekow I Rötung und Gerinnung, in 
Oldekop Rötung ohne Reduktion bervorrufen wird. Ein Stamme der 
im Traubenzuckergärröhrchen Säure und Gas bildet, wird in Löffler I 
schaumige Gerinnung, in Oldekop Reduktion und Zerreissung des 
Agar bewirken. Nur auf wenige Nährböden lässt sich kein Rück J 
Schluss aus dem Wachstum in Lackmustraubenzuckerbouillon ziehen. 
Zu diesen gehören: Lackmusmolke, Kartoffel, ferner Milch soweit 
nichtsäuernde Labfermentbildner in Frage kommen. Die anderen 
Nährböden der Kolireihe dagegen kann man für gewöhnlich ent¬ 
behren. 

Die Ersparnis an Zeit, Material und auch an Raum im Brut¬ 
schrank, welche diese Vereinfachung mit sich bringt, ermöglicht 
andererseits noch mehr Zuckerarten heranzuziehen. Ich ging bald 
nach Einführung der Traubenzuckerlackmusgärröhrchen dazu über, 
fragliche Typhus- und Paratyphusstämme auch auf Marniit-, Maltose- 
und Sacchaioselackimisbouillon zu ver,impfen, Typhus und Para¬ 
typhus säuern, wie bereits bekannt, Mannit und Maltose (Paratyphus 
unter Gasbildung) und lassen Saccharose unverändert. Die Her¬ 
stellung dieser Zuckerpro-ben erfolgt analog der der Traubenzucker¬ 
röhrchen, jedoch mit 2 Proz. Zuckerzusatz. Gärröhrchen sind ent¬ 
behrlich. Längeres Kochen* ist auch hier zu vermeiden, zumal bei 
Saccharose mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Traubenzucker¬ 
abspaltung bei schwachsaurer Reaktion. 

Das typische Verhalten der verschiedenen Stämme in Trauben¬ 
zuckerlackmusgärröhrchen ermöglicht es, diesen Nährboden an Stelle 
der orientierenden Agglutination zu verwenden. Die Unter suebungs- 
anträge sind ja häufig sehr unscharf abgefasst und beantragen ge¬ 
wöhnlich Untersuchung auf Typhus, Paratyphus und Ruhr. Es ist 
kaum möglich, w'enn mir vereinzelte und kleine verdächtige Kolonien 
vorhanden sind, diese orientierend mit den Sera für Typhus, beide 
Paratyphen und alle Ruhrstämme zu agglutinieren. Impft man sie 
dagegen in Traubenzuckerlackmusgärröhrchen, so ergeben sich fol¬ 
gende diagnostische Möglichkeiten: 


Makroskopisch: 

Mikroskopisch: 

Vorläufige Diagnose: 

la Rötung ohne Oas 

Ib „ „ „ 

1c Röt ohne Oas oft flockige 
Trübung und Redaktion 
lla Rötung mit Oas 

Hb „ „ „ 

III Reaktion unverändert 
IVa Blaufärbung, Häutchen 
IVb schwache Blaufärbung, 
später Häutchen. 

Bewegliche Stäbchen 
Unbewegliche Stäbchen 

Streptokokken 
Bewegliche Stäbchen 
Unbewegliche Stäbchen 
Stäbchen oder Kokken 
Stark bewegliche Stäbchen 
Grosse Stäbchen, später 
Sporen 

Typhus 

Oruppe der Rühren 

Oruppe des Paratyphus, Koli 
Fragl. Stämme, Koli, Parakoli 
Kein pathogener Keim 
Alkallgenes 
Heubazilien. 


Der Gang der Untersuchung ist dann- folgender: Von zahlreichen 
verdächtigen Kolonien- eines Stuhles werden Traubenzuckerlackmus- 


*) Ueber die R ose n t h a 1 sehe Modifikation des Oldekop- 
schen Nährbodens vergl. Hyg. Rundschau 1906 S. 1061. 

Nr. 33 . 

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gärröhrchen geimpft. Die Röhrchen werden mit dem Namen des 
Stuhles und ausserdem mit laufenden Nummern signiert. Die Ab¬ 
impfung geschieht, falls der Abstand der Kolonien es nur irgend ge¬ 
stattet, mit der 1 mg-Oese. Man nimmt möglichst viel Impfmaterial 
und verreibt es an der Glaswand, von wo es dann mit der Bouillon 
abgeschwemmt wird. Die Koloniemnassc, die noch in der Oese 
haftet, wird zum Impfstrich auf eine Drigalskiplaue benützt. Zu 
diesem Zwecke w'ird eine Drigalskiplatte in acht Felder geteilt und 
die Nummer dos Röhrchens mit der infizierten Oese auf die Agar¬ 
fläche eines Feldes geschrieben. Auf einem Feld haben zahlreiche 
Nummern Platz. Der Patientenname kommt auf die Glasseite des 
Feldes. Diejenigen Nummern, welche nach Bebrütung auf Drigalski 
rot erscheinen., haben für gew öhnlich kein Interesse (II a und b Koli) 
und die zugehörigen Gärröhrchen werden ausgeschieden. Ist der 
Impfstrich blau, so w'ird die Traubenzuckerkultur zunächst makro¬ 
skopisch besichtigt. Die Gruppen III und IV werden hiebei für ge¬ 
wöhnlich ebenfalls ausgeschieden. Was übrig bleibt, wird im hängen¬ 
den Tropfen untersucht. Hier erfolgt die Trennung von Typhus und 
Ruhr, sowie von Paratyphus und Stämme II b. 

Die Gefahr, dass die Impfstriche auf der Platte ineinanderlaufen, 
ist nicht gross, wenn man trockene Platten verwendet. Eher ist zu 
befürchten, dass ein Proteus über die ganze Platte hinwegwuelrjrt. 
In diesem Fall muss man von den Traubenzuckerröhrchen aus neue 
Impfstriche anlegen. Es empfiehlt sich immerhin, für die Impfstriche 
Petri- und nicht Drigalskischalen zu verwenden, da auf ersteren 
weniger Stämme in Gefahr kommen. 

Die Beweglichkeitspriifimg darf nicht zu spät vorgenomnien 
werden, da ein stärkerer Säuregehalt die Eigenbewegung zum Er¬ 
lahmen bringt. Wenn- die Traubenzuckerkultur vormittags zwischen 
8 und 10 Uhr mit einer reichlichen Menge Impfmaterial angelegt wor- 
den ist, so ist nachmittags von 4 Uhr an die Kultur für die mikro¬ 
skopische Prüfung bereits genügend entwickelt, und die Eigen- 
bew egung infolge des geringen Alters meist sehrAleutlich. Desgleichen 
zeigt sich bereits die beginnende Säure-, oder Säure- und Gasbildung. 
Auch die Impfstriche sind zumeist hinreichend bewachsen, so dass 
die milchzuckersäuernden Arten ausgeschieden werden können. Häu¬ 
fig ist es bereits möglich, mit dem Impfstrich eine orientierende Agglu¬ 
tination auf dem Objektträger anzustellen. Auf diese Weise ist man 
nicht selten in der Lage, schon 24 oder 36 Stunden nach der Stuhl¬ 
einsendung eine Vermutungsdiagnose abzugeben, welche sich schon 
auf morphologisches, serologisches und kulturelles Verhalten gründet, 
und welche sich nach meinen bisherigen Erfahrungen weiterhin fast 
ausnahmslos bestätigt. 

Indessen ist zu beachten, dass der Zeitpunkt der deutlichen Gas¬ 
bildung bei den Gruppen der Paratyphen und der unbeweglichen 
Paratyphen von Stamm zu Stamm verschieden ist. Die beginnende 
Gasbildung kann häufig durch Eintauchen der heissen Oese in die 
Zuckerbouillon ausgelöst werden. Die Erschütterung bewirkt dann 
eine reichliche Entwicklung von- kleinblasigem Schaum. 

Diejenigen Stämme, welche von Interesse sind, werden dann 
weiter verimpft. Zuerst w'ird ein Impfstrich mit der 1-mg-Oese aus 
der Zuckerbouillon auf Drigalskiagar angelegt. Dann wird je eine 
Oese in Milchzucker-, Mannit-, Maltose- und Saccharoselackmusbouil¬ 
lon geimpft, schliesslich ein Schrägagarröhrchen- zur Agglutination bis 
zu Titergrenze. Das Milchzuckergärröhrchen ist nur dann erforder¬ 
lich, w'enn man die Gasbildung im Milchzucker prüfen will. Die 
Säurebildung allein kann auch auf der Drigalskiplatte konstatiert 
werden. 

Die Verwendung der Mannit-Maltose- und Saccharoseröhrcheu 
gewährt häufig interessante Aufschlüsse. So ist ja z. B. der Wert 
■der Agglutination für die Paratyphen fraglich geworden. In der Tat 
findet man häufig Stämme, welche sich in der ganzen Kolireihe durch¬ 
aus als Paratyphen erweisen und doch nicht agglutinieren. Nun zeigt 
sich nicht selten, dass ein solcher Stamm Saccharose säuert, oder 
Mannit oder Maltose nicht säuert und sich dadurch von den eigent¬ 
lichen Paratyphen auch kulturell unterscheidet. Agglutinierende Para¬ 
typhen säuern ausnahmslos Mannit und Maltose und lassen Saccha¬ 
rose unverändert. Vereinzelt kommen Stämme zur Beobachtung, die 
bei gleichem kulturellen Verhalten nicht agglutinieren. Stämme von 
abweichendem kulturellen Verhalten agglutinieren niemals. Die 
Mannit-Maltose-Saccharoseröhrchen erscheinen demnach als gutes 
Hilfsmittel zur engeren Begrenzung der schweragglutinablen Para¬ 
typhen. Denn Stämme, die nicht agglutinieren. und auch in der 
Zuckervergärung abw'eichen, sind wohl nicht als echte Paratyphen 
anzusprechen. Ausserdem ist es erwünscht, die Abgabe des nega¬ 
tiven Befundes ausser auf das negative Merkmal der fehlenden* Agglu¬ 
tination auch auf das positive der abweichenden Vergärung stützen 
zu können. 

Ob diese Stämme nicht ebenso gut pathogen und epidemiologisch 
wichtig sein können, soll hier nicht erörtert werden. Das gleiche 
gilt von den „unbeweglichen Paratyphen“. Man findet solche in 
diarrhoischen Stühlen so häufig, dass man sich des Gedankens einer 
ätiologischen Bedeutung kaum erwehren kann. Die nähere Identi¬ 
fizierung mit Mannit-Maltose-Saccharoseröhrchen zeigt grosse Ver¬ 
schiedenheiten. Es kommen hier alle Permutationen vor und man 
könnte hier noch mehr Gruppen bilden, als bei den Rühren. Der 
Vorteil der Traubenzuckergärröhrchenmethode gegenüber der orien¬ 
tierenden Agglutination beruht auf der wesentlich grösseren Sicher¬ 
heit, Eindeutigkeit und dem geringeren Zeitaufwand. Es ist zu be¬ 
tonen, dass man zweckmässig zahlreiche verdächtige Kolonien ab- 

4 

Original fm-rri 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 33. 


908 


impft. Nicht selten findet man z. B. neben zahlreichen „unbeweg¬ 
lichen Paratyphen“ vereinzelt echte bewegliche, oder neben para- 
typhaisähnlichen, die in der Mannit-Maltose-Saccharosevergärung ab¬ 
weichen, vereinzelt typische Paratyphen: dies deckt sich mit der 
Beobachtung Rimpaus (M.m.W. 1917 Nr. 30), dass man in einem 
Stuhl mit schweraggfutinablen auch einzelne agglutinierende finden 
kann, oder neben vielen Alkaligenes vereinzelte Typhen, auch Kom¬ 
binationen von verschiedenen pathogenen finden sich nicht selten. So 
habe ich aus einem Stuhl einmal 7 verdächtige Stämme isoliert. Die 
weitaus überwiegende Mehrzahl war Alkaligenes, daneben vereinzelt 
Typhus, noch spärlicher Y-Ruhr, der Rest unbewegliche Paratyphen 
von jeweils verschiedenem Verhalten in Manirit, Maltose und Saccha¬ 
rose. 

Das Verfahren wurde während mehr als 2 Jahren bei einer 
Typhus-, einer Ruhrepidemie und vielen Fällen von Paratyphus an¬ 
gewendet und hat sich stets bewährt. 


Intravenöse, intramuskuläre und rektale Infusion körper¬ 
eigenen Blutes nach schweren Blutungen. 

Von Arthur Schäfer, leitender Arzt der chir. Abteilung 
des städtischen Krankenhauses Rathenow. 

Nachdem T h i e 5 (1914) und L i c h t e n s t e i n (1915) ihre durch 
Rücktransfusion körpereigenen Blutes nach schweren Blutungen er¬ 
folgreich behandelten Fälle veröffentlichten, habe ich im Jahre 1916 
(Zbl. f. Chir. 1916 Nr. 21 ) Mitteilung von einem von mir auf gleichem 
Wege erfolgreich behandelten Fall berichtet. Ich hatte das Blut aus 
der Bauchöhle einer wegen geplatzter Eileiterschwangerschaft ope¬ 
rierten Frau durch sterile Gazefilter gepresst und mittels einer mehr¬ 
mals gefüllten Rekordfepritze in die Armvene eingespritzt. Der 
günstige Erfolg und glatte Verlauf schien mir zu beweisen, dass es 
der zeitraubenden und die Sterilität des Blutes gefährdeten Defibri¬ 
nierung des Blutes nicht bedarf', und dass man auch nicht eines 
von anderer Seite empfohlenen besonderen paraffinierten Glaszylinders 
oder komplizierter Apparate bedarf, die im Falle plötzlichen Bedarfes 

— und darum wird es sich ja bei der Rüekt r ansfusion immer handeln 

— nicht gebrauchsfähig zu sein pflegen oder nicht schnell genug her¬ 
gerichtet werden können. 

Seitdem ist eine Reihe von Veröffentlichungen über Verwertung 
körpereigenen. Blutes erschienen, lieber den Wert der Auto¬ 
infusion (nicht Trans fusion), womit man die Verwertung 
körpereigenen Blutes im Gegensatz zur Transfusion von Blut eines 
fremden Spenders wohl am besten bezeichnet, sind sich bisher alle 
Autoren einig. Der Streit wogt aber noch hin und her über die 
Frage: Soll und darf man defibriniertes oder nichtdefibriniertes Blut 
nehmen? lind welche Technik der Autoinfusion ist die brauchbarste? 

Erst eine grössere Anzahl von gesammelten Erfahrungen wird 
eine klare Antwort auf diese Fragen ermöglichen. Auf Grund der 
bisher veröffentlichten etwa 12—15 Autoinfusionen lasst sich ein 
abschliessendes Urteil keinesfalls schon fällen. 

Ohne deshalb auf eine kritische Würdigung der bisherigen prak¬ 
tischen Versuche und theoretischen Erörterungen hier jetzt einzu¬ 
gehen, teile ich in Kürze drei weitere Fälle von Verwertung körper¬ 
eigenen Blutes nach schwerer Blutung mit, die mir deshalb be¬ 
merkenswert erscheinen, weil ich drei verschiedene Wege der hv- 
fusion wählte, die alle drei von vorzüglichem Erfolge waren bzw. 
mir zu sein scheinen. 

1 . Intra v e 11 ö s e Autoinfusi 0 n. 

Frau Sch., 28 Jahre. Geplatzte Eileiterschwangerschaft 3. Monat. 
Desolater Zustand, fast pulslos, fliegende Atmung. Operation wie 
üblich. Das grösstenteils flüssige Blut wird aus der Bauchhöhle in 
einer sterilen Schale aufgefangen. Mangels eines sterilen Schöpf¬ 
instrumentes ging das meiste Blut verloren. Die autgefangene Menge 
wurde durch eine mehrfache Lage steriler Gazic gefiltert. Weil es sehr 
stark durch diesen Prozess abgckiihlt war, verdünnte ich etwa 
600 ccm Blut mit der gleichen Menge warmer Kochsalzlösung und 
infundierte dieses Gemisch in die Vena mediana des Armes durch 
eine feine Kanüle, die etwaige grössere Gerinnsel gar nicht durch¬ 
gelassen hätte. Der Erfolg war geradezu verblüffend. Puls und 
Atmung wurden in kürzester Zeit erheblich besser. Es trat kein 
Hämoglobin im Harn auf. Die-Kranke verliess nach 12 Tagen das 
Krankenhaus. Ich hatte durchaus den Eindruck, dass die Kranke ohne 
diese Autoinfusion verloren gewesen wäre. 

. Es erhebt sich natürlich die Frage, ob dieses Blut etwa durch die 
Gazefilterung defibriniert wurde oder ob es seine Gerinnbarkeit ver¬ 
loren hatte (vgl. Henschen: Bruns Beitr. z. klin. Chir. 104). Bei 
nächster sich bietender Gelegenheit werde ich das gazefiltrierte 
Bauchhöhlenblut daraufhin prüfen. 

2. Intramuskuläre Autoinfusion. 

Frau H., 38 Jahre. Geplatzte Eileiterschwangerschaft 3. Monat. 
Eingeliefert in desolatem Zustand, Puls kaum fühlbar, Atmung 
fliegend. Operation wie üblich. Aus der Bauchhöhle wurde reichlich 
ein Liter Blut in einer sterilen Schale aufgefangen, die grössere Menge 
ging auch hier mangels eines sterilen Aufschöpfinstrumentes verloren. 
Das aufgefangene Blut wurde durch sterile Gazefilter gefiltert. Da 
es inzwischen stark abgekühlt war. verdünnte ich etwa 600 ccm 

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Blut mit ebensoviel warmer Kochsalzlösung und versuchte diese 
Mischung intravenös zu infundieren. Durch ein unglückliches Ver¬ 
sehen war keine Nadel zur intravenösen Infusion zur Hand. Der 
Versuch, eine gewöhnliche Injektionsnadel mit dem Schlauch des 
Infusionsapparates zu verbinden, misslang, weil der miserable Kriegs- 
gummi sich um die leider alle viel dünneren Ansatzstücke der Ka¬ 
nülen nicht dicht knüpfen liess. Der Versuch, die vorhandene schade 
Kanüle für die subkutane Infusion zur -iatraviyjösen Infusion zu be¬ 
nutzen, misslang sowohl an beiden Venae medianae, wie an einer 
Vena saphena, weil diese Venen infolge des riesengrossen Blutver¬ 
lustes derartig kollabiert waren, dass sich die allerdings etwas reich¬ 
lich dicke Nadel nicht einführen liess. 

Ich sah mich deshalb gezwungen, das Blut-Kochsalz-Gemisch 
intramuskulär zu infundieren. Und auch hier war der Erfolg ein aus¬ 
gezeichneter. Der Puls und das Aussehen besserten sich sehr schnell, 
die Atmung wurde freier. Die Kranke verliess nach 12 Tagen geheilt 
das Krankenhaus. Die Blutdruckmessungen ergaben nach Riva- 
R o c c i: 22. III. ante Operationen!. 9 Uhr abends 65 mm 


22 . III. post operationem. 12 Uhr abends 72 „ 

22. III. post infusionem 85 ,. 

23. III. 7 Uhr vormittags 98 .. 

23. III. 8 Uhr abends 108 „ 

24.111. 11 Uhr vormittags 102 ,. 

25.111. 11 Uhr vormittags 105 „ 

26. III. 11 Uhr vormitttgs 110 „ 


Der Blutdruck hielt sich auf dieser Höhe bis zum Entlassungs¬ 
tage. Es trat kein Hämoglobin im Harn auf. Kein Fieber oder son¬ 
stige unangenehme Nebenerscheinungen. In diesem Falle wurden 
also etwa 600 ccm Blut vermischt mit 600 ccm Kochsalzlösung sub¬ 
kutan infundiert. Nach reichlich einer halben Stunde w r ar, soweit 
sich das durch Betasten feststellen lässt, das ganze infundierte Ma¬ 
terial völlig resorbiert. Keinerlei Erscheinungen eines Hämatoms. 
Ich glaube nicht, dass eine Infusion mit reiner Kochsalzlösung das 
gleich gute Resultat bei der fast völlig entbluteten Kranken gehabt 
hätte. Ich glaube vielmehr, dass in diesem Falle -eine reine Koch- 
salziniusion eine gefährliche Verdünnung des noch vorhandenen spär¬ 
lichen Blutes zur Folge gehabt hätte, vor der K ü 11 n e r eindringlich 
warnt. Auch wäre bei einfacher Kochsalzinfusion der Blutdruck 
nach Ausscheiden dieser Flüssigkeit sehr schnell wieder gesunken. 
Er blieb aber nicht nur konstant, sondern hob sich dauernd und mit 
ungewöhnlicher Schnelligkeit. 

Wir haben an meiner Abteilung neuerdings Versuche gemacht, 
bei blutigen aseptischen Operationen das durch Tupfer aufgefangene 
Blut den Operierten wieder einzuspritzen. Wir sind dabei so vor¬ 
gegangen, dass wir die blutigen Tupfer in eine sterile Schale mit 
Ringer scher Lösung warfen, die dann entstandene stark mit Blut 
durchsetzte R i n g e r sehe Flüssigkeit den Operierten subkutan in¬ 
jizierten. Die diesbezüglichen Versuche sind noch nicht abgeschlossen. 
Schädliche Nebenwirkungen haben sich bisher nicht gezeigt. Sollten 
unsere Versuche die Sterilität der so gewonnenen Blut-Ringer-Lösung 
ergeben, würde ich nicht zögern, diese Flüssigkeit nach stark 
blutenden Eingriffen intravenös zu injizieren. Die Versuche von 
Wed er hake. Huber. Voit u. a. haben ja erwiesen, dass die 
Injektion auch kleinerer Blutmengen die Blutbildung Anämischer und 
Ausgebluteter ausserordentlich günstig beeinflusst. 

Und das Blut fremder Spender ist. wenn es auch wohl fast immer 
erhältlich ist, nur nach voraufgegangener Prüfung auf Agglutination 
zu benutzen, zu der im Augenblick der gefahrdrohenden Blutung keine 
Zeit ist! 

3. Rektale A u t 0 i n f u s i 0 n. 

Im Juni vorigen Jahres wurde ich von einem als sehr tüchtigen 
Geburtshelfer bekannten Arzt eiligst zu einer Frau B. zugezogen, 
die nach Extraktion des Kindes -durch hohe Zange einen Riss des 
Uterus bis weit in den Fundus uteri erlitten hatte. Die Blutung war 
eine ganz aussergewöhnlich schwere. Ich machte bei der fast völlig 
pulslosen, bewusstlosen Frau die Naht des Gebärmutterrisses ohne 
Narkose. Da ich nichts zui Kochsalzinfusion zur Hand hatte, nahm 
ich das in einer vor dem Bett stehenden Wanne aufgefangene Blut, 
das zum Teil der Plazenta, .zuin grössten Teil aber der stark bluten¬ 
den Uteruswunde entstammte, das auch etwas Fruchtwasser enthielt, 
filtrierte es durch ein paar Gazekompressen und infundierte von der 
so gewonnenen etwa 1 %—2 Liter betragenden Flüssigkeit reichlich 
1 Liter in das Rektum. Dieser Einlauf wurde von der Kranken, die 
gar nicht mehr pressen konnte, anstandslos behalten. Der Erfolg 
war ein überraschend guter. Die Wöchnerin erholte sich relativ sehr 
schnell. Der Uterus kontrahierte sich gut. Der Verlauf war ein 
fieberfreier. Sowohl der, wie schon gesagt, in Geburtshilfe ganz 
besonders erfahrene erstbehandelnde Arzt, wie ich, hatten durchaus 
den Eindruck, dass dieser Blut-Serum-Einlauf geradezu lebensrettend 
gewirkt hat. Ich veröffentliche diese Erfahrung erst jetzt, weil eine 
einzige Erfahrung natürlich nicht zu weittragenden Schlüssen be¬ 
rechtigt. Weitere Erfahrungen mit dieser Methode zu sammeln, bot 
sich mir aber noch nicht wieder Gelegenheit. 

Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die rektale In¬ 
fusion körpereigenen Blutes wahrscheinlich nur den Wert eines 
Nährklysmas hat, aber eines Nährklysmas von denkbar 
günstigsten Resorptionsbedingungen: Isotonische 
Flüssigkeit, arteigenes Eiweiss, arteigenes Serum, starker Hämo- 
globingehalt. Es wäre durch Experimente festzustellen, wie weit die 
Resorption dieser isotonischen Eiweissflüssigkeit erfolgt. Wenn Voit 

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13. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


9« »9 


*md Bauer (Zschr. f. Biol. 5.) ieststellen, dass 25 Proz. gewöhn¬ 
lichen, also artfremden Eiweisses vom Rektum resorbiert werden, 
wenn Bial (Arch. f. Verdauungskrkh.) für seine Peptonklysmata 
eine Resorption von 50,5 Proz., für Pepton-Alkohol-Klysmata eine 
solche von 60 Proz. feststellt, so ist anzunehmen, dass bei der rektalen 
Infusion von körpereigenem Eiweiss eine noch weit höhere Resorption 
stattfindet. 

Nach den Parabioseversuchen von Sauerbruch und H e y d e 
<M.m.W. 1911> ist anzunehmen, dass am Ende der Schwangerschaft 
sich in der Mutter Stoffe von besonderer Art und Menge bilden, 
die wehenerregende Wirksamkeit besitzen. Ob bei rektaler Ein¬ 
verleibung des bei der Geburt verloren gegangenen Blutes diese 
Stoffe vom Rektum resorbiert werden und in Tätigkeit treten, müsste 
erst durch eine grosse Reihe von Versuchen festgestellt werden, 
ln meinem oben beschriebenen Fall schien es mir der Fall zu sein. 

Da gerade bei stark ausgebluteten Wöchnerinnen die gefährliche 
Atonia uteri besonders leicht eintritt, eröffnet sich durch die rektale 
Einverleibung des bei schweren blutigen Entbindungen verloren ge¬ 
gangenen Blutes vielleicht ein wirksames ‘Mittel zur Bekämp¬ 
fung dieser so sehr gefährlichen Komplikation. 

Nach Tuff i er besteht dter Nutzen der Blutinfusion ja nicht 
*iur in der Zuführung der roten und weissen Blutkörperchen, sondern 
in der Zuführung lebenden Serums, das eine grosse Zahl von orga¬ 
nischen Stoffen und Sekreten verschiedener Drüsen mit innerer Se¬ 
kretion enthält. Diese Stoffe und Sekrete werden wohl vom Rektum 
kaum in wirksamer Weise in den Kreislauf aufgenoirrmen, mit Sicher¬ 
heit aber bei intravenöser und intramuskulärer Infusion. 

Diesbezügliche eingehende Versuche werden an meiner Abteilung 
zurzeit angestellt und anderen Ortes von meinem Assistenten ver¬ 
öffentlicht werden. 

Vorliegende Arbeit soll und kann nur den Charakter einer vor¬ 
läufigen Mitteilung haben, die zu ähnlichen Versuchen anregen soll. 


Ein einfaches Radiumadaptometer zur Untersuchung 
auf Hemeralopie. 

Von Prof K. Stargardt, Bonn, zurzeit im Felde. 

Für die Untersuchung der Dunkeladaptation des Auges stehen 
zurzeit eine ganz.* Reihe von Apparaten zur Verfügung. Am voll¬ 
kommensten sind die Adaptometer von Nagel und von Piper, 
da sie eine ganz allmähliche, genau messbare und in weitesten 
Grenzen sich bewegende Abstufung der Helligkeit des Beobachtungs¬ 
objektes ermöglichen. Einer allgemeinen Verbreitung und An¬ 
wendung dieser Apparate steht der hohe Preis (Nagels Adapto¬ 
meter 864 M., Pipers Apparat 568 M.) und zurzeit auch die 
Schwierigkeit ihrer Beschaffung im Wege. 

Als Ersatz habe ich ein „vereinfachtes Adaptometer“ angegeben 
{Zschr. f. Augenhlk. 1918), das in seinem Bau dem Nagel sehen 
und Piper sehen sehr ähnlich, aber so weit vereinfacht ist. dass 
es behelfsmässig hergestellt werden kann. 

Für gewisse Zwecke, z. B. vielfach im Felde, sind die erwähnten 
Adaptometer weniger brauchbar. Sie sind zu gross und zu schwer 
transportabel und sie sind auch nicht überall anwendbar, da sie elek¬ 
trischen Strom erfordern und zwar einen Strom, dessen Stärke 
einigermassen konstant sein muss. 

Für diese besonderen Zwecke. vor allem auch für die Unter¬ 
suchungen im Felde, sind in den letzten Jahren mehrere neue Ap¬ 
parate angegeben worden. Ich erinnere da nur an den Apparat von 
Wessely, die „Leuchtpunkte zur Lichtsinnprüfung“ von Braun¬ 
schweig. das 5-Punkt-Adaptometer von Birc b- Hirsch teld 
und die Apparate von Wiedersheim und Best. 

Es ist ohne weiteres zuzugeben, dass diese Apparate im Felde 
gute Dienste geleistet haben, aber sie sind auch nicht frei von ge¬ 
wissen Mängeln. So hat die B r a u n sch w e i g sehe Probe den 
Nachteil, dass bei ihr Leuchtpunkte benutzt werden, die in ihrer 
Helligkeit unveränderlich sind und deswegen aus verschiedener Ent¬ 
fernung beobachtet werden müssen. Es wird dadurch, worauf schon 
Best hingewiesen hat, gegen einen Grundsatz verstossen, der für 
alle Prüfungsmethoden auf Dunkeladaption gefordert werden muss, 
dass nämlich immer gleich grosse Netzhautteile mit abstufbarer Be¬ 
leuchtung untersucht werden. 

Bei anderen Apparaten, nämlich denen von Birch-Hirsch- 
feld und Wiedersheim. werden Lichtquellen benützt, die sehr 
veränderlich sind, nämlich die kleinen Birnen von Taschenbatterien. 

Der dadurch bedingte Fehler lässt sich nur ausgleichen, indem 
bei jeder Prüfung der Arzt oder eine andere normale Kontrollperson 
gleichzeitg mit beobachtet. Da die Adaption sich bis zu 30 und selbst 
45 Minuten noch wesentlich ändert, so muss der Arzt oder die Kon¬ 
trollperson diese ganze Zeit mit im Dunkelzimmer zubringen. 

Zweckmässiger als die veränderlichen Lichtquellen sind Radium¬ 
leuchtproben, vorausgesetzt, dass man Leuchtfarben wählt, die ihre 
Helligkeit, wenigstens bei Einhaltung gewisser Vorsichtsmassregeln, 
nicht ändern. 

Ich habe eine ganze Reihe von Leuchtfarben versucht und 
mehrere Monate lang mit dem Nagel sehen Adaptometer ver¬ 
glichen. Ich habe schliesslich als durchaus brauchbar die radio¬ 
aktiven Leuchtfarben der Gesellschaft für Verwertung radioaktiver 

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Produkte, Berlin O. 17, Ehrenbergstr. 11—14, gefunden, die auch 
schon Best (vgl. d. Wschr. 1917 Nr. 14 S. 475) empfohlen hat. 

Best hat einen Apparat angegeben, dessen Lichtquelle aus 
einem Leuchtschirm aus der erwähnten radioaktiven Leuchtfarbe 
besteht. Der Leuchtschirm hat eine Grösse von 5 X 8 cm und be¬ 
leuchtet von hinten eine Mattscheibe von 30 Proz. Absorption und 

5 X 8 cm Grösse. Diese Mattscheibe dient als Beobachtungsobjekt. 
Der Leuchtschirm ist hinter ihr beweglich angebracht und zwar auf 
einer Laufschiene von 1 m Länge. Er kann der Mattscheibe bis auf 
2 cm genähert werden. Ausserdem kann die Leuchtfläche des 
Leuchtschirmes durch Blenden verkleinert werden. Auf diese Weise 
lässt sich die Helligkeit der beobachteten Mattscheibe in sehr weiten 
Grenzen verändern. Der Best sehe Apparat erscheint mir als durch¬ 
aus brauchbar. 

Die Herabsetzung der Helligkeit des Beobachtungsobjektes ist 
meines Erachtens aber noch einfacher durch Vorschieben verschieden 
dicker Papierlagen vor den Leuchtschirm zu erreichen. 

Nach diesem Prinzip habe ich einen kleinen handlichen Apparat 
konstruiert, der mir besonders für die Bedürfnisse im Felde geeignet 
erscheint*). 

Als Beobachtungsobjekt dient ein Leuchtschirm aus radioaktiver 
Leuchtmasse Nr. 0, Qual. I der Gesellschaft für Verwertung radio¬ 
aktiver Produkte, Berlin O 17, von viereckiger Form und 3 X 5 cm 
Grösse. Noch kleiner darf das Beobachtungsobjekt night genommen 
werden, wenn man Werte erhalten will, die mit den Werten an den 
gebräuchlichen Adaptometem übereinstimmen. 

Bei Feldgrössen unter 3 X 5 cm fand ich in vielen Fällen zwar 
dieselben Werte, wie am Adaptometer. in vielen Fällen aber auch 
Werte, die von denen am Adaptometer ab wichen und zwar zum Teil 
nicht unerheblich. 

Bei einer Feldgrösse von 3 X 5 cm dagegen ergab sich bei 
mehreren hundert vergleichenden Versuchen zwischen Radiumadapto- 
meter und dem von mir angegebenen „vereinfachten Adaptometer“ 
eine völlige Uebereinstimmung. Ich glaube daher auch, dass man 
mit dieser Feldgrösse sehr wohl auskommt und dass es nicht nötig 
ist, das Beobachtungsobjekt grösser zu nehmen, wodurch ja nur die 
Handlichkeit des ganzen Apparates beeinträchtigt werden würde. 

Das Beobachtungsobjekt ist nun hinter einem schwarzen, für 
Licht undurchlässigen Schirm, der mit 7 viereckigen Ausschnitten 
von 3 X 5 cm Grösse versehen ist, beweglich angebracht. Als licht¬ 
undurchlässiger Schirm genügt das schw ? arze, zum Einwickeln von 
Röntgenplatten gebräuchliche Papier. Von den 7 Ausschnitten sind 

6 durch verschieden dicke Lagen von weissem Schreibpapier ver¬ 
schlossen und zwar Feld II durch 1, Feld III durch 3, IV durch 5, 
V durch 6, VI durch 7 und VII durch 8 Blatt Papier. Der schwarze 
durchbrochene Schirm und die Papierblenden der Ausschnitte sind zu 
ihrem Schutze zwischen zw-ei Glasplatten eingelegt, deren Dicke so 
gewählt ist. dass sie nicht allzu leicht zerbrechlich sind. Die Glas¬ 
platten werden durch einen schmalen Rahmen zusammengehalten. 

Unmittelbar hinter der hinteren Glasplatte gleitet der Leucht¬ 
schirm. Dieser Leuchtschirm muss vor Tageslicht geschützt werden, 
üa durch Belichtung seine Helligkeit verändert wird. Das Radium¬ 
adaptometer 'ist deswegen möglichst nur im Dunkelzimmer aus 
seinem Behälter zu nehmen. Wird es bei Tageslicht herausgenommen, 
so ist der Leuchtschirm hinter die dichteste Papierblende, also hinter 
Feld VII zu schieben. 

Durch die Papierblenden wird eine weitgehende Abstufung der 
Helligkeit des Beobachtungsobjektes erzielt. An dem Apparat sind 
die Helligkeiten in Meterkerzen angegeben. Das Beobachtungsobjekt 
selbst, also der Leuchtschirm ohne Abblendung, 'hat eine Helligkeit 
von V120 MK. Die Helligkeit der anderen Felder beträgt Feld II Hasa, 

III * / 860 , IV * 73200 , V * / ( 1200 , VI */ 12000 , V II */ 23000 . 

Die Helligkeiten der einzelnen Felder habe ich zusammen mit 
Herrn cand. rer. nat. P. Metz n e r bestimmt. 

Die Helligkeit der ersten Felder, also des Leuchtschirmes selbst, 
ist photometrisch mit Hilfe einer Normalkerze direkt bestimmt. 

Die Helligkeiten der anderen 6 Felder sind durch Vergleich mit 
gleichgrosscn Feldern am vereinfachten Adaptometer bestimmt 
worden. 

Das Beobachtungsobjekt soll sich stets in derselben Entfernung 
von dem untersuchten Auge befinden. Eine Entfernung von 50 cm 
scheint mir durchaus geeignet. 

Die Untersuchung muss im total verdunkelten Zimmer vor¬ 
genommen werden. Das Zimmer muss allen Anforderungen einer 
photographischen Dunkelkammer entsprechen. Zum Ablesen der ge¬ 
fundenen Werte und zum Notieren der Befunde benutzt man zweck¬ 
mässig eine gewöhnliche photographische Dunkelkammerlampe oder 
eine Taschenlampe mit einem eingelegten Rubinglasc. Das rote 
Licht dieser Lampen stört den Vorgang der Dunkeladaption nidht. 

Um nicht immer erst mit der Dunkelkammerlampe die Stellung 
des Schiebers ablesen zu müssen, ist an dem Schieber, der das Be¬ 
obachtungsobjekt trägt, eine kleine Feder angebracht, die jedesmal 
einschnappt, wenn das Beobachtungsobjekt sich genau hinter einem 
der 7 Beobachtungsfenster befindet. Ausserdem findet sich an dem 
Schieber eine Einkerbung, die deutlich fühlbar ist und einer eben¬ 
falls leicht fühlbaren Einkerbung hinter jedem Fenster entspricht. 


*) Der Apparat wird von der Firma Max Marx & Berndt. Fabrik 
für wissenschaftliche Instrumente. Berlin NW 5, Stephanstr. 60 her¬ 
gestellt. 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 33- 


Durch diese zwei Vorrichtungen ist es ermöglicht, dass man sich ! 
auch im Dunkeln schnell über die Stellung der Leuchtfläche und 
damit über die eingestellte Helligkeit Rechenschaft geben kann. 

Das normale Äuge erkennt nach vorausgegangener starker Hell- j 
adaption, also z. B nach längerer Belichtung im Freien an einem i 
sonnigen Tage, sofort nach Betreten des Dunkelzimmers gerade noch ; 
ein Objekt, das eine Helligkeit von etwa 1 MK. hat. Da die grösste j 
Helligkeit des Radiumadaptometers nur \/i*o MK. beträgt, so ist der j 
Anfang der Ädaptationskurve mit dem Radiumadaptometer nicht zu \ 
bestimmen. 

Der höchste Wert des Radiumadaptometers von '/120 MK. wird 
vom normalen Auge nach 2 —3 minutenlangem Dunkelaufenthalt er¬ 
kannt; die anderen Werte entsprechend später, und zwar Feld II 
( 1 /230 MK.) nach 4 Minuten, III (bW 1 MK.) nach 6 , IV (‘ . 12 «« MK.) nach N, 

V (*/«00 MK.) nach 11 , VI (V, c «oo MK.) nach 15. VII (*/«.,«>„ MK.) nach ! 
20 -mimitenlangem Dunkelaufenthalt. 

Der weitere Anstieg der Adaptationskurve, der ja normalerweise 
bis zur 30. und selbst 45. Minute erfolgt, ist nicht mehr messbar. Noch 
lichtschwächere Felder als Vssoo« MK. zu schaffen, haben ich nicht 
für erforderlich gehalten, denn der Wert von V«<«>« MK. muss, auch 
wenn er erst nach 30 bzw. 45 Minuten' erreicht wird, als durchaus 
normal angesehen werden. 

Im allgemeinen genügt es. nach 30, bzw. an sehr hellen Tagen 
nach 45-minutenlangem Dunkelaufenthalt den Endwert zu bestimmen. . 

Wird nach dieser Zeit Feld VII ('humo MK.) erkannt, so ist die 
Adaptation normal; wird nur Feld VI (Visono MK.) erkannt, so ist sie , 
leicht herabgesetzt, wenn nur Feld V (‘/«am» MK.) oder IV ('/;»•«00 MK.) 
erkannt wird, stark herabgesetzt, und wenn nur Feld III oder noch 
weniger erkannt wird, muss man schon von Nachtblindheit sprechen. 

Was die Verwendungsfähigkeit im Heeresdienste betrifft, so sind , 
nur diejenigen, die normale Adaptation haben, unbedingt k. v. Bei 
leichter Herabsetzung der Dunkeladaptation besteht auch noch Kriegs¬ 
verwendungsfähigkeit, doch scheint es mir ratsam, solche Leute nicht , 
mit schwierigeren Aufgaben bei stark herabgesetzter Beleuchtung zu | 
betrauen und die Vorgesetzten auf die Herabsetzung der Dunkel¬ 
adaptation aufmerksam zu machen. Bei starker Herabsetzung der I 
Dunkeladaptation und bei Nachtblindheit besteht höchstens noch j 
(iarnisondienstfähigkeit unter der Bedingung, dass die Betreffenden I 
vom Dienst bei stark herabgesetzter Beleuchtung befreit werden. I 

Da die Dunkeladaptation an verschiedenen Stellen der Gesichts- j 
felder eine verschiedene sein kann, ist es ratsam, mehrere Teile des 1 
Gesichtsfeldes zu prüfen. Gerade dafür ist das Radiumadaptometer 
sehr geeignet wegen seiner Kleinheit und seines geringen Gewichtes. 
Bei der Prüfung peripherer Gesichtsfeldteile kann man den vorge¬ 
haltenen Zeigefinger des zu Untersuchenden fixieren lassen oder eine , 
bis auf ein kleines Loch abgeblendete Lampe. j 


Beitrag zur Operation des Mastdarmvorfalles. 

Von Sanitätsrat Dr. Ernst Win ekler, Oberarzt an der 
Anstalt Bethel bei Bielefeld. 

In der Münch, med. Wochenschr. 1917 Nr. 45 hat Dr. Albert 
E. Stein- Wiesbaden zwei Fälle von Heilung des Mastdarm¬ 
vorfalles durch Faszientransplantation mitgeteilt. Durch drei kleine ! 
Hautschnitte, einen in der vorderen, zwei zu Seiten der hinteren 
Kommissur, führt er einen Streifen Oberschenkelfaszie subkutan um 
den After herum und schnürt mit diesem den After bis zu genügender 
Enge zu. Die gekreuzten Enden des Streifens werden vernäht und 
versenkt. 

Seit Jahren bediene ich mich eines ähnlichen Verfahrens, nur 
dass ich statt des Faszienstreifens dicksten Jodkatgut und in den 
letzten sieben Fällen dickste Drehseide verwendete. Ich verfahre 
tolgendermassen: In Steinschnittlage ein 1 cm langer Schnitt durch 
die Haut der vorderen und hinteren Kommissur unter Aufhebung einer 
quergestellten Hautfalte, einige Millimeter entfernt vom Uebergang 
der Schleimhaut in die Körperhaut. Eine mit dickster Drehseide 


entleerung gesorgt. In einigen Fällen traten bei den ersten Stuhl¬ 
entleerungen heftige Schmerzen auf und tut man gut, zuvor hierauf 

aufmerksam zu machen, ln den meisten Fällen treten überhaupt 
keine Beschwerden ein, zumal wenn durch Brustpulver für w'eiche 
Stühle gesorgt war. Die letzten sechs Fälle habe ich nach der 
Operation und Erholung von der kurzen Narkose sofort entlassen,- 
also ambulant behandelt. Alle Fälle, etwa zwölf, sind dauernd 
geheilt worden, ohne dass sich der Faden wieder ausgestossen hat. 
Es handelte sich in allen Fällen um geisteskranke oder epileptische 
Dauerpfleglinge unserer Anstalten, welche nach der Operation dauernd 
in unserer Beobachtung verblieben. 

Ich hatte ausserdem Gelegenheit dasselbe Verfahren vor 
V? Jahre bei einer Dame aus B. anzuwenden, welche vor etwa 

Jahresfrist in einer Bonner und zum zweiten Male in einer Düssel¬ 

dorfer Klinik an Mastdarmvorfall operiert worden war. Es war 
anscheinend eine Resektion des Vorfalles vorgenommen worden. 
Der Vorfall war beseitigt, aber dafür eine gänzliche Incontinentia 
alvi eingetreten. Der von starrem Narbengewebe umgebene After 
klaffte weit. Ich schnürte ihn mit dickem versenkten Faden zu wie 
bei einer Prolapsoperation. Es trat eine schinerzhatte entzündliche 
Reaktion ein und nach drei Wochen ein kleiner Abszess. Bei dessen 
Eröffnung konnte ich den versenkten Faden durchschneiden und 
entfernen. Trotzdem hat sich ein genügender Schluss des Afters 
eingestellt, so dass die Dame von ihrem qualvollen Zustande, der 
sie von der Gesellschaft bis dahin fast ganz ausschloss, gänzlich 
befreit ist. 

Da ich bisher bei dem von mir benutzten einfachen Verfahren 
keinen Misserfolg gesehen habe, halte ich das kompliziertere Vor¬ 
gehen Steins für entbehrlich. 

Nachtrag bei der Korrektur. Seit Niederschrift vor¬ 
stehender Zeilen im März habe ich vier weitere Fälle operiert und. 
dabei zur Schnürnaht gedoppelten Katgutfaden benützt. Auch diese 
Fälle sind bis jetzt ohne Rezidiv. 


Ein Fall von Leishmaniosis — Kala-Azar. 

Dr. M. Gioseffi-Triest. 

Anlässlich der von Kaller 1 ). M. Mayer und P. Rein¬ 
hard *) mitgeteilten Fälle von Kala-Azar (Kleinasien. Nordafrika) 
möge über einen von mir in Triest beobachteten Fall kurz berichtet, 
sein. 

2 Jahr 3 Monate altes, von gesunden, wohlhabenden Eltern stam¬ 
mendes Mädchen; 2 Monate von der Mutter gestillt, hierauf künst¬ 
lich mit Kuhmilch und Phosphatinzusatz genährt; mit einem Jahre 
breiige Suppen, Gemüse, später Eier und Fleisch. Erste Zähne mit 
7, erste Schritte mit 11 Monaten. Im ersten Lebensjahre keine Er- 
nährungs-, insbesondere keine Magendarmstörungen. Im Sommer 
1910, während des Aufenthaltes in einem Seekurorte an der nörd¬ 
lichen Adria, Strugnano in Istrien, vorübergehend flüssige Stühle. 
Im August 1911 entwickelte sich während der Sommerfrische eben- 
dortselbst beim Kinde ein mit flüchtigen Diarrhöen begleiteter fieber¬ 
hafter Zustand; es wurde immer blässer; im September fort¬ 
schreitende Verschlechterung, rapider Kräfteverfall: anfangs Oktober 
stellte Dr. R. einen Milztumor fest und dachte an Malaria. Trotz 
Chininisation Fortdauer des Fiebers. 

Meine am 25. Oktober pro consilio vorgenommene Untersuchung¬ 
ergab kurz: Stark unterernährtes Kind mit hochgradiger Blässe der 
Haut und der sichtbaren Schleimhäute, leichte rachitische Verände¬ 
rungen am Thorax, massige Mikropoliadenia colli; Tonsillen und 
weicher Gaumen leicht gerötet; leichter Bronchialkatarrh; Herz- 
beiund negativ. Der Bauch vorgetrieben; die ptotische Milz erreicht 
Nabelhöhe, misst 7 cm. in höchster Breite. Anorexie; täglich 1 bis- 
2 geformte Stühle. Im Harne keine pathologischen Bestandteile* 
Kultur steril. 

Der Fieberverlauf möge aus beigegebener Kurve ersehen 
werden.. Pirquet mit ATK und PTK negativ. 



armierte, möglichst grosse, stark gekrümmte Nadel w-ird in der Tiefe 
der Hautwunde der vorderen Kommissur eingestochen, tief im Unter¬ 
hautzellgewebe um den After herumgeführt und in der Hautwunde 
der hinteren Kommissur ausgestochen, der Faden wird soweit nach¬ 
gezogen, dass man die Nadel bequem an ihrer Ausstichstelle wieder 
einstechen und nun nach der anderen Seite hin tief um den After 
herum und zur ersten Einstichstelle mit dem Faden wieder heraus- 
mhren kann. Sodann schiebe ich den etwa kleinfingerdicken Hand¬ 
griff einer Kochersonde in den After bis über den Schliessmuskel 
hinaus vor und schnüre die zum Knoten geschürzten Fadenenden 
so weit zu, bis ich einen deutlichen Widerstand fühle und vollende , 
den Knoten. Die Fadenenden werden gekürzt und versenkt. Die j 
kleinen Hautwunden werden mit je ein bis zwei dünnen Jodkatgut- ! 
l'äden geschlossen. Vor der Operation wurde für gründliche Darm- 


Agglutination auf Typhus-, Paratyphus-B- und A-, Kolibazillen 
und Micrococcus melitensis negativ. 

Blutkultur nach Anreicherung in Galleröhre und Bouillon negativ. 

Wassermann sehe Reaktion (Ferrari) negativ. 

Blutbefund (nach Aussetzen der Chininverabreichung): im Strich- 
und Rosspräparate keine Malariaparasiten, kein Pigment; mehrere 
Mikro-, Makro- und Poikylozyten, metachromatisch geiärbte Erythro¬ 
zyten, keine Normo- oder Megaloblasten; rote Blutkörperchen 
4 000 000 . Leukozyten 2200 . 

Da Malaria, Lues. Tuberkulose, Typhus- und typhusähnliche Er¬ 
krankungen auszuschliessen waren, wurde der differentialdiagnosti- 


M W. kl.W. 1918 Nr. 5, Sitzungsbericht der k. k. Gesellschaft: 
der Aerzte. s ) D.m.W. 1918 Nr. 6 . 


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Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





13. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


911 


sehe Gedankengang auch auf die, wenn auch für Triest entfernte 
Möglichkeit einer Leishmaniosis gelenkt und griff zur Milzpunktion. 
Im Milzpunktate typische Formen von Leishmania Donovani. Herr 
Prof. G a b btf - Messina-Rom. dier in liebenswürdiger Weise die 
Präparate zu kontrollieren die Güte hatte, bestätigte den Befund. 

Die Therapie bestand in einer langen intensiven Arsenbehand¬ 
lung, einer Freiluft- und Ruheliegekur, leicht assimilierbarer Diät, 
Verabreichung von Knochenmark. Die Antimonbehandlung wurde 
bekanntlich erst später in die Therapie des Kala-Azar eingeführt. 
Eine Röntgenbehandlung der Milz war in Anbetracht des leuko¬ 
penischen Blutbildes nicht angezeigt. Auf eine von anderer Seite 
vorgeschlagene Splenektomie ging ich nicht ein. 

20. XI. Blutbefund: E. 3 500 000, L. 2500, Hämoglobin 70 Proz., 
Lymphozyten 17 Proz.. polynukleäre 53 Proz., grosse mononukleäre 
Leukozyten 30 Proz. Histologisches Blutbild unverändert. 

März 1912. Entfieberung; im Mai ein ungefähr zweiwöchiger, 
auf ein Panaritium zurückzuführender fieberhafter Zustand. 

Das Kind verbrachte den Sommer 1912 in einem Höhenkurorte 
(Misurina, Ampezzo), machte in Venedig Ende September ein Drei¬ 
tagsfieber (Pappatacifieber?) durch und war seitdem fieberfrei. 

Der völlig zurückgegangene Milztumor, das normale histo¬ 
logische Blutbild, die Gewichtszunahme von 11 600 g im November 
1911 auf 15 000 g Ende 1912, der lange anhaltende fieberfreie Zu¬ 
stand berechtigte zur Annahme einer Heilung. 

Epidemiologisch interessant ist, dass im Hause der Erkrankung 
des Kindes die Erkrankung eines Hundes zeitlich vorausgegangen 
war, der früher einem Segelfahrzeuge angehört hatte, welches 
zwischen Triest-Griechenland und Süditalien verkehrte. Von der 
Krankheit des Hundes war leider nur so viel zu eruieren, dass er 
wegen fortschreitender Abmagerung und Hinfälligkeit im Meere er¬ 
tränkt wurde. Es ist mit einiger Wahrscheinlichkei anzunehmen, 
dass es sich in unserem Falle um eine Einschleppung des Krankheits¬ 
erregers durch den Hund gehandelt haben mag Seitdem habe ich 
mehrfach chronische Milztumoren auch in Istrien punktiert, jedoch 
immer mit negativem Resultate. Der Fall stellt den bisher für Triest 
einzigen, für Europa meines Wissens nördlichsten Fall von Kala- 
Azar dar*). __ I 

Die Gesetzentwürfe gegen die Verhinderung von Geburten. 

Von Dr. Fritz Lenz. 

Unter den Reichstagsdrucksachen des Jahres 1918 ist aHs 
Nr. 1287 B ein „Entwurf eines Gesetzes g c g e iv die Ver- 
hinderungvon Geburten“ herausgekommen •). Es ist meines 
Erachtens Pflicht der Aerzte, dazu Stellung zu nehmen und eventuelle 
Bedenken zu äussern bevor der Entwurf definitiv Gesetz wird. Den 
meisten Bestimmungen <fes Entwurfes wird man freilich ohne wei¬ 
teres zustimmen dürfen. 

Es heisst -darin unter § 3: „W er Mittel, Gegenstände 
od^r Verfahren zur VerhüFung der Empfängnis 
oder zur Beseitigungder Schwangerschaft öffent¬ 
lich oder durch Verbreitung von Schriften, Ab¬ 
bildungen oder Darstellungen, wenn auch in ver¬ 
schleierter Form, ankündigt oder anpreist oder 
solche Mittel oder Gegenstände an Orten, die all¬ 
gemein zugänglich sind, aussteilt, wird mit Ge¬ 
fängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis 
zu 10 000 M. oder mit einer dieser Strafen bestraft.“ 
Darüber hinausgehend sieht der Entwurf in § 1 vor, dass der Bundes¬ 
rat auch die gewerbsmässige Herstellung, die Einfuhr und den Ver¬ 
kauf dieser Mittel verbieten oder beschränken kann; doch solle dabei 
auf die Bedürfnisse des Schutzes gegen Geschlechtskrankheiten Rück¬ 
sicht genommen werden. Unter § 4 heisst es dann: ..W er öffent¬ 
lich oder durch Verbreitung von Schriften, Abbil¬ 
dungen oder Darstellungen, wenn auch in ver¬ 
schleierter Form, seine eigenen oder fremde 
Dienste zur Vornahme oder Förderung der Beseiti¬ 
gung der Schwangerschaft anbietet, wird mit Ge¬ 
fängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis 
zu 10000 M. oder mit einer dieser Strafen bestraft. 
Ebei^o wird bestraft, wer gewerbsmässig Mittel, 
Gegenstände oder Verfahren zur Verhütung der 
Empfängnis bei andern Personell' an wendet oder 
seine eigenen oder fremde Dienste -zu ihrer An¬ 
wendung anbietet.“ 

Gegen «die Bestimmungen des § 3 wird sich (kaum etwas Stich¬ 
haltiges einwenden lassen, um so weniger, als nach der Begründung 
des Entwurfes nur die bei der Frau angewandten Mittel für Verbote 
in Aussicht genommen sind, der Kondom also freibleiben soll. Gegen¬ 
über dem geltenden Recht liegt ein Fortschritt darin, dass nun auch 
Mittel und Gegenstände zur Abtreibung Anlass zu strafrechtlichem 
Einschreiten geben sollen, was bisher nicht der Fall war. da sie nicht 
zu „unzüchtigem Gebrauche“ bestimmt sind. 


3 ) Ein später beobachteter, von G. Ni gri s in der Sitzung vom 
19. Xf. 12 der Assoc. tned-ic. vorgesteUter. Fall mit letalem Aus¬ 
gange stammte von Spalato (Dalmatien) her. 

*) Zusammen mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten* in C. Heymanns Verlag erschienen und 

für 90 Pf. bv Go ogle 


Der § 4 stellt insofern einen grossen Fortschritt dar, als er end¬ 
lich eine Handhabe bietet, gegen Inserate, die in verschleierer Form 
die Abtreibung anbieteni einzuschreiten. Bisher stand man diesem 
Unwesen ziemlich machtlos gegenüber, weil cs an einer strafrecht¬ 
lichen Unterlage fehlte. Hoffentlich werden nun auch endlich die 
Inserate jener üblen populären Schriften, in denen „Aufklärung für 
Eheleute“ und ähnliches versprochen wird, verschwinden. Auch die 
Absicht des zweiten Satzes von § 4, nach dem die gewerbsmässige 
Verhütung der Empfängnis bei andern Personen bestraft werden soll, 
kann zustimmend begriis'st werden; und doch habe ich Bedenken 
gegen die Fassung dieses Satzes. Danach würde nämlich z. B. auch 
ein Arzt, welcher zum Zwecke der Verhütung kranker oder ent¬ 
arteter Nachkommenschaft einer Frau ein 1 Okklusivpcssar einlegt, 
strafbar sein. Ob auch die blosse Verordnung von Prävcntivmittehi 
strafbar sei, bleibt zweifelhaft. In der Begründung des Entwurfes 
heisst es zwar: „Das Verbot der gewerbsmässigen Anwendung 
empfängnisverhütender Mittel trifft nach allgemeinen Rcchtsgrund- 
sätzen nicht den Arzt, soweit im Einzclfallc die Verhütung der 
Empfängnis nach den Regeln ärztlicher Kunst aus gesundheitlichen 
Gründen geboten ist.“ Als gesundheitlich geboten werden aber nur 
solche Fälle anerkannt, in denen der Eintritt einer Schwangerschaft 
oder einer Entbindung schwere unmittelbare Gefahr für Leib und 
Leben der Frau mit sich' bringt. Es wird also dieselbe strenge 
Indikationsstellung, welche für die künstliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft gilt, auch für die Verhütung gefordert. Uebcrliaupt 
leidet die Begründung des Gesetzentwurfes an einem Durchcinandcr- 
werfen der Gesichtspunkte für die künstliche Unterbrechung und 
jener für die Verhütung der Schwangerschaft. Vom ärztlichen und 
soziallivgienischcn Standpunkte ist liier aber eine klare und deut¬ 
liche Unterscheidung notwendig. Während die Ansichten über die 
Zulässigkeit der sog. sozialen und der eugenischen Indikation für die 
ärztliche Schwangerschaftsunterbrechung sehr geteilt sind, befürwortet 
die Mehrzahl der Aerzte die Anwendung von Verhütungsmitteln, falls 
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit minderwertige Nachkommen¬ 
schaft zu erwarten ist. Diesen Standpunkt teilt z. B. auch ein so 
vorsichtiger Beurteiler wie Prof. Friedrich M a r t i u s in dem P 1 a c - 
zek sehen Handbuch über künstliche Fehlgeburt und künstliche Un¬ 
fruchtbarkeit. Auch ich bin der Meinung, dass dem Arzte die Ver¬ 
ordnung und Anwendung von Präventivmitteln aus sozialer und eugeni- 
scher Indikation gestattet sein, dass also der §4 entsprechend geändert 
werden sollte. Für ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft und 
künstlich-e Unfruchtbarmachung dagegen müssen wir meines Erachtens 
die soziale Indikation unbedingt und die eugenische immerhin bedingt 
ablehnen. Die sog. soziale Indikation trägt überhaupt ihren Namen 
zu Unrecht; es handelt sieh dabei vielmehr uni wirtschaftliche Motive 
und nicht einmal um sozialwirtsohaftliche, sondern um privatwirt¬ 
schaftliche. Damit hat der Arzt also nichts zu tun. Andererseits ist 
gerade die eugenische Indikation eine soziale: denn es liegt ent¬ 
schieden ein wesentliches soziales Interesse des Staates vor. dass 
Personen, von denen mit Wahrscheinlichkeit minderwertige Nach¬ 
kommen zu erwarten sind, keine Kinder bekommen. Zugleich ist die 
eugenische Indikation auch eine echt ärztliche; denn der Arzt ist nicht 
nur zur Bekämpfung schon bestehender Leiden berufen, die er in den 
meisten Fällen doch nicht wirklich heilen kann, sondern auch die 
Verhütung der Entstehung neuer Leiden ist seine Aufgabe. Die Ent¬ 
scheidung über die künstliche Unfruchtbarmachung aus eugenischer 
Indikation darf aber nicht in die Hand des einzelnen Arzte« gelegt 
werden; das würde gar zu leicht zu Missbrauchen führen. Dafür 
müssten in Zukunft vielmehr staatliche Sachverständigenkommissionen 
aufgestellt werden, wie das in mehreren Staaten Nordamerikas schon 
geschehen ist. Vorerst ist aber die Zeit hierfür noch nicht ge¬ 
kommen, da bei uns weite Kreise den Gefahren, die dem Staate 
aus minderwertiger Nachkommenschaft erwachsen, noch völlig ver¬ 
ständnislos gegenüherstehen. Die Sterilisierung ans eugenischer Indi¬ 
kation muss also vorerst bei uns verboten werden, obwohl einige sehr 
bedeutende Aerzte schon jetzt dafür eintreten. Damit aber dem 
A r z t e, d e r nicht nur symptomatisch einige Leiden 
der gegenwärtigen Generation lindern will, nicht 
die W a f f e o im Kampfe gegen jenes unsägliche 
Elend, das aus der Geburt Entarteter entspringt, 
ganz und gar aus der Hand geschlagen werden, 
muss ihm wenigstens die Verordnung und Anwen¬ 
dung von Präventiv mitteln aus eugenischer Indi- 
kation.se hon heute gestattet sein. Der § 4 muss 
also eine Einschränkung erhalten. 

Inzwischen ist nun unter Nr. 1717 der Reiehstaesdrucksachen ein 
weiterer Gesetzentwurf erschienen, der sich „gegen Un¬ 
fruchtbarmachung und S c h w a n g e r s c h <a f t s Unter¬ 
brechung“ richtet. Es heisst darin' unter § 1: „Eingriffe 
oder Verfahren zum Zwecke der Beseitigung der 
Zeugun. gs- oder Gebärfähigkeit eines anderen 
oder der Frucht einer Schwangeren sind nur zur 
Ab wend u n* g einer schweren, anders nicht zu be¬ 
seitigenden Gefahr für Leib oder Leben der be¬ 
handelten Person zulässig: und nur einem staatlich 
anerkannten (a o p r o b i e r t e n) Arzte erlaub t“. In § 2 
wird für derartige „Eingriffe oder Verfahren“ die Anzeigenflicht vor¬ 
gesehen. und in § 3 heisst es dann; „Wer vorsätzlich die 
Zeugungs- oder Gebärfähigkeit eines andern mit 
d e s s e n- E i n w i 11 i g u n g b e s e i t i g t. ohne nach § 1 hier¬ 
zu befugt zu sein, wird m Pt' Z ii e hhÜ'ä u s bis / u drei 

• UNIVER3ITY OF CALIFORNIA 



912 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 33. 


Jahren«, bei mildernden Umständen mit Gefängnis 
nicht unter einem Monat bestraft.“ Weiter wird auch 
jeder, der einen solchen Eingriff an sieh vornehmen lässt, mit Ge¬ 
fängnisstrafe bedroht. 

Die Bestimmungen dieses Entwurfes berühren sich in manchen 
Punkten mit denen des Entwurfes 1287 B, gehen aber z. T. weit 
darüber hinaus. Meines Erachtens 'kann aber ein Bedürfnis nach 
weitergehenden. Strafbestimmungen nicht anerkannt werden Die 
Unterbrechung der Schwangerschaft ohne genügende Indikation bzw. 
die Abtreibung ist bereits durch die §§ 218 und 219 dies Reichsstraf¬ 
gesetzbuches mit schwerer Strafe belegt; und die künstliche Sterili¬ 
sierung wäre nach § 4 des Entwurfes 1287 B mit Gefängnis bis zu 
einem Jahre zu bestrafen. Das sollte doch wohl ausreichend sein. 
Durdh den Entwurf 1717 aber wird ein Arzt, welcher aus zu weit¬ 
gehender Humanität eine eugenische Sterilisierung vornimmt, mit 
einem Roheifsverbrecher, der aus Rache oder ähnlichen Motiven je¬ 
manden gewalttätig kastriert, auf eine Stufe gestellt. Dagegen muss 
sich meines Erachtens der ernste Einspruch auch jener Aerztc richten, 
welche persönlich die soziale oder eugenische Indikation nicht an¬ 
erkennen. Es gibt sehr ernste und sittlich hochstehende Aerzte, 
welche Sterilisierungen aus sozialer oder eugenischer Indikation für 
wünschenswert halten und welche z. T. solche auch ausgefiihrt hab^n. 
Diese sind überzeugt, dass sie damit auch im wohlverstandenen 
Interesse des Staates handeln; und wenn die Indikation gewissenhaft 
gestellt wird, so ist das sicher auch der Fall. Persönlich bin ich zwar, 
wie gesagt, nicht der Meinung, dass man die eugenische Sterilisierung 
dem Ermessen des einzelnen Arztes überlassen dürfe; darum braucht 
man aber nicht gleich einen Arzt, der einer etwas weitherzigen 
Indikation gefolgt ist, ins Zuchthaus zu stecken. Man wird mir viel¬ 
leicht einwenden wollen, der Entwurf 1717 richte sich gar nicht in 
erster Linie gegen Aerzte; die „Begründung“ des Entwurfes lässt aber 
leider keinen» Zweifel darüber, und praktisch kommt i*a «auch kaum 
jemand anders für die Vornahme von Sterilisierungen in Be¬ 
tracht. 

Wenn erst die Einsicht allgemeiner sein wird, dass aus ent¬ 
artetem Nachwuchs schwerster Schaden für Staat und Volk er¬ 
wächst. so müssen wir dahin kommen, dass der Staat selber die 
Verhütung minderwertigen Nachwuchses in die Hand nimmt. Das 
kann auf vielerlei Weise geschehen und die künstliche Sterilisierung 
ist nur ein verhältnismässig untergeordnetes Mittel dazu. Auch die 
Deutsche Gesellschaft für Rassenhvgiene hat in ihren Leitsätzen zur 
Geburtenfrage eine „gesetzliche Regelung des Vorgehens in solchen 
Fällen, wo Unterbrechung der Schwangerschaft oder Unfruchtbar¬ 
machung ärztlich geboten erscheint“, gefordert. In der „Begründung“ 
des Entwurfes 1717 aber wird die rassenhvgienische wie überhaupt 
jede soziale Indikation- ohne weiteres abgelehnt. Die Frage der 
Qualität des Nachwuchses wird darin überhaupt nicht erörtert, obwohl 
sie für die Zukunft eines Volkes von noch entscheidenderer Be¬ 
deutung ist als die der Quantität. Zukünftige Geschlechter werden 
es kaum begreifen können, dass man in unseren Tagen meinte, die 
wichtigste aller menschlichen und staatlichen Angeletiheiten, die ge¬ 
sunde Fortpflanzung des Volkes, mit ein paar Paragraphen rechtlich 
regeln zu können, während man für die Regelung des Eigentums¬ 
rechtes eine Unzahl Paragraphen aufgeboten hat. Diese unverhältnis¬ 
mässige Kürze, welche aus einer ungenügenden Einschätzung der 
Wichtigkeit der Sache entspringt, ist auch die Ursache davon, dass 
die Entwürfe so viele offene Fragen lassen. So könnte man darüber 
streiten, ob nach dem Entwurf 1287 B oder nach 1717 dem Arzte die 
Anwendung des Okkfaisivpessars verboten sein soll oder nicht. ■ So 
wie ich die „Begründungen“ verstehe, welche nirgends einen klaren 
Unterschied der Indikationen zur Sterilisierung und jener der An¬ 
wendung von Präventivmitteln machen^ ist es die Absicht der Ver¬ 
fasser, dass auch die eugenische Anwendung von Präventivmitteln 
durch den Arzt unter Strafe gestellt werden soll. Auch das Einlegen 
eines Okklusivpessars durch den Arzt ist ein ..Verfahren zum Zwecke 
der Beseitigung der Zeugungs- oder Gebärfähigkeit eines andern", 
würde also nach dem Entwurf 1717 mit Gefängnis, wenn nicht mit 
Zuchthaus zu bestrafen sein, auch wenn es aus dringender eugenischer 
Indikation erfolgt. Der Umstand, dass die Zeugungsfähigkeit mehr 
oder weniger leicht wiederhergestellt werden kann, macht nach 
iuristischem Urteil rechtlich keinen Unterschied Tn irgend einer 
Weise aber sollte man doch dem Arzte, der die Schädigung von 
Familie. Volk und Staat durch de erblich Minderwertigen erkannt 
hat, die Möglichkeit lassen, in Fällen, wo mit überwiegender Wahr¬ 
scheinlichkeit entartete Nachkommenschaft zu erwart°n wäre, die 
Zeugung zu verhindern. Wir können doch nicht wieder zu jener Fort- 
nflanzungsweise zurückkehren, die alles dem blinden Zufall über¬ 
lässt und .nachher in einer seltsamen Auffassung göttlichen Waltens 
die Geburt von Minderwertigen als göttliche Fügung hinstellt. 

Gutheissen kann ich an dem Entwurf 1717 die dort vorgesehene 
Meldepflicht für Schwangerschaftsunterbrech¬ 
ungen* und Sterilisierungen durch den Arzt und das Ver¬ 
bot der Kurpfuscherei in diesen Dingen. Durch die Meldepflicht 
würde Missbräuchen von seiten der Aerzte genügend vorgebeugt 
werden können: im übrigen glaube ich überhaupt nicht, dass von 
Aerzten ausgeführte Eingriffe für den Geburtenausfall oder auch nur 
für die Masse der künstlichen Fehlgeburten eine wesentliche Rolle 
spielen. Noch besser wäre daher eine Meldepflicht auch für jene 
Schwangerschaftsunterbrechungen bzw. Aborte, die der Arzt nicht 
einleitet, sondern erst nachträglich in Behandlung bekommt; ohne diese 

Digitized by Gck sie 


Erweiterung der Meldepflicht wäre auch eine Umgehung der Anzeige 
ärztlicher Eingriffe zu befürchten. 

Aus den angegebenen Gründen möchte ich glauben, dass folgende 
Fassung einer Gesetzesbestimmung zweckmässig sein würde: „Ein¬ 
griffe zum Zwecke der Unfruchtbarmachung oder 
der Schwangerschaftsunterbrechung sind nur 
approbierten Aerzten und* nur aus ärztlicher Indi¬ 
kation erlaubt. Der Arzt hat solche Eingriffe dem 
zuständigen beamteten Arzte mit Angabe ausrei¬ 
chender Gründ»e seines Vorgehens anzuzeigen. 
Ebenso sind Fälle von Sch wangerschaftsunter- 
brechunge n, die der Arzt nicht herbeigeführt. son¬ 
dern erst nachträglich in seine Behandlung be¬ 
kommen hat, anzuzeigen.“ Diese Bestimmung wäre am 
besten nicht als ein besonderes Gesetz aufzustellen, sondern könnte 
dem Entwürfe 1287 B angefügt werden. 

In der „Begründung“ des Entwurfes 1717 sind Leitsätze der 
Kgl. Preuss. wissenschaftlichen-Deputation fürdas 
M cd i z ina 1 w es e n, Beschlüsse d-es Reichs ge sundheits- 
rates und Leitsätze des ärztlichen Kreisvereins 'M-a i n z 
über Sterilisierung und 'künstlichen Abort angeführt, in denen fest¬ 
gestellt wird, dass der Arzt nur aus medizinischer Indikation die 
Schwangerschaft unterbrechen oder sterilisieren dürfe und wo eine 
Meldepflicht dafür vorgeschlagen wird. Auch sonst kann man diesen 
Sätzen m. E. durchaus zustimmen. Von einem Verbot der ärztlichen 
Anwendung von Präventivmitteln oder von Zuchthausstrafe für weit¬ 
herzige Indikationen steht darin nichts. 

Umstritten ist die Frage, ob auch nach dem bisherigen Recht die 
Sterilisierung verboten sei. Manche Juristen vertreten die Auffassung, 
dass sie als vorsätzliche Körperverletzung und zwar als schwere 
(Verlust der Zeugungsfähigkeit) aufzufassen und d-emgemäss nach 
§ 225 R.St.G. mit Zuchthaus zu bestrafen sei. Ich halte diese Deutung 
auch juristisch nicht für haltbar. Der Zweck der Körperverletzungs¬ 
paragraphen ist doch der Schutz von Leib und Leben der Staats¬ 
bürger. Ein Eingriff mit Einwilligung des Operierten kann also nicht 
als Körperverletzung strafbar sein, genau so wenig wie eine andere 
Operation es ist Wenn irgendwo, so muss hier der Grundsatz 
gelten: volenti -non fit iniuria. Damit ist freilich nicht gesagt, dass 
der Eingriff nun straflos sein solle. Aber der, welcher die iniuria 
erleidet, ist in diesem Falle nicht der Operierte, sondern der Staat. 
Eine Sterilisierung aus ungenügender Indikation verstösst gegen das 
Interesse des Staates an zahlreichem gesundem Nachwuchs. Sie 
muss daher strafbar sein* aber eben nicht als Körperverletzung, 
sondern es ist eine besondere Bestimmung dafür nötig. In dieser 
Hinsicht wäre der § 4 des Entwurfes 1287 B berufen, eine Lücke aus¬ 
zufüllen, wenn er nicht aus den obenerwähnten Gründen zu Bedenken 
Anlass böte (weil er nämlich die Anwendung von Präventivmitteln auf 
eine Stufe mit der Sterilisierung stellt). 

Im übrigen ist dringend vor der Auffassung zu warnen, als könne 
durch Strafbestimmungen etwas irgendwie Erhebliches gegen den- Ge¬ 
burtenrückgang ausgerichtet werden. „Die Waffen des Straf- 
rechts sind für den Kampf gegen den mangelnden 
Zeugun'gswilten zu stumpf“, so sagt mit Recht der Straf¬ 
rechtslehrer v. Lilienthal. Strafbestimmungen sind ja so wohlfeil, 
geistig wie materiell, und sie erwecken gar zu leicht den Anschein, 
als sei nun alles in Ordnung. Die Gefahr liegt nur zu nahe, dass 
man sich beruhigt, wenn man ein „Gesetz gegen die Veithinderung 
von Geburten“ bat. Ausserdem müssen wir auch den blossen An¬ 
schein vermeiden, als bestehe die Bevölkerungspolitik wesentlich aus 
Polizei- und Zwangsmassnahmen. Diese sind immer unbeliebt und 
bewirken, daher auf einem Gebiete, wo man auf den guten Willen 
und die Einsicht der Bevölkerung angewiesen ist. ziemlich sicher das 
Gegenteil von dem, was man erstrebt. Die Widerstände materieller 
und ideologischer Natur gegen eine durchgreifende Bevölkerungs¬ 
politik sind ohnehin schon gross genug: man soll ihnen nicht noch 
neue Nahrung geben. Die Aufgabe einer wahrhaft weitsichtigen 
Bevölkerungspolitik ist nicht, jene Leute, die keine Kinder haben 
wollen, gegen ihren Willen dazu zu zwingen, sondern vielmehr solchen 
tüchtigen. Volksgenossen:, die sich Kinder wünschen^ die wirtschaft¬ 
liche Möglichkeit zu ihrer Aufzucht zu verschaffen. Nicht Zwang 
zur Kindererzeugung also, sondern Hilfe zur Aufzucht. Für das Volk 
als Ganzes ist daher eine kraftvolle und zielbewusste äussere Politik, 
welche wirtschaftlichen Lebensraum und insbesondere Neuland zur 
Ausdehnung der völkischen Siedclungen schafft, zugleich die beste 
Bevölkerungspolitik. Innerhalb des Volkes aber gilt es, durch gross¬ 
zügige Ausgleichsmassnahmen Lebensrautn für tüchtige Familien 
gegenüber den Jungggesellen und Kinderlosen zu schaffen So allein 
beleben wir auch wieder den schwindenden ZeugungswiHen und das 
sittliche Bewusstsein der Pflicht zur Kinderaufzucht. Positive 
Rassenhygiene gilt es zu leisten, die negative ist von höphst 
untergeordneter Bedeutung. Von Eheverboten und Sterilisierungen ist 
eine Gesundung der Rasse nicht zu erhoffen; ich möchte das an 
dieser Stelle nachdrücklich betonen, damit der Leser nicht meine, 
dass mir diese Art amerikanischer Eugenik besonders am Herzen 
liege. Das Negativste auf dem Gebiete der Bevölkerungspolitik aber 
sind Polizeimassnahmen und Strafbestimmungen, obwohl sie nicht 
völlig entbehrt werden können. 'Nur dürfen wir keine Zeit verlieren, 
über diese Vorstufe hinweg zu einer wirklich aufbauenden Bevöfke- 
rangspolitik zu kommen, die allein unser Volk retten kann. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



13. August 1918. 


MuENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHROT. 


913 


Bücheranzeigen und Referate. 

Prof. Rhese-Königsberg: Die Kriegsverletzungen und Kriegs¬ 
erkrankungen von Ohr t Nase und Hals. Mit 94 Textabbildungen. 
Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1918. Preis 13 M. 

Rhese bespricht auf Grund eigener Erfahrungen und gründ¬ 
licher Literaturkenntnis — das Literaturverzeichnis umfasst 198 Num¬ 
mern — die Kriegsverletzungen des Ohres, der Nase und des Halses. 
Besondere Kapitel sind den Verletzungen des Ohres durch stumpfe 
Gewalt und durch Schall, sowie den Sprach- und Stimmstörungen 
im Kriege gewidmet. Auch die nach Kopfverletzungen zurück¬ 
bleibenden Folgezustände, die der Verf. bereits im Frieden bearbeitet 
hat, werden eingehend erörtert. Ohne auf die Kasuistik im einzelnen 
einzugehen, gibt er eine Zusammenfassung des jetzigen Standes der 
Frage. 

Den Kriegsverletzungen sind auch die „Kriegserkrankungen“ 
ungegliedert. Da es eigentliche Kriegserkrankungen mit Ausnahme 
der durch Kampfgas verursachten — die aber im Ohr und in den 
oberen Luftwegen keine grosse Rolle spielen — nicht gibt, so bilden 
diese Abschnitte ein kurzes Lehrbuch für sich, über dessen An¬ 
gliederung an die Kriegsverletzungen man verschiedener Meinung 
sein kann. Rhese verweist dabei allerdings wiederholt auf die 
Beziehungen, welche der Krieg zu den betreffenden Krankheiten hat. 
Diese Abschnitte sind recht interessant zu lesen, weil sie den persön¬ 
lichen Standpunkt des Verfs. wiedergeben, der natürlich auch manchen 
Widerspruch finden wird. 

Ein Sachregister erleichtert das Studium des mit grossem Fleiss 
geschriebenen Buches. Dass es noch im Krieg als Ratgeber benützt 
werden kann, erhöht seinen Wert. Scheibe- Erlangen. 

Privatdozent Dr. Paul Kämmerer: Geschlechtsbestimmung 
und Geschlechtsverwandlung. 94 S. Wien 1918. Perl es. 4 Kr. 

In dem ersten Teil dieser Schrift plaudert Kämmerer von 
der Geschlechtsbestimmung vor und bei der Zeugung; im zweiten 
berichtet er hauptsächlich von den Versuchen Steinachs und den 
Operationen Lichtensterns, über welche die Leser dieser 
Wochenschrift durch diese Forscher selbst unterrichtet worden sind. 
Kämmerer ist „ganz davon durchdrungen“, dass „scharfe Ent¬ 
fettungskuren, namentlich noch kombiniert mit der Obsorge dafür, 
dass ein spätreifes Ei für die Besamung zur Verfügung steht, die 
Wahrscheinlichkeit einer Knabengeburt auf mehr als 90 Proz. er¬ 
höhen.“ Zu „scharfen Entfettungskuren“ hat der Krieg ja Anlass ge¬ 
geben; ich glaube aber nicht, dass die Folgen davon eintreten 
werden, welche man nach Kammererts Hypothese erwarten 
müsste. Mir tun nur die armen Frauen leid, welche durch die Käm¬ 
merer sehe Hungerkur sich und ihren Nachwuchs schädigen. Die 
Schrift ist im Feuilletonstil gehalten und nicht streng wissenschaft¬ 
lich. Fritz Lenz. 

Neueste Journalliteratur. 

Zentralblatt für Chirurgie. Nr. 24—26 und 29, 1918. 

Nr. 24. Wilh. K e p p 1 e r - Berlin: Die intravenöse Methode der 
lokalen Behandlung entzündlicher Prozesse. 

Verf. berichtet über seine Erfahrungen, die er seither mit der 
intravenösen Einspritzung von Chininpräparaten bei phlegmonösen 
Prozessen gemacht hat. Als Injektionsmittel diente Vucinum bihydrochl. 
in Lösung von 1:10 000; davon wurden in Lokalanästhesie 150 bis 
200 ccm intravenös genau wie bei der Bier sehen direkten Venen¬ 
anästhesie eingespritzt und die Blutleere nach der Injektion noch 
IV» Stunden beibehalten. Verf. erlebte nur schwere Misserfolge und 
warnt deshalb vor dieser immerhin gefährlichen Methode, besonders 
bei akuten und diffusen phlegmonösen Prozessen. 

Wilh. Manning er- Pest: Zur intravenösen Methode der lo¬ 
kalen Behandlung entzündlicher Prozesse. 

Verf. hat bei seiner intravenösen Behandlung von 4 schwer 
tuberkulösen Gelenken mit Vucin keine Zeichen von Thrombose oder 
Gewebsschädigung gesehen, so dass er seine Versuche als gelungen 
bezeichnen kann. Er injiziert so, dass er nach Bier die Venen der 
ausgeschalteten, blutleer gemachten Extremität mit angesäuer¬ 
ter Novokainlösung füllt und dann die ebenfalls angesäuerte 
Vuzinlösung durch dieselbe Venenkanüle nachspritzt. Die An- 
säuerung erfolgte mit Milchsäure (4,8 g wasserfreie Milchsäure auf 
100 Wasser), von der je 1 ccm zu-100 g Novokain- bzw. Vuzinlösung 
gesetzt wurde. Das Ansäuern erfolgt deshalb, weil Vuzin schon 
durch Spuren von Alkali gefällt wird. Verf. glaubt, dass Biers 
ungünstige Erfahrungen vielleicht daher kommen, dass Vuzin in der 
Vene und im Gewebssaft ausgefällt wurde und so zu Thrombosen 
und Embolien Anlass gab. 

Leo Bornhaupt -Riga: Hirnzyste des rechten Seitenventrikels 
operativ geheilt. 

Verf. schildert ausführlich das Krankheitsbild einer Hirnzyste des 
rechten Seitenventrikels, die operativ entfernt wurde und zur Dauer- 
heihing führte. Sehr lehrreich ist dieser Fall hinsichtlich Diagnose 
und Indikationsstellung zur Operation und verdient im Original stu¬ 
diert zu werden. 

Nr. 25. Egon Fieber-im Felde: Eigenbluttransfusion bei 
Mllzzerrefssung. 

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Verf. schildert einen neuen Fall von Milzzerreissung, bei dem 
die Rücktransfusion von 1100 ccm körpereigenen Blutes lebeiisrettend 
wirkte. 

H. Schmilinsky -Hamburg: Die Einleitung der gesamten 
Duodenalsäfte in den Magen (innere Apotheke). 

Verf. hat bisher bei 8 Fällen von Ulcus pept. duodeni bzw. je¬ 
juni die Duodenalsäfte operativ in den Magen eingeleitet unter Aus¬ 
schaltung des Pylorus; durch die Herabsetzung der peptischen Wir¬ 
kung des Magensaftes soll die Bildung neuer Ulcera im Magen oder 
Jejunum verhütet werden („innere Apotheke“). Bei den 5 Ulcera 
duodeni nähte Verf. nach Ausschaltung des Ulcus nach v. Eiseis¬ 
berg die beiden Jejunalschenkel gleichgerichtet nebeneinander in den 
Magen ein; bei den 3 Ulcera jejuni (nach früherer Gastroenterostomie) 
durchschnitt er den abführenden Schenkel, verschloss den oralen 
und bildete Anastomose der aboralen Oeffnung mit dem Magen. 
Während bei den Ulcera duodeni bzw. pylori eine Dauerneutrali¬ 
sierung des Magensaftes nicht erfolgte, trat bei einem bereits so 
operierten Ulc. jejuni wieder ein RezidW auf; ein 2. Fall ist bis 
jetzt (ca. 15 Monate) beschwerdefrei. Jedenfalls hat die „innere 
Apotheke“ die auf sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt; weiere Er¬ 
fahrungen sind nötig, besonders ob nicht die Motilität des Magens 
durch die grossen Mengen Duodenalsäfte leidet und die Verdauung 
und Ausnützung der Speisen zu sehr gestört wird. Mit 2 Skizzen. 

M. W. H er man-Lemberg: Ueber Verhütung der Rückfälle 
bei Torsion des S romanum. 

Verf. berichtet kurz über einen typischen Torsionsfall des ausser- 
gewöhnlich langen, geblähten und zwischen Zwerchfell und das kleine 
Becken eingekeilten Col. sigmoideum; zahlreiche Narben im Gekröse 
durften die Torsion, die bereits zum 9. Mal auftrat, begünstigt haben. 
Verf. begnügte sich daher nicht bloss mit der Detorsion des Darmes, 
sondern nahm auch eine Umgestaltung der Plastik des Gekröses vor, 
indem er auf der medialen und lateralen Gekrösefläche die Narben 
mit einem länglichen Schnitt durchtrennte, die beiden Darmabschnitte 
auseinanderzog, so dass als Resultat ein ovalärer Defekt entstand, 
der quer vernäht wurde. Dadurch wurde die Schlingenhöhe vermin¬ 
dert und ihre Basis verbreitert. Diese Methode käme für die Fälle 
in Frage, in denen die prophylaktische Resektion nicht gut angebracht 
erscheint. Mit 1 Abbildung. 

Lor. Böhler- Bozen: Anatomische und pathologische Grund¬ 
lagen für die Bewegungsbehandlung von Verletzungen im Bereich 
des Sprunggelenkes. 

Verf. hat beobachtet, dass bei Knöchelbrüchen auf den Gleit¬ 
apparat der Bewegungsorgane, der Muskeln und Sehnen, viel zu 
wenig geachtet wird; häufig findet sich in den Sehnenscheiden oder in 
den beiden Blättern des Mesotonons ein Bluterguss, der organisiert 
wird und zu Verwachsungen der Sehnen mit ihren Scheiden führt. 
Um diese Schrumpfungen des Gleitapparates zu verhüten, lässt Ver¬ 
fasser bei allen Verletzungen im Sprunggelenke vom 1. Tage an 
ausgiebig Bewegungen machen und 1 das Bein auf eine Braun sehe 
Schiene lagern, -wie er in der M.m.W. 1918 Nr. 3 beschrieben hat. 
Verfasser glaubt, dass man bei allen versteiften Sprunggelenken ein 
geschrumpftes Mesoteum nachweisen könnte. 

Nr. 26. Fel. Danzinger-im Felde: Idloplastik oder Allo¬ 
plastik? Neuer Vorschlag zur Deckung von Schädeldefekten. 

Um die Gefahr der primären Infektion und der sekundären Aus- 
stossung des Implantates zu vermeiden, macht Verf. den Vorschlag, 
das Schädelloch zu plombieren nach dem Vorgehen des Zahnarztes; 
dabei bleibt die Knochenwunde selbst ganz in Ruhe; zwischen 
Kitochenwand und Implantat soll ein Zwischenraum von 1 mm be¬ 
stehen bleiben. Als Deckmittel dient steriles Viktoriablech. An 3 Ab¬ 
bildungen schildert er die Technik bei seinen Versuchen am Leichen¬ 
schädel. Die Distanz ist absichtlich gewählt, um bei erneuten Hirn¬ 
erscheinungen hier leicht punktieren zu können; andererseits lässt sich 
die dünne Metallplatte leicht bei Spätabszessen ohne Operation am 
Knochen entfernen. 

H. Frusterer -Wien: Ausgedehnte Magenresektion bei Ulcus 
duodeni statt der einfachen Duodenalresektion bzw. Pylorusausschal- 
tung. 

Um bei der Behandlung des Ulcus duodeni den Patienten womöglich 
dauernd vor den Gefahren eines Rezidivs oder eines Ulcus pept. jejuni 
zu bewahren, schlägt er vor, sowohl bei der Resektion des Duodenums 
als auch bei der Ausschaltung des Ulcus mindestens V*— 3 /s des 
Magens zu entfernen, weil durch die Verkleinerung der sezernierenden 
Magenfläche die Hyperazidität sich wirksam bekämpfen lässt. Aller¬ 
dings können erst jahrelange Beobachtungen entscheiden, ob sich 
die Hyperazidität dauernd beseitigen lässt. Mit 2 Skizzen der 
Operationsmethoden. 

A. F e d e r m a n n - im Felde: Behandlung der Oberschenkel¬ 
schussbrüche mit Reh scher Extensionszange. 

Verf. empfiehlt warm die von Reh konstruierte Extensions¬ 
zange, deren Spitze einige Millimeter in die zwei vorstehenden Kon- 
dylen des Femur eingedrückt wurde. Durch den Griff der Zange 
geht eine Schnur, welche über eine Rolle am Bettrande geleitet und 
mit 10 Pfund und mehr belastet wird. Indiziert ist diese Zange bei 
allen Brüchen nahe am Kniegelenk, wo die Gefahr der Infektion 
besteht. Verfassers Erfolge sind sehr gute. Mit 1 Abbildung. 

Nr. 29. Heidenhain-Worms: Zwei stanzende Instrumente 
zur Trepanation und zur Trennung schwacher Knochen. 

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914 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 33. 


Verf. beschreibt und empfiehlt zwei stanzende Instrumente; das 
eine gestattet, auch dicke Schädel, ohne Elektromotor, zu eröffnen 
von zwei Bohrlöchern aus; besonders zur Eröffnung der Markhöhle 
bei Osteomyelitis benützt es Verf. häufig. Das zweite Instrument, 
in Anlehnung an das erste konstruiert, dient zur Trennung von Rippen 
und leistet Verf. gute Dienste bei Oberkieferresektionen. — Mit zwei 
Abbildungen. 

v. Gaza: Der Gipssohlenstreckverband für Frakturen der 
unteren Extremität 

Das Wesentliche des Gipssohlenstreckverbandes, wie ihn Verf. 
bereits öfters mit Erfolg angewandt hat, besteht darin, dass über 
einer nach der Fusssohle zugeschnittenen Gipsschiene ein Mastix¬ 
zugverband angelegt wird, der vor allem den Fuss einbegreift; seine 
Wirkung hat viel Aehnlichkeit mit der Draht- und Nagelextension. 
An 3 Abbildungen ist die Technik dieses Verbandes erläutert. Er 
verträgt eine Belastung von 2—10 kg; die verletzten Gelenke können 
vom 1. Tag an bewegt werden. Verf. empfiehlt seine Methode zur 
weiteren Nachprüfung. 

J. Sch a a 1 - Kolberg: Ersparnis von Verbandstoffen. 

Verf. empfiehlt, um Verbandstoff zu sparen, die Gipsverbände 
in Salzwasser aufzulösen, die Binden dann abzuwickeln und den noch 
daran befindlichen Gips in Sole gut auszuwaschen. Ferner macht er 
Gipsverbände aus zeugartig gewebten Papierbinden, die wie Stoff¬ 
binden zu Gipsbinden vorbereitet werden; zwischen die einzelnen 
Bindentouren streicht er beim Verbandanlegen etwas Alaunwasser. 
(Auch Referent löst seit 9 Jahren jeden Gipsverband in Salzlösung 
auf und verwendet die abgewickelten Binden wieder.) 

E. Heim- zurzeit im Felde. 

Zentralblatt für Gynäkologie, Nr. 30, 1918. 

A. Koblanck -Berlin: Operation oder Bestrahlung bei klimak¬ 
terischen Blutungen? 

Kurze kritische Entgegnung auf Allmanns Mitteilung. 

Hans S c h a ed e 1 - Liegnitz: Zur Technik des transperitonealen 
Kaiserschnittes. 

Angabe einer kleinen technischen Modifikation. 

Kritzler: Die Gummiabdachung des Scheldeneinganges, der 
äusseren Geschlechtsteile und ihrer nächsten Umgebung bei geburts¬ 
hilflichen Eingriffen. Ein Beirag zur Keimbekämpfung in der Geburts¬ 
hilfe. 

Aehnlich wie Krampitz in Nr. 18 des Zentralblatt publiziert 
Verf. auch die von ihm konstruierten und erprobten Keimschutz- 
Gummieinlagen, die ja nach der Grösse des beabsichtigten Eingriffs 
in verschiedener Grösse, und Konstruktionsart hergestellt sind. 

Werner- Hamburg. 

Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 30, 1918. 

F. Kraus- Berlin: Lymphogranulomatose. 

O. Lubarsch: Ueber Lymphogranulomatose. 

Bezüglich beider Arbeiten ist zu vergleichen der Bericht der 
M.m.W. über die Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesellschaften zu 
Berlin vom 26. Juni 1918, d. W. Nr. 28 S. 772. 

L. Michaelis: Die Anreicherung von Typhusbazillen durch 
elektive Adsorption. 

Das Verfahren, das zum Nachweis von spärlichen Typhusbazillen 
in den Fäzes anwendbar ist, beruht auf der elektiven Wirkung von 
Kaolin gegenüber genannten Bazillen. Bezüglich der Methode selbst 
vcrgl. Original. 

W. L e v i n t h a 1: Neue bakteriologische und serologische Unter- 
suchungsmethoden bei Influenza. 

Es wird hier — mit Verweisung auf eine spätere ausführliche 
Veröffentlichung an anderer Stelle — mitgeteilt, dass durch einen 
neuen Nährboden (Herstellung im Original angegeben) die Züchtung 
des Influenzabazillus erheblich verbessert ist, so dass er in üppigen 
Kolonien zur Entwicklung gelangt. Die weitere Identifizierung ver¬ 
dächtiger Kolonien kann durch ein agglutinierendes Serum zum Ab¬ 
schluss gebracht werden. 

A. S t i c k e r - Berlin: Weitere Erfahrungen in der Radium¬ 
bestrahlung des Mundhöhlenkrebses. 

Vgl. Bericht der M.m.W. über die Sitzung der vereinigten Aerzte- 
gesellschaften Berlins am 27. Jan. 1918. G r a s s m a n n - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 30, 1918 

E. P a y r: Ueber Wiederbildung von Gelenken, ihre Erscheinungs¬ 
formen und Ursachen; funktionelle Anpassung — Regeneration. (Fort¬ 
setzung folgt.) 

Otto K a h I e r- Freiburg i. B.: Die Behandlungen der Blutungen 
aus den oberen Luftwegen. 

Es werden die Blutungen der einzelnen Abschnitte besprochen, 
sowie ihre Ursachen. Der Inhalt im einzelnen kann im kurzen Referat 
nicht wiedergegeben werden. 

Birch-Hirschfeld: Die Schädigung des Auges durch Licht 
und ihre Verhütung. 

Die Schädigung des Auges durch Strahlen hängt ab von der 
Lichtquelle, den Strahlen und ihrer Intensität und ferner von der 
Absorption dieser Strahlen in den einzelnen Medien des Auges. Die 
Schädigungen werden im einzelnen besprochen und zum Schluss darauf 

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hingewiesen, dass das normale Auge für gewöhnlich keines künst¬ 
lichen Schutzes bedarf. 

Koch: Zum Verlauf des Paratyphus. 

Die Gastroenteritis wich in keiner Hinsicht von dem Verlaut 
einer Dysenterie ab. Der eigentliche Paratyphus abdominalis fängt 
akuter an als der Typhus (wenigstens als im Frieden). Die Fieber¬ 
kurve neigt von vornherein zu Remissionen. Die Milz war immer 
palpabel. Das Exanthem war einige Tage lang roseolös, wurde dann 
aber deutlich papulös. 

Max Meyer- Sennelager: Aneurysma arterio-venosum der 
Halsgegend. 

Das Besondere des Palles liegt darin, dass Patient 4 Monate 
lang Frontdienst trotz seines Aneurysmas machte und den Schock 
eines Sturzes infolge von Granatexplosion relativ gut ertrug. 

A. Federma n n: Ueber Frühoperation der Kniegelenkschüsse. 

Da jeder Fall als infektionsverdächtig anzusehen ist, so besteht 
die einzige Behandlung in der Frühoperation. Die intraartikuläre 
Knochenwunde kann durch die extraartikuläre Ausschaltung eines 
Knochenherdes oder durch Ausfüllung des Knoohendefektes durch 
eine andere Masse unschädlich gemacht werden. Unumgänglich nötig 
für die aseptische Heilung ist der Verschluss der Kapsel. 

W e i m b e r! g - IDortmund: Clauden bei Blasenbiutungeiw 

Ein Fall von Blasenblutung, die bisher ohne Erfolg behandelt 
worden war und die auf Clauden (lokal appliziert) prompt stand, wird 
mitgeteilt. B oe n h e i m - Rostock. 

Österreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift 

Nr. 29. J. Kyrie-Wien: Bemerkenswerte histologische Be¬ 
funde bei Psoriasis vulgaris. 

Bei der Untersuchung frischer Psoriasiseffloreszenzen fand der 
Verfasser Einschlüsse in den- Zellen des Stratum spinosum, ganz von 
der Art, wie wir sie bei anderen Chlamydozoenerkrankungen, im be¬ 
sonderen bei der Variola kennen. Er hält dieselben in voller Ueber- 
einstimmung mit Hainmerschmid bezüglich der Genese der 
Guarnerikörperchen bei Variola für Abkömmlinge der Nukleolarsub- 
stanz. Die Kernkörperchen erleiden im Bereiche der Psoriasisefflo- 
reszenz allem Anscheine nach vielfach bedeutsame Veränderungen, 
es kommt zur Vergrösserung derselben und vielfach zu ihrem Aus¬ 
tritt aus dem Kern. Der Zelleinschluss im Plasma ist nichts anderes 
als der vergrösserte, aus dem Kern ausgeschiedene Nukleolus. Wir 
haben es demnach mit einer sog. „Einschlusskrankiheit“ zu tun; da 
nun solche Einschlüsse nur bei durch Chlamydozoen bedingten Pro¬ 
zessen Vorkommen, muss man. die Ansicht gewinnen, dass es sich 
auch bei der Psoriasis vulgaris um eine „Epitheliose“ handelt, die 
durch Chlamydozoen oder, wie Lipschütz es nennt, dermotropes 
Virus hervorgerufen wird. 

Viktor Neudörfer - Wien; Der retikulo-eadotheUale Apparat 
bet malignen Neoplasmen. 

Durch vergleichendes Studium der Organveränderungen im Tier¬ 
experiment mit jenen im kranken Menschen wird die Art der Meta¬ 
stasierung des Karzinoms auf dem Lymphwege unserem Verständnisse 
um .einen Schritt näher gebracht, indem Erschöpfung und Schwund 
des lymphendothelialen Apparates dem sekundären Krebs vorausgeht 
und den Boden für die Ansiedlung der Karzinomelemente günstig 
vorbereitet. Im Gegensatz hierzu löst das transplantierte Neoplasma 
beim Tier eine Proliferation des retikulo-endothelialen Apparates in 
verschiedenen» Organen aus. Hierdurch schützt sich das gesunde 
'Fier gegen die Durchwühlung seines Organismus durch den Krebs; 
Metastasen gehören bei transplantierten Karzinomen der Maus zu 
den grössten Seltenheiten. Der gesunde tierische Organismus scheint 
demnach mit seinem intakten retikulo-endothelialen Apparat über Ab¬ 
wehrkräfte gegen die Generalisierung des Krebses zu verfügen, die 
dem karzinomkranken Menschen fehlen. Dies führt zu der Annahme, 
dass bei letzterem eine gewisse Schwäche des lymphendothelialen 
Apparates besteht, auf welcher die Möglichkeit der Metastasenbildung 
beruht. 

Arthur v. S a r b ö - Pest; Ein Fall von sog. lokalisiertem Tetanus 
infolge einer Stichverletzung. 

_ Der beschriebene Fall zeigt, dass auch beim Menschen das 
Tetanustoxin durch den motorischen Nerven fortgeleitet wird und so 
in die Vorderhörner des Rückenmarkes gelangt, wo dasselbe in ver¬ 
schiedenem Grade wirkt, dementsprechend entstehen die verschie¬ 
denen Reiz- resp. Ausfallserscheinungen. Der Fall beweist ferner, 
dass auch beim Menschen ausser am Kopfe auch an den Extremi¬ 
täten sich lokalisierte Tetanussymptome entwickeln können, es kann 
auch zum degenerativen Muskelschwund kommen, welch letzterer 
sich durch die Vergiftung der motorischen Ganglienzellen durch das 
Tetanustoxin einstellt. 

Julius Donath-Pest; Hysterische Kfeferklemme nach Unter¬ 
kieferbruch, Heilung durch suggestive Faradisatlon. 

Kasuistischer Beitrag. 

Helene Deutsch-Wien: Kasuistik zum „induzierten Irresein* 4 . 

In den beiden beschriebenen Fällen fehlt den Induzierenden der 
Glaube an die Realität des selbstproduzierten Inhaltes, dem somit der 
Charakter der Wahnidee entzogen wird; in beiden Fällen ist es 
weder die Autorität der Induzierenden, noch die zwingende Logik 

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13. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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und Ueberzeugungskraft ihrer Angaben, dem die geschwächte Urteils¬ 
fähigkeit der Induzierten unterliegt. Es ist das Affektive, das Wunsch¬ 
erfüllende, das die intellektuellen Qualitäten der paranoischen indu¬ 
zierten Wahnideen ersetzt. 

L. Sztanojevits -Pest: Ueber psychogen bedingte asso¬ 
ziierte „Blickparesen* 4 . 

Die beiden beschriebenen Fälle ergänzen das symptomenreiche 
und wechselvolle Bild der okulären Hysterie. 

Nr. 30. R. D ö r r und R. Pick- Wien: Experimentelle Unter¬ 
suchungen über Infektion und Immunität bei Fleckfieber. 

Die experimentelle Uebertragung des Fleckfiebers auf Meer¬ 
schweinchen durch Verimpfung von Emulsionen des Gehirns spezifisch 
fiebernder Tiere gleicher Art stellt eine bequeme Methode dar, das 
Virus in Passagen fortzusetzen und seine Eigenschaften zu studieren. 
Bei intraperitonealer Infektion mit Passagehirn schwankt die In¬ 
kubation zwischen 8—10 Tagen. Sie ist von der Grösse der Infek¬ 
tionsdosis nicht abhängig. Die Virulenz des Passagevirus ist gegen¬ 
über Originalvirus nicht erhöht. Das einzige Symptom der gelun¬ 
genen Infektion ist ein mehrtägiges Fieber. Aktive Immunität tritt 
ein. gleichgültig, ob die abgelaufene Infektion symptomatologlsch 
voll ausgeprägt oder abortiv war. Durch abgetötete Erreger liess 
sich keine aktive Immunität erzielen. Die aktive Immunität geht von 
der Mutter nicht auf die Jungen über. 

Hans La m p 1 - Wien: Ueber einen neuen Typus von Dysenterie¬ 
bazillen (Bact. dysenteriae Schmitz). 

Die beschriebene Beobachtung beweist die weite Verbreitung 
des neuen Bazillentypus, der von S c h m i t z bei ausnahmslos aus Bel¬ 
gien stammenden Gefangenen, andererseits vom Verfasser ber der 
Wiener Bevölkerung gefunden wurde. 

Otto Hans: Zur Klinik der Gasvergiftungen. 

K. Desziem irovi cs - Kaschau: Beitrag zur Frage der Ver¬ 
wertbarkeit eines Fleckfleber-Dauerdiagnostikums. 

Die Agglutination, angestellt mit dem Dauerdiagnostikum nach 
C s e p a i, ist für Fleckfieber spezifisch, verlässlich, nicht labil. Die 
Durchführung dieser Reaktion ist sehr einfach, einem jeden Arzt auch 
ohne Laboratoriumseinrichtung zugänglich. 

Oskar Weltmann und Hans M o 1 i t o r: Ueber beschleunigte 
Agglutination mittels eines modifizierten Typhus-Paratyphusdlagnostl- 
kums. 

Agglutininbeladene Bakterien der Typhus- und Paratyphus¬ 
gruppe werden durch Lösung von bestimmter H-Ionen-Konzentration 
zu einer Zeit ausgeflockt, wo sie sich in Kochsalz als noch nicht ver¬ 
klebbar erweisen. Durch Verwendung der M i ch a el i s sehen Lö¬ 
sung II gelingt es, ein Typhus- und Paratyphusdiagnostikum zu ge¬ 
winnen. das die Ablesung der Resultate in weit kürzerer Zeit ermög¬ 
licht als bei Verwendung der üblichen physiologischen Kochsalz¬ 
lösung für Verdünnung und Aufschwemmung der Bakterien. 

A. v. E x n e r, E. Ranzt und W. W e i b I : Ueber Verbandstoff- 
sparuog. 

Die noch vorhandenen Vorräte an Baumwollgaze, bzw. von 
wieder gewaschener oder regenerierter Gaze sollen für die Opera¬ 
tionen und ev. für den ersten Verbandwechsel reserviert werden, 
während die verschiedenen Verbandersatzstoffe für den weiteren 
Verbandwechsel zu gebrauchen wären. Es soll also durch die Ver¬ 
bandersatzstoffe nicht ein gänzlicher Ersatz der Baumwollgaze, son¬ 
dern eine Streckung der noch vorhandenen Vorräte ermöglicht 
werden. Zeller- München. 

Inauguraldissertationen. 

Unversität Erlangen. Mai—Juli 1918. 

Roth Konrad: Beitrag zur Pathologie und Therapie des Vulva¬ 
karzinoms. 

Müllhofer August: Beitrag zur Kenntnis der Still sehen Krank¬ 
heit (chronische multiple Gelenkerkrankung mit Lymphdrüsen- 
schwellungen und Milztumor im Kindesalter). 

Buchenscheit Josef: Ueber einen Fall von ungewöhnlicher 
sexueller Hyperästhesie mit nachfolgendem Vaginalkarzinom. 
Kundmüller Karl: Die Basedow sehe Krankheit in Geburts¬ 
hilfe und Gynäkologie. 

Heydolph Friedrich Wilhelm Benedikt: Beitrag zur Lehre vom 
Pylorospasmus im Säuglingsalter. 

Egerer Adam: Ueber experimentelle Lymphozytose und Lympho¬ 
zytosen im allgemeinen. 

Eckert Heinz: Ueber wahre Zwerchfellbrüche. Beschreibung je 
einer Hernia diaphragmatica vera dextra bzw'. sinistra im Tri- 
gonum sterno-costale. 

Universität Jena. Juni 1918. 

Näcke Konstanze: Ueber die Einwirkung der künstlichen Höhen¬ 
sonne auf die Leukozyten. 

Kadysiewicz Leibus: Ueber das Syringom. 

Universität München. Juni 1918. 

Leschopoulo Alexander: Ueber primären und sekundären 
Narkosentod. 

Cie Hing Kurt: Ueber metastatische Ophthalmie bei Appendizitis. 

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Vereins- und Kongressberichte. 

Altonaer ärztlicher Verein. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 24. April 1918. 

Vorsitzender: Herr Schröder. 

Schriftführer: Herr Jenckel. 

Herr Süssenguth berichtet über einen Fall von Perforations¬ 
peritonitis bei Paratyphus-B-Infektion. 

49 jähriger Mann, hat bis zur Krankenhausaufnahme gearbeitet. 
Seit 10 Tagen unbestimmte Influenzabeschwerden und Leibschmerzen. 
Nachts zu Hause Perforation, 16 Stunden später Operation. Facies 
abdominalis, brettharte Bauchdeckenspannung, 39,4° Temperatur, 
guter, voller, etwas beschleunigter Puls, diffuse Bronchitis. Oberer 
Medianschnitt wegen Verdacht auf Magenperforation. Im ganzen 
Bauch reichliche Mengen freien eitrigen Exsudates. Im untersten 
Ileum, ca. 80 cm vor der Klappe, linsengrosse Geschwürsperforation, 
daneben ein zweites, dicht vor der Perforation stehendes Geschwür, 
ausserdem noch 5—6 durch die Serosa durchschimmernde, den 
Peyer sehen Haufen entsprechende Geschwüre. Grosser Milztumor, 
starke Schwellung der Mesenterialdrüsen. Uebernähung der Perfo¬ 
rationsstelle und des suspekten Geschwürs, gründliche Bauchspülung, 
Austrocknung, völliger Nahtverschluss ohne Drainage. Glatter Hei¬ 
lungsverlauf. Im Exsudat und im Stuhl nur Paratyphus-B-Bazillen. 
(Untersuchung Dr. Z e i s s 1 e r.) Es hat sich demnach um einen 
klinisch und anatomisch einwandfreien Fall von Typhus abdominalis 
mit bakteriologischem Befunde von Paratyphus-B-Bazillen gehandelt, 
der zur Perforation eines Darmgeschwürs geführt hat und der durch 
die nach 16 Stunden erfolgte Operation geheilt wurde. 

Herr Lichtwitz demonstriert einen Kranken mit schwerer 
Gicht. 

Grosse, z. T. aufgebrochene Herde in vielen Gelenken, Tophi 
in Muskeln und in der Haut. Die Röntgenogramme zeigen im Muse, 
flexor ulnaris neben Harnsäureherden dichte Schattenbildungen, denen 
sicher Verkalkungen zugrunde liegen. Kurze Erörterung neuerer Auf¬ 
fassungen über das Wesen der Gicht, über das Wesen der Kalkherdc 
und über die sog. Kalkgicht. 

Herr Jenckel bespricht die chirurgischen Behandlungsmethoden 
des Ulcus pepticuni ]e|uni nach der Gastroenterostomie und hebt die 
ungünstigen Resultate aller chirurgischen Eingriffe hervor, die den 
Ulcustumor nicht direkt beseitigen, sondern ihn durch eine neue 
Anastomose bzw. durch die Jejunostomie zu umgehen suchen. Auch 
die einfache Exzision des Geschwürs mit nachfolgender Anastomose 
genügt ihm nicht, da I. bei 3 derartig behandelten Patienten immer 
wieder Rezidive erlebte. So musste er einen jetzt 40 jährigen Mann, 
bei welchem 1910 wegen eines Ulcus pylori perforatum von anderer 
Seite eine vordere Gastroenterostomie angelegt worden war. 4 mal 
wegen Rezidiv eines Ulcus jejuni operieren. Jedesmal trat nach der 
Exzision des Ulcus Nebennähung des Darms, Anastomose resp. neuen 
Gastroenterostomie ein neues Ulcus jeiuni in der Nähe der vorderen 
Gastroenterostomie auf, das gewöhnlich in die vordere Bauchwand 
duichbrach. Zuletzt war dem Mann während seiner Dienstzeit als 
Arbeitssoldat im Sommer 1917 das in die vordere Bauchwand wie¬ 
derum penetrierte Ulcus durch die Haut durchgebrochen und Pat. kam 
mit einer äusseren Darmfistel in das Krankenhaus. Am 28. IX. 17 
fühl te J. nunmehr die Radikaloperation in der Weise aus, dass er 
weit über die Hälfte des Magens mitsamt dem Pylorus und der hier 
gelegenen alten Narbe sowie die Gastroenterostomie mit angrenzen¬ 
den Dün-ndarmteilen in toto entfernte. Das obere Duodenumendc 
wurde blind verschlossen, der abführende Jejunumschenkel schräg 
abgetragen und axial mit dem Testierenden Magenquerschnitt ver¬ 
einigt und dann das untere Duodenalende seitwärts in das Jejunum 
eingepflanzt, so dass eine Y-förmige Gastroenterostomie resultierte. 
Während Pat. früher nach der einfachen Geschwürsexzision inner¬ 
halb kurzer Zeit (2—3 Monate) trotz streng diätetischer und medi¬ 
kamentöser Nachbehandlung in der med. Abteilung des Kranken¬ 
hauses jedesmal sein Jejunalgeschwür wieder bekam, ist er jetzt 
vollkommen frei von Beschwerden und kann alles vertragen, so dass 
J. annimmt, dass jetzt durch die Radikaloperation eine völlige Hei¬ 
lung erzielt worden ist. Für wichtig hält J., dass das erste Ulcus, 
welches zur Gastroenterostomie Veranlassung gab. resp. seine Narbe 
unbedingt bei der Radikaloperation mitentfernt werden, da sonst von 
hier aus immer wieder Spasmen ausgelöst werden, die für das 
Wiederentstehen eines Ulcus von grosser Bedeutung sind. J. stellt 
sich betreffs der Behandlung des peptischen Magen-Duodenum- unü 
Jejunumgeschwürs ganz auf den radikalen Standpunkt V. Ha- 
berers und führt in allen Füllen die Resektion aus, wenn der 
Allgemeinzustand des Patienten den grossen Eingriff gestattet. Auf 
diese Weis6 erzielt man die besten Dauerresultate und tritt am wirk¬ 
samsten dem Entstehen des postoperativen Ulcus jejuni entgegen. 

Diskussion: Herr Licht w i t z: Eine voll befriedigende 
Erklärung für das Zustandekommen des Magengeschwürs gibt es noch 
nicht. Das häufige Befaliensein der Gegend beiderseits des Pylorus, 
der Zone des Reaktionswechsels, spricht dafür, dass«neben den mecha¬ 
nischen Verhältnissen der Reaktion mindestens eine unterstützende 
Rolle zukommt. Dass indes der Superazidität keine entscheidende 
Bedeutung gebührt, ist anerkannt. In neuerer Zei-t sind sogar be- 

ungmai Trom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 33. 


ki üiKletc Zweifel laut geworden (Bold y reff, Stüber), dass das 
Ulcus ventriculi ein Ulcus pepticum sei, und es ist die Meinung auf¬ 
getaucht, die theoretische Begründung und experimentelle Befunde 
aufzuweisen hat, dass das Ulcus ventriculi ein Ulcus trypticum sein 
könne. Mit Rücksicht auf die Untersuchungen von Boldyreff, der 
einen physiologischen, der Regulierung der Azidität des Mageninhalts 
dienenden Rückfluss von Duodenalinhalt in den Magen nachwies, und 
in Anbetracht der vorsichtig erfolgenden Entleerung von Mageninhalt 
in das Duodenum, Vorgänge, die einem brüsken Reaktionswechsel 
entgegenarbeiten, erscheint bei dem Ulcus jejuni, bei dem diese Vor¬ 
gänge fehlen, seine relative Seltenheit am merkwürdigsten. Es muss 
bei den zu Ulcus jejuni neigenden Menschen eine besondere Disposi¬ 
tion bestehen, die vielleicht, entsprechend älteren experimentellen 
Arbeiten von Ebstein und Talma über Ulcus ventriculi nach 
Vagusdurchschneidung, in trophischen Vorgängen liegen könnte. Mit 
Rücksicht auf die Bedeutung des Trypsins erscheinen Operations¬ 
methoden, die den Duodenalinhalt durch den Magen leiten, nicht aus¬ 
sichtsreich. Am besten vermeidbar wird das Ulcus jejuni sein, wenn 
man sich entweder auf eine einfache Gastroenterostomie beschränkt, 
die das Spiel des Pylorus nicht völlig ausschaltet, allerdings die 
Gefahr eine Rezidive des Ulcus paraphyloricum in Kauf nimmt. Oder 
wenn man, wie Herr J e n c k e 1 es getan hat. den Pylorusteil reseziert 
und eine möglichst breite Kommunikation schafft. Diese Methode 
bietet nicht nur gute mechanische Verhältnisse (Vermeidung einer 
engen Stelle), sondern auch gute sekretorische. Die Magenverdauung 
wird sehr kurz, die Salzsäurebildung also gering sein. Hierdurch und 
durch das Fehlen des Pylorusteils (Sekretin!) wird auch die Pankreas- 
sekietion vermutlich nicht zu stürmisch verlaufen. 


Medizinische Gesellschaft zu Chemnitz. 

(Offizielles Protokoll.) 

S i t z u n g v o m 17. A p r i 1 1918. 
Vorsitzender: Herr N a u w c r c k. 
Schriftführer: Herr Schuster. 


Herr Rolfs stellt einen Fall von fast totaler Muskelverknöche¬ 
rung (Myositis osslficans) vor. 

Herr Reichel: Ucber akuten inneren Darm Verschluss. 

Mitteilung eines Falles von Darmeinklemmung in einem retro- 
peritonealen Bruchsack der vorderen Bauchwand. 

Vortr. bespricht an der Hand eigenen Materials und unter Mit¬ 
teilung einiger Krankengeschichten das anatomische und klinische 
Bild des akuten inneren Darmverschlusses In den Jahren 1914, 15, 
16 u. 17 beobachtete er 39 Fälle, von denen 20 geheilt wurden. 
19 starben. Dieselben verteilen sich folgendermassen: 



Diese Sterblichkeit ist, obwohl geringer wie früher, noch viel 
zu hoch. Sie erklärt sich nur dadurch, dass sehr viele dieser Fälle 
erst in einem desolaten Zustande, nachdem cs bereits zur Gangrän 
des Darmes oder zur Peritonitis gekommen war, in dem Kranken¬ 
haus eintrafen. Eine Besserung der Resultate ist nur von frühzeitiger 
Operation zu erwarten, wie dies auch die Fälle des Vortragenden be¬ 
weisen, hängt demnach ab von der früh gestellten Diagnose. Dies 
gab dem Vortragenden den Anlass zur Besprechung dieses Themas. 
Er entwickelt, wie die mechanischen Verhältnisse, welche zum Darm* 
Verschluss führen, notwendigerweise zu ganz bestimmten, regel¬ 
mässig wiederkehrenden anatomischen Veränderungen des Darmes 
führen müssen, und wie diesen anatomischen Verhältnissen ein typi¬ 
sches klinisches Krankheitsbild entspricht. Er schildert das verschie¬ 
dene Bild der Darmobturation und der Darmstrangulation, wie der 
häufigen, von W i 1 m s zu einer dritten Gruppe zusammengefassten 
Fälle, in welchen die Strangulation erst aus der Obturation hervor- 
geht, der sog. Strangobturation. 

Von den mitgeteilten Krankengeschichten verdient eine wegen 
der Seltenheit des Befundes besondere Erwähnung: 

Es handelte sich um einen 55 jährigen Mann, der früher stets 
gesund gewesen sein wollte und seit 4 Wochen mit Brechdurchfall 
und wiederholten mehrstündigen Koliken erkrankt war; seit 6 Tagen 
bestanden neue Kolikschmerzen, fehlten Stuhl und Winde. Die 
Operation ergab die Einklemmung eines Dünndarmkonvolutes in 
einem Bruchsack an der vorderen Bauchwand rechts von der Blase. 
Der Bruchsack lag zwischen Bauchfell und der Muskulatur der vor¬ 
deren Bauchwand, hatte mit den gewöhnlichen Bruchpforten nichts 
zu tun Der eingeklemmte Darm liess sich nach Durchtrennung des 
scharfen einschnürenden Bruchsackringes leicht vorziehen; er musste 
wegen Gangrän des Schniirringes reseziert werden. Die Heilung er- 



Herr Schuster: 1. Ueber posttyphöse Neuritis. 

Die direkte Einwirkung von Typhustoxinen bedingt eine Aende- 
rung des Baues und eine Funktionsstörung der peripheren Nerven. 
Charakteristisch sind Reizungs- und Lähmungserscheinungen der peri¬ 
pheren Neurone, die in der Regel während der Rekonvaleszenz, 
seltener auf der Höhe der Krankheit auftreten. Die Reizsymptome 
äussern sich in Muskelkontraktionen, neuralgiformen Schmerzen. 
Hyperästhesien und Hvperalgesien, die Lähmungssymptome in Para¬ 
lysen, Hypotonien, Atomen und Muskelatrophien, die regelmässig 
mit Entartungsreaktionen einhergehen. Die Gefühlsqualitäten sind ge¬ 
wöhnlich gleichzeitig gestört. Eine Steigerung der Reflexe ist selten; 
Absclnvächung und Aufhebung derselben bildet die Regel. 

Bei einem kürzlich im Krankenhause behandelten 12 Jahr. Schul¬ 
mädchen wurde auf Grund des klinischen und bakteriologischen Be¬ 
fundes die Diagnose Typhus abdominalis gestellt. Die Rekonvales¬ 
zenz zog sich infolge einer Debilitas cordis und Otitis media in die 
Länge. Mitte der 8. Krankheitswoche traten ziehende Schmerzen 
im linken Unterschenkel auf, dessen Muskeln sich teigig anfühlten 
und fibrilläre Zuckungen zeigten. 3 Tage später stellte sich plötzlich 
eine linkseitige Peronäusparese mit inkompletter Entartungsreaktion 
ein. Der Patellarretlex lin'ks war aufgehoben. Sensibilitätsstörungen 
Hessen sich nicht nach weisen. Trotz diätetisch-physikalischer Be¬ 
handlung liess sich zunächst eine Aenderung nicht verzeichnen. Eine 
Besserung trat erst auf 3 Einspritzungen von Typhusimpfstoff in der 
Gesamtmenge von 2,5 ccm in der 18. Krankheitswoche ein. 3 Wochen 
später konnte die Kranke geheilt entlassen werden. 

Die erste Forderung bei der Behandlung der posttyphösen Neu¬ 
ritis ist vollkommene Bettruhe. Im Aknestadium sind diätetisch¬ 
physikalische und medikamentöse Mittel, besonders Diaphoretika und 
Diuretika, angezeigt. Im Regenerationsstadium empfiehlt sich aktive 
und passive Gymnastik, vorsichtige Massage und Elektrotherapie. 
Eine günstige Beeinflussung der Erkrankung ist durch Einverleibung 
nichtspezifischer Bakterienprodukte zu erwarten, die von Döllken 
durch Injektionen von Vakzineurin empfohlen w ird. Der günstige Er¬ 
folg bei dem obenerwähnten Falle lässt sich mit Wahrscheinlichkeit 
auf die antitoxischen Eigenschaften des spezifisch wirkenden Typhus¬ 
impfstoffes zurückführen. 

2. Ueber multiple Neurofibromatosis. (Mit Krankenvorstellung.) 

Im Gegensatz zu den echten Neoplasmen der Nervenfasern 
nehmen die falschen Neurome ihren Ausgang von dem Peri- und 
Endoneurium, die vielfach als multiple Knoten in Längsreihen den 
Aesten eines Nervengebietes von verschiedener Grösse aufsitzen. 
Nervöse Beschwerden können fehlen oder in Form von Reissen, er¬ 
höhten Berührungsempfindungen und spontanen Schmerzen auftreten. 
Bei Kompression des Zentralnervensystems durch intrakraniell oder 
intravertebral gelegene Tumoren und bei maligner Degeneration ist 
die Prognose infaust. Die Therapie ist eine symptomatische oder 
chirurgische; die Indikation-sstellung zur operativen Geschwulstent- 
fernuiig kann eine kosmetische zwecks Exstirpation solitärer Tu¬ 
moren oder eine funktionell nervöse zur Behebung nervöser Sym¬ 
ptome sein. 

Ein klinisches Interesse bietet der Befund eines 41 jährigen 
Heizers, der Anfang Februar 1901 beim Kesselausheben mit Leib¬ 
schmerzen erkrankte. April desselben Jahres unterzog er sich einer 
Laparotomie wegen eines bis zum Nabel reichenden und extra¬ 
peritoneal gelegenen Tumors, der sich w r egen Verwachsung mit der 
Harnblase nicht exstirpieren liess. Die Leibschmerzen hielten an. 
Seit 4 Jahren besteht eine sexuelle Impotenz. Anfang März 1917 
hatte er 4 Wochen lang blutig schleimige Durchfälle; vor */« Jahren 
bildeten sich an den Armen und Beinen, vor Vs Jahre am Halse, 
Rücken und an der Brust Knoten. Seit Anfang Februar 1918 hat er 
wieder mit kurzen Unterbrechungen häufige blutige Stühle. Nerven- 
und Geschwulstkrankheiten sind ihm in der Familie nicht bekannt. 

Die Untersuchung ergibt bei dem kräftig gebauten und gut ge¬ 
nährten Manne je eine w'alnussgrosse. weiche Geschwulst am rechten 
Hinterhaupte und unter dem linken Schulterblatte mit perlschnurartig 
angeordneten Strängen im Innern. Die der Palpation zugängigen 
Arm- und Beinnerven, sowie die Samenstränge sind knollig verdickt. 
Am Rumpfe, an den Extremitäten- und im Gesichte sind zahlreiche 
kutane und subkutane, spindelförmige und runde Knoten bis Pflaumen, 
grosse festzustellen. Ein Teil derselben ist auf Druck schmerzhaft. 

In der Mittellinie des Leibes ist eine etwa 24 cm lange, auffallend 
braunpigmentierte Operationsnarbe sichtbar. Grössere, ähnlich ge¬ 
färbte Hautstellen finden sich am Rumpfe und den Extremitäten. 
Unter den Bauchdecken lässt sich eine vom Schambein bis 2 Quer¬ 
finger breit unterhalb des Schwertfortsatzes reichende, derbe, druck¬ 
unempfindliche, verschiebliche Geschwulst abtasten. Blasen- und 
Sensibilitätsstörungen fehlen. Der Blutwassermann und die Eiweiss- , 
proben des Harns sind negativ. Der Stuhl ist durchfällig und blutig¬ 
schleimig. 

Die klinische Diagnose multiple Neurofibromatosis fand in diesem 
Falle durch eine im pathologischen Institut vorgenommene histn- j 
logische Untersuchung eines exzidierten Hauttumors des Ober¬ 
schenkels ihre Bestätigung. Ohne Zw'eifel stehen die Haut- 
pigmentationen, über die bereits eine Reihe von Beobachturrgen. wie 1 
von P. Marie, Bernard und Bruns vorliegen, mit der Erkran- j 
kuiig in Zusammenhang. Bemerkenswert ist die allmähliche Ent¬ 
wickelung der zahlreichen Neoplasmen in der Kutis, Im subkutanen 
Bindegewebe und an den grossen Nerven-stämmen im Anschluss an 
Original from 

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13. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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einen bereits 1901 entstandenen und * jetzt kindskopfgrosscn Ab¬ 
dominaltumor, der nach dem Verlauf der Erkrankung und dem ob¬ 
jektiven Befunde zu schliessen. ebenso wie die multiplen Neubildungen 
benigner Natur ist und als Neurom offenbar von den Bauch- und 
Beckengeflechten des Nervus sympathicus seinen Ausgang nahm. 
Für das Befalleiisein des vegetativen Nervensystems spricht ausser¬ 
dem das Auftreten von Tumoren in den Samensträngen und wahr¬ 
scheinlich auch die Funktionsstörung des Darmtraktus. 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren N a u w e r c k 
und R u p p. 


Aerztlicher Verein In Frankfurt a. M. 

(Offizielles Protokoll.) 

1754. Sitzung vom Montag den 6. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr V o h s e n. 

Schriftführer: Herr Seckbach. 

Herr Fischer: Pathologisch-anatomische Demonstrationen. 

1. Embolische Nephritis bei thrombotischer Endokarditis bei 

7 jährigem Mädchen. 

2. Kindskopfgrosser multilokularer Echinokokkus der Leber in 
zentralem Zerfall bei einem russischen Kriegsgefangenen. 

Herr V ohsen: Auskultation der Nasenatmung, eine neue Unter- 
suchungsmethode. 

Die akustischen Zeichen der Luftströmung durch die obersten 
Luftwege, Nasenrachen, Nase und Mundhöhle sind klinisch so gut wie 
gar nicht beachtet. Politzer hat ein zweckmässiges Verfahren 
angegeben, um eine Trommeliellperforation festzustellen: Bei Luft¬ 
verdichtung im äusseren üehörgang entweicht die Luft mit einem 
Geräusch, das durch Einführung eines Otoskops in den Naseneingang 
leicht gehört wird. Nach meinen Erfahrungen tritt das Geräusch 
m vielen Fällen erst auf, wenn der Patient eine Schluckbewegung 
ausführt. — M i n k hat 1906 empfohlen, die Kieferhöhle durch ein Oto- 
skop zu auskultieren, dessen eines Ende mit einem Ohrtrichter ver¬ 
sehen, auf die Gegend der Fossa canina aufgedrückt werden soll. 
Die Geräusche, die er so gehört haben will, können nur durch die 
Weite des Trichters bedingte, von der Nasenhöhle her fortgeleitete 
Rasselgeräusche gewesen sein, denn an der genannten Stelle sind 
auskultatorische Geräusche Picht hörbar. 

Die Auskultation macht die Geräusche wahrnehmbar, die bei 
Ein- und Ausatmung in den obersten Luftwegen entstehen, vermöge 
der Knochenleitung des Schädels bei Selbstbeobachtung wahr- 
genoinmen werden und die wir darum beim Lauschen durch un¬ 
willkürliches Einstellen des Atmens durch die Nase ausschalten. 

Die Auskultation der Luftströmung durch die Nase muss so ge¬ 
schehen, dass der Luftweg unberührt bleibt. Das Otoskop mit 
Metallansatz ohne Olive wird vor die Nasenöffnung gehalten, ohne 
dass eine allzu dichte Annäherung nötig wäre. Durch die Luftwirbel 
werden sehr starke Geräusche hervorgerufen, die am distalen Ende 
und proximalen Ende des Otoskops entstehen. Bekannt isjt die 
Stärke des Anblasegeräusches des üehörgangs, die jede andere üe- 
höhrsw ahrnehmung auszulösen imstande ist. Sie entsteht im vor¬ 
liegenden Fall sowohl bei positivem wie negativem Druck, indem 
bei letzterem der negative Druck im Gehörgang die Luft nötigt, an 
dem Rande der Olive des Otoskops in den Gehörgang einzuströmen, 
was sich bei stärkerem negativem Druck als Kältegefühl im Gehör¬ 
gang bemerkbar macht. — Zweckmässig wird, normales Gehör des 
Untersuchers vorausgesetzt, binaural auskultiert. 

Selbst die normale oberflächliche Atmung ruft deutliches Ein¬ 
strömegeräusch bei der Ausatmung und ein schwaches Geräusch bei 
der Einatmung hervor. Deutlich unterscheidbar ist die verschiedene 
Stärke je nach der Durchgängigkeit der betreffenden Nasenseite. 
Mit Leichtigkeit lassen sich die beiden Nasenseiten getrennt beob¬ 
achten und vergleichen. Bei gewohnheitsmässig offenstehendem 
Munde werden Mund- und Nasenatmung zugleich oder getrennt ge¬ 
prüft, wobei ein über die Oberlippe gehaltenes Stück Pappdeckel 
leicht gestattet, fortgeleitete Geräusche, die, von der Nase stam¬ 
mend, Mundatmung Vortäuschen könnten, auszuschliessen. Die 
Untersuchung ergibt hier zumeist, dass die sogen. Mundatmer auch 
Nascnatrner sind, nicht einmal vorwiegend Mundatmer. Nur totale 
Synechien der Nase oder Geschwülste heben die Nasenatmung ganz 
auf. Der durch Kiefermissbildungen bedingte offene Mund zeigt 
häufig überhaupt keine Mundatmung, wo sie dem Anblick nach mit 
Bestimmtheit angenommen wird. Wichtig ist die bei Kindern be¬ 
sonders leicht durchzuführende Untersuchung im Schlaf, die ohne 
jede Störung auszuführen ist, wenn man nur vorher das Metall- 
ende des Otoskops etwas erwärmt. Von grossem Vorteil ist die 
Untersuchung bei Säuglingen, bei denen eine visuelle Untersuchung 
der Nase unmöglich ist. Die oberflächliche abdominelle Atmung des 
Säuglings ist deutlich hörbar und gestattet dem Arzt die schonendste 
Beobachtung. Die nach meiner Erfahrung oft jahrzehntelang un- 
diagnostizierte kongenitale Synechie der Choane kann der Auf¬ 
merksamkeit nicht mehr entgehen. 

Während alle aus den tieferen Luit w'egen stammen¬ 
den Geräusche bei Auskultation der Nasenatmung verdeckt oder 
Hart abgeschwächt werden, so dass z. B. in der Luftröhre hervor- 
geräeoe Stimmgabeltöpc^nur bei silierender Atmung durch die 
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Nase oder bei ganz leichter Ausatmung wahrgenommen werden 
können, werden sie bei Auskultation in der offenen Mundhöhle 
oft noch gehört, wenn sie bei der gebräuchlichen Auskultations¬ 
methode nicht gehört werden können. Bei tiefer Atmung durch den 
Mund und Einführung des Otoskops werden pfeifende und ganz 
feinblasige, knisternde Rasselgeräusche bei Stauungskatarrhen ge¬ 
hört, die mit dem Stethoskop verschwunden scheinen, während 
Klagen des Kranken noch auf sie hindeuten. Auch dem systolischen 
Vesikuläratmen entsprechende pulsatorische Respirationserschei¬ 
nungen können bei ruhiger Atmung durch Nasenauskultation gehört 
werden. 

Das von mir beschriebene Symptom der verlegten Nebenhöhlen- 
ostien, das auf dem Ausgleich des Luftdrucks zwischen Nasen- und 
Nebenhöhle nach vorheriger künstlicher Luftverdünnung oder -Ver¬ 
dichtung in der Nasenhöhle beruht und in lauten krachenden oder 
ziehenden Geräuschen besteht, kann durch das Otoskop auf eine be¬ 
stimmte Seite lokalisiert werden. 

Die Auskultation der in der Nase entstehenden Atmungs¬ 
geräusche führt zu nicht uninteressanten Ergebnissen: Der durch 
Versuche uns bekannte Weg der Atmungsluft durch die Nase entlang 
dem Nasenrücken durch den mittleren Nasengang ist durch die ent¬ 
stehenden Geräusche deutlich zu verfolgen. Am stärksten ist das 
Einatmungsgeräusch entlang dem seitlichen Nasenrücken; es erlischt 
über dem Nasenbein und ist w ieder auffindbar beim Andrücken des 
Otoskops aui die dem vorderen Ende des mittleren Nasenganges 
entsprechende Gegend der inneren unteren Orbitalwand. Je nach 
den Anomalien des Septums und des mittleren Nasengangs ändert 
sich oder verschwindet das Auskultationsgeräusch. Ueber den 
Nebenhöhlen entstehen keine Geräusche. In einem Fall von radi¬ 
kaler Stirnhöhlenoperation aber konnte ich durch das Atemgeräusch 
deutlich nachweisen, dass ein Hohlraum in den Weichteilen des 
inneren oberen Augenhöhlenwinkels geblieben war. 

Zur Untersuchung verwendet man in jedem Fall die normale 
und die verstärkte Atmung, deren Ergebnisse sich ergänzen. 

Empfehlenswert ist die Methode weiter für linguistische, didak¬ 
tische und sprachübliche Zwecke. Die charakeristischen Geräusche 
der nasalen Mitlauter und die Resonanz der einzelnen Nasenscite ist 
gut zu beobachten und kann durch Selbstbeobachtung sehr lehrreich 
werden. Ich empfehle Ihnen, die Methode an sich selbst zu üben, 
wobei zu beachten ist, dass bei akustischen Selbstbeobachtungen die 
eigene Kopfknochenleitung Ihnen manches zu hören gestattet, was 
der andere nicht oder anders hört. Sie werden bald die Feinheit der 
Methode und die Bereicherung unseres Methodenschatzes erkennen 
lernen, die auch dem Nichtfacharzt in einfacher Art wertvolle 
Schlüsse zu ziehen gestattet. 

Herr Kolle: Experimentelles über Kriegswundbrand mit De¬ 
monstrationen. 


Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 13. März 1918. 

Vorsitzender: Herr Scharfe. 

Schriftführer: Herr Fielitz. 

Herr Stieda (zurzeit Halle, sonst im Felde als beratender 
Chirurg) stellt einen von ihm vor 2 l A Jahren (Oktober 1915) in einem 
Feldlazarett des Westens operierten Fall von Brustbauchschuss vor. 
Es handelte sich um einen damals 27 jährigen Ersatzreservisten, der 
mit einem offenen Pneumothorax 1 i n'k e r s e i t s eingelie¬ 
fert wurde. Aus'der in der hinteren Axillarlinie in Höhe der 8. Rippe 
gelegenen Wunde am Thorax hing ein Stück Netz heraus. Bei der 
sofort vorgenommenen Operation zeigte sich ein ca. 14 cm langer Riss 
im Zwerchfell, durch den das Netz in die Pleura und weiter durch die 
Thoraxwunde nach aussen prolabiert war. Reichliche Entleerung von 
Biut aus der Pleura. Wegen plötzlicher schwerster Asphyxie direkte 
Herzmassage. Rückkehr von Atmung und Puls. Darauf Fortsetzung 
der Operation, die in Exstirpation der zerschossenen 
Milz und fortlaufender tiefgreifender einreihiger Zwerchfell¬ 
naht, sow'ie in vollständigem Verschluss des Thorax be¬ 
stand. Wegen Zersplitterung der 8. Rippe wird 7. und 9. Rippe durch 
tiefgreifende Nähte einander genähert. Lunge war unverletzt. 

Der Verwundete überstand den Eingriff gut; höchste Temperatur 
37,7 am 2. Tage nach der Operation. Er konnte geheilt aus dem 
Feldlazarett entlassen werden. Im Kriegslazarett wurde 6 Wochen 
nach der Verletzung röntgenoskopisch festgestellt, dass kein Zwerch¬ 
fellbruch bestand. Auch heute nach 2Vi Jahren hat die Röntgenunter¬ 
suchung in der chirurgischen Klinik durch Herrn Kollegen Goetze 
ergeben, dass die inspiratorische Entfaltung der linken Lunge keine 
Behinderung erlitten hat, und dass keine Hernia diaphrag- 
inatica vorliegt. Die Zwerchfellnaht hat also festgehalten; die 
Narbe hat sich nicht gedehnt. An der Stelle der entfernten Rippe be¬ 
steht aussen eine Hervorw’ölbung. Der Verwundete ist wieder für 
„g. v.“ erklärt worden. Er verrichtete inzwischen zeitweise auch 
landwirtschaftliche Arbeiten. 

Der Fall ist ein Beispiel für die beim offenen Pneumo¬ 
thorax als bestes Verfahren anzusehende primäre Naht der 
T h o r a x wund e, wie sie vorn Vortragenden schon seit Beginn des 
Krieses seübt wurde. 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



918 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nt. 33. 


Herr Geiss: Wohnungsfrage und Kriegerheimstätten. 

Durch Entwicklung der Industrie und Anwachsen der grossen 
Städte wuchs auch in Deutschland die Bedeutung der Wohnungsfrage. 
Ihren Zusammenhang mit der Säuglingssterblichkeit, Geburtenrück¬ 
gang und Volkskrankheiten (Tuberkulose) zu erkennen, ist vor allem 
wichtig für den Arzt. Der grosse Unterschied des Prozentsatzes 
an Militärtauglichen zwischen Stadt und Land zeigt uns den Weg 
für eine gesunde Fortentwicklung des Staates. Die Wohnungsfrage 
ist nach Ansicht der Bodenreformer in erster Linie eine Bodenfrage. 
Spekulation, verkehrte Bauordnungen, übertriebene baupolizeiliche 
Vorschriften verteuern den Boden und damit das Bauen; eine weit¬ 
schauende Bodenpolitik der Gemeinde und des Staates, eine ver¬ 
nünftige Zonenbauordnung und weitgehendste Herabsetzung der bau¬ 
polizeilichen Vorschriften schaffen billiges Bauland. Da der Boden 
ein Naturschatz, ein nicht beliebig Vermehrbares ist und sein Wert 
nur durch die Arbeit der Gesamtheit gesteigert werden kann, will 
dieser der Bodenreformer wenigstens einen Teil desselben zurück¬ 
geben. Dies geschieht durch die Wertzuwachssteuer. Durch die 
Steuer nach dem gemeinen oder Verkaufswert wird weiter die un¬ 
gesunde Bodenspekulation bekämpft. Vorwiegend der Grossgrund¬ 
besitzer schafft unsoziale und ungünstige Verhältnisse. Der klein¬ 
bäuerliche und -gesunde Landarbeiterstand produziert die meisten 
Menschen. Sie sind aber durch die grossen Verluste des jetzigen 
Krieges doppelt notwendig. Durch Gesetze über die Ansiedlung und 
Rentengutbildung hat der Staat schon im Frieden versucht abzu- 
helfen. Neben der staatssichernden Ostmarkenpolitik ist augenblick¬ 
lich die innere Kolonisation die wichtigste innerpolitische Frage. Zu 
ihrer Förderung sind die Siedlungsgesellschaften gegründet; in der 
Provinz Sachsenland. Der Ansiedler zahlt nur 10 Proz. des Wertes, 
90 Proz. erhält er in Form von 4 proz. Rentenbriefen, Vs Proz. des 
Gesamtwertes verzinst er als unkündbare Amortisationshypothek, 
so dass in 5SVs Jahren das Rentengut sein Eigentum wird. Es ist 
unkündbar, während er selbst jederzeit zuriiektreten kann. Angesetzt 
können werden — in rein bäuerlicher Gegend — bäuerliche und 
halbbäuerliche Stellen von 4—60 Morgen, Gärtnerstellen von Ws bis 
4 Morgen und Vs Morgen grosse Arbeiterstellen, letztere besonders 
in Nähe grosser Städte oder Industrien, die möglichst dezentralisiert 
werden sollten. Einen neuen Antrieb bekam die Ansiedlungsfrage 
durch die Kriegsbeschädigtenfürsorge. Als Grundsatz gilt, möglichst 
jeden vom Lande Stammenden demselben auch zu erhalten. Land¬ 
wirts- und Gärtnerssöhne, sowie landwirtschaftliche Arbeiter, auch 
Handwerker sind anzusiedeln. Die Frau soll möglichst vom Lande 
stammen, denn die Siedlungsfrage ist in erster Linie eine Frauen¬ 
frage. Etw-as Barmittel sind nötig. Hier hilft das Kapitalabfindungs- 
gesetz vom 3. Juli 1916. Es besagt in § 1, dass Personen des Sol¬ 
datenstandes, denen auf Grund des Mannschaftsversorgungs- und 
Militärhinterbliebenengesetzes infolge einer Kriegsdienstbeschädigung 
ein Versorgungsanspruch zusteht, ein Teil desselben zum Erwerb oder 
wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes als einmalige Ab¬ 
findung kapitalisiert werden kann. Kapitalisiert können die Kriegs¬ 
zulage und Verstümmelungszulage werden, und zwar vom 21. bis 
55. Lebensjahre, in ersterem Fall in 18V1\ itr letzterem in 8 V4 facher 
Höhe, ferner auch Teilbezüge der Witwenrente. Die Gewährung ist 
abhängig von einem militärärztlichen Zeugnis, das sich darüber aus¬ 
spricht, dass das Versorgungsleiden ein dauerndes ist. Zum Erwerb 
eigenen Besitzes setzt sich der Rentenempfänger zweckmässig mit 
einer Siedlungsgesellschaft in Verbindung. Für die Halbmorgen¬ 
stellen genügt ein Häuschen von etwa 60 qm Grundfläche, in wel¬ 
chem praktisch neben der eigentlichen Wohnung auch gleich das 
Wirtschaftsgebäude — Schuppen, Schweine-, Ziegen- und Geflügel¬ 
stall — untergebracht ist. Die Wohnung soll bestehen aus einer 
Wohnküche, die als geeignetste Form allgemein anerkannt ist, von 
etwa 18 qm, eine Kammer von 15—20 qm und 2 Kammern von je 
10 qm. Der Boden kann ausgebaut werden, zunächst zur Vermietung, 
dann für die erwachsenen Kinder und schliesslich für die altgewor¬ 
denen Ansiedler als Altenteil; das Wohngebäude soll einfach gehalten 
sein und etwa Ve des Ganzen einnehmen. Kanalisation ist nicht an¬ 
gebracht wegen Gewinnung der Fäkalien als Düngemittel. Gutes 
Brunnenwasser ist erforderlich. — Im Frieden mussten jährlich 
ca. 300—400 000 Kleinwohnungen gebaut werden, um der Wohnungs¬ 
not einigermassen zu steuern. Die Bautätigkeit hierfür hat während 
des Krieges so gut wie ganz geruht. Der Bedarf ist infolgedessen 
nach demselben ein ungeheurer. Wir können ihn dann nur befriedi¬ 
gen, w j enn ein guter Friede hiezu uns die Mittel freigibt und für 
den Gedanken der inneren Kolonisation immer mehr Verständnis 
in den weitesten Kreisen gewannen- wird. 


Herr Adolf Schmidt: Nacht und Schlaf bei Krankheiten. 

Vortragender erörtert zunächst die Wechselbeziehungen zwi¬ 
schen zerebrospinalem und viszeralem Nervensystem, um dann auf 
die im physiologischen Schlaf an beiden Systemen beobachteten Er¬ 
scheinungen einzugehen, auf die Verschiedenheiten des Tages- und 
Nachtschlafes und die Begleitmomente des Schlafens (Körperruhe 
und Ausschaltung der Sinnesorgane). 


Sodann bespricht er diejenigen Veränderungen im Symptomen- 
komplex verschiedener Krankheiten, welche durch den Schlaf ver¬ 
anlasst werden. Im Bereiche des zerebrospinalen Systems sind diese 
teils rein mechanisch zu erklären;- teils beruhen sie auf Herabsetzung 
resp. Aufhebung der Erregbarkeit der höchsten Nervenzentren, teils 

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treten sie stärker hervor, weil sie am Tage durch Ablenkung der 
Aufmerksamkeit oder höhere Erregungen übertönt resp. überlagert 
werden. Auch Ausfallserscheinungen, die infolge Lockerung der Be¬ 
ziehungen zwischen Bewusstsein und körperlichen Funktionen auf- 
treten (Hysterie) verschwänden im Schlaf. 

Das viszerale System erfährt im Schlaf eine gewisse Loslösung 
von den Einflüssen des zerebrospinalen Systems, welche es im 
wachen Zustande beherrschen. Infolgedessen treten vielfach die 
krankhaften Symptome im Bereich dieses Apparates stärker hervor, 
wie an einer Reihe von Beispielen gezeigt wird. Andererseits 
kommen aber doch auch hier Herabsetzungen von Erregungszustän¬ 
den gelegentlich vor. 

Zusammenfassend wird gezeigt, dass die Nachtbeobachtung 
unter Umständen diagnostische Fingerzeige geben kann, dass aller¬ 
dings die individuellen Verhältnisse vielfath Verschiedenheiten be¬ 
dingen, so dass allgemeine Regeln schwer aufzustellen sind. 

Besprechung: Herr Anton. 

Herr Winternitz: Ich möchte nur kurz an eine Bemerkung 
des Herrn Vortr. anknüpfen, die den Unterschied zwischen Tag- und 
Nachtschlaf betont und mir Gelegenheit gibt, auf eigene frühere Be¬ 
obachtungen zurückzukommen, die ich später noch erweitern und 
ergänzen konnte. Löwy hat seinerzeit Versuche mitgeteilt, aus 
denen hervorging, dass im natürlichen und künstlichen Schlaf die 
Ateinleistung verringert ist, ohne dass die Erregbarkeit des Atem¬ 
zentrums herabgesetzt wird. Ich habe dann in Versuchen bei dem 
durch Veronal und anderen Schlafmitteln hervorgerufenen Schlaf, fer¬ 
ner aber auch im natürlichen Schlafzustand eine beträchtliche Herab¬ 
setzung der Erregbarkeit des Atemzentrums festgestellt. Bei der 
Prüfung der Frage, w'oher sich der Unterschied zwischen dieser Be¬ 
obachtung und dem Ergebnis der Versuche von Löwy erklärt, 
zeigte sich, dass L. seine Versuche bei Tag angestellt hatte, während 
meine Versuche nachts vorgenommen waren. L. nahm an, dass 
die Verminderung der Atemleistung lediglich durch Fortfall sen¬ 
sibler, sensorischer und psychischer Reize zustande komme, während 
meine Versuche ausser Zweifel stellen, dass neben diesen Faktoren 
auch die Herabsetzung der Erregbarkeit des Atemzentrums eine Rolle 
spielt. Während ich früher angegeben habe, dass in dieser Hinsicht 
kein nennenswerter Unterschied zwischen natürlichem und künst¬ 
lichem Schlaf besteht, muss ich auf Grund fortgesetzter Beobach¬ 
tungen doch betonen, dass ein Unterschied in dem Sinne vorhanden 
ist, dass im künstlichen Schlaf die Herabsetzung sich noch stärker 
ausprägt. Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass die 
Ermüdungsstoffe, die in der Regel den Nachtschlaf erzwingen, oder 
an seinem Zustandekommen beteiligt sind, möglicherweise ver¬ 
schieden aut das Grosshirn und auf das sympathische Nervensystem 
ein wirken werden, wie wir das auch von anderen Mitteln her kennen, 
worauf ja der Herr Vortragende Bezug genommen hat. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 30. Mai 1918. 

Herr Höher: Ueber die Ursachen der verminderten Sus¬ 
pensionsstabilität der Blutkörperchen während der Schwangerschaft. 
(Nach Untersuchungen von Fahiiaeus.) 

Fahraeus hat beobachtet, dass sich in der Schwangerschaft 
die Blutkörperchen viel rascher im Plasma absetzen als sonst, und 
dass diese grössere Sedimentierungsgeschwindigkeit auf Agglutination 
der Zellen zurückzuführen ist. Die Natur dieser Erscheinung wurde 
im Laboratorium des Vortragenden aufzuklären versucht. Es zeigte 
sich, dass die Gravidenblutkörperchen, wenn sie in isotonischen 
Lösungen von Kochsalz, Rohrzucker oder Mannit gewaschen sind, in 
diesen selben Lösungen suspendiert zunächst auch noch rascher 
sedimentieren, wenn auch der Unterschied gegen die Normalblut¬ 
körperchen nicht mehr so gross ist, wie im Plasma; nach einiger Zeit 
verschwindet der Unterschied aber ganz. Die ursprüngliche Differenz 
in der Stabilität der Suspensionen beruht auf einer gegen die Norm 
herabgesetzten negativen Ladung der Gravidenblutkörperchen. 
Qualitativ wird dies durch die Beobachtung erwiesen, dass, wenn 
Gravidenblutkörperchen und Normalblutkörperchen nebeneinander in 
ein Potentialgefälle gebracht und unter dem Mikroskop beobachtet 
werden, die Normalblutkörperchen sich rascher bewegen, als die 
Gravidenblutkörperchen. Quantitativ kann der Unterschied in der 
Ladung durch die Konzentrationen von mehrwertigen Kationen, z. B. 
von Lanthanionen gemessen werden, welche eben tiinreichen, um 
den Blutkörperchen statt der negativen eine positive Ladung zu 
erteilen. Die Differenz der Ladungen rührt von Differenzen des 
Plasmas her. das Plasma setzt in der Gravidität die Ladung der Blut¬ 
körperchen herab. Das wird durch Versuche bewiesen, in welchen 
Gravidenblutkörperchen in Normalplasma und umgekehrt Normal¬ 
blutkörperchen in Gravidenplasma übertragen werden. Auch der 
erwähnte allmähliche Rückgang der Ladungsdifferenz bei Ueber- 
tragung der Blutkörperchen in die isotonischeil Lösungen von Koch¬ 
salz, Rohrzucker oder Mannit spricht für den ursächlichen Einfluss 
des Plasmas. Endlich lässt sich auch zeigen, dass Blutkörperchen¬ 
stromata in Gravidenplasma rascher sedimentieren, als in Normal¬ 
plasma. Der Vortragende erörterte verschiedene Eigenschaften des 

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August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


919 


Plasmas, welche für die Ladungsänderung verantwortlich gemacht 
werden könnten. Für besonders wahrscheinlich hält er erstens die 
Bildung von Stoffen während der Schwangerschaft, welche au der 
Oberfläche der Blutkörperchen adsorbiert werden und dabei die 
Ladung ändern und zweitens den Einfluss der in der Schwanger¬ 
schaftsazidose gebildeten Säuren. 

Diskussion: Herren An schütz, Hob er, Stöckel, 
Meyerhof. 

Herr Klingmüller: Lieber Behandlung von Entzündungen 
und Eiterungen durch Terpentineinspritzungen. 

(Siehe unter den Originalien dieser Nummer.) 

Diskussion: Herren Anschütz, Fleischhauer, 

Stöckel, Klingmüller, Göbell, Käppis. 

Herr Höher berichtet über einige neuere hormonphysiologlsche 
Experimentaluntersuchungen. 


Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 14. März 1918. 

Herr Aron so n: Demonstration eines Leprafalles. 

Herr Ziegler: Statistische Mitteilungen über 3000 behandelte 
Diphtheriefälle ln der Krankenanstalt Sudenburg. 

Beteiligung der verschiedenen Lebensalter: 42,2 Proz. im vor¬ 
schulpflichtigen Kindesalter, 29,5 Proz. im schulpflichtigen Alter, 
19,3 Proz. im Dezennium 15. bis 25. Lebensjahr. 7,6 Proz. in den 
späteren Jahren. Gesamtmortalität 9,3 Proz.; 22,8 Proz. in den beiden 
ersten Jahren, am geringsten 1 Proz. in den Jahren 24 bis 34. Haupt¬ 
zahl der Todesfälle am Tag der Einlieferung, vor Einwirkung der 
Seruminjektion, 40 Proz.; in den ersten 3 Tagen zusammen 56,9 Proz. 
Tafel, die zeigt, wie die Prognose ungünstiger wird, je später Heil¬ 
serumbehandlung eingeleitet wird: Mortalität der am 1. Krairkheits- 
tag Aufgenommenen 4,3 Proz., der am 8. Tag Aufgenommenen 
32 Proz. 

224 oder 7,5 Proz. Tracheotomien, hauptsächlich Kinder im vor- 
schulpflichtigen Alter. 45 Proz. Mortalität; das 1. Jahr mit 58,8 Proz., 
das 7. Jahr mit 20 Proz. 

Längere Krankenhausbehandlung als 10 bis 18 Tage wegen zu 
späten Eintretens der Bazillenfreiheit, was durch alle bisher emp¬ 
fohlenen Mittel nicht beschleunigt werden konnte. 

Höhe der angewandten Heilserumdosen schwankte zwischen 
600 und 18 000 I.E., leichte Fälle 1000—3000, mittelschwere 4000—5000, 
schwere 6000—18 000; event. 2. oder 3. Wiederholung der Dosen. 
In 77 Proz. der Fälle intramuskuläre Injektion, 9 Proz. intravenöse 
Injektion für schwere Fälle, intravenöse Injektion mit nachfolgender 
ein- oder mehrmaliger intramuskulärer Injektion für schwerste Fälle: 
4 Proz. Bei Reinjektion wegen zweiter oder mehrmaliger Diphtherie 
subkutane Injektion von 600—1000 I.E. Bei Freibleiben von lokaler 
oder Allgemeinreaktion intramuskuläre Injektion nachfolgend: 7 Proz. 

Vorzüglichste und schwerste Komplikation Herztod. Therapie 
ziemlich machtlos. Albuminurien in 8 Proz., gutartig. Pneumonien 
meist nur bei kleinen Kindern ziemlich selten, ausser nach Tracheo¬ 
tomien. 

Serumexantheme in 3,3 Proz. vom 2. bis 16. Tage, hauptsächlich 
vom 5. bis 12. Tage, % mit Fieber einhergehend. Höhe der Serum¬ 
dosis und Einspritzungsart ohne Einfluss; makulöses Exanthem dauert 
meist nur 1 Tag, urtikarielles infolge Juckreiz unangenehmer, dauert 
bis zu 3 Tagen, werden durch subkutane Suprarenininjektionen günstig 
beeinflusst. Keine ungünstigen Folgeerscheinungen. 1 Fall von 
Anaphylaxie mit günstigem Ausgang. 

Der Vortr. empfiehlt frühzeitige Injektion nicht zu kleiner Heil- 
serummenge n. 

Herr Hirsch: Mitteilungen aus dem städt. Lebensmittelamt. 


Aerztlicher Verein in Nürnberg. 

(Offizielles Protokoll) 

Sitzung vom 11. April 1918. 

Vorsitzender: Herr J. Müller. 

Herr Waltershöfer: Ueber infektiöse Lebererkrankungen. 

Diskussion: Herren Staudter, Fürter, Sommer, 
Schüller, Seiler, Frank. 

Sitzung vom 2. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr J. Müller. 

Herr Port: 1. Mobilisierung der Beugesehnen des Vorderarms. 

Herr Port demonstriert einen Patienten, bei welchem eine 
erhebliche Funktionsstörung der Finger bestand infolge ausgiebiger 
Verwachsung der Beugesehnen mit einer breiten Narbe am Vorder¬ 
arm. Die Narbe wurde exzidiert und die Sehnen einzeln aus dem 
Narbengewebe herauspräpariert. Sie wurden dann in einen grossen 
Fettlappen, welcher dem Oberschenkel entnommen wurde, einge¬ 
wickelt und der Hautdefekt durch einen gestielten Lappen aus der 
Brust gedeckt. Erfolg: normale Funktion. 


2 . Muskelverpfianzung bei Radialislähmuug. 

Herr Port demonstriert einen Patienten mit Radialislähmung, 
bei welchem sich die Unmöglichkeit einer Vereinigung der durch¬ 
trennten Nervenenden bei der Freilegung des Nerven ergeben hatte. 
Es w urde durch je einen Schnitt auf der Volarseite der Muse, flexor 
carpi radialis und ulnaris freigelegt. Dann durch einen Längsschnitt 
in der Mitte der Streckseite die Sehnen der Extensoren präpariert. 
Nun wurde an der Aussen- und Innenseite je ein weiter Kanal unter 
der Faszie gebohrt und die Beugesehnen durchgezogen. Der Flexor 
c. radialis wurde an die Sehnen des Extensor pollicis long. und 
Abductor pall. long. angenäht, der Flexor c. ulnaris an die Streck¬ 
sehnen der Finger bei starker Dorsalflexion der Hand. Die Funktion 
der Hand ist jetzt eine recht gute. Der Daumen kann weit abduziert 
werden, die Streckung der Hand gelingt bis zur Horizontalen. Das 
Umlernen zur neuen Funktion der Muskeln machte anfangs erhebliche 
Schwierigkeiten. 

Herr Fla tau zeigt ein Hodgepessar, das die Porzellanfabrik 
Rosenthal in Selb auf Veranlassung von Zweifel- Leipzig aus 
weissglasiertem Porzellan angefertigt hat. 

Da insbesonders die aus Kriegsersatzhartgummi gemachten 
Siebpessare nach Prochownik gegen den Prolaps ganz un¬ 
brauchbar sind (Verlust der Form durch die Körperwärme, Verlust 
der Politur, daher starke Reizwirkung auf die Vagina), hat dieselbe 
Fabrik auch Siebpessarien aus Porzellan hersteilen lassen, die 
zweifellos einem starken Bedürfnis entsprechen und wegen ihrer 
Sauberkeit und Reizlosigkeit das Hartgummipessar vielleicht für 
immer verdrängen werden. 

Herr Fla tau demonstriert als Beispiele zu der Frage, welche 
Myome sich nicht für die Röntgentherapie eignen: 

1. 8 Myomknoten von Nuss- bis Faustgrösse, die alle intramural 
in einem Uterus entwickelt waren und besonders in der vorderen 
Wand sitzend einen ausserordentlich lästigen Harnzwang verursacht 
haben. Da die Patientin erst 28 Jahre und verlobt war, verbot 
sich jede radikale Behandlung und es gelang durch sorgfältige 
Naht den Uterus so weit wieder herzustellen, dass bisher wenigstens 
die Menstrualfunktion gut vönstatten geht. 

2. einen kindskopfgrossen Uterus, der ausser einem intramuralen 
noch ein submuröses Myom enthielt, das sehr stark in die Uterus- 
höhle vorsprang. Profuseste Blutung, die das Leben unmittelbar be¬ 
drohten, daher abdominale Totalexstirpation. 

3. einen 3 Monat graviden Uterus, in dessen linker Kante ein 
kindskopfgrosses Myom sich entwickelt und sich intraligamentär ver¬ 
breitet hatte. Schwere Beschwerden veranlassten die Totalexstir¬ 
pation, nachdem ein Versuch das Myom allein auszulösen, eine 
stürmische, nahezu unstillbare Blutung hervorgerufen hatte. 

Diskussion: Herr F. Merkel. 

Herr Fla tau spricht über Röntgenbehandlung der Myome. 

Die ausserordentliche Verfeinerung der Röntgentechnik, ins¬ 
besonders in Hinsicht auf die rascheste Wirkung, ihre Sicherheit und 
ihre Unschädlichkeit hat den Vortragenden dazu gebracht, die Ope¬ 
ration von Myomen (von vereinzelten, kontraindizierenden Fällen 
Isiehe oben] abgesehen) fast durchweg aufzugeben. Fl. benutzt je 
zwei grosse Felder vorn und hinten. Bestrahlt wird meist mit Siede¬ 
rohr oder auch mit dem Glühkathodenrohr nach Coolidge- 
Fürstenau. In 80 Proz. der Fälle führten zwei Sitzungen zum 
Ziel der Amenorrhoe. Bei sehr grossen Mengen, bei denen die Lage 
der Ovarien kaum vermutet werden kann, bestimmt Fl. drei oder vier 
Felder vorn und hinten. Die Verkleinerung bzw. das Verschwinden 
der Myomknoten- verläuft recht verschieden. Im allgemeinen kann 
man beobachten, dass nach halbjähriger Röntgenmenostase der 
Umfang der Tumoren um 50 Proz. zurückgeht. 

Diskussion: Herr Goldschmidt. 

Herr Fla tau hält seinen angekündigten Vortrag: Dritte Mit¬ 
teilung über das Schicksal der seit dem Jahre 1917 nur mit Strahlen 
behandelten Uteruskarzinome. (Erscheint in extenso.) 

Diskussion: Herr Franz Feith. 


Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen. 

(Medizinische Abteilung.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 3. Juni 1918. 

Vorsitzender: Herr Heidenhain. 

Schriftführer: Herr Schloessmann. 

Herr Gau pp: Otfried Försters neue Behandlungsmethoden 
der spastischen Lähmungen nach Hirnschüssen. 

Vortr. erläutert zunächst die Grundformen der monoplegischen, 
hemiplegischen und paraplegischen Lähmungsformen nach Hirnver¬ 
letzungen unter Demonstration zahlreicher Fälle und bespricht dann 
die neuen, namentlich von Otfried F ö r s te r - Breslau syste¬ 
matisch ausgearbeiteten, operativen Behandlungsmethoden 
der spastischen Paresen (Sehnenverlängerungen, Sehnenspaltungen mit 
Schaffung zweier Insertionsstellen, Muskelverpflanzungen, Resektion 
von Nervenästen zur Schwächung der spastisch kontrakturierten Mus¬ 
keln an der Wade, den Flexoren der Finger, der Hand, des Unter¬ 
arms usw.). Diapositive und Kinematogramme zeigen in anschau¬ 
licher Weise die guten Ergebnisse, die Förster erzielt hat und die 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr, 33. 


auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie 
in Wiirzburg (April 1918) die Anerkennung der Fachgenossen gefunden 
haben. 

Erörterung: Herr Perthes: Zur Beseitigung der Spasmen 
mit Hilfe von Operationen am Nervensystem vermindert Förster 
mit seinen Wurzelresektionen die zentripetal zu dem Reflexbogen 
fliessenden Reize, Stoffel und S p i t z y mit ihren Operationen die 
zentrifugal fliessenden Impulse. Könnte man vielleicht mit Vorteil 
gleichzeitig an der zentripetalen wie an der zentrifugalen Bahn an- 
greifeii, indem man sowohl im sensiblen wie im motorischen Anteil 
des spastischen Nervengebietes eine Parese setzt? Und zwar viel¬ 
leicht eine Parese in der Form, dass man nicht einzelne Nerven¬ 
bahnen gänzlich ausschaltet, sondern den in allen Nervenbahnen 
fliessenden Reiz nur abdämpft? P. versuchte solche Art der Parese 
durch intraneurale Injektion hypertonischer Kochsalzlösung zu er¬ 
zielen. Schon Injektion physiologischer Kochsalzlösung setzte die 
Wirkung schwächster faradischer Reize, welche zentral von der In¬ 
jektionsstelle appliziert wurden, am N. tibialis eines Ziegtnbocks nach¬ 
weisbar herab. Injektion von 1 ccm 20proz. Kochsalzlösung riet dann 
eine schwere, wenigstens wochenlang anhaltende Parese hervor. Die 
daraufhin vorgenommene, gleichartige Injektion in den N. peroneus 
eines Rückenmarkverletzten, der unter schweren Spasmen, vor allem 
im Peroneusgebiet zu leiden hatte, brachte den klinischen Erfolg, 
dass der schmerzhafte Krampf im Peroneusgebiet aufhörte und dass 
der Pes calcaneus höchsten Grades einer normalen Fussstellung Platz 
machte. Doch war dabei offenbar nicht nur eine Parese, sondern eine 
vollständige Lähmung des Peroneus zustande gekommen. Es sind 
also weitere Versuche über eine geeignetere schwächere Konzen¬ 
tration der hypertonischen Lösung erforderlich. Auch ist die Frage 
der Dauer der Wirkung noch zu beurteilen. 

Herr T rendelenburg fragt, wie lange Zeit nach der För¬ 
ster sehen Operation der überraschende Erfolg schon andauerte. Es 
dürfte gerade die vollständige*Resektion von Teilen der Nerven für 
den Dauererfolg wegen der Verhinderung der Regeneration günstig 
sein. 

Herr Busch: Untersuchungen an Sehhirnverletzten. 

Die Sehhirnbeschädigten bieten unter den Hirnverletzten in 
mancher Beziehung besonderes Interesse. 

Der psychische Allgemeinzustand zeigt oft eine eigenartige Form 
der Stumpfheit, eine Wjeltabgew'anditheit und Versunkenheit, die 
sich von der psychischen Schädigung der anderen Kopfverletzten 
deutlich unterscheidet. Es scheint eine Schwererweckbarkeit der 
optischen und infolgedessen der gesamten Aufmerksamkeit vorzu¬ 
liegen, während der durch Anruf oder sonstigen äusseren Reiz ein¬ 
mal erzwungene momentane Aufmerksamkeitsakt noch ganz gut ist. 

Neben den häufigen Gesichtsfelddefekten und der Seelenblind¬ 
heit, die in ausgesprochener Form sehr selten ist, finden sich noch 
mannigfache Ausfälle der psycho-physiologischen Sehvorgänge. Diese 
Erscheinungen — teilweise waren sie schon früher gelegentlich be¬ 
obachtet worden — konnten erst jetzt bei der grossen Zahl der Hirn- 
schussvcrletzten genauer erforscht werden. (Poppelreut her: 
Die psychischen Schädigungen durch Kopfschuss im Kriege 1914/17. 
Bd. I. (ioldstein und Gelb: Zschr. i. d. ges. Neur. u. Psych. 1918 
1.—3. Heft.) So findet sich bei guter Sehschärfe in Teilen des Ge¬ 
sichtsfeldes eine Unfähigkeit, kurzdauernde Reize aufzufassen oder bei 
gleichzeitiger Darbietung von Dauerreizen eine Vernachlässigung 
gegenüber anderen Regionen des Gesichtsfeldes. Die Beachtungs¬ 
fähigkeit, die Aufmerksamkeitshinwendung ist für diese Teile ver¬ 
mindert. Dann ist unter anderem bei sonst gut erhaltenem Sehen 
manchmal das Formerkennen, das Bewegungssehen, das Tiefensehen 
isoliert geschädigt, oder das Ueberschauen, d. h. die Auffassung unge¬ 
wohnt umfangreicher Darbietungen, dieKomprehension, das zusammen¬ 
fassende Erkennen komplizierter optischer Dinge, etwa eines Bildes, 
ist gestört, auch die optische Erinnerung oder Merkfähigkeit können 
vorwiegend betroffen sein. 

Gelegentlich kommt auch eine auffallende Unfähigkeit, sich im 
Draussenraum zurechtzufinden, zur Beobachtung. Die Kranken ver¬ 
irren sich auf der Strasse oder in den Gängen des Lazaretts. 

Leichtere Grade dieser Störungen, die aber auch praktisch von 
Bedeutung sein können, werden meist nicht aufgedeckt. Es wurde 
deshalb versucht, eine genauere experimentelle Untersuchung zu er¬ 
möglichen. 

Hierzu wurde einer der üblichen gezeichneten Irrgärten benützt. 
Die Aufgabe ist dabei, in einem verwickelten Labyrinth von Wegen 
mit manchen Sackgassen den richtigen Weg zu einem Ziel zu finden. 
Diese Aufgabe ist zwar nicht ganz dieselbe wie bei der Orientierung 
im dreimimensionalen Raum, aber psychologisch doch eine recht 
ähnliche. 

Die verwandte Vorrichtung bestand nun in einem derartigen 
Irrgarten, der in Holz ausgesägt wurde. Die Versuchsperson verfolgt 
mit einem Stift die ausgeschnittenen Gänge und sucht möglichst 
rasch und mit möglichster Vermeidung der Sackgassen das Ziel — die 
Mitte des Irrgartens — zu erreichen. Der von ihr eingeschlagene 
Weg zeichnet sich auf einem daruntergelegten Papiere ab. Der Ver¬ 
such wird nach bestimmten Zwischenzeiten mehrfach wiederholt, um 
so die Einprägung des Weges festzustellen. 

In dem richtigen Wege, wie in den Irrwegen sind nun noch 
Kontakte angebracht in grösserer Zahl, die mit mehreren Markier- 


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magneten in Verbindung stehen. Der von der Vp. benutzte Bleistift 
ist mit einem die Kontakte streifenden Drahtbürsten versehen, das 
ebenfalls durch Drähte mit dem Stromkreis in Verbindung steht. Jede 
Berührung eines Kontaktes schreibt sich somit am Kymographion auf, 
und an den Marken ist genau abzulesen, wann und wie lange die Vp. 
auf dem richtigen Wege war, wo sie jeweils abirrte und wie lange 
sie in den verschiedenen Irrwegen verweilte. Der zeitliche Verlauf 
des Sichzurechtfindens ist also genau festgelegt. 

Untersucht wurden mit dieser Vorrichtung bisher eine Anzahl 
Gesunder, anderweitig Hirnverletzter und Hinterhauptverletzter. Die 
sonstigen Kopf verletzten und Normalen wiesen keine wesentlichen 
Unterschiede auf, die Mittelwerte waren gleich. Anders bei den Seh¬ 
hirngeschädigten, die durchweg weit längere Zeiten zur Lösung der 
Aufgabe brauchten und weit langsamer den richtigen Weg kennen 
lernten. 

Besonders auffällig waren die Ergebnisse bei einem Kranken, 
der keine Gesichtsfelddefekte und überhaupt keine ophthalmologisch 
nachweisbaren Sehstörungen hatte, in den sonstigen psychologischen 
Prüfungen gut abschnitt und keine Schädigung der allgemeinen 
Intelligenz aufwies. 

Nur bei dieser Prüfung versagte er anfangs fast völlig und zeigte 
sich ganz hilflos, auch nach Einübung behielt er ausserordentlich 
lange Zeiten. Es fand sich demnach eine ziemlich isolierte Schädigung 
nur der hier untersuchten optischen Leistung. 

Diese und die iriiher angezogenen Erfahrungen ergeben, dass 
zwar die ausgesprochene allgemeine Seelenblindheit recht selten ist, 
sich aber ziemlich häufig umschriebene Ausfälle und Minderungen 
des seelischen Erkennens und Verarbeitens optischer Reize finden, 
die als eine unvollkommene, teilweise Seelenblindheit anzusehen sind. 
(Die Versuche werden demnächst veröffentlicht.) 

Herr W.Mayer: Demonstration eines Falles schwerer Rücken¬ 
markverletzung. 

Hinw'eis auf das tragische Los der meisten Rückenmark¬ 
verletzungen im Felde. Mitteilung eines seit vielen Monaten in Beob¬ 
achtung stehenden, nicht sehr typisch verlaufenden Falles einer Hals- 
markvcrletzung: Verletzung am 19. V. 15 durch Infanteriegeschoss; 
Gegend des 5. Halswirbels. Sofort Blasenstörung (Retentio urinae). 
Nach 2 Tagen Paresen der Beine und Arme, die mit der Blasenstörung 
teilweise zurückgehen. 2. VI. 15: Operation. Befund: Fraktur des 
3. Haisw'irbelbogens; an der Dura nichts gefunden. Keine Dura- 
inzision. Nach der Operation Auftreten starker Schmerzen im linken 
Arm; spastische, völlige Parese im linken Arm, leichte spastische 
Parese im linken Bein, minimale Parese im rechten Arm. In den 
nächsten Monaten Zunahme der ausserordentlich starken Schmerzen 
im linken Arm, verbunden mit einer Hyperästhesie von C2—D3 links. 
Zunahme der spastischen Parese im linken Bein. Ende 1917 weitere 
Verschlimmerung: schwerste spastische Parese des linken Beines 
mit starkem Klonus des ganzen Beines bei geringster Berührung ohne 
Atrophie: spastische Parese leichteren Grades im linken Arm mit 
Atrophie im Gebiet der kleinen Handmuskeln. Lanzierende Schmerzen 
stärksten Grades mit Hyperästhesie für alle Dualitäten von C2—D3. 
Das Ganze aufgefasst als Wirkung eines Hämatoms auf die Pyramiden¬ 
bahn und meningitischer Wurzelreizung. Zweite Operation 20. XII. 17. 
Resektion der Dornfortsätze des 4.—7. Halswirbels. Rückenmark ge¬ 
rötet. Arachnoiden etwas dicht. Dura inzidiert; Liquor cerebro¬ 
spinalis erhöhter Druck. Erhöhte Reizbarkeit der gesamten Medulla. 
Durchschneidung der 5., 6., 7., 8. hinteren Wurzel nach Förster 
(Operation durch Prof. Perthes). Nach der Operation Verwand¬ 
lung der spastischen Lähmung des linken Armes in eine schlaffe. 
Rückgang der Hyperästhesie, die schliesslich nur noch in einem 
kleinen Gebiet von C 5 und D 1 bleibt. Hyperästhesie teilweise in 
C6, 7, 8. Vorübergehende Parese des rechten Armes. Verstärkung 
der spastischen Parese im linken Bein und des Klonus. Schmerzen 
im Hinterkopf. Völlig gehunfähig. Lumbalpunktion misslingt, aber 
die misslungene Punktion hat den Erfolg, dass die Nackenschmerzen, 
die Gehfähigkeit und der Klonus sich bessern. Also: starke 
psychogene Ueberlagerung. Pat. jetzt schmerzfrei. Läuft ziemlich 
gut. Hinweis auf den jetzigen Sensibilitätsbefund (Wurzelvertretung). 

Erörterung: Herr Perthes: So interessant die psychogene 
Ueberlagerung in dem von Mayer vorgestellten Falle ist. so sicher 
ist doch der Hauptteil der Störung — nämlich die enormen Schmerzen 
im linken Arm und die Steigerung der Reflexerregbarkeit — organisch 
bedingt gewesen. Das wird auch durch die intra operationein ge¬ 
machte Beobachtung bewiesen, dass eine ganz leise Berührung des 
freigelegten Rückenmarks bei Ausschaltung der Psyche durch die 
Narkose einen heftigen Schütteltremor mit fast ausschliesslicher Be¬ 
teiligung des linken Armes hervorrief. Den Anlass zur Operation 
gaben die unerträglichen Schmerzen im linken Arm. Die hier wegen 
Schmerzen nach Rückenmarksverletzung w r ohl erstmalig ausgeführte 
Resektion der 4 untersten Zervikalwurzeln beseitigte die Schmerzen 
im Arm vollständig und endgültig, wenn auch danach vorübergehende 
Schmerzen im Nackengebiet auftraten. F. Krause äusserte in 
seinem Referat über Rückenmarksverletzungen auf der Kriegs¬ 
chirurgentagung in Brüssel die pessimistische Anschauung, dass wir 
den unerträglichen Schmerzen mancher Rückenmarksverletzten 
gegenüber machtlos sind/ Auch hierzu liefert der beobachtete Erfolg 
einen Beitrag. 

Herr Mayer. 

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111 ämmt 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


921 


Herr W. Mayer: Hypophysenstörunsen bei Hydrozephalus. 
(Mit Demonstrationen.) 

Theoretisch-anatomische Erörterungen; daran anschliessend 
Demonstrationen und Besprechung von 3 Fällen mit hypophysären 
und zum Teil epiphysären Störungen als Folge eines Hydrocephalus 
internus. (Ausführliche Veröffentlichung an anderer Stelle.) 

Akademie der Wissenschaften in Paris. 

Ein objektives Symptom der Nachtblindheit. 

In der Pariser Akademie der Wissenschaften wurde über be¬ 
sondere Erscheinungen berichtet, welche das Purkinje sehe 
Phänomen bei einem Nachtblinden gezeigt hätte (Inversion du pheno- 
mene de Pur Hin je dans Ifhemeralopie congenitale. Note de 
M. A. P o I a c k. prösentee par Charles Richet, C. R. 166. 1918. 
Nr. 12). 

Die angeborene Hemeralopie sei durch eine Umkehrung des 
P u r k i n j e sehen Phänomens charakterisiert, w'ie man dies bei der 
Durchleuchtung ganz einfach beobachten könne. Im Halbdunkel 
zeige ein normales Auge ganz deutlich das Purkinjesche Phäno¬ 
men : der Nachtblinde dagegen verhalte sich dem R o t oder Blau 
gegenüber ganz verschieden; lasse man die Beleuchtung allmählich 
schwächer werden, so verschwinde Blau zuerst, während um¬ 
gekehrt bei einer Beleuchtungszunahme Rot zuerst sichtbar werde. 
In gewissen Fällen zeige sich dagegen keine Inversion, indem beide 
Platten je nach der Beleuchtung gleichzeitig verschwänden. 

Dem Gesagten entspräche ganz das Ergebnis einer photo- 
metrischen Prüfung der Lichtempfindlichkeit des nachtblinden Auges; 
für Rot sei es nach hinreichend langer Dunkeladaptation kaum weni¬ 
ger oder gerade so empfindlich wie das normale Auge; für Grün 
deutlich und für Blau ganz beträchtlich schwächer. Die geringere 
Empfindlichkeit für Grün und Blau beruhe bei diesen Nachtblinden 
nicht auf einer anormalen Trichromasie. Man könne nicht in einer 
zu starken Pigmentierung des gelben Flecks den Grund für die 
Erscheinung sehen; indem man meine, es würden zu viele blaue 
Strahlen absorbiert. In der Tat werde auch Blau auf dem 
gelben Fleck am besten wahrgenommen und die Empfindlichkeit da¬ 
für vermindere sich entsprechend der Entfernung von ihm peripher- 
wärts. Wenn dieBeleuchtung stark genug wäre, zfeige der Nachtblinde 
keine Besonderheiten. Die Umkehrung des Purkinje sehen Phäno¬ 
mens müsse also auf einer Akkommodationsstöruug der Netzhaut 
beruhen. 

Po lack hat das Symptom in 5 Fällen gefunden. Er'meint, es 
wäre interessant, dass die Affektion bei der Retinitis pigmentosa 
fehle. 

Wir hätten in der Umkehrung des Purkinje sehen Phänomens 
ein einfaches Mittel dafür, die angeborene Nachtblindheit von den 
anderen Formen der Hemeralopie zu unterscheiden. 

Dr. L. Kathariner. 


Kleine Mitteilungen. 

Die Stellung der Feldhilfsärzte. 

Man schreibt uns aus dem Felde: 

„Im deutschen Heere hat man sich während des Krieges im allge¬ 
meinen zum Grundsatz: freie Bahn- dem Tüchtigen! durchgerungen. 
Stand und Vorbildung ist in Beförderungsfragen — auch für Offi¬ 
ziere — nicht mehr ausschlaggebend. Wie viele sind heute Leutnant, 
die über keine abgeschlossene Mittelschulbidlung, ja nicht einmal über 
das Einjährigenzeugnis verfügen! 

Nur beim Sanitätsoffizierskorps konnte man sich bisher noch 
nicht entschliessen, ein gleiches Recht walten zu lassen, veraltete 
Forderungen aufzugeben und Leistung und Rang in Einklang zu 
bringen. 

Man wende nicht ein, dass eben für den Arzt eine abgeschlossene 
wissenschaftliche Vorbildung unumgänglich notwendig sei, damit er 
seinem verantwortungsvollen Dienst gerecht worden könne; denn 
gerade dienstlich wird ja diese Vorbildung nicht verlangt, allenthalben 
findet man Feldunter- und Feldhilfsärzte auf Assistenzarzt-, ja Stabs¬ 
arztstellen in selbständiger, verantwortungsreicher Tätigkeit, nur den 
entsprechenden Rang versagt man ihnen. Gewiss, die Einführung 
der Feklhilfsärzte war hier ein Fortschritt. Zumal in reinen Sanitäts¬ 
formationen ist damit genug getan, der Feldhilfsarzt hat Offiziersrang 
und rangiert hier seinem Alter und seiner Vorbildung entsprechend 
hinter den Assistenzärzten, die ihm meistens in beidem überlegen sind. 
Ganz anders steht es aber beim Truppenärzte, der gezwungen ist, 
fortwährend mit Offizieren dienstlich und gesellschaftlich zu ver¬ 
kehren. Hier tritt für den Mediziner die unerträgliche Lage ein, dass 
jeder Leutnant, der an Lebensalter, Dienstzeit und Bildung weit unter 
ihm steht, ihm an Rang übergeordnet ist dass jeder aus dem Unter- 
oifizrersstand hervorgegangene Feldwebelleutnant sich ihm gesell- 
sc baftUch und dienstlich gleichstellen darf, ja ihm jederzeit mili¬ 
tär/sch über den Kopf wachsen kann, wie auch jeder junge Offiziers- 
aspirant, der eben noch als Mann oder Unteroffizier vor ihm still- 

stand. 


Dass dieses Verhältnis nicht nur persönlich unangenehm, sondern 
auch im Dienste ein schädliches Hemmnis ist, dürfte ohne weiteres 
klar sein, denn wie soll sich ein Arzt der Truppe gegenüber dienst¬ 
lich durchsetzen, dem schon jeder Zugführer an Rang überlegen ist. 
Ein kräftiges Sichdurchsetzen ist aber vielfach nötig, denn man be¬ 
gegnet bei der Truppe nur zu oft Gleichgültigkeit und Geringschätzung 
gegenüber der ärztlichen Tätigkeit. 

Die Rechte der approbierten Aerzte würden durch die Be¬ 
förderung von Feldhilfsärzten keineswegs angetastet; wer jetzt schon 
Assistenzarzt ist, wird immer rangälter bleiben als Neubeförderte, 
bis späteres Examen deren Vorpatentierung nach der Dienstzeit ge¬ 
stattet, und wer während des Krieges in der Heimat das Examen 
macht, w'ird nicht wohl verlangen können, nun ranglich höher ge¬ 
stellt zu werden, als seine Kollegen, die unterdessen im Felde waren 
und dort Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt haben. 

Sollte es trotz alledem untunlich sein, nach bestimmter Dienst¬ 
zeit alle Feldhilfsärzte zu befördern, so möge man es wenigstens hal¬ 
ten wie bei den Feldwebelleutnants und in besonderen Fällen auf Vor¬ 
schlag von der alten Regel abgehen.“ 

Der hier vorgebrachte Wunsch ist uns schon des öfteren zu 
Gehör gekommen; er scheint in der Tat wohl berechtigt. Zahlreiche 
Feldhilfsärzte werden zurzeit in Bataillonsarztstellen verwendet; sie 
haben, auch in ruhigen Stellungen, namentlich in Zeiten gesteigerten 
Krankenstandes, wie vor kurzem infolge von Influenza, eine um¬ 
fangreiche ärztliche Tätigkeit unter Offizieren und Mannschaften zu 
erfüllen. Diese wird aber wesentlich erschwert durch den Mangel 
des entsprechenden Ranges. Der Arzt bedarf in seinem Beruf einer 
gewissen Autorität; nur teilweise kann er sich diese durch Wissen 
und Auftreten verschaffen; gerade beim Militär bedarf er auch des 
äusseren Zeichens, des Ranges. Daher auch der. nunmehr erfüllte, 
Wunsch der landsturmpftichtigen Aerzte nach den Achselstücken. Es 
ist nicht einzusehen-, warum Feldhilfsärzte, die sich bewährt haben 
und denen verantwortungsvolle Posten übertragen werden, der Rang 
des Assistenzarztes vorenthalten werden sollte. Bei der Schaffung 
der Stelle der Feldhilfsärzte war nicht vorauszusehen, welche Ent¬ 
wicklung sie nehmen würde; aus dieser Entwicklung ergibt sich von 
selbst die Berechtigung der Rangerhöhung -in den genannten Fällen. 
Sie könnte um so leichter gewährt werden, als besondere Mittel 
Picht dazu erforderlich sind. Schrftl. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 12. August 1918. 

— Kriegschronik. Am 8. August griffen die Engländer die 
deutsche Front zwischen Somme und Avre mit dem Erfolg an, dass 
sie in die deutschen Stellungen eindrangen und unsere Linien um 
etwa 10 Kilometer zuriidkdrückten. Am 9. wurde ihnen westlich 
Lihons und östlich Rosieres-Arvillers Halt geboten. — An Stelle des 
in Kiew ermordeten Generalfeldmarschalls v. Eichhorn wurde 
Generaloberst v. Kirchbach zum Oberkommandierenden in der 
Ukraine ernannt. Zum deutschen Gesandten bei der russischen Re¬ 
gierung wurde an Stelle des ermordeten Grafen Mirbach Dr. H elf¬ 
te r i c h ernannt. Wie die Lage der derzeitigen russischen Re¬ 
gierung in Deutschland beurteilt wird, zeigt die Tatsache, dass die 
deutsche Regierung beschlossen hat, die deutsche Gesandtschaft von 
Moskau nach Pleskau zu verlegen. — Bei Ablauf des 4. Kriegsjahres 
werden die Gesamtkriegskosten des Weltkrieges auf 650—700 Mil¬ 
liarden Mark geschätzt. Davon entfällt auf die Mittelmächte noch 
nicht ein Drittel. 

— Eine Erhöhung sämtlicher Mindestsätze der 
bayer. Gebührenordnung für ärztliche Dienst¬ 
leistungen in der Privatpraxis wird durch eine Kgl. Verordnung 
vom 27. Juli d. J. bestimmt (s. S. 922 d. Nr.). Das Kgl. Staats¬ 
ministerium des Innern ist damit einem von sämtlichen bayerischen 
Aerztekammem geäusserten Wunsche entgegengekommen. 

— Das K. b. Kriegsministerium gibt bekannt, dass bei Vor¬ 
schlägen zur Ernennung zu Hilfsärzten nunmehr auch die 
Feldunterärzte zu berücksichtigen sind, die die ärztliche Vorprüfung 
bis zum 1. April 1917 bestanden haben oder bis dahin hätten bestehen 
können, infolge Kriegsdienstleistung aber erst später abgelegt haben. 
Das Gleiche gilt für jene Feldunterärzte, die nach Abschluss des vom 
10. Januar 1917 abgehalten^n Studienkurses über den 1. April J917 
hinaus die ärztliche Vorprüfung bestanden haben. 

— Im Jahre 1915 sind in Preussen mit Ausschluss der Kriegs¬ 
teilnehmer standesamtlich 641641 Sterbe fälle gemeldet, von 
denen 326 457 männliche und 315 184 weibliche Personen betrafen. 
Auf 10 000 am 1. Juli 1914 Lebende berechnet, ergeben sich für den 
Staat 15,2 (männl. 15,6, weibl 14,8) Sterbefälle. Nach Regierungs¬ 
bezirken zeigt diese Berechnung für den Westen günstigere Verhälf- 
tiisziffern als für den Osten. Unter dem Staatsdurchschnitt stehen 
19 Regierungsbezirke, während 18 höhere Sterbeziffern haben. Am 
günstigsten steht da der Regierungsbezirk Düsseldorf mit 12,3 Ge¬ 
storbenen auf 1000 Lebende, daran schliessen sich Minden, Hannover, 
Wiesbaden, Schleswig, Aurich, Arnsberg, Kassel, Stadtkreis Berlin, 
Potsdam, Lüneburg, Stade, Osnabrück, Köln, Hildesheim, Merseburg, 


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922 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 33. 


Erfurt, Münster und Trier mit 12,7 bis 15,1 und der Staat mit 15,2. 
Höhere Ziffern als der Staat zeigen Aachen, Koblenz, Köslin, Posen, 
Magdeburg, Gumbinnen, Allenstein, Frankfurt, Bromberg, Sigma- 
ringen, Stettin, Liegnitz, Stralsund. Breslau, Marienwerder, Oppeln, 
Königsberg und Danzig mit 14,4 bis 20,5. (Min.Bl. f. Med.A.) 

— Der Deutsche Aerztebund für Sexualethik 
(Vorsitzender Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Abderhalden) versendet 
am Ende des 4. Kriegsjahres eine Denkschrift „über die Ausschaltung 
der Prostitution, um die sexuelle, d. h. produktive Vollkraft des 
deutschen Volkes zu gesundem Durchbruch zu bringen“ Die Denk¬ 
schrift verlangt aus physiologischen Gründen sexuelle Enthaltsamkeit 
(„Schonzeit“) bis zum 24. Jahre, dann aber, vom 25. Lebensjahre an, 
Ermöglichung der Ehe durch Hinwegräumung der jetzt der Frühehe 
im Wege stehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Hinder¬ 
nisse. Dies müsste durch Schaffung eines grossen Hilfsfonds, aus 
dem jung verheiratete Männern bis zu genügender eigener Erwerbs¬ 
möglichkeit „Stipendien“ gewährt würden, geschehen. Der Denk¬ 
schrift liegt das bekannte, von Geh. Med.-Rat Anton der medi¬ 
zinischen Fakultät Halle in Frage der geschlechtlichen Enthaltsam¬ 
keit erstattete Gutachten bei. Nähere Auskunft über den Deutschen 
Aerztebund für Sexualethik erteilt Oberarzt d. L. Dr. Büsching, 
Sächs. Landsturm.-Inf.-Bat. „Zittau“, D. Feldp. 237. 

— In London wurde eine „British Association of 
Radiology and Physiotherapy“ begründet; zum Vor¬ 
sitzenden wurde Sir James Mackenzie Davidson gewählt. — 
Angesichts der vermehrten Bedeutung, welche die Röntgenstrahlen 
während des Krieges erlangt haben, bemüht man sich in England um 
bessere Organisation des Unterrichts in Röntgenologie. An allen 
medizinischen Schulen soll die Röntgenologie Lehrgegenstand wer¬ 
den und es soll an der Universität Cambridge ein besonderes, durch 
eine Prüfung zu erwerbendes Diplom in Radiologie und Elektrologie 
erteilt werden. 

— Cholera. Schweden. Zufolge Mitteilung vom 20. Juli sind 
in Stockholm 9 weitere Erkrankungen mit 1 Todesfall festgestellt 
worden, davon 8 unter der Besatzung eines aus Russland einge¬ 
troffenen und in Quarantäne liegenden Dampfschiffes und 1 (tödlich 
verlaufene) bei einem Prahmführer. Die Gesamtzahl der bisherigen 
Cholerafälle in Stockholm beläuft sich hiernach auf 14. 

— F I e c k f i e b e r. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau, ln der Woche vom 7. bis 13. Juli wurden 336 Erkran¬ 
kungen und 29 Todesfälle gemeldet. - Oesterreich-Ungarn. In Ungarn 
wurden in der Woche vom 24. bis 30. Juni 7 Erkrankungen und 
1 Todesfall gemeldet. 

—- Ruhr. Preussen. In der Woche vom 14. bis 20. Juli sind 
48,8 Erkrankungen und 40 Todesfälle gemeldet worden. 

— ln der 29. Jahreswoche, vom 14. bis 20. Juni 1918, hatten von 
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Zwickau mit 51,2, die geringste Solingen mit 11.9 Todesfällen pro 
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Unterleibstyphus in Altenburg. Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Der Stabsarzt der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das 
militärärztliche Bildungswesen Dr. Reinhard 0 h in, Assistenzarzt an 
der II. medizinischen Klinik der Chariteekrankenhauses, ist zum Pro¬ 
fessor ernannt worden, (hk.) 

Erlangen. Die medizinische Fakultät hat Geheimrat Pro¬ 
fessor Dr. Otto Fischer- Erlangen, Geheimrat Prof. Dr. Karl P a a 1- 
Leipzig, Geheimrat Prof. Dr. Wied e in an n -Erlangen, Kommerzien¬ 
rat Karl Zitzman n, Generaldirektor der Aktiengesellschaft Reini¬ 
ger, Gebbert & Schall in Erlangen zu Ehrendoktoren ernannt. — Der 
Assistent an der chirurgischen Klinik Dr. E. Pf lau me r wurde als 
Privatdozent für Urologie in die medizinische Fakultät aufgenommen. 

Halle a. S. Dr. Franz Volhard, Direktor der städtischen 
Krankenanstalt in Mannheim, hat den an ihn ergangenen Ruf auf den 
Lehrstuhl der inneren Medizin als Nachfolger von Geh. Rat 
A. Schmidt zum 1. Oktober d. J. angenommen. (hk.) 

Jena. Dem Sanitätsrat Dr. Gustav E i c hji o r n in Jena ist die 
Erlaubnis zum Halten von Vorlesungen über Vor- und Frühgeschichte 
an der dortigen Universität erteilt worden, (hk.) 

Königsberg. Dem Privatdozenten für Geburtshilfe und 
Gynäkologie Dr. Franz Unterberger ist der Titel Professor ver¬ 
liehen worden, (hk.) 

Tübingen. Dr. Alfred Busch ist der Titel und Rang eines 
ausserordentlichen Professors verliehen worden, (hk.) 

Würzburg. Der Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Friedrich König, 
Direktor der chirurgischen Klinik in Marburg, hat einen Ruf an die 
Universität Würzburg als Nachfolger Enderlens erhalten, (hk.) 

Wien. Dem in den Ruhestand tretenden Professor und Vor¬ 
stand der Ohrenklinik an der Wiener Universität, Hofrat Dr. Viktor 
Urbantschitsch, und dem emerit. Professor der Zahnheilkunde 
daselbst, Regierungsrat Dr. Julius Sch eff, wurde der österreichische 
Adelstand verliehen, (hk.) 

Todesfall. 

In Lemberg starb der Direktor der Kinderklinik an der dorti¬ 
gen Universität Prof. Dr. Johann Raczynski. (hk.) 


Amtlicher Erlass. 

Nr. 5022b 10. (Bayern.) 

Königliche Verordnung über Gebühren für ärztliche Dienstleistungen 
in der Privatpraxis. 

Ludwig in. 

von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog 
von Bayern, Franken und in Schwaben usw. usw. 

Wir finden Uns bewogen, im Hinblick auf die durch den Krieg 
veranlassten aussergewöhnlichen Verhältnisse die Anlage zu § 1 der 
Königlichen Verordnung vom 17. Oktober 1901 über ärztliche Ge¬ 
bühren, GVB1. Seite 629, abzuändern wie folgt: 

Die Ziffern 1 und 2 des Abschnittes A Gebühren für Besuche 
und Beratungen (Zeugnisse, Berichte, Gutachten. Briefe) erhalten 
folgende Fassung: 

1. Besuch in der Wohnung des Kranken: 

a) für den ersten Besuch bei Tag . . .3—10 M. (2—10 M.)*) 

b) für jeden folgenden Besuch bei Tag im 

Verlaufe derselben Krankheit . . 2—6M. (1—6M.) 

c) für Besuche bei Tag, welche au! Ver¬ 

langen des Kranken oder seiner An¬ 
gehörigen sofort oder zu einer be¬ 
stimmten Stunde gemacht werden, 
und zwar 

für den ersten.5—20 M. (4—20 M.) 

für jeden folgenden .... 3—12 M. (2—12 M.) 

d) für jeden Besuch bei Nacht (von 9 Uhr 

abends bis 7 Uhr morgens) . . 6—20 M. (4—20 M.) 

2. Beratung eines Kranken in der Wohnung des Arztes, sowie 
auch telephonische Beratung: 

a) für die erste Beratung bei Tag . . 2—6M. (1—6 M.) 

b) für jede folgende Beratung bei Tag im 

Verlaufe derselben Krankheit . .1.50—3 M. (1—3M.) 

as _ r c) für jede Beratung bei Nacht . . . 4—20 M. (2—20 M.) 

Die Mindestsätze aller übrigen Gebühren der Gebührenordnung 
werden um die Hälfte erhöht. 

Diese Verordnung tritt mit dem Ablauf von zwei Jahren nach 
Beendigung des gegenwärtigen Kriegszustandes ausser Kraft. Der 
Zeitpunkt, zu welchem der Kriegszusand als beendet anzusehen ist. 
wird durch Königliche Verordnung bestimmt. 

München, den 27. Juli 1918. 

Ludwig. 

Dr. v. B r e 11 r e i c h. 
Auf Allerhöchsten Befehl: 

Der Generalsekretär: Ministerialdirektor: v. Volk. 


Bekanntmachung über die Entschädigung der 
Aerzte für Benützung des eigenen Kraftwagens. 

K. Staatsministerium des Innern. 

Die Ziffer 1 der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1902 über 
Entschädigung für Fahrrad- und Motorbenützung durch Aerzte, GVB1. 
S. 737, wird, soweit .sie sich auf die Vergütung für Benützung des 
eigenen Kraftwagens bezieht, aufgehoben. 

Die Entschädigung der Aerzte für Benützung des eigenen Kraft¬ 
wagens bemisst sich nach § 6 der Königlichen Verordnung vom 
17. Oktober 1901 über ärztliche Gebühren, GVB1. S. 629. Hiernach 
ist die Entschädigung nach den ortsüblichen Preisen zu berechnen. 

München, den 27. Juli 1918. D r> Vt Brett re ich. 


*) Wir haben die bisher gültigen Sätze in Klammern beigefügt. 
(Schriftl.) 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben: 

Oberarzt d. R. Heinrich K ö 11 i n g, Ospel. 
Marinestabsarzt Dr. Lottmann, Buterhausen. 
Feldhilfsarzt Georg M a e ck ler, Koblenz, 
stud. med. Rolf Mayer, München. 

Stabsarzt d. L. Dr. Curt Ossig, Breslau. 

Landsturmpfl. Arzt Dr. Arthur Pelz, Königsberg. 
Assistenzarzt d. R. Dr. Guido R a 11 i, Jauer. 

Stabsarzt d. R. Dr. Paulus Reershemius, Jennelt. 
Marineoberstabsarzt z. D. Wolfgang Riegel, Happurg. 
Oberarzt Dr. Rudolf v. Schröder, Tharandt. 
Stabsarzt d. L. Adolf Schuster, Strassburg. 

Stabsarzt d. L. Karl S e n n w i t z, Günthersdorf. 
Feldunterarzt Friedrich Seydel, Tennstedt. 
Marineassistenzarzt Dr. Fritz Sirnmat, Schlawe. 
Oberstabsarzt a. D. Anders S m i d t, Emmenleff. 

Stabsarzt d. L. Dr. Max Sommer, Eisenach. 

Oberarzt d. R. Hugo Steinacker, Schweigen. 


Verlag von). F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Hejaestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckcrei A.Q., München. 


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frei« der einzelnen Nummer 80 4. • Bezugspreis in Deutschland 
• • • and Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • • 
las erutenachiuaa «nt Donnerstag einer Jeden Woch» 


MÜNCHENER 


Zusendungen sind zu richten 

Für die Schriftleitang: Arnulfstr. 26 (Sprechstunden •'/«—1 UhrV 
Für Bezug: an 1. F. Lehmann’« Verlag, Paul Heysestrasse 26. 
Fflr Anzeigen una Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatinerstrass« 6. 


Medizinische Wochenschrift. 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 34 20. August 1918. 


Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulf Strasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag «ich das ««mgiiilg—lieh« Recht der Vervielfftltigung and Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Orlginalbeitrftge vor. 


Originalien. 

Aus der Hautkrankenstation des städtischen Krankenhauses 
zu Elberfeld. (Chefarzt: Prof. Dr. Hübner.) 

Der Wert der Salvarsanbehandlung. 

- Von Prof. Dr. Hübner. 

Wenn man an die Schwierigkeiten denkt, welche die Beurteilung 
des Wertes jeder neuen» Heilmethode gemacht hat, selbst bei so 
schnell und im grossen ganzen typisch verlaufenden Krankheiten wie 
z. B. der Pneumonie (Optochim), Diphtherie und Scharlach (Ser-um- 
bchandlung), so möchte man fast verzweifeln, wenn man an die Be¬ 
wertung eines Heilmittels gegen eine so enorm lange und so grund¬ 
verschieden verlaufende Krankheit, wie es die Syphilis ist, herangeht. 

Schon die Länge der Zeit, in der der einmal Infizierte unter dem 
Einfluss der Infektion steht, macht die Beurteilung des Gesamtablaufes 
der Krankheit für den einzelnen Arzt überhaupt nur in Austiahme- 
iällen möglich. Wir müssen uns darum erinnern, dass es eigentlich 
mir die abnorm schnell, malign verlaufenen Fälle und andererseits die 
unter einer rasch zupackenden Therapie zum glücklichen Ausgang 
einer schnellen und völligen Abtötung der eingedrungenem Spiro¬ 
chäten kommenden Fälle sind, die wir in» ihrer Totalität überblicken 
können, wobei im zweiten Falle immer noch der Zweifel bleibt, wann, 
nach wieviel negativen Befunden wir die „Sterilisation magna corporis“ 
als tatsächlich gegeben betrachten können. Von dem Gros der .Fälle 
können wir immer nur Bruchstücke sehen, und es gehört ein kühler, 
kritischer Kopf dazu, therapeutische Erfolge, die wir gegenüber den 
einzelnen Symptomen und Phasen der Krankheit erzielen, nicht als 
Erfolge gegen die Krankheit als solche zu buchen. Es ist noch in 
unser aller Erinnerung, wie diese Tatsache in der ersten Freude über 
die wunderbaren symptomatischen Wirkungen des Salvarsans von 
vielen Seiten vergessen wurde. 

ln zweiter Linie erschwert die Beurteilung der Wirksamkeit 
eines Antisyphölitikums, die erstaunliche Verschiedenheit des natürlichen 
Verlaufes der Krankheit, dessen also, was wir bei anderen Infektions¬ 
krankheiten als gen-ius morbi zu benennen pflegen. Jedem erfahrenen 
Therapeuten sind Fälle bekannt, die nach einer kurzen, einfachen 
Quecksilberkur klinisch dauernd geheilt bleiben. Infizierte, die. wenn 
man sie serologisch untersucht, in der Regel wohl eine positive 
VV assermann sehe Reaktion zeigen, sich selbst aber durch Jahr¬ 
zehnte hindurch gesund fühlen, auch eventuell gesunde Kinder haben. 
Manche von ihnen mögen später einem Aneurysma oder dergl. zum 
Opier fallen, die Mehrzahl zweifellos nicht, und wenn sie ein anderes 
natürliches Ende finden, so weiss niemand, dass sie im wissenschaft¬ 
lichen Sinne stets an Syphilis gelitten haben-. Andererseits braucht 
man nur an den Namen der malignen und galoppierenden Syphilis zu 
denken, um sich Fälle ins Gedächtnis zurückzurufen, die von Anfang 
an bösartig und schnell verlaufen, und bei denen man durchaus den 
Eindruck hat, als wenn auch eine vorsichtig durchgeführte Therapie 
dem Kranken gar nichts nützt. Wir wissen eben» über die Prognose 
des einzelnen Syphilisfalles noch sehr wenig ausser einigen allge¬ 
meinen Erfahrungstatsachen, wie es z. B. die auffallende Gutartigkeit 
der Lues, der sog. C olles sehen Mütter ist. Bei diesen verläuft ja 
die Krankheit in der Reget so symptomlos, dass ihr Bestehen fast 
regelmässig erst durch die immer positive Blutreaktion gefunden 
werden konnte. Dann sei auch an die oft zitierte Bösartigkeit der in 
den Tropen aquirierten und der von extragenitalen Schankern aus¬ 
gehenden Syphilis erinnert. Regeln, die oft zutreffen, von denen aber 
jeder auch manche Ausnahmen kennt; denn die Lues lässt sich eben 
in kein Schema spannen, ihr Verlauf ist ein Gegenspiel zwischen 
Spirochäte und Konstitution: Je nach der Virulenz der ersteren und 
der Schwäche oder Kraft des letzteren wird das Drama kurz oder 
schnell, als oft langweiliges Schauspiel oder als Tragödie verlaufen. 

Und dann ist noch eines dritten Momentes nicht zu vergessen, 
das die Erkenntnis der Salvarsan^ und Quecksilberwirkung erschwert: 
Beide Mittel sind stark wirkende, und nur darüber schwanken, die 
Ansichten noch, mit welchem man besonders vorsichtig umgehen 
muss — Wechsclmann hält das Quecksilber, viele andere das 
>alv3rsan für das gefährlichere. Deshalb müssen wir bei der 
Dosierung die allgemeine Konstitution und etwaige andere Krank- 
heiten und KranKheitsanlagen des Patienten genau beachten. Die 
meisten sog. Salvarsantodesfälle sind Folgen der Nichtbeachtung 
’Üc-ses Satzes. Es muss als Kunstfehler gelten, einem Diabetiker, 
Nr. 34. 


Tuberkulösen, Leber- oder Nierenkranken solch hohe Dosen beider 
Mittel zu geben, wie sie zu einer völligen» Vernichtung der Spiro¬ 
chäten notwendig sind. Was hülfe es ihm, wenn er spirochätenfrei 
gemacht wäre und hätte dies mit einer erheblichen, vielleicht lebens¬ 
gefährlichen Verschlechterung seines Grundltidens bezahlt? Wir 
werden uns bei diesen Kranken mit einer schwächeren Quccksilber- 
umd Salvarsandarreichung begnügen müssen. Wenn- wir dann bei 
ihnen klinische oder serologische Rezidive erleben, so wäre cs un¬ 
gerecht dies als einen Misserfolg des Salvarsans zu buchen-. 

Und ausser den angeführten inneren Ursachen, den konstitutio¬ 
nellen Krankheiten, sind es nun a-ber auch mannigfache äussere Um¬ 
stände, die bei sehr vielen Kranken leider die restlose Ausnutzung des 
Heilmittels verhindern: Gerade im Krankerohause werden vielfach die 
Kuren nur so lange fortgesetzt als es die äusseren ansteckenden 
Symptome der Lues bedingen. Dann wünschen viele Kranke, beson¬ 
ders bei den jetzigen günstigen Arbeitsbedingungen, die Kur beim 
Kassenarzt draussen zu vollenden. Ob und in welchem Masse sie 
das wirklich tun, entzieht sich fast stets unserer Kenntnis und 
Statistik. 

Eine Kranikenhausstatistik der Salvarsan-fälle wird mithin immer 
ein falsches, und zwar ein zu pessimistisches Bild ergeben, wenn sie 
nicht streng alle jene Fälle ausscheidet, die aus den* angedeuteten 
äusseren und inneren Ursachen nicht vollständig behandelt werden 
konnten, und wenn sie nicht ausserdem aus später zu besprechenden 
Gründen die Fälle sorgsam nach dem Alter der Erkrankung gruppiert. 

Eine solche Statistik, welche die zur Beurteilung allein geeigneten 
Fälle hierausholt und richtig gruppiert, erfordert jedoch ein enormes 
Krankenmaterial, das allein durch eine Sammelforschung gewonnen 
werden könnte, am besten vielleicht durch die Beratungsstellen der 
Landesversicberungsanstalten. Zu solch einer Sammelforsch-ung fehlt 
aber zurzeit noch völlig ein Organisationsplan. 

Unter diesen Umständen war es als ein Glück zu bezeichnen, dass 
das Syphilismaterial der städt. Hautklinik zu Elberfeld aus den Jahren 
1916 und 1917 durch einen gleich zu besprechenden Umstand die 
Mögflichkeit darbot. ohne eine solche Gruppierung und Aussonderung 
der Fälle, bei der man zu leicht den objektiven Standpunkt verliert, 
ein Bild von der Wirkung des Salvarsans zu -bekommen. 

Als ich Ende 1916 die Leitung der genannten Abteilung über¬ 
nahm, wurde die Sy-philisbehandhing dort in vorsichtiger Weise, wie 
es bei einem noch auszuprobierenden Medikament natürlich erscheint, 
so durch'geführt, dass neben einer massig starken Quecksilber- 
i-njektionskur die Kranken in der Regel 4 Salvarsaninjektionen zu 
0,45 erhalten» hatten. 

Die genaue Berechnung nach den Krankenblättern ergab für 1916 
folgende Zahlen: Wenn 11 Fälle unberücksichtigt bleiben, die vor 
der Ausführung der Wassermaronreaktion- aus disziplinären und ähn¬ 
lichen Gründen vorschnell entlassen - werden mussten, so bleiben 
70 Luesfälle übrig, bei denen 297 Salvarsaninjektionen gemacht wor¬ 
den sind. Bei diesen- sind 133,05 g Salvarsan verbraucht, also durch¬ 
schnittlich im FaU 4,2 Injektionen ä 0,45, pro Fall ist also 1.9 g Sal¬ 
varsan verbraucht worden. 

Als Erfolg ergab sich, dass 25 = 36 Proz. der Patienten negativ, 
45 = 64 Proz. noch positiv entlassen wurden. 

Dieses Ergebnis bewog mich, bald nach meinem Amtsantritt An¬ 
fang 1917 eine erhebliche Verstärkung der Salvarsamkur einzuführen. 

Da man, ohne einen Fehler zu machen, annehmen kann* dass 
das Krankenmaterial eines und desselben Krankenhauses in zwei auf¬ 
einanderfolgenden Jahren hinsichtlich der Qualität (Alter, Vorbehand¬ 
lung der Lues) und der Konstitution der Kranken annähernd die 
gleichen Verhältnisse darbietet, und ich absichtlich alle übrigen Ver¬ 
hältnisse (Quecksilbenbehandiung, Krankenernährung usw.) möglichst 
in der gleichen Weise beibehielt, musste es sich jetzt zeigen, was 
das Salvarsan leistet, wenn allein- dessen Darreichung wesentlich 
verändert, d. h. vermehrt wurde. Wäre es ein gefährliches Mittel, 
wie D r e u w noch heute behauptet, so hätten die Gefahren jetzt deut¬ 
licher hervortreten müssen. Wäre es ein wirkungsloses Mittel, wie 
D r e u w an anderen Stellen ebenfalls sagt, so hätte auch seine ver¬ 
stärkte Darreichung keinen Eindruck auf den Endeffekt jeder ratio¬ 
nellen Syphilistherapie, der Negativierumg der Wassermannreaktion. 
machen können, denn jede Multiplikation von Null ergibt ja immer 
wieder Null. Wenn aber, wie wir mit der übergrossen Mehrzahl der 
Aerzte stets gesagt haben, das Salvaisan ein ausgezeichnetes Antisyphi- 
litikum ist, so wird es bei seiner verstärkten Darreichung die von 
ganz objektiver, anderer Seite gemachte Wassermamirca-ktion häufi¬ 
ger negativ erscheinen lassen. 


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924 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N.r 34. 


Von vornherein sei bemerkt, dass die weniger erhöhte, als viel¬ 
mehr verlängerte Salvarsandarreichung keinerlei Gefahren mit sich 
gebracht hat. Wir haben, wie es schon bei der milden Darreichung 
im Jahre 1916 gewesen ist, auch 1917 weder einen Todesfall, noch 
irgendeine erheblichere Schädigung des Wohlbefindens der Behandel¬ 
ten gesehen. In welcher Weise sich aber der Effekt der IKur mit 
der Erhöhung der Sahvarsandosis verbessert hat, mögen' folgende 
Zahlen ergeben. 

Wenn wiederum 7 Fälle unberücksichtigt bleiben, bei denen aus 
äusseren Gründen (vorzeitige Entlassung) die Endprobe mit der Was- 
sermarmreaktion nicht gemacht werden konnte, so bleiben 118 Lues¬ 
fälle übrig, die im Jahre 1917 hier behandelt worden sind. (Neben¬ 
bei bemerkt, ein Ansteigen der Lues über 50 Proz. im 3. Kriegsjahr 
gegenüber dem zweiten!) Bei diesen 118 Fällen wurden 985 Salvar- 
saniniektionen gemacht und dabei 514,2 g Salvarsan verbraucht. 
Jeder Fall erhielt mithin im Durchschnitt 8,4 Injektionen ä 0,52 g 
und für jeden Kranken wurden durchschnittlich 4,4 g Salvarsan ver¬ 
braucht. Der Erfolg: Negativ entlassen wurden 71 = 60Proz. (gegen¬ 
über 36 Proz. im Jahre 1916), positiv blieben 47 = 40 Proz. (gegen¬ 
über 64 Proz. im Jahre 1916). Es ergibt sich also: Eine Verdop¬ 
pelung der Anzahl und eine mässige Verstärkung 
der einzelnen Salvarsan Injektionen hat fast eine 
Verdoppelung der Prozentzahl der negativier- 
ten Fälle ergeben. Während 1916 nur etwa % der 
Fälle negativ entlassen werden konnten, sind es 
jetzt fast 2 /a, bei denen dieses Ziel jeder Syphilis¬ 
therapie erreicht wurde. 

Nun kommt es bei der Syphilisbehandlung natürlich nicht nur auf 
die einmalige Negativierwrg, sondern auf den Bestand der letz¬ 
teren an. Auch hierin, also in bezug auf den Dauererfolg der Behand¬ 
lung, lässt sich ein erheblicher Fortschritt von 1916 zu 1917 fest- 
steilen. Dieser konnte durch die Nachuntersuchungen in der Be¬ 
ratungsstelle für Geschlechtskranke erhoben werden, allerdings, wie 
ich mit Bedauern bemerken muss, leider nur in etwa Vs der negativ 
entlassenen Fälle. Es ist eine leider nicht fortzuleugnende Tatsache, 
dass die für das Wohl der Erkrankten, aber auch für die statistische 
Verarbeitung der Fälle so unerlässliche, über Jahre hindurch fortzu¬ 
führende Serumkontrolle der einmal Erkrankten zum Teil durch die 
Indolenz der letzteren, dann aber auch durch viele äussere Um¬ 
stände so oft unmöglich gemacht wird. Gerade hier im Industriegebiet 
und in der jetzigen Kriegszeit scheint der Wanderungsverlust durch 
Wechsel der Arbeitsstelle, Einziehung zum Militär und ähnliche Um¬ 
stände besonders gross zu sein. Jedenfalls gelang es mir selbst mit 
den der Beratungsstelle der Landesversicherung zustehenden Mitteln 
nur bei etwa 30 Proz. der im Krankenhaus Behandelten und dort 
negativ Entlassenen die Nachuntersuchung anzustellen: Ich fand, 
dass von den/ 1916, also nach durchschnittlich 4 Injektionen ä 0,45 
negativ gewordenen nur 33 Proz. negativ geblieben waren, während 
67 Proz. wieder positiv reagierten. Dagegen waren von den 1917, 
nach 8—9 Injektionen ä 0,45—0,6 Negativierten noch 63 Proz. negativ 
geblieben; nur bei 37 Proz. war ein serologisches, bei keinem ein 
klinisches Rezidiv eingetreten. 

Ich protestiere von vornherein gegen etwaige Versuche von Sal- 
varsangegnern, aus diesen Zahlen herauszulesen. Salvarsan habe auch 
bei verstärkter Anwendung 40 Proz. Fehlergebnisse. Die mitgeteilten 
Zahlen haben nur Vergleichswert; sie sind gewonnen an dem in den 
beiden Vergleichsjahren in seiner inneren Zusammensetzung gleichen 
Krankenhausmaterial. In ihm sind leider die Primäraffekte geradezu 
eine Ausnahme. Meist bekommen wir die Patienten- erst im zweiten 
kondylomatösen Stadium, ferner, durch die Polizei geschickt, manche 
seit sehr vielen Jahren- infizierte Puellen. Wir haben ferner eine 
grössere Zahl Kinder mit Lues hereditaria tarda zu behandeln ge¬ 
habt und andererseits auch Patienten mit ausgesprochenen Spät¬ 
formen, -beginnender Tabes usw., alles also Kategorien von Kranken, 
bei denen die Wassermann-reaktion erfahrungsgemäss ungemein hart¬ 
näckig und schwer zu negativerem ist. Der Krieg hat ferner in 
doppelter Hinsicht verschlechternd auf die Statistik eingewirkt: Ein¬ 
mal verhinderte der allgemein durch die Kriegsernährumg herab¬ 
gesetzte Körperzustand oftmals die volle und energische Durch¬ 
führung der Salvarsan-Quecksilber-Kur, andererseits hat der Krieg 
gerade hier im Industriegebiet so zahlreiche und gute Verdienstmög¬ 
lichkeiten geschaffen, dass es dadurch schon schwer geworden ist, die 
äusserlich symptomfrei gewordenen und sich gesund fühlenden Patien¬ 
ten noch zur Weiterführung der Kur lange im Krankenhause zurück¬ 
zuhalten. In einer Zeit, in der in den Fabriken jeder Arm gebraucht 
wird, konnte man sich natürlich auch dem Wunsche der Patienten 
nach ausserklinischer Weiterbehandlung nicht widersetzen. Und so 
können wir annehmen, dass eine ganze Reihe noch positiv Entlassener 
bei der ambulanten Weiterbehandlung noch negativ geworden- Ist 

Wir wirksam die eben-genannten Momente, die die Kramken-haus- 
statistik der Salvarsanbehandlung ungünstig beeinflussen-, tatsächlich 
sind, können wir an einer Kategorie von Patienten beweisen, die 
ihnen weit weniger unterworfen sind, an Soldaten. Bei ihnen fehlte 
die extrem lange zurückliegende Infektion. Die Fälle kamen meist im 
primären oder frühsekumdären Stadium. Die einzigen Primäraffekte, 
die wir auf der Klinik sahen, waren- bei den regelmässigen Gesund¬ 
heitsbesichtigungen durch die Truppenärzte entdeckt worden. Ferner 
fällt bei den Soldaten der den Erfolg der Kur so oft ungünstig be¬ 
einflussende Eigenwille der Patienten und der Wunsch, die Kur ausser¬ 
halb des Krankenhauses zu beenden, fort. Der Emährungs- und all¬ 


gemeine Gesundheitszustand war durchschnittlich ein besserer als 
wie bei den Zivilpatien-ten. Kurz, wir waren imstande, die Kur 
bei den Soldaten energischer und länger durchzuführen. 

So konnten wir den 44 Luespatienten der Soldätenstation, nach 
Ausweis der Krankenblätter, zusammen 398 Salvarsaninjektionen mit 
im ganzen 230,8 g geben. Es entfallen mithin hier auf den einzelnen 
Fall 9,0 Injektionen zu durchschnittlich 0,58 g gegen- 8,4 Injektionen 
zu 0,52 g im Gesamtdurchschnitt des Jahres, und pro Fall wurden 
5,3 g Salvarsan gegenüber 1,9 im Jahre 1916 und 4,4 im Gesamtdurch- 
schnitt 1917 verbraucht. Diese durch die äusseren Umstände ermög¬ 
lichte Verstärkung der Kur hat die Zahl der negativ Entlassenen auf 
32 = 73 Proz. herauf gebracht. Nur bei 12 = 27 Proz. musste die Kur 
wegen Unverträglichkeit des Salvarsans oder Resistenz der positiven 
Reaktion nach 12—14 Spritzen noch vor der erfolgten Negativierung 
abgebrochen werden. 

Entsprechend besser waren auch dre Resultate der Nachunter¬ 
suchung an den negativ Entlassenen. Bei ihnen wurden 83 Proz. 
noch negativ gefunden, nur bei 17 Proz. war die Reaktion wieder um¬ 
geschlagen. Also auch hier tritt eine sehr deutliche Verbesserung 
der Dauerwirkung durch die verstärkte Salvarsandosis hervor. 

Zur besseren Uebersicht seien die gefundenen Zahlen hier noch¬ 
mals tabellarisch zusammengestellt. 


Oeiamtstation^ Nur Soldaten 
1916 | 1917 1917 


Zahl der behandelten LaesfiUe. 

.. „ Salvarsaninjektionen. 

Salvars in verbrauch ... 

Durchschnittszahl der Injektionen pro Fall 
,, des Salvarsan pro dosis 

„ „ „ pro Fall . 

Es wurden WR. — entlassen. 

„ „ WR. + „ . 


70 

297 

133,05 

4.2 

0,45 

25 = 36 Proz. 
45 s 64 „ 


118 

985 

514,25 

8,4 

0,52 

71 s 66 Proz. 
47 s 40 „ 


398 

230,8 

0,58 

5.3 

32 a 73 Proz. 
12=27 „ 


Bei der Nachuntersuchung; (nach V« bb 1 Jahr) waren von den negativ entlassenen: 

Noch negativ .I 33 Proz. I 63 Proz. I 83 Proz. 

Wieder positiv.| 63 „ | 37 „ | 17 „ 


Wir sehen^also, dass wir — immer bei gleichbleibender Queck¬ 
silberdarreichung — die Resultate der Syphilisbehand- 
1 u n g fast in demselben Masse verbessern konnten, 
indem wir die Salvarsanmenge steigerten, und zwar 
mussten wir, da die Einzeldosis ohne Gefährdung der Kranken ja 
nicht beliebig gesteigert werden kann, bei einer mittleren Salvarsan¬ 
dosis von 0,45 bei Frauen* und 0,6 bei Männern die Zahl der In¬ 
jektionen erhöhen, im Durchschnitt verdoppeln, in einzelnen Fällen 
sogar verdreifachen. Um die Zeit der Kur nicht im gleichen« Masse 
zu verlängern, d. h. zu verdoppeln, konnten wir ohne jede Gefährdung 
der Kranken den Zwischenraum zwischen je 2 Injektionen von 7 auf 
5 Tage verringern. 

Wenn wir mithin auch, wie ein Blick auf die Tabelle zeigt, eine 
bedeutende Verbesserung der Resultate erzielt Traben, so sind wir 
doch noch von dem idealen Ziel der Therapie, der Negativierung jedes 
Syphilisfalles, weit entfernt. Wir können noch nicht jedem ins Kran¬ 
kenhaus Aufgenommenen sichere Heilung versprechen-. , Aber die 
Schuld daran liegt weder bei uns, noch am Salvarsan, sondern einzig 
daran, dass wir im Krankenhaus die Fälle fast nie in jenem Stadium 
bekommen, in dem das Salvarsan am sichersten die Heilung ver¬ 
spricht. Zehnjährige Tätigkeit mit dem Salvarsan hat folgende Er¬ 
fahrungstatsachen klar erkennen lassen, die ich zwar leider nicht an 
dem Material des Krankenhauses, aber doch in zahlreichen Fällen der 
Privatpraxis zu bestätigen Gelegenheit hatte: Das Salvarsan ent¬ 
faltet seine hervorragenden spirillotoxischen, ätiotropen Eigenschaften 
bei der menschlichen Syphilis genau wie im- E h r 1 i c h sehen Nagana- 
Mäuseversuch, in- dem es unter 606 Präparaten das vollkommenste 
war, nur in dem Zeitraum, so lange es nicht zu einer festen Bindung 
zwischen Spirochäten und Körper gekommen ist. Sobald der Parasit 
in den Gewebsspalten des Körpers und im Lymphsack des Zentral¬ 
nervensystems sich festgesetzt, dort vielleicht Entwicklungsstadien 
angenommen hat, die haptophore Gruppen für das Arsenmolekül nicht, 
wie die uns bekannte Spirochäte, besitzen, ist es zu spät für die 
schlagartige Sterilisierung des Körpers, die wir vom Ehrlichschen 
Mäuseversuch kennen. Dieser Zeitpunkt des „zu spät“ wird an¬ 
gezeigt durch das Auftreten* der positiven W assermannschen Re¬ 
aktion, denn diese sagt ja, dass ein vermehrter Eiweisszerfall im 
Organismus eingetreten ist eben durch die Tätigkeit der in ihm 
verankerten Spirochäten. In diesem Stadium ist das Salvarsan durch¬ 
aus nicht etwa wirkungslos. Es hemmt zweifellos die Vermehrung 
deT Spirochäten, es regt vielleicht die Abwehrmittel des Organismus 
an und kann so durch lange und mehrfache Schläge sie schliesslich 
wohl auch noch völlig ausrotten. Es fragt sich aber immer noch, 
ob der Organismus gesund genug ist, um eine solche lange SaWarsan- 
kur zu vertragen, ob nicht versteckte andere Krankheitsanlagen oder 
der allgemeine Ernährungszustand eine Kontraindikation dagegen at>- 
gebent So hat im zweiten, entzündlichen Stadium der Syphilis das 
Salvarsan nur mehr die Bedeutung eines starken Hilfsmittels des 
Quecksilbers. Wenn aber vollends jenes Stadium erreicht Ist, das 
durch degenerative Prozesse im -Nervensystem oder im elastisohen 
Gewebe der Schlagadern charakterisiert ist. so halte ich die Emp¬ 
fehlung des Salvarsans für einen medizinischen Denkfehler, Wie 
soll das Mittel verlorengegangene Nervensubstanz, zugrunde¬ 
gegangene Elastika ersetzen? Selbst zur Erhaltung des Status quo 


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20. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


925 


ante erscheint die Injektion eines spezifisch auf Spirochäten ein¬ 
gestellten Präparates kaum geeignet, denn die Verheerungen werden 
ja nicht durch die Spirochäten als solche, sondern durch Toxine her¬ 
beigeführt. 

Der Kampf gegen die Syphilis mit dem Salvarsan muss dem¬ 
nach so organisiert werden, dass die Kranken in dem in jedem Falle 
vorhandenen, wenn auch kurzen Zeitraum zwischen dem Auftreten 
der ersten, noch banalen Erscheinungen an der Infektionsstelle und 
dem Positiv werden der Wasserma nn sehen Reaktion zur Behand¬ 
lung kommen. Die Militärverwaltung hat jetzt den Kampf auf dieser 
Basis in grosszügiger Weise begonnen, indem sie überall in den 
grösseren Garhisonen zentrale Untersuchungsstellen zur Diagnostik 
der Frühläsionen errichtet hat. Diesen haben die Truppenärzte alle, 
auch die scheinbar harmlosesten Erosionen, Abschürfungen, Ge¬ 
schwüre und Bläschen an den Genitalien zuzuweisen, und dort werden 
diese mit allen Hilfsmitteln der modernen Technik, wie Dunkelfeld- 
ttnd Burrimethode auf das Vorhandensein von Spirochäten unter¬ 
sucht. Jedenfalls wird.diese segensreiche Einrichtung, die erst seit 
kurzem besteht, in der nächsten Statistik der Soldatenstation sich be¬ 
merkbar machen. Im vorigen Jahre bekamen wir die Primäraffekte 
meist erst nach ihrer vollen klinischen Ausbildung mit schon positiver 
Wassermann scher Reaktion. 

Für die Zivilbehandlung fehlt noch eine solche Organisation zur 
Aufdeckung der Frühfälle. Auch die Beratungsstellen können nur 
wenig in diese Lücke springen, weil sie wohl überall nur 2 mal in 
der Woche geöffnet sind, und die Frühdiagnose der Syphilis durchaus 
an jenem Orte gestellt werden muss, wo ev. die Behandlung sofort ihren 
Anfang nehmen kann, d. h. im Sprechzimmer des Arztes. Ich spreche 
hier mir eine allgemein- geäusserte Erfahrung aus, wenn ich sage, dass 
bisher im Kreise der Praktiker der Versuch einer exakten und be¬ 
sonders frühen Syphilisdiagnose selten gemacht wurde. Qar zu oft 
begnügt man sich, damit zu warten, bis der Fall serologisch als Syphi¬ 
lis erkannt ist, oder gar, bis „der Ausschlag den Ausschlag“ gegeben 
hat. Die Erfahrungen der letzten Jahre beweisen, dass dies ein 
Kunstfehler ist. Es liegt mir ferne, damit den Aerztem, die jetzt so 
handeln, einen Vorwurf zu machen, denn die Mehrzahl der jetzt 
praktizierenden Kollegen studierte in einer Zeit, in der venerologische 
Vorlesungen an den Universitäten kaum gehalten wurden, die Der¬ 
matologie jedenfalls nicht Pflichtfach war. Erst vom 1. Oktober d. J. 
ab wird sie ja Prüfungsfach. Um so dringender wird der Ruf nach 
Fortbildung der Aerzte in dieser Krankheit, die unter dem Einfluss des 
Krieges an Ausdehnung und Bedeutung enorm zugenommen hat. 

Die Frühdiagnose der Syphilis muss Gemeingut aller Aerzte sein, 
auch der auf dem Lande praktizierenden, denn diese Krankheit wird 
in Zukunft durchaus nicht, wie früher, an die Grossstädte gebunden 
sein. 

Wie jeder Arzt jetzt bei einem über Durst und Furunkulose 
klagenden Patienten nach Zucker im Urin sucht, so muss in Zukunft 
in jeder Erosion am Genitale, in jeder „aufgeriebenen Stelle“, Herpes¬ 
bläschen oder sog. weichem Schanker nach der Spirochaete pallida 
gesucht werden. Erst dann werden die Kranken der Segnungen des 
Salvarsans in vollem Masse teilhaftig gemacht werden können. 


Aus der 11. medizinischen Klinik der Universität München. 
(Vorstand: Professor Friedrich Müller.) 

Blutbefunde bei Oedemkranken. 

Von W. HL Jansen in München. 


Zur Vervollständigung des in Nr. 1 1918 dieser Wochenschrift 
geschilderten Krankheitsbildes der „0 e d e m k r a n k h e i t“ seien 
im folgenden die noch fehlenden Blutbefunde mitgeteilt. Sie erfordern 
eine gesonderte Besprechung, weil sie ein für das Krankheitsbild 
charakteristisches Verhalten zeigen, das für die Pathogenese der 
Erkrankung weitere Anhaltspunkte gewinnen lässt. 

Neben dem Oedem ist die starke Blässe der Haut sowie der 
sichtbaren Schleimhäute das sinnfälligste Symptom, über das alle 
Autoren übereinstimmend berichten. Demzufolge ist die Zahl der 
roten- Blutkörperchen deutlich vermindert. Auf der Höhe des Oedems, 
aber auch in Fällen ohne deutliche Oedemerscheinungen, beträgt ihre 
Zahl zwischen 1,5 und 4,0 Millionen Erythrozyten. Eine Vermehrung 
der Erythrozyten, wie sie von Maase und Zondek, Knack und 
Neumann, Hülse gelegentlich gesehen wurde, konnte in keinem 
Falle beobachtet werden. Selbst in Fällen mit niedriger Erythrozyten- 
zabl fand sich kein typisches Zeichen für eine perniziöse Form der 
Anämie: niemals Megalob las tose, keine Poikilozytose, nur gering¬ 
fügige Amsozytose und vereinzelt Polychromatophilie. 

In keinem Falle trat Hämolyse des Blutserums ein. Die Ery¬ 
throzyten waren stark fingiert und Hessen vielfach ihre Dellenform 
vermissen: wohl als Ausdruck einer geringen Formvergrösserung und 
Hämoglobinanreicherung. Entsprechend diesem färberischen Ver¬ 
halten war *ler Hämoglobingehalt des Blutes (bestimmt mit dem 
A u t e n r i e t h sehen* 'Hämokolorimeter) * im Vergleich zu der zu¬ 
gehörigen Erythrozytenzahl erhöht und schwankte zwischen 65 Proz. 
und 103Proz. Auf diese bemerkenswerte Erscheinung 
sei besonders hingewiesen. Demzufolge war in allen Fällen 
der Färbeindex > 1. Eine Uebersicht über das Verhalten- von Hämo¬ 
globin, roten Blutkörperchen und Färbeindex sowie ihr Verhältnis 
zueinander gibt folgende Zusammenstellung: 

Nr. 34. 

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Es fanden sich: 

Hämoglobin: 

Erythrozyten: 

Firbeindex: 

In 9 Pillen 

65— 75 Proz. 

1,5-3,0 Millionen 

1,3-1,9 


75— 95 „ 

3,0-4,0 „ 

1,0-1,4 

„ 3 „ 

95-105 „ 

3,0- 4,5 

1 , 2—13 


Die Uiitersuchungsrcsultate betreffs der weissen Blutkörperchen 
stimmen bei der Mehrzahl der Autoren überein und lassen sich dahin 
zusammenfassen, dass eine ausgesprochene Neigung zur 
Leukopenie besteht. Dasselbe trifft auch für die von mir unter¬ 
suchten Fälle zu, wie folgende Zusammenstellung lehrt: 


Es landen sich: 

Weisse Blutkörper: 

In Proz. der Pille: 

In 1 Falle 

unter 3000 

= 3,1 Proz. 

„ 6 Pillen 

3000— 4000 

= 18,7 „ 

„ 13 it 

4000- 5000 

= 40,6 „ 

„ 6 „ 

5000- 6000 

= 18,7 „ 

„ 2 „ 

6000— 7000 

= 6,2 „ 

„ 4 „ 

7000-10000 

=*12,4 „ 


Das qualitative Blutbild zeigt in der Mehrzahl der Fälle eine 
Vermehrung der Lymphozyten (relative Lymphozytose), die 
zwischen 30 Proz. und 55 Proz. schwankt Pathologische Lympho- 
zytenformen fanden sich nicht. Auch in diesem Befunde herrscht bei 
allen Autoren Uebereinstimmung. 

In einer grösseren Anzahl der Fälle wurde die Gerinnunigszeit 
des Blutes bestimmt (Bürkersche Methode). Sie wurde mit einer 
Ausnahme verkürzt gefunden. Der Eintritt der Gerinnung erfolgte bei 
einer Temperatur von; 25 u bereits nach 2% —3 Yk Minuten gegenüber 
4—434 Minuten der Norm (nach eigenen Erfahrungen). 

Die molekulare Konzentration des Blutserums gemessen an der 
Gefrierpunktserniedrigung wurde in einzelnen Fällen geprüft. Sie 
zeigte keine Veränderungen- gegenüber der Norm. Die Werte für 6 
schwankten zwischen —0,55 und —0,56. 

Die Bestimmung des Eiweissgehaltes im Blutserum ergab ein 
für die Oedemkrankheit charakteristisches Verhalten, über das in der 
bisherigen Literatur völlige Uebereinstimmung herrscht. Das Eiweiss 
des Serums wurde aus der Differenz des analysierten Gesamtstick¬ 
stoffs uudi Reststickstoffs durch Multiplikation mit 6,25 berechnet. 
Der auf diese Weise ermittelte Eiweissgehalt des Blutserums ist nach 
meinen Erfahrungen etwa um 0,5 Proz. niedriger als der durch Ge¬ 
wichtsanalyse gefundene Wert, weshalb wir für die Eiweisskonzen- 
tration im Blutserum 6,5—8,5 Proz. als Normalwert aimehmem müssen. 
Der Eiweissgehalt des Blutserums gestaltet sich bei den Oedemkran¬ 
ken in folgender Weise: 


Es fanden sich: 

Eiweiss in l’roz : 


ln 5 Pillen 

8,5-6,5 

ss normal. 


6,4—6,0 

= subnormal. 

” 0 " 

«• * »» 

5,9-5,0 

4,7-4,0 

= stark erniedrigt, 
ss sehr stark erniedrigt. 


Demnach ist die Ei Weisskonzentration des 
Blutserums niedrig bzw. extrem erniedrigt. Von den 
in der ersten Reihe als normal bezeichnetem 5 Fällen wqren 3 an 
der unteren» Grenze von 6,5 proz. Konzentration. Ihnen folgen 
14 Fälle mit ausgesprochener Erniedrigung von 5—6,4 Proz. und 
3 Fälle mit extremster Erniedrigung bis zu 4 Proz., wie man sie 
höchst selten bei schwersten Kachexiekrankera beobachtet. 

Diese erniedrigte. Eiweisskonzentration des Blutserums gilt ganz 
allgemein als Zeichen der H y d r ä m i e, d. h. einer Verwässerung des 
Blutes. Den Wassergehalt des Blutes fand ich in. Uebereinstimmung 
mit anderen Unter Suchern (Maase und Zondek, Knack und 
Neumann) um etwa 5—10 Proz. erhöht, oder mit anderen Worten: 
den Trockenrückstand des Blutes um dieselben' Prozentwerte auf 
15,8—12,4 g erniedrigt. Es entsteht zunächst die Frage, ob diese 
Hydrämie nun ein Ausdruck für eine Wasseran¬ 
reicherung im Gefässsystem ist, also eine sogen, 
hydrämische Plethora, oder für eine Abnahme des 
Eiweissgehaltes im Blute, eine sogen. Hypalbumi- 
n o s e. Im ersteren Falle würde die Gesamtblutmenge des Organis¬ 
mus vermehrt sein, was noch erst durch vergleichende Bestimmungen 
der Blutmengen vor und während des Oedemstadiums festgestellt 
werden müsste. Hierfür mangelt es aber aru zuverlässigen Methoden. 
Ein Entscheid in dieser Frage lässt sich aber auch ohnedies aus dem 
Verhalten des Hämoglobins in vorliegenden Fällen treffen. Seine 
Grösse ist zwar nicht konstant, aber das Verhältnis des Hämoglobins 
zur Erythrozytenzahl, d. h. der Färbeindex übersteigt normaler Weise 
nicht den Wert 1, soferne keine perniziöse Anämie vorliegt, was bei 
den Oedemkranken nicht der Fall ist, wie später noch gezeigt wird. 
Bei Wasseranreicherung des Blutes würde eine gleichmässige Ver¬ 
minderung der in der Raumeinheit befindlichen Hämoglobin- und 
ErjHhrozytenzahlen eintreten, wodurch der vorherige Färbeindex 
konstant bleibt, auf keinen Fall erhöht werden kann, Da er aber 
in vorliegenden Fällen stets erhöht gefunden wurde, ohne dass eine 
perniziöse Anämie nachweisbar ist, so müssen jene den Färbeindex 
bestimmenden Faktoren eine Veränderung von differenter Grösse und 
ev. sogar von verschiedener Richtung erfahren haben. Eine solche 
Ungleichmässigkeit der Veränderung kann durch eine einfache Ver¬ 
wässerung nicht erklärt werden. Für diese ist Gleichmässigkeit 

2 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


in- Gross« und Richtung des Ausschlages unbedingte Folge. D i e 
Hydrämie ist demnach, wie auch die Untersuchungsmethode 
eigentlich nur besagt, durch eine Eiweissverarmung des 
Blutserums bedingt, somit also eine Hypalbumi- 
nose. Diese kann zweierlei Ursachen haben: Entweder diffundiert 
reichlich Plasmaeiweiss durch die Kapillarmembran in dfe Oedern- 
flüssigkeit hinein, wodurch diese besonders ei weissreich würde. 
M a a s e und Z o n d e k u. a. wiesen aber durch vergleichende Unter¬ 
suchungen an Oeöemflüssigkeiten verschiedener Aetiologie nach, dass 
diese beim Kriegsödem besonders eiweissarm ist. Od<er die zweite 
Ursache der Eiweissverarmung des Blutes besteht in einem Ei¬ 
weisszerfall auf Grund einer Inanition. 

Da wir im dem Blut ein Körpersubstrat haben, aff dem wir das 
biologische Verhalten lebender Zellen und der sie umgebenden Körper¬ 
flüssigkeit beurteilen können, so könnte man versucht sein, die an 
ihm gewonnenen Befunde ohne grosse prinzipielle Unterschiede auf 
Zellen, Gewebe und» Flüssigkeit des Organismus ganz allgemein zu 
übertragen. Die Hypalbuminose des Blutserums und 
die Verminderung der Blutkörperzahl (Erythrozyten 

Leukozyten) sind charakteristische Merkmale der 
Oedemkrankheit. Sie sind der Teilausdruck für 
die Eiweissverarmung der Zellen, (iewebe und 
ihrer Flüssigkeiten im gesamten; Organismus auf 
Grund* eines E i w e i s s z e r i a 11 s, den ich als Folge einer kalo¬ 
rischen Insuffizienz der Nahrung durch den Stoffwechselversuch als 
de facto bestehend bereits nachgewiesen habe. Das durch die Lebens¬ 
prozesse zu Verlust gegangene Eiweiss kann nicht mehr ersetzt wer¬ 
den, Es kommt also nicht mehr zur Regeneration der lebenden Ei¬ 
weisssubstanz. So erklären sich die verschieden schwerem Grade 
der Anämie bei der Oedemkrankheit. Wahrscheinlich beruht auch 
die Kriegsamenorrhöe der Frauen auf diesem» Regenerationsmangel 
in Zusammenhang mit vermehrter Arbeitsleistung. Das völlige Fehlen 
von Zelljugendformen im Blut beweist ebenfalls das mangelnde Re¬ 
generationsvermögen der Blutzellen. Wir haben es also bei der 
Anämie der Oedemkranken nicht mit einer primären Bluterkran- 
kunig auf Grund einer Alteration dies blutbildenden Knochenmarkes 
oder auf Grund einer toxischen Sdl^digung irgendwelcher Blutgifte 
oder mit einfaches Verwässerung zu tun. Dagegen spricht auch das 
paradoxe Verhalten des Hämoglobins gegenüber der zugehörigen, ver¬ 
minderten Erythrozytenzahl. Der Hämoglobinzerfall geht dem Unter¬ 
gang der Blutzellem nicht parallel. Der HämoglobinstoffWechsel er¬ 
leidet sicherlich keine tiefgreifende Schädigung, weshalb auch nie¬ 
mals, wie schon oben bemerkt, Hämolyse des Blutserums oder eine 
Benzaldehydreaktion im Urin beobachtet wurde. Aus diesem relativ 
hohen Hämoglobingehalt erklärt es sich auch, unter Berücksichtigung 
der wichtigen Rolle des Hämoglobins als Sauerstoffträger, dass die 
Oedemkranken keine klinisch nachweisbaren Symptome einer Re¬ 
spirationsstörung in Form einer - Sauerstoffinsuffizienz darboten. 
Dieses eigentümliche Verhalten des Hämoglobins findet eine Analogie 
in dem Hämoglobinbefund bei unterernährten Individuen ohne 
irgendwelche Oedemerscheinungen. So beobachtete Jakobsthal 
bei unterernährten Schwerstarbeitem Hämoglobinwerte von 95 bis 
110 Proz., dagegen entsprechend bei voll ernährter Landbevölkerung 
solche von* 70—80 Proz. Leipziger Untersucher fanden eine dauernde 
Hämoglobinsteigerung bei Schulkindern. Bei anderer Gelegenheit be¬ 
richtete ich bereits über verminderte Erythrozytenzahlen und er¬ 
höhten, zugehörigen Hämoglobingehalt bei Individuen im reduzierten 
Ernährungszustand. Die relative Lymphozytose ist für die 
Oedemkrankheit nicht charakteristisch. Sie findet sich nach unseren 
Erfahrungen bei den meisten asthenischen' Zuständen verschiedener 
Aetiologie und ist wohl häufig ein Zeichen, einer angeborenen oder er¬ 
worbenen* Konstitutionsamomalie. Inwieweit sie als ein Zeichen 
endokriner Störungen und der dadurch bedingten Gleichgewichts¬ 
verschiebung im autonomen Nervensystem amzusprechen ist, soll bei 
späterer Gelegenheit im Zusammenhang mit anderen, dahingehörigen 
Erscheinungen besprochen- werden. 

Der Reststickstoff 1 ) wurde in 19 Fällen 24mal bestimmt, 
der höchste erhaltene Wert war 32,2 mg in 100 ccm Blutserum, also 
nicht erhöht. Zweimal wurden recht niedrige Werte (unter 20 mg) 
beobachtet. Die Bestimmung erfolgte »in dem mit Uranazetat cnt- 
eiweissten Blutserum. Die Werte für Harnsäure, auf kolori- 
metrischem Wege mit Phosphorwplframsäure und Natronlauge er¬ 
halten, hielten sich ebenfalls im wesentlichen in dien Grenzen der 
Norm. _ 


Es fanden sich: 

Harnsäure in mg-Proz.: 


ln 13 Fällen 

2,0-4,0 

= normal. 

»2 >. 

1,4-1,8 

= erniedrigt. 

.. 2 „ 

4,5—5,2 

ss erhöht. 


Der Zuckergehalt des Blutes wurde in 19 Fällen 29mal 
untersucht. Davon beziehen sich 24 Untersuchungen auf Bestim¬ 
mungen im Blutserum, das möglichst rasch gewonnen und- enteiweisst 
wurde. Es ergaben sich folgende Werte: 


Es fanden sich: 

Zucker In mg-Proz. 


In 10 Fä'lea 

70-100 

= normal. 

„ 12 „ 

34- 70 

= erniedrigt. 

„ 2 ,, 

119-173 

^ erhöht. 


Dabei ist zu bemerken, dass unter den 10 als normal angeführten 
Fällen die meisten (8) Werte zwischen 70 und 80 zeigen, also an der 
unteren Grenze der Norm stehen. Man kann also zusammenfassen, 
dass die Zuck er werte meist niedrig und nur aus¬ 
nahmsweise normal oder sogar erhöht sind'. Die 
niedrigsten Werte für Zucker (34 mg, 35 mg) fanden sich in schweren 
Fällen. Mit der Besserung nahmen die Zuckerwerte wieder zu. 

Zur Kontrolle wurden ,3 Bestimmungen im- Gesamtblut vor¬ 
genommen (Enteiweissung mit Alkohol). Die erhaltenen. Zahlen stim¬ 
men im wesentlichen mit den im Blutserum erhaltenen überein. 

Von den Mineralsalzen im Blut erfordert das Kochsalz 
bei der Oedemfrage die grösste Beachtung, weshalb -bei einer grös¬ 
seren Anzahl von Oedemkranken sein Gehalt im Serum bestimmt und 
dabei folgende Werte gefunden wurden: 


Es fanden sich: 

Kochsalz in mg-Proz: 


In 13 Pillen 

560 - 600 

= normal. 

„ 5 .. 

370—^40 

= erniedrigt. 

„ 9 ,, 

600-700 

= erhöht. 


Der Kochsalzspiegel im Blut zeigt für die 
Oedemkrankheit nichts Charakteristisches. In der 
Hälfte der untersuchten Fälle ist er normal — meist hochnormal —, 
in der anderen Hälfte zum Teil stark erniedrigt oder erhöht. Die 
niedrigen Werte betragen 370, 450, 496, 526 und 545 mg. Eine Er¬ 
niedrigung bis auf 370 ist m. W. bis heute noch nicht beobachtet 
•worden. Es liegt der Schluss nahe, dass beim Entstehen des Occtems 
eine Tran*sudation von Kochsalz und Wasser in die Gewebe statt¬ 
findet. Dadurch greift eine Verarmung des Blutes an genannten Be¬ 
standteilen. Platz, entsprechend analoger Vorgänge bei der Ent¬ 
stehung des Lungenödems oder des kardialen Hydrops (v. Mona- 
k o w) oder der Anasarka bei schwerem Diabetes mellitus nach Zu¬ 
fuhr von Natr. bicarb. (F a 11 a und Q u i 11 n e r). Da aber die Koch- 
salzzufuhr bei unseren Oedemkranken dauernd hoch ist (30—45 g 
pro Tag), so muss dieser Austritt von Kochsalz in die Gewebe bald 
eine Grenze finden, da diese für Kochsalz nicht unbegrenzt auf¬ 
nahmefähig bleiben können. Ist diese Grenze erreicht, so kommt es 
zum „Ueberlaufen“. indem die Kochsalzausscheidung durch die Nieren 
bei bestehendem Oedem abnorm hoch wird, wie alle Untersucher 
übereinstimmend berichten. In diesem Falle steigt dann der Kochsalz¬ 
spiegel im Blut wieder an. So erklären sich die obigen normalen 
Kochsalzwerte im Serum. Bleibt die Zufuhr hoch, wie es bei den 
Oedemkranken in Wirklichkeit der Fall ist, so steigt schliesslich auch 
der Kochsalzgehalt des Blutserums weit über die Norm an, wie dies 
bei Kochsalzgaben bei Gesunden schon wiederholt beobachtet wor¬ 
den ist. Weitere Untersuchungen zur Klärung der Oedembildung in 
ihrer Beziehung zum Kochsalz sind im Gang, so dass obige Deutung 
vorerst noch mit Vorbehalt gegeben ist. 

In den Kreis der Blutuntersuchungen wurde von Mineralsalzen 
noch der Kalkgehalt des Blutes mit einbezogen. Ich ging 
dabei von der experimentell bereits begründeten Ueberlegung aus, 
dass die gesteigerte Kapillardurchlässigkeit mit den Kalksalzen Zu¬ 
sammenhängen könnte, um so mehr, da von verschiedenen Seiten 
(Bönheim u. a.) über günstige Erfolge der Kalkmedikation beim 
Oedemkranken berichtet wurde,) und eine negative Kalkbilanz im 
Stoffwechsel der Oedemkranken von mir bereits nachgewiesen wurde. 
Der Schwierigkeit der Bewertung des Kalkspiegels im Blut war ich 
durch meine früheren, vergleichenden Untersuchungen über den Kalk¬ 
gehalt des menschlichen Blutes enthoben und gewann durch sie An¬ 
haltspunkte für die Beurteilung des Blutkalks bei Oedemkranken. 
Die Ergebnisse dieser Blutkalkbestimmungen sind in folgender Tabelle 
zusammengestellt: 


Es fanden sich: 

Kalk m niu-Proz. 
d Oes. Bl. 


In 3 Fällen 

10,0-11,0 

= liefnormal. 

„ 5 „ 

9,0- 9,8 

ss erniedrigt. 

„ 7 „ 

7,0- 8,9 

= stark erniedrigt. 


Der mittlere Blutkalkgehalt für Menschen in mittlerem Lebens¬ 
jahren beträgt in der Norm 11,5—12,0 mg-Proz. CaO. Darnach 
ist der Blut-k alkspiegel bei Oedemkranken deut¬ 
lich erniedrigt. Der tiefnoimale Wert von 10 mg-Proz., den 
man normalerweise bei älteren Individuen antrifft, ist das Zeichen 
einer herabgesetzten Vitalität der Gewebe im Alter. Steigert sich 
diese Herabsetzung der Gewebsvitalität im pathologischen Sinne bis 
zu Abbau- und Zerfallsprozessen im Organismus, wie sie für die 
Oedemkrankheit charakteristisch sind, so äussert sich dies hinsichtlich 
des Kalkstoffwechsels in einem weiteren Abfall des Blutkalkspiegels 
bis stark unter die Norm und einer negativen Kalkbilamz. So ist diese 
Verarmung des Blutes an Kalk, eine sog. Hypocalcämie, der 
Hypalbuminose und der A n ä m i e an die Seite zu stellen. Sie 
sind biologische 'Ausdrucksformen der im Organismus sich abspielen¬ 
den regressiven Metamorphose bei der Oedemkrankheit. Aus den 
Untersuchungen C h i a r i s .wissen wir, dass Kalkentziehung des 
Organismus die Durchlässigkeit der Gefässwände erhöht. Wir dürfen 
deshalb den Schluss ziehen, dass der Kalkverlust des Körpers bei 
der Oedemkrankheit u. a. als ätiologisches Moment bei 


0 Reststickstoff, Harnsäure und Zucker wurden von Herrn Prof. 
Neubauer bestimmt. 


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20. August 1018. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


927 


der Oedembildung mit in Frage kommt. Dieses Kalkmomerrt bei der 
Ocdcmfrage liegt aber nicht so einfach, als ob die Kalksalzc als solche 
ein Abdicbtungsmittel der Gefässwände seien, durch deren Gegenwart 
allein ihre* normale Durchlässigkeit schon gewährleistet ist. Es spie¬ 
len sicherlich noch andere Momente dabei eine Rolle. In dieser Be¬ 
ziehung sind die Untersuchungen von Knack und Neumann von 
Wichtigkeit, welche im Blute der Oedemkranken eine Lipoidver^ 
armung nachwiesen und diese für die erhöhte Durchlässigkeit der 
Gefässwand verantwortlich machen. Kalk- und Lipoid Ver¬ 
armung gehören mit grösster Wahrscheinlichkeit 
zusammen, insofern zwischen ihnen- Wechselbeziehungen bestehen, 
über deren Natur bei späterer Gelegenheit Näheres mitgeteilt werden 
soll. 

Literatur. 

Bönhe im: M.m.W. 1917 Nr. 27 S. 873. — Chiari: Arch. f. 
exper. Path. u. Ther. Bd. 65. — Hülse: M.m.W. 1917 Nr. 28 S. 921. 

— Jakobsthal: Sitzungsber. Aerztl. Verein Hamburg 3. VII. 17. 
Ref. D.mAV. 1917 Nr. 51. — Jansen: Sitzungsber. Aerztl. Verein Mün¬ 
chen 13. II. 18. — D er s e 1 b e: D. Arch. f. klin. M. 125. 1918. H. 1—3. 

— Knack und N e u m a n n: D.m.W. 1917 Nr. 29 S. 901. — M a a s e 
und Zondek: B.kl.W. 1917 Nr. 36 S. 861. — v. Monako w: Habili¬ 
tationsschrift. Vogel, Leipzig 1917. S. 52 ff. — F a 11 a und Quitt- 
ner: W.klAV. 1917 S. 1189. 


Ueber hochwertige Erythrozyten- und Hämoglobinbefunde 
bei Kriegern. 

Von Dr. S. Wassermann, Leiter einer Rotkreuz-Sanitats- 
Gruppe i. F. 

In fortlaufenden, nun fast 1 X A Jahre währenden Untersuchungen 
an Kriegern konnten Blutbefunde erhoben werden, die von denen der 
Friedenszeit verschieden zu sein scheinen. Unter anderem insoferne, 
als deren erythrozytärer Anteil sich überwiegend auf der breitesten 
vom Frieden her gewohnten Norm hält, diese meistens überschreitet 
und zuweilen fast polyglobulische Werte erreicht. Diese Tatsache, 
einmal bemerkt, wurde immer wieder konstatiert, so dass sie Auf¬ 
merksamkeit verdient. 

Hier soll tabellarisch eine Reihe derartiger Befunde mitgeteilt 
werden, die um so eindeutiger sein dürften, als sie Ergebnisse 
darstellen von Untersuchungen, welche von ganz anderen Gesichts-* 
punkten aus unternommen wurden. 

Die Tabelle enthält die Initialwerte von 91 Untersuchungen 
(März 1917 bis März 1918). In dieser Gesamtzahl sind inbegriffen 
24 Fälle von (Jedem, darunter 17 mit Werten bis zu 5 Millionen Roter, 
die wir schlechtweg als Normalzahl annehmen wollen. 60 Fälle be¬ 
wegen sich jenseits dieser Zahl. Aber wollten wir auch noch 
weitere 22 Fälle mit dem Grenzwert von über 5 Millionen zu den 
Normalen schlagen, bliebe noch immer die stattliche Zahl von 38 Fäl¬ 
len mit Anfangswerten von 5 l A —6— 6A —7 Millionen Erythrozyten 
im Kubikzentimeter und mehr weniger gleichsinnigen Hämoglobin- 
mengen. 

Erythrozyten- und H ä m o g 1 o b i n be f u n d e: 


Zahl der Fälle 


Zahl d. Erythroz. 
hi Millionen 

Oeilem 

Diverse 

Erkrankg. 

Summe 

Salillprozente 

Oedem 

Diverse 

Erkrankg. 

Summe 

Ueber 1 Million 




von 40- 60 Proz 


2 

2 

„ 3 Millionen 

4 


4 

über 70 Proz. 

5 

1 

6 

„ 4 

13 

14 

27 

» 80 i» 

5 

2 

7 

.. 5 

3 

19 

22 

90 „ 

5 

12 

17 

„ 5 »/« „ 

3 

14 

17 

„ 100 „ 

6 

22 

28 

.. & 

1 

10 

11 

„ 105 „ 

3 

10 

13 

ft 6V, „ 


8 

8 

ho „ 


16 

16 

„ 7 a _ 


2 

2 

„ 120 „ 


2 

2 

Summe: 

24 

67 

91 

Summe: 

24 

67 | 

91 


eine von mir beschriebene Melanose der Haut auf, viele klagten über 
Hinfälligkeit und zeigten eine eigentümliche Schmerzhaftigkeit 
des Skelettes. Wir sind denn auch eingestandenermassen geneigt, das 
erwähnte eigenartige Verhalten* des 'Blutes nicht ausschliesslich als 
rein peripher-funktionell, sondern eher als eine tatsächliche Mehr¬ 
leistung der speziellen myeloischen Zentren anzusprechen-. Fordern 
könnte man allerdings, dass sich dies durch die Anwesenheit sog. 
pathologischer Elemente im peripheren Blute dokumentiere. Er¬ 
innert sei aber daran, dass selbst bei der manifesten Polyzythämie 
z. B. lange Zeit fast keinerlei morphologischen Veränderungen der 
Erythrozyten und weiters auch keine pathologischen roten Zellformen 
zu finden sind, unseres Erachtens nur wegen der ungemein aus¬ 
gedehnten Chronizität dieser Erkrankung, ein Umstand, der auch bei 
unseren Fällen von Belang sein dürfte. 

Vielleicht verhelfen auch meine einschlägigen Befunde bei 
Skorbutikern zum Verständnis der Frage *). In 13 von 25 Skorbut¬ 
fällen konnten im Verlaufe mehrwöchiger Beobachtung, in der Re¬ 
konvaleszenz zeitweise Werte über 6, in* zweien über 7 Millionen 
Erythrozyten und Sahliprozente von 110—120 ermittelt werden. Diese 
Tatsache gröblich auf eine eventuelle Ueberfiitterung allein zurück¬ 
zuführen, scheint schon deshalb nicht sehr wahrscheinlich, weil z. B. 
der leukozytäre Anteil des Blutbildes bis auf eine Vermehrung 
der Eosinophilen dabei unverändert bleibt, d-ie als ziemlich 
charakteristisch anzusehende Lymphozytose zu einer Zeit noch 
vorhanden ist, wo der Skorbut klinisch fast geheilt erscheint. 

Näherliegend ist, anzunehmen, dass die hochwertigen Ery- 
throzyten-Hämoglobinbefunde eine mit metabolischen Prozessen, be¬ 
dingt durch derzeitige Ernährungsverhältnisse, zusammenhängende Er¬ 
scheinung darstellen, wobei der Knochenapparat in ausge¬ 
dehnterem Masse, als. man es für gewöhnlich vermutet, auf daraus 
entstehende Reize bzw. Schädigungen reagiert. Es stellt der¬ 
massen der Skorbut bzw. die skorbutischen Knochenerscheinungen das 
fassbare Stadium klinisch unmerklicher Anfänge dar. Auch für das 
Symptom der „Tibialgie“, dem die vielfachsten Deutungen zuteil 
wurden, käme überwiegend obige Annahme in Betracht. 

Klinisch konnten bei unseren Kranken weder subjektive noch' 
objektive Symptome ermittelt werden, deren Abhängigkeit von dem 
erwähnten Blutverhalten wahrscheinlich gewesen wäre. Unsere 
Patienten wiesen keinerlei Beschwerden in dem Sinne auf, wie wir 
solche von der Polyzythämie her kennen. Manche hatten einen etwas 
dunkelröllichen bis kupferigen Farbenton namentlich des Gesichtes, 
den wir jetzt häufig antreffen, jedoch nicht die bekannte kirschrote 
Zyanose; manche zeigten die bereits erwähnte Melanose der Haut. 

Eine Umschau in der Literatur — soweit möglich — hat für die 
sehr notwendige Orientierung nur Weniges ergeben. Sehr wichtig 
scheint uns die Mitteilung Poetters „über den Hämoglobingehalt 
im Blute Leipziger Schulkinder vor und während des Krieges“. 
Poctter berichtet über „eine ganz ausgesprochene Tendenz zur 
Erhöhung der Hämoglobinwerte“ während der Kriegsdauer. 
Blutkörperchen-Zählungen scheinen leider nicht gemacht worden zu 
sein. Die Aehnlichkeit mit unseren Beobachtungen ist auffallend). 
Haben wir naturgemäss auch keine Vergleichsw-erte unseres Materials 
von früher her, so ist die zahlcnmässige Häufigkeit unserer über¬ 
wertigen Hämoglobin*- und Erythrozytenbefunde jedenfalls bedeut¬ 
sam, namentlich Spalte III ist in dieser Hinsicht bezeichnend, selbst 
wenn wir 5,5 Millionen* im Kubikzentimeter als obersten Grenzwert 
annehmen wollten, was jedoch für ein Krankenhausmaterial nicht gut 
angängig ist. 

Zusammenfassend bleibt somit, wie man die Dinge auch 
betrachte, die eigenartige Tatsache bestehen, dass bei einer ver¬ 
hältnismässig grossen Anzahl von kranken Krie¬ 
gern auffallend hohe Erythrozyten- und Hämo¬ 
globinwerte zu finden sind. 

Literatur. 

Poetter: Hämoglobingehalt im Blute Leipziger Schulkinder 
vor und während der Zeit des Krieges. D.m.W. 1917 S. 590. 


Wenn die bereits erwähnte Tatsache in Betracht gezogen- wird, 
dass in der oben angegebenen Gesamtzahl die Oedemkrankheiten, 
afs anämisch sich erweisend, unsere Tabelle in negativem Sinne 
stark belasten, ferner dass auch einige andere Fälle (Malaria, okkulte 
Blutungen, Nephritis) mit unterwertigem roten Blutbefund dabei sind*, 
so gewinnt der überwertige Tabellenanteil noch besonders an 
Bedeutung. 

Eine Erklärung für dieses Phänomen der Erhöhung der Erythro¬ 
zytenzahl sowie des Hämoglobinspiegels ist allerdings schwer zti 
geben. Naheliegend ist, d<ie hochwertigen Befunde bei kranken Krie-* 
gern als rein periphere Einstellung zu betrachten wie es bei Inani- 
tionszuständen mit angeblicher Eindickung des Blutes angenommen 
wurde. Auch der Umstand, dass ein Teil der obigen Befunde in Höhen 
von ungefähr 1000 m erhoben wurden (dzt. Standort des Kranken¬ 
hauses ca. 950 m), soll erwähnt werden. Jedoch glauben wir nicht, 
darin den ausschlaggebenden Faktor zu sehen, denn reichlich die 
Hälfte der Zahlen wurden an weit tiefer gelegenen^ Orten ermittelt 
und auch das hiesige Material ist durchaus kein reTn örtliches. 

Zur Klärung der Frage dürfte vielleicht der Umstand beitragen, 
dass die meisten Untersuchungen von Krankheitsfällen herrühren, bei 
denen Ernährungsschäden vermutet wurden, einige wiesen 


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Aus der medizinischen Klinik Königsberg. 

Berufsarbeit und Herzvergrösserung bei Frontsoldaten. 

Von Privatdozent Dr. Felix Klewitz, Oberarzt der Klinik. 

Ueber Herzvergrösserungen bei Frontsoldaten ist von* verschie¬ 
dener Seite berichtet worden; an ihrem relativ häufigen Vorkommen 
ist demnach wohl nicht zu zweifeln, selbst wenn man in Betracht 
zieht, dass nur in der Minderzahl der Fälle exakte Grössenbestim¬ 
mungen' möglich waren. Möglicherweise handelt es sich bei einem 
Teil dieser Herzvergrösserungen um solche, die noch in physiologi¬ 
scher Breite liegen und durch die „Erstarkung“ des Herzens bedingt 
sind, immerhin sind auch Erweiterungen des Herzens, also krankhafte 
Grössenzunahmen, einwandfrei beobachtet worden l ). 

Bei diesen Untersuchungen der Hcrzgrössc der Frontsoldaten ist 
bisher ein* Punkt ausser acht gelassen worden, der mehr Berück¬ 
sichtigung verdiente; es ist dies die Berufsarbeit der Soldaten während 


*) Erscheint demnächst in den „Folia Haematologica“. 

*) S. z. B. Wenckebach: Kongress in Warschau 1916. 

2 * 

Original fram 

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928 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


des Friedens. Durch die Untersuchungen von Schieffer*) sind 
Beziehungen zwischen Herzgrösse und Berufsarbeit nachgewiesen. 
Schi eff er 3 ) konnte ferner nachweisen, dass unter dem Einfluss 
des Mrilitärdienstes in Friedenszeiten in der Mehrzahl der Fälle 
sich eine Grössenzunahme des Herzens einstelfte. 

Es schien mir nun lohnend, festzustcllen, welche Veränderungen 
die Herzen der schwer arbeitenden bzw. leicht arbeitenden Berufs¬ 
klassen durch die Kriegsstrapazen erfahren hatten. Bei diesen Unter¬ 
suchungen haben sich einige Feststellungen ergeben, die mir einer 
Mitteilung wert erscheinen. 

Meine Untersuchungen erstrecken sich auf 30 Soldaten, davon 
26 Infanteristen; alle waren an der Front gewesen. Zur Zeit der 
Untersuchung befanden sie sich entweder in Heimatlazaretten oder 
bei Ersatztruppenteilen; bei keinem lag eine schwere Erkrankung 
vor, speziell war keiner der Untersuchten wegen Herz- oder Nieren¬ 
leidens in die Heimat geschickt worden; es klagte auch keiner über 
Herzbeschwerden. Dysenterie oder Typhus fand sich bei keinem der 
Untersuchten in der Anamnese. Die Herzgrösse wurde durch Fem- 
aufnahme bestimmt, bei aufrechter Stellung: die Berechnung der 
Fläche der Herzsilhouette in Quadratzentimeter geschah durch Wä¬ 
gung der von der Rönfgenplatte durchgepausten und ausgeschnittenen 
Herzsilhouette. 

Es wurden ferner festgestellt der Blutdruck und der auskulta¬ 
torische Befund. 

1 Zu den schwer arbeitenden Berufsklassen wurden gerechnet: 
Maurer, Schlosser, Bauern, Brauereiarbeiter, Militäranwärter; zu den 
leicht arbeitenden: Kaufleute, Lehrer, Kutscher, Bureaugehilfen und 
Kanzlisten, Monteure, Rangierer, Gastwirte, Stallschweizer. 

Die Resultate meiner Untersuchungen sind in der Tabelle gra¬ 
phisch dargestellt; die breite horizontale Linie stellt die „Nulllinie“ 
dar und bedeutet für jeden Fall die ihm zukommende Normalgrösse 
der Herzoberfläche; die Ordinaten nach oben stellen die jeweilige 
Vergrösserung, die Ordinaten nach unten die jeweilige Verkleinerung 
der Herzoberfläche gegenüber den Normalmassen' in Quadratzenti- 
metern dar; am Ende der Nulllinie sind eingezeichnet die normal 
grossen Herzen. Differenzen* bis zu 3 qcm nach oben oder unten 
gegenüber der Norm wurden vernachlässigt; in der Tabelle sind 
erst Differenzen von 5 qcm an als von der Norm abweichend auf¬ 
geführt Die schwer arbeitenden 'Berufsklassen sind schraffiert an¬ 
gegeben. 



Die graphische Darstellung bestätigt zunächst die von Schief- 
fer an grösserem Material gefundene Tatsache, dass Leute mit 
schwerer Berufsarbeit im allgemeinen grössere Herzen haben als 
solche mit leichter Berufsarbeit; sie macht ferner sehr wahrscheinlich, 
dass der Einfluss der Kriegsstrapazen auf die Herzgrösse ganz vor¬ 
wiegend bei den Soldaten sich geltend macht, deren Herz, wie man 
wohl annehmen darf, auch schon beiBeginn desKrieges eine zwar viel¬ 
leicht noch physiologische, aber doch über das durchschnittliche Mass 
hinausgehende Grösse aufwies 4 ). 

Im Einzelnen geht aus der graphischen Darstellung, folgendes 
hervor: 

1. Herzvergrösserungen zeigen in erster Linie die schweren Be¬ 
rufe {7 von 8 Fällen). 

2. Herzverkleinerungen zeigen in erster Linie dde leichten Berufe 
(7 von 10 Fällen; 2 der Herzverkleinerungen bei schweren Berufen 
sind auch nur unbedeutend). 

3. Normal grosse Herzen zeigen in erster Linie die leichten Be¬ 
rufe (7 von 12 Fällen). 

Naturgemäss ist die Grenze zwischen noch normaler und schon 
krankhafter Berzvergrösserung keine scharfe; insofern ist bei der 
Bewertung der einzelnen Fälle von Herzvergrösserung eine gewisse 


*) D. Arch. f. kl. Med. 92. 
a ) Ebenda. 

4 ) Dass die hier in Betracht kommenden Herzen sämtlich schon 
vor dem Kriege krankhaft vergrössert waren, ist kaum anzunehmen. 


Willkür unvermeidlich; bei den Fällen 1—5 darf man aber wohl eine 
die normalen Grenzen überschreitende Vergrösserung des Herzens 
annehmen. Dass die Herzen der schweren Berufe anscheinend zahlen- 
mässig mehr zu krankhafter Vergrösserung infolge der Kriegsstrapazen 
neigen, ist insofern auffallend, als man geneigt ist, sich vorzuStcllen, 
dass die schon im Frieden „erstarkten“ Herzen den* Strapazen des 
Feldzuges besonders gut gewachsen seien; wir wissen allerdings 
anderseits, dass hypertrophische Herzen besonders zu Dilatationen 
neigen. 

Auch die unter 2. angeführte Beobachtung bietet manches Auf¬ 
fallende; sie zeigt erstens einmal, dass auch abnorm kleine Herzen 
über viele Monate sich hinziehenden Kriegsstrapazen sehr wohl ge¬ 
wachsen sind, ferner dass die Erstarkung des Herzens — eine solche 
muss man doch auch bei diesen Herzen annehmen — jedenfalls 
nicht zu einer erheblichen Grössenzunahme des Herzens zu führen 
braucht; dies ist umso auffallender, als nach den Untersuchungen* 
von S c h i e f f e r Sport, insbesondere Radfahren, den Unterschied 
in der Herzgrösse zwischen schweren und leichten Berufen verwischt. 

Nicht minder bemerkenswert erscheint die dritte Beobachtung, 
dass normal grosse Herzen* in erster Linie die leichten Berufe zeigen. 
Es wäre sehr zu wünschen, dass unsere Feststellungen an grossem 
Material, das mir leider nicht zur Verfügung stand, nachgeprüft wür¬ 
den; sehr wahrscheinlich würden sich wichtige Tatsachen daraus er¬ 
geben. 

Die graphische Darstellung gibt schliesslich noch darüber Aus¬ 
kunft, ob die Anzahl der in der Front verbrachten Monate in- einem 
Verhältnis zur Grössenzunahme des Herzens steht. Es ist dies offen¬ 
bar nicht der Fall; 5 der Fälle mit vergrössertem Herzen sind aller¬ 
dings 2 Jahre und mehr an der Front gewesen (Fall 2, 3, 5, 7, 8), 
aber Fall 1, dessen Herzsilhouette die stärkste Vergrösserung auf¬ 
weist, war nur 11 Monate an der Front, anderseits sind unter den 
10 Fällen mit abnorm kleinen Herzen 4 (Fall 11, 13, 14, 15), und unter 
den 12 Fällen mit normalgrossen Herzen gleichfalls 4 (Fall 22, 23, 26, 
27), die 2 Jahre und mehr an der Front waren*. 

Im übrigen ergab die Herzuntersuchung bei unsern Fällen wenig 
bemerkenswertes; leichte systolische Geräusche bzw. systolische 
Unreinheiten an der Spitze wurden bei 7 Fällen festgestellt; sie waren 
zahlenmässig ziemlich gleichmässig verteilt auf die abnorm grossen, 
die abnorm kleinen und die normal grossen Herzen; in keinem der 
Fälle berechtigte das Geräusch zur sicheren Diagnose eines Klap¬ 
penfehlers. 

Der Blutdruck zeigte in der Mehrzahl der Fälle normale Werte; 
2 mal (Falt 15 und 16) wurde ein mässig erhöhter Blutdruck (140 bzw. 
143 mm Hg) in einem Fall (10) ein abnorm niedriger Blutdruck, 
90 mm Hg festgestellt; subjektive, sieb auf den Kreislauf beziehende 
Beschwerden hatte keiner der Betreffenden. 


Pathologisch-anatomische Beobachtungen über Influenza 
im Felde*). 

Von Professor Dr. A. Dietrich, Oberstabsarzt d. L. und 
Armeepathologe bei einer Armee. 

ln allen Berichten aus der Heimat und aus dem Felde wird aui 
den im allgemeinein leichten Verlauf der „spanischen Grippe“ 
hingewiesen, die wie eine Sturmflut alle Länder durchzieht, gleich 
welcher Kriegspartei sie angehören, Truppen und Zivilbevölkerung 
ohne Unterschied befallend. Dem* widerspricht es nicht, wenn ich 
über eine Reihe von pathologisch-anatomischen Beobachtungen aus 
dem Felde berichten kann, denn die Zahl dieser ist verschwindend 
gegenüber der Erkrankungsziffer. Aber gerade diese unglücklichen 
Ausgänge gewähren uns einen Einblick in das Wesen und Wirken 
der Krankheit, so dass wir ein besseres Verständnis mancher Eigen¬ 
arten des klinischen' Verlaufes und weiterer Folgen gewinnen können. 

Auf die Aehnlichkeit der Seuche in ihrer Ausbreitung und ihrem 
klinischen Bild mit dem letzten grossen Zuge von 1889/92 ist wieder¬ 
holt schon hingewiesen worden. Auch unsere pathologisch-anatomi¬ 
schen Erfahrungen zeigten im allgemeinen Uebereinstimmung mit den 
früheren Beschreibungen, wie sie in der klassischen Bearbeitung von 
Leicbtenstern ndedergelegt sind. Gegenüber den bisher vor¬ 
liegenden Mitteilungen aus der Heimat aber finden sich unter unseren 
Fällen vielleicht mehr frische Stadien, die infolge Komplikationen 
(Verwundungen) früher erlagen, und ihre Uebergänge zu Folgekrank¬ 
heiten sind vollständiger, so dass sich in manchen Einzelheiten ein 
anderes Bild ergibt Vor aUem aber kamen wir gegenüber den 
schroffen Widersprüchen der Untersucher über die ursächliche Be¬ 
deutung des Pfeifferschen* Influenzabazillus zu der 
Ueberzeugung, in ihm den Erreger der herrschenden Epidemie sehen 
zu müssen (vgl. die Vortr. von Brasch, Oberndorfer und 
Mandel bäum in M.m.W. 1918 Nr. 30). Die Launenhaftigkeit der 
Pfeifferschen Stäbchen, ihre Hinfälligkeit, vor allem im Wett¬ 
kampf mit den» Begleitbakterien und die sonstigen Schwierigkeiten des 
Nachweises, auf die ich aber hier nicht eingehen kann, erklären den 
Gegensatz. 

Die ersten Todesfälle führten uns in unserem Tätigkeitsbereich 
bereits über alle Zweifel hinwegL Es gelang der einheitliche Nach¬ 
weis der feinen. Gram-negativen Stäbchen bei wechselnder Be- 


*) Nach einem feldärztlichen Vortrag vom 16. VII. 1918. 


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20. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


929 


eleitung von anderen Bakterien gerade an den Orten, wo die In¬ 
fektion -die frischesten und bezeichnendsten Erscheinungen bot, und 
durch den beratenden Hygieniker, Oberstabsarzt Gehedmrat Prof. 
N ei ss er, wurden» sie in 'Kultur als die Pfeifferschen »Ba¬ 
zillen vollends sichergestellt. Die Verteilung der Bazillen erklärt 
zugleich eine Schwierigkeit des Nachweises bei den Erkrankten. 
Sie liegen auf der Höhe der Krankheit in den Alveolen, teils zwischen 
und in den ausfallenden Leukozyten, teils unter dem Epithel, wie 
es schon Pfeiffer beschreibt, oder in den zähen, schleimig-eitrigen 
Pfropfen der feinen Luftröhren, während sie in der Trachea entweder 
stark gemischt mit Begleitbakterien oder ganz zurückgedrängt sind. 
Je vorgeschrittener die Veränderungen sind-, umso überwiegender 
treten die Beg-leitbakterien auf, in erster Linie Diplo- und Strepto¬ 
kokken, seltener Staphylokokken, und beherrschen endlich ganz das 
Feld, vor allem in den Endausgängen der Abszessbildung, des Em¬ 
pyems oder weiterer Komplikationen». 

Das gegenseitige Verhältnis der Influenzabazilien zu den anderen 
Bakterien in» den Krankheitsherden der Luftwege wird noch Gegen¬ 
stand genauerer Untersuchungen sein, aber alle Erscheinungen, wie sie 
in den folgenden Beispielen entgegentreten werden», sowie die -be¬ 
schriebenen Lagerungsvcrhältn-isse deuten darauf hin, dass die ln- 
fttienzabazilleni gleichsam die Pioniere sind, welche den Angriff ein¬ 
leiten, den ersten Widerstand der -Gewebe überwinden und den 
häufigen Gästen der Luftwege freie Bahn» zur Entfaltung Ihrer schäd¬ 
lichen Eigenwirkung schaffen. 

Fälle, die nach dem klinischen Verlauf, den makroskopischen 
Organveränderungen und dem mikroskopischen Verhalten allein auf 
eine besondere Schwere der Infektion durch den Influenzabazillus 
zuriickgeführt werden können, sind nur vereinzelt, selbst frühe Stadien 
lassen jede Mitwirkung anderer ©egleitbakterien nicht ausschalten. 
Uefoerwiegend aber ist es die Sekundärinfektion der Lungen 
oder über die Atmungsorgane hinausgreifend© Infektion und Organ- 
sdiädigung, die den pathologisch-anatomischen -Bildern der tödlich 
verlaufenden Erkrankung das Gepräge gibt. Nach dem Anteil der ein¬ 
zelnen Bakterienformen aber lassen sich die Wechsel vollen Verände¬ 
rungen nicht ordnen. 

Besonders häufig stossen wir auf Bedingungen, -die eine erhöhte 
K r a nk h e i t s n e i gu ng (D i s p os i t i o n) der Luftwege, vor allem 
auch eine gesteigerte Empfänglichkeit für weitergehende Schädi¬ 
gungen annehmen lassen. 7 Verstorbene waren durch vorange¬ 
gangene Verwundung geschwächt, 1 Mann durch Halsmarkverletzung 
bereits während beginnender Erkrankung geschädigt. 2 Kranke waren 
gleichzeitig von Malaria befallen, 2 hatten ältere oder frischere Ruhr, 
3 chronische Endokarditis, 7 chronische Erkrankungen oder Schädi¬ 
gungen der Lunge (Emphysem, chronische Pleuritis, Pneumono- 
koniose), 2 darunter chronische Tuberkulose, das sind unter 40 Fällen 
22. d. h. über die Hälfte aller beobachteten tödlichen Erkrankungen. 
Ein Hervortreten von Status thymico-lymphaticus (Oberndorfer) 
ist mir nicht aufgefallen. 

In der Reihe der Einzelerscheinungen wollen wir zuerst -die 
Veränderungen- der Luftwege betrachten. Da ist es bereits klinisch 
auffallend, wie gering die Beteiligung des Nasen-Rachenraumes an 
der katarrhalischen Erkrankung ist, auch die Untersuchung der 
Nebenhöhlen von frischen Fällen war ergebnislos. Tonsillen und 
lymphatischer Rachenring bieten keine Reaktion. Regelmässig setzen 
die Erscheinungen erst unterhalb der Stimmbänder, meist in ziemlich 
scharfer Grenze ein. Von hier an bis in die Luftröhren der Lunge 
hinab bietet die Schleimhaut eine dunkelrote Blutfülle und Schwel¬ 
lung. die sich besonders an der Bifurkation erkennen lässt. In vielen 
Fällen sieht dabei die Innenfläche teilweise wie bläulich beschlagen 
aus, aber ohne festere Auflagerungen und Substanzverluste, nachdem 
die Oedemflüssigkeit oder das bald blutige, bald schleimig-eitrige 
Sekret abgespült ist. Stärkere Grade der Erkrankung geben sich in 
kleinen Blutungen kund und bereits feiner Rauhigkeit der Innen¬ 
fläche und in weiterer Steigerung treten kleienförmige Schorfe auf, 
wie bei frischer Ruhr des Darmes, die bald einzelne, bald zahlreichere 
und grössere Flecke bilden und im ausgebildeten Masse der Er¬ 
scheinungen die ganze dunkelrote Innenfläche vom Kehlkopf bis in 
die Bronchien mit schuppig-bröckeligem Belag überziehen. Niemals 
habe ich zusammenhängende Membranen, w.ie bei bakterieller Diph¬ 
therie gesehen, die Verschorfung gleicht dem Amimoniakkrupn oder 
anderen Aetzwirkungeu der Trachealschleimhaut. Die deutsche Be¬ 
zeichnung verschorfende Entzündung wird darum, um 
Missdeutungen vorzubeugen, den Vorzug verdienen. Mikroskopisch 
sehen wir Verlust des Epithels und je nach der Schwere die ober¬ 
flächlichen Bindegewebsschichten mit Leukozvteninfiltratiop und 
eitrigen Auflagerungen-, aber mit verhältnismässig wenig Fibrinbei¬ 
mengung. die Gefässe der Wand nrall mit Blut auseestouft Finden 
wir im Sekret bei leichteren Veränderungen Influenzabazilien in 
Schwärmen und Häufchen- neben Dmlokok'ken und anderen» Begleit¬ 
bakterien. so überwiegen in den schweren Schorfen die Strepto¬ 
kokken erheblich oder ganz. 

In den Bronchien setzt sich die Schwellung und Infektion der 
Schleimhaut fort, seltener die schnpoenförmisren Schorfe, dagegen 
finden wir, in den feinsten Aestem entweder rrtn blutigen oder eitrigen 
Inhalt oder zähe fibrinös-eitrige -Pfropfe, die sich nur schwer nus¬ 
drücken lassen und die schwere Behinderung der Atmung verständ¬ 
lich machen. Hierin ist der Befund von Pfeifferschen Stäbchen, 
wie erwähnt, am reinsten zu erheben». 

Die Lungen der Fälle kürzesten Verlaufes zeichnen sich durch 


äusserste Blähung aus, so dass sie sich aus dem eröffneten Brust¬ 
raum vordrängen. An der noch glatten, aber meist schon 
kleine Blutungen bietenden Oberfläche wechseln helle und dunkle 
jRelder, letztere nach hinten in- prallere, aber eindrückbare 
Füllung übergehend. Auf dem Durchschnitt entspricht diese einer 
Durchtränkung mit schaumig abströmender Flüssigkeit, ohne festere 
Verdichtungen. Die feineren Luftwege treten* nur allenthalben, be¬ 
sonders in- den geblähten» Abschnitten als dunkelrote Querschnitte 
vor und lassen vielfach kleine Eiterpfröpfchen ausdrücken, bei längerer 
Dauer dünnflüssigen 'Eiter. Im mikroskopischen Präparat aber ist 
man überrascht, w.ie weit schon- in diesem Stadium der Bronchio¬ 
litis und des 0 ed ems die entzündlichen- Veränderungen gehen. 
Sie beschränken sich» nicht auf Leuko-zyteninfiltration der Bron¬ 
chiolenwand selbst mit teilweisem oder gänzlichem Epithelverlust, 
sondern -die unmittelbar anliegenden Alveolen zeigen lebhafte Epithel- 
abstossung, Leukozytenanhäufung, seltener auch fibrinöse Absonde¬ 
rung. Aber auch in den rein serös ausgefüllten» Alveolen besteht 
Blutfüllung und Auswanderung der Leukozyten neben Epithel- 
abstossung. bis herdweiser gänzlicher Ausfüllung, die makroskopisch 
sich noch nicht geltend macht. 

Der entzündliche Charakter des Oedems tritt bei vorgerückterem 
Zustand schon äusserlich deutlicher in Erscheinung^ in dem das 
Gewebe fester, kautschukartig wird und weniger leicht die Flüssig¬ 
keit abströmen lässt. Tiefdunkelrote A-bscnnitte wechseln »mit helleren 
und dazwischenliegende geblähte Teile erhöhen das gefleckte Aus¬ 
sehen. Unscharf geht dieses Stadium des prallen Oedems 
über in* das weitere der schon bei Betrachtung erkennbaren festeren 
Verdichtungen, die mit dunkelroten glatten Herdchen beginnen und 
körnig werden, zunächst kleimgefleckt und weiterhin zusammen- 
fliessend. Der Gegensatz der Blutfüllung .ist oft ein äusserst bunter, 
er geht bis zur hämorrhagischen Durchtränkung ein¬ 
zelner Abschnitte, die auch mikroskopisch in- Stase der Gefässe und 
blutiger Ausfüllung von Alveolengruppen z-um Ausdruck kommt, 
während andere, leukozytär ausgestopfte Läppchen danebenliegen. 
Zu der Gefässschädigung, die in- dieser Blutungsneigung liegt, scheint 
sich eine -Einwirkung auf die Blutkörperchen zu gesellen. Denn schon 
kurz nach dem Tode ist eine eigenartige Lackfarbe des Blutes der 
Lungen und Diffusion der Gefässwände auffallend, oft wird auch 
efn bräunlicher Ton des blutdurchsetzten Gewebes in- den Protokollen 
hervorgehoben. 

Bis zu diesem Grad ödematös-hämorrhagischer und lobulärer, 
zeilig-entzündlicher Infiltration möchte ich die primären Erscheinungen 
der 'Erkrankung rechnen. Bis hierher finden sich wenigstens die In¬ 
fluenzabazillen in den feineren Bronchiolen» überwiegend gegenüber 
den- weiterhin bedeutungsvolleren Diplo- und Streptokokken-. Die 
Einzelheiten der beschriebenen Veränderungen vom Oedem bis zur 
zelligen- Bronchopneumonie bieten nichts Spezifisches, aber das Eigen¬ 
artige bei den Grippeerkrankungen ist die wechselnde Mischung, in 
den meisten Fällen bis zu einem bunten Bild, wie es sonst keine 
andere Form entzündlicher Lungenerkrankung bietet, vereint mit den 
geschilderten Schädigungen der Luftwege,, stets in beiden Lungen, 
aber in sehr verschiedenem Grade der Entwicklung und Ausbreitung. 

Es bleibt noch zu erwähnen die starke Schwellung der bron¬ 
chialen Lymphdrüsen. besonders an der Bifurkation, die Wal¬ 
nussgrösse ereichen, weich vorquellen und serös -bis hämorrhagisch 
durchtränkt sind. In- den- erweiterten und zellreichen Lymphbuchten 
waren- einige Male gleichfalls Schw-ärme von Influenzabazillen fest- 
zustellea 

Unter unseren Beobachtungen sind in diesem Stadium der Ver¬ 
änderungen nur wenige stehen geblieben. Sie können sieb in der 
Richtung weiterentwickeln, dass die körnig-pneumonische Verdich¬ 
tung bis zu grösseren grauen oder grauroten Herden umsichgreift. 
In 2 Fällen hatten wir auch eine lobäre graue Hepatisation, vom 
typischen Charakter der kruppösen Pneumonie, verbunden mit fibri¬ 
nöser Pleuritis. Hierbei waren Pneumokokken in überwiegender 
Masse nachzuweisen. 

Aber folgenschwerer ist die Neigung zur Einschmelzung, die 
ganz überwiegend im Vordergrund aller tödlich verlaufenden Fälle 
steht. Wir sehen das Stadium des hämorrhagischen» Oedems gestei¬ 
gert bis zu dunkelroter derber Ausstopfung (Infarzierung) einzelner 
Herde, aber von unbestimmter Umgrenzung, nicht mit dem scharfen 
Rand des emboli sehen Infarktes. Die oft angedeutete Keilform scheint 
der Ausbreitung der Bronchialbeziri<e mehr als Gefassgebieten zu 
entsprechen; Thromben habe ich ebenso wie Oberndorfer nicht 
gesehen. In solchen Herden kommt es zum Zerfall, bis zur Bildung 
blutiger Spalten und Höhlen- mit zundriger Wand, ohne Eiterung, 
darin Streptokokken oder Staphylokokken -in- grosser Menge. Eine 
wesentlichere Rolle aber spielen eitrige E i n s c h m e 1 z u n g e n. 
von kleinen Abszessen- inmitten bronchooneumonischer Verdichtungen 
bis zu zerfliesslichen» -Erweichungen grösserer Herde, in einem Fall 
des ganzen» Unterlappens. Auch die Verteilung der Eiterherdchen hält 
sich nach unseren- Präparaten» durch«rehends an die Ausbreitung der 
bronchialen Erkrankung. Die Anordnung hämatogener Infektion ist 
uns nicht begegnet, ebensowenig wie nietastatische Abszesschen in 
anderen Organen. Nur in einzelnen Fällen fielen eitrige Streifen auf, 
entlang den Gefässverästelungen, besonders in einem Fall mit chro¬ 
nischer Induration» der Lunge, also eine phlegmonöse Ausbreitung der 
eitrigen Infektion entlang den- Lymphbahnen Mart ist überrascht, wie 
früh die Neigung zu Abszedierung auftritt und wie sie oft schon mikro¬ 
skopisch erkennbar ist in den frühesten Stadien der oben beschric- 


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Original fro-m 

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930 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


beroen Erscheinungen. Mir. -ist keine andere Erkrankung der -Lungen 
bekannt, die in solchem Grade die Mischinfektion durch Strepto¬ 
kokken begünstigt. 

Die Bedeutung örtlicher Bereitschaft der Eitererreger 
trat besonders anschaulich -ini folgender 'Beobachtung hervor. 27 jähri¬ 
ger Mann hatte einen Infanterie-Streifschuss des rechten Schulter¬ 
blattes erlitten, im Anschluss daran Streptokokkenempyem' rechts, das 
durch Rippenresektion entleert wurde. Er war fieberfrei, als ihn die 
Grippeepidemie ergniff mit plötzlichem Temperaturanstieg bis 40°. 
Am 4. Tage erlag er bereits und cs fand sich die Em-pyemhöhle 
schwartig ausgekleidet, im ganzen rcaktionslos, die rechte Lunge ate- 
lektatisch. die linke aber wabenartig durchsetzt von kleinen Ab¬ 
szessen inmitten brotichopneumonischer Herde von der Spitze bis 
zur Basis. Im Bronchialsckrct lagen neben Streptokokken reich¬ 
liche Schwärme der kleinen Gram-negativen 1 Stäbchen. 

Es ergibt sich als Folge der Abszessbildungen ein Uebcrgrcifen 
auf die Pleura und eitrige Exsudation, die bereits am 5. Tage schon 
festzustellen war. Eitrige Pleuritis (Empyem) bildete in 
6 Fällen das Ende der Erscheinungsreihe. 

Von besonderen Lungenkomplikationen erwähne ich die beiden 
Fälle, in denen die Grippe chronisch - tuberkulöse Herde vor¬ 
fand. Indem einen batte sich, am 15. 'Page der Erkrankung, uni eine 
alte Kaverne mit schiefriger Wand und schiefrig-käsigem Knoten der 
rechten Lungenspitze eine den grössten Teil des Oberlappens um¬ 
fassende hämorrhagisch-pneumonische Infiltration gebildet, die teil¬ 
weise käsigen Zerfall darbot. offenbar noch- im Anfang dieser Ent¬ 
wicklung. Der andere Fall betrat einen Verwundeten (Granat¬ 
verletzung mit Resektion des Fussgelenks). der innerhalb 14 Tage 
nach Ausbruch der Grippe unerklärlich rasch verfiel. Eine alte, 
kirschgrosse Kaverne in der rechten Spitze, umgeben von derbschicfri- 
gem Gewebe und mit grossblasigem Bmphvsem enthielt neben Tu- 
berkelbaz-illen reichlich Influcnzabazillen. Die ganze rechte T unge 
war von erbsengrossen, in zentraler Verkäsung begriffenen Herden 
durchsetzt, mikroskopisch mit den Zeichen frischen käsigen Zerfalls 
der zelligen alveolären Ausfüllung. Die linke Lunge bot nur Blähung 
und ausgedehnte Bronchiolitis mit Reinkultur von Influcnzabazillen. 

Von der Pleura aus hatte die Streptokokkeninfektion dreimal 
auf den Herzbeutel übergegriffen, zweimal nach eitriger Durch¬ 
setzung des vorderen Mediastinum. Wir fanden oinmal als weitere 
Verschleppung von der Lunge eine eitrige Meningitis mit Strepto¬ 
kokken, kleine Stäbchen, die beigemischt waren. Messen sich nicht 
sicher als Influenzabazillen fcststcllcn, ebenso nicht in einem anderen 
Fall, wo vermehrte klare Arachnoidealflüssigkeit einzelne feine Stäb¬ 
chen enthielt Kleine kapilläre Blutungen (Purpura cerebri) fanden 
sich, vorwiegend im Balken, in 3 Fällen, ausgesprochene cnzepha- 
Iitische Veränderungen bis jetzt nicht. Auch in diesen kleinen Gehirn¬ 
blutungen- kommt nach allgemeiner Vorstellung die Doppelwirkung 
einer allgemeinen Gefässschüdigung und einer Kreislaufstörung (Stau¬ 
ung in den» Lungen) zum Ausdruck. 

Als eine ganz besondere Komplikation sei eine rezidivierende 
Endokarditis der Aortenklappen erwähnt, die im Ausstrich der 
frischen; Auflagerungen eine 'Reinkultur typischer Influcnzabazillen 
nachweisen Hess. Auch hier hatten diese, die an sich offenbar keine 
Blutparasiten sind*, auf dem Boden einer alten Erkrankung Fuss fassen 
und zu lebhafter Wucherung gelangen können. 

Von Veränderungen anderer Körperorgane im Gefolge der be¬ 
schriebenen vorherrschenden- Erkrankung des Atmungsapparates will 
ich kurz auf das wechselnde Verhalten der Milz hinweisen. Sie 
war manchmal nicht oder nur gering vergrössert, doch meist schon in 
frühem Stadium der Erkrankung deutlich geschwellt. 200—300 g 
schwer, sie erreichte in einem frischen Fall sogar 450 g. Im all¬ 
gemeinen liess es sich schwer entscheiden, wieviel auf Rechnung 
der gleichzeitigen Streptokokkeninfektion zu setzen war. Sehr früh 
ist auch die Beteiligung der Nebennieren festzustellen, bestehend 
in Lipoidschwund der Rinde, wabiger Degeneration und Zerfall der 
Rindenzellen und allen übrigen degenerativen Umwandlungen wie bei 
schweren septisch-toxischen Erkrankungen, in 2 Fällen auch mit 
grösseren Blutungen. Ich habe den Eindruck, dass diese Rinden¬ 
schädigung der Nebennieren zu den- primären Einwirkungen der In¬ 
fluenzabazillen gehört und sie fällt vielleicht zusammen mit den toxi¬ 
schen Allgemeinerscheinungen, besonders der oft mit den sonstigen 
klinischen Erscheinungen im Widerspruch stehenden Abgeschlagen- 
heit, von der sich auch leichter Erkrankte nur schwer erholen. 

Die Nieren aber verdienen einen letzten Hinweis. In 3 Fäl¬ 
len traten bereits klinisch die Anzeichen von Nephritis mit 
Oedem auf, einmal mit akut urämischen Symptomen (Erbrechen, 
Kopfschmerz, Benommenheit). Mikroskopisch bestand das Bi-ld einer 
frischen Glomerulonephritis in den ersten Anfängen, bei geringer 
Beteiligung der Tubuli. Aber in mehr als einem 'Drittel der Fälle 
waren auch ohne beobachtete klinische Symptome die Nieren in Mit¬ 
leidenschaft gezogen. Es zeigte sich dies in Erhöhung der Niereni- 
gewichte, Trübung und Verbreiterung der Rinde. Im mikroskopischen 
Präparat boten einzelne Glomerulussch-lingen Leukozytenansammlung 
oder Untergang einzelner Zellen, wechselnde Blutfüllung und ge¬ 
ronnenes Kapselexsudat, es bestand auch leichte Trübung und etwas 
Exsudat in den Hauptstücken, lieber einfache febrile Störung der 
Niere gehen diese Veränderungen hinaus gegen die Anfänge entzünd¬ 
licher Veränderung zu. Katarrhalische Erkrankungen der Luftwege 
haben» in der Diskussion über die Kriegsnephritis schon immer eine 
grosse Rolle gespielt. Auf Häufung von Nierenerkrankungen nach 

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grippeartigen örtlichen Epidemien ist verschiedentlich' bingewiesen. 
Es wird- von Wert sein, diesen Nierenbefundeil im weiteren Verlauf 
und nach Abklingen der jetzigen Influenzaepidcmie Beachtung zu 
schenken. 

Die beschriebenen pathologisch-anatomischen Beobachtungen er¬ 
schöpfen noch nicht den ganzen Eormcnkrcis, der bei der früheren 
Pandemie beschrieben ist, besonders sind Veränderungen am Zentral¬ 
nervensystem nur sehr spärlich. 

Aber die gewonnenen Erfahrungen lassen sich zu folgenden 
Schlüssen Zusammenfassung 

Der Influenzabazirius, den wir als Erreger der herrschenden 
Grippe ansehen müssen, befällt in erster Linie die feineren Luftwege 
und ist meist nur in diesen nachzuweisen. Seine örtliche Wirkung 
äussert sich neben katarrhalischen eitrigen Entzündungen (Bronchio¬ 
litis, Bronchopneumonie) in Gcfässschädigung. die teils seröse Ex¬ 
sudation (Oedem), teils Stasen und Blutungen hervorruft. Zu schwe¬ 
rem Verlauf führt aber meist die Eigentümlichkeit anderen Bakterien 
der Luftwege, vor allem Diplo- und Streptokokken, den Boden für 
Mischinfektion zu bereiten; es entstellen schwerere Bronchopneumo¬ 
nien, auch Lobärpneumonien, vor allem hämorrhagischer Zerfall, Ab¬ 
szedierung und Empyem, schliesslich weitere Komplikationen, in der 
Trachea verschonende Sch'leiinhautcntziiiidung. Auch.latente Tuber¬ 
kulose wird erweckt. 

Die toxische Allgemeinwirkling kommt zum Ausdruck in wech¬ 
selnder Milzscliwellmvg, Nebennierensciiädiguirg und Störungen der 
Nieren, die schon früh den Charakter beginnender Glomerulonephritis 
erlangen können. 


Ueber Melanodermien und Dermatoeen durch Kriegs- 
Ersatzmittel. 

Von Prof. Dr. Galewsky, Oberstabsarzt d. R. a. D , 
fachärztlicher Beirat des XII. A.-K. 

In einer Mitteilung in der Wiener Win. Wochenschr. ‘) hat Riehl 
im Anschluss an eine Demonstration in der Sitzung der k. k. Gesell¬ 
schaft der Aerzte in Wien am 1. Juni 1917 über eine Reihe von Haut¬ 
veränderungen berichtet, die sich durch eine intensive Dunkei¬ 
färbung der Gcsichtshaut auszeichneten. Riehl schildert die 
Kranken folgendermassen: Die Haut erscheint tiefdunkel gebräunt, 
zwischen bronze- und schokoladefarben, und ist bei einigen Krabken 
mit einem grauen Schimmer überdeckt. Die Verfärbung erstreckt 
sich über die ganze üesichtshaut, ist am dunkelsten an Stirn, Joch¬ 
bein und Schläfengegend, und reicht bis in den Nacken und bis in 
das Kapillitium hinein. Die Oberfläche der verfärbten Haut Ist wie 
mehlig bestaubt oder schuppend und zeigt an der Stirn, an Wangen 
und Ohren erweiterte Follikelmündungen, die mit Hornschüppchen 
verstopft erscheinen. Die erkrankte Haut ist merklich verdickt, ihre 
Oberfläche schwach rauh; keine Exsudation, wenig Hyperämie, keine 
Atrophie, (legen den Thorax zu geht die Bräunung allmählich in die 
normale Haut über, die an Kopf und Hals diffuse Verfärbung löst sich 
am Rande in einzelne Herde oder Knötchen auf, die meist um die 
Follikel gelagert sind. Diese frischen Effloreszenzen waren im An¬ 
fang rotbraun, allmählich dunkelbraun. Bei einzelnen Patienten, fand 
Riehl ausser den genannten Lokalisationen auch in geringerem 
Masse Hände und Vorderarme, die Achselfalten, die Haut unter der 
Mamma usw. ergriffen. Es waren also keineswegs ausschliesslich 
die dem Licht ausgesetzten Hautteile befallen, wenn diese auch am 
meisten ergriffen schienen. Die Affektion juckte nicht; sonstige Be¬ 
schwerden bestanden nicht. Die Patienten gehörten verschiedenen 
Berufsarten an, keiner arbeitete im Freien oder bei Lichtquellen mit 
starken, chemisch wirksamen Strahlen, keiner in einem Gewerbe, 
das Irritationen der Haut auf chemischem oder mechanischem Wege 
mit sich bringt. Fette oder Salben, wie sie in manchen Kreisen für 
Hautpflege benutzt werden, waren nicht zur Anwendung gekommen. 
Die Erkrankung ähnelte also den Licht-, Röntgen- oder Radium- 
dermatitiden, unterschied sich aber durch das Fehlen akuter Ent¬ 
zündungserscheinungen. Die Herde waren scharf begrenzt und ver- 
grösserten sich durch Eruption randständiger Frischeffloreszenzen. 
Die vorwiegende Lokalisation dieser Erkrankung an den frei- 
getragenen Körperteilen liess darauf schliessen, dass das Licht eine 
gewisse Rolle spielt, dass also eine Art Sensibilisierung der Haut 
vorliegt, auf die schon früher Erieboes*). Herxheim er un-d 
Nathan 5 ) aufmerksam gemacht haben, auch wie wir sie bei der 
Pellagra oder beim Xeroderma pigmentosum kennen. Auch die 
mikroskopische Untersuchung ergab keine irgendwie für die Dia¬ 
gnose verwendbaren Resultate. Riehl konnte zum Schluss sagen, 
dass seine Untersuchungen bezüglich der Aetiologie noch keine posi¬ 
tiven Ergebnisse gehabt hätten. Nach ihm hat dann noch Oppen¬ 
heim - Wien in der Wiener mediz. Gesellschaft vom 21. De¬ 
zember 1917 auf eine eigenartige verruköse Hauterkrairkung auf¬ 
merksam gemacht, die im Anschluss an unreine Vaseime im Gesicht 
eines an Impetigo erkrankten Mädchens aufgetreten war. Als dritter 
hat dann H o f f m a n n - Bonn auf der Dermatologentagung in Bonn 
am 23. September 1917 auf die arzneilichen und gewerblichen 

*) W.kl.W. 1917 Nr. 25; Ueber einte eigenartige Melanose. 

2 ) Friboes; Dermatol. Zschr. 1917 H. 11. 

*) Dermatol. Zschr. 1917 H. 7. 

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20. August 191b. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


931 


Dermatosen durch Kriegsersatzmittel und auf eine eigenartige 
Melanodermatitis toxica aufmerksam gemacht. Hoffmann sah eine 
Art follikuläres Vaselineexanthem, das mit detn von Veress be¬ 
schriebenen Exanthema folliculare akneifonne grosse Aehnlichkeit 
besitzt urrd von dem er annimmt, dass es durch unreines Fett ent¬ 
standen ist. Er beschreibt dann ausführlich die Akne cornea oder 
Pechhaut, die infolge der Anwendung von Schmierölersatz bei Loko¬ 
motivheizern und -führern jetzt viel häufiger auftritt, mit der Bildung 
follikulärer Hornknötchen an Handrücken, Armen, Beinen, Rumpf¬ 
und Körperhaut entsteht und bei der die Haut oft schwärzlich ver¬ 
färbt ist und eine dunkle Pigmentierung im Gesicht und am ganzen 
Körper entsteht. Daneben zeigten sich zwischen den stacheligen 
follikulären Hornknötchen aktive derbe Akneknötchen, die manchmal 
netzartig angeordnet waren. Ausserdem hat er noch eine reine 
bronze- und schokoladenfarbene Melanose im Gesicht und am Körper 
beobachtet, die, bronze- und schokoladenfarben im Gesicht, am 
Körper netzartig auftrat und histologisch neben starker Anhäufung 
der Hornschicht ein oberflächliches Rundzelleninfiltrat zeigte. Hoff- 
m ann glaubt, dass neben' alimentärer Schädigung, wie sie auch 
Riehl annimmt, auch Intoxikation durch Einatmung bei Licht- und 
Hitzeschädigungen die Ursache seien. 

Auf der ausserordentlichen Kriegstagung der Berliner Dermato¬ 
logischen Gesellschaft im März 1918 wurde ebenfalls über diese 
Melanosen gesprochen. B 1 a s c h k o, der das einleitende Referat 
hatte, hält ebenfalls in vielen Fällen die mangelhafte Raffinierung der 
Oete und Teerprodukte für ihre Ursache. Aber sie könnten nicht 
die alleinige Veranlassung sein; es bleiben auch nach seiner Ansicht 
Fälle übrig, wo gewerbliche Schädigungen ausgeschlossen sind und 
die er im Sinne Riehls deutet. B1 a s c h k o weist in diesem 
Siraie auf die Streokungsmittel unseres Brotes hin. die vielleicht die 
Träger toxischer, die Haut sensibilisierender Stoffe sind. Riehl 
betonte in der Diskussion, dass bei seinen Melanosen gewerbliche 
Schädigungen ausgeschlossen sind. Er ist zurzeit mit der Unter¬ 
suchung der Puffbohne beschäftigt, die als Brotzusatz eine Rolle 
spielt. Die weitere Diskussion ergab keine wesentlichen neueren 
Tatsachen. 

Ich selbst habe in der letzten Zeit Gelegenheit gehabt, 27 ver¬ 
schiedene Fälle dieser Erkrankungen zu sehen. Ich weiss sehr wohl, 
dass dies eine zu kleine Anzahl ist, um ein abschliessendes Urteil 
danach fällen zu können. Es ist mir auch leider nicht möglich ge¬ 
wesen, bei diesen Kranken Exzisionen zu machen, um das mikro¬ 
skopische Bild festzulegen. Ich möchte aber doch bereits heute ein 
kurzes Bild dieser mannigfaltigen Formen geben, um die Aufmerk¬ 
samkeit auch weiterer Kreise auf diese interessanten Kriegskrank¬ 
heiten zu lenken. 

Als erste Form habe ich bei einzelnen Patienten unter dem 
Einfluss von Salben A ) eine eigenartige, gärrsehautähnliche Reizung 
der Haut gesehen. Die Haut erinnerte an manchen Stellen an Lichen 
pilaris, an anderen mehr an Cutis anserina; dazwischen fanden sich 
in 2 Fällen follikuläre Entzündungen, wie sie bei Schmieröldermafitiden 
Vorkommen. In beiden Fällen war die Erkrankung im Anschluss an 
eine mit Vaseline angefertigte Salbe aufgetreten, die ich selbst ver¬ 
ordnet hatte, so dass ich die Entstehung deutlich verfolgen konnte. 
Die Erkrankung heilte ab, als die Salben abgesetzt wurden und eine 
milde Behandlung mit Spiritus, Puder und Bädern eintrat. In einem 
anderen Falle sah ich ebenfalls im Anschluss an eine angeblich mit 
Unguentum neutrale verarbeitete milde Salbe eine starke Häufung 
von FoIHkulitrden, die allmählich unter Anwendung von Trocken¬ 
pinselungen und spirituösen Einreibungen abheilten, so dass ihre 
Entstehung durch die Vaseline zweifellos war. 

In zweiter Reihe habe ich in 5 Fällen im Anschluss an Salbcn- 
anwendung bei Trichophytie im Gesucht ebenfalls die beeturtigen 
Wucherungen gesehen, wie sie Oppenheim beschrieben hat. In 
allen Fällen handelte es sich um beetartige, flache, verruköse Er¬ 
habenheiten. die bisweilen in annulärer oder guirlandcnartiger Form 
im Gesicht auftraten, die erkrankten Flächen begrenzten und in ganz 
kurzer Zeit entstanden. Fast alle Kranken gaben damals an, dass die¬ 
selben im Anschluss an Borvaseline entstanden seien. Diese verrukösen 
Epithelwucherungen (die ich auch vor kurzem in Berlin auf der Ab¬ 
teilung von Busch ke gesehen habe) hellten verhältnismässig 
langsam, ebenfalls unter spirituösen Waschungen, Pinselungen usw. 
ab. Sie bieten ein so eigenartiges Krankheitsbild, dass ich im An¬ 
fang, als ich den ersten derartigen Fall sah, absolut vor einem Rätsel 
stand, das ich mir nicht erklären konnte. Irgendwelche Beschwerden 
machten diese verrukösen Prozesse nicht; ausser geringem Jucken 
und Brennen klagten die Kranken über keine Begleiterscheinungen. 
Die verrukösen erhabenen Knoten waren im Anfang gelblichrot, 
wurden allmählich graurot und konfluierten langsam zu grossen annu- 
lären und guirlandenartigen Formen; dazwischen fanden sich einzelne 
erhabene Knötchen und Papelchen. 

Ausser dieser Erkrankung konnte ich in 2 Fällen eine sehr 

*) In allen Fällen handelte es sich bei meinen Patienten um 
Salben, die mit Unguentum neutrale oder mit Vaselinöl angefertigt 
waren und die schon von weitem den charakteristischen Petrolöl¬ 
geruch hatten. Nach A r n i n g soll das schädliche Agens unsere 
heutige Vaseline sein, welche keine Vaseline, sondern Paraffin in 
Petrolöl ist; dieses Paraffin enthalte Kristallnadeln, während die 
Friedensvaseline kolloidal und neutral sei. 

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starke «Pigmentierung und Melanodermie beobachten bei Arbeitern, 
die in der Waffenfabrikation tätig waren und mit Schmieröl zu tun 
hatten oder derartigen Dämpfen ausgesetzt waren R ). Charak¬ 
teristisch war für beide Fälle die Ergriffenheit von Gesicht, Hals und 
Armen, die schwarzbraun wie bei Addison aussahen- und’ in» einem Fall 
von eigenartigen lichenoiden warzenartigen Effloreszenzen begleitet 
waren. Die Haut war in beiden Fällen leicht infiltriert; auch hier 
war die eigenartig netzartige Verfärbung zu konstatieren, die nament¬ 
lich dann zutage trat, als die Erkrankung abheilte. Aehnlich wie 
Riehl konnte ich an Stirn, Wangen und Öhren erweiterte Follikel¬ 
mündungen mit Hornschüppchen feststellen. Die Haut war überall 
trocken, nässte nirgends und ging allmählich in normale Haut über, 
auch ähnlich wie es Riehl beschrieben hat, indem vereinzelte rand¬ 
ständige Effloreszenzen und Flecke den Uebergang zur normalen 
Haut bildeten. Der eine Kranke, welcher monatelang von mir mit 
Arsen, Suprarenin und milder Salbe äusserlich behandelt wurde, ist 
im wesentlichen abgeheilt, hat fast gar keine Beschwerden mehr 
und die Pigmentierung ist bis auf ein helles Braun fast ganz ge¬ 
schwunden. Ueber den anderen Kranken, der aus meiner Behand¬ 
lung weggeb lieben ist, vermag ich keine weiteren Angaben zu 
machen. Auch über die Ursache dieser merkwürdigen Erkrankung 
habe ich nur Vermutungen. Beide Fälle betrafen Leute, die mit 
Schmierölersatz gearbeitet hatten und dessen Dämpfen ausgesetzt 
waren. Die Erkrankung hatte fast nur die Stellen der Haut er¬ 
griffen, die der Belichtung ausgesetzt waren. Beide Kranke gaben 
an, dass sie bei der Arbeit die Aermel aufgestreift hätten und dass 
es leicht möglich sei. dass dadurch Stoffe an die Haut herangekommen 
wären. Der eine erklärte ganz bestimmt, dass die Erkrankung erst 
'aufgetreten sei, seitdem er mit dem schlechten Schmierölersatz ge¬ 
arbeitet habe. Es kann sich also sehr wohl um eine derartige 
Schmierölerkrankung gehandelt haben, die durch Lichteinfluss im 
Sinne von Frieboes, Herxheimer und Nathan mit bedingt 
wird und bei welcher das Fett als sensibilisierendes Mittel die Ver¬ 
färbung der Haut hervorgerufen hat. 

In 2 weiteren Fällen sah ich bei älteren Herren eine ungeheuere 
Anhäufung von Komedonen und Hornpfröpfchen auf dem behaarten 
Kopfe. Beide Patienten waren wie gesagt ältere Männer, die sehr 
wenig Haare hatten und von denen sich der eine aus einem Flugpafk 
Schmieröl besorgt hatte, um sich seinen Kopf damit einzufetten. Der 
zweite gab an, dass die Erkrankung im Anschluss an den Gebrauch 
einer Haarpomade, die er sich beim Friseur gekauft hatte, entstanden 
war. In einem dritten Falle sah ich das ganze Gesicht bis hinter die 
Ohren, ebenfalls nach Anwendung von Sa'lbe, mit unzähligen Kome¬ 
donen und Hornkegelchen besetzt, ähnlich wie bei den beiden älteren 
Herren auf dem Kopfe. Auch hier handelte es sich anscheinend um 
eine derartige Dermatitis (Acne cornea)'im Anschluss an Salbe. Die bei¬ 
den alten Herren» hatten schwarzgrau verfärbte Kopfhaut, die mit leichten 
Schüppchen bedeckt war; unter diesen Schüppchen sass, entsprechend 
jedem Follikel, ein grosser Komedo oder Hornpfropf, ein Bild, wie 
ich es früher nie gesehen hatte. Die Pfropfe und Komedonen waren 
leicht zu entiemen; mit dem Hartung sehen Komedonenquetscher 
gelang es verhältnismässig leicht, den Patienten, unter entsprechen¬ 
der medikamentöser Therapie (spirituöse Waschungen, Anwendung 
von Tetrachlorkohlenstoff usw.), wieder eine anständige Kopfhaut 
zu verschaffen. 

Entsprechend dieser Anhäufung von Komedonen und Horn- 
pfröpfen habe ich bei 3 Damen im Gesicht im Anschluss an Behand¬ 
lung mit Salben (Sommersprossensalbe, Borsalbe, Creme Simon) 
ganz eigenartige, strichförmige Komcdonenanhäufung gesehen, die 
völlig dem Bilde der Massagestellen unter Anwendung von Salben 
entsprachen. Die Frauen sahen auf weite Entfernung aus als wenn 
sie grau wären, so gehäuft waren die schwarzen Komcdonenpfröpfe 
auf der Haut vorhanden. 

Weiterhin habe ich in 11 Fällen bei Damen der besseren Kreise, bei 
denen also sowohl das Schmieröl wie jede gewerbliche Tätigkeit aus¬ 
geschlossen war, die eigenartige melanotiscbe Melanodermie gesehen, 
wie sie Riehl in seiner Beschreibung vor allem erwähnt hat. 
Alle Damen zeigten eine schmutziggraue Verfärbung des Gesichts, 
die sich namentlich scharf gegen die Stirn abgrenzte, wie beim 
Sonnenbrand, so dass inan ohne weiteres an die Lichteinwirkung 
denken musste. In 3 Fällen waren auch die Arme und der Nacken 
mit ergriffen, in den anderen nur das Gesicht. In allen Fällen 
aber war die leicht oderSlerb infiltrierte Haut mehlig bestäubt oder 
leicht schuppend und machte den Eindruck einer Haut, die zwischen 
Ekzem und Lichen chronicus stand. Die erkrankte Haut war, ebenso 
wie es Riehl beschreibt, etwas pastös anzufühlen, oben merklich 
verdickt, auf der Oberfläche schwach rauh. Es bestand keine Ex¬ 
sudation, in einzelnen Fällen aber im Gegensatz zu Riehl eine 
starke Hyperämie, so dass unter der schwarzgrauen Verfärbung die 
blaurote Grundfarbe hervortrat. In den 3 Fällen, in welchen auch 
Arme, Hals und Nacken ergriffen waren, handelte es sich um leichte 
Dermatitiden, die der im Gesicht ähnelten, aber eine leichtere Form 
darstellten. 


5 ) Aaisserdem habe ich bei der letzten Musterung 5 Fälle von 
typischer Schmierölerkrankung bei Arbeitern in den Artilleriewerk¬ 
stätten gesehen, die das charakteristische Bild der Erkrankung an 
den Armen und im Gesicht io Gestalt von follikulären und Akneknoten 
sowie pustulöse Erkrankungen an Armen und Gesicht aufwiesen. 

Original frn-m 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


Bei fast allen diesen Fällen war die erkrankte Haut scharf ab¬ 
gegrenzt, die Damen klagten über Spannen und leichten Juckreiz 
und waren über diese eigenartige Verfärbung äusserst unglücklich. 
Auch hier gelang es in der Mehrzahl der Fälle, unter milder Be¬ 
handlung die Haut zu bessern, so dass man den Eindruck hatte, dass 
es sich um eine artifizielle Dermatitis handelte, die durch irgend 
einen Hautreiz entstanden sei. Die meisten der Damen gaben an, 
dass die Erkrankung im Anschluss an die Anwendung verschiedener 
Kosmetika entstanden sei. Zum Teil hatten sie diese von irgend 
einer Schönheitsdoktorin erhalten, zum Teil hatten sie irgend eine 
schleche Vaseline oder eine andere schlechte Salbe vom Drogisten 
oder aus der Apotheke bezogen. In anderen Fällen war keine Ur¬ 
sache für die Erkrankung zu konstatieren, so dass ich auch in diesen 
Fällen vor einem Rätsel stehe, ähnlich wie Riehl. Hof imann, 
B1 a s c h k o und andere Beobachter, und nur vermuten kann, dass 
hier, ebenso wie in den Fällen von Frieboes, Herxheim er 
und Nathan, irgend ein Stoff als Sensibilisierungsmittel die Pig¬ 
mentierung und Entzündung der Haut hervorgerufen hat. Riehl 
glaubt, dass es sich bei dieser Erkrankung, ähnlich wie beim Pellagra¬ 
gift und Ergotin, oder wie bei der Erkrankung der Nebennieren 
resp. den Pubertät*- und Graviditätsverfärbaingen, um irgend¬ 
welche Stoffe handelt, die, entweder von aussen oder im Innern 
erzeugt, diese Pigmentierung auf der Haut erzeugen können. Riehl 
stellt ja auch diese Fälle nach ihren klinischen Erscheinungen zwi¬ 
schen Pellagra und Arsenmelanosen. Er glaubt deshalb, dass cs 
nicht unmöglich ist, dass bei den erschwerten Ernährungsverhältn'ssen 
unserer Zeit z. B. Mehle mit zur Verwendung kommen (verdorbenes 
Maismehl, Puffbohnen usw.), bei denen, ähnlich wie bei der Pellagra, 
ein durch Erhitzen beim Kochen unzerstört bleibender giftiger Körper 
für die Entstehung des Krankheitsbildes verantwortlich gemacht 
werden kann. Er glaubt also an die Möglichkeit einer alimentären 
Ursache dieser Erkrankung. Auf der anderen Sete deutet die vor¬ 
wiegende Lokalisation an den freigetragenen Körperstellen auf den 
Einfluss des Lichtes hin. Wir sind leider heute noch nicht in der 
Lage, ein entscheidendes Urteil über die Ursache dieser merk¬ 
würdigen Erkrankung zu fällen. Auch bei welchen Klassen diese 
Erkrankung vorkommt, hat sich noch nicht feststellen lassen. Ich 
selbst habe die Erkrankung fast nur bei Frauen, die, über 30 Jahre 
alt waren, gesehen und stimme in gewissem Sinne der An¬ 
sicht von Arning zu, der dieselbe im Klimakterium gesellen hat. 
im Gegensatz zu Saalfeld, der sie auch bei Jugendlichen be¬ 
obachtet hat. Auffallend ist in allen Fällen das subjektive Wohl¬ 
befinden der Kranken, Jedenfalls lässt sich heute noch nichts 
irgendwie Sicheres über diese merkwürdigen Erkrankumrsfornum ®) 
sagen. Wir können heute nur konstatieren: 

1. Es gibt Melanodermien im Anschluss an Schmieröle. 

2. Es finden sich Melanodermien, für die sich entweder gar 
keine Ursache feststellen lässt und für die wir höchstens eine innere 
Ursache im Sinne Riehls annehmen müssen, oder aber Fälle, 
bei denen die Damen (es sind fast immer Damen) angaben, dass 
die Erkrankung im Anschluss an kosmetische Cremes oder Salben 
aufgetreten sind. Auch an eine Sensibilisierung der Haut köurien 
wir denken. 

3. Ausser diesen Melanodermien haben sich in der letzten Zeit 
infolge des unreinen Petrolöles und der schlechten Vaseline eine 
ganze Reihe von Vaselindermatitiden gezeigt, die teils als Cutis 
anserina und als Lichen pilaris auftreten, teils als eigentliche Vase- 
linedermatitiden und Schmieröldermatitiden, und die in dem Auf¬ 
treten gehäufer pustulöser und follikulärer Entzündungen bestehen. 

Ausser diesen Formen findet man auch das Auftreten reiner 
Komedonenmassen und Hornpfröpfe, die gruppiert angeordnet sind. 

4. Als letzte Form finden sich auch in einer Reihe von Fällen 
die von Oppenheim zuerst beschriebenen warzigen, knotigen 
und verrukösen Erhabenheiten, die infolge der Anwendung von Salben 
auftreten. 

Zweck dieser Zeilen war nur, auf diese eigenartigen Dermati- 
tiden die Aufmerksamkeit auch weiterer Kreise zu lenken, um zu 
einer Klärung dieser Frage anzuregen. 


Zur Klinik und Pathogenese der postkommotionellen 
Hirnschwäche*). 

Vom landstpfl. Arzt Dr. Alfons Jakob (Prosektor der 
Staatskrankenanstalt Hamburg-Friedrichsberg), ord. Arzt. 

Von dem klinisch und ätiologisch gleich unscharfen Sammel¬ 
begriff der „Kriegsneurosen“ ist vor allem eine Gruppe nach Krank¬ 
heitsursache und -Grundlage völlig abzusondern: die nervösen 
Schwächezustände nach Gehirntraumen, insbesondere 
nach Gehirnerschütterung. Es erscheint mir wichtig, er- 


•) Ob in* diese Gruppe auch die Fälle von Hyperk jratosis folli¬ 
cularis et parafoflicidaris (K y r 1 e) gehören, wie Hoffmann - Bonn 
meint, möchte ich dahingestellt sein lassen, ich habe 2 in diese Gruppe 
gehörende Fälle beobachtet, von denen einer abheilte, als jede Salben- 
behandhmg aufhörte. 

*> Oie Arbeit wurde im Oktober 17 abgeschlossen. 


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neut auf diese namentlich auch von Gaupp, Brodmann u. a. 
im gleichen Zusammenhänge betonte Tatsache hinzuweisen, da be¬ 
züglich dieser Frage in der Literatur noch manche Meinungsver¬ 
schiedenheiten herrschen und praktisch derartige Fälle sehr häufig 
verkannt und falsch beurteilt werden. Die postkommotionellen psychi¬ 
schen und nervösen Folgezustände sind in den letzten Jahren von ver¬ 
schiedener Seite (Berger, Schröder, Horn) monographisch 
bearbeitet und in ihren einzelnen Erscheinungsformen skizziert wor¬ 
den, wobei ‘die Kriegserfahrungen z. T. Berücksichtigung gefunden 
haben. Es liegt auch nicht in der Absicht der nachstehenden Aus¬ 
führungen, eine eingehende Darlegung der vielgestaltigen Krankheits¬ 
bilder zu geben, sondern es sollen nur an der Hand eigener klinischer 
Kriegserfahrungen einige, wie mir scheint, noch unklare Fragen kurz 
erörtert werden, unter besonderer Berücksichtigung der leichteren 
nervösen postkommotionellen Schwächczustände. 

Den folgenden Erörterungen liegt das Krankenmaterial zugrunde, 
welches ich in einem Nervengenesuggslieim des Westens beobachten 
konnte, das vornehmlich der Ncuroscnbchandlung dient. 
Schon aus diesem Grunde kamen hier nur ganz ausnahmsweise deut¬ 
lich organisch bedingte Krankheitsfälle zur Beobachtung, um so mehr 
aber jene schwerer zu beurteilenden nervösen Schwächczustände nach 
Kopftraunien, die häufig von funktionellen Störungen überbaut, nur 
bei eingehender Prüfung ihre Eigenart verraten. 

Wenn im folgenden von postkommotionellen ner¬ 
vösen Schwächezuständen die Rede ist, so müssen wir 
bei ihnen eine sichere Gehirnerschütterung als Grundlage 
des klinischen Bildes, voraussetzen können; bicr beginnen aber be¬ 
reits die Schwierigkeiten bei der objektiven ätiologischen Bewertung 
des Kriegsmaterials. Denn darüber kann auch nach meiner eigenen 
Erfahrung kein Zweifel bestehen, dass bei weitem der grösste Teil 
der Bewusstseinsverlustc, den unsere Soldaten in» der Feuerlinie durch 
Verschüttungen. Minen- und Granatexplosionen u. a. m.) erleiden, rein 
emotioneller, psychogener Natur ist (G a u pp, Wo 11 enb e r g,B on- 
h o e f f e r, Nonne u. v. a.. im Gegensatz dazu v. S a r b 6), und 
jeglichen kommotionellen Momentes entbehrt. Die Art. wie die Sol¬ 
daten selbst den Vorgang und das ganze Erlebnis schildern, wie sie 
ohne ärztliche Beeinflussung häufig mit den gleichen Ausdrücken den 
psychischen Moment des Schreckens als Ursache der Ohnmacht und 
längeren Bewusstlosigkeit angeben, nicht zuletzt noch die Liebe und 
Ausführlichkeit, mit der sie sich der Erzählung der Einzelheiten hin¬ 
geben, sprechen bei dem Fehlen aller weiteren kommotionellen Mo¬ 
mente eindeutig für die Psychogenie der Erscheinung. 

Dabei finden sich unter meinem Krankenmaterial Fälle, bei denen 
die Bewusstlosigkeit, die ich als rein psychogen beurteile, mehrere 
Tage dauerte und in vereinzelten Beobachtungen von schwereren 
psychischen Ausnahmezuständen (katatonen Zustandsbildern mit Hem¬ 
mungssymptomen, Dämmerzuständen mit sinnlosen Handlungen) ge¬ 
folgt war. Erscheinungen, die von dem bekannten Bilde der rein 
funktionellen Zitter- und Schreckneurose ergänzt oder abgelöst wur¬ 
den. Für diese Zustände bestand später kein völliger Erinnerungs- 
verlust, wie sich auch keine retrograde Amnesie feststellen liess. 

Bei der Differenzierung des ätiologischen Momentes ist auch 
den sonst wichtigen Angaben über Erbrechen nur ein bedingter 
Wert zuzuerkennen, da nicht zu selten Ekelempfindungen den gastri¬ 
schen Effekt atislösen oder, was noch häufiger, Gaseinatmungen ihn 
bedingen. 

Dazu kommen noch die Bedenken, die man bei der Erhebung der 
Anamnese den Angaben der Kranken entgegenbringen muss. 

Bei vorsichtiger Bewertung all dieser Momente habe ich aus 
einem grossen Material selbst behandelter Fälle ton Neurosen nach 
Kriegsbeschädigungen 100 Beobachtungen zusammenstellen können, 
bei denen die Erschütterung des Zentralnerven¬ 
systems anamnestisch sichergestellt ist und das Krankheitsbild 
ätiologisch beherrscht: ihre klinische und pathogenetische 
Auffassung will ich im folgenden kurz besprechen. 

Die Fälle kamen relativ frisch, z. T. schon 2—3 Tage nach der 
Kommotion in meine Beobachtung und konnten hier bis zu ihrer 
Wiederverwendbarkeit oder wenigstens bis zur völligen Klärung des 
Krankheitsbildes in Behandlung bleiben. 

Die Ursache -der Gehirnerschütterung war: in 32 Proz. Ver¬ 
schüttung durch Volltreffer, in 25 Proz. Weggeschleudert werden durch 
Explosivgeschosse, in 23 Proz. Fall in Gräben oder Sturz vom Wagen 
u. ähnl., in 9 Proz. Schläge mit stumpfen Gegenständen, in 8 Proz. 
Schädelstreifschüsse und endlich in 3 Proz. reine Luftdruckwirkung 
nach Granatexplosion. 

Bekanntlich ist es noch eine strittige Frage, ob durch den Luft¬ 
druck einer vorbeisausenden oder in der Nähe platzenden Granate 
eine echte Commotio ausgelöst werden kann. Auch nach meinen Er¬ 
fahrungen besteht darüber kein Zweifel, dass fast sämtliche Fälle von 
Granatschock mit ihren Folgezuständen ätiologisch und klinisch zu 
den psychogenen Krankheitsbildcrn gehören und als solche zu be¬ 
handeln sind: freilich sind auch dabei die sehr häufig komplizierenden 
organischen Störungen von seiten -des inneren Ohres wohl zu be¬ 
achten (2 eigene Beobachtungen mit nervöser Schwerhörigkeit und 
Labyrintherschütterung). 

In den Fällen, die ich hier im Auge habe, glaube ich ätiologisch 
jedes andere Moment als den Luftdruck ausschalten zu können, 
und leichte, aber sicher organische Störungen (Pupillendifferenz, Halb- 
seitenerscheinungen, Merkfähigkeitsstörung) wiesen eindeutig eine 
-- wenn auch nur vorübergehende — traumatische Gesamtschädigung 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


20. August 1918. 


MUENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


933 


des zentralen Nervensystems nach. Diese Erfahrungen bestätigen 
die Ansicht von Gaupp, Wollenberg, Aschaffenburg, 
Bonhoeffer, Redlfch und Kar plus, Schultz und 
Meyer u. a., die in seltenen Fällen beim Granatschock die kom- 
motionelle Aetiologie durch den Luftdruck zugeben oder zum minde¬ 
sten für wahrscheinlich, halten; bei der Diskussion über diese Frage 
sei besonders auf jenen von Pachantoni beschriebenen Krank¬ 
heitsfall hingewiesen, bei dem sich im Anschluss an das Vorbeisausen 
einer Granate multiple Hirnnervenlähmungen entwickelten. 

Bei den meisten Fällen des Gesamtmaterials dauerte die ini¬ 
tiale Bewusstlosigkeit mehrere Stunden, manchmal' auch 
nur mehrere Minuten und in 6 Fällen einen oder mehrere Tage. 

4 Kranke, deren Krankheitsbild zweifellos als ein organisches 
aufgefasst werden muss, gaben mir an, nicht ganz das Be¬ 
wusstsein verloren zu haben, sondern nur „wie betäubt“ 
gewesen zu sein und einige Zeit nachher noch „wie betrunken“. 

M. E. ist daraus zu schliessen, dass auch derartige Fälle den 
koimnotionellen Bedingungen entsprechen. 

In 60 Proz. wurde ein-, sehr häufig mehrmaliges, manchmal tage¬ 
langes Erbrechen angegeben, in 20 Proz. nur Brechreiz, 5 Proz. 
verneinten Erbrechen, bei 15 Proz. waren hierüber keine sicheren 
Angaben zu erzielen. 

Bemerkenswert ist, dass eine sichere retrograde Amnesie, 
d. h. ein in die dem Trauma unmittelbar vorausgehende Zeit zurück- 
greifender Gedächtnisausfall, sich nur in 35 Proz. sicher feststellen 
liess; und zwar habe ich auch bei schwereren Kommotionsfällen 
dieses Symptom vermisst. 

Praktisch lässt sich mein Beobachtungsmaterial in 4 Gruppen 
einteilen: 

1. Kommotionsfälle, die nur eine Zeitlang die Zeichen der post¬ 
traumatischen Himschwäche darbotc-n und klinisch ausheilten 
(20 Proz.). 

2. Kommotionsfälle mit längerdauernden (z. T. bleibenden) post¬ 
kommotionellen Schädigungen (36 Proz.). 

3. Postkommotionelle nervöse Schwächezustände mit später 
hinzutretenden psychogenen Störungen (18 Proz.). 

4. Fälle, bei denen die Commotio gleichzeitig psychogene Er¬ 
scheinungen auslöste, die dann stark das Krankheitsbild be¬ 
herrschen (26 Proz.). 

Die Kranken der Gruppe 1 wären fast durchweg Frontsoldaten in 
kräftigem Mannesalter, die zumeist kurze Zeit nach ihrer Erkrankung 
in die hiesige Behandlung kamen. Die Dauer der Bewusstlosigkeit 
war gewöhnlich einige Minuten bis zu einer Viertelstunde, bei 
zweien ungefähr 1—4 Tage. An neurologischen Ausf.ällen 
zeigten 5 von ihnen leichte Störungen des inneren Ohres*), 3 Ny¬ 
stagmus nach einer Seite und 2 noch zudem geringgradige, aber deut¬ 
lich ausgesprochene Halbseitenstörungen. Der Puls war bei dreien 
eine Zeitlang verlangsamt, 40—50, im übrigen schwankte er zwischen 
60—65 Schlägen. 

Systematische Blutdruckuntersuchungen konnten aus äusseren 
Gründen an dem Krankenmaterial nicht gemacht werden. 

Viel bemerkenswerter aber ist das charakteristische 
psychische Bild, das die Kranken bieten. Sie machen einen 
affektlosen, in allen ihren psychischen Leistungen gehemmten, ruhe¬ 
bedürftigen Eindruck, nehmen wenig Anteil an ihrer Umgebung, 
bringen in eintöniger Weise — und nur gefragt — ihre Klagen vor, 
wenn sie nicht von vornherein behaupten, es ginge ihnen gut, und 
zeigen im ganzen ein mürrisches, unzufriedenes Wesen. 

3 von ihnen litten an ausgesprochener Schlafsucht, schliefen 5 bis 
7 Tage fast ununterbrochen und mussten zum Essen geweckt werden, 
wurden aber nicht unrein. 

Bei zweien lag zwischen der initialen Bewusstlosigkeit und dem 
oben gekennzeichneten Stadium der allgemeinen psychischen 
Schwäche ein mehrere Tage anhaltender Verwirrtheitszustand mit 
zeitweise leichter psychomotorischer Erregung. 

Ein Unteroffizier, der an der Somme durch den Luftdruck einer 
ganz nahe krepierenden Granate eine Bewusstlosigkeit von einigen 
Minuten davongetragen hatte, wurde 2 Tage nachher hier eingeliefert. 
Bei der ersten Untersuchung antwortete er zwar richtig, doch erst 
nach eindringlichem Zureden, machte aber einen so aussergewöhn- 
Jich blöden, gehemmten, abnormen Eindruck, dass mir der Verdacht 
der Simulation oder Aggravation kam; die körperliche Untersuchung 
stellte dann leichte zerebellare Störungen (Romberg, Zeigestörungen, 
labyrinthäre Reizerscheinungen) und doppelseitige Trommelfellruptur 
fest. Am nächsten Tage hatte der Kranke an meine ganze erste 
Untersuchung nicht die geringste Erinnerung, erholte sich in den 
nächsten 2 Wochen langsam aber stetig von seinem stupurösen am¬ 
nestischen Zustand und war später einer meiner besten Stationsunter¬ 
offiziere; nach 3 Monaten Behandlung wurde er k v. entlassen, ohne 
nervöSe und psychische Ausfallssymptome und ist seitdem k. v. an der 
Front. Die katamnestische Erhebung — jetzt nach 1 Jahre — ergab, 
dass er ohne besondere nervöse Störungen blieb und inzwischen 
an sehr viel Grosskampfhandlungen teilgenommen hat. 

Der oben kurz beschriebene psychische Gesamtein¬ 
druck, den die Kranken durchweg bieten und durch den sie sich 
auf den ersten BKck von dem ängstlich-schreckhaften, an produktiven 
Zügen reichen Symptomenbilde der Psychogenen unterscheiden, hat 


•) Die Ohrenuntersuchungen werden in allen Fällen von Herrn 
Stabsarzt Dr. Sonntag vom Fest.-l.az. Namur ausgeführt. 


Nr. 34. 

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als Grundlage einen sehr charakteristischen, zweifellos als organisch 
anzusehenden Funktionsausfall des psychischen Geschehens, der, 
wie Bonhoeffer nachgewiesen hat, eine der häufigsten und stetig¬ 
sten Reaktionsformen des exogen geschädigten Gehirns darstellt 
und als der amnestische, Korsakowsche Symptomen- 
komplex beschrieben wurde. In seinen Hauptzügen ist er cha¬ 
rakterisiert durch eine Störung der Merkfähigkeit, die in den aus¬ 
gesprochenen Fällen zu Desorientierung und Konfabulationen führt, 
durch eine Störung der Aufmerksamkeit und Auffassung und durch 
rasche psychische Erschöpfbarkeit und Ermüdbarkeit. 

Die psychischen Ausfallssymptome finden sich bei allen unseren 
Kranken in mehr oder weniger ausgesprochener Weise, wie sich schon 
zumeist bei grober klinischer Prüfung feststellen lässt. An dem 
Krankenmaterial des letzten halben Jahres hat Stabsarzt J. H. Schultz- 
Jena genauere psychologische Untersuchungen vorgenommen, deren 
Ergebnisse ich hier nur kurz streife unter Hinweis auf seine eigenen 
späteren diesbezüglichen Mitteilungen. 

Unter geeigneter Behandlung bildeten sich bei den Kranken oft 
schon nach kurzer Zeit die psychischen Ausfalls- und Schwäche¬ 
erscheinungen zurück, wobei am längsten die Merkfähigkeit gestört 
blieb bei deutlicher psychischer allgemeiner Ermüdbarkeit 

Während der Erholung zeigten sich gelegentlich Affektstö¬ 
rungen, die in Reizbarkeit und Explosivität ihren Ausdruck fanden, 
aber auch nur vorübergehender Natur waren. 

Mit der fortschreitenden Genesung schwanden auch allmählich 
die Beschwerden der Kranken, die vornehmlich in Kopfschmerzen, 
Schwindel, namentlich beim Bücken, und rascher allgemeiner geistiger 
Ermüdung bestanden. 

Bei 3 Kranken wurden sehr schmerzhafte posttraumatische 
Neuralgien von Trigeminusästen mit intraneuralen Novokain- 
Adrenalin-Einspritzungen dauernd beseitigt, auf deren Bedeutung bei 
Kopfverletzten namentlich auch J. H. Schultz hingewiesen hat. 

Ein Symptom möchte ich hier noch kurz erwähnen, das ich in 
einem Drittel aller schwereren Kommotionsfälle vorfand und wieder in 
dem dritten Teil dieser Fälle bei Ausschliessung aller anderen Mög¬ 
lichkeiten rein auf das kommotionelle Moment beziehen möchte, es 
sind dies Störungen der sexuellen Libido in Form von 
völligem Versagen des Geschlechtstriebes oder Spermatorrhöe ohne 
entsprechende Empfindung. Schultz hat die gleichen Erscheinungen 
in 4 Proz. seiner Kopfschussverletzten gefunden. Diese Erfahrungen 
wären eine Bestätigung der experimentellen Beobachtungen von 
Ceni, der nach Gehirnerschütterung und -Verletzung an Hühnern, 
Tauben und Hunden zeigen konnte, dass die Spermato- und Ovulo- 
genese sistierten. 

Einer meiner Fälle war in dieser Hinsicht besonders bemerkens¬ 
wert: bei ihm blieb als einziges Symptom nach einem Fall auf 
den Hinterkopf mit Gehirnerschütterung und bald schwindenden All¬ 
gemeinerscheinungen 14 Tage lang feine Spermatorrhöe (auch , mikro¬ 
skopisch festgestellt) zurück, um sich dann ebenfalls restlos zu ver¬ 
lieren. Allerdings kommt für die Deutung der Befunde bei einem 
Teil der Fälle wohl auch eine begleitende Commotio medullae spi- 
nalis ohne sonstige grobe Ausfälle in Frage. 

Sämtliche Kranke der ersten Gruppe konnten voll dienstfähig 
wieder zur Truppe entlassen werden; bei meinen katamnestischen Er¬ 
hebungen erhielt ich bei 7 Antwort und zwar volle Leistungsfähig¬ 
keit als k. v. seit wieder einem Jahre. 

Wie restlos sich selbst schwere sicher organische Gehirn¬ 
erschütterungen gelegentlich zurückbilden können, mag kurz folgende 
Beobachtung demonstrieren. 

21 jähriger Soldat, schwere Gehirnerschütterung durch Flieger¬ 
bombe ohne äussere Verletzungen. Feldlazarett: 4 Tage 
völlige Bewusstlosigkeit, iPulsverlangsamung, grosse Atmung und 
Zähneknirschen. Röntgenbild keine sicheren Veränderungen. Lum¬ 
balpunktion nach einem Tag ergibt dickblutigen Liquor, nach weiteren 
2 Tagen gelb gefärbten Liquor. Reagiert allmählich auf Anruf. Nach 
5 Tagen heller klarer Liquor, schläft noch dauernd, reagiert auf 
Anruf. Nach 8 Tagen völlig desorientiert ohne schwerere Herd¬ 
symptome von seiten des Gehirns. Nach 11—25 Tagen allmähliches 
Erwachen bei schwerer Merkfähigkeitsstörung, Desorientiertheit, 
Konfabulationen und retrograder Amnesie. Lässt unter sich. Kein 
Krankheitsgefühl. Hiesige Beobachtung: Nach einem Monat 
einsilbige, aber korrekte Auskunft über Vergangenheit, die ohne Be¬ 
lang. Unklare Erinnerung an den Unfall. Psychische Reaktionen 
sämtlich verlangsamt bei ausgesprochener Merkfähigkeits-, Auf- 
fassungs- und Aufmerksamkeitsstörung; affektlos; kein besonderes 
Krankheitsgefühl. Körperlich leichte Hemiparese rechts. Puls normal. 
Auf Befragen Klagen über geringe Kopfschmerzen. Nach 6 Wocüen 
subjektives Wohlbefinden bei guter Rückbildung des psychischen 
Schwächezustandes. Erzählt jetzt den Hergang des Unfalls, will so¬ 
gar Erinnerung an die Lazaretteinlieferung haben (?). Weiss nichts 
von Lumbalpunktionen. Sonst keine amnestischen Störungen mehr. 
Nach 2 Monaten psychisch keine besonderen Ausfälle mehr. Arbeitet 
fleissig. Nach 3 Monaten Ernteurlaub mit weiterer guter Erholung. 
Nach 4 Monaten k v. entlassen bei völligem subjektivem Wohl¬ 
befinden. 

Ganz ähnliche psychische Zustandsbilder und Verlaufsformen, 
wie sie die Kranken der ersten Gruppe zeigen, bieten die schwe¬ 
ren nervösen Erschöpfungszustände, die jetzt nach den 
ausserordentlich hochgradigen und langdauernden Kriegsstrapazen in 
Behandlung kommen, und deren Erscheinungen ebenfalls in unserem 

□ riginBl fro-m 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


Sinne als organisch durch Darniederliegen des Biotonus bedingt an¬ 
gesehen werden müssen. 

Bei dem klinischen Bilde der zweiten Qruppe (Kommotions- 
fälle mit längerdauernden, z. T. bleibenden post¬ 
kommotionellen Schädigungen) kann ich mich kürzer 
fassen, da die mehr allgemein nervösen Störungen der „Kommotions- 
neuroseri“ gut bekannt und erst in den letzten Jahren von Berger, 
Schröder und Horn eingehend beschrieben worden sind. 

Ich möchte aber, wie Gau pp, die Bezeichnung „Kommotions- 
neurosen“ (Friedmann) dieser Fälle als für ihre pathogenetische 
Auffassung unklar und zu Irrtümern führend ablehnen und den Aus¬ 
druck „postkommotionelle Hirnschwäche“ (Tröm- 
ner, Brodmann) als sinngemäss empfehlen. 

Bei den 30 Kranken dieser Gruppe handelt es sich in 5 Fällen um 
frühere Kommotionsunfälle, bei den übrigen um im Kriege zugezogene 
Kommotionen, die z. T. schon mehrere Jahre und Monate zurück¬ 
liegen. 

Bei ihnen entwickelt sich aus dem oben geschilderten amnesti¬ 
schen Nachstadium der Gehirnerschütterung ein langdauernder 
nervöser Schwächezustand (vasomotorischer Symptom¬ 
komplex Friedmanns), dessen Haupterscheinungen in Kopf¬ 
schmerz, Schwindel, namentlich beim Bücken, Unsicherheit des Ge¬ 
dächtnisses, rasche psychische Erschöpfbarkeit, Effektive Uebererreg- 
barkeit und Intoleranz gegen Alkohol kurz zusammengefasst werden 
können. 

In 20 Proz. der Fälle waren leichte Halbseitenstörungen, z. T. 
mit solchen des inneren Ohres kombiniert festzustellen, bei einem 
eine einseitige retrobulbäre Neuritis mit entsprechendem relativem 
Farbenskotom; ein Kranker zeigte eine ausgesprochene nervöse Ah>- 
pecie, die auch auf die Scham- und Achselhaare Übergriff. 

Bei 3 Kranken wurden die Kopfschmerzen, die auf eine Trige¬ 
minusneuralgie zurückzuführen waren, ebenfalls mit der intFaneuralen 
Novokain-Adrenaiin-Injektion sehr günstig beeinflusst. 

4 von diesen Patienten klagten namentlich bei Reiten und Fahren 
über starkes Schwindelgefühl und Erbrechen, so dass bei ihrer wei¬ 
teren Verwendung besonders auf diese Störungen Rücksicht ge¬ 
nommen werden musste. 

Ein Kranker bietet in dieser Beziehung ein besonders bemerkens¬ 
wertes Krankheitsbfld, bei dem die zeitweise stärkeren vasomoto¬ 
rischen Erscheinungen an Meniöresche Attacken erinnern: 

Feldwebel Qu„ 30 Jahre alt, aktiv, hier nach 25monatigem un¬ 
unterbrochenem Frontdienst wegen Kopfschmerzen und Schwindel¬ 
gefühl aufgenommen, die zeitweise sehr heftig mit Erbrechen ern- 
setzen. 

Vorgeschichte: Nicht belastet; keine Migräne in seiner 
Familie, noch ähnliche Beschwerden bei ihm selbst vor seiner 
Gehirnerschütterung. Gehirnerschütterung 1913 durch Sturz 
vom Pferde mit kurzer Bewusstlosigkeit (Erbrechen?). Seitdem 
dauernd Kopfschmerzen und leichtes Schwindelgefühl mit Flimmern 
vor den Augen, akustische Uebererregbarkeit, affektive Reizbarkeit 
und Gedächtnisschwäche. Trotzdem 4 weitere Monate Dienst bis 
Februar 1914, wo er nachts durch schrilles Läuten häufig aus dem 
Schlafe gestört, mit so heftigem Schwindelgefühl erwachte, dass er 
aus dem Bett sprang und dann unter heftigem Schwindel zu Boden 
fiel. Das Schwindelgefühl dauerte 14 Tage hindurch so stark an, 
dass er sich kaum im Bette aufrichten konnte und bei jedem Ver¬ 
such hierzu Schwindel und Erbrechen hatte. Dabei keine Gehör- 
und Labyrinthstörungen, die sich auch heute nicht nachweisen lassen. 

Nach mehrmonatiger Behandlung macht er dann wieder bei 
entsprechender Schonung seinen Dienst, musste sich nach einem 
Monat wieder krank melden weven der gleichen- Beschwerden und 
rückte anfangs 1915 ins Feld, wo er fast ununterbrochen bis jetzt an 
der Front seinen Dienst versah und unter anderem die Herbstoffensive 
in der Champagne 1915 und die Frühjahrsoffensive bei Verdun mit¬ 
machte. 

Wegen zunehmender nervöser Beschwerden (Kopfschmerzen, 
Schwindel, Brechreiz, zeitweisem Erbrechen und Flimmern vor den 
Augen, die nach besonders heftiger Artilleriebeschiessung stark 
exazerbierten, hier aufgenommen: neurol. o. B., psychisch leichte, 
aber objektiv nachweisbare Störungen im Sinne der traumatischen 
Hirnschwäche. Kein hysterisches Wesen. Kein Alkoholisnrus. Keine 
Lues. Blut-Wa. negativ. 

Auf Allgemeinbehandlung (Ruhe, Brom, kalt-warme Wechselbe¬ 
handlung nach Weber) sehr gute Erholung; z. g. v. (2 Mon.) 
entlassen. 

Sehr beachtenswert ist bei diesem Kranken das erste Auftreten 
schwererer Störungen erst einige Monate nach der Gehirn¬ 
erschütterung. 

4 Kranke litten an epileptischen Zuständen, die sich erst 
allmählich nach der Gehirnerschütterung entwickelten. 

2 dieser Fälle seien hier kurz geschildert: 

1. Lstm. St., 37 Jahre alt, Bauer, Vater nervös und zwei Ge¬ 
schwister nervös. Sonst keine Belastung. Normale Entwicklung, 
gut gelernt. Mit 7—8 Jahren Gehirnerschütterung, seitdem aufgeregt, 
Kopfschmerzen und Bückschwindel. 1904 zweite Gehirnerschütterung, 
fiel von einem hochbeladenen Wagen. 2 Stunden bewusstlos. Von 
Erbrechen nichts bekannt. Kein rückgreifender Erinnerungausfall. 

Seitdem viel Kopfschmerzen, Bückschwindel, Gedächtnisschwäche, 
Nachlassen der Libido sex., Alkoholintoleranz. Trinkt gar keinen 
Alkohol mehr. Juli 1916 eingezogen, ausgebildet, dabei 2 mal wegen 


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seiner Nerven im Lazarett. Mai 17 ins Feld nach Flandern. Juni 17 
zum erstenmal Krampfanfälle, nach heftigen Kopfschmerzen auf tretend: 
völlige Bewusstlosigkeit, Untersichlassen. Krämpfe? Dauer wenige 
Minuten. Nachher müde und tiefer Schlaf. Neurol. 1. Pup. > r„ 
Reaktionen o. B., Augenhintergrund o. B., L. Pat. SR. etwas schneller 
als r. Kein Babmski. Sprache langsam, schwerfällig, von leicht 
skandierendem Charakter. Sonst nichts für multiple Sklerose. Keine 
Pulsverlangsamung. Blut- und Liquor-Wa. negativ. Psychisch ruhig; 
Krankheitsgefühl +; zugänglich, willig, bescheiden; kein hysterischer 
Charakter. Schwerfällig, in sämtlichen psychischen Reaktionen 
verlangsamt. 

‘Psychologische Untersuchung (Stabsarzt Dr. Schultz): Me¬ 
chanisches Gedächtnis ungenau, Sinngedächtnis etwas besser. Merk¬ 
fähigkeit und Aufmerksamkeit schlecht. Geringe Haftfähigkeit. 

Hier im ganzen 3 kurzdauernde Anfälle, davon 2 ärztlich be¬ 
obachtet von deutlich epileptischem Charakter. 

Lumbalpunktion: Druck stark erhöht. Klarer Liquor; keine 
Phase I. Wa. bei Auswertung negativ. Entlassen d. a. v. H. i/Ber. 

Bemerkenswert an diesem Falle ist das spätere Hinzutreten 
epileptischer Zustände zu der postkommotionellen Hirnschwäche; eine 
Beeinflussung des Krankheitsverlaufes durch den Kriegsdienst muss 
zugegeben werden, jedoch halte ich eine Erwerbsbeschränkung mit 
Rücksicht auf den Beruf als Landwirt nicht über 10 Proz. 

2. Utffz. M., 31 Jahre alt. ohne Belastung, Dackdecker, bis 1912 
gesund. Kein Trinker, nie mit Gericht zu tun gehabt. Gesunde 
Kinder. Keine Geschlechtskrankheit. 

1912 Kopfverletzung durch Fall von der Leiter auf einen spitzen 
Hammer (1. Schädelseite). Leichte, kurze Bewusstlosigkeit mit nach¬ 
folgendem Erbrechen. Klaffende, gut heilende Wunde. Nachher Kopf¬ 
schmerzen, Schwindel, Gedächtnisschwäche, Reizbarkeit, Alkohol¬ 
intoleranz. Beruf als Dachdecker aufgegeben; wurde Landwirt. 

1915 eingezogen. März 16 ins Feld. Verdun. Juni 17 Granatein¬ 
schlag 2 m vor ihm, der 4 Kameraden von ihm tötete bzw. schwer 
verwundete. Sie lagen längere Zeit auf ihm. Starker Schrecken ohne 
völlige Bewusstlosigkeit 

Nachher vorübergehend stockende Sprache. Nach einigen 
Tagen 1. Anfall, plötzlich, kann nichts darüber aussagen. Im Feld¬ 
lazarett 2. Anfall mit Krämpfen und völliger Bewusstlosigkeit, etwa 
10 Minuten, und nachfolgender starker Blässe. 2 mal bei solchen 
Anfällen Untersichlassen. Klagt über starke Reizbarkeit und Wut¬ 
anfälle. 

Während seines weiteren Lazarettaufenthaltes wurde eine lang¬ 
dauernde, schwere Verstimmung beobachtet, in der er kein Wort 
sprach und stuporartig der Wand zugedreht lag. Zureden half nicht, 
er nahm wenig Nahrung zu sich. Allmähliche Lösung der Verstim¬ 
mung. 

Körperlich: Am linken Vorderkopf zwischen Schläfen- und Stirn¬ 
bein bogenförmige, 6 cm lange, reizlose Narbe ohne Knochenbe¬ 
schädigung. Rechte Hemiparese leichten Grades, aber ganz deutlich. 
Blut-Wa. negativ. 

Psychisch: Deutliche postkommotionelle Himschwäche bei ruhigem, 
sachlichem Verhalten. Kein hysterischer Charakter. Psychologisch 
(Dr. Schultz): Grobe Merkstörung, sehr geringe Lernleistung und 
schwere Aufmerksamkeitsstörung. Befindet sich noch in hiesiger 
Behandlung. 

Auch hier entwickelten sich auf dem 'Boden der postkommotio¬ 
nellen Hirnschwäche nach einem heftigen psychischen 
Trauma epileptische Zustände, die namentlich mit Rück¬ 
sicht auf die stark hervortretende Charakterveränderung (Verstim¬ 
mung, Wutanfälle) das Krankheitsbild sehr ungünstig beeinflussen. 
Kr. D. B. +; wird voraussichtlich d. a. v. H. i. Ber. entlassen *). 

Die Frage der Spätapoplexie beleuchtet folgende Be¬ 
obachtung: 

Ldstm. Gn., 43 Jahre alt. Keine Belastung Völlig gesund bis 
Gehirnerschütterung 1899 mit 2—3 ständiger Bewusstlosigkeit. Seit¬ 
dem anfallsweise Kopfschmerzen mit Schwindel und Brechreiz. 
Alkoholintolerant. Seitdem Abstinent. Keine Lues. 

Bei der Besatzungstruppe in Belgien. Sturz vom Pferde mit 
kurzer Bewusstlosigkeit. Hierauf wegen Bluterguss im rechten Auge 
auf der Augenstation eines Kriegslazaretts 3 Wochen in Behandlung 
ohne besondere nervöse Ausfälle. 

Nach 4 wöchentigem weiteren Dienst zunehmende heftige Kopf¬ 
schmerzen, namentlich über dem rechten Auge, hochgradiges Schwin- 
delgefüht, so dass er sich gar nicht mehr bücken, kann; fiel in den 
letzten Tagen schon mehrere Male in der Kaserne um ohne Bewusst¬ 
losigkeit. Schwankte und taumelte beim Gehen. Deshalb Lazarett¬ 
aufnahme: Neurol. Keine meningitischen Symptome, Puls 55. Pup.- 
Reaktion rechts besser als links. Nystagmus nach rechts, eine Spur 
auch nach Hnks. Linke hypertonische Hemiparese leichten Grades. 
Bei Romberg Schwanken. Zeigestörungen beiderseits. Frontale 
Ataxie (?). Kein Babinski. Beim Gehen mät geschlossenen Augen 
Abweichen nach links. Psychisch: klar, ruhig. Augenhintergrund o. B. 

Bei völliger Bettruhe und Eisblase 7 Tage nachher subjektives 
Wohlbefinden. Kein Druckpuls. Augenhintergrund o. B., Blut-Wa. 
negativ. 

Nach weiteren 3 Wochen Aufstehen ohne Beschwerden, kein 
Schwindelgefühl. Liquor unter erhöhtem Druck, nicht blutig, keine 
Zellen; keine Phase I. WaR. negativ. 


*) Mit diesem Urteil entlassen. 

Original from 

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20. August 1918. 


MUENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


935 


Nach werteren 4 Wochen beschwerdefrei entlassen, neurologisch 
nur leichte hypertonische linke Parese. 

Ich glaube das Krankheitsbild als postkommotionelle 
Spätapoplexie deuten zu müssen. 

Ausführlicher sei noch folgende Beobachtung einer in ihrem 
ganzen Krankheitsverlaufe sehr viel Eigenartiges bietenden post¬ 
kommotionellen Psychose mitgeteilt, die noch jetzt hier in 
Behandlung steht. 

Ldstm. H., 32 Jahre alt, belastet. Mittelguter Schüler. In der 
Kindheit bis 15 Jahren manchmal leichte Ohnmächten mit Kopf¬ 
schmerzen ohne Krämpfe. Später stets gesund und voll arbeitsfähig. 
Gesunde Frau, gesunde Kinder. Keine Lues. Kein Alkoholismus. 

Juli 15 einigezogen- und ausgebildet. Mai 16 ins Feld. 

Gaskrank ohne Bewusstlosigkeit und psychische Erscheinungen 
(nach der Krankengeschichte) vom 3. V. bis 19. V. 17. 

Jul» 17 wieder ins Feld ins Rekr.-Depot. Fühlte sich völlig wohl; 
der eingeholte Truppenbericht bestätigt sein durchaus normales psy¬ 
chisches Verhalten. 

17. VII. 17 Fall auf den Hinterkopf; betäubt nur 1—2 Minuten, 
stand von selbst wieder auf, musste erbrechen und legte sich wegen 
heftiger Kopfschmerzen zu Bett. 

Wegen Schwindel am nächsten Tage zum Arzt und ins Revier. 
Dort verlor er das klare Bewusstsein, warf auf seine Kameraden 
mit Gegenständen und wurde 21. VII. 17 wegen „geistiger Störung 
nach Fall auf den Hinterkopf“ ins Kriegslazarett .... (Stabsarzt 
Dr. S e i g e) eingeliefert. 

Hier klagte H. über Benommenheit, Kopfschmerzen und Erregung, 
war aber geordnet, orientiert und machte langsame, aber brauchbare 
Angaben über seine Vorgeschichte.. Er schilderte den Fall und 
zeigte keine retrograde Amnesie. Von seiner geistigen Störung im 
Revier wusste er nichts. (22. 7. 17.) Körperlich o. B. ausser 
schwachen Kniereflexen. 

23. VII. plötzlich verwirrt, will abreisen, sein Vater sei ge¬ 
storben. Dabei gut lenkbar. 

24. VII. Wieder klarer, er habe gestern von seinem Vater ge¬ 
träumt; lächelt darüber. 

25. VII. Wieder verwirrt: trifft Veranstaltungen, weil seine 
Frau zu Besuch komme, er habe von der Schwester ein Telegramm 
erhalten: „Komme morgen abend. Deine Frau.“ Kommt mit der 
Schwester in Streit, da sie ihm das Telegramm wieder genommen. 

26. VII. Korrigiert wieder „es muss doch ein Traum gewesen 
sein“ und bleibt geordnet, doch deutlich gehemmt bis zu seiner Ueber- 
führung hierher am 17. VIII. 

Bei der Aufnahme hier orientiert, gibt Auskunft w. o., zeigt 
Erinnerungslücken für seinen früheren Lazarettaufenthalt, psychisch 
gehemmt, ziemlich affektlos, verlangsamt in allen psychischen Re¬ 
aktionen mit sehr ausgesprochener Merkfähigkeitsstörung. 

Neurol. r. Pup. > I. Prompte Reaktion. Nystagmus nach links; 
Reflexe an den unteren Extremitäten +, aber schwach. Sonst körper¬ 
lich o. B. Blut-Wa. negativ. 

22. VIII. In der Nacht unruhig und verwirrt mit zahlreichen 
Konfabulationen, die den Besuch seiner Frau zum Inhalt haben. 

In den nächsten Tagen zeitlich und örtlich völlig desorientiert; 
spricht von seiner Frau, die ihn besuchte. Dabei traumhaft-ver¬ 
worrener, affektloser Gesichtsausdruck. Ratloses Wesen ohne jeg¬ 
liche Spontaneität, lieber seine frühere Vergangenheit auf Befragen 
langsame, gute Auskunft,, über seine Felderlebnisse ungenaue Angaben. 
Zupft dauernd mit seinen Händen an der Bettdecke. 

Psychologische Untersuchung (Stabsarzt Dr. Schultz) ergibt 
schwere Auffassungs-, Aufmerksamkeits- und Merkfähigkeitsstörung 
bei starkem Haften und geringer Lernfähigkeit. Spricht agram- 
maftsch in verbaler, infantiler Form. 

Aus diesem Zustand traumhafter Verworrenheit mit Konfabula¬ 
tionen allmähliches Erwachen mit langsamer Besserung der psvchi- 
schen Leistungen, so dass er nach 4 Wochen (25. IX.) orientiert ist 
mit Erinnerungslücke für seinen bisherigen Lazarcttaufenthalt. In 
den nächsten 4 Wochen wertere allmähliche Aufhellung seines Be¬ 
wusstseins, so dass er jetzt (29. X.) auch Interesse an seiner Um¬ 
gebung nimmt, die Unterhaltungsabende hier besucht und dauernd 
orientiert ist. 

Er erinnert sich an seinen Unfall, weiss von seiner Einlieferung 
ins Revier, nichts von der ins Lazarett, erinnert sich an den dortigen 
Aufenthalt nur lückenhaft, nicht an seine Einlieferung hierher. Seine 
konfabulierten Ergebnisse korrigiert er als Träume*). 

Sein Wesen ist ziemlich affektlos, gehemmt, spurweise un¬ 
sicher, nicht mehr ausgesprochen ratlos, zugänglich. Psychisch noch 
deutlich Merk- und Aufmerksamkeitsstörung und rasche Ermüdbarkeit. 
(Bei der Lumbalpunktion kam Blut.) 

Es handelt sich hier um einen postkommotionellen psychischen 
Schwäcbezustand, bei dem sich schwere psychische Störungen im 
Sinne des amnestischen Korsakow sehen Symptomcnkomplexes, 
mit klaren Intervallen untermischt, ganz allmählich ent¬ 
wickelten, um ebenso allmählich sich wieder zurückzubilden. 

Warum nun die einen Kommotionen ausheilen, die anderen aber 
länger dauernde, z. T. bleibende Störungen zurückbehalten, ist schwer 
befriedigend zu entscheiden. Ungefähr 30 Proz. der Fälle der zweiten 
Gruppe zeigten zwar eine gewisse Belastung und nervöse Dispo- 


*) November 17 entlassen als d. u., jedoch voll arbeitsfähig im 
Beruf als Landwirt. 

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sition, die bei den anderen aber nicht nachzuweisen war. Die 
Schwere des Traumas spielt gewiss eine Rolle, aber auch keine 
alle Rätsel lösende. Letzten Endes kommt es auch hier auf die durch 
dieCommotio gesetzte organisch-funktionelle Schädigung derNerven- 
substanz und der Reaktion des Organismus an. 

Von diesen 30 Kranken wurden 5 als a. v. i. Ber. entlassen, 20 als 
z. oder d. g. v. und 5 als k. v. (Bei all diesen Angaben sind die noch 
nicht entlassenen Kranken hinsichtlich ihrer voraussichtlichen Dienst¬ 
fähigkeit bereits mitbeurteilt.) Dabei sind die Klagen der Kranken 
weitgehend durch teilweise Drenstbefreiungen (Helmtragen, Reiten, 
Exerzieren) zu berücksichtigen. 

In 9 Fällen bekam ich bei meinen katamnestischen Erhebungen 
Antwort und zwar in günstigem Sinne, auch was Frontfähigkeit 
angeht. 

Bei den 18 Kranken der 3. Gruppe gesellen sich zu dem post¬ 
kommotionellen Schwächezustand im Laufe der Erkrankung rein 
psychogene Störungen im Sinne der Hysterie und 
Neurasthenie mit ihren bekannten Symptomen von Vasolabilität, 
Anfällen, Lähmungen, hypochondrischem Selbstbeobachten und über¬ 
wertigem Krankheitsgefühl. Sehr häufig sind dabei Pulsbeschleuni¬ 
gung, universelles Schwitzen und Obstipation, Störungen, die nicht 
zu dem reinen Bilde der postkommotionellen Hirnschwäche gehören. 
Aber auch bei der Bewertung dieser Krankheitsbrlder ist zu betonen, 
dass ihnen ein organischer Kern, eine traumatische Hirnschwäche zu¬ 
grunde liegt oder mindestens zugrunde gelegen hat, so dass sie als 
traumatische Hirnschwäche mit hysterischen oder 
neurasthenischen Störungen zu bezeichnen sind. Nicht 
hierher gehören alle jene viel zahlreicheren Fälle, in denen nach 
leichten Traumen (auch m i t Bewusstseinsverlust) psychogene Stö¬ 
rungen auftreten, ohne dass eine sichere organische Hirnschwäche 
nachzuweisen ist (traumatische Hysterie und Neurasthenie). 

Von diesen 18 Kranken hatten 3 alte Gehimtraumen, die übrigen 
im Kriege Kommotionen, zumeist leichterer Art, erlitten. 6 von ihnen 
zeigten geringgradige, aber deutliche organische Innervationsstö¬ 
rungen. 

In 90 Proz. waren es Nervös-Prädisponierte. 

Wunsch- und Begehrungsvorstellungen spielten bei der Ent¬ 
wicklung und dem Ausbau der psychogenen Störungen eine nicht zu 
verkennende Rolle. 

Therapeutisch zeitigt hier nur baldmöglichst einsetzende, 
energischste psychische Behandlung gute Erfolge und beseitigt die 
emotionellen Störungen oder beschränkt zum mindesten ihren weiteren 
liebevollen Ausbau; die Behandlung der postkommotionellen Kern- 
symptome verlangt dabei ihre eigene Berücksichtigung. 

Von diesen Kranken wurden 2 als a. v. i. Ber. entlassen, 10 als 
g. v. und 6 als k. v. Von den 6 Frontfähigen habe Ich in 5 Fällen 
katamnestische Antworten erhalten; zwei sind wegen ihrer Beschwer¬ 
den (Anfälle, Herzklopfen. Kopfschmerzen) nur noch g. v., 3 stehen 
seitdem an der Front und haben sich bei grossen Kampfhandlungen 
bewährt. 

Schliesslich sind noch als 4. Gruppe 26 Beobachtungen zu er¬ 
wähnen, bei denen eine sichere Kommotion gleichzeitig Erschei¬ 
nungen auslöste, wie sie dem viel diskutierten Bilde der Zitter- und 
Schreckneurose eigen sind. Die Fälle kamen grösstenteils ziemlich 
frisch durch Feld- und Kriegslazarett in meine Behandlung und 
waren sämtlich ursächlich auf Granatfernwirkungen, Verschüttungen, 
Minenexplosionen zurückzuführen. 

Bei 14 Kranken Hessen sich deutlich organische Störungen 
neurologisch feststelleii (Pup.- und Reflexdifferenzen. Störung des 
inneren Ohres, Halbseitenerscheinungen), die in 10 Fällen bald ver¬ 
schwanden; bei 4 waren sie noch bei der Entlassung nachzuweisen. 
Psychisch boten alle das oben gekennzeichnete Bild der postkom¬ 
motionellen Hirnschwäche mehr weniger deutlich ausge¬ 
sprochen, das sich ebenfalls in den meisten Fällen zurückbildete; 
bei 7 Kranken blieben trotz weitgehender Besserung leichte Stö¬ 
rungen im Sinne der postkommotionellen Hrrnschwäche bestehen. 

Daneben zeigten sämtliche Kranke allgemeine oder auf einzelne 
Körperteile beschränkte Zittererscheinungen, Mutismus, 
Taubstummheit, Symptome, die kurz nach dem Erwachen auf¬ 
traten' und bei einzelnen angeblich- sofort bei dem Wiedererlangen des 
Bewusstseins vorhanden waren. Mutismus und Taubstummheit be¬ 
standen stets sofort. 

Besonders häufig fand ich bei diesen Fällen ein mit starker Hals¬ 
muskelspannung einhergehendes, feinschlägiges Zittern des 
Kopfes, das therapeutisch am schwersten zu beeinflussen war. 

Aber auch bei diesem Zittern konnte ich mich nicht von der 
organischen Natur überzeugen, die ich — im Gegensatz zu v. S a r b 6 
— erst recht für all die übrigen beobachteten Zitter- oder Ausfall¬ 
symptome ablehne. 

Sie entsprechen völlig den nervösen Ausfalls- und Reizsym¬ 
ptomen der rein psychogen entstandenen Schreckneurosen, bei 
denen sich eine organische Unterlage in unserem Sinne ausschliessen 
lässt, und finden sich in gleicher Art bei Soldaten, die keinem Trauma 
oder dergleichen ausgesetzt, aus blasser Furcht schon auf der Fahrt 
ins besetzte Gebiet erkranken. Zudem sind sie rein suggestiv — 
sehr oft auf einen Schlag — restlos zu heilen. 

Bei der Behandlung dieser Kranken ist sowohl auf die 
kommotionelle wie emotionelle Aetiologie verständ¬ 
nisvoll Rücksicht zu nehmen. Wir müssen uns immer wieder vor 
Augen halten, dass der postkommotionelle Schwächezustand eine 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


organische Erkrankung des zentralen Nervensystems darstellt, die 
entsprechend ihren Kernsymptomen zu behandeln ist. Neben Bett¬ 
ruhe und Medikamenten haben wir besonders gutü Erfolge mit der 
Hydrotherapie gesehen, namentlich mit der vv e c h s e 1 w a r m e n 
Behandlung nach E. Weber. Durch Lern- und Unterriehts- 
kurse wurden die Kranken psychisch gut beeinflusst, wie auch bei 
psychologischen Prüfungen ein therapeutischer Faktor darin zu er¬ 
blicken ist, dass der Kranke selbst seine Fortschritte merkt und 
das Vertrauen in seine psychische Leistungsfähigkeit wieder ge¬ 
winnt. 

Die psychogenen Zitter - und Schrecksymptomc 
sind entsprechend den Erfahrungen bei den rein psvehogenen Krank¬ 
heitsfällen zu behandeln. Es kann nicht eindringlich genug betont 
werden, dass es ärztliche Pflicht ist, jeden Zitterer so bald wie 
möglich durch aktives Eingreifen von seinen Symptomen zu 
befreien; es ist eine Verantwortung dem Kranken und Vaterland 
gegenüber, den Zitterer einen Tag länger, als es Zeit und Umstände 
erlauben, in seinen Krankheitserscheinungen verharren zu lassen. 
Ob man sich daher, wie Nonne, vornehmlich der Hypnose oder 
nach Kauffmann des Starkstroms oder nach Anderen anderer 
Methoden bedient, erscheint mir dabei mehr eine Frage des persön¬ 
lichen Geschmackes. Ich selbst suchte mich ganz von dem 
Charakter des Kranken leiten zu lassen, habe mit allen Methoden gute 
Erfolge erzielt, nicht zuletzt auch mit einfacher, oft energischer Wach¬ 
suggestion ohne allen Strom. Bei Kopfzitterern namentlich liehen 
kraftvoll ausgeführte passive Kopfdrehlingen zu schnellen Hei¬ 
lungen geführt und namentlich auch die Halsmuskelanspannimg und 
Steifhaltung des Kopfes beseitigt. Ich halte es praktisch für sehr 
wertvoll, den Eindruck des neuen Arztes sofort suggestiv 
auszunützen. 

Hier muss auch ich, wie jüngst Förster. Stellung nehmen 
gegen die Methode Hirschfelds, die Kranken durch das Ver¬ 
sprechen zu heilen, dass sie nicht mehr an die Front kommen. Die 
Bedenken, die gegen eine solche ärztliche Versicherung 
sprechen, sind zu klar, um ausführlich erörtert zu werden. Ich will 
nur betonen, dass wir hier auch ohne dieses ..Suggestivmittel“ durch¬ 
aus zufriedenstellende Resultate erzielen, dass — wie meine Katam- 
nesen ergeben — immerhin ein ganz ansehnlicher Prozentsatz ge¬ 
heilter Zitterer ihre Pflicht an der Front recht gut weiter erfüllen 
und z. T. sich inzwischen wieder bei grossen Kampfhandlungen be¬ 
währt haben, und dass das Hirschfeld sehe Verfahren mir dazu 
dienen- kann, das Krankheitsgefühl und das ,.defekte Gesundheits¬ 
gewissen“ dieser Psychogenen noch mehr auszubauen und auf die 
schliesslicbe Renten frage hinzulenken. 

Von den Kranken dieser letzten Gruppe wurden alle von ihren 
psychogenen Störungen (Zittern. Mutismus. Taubstummheit) geheilt, 
einer musste wegen dauernder Pulsbeschleunigune und psvrl.ischer 
Symptome einem Heimatlazarett überwiesen werden: 3 werden a. v. 
i. Ber. entlassen, 15 g. v. He. oder Et.. 7 frontverwendungsfähig. 

Bei meinen katamnestischen Erhebungen konnte ich feststellen, 
dass 9 der Geheilten dieser Gruppe wieder k. v. waren und 6 davon 
es noch sind; 1 wurde schwer verwundet, 2 rückfällig ins Zittern. 

Im übrigen verweise ich auf meine späteren Mitteilungen über 
die katamnestischen Erhebungen, die ich an einer grossen Zahl selbst¬ 
behandelter Neurosen anstellte. 

' Schliesslich ist noch zu betonen, dass auch forensisch die 
Postkommotionellen mit Rücksicht auf ihre affektive Uebercrregbar- 
keit und Alkoholintoleranz eine entsprechende Beurteilung erfahren 
müssen. 

Was nun die Pathogenese der postkommotionellen 
Schwächezustände angeht, so ist schon aus dem klinischen Bilde ihre 
organische Natur mit Sicherheit zu folgern, wobei zu erwägen 
ist, dass ein Teil der Kommotionen mit den gleichen initialen Sym¬ 
ptomen durch völliges Versagen lebenswichtiger Zentren zu schnellem 
Tode führt, und dass die Uebergänge zwischen der Commotio und 
Contusio des zentralen Nervensystems durchaus fliessende sind. Ge¬ 
rade bei den durch zu rascher Rückbildung neigenden Herderschei¬ 
nungen charakterisierten „Kontusionen“ verdient die so häufig 
lange Zeit oder dauernd bleibende nervöse Schwäche des psychi¬ 
schen Geschehens auch klinisch die grösste Berücksichtigung und 
muss als Ausdruck der kommotionellen diffusen Dauerschädigung der 
zentralen Nervensubstanz angesehen werden. Das gleiche gilt für 
die Gehirnschüsse, bei denen die so häufig begleitende Com¬ 
motio gerade die allgemeinen nervösen und psychischen Scliwäche- 
erscheinungen bedingt (B rodmann. Poppclreuther. A s c h af¬ 
fe n b u r g, Schultz u. a.), welche dann lange das Krankheits¬ 
bild beherrschen und eine erhebliche Beeinträchtigung der Leistungs¬ 
fähigkeit bedeuten. 

Zur Aufklärung der anatomischen Natur der kommotio¬ 
nellen Schädigung hat die menschliche Pathologie bis zum 
Kriege kaum irgendwie eindeutig verwertbares Material beibringen 
können, und auch aus dem Kriege stehen, soweit ich die Literatur 
überblicken kann, abgesehen von kleineren gelegentlichen Mittei¬ 
lungen (Bon ho eff er, Berger, Herneberg) eingehende Er¬ 
örterungen dieser Frage noch aus. 

Bei der klinischen Bedeutung und Häufigkeit der Kommotionen 
und ihrer nervösen Eolgezustände halte ich es daher für angebracht, 
hier auf die wichtigsten Ergebnisse meiner früheren (1909—12) ex¬ 
perimentellen Untersuchungen über Commotio und die 
posttraumatischen Schädigungen des Zentralnervensystems hinzu- 

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weisen, die ich in Anlehnung an die K o c h - F i 1 e h n e sehen Gehirn- 
und die Schmauss sehen Rückenmarkserschütterungsversuche 
unter Alzheimer in München ausführte. 

Der mikroskopische Befund, den ich sowohl bei Affen 
wie auch bei Kaninchen erheben konnte, überraschte durch die Gleich¬ 
förmigkeit und Regebnässigkeit des anatomischen Ausfalls: neben 
mehr zufälligen grösseren Läsionen, wie Blutungen und nekrotischen 
Erweichungen, sind es vor allem mikroskopische Qu et sc h- 
herde und diffuse Nervenfaserdegenerationen, die 
im allgemeinen wahllos über das Zentralnervensystem verstreut, doch 
an bestimmten Stellen ihren Lieblingssitz haben; einmal am Rande 
des Pons und der Med u 11a — Randdegeneration, 'haupt¬ 
sächlich hervorgerufen durch Bewegung des Gehirns und Rücken¬ 
marks als Ganzes gegen seine Hüllen —, dann in dem zentralen 
Grau und an den Uebergängen zwischen grauer 
und weisser Nervensubstanz als Ausdruck kleiner Ver¬ 
schiebungen im Innern der Nervcumasse und schliesslich am Boden 
der Rautengrube und in der Umgebung der Hirn¬ 
höhlen, vornehmlich bedingt durch die plötzlich einsetzenden Strö- 
mungsschwankungen der Rückenmarksflüssigkeit. Die diffuse Schädi¬ 
gung von Nervenfasern führt häufig zu partiellen Strang- 
degencrationen, die Zerrung der hinteren Rücken¬ 
mark s w u r z e 1 n zu deren teilweiser Entartung. Allenthalben fin¬ 
den sich auch Ganglienzellschädigum r en und auch diese 
mehr im zentralen Grau und in der Medulla oblongata, besonders häu¬ 
fig im V a g i! s k e r n. Zudem fallen noch die durch kleine Blutungen 
bedingten reaktiven Vorgänge in den Meningen auf. welche meniti- 
geale Verklebungen und lokalisierte Verlegungen der 
Lymphräume verursachen. Schliesslich sind noch die kapil¬ 
laren Spätblutungen zu erwähnen, sowohl in das anscheinend 
gesunde als auch in das primär traumatisch affizierte Nervengewebe 
(B o 11 i n ge r sehe Spätapoplexie). Veränderungen an der Gefäss- 
wand konnten nicht nachgewiesen werden, wohl aber fielen die Gc- 
fässe durch ihre weiten Lumina auf (G e f ä s s 1 ä h m u ni g). 

Der für die postkommotionelle Schädigung charakteristische Be¬ 
fund, die mikroskopischen Ouetschherde und die diffus lokalisierte, 
wenn auch gelegentlich nur ganz geringgradig ausgesprochene Ner¬ 
venfaserdegeneration, ist nicht durch Blutungen bedingt, sondern der 
direkte Ausdruck der traumatischen Quetschung und Zerrung. Da¬ 
bei ist zu betonen, dass selbst relativ leichte Schläge auf die Wirbel¬ 
säule der Tiere, wodurch kaum ein funktioneller Ausfall in die Er¬ 
scheinung trat, genügte, um mit Hilfe feinerer Untersuchungsmetho- 
den Nervenfaserdegenerationen von entsprechendem Alter mit Sicher¬ 
heit nachzuweisen. 

Dabei müssen wir die Tatsache berücksichtigen, dass die durch 
die Commotio bedingten Veränderungen eine gewisse Entwicklungs¬ 
zeit brauchen, um bei unseren jetzigen Methoden mikroskopisch in 
die Erscheinung zu treten — die Abbauvorgänge, die den Untergang 
der Nervenfasern begleiten, können wir heute frühestens nach 2 bis 
3 Tagen erkennen —, und dass wir dann nur die durch das Trauma 
gesetzten irreparablen Schädigungen sehen, dabei aber kaum einen 
objektiven Aufschluss erhalten über jene wichtigen Vorgänge im Zen¬ 
tralnervensystem, welche der Erholung der Nervenelemente — ent¬ 
sprechend den sich weitgehend wieder ausgleichenden Funktions¬ 
störungen — anatomisch zugrunde liegen. 

Klinisch ist die Commotio cerebri ein zeitlich begrenzter Zustand, 
eine — wie es Trendelenburg nennt — durch einmalige Gewalt¬ 
einwirkung auf den Schädel hervorgerufene „traumatische Narkose“, 
die selten in den Tod übergeht, zumeist in Erholung mit allen ihren 
Stufen bis zur völligen funktionstüchtigen Gesundheit. 

Was wir histologisch sehen, ist die durch die Com¬ 
motio gesetzte Dauerschädigung, anatomisch der nega¬ 
tive Ausdruck der klinischen Erholung, aus dem wir aber ganz be¬ 
stimmte Schlüsse ziehen können und müssen auf die organische Grund¬ 
lage des Kommotionsvorganges selbst: 

Ich fasse daher die Commotio auf als eine direkt traumatisch 
ausgelöste, organisch bedingte, ihrer Natur nach passagere Schädi¬ 
gung der nervösen Elemente der Grosshirnrinde, vornehmlich der 
Nervenfasern, eine Störung, die anatomisch wie funktionell in Er¬ 
holung überzugehen pflegt. Wie weit eine indirekte Störung der 
Grosshirnrindentätigkeit durch eine traumatische Schädigung der im 
Kopf- und Halsmark gelegenen Zentren (Vasomotorenzentren) bedingt 
wird, ist vom rein anatomischen Standpunkt aus nicht mehr zu ent¬ 
scheiden. Freilich wird gerade bei der Beurteilung der massgebenden 
Ursachen, weshalb die Kommotionssysmptome einmal in Erholung 
übergehen, im anderen Falle einen letalen Ausgang nehmen, die gra¬ 
duell verschiedene traumatische Schädigung der lebenswichtigen, im 
verlängerten Mark gelegenen Zentren die grösste Beachtung ver¬ 
dienen *). 

Jedenfalls müssen wir in diesen experimentell erhobenen Be¬ 
funden einen entsprechenden, wohl charakterisierten anatomischen 
Ausdruck der klinischen postkommotionellen Schwächezustände er¬ 
blicken. Ich hatte inzwischen auch Gelegenheit, an mensch¬ 
lichem Material dre gleichen anatomischen Veränderungen festzu¬ 
stellen. 

*) Die jüngst veröffentlichten Breslauer sehen; Versuche 
scheinen mir zu grob angelegt, um den kommotionellen Bedingungen 
gerecht werden zu können. (Nachtrag bei der Korrektur.) 

Original fram 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Zusammenfassung. 

1. Die postkommotionellen nervösen Schwächezustände sind von 
funktionell-nervösen Zuständen abzusondern. 

2. Sie heilen z. T. aus, z. T. bleiben ganz charakteristische Stö¬ 
rungen zurück (postkommotionelle Himschwäche); bei anderen ge¬ 
sellen sich später hysterische oder neurasthenische Erscheinungen 
hinzu; bei wieder anderen löst die Commotio gleichzeitig schwere 
funktionelle Zustände aus. 

3. Die postkommotionellen Schwächezustände sind als organisch 
Geschädigte zu behandeln, wobei namentlich die wechselwarme Be¬ 
handlung nach E. Weber sehr gute Dienste leistet. Bei den Misch¬ 
formen ist das emotionelle wie kommotionelle Moment therapeutisch 
zu berücksichtigen. 

4. Die postkommotionelle Hirnschwäche hat ihr organisches Sub¬ 
strat in einer diffusen Schädigung des Zentralnervensystems, die vor¬ 
nehmlich in dem durch die Commotio bedingten Untergang von Ner¬ 
venfasern und den mikroskopischen Quetschherden resp. deren Nar¬ 
ben ihren anatomischen Ausdruck findet. Sehr beachtenswert ist die 
postkommotionelle Gefässlähmung. 

Benutzte Literatur: 

Aschaffenburg: Arch. f. Psych. 1915 H. 1. — Berger: 
Trauma und Psychose, Springer 1915; Zschr. f. d. ges. NeuroL u. 
Psych. 1917. — Bonhoeffer: Neurol. Zbl. 1916 H. 11; Mschr. f. 
Psych. u. Neurol. 1917 H. 1. — B r odma nn: Neurol Zbl. 1916 H. 15. 

— Ceni: Neurol. Zbl. 1914 u. 15. — Gau pp: Kriegschir. Hefte u. 
Beitr. z. klin. Chir. 96. H. 3; D. Zschr. f. Nervenhlk., Münch. Bericht, 
1917. — Förster: M.m.W. 1917 Nr. 38. — Henneberg: Neurol. 
Zbl. 1917 H. 6. — Hirschfeld: JVLm.W. 1917 Nr. 25. — Horn: 
Zschr. i. d. ges. Neurol. u. Psych. 1916 H. 3 u. 4. — A. Jakob: 
Histolog. und histopatholog. Arbeiten über die Grosshimrinde 1912 
H. 1 u. 2; Jahreskurse für ärztliche Fortbildung 1918. — Nonne: 
D. Zschr. f. Nervenhlk., Münch. Bericht, 1917. — Pachantoni: 
Ref. Neurol. Zbl. 1916. — Poppelreuter: Neurol. Zbl. 1915. 

— Redlich und K a r p 1 u s: Mschr. f. Psych. u. Neurol. 1916 H. 5. 

— v. Sarbö: Neurol. Zbl. 1917 H. 9. —■ J. H. Schultz: Z. f. 
Kriegsbesch. Ostpreussen 1917 H. 9. Mschr. f. Psych. u. Neurol 
1917. — Schultz und Meyer; M. Kl 1916 H. 9. — Schröder: 
Neue D. Chir. 18. III. Teil. — Weber: MJC1. 1915 H. 17. — Wol¬ 
lenberg: Arch. f. Psych. 56. H. 1. 


Aus der chirurgischen Abteilung der städtischen Kranken¬ 
anstalten in Elberfeld. (Chefarzt: Prof. N ehr körn.) 

Zur Behandlung des Mastdarmvorfalles der Kinder. 

Von Dr. K. W. Eunike, Sekundärarzt. 


Wenn man die grosse Zahl der Veröffentlichungen über die 
Therapie des Mastdarmvorfalls übersieht, so findet man nicht nur, 
dass die Menge der angegebenen Behandlungmethoden eine überaus 
grosse ist, was ein Beweis der Unzulänglichkeit der Behandlungsart 
überhaupt ist, sondern man findet auch vorwiegend kompliziertere 
Operationen beschrieben. Von vornherein ist darauf Wert zu legen, 
dass der Vorfall der Kinder mit dem der Erwachsenen nicht gleich¬ 
zustellen ist. Bei den ersteren ist er ein häufigeres und nicht allzu 
schweres Leiden, bei letzteren liegen die Verhältnisse ungefähr um¬ 
gekehrt, wenn sich natürlich auch bei der ersten Gattung schwere 
und bei der letzten leichte Fälle finden. Wie schon erwähnt, scheint man 
sich im allgemeinen von den mehr einfachen Behandlungsmethoden 
des kindlichen Prolapses nicht allzuviel Erfolg versprochen zu haben, 
und so liest man fast stets relativ eingreifende Verfahren angegeben, 
die in ihrer Gesamtheit alle darauf hinausgehen, eine neue Stütze für 
den sinkenden Darm zu schaffen. Die theoretischen Grundlagen dieser 
Verfahren sind einwandfrei und zum Teil durchaus physiologisch 
durchdacht und doch sehen wir, dass auch diese Methoden im Dauer¬ 
erfolg nicht voll befriedigen. Gerade hier zeigt sich dies an den 
immer und immer wieder gegebenen Neuveröffentlichungen, variierter 
oder völlig neu erdachter OperationsverfahTen. 

Es ist nun die von Rost (M.m.W. 1918 Nr. 5) letzthin aufgestellte 
Forderung, den Prolaps der Kinder von dem der Erwachsenen bezügl 
der Behandlungsmethode zu trennen, nur allzu berechtigt Wir sehen 
stets, dass wir bei den Kindern mit weit leichteren Massnahmen zum 
Ziel gelangen, wie bei dem Vorfall Erwachsener. Rost hat weiter¬ 
hin über seine Dauererfolge unter Behandlung mit Heftpflasterver¬ 
bänden und dem T h i e r s c h sehen Ring berichtet und er fand, dass 
diese Behandlungsmethoden sich recht gut bewährten. Ich möchte 
hieran anschliessend noch auf eine weitere, ebenfalls einfache Methode 
aufmerksam zu machen, die uns in der grossen Mehrzahl der leich¬ 
teren und mittelschweren Fälle kaum im Stich Hess, und selbst bet 
schweren Fällen oft Heilungen gab. Auch wir hatten mit dem von 
Rost angegebenen Verfahren, gute Erfolge erzielt, verwenden aber 
noch weit mehr die zu schildernde Methode. Es handelt sich hierbei 
am eine Verengung des prolabierten Darmrohres durch Narbenbikhing 
und erreichen wir dies durch Thermokauterisierung der Schleimhaut 
bis zur Muskularis hin. Es ist dies, wie gesagt, eine schon alte 
Methode, die sicherlich auch vielfach* in Verwendung stehen wird; 


Nr. 34 

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jedoch sind Angaben über Anwendung und Erfolge derselben nur 
recht spärüch, so dass, gerade weil wir recht gute Eriolge damit 
hatten, ein Hinweis, besonders im Hinblick auf Rosts Veröffent¬ 
lichung zweckmässig erscheint. Es ist der Erfolg der Operation, wie 
erwähnt, auf Verengung des zu weiten Darinrohr es zurückzuführen, 
dann dürfte aber auch die in ihrer Substanz gegenüber dem Darm 
starrere Narbe dies direkt stützen. Somit würden weiterhin diese 
Narben geradezu noch als Stützen aufzufassen sein, ungefähr so wie 
es die bekannte Behandlung mit Paraffinstäben erstrebt. 

In den bekannten Lehrbüchern» der Kinderheilkunde finden sich 
wohl alle einfachen Verfahren und eine grössere Anzahl der kom¬ 
plizierten angegeben, aber ein* Hinweis auf die Kauterisation fehlt. 
Auch im Handbuch der Kinderheilkunde von Pfaundler und 
Scblossmanm konnte ich nichts darüber erwähnt finden. Und 
doch leistet gerade diese Methode recht Gutes. R o 11 e r gibt sie 
im Handbuch der praktischen Chirurgie folgende]massen an: 

„An erster Stelle ist die Kauterisation der prolabierten Schleim¬ 
haut des Anus und eventuell auch des unteren Rektum zu nennen. 
Sie wird am besten in der Weise wie beim Abbrennen der Hämor¬ 
rhoiden ausgeführt. Nur muss beim Prolaps mit der Langen- 
b e c k sehen Flügelzange — der Grösse des Vorfalls entsprechend — 
meist eine viel längere Falte der Schleimhaut gefasst und kauterisiert 
werden. Erscheint nach dem Abbrennen die Blutung nicht voll¬ 
kommen gestillt, dann nähe ich die Kauterisationslinie fortlaufend 
mit einem Katgutfaden in der Weise, dass die Nadel durch die beiden 
Scbleimhautränder der abgebrannten Mukosafalte gestochen wird. 
Es wird damit also eine Art von Umstechung der Gefässe erzielt. 
Wenn die Nähte relativ eng — etwa 1 cm Entfernung — gelegt 
werden, dann* steht die Blutung sicher vollkommen, ln* dieser Weise 
werden 2—4 Schleimhautfalten abgebrannt mit der gleichen Vorsicht, 
wie bei den Hämorrhoiden, dass zwischen den Kauterisationslinien 
noch ein fingerbreiter Streifen Schleimhaut stehen bleibt. Dann ist 
man sicher, dass hinterher keine Stenose entsteht. Dieses Verfahren 
ist ungefährlich und erzielt bei der Behandlung des Prolapsus ani 
vorzügliche Erfolge, wenn der Sphinkter nicht allzusehr gedehnt und 
erschlafft ist. In letzterem Falle muss eine Verengerung des Anus 
herbeigeführt werden.“ 

Von uns wird die Kauterisation in etwas veränderter Technik 
ausgeführt. Es wird an drei Punkten die Schleimhaut an der höchsten 
Stelle des prolabierten Darmteiles mit P6anklem-men vorsichtig ge¬ 
fasst und nun werden* drei Streifen von gleichschenkliger Dreiecks¬ 
form kauterisiert, wobei die Basis des Dreiecks am Anus gelegen ist 
und die Pöanklemme den Schnittpunkt der gleichen Schenkel dar¬ 
stellt. Diese Dreiecke werden so gelegt, dass ihr Abstand unter¬ 
einander gleich ist Es muss auf alle Fälle Rücksicht darauf ge¬ 
nommen werden, dass die Kauterisation auch tief genug reicht, d. h., 
dass wirklich die ganze Schleimhautschicht fortgeglüht wird, damit 
eine zur Erreichung einer Verengerung genügende Narbe geschaffen 
wird Irgend eine Komplikation kann bei der Operation kaum ein- 
treten; eine Blutung, wie bei Rotters Verfahren entsteht wohl nie. 
Der Eingriff ist ganz kurz dauernd und lässt sich in kurzer Narkose 
am vorbereiteten Darm rasch ausführen. Wir sehen wohl, dass der 
Vorfall noch einigemale nach der Operation sich wieder einstellen 
kann, um dann aber völlig zu schwinden, was sich daraus erklärt, 
dass die Verengung des Darmrohres durch Narbenschrumpfung erst 
langsam entsteht. Die Femresultate der Kauterisation sind sicherlich 
gute und kann diese Methode nur sehr empfohlen werden, zumal sie 
einfach im Verfahren und einfach in der Nachbehandlung ist. Wir 
wendeten fast stets zuerst die Kauterisation an, wenn* bei Regelung 
der Darmtätigkeit, wie dies oft der Fall ist, der Vorfall nicht ver¬ 
schwand, und griffen in den relativ wenigen- damit nicht geheilten 
Fällen zum Thier sc h sehen Ring, oder wenn* auch er versagte zu 
einer komplizierten plastischen Methode oder zur Resektion. Wir 
versuchten auch die von Eckehorn angegebene Operation, da auch 
sie eine einfache Methode darstellt Aber auch) sie gab nicht die 
erwarteten Resultate und konnten Fälle, die primär nach Eckehorn 
behandelt waren und die schliesslich, nach anscheinendem Erfolg doch 
ein Rezidiv bekamen, mit der Kauterisation völlig geheilt werden. 
Mir scheint, dass von allen Verfahren, die einen operativen Eingriff 
darstellen — also abgesehen von DarmreguHerung und Heftpflaster- 
veibänden — dieses das einfachste darstellt und dass dabei das Fern¬ 
resultat ein sehr gutes ist und muss dieser Methode neben den von 
Rost empfohlenen einfachen Massnahmen noch Erwähnung getan 
werden. _ 

Ein schwerer Tetanusfall durch kombinierte intrakranielle 
subdurale, intraspinale u. subkutane Serumeinspritzungen 
geheilt EigenartigeKnochenautoplastikdesSchädelloches. 

Von Oberstabsarzt Dr. P. Stoianof f, Chef des Bulgarischen 
*/d-Etappenlazarettes zur 3. Armee in der Dobrudscha. 

Zufälligerweise kam einige Tage nachdem ich den Artikel 
Dr. Betz’ in Ihrer werten Wochenschrift 1 ) über die Behandlung 
von 3 Tetanusfällen gelesen hatte, am 24. XII. 1917 ein 7 jähriger 
Knabe aus dem Dorfe Tuzla zur Behandlung in unser Lazarett mit 
schwerem Tetanus nach einer infizierten Wunde der Planta pedis 


l ) In Nr. 40 vom 2. X. 1917 der MjäW. 

4 

Original frn-m 

UNIVERSITV OF CALIFORNIA 



MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


m 


dextri. Er hatte sich vor beinahe einem Monat, barfuss gehend, einen 
Dorn in den Fuss getreten. Vor 10 Tagen begann die Wunde zu eitern 
und seit 2 Tagen setzten die Krämpfe ein. Die Mutter soll ihm den 
Dorn herausgenommen haben. Status: Am Talus eine kleine 
(Va cm), reaktionslos geheilte Wunde. Typische Krampfanfälle und 
Kontrakturen des ganzen Körpers, am Gesichte weniger. Die Krämpfe 
besonders stark am Rumpfe und unteren Extremitäten. Opisthotonus. 
Schlucken frei. Herpes nasalis. 

Behandlung: Da ich in den zwei Balkankriegen öfters 
Tetanusfälle zu behandeln hatte und, obwohl ich allerlei Methoden 
anwandte (B a c c e 11 i sehe Karbolinjektionen, intraspinale Magnesium¬ 
sulfat und Tetanusseruminjektionen, Narkotika usw.), schlechte 
Resultate hatte, entschloss ich mich sofort die von Dr. Betz 
empfohlene kombinierte Methode anzuwenden. Am gleichen Tage 
trepanierte ich unter Chloroformnarkose das rechte Os parietale mit 
dem mittleren D o y e n sehen-Bohrer und spritzte intrakraniell sub- 
dural 10 ccm antitetanischen Serums 20 AB. ein (da ich keine 
100 Heileinheiten hatte), mtraspinal spritzte ich in der Regio lumbalis 
10 ccm und subkutan ebensoviel desselben Serums, 20 A.B.-Einheiten. 
Die Temperatur war 39,2°; in derselben Nacht zwei Krampf¬ 
anfälle. Bis 4. XII. schwankte die Temperatur zwischen 37,1° und 
38,2°. Täglich subkutan antitetanisches Serum. Am 1. XII. 
Krampfanfall, am 2. XII. die Wunde per primam geheilt. Am 9. XII. 
fängt das Kind an hcrumzugehen, der rechte Fuss ist ein wenig steif. 
Am 18. XII. geheilt entlassen. 

Es war ein schwerer Fall, noch dazu bei einem Kinde; ich bin 
überzeugt, dass ihn die Behandlungsmethode gerettet hat. 

Während der Operation wandte ich eine, wie ich glaube, eigen¬ 
artige Autoplastik des Schädelloches an. Ich plombierte nämlich das 
Knochenloch des Trepanationsbohrers mit dem Knochenbrei, den ich 
aus den Bohrerzähnen gewann. Die Wunde heilte per primam; bei 
der Entlassung fühlte man unter der Haut eine zystenartige 
fluktuierende Geschwulst, vom Knochenbrei und Blute herrührend. 
Dann resorbierte sich alles rasch. Ich sah das Kind vor einigen 
Tagen, S Monate nach der Operation. Alles war ganz glatt geheilt, 
man fühlte, dass das Knochenloch ganz glatt verknöchert war. Der 
Knabe lief herum ohne irgendw elche Stöning. 

Ohne übertriebene Schlüsse machen zu wollen, glaube ich doch, 
dass die von Betz und anderen empfohlene kombinierte Methode 
einen grossen therapeutischen Wert hat, und ich werde sie immer 
an wenden. 

Das Fazialisphänomen bei einigen Infektionskrankheiten. 

Von Dr. M. Qioseffi. 

In Nr. 25 dieser WocHenschrift stellt Herr Privatdozent 
Dr. Th. ü ö 11 das Fazialisphänomen neben der Steigerung des Knie¬ 
reflexes als ein Frühzeichen der postdiphtherischen Lähmung dar. 
Es scheint mir nicht uninteressant, wenn ich bei dieser Gelegenheit 
einige Befunde kurz mitteile, die ich während meiner Dienstzeit im 
Triester Infekfionsspital (Primararzt und Direktor Dr. A. Mar- 
covich) bezüglich des Auftretens des C h v o s t e k sehen Phä¬ 
nomens bei einigen akuten Infektionskrankheiten erheben konnte 1 ). 
Die Untersuchungen fanden zu einer Jahreszeit statt (Sommer), wo 
Tetaniefälle in unserer Gegend nicht vorzukommen pflegen 
iS a i z 2 )]. Neben dem Chvoste k sehen waren in einzelnen 
Fällen auch Escherichs Mund- und Thiemichs Lippen- 
phänomen vorhanden. 

Das C h v o s t e k sehe Zeichen war in 38 Proz. der Diphtherie-, 
41 Proz. der Scharlach-, 38 Proz. der Masern-, 20 Proz. der Keuch¬ 
husten-, in 61 Proz. der Typhusfälle deutlich positiv (Chvostek 
Nr. 1—3). Die Zahl mit positivem Chvostek erhöhte sich bei den 
auf Milchdiät gestellten Kranken auf 43 Proz. für Diphtherie, 60 Proz. 
für Scharlach, 50 Proz. für Masern, 80 Proz. für Keuchhusten, blieb 
für Typhus auf derselben Höhe. 

Das Phänomen war selten bei der Aufnahme ins Krankenhaus 
festzustellen; es trat gewöhnlich während des Fortschreitens der 
Infektion auf. Beim Uebergange von der Milchdiät auf eine ge¬ 
mischte Diät mit Mehlabkochungen, Fleisch, Butter, Schinken. Eier 
und Reduktion der Milch auf 2 X 200—300 ccm wurde das Phänomen 
immer undeutlicher, um dann gänzlich zu verschwinden, ausgenommen 
vereinzelte Fälle, in denen es auch noch bis in die Rekonvaleszenz 
hinein verfolgt werden konnte. 

Keiner der Fälle wies andere Zeichen einer spasmophilen Dia- 
these auf: kein Laryngospasmus. keine Krämpfe, keine Karpo-pedal- 
spasmen, kein Trousseau sches Phänomen. Zu anderen Jahres¬ 
zeiten wurden vereinzelte Tetaniefälle in der Rekonvaleszenz der 
Masern, seltener der Diphtherie oder des Scharlachs beobachtet. 

Dass das Chvostek sehe Phänomen nicht als Zeichen einer 
latenten Tetanie aufzufassen war, dafür sprach der hohe Prozentsatz, 
in der es vorgefunden wurde, die Abwesenheit anderer Tetanie¬ 
symptome, die Jahreszeit in der wir Tetaniefälle nicht zu begegnen 
pflegen. 

Durch v. Frankl-Hoch wart 3 ). Schlesinger*), 


*) Vgl. Riv. clin. ped. VI. Nr. 9. 

-) W.kl.W. 1908. 

3 ) D. Arch. f. klin. Med. 43. *) Zschr. f. klin. Med. 19. 

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H o f f m a n n, Mayer r '), Schüller“) usw r . wissen wir, dass das 
Chvostek sehe Phänomen bei Gesunden, bei Tuberkulösen, 
Neurasthenikern, Chlorotikern, bei Magendarmkranken, bei der 
Enteroptose (M a y e r), Sklerodermie (Schüller) etc., kurz bej 
Krankheitszuständen, die sonst keine Zeichen einer Tetanie aufzu¬ 
weisen haben, vorgefunden werden kann. 

Verlockend war in unseren Fällen die Annahme einer Milch¬ 
intoxikation mit den darauffolgenden Veränderungen im Kalkstoff¬ 
wechsel, wie sie von Finlkelstein, Stöltzner'*), Rehn, 
J a p h a u. a. angeführt werden. Freilich müsste man dann in 
solchen Fällen dem Chvostek sehen Phänomen für die Diagnose 
einer latenten Tetanie grossen Wert beilegen 8 ). Ouests*), 
Cybulskis, Netters, Weigerts, Flaminis 10 ) Unter¬ 
suchungen kamen jedoch nicht zugunsten jener Aufnahme. 

Wir haben uns daher die grosse Häufigkeit des Chvostek- 
schen Phänomens bei Infektionskranken überhaupt durch eine er¬ 
höhte Reflexerregbarkeit zu erklären gesucht, wfelche wir physio¬ 
logisch bei Säuglingen (Moro) von wenigen Wochen mit grösserer 
Intensität während der Abwickelung eines infektiösen Prozesses auf- 
treten sehen. 


Ueber Proteinkörpertherapie. 

(Bemerkung zu obiger Arbeit von Herrn W. Weichardt 
in Nr. 22 der M.m.W.) 

Von Dr. A. Wolf f-Eisner, Berlin. 

In dieser Arbeit schreibt der Verfasser: 

,Denm es sind zwei Zustände, welche wir bei der Einverleibung, 
besonders wiederholter Einverleibung, grösserer Dosen von körper¬ 
fremden Eiweissen nicht ausser acht lassen dürfen: Der erste ist 
die von Schittenhelm und mir beschriebene „Proteinogene 
Ka c h e x i e“. Wir sahen, dass Tiere, denen körperfremdes Eiweiss 
parenteral einverleibt war, ohne anderen ersichtlichen Grund in der 
nächsten Zeit abmagerterw Sie gingen schliesslich zugrunde und bei 
der Sektion zeigten sich alle Symptome hochgradigster Inanition.“ 
(Anmerkung: D o 1 d beschrieb unabhängig von uns ähnliche Zustände.) 
„Der zweite Zustand ist der der Ueberempfindlichkeit, welcher er- 
fahrungsgemäss nach wiederholter Einspritzung derselben Eiweissart 
einzutreten pflegt.“ 

Jeder, der dies liest, muss zu der Auffassung gelangen, dass 
Weichardt und- Schittenhelm die proteinogene Kachexie ge¬ 
funden haben. Ich möchte nun Wert darauf legen, dass ich in einer 
Arbeit: Die Grundgesetze der Immunität, Zschr. f. 
Bakt. 37. 1904. H. 3 u. ff. ausgeführt habe, dass die Ein¬ 
verleibung jeder körperfremden Eiweisssubstanz 
zur Ueberempfindlichkeit führt und dass zwischen Serum, 
Zelleiweiss und Bakterieneiweiss keine prinzipiellen Unterschiede 
bestehen, sondern dass die Giftigkeit des Bakterieneiweiss nur ein 
Sonderfall von der Giftigkeit einer jeden körperfremden Eiweiss¬ 
substanz ist. Diese Arbeit, welche die Grundlagen der Lehre von 
der Ueberempfindlichkeit enthält, scheint den meisten 
Autoren unbekannt zu sein, welche es meist vorziehen, den Fran¬ 
zosen R i c h e t zu zitieren. Dieser hat jedoch — es sei nach langem 
Stillschweigen gestattet, dies einmal festzustellen — nicht die Ueber- 
empfindlichkeislehre aufgebaut, sondern nur mitgeteilt, dass die Quallen¬ 
gifte eine Ausnahme von der antitoxischen Immunität machen, insofern 
als die damit behandelten- Tiere immer empfindlicher werden. Dies 
war als Ausnahmefall, als seltene Abnormität und Kasuistik mitgeteilt 
und die Ueberempfindlichkeitslehre. welche so grosse Bedeu¬ 
tung für die klinische Forschung gewonnen hat, konnte erst aufgestellt 
werden, nachdem in der genannten Arbeit experimentell festgelegt war, 
dass die parenterale — subkutane und peritoneale — Zufuhr körper¬ 
fremder Eiweisssubstanz — Serum, Zellen, Bakterienleiber — regel¬ 
mässig nicht zu antitoxischer Immunität, sondern zu Ueberempfindlich¬ 
keit führt. 

Das w^r damals — 1904 — so neu, dass man allgemein über die 
Arbeit aburteilte. Ich könnte heute die absprechenden Urteile noch 
reproduzieren-. Darf man jetzt nach 14 Jahren, wo sich die Versuche 
und zum grössten Teil die darauf gegründete Theorie bestätigt hat, 
auf eine gerechte Beurteilung hoffen? Muss ich nach 14 Jahren auch 
in einem Punkte, der so vollkommen klar ist, um Geltung kämpfen, 
auch heute, im Kriege, gegen einen französischen Autor, dem ohne 
sein Zutun von deutschen Forschern alles Verdienst in dieser Frage 
zugeteilt wurde? 

Bei den Versuchen mit Injektion von körperfremden Eiweiss¬ 
substanzen sah ich natürlich auch den Kachexietod, das was 
Weichardt proteinogene Kachexie nennt. -Er war nicht so erstaun¬ 
lich wie der akute Ueberempfirodlichkeitstod, ist daher in- der Arbeit 
nicht so ausführlich- behandelt worden. Trotzdem ist er deutlich 
genug beschrieben worden, so auf S. 688 die Hautgangrän bei wieder- 


5 ) W.kl.W. 06/51. 

®) Gesellschaft der Aerzte in Wien, 22. V. 06. 

7 ) Jahrb. f. Kinderheilk. 1906. 

8 ) W.kl.W. 1907 Nr. 17. 

•) Jahrb. f. Kinderheilk. 61. H. 1905. — W.kl.W. 1906 Nr. 27. 
10 ) Riv. clin. ped. 1907 H. 7. 

Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



20. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 



holter subkutaner Injektion geringer Serummengen, während eine 
einmalige grosse anstandslos vertragen wird. Ebenda wird ausge¬ 
führt: „Ist die Vorbehandlung noch nicht so weit vorgeschritten, so 
treten (bei der Reinjektion) bedrohliche Erscheinungen auf, die in 
ca. y% Stunde vorübergehen, danach tritt jedoch eine Kachexie 
ein, an der das Tier schliesslich zugrunde geht“. 

Analoges hat Hamburger und Dehne (W.klAV. 1904 
Nr. 29) mitgeteilt. Die proteinogene Kachexie war also sicher vor 
Schittenhelms und Weichardts Publikation bekannt. — 
Das wesentlich Neue, das ich 1904 mitteilen konnte, war jedoch die 
Feststellung der gesetzmässigen Tatsache, dass die Einver¬ 
leibung körperfremder Eiweisssubstanz zur Emp¬ 
find 1 i c h in a c h u n g (Sensibilisierung) für die Wieder¬ 
holung der gleichen Injektion (Reinjektion) führt, und dies 
ist das Wesen der Ueberempfindlichkeit. 


Aus der dermatologischen Universitätsklinik in Würzburg. 
(Vorstand: Prof. Dr. Karl Zieler). 

Zur Frage der Zuverlässigkeit der Wassermannschen 
Reaktion. 

Von Karl Zieler. 

(Schluss.) 

M. H.! Wenn wir also zusammentassen, können wir folgendes 
•sagen: 

Die Originalvorschrift von Wassermann arbeitet zuver¬ 
lässig unter der Voraussetzung, dass (C. Lange) 

1. nur Seren verwendet werden, die nicht älter als 24 Stunden 

sind, 

2. der Komplementgehalt des frischen Meerschweinchenserums 
stets der gleiche ist, 

3. der Komplementverbrauch durch verschiedene geprüfte Ex¬ 
trakte stets etwa der gleiche ist und dass ein Unterschied im Ver¬ 
brauch an Komplement bei verschiedenen Komplementen und beim 
gleichen Extrakt nicht vorkommt. 

Das sind aber Bedingungen, die nach annähernd allgemeiner 
Uebereinstimmung nur selten erfüllt sind. Daher stammt auch ein 
grosser Teil der wechselnden Ergebnisse beim Arbeiten nach der 
Öriginalvorschrift. 

Der Komplementgehalt des frischen Meerschweinchenserums ist 
nicht stets der gleiche. Für den hämolytischen Vorversuch wird 
dieser „Fehler“ zwar ausgescbaltet, da Komplement und Ambo¬ 
zeptor sich gegenseitig (in gewissen Grenzen) ersetzen können. Das 
gilt aber streng nur für die Hämolyse, nicht für die Bindung des 
Komplements durch Extrakt bzw. Extrakt-Serumgemisch. Allerdings 
kann man auch dann, wie Wassermann, mit einer stets gleich¬ 
bleibenden Komplementmenge arbeiten, indem man eben entsprechend 
dem Komplementverbrauch durch das Extrakt nun eine für die iibrig- 
bleibende kleinere Komplementmenge passende grössere Ambozeptor¬ 
menge wählt. Das bleibt trotzdem gewissermassen eine Komple¬ 
mentauswertung. wenn hierbei auch aus Gründen der Vereinfachung 
eine Aenderung der Menge des an sich als gleichmässig wirkend anzu¬ 
sehenden) Ambozeptors gewählt wird (z. B. von M. S t e rn). K a u p, 
Sonntag u. a. wählen die gleichbleibende, im Vorversuch fest¬ 
gestellte Ambozeptormenge und ermitteln nun mit Extrakt und Serum 
die notwendige Komplementmenge. 

na?« verschiedene, im hämolytischen Vorversuch sich gleich 
wirksam verhaltende Komplemente durch verschiedene Extrakte 
wechselnd stafk verbraucht werden, geht ja aus der in Anmerkung n ) 
angeführten* nach M. Stern zusammengestellten Tabelle hervor. 
Wir sehen so, dass einzelne Komplemente von den Extrakten allein 
überhaupt nichts, andere von allen Extrakten in ziemlicher Stärke 
oder von einem Extrakt gar nicht, von. anderen in verschiedener 
Stärke gebunden werden. 

Diese Verhältnisse müssen selbstverständlich im Versuch berück¬ 
sichtigt werden, sollen die Ergebnisse nicht sehr wechselnde sein 
(z. B. beim selben Serum an verschiedenen Untersuchungstagen) und 
auch „falsche“ Ergebnisse mit unterlaufen. 

Nun ist es aber zweifellos ein Unterschied, ob wir das Kom¬ 
plement nur allein und mit Extrakt auswerten oder auch mit Extrakt 
und Serum. Wird das Komplement nur mit Extrakt ausgewertet 
fM. Stern), so kommt leicht ein Ueberschuss an hämolytischer 
Wirkung heraus. Detm viele Extrakte verbrauchen allein mehr Kom¬ 
plement als mit Serum zusammen. Darauf hat neuerdings wieder 
Kaup hingewiesen w ). Jedenfalls ist die Wirkung der Extrakte auf 

*•) Dafür spricht auch folgendes: Aus Protokoll II (Zur Frage der 
paradoxen Reaktion Seite 144/7) von M. Stern geht hervor, dass 
die Extrakte, welche im Vorversuch den stärksten Verbrauch an 
Komplement zeigen, nicht die stärkste Hemmung im Versuch bewirken. 
Trotz genauer Auswertung des Komplementes mit den im Versuch 
verwendeten Extrakten ist also die bei der Mischung mit Extrakt und 
Serum übrigbleibende Komplementmenge eine verschiedene (s. a. 
R. Müller). Selbst bei gleicher Bindung verschie¬ 
dener Komplemente mit demselben Extrakt kann 
dasselbe Serum mit dem einen Komplement positiv, 
mit dem anderen negativ reagieren: die Extrakt- 


die Hammelblutkörperchen allein eine andere als in Verbindung mit 
Serum, während das Komplement keinen wesentlichen! Einfluss aus¬ 
zuüben scheint. Streng genommen müsste ja nun diese Prüfung mit 
jedem Serum im Versuch vorgenommen werden, es scheint aber zu 
genügen, wenn die Prüfung mit einem Normateerum ausgeführt wird, 
trotzdem sich zweifellos nicht alle Normalseren gleich- verhalten Ls. a. 
M. Ster n* 7 )]. 

Wir sehen also, dass Wassermanns Original¬ 
methode der serodiagnostischen Syphilisunter¬ 
suchung nur unter ganz bestimmten, zum-mindesten 
nicht regelmässig vorhandenen Bedingungen zu¬ 
verlässige und übereinstimmende Ergebnisse lie¬ 
fert. So können gelegentlich selbst „falsche“ Er¬ 
gebnisse heraus komme n. Das liegt daran, dass die 
Methode die zweifellos vorhandenen Verschieden¬ 
heiten des Kompleinentgehaltes, derfiin-dungsfähig- 
keitder Extrakte us w. riVicht berücksichtigt. Ausser von 
Lange wird das wohl von- allen Seiten anerkannt. Ebenso, dass 
eine Auswertung des Komplements nicht nur mit dem' Ambozeptor, 
sondern auch mit den verschiedenen Extrakten (und Serum) nötig ist. 

Dadurch aber, dass z. B. nach der beim Heere gültigen Vor¬ 
schrift, der Originalmetliode entsprechend, der wechselnde Komple¬ 
mentgehalt des Meerschweinchenserums nicht berücksichtigt wird, 
kommen wechselnde und irreführende Ergebnisse vor. Ich erinnere 
hier nur an die schon erwähnten Mitteilungen von Kaup, Bruck, 
R o s e n t h a 1 usw. Dass hier Einflüsse des Krieges (Verwendung zu 
alter Meerschweinchen, deren Ernährung usw., Schädlichkeiten der 
Verschickung, zu langes Aufbewahren des Serums bis zur Unter¬ 
suchung) mitspielen, halte ich für möglich. Jedenfalls ist es auch 
nach meinen Erfahrungen- zweifellos«, dass bei strengster 
Einhaltungder Originalvorschrift „falsche“ Ergeb¬ 
nissezustande kommen können-beischwachem Kom¬ 
plementgehalt des Meerschweinchenserums. 

Alles das zeigt aber, dass die Originalvorschrift verbesserungs¬ 
bedürftig ist. Denn die Untersuchung muss nicht mir unter guten 
äusseren Bedingungen (wie sie L a n g e verlangt) Zuverlässiges leisten, 
sondern stets, falls es sich nicht um hochgradig veränderte Seren 
handelt. Diese können selbstverständlich keine zuverlässigen Ergeb¬ 
nisse liefern, ln der Erkenntnis dieser Einzelheiten haben uns die 
letzten Jahre zweifellos weiter gebracht. Ich verweise hier nur 
auf die Arbeiten von Kolle bzw. seinen Schülern, H. Sachs. 
Boas, Thomsen, Sormani. M. Stern, Lange -und be¬ 
sonders von Kaup. Gewiss arbeiten wir auch jetzt noch im Versuch 
mit Unbekannten. Das Verhalten der einzelnen Reagentien und ihre 
Beziehungen sind aber jetzt wesentlich weniger dunkel als früher. 

Die Behauptung Langes, dass wechselnde Ergebnisse beim 
Arbeiten nach der Originalvorschrift nur auf fehlerhaftes Arbeiten 
zurückzuiiihren seien, entbehrt der Begründung. Demi sonst müssten 
auch- die meisten Untersuchungsstellen beim Heere fehlerhaft arbeiten 
(s. a. Bruck)! Und diese arbeiten doch mit staatlich geprüften Ex¬ 
trakten und Hämolysinen! Fehlerhaftes Arbeiten kann eine gewisse 
Bedeutung haben und hat sie sicher oft gehabt. Das soll glatt zu¬ 
gegeben« werden. Mindestens ebenso wichtig ist aber die Berück¬ 
sichtigung der Verschiedenheiten! des Meerschweinchenserums im Ge¬ 
halt an Komplement und dessen Ablerrkbarkeit. Dass ausserdem 
der „Serologe“ leicht geneigt ist, die zweifellos vorhandenen Ver¬ 
schiedenheiten und Umsetzungen im Krankenserum zu vernachlässigen 
— eine weitere Fehlerquelle (s. a. B r u c k u. a.) — beweist die Arbeit 
von C. Lange. Die sehr verdienstliche Arbeit von Bruck 4 ) hat 
eingehend auf die grosse Bedeutung der Umsetzungen im Kranken-serum 
für den Ausfall der Wa. hingewiesen. Allerdings verlangt Lange 
(s. o.) die ausschliessliche Verwendung frischer Sera, für welche die 
genannte Fehlerquelle praktisch nicht in Betracht kommt. Und! dass 
alle diese Dinge bei den von Freudenberg u. a. berichteten nicht 
übereinstimmenden Untersuchungen aus „zuverlässigen“ Instituten 
stets berücksichtigt worden sind, möchte ich sehr bezweifeln, zumal 
ein Teil der fraglichen Untersuchungen aus Zeiten stammt, in. denen 
man über diese Dinge eben noch nicht so genau unterrichtet war. 

Wir können hiernach wohl sagen* dass die technische Zu¬ 
verlässigkeit der Serodiagn-ose der Syphilis einen 
recht hohen Grad erreicht hat, dass dies auch für 
die Originalvorschrift unter günstigen Umstän- 

serummischun-g bindet also von dem einen Kom¬ 
plement mehr als von dem anderen (s. a. G r a e t z. 
Scheidemantel). 

27 ) Auch Sonntag wertet im Vorversuch das Komplement mit 
den verschiedenen Extrakten und Serum aus, arbeitet aber im Versuch 
mit einem bestimmten (2—3fachen) Komplementüberschuss. Die Kaup- 
sche Methode mit steigenden Komplementmengen erscheint dem¬ 
gegenüber exakter, auch gegenüber den. Methoden von Sormani 
und O. Thomsen. die bei gleichbleibender Antigen- und Ambo¬ 
zeptormenge mit fallenden Komplementmengen im Vorversuch aus¬ 
werten und für den Versuch selbst mir die einfach lösende, Kom¬ 
plementmenge wählen. R. Müller und ebenso M. Stern lehnen 
die Komplementauswertuirg mit Extrakt und Normalserum- ab wegen 
des ungleichmässigen Gehaltes der Normaleren- an Reaginen. Aller¬ 
dings denken sie dabei nur an- die Verwendung der eben ausreichen¬ 
den Komplementmenge im Versuch, nicht an das Arbeiten mit steigen¬ 
den Mengen (Kaup). 



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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34=. 


\ 

den (Komplement!) gilt, dass diese Zuverlässigkeit 
zweifellos gesteigert werde n k a n- n b ei genauer Be¬ 
rücksichtigung der im Komplement liegenden Ver¬ 
schiedenheiten (Bindungsfähigkeit und Stärke des Komple¬ 
mentes), dass aber auch durch die genaueste Berück¬ 
sichtigung dieser Umstände von einander abwei¬ 
chende Ergehnisse nicht völlig verhütet werdien 
können infolge der bei verschiedener Behandlung 
(längere Aufbewahrung usw.) eintretenden Umsetzungen 
im Krankenserum. 

1L Klinisches. 

Der Praktiker wird aber zunächst eine andere Frage stellen — 
denn die technische Zuverlässigkeit setzt er voraus —: Wie weit 
gibt der positive oder negative Ausfall der Reak¬ 
tion einen Anhaltspunkt für das 'Vorliegen oder 
Fehlen von Syphilis? Weiter: Lässt sich der Aus¬ 
fall der Reaktion auch in quantitativer Hinsicht 
verwerten? 

Auf diese zweite Frage, die mir praktisch zwar sehr wenig zu 
bedeuten scheint, will ich zunächst kurz eingehen, Denn eine Reihe 
von Abänderungsvorschlägen beanspruchen, quantitative Methoden der 
WaR. zu sein. 

So weit wir bisher wissen, können wir aus der Stärke des Aus¬ 
falls der gleichzeitig angestellten WaR. bei verschiedenen Syphilis- 
iällen nichts über die Schwere der Erkrankung schliessen. Denn wir 
haben bisher kein Verfahren, das uns erlaubt, die zweifellos vorhan¬ 
denen Verschiedenheiten in den einzelnen Krankenseren, die den Aus¬ 
fall der WaR. beeinflussen, genau festzustellen (s. a. Bruck). So 
sehen wir gelegentlich bei älterer Syphilis ohne Erscheinungen oder 
bei Spätsyphilis mit vielleicht recht geringen nachweisbaren Verände¬ 
rungen einen sehr stark positiven Ausfall der Reaktion, während bei 
ganz frischer Allgemeinsyphilis sich nur ein schwach positives oder 
gar negatives Ergebnis findet. Solche Befunde bilden natürlich nicht 
die Regel. Sie beweisen aber, dass wir bei der Beurteilung des Aus¬ 
falls der Reaktion auch noch andere Bedingungen in Betracht ziehen 
müssen 28 )), die wir im einzelnen noch nicht genügend kennen. Die 
menschliche Blutflüssigkeit ist eben ein ..ganz besonderer Saft“ und 
nicht etwa nur eine Lösung (in physiologischer Kochsalzlösung) der 
Stoffe, die wir durch die WaR. nachweisen. 

Nach den Untersuchungen von SormanL Thomsen, 
M. Stern u. a., sowie nach den in gleicher Richtung sich bewegen¬ 
den Arbeiten von Kaup scheint aber die Möglichkeit vorzuliegen, 
dass es gelingt, beim einzelnen Kranken eine fortlaufende Be¬ 
einflussung der Stärke des Ausfalls der WaR. im 
Verlauf der Behandlung nachzuweisen. Dazu gehört aber 
die genaue Auswertung des Komplementes im Vorversuch gegenüber 
Ambozeptor. Extrakt und Serum. Bei der Originalmethode ist das 
nicht möglich, wie das jederzeit an Kurven regelmässig untersuchter 
Fälle nachgewiesen werden kann. 

Das ist aber nicht nur nicht wunderbar, sondern aus den oben 
angeführten Gründen selbstverständlich (verschiedene Bindfungsfähig- 
keit der Extrakte, Komplementverschiedenheiten usw.). Ich bin auf 
diese Dinge etwas genauer eingegangen, weil ich den Eindruck habe, 
dass sie gerade von den Aerzten bei der Beurteilung der WaR. viel 
zu wenig berücksichtigt werden, bzrw. dass der -Praktiker geneigt ist, 
weniger den Wert d-er Reaktion als solcher zu überschätzen — der 
bleibt auch trotzdem unbestritten* — als vielmehr den Wert des Aus¬ 
falles einer einmaligen Reaktion. Daran scheinen mir auch die Ver¬ 
öffentlichungen von Freudenberg, Heller usw. zu kranken. 
Der Praktiker ist ja gar nicht in der Lage, sich um serologische Einzel¬ 
heiten zu kümmern, die aber für eine genaue Beurteilung des Ausfalls 
nicht ganz entbehrt werden können. So kann leicht einmal ein 
falscher Eindruck hervorgerufen werden. Allerdings darf man auch 
von biologischen Reaktionen nicht mehr verlangen, als sie leisten 
können. 

Eine genauere Besprechung verlangt die erste Frage: Was kann 
die WaR. in zweifelhaften Fällen dem Praktiker leisten? Hierüber ist 
zwar schon so viel geschrieben worden, dass eigentlich jede Er¬ 
örterung überflüssig erscheinen müsste. Die grosse Bedeutung posi¬ 
tiver Befunde steht auch hier fest. Ich erinnere mir an die Frage der 
Untersuchung von Ammen bzw. ihrer Nährkinder, von Prostituierten, 
Heiratskandidaten usw. Dass aber der Arzt vielfach geneigt ist, von 
der Serodiagnose der Syphilis mehr zu verlangen, als sie leisten 
kann, scheint aus den Ausführungen von Frendenberg hervor¬ 
zugehen. Freudenberg weist ganz richtig darauf hin, dass der 
Praktiker meist wissen wolle, ob die jetzige irgendwie unklare Er¬ 
krankung auf früherer Syphilis beruhe, und dass ihm hierbei nichts 
an zweifelhaften Ausfällen oder gar an sich widersprechenden Ergeb¬ 
nissen der Untersuchung desselben Serums durch verschiedene In¬ 
stitute liege. Er sagt: 

„Es besteht aber die merkwürdige 'Tatsache, 
dass gerade die letzteren Fälle besonders häufig 
sowphl zweifelhafte Resultate des einzelnen 
Untersuchers wie Divergenzen' der Resultate bei 
den verschiedenen Untersuchern-ergeben, während 
das bei den Fällen akuter Lues seltener der Fall 


Ä ) Ich erinnere hier auch an den zuwe^en negativen Ausfall 
der WaR. bei ausgesprochener maligner Syphilis! 


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ist!“ 2 ®). Heller drückt das mit den Worten aus, „dass di er 
Unstimmigkeiten der serologischen Diagnose ans 
häufigsten und stärksten in den Fällen hervor¬ 
treten, in denen die Sicherung der Diagnose am 
meisten erwünscht wäre“ 5 *). 

Aehnliches ist ja auch sonst von verschiedenen Seiten betont 
worden, das ist aber aus den oben angeführten Gründen nicht zu 
ändern. Denn w enn Verschiedenheiten im Ausfall der WaR. nicht un¬ 
bedingt vermeidbar sind, dann müssen sie bei zweifelhaften Fällen 
am stärksten hervortreten. Gerade -bei den Fällen, auf die sich 
Freudenberg mit seinem Urteil bezieht, handelt es sich um 
Spätsyphilis mit Emzelberden. Bei solchen Fällen ist nun von vorn¬ 
herein nach den vorliegenden Erfahrungen anzunehmen, dass wenig, 
positive, viel negative und bei stärkerem- Ausfall der Reaktion auch 
zweifelhafte Resultate gefunden werden. Das ist auch bei dermato¬ 
logischem Material nicht anders. 

Man darf nur für die Beurteilung dieser Frage nicht die Gesamt¬ 
zahl aller Untersuchungen heranziehen., sondern muss die einzelnen 
Stadien berücksichtigen* Hierfür ist auch nicht etwa nur die Reaktion* 
vor der spezifischen Behandlung, sondern vor allen Dingen auch der 
Ausfall der Reaktion in deren Verlauf von Bedeutung. Denn wir 
sehen in jedem Stadium der Syphilis eine anfänglich 
negative Reaktion unter der Behandlung vorüber¬ 
gehend (oder unter Umständen auch dauernd) positiv werden.. 
Das gilt sowohl für die latente Syphilis wie für die Syphilis mit Er¬ 
scheinungen, Bei negativem oder zweifelhaftem Aus¬ 
fall der WaR. sollte also stets, wenn klinisch.der 
Verdacht einer Syphilis naheliegt, unter spe¬ 
zifischer Behandlung die Reaktion mehrfach an¬ 
gestellt werden. Sowohl Hg und Jod wie ganz besonders Sal- 
varsarr können in solchen Fällen provozierend wirken. Diese Er¬ 
fahrung wird von den Dermatologen schon längst verwertet. Ihre? 
Berücksichtigung kann- den Aerzten auch sonst empfohlen werden,. 
Der negative Ausfall dieser Provokation erlaubt selbstverständlich 
nicht, Syphilis in jedem Falle auszuschliessen. Es würde aber zu. 
weit führen, diese Frage hier zu erörtern. 

Es ist der Originalvorschrift weiter der Vorwurf ge¬ 
macht worden, dass sie zu wenig positive Befunde gebe. 
Dieser Vorwurf gründet sich in erster Linie auf den eben erwähnten 
Umstand, dass dem Praktiker in klinisch zweifelhaften Fällen ein 
negatives oder zweifelhaftes Ergebnis berichtet wird, während er ein 
positives erwartet hat. 

Nehmen wir nun eine grössere Reihe sicherer Syphilisfälle, 
so sehen wir folgendes: Bei frischen Primäraffekten, etwa bis 
4 Wochen nach der Ansteckung, ist der Ausfall der WaR. durchweg: 
(80—90 Proz.) ein negativer und bleibt es auch bei regelmässiger 
Untersuchung in etwa 55—60 Proz. während der Behandlung. Ich sehe 
hier vollkommen davon ab. dass bei Primärafiekten der Wert der 
WaR. hinter dem der Spirocnätenuntersuchung weit zurücksteht. Die 
Zahl der Fälle mit dauernd negativem Ausfall der WaR. nimmt be: 
älteren Primäraffekten mit dem Alter nach der Ansteckung*fortdauernd 
ab, um bei den ersten allgemeinen Syphilisausbrüchen vollkommen, 
zu fehlen. Bei derartigen Untersuchungen für alle Primäraffekte vor 
der Zeit kurz nach der Ansteckung bis vor dem Ausbruch der All- 
gemeinersch-einungen ergibt sich, dass etwa 30 Proz. dauernd negativ 
reagieren, während etwa weitere 20 Proz. nach anfänglich negativer 
Reaktion für kürzere oder längere Zeit eine positive WaR. zeigen. 
Bei ersten Exanthemen habe ich eine anfängliche negative Reaktion 
nur in etwa 1 Proz. der Fälle gesehen. 

Bei den Rückfällen nimmt die Zahl der dauernd negativen 
Reaktionen mit der Zeit seit der Ansteckung und im umgekehrten 
Verhältnis zur Ausdehnung des Rückfalls zu. Die Zahlen sind aber 
im ganzen geringer und erreichen selbst bei sehr wenig ausgedehnten* 
späteren Rückfällen des Frühstadiums kaum 20 Proz., steigen aber 
für die sogen. „Monorezidive“ auf 80—100 Proz. 

Für Syphilis ohne Erscheinungen befragen diese 
Zahlen je nach* der voraufgegangenen Behandlung, der seitdem ver¬ 
flossenen- Zeit und der Zeit seit der Ansteckung etwa 50 Proz. (40 bis 
60 Proz.). 

Für die Spätsyphilis mit Erscheinungen, die Ta¬ 
bes und noch bedeutend) mehr für die P a r a 1 y s e und für die k o n - 
genitale Syphilis fallen diese Zahlen wieder. Bei kongeni¬ 
taler Syphilis mit Erscheinungen und bei Paralyse ist ein dauernd 
negativer Ausfall der WaR. mindestens recht selten. Umschriebene 
Spätsyphilis der Haut usw. zeigt nicht selten (30—40 Proz.) negative 
Reaktion; bei ausgedehnten Herden und bei Syphilis innerer Organe 
(z. B. der Leber, des Herzens) fällt die WaR. kaum in 10 Proz. der 
Fälle negativ aus. Ein negativer Befund der WaR. bei isolierter 
(gummöser) Knochensyphi-lis spricht also nicht gegen- Syphilis, eine 
negative WaR. bei Verdacht auf Lebersyphilis sehr erheblich gegen 
Beziehungen zur Syphilis. Wir können somit zusammenfassend 
sagen: Je geringer die nachweisbare Allgemein¬ 
durchseuchung des Körpers, je geringer die Zahl 
der Krankheitsherde und je weniger ausgedehnt 
der einzelne Krankheitsherd 1 ist, zumal wenn erdas 
einzige nachweisbare Zeichen der Erkrankung ist, 
umso eher können wir einen negativen Ausfall de r- 
WaR. trotz vorhandener Syphilis erwarten. Diese 


”) Im Original gesperrt! 

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20. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Möglichkeit wird noch erhöht, wenn vor nicht zu langer Zeit eine 
kräftige Behandlung durchgeführt worden ist. 

Der Praktiker darf also, wenn ihm in derartigen Fällen ein 
negativer Befund berichtet worden ist, auch bei wiederholter Unter¬ 
suchung nach Provokation oder fm Verlaufe einer Behandlung, daraus 
nicht schlossen, dass die Methode versage. Er darf ebensowenig 
den Schluss ziehen, dass der negative Ausfall in derartigen Fällen 
Syphilis ausschliesse. ausser wenn etwa die Provokation (mit Sal- 
varsan) nach 1 einer Behandlungspause von wenigstens einem Jahre 
vorgenommen worden und ein Jahr später mit dem gleichen Ergebnis 
wiederholt worden ist. 'Das ist ja so selbstverständlich, dass sich 
weitere Hinweise erübrigen. 

Nur das möchte ich erwähnen, dass einzelne, umschrie¬ 
bene spirochätenreiche Rückfälle nicht selten mit 
negativer WaR. einhergehen, insbesondere, wenn sie kür¬ 
zere Zelt (aber auch 3—4 Monate) nach einer energischen Behandlung 
auftreten. Solche Rückfälle, z. B. von primäraffekt¬ 
ähnlichem Aussehen, sind deshalb schon öfter für 
neue Ansteckungen- gehalten worden! Bei sicherer Sy¬ 
philis des Nervensystems nach misslungener Abortivbehandlung, den 
sog. Neurorezidiven, ist der negative Ausfall der WaR. im Blut das 
Gewöhnliche. Hier aber fällt in der Regel die WaR. (wie die son¬ 
stigen Reaktionen in der Rückenmarksflüssigkeit) positiv aus. Das 
gilt auch für so manche Fälle von Syphilis des Frühstadiums 
ohne Erscheinungen: dauernd negativer Ausfall der 
W a R. im Blut (etwa im Verlaufe eines oder mehrerer Monate) be¬ 
weist also kerne Heilung. Ohne äusserlich nachweisbare 
Erscheinungen (selten) kann dabei neben sonstigen Zeichen einer 
syphilitischen) Erkrankung des Zentralnervensystems eine positive 
WaR. in der Lumbalflüssigkeit vorhanden sein! 

Es ist ja durchaus verständlich, dass der Praktiker auch in 
solchen Fällen und noch mehr in zweifelhaften, in denen er an Syphilis 
denkt, eine Bestätigung seines Verdachtes durch die WaR. haben 
möchte. Auf diesen Wunsch sind ja die verschiedenen Verfahren 
zur Verfeinerung bzw. zur Verschärfung der WaR. zurückzuführen. 

Wassermann hat nun bekanntlich, um die Möglichkeit des 
Irrtums durch unspezifische Hemmungen auszuschliessen, seine Me¬ 
thode so eingestellt, dass positive Reaktionen nur zustande kommen 
bei Syphilis und bei einigen Protozoenerkrankungen. Es erscheint 
dadurch selbstverständlich die Reaktion mancher Syphilisfälle mit 
geringem Gehalt an Syphilisreaginen als negativ, weil sie in die 
Breite fällt, in der auch Komplementbfndungen bei Scharlach, Tuber¬ 
kulose usw. Vorkommen. 

DieVerschärfung der Reaktion bringt also auch 
stets die Gefahr mit sich, dass unspezifische Kom- 
ptementbrndungen in dieser Breite als positive 
WaR. angesehen werden. Wassermann hält, nach meiner 
Ansicht mit Recht, diese Gefahr für grösser als die, dass einige Syphi¬ 
lisfälle der serodiagnostischen Feststellung entgehen 80 ). Durch 
falsche Ergebnisse verschärfter Methoden ist jedenfalls schon viel 
Unheil angerichtet wordien. 

Ich halte es nun für möglich», dass die K a u p sehe Methode mehr 
leistet als die sonstigen Verfeinerungen, weil die Verfeinerung nicht 
in der Abschwäch-ung eines der Reagentien besteht — von 
dem wichtigen neuen Verfahren der Extraktauswertung sehe ich- hier 
ab —, sondern mit steigenden Komplementmengen gearbeitet 
wird. Dadurch lassen sioh wohl Störungen, die durch nicht richtig 
erkannte Eigenhemmung der Seren zustande kommen und Täu¬ 
schungen durch „positive“ Scharlach- usw. Seren — auch hier spielt 
wohl die Eigenhemmung eine Rolle — vermeiden. Da also hier 
die wechselnde Beeinflussung des Ausfalls der Reaktion durch den 
schwankenden Komplementgehalt des Meerschweinchenserums weg¬ 
fällt, so werden zweifellos mehr positive Ergebnisse erzielt, als bei 
der Originalmethode. Denn diese liefert eben gelegentlich zu viel 
negative Ausfälle. Abgesehen davon wird aber die Steigerung wohl 
nur in einer Vermehrung der zweifelhaften sog. „schwach positiven“ 
Reaktion bestehen. 

Ob uns also die K a u p sehe Methode in einer Hinsicht, die dem 
Praktiker besonders wichtig ist, weiter bringt, halte ich für zweifel¬ 
haft. Ich halte diese Frage: Wie weit sagt der Ausfall 
der WaR. etwas über die Notwendigkeit einer spe¬ 
zifischen Behandlung aus? zwar nicht für überragend 
wichtig, glaube aber, dass ich hier kurz darauf eingehen muss. 

Selbstverständlich kann auch hier der Ausfall der Reaktion' nicht 
das einzige Moment sein, das über die Notwendigkeit einer Behand¬ 
lung überhaupt, die Notwendigkeit ihrer weiteren Fortführung usw. 
entscheidet. Dafür ist stets der bisherige Verlauf der Erkrankung, 
Art und Zeit der früheren Behandlung, der körperliche Zustand des 
Kranken usw. zu berücksichtigen. 

Der positive Ausfall der WaR. ist im frühen Sta¬ 
dium der Erkrankung stets ein Anlass zur Behand¬ 
lung. Die Behandlung soll möglichst stets erst beendet werden, 
wenn die WaR. bereits einige Wochen negativ ist. Bei alter, reich¬ 
lich behandelter Syphilis ohne Erscheinungen wird man nur wegen 
des positiven Ausfalls der WaR. durchaus nicht immer die Behand¬ 
lung beginnen, wenn auch die positive WaR. stets als Zeichen) noch 
fortbestehender Erkrankung anzusehen ist. 


*•) R. Müller wendet sich aus den gleichen Gründen gegen die 
K a u p sehe Methode. 


Viel wichtiger ist folgender Grundsatz, den der Praktiker stets 
beachten sollte, der aber leider viel zu wenig berücksichtigt wird: 
Der negative Ausfall der WaR. kann niemals ein 
Grund sein, auf eine sonst für nötig gehaltene spe¬ 
zifische Behandlung zu verzichten. Dieser Umstand 
kommt ja für die FrühsyphHis weniger in Frage, da hier (Primär¬ 
affekte, sekundäre Rückfälle) der Nachweis der Syphilisspirocliäten 
leicht die Notwendigkeit erweist. Aber auch bei Frühsyphilis ohne 
Erscheinungen ist die Behandlung nicht vom Ausfall der WaR. ab¬ 
hängig zu machen, sondern es ist nach den üblichen Grundsätzen zu 
behandeln, wenn nach bisherigem Verlauf und' früherer Behandlung 
überhaupt mit der Möglichkeit eines Rückfalls zu rechnen ist, auch 
bei negativer WaR. 

Dieser Grundsatz gilt auch für klinisch zweifelhafte oder ver¬ 
dächtige Fälle. Fällt hier die WaR. negativ aus, so ist es stets besser, 
bei klinisch begründetem Syphilisverdacht eine vorsichtige spezifische 
Behandlung durchzuführen, die den Kranken jedenfalls nicht schädi¬ 
gen, wohl aber sehr häufig die Aufklärung über das Leiden bringen 
dürfte, die wir vergeblich von der WaR. erwartet haben. 


Halten wir uns so an die Grenzen, die der Serodiagnose der 
Syphilis gesteckt sind, so werden wir. zuverlässige Untersuchung 
vorausgesetzt, kaum über „Unzuverlässigkeit“ der WaR. zu klagen 
haben. Gewiss ist ein einzelnes „fehlerhaftes“ Ergebnis nicht un¬ 
bedingt ausgeschlossen. Wir müssen nur die möglichen Fehlerquellen 
kennen. Und die haben wir in den letzten Jahren in weitgehendem 
Masse kennen gelernt. 

Der Wert d'er WaR. wird dadurch nicht beeinträchtigt, hier wie 
auch sonst muss die Wissenschaft fortschreiten. Stillstand ist Rück¬ 
schritt. Und wir arbeiten heute jedenfalls mit einer ganz anderen 
Sicherheit als in der ersten Zeit der Reaktion. Wenn üns auch- das 
Wesen der WaR. noch wenig erschlossen ist. so haben wir doch 
mit der Erkenntnis der Fehlerquellen auch gelernt, sie zu vermeiden. 

Nun ist verschiedentlich, zuerst wohl von Graetz, betont wor¬ 
den, dass es nötig sei, für die ganze Versuchsanordnung eine einheit¬ 
liche Grundlage zu schaffen. Derartige Bestrebungen sind auch Jetzt 
wieder im Gange. Sie haben gewiss insofern Berechtigung, als bei 
einer so komplizierten Technik im Interesse der Sache Mindestforde¬ 
rungen an die Ausführung der Reaktion gestellt werden müssen, 
die am besten grossen, genauestes Arbeiten verbürgenden- Instituten 
Vorbehalten bleibt. Denn die Technik der WaR. ist seit ihrer Ent¬ 
deckung jedenfalls nicht einfacher, sondern sehr viel umständlicher 
geworden. Das geht schon daraus hervor, dass fast jedes Labora¬ 
torium besondere Eigenheiten und Abweichungen, weitere Kontrollen 
usw. für nötig hält. Das ist auch bis zu einem gewissen Grade be¬ 
rechtigt, denn alle derartigen Aenderungen haben ja mir den Zweck, 
die Sicherheit der Reaktion und die zuverlässigen positivem Ergeb¬ 
nisse bei Syphilis zu erhöhen. Und die Steigerung der Sicherheit 
kommt durchaus unseren Kranken zugute. 

Zusammenfassung. 

L Die von verschiedenen Seiten gegen die Zuverlässigkeit der 
Serodiagnose der Syphilis, insbesondere gegen die WaR. erhobenen 
Vorwürfe sind nur z. T. begründet. 

2. Die WaR. hat bei Einhaltung der Vorschriften Wasser¬ 
manns einen hohen Grad der Zuverlässigkeit, der berechtigten kli¬ 
nischem Ansprüchen in der Regel durchaus genügt. 

3. Die Voraussetzung hierfür ist aber die Anmalune Wasser¬ 
manns, dass der Gehalt des frischen Meerschweinchenserums an 
Komplement stets der gleiche sei und dass Unterschiede im Komple¬ 
mentverbrauch durch verschiedene Extrakte bzw. durch den gleichen 
Extrakt bei verschiedenen Komplementen nicht Vorkommen. 

4. Diese Voraussetzung ist nicht begründet. Komplementver¬ 
schiedenheiten können deshalb (ebenso Extrakt- und Serumver¬ 
schiedenheiten) gelegentlich irreführende und selbst „falsche“ Er¬ 
gebnisse bedingen. Deshalb ist eine Auswertung der im Versuch ver¬ 
wendeten Reagentien gegeneinander notwendig, Imd zwar des Kom¬ 
plements, nicht nur mit dem hämolytischen Ambozeptor sondern auch 
mit Extrakt und Serum. 

5. Von den Methoden mit Komplementauswertung scheint die von 
K a u p angegebene am meisten den Ansprüchen zu genügen, da sie 
nicht mit einer Mindestmenge, sondern mit steigendem Mengen von 
Komplement arbeiten. Störungen durch unspezifische Hemmungen 
werden so nach Möglichkeit vermieden, trotz höherer Zahl an posi¬ 
tiven Befunden. 

6. Der gegen die Wassermann sehe Methode von einzelnen 
Aerzten erhobene Vorwurf, dass sie zu wenig positive Befunde liefere, 
ist also insofern berechtigt, als die Wassermann sehe Technik 
nach fast allgemeinem Urteil der Verbesserung bedarf (s. 4), sollen 
schwankende und gelegentlich auch „falsche“ Ergebnisse vermieden 
werden. Derartige Verbesserungen sind aber an den meisten Unter¬ 
suchungsstellen schon längst im Gebrauch. 

7. Die Zahl der negativen bzw. zweifelhaften Befunde bei zwei¬ 
felhaften klinischen Fällen wird immer eine umverhältnismässig hohe 
bleiben. Das liegt in der Art dieser Erkrankungen und ist durch die 
Methodik nicht wesentlich zu ändern. Man darf von einer bio- 


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Gck igle 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


logischen Methode auch nicht mehr verlangen, als sie leisten kann. 
Ein „schwach positiver“ (zweifelhafter) Befund bedeutet eben noch 
nicht Syphilis. Eine grössere „Verschärfung“ der Methode bedingt 
also einen geringeren* Grad der Zuverlässigkeit. Der Praktiker 
darf nicht vergessen*, dass die WaR. nur eines 
unserer diagnostischen Mittel darstellt und dass 
sie dementsprechend nur im Verein mit unseren 
sonstigen diagnostischen Feststellungen ver¬ 
wendet werden kann und darf. 


BOcheranzeigen und Referate. 

IL Seitbaum: Anschauungstaleln zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten. Leipzig, bei Johann Ambrosius Barth, 1918. 

Die Tafeln, von denen die sechs ersten vorliegen, sind im Auf¬ 
trag der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten herausgegeben. Sie sollen bei aufklärenden Vorträgen 
als Anschauungsmaterial dienen. Da sie fiir Laien bestimmt sind, ist 
die Ausführung als durchaus zureichend zu bezeichnen; die klinischen 
Bilder sind recht naturwahr, wenn auch mehr für die Betrachtung 
aus der Ferne geeignet. Um diese zu ermöglichen, um die Tafeln 
in grossen Versammlungen vorteilhaft benützen zu können, sind sie 
weit über lebensgross ausgeführt. 

Dargestellt sind: 1. Gonokokken in Eiter und Spirochäten im 
Blut; 2. ein Kind mit Augenblennorrhöe; 3. ein Primäraffekt der Ober¬ 
lippe; 4. ein makulöses Syphilid; 5. Gummen am Unterschenkel; 
6. Statistik. 

Letztere .zeigt die Verbreitung von Syphilis und Tripper in 
Hamburg nach Alter und Geschlecht geordnet, die Zahlen sind er¬ 
schreckend. 

Die Tafeln werden sich als Hilfsmittel für Vorträge gewiss gut 
bewähren, für Redner, welche in dem Thema der Geschlechtskrank¬ 
heitenbekämpfung keine grosse Vertrautheit besitzen, ist auch ohne 
Zweifel der Text des Begleitheftes eine willkommene Unterstützung. 

Zumbusch. 

Prof. J. v. Kries: Ueber Entstehung und Ordnung der mensch¬ 
lichen Bewegungen. (Rede, gehalten 26. I. 18 bei der von der Uni¬ 
versität Freiburg veranstalteten Kaiser-Geburtstagsfeier.) Frefburg, 
Speyer 6t Karner, 1918. Preis 1.50 M. 

Verfasser gibt in diesem Vortrag eine Uebersicht über die Wir¬ 
kung der bei Bewegung in Kraft tretenden Organe. Ganz besonders 
beschäftigt er sich mit der Tätigkeit des Zentralnervensystems, von 
dem ja schliesslich alles abhängt. 

Im Zentralnervensystem werden nicht nur durch den Willen die 
Antriebe zur Bewegung gebildet, sondern es wird dort auch durch 
einen komplizierten Mechanismus von Reflexen und Sinnesempfin¬ 
dungen dafür gesorgt, dass die gewollte Bewegung richtig ausgefiihrt 
wird, dass die Bewegung sich den äusseren Verhältnissen anpasst. 
Es besteht eine dauernde sensible Kontrolle unserer Bewegungen, und 
die Nachrichten, die das Zentralnervensystem durch diese erhält, 
werden zur Korrektur verwendet. 

Verfasser berührt dann weiter die Frage der Synergien von 
Muskeln und die der antagonistischen Innervation. Schliesslich be¬ 
schäftigt er sich mit der Frage, inwieweit wir imstande sind, solche 
synergische Innervationen zu erlernen oder umzulernen. Es ergibt 
die Erfahrung, dass wir in weitem Masse imstande sind, diese 
Synergien umzulernen. 

Da diese Ergebnisse im Rahmen einer patriotischen Rede dar¬ 
gelegt werden, ergibt sich für den Verfasser die Gelegenheit, auf den 
eigentümlichen Parallelismus des Staatslebens und des individuellen 
Lebens eines Organismus hinzu weisen. H o f f m a n n - Würzburg. 

Neueste JouroaBIteratur. 

Zentralblatt für Herz- und üefässkraukbeiten. 1918. Nr. 4 

bis 12. 

Egon Weiser- Prag: Klinische Beobachtungen über Vorhof¬ 
flattern und Vorhofflimmern. 

Ueber die Zusammenhänge zwischen Vorhofflattern und -flim¬ 
mern besteht noch keine einheitliche Auffassung. Bezüglich des Flim- 
merns scheint es, dass es sich sowohl um eine hochfrequente, mono- 
tope Reizbildung handeln kann, wie um eine Polytopie der Reizbil¬ 
dung. Zu diesen Fragen bringt Verf. aus 5 von ihm beobachteten und 
hinsichtlich der elektrokardiographischen Ergebnisse sehr genau ana¬ 
lysierten Fällen (1 Fall von paroxysmaler Tachykardie, 2 Fälle von 
dekompensierter Mitralinsuffizienz und Stenose, 1 Fall von Drei- 
Klappen-Vitium, 1 Fall von schwerer Arteriosklerose) Beiträge. Aus 
den Schlussfolgerungen: An der Erzeugung von Vorhofflimmern 
nehmen anscheinend zumindest 2 hochfrequente Reizbildner teil 
(Fall 1). Es kann vo'-kommen, dass die in der Stärke wechselnde 
Vorhoftätigkeit nur im Phlebogramm, nicht im Elektrokardiogramm 
zum Ausdruck kommt. Wegen der Analyse der Elektrokardiogramme 
müssen wir auf das Original verweisen. 

Erna J a n z e n - Tübingen: Ueber Morbus coeruleus. (Fort¬ 
setzung folgt.) 

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Nr. 7—12. 

Erna J a n z e n - Tübingen: Ueber Morbus coeruleus. 

Nach einer kurzen Darstellung des Krankheitsbildes berichtet die 
Verf. über 2 an der Tübinger Klinik zur Beobachtung gelangte Fälle 
der Krankheit. Das Verhalten der Kapillaren wurde nach der an der 
Tübipger Klinik ausgearbeiteten Methode erforscht, es ergab deut¬ 
liche Abweichungen vom gewöhnlichen Bilde. 

D. G e r h a r d t - Würzburg: Ueber Ikterus bei Herzkranken. 

In der grossen Mehrzahl von zyanotischem Ikterus ist der Grad 
desselben ein leichter, selten steigert er sich zu völligem Gallen¬ 
abschluss. In 3 Fällen konnte sich G. von der Natur der Störung 
durch Sektion überzeugen: die grossen Gallenwege waren frei, nir¬ 
gends zeigten sich Zeichen eines Abflusshindernisses. Es fanden sich 
krankhafte Veränderungen (Cholangitis) der feinen, intraazinösen Gal- 
lenwcge mit ausgesprochener Neigung zur Gerinnselbildung des In¬ 
haltes. Schliesslich weist G. auf eine gewisse Analogie im Verhalten 
dieses Ikterus mit jenem bei Zirrhose hin. 

Josef Garnmann - Breslau: Die Behandlung akuter Kreislauf¬ 
schwäche mit Dlgalenlniektionen. 

Mitteilung von günstigen Erfahrungen der intravenös bei 15 Fäl¬ 
len vorgenommenen Injektionen (meist 1 ccm). 

Theodor Wilhelm: Beitrag zur Frage der akzidentellen Ge¬ 
räusche des Herzens. 

In der Periode vor dem Kriege war man sich einig geworden 
über die Diagnostik der akzidentellen Geräusche hinsichtlich Lokali¬ 
sation, Inkonstanz, zeitliches Auftreten, scharfes Umschriebensein, 
Fehlen einer herzpathologischen Anamnese, dagegen gingen die An¬ 
sichten über das Zustandekommen dieser Geräusche ganz auseinander. 
Die Erfahrungen des Krieges haben der ganzen Frage eine erweiterte 
Bedeutung verliehen. Den eigenen Untersuchungen des Verf. sind zu¬ 
grundegelegt 355 gesunde Frontsoldaten, davon wurden 48 Mann mit 
akzidentellen Geräuschen herausgefunden und diese eingehend unter¬ 
sucht. Aus den Ergebnissen der tabellarisch niedergelegten Unter¬ 
suchungen ist anzuführen: Das akzidentelle Geräusch wurde bei 
13 Proz. der Fälle gefunden, und zwar meist im 2. linken Intertcostal- 
raum, seltener an der Spitze. An andern Auskultationsstellen sind sie 
selten. Ihre Entstehung ist an die Systole gebunden, sie erscheine 
neben dem Herzton und sind lokal sehr begrenzt, dabei stark von der 
Atmung abhängig. Die Ursache ist eine wechselnde, namentlich 
kamen in Betracht: Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit des Blu¬ 
tes, vesikuläre Luftverschiebungen, bestimmte Thoraxform. 

R. Ohm-Berlin: Ein Fall von Herzblock. 

Beobachtung an einem 29 jährigen Wäschereigehilfen. Die Thera¬ 
pie blieb ohne Erfolg. Grassmann - München. 

Archiv für klinische Chirurgie. Band 109, Heft 3, 1918. 

v. Haberer: Ulcus duodeni und postoperatives peptlsches 
Jeiunalgeschwür. 

Für die unsichere Diagnostik des Ulcus duodeni bietet die 
Röntgenuntersuchung bisher die geringsten Vorteile. Am ehesten 
sind Periodizität und okkulte Blutung zu verwerten. Auf 299 Opera¬ 
tionen wegen Ulc. vcntriculi kamen 129 wegen Ulcus duodeni (1:2,4). 
Die Behandlung des Ulcus duodeni soll eine chirurgische mit interner 
Nachbehandlung sein. Die Resektion ist dann am Platze, wenn das 
Geschwür sicher dem oberen horizontalen Schenkel des Duodenums 
angehört, einwandfreie anatomische Orientierung insbesondere über 
Lage von Ductus choledochus und pancreaticus möglich ist und der 
Allgemeinzustand den grösseren und darum gefährlicheren Eingriff 
gestattet. Speziell soll sie vorgenommen werden bei Verdacht auf 
maligne Degeneration und bei drohender, bzw. gedeckter Perforation. 
Penetration in den Pankreaskopf und Blutung sind keine Gegen¬ 
anzeigen. Ist die Resektion nicht ausführbar, so gibt die Pylorus- 
ausschaltung nach v. E i s e 1 s b e r g die besten Resultate, wenn auch 
bei ihr am' häufigsten Ulcera peptica jejuni zur Beobachtung kamen. 
Nur bei Pylorusstenose kann die Gastroenterostomie an die Stelle 
der Pylorusausschaltung treten. Das Ulcus pepticum jejuni, das stets 
bei Gastroenterostomie mit kürzester Schlinge gefunden wurde, hatte 
seinen Sitz immer unter dem Gastroenterostomiering, ineist an der 
dem Mesenterialansatz benachbarten Schleimhautpartie. Seine Be¬ 
handlung hat nur bei ausgiebiger Resektion der betroffenen Darm¬ 
partien Erfolg. 

H o r w i t z - Berlin: Die Dauerresultate nach Gastroenterostomie 
bei Ulcus duodeni und der Wert der Pylorusausschaltung auf Grund 
der In den Jahren 1907—1913 beobachteten Fälle. 

Periodizität und lange Dauer des Leidens in der Anamnese, Blut- 
nachwcis im Stuhl bei fehlendem Blut im Magen, starke Abmagernng 
und der Röntgenbefund ermöglichen die Diagnose. Die Häufigkeit des 
Ulcus duodeni hat zugenommen, so dass sich 1913 Ulc. duodeni und 
Ulc. ventriculi die Wage hielten. Die beste Operation ist die Gastro- 
enterostomia retrocol. post. verticaRs mit Pylorusausschaltung. Für 
letztere bevorzugt Bier die Umschnürung mit einem Faszienstreifen 
oder die Durchquetschung mit dem Doyen sehen Ecraseur mit Ab¬ 
schnürung durch einen Katgutfaden, obgleich mittels dieser Verfahren 
ein vollständiger dauernder Verschluss nicht erreicht wird. Das 
v. Eiselsbergsche Verfahren, das diesen Erfolg allein verbürgt, 
ist aber zu kompliziert. Verf. verlangt auf Grund seiner Erfahrungen 
den künstlichen PylorusVerschluss auch bei Fällen von klinischer Py- 

Qriginal fro-m 

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20. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


943 


lorusstenose. An die chirurgiche Behandlung soll sich durch einige 
Wochen eine diätetische anschliessen. 

Ufer: lieber Meniskusverletzungen lm Kniegelenk und eine neue 
Schnittführuiig zur Kniegelenkseröffnung. 

Zu kurzem Referat nicht geeignet. 

Rothschild- Berlin : Kongenitale Blasendivertikel. 

An kongenitale Blasendivertikel muss gedacht werden bei sonst 
nicht zu begründender plötzlicher Retentio urinae oder Ischuria Para¬ 
doxa, besonders bei Männern zwischen 18 und 45 Jahren, sowie bei 
unaufgeklärter hartnäckiger Zystitis. Bei der Röntgendiagnose wen¬ 
det man zweckmässig Kollargolfüllung oder Einführung von impräg¬ 
nierten Ureterkathetern in die Divertikelöffnung an. 

S i e v e r s - Leipzig. 

Bruns* Beiträge zur klinisdien Chirurgie, red. von Garrö, 
Klittne r, v. Brunn. 112. Band. 2. Heft. (o.. kriegsclur 
Heft.) Tübingen, Lau pp, 191b. 

Walter Lehmann berichtet aus der Göttinger Klinik über 
Erfolge und Erfahrungen bei 115 Nervenoperatlonen. 

L. bespricht an der Hand seiner Erfahrungen die Indikation und 
Technik der Nervenoperationen, er hat die Einbettung der Nerven 
in Muskel oder Fettgewebe aufgegeben und verwendete in der letzten 
Zeit Kalbsarterien zur Einbettung, er führt sein Material in Tabellen 
an, bei der Neurolysis konstatiert er in 65 Proz. Besserung bzw. 
Heilung, bei der Naht in 36 Proz., bei den plastischen Methoden ver¬ 
zeichnet er nur 1 mal geringe Besserung; er führt der Reihe nach in 
11 Gruppen die Krankengeschichten seiner Fälle an, u. a. 3 Neuro- 
lysen, 11 Resektionen und Nähte des Ischiadikus. 

L. Richter gibt aus dem Paulinenstift in Wiesbaden eine Ar¬ 
beit über die Behandlung von Knlegelenkschussverletzungen (ein Bei¬ 
trag zur Kasuistik dieser Frage). Dieselben stellen bei ihrer Häufig¬ 
keit, wegen der Ausdehnung des Kniegelenkes mit seinen Buchten 
und Taschen und der schwierigen Beurteilung, ob die Kapsel- bzw. 
Uelenkhöhle betroffen, der Knochen mitverletzt ist etc., eine be¬ 
sonders wichtige Gruppe der Kriegsverletzungen dar. R. sieht ein 
ürunderfordernis für sämtliche Gelenksteckschüsse, besonders des 
Knies, darin, dass sie nur nach vorheriger Röntgenkontrolle ange¬ 
griffen werden dürfen und betont sorgfältiges Vorgehen bei Eröffnung 
parartikulärer Abszesse und zur Entfernung in Gelenknähe sitzender 
Fremdkörper, um sekundäre Eröffnung des Gelenks und Vereiterung 
desselben zu vermeiden. Zur Röntgenlokalisation leistete ihm stereo¬ 
skopische Aufnahme mittels eines von Feldröntgenmechaniker In¬ 
genieur Vogt hergestellten einfachen Spiegelstereoskops gute 
Dienste. Bei starker Knochenzertrümmerung (T-Brüchen der Kon- 
dylen) ist abwartende Haltung oder ein zu wenig radikaler Eingriff 
nicht ratsam, wenigstens bei Granatsplitterverletzung. Phlegmonöse 
Prozesse sind meist die Folgen der dabei eintretenden Infektion und 
frühzeitige Resektion angezeigt, wenn man schlimmen Komplikationen 
(Gasphlegmone) Vorbeugen will. R. bespricht die verschiedenen 
Gruppen, in denen konservatives Verfahren sich empfiehlt; die Mehr¬ 
zahl seiner Fälle hat R. im Sinne der Arthrotömie behandelt; er plä¬ 
diert für sie in jedem Fall von Einzelsteckschuss im Knie mit seinen 
Nebenhöhlen (ganz besonders bei Granat- und Minensplitter Ver¬ 
letzung). R. geht auf die Technik ein, benützt bei Fremdkörperent- 
iernung aus der Gelenkhöhle meist einen lateralen Bogenschnitt (ähn¬ 
lich dem Kocher sehen Resektionsschnitt). Der Kanal des Ge¬ 
schosses soll tunlichst gespalten werden; er verwendet als Spül¬ 
flüssigkeit 3 proz. Karbollösung mit nachfolgender Phenolkampfer¬ 
injektion. Ganz besonders sorgfältige Auswahl der Fälle ist für die 
Primärnaht der Kapsel angezeigt; alle Fälle, die schon Zeichen der 
Infektion bieten, scheiden aus. Bei sorgfältiger Fixation im Becken¬ 
gipsverband behandelt R. die Wunde selbst offen, bei nicht resezierten 
Fällen genügt die Nachbehandlung auf V o 1 k m a n n scher Schiene. 
28 Krankengeschichten werden kurz mitgeteilt. 

K. P r o p p i n g gib eine Arbeit über die Behandlung der Bauch¬ 
schüsse bei der Sanitätskompagnie und referiert über 27 Fälle (dar¬ 
unter nur 3 durch Infanteriegeschoss, 2 durch Schrapnellkugeln, d. h. 
meist Ar tilleriegeschosse); er ist auch der Ansicht, dass bei prinzipieller 
Laparotomie mit 40—50 Proz. Heilungen der operierten Fälle zu rechnen 
ist; er hatte 42 Proz. Heilungen seiner Fälle, bei denen in mehreren 
auch andere schwere Verletzungen mit Vorlagen. Bei einem Zeit¬ 
intervall von 3—4 Stunden ist die Mortalität am geringsten, doch will 
sich Pr. nicht an die Regel halten, nur innerhalb der ersten 12 Stunden 
zu operieren, da auch nach längerem Intervall noch Erfolge zu ver¬ 
zeichnen sind. Auch für ein Abwarten des Schocks ist er im allge¬ 
meinen nicht, da dieser sehr oft durch beginnende Peritonitis ver¬ 
anlasst ist. Unter dem relativ kleinen Material fanden sich 2 Bauch- 
wandschüsse, die zu intraperitonealer Darmruptur geführt hatten. In 
dem einen derselben hatte die Spannung des Leibes zur Laparo¬ 
tomie nach Revision der Wunde Anlass gegeben; primäre Revision 
der Wunde ist überhaupt bei Bauchwandschüssen angezeigt. Pr. be¬ 
stätigt die Ansicht von Ende r len und Sauer bruch. dass ein 
operierter, gut versorgter Bauchschuss auf einem rasch notwendig 
werdenden Transport weniger gefährdet ist, als ein nicht operierter 
uod dass die Transportfrage nicht als Kontraindikation der Laparo¬ 
tomie im Felde angesehen werden kann. Kann der Verletzte in kurzer 
Zeit auf gutem Wege dem Feldlazarett zu geführt werden, so ist die 

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Laparotomie diesem vorzubehalten; ist der Transportweg weit und 
schlecht und stehen vorne geeignete Räume zur Verfügung, kann die 
Laparotomie bei der Sanitätskompagnie indiziert sein. 

Küster und E. Martin geben Erfahrungen über chronischen 
Tetanus, serologische Diagnose, Klinik und Therapie und kommen 
unter Mitteilung mehrerer Fälle zu dem Schluss, dass es einen chro¬ 
nischen Tetanus durch Tetanusbazillenherdbildung in der Umgebung 
von Fremdkörpern gibt der zu spezifischer Tetanusagglutininbildung 
führt und an dieser erkannt wird und der zur Heilung gebracht werden 
kann, wenn es gelingt, auf operativem Wege den Bazillenherd zu ent¬ 
fernen. — R e n i s c h gibt einen Beitrag zum anaphylaktischen Schock 
nach Tetanusserumeinspritziungen. Sehr. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 145. Bd. 1 .— 2 . Heft. 

H. F. B r u n z e 1: Ueber eine eigenartige Form des paralytischen 
Ileus nach Genuss roher Vegetabilien. (Aus der chir. Abteilung des 
lierzogl. Krankenhauses zu Braunschweig.) 

Durch reichlichen Genuss roher Vegetabilien kann durch rapid 
einsetzende Gärungsvorgänge im Darmkanal das Bild eines Ileus mit 
oft ganz enormer Auftreibung des Leibes entstehen. Enthalten die 
Vegetabilien Phasine (Schmink- und Saubohnen nach K o b e r t), so 
kann es als Folge der PhasinWirkung noch zur Blutausscheddung im 
Darmkanal kommen. Bei unsicherer Diagnose Laparotomie. Analog 
der Tympanitis der Rinder wird die Bezeichnung „Trommel- oder 
Blähsucht“ vorgeschlagen. 

Arthur Wagner: Beitrag zur Chirurgie der GaUenwege. (Aus 
der chir. Abteilung des Alls. Krankenhauses in Lübeck [Leiter: Prof. 
Dr. Roth].) 

I. Zweifacher Gallensteinileus. Tritt einige Tage nach der Opera¬ 
tion eines Gallensteinileus, bei der ein fazettierter Stein entfernt 
wurde, wieder ein Ileus auf, so liegt die Diagnose der erneuten Ein¬ 
klemmung eines Steines nahe. Die Rosen b ach sehe Probe ist nicht 
beweisend für einen Darmverschluss. 

II. Totalgangrän und Selbstamputation der Gallenblase. Total¬ 
gangrän einer steinhaltigen Gallenblase, die in einer Abszesshöhle 
schwamm. Literatur. 

III. Cholangitis infolge infizierter idiopathischer Choledochus- 
zyste; sie ist angeboren und kann durch Verschluss der Papille und 
Gallenstauung vergrössert werden. Die Operation der Wahl ist die 
Gholedochoduodenostomie mit Naht oder Knopf. 

IV. Gallensteine im Ductus hepaticus und seinen Aesten. Ent 
femung entweder mit dem Finger von aussen oder iifetrumentell, ev 
nach Zerkleinerung oder Spülung. Bei Misserfolgen abwarten und 
später spülen. Des weiteren kommt in Frage die Hepaticotomia ex¬ 
terna oder interna. 

Kirschner: Ein Verfahren, die Knochen und die Gelenke der 
Fusswurzel übersichtlich freizulegen. (Aus der chir. Klinik der Uni¬ 
versität Königsberg i. Pr.) 

Durch einen von der Lis f r a n c sehen Gelenklinie bis in das 
obere Sprunggelenk durch Weichteile und Knochen geführten Schnitt, 
der in der Mitte zwischen Fussrücken und Fussohle verläuft, wird 
der Fuss in einen grösseren plantaren und kleineren dorsalen Ab¬ 
schnitt zerlegt. Durch breites Auseinanderklappen bekommt man 
eine freie Uebersicht und ungehinderten Zugang zu allen Gebilden 
der Fusswurzel. Die Beschränkung der Gebrauchsfähigkeit so ope¬ 
rierter Füsse ist gering. 

W i e d h o p f: Die Leitungsanästhesie der unteren Extremität. 
(Aus der chir. Abteilung des Res.-Laz. Ettlingen [Abteilungsarzt: Pri¬ 
vatdozent Dr. Franke- Heidelberg].) 

Die Anästhesie wurde ausgeführt nach den Erfahrungen von 
K e p p 1 e r, die Einspritzung der 4 Nerven mit 2 proz. Novokain- 
Adrenalin lösung ist in 5—10 Minuten auszuftihren, nach 20 weiteren 
Minuten besteht vollkommene Anästhesie mit motorischer Lähmung, 
die Anästhesie geht von der Haut bis auf die Knochen und von den 
Zehen bis zum Hüftgelenk. In 36 Fällen erlebte Verf. weder ein 
Versagen noch eine Schädigung des Patienten. 

Karl Franke: Ueber die Behandlung der Knochenfisteln nach 
Schussfraktur en. 

Erfahrungen an 318 Patienten. Bei frischen Fällen kommt man 
ev. ohne Aufmeisselung des jungen Kallus aus, in älteren Fällen gibt 
nur die Aufmeisselung gute Uebersicht, zumeist genügt die Ent¬ 
fernung des Sequester und Abflachung der entstehenden Knochen¬ 
höhle, grosse Höhlen müssen plastisch gefüllt werden, oberflächlichere 
mit gestielten Hautlappen, sonst mit gestielten Muskellappen. Bildung 
tieferer Hauttrichter ist zu vermeiden. Zumeist werden die Ein¬ 
griffe in Leitungsanästhesie ausgeführt. Hartnäckige Knochenfisteln 
sollen in Sonderlazaretten gesammelt werden. 

Walter Koennecke: Zur Kasuistik der eingeklemmten Her- 
nia obturatoria. (Aus der chir. Universitätsklinik Göttingen [Direktor: 
Prof. Stich].) 

Lösung der inkarzerierten Schlinge durch Einkerbung des Bruch¬ 
rings unten innen, Darmresektion, Heilung. 

H. Flörcken -Paderborn. 

Zeotralblatt für Chirurgie. Nr. 30, 1918. 

K. Propping -Frankfurt a. M.: Neue Wege zur Behandlung 
der Empyemhöhlen. 

Die Methode des Verfassers unterscheidet sich dadurch von der 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


044 

von Ritter, dass Verfasser noch eine Längsinzision der Pleura 
pulmon. hinzufügt, wodurch Verklebung beschleunigt und die Aus¬ 
dehnung der Lunge erleichtert wird. Verfasser rät die Operation 
frühzeitig zu machen und 2—3 Rippen zu resezieren, damit die Tam¬ 
ponade des extrapleuralen Raumes lange genug fortgesetzt werden 
kann. Oft ist Vorbereitung der Patienten mit Herzmitteln notwendig. 

Jos K e r c k e s - Pest: Ueber einen Fall von subkutanem 
Totalabriss der Flexura duodenojejunalls. 

Verf. schildert einen Fall von totalem Abriss der Flexura duo- 
denojejunalis; blinder Verschluss beider Stümpfe, Gastroenterostomia 
retrocol. post, mit Murphyknopf brachten- Heilung. Galle und Darm¬ 
saft gelangten also durch den Magen in den Darm ohne jede Schädi¬ 
gung für den Organismus; aber es empfiehlt sich, da Fremdkörper 
leicht das blind verschlossene Duodenum perforieren, die Stumpf¬ 
versorgung nicht mit Knopf, sondern mit Naht zu machen. 

E. F. Schmid-Stuttgart: Apparat zur Bildung einer Spitz¬ 
greifhand durch Ausnützung der Handgelenksbewegungen. 

An der Hand einer Abbildung beschreibt Verfasser einen 
Schienenapparat für Kriegsverletzte, welche eine im Handgelenk gut 
bewegliche, aber in sämtlichen Fingern aktiv unbewegliche Hand 
haben. E. Heim- zurzeit im Felde. 

Zentralblatt für Gynäkologe. VAb t Nr. 31. 

W. Stoeckel-Kiel: Nekrolog für Philipp Jung. 

E. Mitscherlich -Freiburg i. B.: Einmalige Bestrahlung oder 
Serienbestrahlung bei Myomen und Metropathien? 

Kritik der K ir s t e i n sehen Arbeit in Nr. 20 des Zbl. Verteidi¬ 
gung der Freiburger Methode einmaliger Bestrahlung, deren Resultate 
der letzten 3 Jahre ausgezeichnet sind. 

E. Herz-Rzeszow (Galizien): Zur klinischen Diagnose der 
Zervixplazenta. 

Kasuistischer Beitrag im Anschluss an Jaschkes Veröffent¬ 
lichung über den gleichen Gegenstand in Nr. 46, 1917 des Zbl. 

Werner- Hamburg. 

Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 31, 191». 

Alfred Goldscheider zum 60. Geburtstag. 

F. Kr aus-Berlin: A. Goldscheider zum 60. Geburtstag. 

Zeichnung von Lebenswerk und Stellung des Jubilars. 

A. Bier: Ueber die Behandlung der sog. „chirurgischen“ Tuber¬ 
kulose in eigenen Anstalten und Krankenhausabteilungen. 

B. geht zur Forderung über, dass die operativ-chirurgische Be¬ 
handlung der Knochen-, Gelenk-, Drüsen- und Hauttuberkulose nicht 
mehr berechtigt ist und nicht mehr ausgeübt werden darf. Die 
Sonnenbehandlung ist allen andern Behandlungsarten weit überlegen. 
B. hat den Versuch im grossen unternommen, zu zeigen, dass die letz¬ 
tere Behandlungsmethode auch in der Ebene sich mit Erfolg durch¬ 
führen lässt. Die Strahlenenergie der Sonne ist in der Ebene aller¬ 
dings etwas geringer, dagegen ist die Behauptung von der besonderen 
Wirksamkeit der violetten und ultravioletten Strahlen sicher unrich¬ 
tig. Verf. weist auf die sehr guten Ergebnisse der Sonnenlichtbehand¬ 
lung in der Anstalt Hohenlychen bei Berlin hin. 

H. Oppenheimer - Berlin: Zur Kenntnis der Polyneuritis. 

Verf. erwähnt in Kürze einige seiner persönlichen Beobachtungen 
von Polyneuritisfällen, die ätiologisch interessant sind (Polyneuritis 
nach Erysipel des Schlundes, nach akuter Morphiumvergiftung, nach 
Verwundungen etc.) und bespricht kurz den Faktor der persönlichen 
Disposition. In allen Fällen bewährte sich allgemeine Diaphorese 
und örtliche Heissluftbehandlung. Später schliessen sich an diese 
mechanische und elektrische Heilverfahren. 

G. Klemperer -Berlin: Uebergänge zwischen Nervosität und 

Arteriosklerose. , 

Innerhalb einer kurzen Erörterung über dieAetiologie der Arterio¬ 
sklerose lenkt Kl. die Aufmerksamkeit auf Fälle, wo eine gewisse Ver¬ 
stärkung des Blutdrucks und namentlich die diagnostisch so wichtige 
Verstärkung des 2. Aortentons im Laufe längerer Zeit einer Rück¬ 
bildung fähig sich erwiesen. Es sind das Fälle, wo, ähnlich wie in 
Fällen langdauernder Ueberanstrengung durch eine nervös-psychische 
Aetiologie sich die Anzeichen einer Arteriosklerose entwickelt haben, 
ein Zustand, der als ein „funktionelles Vorstadium“ dieser Krankheit 
zu betrachten ist. Doch ist eine Rückbildung der Verstärkung des 
2. Aortentons, des erhöhten Blutdruckes, die aus dieser Aetiologie 
heraus entstanden waren, kein allzu häufiges Vorkommnis. Die Rück¬ 
bildung bei Fällen, in denen es sich um die Folge von Ueberanstren- 
gungen gehandelt hat, sind häufiger. Bezüglich der Therapie hat 
Verf. Gutes von langem Gebrauch kleiner Arsendosen gesehen. 

L. Kuttner-Berlin: Ueber Arsenintoxlkationen. 

K. berichtet über eine grössere Untersuchungsreihe, deren che¬ 
mischer Teil von dem inzwischen verstorbenen Loeb ausgeführt 
Ist, behufs Feststellung von Arsenintoxikationen in sonst nicht auf¬ 
zuklärenden Krankheitszuständen. Es ergab sich, dass Arsen in der 
Tat relativ häufig eine Rolle spielt, indem gewisse Gebrauchsgegen¬ 
stände oder Medikamente mehr oder minder Arsen enthalten, beson¬ 
ders aber ein grösserer Gehalt der Zimmertapeten an Arsen vorliegt. 
Die Untersuchung des Harns nach einer von Loeb angegebenen 
Methode erwies sich dabei besonders brauchbar. Es ist wichtig, zu 
entscheiden, ob der gesetzlich gestattete Arsengehalt ln Tapeten und 
gewissen Gebrauchsgegenständen nicht zu hoch gegriffen ist. 

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R. Ehrmann -Neukölln : Zur Entstehung des Magen- und 
Zwölffingerdarmgeschwürs. 

Nach den von Verf. angestellten Untersuchungen scheint es, dass 
der Anlass zur Entstehung dieser Erkrankungen in einem chronischen 
Trauma des Magens durch Druck von aussen gesucht werden muss, 
sei es durch Korsett, Kleiderbinden, Leibriemen, Koppel, durch ge¬ 
bücktes Sitzen, durch Druck einer vergrösserten Leber. Dieser 
mechanische Druck führt zu Verletzungen der Magenschleimhaut be¬ 
sonders leicht, wenn der Magen durch grobe Kost stark gefüllt ist. 

Hans K o h n - Berlin: Zur Frage der extrakardialen Blutbewe¬ 
gung. 

Vergl. Bericht der M.m.W. über die Sitzung der Berl. in. Ges. 
vom 29. Mai 1918. G r a s s m a n n - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. 1918. Nr. 31. 

N a e g e 1 i - Zürich: Ueber die Konstitutionslehre ln ihrer An¬ 
wendung auf das Problem der Chlorose. 

Auf Grund von Untersuchungen an 46 Fällen bestreitet N. das 
Bestehen einer Hypoplasie der Gefässe und des Herzens. Ein hypo¬ 
plastischer Uterus ist oft gefunden worden. Jedoch handelt es steh 
hierbei nur um eine zeitliche Hemmung der Entwicklung. Die Chloro- 
tischen sind weder schwächlich, noch widerstandslos Krankheiten 
gegenüber. Eine konstitutionelle Albuminurie wurde nie gefunden. 
Oft bestand eine ausgesprochene Lymphozytenreduktion. Die Kon- 
stitutionsanomalie besteht nur m einer vererbbaren Hypofunktion 
der Ovarien. Dadurch wird korrelativ eine Ueberfunktion des Ad¬ 
renalinsystems erzeugt. 

E. Payr- Leipzig: Ueber die Wlederblldung von Gelenken, Ihre 
Erscheinungsformen und Ursachen; funktionelle Anpassung — Re¬ 
generation (Schluss folgt.) 

H. Boruttau -Berlin: Ueber Wiederbelebung bei Herzkammer- 
fiimmern mit besonderer Berücksichtigung auf Narkose- und Stark¬ 
stromunfälle. 

B. empfiehlt die intrakardiale Injektion von kampferhaltiger Salz¬ 
lösung, die frei von Kalk ist, bei „Sekundenherztod“. Daneben muss 
künstliche Atmung und Herzmassage vorgenommen werden. 

M. L Ö h 1 e i n : Zur Pathogenese der Nierenkrankhelten. Eine 
Kritik der Volhardschen Lehre. I. Die akute Glomerulonephritis. 
Polemik gegen die V o 1 h a r d sehe Auffassung. 

M. Simmonds -Hamburg: Atrophie des Hypophysisvorder¬ 
lappens. und hypophysäre Kachexie. 

Vortrag in Hamburg, s. S. 441. 

W. Alexander -Berlin: Polyneuritis ambulatorla. 

Mitteilung einiger Fälle von Polyneuritis, die zufällig bei anderen 
Krankheiten entdeckt wurden. Es bestehen keine Beschwerden von 
Seiten der Polyneuritis; es fehlen Lähmungen und Sensibilitäts- 
Störungen. Die Prognose dieser leichteren Polyneuritis ist gut. 

Oskar Orth- Forbach: Seltener Verlauf einer Pankreaserkran¬ 
kung. 

Mitteilung eines Falles, in dem eine Patientin eine akute trau- 
matogene Pankreatitis durchmachte; nach 2 Jahren kam es zu einer 
akuten Pankreasnekrose und 6 Wochen später zu einer eitrigen Pan- 
creatitis gangraenosa, die sich in der Tiefe bildete und beim Durch¬ 
bruch eine Arrosionsblutung veranlasste, der die Pat. erlag. 

Arthur Mayer- Berlin: Veränderungen der Bauchspeicheldrüse 
bei der Weil sehen Krankheit. 

In 4 Fällen von Weil scher Krankheit kam es zu sehr starken 
Schmerzen, die wohl auf Reizung des Plexus solaris zurückzuführen 
sind. Stuhluntersuchung und Funktionsprüfung des Pankreas ergaben 
schwere Störungen dieses Organs. In einem Falle entwickelte sich 
im Anschluss hieran eine Leberaffektion. 

Drewitz- Berlin: Fliegendichte Latrine mit selbsttätigem 
Klappendeckel. Beschreibung derselben. 

D i 11 h o r n und B o v i n s k i - Berlin: Fawestol — Betalysol — 
KresotlnkresoL 

Polemik gegen N e u f e 1 d und K a r 1 b a u m, denen gegenüber 
aufrecht erhalten wird, dass die Fawestollösungen den Kresolseifen- 
lösungen zum mindesten entsprechen. Die scheinbare Ueberlegetiheit 
des Betalysols in den Versuchen von N e u f e 1 d und Karlbaum 
erklärt sich dadurch, dass jenes Präparat 70 Proz. und nicht 50 Proz. 
Kresol enthält. Böen heim - Rostock. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Heidelberg. Juli 1918. 

Cohn Minna: Klinischer Bericht über 220 Fälle von Pleuraempyem 
bei Kindern. 

Mendelssohn Elli, geb. Wirigendorf: Zwei Fälle von Fremd- 
körperverletzungen in der vorderen Kammer des Auges. 
Richter Franz Richard: Die Behandlung von Kniegelenk-Schuss¬ 
verletzungen, ein Beitrag zur Kasuistik dieser Frage. 
Stefanowski Antoni: Experimentelle Untersuchungen über de- 
generative und atrophische Zustände an der quergestreiften Mus¬ 
kulatur mit Berücksichtigung des intermuskulären Bindegewebes. 
Stein Ida: Ueber ein Teratom im vorderen Mediastinum. 
Volkmar Alice: Statistische Mitteilungen über 7000 Tuberkulin- 
Impfungen an der Heidelberger Kinderklinik. 


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20. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Vereins- und Kongressberichte. 

Medizinische Gesellschaft zu Chemnitz. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 15. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Naiiwerck. 

Schriftführer: Herr Schuster. 

Herr Weber: Friedreich sehe Ataxie. (Krankenvor- 
stellung.) 

1. 30jähr. Soldat. Vater Potator. Sonst keine Heredität. Von 
Jugend auf unsicher beim Gehen, ausreichende Schulleistungen, hat 
Schuhmacher gelernt, ist selbständig. Seit 1917 eingezogen, aber nur 
im Bekleidungsamt gearbeitet. Wird jetzt wegen zunehmender Un¬ 
sicherheit in den- Beinen untersucht. 

Stark ataktischer Gang. Bauchdcckenreflexe erhalten. Patellar¬ 
reflexe fehlen. Achillesreflexe +. Kein Babinski. Sensibilität in 
Ordnung, aber Vibrationsgefühl fehlt am rechten Bein. Pupillenver¬ 
hältnisse und Augenhintergrund normal, kein Nystagmus. Wasser¬ 
mann und alle übrigen Reaktionen im Blut und Liquor negativ. 
Psychisch nicht verändert. Hier fehlt also von den typischen Sym¬ 
ptomen nur Nystagmus und Babinskistellung der Füsse. Bei dem 
frühzeitigen Beginn der Symptome in der Jugend, bei dem sonst 
typischen Verlauf, der auf keine andere organische Erkrankung 
passt, kann hier nur an Friedreich gedacht werden, obwohl 
gleichartige Heredität nicht zu finden ist. 

Für die militärische Begutachtung kommt hier D. B. nicht in 
Frage. 

2. und 3. 2 Geschwister, deren Vater im Feld gefallen ist. 

Mutter gesund. Ein Bruder an Zahnkrämpfen gestorben. 

Frieda K., jetzt 16 Jahre. Fing vor 6 Jahren an, unsicher zu 
geben, zeigte schlechte Sprache. Vor 5 Jahren zum 1. Male unter¬ 
sucht. Damals schon Patellarreflexe herabgesetzt Babinski links 
deutlich. Bauchdeckenreflexe fehlten. Jetzt Patellarreflexe voll¬ 
kommen fehlend. Pupillenreaktion erhalten. Deutlicher Babinski 
und Babinskistellung des linken Fusses. Hypotonie in beiden Beinen. 
Ist jetzt hochgradig unsicher beim Stehen und kann gar nicht mehr 
ohne Unterstützung gehen. Sprache langsam, stockend. Ausserdem 
sehr viel choreatische Bewegungen in der Gesichtsmuskulatur. Psy¬ 
chisch: stark verblödet. 

Hilde K., jetzt 11 Jajire. Hat seit 2 Jahren Unsicherheit beim 
Gehen und langsame Sprache bekommen. Im Februar 1917 Kranken¬ 
hausbeobachtung. Damals gesteigerte Reflexe, Stauungspapille. Ny¬ 
stagmus zeitweise angedeutet. Jetzt keine Stauungspapille mehr, 
Sehschärfe herabgesetzt. Keine deutliche Sehnervenatrophie. Bauch¬ 
deckenreflexe erhalten. Patellarreflexe fehlen. Achillesreflexe +. 
Kein deutlicher Babinski. Keine Fussdeformität Beim Gehen und 
Stehen deutliches Schwanken, das beim Gehen mit geschlossenen 
Augen stärker wird. Sprache sehr langsam und verwaschen. Psy¬ 
chisch: nicht sehr leistungsfähig. 

Die beiden Schwestern zeigen die meisten typischen Symptome 
der Friedreich sehen Erkrankung, die ältere besonders auch die 
Babinskistellung des Fusses und choreatische Symptome. Die Ge¬ 
samtheit der Symptome passt auf keine andere organische Erkran¬ 
kung. Auffällig ist, dass bei der jüngeren Schwester zu Beginn der 
Erkrankung Stauungspapille und gesteigerte Patellarreflexe vorhan¬ 
den waren, weshalb damals die Diagnose auf Kleinhirntumor gestellt 
wurde. Jetzt sind diese beiden Symptome verschwunden und der 
typische Friedreichbefund vorhanden. Sicher besteht jetzt kein 
raumbeengender Prozess in der Schädelhöhle. 

Dieser Fall, sein Verlauf und wechselnder Befund ist vielleicht 
charakteristisch für die Uebergangsformen, welche Pierre Marie 
als zerebellare Herdoataxie von der eigentlichen Friedreich- 
schen Erkrankung abgrenzen wollte. Dieser Fall würde aber den 
nahen Zusammenhang dieser beiden Formen erweisen, 

Herr Ochsenius: Zur Kenntnis der Erythrodermia desquama- 
tfva I.einer. 

Demonstration zweier Kinder mit Erythrodermie, das eine 2 Mo¬ 
nate alt, im floriden Stadium, das andere, 7 Monate alt. repariert, 
ausser einer fünfmarkstückgrossen schuppenden Stelle in der Gegend 
der kleinen Fontanelle nur noch Wundsein an den Prädilektions¬ 
stellen der exsudativen Diathese (Leistengegend, Hals, Achsel und 
Ohrläppchen) aufweisend. Bei dem ersteren Kinde nahm die Der¬ 
matose ihren Ausgang vom Kopfe (cf. L e i n e r), bei dem zweiten 
von einer Intertrigo (cf. M o r o). Dies scheint gerade bei den 
Kindern, die ausser der Erythrodermie eine exsudative Diathese 
aufweisen, der Fall zu sein. Aber nicht alle Kinder mit Erythro¬ 
dermie zeigen später Erscheinungen von exsudativer Diathese. Nach 
Ansicht des Vortragenden .handelt es sich um ein zufälliges Zu¬ 
sammentreffen beider Krankheitszustände. 

Die verbreitete Ansicht, dass die Erythrodermie ausschliesslich 
heruntergekommene Kinder befiele, ist unzutreffend. Sehr wichtig 
für die Entscheidung, ob die Haut- oder die Darmsymptome das 
Primäre sind, erscheint die Feststellung Stoltes, dass Kinder mit 
späterer Erythrodermie sich durch eine aussergewöhnlich starke Ent¬ 
wicklung der Vernix caseosa auszeichneten. 

In dem vorliegenden zweiten Falle trat bei einem vorzüglich ge¬ 
deihenden, kräftigen Brustkind die Dermatose primär auf; erst nach- 

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träglich stellte sich starkes Erbrechen ein. das mit Atropin erfolgreich 
bekämpft wurde, ohne aber dass die Gewichtsabnahme verhindert 
werden konnte. Einleitung einer Zwiemilchernährung mit 1 mal Eiweiss¬ 
milch + Schleim -f- Nährzucker. Auf Buttermilch ohne Zusatz 
reagierte das Kind mit 12 dünnen Stühlen; Griesssuppe wurde gleich¬ 
falls nicht vertragen. Die nervöse Uebcrempfindlichkeit des Darmes 
ging bei dem Kinde so weit, dass es sogar auf den- Genuss von 
Kriegsbrot seitens der Mutter mit Durchfall reagierte. Die Labilität 
des Nervensystems bei Erythrodermiekindern, die Vortragender bis zu 
6 Jahre hindurch beobachtet bat, wird in der Literatur zu wenig 
gewürdigt. 

Ein Rezidiv der Hautsymptome, das bei aufsteigender Gewichts¬ 
kurve sich einstellte, verursachte zwei Tage nach seinem Beginne 
wieder starkes Erbrechen; ein erneuter Beweis dafür, dass die Haut¬ 
symptome das Primäie sind. 

Ungestörtes Gedeihen des Kindes erst bei einmaliger Zufütteruiig 
von Czernysuppe zur Brust. 

Wie M o r o hat Vortragender von 12 Fällen keinen verloren, 
im Gegensatz zur Prognosenstellung L e i n e r s und Birks. 

An der Diskussion beteiligt sich Herr Schuster, der 
gleichzeitig Photogramme eines 2 jährigen Kindes mit Erythrodermie 
vorlegt, das an Ernährungsstörung erkrankt war und bei entspre¬ 
chender Behandlung jetzt nahezu geheilt ist. 

Herr Rolfs stellt einen Fall von ausgedehntem geschwürigen 
Defekt des weichen Gaumens Vor. 

25jähr. Mädchen, ohne erbliche Belastung; keine Kinderkrank¬ 
heiten; vor 2 Jahren Rachendiphtherie, von anderer Seite mit 
Serum behandelt und angeblich glatt geheilt. Beginn der jetzigen 
Erkrankung mit Sicherheit nicht festzustellen, aber sicherlich vor 
Januar 1918. Status praesens: Gute Allgemeinernährung, niemals 
Fieber, Brust- und Bauchorgane ohne nachweisbare krankhafte Ver¬ 
änderungen, Haut und Schleimhäute vollständig frei, keine Lymph- 
drüsen, auch submaxillar nicht. Der Defekt des weichen Gaumens 
besteht in fast totalem Verlust der Uvula und der beiden vorderen 
Gaumenbögen. Seit Januar in ganz langsamem Fortschreiten be¬ 
griffen. In ätiologischer Beziehung ist dem Vorstellenden primäre 
Tuberkulose am wahrscheinlichsten, doch soll versucht werden, durch 
Exzision geeigneter Partien der Geschwürsränder nähere Aufklärung 
herbeizuführen. 

Herr Nauwerck: 1. Gasbrand (malignes Oedem) nach sub¬ 
kutaner Injektion. (Demonstration.) 

Eine 44jähr„ an Koronarsklerose und fibröser Myokarditis lei¬ 
dende, nicht hydropische Frau erhält am 20. XL 17 nachm. 2 Uhr am 
rechten Oberschenkel Kampferöl und 40proz. Koffein-Natriumsalizylat- 
lösung äa 1 ccm subkutan injiziert. Sie klagt nach der Einspritzung 
über starke Schmerzen; man sieht an der Einstichstelle nichts; am 
Abend ist die Umgebung erheblich druckschmerzhaft Temp. mor¬ 
gens 36°, abends Kollaps, Temp. 36,8°, Puls 36. Am 21. heftige 
Schmerzen; die Umgebung ist gerötet und bis zum Knie geschwollen; 
Sdmeeballknirschen; das Hautemphysem nimmt im Laufe des Tages 
merklich zu und schreitet bis unterhalb des Knies, nach aufwärts 
bis in die rechte Unterbauchgegend vor. Temp. morgens 36°, abends 
39,9°, Puls 56; andauernd hochfieberhaft. Arme, Kopf, linkes Bein 
bleiben bis zu dem am 22. nachmittags gegen 4 Uhr erfolgten Tod 
frei von Hautemphysem. Krankheitsdauer rund 50 Stunden. 

Bei der am folgenden Morgen vorgenommenen Sektion fand 
ich, dass das Hautemphysem seither sich auf den ganzen Körper mit 
Ausnahme des Kopfes verbreitet hatte; im ballonierten Herzen, 
dessen Muskulatur von Gasblasen durchsetzt war, in der Aorta, in den 
Lebervenen erwies sich das Blut als schaumig; im Magen bestand 
Emphysem der Schleimhaut: postmortale, bazilläre Veränderungen 
am Herzen mikroskopisch lediglich mit Verdrängungserscheinungen 
durch die Gasentwicklung; vielleicht agonal beginnend; wenigstens 
konnte der Befund an den schwarzroten, ungemein blutüberfüllten, 
nicht emphysematosen Nieren, die bazilläre Ausgüsse nicht bloss von 
Gruppen intertubulärer Kapillaren, sondern auch von Lichtungen- ein¬ 
zelner Harnkanälchen zeigten, diesen Verdacht erwecken. Herz und 
Aorta mit starker Imbibition. Hautdecken und Skleren leicht ikterisch; 
die Gallenprobe positiv. Stauungsmilz. 

Der rechte Oberschenkel erschien besonders stark emphyse¬ 
matos geschwollen, mitsamt den angrenzenden Gebieten dunkelblau¬ 
rot, mit zahlreichen Hautblasen versehen; auf Einschnitten Hessen sich 
an der Injektionsstelle besondere Veränderungen, etwa Blutungen, 
nicht nachweisen. Stark verändert war die Muskulatur bis in die 
Tiefe, sanguinolent, von Gasblascn durchsetzt, weich, bis zu stellen¬ 
weise breiiger Beschaffenheit, nicht stinkend, ohne Spur von Eiterung. 
Eine irgendwie auffällige ödematöse Durchtränkung war an den 
Weichteilen nirgends festzustellen. 

Zur bakteriologischen Untersuchung wurde die be¬ 
schriebene Muskelsubstanz verwendet. Sie ergab ausschliesslich die 
Anwesenheit eines kürzeren, auch in längeren Exemplaren ver¬ 
tretenen Bazillus mit abgerundeten Enden; streng anaerob; beweg¬ 
lich; Gram-positiv auch bei Anwendung der Originalvorschrift: reich¬ 
liche Bildung ovaler, mittel-, nur ganz ausnahmsweise endständiger 
Sporen; minimale Gasentwicklung in Traubenzuckeragar. Die Tier¬ 
impfung, subkutan am Bauch teils mit Muskelbrei, teils mit Kul¬ 
turen vorgenommen, machte Meerschweinchen innerhalb 
4 Tagen sterben; an der Impfstätte fand sich eine mächtige, den 
Bauch mehr weniger vollständig einnehmende, subkutane Aus- 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


Schwitzung seröser, meist leicht blutig gefärbter, nicht stinkender, 
bewegliche Bazillen enthaltender Flüssigkeit; Gasentwicklung fehlte 
oder beschränkte sich aui einzelne, kleinste Bläschen im Bindege¬ 
webe an der Grenze des scharf umschriebenen Oedems. Ebenso 
geimpfte Kaninchen erkrankten vorübergehend* gestorben ist keines. 

Bakteriologisch lag somit malignes Oedem, klinisch ein 
dein Gasbrand zuzurechnendes Bild vor. 

Für die Annahme einer Mischinfektion Hessen sich, auch bei der 
histologischen Untersuchung, keinerlei Beweise beibringen. Neue 
mkroskopische Befunde kann ich nicht beibringen; die Muskelfasern 
zeigten ausgedehnte, ungleich verteilte Nekrose, teils unter Er¬ 
haltung der gröberen Struktur, teils unter Verklumpung; massenhaft 
teils zerstreut, teils in Zügen liegende, sporeniose Bazillen; von Ent¬ 
zündung zeugten lediglich vereinzelte kleine Häufchen polynukleärer 
Leukozyten oder feinkörniger Massen. 

Von den benutzten Injektionsflüssigkeiten erwies sich das 
Kampferöl als harmlos. Dagegen tötet 1 ccm der leicht getrübten 
Koffein-Natr’iumsalizylntlös.ung nach subkutaner Bauch- 
imptung Meerschweinchen unter dem geschilderten Bilde innerhalb 
von 24 Stunden. Die bakteriologische Weiteruntersuchung fiel eben¬ 
falls entsprechend aus. Kaninchen überstanden die Impfung. 

Wie die Infektionserreger in die Koffeinlösung gelangt sind, ver¬ 
mag ich nicht zu sagen. Ob durch Zimmerstaub, ob vermittels tieri¬ 
scher oder menschlicher Dejektionen, ob durch Milch? Die Flüssig¬ 
keit war, wie immer, vor der Verabfolgung am 18. X. 20 Minuten im 
strömenden Dampf, das Fläschchen im gespannten Dampf sterilisiert 
worden, und wenn auch damit bei det bekannten Widerstandsfähig¬ 
keit der betreffenden Sporen sicherer Schutz nicht gewährleistet sein 
mochte, so dünkt mich eine spätere Verunreinigung doch wahr¬ 
scheinlicher. Die 50 ccm Lösung war zum grösseren Teil ohne 
Schaden aufgebraucht worden, wir werden aber gleich sehen, dass 
hieraus der Schluss, die Lösung sei zunächst tatsächlich steril ge¬ 
wesen, nicht sicher gezogen werden darf. 

Ich habe von Infektionserregern gesprochen, obgleich 
von berufener Seite noch in der letzten Zeit gegen diese Auffassung 
Widerspruch erhoben wurde. So schreibt R. Pfeiffer (B.kl.W. 
1918, Nr. 4, S. 94): „Als eine Infektion im wahren Sinne des Wortes 
vermag ich die Gasphlcgmone nicht aufzufassen. Es handelt sich 
vielmehr um die Wucherung halb oder ganz saprophytischer Erd- 
anaeroben in den schwergeschädigten und in Nekrobiose befindlichen 
Geweben, besonders den Muskeln. Gegen diese Auffassung spricht 
auch nicht die Tatsache, dass der Bazillus Fraenkel und das maligne 
Oedem für gewisse Tierarten eine erhebliche Infektiosität besitzen. 
Wäre auch der Mensch für sie in entsprechendem Masse empfind¬ 
lich, müssten die Gasphlegmonen auch nach Friedensverletzungen 
viel häufiger Vorkommen, und es müsste ferner ihre Entstehung auch 
nach leichteren Verwundungen, wenn Erde in die frische Wunde 
gelangt, viel öfters beobachtet werden, als dies tatsächlich der 
Fall ist.“ 

Die von R. Pfeiffer anerkannte Infektionstüchtigkeit für be¬ 
stimmte Tierarten ist wesentlich durch subkutane Injektion der frag¬ 
lichen Bazillen erwiesen worden, und R. Pfeiffer sieht sicherlich 
in diesem Eingriff keine schwere Schädigung der Gewebe. Nun liegen 
aber schon eine ganze Reihe von Gasbrandfällcn nach subkutaner 
Einspritzung (Moschustinktur, Morphiumlösung, Koffein, Kochsalz- 
infusion) auch beim Menschen vor,die sich sogar neuerdings in be¬ 
dauerlicher Weise zu mehren scheinen, und was beim Versuch an 
den kleinen Tieren bei den zarten anatomischen Verhältnissen in 
seiner Ausdeutung als Infektion* Recht ist. dürfte bei dem robusteren 
Menschen desto eher billig sein. Ich verweise im übrigen gerne auf 
die entsprechenden Auseinandersetzungen Eugen Fraenkels 
(Anaerobe Wundinfektionen, 1917, S. 395 ff.), mit dem ich auch darin 
übereinstimme, die Schwere einer Verletzung allgemein nicht etwa 
als bedeutungslos für den Eintritt der Infektion hinstellen zu wollen. 

R. Pfeiffer betont zugunsten seiner Auffassung, dass der 
Gasbrand, wenn es sich tatsächlich um echte Infektionen handelte, 
auch in normalen Zeitläuften viel häufiger Vorkommen müsste. In 
dieser Richtung sind nun die Begleitumstände meines Falles von 
einer gewissen Bedeutung, die mich eigentlich in erster Linie be¬ 
wogen hat, ihn hier mitzufeilen. Bevor die Injektionsflüssigkeiten 
eingezogen wurden, bekamen nämlich noch zwei Kranke, ältere, hocli- 
iieberhafte Individuen, das eine mit septischer Pneumonie, das andere 
mit Pneumonia cruposa, genau die gleiche kombinierte Einspritzung 
an gleicher Stelle von der gleichen Hand verabfolgt, ohne dass sich 
irgendwelche üble Folgen lokal oder allgemein gezeigt hätten; beide 
Kranke genasen. 

Da es sich um dieselbe hochvirulente Flüssigkeit handelte, so 
bleibt nur der Schluss übrig, dass beim Menschen die Empfindlichkeit 
für das maligne Oedem, um bei diesem stehenzubleiben, ganz 
ausserordentlich verschieden sein muss. Durch diese individuelle 
Disposition oder, wenn man lieber will, diese individuelle Immunität 
wird indessen die Krankheit ihres Charakters als einer echten In¬ 
fektion selbstverständlich nicht entkleidet. Eine genauere Erklärung 
lässt sich nicht geben; Brieger und Ehrlich hielten es für 
möglich, dass die von ihnen angenommene Immunität des gesunden 
Menschen durch Infektionskrankheiten (Typhus, Diphtherie) auf¬ 
gehoben werde; Eugen Fraenkel widerspricht dem unter dem 
Hinweis auf die Erkrankung sonst gesunder, verwundeter Soldaten; 


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und bei meinen Fällen erkrankte gerade eine nichtfnfizierte Person, 
während zwei hochfieberhafte, infizierte Kranke bei demselben Ein¬ 
griff gesund blieben. 

2. Demonstration des positiven Ausfalls der W e i 1 - F e 11 x sehen 
Fleckfieberreaktion (Titer 1 :3200) bei einem aus der Ukraine zurück¬ 
gekehrten Telegraphisten, nach etwa 14 tägiger Krankheitsdauer; die 
früher vorgenornmene bakteriologische Untersuchung auf Typhus und 
Paratyphus war negativ geblieben; ein nachträglich exzidiertes Haut- 
stiiek bot mikroskopisch keine diagnostischen Anhaltspunkte mehr. 


Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 15. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Sc hi eck. 

Schriftführer: Herr F i e 1 i t z. 

Herr Anton: Aerztliche Beurteilung der Entwicklungsstörungen 
am Kopfröntgenbild. 

Herr Anton: Neuere Vorschläge zur Behandlung der Muskel¬ 
atrophien (amyotrophische Lateralsklerose). 

Herr Pfeifer: Krankenvorstellung. 

S i t z u n g v o m 5. Juni 1918. 

Herr Sernau: Zwei Fälle von Gehirnstörung bei Karotlsver- 
letzung. 

Herr Sernau stellt zwei Fälle von Karotisverletzung vor. Bei 
dem einen Falle handelte es sich um eine durch Gesichtsschuss auf¬ 
getretene Blutung aus der linken Maxillaris interna. Da die Blutung 
trotz Unterbindung der Carotis externa nach 16 Tagen noch 
nicht zum Stillstand gebracht war, wurde die linke Carotis 
communis unterbunden. Seit der Unterbindung sind 10 Monate 
vergangen. Es bestehen noch motorisch-aphatische und artikula- 
torische Sprachstörungen, sowie Hemiplegie der rechten Glied¬ 
massen. Die mangelhafte Restitution wird mit dadurch zu erklären 
versucht, dass der Kranke bei der Unterbindung bereits stark aus¬ 
geblutet war. Vielleicht spielen auch Gefässanomalien eine Rolle. 

In dem anderen Falle handelte es sich um ein durch Gewehr¬ 
schuss entstandenes Aneurysma der linken Qarotis com¬ 
munis. Er blieb l 'l* Jahr beschwerdefrei. Dann ohne jede äussere 
Ursache (Mann ist Schreiber) Embolie mit allerdings nur flüchtiger 
rechtseitiger Hemiplegie, motorischer Aphasie, Alexie, Agraphie. 
jetzt — 3 Jahre nach Verletzung — etwa vierwöchentlich schwere 
Konvulsionen. Starke Beeinträchtigung der geistigen Persönlichkeit. 
Es wird daraus geschlossen, dass solche Aneurysmen möglichst bald 
chirurgich anzugehen sind, auch wenn sie zunächst keine Bechwer- 
den machen. 

Besprechung: Herr Pfeifer demonstriert im Anschluss 
an den Vortrag 2 Fälle von Schussverletzung der Art. carotis interna 
mit nachfolgenden Störungen von seiten des Gehirns. In dem einen 
Fall handelte es sich um eine Granatsplitterverletzung der linken 
Halsseite, welche ein Aneurysma der linken Carotis interna im Ge¬ 
folge hatte. Zerebrale Störungen bestanden zunächst nicht. Der im 
Feldlazarett vorgenommene Versuch, das Aneurysma zu exstirpieren, 
erwies sich als unausführbar. Die Carotis interna wurde darauf 
unterbunden. Im Anschluss an die Unterbindung traten Krämpfe 
und Benommenheit ein sowie Ausfallserscheinungen von seiten der 
linken Hemisphäre in Form von rechtseitiger Hemiplegie mit Stö¬ 
rung der oberflächlichen und tiefen Sensibilität, Stereoagnose, totaler 
Aphasie, partieller rechtseitiger Okulomotoriuslähmung und recht¬ 
seitiger Hemianopsie. Der Fall bietet dadurch besonderes Interesse, 
dass nicht nur die Aeste der Carotis interna, insbesondere die Art. 
cerebri media, sondern auch die aus der Art. vertebralis stammende 
Zerebri posterior wohl infolge von Thrombose auf dem Wege durch 
den Circulus arteriosus Willis» betroffen waren. In dem zweiten 
Fall trat sofort im Anschluss an völlige Zerreissung der rechten Art. 
carotis interna linkseitige Hemiplegie, verbunden mit Störung der 
Hautsensibilität, der Tiefensensbilität und des Tas4vermögens der 
linken Hand ein. Was die Unterbindung der Art. carotis interna in 
dem ersten Falle betrifft, so wäre wohl ein konservatives Ver¬ 
fahren in Fällen, wo das Aneurysma weder zerebrale noch schwerere 
lokale Störungen verursacht, angezeigt. 

Herr Grund berichtet zum Vergleiche über einen Fall, bei dem 
eine schwere Lähmung nach Unterbindung der Vena jugularis interna 
eingetreten war. 

Unmittelbar nach der Unterbindung Bewusstseinstrübung. Am 
anderen Morgen Lähmung der gegenüberliegenden Körperseite inklu¬ 
sive des N. facialis, aphatische Störungen, deren Umfang bei dem 
öjähr. Knaben nicht bis ins Einzelne festgestetlt werden konnte, 
ausserdem gleichseitige Augensymptome entsprechend einer Sym¬ 
pathikuslähmung. Im Laufe der nächsten Monate trat allmählich 
langsamer werdender Rückgang der motorischen und aphatischen 
Störungen ein, doch sind spastischer Gang und Fingerstrecklähmung 
zurückgeblieben. 

Interessant war eine mehrere Tage bestehende venöse Stauung 
im gleichseitigen Augenhintergrunde ohne Papillenveränderungen. 

Als Erklärung kommt fortschreitende Thrombosierung von der 
Untcrbindungsstelle her in Betracht, doch ist eine sekundäre Blutung 

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29. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


947 


in der inneren Kapsel wahrscheinlicher. An die Möglichkeit von 
Sympathikusstörungen ist auch für die Erklärung der vorübergehen¬ 
den Pupilkndifferenz im Falle des Herrn Pfeifer zu denken. 

Herr Schmieden weist darauf hin, dass die vorgestellten 
Falle insbesondere dadurch auffallen, dass sich Ausfallserscheinungen 
seitens des Gehirns schon bei so jungen Individuen nach Karotis- 
unterbindungen einstellten. 

Im allgemeinen kann man sich bei chirurgischen Eingriffen darauf 
verlassen, dass bei Patienten unter dem 40. Lebensjahre ohne Schaden 
auch die Carotis communis unterbunden werden darf. 

Herr Pönitz: Ueber eine Suggestivbehandlung des Singuitus. 

Der Singuitus — d. h. der klonische Zwerchfellkrampf mit in¬ 
spiratorischem Geräusch — entsteht nach Erb durch direkte oder re¬ 
flektorische Reizung des Inspirationszentrums vom Phrenikus her. 
Im wesentlichen handelt es sich um einen Reflex. Die Behandlung, 
über die Vortr. berichtet, geht von der Darwin sehen Beobachtung 
aus, dass „der bewusste Wunsch, eine Reflexhandlung auszuführen, 
zuweilen die Ausführung hemmt oder unterdrückt, obschon die ent¬ 
sprechenden, empfindenden Nerven gereizt sein können“ (vergl. Dar¬ 
win: „Ueber den Ausdruck bei Gemütsbewegungen bei den Men¬ 
schen und Tieren“. Darwin wettete mit einer Anzahl junger Leute, 
dass sie trotz Einnehmens von Schnupftabak nicht niesen würden 
und gewann die Wette, obwohl die jungen Leute sehnlichst zu niesen 
wünschten.) Psychologisch gefasst handelt es sich hierbei vor allem 
aber wohl darum, dass man durch Auslösung eines Erwartungseffek¬ 
tes eine Reflexhandlung unterdrücken kann. Von dieser Erwägung 
ausgehend hat Vortr. eine grössere Anzahl Fälle von Singuitus (auch 
einen solchen, der 14 Tage angehalten hatte) behandelt und stets so¬ 
fortigen und anhaltenden Erfolg erzielt. Vortr, fordert den Schlucksen¬ 
den auf, ihn fest und ernst anzusehen, legt ein Geldstück, z. B. 
eine Mark, auf den Tisch und sagt, „Sie bekommen diese Mark, wenn 
Sie jetzt noch einmal schlucksen!“ Trotzdem, resp. weil der Be¬ 
treffende zu schlucksen wünscht, und sichtlich künstlich den Singuitus 
hervorrufen möchte, bleibt doch der Singuitus von diesem Augen¬ 
blick an weg, auch nachdem die Geldsumme verdoppelt und verviel¬ 
facht worden ist. Das Verfahren wurde von dem Vortr. bisher 
bei solchen Fällen angewendet, bei denen der Singuitus entweder ein 
hysterischer war. oder als Reflex von seiten des Magens aufzufassen 
war (der sog. gewöhnliche Hausschlucksen, z. B. -nach hastigem Ver¬ 
schlucken ungenügend gekauter Nahrung). Vortr. lässt die Frage 
offen, wie weit das Verfahren dann mit Erfolg angewendet werden 
kann, wenn der Singuitus das Symptom einer schweren Erkrankung, 
z. B. einer Peritonitis, ist. Von .theoretischer Erwägung ausgehend 
vermutet er, dass unter der Voraussetzung, dass ein psychischer 
Konnex überhaupt zu erzielen ist, auch in solchen Fällen dieses 
psycho-therapeutische Verfahren einen Erfolg haben kann . Da in 
solchen Fällen der den Singuitus hervorrufende Reiz (z. B. der eitrige 
Belag bei der Peritonitis) aber bestehen bleibt, so ist zu befürchten, 
dass dann nach Abflauen des Erwartungsaffektes häufig der Reflex 
wieder eintritt. ln den obenerwähnten Fällen dagegen (Singuitus als 
hysterisches Symptom oder nach vorübergehender Reizung des Ma¬ 
gens) ist nach Erfahrung des Vortr. mit dem geschilderten Verfahren 
stets ein prompter und anhaltender Erfolg zu erzielen. (Erscheint in 
der Psychiatr.-neurol. Wschr.) 

Besprechung: Herr O. Goctze bespricht im Anschluss daran 
einen eigenen Fall von schwerem, wochenlang bestehendem Singuitus, 
der mit mächtiger Aerophagie cinhcrging, so dass man den Eindruck 
haben konnte, als wenn der im Anschluss an eine kurz zurückliegende 
Appendektomie entstandene klonische Zwerchfellkrampf in einem 
Circulus vitiosus durch den mächtig geblähten Magen stets erneuert 
werde. Der Vortragende wandte als erster ein Verfahren an, welches 
völlig unabhängig von der Suggestibilität resp. dem guten Willen 
des Patienten macht, nämlich die temporäre Lähmung des Nervus 
phrenicus durch Injektion von 20 ccm 1 proz. Novokainlösung am 
Halse. Der Erfolg war prompt und dauernd. 

Herr Goctze: Ein neues Prinzip des Gelenkersatzes. 

Herr Goctze veröffentlicht ein neues Prinzip des Gelenk¬ 
ersatzes durch Vortrag und Krankendemonstration: Es findet da seine 
Anwendung, wo so ausgedehnte Gclenkresektionen angezcigt oder 
bereits ausgeführt sind, dass ein aktiv ungenügend bewegliches 
Schlottergelenk resultiert. Das Ellenbogengelenk, nächstdem das 
Kniegelenk liefern das Hauptmaterial. 

Von einem äusseren und einem inneren Schnitt aus wird eine 
grosse Lücke quer durch die Gelenkgegend hergestellt, welche oben 
und unten bis an die Knochenstümpfe reicht und vorn von den Beuge¬ 
muskeln. Nerven und Gefässen, hinten von den Streckmuskeln be¬ 
grenzt ist. Die ganze Lücke bleibt durch Hautauskleidung, welche 
durch besondere Hautschnittführung ermöglicht wird, dauernd be¬ 
stehen. In die so entstandene neue Synovialhöhle, wenn man die 
medial und lateral breitofiene Lücke so nennen will, wird der künst¬ 
liche, jederzeit herausnehmbare üclenkapparat eingefügt. 

Er besteht in dem abgebildeten Falle aus einer Schienenhülse, 
welche mit zwei starken Distraktionszügeln oben und unten durch 
die Lücke greift; ausserdem ist an ihr ein Rollenbügel angeordnet, 
der ebenfalls durch die Lücke geht und über den die Streckmuskel¬ 
brücke frei gleitend hinwegzieht. 

Die aktive Beuge- und Streckfähigkeit ist, wie die Abbildung 
zeigt, eine ausserordentlich gute. 

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Ausführlicher ist das Ganze in einer Arbeit beschrieben, die in 
einem der an Nr. 24 sich anschliessenden Hefte des Zentralblattcs 
für Chirurgie erscheint. 

Herr Deforme: Vorstellungen. 

Vorstellung eines Amputierten mit Schwarzwaldbein: Die Vor¬ 
teile dieses Beines als erstes Ersatzglied an Stelle der sonst üblichen 
Stelze wird besprochen. Sodann stellt Vortr. einen Mann mit sehr 
ungünstigem, konisch auslaufendem Oberschenkelstuinpf vor, bei dem 
durch Anbringen eines breiten Schnürriemens innerhalb der Hülse 
der gute Sitz der Prothese erreicht ist; ferner noch einen Amputierten 
mit sehr kurzem Unterschenkelstumpf, der durch Anbringen einer 
federnden Gleithülse imstande ist. mit freibeweglichem Kniegelenk 
sehr gut zu gehen. Zum Schlüsse Demonstration eines Oberarm- 
amputierten mit künstlicher Hand nach Sauerbruch. Der 
Amputierte ist imstande, in seinem Bizepskanal ein Gewicht von 
15 kg zu tragen und mit dem Bizeps anzuheben. 

Der Vorgestellte ist Lehrer und bedient mit einem selbst- 
gefertigten Ansatz an der Kunsthand beim Orgelspiel die 3. Stimme. 


Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg. 

(Medizinische Sektion) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 7. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Braus. 

Schriftführer: Herr Homburger. 

Herr Moro: Das erste Trimen. 

An der Hand von klinischen Beispielen wird gezeigt, dass die 
Periode der ersten drei Monate einen biologisch gut abgreuz- 
baren Entwicklungsabschnitt darstellt. Charakteristisch dafür ist Vor 
allem die grosse Empfindlichkeit des Organismus gegenüber an¬ 
scheinend geringfügigen Fehlern in der Nahrungszusammensetzung, 
die einerseits mit der grösseren Wachstumsgeschwindigkeit, anderer¬ 
seits mit der leiditen Lädierbarkeit der wasserbindende» Funktionen 
im ersten Lebensquartal zusammenhängt; ferner die erhöhte nervöse 
Erregbarkeit der Magendarmsphäre (Häufigkeit der sauren Dyspepsie 
und der Unterernährungsdyspepsie an der Brust, des Speiens und Er¬ 
brechens junger Säuglinge, vor allem des Pylorospasmus, der dieser 
Lebensperiode eigentümlich ist); endlich eine auffallend starke*Emp¬ 
findlichkeit der Haut (Intertrigo, Erythrodermie), hingegen eine ge¬ 
ringe Neigung zu angioneurotischer Entzündung (Fehlen von Urti¬ 
karia und Strophulus). Sehr auffallend ist das fast vollständige Fehlen 
der Rachitis und Spasmophilie, die vermutlich erst nach Erschöpfung 
des angeborenen Kalkdepots klinisch in Erscheinung treten. Da die 
ausschliessliche Milchkost zuweilen schon nach 3 Monaten bezüglich 
gewisser Mineralien insuffizient zu werden scheint, wird die Zweck¬ 
mässigkeit einer ergänzenden Beifütterung kleiner Mengen von Vege- 
tabilien schon um diese Zeit in Erwägung gezogen. — Im Anschluss 
daran demonstrierte Vortragender einen eigenartigen und typisch 
verlautenden Bewegungsreflex bei jungen Säuglingen, der nach Ab¬ 
lauf der ersten 3 Monate nicht mehr auslösbar ist: Legt man den 
Säugling auf den Wickeltisch und schlägt man zu beiden Seiten mit 
den Händen auf das Kissen, so breitet der Säugling zunächst beide 
Arme aus, um sic hierauf im Bogen wiederum annähernd zu schliessen. 
Aehnliches ist an den Beinen zu beobachten. In Analogie mit Be¬ 
obachtungen an Affensäuglingen, die von der Mutter getragen wer¬ 
den, wird dieses Phänomen als natürlicher Umklamme¬ 
rungsreflex gedeutet und als atavistische Erscheinung aufgefasst. 

Herr v. Weizsäcker: Ueber eine Störung der optischen 
Raum Wahrnehmung bei Vestibularerkrankung sowie Uber Störungen 
des haptischen Raumsinnes. 

Vortr. demonstriert einen Kranken mit hypertonischer Athero¬ 
sklerose, der an schweren Meniereschen Anfällen erkrankt 
war. Im Anschluss daran bestand eine dauernde Störung der Raum¬ 
wahrnehmungen. Das Gesichtsfeld des Pat. war verzerrt, so dass 
ihm ein aufrechtes Quadrat als nach links geneigter Rhombus er¬ 
schien, ebenso wie er, aufgefordert ein Quadrat zu zeichnen, einen 
nach rechts geneigten Rhombus zeichnete, dessen Winkel etwa 105° 
bzw. 75° betrugen, ln entsprechender Weise sieht der Kranke seine 
ganze Umgebung verzerrt. Lotrechte Konturen, z. B. eine Stange, 
erscheinen ihm nach links und auf ihn zugeneigt, wagerechte Kon¬ 
turen nach rechts abfallend. Auch ebene Flächen, z. B. Wände, Fuss- 
boden und Zimmerdecke nehmen an diesen Neigungen Teil, so dass 
eine Verzerrung und zugleich scheinbare Neigung des gesamten Seh¬ 
raumes gegen die Schwererichtung dauernd und unabhängig von den 
nur anfallsweise bestehenden Scheinbewegungen (Drehschwindel) be¬ 
steht. Nach dem klinischen Befund (Schwindel. Erbrechen, Ohren¬ 
sausen, Nystagmus, Vorbeizeigen [Ba r a n yl, kalorische Uirerregbar- 
keit des 1. Vestibularis, Gchstörung) lag eine Erkrankung des linken 
Vestibularisapparates zugrunde und es wird zur Erklärung der Er¬ 
scheinungen vermutet, dass eine Störung der vestibulär vermittelten 
Wahrnehmung der Schwererichtung vorliegt. Es ist anzunehmen, 
dass beim Zustandekommen unseres Sehraumes, speziell seiner Orien¬ 
tierung nach der Schwererichtung vestibuläre Erregungen beteiligt 
sind, und dass die Wahrnehmung der Lotrichtung, der Eindruck des 
„Aufrechtseins“ vom Vestibularapparat aus auch gestört werden kann, 
wie ja auch von jedem vestibulären Schwindel her ähnliche Einflüsse 

Original from 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


im Sinne von Scheinbewegungen des Sehratmies wohlbekannt sind. 
Eine nähere Analyse zeigt, dass die meisten jener Wahrnehmungs¬ 
täuschungen. insbesondere auch die schiefe Verzerrung des Gesichts¬ 
feldes aus der einen Annahme einer verfälschten Wahrnehmung 
der Schwererichtung abgeleitet werden können. Zugleich bestanden 
Störungen des haptischen Raumsinnes. Es Hess sich durch be¬ 
sondere Versuche zeigen, dass beim Symptom des Vorbeizeigens im 
wesentlichen eine Störung der Koordination der Bewegungen vor¬ 
liegt, während der haptische Ortssinn in geringerem Grade gestört 
war. Ebenso liess sich zeigen, dass bei der Prüfung der Lokalzeichen 
der Haut bedeutende Fehler allein durch jene Koordinationsstörung 
zustande kamen, eine Fälschung des Lokalzeichens selbst also nur 
vorgetäuscht wurde. Im Anschluss an diese Befunde werden einige 
Ergebnisse bei Normalen mitgeteilt, welche einen funktionellen Zu¬ 
sammenhang zwischen Augenbewegungen und haptischer Lokalisation 
beweisen. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 13. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Moses. 

Schriftführer: Herr H ü t z e r. 

Herr Meirowsky: 1. Demonstration eines Falles von R letti¬ 
scher Melanose. Es handelt sich um eine mit dem Pressen von 
Granaten beschäftigte Munitionsarbeiterin, die eine tiefe Pigmen¬ 
tierung der Stirn und Wange aufweist. Eine Ursache für die Er¬ 
krankung ist nicht festzustellen. 

2. Fall von Myomatosis der Haut bei einem Soldaten. Ausge¬ 
dehnte Tumorbildung im ganzen Gesicht, im Rücken und zahlreichen 
anderen Körperstellen. Die Diagnose ist durch die auffallende 
Schmerzhaftigkeit, sowie durch den mikroskopischen Befund ge¬ 
sichert. 

Herr Frank: Demonstration einiger anatomischer Präparate. 

Herr Th eien bespricht die diagnostischen Ergebnisse der 
Ureterensondlerung bei Nieren- und Nierenbeckenelterungen, bei denen 
besonders im chronischen Stadium die klinischen Erscheinungen zu 
wenig prägnant sind, um eine exakte Diagnose zu stellen. Der 
Ureterenkatheterismus gibt uns Aufklärung über den Sitz, die Aus¬ 
breitung und das meist einseitige Vorkommen der tuberkulösen 
Niereneiterungen, der Pyonephrosen und Pyelitiden. Durch ihn er¬ 
kennen wir die Ursache und den Zusammenhang hartnäckiger Zysti- 
tiden lind Schrumpfblasen, die entweder deszendierend von der er¬ 
krankten Niere entstanden oder aszendierend die vorher gesunde 
Niere in Mitleidenschaft gezogen haben. Ferner ermöglicht uns die 
Ureterensondierung, eine exakte bakteriologische Untersuchung jedes 
einzelnen Nierenharns vorzunehmen' und aus dem Befunde Von 
Tuberkelbazillen. Bacterium coli u. dgl. für die Therapie wichtige 
diagnostische Schlüsse zu ziehen. Die so häufig vorhandene Stauung 
von eitrigem Urin im Nierenbecken lässt sich durch den Ureterkatheter 
beseitigen und durch eine anschliessende Nierenbeckenspülung mit 
Kollargol heilen. 

In Verbindung mit der funktionellen Nierendiagnostik, der Indigo¬ 
karmin- oder der Phenolsulfophthaleinprobe gibt uns der aus jeder 
Niere getrennt aufgefangene Urin einen Einblick, ob eine erhebliche 
Zerstörung des Parenchyms durch eitrige tuberkulöse Kavernen- oder 
Pyonephrosenbildung vorhanden und bei guter Funktion der anderen 
Niere die Nephrektomie indiziert. Nicht so selten finden wir Pyo¬ 
nephrosen, die durch Harnleitersklerose, Knicken oder Konkrement- 
bildung im Nierenbecken und Ureter vollständig geschlossen sind oder 
nur zeitweise eitrigen Urin in die Blase entleeren. Th. konnte durch 
den Ureterenkathetersmus eine grosse Anzahl Nierentuberkulosen 
diagnostizieren und durch die Nephrektomie die oft jahrelang be¬ 
stehenden Zystitiden heilen. Ausserdem fand er mehrfach Kolieiter- 
nieren, bei denen durch Stauung und sekundäre Steinbildung, die 
Niere sozusagen in einen Eitersack verwandelt war und die Nephrek¬ 
tomie dringend erforderten. 

Am Schlüsse des Vortrages demonstriert Th. eine tuberkulöse 
Niere mit grossen eitrigen Kavernen und einige interessante, durch 
die Pyelolithotomie gewonnene Nierensteine. 


Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 18. Juni 1918. 

Vorsitzender: Herr B a h r d t. 

Schriftführer: Herr H ii b s c h m a n n. 

Herr Rumpel: 1 . Vorstellung eines Falles von doppelseitiger 
kongenitaler, lateraler Halsfistel hei einem 5% Jahre alten, sonst 
gesunden Knaben aus normaler Familie. Geringer Grad von Epi- 
kanthus an beiden Augen. Aeussere Fistelöffnungen symmetrisch 
nach innen und oben vom Sternokleidomastoideusansatz, gerader 
Verlauf nach oben parallel zum Sternokleidornastoideus bis in Zungen¬ 
beinhöhe, rechts Fistelöffnung und Kanal grösser als links. Sichere 
Oeffnung im Rachen nicht nachweisbar. Besprechung der verschie¬ 
denen Formen und des Baues der lateralen Halsfisteln, ihrer Lage, 

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ihrer inneren und äusseren Mündungen, kurze Darstellung der ent- 
wicklungsgeschichtlichcn Verhältnisse der Kiemenbögen, Kiemen¬ 
furchen usw. Besprechung der hauptsächlichsten Theorien über die 
Entstehung und Herkunft der branchiogenen Fisteln von v. Kä¬ 
st an eck i und Mi deckt (II. Kiemenfurche), von Hammer 
(Duct. thymopharyngeus und Sinus praecervicalis, II. und III. Kiemen¬ 
furche), von Wenglowski (Ductus thymopharyngeus mit freier 
Mündung derselben nach aussen). Erörterung der allein richtigen 
Bestimmung der Herkunft der Fisteln nach ihrer Lage zu den Ab¬ 
kömmlingen der verschiedenen Kiemeirbögen, wobei nur die 1., 2. 
und 3. Furche in Frage kommen. Hiebei kommen in erster Linie 
die Arterien und die aus den Knorpelspangen hervorgehenden Teile 
des Viszeralskeletts in Betracht, während die Nerven und Muskeln 
erst in zweiter Linie oder, falls wie z. B. im Falle Watson, ein 
Widerspruch zwischen letzteren und den Arterien bzw. den Skelett- 
teilerr sich ergibt, überhaupt nicht zu berücksichtigen sind, da in der 
weiteren Entwicklung die Muskeln und Nerven vielfache Wanderungen 
und Verschiebungen von ihrem ursprünglichen Standort aus -erfahren. 
Demnach sind branchiogene Fisteln zwischen Carotis externa und 
interna, sofern sie zwischen Unterkiefer und Ligamentum stylo- 
byoideum bzw. kleinem Zungenbeinhorn verlaufen, von der I. Kiemen¬ 
furche, sofern sie unterhalb des Ligamentum stylohyoideum bzw. 
kleinem Zungenbeinhorn oder oberhalb des grossen Zungenbein¬ 
horns verlaufen, von der II. Kiemenfurche abzuleiten. Fisteln der 
III. Furche bzw. des Ductus thymopharyngeus sind hinter der Carotis 
communis bzw. interna und unterhalb des grossen Zungenbeinhorns 
zu erwarten. Ob Fisteln mit Verlauf hinter den grossen Halsgefässen 
Vorkommen, ist jedoch fraglich. Doch ist das bisherige Beobachtungs¬ 
material zu gering, um eine endgültige Antwort darauf zu geben. 
Aus diesem Grunde und da die Zahl der ihrer Lage nach genau be¬ 
kannten Fisteln überhaupt klein ist, sind zur Klärung dieser Fragen 
genaue topographische Beschreibungen für jeden anatomisch oder 
operativ zugänglichen Fall zu wünschen. Die Herkunft von Fisteln 
vom Ductus thymopharyngeus im Sinne von W e n g I ow s k i ist 
fraglich und wenig wahrscheinlich. 

Kurze Besprechung der Klinik und Therapie der Fisteln, wofür 
ausschliesslich gründliche Exstirpation in Betracht kommt. 

Diskussion: Herr Payr bemerkt, dass er wiederholt solche 
seitliche Halsfisteln operiert hat. Das Verhalten des Fistelganges zu 
den grossen Gefässen ist inkonstant. Während er mehrmals das 
Durchtreten desselben zwischen Carotis externa und interna be¬ 
obachtet hat, führte er bei einem vor 14 Tagen operierten, technisch 
deshalb viel leichteren Fall mit ganz glattem Verlauf bei einem 
8jährigen Jungen vor den grossen Gefässen vorbei in die Tiefe und 
mündete unterhalb der Tonsille. 

Die Operation wurde doppelseitig ausgeführt, der Gang ganz 
nahe der seitlichen Rachenwand abgebunden, der Stumpf in die Tiefe 
gedrückt. Bei den Fällen mit Durchtritt des Ganges durch die Karo- 
tisgabel ist Herr Payr so vorgegangen, dass er an d-er Durchtritts¬ 
stelle den Gang unterbunden und jede Hälfte für sich exstirpiert hat. 
Einspritzung von Methylenblau vor der Operation färbt den Gang, 
der für die Ausschneidung dadurch sehr bequem sichtbar gemacht 
wird; bei medianer Halsfistel gelang es Payr schon vor Jahren den 
Verlauf durch Füllung mit Wismutemulsion und Röntgenphotographie 
zur Darstellung zu bringen. Bei diesen Fisteln ist die mediane Spal¬ 
tung des Zungenbeins eine selbstverständliche Forderung für die 
exakte Ausschneidung des Ganges. 

2. Vorstellung eines Falls von ausgedehnter, angeborener Phleb¬ 
ektasie mit kavernösen Hämangiomen des linken Beins, der linken 
Gesässgegend, der linken Hodensackhälfte bei einem 36 Jahre alten 
Mann. Keine Erblichkeit. Am wenigsten befallen ist die Innenfläche 
des Oberschenkels und das innere Drittel der Fusssohle. Mächtige 
Elephantiasis des linken Beins mit Umfangsdifferenz gegenüber rechts 
bis zu 10 cm. Sitz in der Kutis, Subkutis und den tieferen Weich¬ 
teilen, insbesondere in der Muskulatur. Arterien anscheinend unver¬ 
ändert. Keine Pulsation, kein Schwitzen. Erhöhte subjektive und 
objektive Wärme im linken Bein, keine Sensibilitätsstörungen. 
Leichte Kompressibilität aller Weichteile, beim Emporheben fast völ¬ 
lige Entleerung. Hochgradige Knochenatrophie des linken Beins und 
infolge davon Arthritis deformans des linken Kniegelenks mit 
Schmerzhaftigkeit und Bewegungsbeschränkung, insbesondere man¬ 
gelhafter Streckfähigkeit. Kein vermehrtes Längenwachstum des 
Skeletts. In der Haut des übrigen Körpers eine Anzahl kleinerer 
kavernöser Angiome. auch in der Schleimhaut der Unterlippe und 
der Corona glandis, teilweise auch, so am Rücken, in der Subkutis. 
In der Subkutis des rechten Ellenbogens nicht schmerzhaftes Lipom. 
Ob auch an den inneren Organen Hämangiome sich finden, lässt sich 
nicht sagen, ist aber wohl möglich. Es handelt sich um eine an¬ 
geborene weitausgebreitete Anomalie des Venensystems, bestehend 
in kavernösen Angiomen bzw. Phlebektasien, mit besonders starker 
Ausbildung im Gebiet des linken Beins. In der Literatur findet sich 
eine Anzahl analoger Fälle mit derselben Lokalisation, welche, wie 
z. B. Heide iti seinem Fall anführt, der Ausbreitung des Plexus 
sucralis entspricht. Auf letztere Eigentümlichkeit soll in der ausführ¬ 
lichen Publikation näher eingegangen werden. 

Kurze Besprechung der Symptomatologie und Therapie, die bei 
der grossen Ausbreitung und dem tiefgreifenden Sitz wohl nur kon¬ 
servativ (Einvvicklung mit elastischen Binden) sein kann. 

Original frnm 

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20. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


949 


Diskussion: Herr Sonntag, anknüpfend an den, 2. Fall 
von Herrn Rumpel, in welchem neben multiplen Kavernomen auch 
diffuse Venenerweiterungeu am linken Bein beachtenswert erscheinen, 
stellt einen reinen Fall letzterer Art als genuine, diffuse 
Phlebektasie vor. Es handelt sich um einen 17jährigen Bur¬ 
schen, welcher seit der Geburt ein Gefässmal am linken Oberschenkel 
und seit dem 14. Lebensjahr „Krampfadern“ am linken Bein hat. Der 
Untersuchungsbefund ergibt neben kutanen Hämangiomen diffuse 
Venenerweiterungen hochgradiger Art am linken Bein, vom Fuss- 
rücken bis zur Leistengegend, in Form welcher, komprimierbarer und 
schwellbarer Konvolute, daneben im Bereich derselben kleine, wurst- 
förmige, harte und druckempfindliche Knötchen (anscheinend Phlebo¬ 
lithen; im Röntgenbild nicht erkennbar), Temperaturerhöhung im gan¬ 
zen linken Bein, hochgradige Muskelatrophie, Periostitis beider Unter¬ 
schenkelknochen, besonders des Wadenbeins (im Röntgenbild gut 
erkennbar), Verkrümmung des Ober- und Unterschenkelknochens, 
Gliedverlängerung um 2 X A cm (und zwar am Oberschenkel 1 und 
am Unterschenkel VA cm), dabei kein Venenpuls oder -geräusch und 
keine Veränderung an den Arterien. Der Zustand wird als genuine 
diffuse Phlebektasie bezeichnet, und es wird die Ansicht ausge¬ 
sprochen, dass dieses Krankheitsbild, welches wenig bekannt zu sein 
scheint und in den Lehr- und Handbüchern überhaupt nicht, auch in 
der Literatur nur als je ein Fall von Bockenheimer und B i r - 
eher an der oberen Gliedmasse gefunden wurde, nicht allzuselten 
vorkommt und spez. auch manche Fälle umfasst, welche als Varizen 
oder als multiple bzw. ausgedehnte Hämangiome aufgefasst werden. 
Der Fall wird ausführlich unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes 
der genuinen diffusen Phlebektasie andernorts beschrieben werden. 

Herr Payr hat mehrere ähnliche Fälle gesehen. Wenn die 
Kavernenbildung sich bis in die Muskulatur der Gliedmasse erstreckt, 
so sieht man häufig Kontrakturen, allerdings nicht in jedem Falle. Um 
eine Differentialdiagnose bezüglich der Anteilnahme der 
Muskulatur an dem Krankheitsprozess zu ermöglichen, hat Herr 
Payr die Gliedmassenumfänge nach kräftigen, eine Zeitlang fort¬ 
gesetzten aktiven Bewegungen gemessen und deutliche Verringerung 
gefunden. Noch auffallender wird diese Differenz (mehrere Zenti¬ 
meter), wenn man die Gliedmassenmuskeln faradisiert. Irgendein 
Versuch einer Therapie muss doch wohl auch im vorgestellten 
Falle gemacht werden, angesichts der Tatsache, dass solche Glied¬ 
massen früher oüer später der Amputation (Infektion nach Spontan¬ 
blutung) zu verfallen pflegen. Für die von Payr eingeführte Spik- 
kung mit Magnesiumpfeilen, die ausgedehnte Gerinnungsvorgänge in 
den blutgefüllten Hohlräumen anregen, ist die Erkrankung doch wohl, 
zu ausgedehnt. Das Kocher sehe perkutane Umstechungsverfahren 
käme eher in Betracht (feinste Seide, drehrunde Darmnadeln) Durch 
grosse Zahlen solcher Umstechungen kann man ausgedehnte Blut¬ 
gefässgebiete veröden. Endlich wäre der von Rindfleisch für 
sehr ausgedehnte Fälle von Varizen angegebene Spiralschnitt zur teil¬ 
weisen Verödung der Phlebektasien vielleicht nicht ganz aussichtslos. 

Herr Payr: 

1. Fall von kindlichem, allgemeinen Riesenwuchs (Gigantismus). 
Es handelt sich um ein 4% Jahre altes, geistig sehr zurückgebliebenes 
Kind männlichen Geschlechts, das bis vor 2 Jahren wegen des Be¬ 
stehens einer Epispadie als Mädchen behandelt und auch als solches 
standesamtlich eingetragen worden ist. Bei Geburt an Grösse eher 
unter der Norm, zeigte sich bald ein ungewöhnliches Längenwachs¬ 
tum. Mit V* Jahr beginnen bereits die Schamhaare zu wachsen, 
die mehrmals abgeschnitten wurden. Mit VA Jahr lernte der Knabe 
laufen, mit 2Y» Jahren etwas sprechen. Die Körpergrösse be¬ 
tragt zurzeit 124,5 cm gegenüber 92—98 cm des Durchschnitts, das 
Körpergewicht 23 kg gegen 14—15,9 kg des seinem Alter ent¬ 
sprechenden Wertes. 

Die radiologfsche Untersuchung der Knochen in den 
verschiedenen Epiphysen ergibt einem 13 —14 jährigen Kinde ent¬ 
sprechende Befunde. Der Gesamteindruck ist der eines 10 bis 
12 jährigen Knaben. Akromegalische Symptome konnten bisher bei 
dem Knaben nicht nachgewiesen werden; auch die Untersuchung des 
Auges und die radiologische Darstellung der Schädelbasis konnten 
solche nicht erweisen. Es handelt sich wohl um eine Störung von 
innersekretorischen Drüsen. 

Das Kind ist zwecks der operativen Behandlung der Epispadie 
in die chirurgische Klinik gebracht worden. Die Grösse des Gliedes, 
sowie der Hoden entspricht gleichfalls den Durchschnittswerten eines 
etwa 12 jährigen Knaben. Damit ist die eunuchoide Form des Gigan¬ 
tismus ausgeschlossen 

Anschliessend an die Demonstration des Knaben bespricht Herr 
Payr die verschiedenen Typen des kindlichen Riesenwuchses und 
ihre Erklärungsversuche mit besonderer Berücksichtigung der hypo¬ 
physär bedingten Akromegalie. 

Dem physiologischen und proportionierten Riesen¬ 
wuchs bei annähernd normalen Werten der geistigen Funktionen 
stellt man zweckmässigerweise den pathologischen Riesen¬ 
wuchs mit den beiden Haupttypen des eunuchoiden und a k r o - 
megali sehen Gigantismus gegenüber. Eine Organotherapie 
käme vielleicht in Frage. 

Diskussion: Herr v. Strümpell, Herr Bahr dt. 

2. Fall von radikal operiertem Mediastinaldermold bei einem 
19 jährigen Mädchen. 

J4 Jahr vor der Aufnahme stechende Schmerzen in der rechten 
Brustseite vorn und in der ,ScfeuItergegeml Vor 8 Wochen plötzlich 

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heftige Schmerzen, Atemnot, jedoch kein Fieber, kein Husten. Die 
Untersuchung der Brustorgane ergab bei der Aufnahme absolute 
Dämpfung vom 2. Interkostalraum ab seitlich bis zur mittleren 
Axillarlinie. Jenseits derselben ist die Lungengrenze verschieblich; 
hinten reicht die Dämpfung bis zur 9. Rippe. Die untere Lungen¬ 
grenze ist wieder verschieblich. Das Röntgenbild zeigt bei 
sagittaler Aufnahme in der rechten Lunge in der mittleren und unteren 
Partie einen kindskopfgrossen, kugeligen Schatten, der in die Herz¬ 
verschattung iibergelit, sich aber im Gegensatz zu dieser bei der 
Atmung hebt. Bei schräger Durchleuchtung zeigt sich das schatten¬ 
gebende Gebilde der vorderen Brustwand angenähert. Deutliche Er¬ 
weiterung und Stauung in den Hals- und Gesichtsvenen, deutliches 
Medusenhaupt; besonders stark ist das Venennetz links vom Brust¬ 
bein. Da die Differentialdiagnose zwischen Echinokokkus und einem 
nicht parasitären zystischen Gebilde zurzeit nicht gestellt werden 
kann, wird von einer Probepunktion abgesehen. Während des 
Krankenhausaufenthaltes bekommt Patientin plötzlich heftige Schmer¬ 
zen in der rechten Brustseite, Atmung stark gehemmt, beschleunigt, 
die rechte Seite bleibt zurück. Absolute Dämpfung bis zum 
upteren Skapularwinkel. Die jetzt vorgenommene Probepunktion er¬ 
gibt rötlich gelbliche, mit reichlichen Fibrinfetzen vermengte schlei¬ 
mige Flüssigkeit mit reichlichen weissen Blutkörperchen, Fetttropfen, 
rotbraun gefärbten Kristallen, jedoch keine Haken oder Membranen. 
Verlegung auf die chirurgische Klinik (Dr. Hörhammer). 

1. Operation 14. 111. 17. Resektion der 8. und 9. Rippe in Lokal¬ 
anästhesie. Es entleeren sich grosse Mengen Eiter mit Faserstoff¬ 
gerinnseln. Von einem Zystensack ist nichts zu sehen. Drainage. 
Wegen starker Eisteleiterung 

II. Operation am 18. VI. 17 (Dr. Hörhammer). Aufklappung 
der rechten Mamma, Resektion der 4. und 5. Rippe. Man sieht einen 
von blassgelber Membran gebildeten, fast die ganze rechte Thorax¬ 
hälfte einnehmenden Sack, nach dessen Eröffnung grünlicher Eiter 
her vorquillt; es werden aus ihm Haare herausgezogen, so dass die 
Diagnose Dermoid jetzt ganz sicher steht. Wegen ungünstigen/ 
Allgemeinbefindens Einlegen eines Mikulicztampons. Wegen Fort¬ 
bestehens reichlicher Eiterabsonderung aus der Brustfistel: 

III. Operation am 15. XII. 17 (Pay r). Grosser vorderer Brust¬ 
wandlappen mit oberer Basis. Resektion der 3.—5. Rippe in 12 bis 
14 cm Ausdehnung. Nach ganz breiter Eröffnung des Thorax kommt 
ein über mannsfaustgrosser, graugelblicher, einige kleinere Neben¬ 
dermoide tragender, im Mediastinum sehr festsitzendep Tumor zutage. 
Er lässt sich jedoch stumpf und ohne Nebenverletzung von der 
Mediastinalplatte ablösen. Unter allmählicher Steigerung des Druckes 
mit dem Shoemakersehen Ueberdruckapparat gelingt es, die 
kollabierte Lunge so stark zu dehnen, dass die äirückbleibende 
Höhle kaum mehr kindsfaustgross ist. Der vorgebildete Brustwand¬ 
lappen wird in sie eingelegt. Nahtverschluss. 

Da sich doch wieder eine, wenn auch nur ganz wenig sezer- 
nierende Fistel bildet, wird am 12. VI. 18 (IV. Operation, Payr) noch 
einmal in die letzte Narbe eingegangen; es findet sich eine mit 
Granulationsgewebe gefüllte, unregelmässig spaltartige Höhle. Sub¬ 
kutane Auslösung der an einem breiten Gewebsstiei hängenbleibenden 
rechten Mamma und Einlegen derselben als lebender Tampon in die 
Höhle. Reaktionsloser Verlauf. 

Herr Knick: Geheilte Fälle von otogener Meningitis und oto¬ 
gener Sinusphlebitis. 

Die otogene Meningitis entwickelt sich meist nicht plötzlich, 
sondern allmählich, schubweise vom Primärherd aus, und zwar lassen 
sich 3 Stadien der Entwicklung unterscheiden: 1. Geringe klinische 
Erscheinungen, kein Fieber, leichte entzündliche Liquor Verände¬ 
rungen (Zellvermehrung bis 1000 pro cmm. Eiweissvermehrung), keine 
Bakterien. 

2. Deutliche klinische Meningitissymptome, wechselnde Tem¬ 
peratursteigerung, stärkere Liquorveränderungen (2—3000 weisse 
Zellen pro cmm, Eiweissvermehrung), keine Bakterien. 

3. Schwere Meningitissymptome, stärkste Liquorveränderung, 
positiver Bakterienbefund. 

Zur Erläuterung wird über den Verlauf und fortlaufenden Liquor¬ 
befund eines Falles (Otit. med, ac„ Labyrinthit., Meningitis) berichtet, 
bei dem die Opertion verweigert wurde und der tödlich verlief. 
Es werden 3 den ooigen Stadien entsprechende, durch Operation ge¬ 
heilte Fälle vorgestellt. 1. Beginnende Meningitis bei chronischer 
Eiterung und Labyrinthitis. Labyrinthoperation. Heilung. 2. Aus¬ 
gesprochene Meningitis bei chronischer Eiterung mit schweren klini¬ 
schen Erscheinungen und negativem Bakterienbefund. Totalaufmeisse- 
lung, ausgedehnte Durafieilegung. Lumbalpunktion. Heilung. 3. Eitrige 
Streptokokkusmeningitis bei chronischer Eiterung. Labyrinthopera¬ 
tion. Mehrfache Durchspülung des Zerebrospinalsackes mit Ringer- 
scher Lösung von der Lumbalpimktionskanüle aus (Abfluss des Li¬ 
quors oben am eröffneten Meatus acust. int.). Heilung. 

Das Wichtigste ist aie frühzeitige Diagnose mit Hilfe genauer 
Liquoruntersuchung. Im Frühstadium kann oft durch ausgiebige Frei¬ 
legung des Primärherdes (Totalaufmeisselung, Durafreilegung, event. 
Labyrinthoperation), durch Erzielung von Liquorabfluss und Urotropin 
Heilung erzielt werden. Auch spätere Stadien müssen operativ be¬ 
handelt werden, event. mit Hilfe von Durchspülung des Zerebrospinal¬ 
sackes. Breite Duraspaltung ist unzweckmässig. 

Vorstellung von 4 geheilten Fällen otogener Sinusphlebitis bei 
akuter und chronischer Otitis media, zum Teil mit septischen Er¬ 
scheinungen. Bei umschriebener Thrombose oberhalb des unteren 

ungirra rern 

UMIVERSITY OF CALIFORNIA 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 34. 


Knies kann manchmal auf die Jugularisunterbindung verzichtet 
werden. 

Herr Georg Herzog: Demonstration eines primären Leber¬ 
krebses mit Metastasen bei einem 13 jährigen Knaben. 

Der Knabe hatte vor einigen Jahren Masern und kränkelte in 
den letzten Jahren. In den letzten Lebenswochen fiel eine hoch¬ 
gradige Abmagerung auf, häufig enleerte der Knabe blutige Stühle, 
einmal erbrach er auch Blut. 

Bei der Sektion zeigte die untere Hälfte des linken Leber¬ 
lappens an der Vorder- und Hinterfläche, in einem keilförmigen Ab¬ 
schnitt, eine zum Teil klein-, zum Teil grobhöckerige Beschaffenheit 
mit tiefen narbigen Einziehungen dazwischen und a. d. I). ein von 
einem derben unregelmässigen Bindegewebsnetz durchsetztes, in 
kleinere und grössere, hellgelbbräunliche Knoten gefeldertes Gewebe; 
der linke Hauptast der Pfortader und die in dem genannten keil¬ 
förmigen Gebiet sich aufteilenden Verzweigungen sind bis in die 
kleinen Aeste hinein von alten fibrösen, zum Teil kavernös kanali¬ 
sierten Thromben eingenommen und von narbigen Verdickungen des 
periostalen Gewebes begleitet. Die übrige Leber weist eine eben 
angedeutet flachhöckerige Oberfläche mit einigen tieferen narbigen 
Einziehungen und eine fleckig gelbliche Schnittfläche mit etwas un¬ 
regelmässiger Läppchenzeichnung auf. hie und da sind Pfortaderäste 
fibrös obliteriert. Ausserdem sind einzelne gelbliche, scharf abge¬ 
grenzte Knoten unter der Kapsel und im Parenchym nachzuweisen. 
Aehnliche erbsen- bis kirschgrosse, flache, derbe, gelbliche Knoten 
finden sich ferner in grösserer Zahl am Peritoneum der r. Zwerch¬ 
fellshälfte-, der rechten Nebennierengegend und am Mesocolon sig- 
inoideum. — Die Lymphdrüsen des Leberhilus und längs des Pan¬ 
kreas sind kirsch- bis pflaumengross, zum Teil paketartig angeordnet 
•und von grauweisslichen Geschwulstmassen infiltriert. — Die Milz 
ist vergrössert (10,5:7 cm), a. d. D. ziemlich zäh und blutreich. — 
Im Bereich des unteren Oesophagus und der Kardia des Magens sind 
die submukösen Venen stark erweitert. 

Mikroskopisch bietet der derbknotige Abschnitt des linken 
Leberlappens ein zum Teil sehr breites lamellöses Bindegewebsnetz 
mit Parenchymresten, massenhaften Gallengangswucherungen und 
vor allem unregelmässige Proliferationen, die im allgemeinen aus 
polygonalen Zellen mit bläschenförmigen Kernen und grossen Kern¬ 
körperchen bestehen, kleinere und grössere Knoten bilden, an weniger 
dichten Stellen eine strangförmige oder auch schlauchförmige und 
netzartige Verbreitungsweise zeigen; kurz das Bild ist makroskopisch 
wie mikroskopisch durchaus das des primären Leberkarzinoms bei 
Zirrhose. — An den Schnitten der übrigen Leber sind die Läppchen 
stellenweise atrophisch, stellenweise hypertrophisch, meist zentral 
verfettet, das periportale Gewebe ist vielfach fibrös verdickt, rund¬ 
zeilig infiltriert und zeigt Gallengangswucherungen, an den Pfort¬ 
aderästen treten häufig endophlebitische Verdickungen hervor. — 
Die umschriebenen Knoten im r. Lcberlappen und am Peritoneum und 
die Vergrösserung der Lymphdrüsen längs des Pankreas sind durch 
karzinomatöse Wucherungen bedingt, die denen des primären Leber¬ 
tumors gleichen, ebenso wie diese in und zwischen den Zellen Gallen¬ 
konkretionen enthalten, was ich besonders hervorheben möchte. 

Die genannten Befunde führen zu folgenden Ueberleg tingen: 
Die Leber zeigt eine diffuse chronisch-interstitielle Hepatitis leich¬ 
teren Grades; im Gefolge 'derselben sind wohl die fibrösen Oblitera¬ 
tionen des 1. Pfortaderastes und seiner Verzweigungen in der unteren 
Hälfte des I. Leberlappens und die stärkeren zirrhotischen Verände¬ 
rungen in diesem Gebiet entstanden. Auf diesen Abschnitt 
ist die karzinomatöse Entartung beschränkt. Ihre 
Entstehung werden wir höchstwahrscheinlich in ursäch¬ 
lichen Zusammenhang mit den genannten vorausge- 
gangenen Leberveränderungen bringen müssen. 

Die Aetiologie der chronisch-interstitiellen Hepatitis bleibt in 
diesem Fall unbekannt, die Wassermann sehe Reaktion war nega¬ 
tiv. Möglicherweise sind die vor einigen Jahren überstandenen 
Masern anzuschuldigen. 

Die grosse Seltenheit der bei Zirrhosen älterer Leute nicht un¬ 
gewöhnlichen Karzinombildung bei einem Kinde mit chronischer inter¬ 
stitieller Hepatitis liess mich den Fall etwas ausführlicher darstcllcn. 

Würzburger Aerzteabend. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 25. Juni 1918. 

Herr Gerhardt demonstriert Malariafälle: Der erste erkrankte 
Oktober 1917, wurde dann schulgerecht mit Chinin und Salvarsan 
behandelt, erkrankte im Februar 1918 an Cholelithiasiis, die durch 
Operation geheilt wurde, und bekam während der Rekonvaleszenz 
einen Rückfall von Malaria. Daraufhin neue typische Chininkur, nach 
4 Wochen, unter Ch >in ingebrauch, neues Malaria¬ 
rezidiv. Unter neuer Chinin- und Salvarsanbehandlung jetzt einst¬ 
weilige Heilung. Bei den beiden anderen Fällen brach die Malaria 
zum ersten Male aus im Anschluss an eine anderweitige Erkrankung, 
im einen Fall nach Lungenschuss, im andern nach akuter Kriegsnephri¬ 
tis. Beide Patienten kamen aus dem Westen waren früher lange am 
Stochod gestanden (keine Chininprophylaxe), wussten aber nichts von 
überstandener Malaria zu berichten. Es handelt sich offenbar bei 

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beiden um abnorm lange Inkubation (latenten Primär¬ 
infekt?) und um Provokation der Malaria durch die akzi¬ 
dentelle Erkrankung. Die Diagnose war in beiden Fällen 
dadurch erschwert, dass das Fieber anfangs ganz unregelmässig ver¬ 
lief und erst nach einigen Tagen den Tertianatypus annahm. Die 
Fälle zeigen, wie sehr man jetzt an Malaria als Ursache unklarer 
Fieber und als Komplikation anderer Erkrankungen denken muss, 
auch wenn die Anamnese nichts von früherer Malaria berichtet. 

2 Fälle von Hypophysentumor. 

a) 24 jähriger Soldat, klagt seit 1 Jahr über Kopfschmerz und 
fortschreitende Abnahme der Sehkraft des r. Auges. Seit V* Jahr in 
die Heimat beurlaubt, hier Beschwerden geringer, nur bei stärkerer 
Anstrengung wieder Kopfwc h. Körpergewicht hatte im Feld ab¬ 
genommen, ist zu Hause wieder auf die alte stattliche Höhe gestiegen. 
Die rechte Papille ist etwas abgeblasst; bitemporale Hemi¬ 
anopsie mit starker Einschränkung der erhaltenen nasalen Feld¬ 
hälfte des rechten Auges. Das Röntgenbild zeigt deutliche Ex¬ 
kavation der Sella turcica und auffallend grosse, an Akro¬ 
megalie erinnernde Stirnhöhlen. Ob die Adipositas (85 kg bei 
1,73 cm Körpergrösse) als Hypophysensymptom aufzufassen ist, lässt 
sich zurzeit kaum entscheiden. 

b) 51 jähriger Arbeiter, merkt seit 4 Jahren, dass die Hände und 
Fiisse grösser werden, die Sehkraft, besonders rechts, abnimmt, die 
Sprache schwerfälliger wird. Libido und Facultas coeundi abnehmen. 
Seit 3 Jahren dauernder, aber erträglicher Stirnkopfschmerz. Pat. 
hat bis zum Spitaleintritt gearbeitet, kam lediglich wegen Hämor- 
rhoidalbeschwerden. Typische Akromegalie, beiderseits hoch¬ 
gradige konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung, welche eben noch 
die bitemporale Hemianopsie erkennen lässt, starke Ex¬ 
kavation des Türkensattels und auffallend grosse Stirn¬ 
höhlen im Röntgenbild. 

Bei beiden Pat sind die Beschwerden nicht so heftig, dass sie 
zurzeit den Versuch operativer Entfernung der Hypophysengeschwulst 
rechtfertigen würden. Deshalb wurden beide Fälle zunächst mit 
Röntgenbestrahlung behandelt, die nach den• Erfahrungen der Frei¬ 
burger med. Klinik im Verein mit Radiumwirkung (vom Rachen aus) 
Rückbildung der Tumoren erhoffen lässt. 

2 Fälle von Klappenfehler: 

a) 22 jähriger Kaufmann mit sehr ausgeprägter Aorten- 
Insuffizienz. Vor Jahren Gelenkrheumatismus, seither alljähr¬ 
lich einige Wochen Fieber und Herzbeschwerden, sonst Wohl¬ 
befinden. Neuerdings häufiger solche Fieberanfälle, die beiden letzten 
Male Beginn mit heftigen Schmerzen in der linken NierengegemL 
Hämaturie, Abnahme der Harnmenge, reichlich hämorrhagischen 
Zylindern (wohl- Niereninfarkte). Pat. ist seit % Jahren zum 4. Mal 
in der Klinik, hat sich jedesmal rasch erholt und konnte nach 2 bis 
3 Wochen seine Arbeit wieder aufnehmen. 

b) 42 jähriger Schlosser mit alter rheumatischer Aorten- und 
Mitralstenose und Trikuspidalinsuffizienz, mit mächtigem systolischen 
Venenpuls. Vor !4 Jahr allmählich zunehmende Insuffizienzerschei¬ 
nungen. die sich unter Digitalis langsam wieder besserten, nach eini¬ 
gen Tagen des Aufseins und Herumgehens neue Oedeme, starke Zya¬ 
nose und Dyspnoe. Im Spital unter Digitalis rasche Besserung, der 
Pub» sank vom Delirium cordis mit ca. 160 Schlägen bald auf 50—60. 
Oedeme und andere Beschwerden verloren sich. Dass die Arhythmia 
Perpetua trotz der besseren Herzfunktion bestehen bleiben werde, 
war zu erwarten. Das Weiterbestehen des grossen systolischen 
Venenpulses lässt auf organische Trikuspidalinsuffizienz schliessen. 

Die beiden Fälle demonstrieren gut die beiden Hauptgefahreu 
der Klappenfehler: einerseits die rekurrierende Endokarditis, anderer¬ 
seits die Insuffizienz des Herztmiskels. 

Gutartig verlaufende Phthise trotz ausgebreiteter Infiltration. 

18 jähriges Dienstmädchen, das in scheinbar voller Gesundheit 
nach 1 tägigem Unbehagen von Bluthusten befallen wurde. Trotzdem 
die Hämoptoe 6 Tage anhielt und die anfangs auf 40° gesteigerte 
Temperatur erst nach 8 Tagen wieder normal wurde, erholte sich 
die Pat. glänzend und nahm in 2Vv Monaten um 37 Pfd. zu. Sie sieht 
blühend aus, hat keinen Auswurf, normale Pulszahl, keine Beschwer¬ 
den. Dabei ergibt der objektive Befund Zeichen der Infiltration (ein¬ 
schliesslich zahlreiche klein- und mittelblasige Rasselgeräusche!) über 
fast der ganzen linken Seite, und das Röntgenbild zeigt entsprechend 
ausgedehnte Schatten, ein deutliches Beispiel, dass nicht die Grösse 
der befallenen Lungenteile, sondern iin wesentlichen nur das Fort¬ 
schreiten oder Stillstehen der Krankheit für die Beurteilung mass- : 
gebend sein soll. 

25 jähriger Soldat mit Halsschuss; gleich nach der Verletzung 
(April 1918) Lähmung des rechten Arms und beider Beine, in den 
ersten Wochen auch Sensibilitätsstörung in den gelähmten Gliedern 
und Harnverhaltung. Jetzt besteht völlige atrophische Lähmung mit 
EaR. an den rechten Kleinhandmuskeln, massige Parese und Herab¬ 
setzung des elektrischen Zuckungsvermögens in einigen Beugemuskeln 
am Vorderarm, fast totale spastische Lähmung des rechten* spatische 
Parese des linken Beins, Stehen und Gehen noch unmöglich. Sensi¬ 
bilität überall intakt trotz der hochgradigen motorischen Lähmung. 
Der Fall demonstriert gut die weit grössere Resistenz der sensibeln 
Fasern sowohl im zentralen wie im peripheren Neuron. 


Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



20. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


951 


Akademie der Wissenschaften in Paris. 

Ueber Aetiologie und Prognose der Kriegstaubheit. 

Ueber die Folgen der Erschütterung, welche der Organismus 
bei der Explosion grosskalibrigen Geschosses erleidet, wie dies im 
gegenwärtigen Krieg häufig vorkäme und über seine diesbezüglichen 
Versuche mit Explosivstoffen auf den Schiessplätzen der Pulver¬ 
fabrik von Sevran und der Geschützgiesserei von Schneider in 
Harfleur sprach in der Sitzung der Pariser Akademie der Wissen¬ 
schaften vom 14. Januar 1918 Marage (Contribution ä t'ötude des 
commotions de guerre, Note de M. Marage, presentee par M. R. 
Bourgois C. R. Tome 166 Nr. 3, 1918). 

Die Geschwindigkeit der Schallwellen beim Abgang (etwa 
2000—3000 Sekundenmeter) hinge von der Menge und der Art des 
Explosivstoffs ab. Die Geschwindigkeit nähme sehr rasch ab und 
betrüge schon in 30 m Entfernung nur noch 400 m. Daraus ergäbe 
sich eine Zunahme des Drucks, welcher im vorliegenden Fall 150 bis 
300 kg pro 1 qcm betrüge. Der Druck nähme sehr rasch ab und 
wäre bei 20 m mir 2—3 kg; bei 50—60 m sei er praktisch gleich Null 
und bei 1300 m Entfernung von der Stelle der Explosion konstatiere 
man nur einen Ueberdruck von 1 mm Quecksilber. 

Ueber die klinischen Erscheinungen äusserte sich Marage 
folgendermassen: Wie man wisse, sei die Gehirnrinde sehr empfind¬ 
lich, so dass Soldaten, welche trepaniert wurden, nicht mehr in die 
Feuerlinie geschickt werden dürfen; ihr Gehirn wäre an einer Stelle 
nicht genügend durch den Schädelknochen geschützt, so dass schon 
eine blosse Erschütterung tödliche Folgen haben könnte. Bei einer 
Anzahl von Leuten, die bis 60 m weit von der Stelle der Explosion 
enfernt wären, äusserte sich die Erschütterung des Gehirns in ver¬ 
schiedenster Weise. Einige stürben ohne äuserlich sichtbare Ver¬ 
letzung, andere wieder trügen, auch ohne eine solche, die 
Symptome einer heftigen Erschütterung davon: sofortige Bewusst¬ 
losigkeit. darauf Gedächtnisschwund*, Gleichgewichtsstörung, Blind¬ 
heit. Taubheit, Verlust der Sprache und dazu stets äusserst heftige 
Kopfschmerzen. Das Bewusstsein kehrte sofort wieder, anderes. 
Gedächtnisschwund, Gleichgewichtsstörung, Blindheit, Taubheit und 
Kopfschmerzen konnten jahrelang bestehen bleiben; bei andern 
wieder verschwänden sie nach 1—8 Wochen. 

Man könne das Gehirn als Körper aus einer deformierbaren 
Masse auffassen; dieser wäre mit einer, als solche nicht komprimier¬ 
baren Flüssigkeit in einer starren Kapsel, dem Schädel, eingeschlossen 
und hätte mit der Aussenwelt nur kapillarenge Verbindungen. 

Man verstände sehr wohl, wie die verschiedensten Symptome 
zustande kämen, je nachdem wo sich gerade der Mann im Augenblick 
der Explosion befand. 

Nach seinen Versuchsergebnissen an Kaninchen und Meer¬ 
schweinchen müsse er sagen, dass in den Gehörgang eingeführte 
Apparate zwar das Trommelfell schützen, aber absolut nicht die 
Gehirnerschütterung verhüten könnten, und dass die Kriegstaub¬ 
heit auf einer Läsion des Gehirns, nicht aber auf einer solchen des 
Gehörorgans beruhe. Dr. L. Katharine r. 

Dnrcti den Schock veranlasse Alterationen des Lebergewebes. 

In der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 
15. April 1918 sprach N a n t a über die ersten histologischen Ver¬ 
änderungen der Leber nach einer schweren Verwundung. (Les 
altSrations initiales du foie dans les grand traumatismes, Note de 
M. A. N a n t a, presentee par Charles Richet C. R. Tome 166, Nr. 17, 
1918.) 

Die Pathogenese des traumatischen Schocks wäre bisher noch 
gänzlich dunkel. Ohne darüber urteilen zu wollen, ob dabei Toxine 
in Frage kämen, herrührend von der Autolyse des Wundgewebes, 
hätte er untersuchen wollen, ob sich Zeichen des Schocks bei den 
Abwehrorganen, speziell der Leber bemerkbar machten, und ob 
in der Beziehung ein Unterschied bestände zwischen direkt von 
einem Trauma betroffenen und nur vom Schock ergriffenen Personen. 
Er hätte nun bei zahlreichen Schwerverletzten Symptome gefunden, 
welche für einen engen Zusammenhang zwischen Leber und Schock¬ 
erscheinungen sprächen; bei 15 Autopsien hätte er dieselben nur 
5 mal nicht ausgesprochen gefunden; die Leber war hier fast normal 
und der letale Ausgang infolge von Gefäss- und Gehirnverletzungen 
nach 4, 7, 8, 25 und 35 Stunden eingetreten. Zwei andere Fälle 
waren unbrauchbar, weil die Leberveränderungen in die Zeit vor 
der Verwundung zurückreichten; die anderen Patienten waren nach 
14, 21, 23, 24, 26, 40, 44 und 48 Stunden im Zustand des Schocks 
gestorben, nur bei 4 davon war die Leber getroffen worden, 
während die anderen in der Chloroformnarkose gestorben waren. 
Die 6 ersten Fälle zeigten mehr oder minder schwere, unter sich 
übereinstimmende Alterationen der Leberhistologie; sie waren diffus 
in der ganzen Leber verbreitet und mittelstark ausgeprägt, ohne dass 
diese selbst direkt betroffen war; sehr ausgeprägt waren sie dagegen 
in einem Drittel der Leber, dort, wo diese verletzt worden war; 
durch eine einfache Entzündung waren sie noch gesteigert. Der 
erste Patient hatte nicht stark ausgesprochene Schockerscheinungen 
verschiedener Art gezeigt, die aber erst nach 15 Stunden ver¬ 
schwanden. Manches, wie die Verfettung und Pigmentierung, stellten 
offenbar eine Reaktion dar und waren pathologisch hochgradig. An¬ 
dere Symptome wieder, wie die Bildung und das Ausstossen baso- 

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philer Körnchen, wiesen auf eine äusserst gesteigerte Tätigkeit der 
Drüsenzellen hin, welche zu einer Erschöpfung der Drüsentätigkeit 
durch Aufbrauchen des Zellprotoplasmas führte. In 2 Fällen war 
das Gewebe degeneriert, die zentralen Leberbälkchen geschwellt 
und die Albumine des Protoplasmas geronnen; Fetttröpfchen dagegen, 
Pigmentanhäufungen und jede Granulation fehlten, was offenbar mit 
dem Aufhören der Zelltätigkeit zusammenhing. Aus allem hätte sich* 
ergeben, dass die Leber bei schweren Verwundungen stark alteriert 
würde, und dass der Tod in diesen Fällen nicht auf die Zerstörung 
eines 'lebenswichtigen Organes zurückzuführen wäre. Natürlich folgte 
daraus nichts, was gegen eine gleichzeitige Blutstauung in der Leber 
und den Eingeweiden überhaupt spräche. Auch könne die Resorption 
von durch Autolyse in der Wunde gebildeten Giften und die in der 
Innervation eingetretenen Störungen eine Alteration des Protoplas¬ 
mas der Drüsenzellen verursachen. Jedenfalls würde der Schock 
durch eine rapid eintretende Alteration des Lebergewebes kom¬ 
pliziert. Dr. L. Katharine r. 


Kleine Mitteilungen. 

Gebühren für Röntgenuntersuchungen. 

Der Ausschuss der Deutschen Röntgengesellschaft hat be¬ 
schlossen, die vor dem Kriege festgesetzten Mindestpreise für ärzt¬ 
liche Untersuchungen mittels Röntgenstrahlen zu erhöhen. Die Be¬ 
rechnung soll in Zukunft nur noch nach den aufzunehmenden Körper¬ 


teilen erfolgen. 

Die Sätze sind für: 

a) einzelne Finger oder Zehen.M. 6.— 

b) Mittelhand, Mittelfuss, ein bestimmter Teil des Ge¬ 
bisses .M. 7.50 

c) Hand, Fuss, Vorderarm, Ellbogen, Oberarm, Unter¬ 
schenkel .M. 12.— 

d) Schulter, Knie, Oberschenkel, Hüfte, ein bestimmter 

Teil des Wirbelsäule.M. 15.— 

e) Kopf, ein bestimmter Teil des Brustkorbes, Beckens 

und der Harnwege.M. 18 — 

f) ein bestimmter Teil der Verdauungswege, des ganzen 

Brustkorbes .M. 22.50 


Für jede weitere Aufnahme desselben Körperteils am selben 
Tage ist die Hälfte dieser Preise zu entrichten. Kleine Abzüge bis 
18 X 24 3 M., grössere 6 M. Diagnose inbegriffen. 

Für eine Durchleuchtung sind 10 M. zu zahlen. 

Die Kosten für zur Röntgenuntersuchung notwendige Medika¬ 
mente (z. B. Kontrastmittel) sind in obigen Preisen nicht mit ein¬ 
begriffen. 

Bei therapeutischen Bestrahlungen sind bei der Oberflächen¬ 
therapie 10 M. für die Sitzung und bei der Tiefentherapie 15 M. für 
die Sitzung festgesetzt. 

Therapeutische Notizen. 

Die Typhusharnreaktion, neue Methode der 
Harndiagnose des Typhus beschreibt Hector D i a c o n o 
in eingehender Darstellung (Presse medicale 1917 Nr. 59). Die Tech¬ 
nik derselben ist folgende: Der 24stündige Urin' wird auf den Gehalt 
an NaCl untersucht; ist er unter 8 g pro Liter Harns, dann muss 
der Kochsalzgehalt auf diese Höhe gebracht werden. Zur Ausführung 
der Versuche dient ein den Eberth sehen Bazillus agglutinierendes 
Serum in der Verdünnung von 1:10 000. Dem Harn zugesetzt, und 
zwar in nochmaliger Verdünnung mit physiologischer Kochsalzlösung 
(1:5), ergibt diese Mischung nach höchstens 3—4stündigem Ver¬ 
weilen im Brutschränke (bei 37°) einen ganz charakteristischen 
flockigen Niederschlag (Agglutination). Diese Typhusharnreaktion ist 
eine einfache biologische Methode und führt zu rascher und sicherer 
Diagnose (des Typhus abdominalis); sie kann von jedem, auch wenig 
geübten Praktiker ausgeführt werden und erfordert kein kompli¬ 
ziertes Untersuchungsmaterial. Die Geschwindigkeit der Reaktion 
ist bei 37 0 eine erhöhte und erreicht ein gewisses Höhenstadium, um 
mit der Besserung des Kranken allmählich wieder abzunehmen. Die 
Reaktion stellt sich mit einem Urin (von Typhuskranken) nicht ein, 
der vorher auf Rapier- oder Porzellanfilter filtriert worden ist. 
Kochsalz hat eine die Typhus-Harnreaktion begünstigende Wirkung. 
Es scheint einen Grenzgehalt an Chloriden im Urin zu geben, über 
den hinaus die Reaktion weder an Geschwindigkeit noch an Stärke 
(Intensität) zunehmen kann; dieser Grenzgehalt beträgt, in Kochsalz 
ausgedrückt, 7—8 g Chloride pro Liter Urins. Die Typhtis^Harn- 
reaktion tritt mit der Jodreaktion auf, sie geht manches Mal sowohl 
der Ehrlich sehen Diazoreaktion wie der G r u b e r - W i d a I sehen 
Serumreaktion voraus, sie verschwindet mit der Heilung des Kranken. 
Die Reaktion ist spezifisch, da sie k in zahlreichen Versuchen bei 
anderen Krankheitsfällen nicht aufgetreten ist — ausser bei gewissen 
Fällen von akuter Miliartuberkulose mit trüber Prognose, wo sie in 
schwachem oder zweifelhaftem Grade vorhanden sein kann. Die 
Typhüs-Harnreaktion ist also mit Ausnahme dieser Fälle, wo auch 
die Jodreaktion sehr ausgesprochen ist, ganz charakteristisch für 
Typhus. St. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 









952 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT._ Nr. 3 4. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 19. August 1918. 

— Kriegschronik. Der englisch-französische Angriff zwi¬ 
schen Somme und Avre hat sich in der vergangenen Woche bis zur 
Oise ausgedehnt. Vorspringende deutsche Stellungen wurden zu- 
rückgenommen und Mondidier geräumt lm übrigen hat der Angriff 
nach dem ersten Ueberraschungserfolg keine grösseren Fortschritte 
mehr gemacht. Eine italienische Offensive am Tonalepass ist ge¬ 
scheitert. Aus Russland werden Siege der Sowjettruppen über die 
Tschecho-Slowaken gemeldet. Im (iou\ ernement Archangelsk ist es 
zu Zusammenstössen zwisciien Ententetruppen und russischen Re¬ 
gierungstruppen gekommen. Ein Vorstoss der englischen Flotte gegen 
die deutsche Bucht endete erfolglos und kostete den Gegner 6 Schnell¬ 
boote. 

— Auch die preussische ärztliche Gebühren¬ 
ordnung ist den veränderten Lebensverhältnissen entsprechend 
abgeändert worden. Die neuen preuss. Mindestsätze bleiben hinter 
den in der vor. Nr. mitgeteilten bayerischen beträchtlich zurück. Die 
im Reichsanzeiger vom 12. August Nr. 1S9 veröffentlichte Bekannt¬ 
machung werden wir in der nächsten Nummer zum Abdruck bringen. 

— Der „Reichsanzeiger“ veröffentlicht eine Widerlegung der 
Behauptung, dass die in letzter Zeit häufig auftretenden Haut¬ 
erkrankungen, insbesondere der Bartflechte, auf den Tongehalt 
der Kriegsseife zurückzuführen sei. Die Streckung der Seife 
mit Ton wurde seinerzeit unter Zuziehung der berufensten medi¬ 
zinischen Sachverständigen beschlossen, ohne dass einer derselben 
irgendwelche Bedenken dagegen geäusscrl hätte. Auch nach neueren 
Gutachten hervorragender Dermatologen ist eine derartige schädliche 
Wirkung des Tons vollkommen ausgeschlossen. 

— lieber die Wirkung der Verordnungen über die Ankündigung 
von Heilmitteln auf den G e h e i m in i 11 e 1 v e r k e h r äussert sich 
(nach Pharm. Ztg.) der soeben erschienene Bericht über die Tätig¬ 
keit der Chemischen Untersuchungsanstalt der Stadt Leipzig im 
Jahre 1917 wie folgt: „Zu den Ueberraschungen des Krieges gehört 
auch die völlige Lahmlegung aller bisher mit Kurpfuscherei und 
Geheimmittelerzeugung beschäftigten Betriebe. Was bisher der ge¬ 
sunde Verstand der Bevölkerung und die einschlägige Gesetzespraxis 
nicht vermochten, nämlich den Schwindel mit Geheimmitteln und 
Spezialitäten und den Unfug des Anpreisens von Arzneien, Apparaten 
und anderen Gegenständen zur Linderung oder Heilung von Krank¬ 
heiten, einzudämmen, hat die Kriegszeit rasch und gründlich erledigt. 
Die Verordnung der kommandierenden Generale des XII. und XIX. 
K. S. Armeekorps hat Wunder gewirkt und viele vor Ausgaben be¬ 
wahrt, die sie für die Beschaffung der notwendigen Nahrung besser 
gebrauchen konnten. Da auch die Zufuhr ausländischer Geheimmittel 
aus den berüchtigten Laboratorien des feindlichen Auslandes (Eng¬ 
lang und Amerika) abgeschnitten ist, ist die Belästigung und Aus¬ 
beutung des deutschen Volkes durch Angebot schwindelhafter Er¬ 
zeugnisse auf ein solches Mass beschränkt worden, wie es auch in 
der kommenden Friedenszeit zu wünschen wäre.“ 

— In Hamburg ist ein Salvarsanschwindel aufge¬ 
deckt worden. Ein Ingenieur und ein Drogist verkauften für 79 000 M. 
zwei grosse Flaschen Salvarsan nach Wilhelmsburg, das sich bei der 
Nachprüfung aber als gefärbter Chlorkalk erwies. Beide wurden 
verhaftet, auch konnte ihnen das Geld vollzählig abgenommen werden. 
(Pharm. Ztg.) 

— Das Goldene Doktorjubiläum feierten die Kollegen 
Dr. Ludwig J a k o b in Schwabach und Dr. Karl Bosch in Weisingen 
bei Dillingen. 

— ImSanatoriumamHaussteinfürLungenkranke 
aus dem Mittelstände in Bayern wurden im Jahre 1917 
313 Kranke aufgenommen und verpflegt. Hievon waren im I. Krank¬ 
heitsstadium 119, im II. 98, im III. 72 Kranke. Gebessert wurden 
246 — 85,4 Proz., ungebessert blieben 37 = 12,9 Proz., gestorben 
sind 6 — 2,3 Proz. Von 98 — 34 Proz. mit Fieber aufgenommenen 
Kranken konnten 55 ohne Fieber entlassen werden. Tuberkelbazillen 
hatten bei der Aufnahme 149 — 51,6 Proz.; hievon wurden 20 bazillen- 
frei. Der Freiplatzfonds für einen unbemittelten Arzt oder Medizin¬ 
studierenden hat die Höhe von 3542 M. erreicht. 

— Cholera. Russland. In Petersburg ist zufolge Mitteilungen 
der Stadtverwaltung die Cholera zuerst am 5. Juli aufgetreten, hat 
sich anfänglich rasch verbreitet, aber ist seit dem 16. Juli in der 
Abnahme begriffen. In den Krankenhäusern der Stadt, ausgenommen 
die Militärlazarette, sind bis zum 16. Juli 3388 Cholerakranke be¬ 
handelt worden, davon sind 1054 gestorben. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 21.—27. Juli sind 
812 Erkrankungen (und 62 Todesfälle) gemeldet worden. 

— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 21. 
bis 27. Juli 1 Erkrankung unter Kriegsgefangenen im Regierungs¬ 
bezirke Marienwerder. Für die Vorwoche wurde nachträglich noch 
1 Erkrankung bei einer aus Russland zugereisten russischen Arbeiterin 
auf dem Lautenbacher Hof, Gemeinde Oedheim (Oberamt Neckarsulm, 
Württemberg) gemeldet. — Deutsche Verwaltung in Kurland. In der 
Woche vom 30. Juni bis 6. Juli 1 Erkrankung. — Deutsche Verwaltung 
in Litauen. In der Woche vom 23.—29. Juni 206 Erkrankungen und 
7 Todesfälle, vom 30. Juni bis 6. Juli 146 Erkrankungen und 9 Todes¬ 
fälle. — Deutsche Kreisverwaltung in Suwalki. In der Woche vom 


30. Juni bis 6. Juli 16 Erkrankungen. — Oesterreich-Ungarn. In 
Ungarn wurden in der Zeit vom 1.—7. Juli 8 Erkrankungen (und 
l Todesfall) angezeigt. 

— In der 30. Jahreswoche, vom 21. 27. Juli 1918, hatten von 
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Potsdam mit 49,4, die geringste Riistringen mit 7,6 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Todesfälle 
trat auf Keuchhusten in Berlin-Reinickendorf. Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Dem Privatdozenten für Kinderheilkunde Dr. Paul 
Reyher ist das Prädikat Professor verliehen worden, (hk.) 

Bonn. Geh. Obermedizinialrat Prof. Dr. Friedrich Schultz e, 
der ehemalige ausgezeichnete Kliniker der Bonner Universität, feierte 
am 17. ds. den 70. Geburtstag. 

Göttingen. Zum Nachfolger des verstorbenen Geh. Medizinal¬ 
rats Jung im Ordinariat und in der Leitung der Frauenklinik ist 
Prof. Dr. Karl Reifferscheid von der Universität Bonn aus¬ 
ersehen. (hk.) 

Halle a. S. In Vertretung des erkrankten Prof. Seil he im 
hat Prof. Heynemann die Leitung der Frauenklinik übernommen. 

Leipzig. Die Privatdozenten Dr. Paul Huebschmann, 
Assistent am pathologischen Institut, und Dr. Heinrich K l i e n, Assi¬ 
stent der psychiatrischen und Nervenklinik, wurden zu a. o. Pro¬ 
fessoren ernannt. 

Marburg. Dem Privatdozenten für Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie Dr. Friedr. K i r s t e i n wurde der Titel Professor verliehen, (hk.) 

Todesfälle. 

Am 7. August fiel durch Fliegerbombe der a. o. Professor und 
Oberarzt an der chirurgischen Klinik der Universität Giessen 
Dr. Anton T h i e s, Stabsarzt d. Res. Dr. T h i e s. geboren 1878 zu 
Friedberg, war Assistent bei Prof. Perthes in Leipzig und Prof. 
Poppert in Giessen, (hk.) 

In Graz starb der a. o. Professor der Elektrodiagnostrk und 
Elektrotherapie an der dortigen Universität Dr. med. Franz Müller 
im Alter von 63 Jahren, (hk.) 

Berichtigungen. In Nr. 25 S. 684 Sp. 1 ist unter „Anti- 
syphilitika“ statt „Hg-Olival“ zu lesen: „H g-0 1 i nai“. 

In der Mitteilnug von O. Giese „Körperentlausung durch Ent¬ 
haarungspulver“, d. W. Nr. 25, S. 681 ist an zwei Stellen statt 
Strontium sulfuricum zu lesen: Strontium sulfuratum. 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben: 
Assistenzarzt d. Res. Ulrich B e n n e r. Lossen. 

Oberarzt d. Res. Alfred Bornstein, Breslau. 
Oberstabsarzt Jaques Cohn, Ostrowo. 

Feldhilfsarzt Oskar Cranz, Stuttgart. 

Oberstabsarzt d. Res. Robert Engel, Köln. 

Feldunterarzt Rudolf E u 1 e n s t e i n, Neu-Ulm. 

Stabsarzt d. Res. Hermann Fitzau, Dessau. 

Oberstabsarzt d. L. a. D. Adolf G o e t z e, Schlon. 
Oberstabsarzt d. Res. Fritz Helmke, Freienwalde. 
Oberarzt Julius Ho Ich, Stuttgart. 

Stabsarzt d. L. Johanes Hynitzsch. Halberstadt. 
Oberarzt Oskar Kampmann, Trier. 

Oberarzt d. Res. Bernhard ,K 1 e 11, Stuttgart. 

Assistenzarzt d. Res. Hans Lauterbach, Wahlershausen. 
Feldhilfsarzt Erwin Lücke r, Düsseldorf. 

Oberarzt d. Res. Ernst Matth es, Wattenbach. 
Feldhilfsarzt Hermann Rosen t ha 1, Berlin. 

Oberarzt d. L. Johann Roth. Bons. 

Stabsarzt d. Res. Karl .Schmidt, Walsheim. 

Feldhilfsarzt Adolf Schwedes, Völckershausen. 
Feldunterarzt Werner T h a 1 h e i m, Oppeln. 

Oberarzt d. Res. Fritz Trockels, Ibbenbüren. 

Stabsarzt d. L. a. D. August Weiland, Oldenswort. 
Zivilarzt Theodor Wette, Herbern. 

Feldarzt Wilhelm W e e c k e, Brake. 

Landsturmpfl. Arzt Dr. Richard W o e r n e r, Haslach. 
Oberarzt d. Res. Walther Zurbonsen, Bremerhaven. 


Die Herren Kollegen werden darauf aufmerksam gemacht, dass 
es zweckmässig ist, das Honorar für Behandlung eines Kollegen der 

„Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse*' 

zuzuwenden. 

Einzahlungen sind zu machen auf das Scheckkonto Nr. 9263 der 
Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse bei der Bayerischen Hypo¬ 
theken- und Wechselbank München, Theatinerstr. 11 (Postscheck¬ 
konto der Bank Nr. 322). Obligationen und Kriegsanleihen sind zu 
hinterlegen auf das Depot Konto Nr. 75 859 ebenfalls bei der Bayer. 
Hypotheken- und Wechselbank München. 

Münchener Aerztliche Kriegshilfskasse. 

Prof. Dr. Kerschensteine r, Hofrat Dr. K r e c k e, Dr. Scholl. 
Hofrat Dr. Freudenberger, Hofrat Dr. Spatz. 


I). F. Libnitn In München S.W. 2, Pani Heyiestr. 26. — Druck von E. Mflhlthaler 1 

Digitizedby 


Bach- and Kmctdmckerei A.Q., München. 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




fiele der einzelnen Nummer t0 4> • Bezugspreis In Deutschland 
• • • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • • 
1—e wttn s c hluss am Donnerstag einer Jeden Woche. 


MÜNCHENER 



Medizinische Wochenschrift. 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 35. 27. August 1918. 

Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 

Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 

65. Jahrgang. 

Der Vertag bebllt sich du ausschliessliche Recht der Vervielfiltfgung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbdtrftge vor. 


Originalien. 

Zur Steckschussfrage, besonders der Magnetanwendung 
s bei ihnen. 

Von Prof. Wieting, beratender Chirurg. 

Die Steckschüsse spielten in jedem Kriege eine grosse Rolle, sie 
tun es auch jetzt und werden es nach dem Kriege noch eine geraume 
Zeit tun. Es ist daher mit Genugtuung zu begrüssen, dass überall, 
wo es geboten scheint, nunmehr besondere Steckschussabteilungen 
eingerichtet werden, die der Sache systematisch zu Leibe gehen. 

S y s t e m a t i s c h e Arbeit ist ja bei dem Massenbetriebe an Ver¬ 
wundeten eine der dankenswertesten und fruchtbarsten 
Einrichtungen und darum eine der notwendigsten. 

Sie sollte auch auf anderen Gebieten noch mehr berücksichtigt wer¬ 
den, als es bisher geschieht, so nicht nur auf den Kiefer- und 
Gehirnabteilungen, sondern auch auf gesonderten Fraktur-, Lungen¬ 
schuss-, Gefässschussabteilungen, damit zum Wohle der Betroffenen 
eine konzentrierte Erfahrung, erfahrungsreiche Pflege und Nachbe¬ 
handlung einsetzen könne. 

Die Erfahrungen werden sich bald verdichten zu idealen 
Leitsätzen und schon beginnen sie sich herauszuschälen, auch in 
der Frage der Steckschüsse. Es ist dabei aber wohl zu bedenken, 
dass diese schon einsetzen müssen, ehe die Verwundeten in die 
Sonderabteilungen kommen können und dass manche Dinge zur Ent¬ 
scheidung gebracht werden können und müssen mit der ersten 
aktiven Wundversorgung. Je eher das schädigende Pro¬ 
jektil frerausgebrächt werden kann, desto besser ist es im Allge¬ 
meinen, vorausgesetzt, dass eine Indikation zum Ein¬ 
griff vorliegt. Hier könnten nun die sonst erschöpfenden Aus¬ 
führungen Grasfreys (M.m.W. 1918 Nr. 10) leicht zu Missver¬ 
ständnissen führen, denen ich hier kurz entgegentreten möchte. 
Grashey sagt: „Aus frischen Wunden extrahieren wir nur stark 
infizierte Fremdkörper nach Ausschneiden des Einschusses und Spal¬ 
tung. . . . Die Drainage bzw. Spaltung ist zunächst wichtiger als die 
Entfernung des metallischen Fremdkörpers. ... So sahen wir auch 
Kniegelenke mit Granatsplittern bis zu Pflaumenkerngrösse nach pro¬ 
phylaktischer Phenolkampferinjektion unter Ruhigstellung und Stauung 
fast immer sich beruhigen und holten sie erst nach einigen Wochen.“ 
..Auch beim Gehirn eilen wir mit der Entfernung eines Splitters nur, 
wenn er am Ende eines kurzen Schusskanals liegt.“ Diesen An¬ 
schauungen pflichte ich bei, wenn es sich um schon infizierte Ge¬ 
lenke handelt und es scheint auch, dass G r a s h e y bei seinem 
Material aus dem Kriegslazarett solche Fälle meint. Es sind das aber 
ja keine „frischen“ Wunden mehr, wenn wir „stark infizierte“ Fremd¬ 
körper extrahieren oder Sekret und Fieber bestehen. 

Demgegenüber ist zu betonen, das® die Frühextraktion 
der Geschosssplitter, die primäre Entfernung unter 
allen Umständen dann vorzuziehen ist, wenn eben eine primäre vor¬ 
beugende Wund Versorgung im aktiven Sinne durchgeführt werden 
kann. Ich lasse sofort, wenn ein Gelenkschuss eingeliefert 
wird, Röntgenaufnahmen in zwei aufeinander senkrechten Ebenen 
machen — das genügt vollkommen, da der frische Schusskanal uns 
unfehlbar zum Fremdkörper leitet, und operiere ohne Zeitverlust 
innerhalb der ersten 36 Stunden etwa, solange noch keine nennens¬ 
werten Entzündungserscheinungen vorliegen. Je früher die 
Operation vorgenommen werden kann, desto glän¬ 
zender sind die Ergebnisse! Der Schusskanal wird sorg- 
fältigst ausgeschnitten, auch im Band- und Kapselapparat, der ver¬ 
letzte Knochen ausgehöhlt, wo der Fremdkörper lag, Fissuren geglättet, 
das Knochenbett mit reiner Karbolsäure ausgewischt und mit einem 
scharfen Löffel voll Jodoformpulver gefüllt, das Gelenk vor und nach 
der Knochenoperation mit je einem halben Liter 3proz. Karbollösung 
ausgespült und dann die Kapsel genäht, oder das Knochenloch extra- 
kapsuliert, die Haut darüber als bester Schutzverband gegen 
sekundäre Infektion ganz oder teilweise geschlossen. Dieses Ver¬ 
fahren hat mir auch ohne Vuzinierung oder Phenolkampfer oder 
Stauung die glänzendsten Ergebnisse gezeitigt und wird ja auch von 
vielen anderen Chirurgen mit grösstem Vorteil verwandt. Vorbe¬ 
dingung ist natürlich eine gute Röntgenaufnahme. 
Ganz ähnlich verfahre ich bei den frischen Ge¬ 
hirnsteckschüssen. Hier ist die primäre Entfernung der 
Granatsplitter und der primäre Wundverschluss nach Ba- 
Nr. 35. By 

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rany, sofern die äusseren Bedingungen gegeben sind, vor allein ein 
Röntgenapparat vorhanden ist, von so alle anderen Methoden über¬ 
ragendem Werte, dass Zweifel an der Berechtigung solchen Vor¬ 
gehens nur denen kommen können, die nicht alle Behandlungs¬ 
methoden selbst vom Anfang bis zum Ende gründlichst kennen ge¬ 
lernt und erprobt haben. Näher darauf eingehen möchte ich hier 
nicht, da ich meine Anschauungen andernorts (s. D. Zschr. f. Chir. 
1918) kurz niederlegte. 

Die von Grashey im einzelnen sonst genau formulierten Indi¬ 
kationen decken sich mit den von mir (s. D.m.W. 1918) aufgestelitcn 
so sehr, dass ich ihnen voll und ganz beistimmen kann. Der Zweck 
der nachfolgenden Zeilen ist im wesentlichen der, die An w endun g 
de® Elektromagneten in einzelnen Punkten näher zu um¬ 
schreiben. 

Als erster Satz ist festzuhalten, dass die Fremdkörper¬ 
entfernung nach klinischen Gesichtspunkten zu ge¬ 
schehen hat. Als oberster Grundsatz gilt demnach der, dass durch 
sie nicht mehr geschadet werden darf als genützt werden kann und 
dass darum jeder Eingriff dann zu unterbleiben hat. 
wenn seine Durchführung mit mehr Gefahren ver¬ 
bunden ist alsdasVerbleibendesFremdkörpersmit 
sich bringen würde. Danach kanndie Anwendung des 
Magneten unsere Indikationen als solche nicht er¬ 
weitern oder verschieben, sie kann aber ihre operative 
Durchführung erleichtern und vervollkommnen, so dass die als solche 
•indizierten Eingriffe gefahrloser und schonender vorgenommen werden 
können als ohne seine Anwendung. Die Magnetanwendung steht also 
in diesem Sinne der Vervollkommnung der Röntgenverfahren gleiche 
sie ist ein technisches Hilfsmittel, das nicht überschätzt, aber auch 
nicht unterschätzt werden darf. 

Mit den augenärztlichen Erfolgen im Frieden aus eigener An¬ 
schauung bekannt, versuchte ich schon zu Beginn meiner diesmaligen 
kriegschirurgischen Tätigkeit, den Eisensplittern mit dem Magneten 
beizukommen, anfangs ohne Erfolg, da die Mittel und das Interesse 
fehlten. Dann fand ich in dem von Tietze (Zbl. f. Chir. 1915) 
empfohlenen kleinen Handmagneten das erste- 
brauchbare Modell, das leicht zu beschaffen und 
leicht zu handhaben war. Das Tietze sehe Modell hat den 
Vorzug, dass jeder Elektrotechniker es leicht herstellen kann, sofern 
die Materialien, die etwa 40 Mark kosten, beschafft sind, dass der 
Magnet an jeden Feldröntgenapparat angeschlossen werden kann bei 
einer Hubkra^t von etwa einer Schrapellhülse, und vor allem, dass der 
Magnet leicht mit der Hand wie ein kleiner Augenmagnet nach Art 
eines Schreibfederhalters gehandhabt werden kann. Innerhalb kurzer 
Zeit konnten wir in verschiedenen Feldlazaretten 25 Granatsplitter aus 
dem Gehirn entfernen, die sonst vielleicht nicht hätten entfernt wer¬ 
den können. Vorbedingung bleibt hier wie überall die genaue 
Lokalisation des Splitters mittels des Röntgenapparates und, 
weil dieser dazu nötig ist, der Magnet also nur dort Anwendung 
finden kann, wo ein Röntgenapparat vorhanden dst, dürfte die B e i - 
gabeeinesHandelektromagnetenzumFeldröntgen- 
apparat eine Forderung sein, die auch hinsichtlich seiner billigen 
Preislage für die Zukunft geboten erscheint. 

Ungleich wirksamer, aber natürlicherweise auch sehr 
viel schwerer zu beschaffen, erheblich teurer und schwer transpor¬ 
tabel sind nun die Riesenmag rieten, die dank der Fürsorge mass¬ 
gebender Stelle an den meisten grösseren Fremdkörperabteilungen 
aufgestellt sind. Die Riesenmagnete sind nicht mit dem Feldröntgen¬ 
apparat zu speisen, erfordern grössere Stromstärke bzw. -Spannung 
und sind demnach an bestimmte Stellen gebunden, vornehmlich natur- 
gemäss den Kriegslazaretten überwiesen. Dieser Umstand, dass sie 
etwas ferner der Front aufgestellt werden, muss bestimmte sa¬ 
nitätsorganisatorische Massnahmen im Gefolge haben, 
die den also Verwundeten die Vorteile ihrer Anwendung zukommen 
lässt. Andererseits müssen die in den vorderen Sanitäts¬ 
stellen arbeitenden Chirurgen den grossen Vorzügen der 
Magnetanwendung das nötige Verständnis entgegenbringen, dass sie 
im Interesse ihrer Patienten diese nach Möglichkeit den 
ihnen bekannt zu gebenden Steckschussabteilungen zuführen. Sic 
müssen einsehen lernen, dass jede Gehirnoperation ohne 
Röntgenapparat und ohne Magneten ein Notbehelf, 
eine unvollkommene Massnahme darstellt, und es besser ist, solche 
Fälle nicht anzuoperieren, sondern sie besser, 
selbst auf die Gefahr mehr oder weniger grösserer. 
Zeitverlustes der Magnetabteilung zu überweisen. 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


Unberührt davon bleiben natürlich die Fälle, bei denen aus vitaler 
Indikation eine sofortige, unaufschiebbare Hirnoperation vorzu- 
nehmen ist. Auch auf diesen Punkt habe ich andernorts (1. c.) aus¬ 
führlicher hingewiesen. Einwände betreffend Transportfähig¬ 
keit habe ich an anderer Stelle (Ueber den ersten Transport Ver¬ 
wundeter und seine Vorbereitung (M.m.W. 1916 Nr. 38) eingehender 
erörtert. 

Als ich zum ersten Male mit dem Riesenmagneten arbeitete, war 
es mir gleich ein recht unangenehmes Gefühl, mit dem schweren, 
wenn auch allseitig beweglichen Magnetkörper in so weichen und 
empfindlichen Geweben, wie sie das Gehirn bietet, arbeiten zu 
müssen. Der starre Ansatz an dem mächtigen Körper des Riesen¬ 
magneten musste mittels meist nicht leichter, schwerfälliger Manipula¬ 
tionen in das Gehirnloch eingeführt und dem vermutlichen Sitz des 
Splitters genähert werden. Dabei waren Schädigungen des 
Gehirns ganz unvermeidlich. Seitliche Abweichungen konnten 
nicht vorgenommen werden, ohne den ganzen Magnetkörper zu 
drehen oder zu heben oder den Kopf selbst in entsprechende Stellung 
zu bringen. Kurz, cs war mir unsympathisch, mit dem Riesen¬ 
magneten zu arbeiten; ich vermisste an ihm die Handlichkeit des 
obenerwähnten Ti et zöschen Handmagneten und sann darauf, ihn 
dementsprechend zu verbessern. Das ist mir mm in folgender 
einfachen Weise gelungen und dank dem Entgegenkommen der 
Firma Schumann - Düsseldorf, die diesen Fragen stets grösstes 
luteresse entgegenbrachte, habe ich jetzt ein Instrumentarium, das, 
wenn auch nicht allen, so doch den meisten Anforderungen genügt. Um 
noch weiter zu kommen, wären vielleicht Ansätze in Form biegsamer 
Spiralen, in verschiedener Weise feststellbar, von Vorteil. Auch habe 
ich mir für bestimmte Fälle mit der Hand biegsame Weicheisen¬ 
ansätze anfertigen lassen, um in tiefere Höhlen, wie z. B. die Brust¬ 
höhle, tiefer eindringen zu können. Doch sind darüber die Ver¬ 
suche noch nicht abgeschlossen. Ich möchte hier nur über das 
Instrumentarium berichten, wie ich es heute namentlich 
für Hirnsteckschüsse herausgearbeitet habe: 

Das Wesentliche der Verbesserung liegt darin, dass 
der Magnet ansatz zunächst unabhängig vom Ma¬ 
gnetkörper in das Gehirn gleichsam als Sonde ein¬ 
geführt und erst dann, wenn er richtig dem Fremd¬ 
körper naheliegt, mit dem Magneten verbunden und 
aktiviert wird. Der Anschluss ge¬ 
schieht in einfachster Weise dadurch, 
dass der Magnetkörper an der Stelle 
seiner stärksten Kraft, also auf der 
Höhe seiner Konvexität ein flaches 
Kugellager erhält. Dementsprechend 
ist das eine Ende des Ansatzes, das an 
den Magnetkörper gelegt werden soll, 
kugelig gestaltet, so dass es genau in 
das Kugellager einpasst (s. Abbildung 1). 

Die Ausführung der Operation gestaltet 
sich also folgendermassen. wie die bei¬ 
gegebenen Abbildungen (2—4) zeigen: 

Nach genauer Lagefeststellung des 
Eisensplitters mittels der Röntgenauf¬ 
nahmen und operativer Freilegung der 
Einschussöffnung — ich sehe hier von 
Ausnahmefällen ab. in denen z. B. bei 
sekundärer Entfernung zweckmässiger 
eine Kraniektomie an dem Fremdkörper 
nähergelegener Stelle vorzunehmen ist 
— wird der dem Tiefensitz entsprechende 
Ansatz freihändig in den Hirnschusskanal 
eingeführt, so dass er dem vermuteten 
Sitz des Fremdkörpers möglichst nahe 
liegt. Die Hand hält den Ansatz unbe¬ 
weglich fixiert. Dann wird der Magnet¬ 
körper durch Heben oder Senken, Dreh¬ 
ung oder Schwenkung so an den Ansatz 
herangebracht, dass dessen Kugel ganz 
genau in das Kugellager des Magnet¬ 
körpers einpasst; das gelingt mit einiger 
Uebung leicht. Nun erst, wenn alles gut 
eingepasst liegt, wird der Magnet akti¬ 
viert, und der Splitter springt — zur 
Freude des Operateurs — glatt, mit 
klicksendem Geräusch an, falls nicht Momente vorliegen, die 
das verhindern! Wer diese nicht kennt, wird nicht selten ent¬ 
täuscht werden. 

Einige seien daher kurz erwähnt. Natürlich springt nur Eisen 
b z w. Stahl an, gar nicht selten aber bestehen die Splitter aus 
Kupfer oder Weissmetall. Das S i d e r o s k o p würde die Metallnatur 
ziemlich, doch auch nicht in jedem Falle sichern: bei Mehrfachsplittern 
kann einer von Kupfer, die andern von Eisen sein, dann bleibt der 
eine zurück. Wichtiger ist die Art des Magnetzuges einzuschätzen: 
Der Eisensplitter sucht sich stets mit der Längs¬ 
achse in die Zugrichtung des Magneten einzustellen, wie das die 
Abbildung 4 zeigt; das hat den Vorteil, dass er stets mit dem 
kleinsten Durchmesser herausgezogen wird und so am wenigsten Ge¬ 
webe auf diesem Wege 'zerstört; es hat aber den Nachteil, dass 


der Spliter durchaus in dieser Richtung beharrt: legt sich zwischen ihn 
und den Ansatz auch nur ein schmales Stück Dura, das er nicht zu 
durchre-issen vermag, oder verhakt er sich in der ausgerichteten Stel¬ 
lung an einer Durakante oder einem Knochenvorsprung, so schlägt 
nicht etwa das freie, selbst massigere Ende herum, sondern der 
Splitter bleibt verhakt und folgt nicht. Geschicktes 
Manipulieren, tieferes Einführen etc. kann da noch helfen, nicht selten 
aber sind dann alle Versuche vergeblich. 

Mit diesen Kugellageransätzen ist die Brauchbarkeit des 
Schum annschen Riese nmagneten ganz wesentlich 
erhöht und die Anwendung ungleich schonender geworden. Mit 
ihnen habe ich eine grosse Zahl von Granatsplittern, vor allem aus 
dem Gehirn, aber auch aus anderen Körpergegenden geholt, die sonst 



Abb. 1. Sondenansätze mit Kugellager. 


wohl überhaupt nicht, sicherlich aber nicht so schonend zu erreichen 
gewesen wären, und ich bedauere nur. dass immer noch Steckschüsse 
in unsere Hände gelangen, die leicht hätten mit dem Magnet primär 
entfernt werden können. Selbst bei scheinbar bis dahin reizloser 
Anwesenheit bilden sie doch immer eine grosse Gefahr für das Leben 
ihrer Träger, und Spätentfernungen sind ihrer Natur nach durchaus 
nicht ungefährlich! 

Hier noch eine Anzahl lose zusammengestellter 
Bemerkungen und Winke für die Anwendung des Magneten: 
Jedes Durchreissen des Splitters ist durch nahes Heranführen des 
Sondenansatzes zu vermeiden. Die Geschosssplitter liegen fast aus¬ 
nahmslos am Ende des Schusskanals, während die mitgerissenen Kno¬ 


chensplitter im Trümmergewebe seitlich zu liegen pflegen; sie sind 
vor der Magnetziehung mit dem u n behandschuhten Finger zu tasten 
und mit feiner flacher Klemme zu fassen, einzeln werden sie auch 
mit der kräftigen Sublimatspülung des Trümmerkanals (1. c.) aus¬ 
geschwemmt. Die gefundenen Granatsplitter, auch die feinsten, am 
Magnet haftenden, sind sorgfältigst auf weissem Mulläppchen zu 
sammeln und mit dem Röntgenbild zu vergleichen, damit alle gefun¬ 
den werden. Sobald bei der Ausziehung der Splitter an der Dura- 
öffnung sichtbar wird, ist der Ansatz im Kugellager so zu drehen, dass 
die scharfen Kanten nicht die gefässreichen Gegenden neu verletzen, 
nötigenfalls ist der Magnet auszuschalten, nachdem eine Flachzange 
den Splitter fasste, damit er so leicht von Hand entbunden werde. 
Natürlich müssen alle Fehler vermieden werden, die durch Nicht¬ 
berücksichtigung der Eisennatur bestimmter Gegenstände entstehen: 



Abb. 2 Magnetkörper mit sterilem Tuch.Abb. 3. Sondenansatz, sicher im Gehirn Hegend, 1 ’wird mit 
Sondenansatz vor der Einführung. dem Kugellager des Magneten in Berührung gebracht. 



Abb. 4. Magnetkörper mit Sondenansatz, der den glücklich Abb. 5. Riesenmagnet nach Schumann in ganzer Ansicht. 

entfemtenLSplitter£trägt, gehoben. Diagnostische Bestimmung des Splitters in der Wange. 


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27. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Tuchklemmen, Schieber, Messer fliegen mit grosser Gewalt an den 
Magneten, Taschenuhren sind unrettbar verloren, wenn sie allzu 
leichtsinnig in den Kraftbereich des Magneten sich wagen. Un¬ 
angenehm bemerkbar ist auch die Anziehungskraft auf den eisernen 
Feldoperationstisch: da dieser feststeht, senkt sich ihm der Magnet¬ 
körper selber zu und kann so ungewollt tief in das Gehirn eindringen. 
Eine Holzverschalung des Tisches hilft da ab. 

Ausser der therapeutischen Wirkung hat nun, was auch Sultan 
schon berührte, der Magnet auch einen nicht zu unterschätzenden 
örtlich diagnostischen Nutzen, das vor allem in den be¬ 
weglichen Weichteilen. Führt man den Magneten mit dem kürzesten 
und darum kraftvollsten Ansatz über die Gegend des Fremdkörpers, 
so wölbt sich die ganze Gegend mehr oder weniger deutlich hervor 
und zeigt so den besten Punkt zum Einschneiden auf den Fremdkör¬ 
per an. Natürlich soll und kann die Rüntgenbestimmung dasselbe 
leisten und sie ist in jedem Falle von Fremdkörperbestimmung un¬ 
erlässlich, aber der Magnet ist, wenn man ihn hat, doch manchmal 
recht angenehm und erleichtert die Operation. Das gilt z. B. bei Sitz 
in den Bauchdecken, im Mediastinum, in den Glutäen etc., wo das 
Arbeiten unter dem Kryptoskop (s. Gra s h e y) nicht immer so ein¬ 
fach ist. Sitzt der Splitfer hinter festen Teilen, z. B. zwischen den 
Rippen, so löst die Aktivierung des Magneten häufig einen bestimmt 
umschriebenen Schmerz aus, der ebenfalls auf den Fremdkörper 
führt. Unser Bild (5) zeigt die starke Anziehung auf einen in den 
Mund genommenen kleinen Granatsplitter. Auf die Nützlichkeit des 
Riesenmagneten für augenärztliche Zwecke möchte ich hier nicht 
weiter eingehen. 


Zur Rolle der Milz und Leber bei Malaria. 

Von Prof. Dr. KonradHelly, Würzburg, k. u. k. Stabsarzt, 
zurzeit Prosektor des k. u. k. Epidemiespitales in Brsadin 
bei Vukovär. 

Seit dem Sommer 1916 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hatte 
ich Gelegenheit, bei rund 200 Obduktionsfällen tropischer Malaria im 
Festungsspital in Sarajevo und in meiner jetzigen Wirkungsstätte die 
ausserordentliche Regelmässigkeit des für diese Krankheit charakte¬ 
ristischen Leichenbildes der Milz und Leber zu beobachten. Das¬ 
selbe ist bekanntlich durch die infolge des Gehaltes an Malariapigment 
bedingte Verfärbung dieser Organe gegeben, welche vom eben ange¬ 
deuteten Grau alle Uebergänge bis zu einem, am besten dem Graphit 
vergleichbaren Schwärzlichgrau zeigen kann. Der jeweilige Gehalt 
an Blut und Blutpigment beeinflusst gleichzeitig den Farbenton nach 
dem Rot- bis Schokoladebraun. Die übrigen Leichenorgane lassen 
zwar in den ausgeprägteren Fällen gewöhnlich ebenfalls eine ins Grau 
hinüberspielende Verfärbung erkennen, besonders deutlich Gehirn und 
Pankreas, jedoch im allgemeinen nicht mit jener Schärfe und Regel¬ 
mässigkeit. wie Milz und Leber. Es rechtfertigt mithin schon das 
makroskopische Aussehen dieser beiden Organe die Annahme, dass sie 
im Kampfe des Organismus mit den Malariaparasiten eine besondere 
Rolle spielen, wie dies ja auch bereits durch Untersuchungen früherer 
Autoren in gewissen Beziehungen erwiesen werden konnte. Einen 
ausführlichen Ueberblick hierüber gewährt im Hb. d. Tropenkrkh. 
Ziemann in seinem Kapitel „Die Malaria“ (II. Aufl. 1917), woselbst 
auch die Literatur eingehend berücksichtigt ist. Ich habe nun über 
ein halbes Hundert meiner Fälle einer genaueren mikroskopischen 
Untersuchung unterzogen und glaube, als deren Ergebnis einiges auch 
in klinisch-therapeutischer Hinsicht Bemerkenswertes mitteilen zu 
können. 

Was zunächst die Milz betrifft, war zu erwarten, dass sich ihre 
Rolle vor allem entsprechend ihrer allgemeinen Funktion und Be¬ 
deutung abspielen dürfte. Bereits vor längerer Zeit gab ich die Er¬ 
klärung der Milz als „regionäre Lymphdrüse des Blutes“ (Näheres 
und zusammenfassend in „Die hämatopoetischen Organe“, Nothnagels 
Hb. 8. 1906), wobei ich zeigte, wie sich aus der so bezeichneten 
Grundfunktion dieses Organes auch die übrigen Teiläusserungen seiner 
Funktionen ohne weiteres ergeben, so in erster Linie seine blut¬ 
zerstörende und blutreinigende Tätigkeit. Auch die Rolle, welche die 
Milz als Stoffwechselorgan spielt, ist einschliesslich der hierbei sich 
äussernden fermentativen und sonstigen Vorgänge letzten Endes 
wieder aus jener Grandfunktion zu erklären. Es bildet derselbe Um¬ 
stand auch wieder den Schlüssel zum Verständnis des Verhaltens bei 
der Malaria. 

Mein Material umfasst Fälle von rund einwöchentlicher bis 
H jähriger Krankheitsdauer, soweit der mutmassliche Erkrankungs¬ 
termin einer möglichst annähernden Feststellung zugänglich war. Es 
ist aber bei der -Natur des Patientenmaterials sehr wahrscheinlich, 
dass ein Teil der Fälle als bereits seit wesentlich längerer Zeit in¬ 
fiziert angesehen werden muss. Sämtliche Fälle besassen einen aus¬ 
gesprochenen Milztumor, doch kamen die exzessiven Grössen des¬ 
selben in keinem Falle zur Beobachtung, was wohl eine Folge davon 
ist, dass es sich durchwegs um intensiv behandelte und z. T. akute 
Fälle handelte. Die Behandlungsmethode war zumeist jene, welche 
Neuschlosz in dem mir gleichfalls unterstellten Malarialabora¬ 
torium ausgearbeitet hat (s. M.m.W. 1917 Nr. 37 u. 39 und 1918 Nr. 4). 
Die gesamten Obduktionsfälle zeigten das Bild ausgesprochener Herz¬ 
schwäche sowie Komplikationen mit älteren oder frischeren ander¬ 
weitigen pathologischen Prozessen, unter welchen namentlich echte 

Nr - 35 ' Dlgltlzed by (jOOglC 


Dysenterie eine häufige Rolle spielte. Auf die ausserordentliche Bös¬ 
artigkeit dieser Komplikation habe ich bereits einmal (M.m.W. 1917) 
hingewiesen; bakteriologisch handelte es sich hauptsächlich um Er¬ 
reger vom Typus der Flexnergruppe, seltener um solche des Typus 
Kruse-Shiga. Ganz besonders in jenen Fällen, welche bereits eine 
längere Krankheitsdauer aufwiesen und somit ausser der Neosalvarsan-, 
Chinin- bzw. Arsen-Chininkur auch die dazugehörige stomachale 
Chininnachkur erfahren hatten, ist eine Schädigung der Malariapara¬ 
siten durch Chinineynwirkung nebst der durch die Abwehrkräfte des 
Organismus vorauszusetzen, was bei der Beurteilung des Schicksals 
der Parasiten im Körper wohl mit zu berücksichtigen ist. 

Was zunächst das Verhalten der Malariaparasilen in der Milz 
betrifft, ist dieselbe in den frischen Erkrankungsstadien von ihnen 
im interfollikulären Gewebe, also in der „roten“ Pulpa ziemlich 
gleichmässig übersät. Die die „weisse“ Pulpa bildenden Follikel und 
lymphadenoiden Gefässscheiden enthalten in allen Stadien immer nur 
spärliche Parasiten und diese hauptsächlich innerhalb der Kapillaren, 
sowie in deren nächster Umgebung. Bezüglich ihrer Form zeigen 
die Parasiten sowohl im Ausstrich- wie im Schnittpräparat, soweit es 
sich nicht um Halbmonde handelt, die für das Bild in der Leiche 
charakteristisch abgerundete Form mit zellkernähnlicher Sammlung 
und Lagerung der Pigmentkörnchen. Auch in der roten Pulpa findet 
man die Parasiten innerhalb der sinuösen Blutkapillaren, zum weitaus 
überwiegenden Teil jedoch ausserhalb derselben im Gewebe der 
Zwischenstränge zwischen den Sinus. Soferne es sich um Fälle 
handelt, welche während stärkerer Ausschwemmung der Parasiten in 
das periphere Blut gestorben sind, gelingt es, inner- und ausserhalb 
der Milzgefässe freiliegende Parasiten neben „intraglobulären“ und 
„intrazellulären“ unschwer aufzufinden, wobei unter ersteren die in 
den roten Blutkörperchen gelegenen verstanden sein sollen, während 
letztere Bezeichnung die in anderen zelligen Milzelementen einge¬ 
schlossenen betrifft. Der Uebertritt der Parasiten in das Zwischen¬ 
gewebe findet sowohl für die freien wie für die endoglobulären 
Exemplare unmittelbar zwischen den Endothelien der Kapillaren hin¬ 
durch statt. Die intrazellularen Exemplare finden sich zum geringeren 
Teile in Sinusendothelien eingelagert, zum grössten Teile hingegen 
in jenen mehr minder protoplasmareichen blasskernigen Zellen des 
Zwischengewebes, welche zweifellos dem Retikulum angehören und 
den in der Milz lokalisierten Anteil des von Asch off als retikulo- 
endothelialer Zellapparat bezeichneten Körpergewebes darstellen. Der 
Uebertritt der Parasiten in das Protoplasma dieser Zellen ist im 
Präparat schwer zu verfolgen, findet jedoch zweifelsohne teils un¬ 
mittelbar, teils durch Uebernahme der endoglobulären aus den roteu 
Blutkörperchen statt. 

In den Fällen länger dauernder oder chronischer Erkrankung sind 
nebst etwaigen wohlerhaltenen Parasiten vor allem deren Zerfalls¬ 
stufen mit der dadurch bedingten Konglobierung des Malariapigmentes 
als charakteristischer Befund in die Augen fallend. Ebenso charak¬ 
teristisch und vollkommen im Einklang mit der eingangs bezeichneten 
Milzfunktion ist der Umstand, dass sich das gesamte Malariapigment 
intrazellular gelagert findet und zwar hauptsächlich ausserhalb der 
Kapillaren in den Retikulumzellen der roten, zum geringeren Teile 
auch der weissen Pulpa; bescheidene Mengen findet man auch im 
Protoplasma der Sinusendothelien. Der Zerfall der Parasiten kenn¬ 
zeichnet sich zunächst durch Verkleinerung ihres Protoplasmakörpers 
bis zum völligen Schwund desselben und weiterhin durch die er¬ 
wähnte Pigmentkonglobierung. Diese beginnt bereits in den ein¬ 
zelnen Parasiten und schreitet dann durch intrazellulare Aneinander¬ 
lagerung immer mehrerer Exemplare bis zur Bildung recht ansehn¬ 
licher, kohlenstückchenähnlicher Pigmentballen fort, welche schliesslich 
weder Kern noch Protoplasmagrenzen der sie beherbergenden Zellen 
erkennen lassen. Damit ist anscheinend der Höhepunkt im anatomi¬ 
schen Bilde erreicht und es folgt nun bei längerem Bestand des Lebens 
und Freibleiben von Rezidiven ein Abbau des Pigmentes, welcher in 
den ausgesprochensten meiner Präparate bis zum fast völligen 
Schwund desselben gediehen ist, so dass ich kein Bedenken trage, 
auch ein Weiterschreiten dieses Prozesses bis zur vollkommenen 
Entpigmentierung für möglich zu halten. Anscheinend als Teilerschei¬ 
nung desselben sieht man eine Aufplitterung des Pigments in feine 
Körnchen und Stäbchen eintreten, welche sich alle intrazellulär 
befinden. Die im Gefolge der Parasiten- und Pigmentaufnahme ein¬ 
tretende gesteigerte Tätigkeit der Endothel- und Retikulumzellen geht 
zunächst Hand in Hand mit einer Vergrösserung und Abrundung deren 
Protoplasmakörper. Weiterhin findet man dergleichen Elemente frei 
im Lumen der Sinus, in erster Linie und nachweislich als Derivate 
von deren Endothelien; doch ist nicht auszuschliessen, dass es sich 
hierunter z. T. auch um frei gewordene und ins Lumen eingewanderte 
Abkömmlinge des Retikulums handeln mag. Im Grunde genommen 
handelt es sich bei diesem Vorgang der Phagozytose von seiten 
der Retikuloendothelien und ihrem Freiwerden um den analogen Pro¬ 
zess, welcher sich in funktionell gleichwertiger Weise in anderen 
regionären Körperlymphdriisen abzuspielen pflegt. 

Neben der Tätigkeit gegenüber den Parasiten fällt den vorer¬ 
wähnten Elementen noch die Beseitigung der erkrankten Erythrozyten 
zu. Dieselben werden wie körperfremdes Material ebenfalls in grossen 
Massen im Milzgewebe abgefangen und gehen weiterhin in den 
Retikuloendothelien dem Blutpigmentzerfali entgegen. Im Allge¬ 
meinen ist dieser Prozess unter gleichen Gesichtspunkten zu be¬ 
trachten, wie analoge Vorgänge bei Anämien und anderen Erkran¬ 
kungen der Erythrozyten. 

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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




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956 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _Nr. 35. 


Eine ähnliche Parallele besteht zwischen den’ übrigen Vor¬ 
gängen in der Malariamilz und jenen, welche sich bei sonstigen zur 
Entstehung von Milzschwellungen führenden Infektionskrankheiten ab- 
spiclen. Demselben Zusammenhang entspricht auch die bei chroni¬ 
schem Verlauf der Erkrankung allmählich cinlrctcndc Verdichtung des 
retikulären Zwischengewebes mit den scharfumschriebenen, von 
hohen-, drüsenepithelähnlichen Endothelien ausgekleideten Sinus. 
Andererseits gibt sich auch hierin wieder die Parallele mit den Vor¬ 
gängen in chronisch geschwellten Lymphdrüsen zu erkennen. 

Was nun- die Leber betrifft, ist dieselbe mit ihren Kapillar- 
endothelien, den K u p f f e r sehen Sternzellen, nächst der Milz die 
zweite Hauptsiedelungsstätte des retikulo-endothelialen Zellapparates 
mit unmittelbarer Bespulung durch den normalen Blutstrom und die 
etwa darin enthaltenen pathologischen Elemente. Dementsprechend 
machen bei der Malaria die genannten Zellen ganz ähnliche Schick¬ 
sale durch wie die Retikuloendothelien der Milz und lassen auch die 
gleichen Einschlüsse von Parasiten, Pigment und den dazugehörigen 
Abbauprodukten erkennen, so dass sie in chronischeren Fällen schon 
bei schwacher Vergrösserung durch ihren Pigmentreichtum sowie 
durch ihre abgerundet plumpe Form auffallen. Dabei zeigt sich bis¬ 
weilen dieser Prozess besonders deutlich in den zentraleren Partien 
der Leberläppchen ausgeprägt, wohl als Folge einer vor dem Tode 
längere Zeit bereits bestandenen Herabsetzung der Herzkraft und da¬ 
durch bedingter Stauung. Ein Unterschied besteht jedoch insoferne 
zwischen Milz und Leber, als in- den Kapillaren der letzteren ungleich 
weniger freie Parasiten und von solchen befallene Erythrozyten zu 
finden sind, als in jenen der ersteren oder gar in deren Zwischenge¬ 
webe. Nur während akuter Ausschwemmungen der Parasiten in die 
Zirkulation finden sich diese auch in den Leberkapillaren in grösserer 
Zahl wie ähnlich in denen von Lunge, Gehirn und Knochenmark als 
jenen Organen, von welchen wir schon lange durch experimentelle 
Erfahrungen wissen, dass in ihnen zunächst der Zirkulation einver¬ 
leibte Fremdkörper abgefangen werden. Es besteht jedoch insoferne 
ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen Organen einerseits, 
denen bis zu ein-em gewissen Grade auch noch die Niere zugezählt 
werden könnte, und Milz samt Leber andererseits, als nur in diesen 
ein Dauerzustand durch die Ablagerung der fremden Elemente ge¬ 
schaffen wird, wohin diese auch aus den übrigen vorerwähnten Or¬ 
ganen allmählich zum grössten Teile ab wandern. Eine gewisse 
Ausnahme machen Gehirn und Knochenmark, deren Endothelien eben¬ 
falls in nennenswerterem Masse eine Beteiligung an der Festhaltung 
und Verarbeitung der Malariaparasiten erkennen lassen, was sich 
makroskopisch durch die graue Verfärbung, mikroskopisch durch die 
Pigmentablagerung deutlich zu erkennen gibt. Keinesfalls aber er¬ 
reicht diese Beteiligung von Gehirn und Knochenmark jene aus¬ 
schlaggebende Bedeutung, welche der diesbezüglichen Tätigkeit von 
Milz und Leber zukommt. 

Insbesondere sei bezüglich des Knochenmarkes anders lautenden 
Angaben gegenüber hervorgehoben, dass sich dessen Tätigkeit in erster 
Linie als Bhitbildungsstätte auch bei der Malaria zu erkennen gibt. 
Dementsprechend sieht man die sekundäre Umwandlung von Fettmark 
in rotes Mark auch bei chronischen Fällen sich in verhältnismässig 
bescheidenen Grenzen halten und wesentlich bedingt durch mit der 
Malariaanämie zusammenhängenden Einflüsse auf seine Zelltätigkeit. 
Mikroskopisch gibt sich dies durch das Auftreten der von mir 
(Zieglers Beiträge 1910) beschriebenen und so benannten Herde 
„anämischer Degeneration“ samt dem dazugehörigen Auftreten 
der „Erythrogonien“ zu erkennen. Die Hauptrolle im Kampfe 
mit den Malariaparasiten kommt unter den Organen jedoch nicht dem 
Knochenmark, sondern- Milz und Leber zu, ohne dass damit geleugnet 
werden soll, dass auch in jenem Organ eine erhebliche -Menge von 
Parasiten abgefangen wird. 

Die obenerwähnte häufigere Graufärbung des Pankreas verdankt 
ihre Entstehung nicht so sehr einer besonders starken Pigmentablage¬ 
rung in diesem Organ, als vielmehr dessen in normalem Zustande 
weisslicher Grundfarbe, welche eben schon bei verhältnismässig be¬ 
scheidener Pigmentbeimengung ins Grau hinüber zu spielen beginnt. 

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich nun für die Be¬ 
urteilung des klinischen Verlaufes der Malaria als wesentlich zu 
berücksichtigendes Moment, dass derselbe zwar nicht in allein aus¬ 
schlaggebender Weise durch die Vorgänge in Milz und Leber be¬ 
einflusst wird, soweit es sich um das Schicksal der Parasiten handelt, 
dass diese Vorgänge jedoch in bestimmter Richtung verlaufen müssen, 
damit die Erkrankung zum Stillstand und zur Heilung gebracht wer¬ 
den könne. Aehnlich wie bei anderen Infektionskrankheiten spielt 
natürlich auch bei der Malaria das Verhältnis zwischen Virulenz der 
Erreger und Wirksamkeitsgrösse der Abwehrkräfte des befallenen 
Organismus eine entscheidende Rolle im Krankheitsverlauf. Unter 
Einhaltung dieses allgemeinen Gesichtspunktes für die Beurteilung 
der Heilungsmöglichkeiten kann man aber sagen, dass diese umso 
günstiger zu veranschlagen sein werden, je rascher und je vollständiger 
die -Parasiten im retikuloendothelialen Zellapparat von Milz und 
Leber abgefangen und daselbst vernichtet werden. Hier muss aber 
auch schon eine wichtige Unterscheidung einsetzen: Abfangen und 
Vernichten der Parasiten stehen nicht in zwangsmässiger Aufeinander¬ 
folge, wie dies ja auch den sonstigen bekannten Erscheinungen der 
Phagozytose gegenüber Infektionserregern entspricht. Daher kamen 
in meinem Material denn auch einerseits rezidivierende Fälle mit nur 
ganz geringfügiger Phagozytose zur Beobachtung wie andererseits 
solche, bei denen trotz hochgradiger Phagozytose wiederholte Rezi- 

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dive aufgetreten waren. Ob und in welchem Ausmasse nebst der 
Phagozytose noch sonstige natürliche Schutz- und Abwehrkräfte gegen 
die Malariainfek'tion im Organismus in Frage kommen, ist derzeit 
noch ungewiss, doch spricht die Tatsache des durchaus verschiedenen 
Krankheitsverlaufcs und anatomischen Bildes bei Patienten, welche 
unter ganz gleichen Infektions- und Behandlungsbedingungen ge¬ 
standen sind, sehr für das Vorhandensein solcher Kräfte mit aller¬ 
dings individuell verschiedener Wirksamkeit. Mag es auch späterer 
Forschung Vorbehalten bleiben, dieselben in therapeutischer Hinsicht 
der Verwertbarkeit unmittelbar zugänglich zu machen — gegenwärtig 
kann- diesem Zwecke höchstens die Förderung des allgemeinen Er¬ 
nährungszustandes zugute kommen — ist doch der augenblickliche 
Stand der Malariatherapie im wesentlichen durch jene Massnahmen 
gekennzeichnet, welche die unmittelbare Schädigung der Parasiten er¬ 
streben. In dieser Beziehung ist die Tätigkeit von Milz und Leber 
allerdings nur dann von- unbeschränktem Vorteil, wenn in ihnen die 
Vernichtung der Parasiten eine vollständige ist. Auf diese Weise 
wird schliesslich auch jener Teil derselben unschädlich gemacht wer¬ 
den können, welcher etwa in anderen Organen, wie z. B. im Knochen¬ 
mark, der Vernichtung entgangen sein sollte. 

Anders steht die Sache, wenn die parasitozide Tätigkeit von 
Milz und Leber eine unvollständige bleibt. Man könnte in diesem 
Falle daran denken, die Milz als Hauptparasitenreservoir durch Exstir¬ 
pation zu entfernen. Die diesbezüglich vorliegenden Erfahrungen sind 
jedoch nicht sehr ermutigend, da in der Literatur neben günstigen 
Resultaten auch Misserfolge berichtet wurden. Es kann, nach dem 
anatomischen Verhalten zu urteilen, die Entfernung der Milz nur dann 
Erfolg versprechen, wenn solcherart das Uebergewicht der sonstigen 
Abwehrkräfte über den im Körper verbleibenden Parasitenrestbestand 
gesichert erscheint. Die Beurteilungsmöglichkeiten hierfür sind jedoch 
derzeit noch umso unübersichtlicher, als wir auch nicht wissen, ob die 
Widerstandsfähigkeit der in den verschiedenen Organen deponierten 
Parasiten durch den Aufenthalt dortselbst überall in gleicher oder in 
verschiedener Weise beeinflusst wird; liegt doch die Behauptung vor 
(Kabelik: W.kl.W. 1917), dass gerade von den im Knochenmark 
angesiedelten Malariaplasmodien die Rezidive ausgehen sollen. Eher 
könnten Versuche, die Milztätigkeit zu fördern, Erfolg versprechen, 
doch keinesfalls im Wege medikamentöser Injektionen in dieselben, 
da auf diese Weise nur ganz lokal begrenzte Wirkungen erzielt wer¬ 
den könnten und eher sogar eine dem Zwecke abträgliche Schädigung 
des Milzparenchyms zu gewärtigen wäre. 

Bis zu einem gewissen Grade ist es zur Beurteilung aller dieser 
Fragen auch wichtig, im konkreten Einzelfalle erheben zu können, ob 
sich in der Milz noch ausschwemmungs- und vermehrungsfähige Plas¬ 
modien befinden. Die Milzpunktion kann, abgesehen von klinischen 
Bedenken, welche gegen ihre generelle Anwendung sprechen, kaum 
hier ernstlich in Frage kommen, da ein geringer Gehalt des Organes 
an solchen Plasmodien durch die Punktion nicht sicher nachzuweisen 
ist, ein grösserer jedoch sich nur während, kurz vor oder nach einem 
Fieberanfall gewärtigen lässt, mithin diese Prozedur überflüssig 
macht. Eher wäre an Massnahmen zu denken, welche ihre Wirk¬ 
samkeit auf das ganze Organ erstrecken können. Ueber günstige Ver¬ 
suche berichtete diesbezüglich kürzlich aus meinem Malarialabora¬ 
torium Neuschlosz (M.m.W. 1918 Nr. 4). Für die richtige Be¬ 
wertung derartiger Versuche ist aber im Auge zu behalten, dass sie 
unter dem gleichen Gesichtspunkt betrachtet werden müssen, wie 
alle anderen von- verschiedenen Seiten vorgeschlagenen und geübten 
Prozeduren zur künstlichen Ausschwemmung der Malariaparasiten ins 
Blut aus den inneren Organen überhaupt und dass sie in der Beur¬ 
teilung ihrer Wirksamkeit auf die Milz an die anatomischen Ver¬ 
hältnisse dieses Organes gebunden sind. 

Was zunächst die Ausschwemmungsversuche überhaupt anlangt, 
welche gegenwärtig gewöhnlich zu dem diagnostisch-therapeutischen 
Zweck unternommen werden, einerseits durch das Wiedererscheinen 
von Parasiten im zirkulierenden Blut die noch bestehende Latenz 
der Erkrankung nachweisen zu können, andererseits gleichzeitig gün¬ 
stigere Bedingungen für die Wirksamkeit der therapeutischen Mass¬ 
nahmen zur Vernichtung der Parasiten zu schaffen, wird wohl der 
letztere Zweck im allgemeinen häufig, sicher noch häufiger der erstere 
erreicht. Es wäre aber doch einmal die Frage genauer zu prüfen, ob 
sich die Mobilisierung einer latenten Malaria als wirklich allgemein 
empfehlenswert darstellt! Im Grunde verhält sich diese Frage bei 
dieser Krankheit kaum wesentlich anders, als etwa bei der Lues oder 
gar der Tuberkulose und die Mobilisierung kann daher unter Um¬ 
ständen insoferne eher schaden als nützen, als sie einen Prozess 
zum Neuaufflackern bringt, der, sich selbst überlassen, entweder ganz 
ausheilte oder, was klinisch oft denselben Wert hätte, dauernd latent 
bliebe. Es wäre empfehlenswert, einmal die Statistik grosser paralleler 
Versuchsreihen der Behandlung mit und ohne Mobilisierungsmass¬ 
nahmen in- Bezug auf die schliessliche Heilungsdauer und ihren posi¬ 
tiven Erfolg zu prüfen. Allerdings müssten derartige Versuche unter 
vollständig identischen klimatischen Bedingungen und sonstigen 
äusseren Verhältnissen vorgenommen werden, da diese Momente be¬ 
kanntlich für den Erfolg der Therapie von nachhaltigster Bedeutung 
sind. 

Was nun weiters die anatomischen Bedingungen-, insbesondere 
der Milz, für das Gelingen der Ausschwemmungs versuche anbetrifft, 
ist eine Unterscheidung zwischen jenen Prozeduren zu machen, welche 
in diesem Organ nur eine Teilwirkung einer Allgemeinwirkung im 
Körper erzielen und jenen, welchen eine Sonderwirkung auf dasselbe 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



27. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHR IFT. 


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zugedacbt wird. Die ersteren, wie z. B. hydriatrische Prozeduren, 
Much- oder Pferdeseruminjektionen usf. wirken im allgemeinen, sei es 
biologisch, sei es durch die Beeinflussung der Blutzirkulation, auf jene 
Parasitenformen, welche eben dieser Wirkung, wo immer im Körper, 
unmittelbar zugänglich sind. Da kann man nun sagen, dass selbst unter 

Voraussetzung de .r vollständigen Ausschwemmung aller in den 
Muzkapillaren und -sinus 'befindlichen Parasiten noch ein sehr er¬ 
heblicher Bestand derselben im Zwischengewebe Zurückbleiben muss, 
da ja nach dem anatomischen Bau der Milz die daselbst aus dem 
olutstrom zwischen den* Gefässendothelien in das ZwischengewVbe 
hinausgelangten Elemente nicht mehr durch seine treibende Kraft in 
die Gefässe zurückbefördert werden können; dieser Rückweg ist ihnen 
nur mehr durch ihre etwaige eigene amöboide Beweglichkeit oder 
eine solche von Zellen möglich, in welche sie phagozytär ange¬ 
nommen wurden. In mässigem Grade könnten sie auch noch durch 
Kontraktionen der glatten Milzmuskelfasern in die Gefässe zurückge¬ 
presst werden, doch ist in der menschlichen Milz diese Muskulatur in 
zu bescheidenem Masse ausgebildet, als dass deren Tätigkeit eine 
nachhaltige Wirkung auf das Organ iiben könnte. Immerhin ist sie 
ledoch in der Gesamtmasse desselben genügend gross, um einen posi¬ 
tiven Erfolg bei einem nennenswerten Parasitengehalt des Pulpa- 
zwischengewebes gewärtigen zu lassen, wie sich auch in den vorer¬ 
wähnten Versuchen von Neuschlosz zeigte. 

Zusammenfassend können wir also sagen, dass in erster Linie 
die Milz und nächst dieser die Leber die 'Hauptuntergangsstätten der 
Malariaparasiten im menschlichen Körper sind. Die Milz funktioniert 
dabei als regionäre Lymphdrüse des Blutes und wird hierin von der 
Leber unterstützt. Diesem Funktionscharakter müssen alle diagnosti¬ 
schen und therapeutischen Massnahmen in der Bewertung des zu 
erhoffenden und tatsächlich erreichten Erfolges Rechnung tragen. 


A us der bakteriolog. Abteilung des Festungslazarettes und 
aus dem patholog. Institut des städt. Krankenhauses in Mainz. 
(Leiter: Stabsarzt d. R. Dr. üg. B. Gr über.) 

Praktische und theoretische Gesichtspunkte zur 
Beurteilung der Bazillenruhr’). 

Von Priv.-Doz. Dr. Gg. B. Gr über, fachärztlichem Beirat 
für pathologische Anatomie, und Dr. Albert Schaedel. 

Nachdem die im vorigen Sommer bemerkte Häufung von Ruhr¬ 
erkrankungen mehr und mehr wieder dem gewöhnlichen Verhältnis 
Platz gemacht, das uns nur dann und wann den einen und anderen 
ruhrverdächtigen Fall zuführt, ist es vielleicht angebracht, darüber 
Betrachtungen anzusteilen, was uns die bakteriologische und die 
pathologisch-anatomische Untersuchung an dem reichen Ruhrmaterial 
dieses Krieges, speziell im 2. Halbjahr 1917 zu erkennen gab. 

War vielleicht mancher von uns bis zum Kriege der Meinung, 
dass die als F1 e x n e r - oder als Y-Ruhrkeime bzw. als Pseudo- 
dyseuteriebazillen bezeichneten Erreger prinzipiell gutartiger sein 
möchten, als der von S h i g a. und Kruse entdeckte Erreger der 
Bazillenruhr, so musste er für viele Fälle diese Ansicht in den letzten 
3—4 Jahren revidieren. Wir haben tödlich endende schwerste Ruhr¬ 
erkrankungen gesehen, die sich klinisch in nichts von den durch 
Shiga-Kruse-Keime bewirkten* auszeichneten, die aber auf 
Y-lnfektion zurückgeführt werden konnten. Und es wurden anderer¬ 
seits durch v. F r i e d r i c ! h leicht verlaufene Ruhrfälle in epidemischer 
Häufung beschrieben, die durch den Keim von Shiga-Kruse er¬ 
zeugt waren. Bei den befallenen Fällen ist die Schwere des kli¬ 
nischen Bikles, das alle Symptome der typischen Ruhr aufweist, dann 
das anatomische Substrat der Erkrankung, diese charakteristische, 
schwerst veränderte Darmwand), für Y-Infektionen ebenso typisch 
wie für Flexner- und Shi ga-Erkrankungen befunden worden, 
so dass man wohl heute, wenigstens beim Erwachsenen (vgl. G ö p - 
pert), nicht mehr leicht als Kliniker unterscheiden kann zwischen 
einer echten Ruhr, d. h. einer durch Shiga-Kruse-Bazillen er¬ 
zeugten, schweren, prognostisch recht ernsten „Ruhr“ und einer 
leichteren, prognostisch günstigeren „Pseudoruhr“, d. h. einer durch 
den Y- oder Fl exn er-Bazillus erzeugten ruhrartigen Krankheit. 
Der Name „Ruhr“ oder „Dysenterie“ ist ein klinischer Begriff, der 
das Symptomenbfld heftiger, blutiger oder schleimiger Durchfälle 
mit schmerzhaftem Stuhlzwang umfasst, ein Symptomenbild, wie es 
der Ruhr und der Pseudoruhr im Sinne der Kruse sehen Einteilung 
ziütommt. Dieser Name muss und wird auch ein klinischer Begriff 
bleiben, ebenso wie die Ruhrdiagnose klinisch allein gestellt werden 
kann und muss. Ob die Ruhr durch Shiga-Kruse -Bazillen oder 
durch Fl ex n e r-Bazillen oder durch Y^Keime erzeugt ist, das mag 
für den Diagnostiker zunächst ganz gleichgültig sein, ebenso wie es 
bei der Feststellung einer Meningitis erst in zweiter Hinsicht wissens¬ 
wert erscheint, welcher Aetiologie diese Erkrankung ist. Ja, bei der 
Meningitis kann dies wegen der spezifischen Serumbehandlung noch 
wichtiger sein, als bei den dysenterischen Affektionen, deren Be¬ 
kämpfung unter Heranziehung der Immunstoffbildung doch wohl stets 


*) Die Ausführungen lagen einem Vortrag zugrunde, den der 
eine von ims am 6. II. 18 vor den Aerzten der Festung Mainz ge¬ 
halten bat. . /-'v 

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^Ör.;. 


L.141V.U UV.| 

S le 


[ B^e verschiedenen Ruhr- bzw. Pseudoruhrerreger gemeinsam berück- 
[ sichtigen muss. Die Prognose der Ruhrerkrankung aber von der ange¬ 
nommenen Gutartigkeit der sog. Pseudoruhrbazillen oder der Bösartig¬ 
keit der Shiga-Kr useschen Ruhrbazillen allein abhängig zu machen, 
geht nicht gut an, wie eben die Todesfälle an Ruhrerkrankungen 
nach Y-lnfektion und die leichten Shiga-Kruse-Infektionen zeigen. Es 
empfiehlt sich also aus praktischen Gründen*, das Wort „Pseudo¬ 
dysenterie“, „Pseudoruhr“ oder „Pararuhr“ zu streichen und nur von 
einer Dysenterie oder Ruhr schlechthin zu sprechen. Dabei kann 
man selbstredend, wenn der Nachweis der speziellen Aetiologie ge¬ 
gluckt ist, von Shiga-Kruse-Ruhr, Flexn er-Ruhr oder 
Y-Ruhr sprechen, wie wir es analog einer grossen Zahl von Unter- 
sucnera zu tun pflegen 1 ). 

Diese bazilläre Unterscheidung der verschiedenen 
Ruhrtypen erweist sich nun aber durchaus nicht als leicht. Die 
Fahndung nach den Keimen in den Darmausscheidungen zweifellos 
Ruhrkranker war bei verschiedenen Untersuchern von recht verschie¬ 
denem Erfolg gekrönt. Meistens hörte und las man von Misserfolgen 
in dieser Hinsicht. Nur in einem kleinen Teile gelang der Nachweis. 
Doch geht die Prozentzahl der positiven Fälle noch sehr weit aus¬ 
einander; so fand L. J acob in 34 Proz. seiner btunluniersucmingeu 
die Bazillen; Kuttner hat in 12 Proz. die Keime herauszüchten 
können; Friedmann referierte über 11 Proz. erfolgreicher Fest¬ 
stellungen im Jahre 1915 auf 1916, während er 1917 nur 3,5 Proz. 
Ausbeute erhielt. Diese Za‘hi entspricht auch unseren Bakterienfest¬ 
stellungen aus den Stühlen mehrerer Hundert runrkranker Personen 
der Zivil- und Soldatenbevölkerung während des Jahres 1917. Jeden¬ 
falls überzeugten sich bald die verschiedensten Untersucher, dass die 
Erbringung des bazillären Nachweises der Ruhr sehr viel heikler ist, 
als etwa die der typhösen Erkrankungen. 

Worauf mögen diese Misserfolge, die auch uns beschieden waren, 
beruhen ? Man kann meist 'hören, dass daran die K ä 11 e e m p f i n d - 
lichkeit der Ruhrbakterien schuld sei; deshalb wird ge¬ 
raten, die Stühle warm, in Thermosflaschen 2 ) etc. zur Untersuchungs¬ 
stelle zu bringen. Diese Ansicht scheint uns nicht das Ricntige zu 
treffen. Sie steht stark in Widerspruch, vor allem mit der Be¬ 
kundung erfahrener Kenner der Ruhrkeime (Lentz), dass die Ba¬ 
zillen gegen Abkühlung nicht auffallend empfindlich sind, sodann 
mit unserer Erfahrung, dass sich Ruhrkeime auch aus Stühlen heraus¬ 
züchten Hessen, welche mit der Post von weit her zu einer Zeit ein- 
gesandt wurden, die durch kühle, ja eiskalte Witterung ausgezeichnet 
war, wobei man für Warmhaltung der Stuhlproben nicht gesorgt hatte; 
endlich mit der Tatsache der hohen Infektiosität Von Ruhrexkre- 
menteir, die im Freien abgesetzt werden, rasch abkühlen können 1 und 
dennoch bekanntlich den Fliegen die Möglichkeit der Uebertragung 
bieten sollen. Würde die Empfindlichkeit gegen Abkühlung tat¬ 
sächlich so gross sein, wie man dies aus dem überwiegend negativen 
Resultat der Untersuchungen an eingeschickten Stuhlproben er¬ 
schlossen zu dürfen glaubte, dann müssten die abgesetzten, aus¬ 
einandergeflossenen, zertretenen, umhergeschmierten, zerstäubten und 
übertragenen Ruhrstühle im Freien konsequenterweise recht unge¬ 
eignet zur Weiterverbreitung der Ruhr sein. Dies nimmt man aber 
durchaus nicht an. Man glaubt vielmehr (z. B. B e n e k e), dass die 
Kotverschmierung eine recht bedeutende Rolle der Uebertragung 
gerade im Felde spielt. Wir stimmen dieser Anschauung von der 
hohen Infektiosität der abgesetzteu Rubrstühle, auch der abgekühlten, 
durchaus bei und sehen gerade in zertretenen und verschmierten 
Stühlen die Quelle mancher Kinderepidemien in Vorstadtbezirken, 
.wobei wir daran denken, wie sich die Kinder auf Gassen und Wegen, 
an Zäunen und in Winkeln oft geradezu im Spiel mit Strassenkot 
und im Gassenschmutz ergötzen. Da bedarf es für die Erklärung der 
Uebertragung nicht einmal der von vielen Seiten beschuldigten 
Fliegen, denen wir eine VermitHungsrolle für die Ruhrverbr«itung 
ebenfalls zugestehen* (cf. Lentz, Buchanan). Kurzum die Ab¬ 
kühlung der Stühle vermögen wir nicht als massgebend für das 
Misslingen des Bazillennachweises zu betrachten. Wir glauben viel¬ 
mehr,; dass neben einer Ueberwucherung durch Kolibazillen andere 
Unzulänglichkeiten im Spiele sind. Es ist doch schon ein gewaltiger 
Unterschied darin gegeben, dass ein Untersucher in X der Fälle eine 
positive Ausbeute hat, der andere in Vao der Fälle. Dies weist unseres 
Erachtens auf Unterschiede in der Qualität des Untersuchungs¬ 
materials, ferner in der Technik der Untersuchung, vielleicht auch in 
der Erfahrung der Beurteilung hin. Wenn man sich aus Gründen, die 
jetzt eine erhebliche Rolle spielen, nicht sofort der optimalen und 
zur Difierentialdiagnose gegenüber anderen Darmkeimen geeigneten 
Nährböden in weitem Masse bedienen kann, wenn man sich mit einem 
Minimum von Platten zur Beimpfung und Aussaat begnügen muss, so 
verkleinert dies bereits sehr die Aussicht auf eine reichliche Bazillen¬ 
ernte. Wenn nun gar dazu kommt, dass bei einem Grossbetriel? in 
Lazarettabteilungen usw. den zu untersuchenden Stühlen untergeord¬ 
netes Sanitätspersonal oder vom Wesen der Sache sonstwie unbe¬ 
rührte Personen einfach mechanisch, weniger überlegt Bis „vor- 

1 ) Söhliesslich rst, wie Kruse selbst angeführt hat (Warschauer 
Kongress 1916), die Namengebung nebensächlich, wenn man n,ur die 
richtige Auffassung über die Bedeutung seiner Ruhr- oder Pseudo¬ 
ruhrerreger für die ruhrartigen Erkrankungen hat. 

9 ) Dies Verfahren ist sogar im Gegensatz zum gewünschten Ziel 
sehr geeignet, eine üppige Koliüberwucherung zu fördern, welche 
einen Hauptgrund für das häufige Misslingen der bazillären Ruhr- 
<iiagm.se bildet. Original fram 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


schriftsmässig“ ein Löffelchen Kot entnehmen und ordnungsmässig 
gesichert und verpackt an die fern gelegene Untersuchungsstelle 
einsenden, dann wird die Ausbeute nicht besser werden. I 11 - 
soferne scheint der am warmen, frisch abgesetzten Stuhl ar¬ 
beitende klinische Bakteriologe im Vorteil zu sein (M a 11 li e s, 
Kruse), als er sich aus der ganzen noch unvergorenen Stuhl¬ 
portion aussuchen kann, was er zur Kultivierung für geeignet hält, 
lmd als er eine Ueberwucherurlg spärlicher pathogener Keime 
durch Kolibazillen nicht so sehr in Rechnung stellen muss. Es 
scheint doch wohl kein Zufall zu sein, dass bei der bakteriologischen 
Diagnosestellung der Ruhr im kleinen Laboratorium mancher Klinik 
mehr herauskommt, als in dem grossen Betriebe manches Unter¬ 
suchungsamtes, wo, aus Gründen der Arbeitsteilung, mehr automatisch 
gearbeitet werden muss, als dass es immer mit der gleichen, regel¬ 
mässigen und eindringlichen Ueberlegung seitens aller Beteiligten ge¬ 
schehen könnte. Schliesslich fragt es sich auch noch, ob wir über¬ 
haupt schon den Ruhrerregern die optimalsten Bedingungen für die 
Heranzüchtung aus Stühlen in unseren gebräuchlichen Nährböden 
bisher geboten haben? Wir sind der Meinung, dass die Kulturbe¬ 
dingungen noch besserungsfähig sind und wären dieser Frage an dem 
reichen Material, das uns durch die Hände ging, gerne näher ge¬ 
treten,'wenn die Zeit dazu geeignet geschienen, unter Aufwand eines 
grösseren Nährbodenstapels einen solchen Spezialpunkt zu unter¬ 
suchen. Da dies aber jetzt nicht durchführbar war, musste eine ge¬ 
nauere Stellungnahme zu dieser Frage unterbleiben, ebenso wie wir 
nicht in der Lage waren, das biologische Verhalten der von uns ge¬ 
fundenen Shiga-Kruse- und Y J Bazilten gegenüber den ver¬ 
schiedenen Zuckernährböden vergleichend fortgesetzt zu beobachten. 
Dies wäre um so erwünschter gewesen, als neuerdings die Möglich¬ 
keit der Variantenbildung der Ruhrbazillen im Brennpunkt des Inter¬ 
esses steht. 

Die Absicht, Nährbodenmaterial einzusparen, gab allgemein Ver¬ 
anlassung, sich mehr mit der Prüfung verdächtiger Krankheitsfälle 
auf Bazillenruhr mittels der Gruber-Widalschen Aggluti¬ 
nationsprobe zu befassen. Die Beurteilung dieser Methodik 
für die Stellung der klinischen Ruhrdiagnose war bisher nicht gerade 
günstig zu nennen. Kruse selbst sieht in ihr. ein sehr brauchbares 
diagnostisches Hilfsmittel. Doch fehlt es auch nicht an solchen, die 
ihre Anwendung hier geradezu als falsch bezeichnen (Erich Meyer); 
andere fanden sich, die eine Unfähigkeit der Serologie für die Ruhr¬ 
diagnosen betonten (K 1 e m p e r e r, A. S c h m i d und R. Kauf¬ 
mann), während eine kleine Zahl von Autoren wenigstens eine teil¬ 
weise gegebene Brauchbarkeit der Agglutinationsprobe gelten lassen 
wollten. So sagt U m n u s, dass die Agglutination bei Ruhr gute, bei 
Pararuhr (Pseudoruhr) weniger gute Resultate ergibt. Auch Schie¬ 
mann stellt sich nicht ablehnend zur Verwendung der Gruber- 
W i d a 1 sehen Probe, wenn er gleich betont, dass die Agglutinations¬ 
reaktion mit Sh i ga -K r u s e - Bazillen auf grosse Schwierigkeiten 
stösst. Jedenfalls könne die frühere Annahme, dass eine Verdünnung 
von 1:50 beweisend sein sollte, nicht als irrig gelten. Man müsse 
wegen der Häufigkeit der Mitagglutination von anderen Bakterien 
mindestens 1:100 verlangen, aber auch dann sei nicht immer absolute 
Zuverlässigkeit gegeben. S e 1 i g m a n n und Cossmann lassen 
die Serumagglutination mit S h i g a -K r u s e - Bazillen als spezifisch 
wertvoll gelten, nicht aber mit Y- und F1 e x n e r - Stämmen. Von 
Nachteil sei das späte Auftreten der Reaktion. Dünner und Fried¬ 
mann endlich betonten, dass nur eine grossklumpige Agglutination 
mit Ruhrbazillen für die Natur der Krankheit als Ruhr beweisend sei. 
Feinklumpige Agglutination sei unspezifisch. 

Unsere Beobachtungen erstrecken sich auf 354 Fälle. Es han¬ 
delte sich um Patienten, die teils mit leichterem Darmkatarrh, teils mit 
klinisch zweifelsfreier Ruhr (blutige, schleimige Stühle, Tenesmen) er¬ 
krankt waren. Diesen 354 Patienten war so reichlich Blut entnommen 
worden, dass mit allen 3 Ruhrerregern die Agglutinationsprobe vor¬ 
genommen werden konnte. Es zeigten sich nun in einer überwiegend 
grossen Zahl positive Reaktionen. Nur in 27 Fällen (= 8 Proz.) blieb 
jegliche Agglutination aus. Da Rückfragen dieserwegen nicht ein¬ 
liefen, kann* angenommen werden, dass sich die Affektion anderweitig 
klinisch klären Hess. Von den übrigen Fällen zeigten 220 (= 62 Rroz.) 
Agglutination eines oder mehrerer Ruhrerreger in Serumverdünnungen 
von 1:200 und mehr. Wir haben gelegentlich positive Agglutination 
bis zu einer Verdünnung des Patientenserums von. 1:3200 gesehen. In 
52 Fällen (= 14,5 Proz.) war eine positive Reaktion bis zum Titer¬ 
wert 1:100 zu erkennen. Der Rest mit 52 Fällen (= 15,5 Proz.) 
blieb bei positiver Agglutination mit dem Endtiter unter 1:100. 

Es ergab sich nun sofort die Schwierigkeit des Entscheides, 
von welcher Titerhöhe der positiven Agglutination ab man sich für 
Bazillenruhr aussprechen sollte. Diese Schwierigkeit war darin ge¬ 
geben, dass sich Ruhrkeime nicht selten vom menschlichen Serum 
spontan agglutinieren lassen. Es war also auf einen gewissen Grad 
von ieichter Agglutinabilität der zur Agglutination verwendeten 
Stämme Rücksicht zu nehmen. Eine zweite Schwierigkeit bestand 
in der Tatsache, dass unser Krankenmaterial vielfach aus Soldaten 
bestand, die wiederholt gegen* Typhus geimpft waren und dadurch 
zweifellos über Partialagglutinine für Ruhrkeime verfügten. Es war 
also von Wert, bei einer Reihe von darmgesunden, ungeimpften Men¬ 
schen und bei darmgesunden, gegen Typhus geimpften Soldaten die 
Blutserumagglutination für die gleichen Ruhrkeime zu prüfen. Dabei 
ergab sich nun, dass ungeimpfte, darmgesundc Menschen nicht selten 
eine positive Agglutination für die van uns verwendeten Ruhrstämme 

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zeigten, die jedoch nicht höher ging als bis zu einer Serumverdünnung 
von 1:40. Bei darmgesunden Typhusschutzgeimpften wurde die Probe 
häufig auch noch bei einem Serumtiter von 1: 80 positiv befunden, was 
den Ergebnissen von Dünner entspricht, ja, in einem Einzelfall selbst 
in der Serumverdünnung 1:160, endlich in einem Ausnahmefall bis 
zu einem Serumtiter von 1:640, wobei allerdings keine Gewähr dafür 
gegeben werden konnte, ob diese Soldaten nicht doch eine ihnen nicht 
recht zum Bewusstsein gekommene Ruhraffektion im Felde durchge¬ 
macht hatten. Um nun auch eine Art von Gegenhandhabe zu finden, 
agglutinierten wir — zunächst auf gut Glück — das Blutserum einer 
kleinen Zahl von Leichen, deren Autopsie als Haupt- oder Neben¬ 
befund eine mehr oder weniger fortgeschrittene unzweifelhafte Dick¬ 
darmdysenterie ergeben hatte (G. B. Gruher und Alb. S c h a e d e 1). 
Dabei fand sich positive Ruhragglutination mindestens bei einer 
Serumverdünnung von 1:160. meistens aber bei höherem Ver¬ 
dünnungswert. Einige Sera von verstorbenen Darmkranken, deren 
Leiden nicht spezifisch war, verhielten sich der Agglutinationsprobe 
gegenüber wie die Sera nicht darmkranker Lebender. Diese Ergeb¬ 
nisse führten uns zu dem Modus, eine Agglutination des Kranken- 
scrums mit Ruhrerregern dann als positiv zu bezeichnen, w'enn sie 
in einer Verdünnung des Blutserums von 1:200 beobachtet werden 
konnte. Agglutination bei einem Serumtiter von 1:100 konnte als 
verdächtig bezeichnet werden; dabei wurde eine nochmalige Blutent¬ 
nahme und Serumgewinnung zur Wiederholung der Agglutination 
anheimgestellt. Aus der Steigerung des Verdünnungswertes bei posi¬ 
tivem Agglutinationsergebnis konnte gegebenenfalls doch noch ein 
entscheidender Schluss gezogen werden. 

Unter Berücksichtigung dieser strengen Beurteilung ergab sich 
die oben genannte Ausbeute von 62 Proz. positiver Fälle, die ohne 
weiteres auf Ruhr bezogen werden, während 14.5 Proz. zunächst nur 
als verdächtig gelten konnten. 

Was nun die Stammesart der agglutiniertenRuhr- 
keime anlangt, so wurden in den Höchstverdünnungen der Sera 
an erster Stelle agglutiniert: 


Bac. Shiga-Kruse in.78,0 Proz. 

Bac. Flexner in.3,0 „ 

Bac. Y in.8,0 

Bac. Shiga-Kruse und Bac. Flexner in . 3,5 

Bac. Shiga-Kruse und Bac. Y in . . 3,5 „ 

Bac. Shiga-Kruse und Bac. Flexner und Bac. Y in 2,0 „ 

Bac. Flexner und Bac. Y in.2,0 


An der Hand dieser Ergebnisse stellt sich also die Häufung der 
Ruhrfälle des vorigen Sommers und Herbstes in Mainz und Umgebung 
als eine nicht ganz reine Durchseuchung mit dem Keim von S h i ga - 
Kruse dar. Die Tatsache, dass ein Teil der militärischen Kranken 
nicht atn Platz seine Krankheit erwarb, sondern auf den verschieden¬ 
sten Gegenden des Kriegsschauplatzes den Keim zur Darmerkrankung 
aufgelesen haben mochte, erklärt durchaus genügend das Nebenhergehen 
von reiner Flexner- und reiner Y-Infektion. Unter den Kriegsver¬ 
hältnissen liegt natürlich eine Vermischung der Erreger und dadurch 
eine Verwischung des scharfen bakteriologischen Charakters der be¬ 
obachteten Ruhrseuchen sehr nahe, was ja Kruse auch bereits be¬ 
tont hat. 

Auch die 24 Fälle, in denen uns der positive Bazillennachweis 
in Ruhrstühlen geglückt ist, sprechen für das Ueberwiegen der 
Shiga-Kruse - Erreger. Dabei konnte 14 mal der Bacillus 
Shiga-Kruse, 9mal der Bacillus Y, 1 mal Bacillus Shiga- 
Kruse und Bacillus Y gemeinsam festgestellt werden. 

Wir glauben uns auf Grund dieser grossen Untersuchungsreihe, 
die in ihren positiven Agglutinationsergebnissen genau mit denen von 
Kuttner übereinstimmt, zu der Anschauung berechtigt, dass über 
, die Verwendbarkeit der Agglutinationsprobe für die Bazillenruhr¬ 
feststellung bisher von mancher Seite allzugrosse Skepsis an den 
Tag gelegt worden ist. Die kritisch vorgenommene Probe, welche 
die oft vorhandene leichte Agglutinabilität der zur Reaktion ver¬ 
wandten Ruhrbazillenstämme berücksichtigt und die massgebende 
Titerverdünnung für eine positive Beurteilung nicht zu gering ansetzt, 
scheint uns sehr wohl brauchbare Resultate zu liefern. In den 
wenigen Fällen, die wir serologisch u n d im Kulturversuch mit posi¬ 
tivem Erfolg bearbeiten konnten, d. h. 12 mal, entsprach das im Stuhl 
gefundene Ruhiibakterium der Stammart, mit welcher das Blutserum 
die weitestgehende Agglutination gezeigt hatte. Allerdings muss man 
wohl vorsichtig mit dem Schluss sein, -dass dies mit konstanter Regel¬ 
mässigkeit der Fall sei; wie wir anderweitig bereits bekundet haben, 
standen uns auch Untersuchungsergebnisse der K. b. militärärztlichen 
Akademie in München zur Verfügung, aus denen hervorging, dass 
das im Stuhl gefundene Ruhrbakterium zwar auch einem vom 
Patientenserum hoch agglutinierten homogenen Ruhrstamm, aber nicht 
dem höchstagglutinierten entsprach. Es wäre immerhin denkbar, dass 
diese auffällige Unregelmässigkeit einer Doppelinfektion mit ver¬ 
schiedenen Ruhrkeimarten zu danken sei. Dass solche Doppelinfek¬ 
tionen Vorkommen, dafür haben unsere Unteruchungen ja einen Be¬ 
leg ergeben, ebenso wie wir noch viel heterologere Doppelinfektionen, 
wie Ruhr und Typhus, Ruhr und Paratyphus feststellen konnten, für 
die auch anderen Autoren (Krehl, Henke) Beispiele geläufig wurden. 
Namentlich sei auf das relativ häufige Zusammenfallen von Ruhr an<T 
Paratyphus hingewiesen, das uns ebenso wie den Untersuchern der 
K. b. militärärztlichen Akademie in München frühzeitig schon Ver¬ 
anlassung gab, jede zur Vornahme der Agglutinationsprobe ein- 

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27. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


959 


gesandte Blutpro-be nach der Serumabscheidung in Galle zu suspen¬ 
dieren und auf Keime der Typhusgruppe zu untersuchen. 

Wie schon erwähnt, hat Dünner und später Friedmann 
ein besonderes Kaliber der Krümelchen, eine „Grossklumpigkeit“ der 
agglutinierten Keime für die positive Bewertung der Gruber- 
W i d a 1 sehen Reaktion mit Ruhrkeimen verlangt. Diese Forderung 
ist unserer Ansicht nach unhaltbar. Die grossklumpige Reaktion, 
welche übrigens bei Agglutination der verschiedensten Bakterien 
beobachtet werden kann, ist unseres Erachtens nicht die Folge von 
Eigenschaften der Immunsera, sondern dürfte von den zur Agglutina¬ 
tion verwendeten Bakterien abhängig sein, worüber wir gelegentlich 
eingehendere Mitteilung machen wollen. 

Was min die pathologisch-anatomischen Befunde 
anlangt, so möge zunächst generell betont sein, dass irgend ein 
Unterschied im Bild der zu Tode gekommenen Patienten mit fest¬ 
gestellter Y-Ruhr gegenüber dem Bild der Shiga-Kruse -Ruhr 
durchaus nicht nadhzuweisen war. Es handelte sich stets um den¬ 
selben eindringlichen und ungemein schweren Befund im unteren und 
untersten Darmbereich, meist im Dickdarm, seltener im Ileun und im 
Kolon, sehr selten nur im Ileum. Dieser Befund bestand im wesent¬ 
lichen aus einer geradezu kissenartigen allgemeinen Schwellung und 
Rötung der inneren Darmwandpartien bis zur Unförmigkeit und liess 
mehr oder weniger ausgeprägte nekrotische Schorfbildungen von braun¬ 
schwarzer und braungrünlicher Farbe erkennen, welche — namentlich 
im Rektum — von unregelmässigen, oft recht tiefen, gesellwürigen 
Defekten der Schleimhaut unterbrochen waren. Die Geschwüre er¬ 
reichten mitunter die Muskularis, in seltenen Fällen können sie noch 
tiefer gehen. Konnten die Sektionen bald nach dem Tode gemacht 
werden, so war das Kolorit des geschwellten Dickdanms meist 
frischer rotbraun bis schwarzviolett; lag aber zwischen Tod und Ob¬ 
duktion eine grössere Frist, so wurde die Farbe der affizierten Darm¬ 
wand mehr und mehr schwarz und schwarzgrünlich befunden Meist 
handelte es sich um dieses schwere Bild, das fast an eine aller¬ 
schwerste Säureverätzung gemahnen mochte. In den wenigen leichteren 
Fällen war die Schwellung der Schleimhaut nicht so hochgradig. 
Dann erkannte man wohl auch die so oft in Lehrbüchern genannten 
graugelben, kleienförmigen Epithelnekrosen und feinen fibrinösen Aus¬ 
schwitzungen und konnte sehen, wie der geschwürige Prozess ent¬ 
sprechend den Faltenhöhen der Darmwand begann. 

Der Versuch, ähnlich wie beim Abdominaltyphus aus dem Aus¬ 
sehen, dem Zustand der Darmveränderungen auf die Dauer der 
Affektion im einzelnen Falle Schlüsse zu ziehen, glückte uns nicht. 
Anscheinend besteht gewöhnlich bei der Bazillenruhr kein derartiger 
regelmäsiger Ablauf der einzelnen Phasen des morphologischen Krank¬ 
heitsprozesses, dass man epikritisch aus dem Bild der Darmaffekte 
einen sicheren Schluss auf die Zahl der Krankheitswochen sich er¬ 
lauben kann. Lediglich das wird man erschlossen können, ob eine 
Ruhr schon lange dauert oder ziemlich jungen Datums ist. Eine 
lange Dauer lässt sich unseres Erachtens, abgesehen von der schiefe¬ 
rigen Pigmentierung abheilender Ruhrdärme, erkennen an der Dicke 
der Wandmuskulatur schwer erkrankter Darmstellen, namentlich an 
den Flexurstellen, vor allem auch am absteigenden Sigmoidealteil und 
im Anfangsabschnitt des Rektums. Die glasig aussehende, stark ver¬ 
dickte Muskularis dieser Darmstellen verrät in vielen Fällen, dass 
der Darm hier schon lange mit Widerständen zu kämpfen hatte, bzw. 
dass er sich schon lange in gehäuften, krampfartigen Zusammen¬ 
ziehungen abmühte und deshalb hypertrophierte. Solche Befunde 
machen es im Vergleich mit der oft ganz kurzen klinischen Beob¬ 
achtungsdauer der tödlich endenden Ruhraffektion wahrscheinlich, 
dass das Leiden schon lange bestand, und dass nach einem Stadium 
der Latenz von kürzerer oder längerer Dauer der nicht ausgeheilte 
Ruhrprozess in heftigster Weise wieder aufflammte und zum Tode 
führte. Derartige Fälle haben wir im Frühjahr und Sommer 1916 
mehrere erlebt. Damals wurde uns auch von klinischer Seite be¬ 
kundet, dass gerade die Y-Ruhrfä'lle sich mitunter so heimtückisch 
verhielten; bei der ersten Kran'kheitsetappe verhefen sie relativ 
harmlos; die betreffenden Patienten schienen völlig zu genesen, bis 
sie ein schwerer Diätfehler oder sonst ein Anlass neuerdings aufs 
schwerste unter Ruhrerscheinungen niederwarf und unter Umständen 
in kürzester Zeit tötete. Das Dickdarmrohr solcher Patienten fühlt 
sich ganz steif au, schon von aussen hat es ein graublaues Aussehen, 
all seine Schichten, besonders aber Muskularis und Submukosa sind 
verdickt, erstere grauweiss, deutlich gezeichnet und scharf abgegrenzt 
von der sukkulenten, dunklen, schwarzroten Submukosa mit der 
samten oder schorfig aussehenden Mukosa. 

Die Tendenz der Ruhr, längere Zeit latent zu 
bleiben bei subjektivem Wohlbefinden der Patienten, deren Stuhl¬ 
verhältnisse sich dabei auch einigermassen regulieren können, täuscht 
leicht eine Heilung vor. Tritt dann aus irgendwelchen Gründen der 
Tod ein, ist mau überrascht, den aUerschwersten dysenterischen Zu¬ 
stand der Darmschleimhaut vorzufinden, der mit der Vorstellung einer 
heilenden oder gar geheilten Ruhr nicht im geringsten vereinbar ist. 
Wir haben mehrfach solche Fälle erlebt. Die anatomische Heilung 
der Ruhr geht langsam vor sich und braucht offenbar viele Wochen 
Zeit. Für den behandelnden Arzt ist dies ein sehr wichtiger Umstand. 
Er darf sich aus allgemein hygienischen Gründen, wie im Interesse 
des Wohls des einzelnen Ruhrpatienten die Entscheidung über die 
Bebandlungs- und Beaufsiehtigungsdauer des Ruhrkranken nicht ent¬ 
winden lassen. Die Mahnung; „Quieta non movere“ gilt für solche 

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Ruhrkranke ganz besonders. Sie muss unbedingt befolgt werden, soll 
nicht auf die Periode subjektiver Besserung ein plötzlich eintretendes 
Rezidiv schlimmster Art nachfolgen, das im besten Fall geeignet ist, 
die anfangs akute Krankheit in ein chronisches Leiden umzuwandeln 
(vgl. auch Jochmann). 

Wie gefährlich die schwere Darmaffektion in sonstwie kritischen 
Zeiten des Organismus ist, lehrte uns der Fall einer 32 jährigen Frau, 
die niederkam, nachdem sie eben eine akute Ruhrerkrankung durch¬ 
gemacht. Das Wochenbett wurde durch eine Endometritis 'kom¬ 
pliziert, schliesslich trat infolge Pelvioperitonitis der Tod ein Es 
ist anzunehmen, dass die bei der Leichenöffnung gefundene, sohwere, 
ulzeröse Kolitis mit begonnener Stenosierung der linken Kolonflexur 
und enormer Dilatation des Colon ascendens und des Querdarms 
am Zustandekommen der Puerperalsepsis nicht unschuldig war. — 
Ebenso lehrreich erschien uns der Fall eines 17 jährigen Mädchens, 
das nach Ueberstehen einer schweren akuten Attacke von Y-Ruhr 
sich subjektiv auffallend besserte und gegen den Willen der Aerzte 
aus der Behandlung hinausdrängte. Nach kurzer Zeit kam es mit 
Zeichen eines Abdominaltyphus wieder ins Krankenhaus. Bei der 
Obduktion der dann in der 3. Typhuswoclie verstorbenen Patientin 
wurde, ausser dem nicht sehr ausgedehnten Ileotyphus eine schwere 
verschorfende Dysenterie des Ileums und der oberen Kolonhälfte von 
so üblem Aussehen festgestellt, dass nicht der Eindruck gewonnen 
wurde, als sei hier eine Restitution der Darmwand überhaupt schon 
im Gange gewesen. 

Auch in fortgeschrittener Abheilung ist uns die Ruhr 
als Nebenbefund bei einem an Granatsplitterwunden verstorbenen 
Soldaten begegnet. Hiebei zeigte der Dickdarm im absteigenden Teil 
zahlreiche bizarr geformte, quergestellte, seichte Substanzverluste 
der Schleimhaut; dieselben gingen mit unscharfen Rändern in die in¬ 
takte Mukosa über. An solchen Stellen war die Darmwand grau- 
schwarz verfärbt. Soweit sie nicht ulzeriert war, erschien sie hin¬ 
gegen blass, geschwellt war sie nicht mehr. Manche der Schleim¬ 
hautdefekte hingen zusammen und gaben der Darminnenwand das 
Aussehen einer reliefartig durchgearbeiteten Landkarte. Diese Er¬ 
scheinungen nahmen gegen den After hin zu, um fingerbreit über dem 
Darmende scharf autfzuhören. 

Endlich ist uns ein Beispiel völlig abgeheilter Ruhr der linken 
Kolonflexur untergekommen, die gleichwohl wegen der stark steno- 
sierenden Narbenbildung ihrem Träger verhängnisvoll ge¬ 
worden ist. Der betreffende Patient ging an einer Darmokklusion 
bei dieser Narbenenge durch unverdauliche Ingesta, nämlich durch 
öbstkerne, unter Ileuserscheinungen zugrunde (G. B. Grub er). 

Einmal hatten wir auch die Möglichkeit zu prüfen, ob bei einem 
Soldaten das Vorgefundene, zum Tode führende Mastdarmkar¬ 
zinom auf dem Boden einer Ruhrerkrankung entstanden 
sei. Aus Gründen der Beurteilung von Versorgungsansprüchen ist 
diese Frage von Bedeutung. In unserem Falle war vor 1 —VA Jahren 
an der Front angeblich eine Rubreikrankung klinisch festgestellt. Der 
Patient soll vor allem Tenesmen gehabt 'haben. Als er dann in die 
Heimat kam, zeigte sich, dass er an Mastdarmkrebs litt der im Laufe 
eines Jahres zum Tode führte. Der Leichenöffnungsbefund einer 
narben- und pigmenflosen, intakten Dünndarm- und Dickdarmsehldm- 
haut bei recht scharf umschriebener Krebserkrankung der Ampulla 
recti zwang zur Ablehnung eines Kausalnexus zwischen der wohl nur 
vermeintlichen Ruhrerkrankung und dem Krebs in diesem Falle. — 
Es soll damit nicht in Abrede gestellt werden, dass gelegentlich diese 
Krankheitsfolge gegeben sein mag (Klein). Doch wird es sich emp¬ 
fehlen, hier in der Beweisführung und den Schlüssen recht vorsichtig 
zu sein. Für eine Karzinombildung 'bzw. für die pathogenetische Kar¬ 
zinomentstehung und ihre Beurteilung müssen u. E. die gleichen 
strengen Gesichtspunkte gelten, als sie seinerzeit Hauser für die 
Beurteilung von Magenkrebsen klargelegt, welche auf dem Boden von 
Magengeschwüren entstanden sein sollen Der zahlenmässige kritische 
Nachweis solcher Beziehungen fällt im Vergleich zu der sehr ver¬ 
breiteten Annahme der Krebsentstehung auf dem Boden chronischer 
Geschwürsbildung recht gering aus (G. B. Grube r). und dieses Ver¬ 
hältnis dürfte wohl auch für Ruhrerkrankung und Blastombildung be¬ 
stehen. 

Abgesehen von Veränderungen der Darmwand konnten wir bei 
unseren Leichenbeobachtungen in Fällen von Ruhr nur wenig fest¬ 
stellen. Die regionären Lymphdriisen der befallenen Darm- 
absohnitte waren meist etwas geschwellt, auch oft gerötet, aber längst 
nicht so sukkulent und markig, wie bei typhösen Erkrankungen. 
Die Milz wurde wechselnd in Grösse und Beschaffenheit gefunden. 
Im allgemeinen war sie kaum vergrössert, von gewöhnlicher Kon¬ 
sistenz, aber blass. Mitunter, besonders wenn schwer ulzeröse Darm¬ 
wandveränderungen Vorlagen und eine lange Krank'heitsdauer voran¬ 
gegangen war, zeigte sie eine nicht unbeträchtliche Volumenzunahme; 
dann war ihr Gewebe auch weicher, ja schmierig und liess die 
Einzelheiten der Textur nicht gut erkennen. 

Handelte es sich um Personen, die an einer ziemlich lange dauern¬ 
den, schweren Ruhr gelitten und die zugleich durch die Rolle, welche 
ihnen die Kriegsereignisse aufzwangen, stark abgehetzt und an sich 
schon reduziert sein mochten, dann konnte nach ihrem Tode mit 
grosser Regelmässigkeit eine Atrophie der Eingeweide fest¬ 
gestellt werden (Beitzke), so dass man den Eindruck von Or¬ 
ganen erhielt, wie sie bei schwer Kachektischen, nach Inanitions- 
zuständen usw. bekannt sind. Dieser Umstand zugbich mit der hohen 
Blutarmut des Organismus Hessen nicht selten bei jungen Leuten 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


des Soldatenstandes mit kräftigem Knochengerüst einen Weichteilbe- 
fund erheben, der «hinsichtlich der blassen, fahlen, bräunlichen- Fär¬ 
bung der Muskulatur und besonders des stark verkleinerten Herzens 
und der Leber an die Befunde seniler, brauner Atrophie erinnerte. 
Namentlich die Herzen solcher Leichen, die der cpikardialen Fett¬ 
unterlagerung gänzlich entbehrten und an Umfang weit hinter der 
Grösse der geballten Leichenfaust zurückstanden, sowie einen auf¬ 
fallenden geschlängelten Verlauf der Zweige der Koronargefässe und 
ein blasses, nussbraunes Kolorit des Myokards aufwiesen, über¬ 
raschten oft genug durch ihr eigenartiges Gepräge. Hinsichtlich des 
Gehaltes der Muskelzellen an Abnutzungspigment standen sie aber 
ganz entschieden hinter echt senil atrophischen Organen- zurück. Eine 
spezifische Ruhrerscheinung ist diese Organatrophie nicht. Wir müssen 
sie vielmehr allgemein als Inanitionserscheinung. als Ausdruck des 
schwer darniederliegenden Stoffwechsels überhaupt auffassen, wie wir 
die gleichen Befunde ja auch bei -anderen Erkrankungen jüngerer Per¬ 
sonen-, so bei Beri-Beri und bei malignen Blastomen auffinden können. 

Schliesslich sei noch einmal der Verteilung der Ruhr- 
a f f e k t e auf verschiedene Darmabschnitte gedacht. Zwar fand sich 
isolierte Dünndarmruhr in- seltenen Fällen, fand sich öfter auch Ruhr 
des Dünndarms und der oberen Dickdarmabschnitte allein, zumeist 
jedoch zeigte sich der untere Dickdarm erkrankt. Ja. es musste der 
Eindruck sich befestigen, dass die Stellen schwerster Erkrankung dem 
After am nächsten- lagen. Zumeist hörten sie einige Zentimeter vor 
der Analöffnung ziemlich scharf auf. Diese Lokalisation der zweifellos 
intensivsten Ruhraffekte gab allerlei zu denken. So erhoben sich 
unseres Erachtens berechtigte ärztliche Stimmen-, die mahnten, bei 
Ruhrpatienten Instrumentene Einführungen in den Mastdarm recht 
vorsichtig oder gar nicht vorzunehmen, da man die mitunter doch bis 
in die Muskularis und darüber hinaus reichenden Ulzera mit Rcktoskop 
oder Einlaufrohr gar nicht so schwer durchstossen kann, zumal sich 
der gereizte Darm gegen derartiges Vorgehen meist mit schmerzhaften 
Kontraktionen zur Wehr setzt. Wer übrigens, wie der eine von 
uns beiden, in der Lage war, selbst bei ruhrartigem Zustand die Ein¬ 
führung eines rohrartigen Instrumentes — und sei es nur eines weichen 
Darmrohres — in den krampfartig widerstrebenden Mastdarm über 
sich haben ergehen lassen zu müssen, der wird auch aus humanen 
Gründen gegen* ein solches diagnostisches oder therapeutisches Vor¬ 
gehen stimmen müssen; es ist für den Patienten eine Ouelle schwerer 
Qual, die mit der Entfernung des Instrumentes nicht sofort endet, 
sondern nur langsam abklingt, soweit die Darmkrankheit ein Ab¬ 
klingen überhaupt zulässt. 

Andere Stimmen ventilierten die Frage, ob diese eigenartige, 
afternahe Lokalisation der intensivsten Ruhraffekte nicht für die Mög¬ 
lichkeit und Regelmässigkeit eines analen Ruhrinfektions¬ 
modus sprechen müssten (Bene k e). Abgesehen von der Möglich¬ 
keit, dass -bei ungenügender mechanischer und chemischer Des¬ 
infektion der zur rektalen Temperaturmessung benützten Thermometer 
in stark belegten Krankenabteilungen auf dem analen Wege eine 
Uebertragung der Ruhr stattfinden kann, vermögen wir uns der von 
Beneke dargestellten Anschauung nicht anzuschlicssen. Es ist ja 
gar nicht gesagt, dass die intensivsten Ruhraffekte auch die ältesten 
sein müssen, es können diese Stellen doch ebensogut die meist ge¬ 
reizten sein. Die eigenartige Verteilung der Ruhraffekte in den ver¬ 
schiedenen Darmabschnitten, vor allem vor den Dickdarmbiegungen 
und vor dem After ist nichts so Neuartiges und mit dem gewöhn^ 
liehen Wege der Ingesta Unvereinbares, dass man an eine anale 
Kotinfektion zur Erklärung der Lokalisation der Dysenterie denken 
müsste. Haben wir nicht bei der Tuberkulose oft genug den gleichen 
Befund in der Lokalisation der Darmgeschwüre? Noch wurde aber 
nicht die Vermutung laut, dass in solchen Fällen der Tuberkelbazillus 
vom After her in den Dickdarm gelangt sei. Die Erklärung der 
starken mechanischen Beanspruchung dieser Darmstellen durch die 
vorbeipassierenden Ingesta, wodurch gewissermassen die Keime in 
die Darm wand eingeri-eben werden, hat für Tuberkulose und Ruhr 
gleiche Wahrscheinlichkeit. Und sollte gerade neuerdings bei uns 
die Ruhr besonders häufig und intensiv den Enddarm bevorzugen, 
so sei darauf hingewiesen, dass in dieser Zeit der vorzugsweise 
vegetarischen Ernährung, der Enddarm eben auch besonders stark von 
Kotmassen 'belastet und belästigt wird, ebenso wie die erhöhte Bil¬ 
dung von Darmgasen, die nicht stets sofort abgeblasen werden 
können, eine ungewöhnliche, oft wiederholte insuHicrende Blähung 
der Ampulla recti bzw. des S-Romanum bedingen. Der Einwand 
gegen die Annahme einer regelmässigen oralen Ruhrinfektion, es 
müsse doch sonderbar erscheinen, dass die Infektstellen erst im 
Endabschnitt des Darmes und nicht schon viel weiter oben zu finden 
seien, ist nicht schwer zu widerlegen, wenn man die mit verschlucktem 
Sputum in den Darm gelangten Tuberkelbazillen zum Vergleich heran¬ 
zieht, welche doch ebenfalls zumeist mehr als die erste Hälfte des 
Darmes unberührt lassen, um dann im unteren Dünndarm und im 
Kolon krankhafte Veränderungen zu erzeugen. Chemische und 
mechanische Verhältnisse in den oberen Darmabschnitten scheinen 
einer mehr oral gelagerten Etablierung des Ruhraffektes nicht günstig 
zu sein. Der Hinweis darauf, dass die mangelhaften Latrinen Verhält¬ 
nisse (Sitzbrettinfektion) >im Felde leicht eine anale Kotinfektion er¬ 
klären lasse, scheint uns nicht glücklich. Die Ruhr tritt im Felde nach 
unserer Erfahrung ja auch da auf. wo überhaupt keine Latrinen sind 
und wo es also auch nicht möglich ist, dass sich die Besucher einer 
solchen Einrichtung auf der Sitzstange oder dem Sitzbrett mit Kot 
eines früheren Besuchers beschmieren. Gerade die mangelhaften, noch 

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mehr die mangelnden Latrinen scheinen uns ein Glied zu bilden 
für den Beweis der Wichtigkeit und Richtigkeit der oralen Kot- 
infektiondurch die beschmutzten Hände bei der Ruhr. 
Wir wiesen schon in einem früheren Abschnitt darauf hin, wie auch 
in Städten für die Entstehung der Ruhr bei Kindern unschwer 
Belege für orale Infektionsmöglichkeiten täglich dem Beobachter sich 
bieten. Dass enge Domestikation, verbunden mit einer z. Z. oft kaum 
zu umgehenden Unreinlichkeit die Ruhr bei Kindern von beimge¬ 
kehrten Feldsoldaten erzeugte, dafür haben wir Beispiele erlebt. 

Einmal handelte es sich um einen an sich nicht ruhrkrank ge¬ 
wesenen Sanitätsmann, der an der Front in einem ruhrgefährlichen 
Abschnitt gestanden war und auch einen von schweren Durchfällen 
plötzlich heimgesuchten Kameraden bei der Defäkation- gestützt und 
zurücktransportiert haben wollte. Dieser Sanitätsmann kam nach Hanse 
in Urlaub in ein ländliches Gebiet, das weit und breit frei von Ruhr 
war. Dort infizierte er seine Kinder, von denen mehrere kurze Zeit 
nach dem verhängnisvollen Familienurlaub ihres Vaters verstorben 
sind. Irgend eine andere Quelle der Infektion Hessen die amtsärzt¬ 
lichen Feststellungen nicht erkennen. Offenbar war der Mann einer von 
den allgemeingefährlichenRuhrbazillenträgern, die, ohne selbst heftiger 
zu erkranken, für ihre Umgebung sehr gefährlich werden können, wenn 
das Zusammenleben zu eng und intim ist oder wenn nicht ganz regel¬ 
mässige und sorgfältige körperliche Reinigungsprozeduren eine Ver¬ 
schleppung der Keime unmöglich machen. Ein zweites Beispiel betrifft 
einen Mann, der in der letzten Periode seiner Feldtätigkeit bereits an 
Leibschmerzen, Tenesmen und Durchfall gelitten. Dieser Mann wurde 
auf Anforderung seiner Vorgesetzten Behörde zeitweise entlassen, 
kam heim zu seiner Familie und schlief mit einem seiner vier Kinder, 
das ganz besonders am Vater hing, im gleichen Bett. Das Kind er¬ 
krankte alsbald heftig an Ruhr und verstarb. Einige Wochen später 
folgte der Vater im Tode nach. Die Obduktion des Mannes ergab 
eine schwerste Dickdarmruhr mit Hypertrophie der Wandmuskulatur 
bei weitestgehender allgemeiner Abmagerung und Organatrophie; 
schliesslich hatte eine kruppöse Pneumonie das Leben Gum Still¬ 
stand gebracht. 

Wenn, wie Kruse ausführte, der Eindruck vorherrscht, dass 
mit der Dauer des Krieges die Ruhrerkrankungen- an Schwere und 
Ausdehnung Zunahmen, so ist das unter Berücksichtigung der 
äusseren und inneren Ursachen für diese Infektionskrankheit wohl zu 
verstehen. Die Kriegsverhältnisse bringen es an den Fronten und 
auch im Heimatsgebiet mit sich, dass viele Personen aufs engste zu¬ 
sammen leben müssen und in den Gepflogenheiten ihrer Lebensführung 
einander geradezu im Wege sein können. Andererseits macht der 
Mangel an Fettstoffen den gerade bei so engem Zusammenleben nötigen 
Gebrauch der Seife sehr fraglich. Die Seife und damit die Rein¬ 
haltung des Körpers und der Unterkünfte Ist und bleibt das beste 
Vorkehrungsmittel gegen alle Infektionskrankheiten, vor allem- gegen 
diejenigen, bei welchen manueller Kontakt und Kotübertragungen- eine 
Rolle spielen. Auch die reichlichen Fliegenschwärme der letzten 
Jahre, die kein launischer Zufall im Leben der Natur sind, hängen mit 
dem Kriege, man könnte genauer wohl sagen, mit den fäulnisfählgen 
Schlacken des Kriegs- und Heimatgebietes eng zusammen und sind wohl 
geeignet, ebenfalls im Sinne einer oralen Kotübertragung auf Nahrungs¬ 
mittel ansteckend zu wirken. Diesen Gesichtspunkt hat Matth es zu¬ 
sammengefasst in den Satz; ..Je mangelhafter die Beseitigung der 
Abfallstoffe, je grösser die Fliegenplage ist, um so eher sind die Be¬ 
dingungen für die Ausbreitung der Ruhr gegeben; daher die Vor¬ 
liebe für das flache Land mit seiner Viehhaltung, für die Truppen¬ 
übungsplätze mit den vielen Stallungen, für die Irrenanstalten mit un¬ 
sauberen Kranken und endlich für die Verhältnisse des Feldzuges.“ 

Ebenso sind die Verhältnisse des Kriegslebens im höchsten Grade 
dazu angetan, die inneren Bedingungen des menschlichen Or¬ 
ganismus für das Angehen einer Ruhrinfektion- besonders günstig zu 
gestalten. Schwere Unterernährung spielt hier zweifellos eine ebenso 
grosse Rolle als fortgesetzte Ueberanstrengung und Uebermüdung: 
Wärmeunregclmässigkeiten durch Erhitzung und plötzliche Kälteein- 
wirkungen. Unregelmässigkeiten in der Ernährung, die oftmals unge¬ 
wohnten Zumutungen- des Darmkanals an massige Nahrungszufuhr, 
ferner an überhaupt schwer verdauliche oder gar verdorbene Nab¬ 
rungsbestandteile, »sicherlich auch die Zufuhr von reizenden, die 
Peristaltik ungewöhnlich anregenden und in Gang haltenden Dingen 
(unreifes Obst, ungenügend gegorene Getränke etc.) mögen das fhrige 
manchmal dazu beitragen, auch einen widerstandsfähigen Darmkanal 
für die Infektion mit Ruhrbazillen geneigt zu machen. Diese Fak¬ 
toren schaffen zweifellos bei sonst wenig geeigneten, sehr kräftigen 
Männern einen Status, der als Disposition für d-ie erfolgreiche An¬ 
siedelung und pathogene Reizentfaltung der Ruhrerreger im Darm¬ 
kanal in Betracht kommt. Bei kleinen Kindern brauchen andererseits 
solche besondere Bedingungen gar nicht gegeben zu sein. Ihr Darm 
ist wohl schon aus physiologischen Gründen gegenüber der Ruhrinfek¬ 
tion widerstandslos (vgl. G ö p p e r t). Für den kindlichen Organis¬ 
mus bildet daher das Eindringen der Ruhrkeime stets eine hohe Oe- 
fahr — was in einigem Gegensatz zur oft verhältnismässig milden 
Reaktion der Kinder gegenüber einer Infektion mit Typhuserregern 
steht. Möglicherweise bildet auch gelegentlich eine harmlosere bak¬ 
terielle Darminfektion einen vorbereitenden Boden für die gefähr¬ 
lichere Ru'hrinfektion. Wenn man in dem noch nicht geklärten Streit 
über die Giftigkeitsunterschiede zwischen Kruses Ruhrbazillen 
einerseits und seinen Pseudoruhrbazillen andererseits — die wir als 
F1 e x n e r - und Y-Bazillen bezeichnen —, die Meinung derjenigen 

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27. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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als berechtigt anerkennt, welche in den Flexner - und Y-Stämmen 
harmlosere, benignere Krankheitserreger sehen, wird man immerhin 
damit rechnen müssen, dass sie in Seuchenzeiten den Darm genügend 
reizen, um ihn für eine zufällig nachfolgende Shiga-Kruse- 
Bazillenwirkung sehr empfänglich zu machen. Hierin wäre ein Bei¬ 
spiel für die fördernde Wechselwirkung äusserer und innerer Krank¬ 
heitsursachen gegeben. Vielleicht trifft für die obenerwähnten, mehr¬ 
fachen Infektionen mit Ruhrkeimen und Paratyphusbazillen ein ähn¬ 
liches Verhältnis zu. 

Die Betrachtungen all dieser Umstände muss unseres Erachtens 
die Gesamtheit der praktizierenden Aerzte dazu führen, allen Darm¬ 
erkrankungen in diesen schwierigen Zeiten ernsteste Aufmerksamkeit 
zuzuwenden, das ganze Rüstzeug der diagnostischen Kunst aufzu¬ 
bieten und in unermüdlicher, immer wiederholter, nachdrücklicher 
Aufklärung über den Modus der Ruhrübertragung die Bevölkerung 
der verschiedensten Schichten zur Vorsicht und zur Reinhaltung des 
Körpers, vor allem der Hände, zu mahnen und die amtsärztlichen 
und sanitätspolizeilichen Bekämpfungsmassnahmen gegen die gefähr¬ 
liche Krankheit zu unterstützen, die sich namentlich in den heissen 
Monaten zur unheimlichen Seuche auswachsen kann. Hier könnten 
und sollten sich unbedingt die Aerzte als die Konsuln fühlen, die 
dafür Sorge zu tragen haben, dass der Staat vor Schaden behütet 
werde. 

Literatur. 

Beitzke: B.kl.W. 1917 S. 625. — Beneke: M.m.W. 1917 
S. 1277. — Buchanan: Brit. med. Journ. 22. XI. 1913 S. 1373. — 
Dünner: B.kl.W. 1915 S. 1184. — Dünner, Lasar und Lauber: 
B.kl.Wv 1916 Nr. 47. — Friedmann: M.m.W. 1917 S. 1500. 
— v. Friedrich: D^n.W. 1917 Nr. 51. — Göppert: Ergeb. d. 
inn. Med. u. Kinderheilkde. 15. 1917. S. 180. — G. B. Gr über: 
Zsch. f. Krebsforschung 13. 1913. H. 1. — D e r s e 1 b e: D. militärärztl. 
Zschr. 1916 S. 388. — G. B. Grub er und A. Schaedel: Zbl. f. 
Bakt. 81. 1918. S. 236. — H a u se r: M.m.W. 1910 Nr. 23 S. 1213 und 
Das chronische Magengeschwür, Leipzig 1883 S. 70. — Henke: Beitr. 
z. path. Anat. 63. 1917. S. 781. — Jacob: M.m.W. 1917 S. 125. — 
Klein: Rektumkarzinom im Anschluss an üb erstandene Y-Dysenterie. 
J. D. Giessen 1917. — Klemperer: M.m.W. 1917 S. 1500. — 
Krehl: Verhdl. d. ausserordentl. Tagung des deutschen Kongresses 
f. inn. Med. in Warschau 1916 S. 196. — Kruse: Verhdl. d. ausser¬ 
ordentl. Tagung d. deutschen Kongresses f. inn. Med. in Warschau 

1916 S. 300. — Kruse: M.m.W. 1917 S. 1305. — Kuttner: M.m.W. 

1917 S. 1500. — Lenz: Dysenterie. Kolle-Wassermanns Hb. d. path. 
Mikroorganismen. 2. Aufl.-Bd. 3. S. 899. — Matth es: Verhandl. 
d. ausserordentl. Tagung des deutschen Kongr. f. inn. Med. in War¬ 
schau 1916 S. 282. — Erich Meyer: Meyer-Lenhartz, Mikroskopie 
und Chemie am Krankenbett. 8. Aufl. S. 52 — Schiemann: Zschr. 
f. Hyg. u. Infektionskrkh. 82. 1916. H. 3. — Schmidt und Kauff- 
mann: Mjm.W. 1917 Nr. 23. S. 753. — Seligmann und Coss- 
mann: M.m.W. 1915 S. 1768. — Umber: M.m.W. 1917 S. 1499. — 
Umnus: M.m.W. 1917 S. 1495. (Zschr. f. Immun.Forsch. 26. H. 1.) 


Ruhrbefcämfifung durch Schutzimpfling mit Dysbakta- 
Boehncke. 

Von Stabsarzt d. L. Dr. Karl Boy6, Medizinalreferent der 
Militärverwaltung Litauen-Süd. 

Der gegen Typhus und Cholera bewährte Weg der Schutz¬ 
impfung schien gegen die Ruhr zunächst nicht betreten werden zu 
können, so dass sich die Leitung des Sanitätswesens hinsichtlich 
der Ruhrprophylaxe und Ruhrbekämpfung an die Grundsätze-der all¬ 
gemeinen Gesundheitspflege und Seuchenbekämpfung gebunden sah 
und ein Abwehrsystem auf rein hygienischer Grundlage ausbaute. 
Trotz aller Hingabe an diese Aufgabe wollte die Rückwirkung auf 
die Sommerruhrkurve nicht eintreten. ' Der Grund liegt einmal darin, 
dass sich ein sozusagen automatisch wirksames System nicht aus dem 
Boden stampfen lässt, zum anderen darin, dass wir damit die Ruhr 
nicht genügend an* ihrem Ausgangspunkt, dem bazillen-ausscheidenden 
Menschen, erfassen. Nach den Beobachtungen, die ich seit über 
2 Jahren in einem grösseren Bezirk des Ostens an der einheimischen 
Bevölkerung machen konnte, kommen als Ausgangspunkte für die 
ersten Gruppenerkrankungen im Sommer fast nur Bazillenträger in 
Betracht. Darüber wird an anderer Stelle noch zu berichten sein. 
Das Natürliche wäre, den Kampf gegen die Ruhr hier, an ihrer Wurzel, 
zu führen, d. h. die Bazillenträger unschädlich zu machen. Allein die 
Erkennung aller Träger, ihre Belehrung, Beaufsichtigung, Fernhal¬ 
tung usw. türmt in der Praxis Hindernis auf Hindernis in noch viel 
stärkerem Masse, als wir es vom Frieden her von der Bekämpfung 
des endemischen Typhus kennen. 

Angesichts dieser Schwierigkeiten bleibt zur Bekämpfung der 
Ruhr an ihrem Ausgangspunkte nur noch eine erfolgversprechende 
Möglichkeit übrig, nämlich die Bekämpfung durch Schutzimpfung. Bis 
zum Jahre 1916 nahm man gegenüber einer aktiven Immunisierung 
nach Art der Typhus- und Choleraimpfung wohl allgemein den ab¬ 
lehnenden Standpunkt ein, den Kruse auf dem Kongress für innere 
Medizin in Warschau zum Ausdruck gebracht hat. Allein die zu¬ 
nehmende Ruhrgefahr für Heer und Heimat drängte unwillkürlich auf 
den Weg, den man für ausgeschlossen hielt, wollte man nicht von 
vornherein- im ganzen resignieren. 


Digitized fr. 


Gck igle 


Im Frühjahr 1917 hatte ich Gelegenheit, einen von Boehnckc 
in Aussicht genommenen Impfstoff gegen Ruhr auf seine Erträglich¬ 
keit an mehreren grossen, den Insassen eines Gefängnisses ent¬ 
nommenen- Versuchsreihen zu prüfen. Die Ergebnisse waren günstig. 
Stärkere Reaktionen und schwere Einwirkungen auf das Allgemein¬ 
befinden konnten nicht beobachtet werden. Es wurden- durch ge¬ 
schultes Pflegepersonal Temperaturmessungen vorgenommen und die 
beobachteten örtlichen und allgemeinen Reizerscheinungen in Inipf- 
listen eingetragen. Es ergab sich, dass bei flacher Injektion von 
0,5 Impfstoff unter die Haut im Sternoklavikularwinkel eine ähnliche 
örtliche und allgemeine Reaktion eintrat, wie wir sie von der Typhus- 
und Choleraschutzimpfung her kennen: fünfmarkstück- bis handteller- 
grosse diffuse Rötung und leichte Infiltration der Haut mit örtlichem 
Spannungsgefühl, Anstieg der Körperwärme um 0,5—1 0 und allge¬ 
meine Abschlagenheit. Nach- längstens 48 Stunden waren die Er¬ 
scheinungen wieder verschwunden. Am 5. un-d 10. Tage wiederholte 
Impfungen mit 1,0 und 1,5 ccm Impfstoff ergaben im allgemeinen 
etwas schwächere Reaktionen. Nach Abschluss der ersten Versuchs¬ 
reihe, die sich auf 60 Fälle erstreckte, war nur in einem Falle eine 
Temperatursteigerung auf 38,6 mit stärkerer Mattigkeit eingetreten. 
Bei einer weiteren Versuchsreihe, die in gleicher Weise mit 1,0 und 
2,0 Impfstoff am 1. und 5. Tage gespritzt werden sollte, traten- die 
Reizerscheinungen der 1. Injektion stärker hervor und Hessen- es 
schon nach den ersten- Beobachtungen zweckmässig erscheinen-, die 
2. Injektion nicht vor dem 7. Tage zu machen, weil die Reaktion der 
1. Injektion langsamer abklang als bei der Dosis 0,5. Bei dieser An¬ 
ordnung ergaben sich keinerlei Zufälle, auch keine Reaktionen, die 
nicht erträglich gewesen wären. Unter 60 Geimpften stieg in 5 Fällen 
die Temperatur über 38, darunter in einem Falle auf 39,3. Es wurden 
noch einige Versuchsreihen mit anderer Anordnung der Dosen und 
Zeiten angestellt, die ich übergehen kann, weil das Ergebnis hinsicht¬ 
lich der Erträglichkeit des Impfstoffes keine neuen Momente ergab 
und sich als praktische Anwendungsweise immer mehr die Anordnung 
0,5, 1,0 und 1,5 am 1„ 5. und 10. Tage oder 1,0 und 2,0 ccm am. 
1. und 7. Tage herausschälte. Ich will gleich vorwegnehmen, dass ich, 
trotz aller Unbequemlichkeit, der dreizeitigen Impfung mit 0,5, 1,0 
und 1,5 den- Vorzug vor zweizeitiger Impfung gebe, weil sie gegenüber 
unvorhergesehenen Zwischenfällen eine gewisse Vorsicht darstellt 
und von ihr vielleicht auch ein längerer und stärkerer Schutz er¬ 
wartet werden kann. 

Hinsichtlich der Zusammensetzung des Impfstoffes und seiner 
wissenschaftlichen Grundlage verweise ich auf die in Nr. 41 1917 der 
Med. KI. und Nr. 6 1918 der B.kl.W. erschienenen Abhandlungen 
Boehnckes. Ich darf vielleicht nur kurz darauf hin-weisen-, dass 
der Impfstoff ein Gemisch von Dysenterietoxin und Dysenterieanti¬ 
toxin darstellt, dem eine bakterielle Giftspitze, bestehend aus echten 
und Pseudodysenteriebazillen (Dys.-bac. 4- T. 4* A.) zugefügt ist. 
Er ist unter dem Namen „Dysbakta“ eingeführt und in den Apotheken 
erhältlich. 

Im Laufe des Sommers 1917 habe ich- mit Dysbakta verschiedener 
Operationsnummern aus dem Serumwerk Ruete-Enoch in Hamburg 
2223 Schutzimpfungen prophylaktisch und als Umgebungsschutz¬ 
impfung bei ausgebrochener Ruhr vollzogen. 

Auf die prophylaktischen Impfungen entfielen 581 Personen, die 
als Insassen von Strafanstalten, Siechen- und Arbeitshäusern und 
als Heil-, Pflege- und Seuchenbekämpfungspersonal bei der ein¬ 
heimischen Bevölkerung der Ruhrgefahr besonders ausgesetzt waren. 

Von den dreizeitig Geimpften (319) erkrankte nachträglich an 
Ruhr niemand, von den zweizeitig Geimpften (262) erkrankte eine 
Person 12 Tage nach- beendeter Impfung. Das Heil-, Pflege- und 
Seuchenpersonal, das teilweise 4 Monate lang der Infektionsgefahr 
ausgesetzt war, blieb von Ansteckung verschont. 

Auf Umgebungsschutzimpfungen entfielen 1642 Personen, die aus 
der nächsten bis weitesten Umgebung von Ruhrerkrankten stammten. 
Es wurde möglichst darauf Bedacht genommen, Ruhrverdächtige und 
akut Krankheitsverdächtige auszuschalten, um unliebsame Zwischen¬ 
fälle zu vermeiden. Auch Kinder im zarteren Alter und schwäch¬ 
liche Kinder, ferner Ruhrrekonvaleszenten, wurden nicht gespritzt. Die 
Impfungen fanden in zwei Zeiten mit 1,0 und 2,0 am 1. und 7. Tage 
statt. Es erkrankten im ganzen 5 Personen nach abgeschlossener 
Impfung an Ruhr und zwar: 1 Person 2 Tage nach beendeter Impfung, 
2 Personen 3 Tage nach beendeter Impfung, 1 Person 4 Tage nach 
beendeter Impfung und starb am 12. Tage, 1 Person 12 Tage nach 
beendeter Impfung. 

Insgesamt sind also 6 Ruhrerkrankungen nach beende¬ 
ter Schutzimpfung mit Dysbakta beobachtet worden, von denen 
wiederum 4 von vornherein- ausgeschaltet werden können, da nicht 
anzunehmen ist, dass sie bereits 2—4 Tage nach beendeter Impfung 
im Besitz eines ausreichenden Impfschutzes waren. Ernstlich in Be¬ 
tracht können nur die beiden Fälle kommen, die 12 Tage nach be¬ 
endeter Impfung erkranktem Die Erkrankung verlief in- beiden Fällen 
leicht. Ausserdem erkrankten noch 5 Personen- an Ruhr nach der 
ersten Einspritzung. Sie waren während des Inkubationsstadiums 
geimpft worden. Ueble Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet, 
einen tödlichen Ausgang hat keiner der Fälle genommen. Über¬ 
haupt wurden bei keinem der 2223 Impflinge so auffallende Reaktionen 
beobachtet, dass sie über das Mass des Erträglichen hinausgegangen 
wären. 

Wenn ich nunmehr feststelle, dass diese Schutzimpfungen ange¬ 
sichts einer schweren- und weitverbreiteten -Baziilenruhx stattfanden. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


962 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 35. 


bei der die als Stichproben angestellten Blut- und Stuhluntersuchungen 
vorwiegend echte Ruhr vom Typus Kruse ergaben, einer Ruhr, die 
unter der schlechter ernährten und von der Tuberkulose heimge¬ 
suchten städtischen Bevölkerung eine Sterblichkeit von 26 Proz., unter 
der Landbevölkerung eine solche von 15 Proz. erreichte, so glaube 
ich, dass man der Impfung mit Dysbakta eine Schutzwirkung nicht 
absprechen kann. Ich habt überall da, wo sofort in grösserer Um¬ 
gebung geimpft wurde, die Seuche prompt zum Stillstand kommen 
sehen, während da, wo aus vorübergehendem Mangel an Impfstoff 
oder aus sonstigen Gründen die Impfung ganz oder teilweise unter¬ 
bleiben musste, Infektion auf Infektion erfolgte, bis sich die Seuche 
im Laufe von Monaten erschöpfte. Gleiche oder ähnliche Erfahrungen 
sind auch von anderen Beobachtern gemacht worden. Da sie nur 
dienstlich zu meiner Kenntnis gelangt sind, ist hier nicht der Ort, 
sie zu verwerten. Ich verweise noch auf eine in Nr. 7 1918 der 
Med. Kl. erschienene Arbeit von Schelenz. Den dort aufge¬ 
stellten Leitsätzen kann ich mich ohne Vorbehalt anschliessen. Auch 
Steuernagel (D.m.W. 1918 Nr. 12) sowie Sachs-Müke 
(Med. Kl. 1918 Nr. 13) berichten über günstige Erfahrungen. 

Um den Ruhrimpfstoff Dysbakta erfolgreich in den Dienst der 
Ruhrbekämpfung stellen zu können, erscheint cs notwendig, ihn in 
weit umfangreicherem Masse als bisher prophylaktisch anzuwenden. 
Nach den bisherigen Erfahrungen werden wir auch in diesem Jahre 
wieder mit einem gehäuften Auftreten der Ruhr zu rechnen haben 
und sie wird überall dort am ehesten und stärksten wieder auf- 
flammcn, wo sie im vorigen Sommer am längsten und stärksten be¬ 
standen hat. Ueberall da, wo es die öffentlichen Interessen, insbe¬ 
sondere die Interessen des Heeres gebieten, sollte die prophylaktische 
Schutzimpfung vielleicht* am besten an Hand rechtzeitig aufgestellter 
Impflisten in erster Linie dort angesetzt werden, wo nach den bis¬ 
herigen Erfahrungen der Ausbruch der Ruhr wieder zu erwarten sein 
wird. Ich glaube, dass insbesondere auch die heimatlichen Ver¬ 
waltungsbehörden. die sich im vorigen Jahre mit der Ruhr zu be¬ 
fassen hatten, nach dieser Richtung hin manche nützliche Erfahrungen 
bei der Durchimpfung von Belegschaften, Gefängnissen, Irrenan¬ 
stalten usw. werden sammeln können. Wichtig ist rechtzeitige pro¬ 
phylaktische Schutzimpfung, die zweckmässigerweise zwischen 10. 
bis 20. Juni beendet sein müsste. 

Wenn auch über die Dauer der Schutzwirkung sich z. Z. noch 
kein endgültiges Urteil fällen lässt, so scheint sie nach den Fest¬ 
stellungen von Boehncke und E1 k e 1 e s (M.m.W. 1918) zum 
mindesten 3 Monate anzuhalten und somit für die hauptsäch¬ 
liche Ansteckungszeit (Juli bis einschliesslich September) auszu¬ 
reichen. Im Uebrigen wird der Impfstoff Dysbakta auch bei der Um¬ 
gebungsschutzimpfung nach ausgebrochener Ruhr weiterhin gute 
Dienste leisten können. 

Aus dem Reserve-Feldlazarett 45 der 2. Qarde-Reserve- 
Division (Chefarzt: Stabsarzt Dr. Qley). 

Ein Beitrag zur Kasuistik der 6efässverletzungen. 

Von Dr. W. J eh n-Zürich. 

Aus einem reichen Beobachtungsmaterial von Gefässverletzungen 
seien hier 2 Fälle mitgeteilt, die wegen ihrer Symptome, ihres ana¬ 
tomischen Befundes, vor allem aber wegen ihrer Gesamtbeurteilung 
eine äusserst praktische Bedeutung haben: 

I. Der Infanterist R. wird am 26. III. 16, morgens 4 Uhr, durch 
einen Granatsplitter am linken Oberschenkel verwundet. Er gibt 
an, viel Blut verloren zu haben. Gegen 12 Uhr mittags kommt er 
ohne elastische Binde ins Feldlazarett. 

Bei dem leicht anämischen Mann, der bei normaler Temperatur 
einen Puls von 110 hat, findet sich am linken* Oberschenkel nach Lö¬ 
sen eines ziemlich durchbluteten Verbandes, etwa zweifingerbreit 
unterhalb des Leistenbandes auf der Innenseite des Oberschenkels 
ein gut einpfennigstückgrosser Einschuss, etwa 3 Firner breit vom 
medialen Rande des Musculus sartorius entfernt. Der Ausschuss fin¬ 
det sich in gleicher Höhe wie der Einschuss am lateralen Rande des 
Muskels. Im Bereich der Verletzung findet sich eine gut handteller- 
grosse diffuse Anschwellung des subkutanen, sowie des tiefer ge¬ 
legenen Gewebes, die nicht pulsiert. Keine Gefässgeräusche bei der 
Auskultation. Im Ein- und Ausschuss finden sich dicke Koagula dunk¬ 
len Blutes. 

Während das rechte Bein zwar kühl ist, aber doch eine gewisse 
Durchwärmung erkennen lässt, ist das linke Bein eiskalt, leicht livide 
verfärbt, es fehlt der Puls der Arteria tibialis postica, sowie der 
Arteria dorsalis pedis. 

Es wird daher die Diagnose: Durchschuss des lin¬ 
ken Oberschenkels mit Verletzung der grossen 
Gefässe gestellt, der Patient auf die Schwere seiner Verletzung 
aufmerksam gemacht, vor allem wird ihm gegenüber die Möglichkeit 
betont, dass er sein Bein verlieren könne und dann die Operation 
— Naht oder Unterbindung — vorbereitet. 

Unter Bereithaltung der elastischen Binde wird vom typischen 
Schnitte aus die Gefässfurche freigelegt. Hierbei zeigt sich ein über¬ 
raschender Befund: Zunächst sind Arteria und Vena femoralis voll¬ 
kommen intakt, sie sind durch einen gewaltigen Bluterguss nach oben 
und lateralwärts verschoben. Dieser Bluterguss ist durch das tiefe 
Blatt der Faszie des Scarpa sehen Dreiecks nach oben hin gut ab¬ 


gekapselt, derart, dass er wie ein gut faustgrosser Tumor auf und 
in der Muskulatur der Adduktorengruppe imponiert. Ueber ihn 
hin verlaufen, wie Saiten über den Steg einer 
Violine angespannt, die beiden grossen Gefässe. 
ihr Lumen ist durch den d a r u n t e r g e 1 e g e nen Blut¬ 
erguss maximal komprimiert, ihr Rohr somit zu 
einem stroh halmartige n- Gebilde ausgezogen (Fig. 1). 

Fig. 1. Schematische Darstellung der 

anatomischen Verhältnisse. 

Linker Oberschenkel von innen. 

(Es ist nur die Arterie eingezeicbm t.) 

A ss Hauptast der Arteria femoralis. 

B = Arteria profunda. 

C = Arteria femoralis 

D = Das die Arterie komprimierende Hämatom 
aus dem Aestchen E der Arteria profunda. 

Während zentralwärts von dem Bluterguss die Arterie deutlich pul¬ 
siert, ist auf dem Blutergusse auch nicht die Spur von Pulsation von 
seiten des darüber hinziehenden Gefässes zu bemerken, peripherwärts 
davon fehlt sie gleichfalls. 

Es wird nun der Bluterguss inzidiert: Es quillt und presst sich 
unter starkem Druck gut eine Tasse voll Koagula aus der Inzisions¬ 
stelle heraus. Erweitern der Inzisionsstelle und Ausräumung des 
Hämatoms. Sofort gleitet die verlagerte Arterie und 
Vene an ihre frühere Stelle zurück und es setzt im 
ganzen Gefässe deutliche Pulsation ein. Bei der wei¬ 
teren Ausräumung der Bluthöhle zeigt sich, dass diese grösstenteils 
in und zwischen den Adduktoren des Oberschenkels liegt und dass 
ihre Quelle ein durchschlagenes, verhältnismässig kleines Aestchen 
einer Arterie, vielleicht der Profunda ist. Nach Reinigen der Wunde 
spritzt es reichlich, wird gefasst und ligiert. Dann werden die 
Taschen dieses entleerten Hämatoms mit Wasserstoffsuperoxyd gut 
gereinigt, die Wunde locker tamponiert, die Wundkanäle exzidiert, 
das Bein verbunden und geschient. 

Sofort nach der Operation Kontrolle der Ar¬ 
teria dorsalis pedis, sie pulsiert schwach, aber 
deutlich fühlbar, nicht schwächer als links. 

Dann kommt Patient zu Bett, es setzt eine ausgiebige Kollaps¬ 
bekämpfung mit Sauerstoffüberdruckatmung, mit Kampfer, Alkohol 
und Wärme ein. 

Abends 7 Uhr hat sich Patient erholt. Puls 100, Temperatur er¬ 
höht, Bein warm, Bewegungen frei. 

Der weitere Verlauf gestaltet sich normal. Nach anfänglichem 
Fieber und starker Sekretion normale Verhältnisse. Patient wird 
nach 14 Tagen mit erhaltenem Bein in sehr gutem Allgemeinzustand 
abtransportiert. 

II. Der Schütze Phg. wird am 11. IV. 18 morgens in Stellung 
durch Granatsplitter verwundet. Angeblich hat er viel Blut verloren, 
eine elastische Binde wurde nicht angelegt. Er kommt nachmittags 
gegen 3 Uhr ins Feldlazarett. 

Stark ausgebluteter Mann, Puls 130. Uniform und Verband am 
rechten Oberschenkel stark durchblutet. Blutung steht. Vorsichtiges 
Lösen des Verbandes unter Bereithaltung der elastischerf Binde. 

Der Oberschenkel zeigt einen gut bleistiftdicken Einschuss über 
dem Musculus sartorius, etwa 3 Finger breit unterhalb des Leisten¬ 
bandes. Ausschuss handbreit unter dem Trochanter major. Aus Ein- 
und Ausschuss quellen geronnene Blutmassen hervor. Die ganze 
Umgebung der Wunde ist prall gespannt, schmerzhaft, pulsiert nicht, 
keine Gefässgeräusche. 

Das linke Bein ist kühl, vor allem der Fuss, Arteria dorsalis 
pedis jedodh zu fühlen; das rechte Bein ist eiskalt, blass, Puls der 
Arteria dorsalis pedis nicht fühlbar. 

Es wird daher die Di.agnose: Durchschuss des rech¬ 
ten Oberschenkels, Aufhebung der Zirkulation im 
Bereich der Arteria femoralis gestellt. Die Zir¬ 
kulation ist entweder durch direkte Verletzung 
der Arterie aufgehoben oder es drückt auf die Ar¬ 
terie ein Hämatom. Vor allem wird sofort unter peinlichster 
Asepsis zur Operation geschritten: 


Fig. 2. 

Schematische Darstellung der ana¬ 
tomischen Verhältnisse. 

Rechter Oberschenkel von vorne. 

(Es ist nur die Arterie ein gezeichnet.) 

A = Hauptast der Arteria femoralis. 

B = Arteria profunda. 

C Arteria femoralis. 

D - Der kleine Ast der Arteria femoralis, der zu 
dem die Arterie komprimierenden Hämatom 
E führt. 


Vereinigung des Ein- und Ausschusses, vorsichtiges Vorpräpa¬ 
rieren in die Tiefe. Man gelangt auf einen über faustdicken Blut¬ 
erguss, der zunächst mit dem Finger, dann mit dem scharfen Löffel 
entfernt wird. Er erstreckt sioh vor allem nach median und hinten 
in der Richtung der grossen Gefässe. Diesesindjedochdurch 
eine etwa 2—3 cm dicke Gewebsschicht von ihm ge¬ 
trennt. Sie erscheinen deutlich nach median wärts 
verschoben (Fig. 2). In dem Augenblicke, wo der 




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Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




27. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


963 


Bluterguss entfernt wird, setzt sofort der Pulsder 
Arteriadorsalis pedis, wenn auch schwach, ein. zu¬ 
gleich zeigt sich, dass dieser grosse Bluterguss 
aus einem etwa stricknadeldicken Muskelaste 
der Arteria femoralis stammt. Dieser wird ligiert, 
dajin wird die ganze Wundhölhle sorgfältig von 
Blutresten gereinigt und austamponiert, die Wund¬ 
ränder werden exzidiert, das Bein verbunden und 
geschient. 

Sofort also nach dieser Entlastung der grossen 
Gefässe trat die Pulsation der Arteria dorsalis 
pedis ein, demzufolge wurde das Bein im Verlauf 
des Tages wieder warm, Beweglichkeit bestand in 
allenMusk eigruppen. 

Der weitere Verlauf gestaltete sich normal. Nach anfänglichem 
Fieber lytischer Abfall der Temperatur, Abstossung einiger nekro¬ 
tischer Muskelmassen. Das Bein bleibt weiterhin gut warm. Patient 
wird nach 8 Tagen mit gut granulierenden Wunden, in gutem All¬ 
gemeinzustand und mit erhaltenem Bein einem ablösenden Feld¬ 
lazarett übergeben. 

Es handelt sich also um 2 Fälle von Oberschenkelverletzungen 
dicht unterhalb des Leistenbandes, bei denen die Zirkulation des Blu¬ 
tes unterbrochen war. Im ersten Falle sprach das Verhalten der 
Wunde, besonders ihre Verlaufsrichtung, vor allem aber das klinische 
Bild: eiskalte Extremität, Fehlen des Pulses der Arteria dorsalis pedis 
dafür, dass eine direkte Verletzung der grossen Gefässe eingetreten 
sei. Um so überraschender war der anatomische Befund: Die Gefässe 
selber waren intakt, sie waren jedoch durch einen faustgrossen Blut¬ 
erguss in die Muskulatur der Adduktorengruppe derart verlagert und 
komprimiert, dass die Ernährung der ganzen Extremität in Frage ge¬ 
stellt war. Wie es sich mit der Arteria femoralis profunda verhielt, 
können wir nicht sagen, sie kam während der Operation nicht zu Ge¬ 
sicht; wahrscheinlich ist, dass auch sie komprimiert war, denn sonst 
würde wohl durch sie, also durch den Kollateralkreislauf eine ge¬ 
nügende Ernährung des Beines stattgefunden haben. 

Beim zweiten Falle wurde die Möglichkeit, dass es sich gleich¬ 
falls um eine Kompression der Arterie durch einen Bluterguss handele, 
schon von vornherein erwogen, einmal im Hinblick auf diese frühere 
Beobachtung, vor allem jedoch auf den bei der Besichtigung der 
Wunde erhobenen Befund: Der Einschuss lag etwas zu weit von den 
grossen Gefässen weg. Wenn- wir uns auch bewusst sind, dass ge¬ 
rade bei Granatverletzungen durch indirekte Geschosswirkung der¬ 
artige Gefässverletzungen beobachtet sind (Dietrich, J e h n), so 
glaubten wir doch von vomeherein in diesem Falle eine Kompression 
der Gefässe durch einen grossen Bluterguss annehmen zu dürfen. Be¬ 
stätigt wurde diese Annahme später durch den Befund bei der Opera¬ 
tion. 

In der Friedenschirurgie sehen wir diese Gefässkompression ge¬ 
legentlich bei schweren Frakturen, vor allem der unteren Extremitäten, 
sie sind jedoch meistens nicht komplett und ein chirurgisches Ein¬ 
greifen ist daher nicht indiziert. Auch in der Kriegschirurgie scheinen 
sie nicht allzu häufig zu sein; wir selbst haben sie unter etwa 50 Ge- 
fässschüssen während einer fast 4 jährigen Tätigkeit im Felde nur 
2 mal beobachtet. Dies hat wohl in erster Linie seinen Grund darin, 
dass sich diese Hämatome eben rechtzeitig durch den Ein- bzw. Aus¬ 
schuss entleeren und so keinen übermässig grossen Druck auf ihre 
Umgebung ausüben können. In unseren beiden Fällen ist dies offen¬ 
bar nur bis zu einem gewissen Grade eingetreten, vielleicht haben 
mechanische Momente zu einem ventilartigen Verschluss der Schuss¬ 
kanäle geführt, so dass das immer grösser werdende Hämatom einmal 
sich selbst tamponierte, sodann aber auch auf die Umgebung drückte. 
Dass es überhaupt so stark drücken konnte, dass Gefässe von Grösse 
und Lumen der Arteria femoralis komprimiert wurden, hat seinen 
Grund wohl darin, dass eben durch den primären Blutverlust der Blut¬ 
druck so gesunken war, dass die Kompression der Gefässe durch ein 
Hämatom verhältnismässig leicht erfolgen konnte. 

Wenn diese Art von Verletzungen auch durchaus nicht häufig zu 
sein scheinen, so glauben wir doch, dass sie ein grosses Interesse 
beanspruchen bezüglich des anatomischen und klinischen Be¬ 
fundes, besonders aber der Diagnose und Indikation. Ihre Diagnose 
lässt sich gelegentlich stellen, wenn man sich die Möglichkeit ihres 
Vorkommens vor Augen stellt. Bezüglich der Indikation ist zu sagen, 
dass sie eine sofortige Versorgung beanspruchen wie alle übrigen 
Gefässverletzungen, handelt es sich doch für den Verwundeten um 
die Erhaltung seiner Extremität, wie aus obigen Ausführungen wohl 
zur Genüge hervorgegangen ist. 


Chemische Antisepsis der Kriegsverwundungen, sowie 
primäre Wundbehandlung der Gelenkschüsse. 

Von Dr. Urtel, Oberarzt d. R. bei einem Feldlazarett. 

Die Wirkung eines chemischen Mittels ist umso höher, je grösser 
sein Diffusionsvermögen ist, und je weniger gross die Fähigkeit des 
chemischen Mittels ist, ZeHeiweiss zu koagulieren. Zu starke che¬ 
mische Mittel verbieten sich wegen ihrer Toxizität auf die Körper¬ 
zellen von selbst; um trotzdem bei verdünnter chemischer Lösung 
eine Wiikung zu erhalten, hat man die Wunde andauernd mit che¬ 
mischen Mitteln in stark verdünnter Konzentration berieselt, anderer- 

Nr ' 3 C'igitized by GQ, QIC 


seits hat man auch versucht zwei chemische Mittel zu verwenden, 
indem man das eine als Adjuvans verwandte. 

Wasserstoffsuperoxyd (HaOa) wurde als 3prozi Lösung oder als 
Ortizonstift bei der Behandlung mit antiseptischen Mitteln angewandt. 
Auch hierbei wird man die Misserfolge darauf zurückführen, dass die 
Wirkung des Wasserstoffsuperoxyds in kurzer Zeit auf hört, indem 
durch das Gewebe, das als Katalysator wirkt, das Wasserstoffsuper¬ 
oxyd zersetzt wird. Um nun HiO* wirksamer zu gestalten, ist es 
notwendig, die Wirkung des Gewebes aufzuhebem. indem man die 
Enzyme oder Fermente des Gewebes vernichtet und dadurch ihre 
zersetzende Wirkung auf das Wasserstoffsuperoxyd auf hebt. Anderer¬ 
seits ist empfehlenswert, durch Anwendung eines anderen chemischen 
Mittels, welches man in Verbindung mit Wasserstoffsuperoxyd bringt, 
die Wirkung des Sauerstoffs und gleich die Wirkung des Adjuvans zu 
erhalten, und daneben durch ein drittes chemisches Mittel die zer¬ 
setzende Wirkung des Gewebes aufzuheben. 

In dieser Hinsicht bewegten sich meine Versuche. Bringt man 
Wasserstoffsuperoxyd und Jodkaliumlösung zusammen, so entsteht 
Jodwasserstoff und Sauerstoff. Im Reagenzglas ist der Vorgang ein 
derartiger, dass, wenn man beide Lösungen zu gleichen Teilen zu¬ 
sammenbringt, erst ein gelblicher Ton der Lösungen entsteht Die 
Sauerstoffentwicklung beginnt sofort, um nach 15 Minuten aufzuhören. 
Schüttelt man die Lösung mit Chloroform aus, so entsteht eine 
schwach violette Färbung. Anders gestaltet sich die Sache, wenn 
man der Jodkalium-Wasserstoffsuperoxydlösung verdünnte Essigsäure 
zusetzt. Es tritt wiederum eine gelbe Färbung ein, die bald in eine 
gelbrote übergeht, um zum Schluss einer dunkelroten Färbung Platz 
zu machen. Die Sauerstoffentwicklung beginnt nicht sofort sondern 
erst 15 Minuten, nachdem die erwähnte dunkelrote Färbung einge¬ 
treten ist. Sie beginnt sehr langsam, nimmt allmählich an Stärke 
zu. Die grösste Lebhaftigkeit wird nach ungefähr 2—3 Stunden 
erreicht. Sie fällt dann langsam wieder ab und hält je nach der 
Beschaffenheit der Wasserstofilösung, ob alt oder frisch. 5—7 Stunden 
an; zugleich bilden sich in der Lösung, die allmählich heller wird, 
dunkelbraune, auf- und niedergehende Schüppchen sowie ein dunkel¬ 
brauner Bodensatz. Ausschütteln der Lösung mit Chloroform ergibt 
eine intensive, dunkelviolette Färbung (Jodreaktion). Die Reaktion 
der Lösung ist sauer. 

Auf Wunden übertragen tritt bei der reinen Jodkali-Wasserstoff¬ 
superoxydbehandlung eine leicht gelbliche Verfärbung des auf die 
Wunde gebrachten Mulls ein. Auch die Umgebung zeigt einen leicht 
gelblichen Ton, indem der Jodwasserstoff unter der Wirkung der Luft 
in Jod und. Wasser zerfällt. Dagegen ist bei der sauren Jodkali- 
Wasserstoffsuperoxydlösung eine dunkelrote Verfärbung des Mulls 
die Regel, die allmählich bei offener Wundbehandlung an Stärke zu¬ 
nimmt, entsprechend den Versuchen im Reagenzglase, d. h. umsomehr, 
je mehr Jodkalium zersetzt wird, um dann allmählich nach Stunden 
vollkommen farblos zu werden. Der chemische Vorgang bei der 
sauren Jodkali-Wasserstofflösung entspricht der Formel: 

CHaCOOH + KJ + HaOi = CHaCOOK + JH + HaO*. 

Jodwasserstoff zerfällt unter Wirkung des Wasserstoffsuperoxyds 
(HaOa) in saurer Lösung sehr bald in Jod und Wasser. Das Endresultat 
ist also, dass neben essigsaurem Kalium Jod und reiner Sauerstoff ent¬ 
steht. Die saure Jodkaliumlösung zersetzt sich unter der Wirkung 
des Tageslichtes und nimmt bald eine gelbliche Färbung am, ein 
Vorgang, der nicht erwünscht ist, da er die Sauerstoffwirkung herab- 
setzt. Um dies zu verhüten, ist es notwendig, die Lösung in dunklen 
oder mit dunklem Papier umwickelten Flaschen aufzubewahren. Die 
Untersuchung bewegte sich nun dahin, den essigsaureni Zusatz derart 
zu gestalten, dass die Sauerstoffentwicklung möglichst lange anhält. 
Für eine 2 proz. Jodkaliumlösung ist eine 2proz. verdünnte Essig¬ 
säure notwendig, um die Sauerstoffentwicklung möglichst ausgiebig 
zu gestalten. In der Praxis ist die Sache aber derart, dass z. B. 
bei einer 2proz. Jodkaliumlösung der verdünnte Essigsäuregehalt 
5 Proz. betragen muss. Es ist dieses Plus an Essigsäure notwendig, 
um die katalytische Wirkung des Gewebes aufzuheben. Selbstver¬ 
ständlich deckt sich der Reagenzglas versuch) nicht mit «den Ver¬ 
hältnissen des Körpers, indem die Sauerstoffentwicklung nicht 6 bis 
7 Stunden anhält. Trotzdem kann man doch mit einer Sauerstoff¬ 
entwicklung für 4 Stunden rechnen. Versuche, die derart angestellt 
wurden, dass über mit Jodkali-Wasserstoffsuperoxyd behandelte 
Wunden Stärkebinden angebracht und nach der Blaufärbung durch 
neue ersetzt wurden, ergeben eine 4 Stunden anhaltende Wirkung, 
Jodtinkturpinselung bis zu 2 Stunden Wirkung. 

Zu befürchten war bei der Behandlung erstens die schädigende 
Wirkung der Essigsäure, zweitens Jodintoxikationen. Bringt man 
1 ccm 2 proz. Jodkalium*, 5 proz. verdünnte Essigsäurelösung mit 1 ccm 
Wasserstoffsuperoxydlösung zusammen und titriert nach Aufhören der 
Sauerstoffentwicklung mit einem Zehntel NormaLNatriumthiosulfat- 
lösung, so beträgt der Joügehalt 0,0138 g, also ungefähr die Hälfte 
der maximalen Einzeldosis für Jod. 

Die Art der Behandlung ist nun derart, dass die Wunden nach 
den allgemeinen Grundsätzen chirurgisch vorbehandelt sind; es wind 
ein Drain eingelegt und die Wunde mit Mull ausgefüllt. In das Drain 
wird mehrmals am Tage ie nach Bedarf die Jodkali-Wasserstoffsuper¬ 
oxydlösung zu gleichen Teilen hineingespritzt, nachdem beide Lö¬ 
sungen in einer sterilen Schale gemischt worden sind. Oder aber, man 
füllt die Wunde mit Tupfern an, die in die beiden vorher gemischten 
Lösungen hineingetaucht worden sind. Im Anfang der Behandlung 
bei den ersten Fällen klagen die Leute meist über kurz andauerndes 

3 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


m 


MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


Brennen (Essigsäuiewirkung). Bald aber wird die Behandlungs weise 
reaktionslos vertragen. 

Schädigende Wirkungen von seiten des Jods nach der Essigsäure 
sind nie beobachtet worden, obgleich bis zu je 25 ccm beider Lö¬ 
sungen mehrmals am Tage verwandt wurden. 

Die Zahl der mit Wasserstoffsuperoxyd und saurem Jodkalium 
behandelten Fälle beträgt ungefähr b'is jetzt 200. Wie ich schon 
vorher betonte, wurde die Wasserstoffsuperoxyd-Jodkaliumbehand- 
lung zur Unterstützung der offenen Wundbehandlung angewandt, die 
ich nun schon fast seit einem Jahre ununterbrochen benütze. Es 
handelte sich teilweise um Fälle, die schon Infektionszeichen boten, 
teilweise um schon ausgebildete Phlegmonen. Wunden, bei denen 
man mit einer 'Heilung per primam rechnete, wurden nicht behandelt, 
oder erst dann, wenn sie sich doch als infiziert herausstellten. Auch 
komplizierte Frakturen werden ebenso behandelt. 

Die Wirkung: Allgemein konnte man bei allen ein Abstossen des 
nekrotischen oder des geschädigten Gewebes wahrnehmen. Zugleich 
gingen die lokalen Erscheinungen sehr bald zurück. Besonders 
augenscheinlich war dies, wenn bei Wunden mit anormalem Verlauf, 
die länger dauernde Temperatursteigerung sowie Entzündungserschei¬ 
nungen zeigten, die Jodkalium-Wasserstoffsuperoxydbehandlung ein¬ 
setzte. Auch hier bot es dasselbe Bild, wie ich es schon oben ge¬ 
schildert habe. Sehr schnell gehen alle Erscheinungen zurück. Hand 
in Hand hiermit machten sich bald lebhafte Granulationen bemerkbar 
und es konnte die Jodkalium-Wasserstoffsuperoxydbehandlung durch 
die Salbenbehandlung ersetzt werden. Die mit Jodkalium-Wasser¬ 
stoffsuperoxyd behandelten Knochenbrüche zeigten dasselbe Bild, 
schädigende Wirkungen auf normales Gewebe, wie Faszie, Muskeln 
sowie Periost wurden nicht beobachtet. Die Granulationen sind frisch 
rot. sehr kräftig. 

Verwendet werden, ich wiederhole nochmals: 

Lösung I, die offizinelle Wasserstoffsuperoxydlösung (3proz.). 

Lösung II, Kal. jodat 2,0, Acid. acetic. dilut. <30 proz.) 5,0, 
Aqua destill. ad 100,0, 

Die Lösung II ist in dunklen Flaschen aufzubewahren, da sie 
sich bei Tageslicht sehr bald zersetzt. 

Beide Lösungen werden kurz vor dem Gebrauch in einer Por¬ 
zellanschale zu gleichen Teilen gemischt und dann injiziert* sobald 
eine braunrote Färbung auftritt 

An Instrumenten sind notwendig: 1 Porzellanschale zum Mischen 
der Lösung sowie eine Spritze mit 'Hartgummiansatz, wie sie zur 
Gonorrhöebehandlung angewandt wird. 

In dem dem Feldlazarett angegliederten bakteriologischen La¬ 
boratorium wurden durch die Herren Oberstabsarzt Huhne und 
Stabsarzt Kl e hm et in grösseren Untersuchungsserien Versuche über 
die bakteriologische Wirkung der beiden Lösungen angestellt. Den 
Herren spreche ich nochmals für das erwiesene Entgegenkommen 
meinen herzlichsten Dank aus. 

In folgendem das Untersuchungsergebnis: 

Während die beiden Lösungen, die, jede für sich getrennt ange¬ 
wandt, erst nach geraumer Zeit die Bakterien abtöteten, zeigte es sich, 
dass mit Jodkalium nebst Essigsäure in der Vereinigung mit der 
Wasserstoffsuperoxydlösung in der_ angewandten Konzentration in 
kürzester Zeit (sofort) eine Abtötung der Bakterien erreicht wird. 

Es wurde zumeist zu den Versuchen eine frisch aus einer infi¬ 
zierten Wunde gezüchtete Staphylokokkenkultur benutzt, die sich 
gegen die sonst gebräuchlichen Desinfektionsmittel sehr resistent ver¬ 
hielt. Neben Staphylokokken wurde zu einer Reihe von Versuchen 
auch eine Paratyphus-B-Kultur benutzt. Das unmittelbar nach 
erfolgter Vereinigung beider Lösungen mit Bakterienaufschwemmung 
(1 Oese auf 1 ccm) beschickte Desinfiziens tötete die Staphylokokken 
sogleich ab. Die bakterizide Wirkung hielt für die Dauer von 
24 Stunden an. Weniger schnell erfolgte die Abtötung der Keime, 
wenn diie Lösungen bereits 24 Stunden lang aufeinander eingewirkt 
hatten. Indessen auch unter diesen Umständen- bewahrten sie ihre 
Wirkung noch auf viele Stunden (Versuch bis 24 Stunden- ausgedehnt). 

Die Versuche wurden im geheizten Raum bei der dort herrschen, 
den Temperatur ausgeführt. Die Kulturen wurden in flüssigen Nähr- 
medien suspendiert zu dem Desinfektionsmittel zugesetzt und zwar 
1 ccm der Aufschwemmung zu 2 ccm der kombinierten Lösung. Die 
Aufschwemmung geschah zunächst in physiologischer Kochsalzlösung, 
später in Bouillon, dann in Eiter. Kontrollen bestätigten die Lebens¬ 
fähigkeit der aufgeschwemmten Keime, auch in letztgenannter Flüssig¬ 
keit, für mindestens 2 mal 24 Stunden. Hoher Gehalt an Körper- 
eiweiss (1 ccm reiner Eiter) bewies in- kaum nennenswerter Weise 
eine weniger starke desinfizierende Kraft als ein weit niederer Eiweiss¬ 
gehalt (0,1 Eiter + 0,9 Kochsalz). 

In bakteriologischen Lehrbüchern! wird darauf hin-gewiesen, dass 
eine abtötende Wirkung auf die Staphylokokken im Körpergewebe 
bisher nur für Jodoform bekannt ist. bei dessen Kontakt mit dem 
Gewebe Jod abgespalten wird, das in statu nascendi abtötend auf 
die Traubenkokken einwirkt. 


Die vo» mir bei den Kriegsverletzungen mit gutem Erfolge an¬ 
gewandte »Behandlung mit einer Mischung von 3 proz. Wasserstoff- 
superoxydlösung und saurer Jodkaliumlösung veranlasste auch die 
Anwendung der Lösungen bei den Kriegsverletzungen der Gelenke. 

Massgebend waren für mich vor allen Dingen die bis jetzt bei 
den üblichen Behandlungsweisen so wenig befriedigenden Resultate 
der Getenkschüsse. 


Bei den Gelenken spielt die primäre Infektion eine weit grössere 
Rolle, als die sekundäre. Die Infektionsgefahr ist unter gleichen Ver- 
hältnisen beim Steckschuss weit -höher, als beim Kapselschuss. Das 
Hineingelangen von Holz-, Tuch- und Erdteilen ist beim zackigen 
Artillerie-, Minen- und Handgranatensplitter weit wahrscheinlicher, 
als beim Inlanteriegeschoss, sofern es nicht als Querschläger auftritt. 

Jedes Gelenk müssen wir also, rein theoretisch betrachtet, als 
infiziert betrachten. Die Gefahren der Allgemeininfektion sind sehr 
gross, wenn- man berücksichtigt, dass das Gelenk einen grossen Hohl- 
raum darstellt, der gleichmässig von der Gelenkflüssigkeit um-spült 
wird. Wohl gelingt es dem Gelenk in einer Zahl von Fällen, durch 
Abwehrmassregeln (Phagozytose) der Infektion Herr zu werden* auch 
kann der Prozess vielleicht infolge der krankhaften Veränderungen 
der Gelenkkapsel und infolge des anatomischen Baues auf einen 
Teil lokalisiert bleiben, doch sind die beiden letzten Fälle wohl nur 
Ausnahmefälle. 

Als Folgen jeder Gelenkinfektion machen sich Veränderungen 
der Gelenkschleimhaut bemerkbar, die sich in leichteren »Fällen nur in 
stärkerer Exsudation äussern, andernfalls kommt es zum 'Empyem 
oder zur Kapselphlegmone. Wird das Gelenk der Infektion Herr, so 
bringen im günstigsten Falle die anatomischen Veränderungen der 
Gelenkkapsel doch eine Funktionsbehinderung mit sich, die noch durch 
den Fremdkörper verstärkt wird. Vorbedingung für die Erreichung 
eines guten Resultates ist also immer wieder die Verhütung der All¬ 
gemeininfektion. Verhütung der Allgemeininfektion ist aber gleich¬ 
bedeutend mit Entfernung des Fremdkörpers, sei es Geschoss, 
Tuchfetzen oder Erdteile. Nun fragt es sich, gibt es einen 
Zeitpunkt, der besonders günstig für dieses Bestreben er¬ 
scheint? Dieser Zeitpunkt ist meiner Ansicht nach der Zeit¬ 
raum von der Verwundung bis zu dem Auftreten der anatomischen 
Veränderungen der Gelenkschleimhaut. Die Allgemeininfektion wird 
um so eher auftreten, je grösser die Anzahl der mit dem Geschoss 
in das Gelenk gelangten Keime und je höher ihre Virulenz ist; 
andererseits werden aber eine geringere Anzahl von Keimen, deren 
Virulenz geringer ist, längere Zeit gebrauchen-, um eine Allgemein¬ 
infektion herbeizuführen. Hieraus ergibt sich, dass die „Inkubations¬ 
zeit für das Gelenk“ sich nicht genau nach Stunden feststellen lässt 

Bei den uns überwiesenen Kniegelenkschüssen haben wir, wenn 
irgend möglich, sowohl Splitter, als auch Gelenkflüssigkeit bakterio¬ 
logisch untersuchen- lassen. Das Resultat ergibt sich aus unten¬ 
stehender Tabelle. Doch möchte ich betonen!, dass die Untersuchung 
des Gelenkinhaltes nicht ganz einwandfrei erscheint weil doch ein 
Teil der Gelenkflüssigkeit infolge der Verletzung ausgeflossen- ist und 
dass besonders bei sehr zeitig Operierten die Zahl der Keime noch 
verhältnismässig gering sein kann. Die Zahl der nach dem weiter 
unten angeführten Verfahren behandelten Kniegelenkschüsse beträgt 
bis jetzt seit Oktober 1917 17 Fälle. Von diesen waren Steckschüsse 
mit Knochenverletzung 3, Steckschüsse olme Knochenverletzung 9, 
reine Kapselschüsse 2, Durchschüsse2, Tangentialschuss mit Knochen¬ 
verletzung 1; 4 waren Schrapnellverletzungen^ 1 Infanterieverletzung, 
1 Revolver Steckschuss, 3 Artillerieverletzungen-, 6 Minensplitter-, 
1 Steinsplitterverletzung und 1 Handgranatenverletzung. Die Mor¬ 
talität betrug 1 = 5,8 Proz., 2 Amputationen; in einem Falle hielt 
die Kapselnaht wegen Gasbrand nicht im anderen Falle bestand em 
grosser Defekt der Kniescheibe, sowie ein grosser Kapseldefekt, auch 
hier hielt die Kapselnaht nicht. 4 Fälle sind, schon wieder dienst¬ 
fähig zur Truppe, ein Teil musste wegen der allgemeinen Lage früh¬ 
zeitig abtransportiert werden; doch war der grösste Teil schon ausser 
Bett die Gelenkfunktion war bei der Mehrzahl schon ziemlich aus¬ 
giebig. __ 


Stundenzahl \ 

zwischen Verwundung » 
und Operation ) 

5 

6 

7 

9 

9 

10 

10 

12 

12 

13 

13 

15 

18 

18 

20 

20 

23 

Oelenk- 

steril 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

+ 

+ 


? 

+ 



+ 

+ 


+ 

flüssigkett 

nicht 

steril 









+ 

I 


- 

+ 





Splitter, 
Tuchfetzen e c. 

steril 


+!+ 



7 

7 


£ 

H 

c 

a 

T" 

a 



2 

SS 

"71 

7 

nicht 

steril 

f 



+■ 

7 



+ 

| 

B 


H 

+ 

+ 

if 

! 



Aus der obenangeführten Tabelle ergibt sicht, dass als Träger 
der Infektion immer Splitter und Tuchfetzen in Frage kommen. Die 
Allgemeininfektion des Gelenkinhaltes lässt sich erst nach Stunden 
nachweisen. Der Gelenkinhalt ist in unseren Fällen bis zu 23 Stunden 
theoretisch als steril zu betrachten, d. h. die in der Gelenkflüssigkeit 
enthaltene Zahl der Keime ist so gering, dass ihr Nachweis nicht ge¬ 
lingt. Ist nun tatsächlich die Infektion in diesem Stadium so gering, 
so schien es des Versuches wert, durch den Organismus unter¬ 
stützende Massnahmen die Allgemeininfektion des Gelenkes zu ver¬ 
hüten. Die Massnahmen sind: frühzeitige Entfernung des Splitters 
sowie Sterilisierung des Gelenkinhaltes. Entsprechend den oben an¬ 
geführten Erwägungen sind wir nun vorgegangen. Unsere Behand¬ 
lungsweise bestand in operativen und antiseptiseben Massnahmen. 

1. Operative Massnahmen. 

Ist auf Grund von objektiven! Zeichen und nach Rekonstruktion 
des Schusskanals eine Gelenkverletzung wahrscheinlich, so schaffen, 
wir uns durch Röntgenaufnahmen mit gleichzeitiger Tiefenbestimmung 
Klarheit über die Art der Verletzung, ob Gelenksteckschuss oder Kapsel¬ 
schuss vorliegt, ob die Knochen verletzt sind, sowie über den Sitz 
des Splitters. Alsdann wird in Allgemeinnarkose unter Blutleere das 


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27 . August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


965 


Gelenk eröffnet. Handelt es sich um einen Steckschuss, so stehen 
uns 2 Wege zur Verfügung. Entweder wählen wir den Einschuss als 
Eingangspforte, oder wir gehen am Orte der Wahl ein. Das Gelenk 
wird ausgiebig freigelegt, um eine genaue Besichtigung zu ermög^ 
liehen. Was die Schndttführung anbetrifft, so haben wir in der Regel 
am Kniegelenk uns eines Schnittes am inneren oder äusseren Knie¬ 
scheibenrande, parallel desselben, bedient. Der Schnitt ist äusserst 
schonend, und durch Verlängerung nach oben und unten kann man 
sich die Verhältnisse im Kniegelenk gut übersichtlich gestalten. Das 
Geschoss wird entfernt, wenn es im Knochen sitzt, mit Meissei. Das 
Geschosslager wird mit einem scharfen Löffel ausgekratzt *), die Kno¬ 
chenränder werden geglättet, der zerfetzte Gelenkknorpel abgetragen. 
Blut, Kleiderfetzen und Knochensplitter werden entfernt. Gespült 
wird nicht. Sodann wird, wenn wir am Orte der Wahl eingegangen! 
sind, der Einschuss Umschnitten, alles Nekrotische abgetragen, sorg¬ 
fältig alle Kleider- und Schmutzteile entfernt.- Nun wird die Kapsel 
an beiden Stellen durch dichte Katgutnähte vernäht. Verstärkungs- 
bänder-s Faszien- und Hautnaht folgen. Auch am Einschuss kann die 
Hautnaht je nach der Beschaffenheit des Schusskanals eine voll¬ 
kommene sein oder aber man legt nach Kapsel-Fasziennaht airf den 
Einschuss einen Docht. Beim Kapselschuss oder beim Durchschuss 
wird ebenso verfahren. 

2. Die a n t i s e.p t i s c h e n Massnahmen. 

Hierbei wende ich 2 Lösungen an (Lösung I: 3proz. Hydro- 
genium peroxydat, Lösung II: Kal. jodat. 2,0. Acid. acetic. dilut. 5,0, 
Aq. dest ad 100,0). Beide Lösungen werden zu gleichen Teilen in 
einer Rekordspritze gemischt und bis zu je 2 ccm beider Lösungen 
vor Beginn der Sauerstoffentwicklung in das Gelenk injiziert nach 
Schluss der Kapselnaht. 

Die Injektion kann, wenn die Temperatur noch nicht abfällt, nach 
24 Stunden wiederholt werden, indem man einen Teil des reaktiven 
Ergusses ablässt. Die Menge der zu indizierenden- Flüssigkeit richtet 
sich nach dem Fassungsvermögen des Kniegelenks. Die Höchst¬ 
dosis sind je 2,5 ccm der beiden Lösungen. Hierbei ist der reaktive 
Erguss schon aussergewöhnlich stark. Der reaktive Erguss besteht 
fast nur aus polymorphkernigen Leukozyten. Wir sehen also hier 
dasselbe Bild, wie es Payr bei der Behandlung der Gelenkver¬ 
letzungen beschrieben hat (Phenolkampfer) und wie es auch in jüng¬ 
ster Zeit bei der Vuzinbehandlung der Gelenk wunden beschrieben 
wird. Die erneuten Untersuchungen der Gelenkflüssigkert ergaben 
einen negativen, bakteriologischen Befund. Vorbedingung ist aber, 
dass der Gelenkabschluss vorhanden ist, und es ist besonders in den 
Fällen, in denen der reaktive Erguss sehr stark ist, von grösster Wich¬ 
tigkeit, dass die Kapselnaht dem Innendruck nicht nachgibt. 

Die Resultate, die durch diese Behandlung der Gelenkverletzung 
erzielt wurden, waren ausgezeichnet und stehen in keinem Vergleich 
zu den Resultaten der früheren Gelenkbehandlung. Man kann ein 
gutes Resultat, d. h. vollkommen normale Verhältnisse mit ziem¬ 
licher Sicherheit gewährleisten. Selbstverständlich sind einige Miss¬ 
erfolge nicht ausgeschlossen, doch handelt es sich um solche Fälle, 
in denen die Kapelnaht infolge sekundärer Infektion nicht hielt. Es 
verhält sich allem Anscheine nach das Gelenk ähnlich wie der 
Pleuraraum: je eher normale anatomische und physiologische Ver¬ 
hältnisse geschaffen werden, um so eher gelingt es durch unter¬ 
stützende Massnahmen, die Infektion zu verhindern. 

Die 4 ersten Fälle, die im Oktober 1917 bis Januar 1918 operiert 
wurden, ermöglichten es, dieselben bis zu ihrer Entlassung als „dienst¬ 
fähig“ zu beobachten. Vor der Entlassung waren dieselben imsfande, 
weite Strecken ohne Schwierigkeiten zu marschieren, ja sogar an¬ 
gestrengtes Radfahren ohne Beschwerden zu ertragen. Von den in 
die Heimat wegen der allgemeinen Lage Abtransportierten liegen 
Nachrichten vor, die auch hier ein völlig normales Kniegelenk er¬ 
warten lassen. 

Frühes Aufstehen, frühzeitige Massage, sind unterstützende Mass¬ 
nahmen. Wir haben die Patienten auch mit dem reaktiven Erguss 
aufstehen lassen, nur in einzelnen Fällen musste derselbe durch Punk¬ 
tion endgültig entfernt werden. 

Der späteste Termin von der Verwundung bis zur Operation be¬ 
trägt bis jetzt 23 Stunden: es ist möglich, dass derselbe sich noch 
weiterhin ausdehnen lässt; doch fehlt uns bis jetzt darüber noch die 
Erfahrung. Vielleicht gelingt es auch, durch prophylaktische In¬ 
jektion der beiden Lösungen den Termin noch weiterhin zu verlängern. 

Was die antiseptischen Massnahmen anbetrifft, so glaube ich, 
dass es auch durch andere antiseptische Massnahmen gelingen wird, 
in Verbindung mit der Frühoperation gute Resultate zu erzielen. 
Theoretisch müsste es auch gelingen, durch mechanische Massnahmen, 
wie ausgedehnte Kochsalzspülungen das Gelenk keimfrei zu gestalten 
Der Vorteil der antiseptischen Massnahmen liegt in der Bildung von 
Abwehrstoffen (Polynukleose) sowie in dem reaktiven Erguss, der 
die Kapselschrumpfung verhütet. Das Hauptgewicht ist und bleibt 
aber die Frühoperation. 

Das hier beschriebene Verfahren haben wir auch auf andere Ge¬ 
lenke angewandt. Teilweise waren die Erfolge gut, teilweise weniger 
gut, da es doch zu einer Infektion kam. Die Misserfolge waren teil¬ 
weise darauf zurückzuführen, dass die Verletzungen äusserst schwere 
waren. Beim Sprungelenk war z. B. neben zahlreichen Splittern in 
und ums Gelenk der äussere MaTleolus vollkommen zersplittert In 
diesen Fällen wurde die typische Empyembehandlung (Spülung mit 


•) Plombierungen sind nicht vorgenommen worden. 

□ igitized tiy CjQOQie 


Karbolsäureiösung und mehrmalige Injektion der obenerwähnten Lö¬ 
sung) eingeleitet. Die Mortalität war 0 Proz., Amputation und Re¬ 
sektion waren nicht notwendig. 

Auf Grund der gesammelten Erfahrungen können wir nur drin¬ 
gend bei den Gelenkverletzungen die Frühoperation in Verbindung 
mit der chemischen Antisepsis empfehlen. Alsdann wird man dem 
Verwundeten mit ziemlicher Sicherheit ein normales Kniegelenk ge¬ 
währleisten können. 

Aus dem Ergebnis unserer Behandlungsweise der Gelenkschüsse 
ergibt sich also: 

1. Ein aktives Vorgehen gegenüber den Gelenkverletzungen ist 
indiziert, hierdurch wird die Prognose quoad vitam mindestens be¬ 
deutend gebessert, die Aussichten, ein Gelenk mit guter Funktion zu 
erhalten, sind die denkbar günstigsten. 

2. Bekämpfung der Infektion durch frühzeitige Operation, soweit 
ich es bis jetzt beurteilen kann, innerhalb der ersten 24 Stunden. 

a) durch physikalische Antisepsis, d. h. durch Entfernung des 
Geschosses. Behandlung der äusseren Wunde nach den üb¬ 
lichen Methoden. 

b) durch chemische Antisepsis, d. h. durch Hineirabringen einer 
Wasserstoffsuperoxydlösung und sauren Jodkaliumlösung. 

3. Vorbedingung ist das Vorhandensein einer RöntgeneinricMung, 
die eine genaue Lokalisation des Geschosses ermöglicht und die Ge- 
lenkvferänderungen übersehen lässt. 


lieber chroniechen Typhue und Paratyphue. 

Von Professor Dr. F. Meyer-Berlin, zurzeit im Felde. 

Die allgemein durebgeführte Schutzimpfung gegen Typhus hat, 
wie selbst die Gegner der Impfung zugeben, zu einer Herabsetzung 
der Typhusmorbidität und -mortalität geführt. Wieviel die Verbesse¬ 
rung der allgemeinen hygienischen Verhältnisse im Felde und der 
wechselnde Genius epidemicus daran beteiligt sind 1 , wird sich erst 
entscheiden lassen, wenn nach Kriegsende die Gesamtergebnisse aller 
Armeen vorliegen werden. Die einschneidende Veränderung im klini¬ 
schen Bilde des Abdominaltyphus zeigte sich am deutlichsten im 
Winter 1914/15, als in den Seuchenlazaretten ungeimpfte, einmal und 
mehrmals geimpfte Kranke zur gleichen Zeit behandelt wurden. Schon 
damals sprachen die dort gewonnenen Eindrücke eine beredte Sprache 
für die noch stark umstrittene Schutzimpfung. 

Mit fortschreitender Impfung und weiterem Zurückgehen der Ty¬ 
phuserkrankungen mehren sich, wie Krehl, Goldscheider u.a. 
betonen, die 'Krankheitsbilder, welche wir als „Typhus der Ge¬ 
impften“ zu bezeichnen haben. Sie charakterisieren sich durch 
negativen Blutbefund, schnellen Fieberanstieg, schnelles lytisches 
Abklingen der Temperatur und gute Prognose. Diese Beobachtungen 
wurden allgemein anerkannt. 

Von ausserordentlicher Bedeutung für die richtige klinische Wer¬ 
tung der jetzt beobachteten Typhuserkrankungen sind Krehls auf 
dem Warschauer Kongress gesprochenen Worte: „Im Verlaufe des 
Typhus sahen wir mancherlei Eigenartiges. Neben ganz kurzer Dauer 
der eigentlichen Krankheit (von 4—8 Tagen) gab es viele Fälle, die 
sich über lange Zeit hin erstreckten, und das gerade bei ganz leichten 
Krankheitserscheinungen. Nicht wenige Fälle zogen sich über Monate 
hin, man könnte geradezu von einem chronischen Typhus 
sprechen. Diese den meisten von uns wohl neue Verlaufsform 
war sogar von erheblicher Bedeutung.“ 

Vielleicht hat Stephan derartige Fälle im Auge, wenn er 
Paratyphusfälle beschreibt, welche sich über Wochen hinziehen und 
dem Fünftagefieber ähnliche Symptome mit sich bringen, vielleicht 
gleichen diese wiederum den von Pagenstecher beschriebenen 
Formen, weiche dieser allerdings, wie auch Lud ewig, dem 
atypischen Fünftagefieber zuzählt. 

Diese interessanten Formen des Typhus und ihre Abgrenzung 
vom Füniftagefiber haben uns in den letzten 2 Jahren beschäftigt und 
sollen im folgenden behandelt werden. 

Die Beobachtungen wurden in d*er Zeit von Dezember 1916 bis 
März 1918 in- den Seuchenlazaretten der Südost- und Süd¬ 
westfront gemacht, denen- Darmkranke der verschiedensten Art 
zugeführt wurden. Typhus (Paratyphus), Ruhr und Dannkatarrhe 
bildeten die wesentlichsten Grundformen. 

Entsprechend unseren in früheren Jahren gemachten Erfahrungen 
wechselten sie in ihrem gegenseitigen Zahlenverhältnis, je 
nach der Jahreszeit und der militärischen Lage (Vormarsch 
oder Stellungskrieg). Erst im Jabre 1916 fiel uns auf, dass 
neben den obengenannten, wohl charakterisierten Krankheits¬ 
bildern. eine Reihe von Kranken in- den Lazaretten aufgenommen 
wurden, deren diagnostische Beobachtung zu unbefriedigenden Resul¬ 
taten führte. Sie wiesen- subfebrile oder fieberlose tangdauernde 
Erkrankungen auf und zeigten mit merkwürdiger Regelmässigkeit, der 
Häufigkeit nach geordnet, folgende Symptome: Kopfschmerzen, 
Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, rheumatische 
Beschwerden. Schlenbeinschmerzem. Durchfälle 
oder Verstopfungen, M i 1 z s c to w e 11 u n-g. Mattigkeit und 
Blässe. 

Sie kamen unter den verschiedensten Diagnosen, wie Rheumatis¬ 
mus, Malaria, Dannkatarrh und Ruhr, und konnten zunächst nur 
nach den Symptomen benannt und dementsprechend behandelt 
werden. Original from 

UMIVERSITY OF CALIFORNIA 




966 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


Als alle Behandlungsmethoden wirkungslos blieben und gleich¬ 
zeitig der geringe Bestand an echten, klinisch eindeutigen Typhen 
auffiel, kam uns zum ersten Male der Oedanke, es könne sich hier 
um ein bisher unbekanntes Aequivatent für Typhus und Paratyphus¬ 
infektionen handeln. 

Diesbezügliche bakteriologische Untersuchungen, welche bei 
jedem Patienten angestellt wurden, blieben zunächst ausnahmslos 
negativ. Dagegen zeigten therapeutische Versuche, die Kranken 
durch Einverleibung kleinster Mengen von Typhusvakzine zu immuni¬ 
sieren, so auffallende Heilungen in Gestalt plötzlicher Entfieberung 
und Besserung langdauemder Beschwerden, dass der Gedanke, es 
könnten hier atypische Typhen und Paratyphen vorliegen, von neuem 
nahegerückt wurde. Auch die Tatsache, dass die Patienten jede Ein¬ 
spritzung mit einer kurzdauernden Temperatursteigerung ^ant¬ 
worteten, sprach dafür. Der negative Blut- und Stuhlbefund liess 
sich nach früheren Beobachtungen zwanglos als Impffolge erklären. 
Während im heissen Sommer 1917 sich die bekannten Ruhrerkran- 
kungen neben einigen typischen Typhusfällen häuften, begannen sich 
mit der kälteren Jahreszeit (November 1917) und der damit ver¬ 
bundenen militärischen Ruhe die eigenartigen, oben beschriebenen 
Krankheitsbilder von neuem zu mehren. Augenblicklich machen sie 
etwa 15 Proz. aller aufgenommenen Darmerkrankungen aus. 

Die Grundform dieser, für uns neuen Erkrankung stellt sich 
folgendermassen dar. Der Patient erkrankt langsam und schleichend, 
mit Mattigkeit und starkem, abendlichem Kopfschmerz. Häufig hat 
er Durchfälle, blutig-schleimiger Natur, häufig Verstopfung, so dass er 
einige Tage im Revier mit Opium und Aspirin behandelt wird. In 
dieser Zeit fröstelt er am Abend, wird jedoch nicht gemessen und 
tritt, da sich keine organischen Krankheitszeichen bei ihm naclnveisen 
lassen, seinen Dienst wieder an. Er selbst glaubt eine Influenza 
überstanden zu haben und wundert sich, dass er sich von dieser 
nicht erholen kann«. Obwohl sich in der Folgezeit Appetitmangel, 
Schlaflosigkeit, Blässe und dauernde Steigerung der Kopfschmerzen 
einstellen, liegt zunächst ein Grund zur Lazaiettaufnahme nicht vor. 
Diese erfolgt meist nach einigen Wochen, wenn infolge einer an¬ 
strengenden Dienstanforderung der verringerte Kräftezustand des 
Mannes einleuchtend hervortritt. Auch dann ist bei der Aufnahme 
der organische Befund so unbedeutend, dass die Kranken, welche 
eigentlich nur subjektive Symptome aufweisen, häufig misstrauisch 
angesehen und sobald als möglich entlassen werden. 

Die genaue klinische Beobachtung der Fälle, zu welcher vor 
allem eine mehrmals wiederholte bakteriologische 
Blutuntersuchung und sorgfältigste Temperatur¬ 
messung (rektal) gehören, ergab bisher in 40 Fällen so über¬ 
raschende Resultate, dass ihre Veröffentlichung für alle nicht voll¬ 
ständig geklärten Fälle von Wert erscheint. Gleichzeitig wird auf 
diesem Wege die Frage der Schutzimpfung gefördert und geklärt. 

Bei der Aufnahme klagten alle Kranken über abendliche 
Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und Mattigkeit. Die Untersuchung 
ergab auffallende Blässe, Herabsetzung des Hämoglobingehaltes und 
Zeichen einer sekundären Anämie. Die Milz war in 60 Proz. ver¬ 
größert, wechselte aber in ihrer Grösse im Verlaufe der nächsten 
Wochen und war meist druckempfindlich. Die Lungen wiesen keinen 
besonderen Befund auf. Das Herz war meist vererössert. die Töne 
unrein und dumpf. Die Pulsfrequenz ist mässig erhöht, in einigen Fäl¬ 
len bis auf 40 Schläge verlangsamt. Der Darm ist aufgetrieben, mei¬ 
stens in der rechten Unterbauchgegend und an der Stelle des Ouer- 
darmes druckempfindlich, niemals dagegen an den für Ruhrerkran¬ 
kungen charakteristischen Stellen verändert. Der Stuhl ist meist 
breiig und vermehrt, manchmal mit Schleim, seltener mit Blut ver¬ 
mischt. Manchmal bestand hartnäckige spastische Verstopfung. Le¬ 
ber und Nieren sind ohne Besonderheit. Im Urin findet sich weder 
eine positive Eiweiss-, noch Diazoreaktion. Auf der Haut zeigten sich 
nur in 5 Fällen vereinzelte roseolaähnliche Flecken auf der Brust- 
und Oberbauchgegend. Das Nervensystem zeigt keinerlei charakte¬ 
ristische Zeichen. Neben einer leichten Erhöhung der Reflexe bestand 
häufig eine auffallende Störung der Oefässinnervation. welche sich 
durch plötzliche Schweisse. Farbenwechsel und Frostgefühl andeutete. 
Die Zählung der Leukozyten ergab normale, nur in je einem Falle 
stark erhöhte und stark verminderte Werte. Die sofort vor¬ 
genommene bakteriologische Untersuchung des Blutes in Galle, blieb 
zunächst meist negativ, muss aber, wie später noch angeführt werden 
wird, mehrmals in der Woche wiederholt werden. 

Die Temperaturmessung haben wir wegen der geringeren 
Fehlerquellen rektal durchgeführt und nach Feststellung der Diffe¬ 
renz. die bei vielen Fälen auffallend hoch ist (0.8—1.8°), für 
die Kurve auf Achselhöhlentemperatur umgerechnet. Sie ergibt 
charakteristische Kurven von folgenden Typen: 

I. Form: Afebrile Fälle 

Die Temperatur bleibt dauernd fieberlos und weist in unregel¬ 
mässigen Zwischenräumen minimale Zacken auf (37,0—37,3), welche 
von starker Steigerung der Beschwerden und stärkeren Schweissen 
gefolgt sind. 

II. Form: Subfebrile Fälle. 

Die Temperatur bleibt subfebril (37—38) und bewegt sich in 
langsam ansteigenden Bergen und ebenso langsam erfolgenden Sen¬ 
kungen. Die Kurven gleichen einer in Wellenform aufgehängten 
Girlande. Je nach der Höhe der Kurve sind die Beschwerden grösser 
'er geringer (Girlandenly^us). , 

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III. Form: Periodisch verlaufende Fälle. 

Die Temperatur verläuft nach Art der Malaria oder des Fünftage¬ 
fiebers mit regelmässig wiederkehrenden starken Erhebungen, zwi¬ 
schen denen völlig fieberfreie und beschwerdenfreie Zeiten liegen. 
Diese Zwischenräume können 1—8 Tage betragen und zeichnen sich 
durch auffallende Regelmässigkeit aus. Allen Formen ist der schon 
oben erwähnte Unterschied zwischen Darm und Achselhöhlentem¬ 
peratur gemeinsam. 

Diagnose. 

Neben den bekannten, schon früher geübten diagnostischen 
Untersuchungen auf Typhus, welche, wie oben erwähnt, kein positives 
Resultat ergaben, wie: Leukozytenzählung, Diazoreaktion im Urin, 
Stuhl- und einmalige Blutuntersuchung auf Galle und anderen Nähr¬ 
medien, Milzvergrösserungen und andere, sind für diese Fälle zwei 
Untersuchungsarten unerlässlich. 

1. Die genaue, über Tag und Nacjit fortgesetzte rektale 
Temperaturmessung. Sie muss mindestens den Zeitraum einer Woche 
umfassen, um die charakteristische Schwankung der Temperatur, oder 
die völlige Fieberfreiheit festzustellen. Sie ergab bisher in 40 Fällen 
charakteristische Kurven der obenerwähnten 3 Arten. 

2. Die wiederholte bakteriologische Blutunter¬ 
suchung. Fast alle unsere Fälle waren bei der ersten Untersuchung 
negativ. Infolge der guten Vakzinationserfolge, und der in einigen 
Fällen sicher beobachteten Milzschwellungen, untersuchten wir alle 
verdächtigen Fälle zur Zeit der regelmässig wiederkehrenden Ver¬ 
schlechterung durch Blutaussaat so lange, taÜs 3 einwandfreie 
negative Resultate Vorlagen. Auf diese Weise gelang es durch die 
weittragende Unterstützung unseres derzeitigen Bakteriologen, Ober¬ 
arzt Dr. Seeliger, welcher über seine Resultate tan anderer 
Stelle berichtet hat 1 ), eine grosse Reihe dieser rätselhaften Erkran¬ 
kungen einwandfrei aufzukiären. Die bisher in 40 Fällen 
positive bakteriologische Untersuchung zeigte, 
dass es sich hier um chronische, völlig von den 
bekannten Formen abweichende Tvphus- und 
Paratyphusinfektionen handelt Es wurden im Blute der 
Kranken Typhus-, Paratyphus-A - und Paratyphus-B- 
Bazillen gefunden. 

Differentialdiagnose. 

Am meisten erinnern diese obenbeschriebenen 'Krankheitsbilder, 
falls sie mit periodischem Fieber einhergehen, an Malaria und Fünf¬ 
tagefieber. Gegen ersteres spricht der negative Blutbefund trotz 
provokatorischer Adrenalin- oder Kollargolinjektion, vom Fünf¬ 
tagefiber, dessen Symptome völlig analog erscheinen, lassen 
sie sich nur durch positiven Typhus- oder Paratyphusbazillenbefund 
im Blute abgrenzen. Nach unseren Erfahrungen steigt die Wahr¬ 
scheinlichkeit des positiven Blutbefundes durch eine vorher gegebene 
provokatorische Einspritzung von nukkinsaurem Natrium. Die 
zwischen 37° und 38° verlaufenden chronischen Typhusinfektionen 
gleichen häufig einem chronischen Spitzenkatarrh und werden als 
solcher angesprochen. Von diesem unterscheidet sie allein der 
fehlende Lungenbefund. Tuberkulin stellt in diesem Falle kein dia¬ 
gnostisches Hilfsmittel dar, da es hier ebenso sicher eine Steigerung 
der Temperatur zur Folge haben würde, wie die Typhusimpfung beim 
Tuberkulösen. 

Aus diesem Grunde ist die Unterscheidung des chronischen 
Typhus von beginnender Tuberkulose tusserordentlich schwierig. 

Die Provokationsein Spritzung zur Sicherung der 
Diagnose. • 

Im Verlaufe unserer diagnostischen Blutuntersuchung bei Typhus- 
und Paratyphusinfektionen haben wir die Erfahrung gemacht, dass 
wir im nukleinsauren Natron (10 proz. Lösung) ein Züchtungsmedium 
besitzen, welches in den meisten Fällen der Gallenkultur ebenbürtig, 
in vielen sogar überlegen, in wenigen nur unterlegen ist. Ueber diese 
Fälle, in denen die Nukleinanreicherung des gleichen Blutes positiv 
war, während die Gallenaussaat negativ blieb, wird an anderer Stelle 
berichtet werden. 

Gleichzeitig aber stellten wir fest, dass Fälle, welche dauernd 
negativ waren, einen positiven Blutbefund darboten, wenn sie 8 bis 
10 Stunden vor der Blutentnahme 0.1 Natrum nucleinicum (1 ccm 
der sterilen 10 proz. Lösung) subkutan erhalten hatten. Einen Hin-, 
weis auf den eventuellen positiven Erfolg bietet die in diesen Fällen 
meist nach 4 Stunden einsetzende Temperaturen!rerung. Sobald 
diese ihren höchsten Punkt erreicht hat. wird das Blut entnommen 
und die gleiche Menge, meist 2 ccm. mit ie 5 ccm Galle und im zweiten 
Röhrchen mit 5 ccm der 10 proz. Nukleinlösung vermischt. So ge¬ 
lang es in besonders refraktären Fällen noch positive Resultate zu 
erzielen. Eine Erklärung für diese. Wirkung d-er auch sonst inter¬ 
essanten Substanz, sowie der häufig nachher eintreten¬ 
den Entfieberung, steht noch aus. Die beiden folgenden Fälle 
zeigen in einleuchtender Weise dem Wert der Methode. 

1. Fall H. Patient erkrankte am 30. XI. 17 mit hohem Fieber, 
welches sich bis 2.1.18 hinzog. Zugleich bestanden Durchfall, Kopf- 
und Gliederschmerzen. 

Diagnose wird auf Darmkatarrh gestellt (Feldlazarett). 

Am 1. I. 18 wird Patient auf die TyphusstatJon aufgenommen. 

l ) M.m.W. 1918 Nr. 18. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


27. Augusi 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


967 


Temperaturverlauf vom 2.1. bis 15.111.18 dauernd fiebernd 37/38. 
Stuhl negativ. Milz nie vergrössert fühlbar. 

Am 16. II. 18 Blutentnahme: Gallenbefund negativ. 

Am 5. III. 18 Nukleininjektion. 

Eine nach 10 Stunden vorgenommene Bhitaussaat ergäbt posi¬ 
tiven Nukleinbefund für Typhus. Gallenbefund 
negativ. 


2. F a 11 N. Am 24. XII. 17 erkrankt mit hohem Fieber. 
Diagnose wird auf Bronchitis gestellt (Feldlazarett). 

Die Milz ist an diesem Tage nicht vergrössert. 

Am 2. I. 18 ist die Milz vergrössert, jedoch 
schon am 15. I. nicht mehr vergrössert fühlbar. 
Aufstehen darf der Patient zum ersten Male 


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Am 26. I. 18 wieder langsame Temperatur¬ 
steigerung, welche bis 6. III. anhält. 

Am 1. II. 18 Pleuritis links. Milz ist nicht 
vergrössert. 

Am 16. II. 18 Blutentnahme: Galienbefund 
negativ. 

Während des ganzen Februar weist Tem¬ 
peratur dauernd kleine Zacken zwischen 37° und 
38 0 auf. 

Am 5. III. Nukleininjektion mit starker Reaktion (39°). 

An diesem Tage vorgenommene Blutaussaat ergibt positiven 
Galienbefund für Typhus. 

Seitdem Temperatur normal. 


Fall 2. N. 


Der weitere Verlauf, wie er sich aus den'Krankengeschichten 
ergibt, war fast überall deT gleiche, häufig nach einer Temperatur- 
erhebung. welche gleich einer Krisis von besonders starken Beschwer¬ 
den begleitet ist, häufig ohne besondere Anzeichen vermindern sich 
die quälenden Symptome. Der Patient beginnt besser zu schlafen, 
Scbweiss und abendliche Kopfschmerzen lassen nach und der vorher 
fehlende Appetit macht einem starken Hungergefühl Platz. Schliess¬ 
lich zeigt sich wie bei der Typhusrekonvaleszenz eine auffallende 
Steigerung der Diurese, und die Kranken erholten sich rasch, und ohne 
Rückfall. Die Dauer der Erkrankung schwankte bis¬ 
her zwischen IX und 7 Monaten. Die Prognose war bisher 
in 2 llen Fällen gut. 

Von Nachkrankheiten wurden, muskuläre 'Herzschwäche und 
Anämien, niemals Nierenschädigungen, beobachtet. 


1. F ä 11 e unter 37°. 

Pa:. V. (rum. Krgf.) erkrankte am 9. VIII. 17 mit starken 
Kopfschmerzen. Gliederreissen, ohne Fieber. Stühle etwas ver¬ 
mehrt, ohne Blut. Am 13. VIII. 17 Aufnahme ins Lazarett. Der Stuhl 
ist bei der Aufnahme normal. Urinbefund negativ. Es bestehen 
Klagen über Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit. Milz ist ver¬ 
grössert. Eine an diesem Tage vorgenommene Stuhluntersuchung 
enthielt Paratyphus B. Am nächsten Tage besserten sich seine sub¬ 
jektiven Beschwerden. Die Temperatur blieb fieberlos bis zu seiner 
nach 14 Tagen erfolgten Entlassung. 

Die Blutaussaat ergab am 5. VIII. 17 bei einer Temperatur von 
36.2 Paratyphus B im Blute. 


PT p T. 



Pat. K. wird am 25. XI. 17 in das Lazarett aufgenommen. 
Er kiagt seit Mitte November über dünne Stühle, Mattigkeit und 
Sch wind elaniälie. Bei der Aufnahme ist der Stuhl vermehrt (wäs¬ 
serig) ohne Blut und Schleim. Milzschwellung ist nicht vorhanden. 
Ende des Monats besserte sich sein Durchfall, es traten starke rheu¬ 
matische Schmerzen und Kopfschmerzen auf. Während des ganzen 
Dezember blieb die Temperatur normal, ohne dass sich die Beschwer¬ 
den besserten. Dagegen traten Anfang Januar wieder Durchfälle ohne 
jede besondere Veranlassung auf mit stärksten Schmerzen in der 
linken Seite. Milz und Leber o. B. Die Blutuntersuchung war am 
30. XII. 17 vollständig negativ. Die Temperatur erhob sich hier 
einmal bis 38,8, um sofort wieder abzufallen und weiter normal zu 
verlaufen. Kopfschmerzen, Schienbeinschmerzen und rheumatische 
Muskelbeschwerden in der linken Seite. 

Eine am 15. I. 18 vorgenommene Blutaussaat ergab einen posi¬ 
tiver» Galienbefund (Paratyphus A). 


Pat. E. hatte im Feldlazarett eine fieberhafte Erkrankung durch- 
gemacht, welche als Ruhr beschrieben wird. Keine Milzschwellung, 
keine Roseolen, dagegen ein auffallend langsamer Puls. Die Stühle 
waren stark vermehrt, mit Blut und Schleim durchsetzt. Leib sehr 
schmerzhaft. Bei der AuflfaBlie^am hiesige Lazarett war 


35 


. Bei der Auf/alifiie-^m UXlSsins hicsi 

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der Patient seit dem 21. XII. 17 fieberfrei, sah inaner und blass aus 
und klagte nur über Mattigkeit und Kopfschmerzen. Die Milz war 
etwas vergrössert, der 
Stuhl normal, die Schien¬ 
beine druckempfindlich. 


P t. 
no 39 °f 


Im Blute am 2. I. 18 ein 
Gr.-Wid. von 1:50 für 
Shiga und auffallenderweise 
in der Gallenkultur Para- 
typhus-A-Bazillen. Die 
Temperatur war dauernd 
fieberlos und blieb bis 
zum 5. II. 18 normal. Am 
11. II. 18 trat starkes 


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BO 3T 


60 36°l 


HO 35° LSSl 


~A ] V m r Pr 


Patient E. 


Herzklopfen mit Steigerung der Temperatur bis 38,4° auf. 


2. Fälle zwischen 37 und 38°. 

Pat. G. erkrankte am 5. I. 18 mit blutigem Durchfall ohne 
Schmerzen im Leib. Temperatur 37,2°. Der Befund war sonst durch¬ 
aus normal, es bestand eine leichte Rötung des Gesichtes, so dass er 
zunächst unter Verdacht auf Ruhr am 15. I. 18 dem hiesigen Lazarett 
überwiesen wurde. Auch hier bestanden nur Koofschmerzen, manch¬ 
mal Leibschmeilzep, gleichfalls bestand eine leichte Verstopfung». 
Unter Rizinus schnelle Besserung. Am 18. bezogen sich seine Klagen 











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Patient O. 


auf rheumatische Beschwerden in der linken Brustseite, bei voll¬ 
ständig normaler Temperatur. Am 29. erhob sich die Temperatur bis 
auf 37,3, das an diesem Tage entnommene Blut war negativ. Erst 
am 10. II., als die Temperatur auf 37,5 gestiegen war, gelang es im 
Blute Paratyphus A nachzuweisen. Auch jetzt bezogen sich die 
Klagen des Patienten nur auf Kopf- und rheumatische Schmerzen, 
während die Milz nach wie vor nicht vergrössert war. 

Pat. K. erkrankte am 31. XII. 17 mit Durchfall, Leib- und Magen¬ 
schmerzen. Am 10. I. 18 hatte er noch 3 blutig-schleimige Stühle. Er 
war fieberfrei, hatte einen auf getriebenen Leib, keine Milzschwel¬ 
lung und druckempfindlichen Blinddarm. Rechts hinten unten eine 
leichte trockene Pleuritis. Am 15. I. 18 war der Stuhl unter Benzo- 


Patient K. 






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naphtol und Rizinus normal. Dagegen, bestehen dauernde Kopf¬ 
schmerzen und Unbehagen. Die Temperatur erhebt sich 2 mal bis auf 
37,9, klingt langsam wieder ab und hält sich zwischen 36,9 und 37. 
In dieser Zeit ergibt am 9. II. 18 die Blutuntersuchung, welche wegen 
mangelnder Erholung und dauernder Kopfschmerzen angestellt wird, 
ein positives Blut (Paratyphus A). 




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Pat. S. ist seit dem 31. X. 17 krank. Er hat dauernd Leib¬ 
schmerzen, Durchfall und Erbrechen. Im Feldlazarett wird wegen 
breiigen, schleimigen, Blut p T 

enthaltenden Stuhles Dia- nö 39*r 

gnose auf Ruhr gestellt. 

15. XI. 17 klagt Pat. über 100 36 
andauernde Schlaflosigkeit 
und wird als infektiös hiesi- SG 37<\ 
gern Lazarett überwiesen. 

Temperatur dauernd zwi- so 36• 

sehen 37 und 37,8. Bei der 
Aufnahme fällt die Blässe, 75 - 
die Hauterregbarkeit und v 

Farbenwechsel auf. Puls 
sehr beschleunigt, starke 
Neigung zu Schweissen. Stuhl leicht vermehrt, o. B. Starke Neuralgie 
in der linken Schulter. 28. XII. 17. Pat. erholt sich ausserordentlich 
wenig. Milz nicht fühlbar. Die Stühle bleiben dünn und vermehrt. 
Am 17. I. 18 bei einer Höchsttemperatur von 37,3 wird Paratyphus A 
im Blute nachgewiesen. Milz, nach wie vor, nicht vergrössert. Die 
nervösen Beschwerden bleiben die gleichen. Mitte Februar hat Pat. 
wieder einen staffelförmigen Teinperq1iijifaf]sii|ep[ durchzumachen. 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





968 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


3. Fälle nach Art des periodischen Fiebers. 

Pat. H. erkrankte am 27. I. 17 mit hohem Fieber. Dasselbe 
dauerte 3 Wochen. In dieser Zeit bestanden Durchfall, Kopf- und 

Beinschmerzen. Der Stuhl¬ 
befund war negativ. Erst 
am 24. II. gelang es im 
Blute Paratyphus-B-Ba- 
zillen nachzuweisen. Die 
Temperatur blieb normal 
bis zum 11. III. Von dieser 
Zeit an begann ein regel¬ 
mässiger Temperatur¬ 
wechsel zwischen fieber¬ 
hafter Temperatur wäh¬ 
rend der Zeit von 11 Ta¬ 
gen. In dieser Zeit be¬ 
standen Verstopfung und 
starke Schienbeinschmer¬ 
zen. Dann klang die 
Temperatur lytisch ab und 
die Schienbein- und Kopf¬ 
schmerzen verschwanden. 

Pat. W. wurde am 15. III. 17 mit starken Kopf- und Schienbein¬ 
schmerzen und vollständigem Mangel an Appetit aufgenommen. Er 
litt an zeitweiser Verstopfung, welche meist 2 Tage dauerte und gab 
an, nach dieser Periode Fieber zu bekommen. Die Milz war stark 
vergrössert, die Schienbeingegend ausserordentlich schmerzempfind¬ 
lich. Puls langsam. Temperatur fieberlos. Am 5. Tage nach der 
Aufnahme stieg die Temperatur auf 38, unter gleichzeitiger Ver¬ 




schlimmerung aller Beschwerden und nach zweitägiger Verstopfung 
auf 39. Gleichzeitig bestand Appetitmangel und vollständige Schlaf¬ 
losigkeit. Diese Erscheinungen wiederholten sich in absolut gleicher 
Weise während des Lazarettaufenthaltes 5 mal in regelmässigen Ab¬ 
ständen von 5 Tagen. Die Blutuntersuchung war am 20. III. 17 zum 
ersten Male negativ, bei einem späteren Anfall, am 20. IV. 17. zeigte 
sich Paratyphus B im Blute. 


Pat. P. (rum. Krgf.) erkrankte am 30. VII. 17 mit starken Kopt- 
und Gliederschmerzen, Verstopfung und Fieber. Die Milz war stark 
vergrössert. Im Stuhle Paratyphus-B- 
Bazillen. Der Temperaturverlauf war 
vom 4. VIII. bis zum 12. VIII. 17 der¬ 
artig, dass stets an einem Tage eine 
hohe Temperatur mit einer niedrigen 
am nächsen Tage wechselte. Am 11. VIII. 
war der Gallenbefund für Paratyphus B 
positiv. Der weitere Verlauf war nach 
einer letzten hohen Steigerung fieberlos. 

Die wichtigse Frage bei der Be¬ 
trachtung dieser langdauernden, zum 
Teil fieberlos verlaufenden Infektion ist 
die Frage ihrer Entstehung. Die Tat¬ 
sache, dass die Ueberschwemmung der 
Blubahn mit Bakterien ohne Temperatur¬ 
steigerung verläuft, hat etwas Befrem¬ 
dendes. Schon seit den Arbeiten von 
Liebermeister, Gerhardt und 
F r ä n t z e l ist der fieberlose Typhus bekannt und viel¬ 
fach diskutiert worden. Wir selbst konnten 1915 drei derartige 
Fälle beschreiben, deren Blut Typhusbazillen und daneben auffallend 
niedrige bakterizide Werte aufwies. Die neuesten Arbeiten von 
Galambos, Szent-Györgyi und besonders Gold Scheider 
bestätigten unsere Beobachtungen und brachten neue Beweise dafür 
herbei. Der Zustand, der trotz einer schweren Infektion mit so 
leichten Krankheitserscheinungen einhergeht, erinnert an die von 
Bail veröffentlichten Untersuchungen über Aggressinimmunität. Ihm 
war es gelungen, Meerschweinchen gegen Typhus durch Einver¬ 
leibung von Körperflüssigkeiten infizierter Tiere zu immunisieren. 
Diese Flüssigkeiten stellen, wie Wassermann und Citron be¬ 
tonten, nichts anderes, als Bakterienextrakte dar. Der Immunitäts- 
7!ishud der so behänderen Tiere zeigte die auffallende Tatsache, 



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dass diese wochenlang eine schwere Infektion ohne Krankheits- 
Symptome in sich beherbergen konnten. Aehnliches hatten Meyer 
und Bergell bei ihren Versuchen über Typhusimmunisierung zeigen 
können. 

Das Blutserum ihrer Tiere war frei von bakteriolytischen und 
bakteriziden Stoffen. Es bestand eine ausgesprochene histogene. 
zelluläre Immunität. Der Körper kann den Bazillus nicht, w ie im 
Pfeiffer sehen Versuche, durch Auflösung vernichten, der Bazillus 
dagegen dem Körper nicht durch Zerstörung der Organe gefährlich 
werden. Nehmen wir an, dass es sich bei unseren Kranken um einen 
derartigen Immunitätszustand handelt, welcher gleichsam eine be¬ 
sondere Form des sonst durch Schutzimpfung erreichten dar¬ 
stellt, oder in manchen, seltenen Fällen angeboren erscheint, so wäre 
das Rätsel dieser symptomlosen chronischen Blutinfektionen gelöst. 
Diese Annahme wird durch die Tatsache gestützt, dass in unseren 
Fällen, entgegen den bei typischem Typhus gemachten Erfahrungen 
keine Leukopenie entstand und — vielleicht daher — die Milz nur in 
60 Proz. der Fälle vergrössert war. Die übrigen Symptome erklären 
sich leicht als toxische Folgen eines abgeschwächten Krankheits¬ 
erregers Die Temperaturschwankungen der zweiten Form »ent¬ 
sprechen dem Ab- und Anschwellen der Infektion. Schwieriger ist das 
rhythmische Steigen und Fallen der Temperatur in der dritten Form 
zu erklären. Möglicherweise handelt es sich hier um Personen, 
welche das von uns nach gewiesene Eindringen der Bakterien in 
die Blutbahn mit der Produktion geringer Mengen bakteriolytischer 
Stoffe beantworten. Diese werden in einem bestimmten Zeitraum 
quantitativ verbraucht und gestatten dann einen erneuten Bakterien¬ 
einbruch, der gewöhnlich mit Temperatursteigerung und starken 
Knochenschmerzen einhergeht. Ob letztere mit der schutzstoffbe¬ 
reitenden Eigenschaft des Knochenmarkes zusammenhängt, bleibe 
dahingestellt. Allmählich tritt auch hier eine Selbstimmunisierung 
ein und führt zum Aufhören der Anfälle und zur Heilung. 

Einige unserer Fälle gleichen in so auffallender Weise dem viel¬ 
besprochenen Fünftagefieber, dass die Erwägung naheliegt, die Unter¬ 
suchungen wären geeignet, diese Krankheit überhaupt als Typhus¬ 
oder Paratyphusinfektion zu erklären. Ohne ihre auffallende Aehn- 
lichkeit zu unterschätzen und ohne zu vergessen, dass viele unserer 
Fälle bei nur einmaliger bakteriologischer Untersuchung sicher 
von uns für Fiinftagefieber gehalten worden wären, ist es doch 
wahrscheinlich, dass nur ein kleiner Teil der sog. wolhvni- 
schen Fieber diese Erklärung zulassen werden. Allerdings dari nicht 
vergessen werden, dass dieses rhythmische Fieber, falls ein spezifischer 
Krankheitserreger nicht überzeugender als bisher nachgewiesen wird, 
möglicherweise keine besondere Krankheit, sondern nur 
eine besondere Reaktionsform, einzelner Individuen auf 
verschiedenartige Infektionen darstellt. 

Die für den Arzt wichtigste Frage, die Behandlung, konnte bisher 
durch unsere Arbeiten nicht wesentlich gefördert werden. Alle 
symptomatischen Mittel versagten. Zwei- Behandlungsarten allein 
verdienen hervorgehoben zu werden, da sie in vielen, nicht allen 
Fällen, den monatelangen Krankheitsverlauf abzukürzen vermochten 
un^ schnelle Besserung herbeiführten: Die regelmässige Vakzina¬ 
tion mit Typhusimpfstoff und die intravenöse Ein¬ 
spritzung von Silberpräparaten schienen sich zu be¬ 
währen. 

Ebenso wichtig ist die Frage der hygienischen Bewer¬ 
tung dieser Krankheitsform. Hier ist die Isolierung, die Stuhl- 
und Urinuntersuchung ebenso notwendig, wie beim echten Typhus, 
um Kontaktinfektionen vorzubeugen. Ferner muss die bisher übliche 
Revierbehandlung durch Lazarettbeobachtung ersetzt werden, um 
Folgezustände zu vermeiden. 

Zum Schlüsse tritt die Frage in den Vordergrund, ob dieses eigen¬ 
artige Krankheitsbild im Zusammenhang mit der Schutzimpfung steht. 
Dafür spricht die Tatsache, dass die gefundenen Stämme auffallend, 
wenig agglutinabel sind und meistens dem Paratyphus A und Typhus 
angehören, dagegen der Umstand, dass wir selbst im Jahre 1915 
ein ähnliches Bild bei einem ungeimpften Gefangenen beoBachten 
konnten (angeborene Immunität) und einige unserer Fälle Para- 
typhus-B-Infektionen darstellen. Handelt es sich tatsächlich um eine 
Wirkung der Impfung, so kann sie nur als segensreich bezeichnet 
werden. Denn hier ist mit Sicherheit bewiesen, dass es auf diesem 
Wege gelingt, eine sonst schwere Infektion derartig abzuschwächen, 
dass sie für den befallenen Organismus keine Gefahr mehr darstellt. 

Die Nachteile, welche der chronische Typhus und 
Paratyphus unerkannt für die Allgemeinheit bieten, lassen sich 
durch Beobachtung und Wertung dieser Fälle im Sinne K r e h 1 s mit 
Sicherheit vermeiden. 

Aus dem dermatologischen Stadtkrankenhaus II Hannover- 
Linden (Direktor: Dr. Gustav Stünpke). 

lieber syphilitische Gelenkentzündungen. 

Von Gustav Stfimpke. 

Bei den syphilitischen Gelenkerkrankungen, die ia als ziemlich 
selten betrachtet werden können, unterscheidet man in der Haupt¬ 
sache drei verschiedene Typen: Abgesehen von den mehr ibeumati- 
schen Affektionen, die im Beginn des Sekundärstadiums zur Beob¬ 
achtung gelangen und klinisch keinen wesentlichen Befund bieten, 
einmal die Formen, die in ijh^rrtjiIde eine gewisse 

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27 . August 1911 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


969 


Aehnlichkeit mit dem akuten Gelenkrheumatismus 
zeigen; f e r n e r die Fälle, die nach ihrer Entstehung und Konfiguration 
mehr als subakute Gelenkergüsse (Hydrops) aufgefasst 
werden müssen; und endlich die Tumorbildungen-, die ge¬ 
legentlich den tuberkulösen Gelenkaffektionen (Fungus) gleichen und 
in der Regel pathologisch-anatomisch durch gummöse 
Prozesse bedingt sein werden. 

Während die Gruppe I und II in ihrem Zustandekommen relativ 
klare Verhältnisse bieten — lediglich Ergüsse auf der einen, spät¬ 
syphilitische Wucherungen auf der anderen Seite —, ist die Sach¬ 
lage bei der Gruppe II nicht so eindeutig. Hier ist der 
Hydrops wohl auch häufig durch Gewebsverände¬ 
rungen im Sinne der tertiären Lues hervorgerufen — 
ulzeröse Prozesse am eigentlichen Gelenk, der Gelenkschleimhaut, 
sowie auch an den Gelenkknorpeln es ist aber natürlich nicht 
ausgeschlossen, dass gelegentlich ein derartiger sub¬ 
akuter Gelenkhydrops auch ohne Veränderung der 
obengenannten Art Zustandekommen kann, zumal der Nach¬ 
weis der pathologisch-anatomischen Natur bei der Art der Fälle häufig 
nur schwer oder gar nicht erbracht zu werden vermag. Bekannt 
ist. dass auch bei der kongenitalen Lues Gelenkerkran¬ 
kungen Vorkommen. Bering f ll konnte in 37 F ä 11 e n 16 m a 1 
eine ein- oder doppelseitige Kniegelenksentzün¬ 
dung feststellen, in 2 Fä 11 en- auch eine Erkrankung anderer 
Gelenke; bei der mikroskopischen Untersuchung in einem Falle 
ergaben sich wenig charakteristische Verhältnisse: weder syphilitische 
Gefässveränderungen, noch Exemplare der Spirochaete pallida konnten 
nachgewiesen werden. Doch ist Bering der Ansicht, dass sich 
gleichwohl der syphilitische Prozess in der Hauptsache 
an der Gelenkkapsel abspielt: die Knochen wurden in der 
Mehrzahl der Fälle nicht bete ; i !nr t gefunden: Von 10 röntgenologisch 
untersuchten Gelenken waren 9 mal die Knochen intakt. Ueber die 
Erkrankung der Kniegelenke hatte sich bereits ein anderer Autor 
geäussert: Bosse [2] konnte in 3 Fällen mikroskopische 
Untersuchungen anstellen und fand dabei ausgeprägtes, g e - 
fässreiches Granulationsgewebe und kleinzellige 
Infiltrationen; ausserdem konnte er im R ö n t g e n b i 1 d e eine 
keulenförmige Verdickung der oberen Diaphysen- 
enden und eine unregelmässige Verkalkungszone der 
Diaphysenenden beobachten. 

Es bot sich mir in letzter Zeit Gelegenheit, einen Fall von offenbar 
syphilitischer Gelenkentzündung zu sehen, dessen Einzelheiten inter¬ 
essant genug sind, um in einer kurzen Veröffentlichung niedergelegt 
zu werden. 

Pr. Alma, 24 Jahre. Servierfräulein, Hannover. Aufgenommen: 

.14. September 1917. 

Anamnese: Patientin hat seit etwa 8 Wochen staiken- Schei¬ 
denausfluss; vor etwa 3 Wochen trat ziemlich plötzlich eine Schwel¬ 
lung des rechten Fussgelenkes auf, die die Veranlassung abgab. dass 
Patientin von ihrem behandelnden Arzt dem hiesigen Stadtkranken¬ 
haus I überwiesen wurde; vor einigen Tagen erkrankte das linke 
Kniegelenk in derselben Weise, so dass die Kranke in der Annahme, 
dass es sich um eine gonorrhoische Gelenkentzündung handelte, nun¬ 
mehr dem Krankenhaus II überwiesen wurde. Beide Gelenkaffek- 
tion-en sind nach Angaben der Kranken ganz plötzlich, über Nacht, 
aufgetreten und von Anfang an mit lebhaften Schmerzen verbunden 
gewesen. Patientin will sonst in der Hauptsache gesund gewesen sein. 

Status praesens: Mittelgrosse Patientin, in gutem Kräfte- 
und Ernährungszustand. Haut und sichtbare Schleimhäute blass ge¬ 
färbt. An den inneren Organen sind wesentliche Veränderungen 
nicht festzustellen. Der Urin ist frei von Eiweiss und Zucker. Die 
Temperatur ist auf 38° erhöht. Das rechte Fussgelenk und das linke 
Kniegelenk sind geschwollen; die Form der Gelenke, vor allem des 
Kniegelenkes, stark verstrichen. Es besteht ein geringgradiges Balot- 
tement der Patella. Die Berührung beider Gelenke ist sehr schmerz¬ 
haft; bei leisester Bewegung ergeht sich die Kranke in heftigen Klagen. 
Aus der Scheide entleert sich starker gelber Ausfluss. Die Harn- 
röhrenmündung und die umgebenden Schleimhautpartien sind stark 
entzündlich gerötet. Weiter sind in der Harnröhre sowohl, wie in 
der Gebärmutter einwandfreie Gonokokken festzustellen. 

Therapie: Es werden heisse Umschläge auf die erkrankten 
Gelenke verordnet; ausserdem Aspirin 1,0. 3mal täglich ein Pulver. 

Krankheitsverlauf: 16. September 1917 statt des Aspirin, 
was schon im Krankenhaus 1 ohne Erfolg gegeben wurde, erhält die 
Kranke jetzt Solutio Natr. Sal. 12.0:180.0: Sirup, simpl. ad 200,0; 
4 mal täglich 1 Esslöffel. 

18. September. Im Sekret der Harnröhre sowohl wie der Zervnx 
werden Gonokokken festgestellt. . 

21. September. Da durch ein Versehen von seiten des 
Wartepersonals die Anstellung der Wassermannreak¬ 
tion unterblieb, die klinische Konfiguration der erkrankten Ge¬ 
lenke durchaus für einen akuten Erguss sprach, und bei der vor¬ 
handenen Gonorrhöe, zumal unter Berücksichtigung des Befund¬ 
scheines vom Krankenhaus I, diese Aetiologie absolut im Bereiche der 
Möglichkeit lag. so wurde die Gelenkaffektion zunächst als 
Trippergelenkrheuma aufgefasst und entsprechend be¬ 
handelt. Demzufolge wird bei der Patientin ausser den schon ge¬ 
schilderten Massnahmen- ^ine Vakzinetherapie eingeleitet 

(A rt b i g CT^itized by C iQLC 


29. IX. Statt der warmen Umschläge wird jetzt ein Thermophor 
appliziert. 

11. X. Pat. hat heute die 5. Arthigoninjektion (ä 2,5) 
erhalten und regelmässig eine Temperaturerhöhung, teilweise bis 39°, 
gezeigt. Irgend ein therapeutischer Einfluss auf die Ge¬ 
lenkaffektion liegt nicht vor; im Gegenteil, ist die Schwellung 
des linken Kniegelenkes eher noch stärker geworden, ebenso die 
sub)ektive Empfindlichkeit, vor allein bei leisester Berührung des 
erkrankten Gelenkes. Es soll infolgedessen von weiteren Vak¬ 
zineinjektionen Abstand genommen werden. Statt des 
Thermophors werden-heisse Sandsäcke appliziert. 

18. X. Pat. ertiält 0,2 T e r p e n t i n (intramuskulär) entsprechend 
dem von K 1 i n g m ü 11 e r [3] neuerdings empfohlenen Verfahren. 
Abends Temperatur 38°, sonst keine wesentlichen Beschwerden. 

20. X. ZweiteTerpentininjektion (0,3; intramuskulär). 
Abends Temperatur 39°; lebhaft beeinträchtigtes Allgemeinbefinden; 
auch beträchtliche Schmerzen an der Elinstichstelle. 

22. X. Immer noch erhöhte Temperatur; doch ist festzustellen, 
dass die subjektiven Beschwerden an den erkrankten Gelenken ent¬ 
schieden geringer geworden sind; objektiv ist eine Veränderung des 
Befundes nicht wahrzunehmen. 

24. X. Temperatur und allgemeines Befinden zur Norm zurück- 
gekehrt, die Besserung der Gelenkschmerzen hält an. Der Urin (Ter¬ 
pentinreizung!) ist frei von Eiweiss, im Sediment finden sich keiner¬ 
lei abnorme Bestandteile. 

29. X. Die Gelenkschmerzen- im linken Knie und rechten Fuss¬ 
gelenk haben wieder zugenommen. Pat. erhält abermals 0.3 Ter¬ 
pentin intramuskulär. Abends wird keine Temperaturerhöhung be¬ 
obachtet, subjektive Beschwerden an der Einstichstelle nicht vor¬ 
handen. 

3. XI. Die Einwirkung auf die Gelenkaffektioo ist diesesmal nicht 
erheblich. 

5. XI. Der Urin ist frei von Eiweiss, im Sediment befinden sich 
spärliche Mengen von Leukozyten. 

6. XI. Letzte Terpentineinspritzung (0,3; intra¬ 
muskulär)! Abends Temperatur 38,5. Sonst hat die Kranke keine 
wesentlichen Beschwerden davon. 

7. XI. Auch heute ist noch erhöhte Temperatur vorhanden; ohne 
Frage besteht eine mässige Besserung der subjektiven Gelenkbe¬ 
schwerden; objektiv ist dagegen- wie früher eine Veränderung nicht 
wahrnehmbar. 

12. XI. Nach Abschluss der Terpentinbehand- 
luiiK muss festgestellt werden, dass eine irgendwie in Frage 
kommende objektive Besserung des Gelenkbe¬ 
fundes nicht vorliegt, speziell das linke Kniegelenk ist über¬ 
aus stark geschwollen, bei leisester Berührung äusserst schmerzhaft; 
von Ausführung irgendwelcher Bewegungen in den Gelenken gar 
nicht zu reden; im rechten Fussgelenk war die Schwellung von 
Anfang an nicht so hochgradig. Es wird nunmehr eine Packung beider 
erkrankter Gelenke mit lOproz. Ichthyolvaseline angeordnet. 

24. XI. Die Gelenkaffektion, sowohl des linken Knies wie des 
rechten- Fusses hat sich nicht wesentlich geändert. 

26. XI. Die Wassermannreaktion, die durch ein Ver¬ 
sehen des Personals (s. o.) bei der Aufnahme nicht 
a n g e s t e 111 war — bei jeder Aufnahme, ganz gleich wegen 
welcher Diagnose wird Wassermann gemacht; in diesem Falle 
war bei der gleichzeitig vorhandenen Gonorrhöe von dem betreffen¬ 
den Arzt offenbar nicht noch besonders nachgeforscht — fiel stark 
positiv aus. 

28. XI. Dieses Resultat w i r-d anlässlich einer 
Nachuntersuchung bestätigt; die genaue Untersuchung des 
ganzen Körpers ergibt, dass anderweitige sichere kli¬ 
nische Zeichen der Syphilis nicht vorhanden sind: 
nur einige Hals- und Nackendrüsen sind in geringem Grade ge¬ 
schwollen — bohnengross —, nicht wesentlich druckschmerzhaft. Es 
w’ird nunmehr erwogen, beeinflusst durch die Erfolglosigkeit 
der bisherigen Therapie, ob es sich nicht im vorliegenden 
Falle um eine syphilitische Gelenkerkrankung handeln 
könne, und dementsprechend eine spezifische Therapie eingeleitet. 

30. XI. Kranke erhält 0,4 S a I v a r s a n intravenös. 

2. XII. Bereits nach der 1. Salvarsaninjektion ist 
nicht nur eine ausgesprochene Besserung der-subjek¬ 
tiven Beschwerden, sondern zweifellos auch des objek¬ 
tiven Befundes festzustellen. Besonders das rechte Fuss¬ 
gelenk ist ganz wesentlich abgeschwollen. 

4. XII. Auch die Schwellung des linken Kniege¬ 
lenkes geht auffallend zurück: die Schmerzen, auch bei Be¬ 
rührung. sind bedeutend geringer geworden. 

5. XII. Zweite intravenöse Salvarsaninjektion 
(0,4). Die Packungen des erkrankten Gelenkes mit 10 proz. Ichthyol¬ 
vaseline werden fortgesetzt. 

11. XII. Dritte intravenöse Salvarsaninjektion 
(0,4). Die Salvarsaninjektionen wurden bisher ohne wesentliche Re¬ 
aktion, speziell auch ohne Temperaturerhöhung vertragen. Das Allge¬ 
meinbefinden der Kranken ist zufriedenstellend, nachdem die schlaflosen, 
durch die überaus heftigen Schmerzen bedingten Nächte aufgehört 
haben. Pat. macht bereits Gehversuche; geringgra¬ 
dige Beugeversuche, sowohl des Unken Kniegelenkes, vor 
allem aber des rechten Fusses, werden mit Erfolg und ohne 
wesentliche Schmerzen ausgeführt- f 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




970 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


15. XII. Der Urin ist irei von i>athologischen Bestandteilen. Der 
Tripperausfluss ist nur noch gering, hiat ausgesprochen schleimigen 
Charakter. Gonokokken- wurden seit längerer Zeit in Urethra und 
Zervix nicht mehr nachgewiesen. 

18. XII. Vierte intravenöse Salvarsaninjek- 
tion (0,4). 

28. XII. Das rechte Fussgelenk bietet annähernd 
normale Verhältnisse: die Schwellung des linken 
Kniegelenkes ist nur noch mässig; die subjektiven 
Beschwerden, sowohl spontaner Natur wie bei Bewe¬ 
gungen, sind gering. 

1. I. 18. 0,45 Salvarsannatrium intravenös. 

2. I. Bei der Bat. wird eine Schmierkur eingeleitet, die die¬ 
selbe auch ambulant fortsetzen soll. 

Zusammenfassend wird man das Krankheitsbild so dar¬ 
stellen: können, dass eine akut einsetzende Entzündung 
zweier Gelenke (linkes Kniet, rechter Fuss) bei gleich¬ 
zeitig vorthandenem gonorrhoischem Fluor zu¬ 
nächst als gonorrhoische Arthritis aufgefasst und dem¬ 
entsprechend behandelt wurde, später na'ch Klarstellung 
derserologischen Verhältnisse (Wassermann stark 
positiv) lin der 'Annahme einer syphilitischen Aetio- 
logie mit spezifischen Massnahmen in Angriff ge¬ 
nommen^ nunmehr im Gegensatz zu der bisherigen Er¬ 
folglosigkeit allen therapeutischen Handelns, sich einer glat¬ 
ten Heilung zuführen liess. Unter Berücksichtigung dieser 
letzteren Tatsache dürfte an der Auffassung der Gelenkentzündung 
als einer syphilitischen ein Zweifel nicht gut möglich sein. Legt 
man die in der Einleitung gegebene Einteilung zu¬ 
grunde, so wird man — auch auf Grund des Röntgen¬ 
bildes. bei dem sich eine Auffaserung der Epiphysenenden der 
Oberschenkelknochen ergibt, während das Fussgelenk normale Ver¬ 
hältnisse bietet — wenigstens bei der Kniegelenksentzündung 
eine Kombination von Erguss und ulzerösen Pro¬ 
zessen am Gelenkapparat selbst für wahrscheinlich halten. 
Es würde somit zwar die Art der Entstehung und das klinische Bild 
bei der Fuss- und Kniegelenksentzündung für einen akuten syphi¬ 
litischen Gelenkhydrops sprechen (Gruppe 1); bei der letzteren aber 
unter Zugrundelegung des Röntgenbildes eine Vergesellschaftung mit 
der Gruppe 2 (s. o.) vorliegen können. Der vorliegende Fall zeigt, 
wie so häufig bei der Lues, dass eine streng schematische 
Einteilung von K r a n k h e i ts b i 1 d e r n und Stadien 
nicht immer durchzuführen ist, sondern dass fliessende 
Uebergänge zwischen an sich festgelegten Gruppen bestehen; 
wobei ja nur daran zu erinnern ist, dass beispielsweise auch die 
scharfe Trennung zwischen sekundärer und tertiärer Lues bei dem 
heutigen Stande der Wissenschaft nicht mehr in der früheren Weise 
aufrecht erhalten werden kann. 

Im Gegensatz zu unserem Falle sah ich bei gonorrhoischen Arthri¬ 
tiden recht gute Resultate von der K1 i n gmü 11 e r sehen Terpentin¬ 
therapie. 

Literatur. 

Bering: Ueber das Schicksal hereditärsyphllitischer Kinder 
(Lues hereditaria tarda?). Arch. f. Derm. u. Syph. 106. 1911. — 
Bosse: Beitr. z. klin. Chir. 51. 1905/06. — Klingmüller: Ueber 
Behandlung von Entzündungen und Eiterungen durch Terpentin¬ 
einspritzungen. D.m.W. 1917 Nr. 41. — Ri ecke: Lelirb. d. Haut- u. 
Geschlechtskrkh. Kapitel Syphilis: Bus c h k e. 3. Aufl. Jena 1914. 
Verlag von Gustav Fischer. — Scholz: Lehrbuch der Haut- 
und Geschlechtskrankheiten für Studierende und Aerzte. Leipzig 
1913. Verlag von S. H i r t z e 1. 


Verwendung von Trypaflavin als Wundantiseptikum bei 
Gasphlegmone. 

Von Prof. Dr. Max Flesch, Generaloberarzt. 

Eine Reihe von Fällen schwerer Gasphlegmone bei ganz frischen 
Verwundungen- hat uns in einem Kriegslazarett dazu gedrängt, zu allen 
zugänglichen Mitteln zu greifen. Zu Versuchen mit Unerprobtem 
haben wir weder das Recht noch die Zeit. So wurde dann altes 
getan, was die üblichen Methoden vorschreiben: ausgiebige Ein^ 
schnitte in die letzten Tieien, Ausschneiden der betroffenen Partien 
bis in das scheinbar gesunde Gewebe, Einspritzungen von Gasödem¬ 
serum usi. Daneben aber haben wir versuchsweise von der Spülung 
und Auslegung der Wunden mit Antiseptizis. speziell auch mit zur 
Verfügung stehenden Lösungen von Trypaflavin und Tryparlavingaze 
Gebrauch gemacht. Die in einer Reihe von Fällen erzielten Erfolge 
diesem Mittel zuzuschreiben, sind wir danach nicht berechtigt; man 
könnte sie ja ohne Weiteres auf das Konto der sonstigen, auch ohne 
Trypaflavin gute Erfolge aufweisenden Eingriffe und Mittel setzen. 
Aber die Beobachtung des Wundverlaufes hat immerhin den Eindruck 
hinterlassen, dass wir in dem Trypaflavin ein. die Wirkung der 
anderen mindestens vortrefflich ergänzendes Hilfsmittel besitzen. 

Usber das Präpara/TTwnehme ichldir von der Fabrik fLeopold 

Digitized by ^jÖClQle 


C assella 6c Co., Frankfurt a. M.) herausgegebenen Orieirtienmgs- 
schrift folgendes: 

Trypaflavin ist eine ursprünglich auf Veranlassung von Ehr¬ 
lich hergestellte Verbindung, Diaminomethylakridiniumchlorid. De» 
Namen hat das von Dr. L. B e nda, Mitglied des Georg-Speyerhaus in 
Frankfurt a. M., zuerst dargestellte und beschriebene Präparat wegen, 
seiner tötenden Wirkung auf Trypanosomen erhalten. Es ist ziemlich 
stabil, kann bis 120° ohne Zersetzung erhitzt werden. Seine Ungiftig¬ 
keit ergibt ein Versuch, bei dem 300 ccm einer 1 prom. Lösung intra¬ 
venös vertragen wurden. Die aiiuseptische Kraft des Mittels ist 
gegenüber den meisten Krankheitserregern wesentlich stärker als die 
des Sublimats. Ein wesentlicher Vorzug liegt aber darin, dass sie 
unter Anwesenheit von Serum nicht herabgesetzt wird. Ferner ist 
das Präparat selbst in den stärkeren zur Verwendung kommenden 
Lösungen (1:1000) fast absolut reizlos. Allerdings scheint auch die 
volle Höhe seiner antiseptischen Wirkung etwas langsamer als beim 
Sublimat einzutreffen. Nachteil ist die stark färbende Wirkung auf 
Verbandstoffe und die Hände des Operateurs. Beiden kann durch, 
geeignete Waschmethoden — wofür die Vorschriften dem Präparat 
beigegeben werden — begegnet werden. 

Unsere Beobachtungen haben auf alle Beteiligten den Eindruck 
hmterlassen, dass unter Trypaflavinanwendung die Wunden sehr 
schnell eine gute Beschaffenheit annehmen und einen schönen Granu¬ 
lationsbelag erhalten. Schädigungen irgendwelcher Art sind auch 
dann nicht eingetreten, als wir unter dem günstigen Eindruck der 
ersten Beobachtungen sehr verschwenderisch mit grossen Mengen. 
Spülflüssigkeit unter energischem wiederholtem Ausreiben vorgingen. 
Diese überraschend gute Reinigung der Wunden trat auch da ein, 
wo beim Ausschneiden der infizierten Partien unzweifelhaft lädierte 
Stellen, grosse infizierte Strecken der Gefässscheiden der Ober- 
schenkelgefässe, Periost u. dgl. zurückgeblieben waren. In einigen 
Fällen hat augenfällig das sulzige Oedem in der Umgebung der 
durch Einschnitt blossgelegten Partien- schon nach einem Tage sich 
verloren. Einige besonders günstige Beobachtungen seien hier kurz 
wiedergegeben: 

1. W. (24. IV. 18) Zertrümmerung beider Unterschenkelknochen. 
Gasphlegmone, Ausspülung mit Trypaflavinlösung 1:1000 und Tam¬ 
ponade mit Trypaflavingaze nach ausgiebigen Inzisionen bis zum 
Knie aufwärts. Nach 24 Stunden deutlich Besserung; nach 48 Stunden 
konnte auf die vorher in Aussicht genommene Amputation verzichtet 
werden. 

2. Pr. (29. IV. 18). Vollständige Zertrümmerung des linken 
Unterschenkels. Gasphlegmone. Nach breiten Inzisionen und Aus¬ 
schneiden der ausgedehnten nekrotischen Gewebspartien Behand¬ 
lung der Wunden mit Trypaflavin. Sofortiger Stillstand der Phleg¬ 
mone. 

3. A. (30. IV. 18). Schussfraktur des Linken Oberschenkels. 
Gasphlegmone. Gasödemserum und ausgedehnte Inzisionen. Trypa- 
flavinbehandlung. Nach 4 Tagen konnte definitiv auf Amputation ver¬ 
zichtet werden. 

4. B. (7. V. 18). Oberschenkel- und Damraschuss mit Zerreis- 
sung der Harnröhre. Gasphlegmone. Neben den sonstigen Mass¬ 
nahmen Trypaflavinbehandlung. Nach 36 Stunden Gasbrand abge¬ 
klungen. 

Die weitere Beobachtung bei zahlreichen Fällen hat uns das 
Gleiche wahrnehmen lassen. Ueber diese -Erfahrungen wird ausführ¬ 
lich zu berichten sein. Nach dem von uns Beobachteten- würde ich 
es als erfreulich betrachten, wenn die Prüfung fortgesetzt würde. 


Aus dem Reservelazarett 1 Frankfurt a. M. (Chefarzt: Ober¬ 
stabsarzt Prof. Dr. Knoblauch, Geheimer Medizinalrat)* 

Trypaflavin, ein metallfreies Antigonorrhoikum. 

Von Stationsarzt landsturmpfl. Arzt Sanitätsrat Dr. Baer 
und Feldunterarzt Klein, Teillazarett Mainkur. 

Die grossen Erfolge, welche mit dem Trypaflavin in der Wund¬ 
behandlung erzielt wurden, haben allseits das Interesse auf dieses- 
Mittel gelenkt. 

Trypaflavin ist das Diaminomethyl-acridiniumchlorid, das von 
L. B e nd a zuerst dargestellt wurde und von Leopold C a s s e 11 a in 
Frankfurt a. M. in den Handel gebracht wird. Ursprünglich von 
E h r 1 ic h zur Behandlung der Trypanosomenerkrankungen vor¬ 
geschlagen (daher auch der Name Trypa-flavin). hat es im Kriege 
Verwendung in der Wundbehandlung gefunden. Die in englischen 
Feldlazaretten erbeuteten Flaschen von Trypailavinderivaten weisen 
auf die grosse Bedeutung dieses Antiseptikums auch im Lager unserer 
Feinde hin. In der Tat haben die ,.in vitro“ an-gestellten Versuche 
zu sehr günstigen Resultaten gerührt, die sich klinisch bestätigen. 

Seine bakterizide Wirkung auf Kokken hat nun Veranlassung ge¬ 
geben. Trypaflavin auch bei gonorrhoischen Erkrankungen zu ver¬ 
suchen. Zuerst wurde es bei Gonorrhöen der Bindehaut des Auges 
in der Frankfurter Universitäts-Augenklinik von Prof. Dr. Schnau- 
digel angewandt. Auf der Hautkrankenstation des Reservelaza¬ 
retts 1 Teillazarett Mainkur kam Trypaflavin zum erstenmal als Anti¬ 
gonorrhoikum der männlichen Harnröhre zur Verwendung. 

Ohne in dieser vorläufigen Mitteilung Einzelheiten anzuführen, 
möge das Ergebnis von 37 hier behandelter. Fällen erwähnt werden. 
Von diesen 37 Fällen waren Fr j}ftererkrankungeri, die 

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27. August 1918. 


MUENGHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


971 


übrigen 18 waren in anderen- Lazaretten mit anderen Mitteln be¬ 
handelt 

Ohne Rückfall konnten 22 Patienten zur Entlassung kommen, ein 
Rückfall wurde bei 7 Patienten, 2 Rückfälle bei 2 Patienten, 3 Rück¬ 
fälle bei einem Patienten beobachtet, doch gelang auch bei diesem 
die vollkommene Heilung mit Trypaflavin. Bei 5 Patienten versagte 
Trypaflavin, jedoch blieb auch mit Silberpräparaten ein Erfolg aus. 
Die Behandlungsdauer bei frischen Fällen betrug durchschnittlich 
15 Tage (kürzeste Behandlungsdauer 7 Tage, längste 47 Tage). 

Angewandt wurde Trypaflavin im hiesigen Lazarett in Lösungen 
von 1:4000 bis zu Lösungen von 1:1000 mässig erwärmt. Die Pa¬ 
tienten wurden täglich 2mal mit Spülungen nach Janet behandelt, 
also in derselben Weise wie hier schon andere Mittel versucht 
wurden. (Vergl. M.m.W. 1916 Nr. 26 S. 954—56, B a e r: Ueber Ver¬ 
suche mit dem neuen Antigonorrhoikum Choleval.) 

Der zweimal wöchentlich aufgenommene mikroskopische Befund 
des Harnröhrenausflusses zeigte, dass bei einer grösseren Anzahl von 
Erkrankungen die Gonokokken nach 4—5 Tagen verschwunden 
waren. Trotzdem wurde die Behandlung noch einige Zeit fortgesetzt. 
Die Patienten wurden erst dann als geheilt entlassen, wenn längere 
Zeit mit der Behandlung ausgesetzt war und nachdem die bekannten 
diagnostischen Methoden Anwendung gefunden hatten. 

Was die Reizwirkung des Trypaflavins anbelangt, so klagten die 
Patienten bei starker Konzentration über Brennen in der Harnröhre. 
Ob diese Reizwirkung mit der ausgesprochenen sekretionsbeschränken¬ 
den Wirkung des Trypaflavins zusammen hängt, bleibe dahingestellt. 

Nicht unerwähnt darf die gelbe Farbe des Trypaflavins bleiben, 
die leicht Flecken erzeugt und von Patienten und Personal als nicht 
gerade angenehm empfunden wird. Ein von der herstellenden Firma 
empfohlenes Reinigungsverfahren lässt die Flecken wieder entfernen. 

Zusammenfassend mag jetzt schon als feststehend gelten, dass 
wir im Trypaflavin em neues Antigonorrhoikum haben. 

Von den bisher bekannten unterscheidet es sich chemisch nament¬ 
lich dadurch, dass es metallfrei ist. 

Ob es die anderen bekannten Antigonorrhoika übertrifft, kann 
erst nach weiteren Beobachtungen entschieden werden. Die bisher 
hier erzielten Resultate verdienen auf jeden Fall, dass das Mittel 
weiter nachgeprüft wird. 

Seiner Farbe wegen wird es bei der Erprobung als Antigonor¬ 
rhoikum bei vielen Seiten auf Widerstand stossen. In jedem Falle 
dürfte ihm aber wegen seiner starken gonokokkentötenden Kraft auch 
als Prophyluktikum grösste Beachtung geschenkt werden. 


Aus der II. med. Klinik München. (Prof. v. Müller.) 

Zur Erleichterung der bakteriologischen Blutuntersuchung 
ausserhalb der Klinik. 

Von Prof. Dr. H. Kämmerer. 

Die bakteriologische Blutuntersuchung wird zweifellos von 
weiteren ärztlichen Kreisen viel zu wenig angewandt, obschon in 
nicht seltenen Fällen wichtige diagnostische und ätiologische Auf¬ 
schlüsse von dieser Methode erwartet werden dürfen. Der Grund 
liegt sicher darin, dass einmal die Methode des Agarplattengiessens 
an sich nicht ganz einfach ist und eingeübt sein will, dann die Aus¬ 
führung im Privathaus, der Transport des sterilen Materials, der 
gegossenen Agarplatten usw. in die Patientenwohnung mancherlei 
Schwierigkeiten bietet. Aber auch der Geübte steht nicht selten vor 
einem unlösbaren Problem, wenn er etwa die bakteriologische Blut¬ 
entnahme bei einem auswärtigen Patienten, vielleicht in einem Dorf, 
oder in ärmlichen Verhältnissen, womöglich verbunden mit einer 
langen Eisenbahnfahrt ausführen soll. 

Es erschien daher als ein Erfordernis, die bakteriologische 
Blutentnahme mit einer einfachen, leicht und ohne Beeinträchtigung 
der Sterilität transportablen Apparatur und einer ebenfalls einfachen, 
jedem Arzt zugänglichen Technik ausführen zu können. Die mit dem 
infizierten Blut beschickten Gläser mussten ebenso sicher und ohne 
Störung der Sterilität als Post oder Bahngut zurückbefördert werden 
können. 

Der Wunsch nach Erfüllung dieser Vorbedingung lenkt von 
selbst den Gedanken auf die Verwendung flüssiger Nährböden. 
Es besteht nicht der geringste Zweifel, dass die feste Agarplatte 
vor dem flüssigen Nährboden- den Vorteil bietet, zufällige Ver¬ 
unreinigungen von den- Krankheitserregern durch die räumliche 
Sonderung der Kolonien, ihre Zahl usw. abtrennen zu lassen. Es 
gibt Antoren, wie Schottmüller und J ochmann, die der 
Verwendung flüssiger Nährböden ohne Sympathie gegenüber stehen. 
Andererseits bieten die flüssigen Nährböden zweifellos Vorteile. In 
Flüssigkeiten ist bet genügender Verdünnung des Blutes, bzw. der 
in ihnen enthaltenen Antikörper, ein besseres Wachstum als in den 
festen Nährböden zu erzielen. Neufeld 1 ) hat bei seiner Typhus¬ 
bazillenzüchtung aus Roseolenblut, Hauser*) bei seinen Unter¬ 
suchungen über den Keimgehalt der Organe darauf hingewiesen. 
Wilhelm Müller*) sieht den Grund für das bessere Bakterien¬ 


wachstum in der Bouillon in den besseren osmotischen Verhältnissen. 
Ganz besonders hat sich dann Wiens 4 ) mit dieser Frage be¬ 
schäftigt, der in flüssigen Nährböden bei kruppöser Pneumonie viel 
häufiger Pneumokokken aus dem Blut züchten konnte als in festen. 
Es ist wahrscheinlich, dass bei entsprechenden Paralleluntersuchungen 
auch für Streptokokken-, Staphylokokkeninfektionen u. a. ein günsti¬ 
geres Ergebnis für flüssige Nährböden gegenüber festen herauskäme. 

Für die Anreicherung der Bazillen der Typhusgruppe hat sich 
ja längst das Galleröhrchen — also auch ein flüssiger Nährboden — 
eingebürgert. Aber die Galle ist wegen ihrer hemmenden Wirkung 
für andere Bakterien nicht anwendbar, Pneumokokken werden 
sogar in der Galle zur Auflösung gebracht. Ein wesentliches Mo¬ 
ment für das flüssige Nährmedium ist gerinnungshemmende 
Wirkung, denn nur dann werden die Bakterien gleichmässig in 
der Flüssigkeit verteilt und nicht in dem Antikörper enthaltenden 
Blutkoagel zurückgehalten. Gewöhnliche Nährbouillon ist daher 
nicht brauchbar. Wiens 6 ) hat bei seinen Pneumokokkenstudien 
eine Nährbouillon angewandt, die so viel Pepton (10 Proz.) enthält, 
dass die Blutgerinnung verhindert wird. In der 10 proz. Pepton¬ 
bouillon (+ 1 Proz. Dextrose) wachsen nach den von mir angestellten 
Proben ebensogut Streptokokken und Staphylokokken wie Pneumo¬ 
kokken, wie das ja auch nicht anders zu erwarten ist. Selbstver¬ 
ständlich ist eine Verdünnung des Blutes mit dem Nährmedium von 
mindestens 1:10 zur Beseitigung der Blutantikörperwirkung not¬ 
wendig. Schwieriger ist die Frage, wie man bei der Züchtung 
in flüssigen Nährmedien zufällige Verunreinigungen vermeiden, 
respektive erkennen soll. Abgesehen von peinlichster Asepsis, 
bzw. Antisepsis der Haut, kommt man in den meisten Fällen durch 
gleichzeitige Beschickung mehrerer Bouillongläser mit dem zu unter¬ 
suchenden Blut zu verwertbaren Resultaten. Auch lässt die Einfach¬ 
heit der Technik vor einer Wiederholung der Blutentnahme weniger 
leicht zurückschrecken; natürlich wird man beim Wachstum von 
Bakterien, die als häufige Nährbodenverunreiniger bekannt sind, 
besondere Skepsis anwenden müssen. 

Um die beschickten Gläser zum Transport geeignet zu machen-, 
ist der gewöhnliche Watteverschluss natürlich nicht ausreichend. 
Eine Benetzung der Watte mit der Nährflüssigkeit und eine Ver¬ 
unreinigung des Nährsubstrates ist bei stärkeren Bewegungen oder 
beim Transport durch Unkundige — Verschickung der Röhrchen 
mit der Post — fast unvermeidlich. Gummi- oder Korkstopfen sind 
aus naheliegenden Gründen für Blutbouillonkulturen unzulässig, da 
sie nicht oder sehr schwer keimfrei zu halten sind. Ich Hess mir 
daher auf grosse, starke, etwa 30 ccm fassende Reagenzgläser einen 
Glasverschluss anbringen, den nebenstehendes Schema veranschau¬ 
licht. Das Reagenzrohr ist mit einem ein geschliffenen Glasstöpsel 
versehen, auf den eine Glashaube angeschmolzen ist. Diese schliesst 
die Reagenzrohröffnung ähnlich wie ein Petrischalendeckel ab. An 
dieser Haube fasst man den Verschluss beim Herunternehmen an. 
Da die Ränder der Haube den inneren Glasstöpsel um etwa Vz cm 
überragen, ist dieser bei abwärts geneigter Haltung 
völlig vor der Verunreinigung durch Luftkeime geschützt. 

Abglühen des Glasrandes nach der Beimpfung ist zu 
vermeiden, da das Glas leicht springt, ist auch bei eini- 
germassen exaktem Arbeiten unnötig. Der Verschluss 
sitzt wegen des exakten Einschliffes so fest, dass das 
Glas nach allen Richtungen gedreht Werden kann, ohne 
dass ein Tropfen des Inhalts heraustritt. Um die Mög¬ 
lichkeit einer Verunreinigung des beimpften Nährbodens 
noch weiter zu verringern, bringt man unter die Glas¬ 
haube einen mit Alkohol getränkten Gazestreifen. Zur 
Sicherung des Abschlusses beim Transport werden 
Reagenzrohr und Glashaube mit einigen Pflasterstreifen mit einander 
verbunden. Die beimpften und mit Pflaster verklebten Röhrchen 
werden dann zum Transport in eigens dazu verfertigten, mit Watte 
gepolsterten Holzhülsen verpackt. Man kann von der Firma Lauten¬ 
schläger-München die einzelnen Röhrchen mit Holzhülsen beziehen. 
Da man jedoch, um sicher zu gehen mindestens drei Röhr¬ 
chen beimpfen soll, wird auf meine Veranlassung von der genannten 
Firma auch ein zum Versand geeignetes Besteck für die bakterio¬ 
logische Blutentnahme angefertigt, das folgende Gegenstände enthält: 
1. Drei der beschriebenen Glasröhrchen zur Aufnahme von Pepton¬ 
bouillon und Blut. 2. Eine Glas-Luerspritze zu 10 ccm. 3. Je ein 
Fläschchen für Aether. Alkohol und Jodtinktur. 4. Schlauch und 
Klemme zur Venenstauung. 5. Ein kleines Päckchen Verbandgpze. 
6. Eine Rolle Pflaster. 7. Eine Pinzette. 8. Eine Gebrauchsanweisung 
folgenden Inhalts: 

Man lasse sich die gut gereinigten Nährbodengläser und die 
ebenfalls nach dem Gebrauch sorgfältig gereinigte Glasspritze in 
einem bakteriologischen Laboratorium (Klinik. Krankenhaus, Unter¬ 
suchungsanstalt, Apotheke etc.) trocken sterilisieren (150° eine 
Stunde). In die Gläser werden 20 ccm der in folgender Weise be¬ 
reiteten Nährflüssigkeit (am einfachsten in den Apotheken) eingefüllt: 
Pepton Witte 10,0, Chlornatrium 0,5, Traubenzucker 1,0, Aqua dest. 
100,0. Die Lösung wird mit konzentrierter Sodalösung schwach 
lackmus-alkalisch gemacht und in der gewöhnlichen Weise fraktio- 



*) Zschr. f. Hyg. 30. 1899. 

*) Arch. f. exper. Path. 20. 

*) Arch. f. kln. Med. 71^“* 

Digitizedby VjOU 


gle 


4 ) M.m.W. 

5 ) 1. c. 


1907 S. 1572 u. Zschr. f. klin. Med. 65. S. 53. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




972 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 35. 


niert sterilisiert. Die mit dem Nährboden beschickten Qläser werden 
für V» Stunde in den Dampftopf gebracht, sind dann gebrauchsfähig 
und können längere Zeit aufbewahrt werden. 

Zur Blutentnahme: Vorher nachsehen, ob der Glasstöpsel der 
Bouillongläser locker sitzt, bzw. sich durch leichtes Drehen lockern 
lässt. Sorgfältige Desinfektion der eigenen Hände und der Ellbogen¬ 
beuge des Patienten mit Seife und Wasser (oder Seifenspiritus), 
Aether, Alkohol und Jodanstrich. Mit steriler Pinzette (nicht mit der 
Hand) Spritzenkanüle auf Spritze setzen. Während der Beimpfung 
den Glasstöpsel mit der unteren offenen Seite etwas nach unten 
geneigt halten (bzw. auch auf Alkohol getränktes Filtrierpapier 
stellen), je VA —2 ccm Blut (nicht mehr!) nach der Punktion sofort 
in jedes der drei Röhrchen bringen. Den Rand des Glases nicht ab¬ 
glühen, Blut mit der Nährbouillon sofort gleichmässig mischen, mög¬ 
lichst ohne Flüssigkeit an den Glasstöpselschliff zu bringen. Mit 
Pinzette zwischen Glashaube und Reagenzglas einen in Alkohol ge¬ 
tränkten Gazestreifen schieben. Glashaube und Reagenzglas mit 
Pflasterstreffen aneinander befestigen, in das Holzkästchen ver¬ 
packen und in bakteriologische Anstalt schicken. Sollte nach der 
Bebrütung beim Oeffnen der Gläser der Glasstöpsel und die Glas¬ 
wand durch eine Spur eingedrungener Blutbouillon etwas verklebt 
sein, so mache man vorsichtige Drehbewegungen mit der Glashaube, 
ohne einen starken Druck auf diese auszuüben, damit man das nicht 
sehr dicke Glas nicht eindrückt. 


Aus dem Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten 
zu Hamburg. 

Der Wert des Kaliumquecksilberjodides zur Ermittelung 
des Chinins im Harn. 

Von Q. Qiemsa und J. Halberkann. 


Nach T eichmann 1 ) und Neuschlosz 2 ) gewöhnt sich der 
menschliche Körper nach längerer Darreichung von Chinin an dieses 
Gift, derart, dass dasselbe mehr und mehr zerstört und schliesslich, 
auf Grund qualitativer Prüfungen mit Kaliumquecksilberjodid, nur 
noch in Spuren oder gar nicht mehr im Harn zur Ausscheidung ge¬ 
langt. Wir 3 ) und kurz darauf H a r t m a n n und Z i 1 a 4 ) konnten 
diese Angaben durch zahlreiche gewichtsanalytische Bestimmungen 
des Harnchinins bei Gewöhnten und Nichtgewöhnten widerlegen und 
kein gesetzmässiges Absinken der Ausscheidungen sehen, die selbst 
bei dem gleichen Individuum in kurzer Zeit stark auf- und ab¬ 
schwanken. 

Nebenstehende Kurven (Abbildung) zeigen diese oft starken 
Schwankungen. Es handelt sich um sog. chiningewöhnte Personen, 

die während der Dauer 


und 5, 


der Versuche tagtäglich 
Chinin einnahmen, und 
deren Einzelharne fort¬ 
laufend qualitativ mit HgJs 
geprüft wurden, während 
die quantitative Ausmitte¬ 
lung in den gesammelten 
Tagesharnen und an den 
Kurventagen erfolgte. Die 
Harne vom 19. und 20. und 
ebenso vom 31. und 32. 
Tag wurden gemeinsam 
untersucht. Es ergab sich 
uns wiederum, dass die 
qualitative Prüfung auch 
nicht annähernd richtige 
Werte lieferte. Die Ver¬ 
suche 1 und 6 mussten aus 
äusseren Gründen abge¬ 
brochen werden. Auffällig 
erscheint eine Ueberein- 
stimmung des Abfalles und 
Aufstieges bei 2 und 3, in 
geringerem Grade bei 4 

was auf die Art der Kost zurückzuführen sein dürfte. 



In Nr. 22 dieses Jahrganges der M.m.W. verwendet W a rb u r g 
wiederum das von uns aus verschiedenen Gründen als untauglich zur 
Ermittlung des Chinins erwiesene HgJa und glaubt, zu den gleichen 
Resultaten zu kommen wie Teich mann und Neuschlosz, 
ohne sich der allerdings beträchtlichen Mühe zu unterziehen, seine 
Fällungs- bzw. Trübungsauffassungen einer gravimetrischen Kontrolle 
zu unterziehen, nachdem unsere Bedenken gegen die Methode be¬ 
kannt geworden waren. 

Unter ungefähr 200 Rezidiven Warburgs waren „mehrere“ 
Fälle, die sich gegen Chinin refraktär verhielten, die andern, im 


D D.imW. 1917 Nr. 35 S. 1092. 

2 ) M.m.W. 1917 Nr. 37 S. 1217 und Nr. 39 S. 1284. 

3 ) a) D.m.W. 1917 Nr. 48. b) Arch f. Schiffs- u. Tropenhyg. 

•) M.m.W. 1917 Nr. 50 S. 1597 und Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 
1918 Nr. 3-4 S. 221 ^ 

□ igitizedby CiöO* 


gle 


Sinne Teichmanns und Neuschlosz chiningewöhnt, zeigten 
eine, der Normalkurve ähnliche Kurve, also wohl eine Normalkurve. 
Wir verstehen nicht, dass Warburg darin eine Bestätigung der 
Angaben von Teichmann und Neuschlosz findet, da beide 
gar nicht von refraktären Fällen sprechen, sondern ohne Einschrän¬ 
kung nur von Chiningewöhnung, die bei einem jeden Menschen nach 
längerer Darreichung angenommen wird. Deshalb untersuchten wir 
und ebenfalls Hartmann und Z i la schlechthin nur chiningewöhnte 
Fälle, wobei uns refraktäre sogar unerwünscht waren, da durch diese 
Komplikation die Ergebnisse nur getrübt werden konnten. Wenn 
Warburg sonach etwas bestätigt, dann nur unsere Resultate; doch 
müssen wir der Methode wegen eine Bestätigung ablehnen. 

Beim refraktären Verhalten des Körpers gegen Chinin gelangt 
das Alkaloid durch irgendwelche Komplikationen, wie anderweitige 
Infektion, Durchfall, Obstipation, Nierenaffektion usw. [s. auch Sey- 
ftarth 5 )] oder auch durch ungeeignete Medikation, wie steinharte Pillen, 
ebensolche Tabletten usw., unvollkommen oder gar nicht zur Resorp¬ 
tion (wenn man die Ausscheidung von Chinin durch den Harn als 
Massstab gelten lässt), was in letzterem Falle gleichlautend sein kann 
mit Nichteinnahme. Das obige Reagens gestattet wohl mehr oder 
weniger Chinin zu schätzen, doch kann man dabei grossen Täu¬ 
schungen unterliegen fs. 3 ) bl, weshalb es keine „hinreichende“ Auf¬ 
klärung über die wahre Menge des Alkaloids zu geben vermag. Aus 
diesem Grunde dient in unserem Krankenhause das Reagens seit lan¬ 
ger Zeit lediglich zur Kontrolle der Chinineinnahme. 

Wie berechtigt unser Standpunkt ist, dass das Quecksilber¬ 
reagens keine objektiv eindeutigen Ergebnisse gibt, zeigt die Ver¬ 
öffentlichung von Schittenhelm und Schlecht 6 ). Sie fan¬ 
den wie Warburg, wenn man dessen Verschiebung des Sachver¬ 
halts berücksichtigt, in abgeänderter Arbeitsweise mit dem gleichen 
Reagens, mit dem Teichmann und Neuschlosz bei Chinin¬ 
gewöhnung ein Abfallen, ja sogar ein Ausbleiben der Ausscheidung 
feststellten, dass bei gewöhnten und nichtgewöhnten Leuten nicht nur 
keine Unterschiede bestehen, sondern dass erstere sogar eine erhöhte 
Ausscheidung aufweisen. 


Aus dem Reservelazarett Altenburg. 

Beschreibung einer Daumenprothese. 

Von Dr. K. E. Veit, Stabsarzt d. R., Assistent an der 
chirurgischen Klinik in Halle. 

Kurz möchte ich über einen Daumenersatz berichten, dessen Idee 
und Ausführung von unserem hiesigen Bandagisten Fest stammt. Bei 
Verlust des Daumens samt Mittelhandknoch'en ist das Fehlen der 
opponierenden Wirkung doppelt störend, da ein derartiger Patient 
dann nicht imstande ist ein grösseres Werkzeug zu handhaben. Er 
wurde ersetzt durch einen gebogenen Haken, der sich aus der Ab¬ 
bildung leicht ersehen lässt. Gedacht ist er nur als Arbeitsprothese, 
vor allem für Landwirte, die vorwiegend mit runden Gegenständen zu 
tun haben, aber auch beim Zügelhalten finden die Finger an der Leder¬ 
manschette ein besseres Widerlager. Pat. war mit seiner Prothese 
sehr zufrieden und hat hier fleissig bei allen Garten- und Feld¬ 
arbeiten mitgeholfen. 

Ein plastischer Daumenersatz kommt meiner Meinung nach bei 
Fällen, bei denen die Daumenballenmuskulatur nur mehr sehr dürftig 
ist und nur schwerere Körperarbeit zu verrichten ist, nicht in Frage. 



Abb. 3. Abb. *. 

Aus dem Krankenblatt ist zu erwähnen, dass Pat. durch einen 
Unglücksfall seinen rechten Daumen verloren hatte. Der Mittelhand¬ 
knochen war ausgedehnt zersplittert. Die Wunde eiterte stark, so 
dass von anderer Seite Teile des Knochens entfernt wurden. Hier 
wurde einmal ein Sequester entfernt, nach diesem Eingriff heilte die 
Wunde. Vom Mittelhandknochen ist nur ein kleiner Rest vorhanden. 
Die Daumenballenmuskulatur fehlt fast vollständig, so dass trotz guter 


b ) B.kl.W. 1918 Nr. 23 S.541. u. 544. 
fl ) D.m.W. 1918 Nr. 12 S. 314. 

Original fro-m 

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27. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Beweglichkeit der anderen Finger die Spitzen nur eben den Hand¬ 
teller erreichen. Ein Dauraenballen, als Widerlager zu gebrauchen, 
ist nicht vorhanden. Mit der Prothese ist Pat. imstande seine land¬ 
wirtschaftliche Arbeit gut zu verrichten. Schreiben hat Pat. ohne 
Kunsthilfe gelernt. 

-- 

Paul v. Baumgarten. 

Zum 70. Geburtstag. 

Von M. Askanazy, Genf. 

Es ist nicht ein Schüler, es ist eine Schule, die hier das Wort 
ergreift. Es ist eine Schar verschiedenartiger Köpfe, die teils durch 
die Schattierungen des eigenen Geistes, teils durch den Einfluss noch 
anderer Meister bunt gestaltet ist. Und doch haben all diese Jünger 
zweier menschlicher und medizinischer Generationen es stets lebhaft 
empfunden und dankbar ausgedrückt, dass sie das Schickal in den 
wissenschaftlichen Bannkreis Paul v. Baumgartens führte. Bald 
sind sie, wie der Verf. dieser Zeilen, mit dem Forscher in Fühlung 
getreten, als er noch in Königsberg unter und neben dem ernsten 
Rhythmus von E. Neumanns Wirken seine persönlich bedeutende 
Stellung einnahm, bald haben sie sich, die meisten, unter ihm in 
Tübingen gebildet, wo er zu den glänzendsten Namen der medizini¬ 
schen Fakultät zählt. Kaum einer hat aber die Beziehungen mit 
ihm je wieder verloren, da der einmal gewonnene Kontakt dieser 
geistigen Vibration mit lebendiger Kraft weiterwirkte. So kann der 
70. Geburtstag dieses Forschers nicht vorbeistreichen, ohne dass der 
Qiückwunsch der vielen Freunde und Schüler, die heute in manchen 
Ländern Europas und auf anderen Kontinenten ihres Meisters warm 
gedenken, laut ausklingt. 

Am 28. August 1848 als Sohn eines Arztes und Neffe des Leib¬ 
arztes des Königs von Sachsen in Dresden geboren und an einem 
Dresdener Gymnasium (der Kreuzschule) herangebildet, hatte Paul 
Clemens v. Baumgarten das Glück, während seiner Leipziger 
Studien Männer wie E. H. Weber, Braune, Ludwig. Wagner 
und W u n d e r 1 i c h zu seinen Lehrern zu zählen. Gleich nach seinem 
Doktorexamen (1873) trat er als Assistent an das Leipziger Ana¬ 
tomische Institut unter H i s und Braune ein, um schon 1874 als 
Prosektor an das Königsberger Pathologische Institut gerufen zu 
werden, in dem er 15 Jahre lang eine Tätigkeit ausübte, wie sic 
eben nur erlesenen Köpfen beschieden ist und wo er sich frei ent¬ 
wickeln konnte, da E. Neumann seinen Mitarbeitern gerne freie 
Bahn liess. Im Jahre 1881 erhielt er die ausserordentliche Professur 
seines Faches und 1888 wurde er zum Examinator für Hygiene er¬ 
nannt, ein symbolisches Ereignis, das den Forscher an der Scheide¬ 
grenze zweier Disziplinen zeigte. Kam er doch auch an erster 
Stelle in Frage, als in Königsberg um jene Zeit der erste selbständige 
Lehrstuhl für Hygiene gegründet wurde, v. Baumgarten zog 
das weitere Gebiet der allgemeinen Pathologie und pathologischen 
Anatomie vor, als dessen ordentliche Professur ihm im Jahre 1889 
angetragen wurde. 

Er gehört zu jenen Universitätslehrern, die durch die belebende 
Form des Wortes, die Präzision des Gedankens, durch das von 
Sehnsucht nach Erkenntnis getragene Temperament den überlegen¬ 
den Schüler fesseln, die Steinschwere anderer mit Orpheuskraft 
bewegen. Das Geheimnis dieser Wirkung liegt zum Teil in der 
Vereinigung von künstlerischen und wissenschaftlichen Impulsen in 
seiner Natur. Bis in die späteren Studiensemester nährte er den 
Wunsch, sich ganz der Musik zu widmen, die noch jetzt die Weihe 
seiner Erholungsstunden darstellt. Die Liebe zum künstlerischen Aus¬ 
druck erklärt auch * seinen musterhaften, literarischen Stil, die viel¬ 
bewunderte Form seiner Rede, jene dramatische Gewandtheit, die 
sich auch in seinen Söhnen, so auch in meinem jungen Genfer Kol¬ 
legen, dem trefflichen Juristen Arthur Baumgarten offenbart. 
Aber sein Einfluss auf seine Schüler liegt zugleich auch in seiner 
anspornenden aktiven Mitarbeit, er weckt Gedanken, stilisiert den 
Text, schenkt manchen eigenen Besitz, da er nicht verarmen kann. 

Unter den von ihm inspirierten Richtlinien medizinischer Auf¬ 
fassungen nehmen ohne Zweifel die zahlreichen Probleme der Tu¬ 
berkulose forschung den ersten Platz ein, von der ersten ätio¬ 
logischen Frage der Erreger an bis in die theoretisch und praktisch 
so wichtigen Fragen der exogenen und endogenen Pathogenese der 
tuberkulösen Prozesse. Die Geschichte der Aetiologie der Tuber¬ 
kulose wird schon allein als Hinweis auf den Geist der Zeiten um 
1882 zu notieren haben, dass v. Baumgarten unabhängig von 
der grossen, durch unwiderlegliche Argumente gestützten Entdeckung 
R. Kochs den spezifischen Bazillus auffand. Originell wie in diesem 
Befunde ging der Forscher in der Frage vor, auf welchem Wege 
das tuberkulöse Virus in den menschlichen Organismus eindringt. Seit 
Jahrzehnten ist er der unermüdliche Vorkämpfer der Anschauung 
geblieben, dass die Tuberkulose in der Regel eine angeborene Krank¬ 
heit in dem Sinne ist, dass der Keim ins extrauterine Leben mitge¬ 
bracht wird. Demzufolge wäre auch der primäre tuberkulöse Herd 
von endogener Pathogenese. Dass diese Lehre ungemein anregend 
gewirkt nnd die Verflachung des Problems verhindert hat, werden 
auch die Gegner oder Skeptiker in dieser Frage nicht verkennen dürfen. 

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Sind doch unter dem Einfluss dieser Diskussion erst die Dokumente 
für die intrauterine Uebertragung der Infektion im allgemeinen und 
für die Tuberkulose zumal der Rinder im besonderen gesammelt 
worden. Zweifeln doch heute nur noch wenige daran, dass die Tu¬ 
berkulose meistens früh, sehr früh erworben ist. Und operiert nicht 
heute die ganze ärztliche Welt mit dem Begriff der „latenten Tuber¬ 
kulose“, den v. Baumgarten geprägt, entwickelt und später durch 
den „der Latenz der Bazillen *) selbst“ noch erweitert hat? Sein 
Zweifel, dass die pulmonale Lokalisation der Tuberkulose noch kein 
Beweis für die aerogene Infektion ist, erwies seine Berechtigung, 
als es dem Forscher gelang, eine kavernöse Lungenphthise beim 
Kaninchen nach Injektion der Bazillen in die unverletzten Harnwege 
zu erzeugen und uns, nach Einspritzung spärlicher Bazillen in die 
Ohrvene. Ebenso originell ist nun weiterhin seine Stellung zu einer 
andern Frage der Tuberkuloseentstehung, nämlich bezüglich der 
Rolle, die die Erreger der Perlsucht in der menschlichen Pathologie 
spielen. Er konnte sich auf negative Erfolge bei der Impfung von 
Kälbern mit menschlichen Tuberkelbazillen berufen und andrerseits 
über geradezu sensationelle Versuche an unheilbaren Krebskranken 
berichten, denen ein trefflicher Arzt eine subkutane Injektion von 
Perlsuchtbazillen gemacht hatte in der vagen Hoffnung, im Sinne der 
alten Rokitansky sehen Meinung den Krebs durch Tuberkulose 
zu unterdrücken. Damit wurde am Menschen bewiesen, dass solche 
Perlsuchtbazilleninfektionen nur abszessähnliche Herde hervorrufen, 
ohne dass sich hinterdrein eine Haut-, Lymphdrüsen- oder Allgemein¬ 
tuberkulose entwickelt. So wurde v. Baumgarten der eifrigste 
Partner R. Kochs in der Ansicht, dass die Rindertuberkulose für 
den Menschen keine erhebliche Gefahr bedeute, ohne indessen von 
Vorsichtsmassregeln abzuraten. 

Elementarer war der Einfluss, den unser Forscher durch seine 
Studien über die Histogenese des tuberkulösen Prozesses auf das 
anatomische Denken ausübte, denen experimentelle und mikro¬ 
skopische Untersuchungen zugrunde lagen. Liegen die eigentlichen 
Stammzellen des Tuberkels in der Gewebszelle (Bindegewebs-, Endo¬ 
thel-, Epithelzelle), so ist doch das tuberkulöse Produkt nicht gänz¬ 
lich histogen, da der Tuberkelbazillus auch exsudative Entzündung 
anregen kann. Ueber diesen „morphologischen Dualismus“ der Tuber¬ 
kulose erhob sich ein Streit, der auf dem Tummelplatz der „käsigen 
Pneumonie“ zwischen Orth und v. Baumgarten ausgefochten 
wurde. Diese Diskussion hat zu einem Zuwachs unserer Kenntnisse 
geführt, indem sich auch hier herausstellt, dass nur „graduelle Diffe¬ 
renzen“ im Spiele sind bei biologischen Vorgängen, die in den ex¬ 
tremsten Bildern ganz verschieden sein können. 

Schon in dieser Erörterung klingt das Hauptmotiv von der im 
mikroskopischen Sinn spezifischen Wirkung der Tuberkelbazillen 
an, das v. Baumgarten mit so viel logischer Energie verficht. 

Trotzdem v. B a u m g a r t e n auf das spezifische histologische 
Bild immer wieder hinweist, weiss er den Schematismus in der Bio¬ 
logie ebenso zu vermeiden, wie die Vernichtung der Regel. Erst 
jüngst ist er für die tuberkulöse Aetiologie der Lymphogranulomatose 
eingetreten, deren mikroskopischer Habitus von der klassischen 
Tuberkulose doch gewiss abweicht. Aber auf der anderen Seite hat 
er der histologischen Differentialdiagnose stets besondere Aufmerk¬ 
samkeit geschenkt, eingedenk der Tatsache, dass die pathologische 
Anatomie nicht nur ein Zweig der allgemeinen Biologie, sondern auch 
der Gedankenlenker der Diagnose ist. So legt er z. B. die unter¬ 
scheidenden Züge zwischen Tuberkulose und Syphilis fest, wobei er 
u. a. auf den diagnostischen Wert der Riesenzellen Gewicht legt. 
Man hat dagegen Einwendungen gemacht, dass diese Riesenzellen 
auch sonst Vorkommen. Wer eine Regel, die in vielen Fällen zu¬ 
trifft, fallen lässt, weil es Ausnahmen gibt, wird nie ein biologisches 
Prinzip erkennen oder anerkennen. Bedeutet es nicht einen Triumph 
biologischer Gesetze, deren Inkrafttreten fast immer von einer Summe 
von „Bedingungen“ abhängig ist, wenn die heutige allgemeine Chemie, 
eine exakte Naturwissenschaft, „Ueberschreitungen“ ihrer Gesetze 
zulassen muss, je nachdem Temperatur usw. sich ändern. Es ist 
ebenso bedenklich, aus wenig Betrachtungen Regeln abzuleiten, wie 
Regeln umzustossen, weil sie nicht in allen Beobachtungen sich be¬ 
wahrheitet finden. Dieses auch für die Pathologie als Richtschnur 
berücksichtigt zu haben, bleibt für mich ein Verdienst v. Baum¬ 
gartens. Dass der Tuberkel als solcher etwas besagt, hat er ge¬ 
wusst, als er die mit Reiskörperbildung und fibrinoider Nekrose ein¬ 
hergehende Tuberkulose der Sehnenscheiden entdeckte. Ein weiteres 
allgemeines Prinzip legte er für die innere Pathogenese und Aus¬ 
breitung der Tuberkulose im männlichen und weiblichen Urogenital¬ 
system dar, indem er den Satz aufstellte, dass sich die Tuberkulose 
im Harn- und Geschlechtsapparat in der Regel von einander getrennt 
entwickelt und sich mit dem Sekretstrom fortpflanzt. An der Hand 
dieser zahlreichen experimentellen Beweise über die Pathogenese 
der Tuberkulose konnte der Forscher die weitesten medizinischen 
Kreise zu der von ihm früh verfochtenen Anschauung bekehren, dass 
die klinisch primären Tuberkulosen der Harnwege, Genitalien, Kno¬ 
chen, Gelenke usf. nicht direkt exogen infiziert, nicht anatomische 
Primärmanifestationen darstellen und dass die hämatogene Tuber- 


*) Die Latenz der Tuberkelbazillen wird als ein Hemmungs¬ 
zustand aufgefasst, bedingt durch die fötale und präinfantile Pro¬ 
liferationsenergie der menschlichen Gewebe. 

Original fro-m 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


kulose den ersten Platz in der Klinik der menschlichen Tuberkulose 
behauptet. 

Allein nicht nur, wie sie entsteht, hat er erforscht, auch wie sie 
und dass sie vergeht, suchte er zu ergründen. Wenn er die passive 
Immunisierung des Erkrankten durch die Tuberkuline nach Massgabe 
der Tierversuche auch mit ablehnender Skepsis beurteilte, so hat 
er doch lange Jahre und mit Eiier eine aktive Immunisierung durch 
Einverleibung lebender Bazillen von geringerer Virulenz zu erreichen 
gesucht. So glückte es ihm, Rinder durch einmalige sub¬ 
kutane präventive Impfung mit menschlichen Tuberkelbazillen 
gegen die Infektion mit Perlsuchtbazillen zu immunisieren, so dass sie 
nicht auf Tuberkulin reagierten, völlig gesund blieben, ja ohne Schaden 
mit tuberkulösen Tieren Zusammenleben konnten. Mit dem Serum 
dieser aktiv Immunisierten gelang dann auch eine passive Immuni¬ 
sierung junger Kälber gegenüber späterer Impfung mit Perlsucht¬ 
bazillen. Fernere Untersuchungen werden über das sicherste Ver¬ 
fahren zur Immunisierung von Mensch und Tier gegen Tuberkulose 
entscheiden müssen. 

Der vorstehende Ueberblick genügt, um zu zeigen, dass es kaum 
einen zweiten lebenden Forscher gibt, der auf dem Gebiete der Tu¬ 
berkuloseforschung eine solche Fülle von fruchtbaren Ideen erdacht 
und so viel bedeutende Tatsachen ans Licht gezogen hat. 

Die beiden grossen Forschungswege, die v. Baumgarten 
zu diesen Funden verhalten und auf denen er pfadsicherer Führer 
bleibt, die pathologische Anatomie und das in ihren Dienst gestellte 
Expermiment, haben ihn nun auch zu präzisen Ergebnissen in vielen 
anderen Kapiteln der Infektionskrankheiten geführt, und so war er 
dazu prädestiniert wie kein zweiter, in einem von den Besten seiner 
Zeit tiefgeschätzten Werke die Lehre von den pathogenen Mikro¬ 
organismen vom Standpunkte des allgemeinen Pathologen und Histo- 
logen als erster darzustellen. Die elegante Form, der kritische Geist, 
die zugleich theoretisch und praktisch wichtige Aufstellung von 
leitenden Gesichtspunkten haben diesem Buche eine ungemein an¬ 
regende Bedeutung verschafft, wie man u. a. aus den Briefen eines 
Billroth ersieht. Die Neuauflage von 1911 ist den neuen Er¬ 
werbungen dieses Gebiets gerecht geworden, ohne den Reiz der 
ersten Ausgabe zu verlieren. Als eine Art Fortsetzung dieses Buches 
müssen die von unserem Forscher zuerst allein, dann im Verein mit 
anderen Fachgenossen herausgegebenen „Jahresberichte über die 
pathogenen Mikroorganismen“ betrachtet werden, von ihm geschaffen 
und dauernd inspiriert, wobei der Herausgeber nicht nur die Arbeit 
des referierten Autors, sondern auch den kritisierenden Mitarbeiter 
fein und gedankenvoll kritisiert. In der Mikroparasitologie konnte er 
nur so schöpferisch wirken, weil er sie als allgemeiner Pathologe 
behandelt. 

Auf dem Gebiete der allgemeinen Pathologie liegen 
seine Verdienste aber nicht nur in seinen Errungenschaften der 
Krankheitsätiologie. Durch die von ihm und unter seiner Leitung 
ausgeführten Untersuchungen über das Entstehen der Staphylokokken¬ 
abszesse, über die Herkunft der Tuberkelelemente und durch weiter 
noch zu erwähnende Studien hat er die Entzündungsvorgänge nach 
mancher Richtung analysiert und die histogenetische Potenz der 
„fixen“ Zellen sowie ihre Beziehungen zu den hämatogenen Ele¬ 
menten als einer der ersten gut umschrieben. Dabei erweist sich 
v. Baumgarten als Anhänger des Spezifitätsgesetzes der Ge¬ 
webe mit der individuellen Note, dass er die Bildung von Fibroblasten 
und Bindegewebe seitens der Gefässendothelien als bewiesen ansieht, 
was an den Grundlinien dieses Gesetzes natürlich nichts ändert. 
Dem Sinne des Entzündungsprozesses nachgehend, musste er sich 
mit der Phagozytenlehre Metschnikoffs beschäftigen* in deren 
Entwicklung die Arbeiten v. Baumgartens und seiner Schule 
eine massgebende Stellung einnehmen. Er statuiert, dass nur ster¬ 
bende oder abgestorbene Bakterien in den lebenden Zellen — „den 
Hyänen des Schlachtfeldes“ — zerfallen. Er führte die Lehre von der 
vorbeugenden und heilenden Immunität bis an die Grenze, wo der 
Gedanke spezifischer Nähr- und Wehrstoffe als immunisierender che¬ 
mischer Prinzipien auftauchte. Sein erster Gedanke vom Sterben 
der Bakterien im kranken Körper erinnert an P a s t e u r s Vorstellung, 
indem er annahm, dass die Bakterien im Infizierten sterben, weil 
ihnen die Nahrung ausgeht (Assimilationstheorie). Dabei ist von 
Interesse, dass er neben den chemischen (z. B. endotoxischen) Stoffen 
im Serum dessen physikalische Wirkungen experimentell ins 
Auge fasste, dabei die Vorgänge der Plasmolyse der Bakterien in 
Abhängigkeit von der Salzkonzentration etc. zu bewerten suchte und 
die Bakteriolyse den osmotischen Vorgängen der Hämolyse an die 
Seite stellte. Unter des Forschers Arbeiten allgemein pathologischen 
Charakters darf seine Abhandlung über die Erblichkeit mit ihren 
philosophischen Grundgedanken (in Marchand-Krehls Handbuch) nicht 
vergessen werden. 

Wenn wir zuletzt von den rein pathologisch-anatomi¬ 
schen Arbeiten v. Baum garte ns sprechen, so geschieht das 
nicht, weil sie einen geringeren Rang einnehmen als seine allgemein 
pathologischen Studien, sondern weil sie sich schwer von den anderen 
abgrenzen lassen.- Gibt es doch für einen modernen Forscher keine 
pathologische Anatomie ohne allgemeine pathologische Durchleuch¬ 
tung. So kann man v. Baumgartens ausgezeichnete Studien 
über die Thrombose und über die Organisation des Thrombus im 
besonderen in beide Forschungsgebiete einreihen. Das Novum von 

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1877, dass Blut in einfach oder doppelt in der Kontinuität aseptisch 
unterbundenen Gefässen monatelang flüssig bleibt — noch nach 
3 Monaten sind viele Erythrozyten unverändert! — verdient auch 
heute wieder ins Zentrum der Erörterung gerückt zu werden, wo man 
die hydrostatische Mechanik der Thrombusstruktur mit der Aetiologie 
der Thrombose so oft verquickt oder gar verwechselt Wer sich 
bei der operativ-traumatischen Thrombose — auch der der Nabel- 
gefässe — der Baumgarten sehen Lehre erinnert, wird dem 
eigenen pathogenetischen Denken und den Patienten einen Dienst 
erweisen. Ebenso bekannt sind die für die Klinik der Leberkrank¬ 
heiten und die Kollateralbahn der behinderten Pfortaderströmung 
so wichtigen Studien v. Baumgartens über das Schicksal der 
Nabelvene im extrauterinen Leben. Bekanntlich stellte er fest, dass 
dieses Gefäss sich nie völlig verschliesst und sein Restkanal bei der 
Leberzirrhose sich ausserordentlich erweitert, um das gestaute Pfort¬ 
aderblut durch die Burowsehe Vene zu den epigastrischen Venen 
zu leiten und das Caput Medusae zu erzeugen. Auch die Aetiologie 
der Leberzirrhose beschäftigte ihn; er zeigte experimentell, dass der 
Alkohol beim Tiere nicht direkt zur Leberzirrhose führt sondern nur 
durch Störung der Darmtätigkeit dazu prädisponiert. Da die Auf¬ 
zählung wertvoller Einzelarbeiten uns zu weit führen würde, seien 
nur noch des Autors Studien über Missbildungen, geschwulstförmige 
und geschwulstige Produkte genannt so seine Untersuchungen über 
Kiemengangs- und Vaginalzysten (mit E. Neumann), seine Mit¬ 
teilungen über generalisierte Lymphdrüsenkarzinose nach Prostata¬ 
karzinom, über primäre generalisierte Lymphdrüsensarkomatose, be¬ 
sonders seine Abhandlung über myelogene Pseudoleukämie. Die letzt¬ 
genannten Aufsätze liefern wesentliche Beiträge zur Pathologie des 
Organsystems, das von unserem gemeinsamen Lehrer geschaffen 
wurde und bei dessen Schülern immer eine warme Pflege fand. In 
v. Baumgartens Studien über echte Blastome klingt oft das 
Leitmotiv Cohnheims von dem angeborenen blastogenen Keim 
durch. 

Der Weltkrieg findet unseren Forscher in tiefer Arbeit auf Ge¬ 
bieten, denen unsere Zeit den Titel der Kriegspathologie auf¬ 
gedrückt hat. Seine Erfahrungen, die in dieser Wochenschrift nieder¬ 
gelegt sind, werden mit vielem Interesse benutzt werden, da sie 
ebenso reich wie kritisch erörtert sind. 

Es fehlt in dieser Skizze noch mancher Gedanke v. Baum¬ 
gartens, namentlich solche, die er seinen Schülern einflösste und 
durch sie in die Literatur einführte, wie er es noch heute tut. Möge 
diese Skizze aber in historischer Hinsicht auch dadurch recht unvoll¬ 
kommen erscheinen* dass v. Baumgarten noch lange Jahre unser 
Wissen bereichert. Möge sein für Kunst und Erkenntnis so empfäng¬ 
liches Gemüt noch lange so jugendfrisch und lebensfroh bleiben, wie 
es am heutigen Tage ist. An Ehrungen hat es ihm nicht gefehlt, viel¬ 
leicht wird ihm keine so willkommen sein wie der einmütig huldigende 
Geburtstagsgruss seiner Schüler aus nah und fern. 


Bücheranzeigen und Referate. 

Karl Kisskalt: Bernhard Fischers kurz gefasste An¬ 
leitung zu den wichtigeren hygienischen und bakteriologischen Unter¬ 
suchungen. Dritte Auflage. 1918. Verlag von Aug. Hirsch wald. 
Berlin. 231 Seiten. Preis 11M. 

Nachdem die von Bernhard Fischer bearbeitete 2. Auflage 
des vorliegenden Buches vergriffen war, hat Kisskalt die Heraus¬ 
gabe der neuen Auflage durchgeführt und das Material entsprechend 
den Fortschritten auf hygienisch-bakteriologischem Gebiet er¬ 
gänzt und vielfach umgeändert. Dabei ist das alte Gewand, das sich 
in Kursen bewährt hat, erhalten geblieben. 

Den hygienischen Untersuchungen ist etwa ein Drittel, den bak¬ 
teriologischen und verwandten Prüfungen zwei Drittel des Raumes 
gewidmet, ein Zeichen, dass die Methodik der letzteren sich be¬ 
deutend erweitert hat. Es sind nur Untersuchungsmethoden und Vor¬ 
schriften aufgenommen, die sich bewährt haben und in den betreffenden 
Instituten leicht ausgeführt werden können. Trotzdem ist es eine 
Fülle von Material. Die Darstellung ist objektiv und entspricht ganz 
der wissenschaftlichen Höhe. Durch die Anordnung des Stoffes wird 
das Auffinden zugehöriger Erklärungen zu jeder Untersuchung er¬ 
leichtert und eine raumbeanspruchende Wiederholung vermieden. 

Auch schwierigere Prüfungen sind leicht verständlich wieder¬ 
gegeben, so dass das Buch als belehrender Ratgeber wie auch als 
Nachschlagebuch dienen wird. Der halbseitige Druck gewährt die 
Möglichkeit, Notizen und mündliche Belehrungen in den Kursen auf¬ 
zunehmen. Den Zweck, den die Anleitung verfolgt, dürfte sie be¬ 
stimmt erfüllen und erreichen. R. O. N eumann-Bonn. 

Kleinklnderfürsorge. Eine Einführung in ihr Wesen und ihre 
Aufgaben. Herausgegeben vom Zentralinstitut für Erziehung und 
Unterricht in Berlin, mit 34 Abbildungen auf 24 Tafeln und im Text. 
Preis M. 4.—. Leipzig-Berlin, G. B. Teubner. 

Wir besitzen bisher noch kein zusammenfassendes Buch über 
Kleinkinderfürsorge. Deshalb kommt das vorliegende einem wirk¬ 
lichen Bedürfnisse entgegen und kann dieses auch vorläufig be¬ 
friedigen. Die Materie ist zu sehr im Werden, als dass schon etwas 
• Abgeschlossenes geboten werden könnte. Das Werk bringt die 

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27. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


975 


Ergebnisse der dritten Sonderausstellung des Zentralinstitutes in 
Berlin und zwar in Form einer Reihe getrennter Aufsätze von ver¬ 
schiedenen Autoren im ersten Teil und dem Führer durch die Aus¬ 
stellung im zweiten Teil. Der erste und Hauptteil informiert über 
das Wesen der Kleinkinderfürsorge, ihre Entwicklung, ihren Umfang 
und ihre Ziele. „Das Kleinkind an sich“, seine körperliche und 
seelische Entwicklung, seine Erziehung und Stellung in der Statistik 
wird behandelt von Dr. Rot t, Karl G r o o s, Annemarie Pallat- 
Hartlebeni Regierungsbaumeister Langen; „die Fürsorge¬ 
bedürftigkeit der Kleinkinder“ von Dr. Rott, Anna Borchers, 
Hildegard Böhme, Käthe Mende; „Umfang und Ziele der Klein¬ 
kinderfürsorge“ von Prof. Ziehen, Dr. R o 11, Helene v. Mumm, 
Hildegard Böhme, Amtsgerichtsrat v. Friedeberg, Magistrats¬ 
rat Dr. Schönberner, Elfriede S t e n a d, Stadtbaumeister 
Moritz, Lilli Droe scher, Johanna v. G i e r k e, Schulrat 
Weyher, Pastor A1 b e r t s, Constantin N o p pe 1, Ella Schwarz. 

Die einzelnen Gebiete sind selbständig, zum Teil skizzenhaft 
behandelt und stehen, was bei der Verschiedenartigkeit der Verf. nicht 
Wunder nimmt, nach Inhalt und Form auf ungleichem Niveau. Sie 
gestalten in ihrer Gesamtheit immerhin ein gutes Bild der Klein- 
kinderfiirsorge. Als besonders fesselnd möchte ich hervorheben: 
die seelische Entwicklung des Kleinkindes von Prof. G r o o s, den 
geschichtlichen Rückblick von Prof. Ziehen, die verschiedenen 
knapp und sachlich geschriebenen Aufsätze von Dr. Rot t, welcher 
Autor den Löwenanteil an dem Buche trägt, die Ausführungen Lilli 
Droescljers über den Betrieb der Tagesheime, sowie diejenigen 
von Hildegard Böhme und Käthe Mende über die Notstände, die 
in der Wirtschaftslage der Eltern begründet sind (Wohnungsnot, 
Aufsichtslosigkeit). 

Eine 18 Seiten lange und wohlgruppierte Zusammenstellung der 
Literatur über Kleinkinderfürsorge verleiht dem Buche nebst den 
wohlgelungenen Abbildungen einen besonderen Wert. 

Hecker- München. 

Neueste JournalUteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medizin. 127. Band, 1. und 
2 . Heft. 

S. Bernstein und W. Fa 11a: Besteht beim Diabetes mellitus 
einer Steigerung der Zuckerbildung oder eine Störung des Zuoker¬ 
verbrauches? (Aus der III. med. Abteilung des k. k. Kaiserin-Elisa- 
beth-Spitals in Wien.) 

Die diabetische Stoffwechselstörung besteht primär in einer ver¬ 
minderten Fähigkeit der Körperzellen, Zucker aufzunehmen und weiter 
zu verarbeiten, was besonders bei alimentärer Ueberlastung hervor¬ 
tritt (alimentärer Faktor der Glykosurie). Die Annahme einer aus¬ 
schliesslichen Ueberproduktion von Zucker ist abzulehnen. Neben 
dieser Störung der Zuckerverarbeitung kann unter nervösen Ein¬ 
flüssen auch eine Steigerung der Zuckerproduktion bestehen (ner¬ 
vöser Faktor der Glykosurie). Bei leichtem Diabetes verhält sich 
der Gas Wechsel unter Umständen wie beim Gesunden. Werden in 
einer Periode strenger Kost reichlich Kohlehydrate zugelegt, so steigt 
der respiratorische Quotient (RQ.) zuerst nicht an (Füllung der Gly¬ 
kogenspeicher), später erfolgt ein Ansteigen desselben, ein Zeichen, 
dass Zucker verbrannt wird. Ein Ansteigen des RQ. lässt sich be¬ 
sonders bei sehr eiweissarmer Kost (Amylazeen-Fettkost) erzielen. 
Bei intravenöser Zuckerzufuhr kommt es aber im Gegensatz zum 
Normalen zu keinem oder nur geringem Anstieg des RQ., wohl aber 
zur Glykosurie. . Injektion von Adrenalin führt zur Zuckerausschei¬ 
dung, nicht aber zum Ansteigen des RQ. Nach Injektion von Pituitrin 
tritt Verminderung der Wärmebildung, aber kein Ansteigen des 
RQ. ein. Beim schweren Diabetiker gelingt es weder durch Zufuhr 
einer kohlehydratreichen, eiweissärmsten Kost (Amylazeenfettkost), 
noch durch intravenöse Zuckerzufuhr, noch durch Injektion von Ad¬ 
renalin oder Pituitrin den RQ. zu steigern. Der Extrazucker kann 
dabei das Plus in der Zuckerzufuhr erreichen. Bei schwersten For¬ 
men findet sich sogar ein Sinken des RQ. und überschiessende Zucker¬ 
ausscheidung. 

R. K o b e r t: lieber einige wichtige essbare und giftige Pilze. 

Die im deutschen Walde massenhaft wachsenden, weniger ge¬ 
schätzten, aber ungiftigen Pilze bilden im Verein mit den schon 
längst bekannten Esspilzen eine nicht hoch genug einzuschätzende 
Eiweissquelle, die zur menschlichen Ernährung, aber auch zur tieri¬ 
schen als hochwertiges Kraftfutter herangezogen werden sollte. Sie 
müssten unter sachverständiger Aufsicht gesammelt und wie das Ge¬ 
müse in Trockenanstalten zu einer guten Dauerware verarbeitet wer¬ 
den, zumal die Zahl der wirklich als giftig zu bezeichnenden Pilze 
immer kleiner geworden ist, wie dies Verf. an Hand einer grossen 
Zahl von Pilzarten und gestützt auf seine besondere Sachkenntnis 
zeigt. Wirklich giftige Pilze (Königs-, Fliegenpilz = Amanita regalis, 
Knollenblätterschwamm, wovon 3 Arten Vorkommen (Amanita verna, 
phalloides und mappa), müssen natürlich zur Vermeidung schwerer, 
häufig tödlicher Vergiftungen, mit aller Bestimmtheit erkannt werden, 
insbesondere müssen die 3 letzten Pilzarten auch in der Pilztafel des 
Kaiserl. Gesundheitsamtes mit aller Schärfe beschrieben werden. 

M. Düring: Zur Pathologie und Klinik des Lymphogranuloms. 
( Aus dem pathol. Institut zu Genf.) 

Die malignen Lymphome stellen in ihrer vollen Entwicklung ent- 

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zündliche Granulationswucherungen dar — daher Lymphogranulome 
genannt —, für die man nur eine Infektion — wahrscheinlich Tuber¬ 
kulose — verantwortlich machen muss. Von 2 einschlägigen Be¬ 
obachtungen werden Krankengeschichte, Autopsiebefunde, histo¬ 
logische und experimentelle Ergebnisse mitgeteilt. Im 1. Falle han¬ 
delte es sich um einen Krankenwärter, bei dem die Diagnose vom 
ersten Beginn des Leidens an histologisch verfolgt werden und trotz 
der klinischen Bedenken aufrecht erhalten werden konnte, der 
2. Fall wurde weder zu Lebzeiten, noch im Augenblick der Sektion 
richtig gedeutet. Klinisch erfolgt auf die Periode der Lymphdrüseu- 
erkrankung ein Stadium der Generalisation des Prozesses, wobei 
beide Stadien gewöhnlich durch eine verschieden lange Latenzzeit 
getrennt sind, die wenige Wochen oder auch Jahre völilgen Wohl¬ 
befindens umfassen kann. In ausgesprochenen Fällen ist die Diagnose 
nicht schwierig, in atypischen unmöglich. Die Therapie — Röntgen 
+ Arsen — war machtlos. 

C. Klieneberger: Die Blutmorpbologie der WelIschen 
Krankheit und Anhangsbemerkungen über das Blutbild anderer 
Ikterusformen. 

Die Weil sehe Krankheit ist eine septische Allgemeininfektion 
mit hämorrhagischer Diathese von häufig protrahiertem Verlauf. Ent¬ 
sprechend dem Krankheitscharakter und konform dem schleppenden, 
oft durch Fieber und Komplikationen unterbrochenen Krankheitsver- 
lauf zeigen sich erhebliche Blutbild Verschiebungen, wie an 36 ge¬ 
heilten und 4 tödlich verlaufenen Fällen beobachtet werden konnte. 
Generell findet sich als typische Blutänderung polynukleäre Leuko¬ 
zytose im Krankheitsbeginn und mitunter erhebliche, sekundäre An¬ 
ämie im Krankheitsverlauf als Ausdruck der spezifisch angreifenden 
Noxe. Rasch vorübergehend und vereinzelt ist Eryfhrämie, die nur 
in frischen Fällen beobachtet wurde, wobei sich Hämoglobinwerte 
bis 120 Proz. fanden, die wohl durch Trockenrückstandänderungen des 
Blutes infolge von Durchfällen bedingt sind (Eintrocknungserschei¬ 
nungen). Ihr folgt fast regelmässig, etwa um das Ende des ersten 
Krankheitsmonats, eine prognostisch meist günstige Spätanämie. Was 
die Leukozyten anlangt, so besteht in den ersten 2—3 Wochen poly¬ 
nukleäre Leukozytose, die dann zugunsten der Lymphozyten ab¬ 
nimmt mit Neutrophilenzunahme. Das frühe Auftreten von Lympho¬ 
zytose ist prognostisch günstig zu beurteilen (Fehlen von Rezidiven, 
rasche Genesung). Die Eosinophilzellen sind während der akuten 
Stadien erheblich vermindert, leichte Fälle zeigen keine oder rasch 
vorübergehende Verminderung der Eosinophilzellen. Aneosinophilie 
oder Hypeosinophilie in früher Periode kündigt Rezidive an, das 
reichlichere Vorkommen pathologischer Zellformen, insbesondere von 
Myelozyten und Normoblasten ist das Zeichen einer schweren Er¬ 
krankung. Was den Ikterus bei Ruhr- und Typhusikterus, katar¬ 
rhalischem Ikterus und Ikterus gravis anlangt, so ist eine erheblichere 
symptomatische Einwirkung des Ikterus an sich auf das Blutbild 
nicht nachweisbar. Dagegen kennzeichnen das Auftreten von An¬ 
ämie, höhere Leukozytenzahlen, Blutbildschwankungen nach Zahl und 
Art, pathologische Zellformen die durch Ikterus komplizierte Weil- 
erkrankung und ermöglichen deren Abgrenzung von anderen Ikterus¬ 
formen. 

G. R o s e n o w: Uebe die Wirkung des Adrenalins auf die Blut- 
verteihmg beim Menschen. (Aus der med. Klinik zu Königsberg i. Pr.) 
(Mit 6 Kurven.) 

Nach intramuskulärer Adrenalininjektion beim Menschen tritt 
eine kurzdauernde Zunahme des Vorderarmvolumens ein, die dadurch 
bedingt ist, dass die Gefässe des Splanchnikusgebietes der vasokon- 
striktorischen Wirkung des Adrenalins stärker unterliegen als die Ge¬ 
fässe der Peripherie. Als praktische therapeutische 
Folgerung ergibt sich, dass beim Menschen bei 
zentral oder peripher bedingter Herabsetzung 
des Tonus der Gefässe im Splanchnikusgebiet, wie 
sie bei Pneumonie, Peritonitis, Cholera, Diph¬ 
therie und anderen bakteriotoxischen Erkran¬ 
kungen häufig ist, die Adrenalintherapie die Me¬ 
thode d e r W a h 1 i s t. Da die Gefässwirkung bei intramusku¬ 
lärer Injektion sehr flüchtig ist, muss sie wiederholt oder mit Pitui¬ 
trin kombiniert werden. Die Methode lässt sich auch zur Funktions¬ 
prüfung der Splanchnikusgefässe bzw. der Armgefässe, z. B. bei ver¬ 
muteter Arteriosklerose, verwenden. 

F. Klewitz: Die kardiopneumatlsche Kurve des Menschen. 
(Aus der med. Universitätsklinik Königsberg.) (Mit 2 Abbildungen.) 

Die Kurve des Menschen zeigt keine prinzipielle Abweichung von 
der im Tierexperiment erhaltenen Kurve; nur kommt in der mensch¬ 
lichen Kurve die Vorhofstätigkeit wesentlich deutlicher zum Ausdruck. 

Bamberger - Kronach. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. Bd.38, l.u.2. Heft. 

R. Fick: Ueber die Länge der Muskelbündel und die Abhandlung 
Murk Jansens über diesen Gegenstand. 

Verf. erhebt in seiner polemischen Abhandlung gegen Murk 
Jausen (Ueber die Länge der Muskelbündel und ihre Bedeutung 
für die Entstehung der spastischen Kontrakturen, Zschr. f. orth. Chir. 
36.) den Vorwurf,.dass er zu seiner Ablehnung des Weber-Fick- 
schen Gesetzes auf Grund einer mangelhaften Kenntnis der ein¬ 
schlägigen Arbeiten und Untersuchungen gekommen sei. Die Jan¬ 
sen sehe Einteilung der Muskeln in Proximatoren (mit grösster 

Original from 

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976 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


Bündellänge und kleinem Querschnitt) und Distatoren (mit kleiner 
Bündellängc und grossem Querschnitt) erkennt Verf. nicht an, da 
bei mchrgelenkigen und bei solchen Muskeln, die an Kugelgelenken an- 
setzen, die Funktion in weitaus den meisten Fällen infolge der Ueber- 
sdmeidung der Achsen bei Bewegungen keine rein proximierende 
oder distierende, sondern eine gemischte sei. Für das Gesetz, dass 
die Faserlänge von der Kraft abhängig sei, bleibt nach FickJansen 
den Beweis schuldig. — An Hand eigener Untersuchungen, die teils 
vor, teils nach der Veröffentlichung der Jansen sehen Arbeit an¬ 
gestellt wurden, tritt F. neuerdings für die Gültigkeit des Weber- 
F i c k sehen Gesetzes ein. 

K. G a u g e 1 e: Zur Anatomie und Röntgenologie des oberen 
Femurendes bei der angeborenen Hüftgelenksverrenkung. 

Verf. untersucht die Frage, ob es berechtigt sei, von den auf 
Röntgenbildern eingerenkter Hüftluxationen beobachteten „bizarren 
Kopfformen“ ohne weiteres auf entsprechende anatomische Verände¬ 
rungen zu schliessen. An einer Reihe von Aufnahmen normaler 
Oberschenkelknochen vom Erwachsenen führt er den Nachweis, dass 
sie, in Sagittalstellung des Schenkelhalses oder in künstlich herge¬ 
stellter Antetorsion durchleuchtet. Konturen- ergeben, die den auf 
Kontrollaufnahmen nach Einrenkungen genau entsprechen. Zu be¬ 
rücksichtigen ist beim Vergleich nur, dass die Röntgenbilder jugend¬ 
licher Hüftgelenke durch den grossen Anteil, welchen der keinen 
Schatten gebende Knorpel am Aufbau von Pfanne und Kopf hat, weiter 
kompliziert werden, und dass die Konturen dieser Bilder deshalb sinn¬ 
gemäss zu ergänzen sind. Abgesehen von den ganz vereinzelten 
Fällen, in denen durch brüske Einrenkungen tatsächlich Schenkel¬ 
halsfrakturen oder Absprengungen am Kopf eingetreten sind, hält er 
die „bizarren Kopfformen“, sowie die häufig diagnostizierte Ante¬ 
torsion durch die meist aussenrotiertc, etwas gebeugte und abduzierte 
Stellung des Beines bei der Aufnahme für erklärt, was auch durch 
das funktionelle Resultat in seinen Fällen, sowie durch den Umstand, 
dass auf Serienaufnahmen eines und desselben Falles das Bild sich 
immer mehr dem als normalen geläufigen annähert, gestützt wird. 
Die einzigen, wirklich einwandfrei nachgewiesenen Veränderungen 
sind Abplattungen und Abschleifungen des Kopfes, ja selbst des 
Schenkelhalses (Pufferköpfe) und allgemeines Zurückbleiben der Ge¬ 
samtentwicklung der betreffenden Seite (Becken und Femur). Die als 
Spätfolgen nach der Einrenkung auftretenden Bewegungsstörungen 
und Schmerzen sind entzündlicher Natur; es handelt sich hier offen¬ 
bar um Arthritis deformans. Die Ursache dieser Arthritis ist be¬ 
gründet in Traumen bei der Reposition. 

L. Mayer; Beitrag zur Pathologie und Therapie des Haken- 
hohlfusses. 

Das Studium eines Präparates von Hakenhohlfuss ergab 
folgendes: I. Muskeluntersuchungen zeigten vollständig fettige De¬ 
generation des M. tric. surae. Schwäche der Peronäi und besonders 
gute Entwicklung der kurzen Fussmuskeln. — II. Die wesentlichen 
Hindernisse der Korrektur bilden nicht nur die Plantarfaszie und die 
kurzen Fussmuskeln, sondern auch die tiefen Gelenkbänder der Fuss- 
sohle, besonders das Lig. plantare longum. Erst nach dessen Durch¬ 
trennung ist die Korrektur möglich. III. Die Knochenuntersuchung 
zeigte, dass der Kalkaneus steiler steht als der Talus, dass die 
Hohlfussbildung auf der Innenseite des Fusses weniger ausgesprochen 
ist, als auf der Aussenseite und dass die Degeneration des Hyalin¬ 
knorpels der Gelenkfläche genau angibt, inwieweit eine Inkongruenz 
der Gelenke durch die Deformität stattgefunden hat. 

A. Stoffel: Ueber den Mechanismus der Nervenverletzungen. 

Als partielle Erklärung für den bei Extremitätenverletzungen 
häufigen Widerspruch zwischen Schwere und Ausdehnung der Weich, 
teilwunden und Schwere der Nervenläsion zieht Verf. die Mechanik 
der Nerven heran, welche er im Experiment an Affen studiert hat. 
Er fand, dass sich im entspannten Zustande die Nerven bzw. die ein¬ 
zelnen das Nervenkabel zusammensetzenden Drähte nach Art eines 
Lampions zusammenschieben und in diesem Zustande fähig sind, einer 
einwirkenden Gewalt von nicht zu hoher Geschwindigkeit (entspre¬ 
chend einer Infanteriekugel aus mehr als 800 m Entfernung) weit¬ 
gehend auszuweichen. Der Spannungszustand des Nerven hängt ab 
von der Stellung der Gelenke und dem Kontraktionszustand des 
massgebenden Muskels (z. B. Bizeps für den N. medianus, Ober¬ 
schenkelbeuger für den Ischiadikus usw.), so dass sich für jeden Nerven 
eine denkbar günstige und eine denkbar ungünstige Situation, welche 
durch die genannten Faktoren geschaffen werden, feststellen lässt. 

A. Blencke: Ueber meine bei den ersten 250 Operationen 
an peripheren Nerven gemachten Erfahrungen. 

In einer an Einzelheiten sehr reichen Arbeit präzisiert Verf. 
seine Stellung zu einer Reihe von Fragen, die für Operationen am 
peripheren Nerven von Bedeutung sind. Er wünscht als Vorbehand¬ 
lung für Nervenverletzte Vermeidung von Kontrakturen und Gelenk¬ 
versteifungen durch geeignete Behandlung während der Wundheilung, 
geht dann auf die Frage der Frühoperation ein, als deren unbedingten 
Anhänger er sich bekennt, und verbreitet sich dann über seine 
eigenen, an einem Material von 250 Fällen gemachten Erfahrungen. 
Er unterscheidet bei den Nervenverletzungen 1. solche, bei denen 
die Einbettung des Nerven in Narbengewebe der Umgebung zur 
Leitungsunterbrechung geführt hat, 2. Fälle, in denen das schädigende 
Moment in peri- oder endoneuralen Narben liegt, (erstere hervorge¬ 
rufen durch langsam im Perineurium hinkriechende, wenig virulente 

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Infektionen, letztere durch Blutungen in den Nerven selbst) und 3. die 
wirklichen Kontinuitätsverletzungen, entweder direkte oder durch an- 
spiessende Knochensplitter. In allen drei Klassen fand er häufig Fälle, 
in den der neurologische Befund in Widerspruch zu den bei der 
Operation Vorgefundenen Verhältnissen stand, und empfiehlt deshalb 
als Ultimum refugium die Probeinzision in Lokalanästhesie, während 
er für die eigentliche Operation ausschliesslich die Allgemeinnarkose 
anwendet. Es folgt dann die Beschreibung der Operationstechnik für 
die genannten drei Möglichkeiten der Nervenverletzungen. Verf. 
weist schliesslich auf die lange Zeit hin, mit der bis zum Eintritt 
eines Operationserfolgcs gerechnet werden muss (1—2 Jahre), warnt 
vor zu grossem Pessimismus und betont die Bedeutung der un¬ 
erlässlichen Nachbehandlung. 

J. Dubs: Zur Kenntnis der radio-ulnaren Synostose. 

Kasuistischer Beitrag! 

W. G e i 1 i n g e r: Beitrag zur Lehre der ankylosierenden Spon¬ 
dylitis deformans. 

Verf. berichtet 8 Krankengeschichten, die teils der B e c li - 
terewschen „Steifigkeit der Wirbelsäule mit Verkrümmung“, teils 
der Strümpell sehen „chronisch ankylosierenden Entzündung der 
Wirbelsäule und der Hüftgelenke“ und Pierre-Maries „Spon¬ 
dylose rhizomeliquc“ angehören und untersucht die Stellung der 
beiden Krankheitsbilder (Strümpell und Pierre-Marie be¬ 
schrieben dieselbe Form) zueinander. Durch den Vergleich des 
eigenen Materiales, sowie durch die kritische Würdigung der von 
Bechterew, Strümpei und Pierre-Marie veröffentlichten 
Fälle gelangt Verf. zu der Ueberzeugung, dass beiden Krankheits¬ 
bildern ein und derselbe polymprphe Prozess an der Wirbelsäule 
zugrunde liegt, als dessen wichtigste Aetiologie eine chronische, rheu¬ 
matische Entzündung anzusprechen ist. Dem Trauma kann nur för¬ 
dernde, aber keine ursächliche Bedeutung zuerkannt werden, während 
die Heredität in ca. 7 Proz. der Fälle eine Rolle spielt. Auf Grund 
des pathologisch-anatomischen Befundes (knöcherne Ankylosierung 
der Proc. artic. und der Rippenwirbelgelenke, verbunden mit mehr 
oder weniger ausgedehnter Bandverknöcherung) grenzt Vepf. das 
Krankheitsbild, welches er nach Ziegler „Spondylarthritis chro¬ 
nica ankylopoetica“ benennt, von der Spondylitis deformans ab, ob¬ 
wohl diese bisweilen ähnliche Bilder hervorrufen kann. 

F. Löffler: Ueber isolierte Kahnbeinverrenkungen des Fusses 
nebst kasuistischem Beitrag. 

Der Mechanismus der Kahnbeinverrenkung am Fusse durch in¬ 
direkte Gewalt (übertriebene Plantarflexion, im Talökruralgelenk und 
Ucberbiegung im C h o p a r t sehen Gelenk, Zerreissung der Band¬ 
verbindungen und starke Pronation des Vorderfusses, wobei das 
Kahnbein durch das Keilbein aus seinem Lager herausgehebelt wird) 
wird an einem Falle der Praxis erläutert bei dem die Einrenkung 
durch Wiederherstellung der ersten zur Luxation führenden Be¬ 
wegungsphase und direkten Druck auf das Os naviculare gelang. 

Th. P e t e r s e n: Ueber Verhütung und Behandlung des statischen 
Plattfusses durch Regelung der Funktion. 

Verf. kommt an Hand seiner Untersuchungen, besonders aber 
durch Erfahrungen am eigenen Plattfuss zu dem Schluss, dass die 
Tätigkeit nud Spannung der Muskulatur für die Erhaltung des Fuss- 
gewölbes von ausserordentlich hoher, vielleicht gar entscheidender 
Bedeutung ist, und dass das Gehen — wenn es nur richtig ausgeführt 
wird — nicht nur an der Entwicklung des Plattfusses keine Schuld 
trägt, sondern sogar ihn heilen kann. Für die Ursache des gewöhn¬ 
lichen Plattfusses hält Verf. einzig und allein falsches Stehen und 
falsches Gehen in ungeeigneten Stiefeln. Engelhard. 

Zentralblatt für Chirurgie. Nr. 32, 1918. 

Perthes- Tübingen: Beitrag zur Ersparnis baumwollenen 
Operationsmaterials. 

Um die Binden und Tupfer, die durch wiederholtes Waschen 
in Leitungswasser ihre Saugkraft verloren haben, wieder gebrauchs¬ 
fähig zu macken, werden die gewaschenen Stoffe zuerst für einige 
Stunden in kochendheisses, mit etwas Essig angesäuertes Wasser ge¬ 
legt, dann 2 mal in Regen- oder Kondenswasser ausgewaschen und 
dann in kochheissem Regen- oder Kondenswasser, dem etwas Soda 
zugesetzt ist, einige Stunden stehen gelassen; zuletzt werden sie 
nochmals in Regenwasser ausgewaschen und getrocknet. Der Ver¬ 
lust der Saugkraft beruht auf der Bildung von Kalk- und Magnesia¬ 
seifen; durch das 1. Bad werden die Erdalkalien, durch das 2. die 
Fettsäuren gelöst. (Diese Methode stammt von Dr. Krais-Dresden.) 

Leo Bornhaupt-Riga: Freie Muskeltransptantation als blut¬ 
stillendes Mittel. 

Auf Grund mehrfacher Erfahrungen empfiehlt Verf. die freie 
Muskeltransplantation als blutstillendes Mittel nicht nur bei venösen, 
sondern auch bei arteriellen Blutungen, sie kann auch im eitrig-infi- 
zierten Gebiet angewandt werden, wo die Gefässnaht wegen der 
Nachblutung zu gefährlich ist, ferner bei lebensgefährlichen Blutungen, 
allein oder als Hilfsmittel, bevor man zur Unterbindung von grösseren 
Gefässstämmen schreitet. 

Dr. med. Fr. Hercher und Röntgeningenieur Noske: Lage- 
und Tiefenbestimmung von Fremdkörpern. 

Verff. schildern an Hand von 3 Abbildungen ihre Methode der 
Lage- und Tiefenbestimmung von Fremdkörpern, welche auf dem Prin¬ 
zip der Durchleuchtung in 2 sich kreuzenden Ebenen beruht. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




27. August 1918. 


MUENGHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIET. 


977 


L. M o s z k o w i c z - Wien: Zur Behandlung der schmerzhaften 
Neurome. 

Nach den Erfahrungen des Verf.s können von Neuromen her- 
rührende Neuralgien zur Heilung gebracht werden, wenn man nach 
ausgiebiger Resektion aller Neurome die Nervenenden in einen 
künstlich hergestellten Muskelschlitz versenkt und mit einer Katgut- 
naht den Schlitz vernäht, wobei man das Nervenende mitfasst. Die 
Nervenfasern wachsen dann in das Muskelgewebe hinein und sind 
nicht mehr dem Reiz oder Druck der Prothese ausgesetzt. 

Ed. Melchior- Breslau: Zur Therapie der Luxatlo coxae cen¬ 
tralis. 

Verf. hat in einem Fall von zentraler Hüftluxation, bei dem in 
Narkose die Reposition nicht gelang, von der Gegend des Trochant. 
major aus einen Myombohrer in der Richtung zum Schenkelhals ein¬ 
gebohrt und an dessen Handgriff — also senkrecht zur Körperlängs¬ 
achse — einen Extensionszug von 10, später 20 Pfd. angebracht, und 
ausserdem noch das Bein in einen abduziert gerichteten Längsexten¬ 
sionszug gelegt. Nach kaum 2 Wochen erreichte er annähernd nor¬ 
male Verhältnisse. Vielleicht lässt sich dieses Prinzip der Längs¬ 
und Seitenextension auch bei veralteten Luxationen anwenden. Mit 
4 Abbildungen. 

Fr. Krumm- Karlsruhe: Zur Frage der Radikaloperation der 
Leistenhernie. 

Verf.s Methode kombiniert die Kanalverschlussnaht und Faszien¬ 
verdoppelung mit der suprafaszialen Verlagerung des Samenstranges, 
wodurch eine möglichst exakte Anlagerung von Muskulatur samt Apo- 
neurose an das Leistenband erzielt wird. Zur Sicherung der „schwa¬ 
chen Stelle“ legt er oberhalb des Samenstrangdurchtrittes einige 
Faszienrestnähte. Seine Methode verdient weitere Nachprüfung. 

E. Heim- zurzeit im Felde. 

Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 47 
Heft 5. 

Th. Heynemann -Hamburg: Zum Wesen und zur Behandlung 
der Eklampsie. 

Verf. sah im Felde viele Nierenkranke. Es drängte sich ihm 
die Aehnlichkeit mit dem Bilde der Eklapsie auf. Das gibt ihm Anlass 
zur Vergleichung des Bildes der Urämie mit dem der Eklampsie, 
zur Gegenüberstellung der verschiedenen Theorien über deren Ge¬ 
nese und zur Auffassung: Unter dem Einflüsse der in das mütterliche 
Blut übergehenden Plazentarbestandteile treten an mütterlichen Or¬ 
ganen, an der Leber und vor allem an den Nieren Veränderungen 
auf. Die Nierenveränderungen sind die Ursache der typischen Krank¬ 
heitsbilder der Eklampsie (Krampfanfälle und Bewusstlosigkeit), die 
darnach als eklamptische Urämie anzusehen ist. Bei atypischen 
Fällen spielt das Vorliegen oder der Uebergang in echte Urämie 
oder das Vorwiegen von Leberveränderungen eine Rolle. 

Berta Früho 1 z-Stuttgart: Die Behandlung der Gesichtslage 
mit nach hinten gerichtetem Kinn. 

Uebersichtliche Einteilung des Themas in 5 Kapitel und klare 
Darlegung der Materie, insbesondere auf Grund eines eigenen Falles. 
Auf 43 Gesichtslagen kommt durchschnittlich eine mit nach hinten 
gerichtetem Kinn. Spontangeburt ist hiebei Ausnahme. Es kommen 
Zange oder Perforation in Frage. Die Drehung des Kinnes nach 
vorne mit der Zange stellt für den erfahrenen Geburtshelfer keinen 
gefährlichen Eingriff dar. 

F. Röhmann -Breslau: Ueber den Einfluss der Ernährung auf 
die Sekretion der Milchdrüse. 

Versuche bei Kühen über den Einfluss der Nahrung auf die 
Milch ergeben, dass bei armem Futter die Milchmenge sinkt, dass sich 
aber die Zusammensetzung derselben nur wenig ändert. Umgekehrt 
lässt sich durch reichliche Fütterung die Milchmenge steigern, aber 
ihre Beschaffenheit nur in geringem Masse verbessern. Die Mästung 
der Kühe wirkt ungünstig auf die Milchbildung ein. Das ist eine 
sehr wichtige Erkenntnis, wenn man sie auf das Stillgeschäft unserer 
Mütter, besonders im Kriege, überträgt. Wieviel von dem Eiweiss 
der Nahrung in die Milch übergeht und wieviel der Mutter zugute 
kommt, hängt von dem Ernährungszustand der letzteren und der 
Meqge des Eiweisses in der Nahrung ab. Deckt die Nahrung den 
Stoffbedarf des mütterlichen Organismus, so geht bei einer gewissen 
Menge von Eiweiss das Plus vollständig in die Milch über, steigert 
man die Zufuhr von Eiweiss über das Mass des Notwendigen hinaus, 
so erfolgt in geringem Masse ein Stickstoffansatz im mütterlichen 
Organismus, von dem wir nicht sagen können, ob er für den Körper 
irgendwelchen Wert hat! Die Nahrung einer stillenden Frau muss 
also mehr Eiweiss enthalten als die einer nichtstillenden, aber um 
soviel mehr, als dem Stickstoffgehalt der Milch entspricht. Es wird 
noch das sehr interessante Experiment mit Kuheuterextrakten in bezug 
auf die Genese des Milchzuckers angeführt, das höchst merkwürdige 
neue Tatsachen ergab und weiter erwarten lässt. 

Hans W u I f- Kopenhagen: Ein Fall von Verblutungstod am 
7. Wochenbettstage durch Ruptura Uteri incompleta. 

Referat über ähnliche Fälle an der Hand eines eigenen. 

Hermann Küster- Breslau: Ueber Gallertbauch (das sogen. 
Pseudomyxoma peritonei). 1 

Ein solcher eigener Fall wird demonstriert und daran werden 
Deutungsversuche dieses noch nicht ganz klaren Krankheitsbildes 
gegeben. Das demonstriertg^Krankheitsbjld fasst K. auf als erzeugt 

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durch Ruptur eines Ovarialkystoms von einem besonderen Bau. Das 
Pseudomyxom ist keine einheitliche Krankheit, sondern nur ein 
Symptom, das bei verschiedenen Erkrankungen Vorkommen kann. 
Das zuerst erkrankte Organ kann ein hydropischer Wurmfortsatz sein, 
eine Eierstocksgeschwulst etc. Da das Bild auch zu Verwechslungen 
mit dem Pseudomuzinkystom Anlass gibt, schlägt K. die neue Be¬ 
zeichnung des Gallertbauches vor. Max Nassauer -München. 

Zentralblatt für Gynäkologie. 1918, Nr. 32. 

Fritz H e i m a n n - Breslau : Zur Frage der Zinkfllterbestrahlung. 

Erwiderung auf die Arbeit von S e i t z und W i n t z in Nr. 25 
dieses Zentralblattes. 

Heinz K ü s t n c r - Breslau: Methode zur Sicherung des Ureters 
bei der erweiterten abdominalen Exstirpation des karzinomatösen 
Uterus. 

Beschreibung eines Instrumentes, das dazu bestimmt ist, den 
Ureter aufzunehmen. Es ist eine Gefässklemme mit drehrunden 
'Branchen am Ende, die, wenn geschlossen, sich zu einem Ring 
schlieSsen. In diesem Ring ruht der Ureter. Ein Zug an der Klemme 
macht ihn in seinem Verlauf sichtbar. 

Josef Schiffmann -Wien: Die Zunahme der Prolapse als 
Kriegsschädigung der Frauen. 

Die fortgesetzte Statistik der L a t z k o sehen Klinik lässt die 
auffallende Zunahme der Prolapse erkennen, deren Grad im Einklang 
mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse steht. 
Auffallend ist die hohe Beteiligung von Prolapsen schweren Grades 
auch in jungem Alter. Ursache: schlechtere Ernährung und schwere 
körperliche Arbeit. Werner- Hamburg. 

Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 32, 1918. 

H. Kümmel 1: Nierenverletzungen, chirurgische Nierenerkran¬ 
kungen und Ihre Begutachtung bei Soldaten. (Schluss folgt.) 

C. P o s n e r: Zylinder und Zylindrolde. 

Weitere Untersuchungen der Harnsedimente mittelst der Dunkel¬ 
feldmethode haben P. zu der bestimmten Ansicht geführt, dass die 
Zylindroide, Fäden etc. Vorstufen der echten Zylinder und demgemäss 
diagnostisch zu bewerten sind. Die neuen Untersuchungen von 
Ouensel-Upsala mittelst gewisser färberischer Methoden stimmen 
damit überein. Auf diese nimmt P. näher Bezug. Verf. betont neuer¬ 
dings die Leistungsfähigkeit der Dunkelfeldmethode. 

Sobernheim und Nagel: Ueber eine Diphtherieepidemlc 
durch Nahrungsmitteliniektion. 

Die Mitteilung berichtet über 81 Di-Erkrankungen, die in einem 
Ersatztruppenteile explosionsartig auftraten. Als Ausgangsherd wurde 
die Küche festgestellt bzw. mehrere an Di kranke Küchenbeschäftigte, 
von denen eine Anzahl Bazillenträger waren. Die gewöhnlichen. Be¬ 
kämpfungsmassnahmen erwiesen sich als ausreichend zur Tilgung 
der Epidemie, die wahrscheinlich durch Infektion einer einzelnen 
Speise entstanden war. 

Th. Sachs-Frankfurt a. M.: Zur Trockenbehandlung der 
Trlcbophytia profunda mit der fettlosen Salbe Lotlonal. 

Das Lotional — Herstellung cf. Original! — wurde mit lOproz. 
Schwefelbeimischung in etwa 100 Fällen tiefer Trichophytie ange¬ 
wendet. Bei oberflächlichen Erkrankungen der Art wurde komplette 
Heilung erzielt. Bei schweren Fällen: Epilation des Bartes, dann 
energische Einreibung des Schwefellotionals, darüber meist noch 
heisse Umschläge mit 3 proz. essigsaurer Tonerde. Die Erfolge waren 
günstige. Die Wirkung ist auch eine adstringierende und juck- 
stillende. Vom Trichophytin Höchst hat Verf. in mehreren Fällen 
eine starke Allgemeinreaktion erlebt, ohne entsprechende örtliche 
Besserung. 

M i n d a c k - Frankfurt a. M. : Ueber Azetoform. 

Die Ausprobe des Präparates zeigte das Medikament nicht nur 
als vollwertigen Ersatz der off. essigsauren Tonerde, sondern als 
demselben überlegen. Grassmann -München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 32, 1918. 

P. Schmidt, M. Klostermann und K. S c h o 1 k a - Halle: 
Weitere Versuche über Ausnutzung von PUzeiweiss. 

In Anlehnung an frühere Versuche wird ein neuer mitgeteilt, bei 
dem die Pilze grob gemahlen waren. Es wurden in der Hauptperiode 
nur 75,5 Proz. ausgenutzt (früher 80 und 89 Proz.). Ob diese ver¬ 
minderte Ausnutzung auf eine Indisposition der Versuchsperson zu¬ 
rückzuführen ist oder darauf, dass die Pilze grob gemahlen waren, ist 
nicht zu entscheiden. 

E. P a y r - Leipzig: Ueber Wiederbildung von Gelenken, Ihre 
Erscheinungsformen und Ursachen; funktionelle Anpassung — Re¬ 
generationen. (Schluss.) Zu kurzem Referat nicht geeignet. 

W. Sc h o 11 z-Königsberg: Ueber die Feststellung der Heilung 
der Gonorrhöe. 

Fehlen im Urin die Zeichen einer Sekretion der unteren Harn¬ 
wege oder bestehen etwa vorhandene Tripperfäden nur aus Schleim, 
so kann man eine chronische Gonorrhöe ausschliessen. Besteht da¬ 
gegen eine pathologische Sekretion, so müssen, um die Diagnose 
stellen zu können, Gonokokken nachgewiesen werden. Die Gono¬ 
kokken findet man im mikroskopischen Präparat am häufigsten in den 
Teilen, in denen die Leukozyten ihre Färbbarkeit und ihre Gestalt 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




978 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


am besten erhalten haben. Werden keine Gonokokken gefunden, so 
geht man zu einem Provokationsverfahren über, um im Anschluss 
daran das Sekret während der nächsten 6 Tage täglich zu unter¬ 
suchen. 

Hugo Hauke- Breslau: Darm Verschluss bei Meckel schein 
Divertikel nach Appendektomie. 

Drei Fälle der Art, wie der Titel angibt. Im Anschluss daran 
wird die Forderung erhoben, dass bei Operationen wegen chro¬ 
nischer Appendizitis auch stets auf das Vorhandensein eines Meckel- 
schen Divertikels zu achten sei. 

Chr. S t i e d a : Weiterer Beitrag zur Behandlung infizierter 
Schusswunden mit hochprozentigen (tOproz.) Kochsalzlösungen. 

Das Optimum der Behandlung liegt in der Zeit zwischen dem 
2. und 3. Tage nach der Verwundung. In späterer Zeit treten die 
Erfolge nicht so schnell auf. 6—10 Tage lang kann man diese Be¬ 
handlungsart anwenden. Ev. muss dazwischen einmal trocken ver¬ 
bunden werden. 

Alfred Guttmann; Stimmstörungen im Felde. Zur Technik 
der Uebungstherapie. Angabe der Methodik. 

Emmo Schlesinger: Der diagnostische Wert des okkulten 
Blutnachweises ln den Fäzes. 

Polemik gegen Baumstark. Die Benzidinprobe gibt, wenn 
exakt ausgeführt, gute Resultate. 

G. G a s s ne r - Braunschweig: Lieber die praktische Verwend¬ 
barkeit des Metachromgelbs und metachromgelbähnlicher Stoffe für 
differentialdiagnostische und andere Nährböden. 

Nach Erörterung der theoretischen Voraussetzungen wird eine 
Zusammensetzung angegeben, die sich für Choleranährböden eignet, 
eine andere für die Untersuchung von Typhus-Ruhr. Dagegen ist 
es z. Z. unmöglich eine Metachromgelblösung anzugeben, die elektiv 
erlauben würde, nur die Gram-positiven Kokken zu züchten. Schliess¬ 
lich wird noch eine Zusammensetzung angegeben für die Herstellung 
von Kulturen für die Typhusschutzstoffe. 

Job. Volkmanri- Zwickau: Sommerzeit und Messung der 
Körperwärme. 

Es wird darauf hingewiesen, dass die Abendmessung zur Sommer¬ 
zeit oft ausserhalb der höchsten Messung liegen wird, wodurch 
Schwankungen dem Arzt entgehen können. 

J. P i ck - Charlottenburg: Der initiale Wärmeverlust bei Säug¬ 
lingen. 

Der Wärmeverlust hängt von der Oberfläche und dem Volumen 
ab. Daraus ergibt sich, dass von den Frühgeborenen mehr als 
von den Neugeborenen zugrunde gehen müssen. 

H. Hueppe -Dresden: Der bakteriologische Charakter der 
„Spanischen Krankheit'*. 

Das klinische Bild der Influenza wird von verschiedenen Bak¬ 
terien oder von verschiedenen Varietäten von Erregern gelöst. Die 
jetzige Epidemie ist eine richtige Influenza. B o n h e i m - Rostock. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 19. Juni 1918. 

Herr Disselhorst: Das Verhalten der Nervenzellen während 
der Lebensdauer und ihr Einfluss auf das Altern. 

M. H.! Im Anschluss an den von Herrn Brodmann hier un¬ 
längstgehaltenen Vortrag über die Sehsphäre des Grosshirns, der uns 
so ausserordentlich belehrende Mitteilungen brachte über die grosse 
Variabilität der Kalkarinagegend beim Menschen und uns tiefe Ein¬ 
blicke gestattete in den phyletischen Zusammenhang des Menschen- 
und des anthropoiden Affenhirnes ist es gewiss nicht ohne Interesse, 
einiges beizubringen über das Verhalten der Hirn- und Nervenzellen, 
wie es in der Entwicklung und während der gesamten Lebensdauer 
sich uns darstellt. Eine Untersuchung Korschelts über den Tod 
und das Altern hat mir Veranlassung gegeben, auch meinerseits der 
Frage näherzutreten, und ich möchte Ihnen mit Hinweis auf die ver¬ 
gleichende Anatomie in einer kurzen Darlegung mitteilen, was über 
diese Verhältnisse bisher bekanntgeworden ist *). 

Wie ich kaum zu erwähnen brauche, bauen sich die Organe der 
Metazoen und mithin auch die des Menschen und der höheren Tiere 
aus Zellen auf, somit auch das Nervensystem; man hat sie gerades- 
wegs als Zellkolonien bezeichnet. Wenn wir uns nun hier speziell 
mit dem Grosshirn beschäftigen wollen, so soll nur von dessen 
spezifischen Zellen die Rede sein, nicht vom Fasersystem. 

Nun wissen wir ja alle, dass die Zellvermehrung durch Teilung 
vor sich geht; aber eine eigentümliche Erfahrung hat uns gelehrt 
und das Erfahrene zum Gesetz erhoben, nämlich dass je mehr die 
Zellen des Metazoenkörpers sich spezialisieren, 
je feiner und differenzierter sich ihre physio¬ 
logischen Leistungen darstellen, um so mehr ihre 
Teilungsfähigkeit zurücktritt, bis sie endlich in den 
höchstkonstruierten Organen ganz erlischt. So verhält es sich, wie 
wir noch sehen werden, gerade mit den Zellen des Zentralnerven¬ 
systems. 


') Korschelt: Lebensdauer, Altern und Tod. Jena, 1917, 

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Um diesem Verhalten auf den Grund zu kommen, interessiert 
hier sogleich eine zweite Frage, nämlich die nach der Anzahl der 
ein Organ zusammensetzenden Zellen; denn nur, wenn man diese 
kennt, ist man in der Lage ihre Vermehrung durch Teilung und ihr 
übriges Verhalten zu beobachten und festzustellen. Zu solchen 
zahlenmässigen Feststellungen eignen sich naturgemäss nur sehr 
einfach gebaute und in ihrer Konstruktion übersichtliche Tiere aus 
den Familien der Nematoden, Anneliden, Rotatorien und der nieder¬ 
sten Vertebraten, namentlich aber .die Rädertiere. Bei einzelnn von 
diesen nun konnten vorzugsweise die Zellen des Muskel- und Nerven¬ 
systems im einzelnen genau gezählt, ihre Konstanz und Lagerung zu¬ 
einander genau geprüft werden und zwar sowohl bei schon ausge¬ 
bildeten als auch bei freilebenden Entwicklungsstadien. 

Bei cler Feststellung der Zeilenzahl für einzelne Organe oder für 
den Gesamtkörper jener Tiere hat sich nun ergeben, dass die 
beobachteten Zellen keinerlei Teilungen ein¬ 
geh e n, vielleicht auch nicht mehr teilungsfähig sind und somit 
auf eine bestimmte Zahl beschränkt bleiben. 

Auf Grund dieses Verhaltens wirft sich hier demnach eine andere 
Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf: Ist die Zunahme der 
Körpergrösse von der Zellenvermehrung oder vom Zell¬ 
wachstum abhängig? 

Es ist einleuchtend, dass bei Tieren von bestimmt festgelegter 
Zeilenzahl die Zunahme des Körperwachstums nur von derjenigen 
der Zellen abhängen muss, nicht also von der Vermehrung durch 
Teilung, die ja bei ihnen nicht mehr vorkommt. Sonach muss der 
Organismus bei diesen Tieren durch, das ganze Leben hindurch mit 
der gleichen Zeilenzahl auskommen und arbeiten, ein Ersatz durch 
neugcbildete ist nicht anzunehmen; bei ihnen muss daher durch Ab¬ 
nutzung ein früherer Verfall eintreten als bei Tieren mit unbe¬ 
stimmter Zeilenzahl und stärkerer Teilungsfähigkeit. Letztere nimmt 
natürlich bei allen Tieren*mit dem Altern ab. um endlich zu er¬ 
löschen. Das braucht aber nicht ein Aufhören des Lebens selbst zu 
bedeuten, denn — worauf ich schon im Eingang hingewiesen —, setzt 
eine besonders starke funktionelle Spezialisierung, wie es namentlich 
bei den Nervenzellen der Fall ist, der Teilungsfähigkeit oft früh eine 
Grenze, ohne zugleich die physiologische Leistung zu beeinträchtigen; 
gerade für das Nervensystem aber ist bei Rädertieren und Nematoden 
eine grosse Konstanz der Zellzahl nachgewiesen. 

Diesen Mangel an Teilungsfähigkeit der Zellen dürfen wir aber 
auch auf komplizierter gebaute Gehirne übertragen; bei denen der 
höheren Tiere und des Menschen namentlich erlischt die Ver¬ 
mehrungsfähigkeit der Zellen erfahrurigsmässig schon recht bald; 
sie müssen also in ihrer ungeheueren Menge schon in der Embryonal¬ 
zeit gebildet werden, so dass in der späteren Entwicklung sich nur 
noch Wachstumsvorgänge abspielen. Anscheinend kommen 
Zellteilungen nach der Geburt nur noch während einer kurzen Zeit 
vor. Je weniger nun dies der Fall, desto selbständiger kommen die 
betreffenden Tiere zur Welt und umgekehrt. 

Auch im Gehirne des Menschen geht die Neubildung von Nerven¬ 
zellen schon frühzeitig zu Ende, die Ganglienzellen bleiben von 
frühester Jugend an die gleichen. Wenn gleichwohl das Gehirn nicht 
eher der Abnützung und dem Verfall geweiht ist, als die Erfahrung 
lehrt, so hat dies darin seinen Grund, dass wahrscheinlich nicht 
sämtliche Nervenzellen von vornherein in Tätigkeit treten, son¬ 
dern erst nach und nach, wofür allerdings die schon früh vorhandene 
Beziehung der Nervenfasern zu den Ganglienzellen nicht spricht. 
Bei den niederen Wirbellosen, wie bei den obengenannten Radio- 
larien und Nematoden, deren Zentralnervensystem aus einer genau 
festgestellten, bestimmt zueinander gelagerten Anzahl von Zellen be¬ 
steht, muss jede derselben durch das ganze Leben hindurch be¬ 
stimmte Aufgaben haben. Auch für andere Organe mit genau nor¬ 
mierter Zeilenzahl gelten ganz die gleichen Bedingungen; das Er¬ 
haltenbleiben stark differenzierter Zellen mit sehr frühem Aufhören 
der Teilungsfähigkeit gilt auch für andere Gewebe, namentlich für 
das Drüsen- und Muskelgewebe, insbesondere aber für die Herz¬ 
muskulatur. 

Bei den vielfachen massgebenden Beziehungen und Einwirkungen 
nun, welche das Gehirn auf die somatischen und psychischen Funk¬ 
tionen des Körpers hat, muss man naturgemäss auf das Verhalten 
der lebenswichtigsten Gangliengruppen beim Altern grosses Gewicht 
legen. Es scheint, dass eine Ablagerung von Stoffwechselprodukten, 
von denen sich die Zellen nicht mehr freimachen können, ihre Tätig¬ 
keit allmählich herabsetzt und schliesslich lahmlegt; das kommt zum 
Ausdruck namentlich durch Einlagerungen von lipoidem Pigment, das 
im Alter überhand nimmt. Beim Menschen zwar ist es spurenweise 
schon in den ersten Lebensjahren vorhanden, vermehrt sich aber mit 
zunehmendem Alter; die Körnchen treten aus dem gleichmässig zer¬ 
streuten Zustande in Haufen zusammen und werden auch an sich 
grösser; bei Säugetieren und Vögeln wurde das Gleiche beobachtet. 
Diese Pigmentierung schreitet sehr langsam vorwärts, betrifft nicht 
zugleich sämtliche Ganglienzellen und nimmt auch nur einen Teil 
des Zellkörpers in Anspruch, so dass wahrscheinlich die freibleibenden 
Abschnitte kompensatorisch eintreten können. Daher die oft geistige 
Frische sehr alter Leute. 

Andere degenerative Vorgänge betreffen das Protoplasma und 
namentlich den Kern; es scheint geschrumpft, in seiner Struktur ver¬ 
ändert, der Kern chromatinarm, die Zelle verödet allmählich. Bei 

Original ffo-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



27. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


979 


alten Honigbienen hat man beobachtet, dass nur noch der dritte Teil 
der Qanglienzellen vorhanden ist gegenüber denen der jungen Bienen. 
Auch treten hier und bei anderen Insekten im Alter Wanderzellen 
und nekrotische Partien auf; ja bei einzelnen Copepoden wurde nach 
Korschelt gänzliche Rückbildung des Gehirns, Bauchmarkes, der 
Sinnes- und anderer Organe beobachtet. Die bekannte Metschni- 
koifsche Phagozytentheorie ist nebenbei bemerkt allerdings nicht 
ohne wohlbegründeten Widerspruch geblieben. 

Das Versagen mehr oder weniger umfangreicher Teile des 
Nervensystems kann naturgemäss nicht ohne Folgen bleiben für die 
von ihnen abhängigen Körperpartien, so dass deren Absterben all¬ 
mählich oder plötzlich herbeigeführt werden muss. Nach R i*b b e r t 
hört das Nervensystem von allen Organen zuerst zu leben auf (Hirn¬ 
tod), gehen seine Altersveränderungen denen der übrigen Organe 
voran. Bei seiner Unfähigkeit, aus sich heraus neue Elemente zu 
bilden, darf man daher in seinem mehr oder weniger frühen Ver¬ 
sagen eine der wesentlichsten Quellen des Alterns erblicken. 

Besprechung: Herr Schi eck, Herr Disselborst. 

Herr Beneke: Die Frage nach den Gründen der Ganglien¬ 
zfellgeschwülste kann ich nicht beantworten. * Ich möchte aber an den 
Herrn Vortragenden eine Gegenfrage riehen, nämlich ob er deutliche 
Differenzen in bezug auf die Regenerationsfähigkeit des Zentral¬ 
nervensystems einerseits, des Sympathikus andererseits feststellen 
konnte. Ich habe schon in meiner ersten Arbeit über Ganglio- 
neuerome, in welcher ich die Entwicklung solcher Tumoren bis zu 
schwerer Malignität darlegen konnte, die Vermutung ausgesprochen, 
dass es sich bei ihnen mindestens vorwiegend um Wucherungen des 
Sympathikus handle, dessen Regenerations- und dementsprechend 
blastombildende Wucherungsfähigkeit grösser zu sein scheint als die¬ 
jenige des Zentralnervensystems. Die oft nachweisbare Zweikernig¬ 
keit der normalen Sympathikusganglienzellen scheint mir ein Anhalts¬ 
punkt für das lebhaftere Wachstum dieser vielleicht „weniger diffe¬ 
renzierten“ Zellen zu sein. 

Herr Schmieden: Krankenvorstellung. 

Vortr. stellt eine Patientin mit totaler Oesophagoplastik vor, 
welche sich vor 3 Jahren durch Trinken von Schwefelsäure eine 
vollständige Verätzung der Speiseröhre mit nachfolgender undurch¬ 
gängiger Narbenstriktur zugezogen hatte. Als sie zur Aufnahme in 
die Klinik kam, war sie aufs äusserste abgemagert (Gewicht 53 Pfund) 
und konnte nur durch die rasch angelegte Magenfistel vom Hunger¬ 
tode gerettet werden. 

Der Vortragende hat bei ihr alsdann in typischer Weise die 
operative Herstellung eines antethorakalen Oesophagus 
ausgeführt und sie ernährt sich seitdem auf diesem Wege ohne eine 
besondere Kost zu beanspruchen. 

Der Vortragende demonstriert an Röntgenbildern die Benutzung 
dieses neuen Speiseweges, welcher durch Kontrastfüllung zur Dar¬ 
stellung gebracht ist. 

Herr Goetze: Neue bedeutende Fortschritte auf dem Gebiete 
der Röntgendiagnostik der gesamten Bauchhöhle. 

Vortr. veröffentlicht neue bedeutsame Fortschritte auf dem 
Gebiete der Röntgendiagnostik der gesamten Bauchhöhle. Er hat 
eine Methode ausgearbeitet, wie man gefahrlos die normale Bauch¬ 
höhle mit Sauerstoff füllen kann. An ca. 60 Diapositiven wurden die 
Ergebnisse vorgeführt. Es war gelungen, das Zwerchfell, die Bauch¬ 
decken, die Leber, die Gallenblase, die Milz, Peritonealerkrankungen, 
Tumoren des Darmkanals, die Nieren, den Uterus und andere Organe 
des kleinen Beckens isoliert darzustellen, und zwar in normalem wie 
krankhaftem Zustande. (Der Vortrag erscheint ausführlich in d. W.) 

Besprechung: Herr Winternitz: Auch ich habe eine 
kurze Anfrage: Es werden, wenn ich recht verstanden habe, un¬ 
gefähr 3 Liter Sauerstoff oder mehr insuffliert. Was geschieht damit? 
Wird er allmählich resorbiert und in welcher Zeit? Wir wissen ja 
aus früheren Versuchen und Beobachtungen, dass das Peritoneum 
Gase, insbesondere Sauerstoff, zu resorbieren vermag; oder wird der 
zur Füllung des freien Bauchraumes verwandte Sauerstoff, wenn er 
seinem Zw-ecke gedient hat, wieder abgelassen? 

Herr Schieck. Herr Schmieden. 


Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg. 

(Medizinische Sektion.) 

(Offizielles Protokoll) 

Festsitzung aus Anlass der Verleihung der Kuss¬ 
maulmedaille am 11. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Braus. 

Schriftführer: Herr Homburger. 

Herr R. Pf elf f er-Breslau: Ueber Cholera, und Typhus- 
schutzlmpfungen. 

Der Vortragende hat es sich zum Ziel gesetzt, einen kutzen 
Ueberblick zu geben über die verschlungenen Pfade der Bakteriologie, 
welche eine wirksame Bekämpfung der Cholera und des Typhus 
durch aktive Immunisierung ermöglichten. Nach Ansicht des Vor¬ 
tragenden. der sich hierin den ursprünglichen Annahmen Robert 
Kochs vollinhaltlich anschliesst, handelt es sich bei der Cholera 

chleimhaut der Dünndärme, 

e 


der sich hauptsächlich in den oberflächlichen Schichten, besonders im 
Epithel abspielt. Die Vergiftungserscheinungen, welche das Stadium 
algidum charakterisieren, werden durch die Resorption der Leibes¬ 
substanzen der Choleravibrionen hervorgerufen, welche im Kontakt 
mit dem lebenden Gewebe des Körpers der Auflösung verfallen (Endo¬ 
toxine). Lösliche, von den Choleraerregern sezernierte Giftstoffe 
spielen hierbei keine Rolle. Ebensowenig sind für den Cholerapro¬ 
zess die im Darmlumen vorhandenen Vibrionen und von ihnen im 
Darminhalt erzeugte Zersetzungsprozesse verantwortlich zu machen. 

Endotoxine sind fast bei allen Bakterienarten und auch bei 
anderen Mikroorganismen nachgewiesen worden. Sie wirken ln 
erster Linie auf die Zentren der Wärmeregulation, erzeugen so das 
Infektionsfieber, während grössere, der letalen Dosis sich nähernde 
oder diese überschreitende Endotoxinmengen lähmende, zum Kollaps 
führende Wirkungen erzeugen. Auch die Stoffwechselvorgänge des 
Körpers werden, wie das gleichfalls für das Infektionsfieber charak¬ 
teristisch ist, durch die Aufnahme der Endotoxine einschneidend be¬ 
einflusst. Die Auffassung Friedbergers, dass es nur e i n un¬ 
spezifisches Endotoxin gäbe, welche mit seinem hypothetischen Ana- 
phylatoxin identisch sein soll, ist unhaltbar, da die Vergiftungsbilder 
nach Einverleibung der verschiedenen Bakterienarten sehr prägnante 
Unterschiede aufweisen, und da, was ausschlaggebend ist, die spe¬ 
zifische Beschaffenheit des Endotoxin durch die spezifische Natur der 
Immunisierung, die unter ihrem Einflüsse entsteht, auf das deutlichste 
zum Ausdruck kommt. Es wird weiter ausgeführt, dass es bei diesen 
Immunstoffen sich nicht um Körper handelt, welche nach dem Schema 
der Antitoxine das Endotoxin direkt neutralisieren, sondern dass 
Schutzstoffe gebildet werden, welche fermentative Wirkungen be¬ 
sitzen und die geformte Leibessubstanz der Bakterien in Lösung über¬ 
führen. Diese spezifischen Bakteriolysine sind komplexer Natur und 
bestehen aus den Immunkörpern, welche bei der aktiven Immuni¬ 
sierung im Blute sich anhäufen und Träger der Spezifität sind, und 
einem normalen Bestandteil der Körpersäfte, dem sog. Komplement. 
R. Pfeiffer betrachtet den Immunkörper im Gegensatz zu Ehr¬ 
lich als ein Proferment, welches durch das Komplement aktiviert 
wird. Die Auflösung der Vibrionen ist nach neueren Forschungen 
von R. Pfeiffer und B e s s a u nur die erste Etappe auf dem Wege 
des allmählichen fermentativen Abbaus der toxischen Leibessubstanz 
der Choleraerreger. Im weiteren Verlauf schreitet der Prozess fort 
bis zur Entstehung von Produkten, welche nicht mehr giftig wirken, 
und welche auch ihrer spezifischen Struktur entkleidet sind und des¬ 
halb im Tierkörper auch nicht mehr spezifisch immunisatorische Vor¬ 
gänge auslösen können. Darauf beruht es, dass, wenn man Cholera¬ 
bakterien mit starken Mengen der spezifischen Immunstoffe zusammen 
injiziert, die Erzeugung der spezifischen Schutzstoffe sehr stark herab¬ 
gesetzt, ja sogar so gut wie vollständig unterdrückt werden kann 
(R. Pfeiffer und Friedberger). Ferner erklärt sich so die 
immer wieder von neuem auftauchende Behauptung, dass es ge¬ 
lungen sei, echte Antiendotoxine zu erzeugen, die tatsächlich nicht 
existieren, sondern nur durch die abbauende Funktion der Immun¬ 
körper vorgetäuscht werden. 

Man hat früher die bakteriolytischen Schutzstoffe als deshalb 
therapeutisch minderwertig bezeichnen wollen, weil sie durch Lösung 
der Leibessubstanz der Bakterien zur Endotoxinvergiftung führen; 
das ist nach diesen neuen Ergebnissen nur bedingt richtig. Die endo- 
toxische Phase ist nur eine vorübergehende Erscheinung, die wenig¬ 
stens im Prinzip vermeidbar ist. 

Auch beim Menschen entstehen während der Choleraerkrankung, 
aber auch nach Injektion lebender oder abgetöteter Choleravibrionen 
diese spezifischen bakteriziden Antikörper. Wichtig ist es, dass, wie 
K o 11 e nachwies, schon sehr kleine Dosen der abgetöteten Cholera¬ 
vibrionen genügen, um eine überraschend starke Anhäufung dieser 
Schutzstoffe zu erzeugen, eine Blutveränderung, die mehrere Monate 
anhält. Es ist anzunehmen, dass bei Menschen, deren Blut infolge 
einer solchen Vorbehandlung reiche Mengen der Bakteriolysine ent¬ 
hält, die 'in den Darmkanal aufgenommenen Choleravibrionen sofort 
bei dem ersten Versuch, sich im Dünndarmepithel einzunisten, unter 
dem Einflüsse dieser Schutzstoffe vernichtet werden. Derartige Men¬ 
schen müssten gegen Ausbruch der Cholera geschützt sein. 

Diese theoretischen Ueberlegungen werden im grossen und gan¬ 
zen durch den statistisch nachweisbaren Erfolg der Choleraimp¬ 
fungen gestützt. Die Morbidität der Geimpften ist sehr erheblich 
verringert gegenüber der Zahl der Erkrankungen der unter gleichen 
Infektionsbedingungen lebenden Ungeimpften. Allerdings kommen 
auch Cholerafälle selbst schwerer Art bei Geimpften vor. Das er¬ 
klärt sich einmal durch die zeitliche Begrenzung der Dauer des 
Impfschutzes, welche etwa ein halbes Jahr nicht übersteigt, dann 
aber durch die individuelle besondere Empfänglichkeit mancher Per¬ 
sonen, bei denen die Erzeugung der spezifischen Schutzstoffe erheb¬ 
lich geringer ist, als sonst bei dem Durchschnitt der Menschen, viel¬ 
fach auch durch die Quantität der gleichzeitig in den Darm auf- 
genorpnienen Vibrionen und deren besonders hohe Virulenz. 

Der Vortragende bespricht nun die geschichtliche Entwicklung 
der Choleraschutzimpfungen von Ferran über H a f f k i n e bis 
zu seinen eigenen Untersuchungen und denen seines Schülers K o 11 e. 
Das Wesentliche bleibt die Erkenntnis, dass die Cholera eben keine 
reine Toxikose ist sondern ein richtiger Infektionsprozess der Darm¬ 
schleimhaut; denn nur von diesem Standpunkte aus war es möglich, 

urig mal from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


um einen echten Jnfektipi 

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onsprozess der S 

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980 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


die Wirksamkeit von Impfungen vorauszusehen, die nur antiinfektiöse, 
aber keine antitoxischen Schutzstoffe mobilisieren. 

Der Vortragende wendet sich nun zu dem Gebiet der Typhus- 
schutzimpfungen. bespricht die Art des Eindringens der Typhus¬ 
erreger in den Organismus, ihre besonders stark ausgesprochenen 
endotoxischen Eigenschaften, die vor allem dann hervortreten, wenn 
die Typhusbakterien direkt in die Blutbahn gelangen. 

Auch bei der Immunität, die sich im Laufe des Typhus ausbildet, 
entstehen keine Antiendotoxine, sondern ganz ähnlich wie bei der 
Cholera, spezifische Typholysine. Die gleichen spezifischen Blut¬ 
veränderungen lassen sich bei Tier und Mensch durch Einverleibung 
abgetöteter Typhusbakterien erzeugen. Damit war die Auffassung 
nahegelegt, dass es möglich sein müsse, auf diesem Wege auch einen 
Schutz gegen die natürliche Typhusinfektion künstlich hervorzurufen 
in ähnlicher Weise, wie ein solcher durch das Ueberstehen des Typhus 
zustande kommt. 

Vortr. betont, dass die Giftwirkung der abgetöteten Typhusbak¬ 
terien in den in praxi verwendeten Quantitäten kein Hindernis für die 
allgemeine Einführung der Typhusimpfungen gewesen ist. In der 
Regel sind die Reaktionen von kurzer Dauer und geringer Intensität. 
Schwerere Reaktionen sind selten, und unter all den Millionen von Ge¬ 
impften ist auch nicht ein einziger Todesfall, welcher den Impfungen 
zur Last gelegt werden könnte, beobachtet worden. Auch die 
Schützengrabennephritis hat nichts damit zu tun. Die negative Phase 
Wrights existiert nicht, wie dies durch Tierversuche schon längst 
von Pfeiffer und Friedberger bewiesen war, was dann die 
Erfahrungen dieses Krieges nur zu bestätigen vermochten. 

Es werden nun die Gesichtspunkte besprochen, welche für die 
Auswahl der zur Herstellung der Impfstoffe benutzten Typhusstämme 
massgebend sind. Als besonders wichtig bezeichnet der Vortragende 
die Feststellung der immunisatorischen Wirkung der in Betracht 
kommenden Kulturen im Tierversuch und die Benutzung der Dosis 
immunisatoria minima. Bei der Vielgestaltigkeit des Rezeptoren¬ 
apparates der Typhusbakterien sind Mischungen verschiedener 
Stämme anzuwenden. 

Zum Schluss werden die Angaben über die Erfolge der Typhus¬ 
schutzimpfungen gemacht. Es wird an der Hand graphischer Dar¬ 
stellungen gezeigt, dass nur im Beginn des Krieges Typhusepidemien 
bedrohlicher Art entstanden sind, dass aber nach allgemeiner Durch¬ 
führung der Schutzimpfungen der Typhus so gut wie ganz aufgehört 
hat, eine Gefahr für unsere Heere darzustellen», und dass auch die 
spätsommerlichen Exazerbationen nur andeutungsweise aufgetreten 
sind. Das kann nicht, wie Friedberger annimmt, auf unsere 
sonstigen hygienischen Massnahmen, Sauberkeit, Desinfektion, Ab¬ 
sonderung der Kranken und Bazillenträger, bezogen werden, wie 
Paratyphus und vor allem Ruhr beweisen, welche trotz aller An¬ 
strengungen der Hygieniker jahraus jahrein in unveränderter, ja 
sogar noch wachsender Verbreitung epidemisch Vorkommen, sondern 
muss als Erfolg der Typhusschutzimpfungen betrachtet werden. 

Herr Albers-Schönberg- Hamburg: Die wissenschaftlich 
sichergestellten Indikationen der Röntgentiefentherapie. 

Der Vortragende gibt eine kurze Uebersicht über den augen¬ 
blicklichen Stand der wissenschaftlich sichergestellten Indikationen 
in der Röntgentiefentherapie. Es (kommt ihm nicht darauf an zu 
zeigen, welche Erkrankungen man mit wissenschaftlicher Berechtigung 
bestrahlen kann, sondern welche Erkrankungen man im Interesse 
der Kranken bestrahlen muss. 

Die Röntgentherapie kann ein selbständiges oder ein er¬ 
gänzendes Heilverfahren sein. Selbständig ist sie dann, 
wenn eine Krankheitsform so radiosensibel ist, dass sie allein durch 
Strahlenanwendung restlos geheilt oder wesentlich gebessert werden 
kann. Als Prototyp hierfür gelten die klimakterischen Metrorrhagien. 
Ergänzend ist das Röntgenverfahren, wenn es durch Bildung ge¬ 
sunden Gewebes oder durch Zerstörung des erkrankten zur Stärkung 
des Körpers beiträgt und damit entweder auf dem Wege der Hyper¬ 
ämie oder durch Einleitung von Resorption und Schrumpfung anderen 
Heilmethoden den Boden bereitet. Als Prototyp hierfür dient die 
Tuberkulose der Knochen und Gelenke, bei. der beim Zusammenwirken 
von chirurgisch-orthopädischer Behandlung und Röntgenbestrahlung 
gute Heilerfolge zu erreichen sind. Gleichzeitigselbständig 
und ergänzend kann die Röntgentherapie sein, wenn es sich um 
rein symptomatische Behandlungen handelt, z. B. zur Verminderung 
der Jauchung inoperabler Tumoren, zur Beseitigung von Karzinom¬ 
schmerzen, schweren Neuralgien und anderem mehr. Unter Berück¬ 
sichtigung dieser prinzipiellen Einteilung der Röntgentherapie werden 
die bestrahlungsberechtigten Krankheiten vom Gesichtspunkte ihrer 
Radiosensibilität aus in drei Gruppen eingeteilt und näher besprochen. 

Die erste Gruppe umfasst die Krankheiten, bei weichen eine 
dauerhafte, objektiv feststellbare Heilung zu erzielen ist (klimak¬ 
terischen Metrorrhagien, Myome, tuberkulöse Halslymphome, Tuber¬ 
kulose der Knochen, Gelenke und Sehnenscheiden). 

In die zweite Gruppe sind die Krankheiten eingereiht, die eine 
objektiv nachweisbare Besserung bzw. ein zeitweiliges völli¬ 
ges Verschwinden ihrer Symptome zeigen (Leukämie und Pseudo¬ 
leukämie, Mediastinaltumoren, Hodgkin und Basedow). 

Der dritten Gruppe sind die Krankheiten zugeteilt, die eine sub¬ 
jektive Besserung der Symptome von mehr oder weniger langer 
Dauer aufweisen (Karzinomschmerzen, sowie Schmerzen aller Art, 

Difitized by Goosle 


z. B. bei Frakturen, Pleuraschmerzen, Ischias, Trigeminusneuralgien 
und anderes mehr). 

Der Vortragende bespricht sodann die malignen Tumoren, zu¬ 
nächst das Karzinom. Er steht persönlich der Heilung des Karzinoms, 
mit Ausnahme des Hautkarzinoms, skeptisch gegenüber, gibt aber zu, 
dass im Prinzip das Karzinom durch die Röntgenstrahlen heilbar 
ist. Das beweist schlagend die Heilung des Hautkarzinoms. Die 
degenerative Wirkung der Röntgenstrahlen auf die Karzinomzellen 
ist sichergestellt. Die Strahlung greift vor allem die Kernsubstanz 
des Krebsparenchyms an, wobei es zu sekundärer Bindegewebs¬ 
bildung kommt. Auf diesen Tatsachen hissend, wird man viel¬ 
leicht dahin kommen, durch weitere Vertiefung der Kenntnis von 
der biologischen Wirkung der Strahlen und durch dauernde Ver¬ 
besserung der Technik allmählich die Röntgentherapie zur selb¬ 
ständigen Bekämpfung des Krebses heranzubilden. Schon jetzt nimmt 
sie eine die Chirurgie ergänzende Stellung ein und ist besonders 
vom Standpunkt der Prophylaxe ein unentbehrliches Hilfsmittel ge¬ 
worden. Die Mehrzahl der Röntgentherapeuten erkennt gegenwärtig 
folgenden Grundsatz für die Behandlung der Karzinome an: 

Operable Karzinome sind zu operieren und dann prophylaktisch 
zu bestrahlen. 

Inoperable Karzinome sollen zum Zwecke der Schmerzlinderung 
stets bestrahlt werden. 

Hierbei hat man sich indessen zu vergegenwärtigen, dass be¬ 
ginnende, noch lokalisierte Karzinome, die gut operabel sind, auch 
gleichzeitig die günstigsten Objekte für die Bestrahlung bilden. Wie 
weit man von dieser Ueberlegung in der Praxis Gebrauch machen 
will, ist dem Ermessen des Einzelnen überlassen. 

Das operierte Mammakarzinom muss prophylaktisch 
postoperativ bestrahlt werden. Ob diese postoperative Bestrahlung 
die Rezidive wenigstens in einer nennenswerten Zahl verhindern 
kann, ist erst nach Jahren zu entscheiden. Nach seiner subjektiven 
Empfindung glaubt der Vortragende, dass in der Tat eine gewisse 
Sicherung gegen Rezidive durch die prophylaktische Bestrahlung ge¬ 
geben wird. Da sie auf keinen Fall einen Schaden stiften kann 
und die Patientinnen durch sie wenig belästigt werden* so muss 
man die Vornahme dieser Bestrahlungen als dringend erforderlich 
betrachten. 

Bei der Behandlung des inoperablen Mammakarzi¬ 
noms ist die Röntgentherapie eine ergänzende Methode, an¬ 
gewandt zur Schmerzlinderung, zur Verminderung von Jauchung 
und Sekretion und besonders geeignet bei Applikation auf die offene 
Wunde nach chirurgischer Entfernung der Tumormassen. 

Trotz der Versuche, durch immer weiter gesteigerte Penetrations¬ 
kraft (Härte) der Strahlen dem tiefliegenden Karzinom innerer Organe 
therapeutisch beizukommen, sind die Erfolge im Verhältnis zur Zahl 
der bestrahlten Fälle minimal geblieben. 

Die Begründung dieser Ansicht liegt in der Tatsache, dass die 
Radiosensibilität der Karzinome geringer ist als die der gleichzeitig 
mit bestrahlten gesunden Organe, z. B. der Darmdrüsen. Ist die 
Strahlenempfindlichkeit günstig, so hat man die Berechtigung, Ver¬ 
suche mit Strahlen aller Härten zu machen, ohne sich aber der 
Illusion hinzugeben, dass mit fortschreitender Steigerung der Härte 
auch die Erfolgaussichten wesentlich steigen werden. Besprechung 
des bekannten Falles von Franz (B.kl.W. 1917 Nr. 27). In allen 
Fällen, wo es sich um operierte tiefliegende Karzinome handelt, muss 
die prophylaktische Nachbehandlung vorgenommen werden^ 

Wesentlich günstiger verhalten sich die Sarkome. Von der 
Mehrzahl der Beobachter anerkannt gilt der Grundsatz, dass operable 
Sarkome zu operieren und prophylaktisch nachzubestrahlen sind. Bei 
schlechten Operationsaussichten ist ein Vorversuch mit Bestrahlung 
unter genauer Berücksichtigung, besonders auch des histologischen 
Baues der Sarkome, zulässig. Auch ist zu bedenken, dass die Opera¬ 
bilität durch die Bestrahlung unter Umständen verbessert werden 
kann. Inoperable Sarkome sind wie alle anderen inoperablen Tu¬ 
moren zu bestrahlen. Die Röntgentherapie arbeitet also entweder 
als ergänzende Methode mit der Chirurgie Hand in Hand, oder sie 
tritt als selbständige Therapie auf. Ausschlaggebend für den Erfolg 
ist die ausserordentlich verschiedenartige Radiosensibilität der Sar¬ 
kome. In geeigneten Fällen erzielt man glänzende, geradezu erstaun¬ 
liche Erfolge, während andere Formen sich völlig refraktär ver¬ 
halten. Bei radiosensiblen Sarkomen kommt es im Gegensatz zum 
Karzinom nicht auf die Lage oder die Ausdehnung des Tumors, d. h. 
ob dieser oberflächlich oder tief gelegen ist, an. Auch die tief¬ 
liegenden Geschwülste, z. B. im Abdomen, verschwinden oft prompt. 

Als therapeutisches Endergebnis kann bisweilen dauernde völlige 
Heilung erreicht werden. Vortragender behandelte vor 14 Jahren 
(1904) einen Herrn an einem kleinzelligen, in massigen Tumoren auf¬ 
tretenden Kopfhautsarkom. Ber Patient wurde nach Beseitigung 
eines 1905 auftretenden unbedeutenden Rezidivs vollkommen geheilt 
und ist jetzt 13 Jahre lang gesund. Vorgestellt auf dem Röntgen¬ 
kongress in Berlin 1905 (cf. Verhandlungen der D. Röntgenges.) 

In den meisten Fällen wird man es nur bis zur Schrumpfung 
der Tumoren bringen und spätere Metastasenbildung wohl stets 
erleben. Auch in schwach reagierenden Fällen sieht man sympto¬ 
matische Erfolge. 

Als Endresultat des Vorgetragenen ergibt sich, dass unter Aus¬ 
schluss aller noch im Stadium der Versuche befindlichen röntgen- 

Original from 

UNIVER5ITY OF CALIFORNIA 



?7. August 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


981 


therapeutischen Massnahmen bewährte, feste Indikationen für die 
Tiefenbestrahlung aufgestellt werden können. In einer grossen An¬ 
zahl von Krankheiten ist die Röntgentherapie teils selbständig, teils 
ergänzend, ein nicht mehr entbehrliches Hilfsmittel geworden und 
selbst in aussichtslosen Fällen kann doch wenigstens eine Linderung 
der Leiden erzielt werden. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 26. August 1918. 

— Kriegschronik. Von Ypern bis Reims hat sich die 
Kampffront ausgedehnt. Wütende Angriffe, die auf den Durchbruch 
unserer Linien zielen, wurden unter schwersten Verlusten des 
Feindes abgeschlagen, so zuletzt ein Angriff der Engländer gegen 
Bapaume, der trotz des Einsatzes stärkster Kräfte und zahlreicher 
Panzerwagen siegreich abgewehrt wurde. — Das Ergebnis des 
U-Boot-Krieges im Monat Juli betrug 550 000 Br.-R.-T.. womit der 
unseren Feinden zur Verfügung stehende Handelsschiffraum seit 
Kriegsbeginn um rund 18 800 000 Br.-R.-T., davon der englische allein 
um 11600 000 Br.-R.-T. verringert wurde. Gegenüber dem Juni¬ 
resultat ist eine Besserung um 30 000 Br.-R.-T. eingetreten, was be¬ 
weist, dass die englischen Hoffnungen auf eine baldige Ueber- 
w'indung der U-Bootsgefahr trügerisch sind. — In Albanien schreitet 
ein österreichischer Angriff auf die italienische Front erfolgreich 
vorwärts, auf dem italienischen Kriegsschauplatz herrscht Ruhe. 

— Nach einem Erlass des bayer. Kriegsministeriums vom 
16. August 1918 wird die Bestimmung, dass die der Ersatzreserve 
angehörenden Aerzte, nur wenn sie felddienstfähig sind, zu den Sani¬ 
tätsoffizieren der Reserve oder der Landwehr übergeführt werden 
können, aufgehoben. An die neu in den Heeresdienst tretenden Aerzte 
der Ersatzreserve finden Verleihungen von Dienstgraden auf Kriegs¬ 
dauer nicht mehr statt. Sie können — ohne Rücksicht auf den Grad 
ihrer Kriegsbrauchbarkeit — nach Erlangung des Dienstzeugnisses 
zu Unterärzten und nach 4 wöchiger weiterer Dienstzeit zu Assistenz¬ 
ärzten des Beurlaubtenstandes vorgeschlagen werden. Feldunter¬ 
ärzte und! Feldhilfsärzte der Ersatzreserve besitzen nach den be¬ 
stehenden Bestimmungen bereits das Dienstzeugnis oder die dafür 
geltende Erklärung der Truppe über die Eignung zum Sanitätsoffizier. 
Erlangen sie die Approbation als Arzt, so sind sie künftig — ohne 
Rücksicht auf den Grad ihrer Kriegsbrauchbarkeit — wie die appro¬ 
bierten Feldunterärzte und Feldhilfsärzte der Reserve oder Land¬ 
wehr zu behandeln. Die Assistenzärzte und Oberärzte auf Kriegs¬ 
dauer (Aerzte der Ersatzreserve, des Landsturms und nicht mehr 
wehrpflichtige Aerzte, denen bisher Dienstgrade als Assistenz- oder 
Oberärzte auf Kriegsdauer verliehen wurden), die im Besitze des 
Dienstzeugnisses oder der diesem entsprechenden Erklärung der 
Truppe über die Eignung zum Sanitätsoffizier sind, können — ohne 
Rücksicht auf den Grad ihrer Kriegsbrauchbarkeit — zur Ueber- 
iührung zu den Sanitätsoffizieren des Beurlaubtenstandes vorgeschla¬ 
gen werden. Bei diesen Aerzten wird die Uebernahme zu den 
Sanitätsoffizieren des Beurlaubtenstandes mit dem ihnen bisher auf 
Kriegsdauer verliehenen Dienstgrade beantragt werden. Für die dem 
Landsturm angehörenden über 35 Jahre alten, mit Stabsarztstellen 
beliehenen Oberärzte auf Kriegsdauer würden im Falle der Ueber- 
führung zu den Sanitätsoffizieren des Beurlaubtenstandes die Ge¬ 
bührenbestimmungen für aktive Oberärzte und für Oberärzte des Be¬ 
urlaubtenstandes Geltung bekommen. 

— Das Bayerische Kriegsministerium beabsichtigt für das kom¬ 
mende Wintersemester eine grössere Anzahl von im Heeressanitäts¬ 
dienste stehenden Medizinstudierenden des bayer. Kontingents, die 
seit langem im Felde tätig sind und die Vorbedingungen für die Er¬ 
nennung zum Feldunterarzte noch nicht erfüllen konnten, auf ihren 
Wunsch für bemessene Zeit im Besatzungsheere in Universitäts¬ 
städten zu verwenden. In Betracht kommen zunächst die seit späte- 
sens 1. Januar 1916 ununterbrochen im Feldheere verwendeten bayer. 
Medizinstudierenden (Sanitätsunteroffiziere und Sanitätsvizefeld¬ 
webel). 

— 'Der Aerzteausschuss von Gross-Berlin richtet wiederholt an 
die Berliner Kollegen die Aufforderung, durch Auslegung von Druck¬ 
sachen in den Wartezimmern an der Stärkung des Siegeswillens 
mitzuarbeiten. Den Kollegen, die dieser Bitte nachkommen wollen, wer¬ 
den die Drucksachen unentgeltlich zugesendet werden. Nur solche 
Drucksachen kommen in Betracht, die sich freihalten von politischen 
Parteifragen sowie von .Kriegszielfragen. Nur die Stärkung des 
Siegeswillens soll dabei massgebend sein. — Diese Bestrebungen des 
Grossberliner Aerzteauschusses verdienen Anerkennung und allseitige 
Nachahmung. Die Stimmung der Bevölkerung unterliegt suggestiven 
Einflüssen im günstigen und ungünstigen Sinne leicht. Kein Stand 
ist mehr befähigt und in der Lage auf sie einzuwirken, als der 
ärztliche. Und mehr wie je ist jetzt die Aufrechterhaltung des Willens 
zum Sieg nötig. Darum sollten überall die ärztlichen Vereine ihre 
Mitglieder zur Mitarbeit an dieser nationalen Aufgabe anregen. 
Schriftführer des Aerzteausschusses von Gross-Berlin ist Dr. Albert 
Moll, Berlin W. 15, Kurfürstendamm 45. 

— Der Doktortitel für Zahnärzte. Auf der in den 
letzten Tagen nach Eisenach einberufenen ausserordentlichen Tagung 
wurde von den Gesamtvertretern der wissenschaftlichen, wirtschaft- 

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liehen, und standespolitischen Interessen der Deutschen Zahnärzte¬ 
schaft zum Ausdruck gebracht, dass im Interesse der Volksgesundheit 
die Heranziehung eines genügend zahlreichen, wissenschaftlich und 
praktisch ausgebildcten zahnärztlichen Nachwuchses durchaus not¬ 
wendig, hierfür aber die Schaffung des Doktortitels und zwar nur im 
eigenen Fache unerlässlich ist. 

— Der ärztliche Bezirksverein Dresden-AItstadt-Land hat in 
seiner Sitzung am 28. Mai d. J. nach einem Referat des Bezirksarztes 
Dr. T h i e r s c h in Dresden über das vom Landtag angenommene 
Wohlfahrtsgesetz für das Königreich und nach eingehender Aus¬ 
sprache darüber in bezug auf die Mitwirkung der Heb¬ 
ammen auf dem Gebiete der Säuglings -und Mutter¬ 
pflege einstimmig folgende Entschliessung angenommen: „Der 
Bezirksverein hält die Hebammen nach entsprechender Vorbildung für 
die eigentlichen Träger der Säuglings- und Mutterpflege und er¬ 
wartet, dass diese bei Ausführung des Gesetzes über Wohlfahrtspflege 
in erster Linie berücksichtigt werden.“ 

— Die Deutsche Gesellschaft für angewandte 
Entomologie, die vor allem die Durchführung einer zweckdien¬ 
lichen staatlichen Organisation zur wissenschaftlichen Untersuchung 
und Bekämpfung der wirtschaftlich schädlichen und krankheits¬ 
übertragenden Insekten, sowie die Förderung der Zucht- und Nutz¬ 
insekten anstrebt, wird heuer zum erstenmal während des Krieges 
eine Versammlung abhalten. Sie findet vom 24. bis 26. September 
in München (Amalienstr. 52, Forstliche Versuchsanstalt) statt. Es 
werden dort die gegenwärtig wichtigsten Fragen der praktischen 
Insektenkunde, die namentlich im Krieg zu besonderer Bedeutung 
gelangt ist, in einer Reihe von Vorträgen behandelt werden. Einen 
breiten Raum nehmen unter anderen die Ausführungen über das 
erst seit einem Jahr in Deutschland angewandte und zu einer um¬ 
fassenden Organisation ausgebaute Blausäureverfahren ein, das im 
Kampf gegen die verschiedenen Haus- und- Magazininsekten, nament¬ 
lich gegen die Mühlenschädlinge, Wanzen und Läuse, durchschlagende 
Erfolge gezeitigt hat. Weiterhin sind Vorträge über den Gebrauch 
von Arsenmitteln im Pflanzenschutz, über Bekämpfung von Schnaken 
und Fliegen, über Fragen züchterischer Natur sowie über „Ange¬ 
wandte Entomologie und Schule“ angemeldet. Endlich wird Prof. 
Dr. K. Es eher ich-München über das iu München neu zu 
gründende Forschungsinstitut für praktische Insektenkunde und über 
andere organisatorische Ziele sprechen. Das Programm der Tagung 
ist von dem Schriftführer der Gesellschaft, Dr. F. S t e 11 w a a g in 
Neustadt a. d. Hdt. (Rheinpfalz), zu erfahren. 

— Die ärztlichen Abteilungen der waffenbrüderlichen Ver¬ 
einigungen von Deutschland, Oesterreich, der Türkei und von Ungarn 
werden in Pest vom 21.—22. September 1918 eine gemeinsame 
wissenschaftliche Tagung abhalten, in welcher die ärztliche Aus¬ 
bildung und Fortbildung, ferner die Bekämpfung der 
Malaria einer Besprechung unterzogen werden. Im Anschluss an 
die Tagung am 23. September vm. wird das K. ung. Landes-Kriegs- 
fürsorgeamt eine Besprechung über die Organisation der 
Kriegsbeschädigtenfürsorge in Ungarn veranstalten. 
Am 23. September nm. wird die I. Deutsch-Oesterreich- 
Ungarische Tagung für Rassenhygiene und Be¬ 
völkerungspolitik stattfinden, veranstaltet von der Ungari¬ 
schen Gesellschaft für Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik. 

— Die 39. Versammlung des Deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege findet zu Köln am 5., 6. 
und 7. September 1918 statt. Tagesordnung: I. Neue Ziele und Wege 
der öffentlichen Gesundheitspflege. Referenten: Geh. Medizinalrat 
Dr. Kruse- Leipzig, Prof. Dr. K r a u t w i g - Köln, Beigeordneter. 
Prof. Dr. Pröbsting-Köln. II. Die Wohnungsfrage nach dem 
Kriege. Referenten: Dr. Kuczinsky, Direktor des statistischen 
Amtes Schöneberg. Stadtbaurat Dr. Schmidt- Essen, Beigeord¬ 
neter. 

— Der Oberarzt der städtischen Nervenheilanstalten Frank¬ 
furt a. M. im Köppemer Tal, Dr. Max Meyer, wurde zum Direktor 
dieser Anstalten ernannt. 

— Im Verlag Natur und Kultur Dr. Frz. Jos. Völler in Mün¬ 
chen erschien: Unsere wichtigeren wildwachsenden Heil-, Gewürz- 
und Teepflanzen. Beschreibung, Biologie,' Sammeln und Anwendung 
von Dr. Hermann Ross, K. Konservator am Botanischen Museum, 
Vorsitzender der Abteilung „Nutzung der Wildpflanzen“ der Privaten 
Kriegshilfe in München. Mit 10 Tafeln und 41 Abbildungen im Texte 
von Prof. Dr. G. D u n z i n g e r, Assistent am Botanischen Institut der 
K. Techn. Hochschule in München. 128 S. Preis 2.75 M. 

— Cholera. Schweden. In der Woche vom 28. Juli bis 
3. August ist in Stockholm eine tödlich verlaufene Erkrankung unter 
den Reisenden eines aus Russland eingetroffenen schwedischen 
Dampfschiffes festgestellt worden. — Ukraine. Zwischen 6. und 
21. Juli wurden mehrere choleraverdächtige Fälle gemeldet. Zu 
einer epidemischen Ausbreitung der Krankheit ist es bisher nirgends 
gekommen. Laut Mitteilung vom 27. Juli hat die ukrainische Re¬ 
gierung die Sperrung des Eisenbahnverkehrs mit Grossrussland ver¬ 
fügt, so dass an der Grenze in einer Breite von 50 km jeder Eisen¬ 
bahnverkehr unterbleibt. 

— Fleck lieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 
28. Juli bis 3. August 6 Erkrankungen und 1 Todesfall in Christinen¬ 
hof (Kreis Danziger Höhe, Reg.-Bez. Danzig). — Kaiserlich Deutsches 

Original frem 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



982 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 35. 


Generalgouvernement Warschau. In der Woche vom 14. bis 20. Juli 
wurden 394 Erkrankungen (und 34 Todesfälle) angezeigt. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 28. Juli bis 3. August 
sind 1329 Erkrankungen (und 101 Todesfälle) gemeldet worden. 

— In der 31. Jahreswoche, vom 28. Juli bis 3. August 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Münster i.Westf. mit 49,4, die geringste Rüstringen mit 3,8 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. (Vöff. d. Kais. Ges.A.) 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Die medizinische Fakultät stellt für das nächste Jahr 
fplgende Preisaufgaben: Für den Königl. Preis: „Inwieweit gestattet 
die kutane Reaktion mit Tuberkulin und den Partialantigenen einen 
Rückschluss auf den Status und die Prognose einer Tuberkulose?“ 
Für den Städt. Preis: „Anatomische Verfolgung der Muskelver- 
grösserung durch Muskelarbeit.“ 

Bonn. Geh. Obermedizinalrat Prof. Dr. Friedrich S c h u 11 z e 
ist anlässlich seines 70. Geburtstages zum Ehrenmitglied der Kölner 
Akademie für praktische Medizin, sowie des Aerztevereins im Re¬ 
gierungsbezirk Köln ernannt worden. Die Deutsche Gesellschaft für 
Nervenheilkunde ernannte ihn zu ihrem Ehrenvorsitzenden, (hk.) 

G ö 11 i n g e n. Prof. Reifferscheid in Bonn hat den Ruf 
als Nachfolger Jungs angenommen. 

Marburg. Geh. Rat Prof. Dr. Fritz König, Direktor der 
chirurgischen Klinik in Marburg, hat den an ihn ergangenen Ruf nach 
Würzburg als Nachfolger von Prof. E n d e r 1 e n zum 1. Oktober d. J. 
angenommen, (hk.) 

Zürich. Als Nachfolger Sauerbruchs war von der med. 
Fakultät neben C1 a i r m o n t, der vom Regierungsrat gewählt 
wurde, Dr. Brun in Luzern vorgeschlagen. 

Todesfälle. 

Am 22. August starb in München an einer ungemein rasch ver¬ 
laufenden Sepsis der Leiter der topographisch-anatomischen Ab¬ 
teilung der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie Professor 
Dr. Korbinian Brodmann. Nachruf folgt. 

In Breslau entschlief der langjährige Privatdozent für innere 
Medizin an der dortigen Universität Geh. Sanitätsrat Prof. Dr. Kon- 
rad Alexander im 63. Lebensjahr, (hk.) 


Amtliches. 

(Preussen.) 

Aenderung der Preusslschen Gebührenordnung während Kriegszeit. 

Im „Reichsanzeiger“ vom 12. August Nr. 189 wird folgende 
Bekanntmachung, betreffend die für Kriegszeit 
bestimmmte Abändlerung der Gebührenordnung 
für approbierte Aerzte und Zahnärzte vom 15. Mai 
1896 veröffentlicht: 

Auf Grund des § 80 der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich 
(Reichs-Gesetzbl. 1900 S. 871 ff.) bestimme ich hierdurch: 

I. 


Die Gebührenordnung für approbierte Aerzte und Zahnärzte vom 
15. Mai 1896 (in der Fassung vom 13. Mai 1906 und vom 23. Mai 1914) 
wird abgeändert wie folgt: 

Die nachstehenden Ziffern des Abschnittes „II. Gebühren für 
approbierte Aerzte“, erhalten folgenden Wortlaut: 

A. Allgemeine Verrichtungen. 

1. der erste Besuch des Arztes bei dem Kranken 3.— bis 20.— M. 

2. jeder folgende Besuch im Verlaufe derselben 

Krankheit . .1.50 „ 10.— „ 

3. die erste Beratung eines Kranken in der 

Wohnung des Arztes.1.50 „ 10.— „ 

4. jede folgende Beratung in derselben Krank¬ 
heit .1.— „ 5.— „ 

5. Die Gebühr für den Besuch bzw. die Beratung schliesst die 
Untersuchung des Kranken und die Verordnung mit ein. 

Findet jedoch eine besonders eingehende Untersuchung unter 
Anwendung des Augen-, Kehlkopf-, Ohren-, Scheidenspiegels 
oder des Mikroskops statt, so können hierfür 3.— bis 7.50 be¬ 
sonders berechnet werden. 

5 a) Beratung eines Kranken durch den Fernsprecher: 

bei Tage.1.50 bis 5.— M. 

bei Nacht.3.— „ 10.— „ 

Findet die Beratung von einer öffentlichen Fernsprechstelle 
aus statt, so steht dem Arzt neben der Gebühr für die Beratung 
eine Entschädigung für Zeitversäumnis zu, und zwar für jede 
angefangene halbe Stunde in Höhe von 2— bis 4.50 M. 

7. Muss der Arzt nach der Beschaffenheit des Falles oder auf Ver¬ 
langen des Kranken oder seiner Angehörigen länger als eine 
halbe Stunde verweilen, so stehen ihm für jede weitere ange¬ 
fangene Stunde 2 bis 4 M. zu. Diese Gebühr fällt fort, wenn 
bei dem Besuch eine Entschädigung für die durch denselben ver- 
anlasste Zeitversäumnis berechnet wird. 

17. In den Fällen zu Nr. 10, 11, 12, 13, 14, 15 dagegen kann auch 
innerhalb des Wohnortes des Arztes, wenn die Wohnung des 
Kranken nicht unter zwei Kilometer von der des Arztes ent¬ 


fernt ist, neben der Gebühr für den Besuch eine Entschädigung 
für Fuhrkosten sowie für Zeitversäumnis, und zwar für jede 
angefangene halbe Stunde in Höhe von 2.— M. bis 4.— M. 
berechnet werden. 

20. Ausserdem hat der Arzt in den Fällen der Nr. 18 Anspruch auf 
Entschädigung für die durch die Zurücklegung des Weges be¬ 
dingte Zeitversäumnis, und zwar bei Tage 2.— bis 4.50 M. und 
bei Nacht 4.— bis 9.— M. für jede angefangene halbe Stunde 
der für die Fahrt erforderlichen Zelt. 

24. a) Eine kurze Bescheinigung über Gesundheit 

oder Krankheit eines Menschen . . . 2.50 bis 6.— M. 


b) ein ausführlicher Krankheitsbericht . . 4.— , 

c) ein begründetes Gutachten .... 12.— „ 

25. Ein im Interesse der Heilung des Kranken zu schrei¬ 
bender Brief. 

37. Einspritzungen von Heilmitteln (ausser dem Betrage 
für diese): 

a) Einspritzungen unter die Haut .... 

b) Einspritzungen in die Harnröhre oder den Mast 

darm. 

c) Serumeinspritzungen. 

d) Einspritzungen in die Muskeln .... 

e) Einspritzungen unmittelbar in eine Blutader . 


15.— .. 
50.— 

3—10 M. 


2—10 „ 

3—15 „ 
3—20 „ 
5—10 „ 
10—40 „ 


B. Besondere Verrichtungen. 
Wundärztliche Verrichtungen. 

44. Eröffnung eines oberflächlichen Abszesses oder 

Erweiterung einer Wunde.3.— bis 10 M. 

47. der erste einfache Verband einer kleinen Wunde 1.50 „ 10 „ 

48. Naht und erster Verband einer kleinen Wunde . 3.— „ 10 „ 


II. 

Diese Abänderungen treten am 1. September 1918 in Kraft und 
gelten bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt, zu welchem 
der Kriegszustand durch Kaiserliche Verordnung (§ 5 Abs. 4 des Ge¬ 
setzes über Kriegszuschläge zu den Gebühren der Rechtsanwälte und 
Gerichtsvollzieher vom 1. April 1918, Reichs-Gesetzbl. 1918 S. 173) 
als beendet anzusehen sein wird. 


Berlin, den 7. August 1918. 

Der Minister des Innern. 
I. A.: Kirchner. 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben: 
Assistenzarzt Fritz A n c k e r, Landsberg a. W. 
Feldunterarzt Oskar Bauer, Boslau. 

Landsturmpfl. Arzt Karl Behre, Stolzenau. 

Oberarzt d. R. Vinzenz Berger, Neuss a. Rh. 
Zivilarzt Max B i n n e r, Lauchhammer. 

Oberarzt d. R, Arthur Bittner, Berzdorf. 

Stabsarzt d. R. Albert Börner, Nausitz. 
Assistenzarzt d. R. Franz B u j a, Krappitz (Pr.). 
Assistenzarzt d. L. Harry Freudenthal, Beuthen. 
Feldunterarzt Paul F r i c k e, Werder. 

Oberarzt d. R. Friedrich Gütermann, Perosa. 
Stabsarzt Friedrich Hesse, Lüneburg. 

Oberarzt d. R. Rudolf Hi-ldmann, Schemmern. 
Oberstabsarzt d. R. Otto Horn, Badresch. 
Feldhilfsarzt Hans Kaiser, Waldshut. 

Oberarzt d. R. Johann K1 e e m a n n, Waldenburg. 
Feldunterarzt Gerhard Kompter, Neustadt a. H. 
Oberarzt und Bataillonsarzt Fritz Lamfromm. 
Feldhilfsarzt Franz Morgenthaler, Kehl. 
Stabsarzt d. L. Gerhard Mrosak, Grossradisch. 
Zivilarzt Gustav Müller, Grunau. 

Feldhilfsarzt Fritz Nathan, Zaborze. 

Feldunterarzt Karl P a e s s 1 e r, Tanjore. 

Fefdunterarzt Clemens Paul, Dresden. 

Feldhilfsarzt Paul Regensburger, Augsburg. 


Die Herren Kollegen werden darauf aufmerksam gemacht, dass 
es zweckmässig ist, das Honorar für Behandlung eines Kollegen der 

„Münchener Aerztlichen Kriegshillskasse“ 

zuzuwenden. 

Einzahlungen sind zu machen auf das Scheckkonto Nr. 9263 der 
Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse bei der Bayerischen Hypo¬ 
theken- und Wechselbank München, Theatinerstr. 11 (Postscheck¬ 
konto der Bank Nr. 322). Obligationen und Kriegsanleihen sind za 
hinterlegen auf das Depot Konto Nr. 75 859 ebenfalls bei der Bayer. 
Hypotheken- und Wechselbank München. 

Münchener Aerztliche Kriegshilfskasse. 

Prof. Dr. Kerschensteiner, Hofrat Dr. K r e c k e, Dr. Scholl, 
Hofrat Dr. Freudenberger, Hofrat Dr. Spatz. 


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tn Mönchen SW. 2, Paul Heyscstr. 26. — Druck von £. Mühlthal er’» Bnch- und KnwUfiticktre! A.Q., Mönchen. 

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Mt der einzelnen Nmmner WM. Bengtprnb In DenitcUand 
• • • nnd Antland liehe unten unter Bezugsbedingungen. • • • 
I—e mt e n echluee am Donnerstag Jeden Woche. 


MÜNCHENER 


ffe die SckriMetamri Aral 
Pftr Bezug: mir. i 
Für Anzeigen sna Beilagen: tn Rudolf 


20 (S pr e chs tunden 
i Verhig, Paul Hei 
«Motte, Thetl 


Medizinische Wochenschrift. 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Nr. 36. 3. September 1918. 


Schritt! eitung: Ür. B. Spatz, Arnulfstrasse 20. 
Verlag: J. F. Lehmann, Faul Heysestrasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Vertag behüt tkfa du au ttchüettliche Recht der Vervielftltigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift «um Abdruck gelangenden Orlgtnalbehrfge rer. 


Originalien. 

Aus der Kgl. medizin. Poliklinik der Universität München 
(Vorstand: Professor Dr. R. May). 

Die Behandlung der Gicht und anderer chronischer 
Gelenkentzündungen mit KnorpelextrakL 

Von Professor Dr. med. Ernst lieilner. 

111. Mitteilung. 

a) Neue Tatsachen: Die Bedeutung des Alters des den Knorpel 
liefernden Tieres (Kalb) für die Intensität der Knorpelextrakt- 
Wirkung; 

b) Meine theoretischen Vorstellungen: Lokaler Gewebs- 
schutz und Affinitätskrankheiten; 

c) spezielle praktische Anweisungen für den Gebrauch meines 
Sanarthrit bei intravenösen lnjektlonskuren und allgemeine 
Erfahrungen. 

Nach Veröffentlichung meiner beiden Arbeiten im Jahre 191p 1 ) 
und 1917*) wurde mir von sehr vielen Aerzten aus allen Teilen 
Deutschlands, Oesterreichs und des neutralen Auslands der Wunsch 
nach Ueberlassung meines Knorpelpräparates zu Versuchszwecken 
ausgedrückt. Zu meinem Bedauern musste ich es mir versagen, diesen 
Wünschen nachzukommen. Einmal war intolge der besonderen Zeit¬ 
umstände die Herstellung meines Präparates mit mancherlei Schwie¬ 
rigkeiten verbunden und nur in beschränkten Mengen möglich; vor 
allem aber durfte ich nach meiner Ueberzeugung, so lange ich selbst 
die Versuche nicht bis zu einem gewissen Orade abgeschlossen hatte 
und so lange ich immer wieder kleine Aenderungen in Herstellung, 
Dosierung und Anwendung vornahm, das Präparat nicht zu einer end¬ 
gültigen allgemeinen Verwendung freigeben. Weiterhin schien es mir 
in erster Linie notwendig, dass auch von anderer autoritativer klinischer 
Seite kritische Stellung zu den praktischen Ergebnissen mit dem von mir 
vorgeschlagenen Knorpelpräparat, zu seiner Indikationsstellung und 
Anwendungsweise genommen wurde. Es ist mir ein aufrichtiges Be¬ 
dürfnis, auch an dieser Stelle Herrn Prof. Friedr. Umber-Berim # ) für 
die klinische Durchprobung meines Mittels am Menschen und Herrn Prof. 
Josef Mayr- München *) für die klinische Beobachtung am Tier B ) 
meinen wärmsten Dank auszusprechen. Nach 4 jähriger Arbeit und 
sehr grossen praktischen Erfahrungen mit meinem Knorpelpräparat 
bm ich zu einem bestimmten Abschluss des Herstellungsverfahrens 
sowohl als der Methodik gelangt, der mit nunmehr wohl berechtigt, 
mein Präparat demnächst weiteren Kreisen zugänglich zu machen“). 
Nachdem ich im Frühjahr 1914 die prinzipielle technische Grundlage 
für die Herstellung meines Knorpelextraktes gewonnen hatte, ging ich 
bei meinen weiteren Versuchen in der Art vor, dass ich mir stets 
neue Proben herstellte bzw. nach meinen Angaben hersteilen Hess. 
Diese neuen Proben (sog. Chargen) wurden besonders in den letzten 


*) E. lieilner: Die Behandlung der Gicht und anderer chro¬ 
nischer Gelenkentzündungen. M.m.W. 1916 Nr. 28 S. 997. 

*) E. Hei ln er: Die Behandlung der Gicht und anderer chro¬ 
nischer Gelenkentzündungen. II. Mitteilung. Die allgemeine ätio¬ 
logische Bedeutung des mangelnden lokalen Gewebsschutzes. 
M4H.W. 1917 Nr. 29 S. 933. 

*) Fr. Umber: Zur Pathogenese chronischer Gelenkerkran- 
ktrngen und ihre Behandlung durch Heilnersches Knorpelextrakt. 
MjxlW. diese Nummer. 

*) J. Mayr: lieber die Behandlung chronischer Gelenk¬ 
entzündungen beim Haustier mit H e i 1 n e r s Knorpelpräparat. 
Mjn.W. diese Nummer. 

•) Da auch beim Säugetier chronisch-entzündliche Gelenk¬ 
erkrankungen Vorkommen, müssen nach meiner Affinitätstheorie auch 
bei diesem die gleichen Bedingungen zum Zustandekommen des 
lokalen Gewebsschutzes gegeben sein. Aus diesem Grunde 
ist der Knorpelextrakt des Tieres auch beim Menschen wirksam. Da 
auch der Fischknorpelextrakt, wenn auch schwächer, wirk¬ 
sam ist, müssen nach meiner Theorie prinzipiell gleiche Er¬ 
krankungen auch bei den Fischen Vorkommen. 

*) Ich habe das Fabrikationsrecht meines Knorpelextraktes der 
chemisch-pharmazeutischen Fabrik Luitpoldwerk in München über¬ 
tragen, welche das Präparat unter dem Namen Sanarthrit „H e i 1- 
ner“ in absehbarer Zeit in den Handel bringen wird. 

Nr. 36. 


beiden Jahren in der Art angefertigt, dass meist die eine oder andere 
kleine Aenderung im Herstellungsverfahren versuchsweise eingeführt 
wurde; so hatte ich z. B. allein im Jahre 1917 24 verschiedene 
Chargen «ur Verfügung. Bei diesen Beobachtungen hatte ich allmäh¬ 
lich neben verschiedenen anderen, vorzüglich die therapeutische Wir¬ 
kung «betreffenden Wahrnehmungen den Eindruck, dass das Knorpel¬ 
extrakt älterer Tiere geringere Reaktion auslöst, als das Knorpel¬ 
extrakt jüngerer Tiere. Dieser Eindruck liess sich jedoch nur aus 
sehr vielen Beobachtungen und bei besonderer Aufmerksamkeit ge¬ 
winnen. Es ist, wie ich weiter unten näher ausführe, im grossen 
und ganzen bei der einigermassen normal dosierten Injektion von 
Sanarthrit nicht möglich, die mehr oder weniger starke Wir¬ 
kung auf den menschlichen (und tierischen Organismus) im ein¬ 
zelnen Fall mit Sicherheit vorauszusagen. Es kommen dabei offenbar 
noch eine Menge anderer von mir noch nicht erkannter Faktoren in 
Betracht, die mit der Präparatwirkung an sich gar nichts zu tun 
haben, sondern ausschliesslich auf der Seite des injizierten Organismus 
liegen. Nachdem sich mir aber einmal die Vermutung auf gedrängt hatte, 
dass das Alter des Tieres, welches den Knorpel liefert, mit der Intensität 
der Wirkung des von ihm stammenden Knorpels etwas zu tun haben 
könnte, lag der Gedanke nahe, auch einmal einen vom Kalbsfötus 
stammenden Knorpel zu benützen. Dabei ergab sich das über¬ 
raschende und interessante Resultat, dass die Wirkung des Kalbs¬ 
fötusextraktes eine bedeutend stärkere ist, wie die des Knorpels vom 
ausgetragenen Kalb. Ich möchte jedoch nachdrücklich hervorheben, 
dass es sich nur um eine quantitativ stärkere Wirkung handelt. 
Der therapeutische Erfolg des Knorpelpräparates vom Kalb 
in einem bestimmten Alter ist in jeder Hinsicht gleichwertig. Doch ist 
die Tatsache der verschiedenen Wirkungsintensität wissenschaftlich 
sehr bemerkenswert ')• So reizvoll es daher für mich ist, die physio¬ 
logischen Ursachen dieser beträchtlichen, scheinbar prinzipiellen quan¬ 
titativen Verschiedenheit in der Wirkung des Kalbs- und Kalbsfötusprä¬ 
parates zu diskutieren, beschränke ich mich, ohne jeden Anspruch auf die 
Gültigkeit meiner Vorstellung darauf, auf die Möglichkeit hinzuweisen, 
dass im Fötusknorpel ganz besonders intensiv wir¬ 
kende, für den richtigen Aufbau und die Erneuerung 
der Knorpelsubstanz bedeutungsvolle Stoffe ent¬ 
halten sind. Nach der Austragung der Frucht mögen diese Stoffe von 
den Zellen nur noch in abgeschwächtem Masse geliefert werden, und 
in höherem Alter möglicherweise z. T. ganz ausfallen. Hierher gehört 
vielleicht die Tatsache, dass entzündliche und degenerative Gelenkpro¬ 
zesse im Allgemeinen in höherem Alter häufiger auftreten, wobei eben 
die Abschwächung bzw. der Ausfall gewisser Zellprodukte eine Rolle 
spielen mag. Massgebend für diese meine Vorstellung ist die Ueber- 
legung, dass im Fötus die naturgewollten Wachstums Vorgänge un¬ 
vergleichlich intensiver sind und sein müssen, wie im Organismus des 
ausgetragenen Tieres. Nach Preyser vermehrt der Fötus des 
Menschen sein Gewicht von der 9. Woche bis zur Geburt um das 
Achthundertfacbe, während der neugeborene Mensch an Körperge¬ 
wicht im Laufe seines ganzen Lebens nur um das 21—22facM zu¬ 
nimmt. Aus diesen Tatsachen ergibt sich der naheliegende Analogie¬ 
schluss, dass auch in Organen des Fötus mit echter 
innerer Sekretion (Schi ldd rüse, Thymus, Keimdrüsen etc.) 
die wirksamen Prinzipien bekannter und unbekannter Art 
vielleicht z. T. in besonders potenzierter oder in einer beim 
ausgetragenen Tiere nicht vorkommenden Art vorhanden sind. Ich 
habe das Studium dieser Verhältnisse (mit Gaben auch kombinierter 
Drüsensubstanzen per os und intravenös) begonnen, soweit mir meine 
Knorpel extrakt- und „lntima“-Arbeiten die Zeit dazu Hessen und hoffe 
in Bälde die sich ergebenden experimentellen Tatsachen überblicken 
zu können. 

Ich fasse nunmehr unter ausdrücklichem Hinweis auf meine 
früheren beiden Mitteilungen (1. c.) meine theoretischen Anschau¬ 
ungen über die therapeutische Wirkung des Knorpelextraktes und die 
von mir angenommene, prinzipiell gleiche Aetiologie der Gicht 
und anderer chronischer Gelenkentzündungen und insbesondere meine 
Theorie vom lokalen Gewebsschutz noch einmal möglichst 
kurz zusammen. Meine Vorstellung wird sich am klarsten darstellen 
lassen, wenn ich ihre Entwicklung, Wandlung und Vervollständigung 
an Hand der durch meine Experimente gegebenen Richtpunkte verfolge. 
Ich ging ursprünglich von der Um berschen Hypothese aus, dass 


7 ) Ich erinnere hier an die von mir in meiner II. Mitteüung, 
M.m.W. 1917 S. 933 beschriebene Tatsache der schwächeren Wirkung 
des Knorpelextraktes vom Fisch gegenüber dem des Kalbes. 

«I 1 


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984 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 36. 


die Ursache der mangelhaften Purinausscheidung bei der Gicht in 
einer gesteigerten Affinität der Gewebe zur Harnsäure zu suchen 
sei. Ich teilte zunächst diese Auffassung und hatte den Ge¬ 
danken (siehe I. Mitteilung 1916 S. 997) mir Knorpelgewebe des 
üichtikers zu verschaffen, um aus ihm die Stoffe herauszuziehen, 
welche die nach Umber gesteigerte Affinität zur Harnsäure be¬ 
dingen. Das ging aus naheliegenden Gründen nicht. Da jedoch 
schon der normale Knorpel des Tieres und des Menschen eine er¬ 
höhte Affinität zur Harnsäure besitzt (A1 m a g 1 a und Pfeiffer, 
Th. B r u g s c h und C i t r o n), versuchte ich aus dem Knorpel mög¬ 
lichst alle Stoffe herauszuziehen, die sich überhaupt in Lösung bringen 
lassen und das so gewonnene Extrakt ins Blut des Gichtikers zu 
bringen; meine Voraussetzung dabei war. dass einer oder mehrere 
Stofie, welche im normalen Zellgefüge des Knorpels die eigentüm¬ 
liche Anziehung zur Harnsäure chemisch bedingen, sich nunmehr 
auch im Extrakt befinden würden, und dass der so gleichsam ver¬ 
flüssigte Knorpel bereits im Blut des Gichtkranken seine harnsäure¬ 
fesselnde Wirkung betätigen, also den Ueberschuss der im Gichtiker- 
blut befindlichen Harnsäure binden und vielleicht im Urin'zur Aus¬ 
scheidung bringen würde. Aber obwohl in vielen Fällen von Gicht 
naoh im Anfall ausgeführter Injektion tatsächlich ein guter 
therapeutischer Erfolg erzielt wurde, ergaben meine Harnsäure¬ 
bestimmungen im Urin nach intravenöser Injektion von Knorpelextrakt 
keine Vermehrung der ausgeschiedenen Harnsäure; ebenso konnte 
ich (s. I. Mitteilung) keine Vermehrung der Allantoinausscheidung 
nach intravenöser Knorpelextraktinjektion beim Kaninchen beob¬ 
achten 8 ). So wertvoll daher auch die Umbersche Hypothese für 
mich als Anregung für meine Versuche war, so erwies sie sich 
nach dem Ausfall dieser Versuche und auf Grund zwingender Ueber- 
legungen, wie ich sie bereits in meiner II. Mitteilung (M.m.W. 1917 S. 933) 
ausgeführt habe, und die ich kurz folgen lasse, für mich unhaltbar. 
Die Harnsäure hat auch beim normalen Menschen eine besondere 
Affinität zum Knorpelgewebe. Beim Gichtiker ist nach Umber die 
Affinität der Gewebe zur Harnsäure noch gesteigert. Ich stellte 
daher die Ueberlegung an, dass auch der Gesunde, purinreich Ernährte, 
und der Nichtgichtkranke unbedingt stets Gichtiker würden, wenn die 
Affinität der Harnsäure zum Knorpel allein die Ursache ihrer Ablage¬ 
rung im 'Knorpelgewebe wäre. Beim Gichtkranken vollends mit seiner 
nach Umber über die Norm erhöhten Affinität zur Harnsäure müsste 
sich diese ausnahmslos in sämtlichen Knorpelgeweben des Körpers fest¬ 
setzen. Es müsste also zur Umber sehen Hypothese die gezwungene 
Zusatzannahme gemacht werden, dass an den Stellen gichtischer Ab¬ 
lagerungen eine noch gesteigertere Affinität zur Harnsäure 
herrscht, wobei ungeklärt bleibt, warum die Harnsäure in das übrige 
Knorpelgewebe nicht eindringt. , 

Ich suchte daher eine andere Erklärung der Patho¬ 
genese der Gicht und ich glaube diese in meiner (in der II. Mitteilung) 
ausgeführten, auch für die Entstehung anderer Erkran¬ 
kungen geltenden Theorie vom lokalen Gewebsschutz 
gefunden zu haben, die zugleich in vollem Masse die Beobachtung 
einer zweiten neuen, schwerwiegenden Tatsache meiner experimentell- 
therapeutischen Forschung erklärte. Es zeigte sich nämlich als mich 
völlig überraschendes wichtigstes Moment beim klinischen Versuch 
eine noch günstigere therapeutische Beeinflussung 
anderer schwerer chronisch entzündlicher Gelenk- 
erkrankungen, die bisher ätiologisch streng von 
der Gicht geschieden werden, als bei der Gicht selbst. 
In erster Linie sah ich sehr gute Resultate bei der Osteoarthritis 
deformans und der chronischen Periarthritis destruens, dann beim 
sekundären Gelenkrheumatismus. Diese Beobachtung der gleichen 
Wirkung meines Präparates bei den verschiedenartigsten Gelenk¬ 
erkrankungen brachte mich auf den Gedanken, die bisher scharf unter¬ 
schiedene Pathogenese der Gicht und anderer chronischer Gelenk¬ 
entzündungen zum ersten Male von ein und demselben Ge¬ 
sichtspunkte aus zu betrachten (II. Mitteilung). Nach meiner 
in dieser II. Mitteilung entwickelten Ueberzeugung müsste jeder 
Mensch vom ersten Auftreten der Harnsäure an ein sich un¬ 
aufhaltsam verschlechternder Gichtiker sein 9 ), wenn, dem natür¬ 
lichen Bestreben der Harnsäure, in das Knorpelgewebe einzu¬ 
dringen, nioht ein besonderer, eingeborener, physiologischen, lokaler 
Schutz gegen diese Affinitätsbestrebung der Harnsäure ent- 
gegenstiinde, ein Schutz, den ich vor einem Jahre kurz und allgemein 
als lokalen Gewebsschutz bezeichnet habe. Unter den im 
Organismus fortwährend erzeugten und in ihm kreisenden normalen 
physiologischen Stoffwechselprodukten befindet sich selbstverständlich 
auch der eine oder andere chemische Körper, welcher zu in bestimmten 
Gewebsformationen verankerten Körpern und damit zu diesen Geweben 
selbst eine ausgesprochene Affinität besitzt. In wohl den meisten Fällen 
wird die volle Auswirkung solcher Affinität für das Zustandekommen 
und den normalen Ablauf der Zellvorgänge von der Organisation 
vorgesehen und ihr nützlich, ja für sie notwendig 


8 ) Die Möglichkeit, dass die Harnsäure nach Bindung mit dem 
Knorpelextrakt, wenn auch nicht ausgeschieden, so doch einer weiteren 
Verarbeitung zugänglich gemacht würde, muss von der Hand gewiesen 
werden in Anbetracht der unendlich kleinen Mengen des eingebrachten 
Fötusextraktes, wobei an eine direkte biochemische Umsetzung mit 
der Harnsäure nicht zu denken ist. 

•) Beim Tier würde unter gleichen Umständen vielleicht eine 
Allantoingicht zustande kommen. 


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sein, also ihre Nicht auswirkung schädlich werden. Dies mag 
besonders dann der Fall sein, wenn es sich um Zwischenprodukte 
handelt, die durch ihre spezifische ohemische Reaktionsfähigkeit zu 
bestimmten Geweben gewissermassen geleitet und dort durch die 
Zellfermenttätigkeit zu Zellprodukten weiter verarbeitet 
werden sollen, denen nach ihrer Weiterverarbeitung natürlich die 
primäre Affinitätsbeziehung der Muttersubstanz nicht mehr anhaftet. 
In anderen, uns hier allein interessierenden Fällen ist 
jedoch eine solche Weiterverarbeitung der durch spezifische Affinität 
in bestimmte Gewebe geführten, bzw. dort festgehaltenen Stoffe 10 ) 
m den Zellen dieser Gewebe nicht möglich, weil es sich um End¬ 
produkte oder um solche Zwischenprodukte 
handelt, die durch eine spezifische fermentative 
Unzulänglichkeit zu Endprodukten des Zellstoff¬ 
wechsels geworden sind. Und deshalb muss unter 
allen Umständen vom ersten Beginn des Stoff¬ 
wechsels an verhindert werden, dass sich die Affinität 
zwischen solchen im Blut oder den Säften kreisenden Stoffen und 
den in entsprechenden Gewebsformationen verankerten Körpern 
durchsetzt, damit es nicht zu schweren Reibungen und Hem¬ 
mungen im Zellbetrieb zuerst der betreffenden Gewebsgruppen 
und dann sekundär zu immer schwereren Schädigungen der ganzen 
Organgemeinschaft kommt. Der Organismus sucht sich dieser für 
ihn unnütz geworden Stoffe offenbar möglichst schnell zu entledigen. 
Es muss daher schon bei den Uranfängen der Organisation 
im fötalen Leben Vorsorge getroffen sein, dass be¬ 
stimmte Affinitätsbeziehungen innerhalb des organischen Gefüges des 
Zellenstaates nicht hemmend und störend zum Ausdruck kommen. Die 
einfachste Lösung wäre zweifellos die, wenn der Organismus in 
solchem Falle auf einen der beiden chemischen Körper, sei es den 
frei im Blute kreisenden Körper, z. B. die Harnsäure, sei es den im 
Gewebe, z. B. in der Knorpelsubstanz, verankerten Stoff Ver¬ 
zicht leisten könnte. Da dies jedoch selbstverständlich unmög¬ 
lich ist, muss nach einer anderen Richtung schützende Vor¬ 
sorge getroffen werden. Der Organismus muss vom ersten Be¬ 
ginn des chemischen Zellbetriebes und der Stoffzersetzung an in 
die Lage versetzt sein, diese störenden chemischen Affini¬ 
täten im Bereiche seines Zeilenstaates durch die stete Neu¬ 
bildung eines lokalen, d. h. von der betreffenden Gewebsformation 
gelieferten Schutzes unschädlich zu machen. Eine solche ein¬ 
geborene Schutzvorrichtung ist bei der ungeheuren Vielgestaltigkeit 
organischen Zellgeschehens und der spielenden Leichtigkeit reaktiver 
Einstellungen im Organismus für die Organisation ebenso einfach und 
selbstverständlich, wie dies etwa bei der Vorstellung von 
der Bildung des Antifermentes der Magenschleimhaut gegen 
die Fermentaffinität der Pepsin-Salzsäure zum Ausdruck kommt. 
Die Schuzvorrichtung muss im fötalen Leben, wohl auf einen durch 
bestimmte Stoffe des mütterlichen Blutes ausgelösten Zellreiz vor 
der Bildung des Stoffes, gegen den sie eingestellt ist, bereit sein. 
So muss z. B. das Antiferment des Magens mobilisierbar 
sein, ehe das Ferment in Tätigkeit treten darf. 

Ich wende nun meinen Gedankengang auf die Aetiologie 
der gichtischen Gelenkveränderungen an. Jeder Or¬ 
ganismus ist nach meiner Vorstellung gegen das Eindringen auch klein¬ 
ster Mengen von Harnsäure in die das Gelenk bildenden Gewebe, vor 
allem in den Knorpel, durch einen von diesen Geweben 
stets erneut gelieferten Schutz geschützt. Wird dieser 
Schutz bei bestehender, dem pathologischen Geschehen überge¬ 
ordneter, erblicher Disposition durch eine Störung des die Schutz¬ 
stoffe liefernden Zellbetriebes durchlöchert, so dringt die Harnsäure 
mehr und mehr in die Gewebe, vor allem in den Knorpel ein und es 
kommt zu den charakteristischen Hamsäureablagerungen und gich¬ 
tischen Veränderungen. Die Frage, aus welchen ersten Ursachen 
z. B. beim Gichtiker die meist vermehrte Blutharnsäuremenge stammt, 
gehört nach meiner Anschauung nicht in diese Ueberlegungsreihe. 
Sicherlich wird durch das meist dauernd erhöhte Angebot der Harn¬ 
säure bei der Gicht der Schutzmechanismus des Knorpelgewebes 
manchmal überbeansprucht 11 ). Allein ich kann mir viele Fälle 
von Hyperurikämie vorstellen, in denen sich dauernd 
vermehrte Harnsäure im Blute findet, ohne dass es zur 
Harnsäureablagerung im Knorpel und anderen Geweben 
kommt, weil trotz dieser konstanten Vermehrung der 
Harnsäure der lokale Gewebsschutz gegen Harnsäure 
ebenso weiter funktioniert, wie bei der gelegentlich viel stärkeren 
Vermehrung der Harnsäure im Blute nach sehr purinreicher Kost bei 


10 ) Es mag sich dabei in erster Linie um Endprodukte des Stoff¬ 
wechsels handeln, die einer Weiterverarbeitung nicht mehr zugänglich 
sind oder um solche Zwischenprodukte, die durch eine der so häufigen 
Unzulänglichkeiten des Fermenthaushaltes im ein¬ 
zelnen Falle nicht mehr weiter abgebaut werden {Homogentisinsäure). 
Die Frage, ob die Harnsäure ein Endprodukt oder zum Teil ein Zwi¬ 
schenprodukt ist, gehört in diesem Sinne nicht hierher, da auch für 
den Abbau der Harnsäure in besonderen Fällen leicht ein Versagen 
des Abbaufermentmechanismus angenommen werden kann. Wie ich 
schon ausgeführt habe, ist jedes Zwischenprodukt den Zell¬ 
gruppen gegenüber, welchen es seine Entstehung verdankt, ein 
Endprodukt. 

u ) Siehe den Vergleich zum Ulcus ventriculi. M.m.W. 1917 
Nr. 29 S. 935. 

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3. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


985 


Leukämie, naoh Röntgenbestrahlung, bei Pneumonie, Nephritis, also 
Zuständen, bei denen es verhältnismässig selten zu Gichtanfällen 
kommt. Mit anderen Worten, es mag sehr viel mehr 
Hyperurikämiker ohne Gelenkgicht als Hyper- 
urikämiker mit Gelenkgicht geben, andererseits 
wird man nach dieser meiner Vorstellung auch bei 
ganz normalen, ja unternormalen Blutharnsäure¬ 
werten eineechte Gelenkgichtbzw. Organgicht er¬ 
warte^ müssen, wenn eben der Schutzmechanismus 
ander einen oder anderen Stelle aus irgendwelchen so¬ 
genannten primären 13 ) Ursachen schlecht funktioniert. Hier können 
und müssen weitere systematische Blutharnsäureuntersuchungen 
Klarheit bringen 1 *). 

Derselbe Gedankengang gilt prinzipiell für die Ent¬ 
stehung der Arthritis deformans und der chro¬ 
nisch destruierenden Polyarthritiden. Bei den an 
Arthritis deformans alcaptonurica leidenden Kranken hat Um¬ 
ber (1. c.) festgestellt, dass es die nicht weiterverarbeitete 
Homogentisinsäure ist, welche Zutritt zu dem Knorpelgewebe findet 
und dieses allmählich schädigt. Auch bei der so häufigen Osteoarthritis 
deformans (non alcaptonurica) und bei den chronischen progressiven 
destruierenden Gelenkentzündungen handelt es sich um eine durch 
primäre zufällige Ursachen 13 ) bedingte Abschwächung oder völligen 
Wegiall des lokalen Gewebsschutzes gegen andrängende Affinitäten. 
Die chemischen Körper, welche als die Träger dieser speziellen Affini¬ 
tät in Betracht kommen sind jedoch noch nicht entdeckt bzw. noch 
nicht als solche erkannt. Ich zweifle jedoch nicht, dass dies im Laufe 
der Zeit der Forschung gelingen wird und dass es sich um Körper 
handelt, welche normale Zwischen - bzw. Endprodukte 
des Stoffwechsels sind, wahrscheinlich um solche physiologische 
Körper, welche wie die Homogentisinsäure durch eine spezielle 
fermentative Unzulänglichkeit dem weiteren physiologischen Abbau 
entgehen und längere Zeit unverarbeitet in den Säften kreisen, um 
dann, soweit sie nicht nach Insuffizienz des lokalen Gewebs- 
schutzes durch die spezifische Affinität teilweise in bestimmten 
Geweben (Synovialis, Knorpel, Bändern, Sehnen etc.) zurückge¬ 
halten werden, mit dem Urin ausgeschieden zu werden. Ich 
weise an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich darafüf hin, 
dass ich keine eigentliche an sich schädigende Noxe als Ursache der 
Gelenkerkrankungen annehmc. Es handelt sich nach meiner Anschau¬ 
ung stets um normale, an sich harmlose Zwischen- und End¬ 
produkte des Zellstoff Wechsels, deren besondere Affinität zu bestimm¬ 
ten Gewebsformationen jedoch normaler Weise nicht zum Ausdruck 
kommt bzw. kommen darf, weil diese Substanzen — und darin 
liegt der Kern meiner Vorstellung — durch einen stets 
erneuten lokalen Gewebsschutz gegen diese andrängenden 
Affinitäten vom Eindringen in das Gewebe abgehalten und unschädlich 
gemacht werden. Sie wirken erst schädigend auf das Gewebe ein, 
wenn sie ihre natürliche Reaktionsfähigkeit nach Insuffizienz oder 
Fortfall des Gewebsschutzes durchsetzen können. Durch eine solche i 
Betrachtungsweise wird die Vorstellung der Pathogenese vielleicht' 
auch mancher anderer Krankheitszustände ungemein 
vereinfacht. So kommt nach meiner bereits in meiner LI. Mitteilung aus- 
gedrückten Meinung auch die A r t e r i o s k 1 e r o s e durch den Weg¬ 
fall eines Intimagewebsschutzes gegenüber im Blute kreisenden, 
mit bestimmter Affinität zu ihr ausgestatteten Stoffen zustande, deren 
Identität noch nicht festgestellt ist. Ich wiederhole, dass es sich auch 
hier nach meiner Vorstellung um physiologische Zwischen- oder 
Endprodukte handelt, welche zur Intima bzw. zu in dieser verankerten 


13 ) Dieser theoretischen Forderung meiner Hypothese scheinen 
Beobachtungen von R. Bass (Zbl. f. inn. Med. 1913, daselbst auch 
Bru gsch und Sc»h i 11 enh e 1 m) zu entsprechen. S. a. R. Ko¬ 
cher: D. Arch. f. klin. Med. 115. S. 380. 

u ) Als solche sog. primäre reine Gelegenheitsur¬ 
sachen kommen in Betracht schädigende Einflüsse traumatischer, 
statischer, thermischer, mechanischer, infektiöser, neurotischer etc. 
Art, sowie Arteriosklerose und allgemeine Abnützung. Durch alle 
diese Ursachen w r ird in erster Linie die Tätigkeit derjenigen Zellen 
gestört, welche mit der Hervorbringung des lokalen Ge¬ 
websschutzes betraut sind. Auch die schädigende Wirkung 
z. B. von Infektionen bzw. von Toxinen verschiedenster Art 
aufs Gelenk verstehe ich in dieser Art Alle diese primären 
Zufallsursachen sind rein auslösende Momente, denen ihnen 
allen übergeordnet ist die erbliche Disposition* unter 
der ich die angeboren mangelnde Erzeugung des 
physiologischen lokalen Gewebsschutzes verstehe. 
(Hierzu können noch kommen angeboren mangelhafte Einrichtung 
der Gelenke.) Ist die erbliche Disposition vorhanden, so wird sie 
mit den Jahren stets gefahrdrohender werden, wie ja schon nor¬ 
malerweise der lokale Gewebsschutz, wie wohl alle 
Schutzeinrichtungen der Organisation, sich mit zunehmenden Jahren 
allmählich abschwächen. Ein erblich disponierter Mensch wird 
daher im Laufe der Zeit immer irgend einer der obengenannten Gelegen¬ 
heitsursachen zum Opfer fallen. Ich unterscheide also als 
Causa externa irgendeine primäre zufällige Ur¬ 
sache, als Causa interna aber das auf jede dieser 
verschiedensten primären, rein auslösenden Ur¬ 
sachen einheitlich einsetzende Versagen des lo¬ 
kalen Gewebsschutzmechanismus. 

1 

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chemischen Stoffen, eine besondere Affinität besitzen, diese aber 
normalerweise nicht durchsetzen können, da sie durch den vor die 
gesamte Intima gelegten „lokalen (Intima) Gewebsschutz“ abgehalten 
werden. Durch irgendeine primäre zufällige 13 ) Schädigung der diesen 
speziellen lokalen Gewebsschutz der Intima liefernden Zellen wird 
dieser Schutz durchlöchert und den bisher abgehaltenen Affinitäten da¬ 
durch Zutritt in das Intimagewebe gewährt. Meine vor IV* Jahren 
gegen Arteriosklerose begonnenen Versuche mit Intimaextrakt (cf. 
II. Mitt.) werden in absehbarer Zeit zum Abschluss gelangen. Ich 
halte es, wie schon betont, für sicher, dass auch noch andere Er¬ 
krankungen auf prinzipiell gleiche Art entstehen und unterhalten 
werden und vom Standpunkte meiner Vorstellung aus einer 
kausalen Therapie zugänglich gemacht werden können. Ich möchte 
daher solche Krankheiten, welche infolge eines 
Versagens des lokalen Gewebsschutzes entstehen, 
voran die erwähnten Gelenkerkrankungen und die 
Arteriosklerose als Affinitätskrankheiten be¬ 
zeichnen. Auch das Karzinom ist nach meiner Vorstellung 
im wesentlichen eine Affinitätskrankheit. Denn selbstver¬ 
ständlich ist der „lokale Gewebsschutz“ nach meiner Vor¬ 
stellung nicht auf Knorpel und Synovialis bzw. den Gelenkapparat 
beschränkt, sondern der lokale Gewebsschutz stellt ein 
Prinzip der Organisation dar und betrifft alle Ge¬ 
webe und Organe des Körpers (Muskel, Nerv, Leber etc.) 
Jedes Gewebe muss sich von vornherein je nach der Auswahl 
gewisser, an seinem Aufbau beteiligter chemischer Stoffe, beson¬ 
derer Affinitätsträger, d. h. bestimmter normaler Zwischen¬ 
oder Endprodukte durch einen besonderen lokalen Gewebs¬ 
schutz erwehren können. 

Ich möchte an dieser Stelle erneut ganz kurz meine Vorstellung 
von der therapeutischen Wirkung meines Knorpelpräparates be¬ 
rühren. Sie beruht vor allem auf der Wiedererweckung bzw. Verstärkung 
des lokalen Gewebsschutzes in den erkrankten Gelenken. Ich nehme, 
wie schon betont, die Produktion einer oder mehrerer Schutzstoffe 
im normalen Gelenk an, einen durchaus lokalen Zellprozess, durch 
welchen z. B. bei der Gicht vor den Knorpel ein sich stets erneuern¬ 
des Schutzgitter gegen die andrängende Harnsäure gelegt wird. Die 
Gründe, warum es sich dabei nicht um eine 
echte innere Sekretion handeln kann, warum diese 
Stoffe vielmehr an Ort und Stelle fixiert sind und nicht in 
die Blutbahn gelangen können, habe ich in meiner zweiten 
(Mitteilung S. 934 ff. auseinander gesetzt. Durch intravenöse Ein¬ 
führung des Knorpelextraktes werden die mit der Hervorbringung des 
lokalen Gewebsschutzes betrauten, beim Erkrankten zum Teil sehr 
darniederliegenden fermentativen Zellvorgänge günstig beeinflusst 
und in dem kranken Gewebe, soweit dies möglich ist, neu angefacht, 
was sich klinisch oft in einem subakten bis akuten Entzündungs¬ 
nachschub äusert. Es werden jedoch auf den Reiz des eingebrachten 
Extraktes keine spezifischen Schutzstoffe oder Schutz- 
fermente ins Blut geliefert. Diese Vorstellung findet eine starke 
Stütze in Versuchen, welohe ich gemeinsam mit Herrn Prof. J. Mayr 
durchgeführt habe. Wir haben Serum von Pferden, welche mehrfach 
mit Fötusextrakt behandelt worden waren und stärkste Reaktion ge¬ 
zeigt hatten, in der üblichen Weise gewonnen und dasselbe zu Ver¬ 
suchen an Tier und Mensch verwendet. Es trat keinerlei Reaktion 
nach intramuskulärer Einführung des Knorpelserums und ebensowenig 
bisher eine therapeutische Beeinflussung bei bestehenden Ge¬ 
lenkprozessen auf. Es waren also biologisch keine auf den Reiz des 
eingebrachten Extraktes etwa gelieferten Körper nachweisbar. Dies 
ist um so verständlicher, als das injizierte Extrakt eiweissfrer ist. 

Ich gehe nunmehr dazu über, einige spezielle praktische An- 
weiungen für den Gebrauch meines Sanarthrit bei meiner In¬ 
jektionskur vorzuschlagen. Ich fusse dabei auf der Erfahrung von 
ca. 180 Fällen mit über 980 Einzelinjektionen, wobei Fälle mit im gan¬ 
zen nur 1 Injektion und andere Fälle mit — im Laufe von über 
3K Jahren — bis zu 18 Injektionen inbegriffen sind. Das Indikations¬ 
gebiet der* Sanarthritkuren erstreckt sich in erster Linie auf sämtliche 
chronischen Gelenkerkrankungen. Unter diesen 180 Gesamtfällen be¬ 
finden sich ca. 160 Fälle von Osteoarthritis deformans, chronisch- 
progressiver Periarthritis destruens und sekundärem Gelenkrheumatis¬ 
mus und ca. 20 Fälle der in letzter Zeit äusserst seltenen Harnsäure¬ 
gicht. A-uf das bekannte klinische und pathologisch-anatomische 
Bild dieser Erkrankungen kann ich an dieser Stelle heute nicht ein- 
gehen, doch möchte ich mir im Interesse des Vergleichs der Erschei¬ 
nungen und therapeutischen Ergebnisse den Vorschlag erlauben, die 
zurzeit ausserordentlich schwankende und unklare Nomenklatur ein¬ 
heitlich 14 ) zu ordnen und aus der Fülle der verschiedenen Benen¬ 
nungen die prägnantesten zur Anwendung zu bringen. Diese sind: 
Die chronische progressive Periarthritis destruens (Bezeichnung nach 
Fr. Umber an Stelle der primär chronischen progressiven 
Polyarthritis destruens), der sekundäre chronische destruierende 
Gelenkrheumatismus, weiterhin die Osteoarthritis deformans (für 
deren rein degenerative Fälle die Bezeichnung Friedrich v. Mül¬ 
lers 15 ) Osteoarthropathia def.) und die Harnsäuregicht (Arthritis 


14 ) Fr. Umber: Behandlung der akuten und chronischen Ge¬ 
lenkerkrankungen. Hb. d. ges. Ther. v. Pen zold und Stinzing. 
V. Aufl. 1914 S. 130. und Emährungs- und Stoffwechselkrankheiten. 
II. Aufl. 1914 S. 314. 

i la ) Fr. v. Müller: XVII. Int. Congr. of Med. London 1913. 

1 * 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



986 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 36. 


urica). Es versteht sich von selbst, dass bei dem experimentell- 
therapeutischen Vorgehen mit einem völlig neuen Stoff die Indika¬ 
tionsstellung, die zeitliche und quantitative Dosierung, Anwendungs¬ 
weise, Kontraindikation, Beziehungen der Allgemein- und lo¬ 
kalen Reaktion zur therapeutischen Wirkung etc., 
erst nach langem Studium bis zu einem gewissen Grad der 
Sicherheit gebracht werden konnten und ich bin für weitere Mit¬ 
arbeit in dieser Richtung sehr dankbar. Von den annähernd 70 ver¬ 
schiedenen Chargen, die ich im Laufe der letzten Jahre benützt habe, 
habe ich mich allmählich auf 2—3 Chargen beschränkt Ich suche 
zunächst die klinische Diagnose innerhalb des Gebietes der Gelenk¬ 
erkrankungen mit möglichster Sicherheit festzustellen, meist unter 
Zuhilfenahme des Röntgenbildes, schon wegen eines späteren Ver¬ 
gleichs hinsichtlich des objektiven Erfolgs. Zur Abgrenzung der Fälle 
echter Gicht von anderen chronischen entzündlichen Gelenkprozessen 
empfiehlt sich die Bestimmung der Harnsäure im Blute. In prak¬ 
tischer Beziehung kommt die Harnsäurebestimmung für die Sanarthrit- 
kur nicht in Frage, da diese sowohl bei der Gicht als bei anderen 
entzündlichen chronischen Gelenkerkrankungen angezeigt ist. Allein 
es ist doch manchmal von Wichtigkeit, z. B. zwischen polyartiku- 
lärer Gicht und Periarthritis destruens genauer unterscheiden zu 
können, und ausserdem verspricht wie weiter oben ausgeführt, die 
systematische Untersuchung in dieser Richtung eine interessante 
wissenschaftliche Ausbeute. Man wird in manchen Fällen, besonders 
wenn die Gefahr einer erblichen Disposition vorliegt, beim Fund 
dauernd erhöhter Harnsäuremengen die echte Stoffwechselgicht schon 
sehr frühzeitig mit Erfolg auch diätetisch bekämpfen können. Wich¬ 
tig halte ich vor der Ausführung der Sanarthritkur die genaue Unter¬ 
suchung auf etwa versteckte chronisch-eiterige Erkrankungen, z. B. 
chronische Mandeleiterung. Praktisch unerlässlich erscheint mir 
in jedeih Falle von chronischer Gelenkentzündung jedoch die Vornahme 
der Wassermannreaktion. Die Fälle von Arthritis luetica, z. B. Ein¬ 
gelenkentzündungen des Knies, sind doch recht häufig und werden 
vielfach verkannt. Da leitet, besonders wenn die Anamnese ver¬ 
schleiert wird, häufig der Ausfall der WaR. auf die richtige Spur. 
Bei reiner Arthritis luetica ist die Sanarthritkur kontraindiziert und die 
sofortige Vornahme einer kombinierten Salvarsan-Quecksilber-Kur an- 
gezegt, die bekanntlich oft erstaunlich sohnell Besserung bringt. Hie 
und da jedoch findet man eine echte Arthritis deformans, meist milden 
Grades, den luetischen Veränderungen superponiert und man wird dann 
nach erfolgreicher Beendigung der Salvarsan-Quecksilber-Kur die San- 
arthritbehandlung mit Aussicht auf Erfolg einleiten können. Unter dem 
sehr grossen von mir beobachteten Material von chronischen Gelenk- 
enzündungen fanden sich Kranke aller Grade von leichtester gelegent¬ 
licher Funktionsstörung bis zu schwerster dauernder Bewegungsun¬ 
fähigkeit; Kranke ieden Alters, vorzüglich jedoch zwischen 30 und 
70 Jahren, juvenile Formen habe ich zü meinem wissenschaftlichen Be¬ 
dauern 18 > sehr wenig beobachten können. Das hohe Alter ist durchaus 
keine Gegenanzeige der Sanarthritinjektion. So wenig wie das Greisen- 
alter bilden nach meiner Erfahrung leichte postpolyarthritische kompen¬ 
sierte Herzfehler eine Gegenindikation für die intravenösen Injektionen 
von Sanarthrit, die man natürlich in solchem Falle mit einer gewissen 
Vorsicht ausführen wird. Oefters hatte ich sogar den Eindruck, 
dass bei manchen Patienten der Einfluss auf das Gesamtbefinden nach 
dem schnellen Abklingen des Fieberanstiegs ein besonders günstiger 
war. Es besteht für mich nach meinen vielen Beobachtungen kein 
Zweifel, dass die durch die spezifischen Stoffe des Knorpelextraktes 
hervorgebrachte Revolutionierung und allgemeine Mobilisierung des 
Gesamtorganismus, unabhängig von den lokalorganen Einwirkungen, 
sehr häufig fördernd auf den Zellstoffwechsel wirkt, ein Umstand, der 
zu Untersuchungen in der Richtung einer möglichen Erweiterung der 
Indikationsstellung meines Extraktes ermutigt. 

Was die Teohnik der Injektion von Sanarthrit betrifft, so emp¬ 
fiehlt sich am meisten die intravenöse 17 ) Injektion in eine Vene 
der Ellenbogenbeuge. Man wählt nach kurzer, probeweiser Stauung 
mit der Hand denjenigen Arm, welche die stärksten Venen aufweist, 
da häufig die Venen des einen Armes dürftig, die des anderen gut 
ausgebildet sind. Ich gebrauche zur Stauung stets nur ein zusammen¬ 
gelegtes Handtuch, das von einer helfenden Person nach festem 
Anlegen um den Oberarm gehalten wird. Die Injektionsstelle wird 
gut gewaschen und die Haut über der Vene, wenn sie stark hervor- 
tritt, mit etwas Jodtinktur bestrichen. Ist die Vene schwach oder 
schlecht zu sehen, so kann man ruhig auf die Joddesinfektion ver¬ 
zichten und die Haut in der sonst üblichen Weise reinigen. Man 
fixiert die Vene am besten ein wenig durch leichtes Anziehen der 
Haut über derselben mit dem linken Zeigefinger, mit dem man die 
Vene gewissermassen in der Führung behält und sticht dann ein. 


16 ) Ich habe im Laufe meiner Untersuchungen mein Augenmerk 
natürlich auch darauf gerichtet, ob etwa das Alter der 
injizierten Personen zu der verschiedenen Wirkung ein 
und desselben Extraktes bei derselben Person in Beziehung 
stehen könnte. Ich konnte jedoch durch keinerlei Anhalts¬ 
punkte über die blosse Vermutung hinauskommen. 

17 ) Eine subkutane Injektion halte ich nur im äussersten Falle 
für gerechtfertigt, wenn z. B. auch am Handrücken oder am Fuss keine 
Vene einstechbar ist. Die Dosis muss um das iy»fache erhöht wer¬ 
den und die Wirkung ist weniger sicher; vor allem aber können dabei 
leiohte Infiltrate auf treten, die 1—2 Tage Schmerzen verursachen 
können. 


Ich benütze stets die gewöhnliche Rekordspritze und eine Akufirm- 
injektionsnadel Nr. 16. Glaubt man mit der Nadelspitze in der Vene 
zu sein, so kontrolliert man durch leichtes Zurückziehen des Spritzen¬ 
stempels, ob Blut in die Spritze gesaugt wird, das sich sofort pilz¬ 
förmig ausbreitet. Man muss darauf achten, vorher die Spritze so zu 
halten bzw. zu drehen, dass die Teilstriche an der Spritze nach oben 
gekehrt und deutlich zu sehen sind, so dass man die Menge der 
in der Spritze befindlichen Flüssigkeit auf das Genaueste a-blesen und 
die Injizierte Menge berechnen kann. Da es sich um kleine Mengen 
und um genaue Dosierung handelt, muss man das Volum des ange¬ 
saugten ~ Blutes in Abrechnung bringen. Sowie man in der 
Vene ist, wird das Stauungstuch vom Oberarm entfernt, einige 
Sekunden gewartet und hierauf sehr langsam injiziert, mit 
einer Pause von etwa 3 Sekunden nach jedem Teilstrich. 
Da der Patient am Injektionstag das 'Bett hüten muss, ist es 
am besten die Injektion bei guter Beleuchtung im Bett oder sonst 
in der Nähe des Fensters am sitzenden, bereits ausgezogenen Pat. 
vorzunehmen. Unmittelbar nach der Injektion soll der Pat. zu Bett 
gehen und rektal gemessen werden Die Injektion selbst erfolgt am 
besten in den ersten Vormittagsstunden um 8 oder 9 Uhr. Jede 
Stunde muss rektal gemessen ev. auch der Puls gezählt werden. 
Von der Wärterin bzw. den Familienangehörigen, welche für diesen 
Tag die Beobachtung und Pflege üben, sollen nach jeder Stunde die 
subjektiven Angaben des Pat. genau vermerkt werden, z. B. „leichtes 
Frösteln“*, „vermehrter Durst“, „etwas ziehende Schmerzen im linken 
Kniegelenk und im «rechten Kiefergelenk“. Die Nahrungsaufnahme 
am Injektionstag reguliert sich von selbst, man wird jedoch nur ein 
ganz einfaches Frühstück, am besten nur eine Tasse Tee, mindestens 
1 Vst Stunde vor der Injektion und die 3 ersten Stunden nach der In¬ 
jektion am besten nichts aufnehmen lassen. Später lasse ich die 
Patienten, welche häufig bei noch hoher Temperatur recht guten 
Appetit haben, essen, wann immer und zu was sie Lust haben. 
20 Minuten bis 2 x k Stunden <selten länger) nach der Injektion treten 
die Reaktionserscheinungen auf, die sich in ihrer Intensität und 
Variabilität im einzelnen Falle auch bei wiederholten In¬ 
jektionen mit derselben Menge des gleichen Präparates an 
einer und derselben Person niemals mit Sicherheit Voraus¬ 
sagen lassen und auf die man vorher ausdrück¬ 
lichaufmerksammacht. Ich habe in über 980 Einzel¬ 
injektionen in keinem einzigen Falle auch bei stärkster Reak¬ 
tion jemals mit irgend einem anderen, z. B. einem analeptischen 
Mittel eingreifen müssen. In allen meinen fast 1000 Beobachtungen 
sind auch stürmische Erscheinungen nach wenigen Stunden abge¬ 
klungen und haben sehr häufig schon am Spätnachmittag einem 
ausgesprochenen Wohlgefühl Platz gemacht. In einigen Fällen fühlen 
sich die Pat. noch abends, hie und da auch noch am nächsten Tage 
sehr matt. Man soll daher den Pat. darauf aufmerksam machen, dass 
die Reaktionserscheinungen erwartet werden und nach stärkeren Dosen 
fast unausbleiblich sind und dass nicht die geringste Veranlassung zu 
irgend einer Beunruhigung besteht. Die Erscheinungen bei einer 
leichten, d. h. schwachen bis mittelstarken Reaktion nach ganz ge¬ 
ringen Dosen, die ich' auch zu diagnostischen Zwecken ver¬ 
werte (z. B. zur Abgrenzung reiner Plattfussbeschwerden 
gegen schon beginnende entzündliche Veränderung im Fuss- 
gelenk), bestehen in leichten, ziehenden Reaktions¬ 
schmerzen (Mahnungen) in den befallenen Gelenken, 
oder in den Gelenken, welche früher einmal entzündlich erkrankt waren 
und scheinbar ausgeheilt sind, weiterhin in Gelenken, auf deren gerade 
beginnende Veränderung erst durch diese Mahnschmerzen aufmerksam 
gemacht wird. Dabei können noch leichtes Frösteln oder Kältegefühl, 
hie und da Kreuz- und Kopfschmerzen, mässiger Durst und Tem¬ 
peraturanstieg bis ca. 38,6° bestehen. Bei mittelstarker bis starker 
Reaktion stellen sich häufig für kurze Zeit stärkere Schmerzen in 
den befallenen Gelenken ein; vor allem aber tritt 20 Minuten bis 
VA Stunden nach der Injektion ein Schüttelfrost 18 ) von sehr wech¬ 
selnder Stärke und Dauer (5 Minuten bis Stunden) ein, mit nach¬ 
folgendem, ziemlich raschem und energischem Anstieg der Tem¬ 
peratur bis 39,5 0 und höher, ausserdem häufig Kopfschmerzen, Kreuz¬ 
schmerzen, starker Schweissausbruch, manchmal Brechreiz, selten 
Erbrechen, sehr selten einige rasch vorübergehende diarrhoische Ent¬ 
leerungen. In einem sehr geringen Prozentsatz meiner Fälle habe 
ich eine, innerhalb kurzer Zeit abklingende, leichte febrile Albuminurie 
beobachtet; Herpes labialis leichteren Grades trat öfter auf; stärkere 
Grade habe ich nur in 3 Fällen konstatieren können. Gegen das 
häufig auftretende Durstgefühl gebe ich lauwarmen Tee. 

Für die Durchführung einer Sanarthrit-Injektionskur, die vor 
Ablauf von 4 bis 6 Monaten, d. h. ehe ein sicheres Re¬ 
sultat vorliegt, nicht wiederholt werden sollte, schlage ich 
vor, nicht unter 3 und nur in Ausnahmefällen über 7 Injektionen zu 
geben. Meist wird man ungefähr 6 Injektionen innerhalb ca. 4 Wo¬ 
chen machen. Das wichtigste Erfordernis ist, dass unter 3 Injektionen 
mindestens eine starke Reaktion (also bei 6 Injektionen möglichst 2) 
erzielt werden. Das erste Kriterium der starken Reaktion soll der 
rasche und hohe Temperaturanstieg sein. In wenigen Stunden steigt 
die Temperatur oft zu grosser Höhe an, um ebenso rasch und sicher 

**) ln sehr seltenen Fällen wiederholt sich der Schüttelfrost noch 
einmal nach 1—2 Stunden, ebenfalls sehr selten sah ich am Abend 
oder Nachtag der Injektion einen kurzdauernden Wiederanstreg der 
Temperatur. 


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3. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


987 


wieder abzusinken. Wie wenig: die Patienten auf die manchmal 
etwas alarmierenden Nebenwirkungen geben, erhellt sehr deutlich 
daraus, dass fast alle Pat. mehr weniger dringend eine Wiederholung 
der Injektion verlangen, da sie eine fortschreitende Besserung be¬ 
obachtet haben. Am besten hält man sich vielleicht, bis die eigene 
Erfahrung voll ausgebildet ist, an die Regel, dass z. B. unter 6 In¬ 
jektionen 2 ausgesprochen starke (die eine wenn möglich zu Beginn, 
die andere gegen Ende der Kur), 2 mittelstarke und 2 sehr schwache, 
nur angedeutete Reaktionen erzielt werden sollen. Wenn nach einer 
Injektion die Reaktion sehr schwach oder schwach ausgefallen war, 
kann man sie schon nach 2—3 Tagen wiederholen; ist sie mittelstark 
ausgefallen, so wird man am besten 4—5 Tage, ist sie stark oder 
sehr stark gewesen, 6—7 Tage bis zur neuen Injektion warten. Ich 
sehe eine Kur ohne mindestens eine starke Reaktion mit hohem, 
einige Stunden dauerndem Fieber nicht als vollendet an. Zwischen 
der allgemeinen und lokalen Reaktion einerseits und dem thera¬ 
peutischen Erfolg andererseits besteht nach meiner Erfahrung unter 
allen Umständen eine gewisse, jedoch nicht im Geringsten etwa 
parallele, Beziehung. Ein durch eine starke Reaktion in die Wege 
geleiteter guter Erfolg kann duroh eine weitere Injektion mit 
schwächerer, ja ausbleibender Reaktion in günstigem Sinne vervoll¬ 
ständigt werden. Tritt aber im Verlauf der Sanarthritkur nicht 
wenigstens eine starke Reaktion auf, so ist die 
therapeutische Wirkung meist nur gering. Die Schwierig¬ 
keit des therapeutischen Vorgehens liegt lediglich in dem 
Umstand, dass die unmittelbare Reaktion des Sanarfhrit am 
einzelne Injektionstag sich niemals mit aller Sicherheit 19 ) Voraus¬ 
sagen lässt Auch nicht bei derselben Person und bei der gleichen 
Menge der gleichen Fabrikationsscharge. Wenn ich den Patienten A. 
und B. je an ihrem 3. Injektionstage z. B. die gfleiche Menge 
Sanarthrit aus einer Ampulle injiziere, so kann bei dem Pat A. 
eine starke Reaktion erfolgen, bei dem Pat. B. kann sie mittelstark 
oder schwach sein. Bei der nächsten, also 4. Injektion, ca. 5 Tage 
später, gebe ich beiden Pat. wiederum dieselbe Menge desselben 
Präparates und jetzt tritt vielleicht beim Pat. A. eine schwache Re¬ 
aktion auf, während sie beim Pat. B. stark wird, ebensogut 
kann sie aber auch bei beiden mittelstark oder bei beiden stark sein. 
Es kann z. B. bei der 2. Injektion eine Menge von 0,4 ccm eine 
stärkere Reaktion auslösen als bei der 3. Injektion eineMenge von 0,7ccm 
und umgekehrt. Um anaphylaktische Erscheinungen kann es sioh dabei 
fs. I. Mittig. 1916) durchaus nicht handeln, da es sehr häufig vorkommt, 
dass die erste Injektion von mehr minder starker Nebenwirkung be¬ 
reitet ist, während spätere, nach dem präanaphylaktischen Intervall 
ausgeführte Injektionen oft ohne jede Wirkung waren, ganz abgesehen 
von der für die Auslösung dieses Phänomens wichtigsten Tatsache, 
dass das Präparat eiweissfrei ist. In der Praxis wird jedoch die 
Schwierigkeit der Dosierung sehr bald durch die Erfahrung und 
eine gewisse, durch dieselbe vermittelte gefühlsmässige Sicherheit be¬ 
hoben. Man geht am besten so vor, dass man zuerst geringere 
Mengen Sanarthrit injiziert und von dieser Wirkung aus weitergeht, 
da es zweifellos eben auch mehr weniger empfindliche Individuali¬ 
täten gibt. Wer eine Reihe von Erfahrungen mit verschiedener Do¬ 
sierung an verschiedenen Pat gewonnen hat, wird sehr bald in der 
Lage sein, aus einem durch sorgfältige Beobachtungen gestützten Ge¬ 
fühl heraus die einzelnen Sanarthritkuren in der gewollten Weise 
durchzuführen. Die Erfahrung spielt dabei-, wie schon gesagt, eine 
Hauptrolle; diese ist es, welche nicht nur die einzelnen Grade und 
Zwischen grade der Reaktionsstärken richtig abschätzen, sondern auch 
die zu ihrer Hervorbringung nötigen Dosen beim einzelnen In¬ 
dividuum trotz der schon geschilderten Schwierigkeiten allmählich mit 
ziemlicher Sicherheit treffen lässt. Ein sehr wichtiger, praktisch be¬ 
ruhigender Umstand, kommt hinzu: Während bei der intravenösen 
Zufuhr von Sanarthrit die Wirkung sich oft schon bei sehr kleiner 
Dosis bemerklich macht und bei geringer Erhöhung derselben oft 
rasch bis zu stärkerer Reaktion zunimmt, kommt es auch bei er¬ 
heblicher Erhöhung der Dosis über ein gewisses Maximum der Er¬ 
scheinungen nicht hinaus. So habe ich beim Tier (Kaninchen, 
siehe I. Mitteilung 1916) 6 ccm eines stark wirkenden Prä¬ 
parates auf die biologische Einheit des Kilogramm ohne Scha¬ 
den gegeben, das wäre auf einen Mann von 10 kg umgerechnet die 
ungeheure Menge von 420 ccm. Auch meine ersten Versuche habe ich 
zum Teil mit sehr viel höheren Dosen wie später gemacht, ohne dass 
ich eine andere als eben eine besonders starke bis stürmische Reaktion 
erzielte. Man wird also mehr darauf bedacht sein, hn Interesse der 
therapeutischen Wirkung zu häufige starke Reaktionen zu ver¬ 
meiden. als sich der Sorge hingeben zu müssen, durch eine etwa zu 
starke Dosierung die Maximaldosis im pharmakologischen Sinne zu 
überschreiten. Man wird jedoch zur Vorsicht stets von der Beob¬ 
achtung der Reaktion nach der ersten mit kleiner Menge Sanarthrit 
ausgeführten Injektion ausgehen. 

Ueber die therapeutische Wirkung des neuen Präparates 
habe ich schon in meinen beiden früheren Mitteilungen vom 
Jahre 1916 tmd 1917 berichtet. Die Erfolge, welche Ich in 
dem verflossenen Jahre und zum TejI gerade bei den aller- 
schwersten, bis dahin keinem therapeutischen Vorgehen zugäng¬ 
lichen Fällen chronischer Gelenkentzündungen verschiedenster Art 


*•) Man beachte die ausserordentliche Uebereinstimmung der 
Reaktionserscheirruneen und der weiteren Folgezustände mit denen 
beim Tier (cfr. J. Mayr 1. c.). 

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erzielt habe, sind oft sehr gute, manchmal überraschende. Doch möchte 
ich an dieser Stelle betonen, dass ich auch in einer Reihe von Fällen, 
die ich auf mindestens 30 Proz. anschlagen möchte, keine irgendwie 
in Betracht kommende Besserung in einer sehr langen Beobachtungs¬ 
zeit feststellen konnte. Die Pat. sind daher vor Einleitung der 
Sanarthritkur darauf aufmerksam zu machen, dass eine sichere Ge¬ 
währ für eine Besserung oder Heilung nicht übernommen werden 
kann. In keiner meiner über 980 Einzelinjektionen habe ich jedoch 
auch nur die geringste Schädigung des Patienten in irgendeiner Rich¬ 
tung feststellen können. In manchen Fällen zeigt sich schon am 
Abend bzw. am ersten Nachtag der Injektion eine deutliche Besse¬ 
rung der Beweglichkeit, besonders häufig der Finger- und Schulter- 
gelenke, sowie der Kniegelenke. Schwellungen, besonders der 
kleinen Gelenke, die schon lange bestanden haben, gehen oft sehr 
rasch zurück. Manche Frauen, die seit Jahren die Hand nicht mehr 
zum Hinterkopf, z. B. zum Frisieren, brachten, sind am Tage nach der 
Injektion dazu und selbst zum Frisieren imstande. Patienten, die vor¬ 
her an 2 Stöcken gingen, können am Nachtag oft leicht an einem 
Stock gehen. Oft -ist auch ein Rückgang der Schmerzen zu be¬ 
obachten. In manchen Fällen hält aber diese so erfreuliche schnelle und 
weitgehende Besserung nicht an; doch bleiben die Beschwerden ge¬ 
wöhnlich auf ein erträglicheres Mass beschränkt und die Beweglich¬ 
keit bleibt ebenfalls gebessert. Sehr häufig hatte ich nach einer laugen 
Beobachtungszeit den bestimmten Eindruck, dass den ohronisch ent¬ 
zündlichen und degenerativen Gelenkprozessen die Tendenz zum 
Fortschreiten ganz oder beinahe ganz genommen wurde. In 
der weitaus grösseren Anzahl von Fällen tritt die Besserung des Ge¬ 
lenkleidens nämlich in einer ungemein langsamen Weise 
zutage und ich möchte dieser Form der therapeutischen Reaktion 
unbedingt den Vorzug geben. Ich sah bei solchen Fällen nach star¬ 
ker Reaktion sehr häufig zunächst geradezu eine vorüber¬ 
gehende Verschlechterung des Gelenkbefindens. 
Die Patienten gehen etwas schwerer, sie haben mehr Schmerzen, sie 
fühlen sich oft steifer und geben an, dass in ihren Gelenken „etwas 
los sei“, und man hat das Bild eines subakuten bis akuten Nach¬ 
schubs* 0 ). Aber gerade in solchen Fällen scheint mir die Prognose 
der Behandlung besonders günstig: doch dauert es oft Wochen und 
Monate, bis ich die anhaltende und weiter fortschreitende Besserung 
in Fällen, die sich bis zur Sanarthritinjektion unaufhaltsam ver¬ 
schlechtert hatten, völlig deutlich und gesichert zeigt. Ehe minde¬ 
stens 4 Monate nach der ersten Injektion verflossen sind, sollte 
daher ein endgültiges Urteil über den Erfolg oder Misserfolg im ein¬ 
zelnen 'Fall nicht gefällt werden. 

Ich fasse kurz die von mir experimentell festgestellten Tatsachen 
und meine theoretischen Vorstellungen zusammen (im wesentlichen 
in meiner I. und II. Mitteilung 1916 und 1917): 

1. Durch die intravenöse Injektion von Knorpelextrakt wird bei 
chronischen Gelenkentzündungen verschiedenster klinischer und ana¬ 
tomischer Erscheinungsform in einem grossen Teil der Fälle ein 
günstiger Erfolg erzielt. Das Alter und die Spezies des den Knorpel 
liefernden Tieres sind von Bedeutung für die Intensität der Wirkung. 
Das nach meinen Angaben und unter meiner Kontrolle -hergestelltc 
Sanarthrit ist unschädlich für den Organismus. 

2. Die chronischen Gelenkentzündungen: Osteoarthritis defor- 
mans, ohronisch progressive Periarthritis destruens, sekundärer Ge¬ 
lenkrheumatismus und die Harnsäuregicht haben sämtlich 
prinzipiell die völlig gleiche Aetiologie. 

3. Diese gemeinsame Aetiologie besteht in dem Versagen 
des von mir so genannten eingeborenen physiologischen „lokalen 
G e w e b s s c h u t z e s“ “), durch welchen, wie durch ein stets 
erneutes Schutzgitter ”) bestimmte Affinitäten (z. B. die Harn¬ 
säure) vom Eindringen in die das Gelenk bildenden Gewebe (z. B. den 
Knorpel, Synovialis etc.) abgehalten werden. 

4. Die bekannten und noch unerkannten Träger dieser Affinitäten 
sind in jedem Falle durchaus normale physiologische 
Zwischen - bzw. Endprodukte des Zellstoffwechsels (z. H. 
Homogentisinsäure bzw. Harnsäure), welche jedoch ihre Affinität, 
d. i. ihre spezifische Reaktionsfähigkeit, zu dem entsprechenden Gewebe 
(z. B. dem Knorpel) ohne Schädigung desselben nicht durchsetzen 
dürfen. Wenn der lokale Gewebsschutzmechanismus 
gut funktioniert, können nach meiner Vorstellung bestimmte 
Affinitäten (z. B. Harnsäure) dauernd in erhöhter Menge 
im Blut und in den Säften kreisen, ohne dass es zum Eindringen 
in die Gewebe (z. B. in den Knorpel) und zu einer Schädigung der¬ 
selben zu kommen braucht, bei dem Versagen des lokalen 
Gewebsschutzes kann es auch bei unternormalen 
Werten der entsprechenden Affinitätsträger im Blute zum Ein¬ 
dringen in die Gewebe und zu fortschreitender Schädigung der¬ 
selben kommen. 


*°) Siehe hiezu J. Mayrs Reinflammatio. M.m.W. diese Nummer. 
* l ) Bei dem lokalen Gewebsschutz handelt es sich 
nicht um einen Vorgang im Sinne einer echten inneren Sekretion. 
(E. Hei Ine r: M.m.W., II. Mitteil., S. 934.) 

Original fram 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3 6 . 


5. Was nach 2. bis 4. für die Pathogenese der chronischen Ge¬ 
lenkentzündungen gilt und in der Bedeutung des lokalen’ Ge- 
websschutzes gipfelt, entspricht nach meiner Vorstellung 
einem allgemein gültigen Prinzip der Organisation. 
Ich bezeichne daher alle Krankheiten, welche infolge Insuffizienz des 
„lokalen Gewebsschutzes“ durch Eindringen normalerweise 
abgehaltener physiologischer Stoffwechselprodukte in irgend ein Ge¬ 
webe entstehen, als Affinitätskrankheiten. Zu diesen ge¬ 
hören u. a. nach meiner Anschauung auch die Arteriosklerose 
(Versagen des Intimagewebsschutzes) und im wesentlichen das 
Karzinom. 

6. Die verschiedensten sogenannten primären Ursachen 
traumatischer, mechanischer, thermischer, infektiöser, neurotischer . 
etc. Art, Arterioklerose und allgemeine Abnutzung etc. sind den ver¬ 
schiedensten Affmitätskrankheiten gemeinsam und sind 
reine Gelegenheitsursachen. Sie alle führen auf ein ein¬ 
ziges einheitliches Moment zurück: Auf das Ver¬ 
sagen des lokalen Gewebsschutzes durch die Schädi¬ 
gung derjenigen Zellen, welche mit der Hervorbringung des ent¬ 
sprechenden lokalen Gewebsschutzes betraut sind. 

7. Allen diesen primären zufälligen Ursachen übergeordnet 
ist die erbliche Disposition, unter welcher ich die ange¬ 
boren mangelnde oder fehlerhafte Erzeugung des 
lokalen Gewebsschutzes verstehe. Ist diese erbliche Dis¬ 
position vorhanden, so kommt es besonders bei 'zunehmendem Alter 
durch irgend eine der obengenannten zufälligen sogen, primären Ur¬ 
sachen zum endgültigen Versagen des lokalen Gewebsschutzes und 
damit zur Auslösung und — da die nunmehr ihre Affinität durch¬ 
setzenden, d. h. ins Gewebe eindringenden physiologischen Stoff¬ 
wechselprodukte stets weiter geliefert werden — zum Chronisch¬ 
werden bzw. zum Fortschreiten der krankhaften Prozesse. 

8. Nur bestimmte, uns bei den vorstehenden Betrach¬ 
tungen allein interessierende Affinitäten müssen nach meiner 
Vorstellung vom Eindringen in bestimmte Gewebe durch 
einen lokalen Gewebsschutz abgehalten werden. Träger 
dieser Affinitäten sind vor allem wohl gewisse Endprodukte 
des Stoffwechsels (z. B. die Harnsäure) edor c o!ohc Zwi¬ 
schenprodukte. die durch eine spezifische fermentative Un¬ 
zulänglichkeit des Zellstoffwechsels zu Endprodukten 
geworden sind (z B. die Homogentisinsäure). Wo es sich dagegen 
um solche Affinitätsträger handelt, die in den Zellen 
bestimmter Gewebsgruppen weiter verarbeitet werden, be¬ 
darf es keinen lokalen Gewebsschutzes, es wird 
vielmehr die ungestörte Auswirkung der Affinitätsbeziehung 
zur Zelle für den Zellstoffwechsel nützlich und notwendig, 
ihre Behinderung im Gegenteil schädlich sein. 

9. Beim ersten Aufbau der Organisation muss das Antiferment 
vor dem Ferment, der lokale Gewebsschutz vor dem Zcllprodukt, 
gegen dessen Affinität er eingestellt ist, mobilisierbar sein. 


Aus der I. Inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses 
Charlottenburg-Westend. 

Zur Pathogenese chronischer Gelenkerkrankungen und 
ihrer Behandlung durch Heilnersches Knorpelextrakt 

Von Prof. Dr. F. Umber. 

Als sich Prof. E. H e i 1 ne r - München im Mai 1916 mit einer 
Anfrage an mich wandte, ob ich bereit sei, bei chronischen Gelenk¬ 
erkrankungen ein nach seiner Angabe hergestelltes Knorpelextrakt zu 
erproben, das von ihm bereits mit Erfolg in der Münchener Poliklinik 
verwandt worden sei, wurde mein lebhaftes Interesse geweckt. Ein¬ 
mal deshalb, weil Heilner 1 ) mir mitteilte, dass er zu der thera¬ 
peutischen Verwendung des Knorpelextraktes — zunächst bei Ge¬ 
lenkgicht — angeregt worden sei durch meine Hypothese a ) von der 
gesteigerten Affinität der Gewebe Gichtischer zur Harnsäure, als 
deren Folge ich die Retention der Harnsäure in den Körpergeweben 
ansehe. Diese vermehrte Affinität der Gewebe zur Harnsäure bei der 
Gicht betrachte ich als Ursache dafür, dass die kompensatorische 
Harnsäureaussoheidung bei der Gicht unmöglich gemacht wird, und 1 
so die Harnsäure geradezu „in die Gewebe hineingezwungen wird“. 

Diese Vorstellung von der Harnsäureretention in den Geweben 
des Gichtischen ist bekanntlich heute von vielen Forschern ange- 


*) cf. Heilner: Behandlung der Gicht und anderer chronischer 
Gelenkentzündungen mit Kncrpelextrakt. M.m.W 1916 Nr. 28. I. Mitt., 
1917 Nr. 29. H. Mitt. 

9 ) Umber: Ernährung und Stoffwechselkrankheiten. I. Aufl. 
1909 S. 272, II. Aufl. 1914 S. 348. 


nommen worden. Diese Eigenschaft der erhöhten Affinität der Ge¬ 
webe zur Harnsäure muss im letzten Ende begründet sein in einer 
abnormen chemischen Beschaffenheit der Gewebe, die zur Retention 
der Harnsäure zwingt. Ich stelle mir als Substrat dieser abnormen 
chemischen Beschaffenheit der Gichtgewebe abnorm vermehrte Re¬ 
zeptoren der Harnsäure vor, die das normale Gewebe ja auch in 
geringem Umfange besitzen muss, wie uns z. B. die bescheidenen 
Harnsäureablagerungen in den Gelenken von nichtgichtischen N-reti- 
nierenden Schrumpfnierenkranken lehren. Warum sollten solche Re¬ 
zeptoren also nicht, wie wir ja aus der Immunitätslehre auch Re¬ 
zeptoren anderer Art kennen, in Gewebsextrakten wirksam sein bzw. 
durch solche wirksam gemacht werden können. Was nun für die 
Retention der Harnsäure beim Gichtischen gilt, gilt meines Erachtens 
in analoger Weise auch für die Retention arthrotroper Stoffwechsel¬ 
gifte bei anderen gelenkschädigenden Erkrankungen: z. B. für die 
Homogentisinsäure, welche die Gelenke des Afkaptonurikers mehr 
und mehr schädigt, sofern er die volle Entwicklung seiner Ochromose 
erlebt. Diese glaube ich seinerzeit 3 ) bewiesen zu haben durch Er¬ 
fahrungen an mehreren Generationen einer Alkaptonurikerfamilie. 
Die arthrotropc Noxe der gewöhnlichen Osteoarthritis deformans ist 
uns ihrem Wesen nach noch unbekannt, kann aber meiner 4 ) Ueber- 
zengung nach auch nur ein abnormes endogenes Stoffwechselgift 
sein, welches in analoger Weise wie die Harnsäure oder die Homo¬ 
gentisinsäure die Gelenke mehr oder weniger schädigt, je nachdem 
Rezeptoren dafür vorhanden sind. Aehnliches gilt auch für andere 
chronische Gelenkerkrankungen, wie die Rsriarthritis destruens, 
sowie für die infektiös-toxischen Gelenkerkrankungen. Dass diese 
Eigenschaft der erhöhten Affinität zu arthrotropen endogenen oder 
exogenen (infektiösen) Giftstoffen in erster Linie dem Knorpelgewebe 
zu eigen ist, ist bekannt, ebenso dass auch der normale Knorpel diese 
Eigenschaft in einem gewissen Grade besitzt. Die Affinität des nor¬ 
malen Knorpels zu ’den arthrotropen Noxen — seien sie nun physio¬ 
logische, intermediäre Produkte, wie Harnsäure. Homogentisinsäure 
oder infektiöse Giftstoffe bzw. deren sekundäre Produkte — genügt 
aber nicht, um die Gelenke erkranken zu lassen Sonst müsste ja 
jeder Mensch kranke Gelenke haben! Erst eine pathologische Stei¬ 
gerung der Gewebsaffinität zur Noxe führt zu einer krankmachenden 
Verankerung der Noxe im Gewebe. Heilner 6 ) stellt sich vor, dass 
das normale Gelenkgewebe durch einen „lokalen Gewebsschutz“ 
gegen die Affinität zur Harnsäure geschützt sei. Das Versagen dieses 
lokalen Gewebsschutzes würde dann die Erkrankung zur Folge haben. 

Im Lichte meiner Vorstellungen war mir Heilners Bestreben, 
durch Knorpelextrakt therapeutische Erfolge bei gewissen Formen der 
chronischen Arthritis zu erzielen, durchaus verständlich. 

Dazu kommt, dass wohl jeder, der sich viel mit chronischen 
Gelenkerkrankungen zu befassen hat, die Dürftigkeit unserer bis¬ 
herigen Therapie schmerzlich empfindet und daher gern einen wohl¬ 
überlegten therapeutischen Vorschlag kritisch prüfen wird. 

Aus diesen Gründen habe ich mit besonderer Aufmerksamkeit 
die verschiedenen mir vbn Heilner seit dem Frühjahr 1916 über¬ 
sandten Extrakte an geeigneten Fällen erprobt. 

Ich habe aus dem grossen mir zur Verfügung stehenden Material 
nur solche Fälle ausgewählt, die sich in unserer stationären klini¬ 
schen Behandlung befanden, und bei denen das Allgemeinbefinden 
eine derartige — mitunter lebhafte Allgemein- und Lokalreaktion aus¬ 
lösende — Behandlung von vornherein unbedenklich zuliess. 

Ich habe die Beobachtungen bisher an 18 verschiedenen Fällen, 
die monatelang in unserer klinischen Behandlung standen, in ins¬ 
gesamt über 70 Einzelinjektionen gemeinsam mit meinem ersten Assi¬ 
stenten Dr. Schwalb durchgeführt, der später an anderer Stelle 
eingehender darüber berichten wird. 

Ich selbst will heute nur summarisch zusammenfassen: 

In der Anwendung der uns von Heilner übersandten Extrakte 
von verschiedener Wirkungsstärke und verschiedener Herkunft haben 
wir uns an die mitgegebenen Vorschriften gehalten, die Heilner 
inzwischen auch in dieser Wochenschrift 8 ) veröffentlicht hat 

Die Einspritzungen werden ausschliesslich intravenös vor¬ 
genommen und verursachen an der Injeäktionsstelle dann keinerlei 
Beschwerden. Welches Extrakt im Einzelfalle ausgewählt werden 
muss, hängt von Konstitution und Alter des Kranken und seiner vor¬ 
aussichtlichen Empfindlichkeit ab. Bei einem grazilen, empfindsamen 
Patienten wird man mit schwach wirkenden Präparaten beginnen und 
vorsichtig in der Dosierung sowie Auswahl je nach der Wirksamkeit an- 
steigen. Individuelle Verschiedenheiten spielen zweifellos eine erhebliche 
Rolle: Nach der Injektion desselben Präparates sahen wir stürmische 
Reaktionen beim einen, völlig ausbleibende Reaktion beim anderen, 
ja, derselbe Kranke kann unter Umständen zu verschiedenen Zeiten 
auf dieselbe Dosis ganz verschieden reagieren. 

Dieser Umstand bringt vorläufig auch zweifellos eine gewisse Un¬ 
sicherheit in diese Behandlung und erfordert Umsicht und Erfahrung. 


3 ) Umber: Ernährung und Stoffwechselkrankheiten. H. Aufl. 
1914 S. 500 ff. und Intermediäre Stoffwechselstörungen in Krauss- 
Brugsch, Path. u. Ther. 1. S. 117. 

4 ) Umber: Behandlung der akuten und chronischen Gelenk¬ 
erkrankungen. Hb. d. ges. Ther. v. P e n z o 1 d t und S t i n t z i n g 
5. Aufl. 1914 S. 130. 

8 ) Heilner: 1. c. II. Mitt 

") Heilner: II. Mitt. M.m.W. 1917 N r . 29. 


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3. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Im allgemeinen sind wir entsprechend den Anweisungen Heil- 
ners so vorgegangen, dass wir den Kranken morgens um 9 Uhr 
1 ccm oder weniger des ausgewählten Serums injizierten und stündlich 
Rektaltemperaturen, subjektive und objektive Erscheinungen proto¬ 
kollierten. 

Bei starker Reaktion haben wir nach frühestens 6 Tagen eine 
zweite Injektion vorgenommen, je nach der vorausgegangenen Re¬ 
aktion mit kleinen Dosen (0.1—0,2 ccm) eines schwach wirkenden 
Extraktes oder mit Dosen bis zu 1 ccm der stark wirkenden Extrakte. 

Es ist nach Heil ners Ansicht wie nach unseren Erfahrungen 
erwünscht, dass während einer Kur, die wiederholte Injektionen (3—7) 
umfassen kann, mindestens einmal eine starke Allgemeinreaktion er¬ 
zielt wird, wenngleich es auch zweifellos richtig ist, dass die Stärke 
der Allgemeinreaktion mit der therapeutischen Wirkung nicht konform 
zu gehen braucht. 

Als „starke Allgemeinwirkung“ sahen wir: hohe Temperaturen, 
in der Regel bis zu 39°, sogar bis 40,9°. mit Schüttelfrost Kopf¬ 
schmerzen, Kreuzschmerzen, Brechreiz, manchmal Erbrechen, Durst, 
Durchfällen, Gefühl grosser Ermattung. Häufig sahen wir Herpes 
fazialis, zweimal sogar in hochgradiger Ausbildung 3 Tage 
später auftreten und die übrigen im Laufe des Injektionstages 
schnell abklingenden Allgemeinerscheinungen längere Zeit überdauern. 
Ferner beobachteten wir einmal eine stark juckende mehrstündige 
Urtikaria. Dass eine einmal von uns erlebte, vorübergehende nephro¬ 
tische Nierenreizung mit Wt Prom. A'Dbumen bei einem bis dahin 
völlig albumenfreien Nierengesunden dem Extrakt zur Last zu legen 
ist, scheint mir deshalb -durchaus unwahrscheinlich, weil wir bei den 
übrigen zahlreichen Injektionen, auch mit grossen Dosen, niemals, 
selbst bei sorgfältigstem Suchen, auch nur eine vorübergehende Al¬ 
buminurie gesehen haben. 

Oft genug trat aber nur eine ganz geringfügige oder auch über¬ 
haupt keine Aflgemeinreaktion auf, und ich muss ausdrücklich her¬ 
vorheben, dass wir eine längerdauemde Schädigung in keinem Fall 
erlebt haben. Vor allem aber, dass sich kein einziger der Kranken 
auch durch die erwähnten starken Reaktionen von seinem Wunsch 
nach Wiederholung der Injektionen abbringen Hess. 

Bei der 'Besprechung des therapeutischen Erfolges der Injektionen 
sei zunächst erwähnt dass wir unter den chronischen Gelenkeikran- 
kungen bestimmte Gruppen zur Behandlung ausgewählt haben: Die 
Periarthritis destruens, die Osteoarthritis deformans, den chronischen 
sekundären Gelenkrheumatismus und schliesslich zwei von uns seit 
Jahren wiederholt klinisch beobachtete Fälle von echter Gicht mit 
Harnsäuretophi. Hinsichtlich der Bezeichnung der -verschiedenen 
Arthritisformen halte ich mich hierbei an die seit vielen Jahren an 
meiner Abteilung übliche Einteilung 7 ). Ich verstehe unter chroni¬ 
scher progressiver Periarthritis destruens jene von Beginn an sich 
schleichend entwickelnde 'Erkrankung an den kleinen Gelenken, vor¬ 
zugsweise bei Frauen im Klimakterium, welche primär Kapsel und 
periartikuläres Gewebe 'betrifft und die eigentlichen Gelenkenden, 
Pfanne und Gelenkkopf, zunächst freilässt. Erst die spätere peri- 
artikuläre Gewebsschrumpfung führt zur Destruktion von Knorpel und 
Gelenken. Scharf davon trenne ich die gleichfalls schleichend sich 
entwickelnde Osteoarthritis deformans der grösseren Gelenke, bei der 
schwere Ernährungsstörungen primär am Gelenkknorpel einsetzen, 
die zu Gewebszerfall, Nekrosen und Usuren desselben, sowie der be¬ 
nachbarten Knochenpartien führen. Dadurch kommt es zur Er¬ 
weichung und Plastizität des Knochengewebes in den Gelenkenden 
nebst Neubildungsprozessen, Lippen- und Randwulstbildungen an der 
Knorpelknochengrenze (Randosteophyten), welche schon so früh auf 
der Röntgenplatte die Diagnose ermöglichen. Der chronische sekun¬ 
däre Gelenkrheumatismus endlich entsteht auf akuter oder subakuter 
infektiöser Basis und unterscheidet sich so in seinem Verlauf von der 
Periarthritis destruens, die vielfach mit seinem Spätstadium ver¬ 
wechselt wird. 

Nach meinen bisherigen Erfahrungen möchte ich zur Be¬ 
handlung mit dem H e i 1 n e r sehen Knorpelextrakt empfehlen die 
Periarthritis destruens, den sekundären Gelenkrheumatismus in erster 
Linie, in zweiter Linie die Osteoarthritis deformans. Hierbei ist aber 
zu berücksichtigen, dass der Charakter dieser chronischen Gelenk¬ 
erkrankungen zweifellos auch regionäre Verschiedenheiten aufweist 
und deshalb andernorts auch eine ander geordnete Indikationsskala 
denkbar ist. In den beiden von uns injizierten schweren Fällen von 
Harnsäuregicht haben wir weder im Anfall noch im Intervall eine 
günstige Wirkung erzielt. Bei beiden beobachteten wir sogar nach 
Injektionen im Intervall schwere Anfälle, die sicherlich durch das 
Knorpelextrakt ausgelöst waren. Ueber die Einwirkung des Extraktes 
auf leichtere Gichtfälle haben wir selbst bisher keine Erfahrung. 

Bei der Periarthritis destruens haben wir in einigen Fällen ge¬ 
radezu überraschende Erfolge der Behandlung erlebt. Eine Kranke, 
die seit langen Monaten trotz aller Behandlung nicht mehr gehen 
konnte, kam wieder auf die Beine; andere vermochten sich wieder 
selbst anzukleiden oder ihren Büroberuf aufzunehmen; bei zwei 
Frauen sahen wir am Tage nach der Injektion die Fingergelenke so auf¬ 
fällig abschwellen, dass die seit Jahren eingeklemmten Ringe glatt abge- 


7 ) Umber: Ernährung und Stoffwechselkrankheiten. II. Aufl. 
1914 S. 395 ff. und; Akute und chronische Gelenkerkrankungen 
in Hb. d. ges. Ther. v. P e n z o I d t und S t i n t z i ng II. Aufl. Bd. 5. 


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streift werden konnten. Fast in allen Fällen aber wurde subjektiv in den 
erkrankten Gelenken eine auffallende Besserung der Schmerzen und der 
Beweglichkeit angegeben, zuweilen ergab auch die Messung erhebliche 
Verminderung des Gelenkumfanges. Nur einer der injizierten Fälle 
von schwerster Periarthritis destruens, die auch seit Jahren von mir 
mit allen Mitteln und Methoden so gut wie erfolglos behandelt worden 
war, blieb ohne jegliche Einwirkung. 

In all unseren Fällen handelte es ich um Arthritiker, die seit 
Jahren mit allen möglichen medikamentösen und physikalischen Kuren 
vorbehandelt worden waren, ohne dass der Fortschritt des Leidens 
dadurch aufgehalten worden wäre. Um so höher sind die zum Teil 
weitgehenden Besserungen zu bewerten, die wir mit dem H e i l n e r - 
sehen Extrakt erreicht haben. Immerhin darf aber nach unseren Er¬ 
fahrungen in keinem Fall im voraus ein endgültiger Heilerfolg ver¬ 
sprochen werden, wenn man Enttäuschungen ersparen will. Trotz 
der oft stürmischen Reaktionen, die dem Kranken gleichfalls als 
mögliches Ereignis im voraus anzukündigen sind, und die nach unserer 
Ueberzeugung die Anwendung des Mittels bei erheblich Herzgefäss- 
geschädigten sowie bei zu sehr Heruntergekommenen überhaupt nicht 
oder nur mit grösster Vorsicht gestatten, kann diese neue Behand¬ 
lungsweise eine segensreiche werden. Nur müssen die Fälle richtig 
ausgewählt und sorgsam — womöglich dauernd klinisch — beobachtet 
weixlen. 


Aus der chirurgischen Klinik der tierärztlichen Fakultät der 
Universität München (Vorstand: Prof. Dr. J. Mayr). 

Ueber die Behandlung chronischer Gelenkentzündungen 
beim Haustier mit Heilners*) Knorpelpräparat und 
Beziehungen zwischen Gelenkerkrankungen von Mensch 
und Tier. 

Von o. ö. Universitätsprofessor Dr. J. Mayr. 

Auf dem Gebiete der Gelenkerkrankungen hat die medizinische 
Wissenchaft in der neueren Zeit erfreuliche Fortschritte gemacht. Die 
bisher hinsichtlich der Pathogenese und der Deutung pathologisch-ana¬ 
tomischer Befunde zum Teil sehr unklaren Vorstellungen und Defini¬ 
tionen beginnen sich zu lichten und zu ordnen. Mit Recht wird 
neuerdings 1 ) besonderer Nachdruck auf die exakte Unter¬ 
scheidung zwischen den rein chronisch entzündlichen produk¬ 
tiven Prozessen (progressive Periarthritis destruens) und den primär 
regressiven, degenerativen Erkrankungsformen der Gelenke (Osteo¬ 
arthritis deformans) gelegt. 

Wenn wir das überaus reiche Material der in Betracht kommen¬ 
den Gelenkerkrankungen beim Haustier näher in Augenschein 
nehmen, so macht es auf mich den Eindruck, dass wir Krankheits¬ 
bilder, die scharf auseinanderzuhalten wären, zusammenwerfen, wie 
dies zum Teil noch heute in der Menschenmedizin geschieht. Bei der 
erstgenannten chronischen progressiven Periarthri¬ 
tis destruens werden primär die Kapseln und die 
periartikulären Gewebe (Gelenkbänder, Sehnenansatz¬ 
stellen) und natürlich auch das Periost der Epiphysen befallen, 
während die eigentlichen Gelenksenden, Pfanne und Gelenk¬ 
kopf, d. h. Knorpel und Knochen, anfangs intakt bleiben. 
Bei dieser Art der chronischen Entzündung tritt der entzündlich pro¬ 
duktive Charakter in den Vordergrund, wobei es zu Verdickungen der 
Gelenkkapsel und der Gelenkbänder, sowie zu periostalen Wuche¬ 
rungen an den Ansatzstellen dieser Bänder und Endsehnen kommt. 
Erst sekundär treten dann unter der pressenden Wirkung von seiten 
der schrumpfenden Gelenkkapsel und der neugebildeten Gewebs- 
massen Veränderungen innerhalb des Gelenkes selbst und insbeson¬ 
dere auch am Knorpel und Knochen auf. 

An Hand dieser gedrängten Darstellung aus der menschlichen 
Pathologie begegnen wir in unserem ureigenen Gebiet der Tiermedizin 
zweifellos überaus zahlreichen Fällen mit sehr wesentlich überein¬ 
stimmendem Krankheitsverlauf und pathologisch-anatomischem 'Be¬ 
fund auch bei unseren Haustieren. Besonders das Kriterium des Be¬ 
fallenwerdens der kleineren Gelenke, welches geradezu pathogno- 
monisch für die Periarthritis destruens des Menschen ist, sehen wir 
häufig in überraschender Weise auch beim Haustier erfüllt. Ich er¬ 
innere nur an die als Schale bezeichneten chronisch-entzündlichen 
Prozesse in den Zehengelenken, besonders beim Pferd, weiterhin an 
ihr ganz analoges Auftreten im Bereiche des Karpalgelenks. Diese 
von Krüger und F r ö h n e r als „Periostitis ossificans“ bezeichnete 
„periartikuläre Form der Entzündung“ im Periost pflegt sich über die 
ganze Oberfläche des Gelenks auszubreiten. Endlich lässt sich auch 
eine Erscheinungsform der so häufigen sog. chronisch-aseptischen Ent- 


*) Ernst H e i I n e r: Die Behandlung der Gicht und anderer chro¬ 
nischer Gelenkentzündungen mit Knorpelextrakt. M.m.W. 1916 H. 28 
S. 997—999: I. Mitteilung und E. Hei ln er: II. Mitteilung: Die 
allgemeine Aetiologie. M.m.W. 1917 H. 29 S. 933^—936 und E. H e i 1 - 
ner: III. Mitteilung: M.m.W. diese Nummer. 

l ) F. Umber im Handbuch von Penzoldt und Stintzing (5) 5 
1914. S. 130 und F. Umber: Ernährung und Stoffwechselkrankheiten 
(2), Berlin 1914, S 4At ff 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 36. 


Zündungen im Sprunggelenk desPferdes (der bekannte Spat) mit hoher 
Wahrscheinlichkeit unter diese periartikuläre destruierende Form der 
primären Arthritiden einreihen. 

Nachdrücklich unterschieden von dieser Periarthritis destruens 
hauptsächlich der kleineren Gelenke wird, wie betont, neuerdings die 
Osteoarthritis deformans vorwiegend der grösseren Gelenke, bei 
der primärdie eigentlichen Gelenk enden, und zwar der 
Gelenkknorpel geschädigt werden. Es handelt sich hierbei um primär 
regressive degenerative Vorgänge (Gewebszerfall, Usufen und Ne¬ 
krosen des Knorpels). Die Spongiosa wird rarefiziert, wodurch eine 
Erweichung des Knochengewebes in den Gelenkenden herbeigeführt 
wird. Aus diesen Degenerationsprozessen im Verein mit mecha¬ 
nischen, das Gelenk treffenden Insulten entstehen dann sekundär die 
progressiven Wucherungen als Neubildungen am Knochen, am Knor¬ 
pel und am Periost. Später wird dann auch noch die Gelenkkapsel 
an dem Prozess beteiligt, wobei sie sich verdickt und Zotten bildet; 
durch das Zusammenwirken dieser regressiven und produktiven Pro¬ 
zesse kommt es also schliesslich zu den oft so hochgradigen De¬ 
formitäten des Gelenks. 

Auch im Gebiet der Tierheilkunde scheinen in charakteristischer 
Weise besonders die grösseren Gelenke bei verschiedenen Tieren von 
dieser Osteoarthritis deformans befallen zu werden, wobei es aus 
leicht verständlichen Gründen allerdings nur in seltenen Fällen bis 
zum Schlusseffekt. der produktiven Zubildung und den schweren Ge¬ 
lenksdeformationen kommt, da man eben naturgemäss die unwirt¬ 
schaftlich gewordenen Tiere nicht bis zur völligen Ausbildung des 
Krankheitsbildes am Leben lässt. Ich erinnere hier an die chronische 
Gonitis des Pferdes, die als Ostitis rarefaciens unter Uebergreifen auf 
den Gelenkknorpel und später auch auf ’das Periost des Knochen¬ 
randes der Tibia und des Femur aufzutreten pflegt und später die 
charakteristischen Gelenkkapselerkrankungen nach sich zieht (Z a - 
lewsky, Fröhner). Auch die nichtinfektiösen regressiven Ent¬ 
zündungsformen der Artikulation zwischen Schulterblatt und Oberarm 
beim Pferd, eines als Schultergelenk bezeichneten ungewöhnlich 
grossen Pfannengelenks (Kärnbachs Omarthritis chron. def.) und 
ebenso gewisse Entzündungen des Hüftgelenks (beim Pferde, Zugrind, 
Hunde) dürfen ebenfalls hier eingereiht werden. Bei dem so häufigen 
Entzündungsprozess im Sprunggelenk, dem schon genannten Spate 
des Pferdes scheint es sich, wie oben dargelegt, in vielen Fällen um 
eine echte Periarthritis destruens (G o s s m a n n). in wieder anderen 
aber, besonders nach E b e r 1 e 1 n *), auch Gotti Schräder, mehr 
um eine Osteoarthritis deformans zu handeln, da die pathologischen 
Vorgänge beim Tier sowohl in einem wie im andern Falle mit den 
entsprechenden beim Menschen eine nicht zu verkennende, mitunter 
überraschende Ähnlichkeit besitzen. Der Widerstreit der heute in 
unserem Lager über das Wesen der Spaterkrankungen herrschenden 
Ansichten könnte durch eine Scheidung auf dieser Grundlage einer 
Klärung zugeführt werden, da genügend Anhaltspunkte vorhanden 
sind, dass wir beim Soat bald mehr die eine, bald die andere Form der 
beiden oben beschriebenen Arthritiden *) vor uns haben. Endlich will 
ich kurz noch ein Krankheitsbild berühren, das mit dem sekundär 
chronischen Gelenkrheumatismus als Folgezustand eines überstan¬ 
denen akuten Gelenkrheumatismus beim Menschen in eine gewisse 
Parallele gesetzt werden könnte. In der Jugend abgelaufene In¬ 
fektionserkrankungen beim Haustier, namentlich die Druse, scheinen 
mitunter die Gelenke derart beeinflussen zu können, dass eine ge¬ 
wisse Schwäche zurückbleibt, die das spätere Auftreten einer chro¬ 
nischen. sekundären Gelenkentzündung nach mechanischen Insulten 
oder auch leichterer Ueberanstrengung begünstigt. Besonders bei 
jungen Tieren, welche noch nicht in Gebrauch genommen waren und 
trotzdem bereits Spat oder Schale zeigen, kann man Gelenkverände¬ 
rungen treffen, die starke Aehnlichkeit auch in ihrem nathnlogisrh- 
anatomischen Bild mit dem chronischen Gelenkrheumatismus des 
Menschen zeigen. Man nimmt hier an. dass Erkältung, also ther¬ 
mische Ursachen, z. B. Aufenthalt in kalten, undichten Stallungen. 
Hinausiagen in kaltes Wetter u. dgl. bei erhitztem Zustand die pri¬ 
märe Veranlassung für das Leiden abgeben. 

Solcher primären Ursachen 4 ) der deformierenden Gelenkerkran¬ 
kungen bei Hausieren sind uns noch mehr bekannt. Vor allem 
kommen traumatische und mechanische, dann aber auch statische und 
infektiöse Entzündungsreize in Frage. Auch Ueberbeanspruchung der 
Gelenke begünstigt das Auftreten des Leidens, nicht nur bei Pfer¬ 
den, sondern auch beim Zugrinde und Hunde. So beobachtet man bei 
Pferden, die vor Pferdebahnen oder im Omnibusdienst auf ganz be¬ 
stimmte Bewegungen angewiesen sind, eine sehr charakteristische 
Gonitis chronica, die hier am Kniegelenk zu denselben Ver¬ 
änderungen führt, wiedas Malum coxae des Menschen am Hüftgelenk. 


Mh. f. pr. Tierhlk. von 


*) E b e r 1 e i n: Der Spat des Pferdes. 

Fröhner und Kitt 14. 1903. 

*) C. H. Hert wi g in seinem Praktischen Handbuch der Chirur¬ 
gie für Tierärzte (2) 1859. 

4 ) Nach H e i 1 n e r s Ansicht ist allen primären Ursachen die 
erbliche Disposition übergeordnet, unter welcher er die 
angeboren mangelnde Erzeugung des lokalen Gewebs- 
schütz e^s versteht. Hiezu bringt unsere Erfahrung wertvollen 
Beitrag. Wenn Tiere mit fehlerhafter Bauart zur Zuoht verwendet 
werden, können die Fehler sich auf die Nachkommen 
vererben, welche damit eine Anlage zum Spat oder zur Schale 
von den Eltern mit auf die Welt bekommen. 


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Auch Ueberanstrengung durch ungleiche Belastung infolge schmerz¬ 
hafter Erkrankung (z. B. Nageltritt) am Fusse ‘führt bei längerem 
Bestehen durch statische Missverhältnisse mitunter zu einer Arthri¬ 
tis deformans in einem Gelenke 5 ) des anderen gesunden Fusses. 
Wenn uns diese primären Ursachen chronischer Gelenkentzün¬ 
dungen auch genau bekannt sind, so kommt ihnen doch nur ein die 
Krankheit auslösender Charakter zu und der tiefer liegende patho¬ 
logische Mechanismus war bis jetzt in tiefes Dunkel gehüllt 5 ). 

Es ist das grosse und weittragende Verdienst Ernst 
Heilners 5 ) zum erstenmal eine kausale, den 
inneren Mechanismus der Erkrankung treffende Behandlungs¬ 
weise chronischer Entzündungen mit der intravenösen Injektion 
seines Knorpelpräparats in die bisher so gut wie rein symptomatische 
Therapie der Gelenkerkrankungen eingeführt zu haben. Die vielen 
guten Erfolge, welche Heil ne r bei den verschiedensten 
Formen chronischer Gelenkentzündungen nach intravenöser Zu¬ 
fuhr seines Knorpelpräparates sah und die völlig übereinstimmen¬ 
den Allgemeinerscheinungen und lokalen Gelenkreaktionen sind 
eine besonder Stütze seiner Anschauung von der gemein¬ 
samen Aetiologie sämtlicher chronischer Ge¬ 
lenkentzündungen. Durch die von H e i 1 n e r in seiner 
II. Mitteilung (M.m.W. 1917 H. 29 S. 933—936) aufgestelite neue be¬ 
merkenswerte Affinitätstheorie und seine Annahme eines „lo¬ 
kalen Gew ebsSchutzes“ wird ein bedeutsames Licht in das 
Dunkel gebracht, welches bisher die eigentlichen Ursachen der schwe¬ 
ren chronischen Gelenkerkrankungen umgab. Nach Heilners Vor¬ 
stellung muss im Organismus von vornherein Vorsorge ge¬ 
troffen sein, dass bestimmte chemische Affinitäten 
zwischen gewissen im Blut und in den Säften be¬ 
findlichen physiologischen Stoffen und bestimm¬ 
ten Gewebsarten (z. B. Harnsäure—Knorpel) sich nicht 
zum Schaden des Zellbetriebs durchsetzen können. 
Dieses Ziel wird im gesunden Körper durch die stete physiologische 
Lieferung eine lokalen, diese Affinität unwirksam machenden G e - 
websschutzes erreicht. Durch eine oder die andere der obenge¬ 
nannten, nach Heil ne r rein zufälligen primären Ursachen treten 
zunächst etwa Ernährungsstörungen, jedenfalls aber Schädigungen der¬ 
jenigen Zellen in bestimmten Gewebsarten des Gelenks auf. welche 
mit der Hervorbringting und der Unterhaltung des lokalen Gewefos- 
schutzes betraut sind Der lokale Gew^bsschutz wird unzureichend, 
wird nach’H e i 1 n e r s Ausdruck da und dort durchlöchert und in 
diese Stellen dringen nunmehr physiologische, vorher abgehaltene 
Stoffe unter allmählich zunehmender Schädigune des Gewebes ein. 
Besonderer Nachdruck wird darauf gelegt, dass kein an sich schädi¬ 
gendes Agens im Spiele ist. sondern dass stets nur normale physio¬ 
logische Stoffe nach Fortfall des gegen die Affinität dieser physio¬ 
logischen Stoffe gerichteten lokalen Gewebsschutzes die allmählich 
immer tiefer greifenden Schädigungen des Gelenkannarats hervor¬ 
bringen. Wie wir oben gesehen haben, ist die Aehnlichkeit der patho¬ 
logischen Vorgänge bei chronischen Gelenkentzündungen des Men¬ 
schen mft denen beim Trcr ausserordentlich gross. Es ergibt sich daher 
die folgende Ueberlegung gewissermassen von seihst. Heil- 
n e r hat mit der Intravenösen Infektion vnn Kalbs-, d. i. T i e rknoroei- 
extrakt gute Heilerfolge beim Menschen erzielt. Nach den ein¬ 
zelnen Injektionen des T?erknorneln* , ännrats traten neben Allgemein¬ 
reaktionen charakteristische lokale Fraktionen im entzündlich ver¬ 
änderten Gelenk des Menschen auf. Das Tier muss also Substanzen 
in seinem Knorpel besitzen, welche im entbrechenden Gewebe des 
Menschen spezifische Heilvorgänge 7 ) hen'orzurufen imstande sind. 

Es war daher für mich von höchstem Interesse, die Wirkung des 
Mittels auch bei den chronischen Gelenkentzündungen des Tieres zu 
verfolgen. EineUebereinstimmung der therapeuti¬ 
sch e^Ergebnisse bei 1 Mensch und Tier musste für 
die eingangs erwähnte Uebereinstimmung auch 
der beiderseitigen pathologischen Zustände ein 
neuer wichtiger Beweis sein. Dieser Beweis wurde 
in Versuchen, die ich im Oktober 1917 begann, erbracht. Wie 
aus den Versuohsorotokollen hervorgeht, war der Erfolg ein 
sehr guter und vielversprechender: von 3 Pferden wurden 2 
für den Dienstgebrauch in verhältnismässig besonders kurzer 
Zeit nahezu völlig wieder hergestellt, von 2 Hunden wurde 
\ geheilt. Dabei ist hervorzuheben, dass gerade beim Hunde 
das Leiden häufig ieder bisherigen Therapie trotzt. Ich gab den 
Deren, besonders den Pferden, relativ kleine Dosen der mir von 
Herrn Prof. Hei Iner zu meinen Versuchen überlassenen, ver¬ 
schieden stark wirkenden Präparate. Die Einbringung erfolgte 


3 Möller und Frick: Allgemeine Chirurgie f. Tierärzte 1911. 

•) Siehe Anmerkung *). 

7 ) Diese Heilvorgänge beruhen nach He i In er in erster Linie 
auf der durch die ins Blut eingebrachten spezifischen Stoffe des 
Knorpels bewirkten Neuentfachung bzw. Verstärkung des Schutz¬ 
fermentmechanismus, welcher mit der Hervorbringung des lokalen 
Gewebsschutzes betraut ist. Der Ausdruck ..Schutzferment“ wurde 
auf Grund entsprechender Ueberlegungen zuerst von He iln e r ge¬ 
braucht. _E. Heiln er:-..Ueber das Schicksal des subkutan einge- 
fuhrten Rohrzuckers etc.“, Zschr. f. Biol. 61. 1911. S. 80. sowie 
JJeber die Wirkung grösserer Mengen artfremden Blutserums im 
Tierkörper nach Zufuhr per os und subkutan“, Zschr. f. Bio!. 50. 
1907. S. 26. 


Original from 

UNIVERSUM OF CALIFORNIA 


3. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


m 


stets intravenös in die Vena jugularis. Die einzelnen Injektionskuren 
umfassten 2 bis 7 Injektionen; die Allgemeinreaktionen 8 ) zeigten 
die grösste Aehnlichkeit mit denen beim Menschen, die lokale Ge¬ 
lenkreaktion, die beim Menschen in leisen, ziehenden Schmerzen 
(„Mahnungen“) im befallenen Gelenk besteht, konnte objektiv durch 
ein beim Pferd auf die Injektion hin mitunter auftretendes, vorüber¬ 
gehendes, stärkeres Lahmen festgestellt werden. Charakteristisch 
waren vor allem auch die Temperatursteigerungen beim Pferd und 
Hunde (bei Pferden bis 2>£ °, bei Hunden 1)4—1%° über die Norm). 
Neben dem Fieberanstieg beobachteten wir bei Pferden mitunter 
Schüttelfrost, Schweissausbruch, aber ohne Störung des Appetits und 
ohne nennenswerten Einfluss auf die Funktionen des Intestinaltraktus. 
So traten besonders auch keine Diarrhöen auf. Vom Symptome des 
Erbrechens bei Pferden muss an sich abgesehen werden, da das 
Pferdegeschlecht sich aus physiologischen Gründen nicht erbricht. Bei 
den beiden Hunden dagegen trat einige Stunden nach der Injektion 
fast regelmässig Eibrechen auf, teilweise von starkem Durstgefühl 
gefolgt. Das Erbrechen stellte sich auch ein, wenn die Tiere nicht 
gefüttert worden waren. Die Abendmahlzeit wurde, wenn die Injek¬ 
tion in der Frühe vorgenommen worden war, bereits wieder be¬ 
halten. Einigemale trat nach dem Erbrechen Durchfall ein, der sich 
mitunter in der Nacht wiederholte; auffallender Schüttelfrost ist bei 
den Hunden nicht gesehen worden. Der Appetit scheint bei Pferden 
und bei Hunden, bei lezteren trotz Erbrechen oder Durchfall, keine 
Störung erfahren zu haben. Der Harn war stets eiweissfrei, auch 
während der Fieberreaktionen, und wies nur die allgemeinen Zeichen 
des Fieberharns auf (erhöhtes spez. Gewicht, dunkle Farbe durch 
vermehrten Gallenfarbstoff). Die klinischen Symptome der Gelenk¬ 
entzündung, spez. das Lahmen, traten nach der Injektion von H e i 1- 
ners Präparat mitunter in stärkerem Grade in Erscheinung. 
Es schien ein akuter oder subakuter entzündlicher Nachschub aufge¬ 
treten zu sein, der sich durch die in der .Tiermedizin üblichen Unter¬ 
suchungsmethoden objektiv feststellen liess. 

Ich möchte an dieser Stelle meiner schon lange gehegten Ueber- 
zeugung von der hohen Bedeutung der Entzündung für die Therapie 
Ausdruck geben. Gerade die künstlich hervorgerufene, 
aus der bestehenden chronischen Entzündung 
heraus künstlich erzeugte akute bis hochakute neue 
Entzündung, die ich als „Reinf lammatio“ 0 ) oder 
„Heilenzündung“ bezeichnen möchte, stellt nach meiner 
Anschauung einen wesentlichen Heilfaktor diesen chronisch ent¬ 
zündlichen Vorgängen gegenüber dar. Der durch die Reintlammatio 
eingeleitete Heilvorgang selbst äussert sich teils im Abbau von zu- 
gebiideten pathologischen Geweben, teils im Ausheilen von durch 
die chronische Entzündung hervorgeruienen Gewebsdefekten. Seit 
urlanger Zeit wird in der Tierheilkunde rein.empirisch das Ziel ver¬ 
folgt, die chronischen Gelenk- überhaupt chirurgisch-chronischen Ent¬ 
zündungen durch Hervorbringung einer möglichst heftigen akuten Ent¬ 
zündung im Bereiche des chronisch erkrankten Gelenkes bzw. des 
entsprechenden erkrankten Körperteiles günstig zu beeinflussen. So¬ 
gar vorbeugend machen wir Gebrauoh von dieser „Remflammatio“ 
gegenüber drohenden Wundinfektionen, z. B. bei- frischen Gelenk¬ 
wunden. Diese heilsame akute Entzündung wird in der Tiermedizin 
durch chemische oder thermische Einwirkungen stärkster Art hervor¬ 
zurufen versucht 10 ). Mit Hilfe dieser frisch erzeugten Entzündung 


8 ) Nach der einen oder anderen Injektion offenbar schwach 
wirkenden Präparates trat gar keine Reaktion auf. 

*) Diese tritt bei Heil ne rs Präparat durch ihre spezifische 
Beziehung zum üelenkapparat offenbar zweckmässig begrenzt 
und mehr milde in Erscheinung. 

lo ) Es mag von Interesse sein, die zur „Reinflammatio“ führen¬ 
den Methoden, weiche in der Menschenmedizin nach vorübergehenden 
Versuchen (Akupunktur, Baunscheidtismus) offenbar wegen ihres 
schmerzhaften und tiefeingreitenden Verfahrens keinen festen Fuss 
fassen konnten, hier etwas eingehender anzuführen: Bei der auf 
chemischem Wege hervorgerufenen Entzündung handelt es sich um 
die Applikation von bekannten Scharf salben oder auch reizenden 
Flüssigkeiten. Zur Herstellung derselben dienen Kanthariden, Oueck- 
silberverbindungen, auch Euphorbium, Krotonöl und Arsenik in Sal¬ 
ben- oder Flüssigkeitsform, die in der Tierheilkunde durch viel- 
jährige Erfahrung festgelegt sind. Auch für die Technik der Ein¬ 
reibungen gelten natürlich bestimmte Methoden. Die hiedurch er¬ 
zeugten frischen Entzündungen müssen sehr heftig sein und in ihrem 
Verlaufe wohl überwacht werden, sollen sie die gewünschte Wirkung 
erzielen. Besonders aber muss dem Tiere auch nach der scheinbaren 
Ausheilung der künstlich erzeugten akuten Entzündung eine hin¬ 
reichende Rühe gegönnt werden, soll die Wirkung nicht ausbleiben. 
— Bei der Anwendung thermischer Reize hat man sich in neuester 
Zeit durch praktische Erfahrungen und nach eingehenden Versuchen 
(u. a. Eberl ein) wnhi in 4e r Hauptsache auf das perforierende 
Brennen geeinigt. Hier werden mit eigens konstruierten Glühstiften, 
denen verschieden lange Nadeln bis zur Dicke einer Stricknadel an¬ 
gehören, nach ganz bestimmter Methode Brennpunkte z. B. an durch 
die Auftreibungen erkenntlichen kranken Stellen des Gelenkes an¬ 
gebracht. Die Brennpunkte sollen im Gebiete der Knochenauftrei¬ 
bungen möglichst bis in den Knochen selbst hineingetrieben werden. 
Die Zahl der Brennpunkte hängt natürlich von dem Umfang der 
Knochenauftreibungen ab, braucht aber durchaus nicht gross zu sein. 
Es genügen mitunter 2—4 perforierende Brennungen, oft aber sind 


Nr. 36 

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Gck igle 


soll bei sehr vorgeschrittenen Leiden die Ankylosiefung des Ge¬ 
lenks durch weitere Ausbildung der Synostosen zu völliger Verwach¬ 
sung der Gelenke erzielt werden (Fröhner, Frick, Eberlein 
u. a.). Wenn aber das Leiden einen gewissen Höhepunkt noch nicht 
überschritten hat, besonders wenn die Exostosen und die Verände¬ 
rungen am Gelenk noch geringfügigerer Natur sind, so können 
durch die von mir als Reinflammatio bezeichnetc 
s u p er p on i e r t e Entzündung sehr weitgehende Hei¬ 
lungsprozesse eingeleitet werden, wenn man dem 
kranken Körperteil Zeit lässt. Auch Sanarthrit „Heilner“ ruft, wie 
schon betont, nach der einzelnen intravenösen Injektion beim Tier, 
das ja leichet Gelenkschmerzen (Mahnungen) subjektiv nicht angeben 
kann, häufig einen objektiv nachweisbaren vorübergehenden Entzün¬ 
dungsnachschub hervor, welcher jedoch wesentlich milder als ein durch 
unsere scharfen Mittel erzeugter ist. Wenn aber diese verhältnis¬ 
mässig milde auf Heilner s Knorpelpräparat eintretende Reinflam¬ 
matio vielleicht therapeutisch noch wirksamer ist-, so wird dies 
verständlich durch die Ueberlegung, dass sie in erster Linie durch fer¬ 
mentative Vorgänge gewissermassen von innen, vom Gewebe heraus, 
erzeugt wird, und nicht durch gewaltsame äussere Einwirkungen von 
aussen herein. In dieser sekundären superponierten Entzün¬ 
dung scheint mir einer der Hauptfaktoren der therapeutischen Wirkung 
des Heilner sehen Präparates zu liegen. Wenn die Anzahl meiner 
mitgeteilten Versuche, vor allem infolge der jetzigen Zeitver¬ 
hältnisse, auch nur gering ist, so geht aus denselben doch 
hervor, dass die therapeutische Wirkung des Hei ln er sehen 
Präparate auch beim Tier eine ausgezeichnete ist. Von 5 Tieren 
mit chronischen Gelenkentzündungen wurden 2 weitgehendst 
gebessert, eines geheilt. Auch beim Menschen verhalten sich nach 
persönlicher Mitteilung Herrn Prof. Heilners, welcher seit 
3)4 Jahren über ein ausserordentlich grosses Beobachtungsmaterial 
verfügt,, ca. 30 Proz. aller Fälle refraktär. Was aber eine gewisse 
Gesetzmässigkeit der therapeutischen Hauptwirkung noch eindring¬ 
licher macht und was unser besonderes Interesse verdient, ist die 
überraschende Uebereinstimmung der Allgemein- und lokalen Re¬ 
aktion nach intravenösen Injektionen des Knorpelpräparats bei Mensch 
und Tier. Bis vor kurzem wurden Gicht. Osteoarthritis deformans 
und Periarthritis destruens ätiologisch streng voneinander geschieden. 
Heilner hat in der Uebereinstimmung der spezifischen Gelenk- 
und Allgemeinreaktion bei den an diesen Erkrankungen leiden¬ 
den Patienten mit Recht einen wertvollen Beweis für seine 
bedeutsame Theorie vom lokalen Gewebschütz und 
seine Ansicht von der gemeinsamen Aetiologie der 
Gicht und anderer chronischer Gelenkentzündungen erblickt. Ich 
möchte meinerseits an Hand der Uebereinstimmung der theiapeu- 
tischen Wirkung und der Reaktionserscheinungen bei Mensen und 
Tier meiner Ueberzeugung von der hohen Gleichartigkeit der in Frage 
stehenden Erkrankungsvorgänge bei Mensch und Tier wiederholten 
Ausdruck geben und meinen Vorschlag zu gleichartiger Einteilung und 
Betrachtungsweise erneuern. Der von Heilner beschrittene, auch 
theoretisch eindrucksvolle und überzeugende Weg einer kausalen 
Therapie der chronischen Gelenkentzündungen ist äusserst vielver¬ 
sprechend und zukunftsreich und es ist auch für die Tiermedizin von 
Wichtigkeit, die gemachten Erfahrungen nach jeder Richtung hin zu 
vervollständigen, um so mehr als nach meinen vorstehenden Aus¬ 
führungen solche Erfahrungen bei der Gleichartigkeit der Verhältnisse 
auf diesem Gebiet in der Menschen- und Tiermedizin gegenseitig 
fördernd wirken müssen. 

Bei der technischen Durchführung der Versuche sowie bei den 
klinischen Beobachtungen wurde ich durch meine Assistenten, die 
Herren Dr. H. Wen ge r, Dr. K. E. Fischer und M. Kirch- 

1 e i t n e r. unterstützt. 

Wegen Raummangels kann von den Versuchsprotokollen nur der 

1. Versuch am Pferd mitgeteilt werden: 

Brauner, 18 jähriger Wallach. 

Zugang: 23. Oktober 1917, A b g*a n g: 22. November 1917. 

Befund: Spat hinten rechts mit geringgradigen Exostosen an 
der Innenfläche des Sprunggelenks; mittelgradiges Lahmen, hauptsäch¬ 
lich im Trab. — Besitzer merkte das Lahmen angeblich seit zirka 
4 Wochen. 

Vorbehandlung: Jodvasogeneinreibungen waren wiederholt vor¬ 
genommen worden, jedoch ohne Erfolg. 

1. Injektion mit 2ccm Sanarthrit „Heilner“ am 24. Ok¬ 
tober 1917 mittags 12 Uhr, Temp. 37,8°, 2 Uhr 39,0°, 3 bis 5 Uhr 
39,5°, 7—9 Uhr 39,1° und 39,0°. 

Das Pferd zeigt starken Schweissausbruch während des Fiebers, 
verminderten Appetit. — Harnbefund: Kein Albumen, höheres spez. 
Gewicht: 1081 gegen 1050, dunkle Farbe, Gallenfarbstoff, Fieberharn. 

Zwei Tage nach dieser Injektion zeigt das Tier im Schritt schein¬ 
bare leichte Besserung. 

2. I n j e k t i o n am 29. Oktober 1917 um 4 Uhr nachmittags mit 
leem Sanarthrit „Heilner“. Um 8 Uhr abends noch kein Fieber 
(37,7°), 10 Uhr nachts 39,1°, 11 Uhr bereits Rückgang; anderen Tags 
früh 7 Uhr normale Temperatur. Harnbefund unverändert. 

3. Injektion am 6. November 1917, 11 Uhr vormittags mit 

2 ccm Sanarthrit „Heilner“ Zunächst leichte Temperatursteigerung 


auch bedeutend mehr notwendig. Die Brennpunkte dürfen nicht zu nah 
nebeneinander gesetzt werden, damit nicht das dazwischenliegende 
Hautstück durch die Glut der Nadel zerstört wird. 

2 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 36. 


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über die Mittagszeit (2 Uhr: 38,7°), dann Sinken; abends eine zweite 
Temperatursteigerung, um 7 Uhr 39,0°; andern Tags früh 7 Uhr 
wieder normal. • 

Das Pferd bekommt 10 Tage Stallruhe bei ganz leichter Be¬ 
wegung. Am 16. November 1917 wird das 'Herd vorgefiihrt. Es geht 
im Schritt und im Trab bedeutend besser, sogar, was besonders be¬ 
merkenswert ist, auf dem harten Pflaster. Auch die klinische Unter¬ 
suchung auf etwa vorhandene Schmerzen im Sprunggelenk ergibt 
eine bedeutende Besserung bzw. keine Reaktion. 

Am 18. November neue Untersuchung: Das Pferd geht sehr gut. 

Am 22. November geht das Pferd ab und zeigt weder im Schritt 
noch im Trab Lahmen. 

Neue Vorführung am 29. November 1917: Untersuchung im 
Schritt und im Trab gleich gut. Auch die für leichte Schmerzen 
charakteristischen zuckenden Bewegungen im Sprungelenk sind nicht 
mehr da. 'Besitzer sagt, dem Herde merke man gar nichts mehr an. 


Aus dem Pathologischen Institut der Universität Jena. 

Ueber die Lungensyphilis der Erwachsenen*). 

Von Prof. R. Rössle. 

Im Gegensatz zu den formen der Lungensyphilis beim luetischen 
Neugeborenen ist die Lungensyphilis der Erwachsenen wenig ge¬ 
kannt; in bezug auf ihre Häufigkeit und Wichtigkeit wird sie aber 
entschieden unterschätzt. Sie gilt als nicht eigenartig genug, um mit 
Sicherheit festgestellt werden zu können und es ist insbesondere die 
Abgrenzung gegenüber der Tuberkulose, deren Schwierigkeit hervor¬ 
gehoben wird. In seiner ausführlichen Berichterstattung über die 
pathologische Anatomie der Syphilis (1906) kommt Herxheim er 
zu dem Ergebnis, dass die erworbene Lungensyphilis das unsicherste 
Gebiet der Syphilistorschung überhaupt ist, während Flockemann 
(1899) in seinem Referat darüber noch absprechender urteilt, ja das 
Vorhandensein einer Lungensyphilis bei den Erwachsenen als keines¬ 
wegs bewiesen oder auch nur wahrscheinlich gemacht ansieht. Ent¬ 
sprechend behandeln auch unsere Lehrbücher mit wenigen Aus¬ 
nahmen (Rib'bert, Kaufmann) die Lungensyphilis der Er¬ 
wachsenen äusserst skeptisch und allzu dürftig. Einer solchen Ein¬ 
schätzung gegenüber ist zu betonen, dass die diagnostische Sicherheit 
und damit der diagnostische Wert bei den betreffenden Lungenver¬ 
änderungen doch erheblicher sind; je länger man sein Augenmerk 
darauf richtet, desto eigenartiger erscheint ein Teil ihrer Erscheinungs¬ 
formen. Auf Grund der Untersuchung von nicht weniger als 25 Fällen 
möchte ich die Behauptung aufstellen, dass die Lungensyphilis — rein 
anatomisch genommen — ebenso häufig wie die Knochen- oder die 
Lebersyphilis ist und in der Sicherheit der Feststellung nur von diesen 
und von der Aortensyphilis übertroffen wird; den häufigen Mangel 
völliger Eindeutigkeit teilen aber die luetischen Lungenveränderungen 
mit vielen anderen syphilitischen erworbenen Krankheitsprozessen. Eine 
weitere Aehnlichkeit der erworbenen Lungensyphilis mit der Syphilis 
anderer Organe ist die, dass sie zu den Späterscheinungen der Lues 
acquisita gehört; damit hängt einerseits eine gewisse Erleichterung 
der Diagnose zusammen, indem gleichzeitig andere, schwerere lue¬ 
tische Organerkrankungen angetroffen zu werden pflegen, andererseits 
sind aber zw r ei Schwierigkeiten damit verknüpft; es fehlt nämlich 
erstens der Nachweis der Erreger und damit der unbedingte Beweis, 
dass die jeweiligen Veränderungen syphilitischer Herkunft sind, und 
zweitens liegt die Schwierigkeit vor, die Frühstadien der Krankheit 
zu erfassen. Beide Schwierigkeiten dürften nicht unüberwindlich 
sein; vorläufig gelang es mir nicht, weder im Schnitt noch in Aus¬ 
strichpräparaten nach Giemsa, sowie in Tusche-, bzw. 'Fontanaprä¬ 
paraten die Spirochäten nachzuweisen; die verschärfte Methode von 
J ahnel, die sich für die Auffindung der Spirochäten im Gehirn bei 
progressiver Paralyse bewährt hat, scheint sich für unsere Zwecke 
nicht zu eignen. Bisher sind angeblich spezifische Spirochäten nur 
in den besonders gearteten Fällen von M. Koch (kavernöse Lungen¬ 
syphilis) und von Schmor 1 (miliare gummöse syphilitische Bron¬ 
chitis) gefunden worden. S c hm o r 1 u. a. haben mit Recht den Ein¬ 
wand gemacht, dass Syphilisspirochäten, besonders im Schnitt all¬ 
zuschwer von anderen, selbst bei harmlosen Aspirationspneumonien 
vorkommenden Spirochäten zu unterscheiden sind. Gerade auch zur 
Sicherstellung der Frühstadien der syphilitischen Lungenerkrankung 
wäre der eindeutige Nachweis des Erregers erwünscht. Wie wir 
sehen werden, kommt man aber beider histologischen Rückwärtsverfol¬ 
gung des Prozesses doch zu Feststellungen von Frühveränderungen, die 
hinsichtlich der Lokalisation der Entzündung recht eigenartig und zu¬ 
dem besonders bemerkenswert sind durch die Verwandtschaft mit der 
interstitiellen Pneumonie der hereditär-luetischen Kinder; hier könnte 
man am ersten die Auffindung der Erreger erwarten. 

Ob die Lungensyphilis von Erwachsenen auf angeborener Grund¬ 
lage entstehen kann, anders ausgedrückt, ob der Prozess aus dem 
fötalen Leben als chronische Entzündung in spätere Jahre mit¬ 
geschleppt werden und vielleicht in der charakteristischen Weise (s. 
unten) ausheilen kann, ist unsicher. K a y s e r hat klinisch durch Ver¬ 
folgung des Röntgenbildes bei einem 12 jährigen Kinde mit kongeni¬ 
taler Lues den Rückgang gummös-syphilitischer Lungenveränderungen 
verfolgt, Dutsch bei der Sektion eines fast 2jährigen Kindes neben 


*) Nach einem Vortrag in der Medizinischen Gesellschaft zu Jena. 

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einer gummösen Pqricholangitis eine chronische diffuse interstitielle 
Pneumonie gefunden, deren Beschreibung in den wesentlichsten Zügen 
mit dem Bilde der Lungensyphilis des Erwachsenen übereinstimmt. 
Ich habe keinen sicheren Fall einer Lungensyphilis bei einem Kinde 
jenseits des Säuglingsalters gesehen. 

Von den makroskopischen Merkmalen der Lungen¬ 
syphilis beim Erwachsenen möchte ich fast behaupten, dass diejenigen 
Formen am unsichersten zu erkennen sind, welche die gröbsten Ver¬ 
änderungen • machen. 'Dazu sind sie noch die weitaus seltensten. 
Hieher gehören die kavernöse syphilitische Lungen¬ 
phthise und die gummöse, grobknotige Form. Wenn 
sie uns einmal ausnahmsweise begegnen, pflegen sie nicht allein vor¬ 
handen zu sein, sondern gleichzeitig mit oder, genauer gesagt, i n 
syphilitischen groben Schwielen vorzukommen. Eine syphilitische 
Lungenkaverne als solche zu erkennen, dürfte unmöglich sein, für die 
Diagnose der Gummiknoten stehen die bekannten differential¬ 
diagnostischen leidlichen Erkennungszeichen gegenüber den Tuberkeln 
zur Verfügung. Wenn Hansemann sagt, dass das Fehlen von 
Käse und Kalk für syphilitische Schwielen eigentümlich sei, so kann 
ich ihm nur hinsichtlich des Kalkes beipflichten; Verkalkungen habe 
ich auch in grossen syphilitischen Narben nicht gefunden, hingegen 
gibt es bei der Verschwielung von Gummen naturgemäss ein 
Stadium, wo man Reste von verkästen Gummata inmitten von 
Schwielen antrifft. Wie die gummöse und kavernöse Form der 
Lungensyphilis ist auch die aus der ersteren hervorgehende grob¬ 
gelappte syphilitische Narbenlunge (Pulmo lobatus Virohow) sel¬ 
ten, wenigstens viel seltener als die entsprechende Leberverände¬ 
rung. Nicht gar so selten erscheint mir die einfache grobe syphi¬ 
litische Verschwielung der Lunge ohne wesentliche Ver¬ 
änderung der äusseren Form und dies ist aus dem Grunde verständ¬ 
lich, weil einmal die gröberen syphilitischen Lungenprozesse, wie 
Gummenbildung und Kavertien, samt und sonders nicht gerade die 
subpleuralen Teile bevorzugen und weil zweitens die noch näher zu 
beschreibende häufigste Form der Lungensyphilis sich an die Bron¬ 
chien und Gefässe hält; wenn aus ihr mächtigere Narben hervor¬ 
gehen, so sitzen diese, hiluswärts gerichtet und die Pleura nicht 
einziehend, mitten in den Lappen. 

Nicht als Form für sich dürfen die nicht so seltenen s y p h i - 
litischen Bronchiektasien angesehen werden; sie sind viel¬ 
mehr im Sinne von atelektatischen und zirrhotischen Bronchiektasien 
aufzufassen, denn man findet sie m. E. nur in sonst durch die Syphi¬ 
lis stark verschwieltem, meist mehr oder minder gründlich verödetem 
Lungengewebe. Es wäre überhaupt die Frage aufzuwerfen, ob nicht 
die sog. atelektatischen Bronchiektasien von Heller überhaupt 
häufiger syphilitischer Natur sind; jedenfalls sind auch diese letzteren 
durch den eigentümlichen Mangel an Russpigment ausgezeichnet. 

Die Armut an anthrakotischem Pigment ist nun auch eines der 
Merkmale bei der nun zu schildernden Form der Lungensyphilis des 
Erwachsenen, die ich für die wichtigste von allen, nach Häufigkeit 
und Eigenart, ansehen möchte: d'i e i'n t e rst i ti e4 1 e Pneu¬ 
monie (indurative Lungensyphilis Orth, sklerbse Lungensyphilis 
Mauriac). An dieser syphilitischen Entzündung ist beteiligt nicht 
nur das Mesenchym der Alveolarsepten, sondern auch das interlobu¬ 
läre und peribronchiale Bindegewebe, desgleichen das subpleurale 
System von Bindegewebsmaschen und Lymphspalten. Je frischer die 
Entzündung ist und je mehr sie — überwiegend oder ausschliesslich — 
im Lungenparenchym allein und nicht auch im gröberen Gerüst der 
Lunge sitzt, desto schwieriger ist sie mit blossem Auge zu erkennen. 
Die Diagnose ist um so schwieriger, als der Luftgehalt des Gewebes 
nicht merklich verändert wird, weil es sich zunächst um eine trockene 
Entzündung handelt; dies ist auch im mikroskopischen Bilde der An¬ 
fangsstadien sehr charakteristisch: die Alveolen enthalten kein Ex¬ 
sudat, nur sind ihre Epithelauskleidungen leicht gereizt, der Epithel¬ 
katarrh fehlt oder ist gering, auch in den Bronchien. Aber die Alveo¬ 
larwände sind durch zellige Entzündung verdickt; Lymphozyten und 
feinste Spindelzellen über wiegen, später kommen Plasmazellen hinzu; 
flüssige Entzündungsprodukte fallen erst in den interlobulären Septen 
auf, ja hier überwiegt manchmal das Oedem die zelligen Ansamm¬ 
lungen; die Wände der Bronchien sind durch und durch entzündet, die 
Arterien zeigen nur stellenweise Endarteriitis. Durch die gleichzeitige 
Anwesenheit von miliaren Syphilomen neben der interstitiellen Pneu¬ 
monie erhält das mikroskopische Bild der jüngsten Lungensyphilis 
etwas sehr Eigenartiges: die Syphilome erscheinen wie variköse Kno¬ 
ten der verdickten Scheidewände zwischen den verkleinerten, später 
aber durch die entzündliche Stenose und Verstopfung der Alveolar¬ 
gänge und Bronchiolen unregelmässig erweiterten Lungenbläschen 
(Abb. 1 u. 2). 

Mit der zunehmenden Vernarbung wird die interstitielle syphi¬ 
litische Pneumonie immer leichter zu erkennen; das fertige Bild 
zeichnet sich durch netzartig gestrickte, helle oder nur wenig russ- 
geschwärzte Narben, durch weissliche Auszeichnung der Aussenwand 
von Bronchien und Gefässen aus (Abb. 3). Nun treten auch fleckige 
und streifige Verdichtungen und Verödungen von Lungengewebe 
durch desquamative Pneumonie und Kollapsinduration, eitrige Ka¬ 
tarrhe und Erweiterungen von Bronchien auf. Die bronchialen Lymph¬ 
knoten zeigen, wenn sie nicht durch frühere und begleitende anders¬ 
artige Krankheiten verändert sind, jene fleckig hell-graurötliche, etwas 
feuchte und derbe Schwellung, wie man sie auch sonst im Bereich 
syphilitischer Organe antrifft. Die Pleura findet man entweder frei 
oder in gewöhnlcher Weise verwachsen oder sie ist einfach glatt ver- 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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dickt; letzteres ist sogar nicht uncharakteristisch und erklärt sich 
daraus, dass der 'Entzündungsprozess sich auch hier unter der un¬ 
beteiligten epithelialen Oberfläche austobt. Eine glatte flache Pleura¬ 
schwiele kann manchmal bei der Obduktion den versteckten alten 
syphilitischen Lungenprozess darunter verraten. 



Abb 1. Jüngste interstitielle syphilitische Pneumonie: 4 miliare Oummcn und zeitige 
Infiltration der Alveolarsepten. Zeiss Obj. A., Ok. 2. 



WEKNER:U/ALl?/MNN- JENA 


Abb. 2. Chronische, teilweise schwielige, teilweise floiide interstitielle syphilitische 
Pneumonie: Gummen. blutgefässreiche interlobuläre Schwielen, Verdickung der 
Alveolarsepten, Endarteriitis. Zeiss Obj. a*, Ok. 2. 

Die vernarbende Entzündung der syphilitischen Lungensklerose 
pflegt das Lungengevvebe nicht gleichmässig zu beteiligen, sondern 
die stärksten Infiltrate und demgemäss die gröbsten Narben be¬ 
gleiten die Bronchien, Gefässe und interlobulären Septen und strahlen 
gleichzeitg von ihnen aus; nach der Heilung der Entzündung, die 
ebenso gründlich wie bei dem syphilitischen Hoden oder der syphi¬ 
litischen Aorta erfolgen kann, sieht man noch lange Zeit einen auf¬ 
fällig grossen Kapillarreichtum der Narben und zwischen den ge¬ 
schrumpften verdickten Alveolarwänden bleiben die Reste des re¬ 
spiratorischen Gewebes als drüsenähnliche, mit kubischem hohen 
Epithel ausgekleidete Hohlräume liegen. 

Eine häufige Eigentümlichkeit vernarbender interstitieller syphi¬ 
litischer Pneumonien ist die Neubildung glatter Muskel¬ 
fasern im Schwielengewebe. Uebrigens kommt dies auch bei ge¬ 
wöhnlicher chronischer Pneumonie vor und ist hier schon 1873 von 
Buhl als muskuläre Lungenzirrhose beschrieben und neuerdings von 


Davidsohn gesehen worden: bei Syphilis hat sie erst durch Ta- 
naka Beachtung gefunden. Zum Teil handelt es sich um eine 
Hypertrophie vorhandener Faserbündel in den Wänden der Bronchien 
und Bronchiolen, sie ist hier wohl in derselben Weise zu verstehen, 
wie etwa die Hypertrophie der glatten Muskulatur des Darmes bei 
ausheilender Dysenterie, d. h. sie beruht darauf, dass die Entleerung 
der Lichtung infolge der narbigen Befestigung der Schleimhaut an die 
Muskelschicht erschwert ist, kurz ausgedrückt: sie beruht auf dem Ver¬ 
lust der Gleitschicht der Submukosa. Daneben findet man. auch lange 
neugebildete Fasern und Fasergruppen in der erstarrten Wand von 
Alveolen und Alveolargängcn sowie dicht unter der Pleura. Nach 
S t ö h r (Lehrbuch der Histologie) finden sich normal aber höchstens 
noch an den Alveolargängen glatte Muskelfasern, in den Alveolar¬ 
wänden fehlen sie beim Menschen Nun ist es freilich u. U. schwer 
zu sagen, welche Teile man jeweils in dem schwielig versteiften 
Lungenparenchym vor sich hat; möglicherweise handelt es sich aber 
doch um eine Neuerwerbung durch Metaplasie aus Bindegewebe, 
was im Hinblick auf das Vorkommen glatter Muskelfasern auch in 
den Alveolarwänden bei Amphibien und vielen Reptilien (nach 
Maurer: Vergleichende Gewebelehre 1915) wenigstens keine organ- 
widrige Erscheinung wäre. T a n a k a widerspricht sich, indem er 
einerseits die Muskelbündel bei der syphilitischen Induration von einer 
Hyperplase der Bronchialmuskulatur ableitet, andererseits aber fest¬ 
stellt, dass er sie an der Organisation des Exsudats in den Alveolar- 
iUmina beteiligt gesehen haben will. Wie sollten denn durch einfache 
HypetplaSie die Bronchialmuskeln in die Alveolen gelangen? 



Abb. 3. Chronische interstitielle syphilitische Pneumonie. (Vergröss. 2:1) 

Damit ist das Bild der reinen Fälle der interstitiellen Lungen- 
syphilis vollständig: Entzündliche Verdickung der Alveolarwände mit 
und ohne Syphilome, tiefe subepitheliale Wandentzündung der Bron¬ 
chien, sow'ie des Begleitgewebes der Bronchien und Gefässe, Bildung 
gestrickter, meist heller, oft geradezu sehnig glänzender Narben. Die 
Schnittfläche lässt sich in den schönsten Fällen mit weissgeädertem 
rotem Marmor vergleichen. Was sonst gefunden wird, sind Neben¬ 
erscheinungen: Exsudatbildung in Alveolen, Eiterung der Bronchien, 
Karnifikation, Bronchiektasien. Narben der kleineren Bronchien sind 
jedenfalls sehr selten, ich habe solche nur an grösseren gesehen bei 
gleichzeitiger Lungen- und Kehlkopfsyphilis. 

Wenn man erst einmal gelernt hat. die interstitielle syphilitische 
Pneumonie zu erkennen, wird man ihr auf dem Sektionstisch nicht so 
selten begegnen; ich halte sie für ebenso eigenartig wie die syphi¬ 
litische Mesaortitis, wenn auch nicht für so häufig. Zur Auffindung 
ist aber auch eine genügend ausgiebige Sektion der Lungen erforder¬ 
lich; man darf sich nicht mit dem vielfach üblichen einen Schnitt schief 
durch den Unterlappen begnügen, sondern muss vordere und para- 
vertebrale Teile desselben gleichmässig berücksichtigen. Während 
die ulzerösen und gummösen Prozesse und die daraus hervorgehenden 
groben strahligen Narben in Ober- und Unterlappen, luetische Bronchi¬ 
ektasien gerne auch im rechten Mittellappen Vorkommen, sieht man 
die feinen Narben der interstitiellen Pneumonie und der zugehörigen 
indurativen peribronchialen Lymphangitis mit besonderer Vorliebe in 
den Unterlappen, besonders im rechten und im Mittellappen. Wir 
dürfen dies wohl als .ein weiteres Beispiel für die Vorliebe der 
Syphilis ansehen, die mechanisch am stärksten in Anspruch ge¬ 
nommenen Teile der Organe zu befallen, w'ie sie an der Aorta den 
Brustteil, von den Hirnarterien die Arteria basilaris, von der Leber 


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994 


MUENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 36. 


die Teile rechts und links vom Aufhängeband, vom Herzen die 
Kammerscheidewand bevorzugt. Selten sind alle Lappen der Lunge, 
viel häufiger nur Teile der Unterlippen befallen; wiederum gleicht 
die interstitielle 'Pneumonie des Erwachsenen der syphilitischen 
Pneumonie des Neugeborenen durch die unregelmässig verteilte 
Verdickung der Alveolarsepten; schwer sind ja beide zu diagnosti¬ 
zieren, sobald andere Prozesse, z. B. gewöhnliche Lungenentzün¬ 
dungen sie überdecken. Wegen der Häufigkeit der letzteren und der 
allgemeinen Verbreitung der Meinung, die syphilitischen Lungenpro¬ 
zesse hätten nichts Eigenartiges, werden wohl viele Fälle verkannt 
und übersehen. Die Behauptung von dem Mangel an eigenartigem 
Aussehen lässt sich aber nicht schlechthin von allen Formen der 
Lungensyphilis des Erwachsenen aufrecht erhalten: die interstitielle 
syphilitische Pneumonie des Erwachsenen ist ein Krankheitsprozess 
von starker Eigenart. Gewöhnlich findet man sie gleichzeitig mit 
anderen Erscheinungen der tertiären Lues, aber auch ohne diese 
Unterstützung ihrer Diagnose kann man m. E. die Syphilis des 
Menschen an einer interstitiellen Pneumonie erkennen. 

Natürlich gibt es ebensogut wie bei anderen syphilitischen Aftek- 
tionen, Fälle, in denen die Differentialdiagnose gegenüber ähnlichen 
Leiden schwierig oder unmöglich wird. Am ähnlichsten ist auf 
jeden Fall die durch v. Hansemann beschriebene Lymphangltis 
reticularis der Lungen. Es erscheint mir zweifelhaft, ob es sich 
dabei wirklich wie v. Hansemann meint, um eine selbständige 
Erkrankung der Lungen handelt. Jedenfalls erhält man gelegentlich 
die gleichen Lungenveränderungen durch pleurogene interstitielle 
Pneumonie und durch abgeheilte, tuberkulöse Lymphangitis. Dies 
sind nun auch die beiden Erkrankungen, deren Narben u. U. schwer 
von der chronischen interstitiellen Lungensyphilis zu unterscheiden 
sind. Die pleurogene Pneumonie, z. B. bei Empyem, macht aber 
kompaktere und stärker zusammengezogene Narben unter der 
Pleura, beschränkt sich meist auf subpleurale Lungenteile und ver¬ 
einigt nur selten strahlig radiär ihre Narben am Lungenhilus, die 
Tuberkulose hat keine Vorliebe für die basalen und vorderen Teile der 
Unterlappen und macht im Allgemeinen schiefrige Indurationen. Den 
Pigmentgehalt der Narben hebt v. Hanse mann für die retikuläre 
Lymphangitis hervor; leider macht er keine Angaben über die Lo¬ 
kalisation und Ausbreitung dieser Erkrankung in den Lungen. Fast 
regelmässig fand er Hypertrophie des rechten Herzens, danach müsste 
die retikuläre Lymphangitis grosse Teile der Lunge ergriffen haben; 
dies sieht man bei Lues nur sehr selten. Frische Fälle vor der Ver¬ 
narbung hat v. Hansemann nicht gesehen; schon aus diesem 
Grunde lässt sich genetisch, ätiologisch und systematisch Sicheres 
über diese Erkrankung nicht aussagen, zumal nicht über ihre Ab¬ 
grenzung gegenüber der Syphilis. Unverständlich ist mir, dass 
v. Hansemann überhaupt Vorkommen und Begriff der inter¬ 
stitiellen Pneumonien in Abrede stellen will, mit der Begründung, es 
könne eine solche nicht geben, da es normal in den Alveolarwänden 
kein Interstitium gäbe. Dies ist unrichtig. Mit dem Studium des 
feinsten Lungenbindegewebes, das sich in den Septen der Lungen¬ 
alveolen befindet, hat sich besonders eine Arbeit meines Schülers 
Rusakoff befasst. Es findet sich da rudimentäres lymphoides 
Gewebe und Retikulum allenthalben. In mikroskopischer Hinsicht 
gleicht di$ „retikuläre Lymphangitis“ nach der Vernarbung in ihrer 
feineren Verteilung stark der syphilitischen Lymphangitis durch das 
häufige Erhaltenbleiben unveränderter Alveolengruppen, durch die 
Feinheit der Narben und durch die Nichtbeteiligung der Atemfläche. 

Der Zweck der vorliegenden Ausführungen war, die Aufmerk¬ 
samkeit erneut auf die Lungensyphilis der Erwachsenen zu lenken, 
welche nicht selten und nicht so uncharakteristisch ist. als nach den 
allgemeinen, durch die Lehrbücher eingebürgerten Anschauungen an¬ 
genommen wird. Insbesondere ist — neben den wirklich seltenen 
gummösen und kavernösen Formen — die interstitielle syphilitische 
Pneumonie mit indurativer Peribronchitis hervorzuheben. Lag bisher 
schon ihre pathologisch-anatomische Diagnose im Areen, wie viel 
mehr musste sie klinisch übersehen werden; und in der Tat: Nicht 
einer von 25 Fällen eigener Beobachtung ist vor dem Tode auch 
nur vermutet worden. Dasselbe ist auch aus dem Studium der 
Literatur ersichtlich 1 ); die anatomischen Mitteilungen über Lungen- 
syphilis der Erwachsenen sind nicht spärlich, aber sie sind bisher ver¬ 
geblich gewesen. Möge es dieser Mitteilung besser ergehen. Der 
Fall, der meine eigene Aufmerksamkeit auf die erworbene Lungen¬ 
syphilis lenkte, war ein Fall, bei dem ich selbst geirrt hatte und der 
viele Jahre vergeblich nach Davos gereist war, bis er zu Hause durch 
eine antisyphilitische Kur geheilt wurde. 

Literatur. 

Deutsch: Fortschr. d. Röntgenstr. 24. 1916. — D u t s c h: 
Virch. Arch. 219. 1915. — Flokemann: Zbl. f. Path. 10. 1899. — 
v. Hansemann: Virch. Arch. 220. 1915. — Herxheimer: Lu- 
barsch-Ostertags Erg. 11. 1906. — J ahn el: Arch. f. Psych. 57. 1917. 
— Kays er: Fortschr. d. Röntgenstr. 22. 1914. — Koch: Verhandl. 
d. D. path. Ges. 11. Tag. 1907. — L i n dw a 11 und T i 11 g r e n: Beitr. 
z. Klin. d. Tuberk. 24. 1912. — Tanaka: Virch. Arch. 208. 1912. — 
Wilma ns: M.m.W. 1916 Nr. 42. 


*) Deutsch hat kürzlich einen für die zentrale syphilitische 
Lungeninduration charakteristischen Röntgenbefund mitgeteilt und 
einige klinisch diagnostizierte Fälle zusammengestellt. 


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Aus der Medizinischen Klinik der Universität Greifswald. 
(Direktor: Prof. Dr. Morawitz.) 

Klinische Beobichtungen bei einer Fleckfieberepidemie. 

Von Dr. Christian Schöne. 

Im November und Dezember 1917 entwickelte sich auf einem 
Gute in der Nähe der Sadt Greifswald eine Fleckfieberepidemie, die 
zum grössten Teile auf russische und polnische Landarbeiter be¬ 
schränkt blieb, aber auch einige Einheimische ergriff. Die Mehrzahl 
der Kranken wurde in die Baracken der Medizinischen Klinik ange¬ 
nommen und bot dadurch Gelegenheit zu klinischen Beobachtungen, 
die in manchen Punkten von den bisher bekannt gewordenen Eigen¬ 
arten der Krankheit abwichen und dadurch eine kurze Mitteilung 
verdienen. 

Russische Landarbeiter waren im Mai 1917 über die polnisch- 
deutsche Grenze mfit der vorgeschriebenen Bescheinigung, dass sie Iäuse- 
frei seien, nach dem Gute im Kreise Greifswald gekommen und waren 
dort den Sommer über beschäftigt worden, ohne dass sie irgendwelche 
nennenswerte Erkrankungen gezeigt hätten. Als sich aber Mitte 
November der erste verdächtige Krankheitsfall unter ihnen zeigte, 
konstatierte man bei ihnen auch einen Zustand starker allgemeiner 
Verlausung. 

Seitdem die neueren Erfahrungen gelehrt haben, dass es ohne 
Kleiderläuse eine Uebertragung des Fleckfiebers auf den Menschen 
nicht gibt, hat man sich die Ueberzeugung zu eigen gemacht, dass das 
Fleckfieber eine Infektionskrankheit sei, deren man mit gehöriger 
Berücksichtigung der Eigenart ihrer Uebertragung leicht Herr werden 
könne. Umso eindringlicher lehrt aber auch wieder diese Epidemie, 
dass dessenungeachtet gerade die ersten Berührungen von Einheimi¬ 
schen mit verlausten Kranken mit der allergrössten Gefahr verbunden 
sind und doch, wie die Verhältnisse praktisch immer wieder liegen, 
kaum vermieden werden können. 

Ein Greifswalder Arzt wurde auf das Gut zu fieberhaft erkrankten 
russischen Landarbeitern gerufen und war genötigt, sie in ihrer ver¬ 
schmutzten Behausung zu untersuchen. Nach seiner eigenen Erkran¬ 
kung war er sich nur bewusst, mit seinem Mantel auf dem un¬ 
sauberen Stroh, auf dem die Russen lagen, herumgewischt zu haben. 
Zwei andere Aerzte fuhren einige Tage später hinaus, als 
schon ein gewisser Verdacht auf Fleckfieber bei den inzwischen in 
der Klinik eingelieferten Kranken bestand, und entnahmen bei mehreren 
kränklich aussehenden Leuten aus den Armvenen Blut, wobei die 
Herren in dem Bewusstsein ihrer Gefährdung die grösste Vorsicht 
anwandten und nur, so weit es die Manipulation der Blutentnahme 
nötig machte, mit den Verdächtigen in direkte Berührung kamen. 

Noch von einer vierten erkrankten einheimischen Person wissen 
wir, dass sie jede engere Berührung mit den verdächtigen Land¬ 
arbeitern vermieden hatte. Es war eine Dame, die sich in der 
Schnitterkaserne nicht länger als 5 Minuten aufgehalten und unter 
strenger Vermeidung von direkter Berührung mit den- Insassen Aepfel 
verteilt hatte. Alle genannten 4 Personen haben sich begreiflicher¬ 
weise genau beobachtet und niemals weder etwas von Läusestichen 
gefühlt, noch in ihren Kleidern oder in ihrer Wasche Läuse be¬ 
merken können. Diese Erfahrungen sind ja weder ganz neu. noch 
beweisen sie etwas gegen die Theorie der ausschliesslichen Läuse- 
übertragung. Aber sie erwecken Zweifel daran, ob die Lause nur 
durch Stechen die Krankheit übertragen können, und beweisen die 
enorme Gefahr, der sich jeder Nichtimmune beim Betreten eines ver¬ 
lausten Raumes, in welchem sich Fleckfieberkranke aufhalten, aus¬ 
setzt. 

Es wurden insgesamt 27 Fälle von Fleckfieber in der Klinik be¬ 
obachtet, von denen 7 Einheimische und 20 russische und polnische 
Arbeiter betrafen. Während des Krieges sind in der deutschen und 
österreichischen Literatur eine grosse Anzahl Veröffentlichungen von 
klinischen Einzelbeobachtungpn des Fleckfiebers erschienen, auch 
sehr eingehende klinische Schilderungen gegeben worden, so dass 
von unseren Erfahrungen nunmehr nur solche Beobachtungen Er¬ 
wähnung verdienen, die von den allgemein bekannten abweichen 
oder in strittigen Fragen zu einer bestimmten Stellungnahme Veran¬ 
lassung gegeben haben. 

Dass die Uebertragung der Krankheit durch die Kleider¬ 
läuse erfolgt, ia sogar mir durch diese erfolgt, ist eine Erfahrung, 
die auch auf Grund unserer Beobachtungen anerkannt werden muss. 
Aber die schon mitgeteilte überraschend schnelle Ansteckung von 4 
unserer einheimischen Kranken, darunter der 3 Aerzte. könnte uns 
sehr zu einem Zweifel berechtigen, ob zur Infektion auch immer ein 
Läusestich nötig ist. doch lässt sich darüber eben nur sagen, dass 
diese Frage allein durch experimentelle Untersuchungen gelöst wer¬ 
den könnte 1 ). 

Mitteilungen darüber, dass möglicherweise die Uebertragung auch 
ohne Läuse erfolgen kann, müssen sehr kritisch beurteilt werden. So 
äussert Rondke auf Grund bestimmter Beobachtungen die Meinung, 
dass ausnahmsweise wohl auch die Tröpfcheninfektion in Betracht 
komme. Bei einer Epidemie in einem Gefangenenlazarett hatte sich 


*) Herr Dr. da Rocha Lima ist, wie ich durch mündliche 
Mitteilung erfuhr, durch Erfahrungen, die er beim Experimentieren 
mit dem Brei abgetöteter Läuse machte, zu der Ueberzeugung ge¬ 
kommen, dass ein Läusestich nicht zur Uebertragung des Virus not¬ 
wendig ist. D. Verf. 

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3. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


995 


der einzige Pfleger, der überhaupt an Fleckfieber erkrankte, noch 
ganz zum Schlüsse der Epidemie angesteckt, als bereits seit 10 Tagen- 
kein neuer Fall mehr eingeliefert worden war. Er hatte ausserordent¬ 
lich ängstlich alle Vorsichtsmassregeln befolgt, im Seuchenlazarett 
selbst war niemals eine Laus festgestellt worden, und mit der Kranken¬ 
aufnahme hatte er nichts zu tun gehabt. Hingegen hatte er — so 
schreibt Rondke — keine Gesichtsmaske getragen und vermutete 
aus diesem Grunde eine Tröpfcheninfektion. Ich kann hierzu aus 
unserer Epidemie einen Gegenfall anführen. 

Eine Frau von 53 Jahren war seit dem 13. XI. als Nachtwache 
auf der Fleckfieberstation tätig gewesen bei den ersten 3 'Fällen, die 
sofort bei der Aufnahme entlaust worden waren, ehe die Frau mit 
ihnen in Berührung gekommen war. Erst einige Tage nach der Auf¬ 
nahme hatte sich bei den Kranken die Diagnose stellen lassen, Läuse 
wurden nicht mehr bei ihnen beobachtet und sie waren daher zunächst 
allerdings nicht am ganzen Körper rasiert oder enthaart oder mit 
grauer Salbe eingerieben worden. Die Nachtwache erkrankte am 
28. XI. plötzlich mit Schüttelfrost und machte ein schweres Fleck¬ 
fieber durch, das sie -übrigens trotz ihres Alters überstand. Man 
fand bei ihr Kopfläuse, aber keine Kleiderläuse. Bei einem der an¬ 
fangs nur verdächtigen, später erwiesenen Fleckfieberkranken aber 
wurden später doch noch vereinzelt Kleiderläuse entdeckt und nun 
erst die versäumte Enthaarung am ganzen Körper, deren Notwendig¬ 
keit in der Arbeit von Meyer, Klink und S c h 1 e s i e s mit Recht 
betont wird, vorgenommen. 

Es ist wohl von Wert, eine solche Beobachtung, die eine fehler¬ 
hafte Unterlassung aufdeckt, mitzuteilen, weil sie beweist, wie vor¬ 
sichtig man mit der Feststellung „Entlausung“ se : n muss, und weil 
sie darauf hindeutet, dass die seltenen Ueberbragungsfälle ohne Läuse 
nur scheinbar solche sind. Ausserdem bin ich in der Lage, die 
Auffassung einer Möglichkeit von Tröpfcheninfektion noch durch die 
Mitteilung einer anderen Beobachtung zu entkräften. 

Zugleich mit mehreren anderen Fleckfieberkranken, die alle aus 
der verlausten und verseuchten Schnitterkaserne stammten, wurde am 
27. XI. ein 14 Monate altes Kind aufgenommen, das am ersten Tage 
der Beobachtung 38,4° Temperatur zeigte und weiterhin einen für 
Fleckfieber charakteristischen Fieberverlauf. Am ganzen- Körper 
fanden sich Reste von Furunkeln und Stichen, an den Beinen follikulär 
angeordnet kleine, meist intensiv rote Flecke, sonst kein Exanhem. 
Der weitere Verlauf Hess keinen Zweifel an der Dianose Fleckfieber. 
Das Kind war verzogen und Hess sich nicht ohne fürchterliches 
Schreien und grösste Erregung von seinem zugleich aufgenommenen 
Vater trennen. Es war nur ruhig zu halten, wenn es mit in das 
Bett des Vaters gelegt wurde, der das Kind in der* ganzen Zeit des 
Fiebers und der Rekonvaleszenz nicht aus seinem -Bett, sogar nicht 
aus seinen Armen gelassen hat. Der Vater selbst aber hatte niemals 
Fieber und nie die geringsten Krankheitserscheinungen. Beide waren 
natürlich bei der Aufnahme entlaust worden, aber der Vater ist ge¬ 
sund geblieben und sein Blutserum hat vor der Entlassung, 10 Tage 
nach der Entfieberung des Kindes, negativen Weil-Felix ergeben. 
Wenn irgendwo hätte hier eine Tröpfcheninfektion erfolgen müssen, 
aber si-e erfolgte nicht, nach unserer Ueberzeugung darum, weil die 
Läuse fehlten. 

Ueber die Inkubationszeit konnten gerade bei den grossen 
Epidemien der Kriegszeit nicht übermässig viel genaue Beobachtungen- 
gemacht werden, weil die Erkrankten gewöhnlich stark verlaust und 
lange Zeit der Ansteckungsmöglichkeit ausgesetzt waren. 

Murchison und Bä um ler haben die Inkubationsdauer mit 
grosser Bestimmtheit auf genau 12 Tage angegeben, von neueren 
Beobachtern schreibt Go t sc hl ich: „die Inkubationsdauer beträgt 
durchschnittlich 10 bis 14, oft aber auch bis zu 20 Tagen und darüber. 
Von unseren einheimischen Kranken hatten sich 2 nur einmal kurze 
Zeit der Ansteckungsmöglichkeit ausgesetzt, der eine, Dr. B. er¬ 
krankte genau 12 Tage später plötzlich mit Schüttelfrost, der 2. Fall, 
Fräulein E., fühlte sich vom 9. Tage an erkältet, richtig krank (ohne 
Schüttelfrost) vom 12. ab. 

Man hat die Erfahrung gemacht, dass während einer ausgebildeten 
Epidemie die einzelnen Fälle bemerkenswert gleichförmig verlaufen, 
und dass von diesem Gesichtspunkte aus auch die Diagnose des ein¬ 
zelnen Falles keine Schwierigkeiten biete. Aber es ist sogleich die 
Einschränkung zu machen, dass von mehreren Beobachtern ausnahms¬ 
weise auch gerade atypische, leichte und abortive Formen be¬ 
obachtet worden sind, über deren sichere Gültigkeit wieder andere 
gute Kenner des Fleckfiebers sich skeptisch ausgesprochen haben», 
weil sie unsicher zu diagnostizieren und jedenfalls gerade bei sehr 
Krossem Beobachtungsmaterial nur sehr selten seien. Alle sind sich 
darüber einig, dass diese abnorm verlaufenden» Formen mit einiger 
Sicherheit überhaupt nur im Zusammenhang mit ausgebildeten Epi¬ 
demien als zum Fleckfieber gehörig erkannt werden könnten. 

Es unterliegt für mich keinem Zweifel, dass die Erfahrungen von 
Curschmann hierüber zu Recht bestehen, wonach es abgekürzte 
Formen leichten Verlaufes von Fleckfieber mit 5—8 tägiger Krank¬ 
heitsdauer gibt und ebenso abortive Formen mit schweren, aber 
rasch abklingenden KrankheTtserscheinungen. Dieselben Erfahrungen 
haben gemacht: Zlatogoroff in Russland, Fürth bei einer Epi¬ 
demie in Tsingtau, bei der die durchschnittliche Krankheitsdauer bei 
den Chinesen nur 7,5, bei den Europäern dagegen- 13,5 Fiebertage 
betrug; weiterhin» während des Krieges Wiener, Meyer, Doren- 
d o r f, O. M<ü Iler, Gotschlich und Brauer. Es wird wieder¬ 
holt betont, -dass solche leichten und atypisch verlaufenden Formen 


besonders bei Kindern und am Anfang und am Ende der Epidemie 
Vorkommen, so dass die Diagnose im übrigen nicht über eine gewisse 
Wahrscheinlichkeit hinaus komme. 

Da wir neuerdings in der Weil-Felix sehen- Reaktion ein 
schon recht exaktes diagnostisches Hilfsmittel anerkennen müssen, 
und wir uns bei der Greifswalder Epidemie desselben bedienen 
konnten, so verdient ein hierher gehöriger Fall besonders Erwähnung. 
Zugleich mit einem schweren- und einem leichten Fleckfieberfall 
wurde am 11. XI. 17 ein Kranker mit ganz unbestimmten Symptomen 
«ingeliefert, der überhaupt nur durch die Gleichzeitigkeit seiner Er¬ 
krankung mit den Erstgenannten Verdacht erwecken konnte. 

Es war ein 40 jähriger russischer Schnitter, der sich selbst für 
völlig gesund erklärte, bis einen Tag vor der Aufnahme gearbeitet 
und nur an diesem Tage etwas Kopfschmerzen verspürt hatte. Die 
Temperatur betrug 37,8°. Die Zunge war trocken und belegt. Auf 
der Bauchhaut fanden sich vereinzelte Flecke, wie Reste von früheren 
Flohstichen. Die Zahl der Leukozyten betrug 6700, die Milz aller¬ 
dings war bis dreiquerfingerbreit unterhalb des Rippenbogens zu 
fühlen. Er hat im ganzen 7 Tage um 38° gefiebert, die höchste Tem¬ 
peratur betrug 39.2. Noch in den ersten fieberfreien Tagen war ein 
auf die Bauchhaut beschränktes, sehr blasses, roseolaähnliches Exanthem 
sichtbar und der Milztumor auffälligerweise noch immer bequem durch 
Palpation nachweisbar. Erst am 6. fieberfreien Tage verschwend der¬ 
selbe. Die bakteriologisch-serologische Untersuchung am 2. Fieber¬ 
tage (Hygienisches Institut) lautete: Gruber-Widai negativ, keine 
Typhusbazillen im Blut, im Stuhl oder im Urin. Am 6. Fiebertage 
war Weil-Felix negativ, aber am 5. fieberfreien Tage positiv. 

Demnach ist dieser Fall auf Grund der bis jetzt exaktesten kli¬ 
nischen diagnostischen Methode als abgekürzte, leicht verlaufende 
Form von Fleckfieber aufzufassen, bei welchem als besonders be¬ 
merkenswert der grosse Milztumor zu gelten hat. Beobachtungen, 
wie sie Schürer und Stein gemacht haben, wonach gerade solche 
unsicheren Fälle auf Grund des negativen Ausfalls der W.-F.-Reaktion 
als nicht zum Fleckfieber gehörig erkannt wurden», dürfen mithin nicht 
verallgemeinert werden. Irr diesem Sinne äussert sich neuerdings 
noch Brauer. 

Noch mehr als über das Vorkommen abgeschwächter und abor¬ 
tiver Formen ist über die Berechtigung der Zugehörigkeit von Fällen 
ohne Exanthem zum Fleckfieber gestritten worden. M u r c h i - 
son-, Bäumler, Neukirch und Zlocisti, Lipschütz, der 
übrigens erklärt, eine Abschuppung nach Schwinden des Exanthems 
nicht gesehen zu haben (!), Schlesies und Otto berichten über 
Fälle von Exanthematicus sine exanthemate. Namentlich die neuesten 
Mitteilungen von Bardachzi und B a r a b a s, sowie von Popper, 
deren Fälle durch den positiven Ausfall der Weil-Felix sehen Re¬ 
aktion» diagnostisch gesichert wurden, lassen- keinen- Zweifel mehr, 
dass es namentlich unter Kindern Fälle von Fleckfieber ohne Exanthem 
gibt. Rondke bemerkt, dass ihm bei retrospektiver Ueberlegung 
klar geworden sei, dass bei einer Anzahl von Fällen- möglicherweise 
ein spärliches und undeutliches Exanthem übersehen worden sei, und 
Kollert und Finger sahen, in einer Familie mit 7 Erkrankungen 
2 Kinder mit sonst typischem- Verlaut bei denen sie einen Ausschlag 
nicht beobachten- konnten. Sie glauben trotzdem nicht an- einen 
Exanthematicus sine exanthemate, da sie in anderen» Fällen sehr 
spärlichen und bald vorübergehenden Ausschlag beobachteten und 
daher eher an unzureichende klinische Beobachtung in solchen Fällen 
glauben. 

Aus der Greifswalder Epidemie kann über Fälle von Fleck¬ 
fieber ohne Exanthem nicht berichtet werden, w^ohl aber über Beob¬ 
achtungen, die durchaus die Vermutung der zuletzt genannten Autoren 
bestätigen. 

Es kommt namentlich bei kleinen Kindern und bei leicht ver¬ 
laufenden Formen- vor, dass das Exanthem nur bei sorgfältiger 
Beobachtung bemerkt wird. »Bei dem schon genannten 14 Monate 
alten Kind war die Anordnung, Intensität und Dauer des Exanthems 
so unbedeutend und uncharakteristisch, dass die Diagnose hieraus 
allein keineswegs hätte gestellt werden können. Aehnlich verhielt es 
sich mit einem am 27. XI. aufgenommenen' 3 Jahre alten Kind. Am 
5. Krankheitstage wurde bei ihm auf dem Rücken und an den» Ober¬ 
armen ein ganz kleinfleckiges, blassrotes Exanthem neben einer 
diffusen Hautrötung bemerkt, an den folgenden 2—3 Tagen war es 
eher noch weniger deutlich und noch dazu nur stundenweise zu be¬ 
obachten. Trotzdem bestand 10 Tage nach der Entfieberung eine 
geringfügige, aber unzweifelhafte Hautschuppung an denjenigen Haut¬ 
bezirken, an denen» früher das Exanthem beobachtet »worden war. 
Am 8. fieberfreien Tage war Weil-Felix 1:80 positiv. 

Hierbei möchte ich noch bemerken, dass alle anderen Kranken 
ein stärker ausgesprochenes Exanthem aufwiesen und demgemäss 
auch Hautschuppungen zeigten. Ich bin demnach der Meinung, dass, 
wenn das Auftreten von- Schuppung nach Ablauf des Fleckfieber- 
exanthiems von einzelnen Autoren bestritten worden ist, dies nur 
durch mangelhafte Beobachtung zu erklären ist. 

Bezüglich anderer Eigenarten des Fleckfieberexanthems machten 
wir die aus den zahlreichen Beschreibungen früherer Veröffent¬ 
lichungen bekannten »Beobachtungen. Dass das Auftreten der aller¬ 
ersten Flecke an den Extremitäten und am Rumpf den» Ausschlag für 
die »Diagnose geben kann, ist eine, soweit ich sehe, neue, wenn auch 
nicht überraschende Erfahrung, die wir vor der ausgebildeten Epi¬ 
demie machen konnten. 


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996 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 36. 


In dem Fall .von Dr. B. (Kurve 1) war am 3. und 4. Krankheits- Schläge bei einem Fieber, das meist zwischen 39 und 40° schwankte, 

tage folgender klinischer Status festzustellen: schwerer Allgemein- aber auch darüber stieg und in 2 Fällen als Maximum 40,6° erreichte 

zustand, Fieber zwischen 39 und 41 Bradykardie (72—88 Pulse), Sie standen im Alter von 14—24 Jahren, hatten alle ein charakteristi- 

Leukopenie (5300 als Durchschnitt von 3 Zählungen), Gruber-Widal sches Fleckfieberexanthem, zeigten eine Fieberdauer von 14 bis hoch- 

negativ, Blutkultur noch nicht abgeschlossen. Da erschienen am stens 20 Tagen, wenn man auch die geringen- Steigerungen über 37* 

5. Krankheitstage auf der Bauchhaut und auf den Unterarmen die in den letzten Tagen hinzurechnet und gaben bei der Blutserumunter- 

ersten vereinzelten Roseolen, und zugleich mit dem negativen Er- suchung nach der Entfieberung positive W e i 1 - F e l i x sehe Reaktion, 

gebnis der Blutkultur war jetzt die Diagnose gesichert. Bezüglich des Verhaltens des Sensoriums gehörten sie nicht zu den 

schweren Formen, insofern sie wohl somnolent und zeitweise unruhig 
und erregt nicht aber soporös oder komatös wurden. 

Ich unterlasse eine Erörterung darüber, wie diese von den Be¬ 
richten der anderen Autoren, mit Ausnahme Will heims, so stark 
abweichenden Beobachtungen über das Verhalten der Pulsfrequenz 
bei Fleckfieber zu erklären seien. Irgendeine nennenswerte Ab¬ 
weichung des Charakters unserer Epidemie von anderen vermag ich 
nicht zu konstatieren. Die Zahl der Todesfälle im Verhältnis zur 
Gesamtzahl der Beobachtungen ist keine ungewöhnliche, und die 
Rassenzugehörigkeit sowie Allgemeinzustand der einzelnen Er¬ 
krankten bieten ebensowenig irgendwelche Eigenarten, sind auch nicht 
einmal einheitlich; jedenfalls sind diese Beobachtungen gerade für 
die Frage einer Differntialdiagnose der Krankheit gegenüber dem 
Typhus gewiss von Bedeutung. 

Zusammenfassend müssen wir sagen, dass die Mehrzahl unserer 
Fleckfieberkranken genau wie Typhuskranke eine, im Verhältnis zur 
Fieberhöhe geringe Pulsfrequenz zeigte, und dass besonders hohe Puls¬ 
zahlen überhaupt nicht beobachtet wurden. Die relativ höchsten 
Pulszahlen fanden wir. wie das auch für den Typhus gilt, bei 
Kindern. Ein Ansteigen der Pulsfrequenz fand sich ebenfalls analog 
den Erfahrungen bei Typhusknanken bei Verschlechterung des All¬ 
gemeinzustandes und bei tödlich endenden Fällen. 

Von dem Gesichtspunkte der Frühdiagnose aus verdient auch 
Kurve i. Kurve 2 . die Frage des Verhaltens der Leukozyten kurz gestreift zu wer¬ 

den. Von Munk, O. Müller, B o r a l, M a 11 h e s, Schiff u. a. 
Die Eigenarten dieses Krankheitsfalles leiteii über zur Be- sind ausführliche Mitteilungen hierüber gemacht worden. Nach Mat- 

sprechung unserer Beobachtungen über das Verhalten des P u 1 s e s. t h e s ist der häufigste Befund auf der Höhe der Erkrankung eine 

Als allgemeine Meinung über die Pulszahl, die wohl auch weiter in mässige, in schweren Fällen etwas ausgesprochenere Leukozytose, 

den Lehrbüchern zu finden sein wird, gilt, dass entgegengesetzt zum In etwa 20 Proz. der Fleckfieberfälle ist nach ihm das Verhalten aber 

Abdominaltyphus eine gewisse, der Fieberhöhe entsprechende Be- ein anderes: Es werden Gesamtzahlen, die etwa der Norm entsprechen, 

schieunigung zu finden ist, etwa 110—140 in der Minute. Cur sch- und vereinzelt auch Leukopenie gefunden. 

mann erklärt kategorisch: „Oie für Typhus so bezeichnende relative Schon hieraus folgt der relativ geringe Wert der Leukozyten¬ 
geringe Frequenz des Pulses bei Jugendlichen, besonders männlichen zählung für die Frühdiagnose des Fleckfiebers. Ich verweise nur auf 

Individuen, kommt beim Fleckfieber nicht vor, Brauer summarisch: den früher angeführten Fall des Dr. B. Die Zuhilfenahme des von 

„Der Puls ist im Gegensatz zum Abdominalis meist frühzeitig recht Schiff geführten Nachweises charakteristischer Veränderungen der 

beschleunigt“, ebenso Jürgens: „In den ersten Krankheitstagen einzelnen Leukozytenarten untereinander, die übrigens denen bei 

steigt mit der Temperatur auch die Pulszahl und verharrt in der ersten Typhus sehr ähneln, büsst ausserdem an praktischem Wert ein, weil 

Krankheitswoche zunächst auf der Höhe von etwa 100—120 Schlägen die ersten fraglichen Fälle von Fleckfieber den epidemiologischen 

in der Minute“, Munk etwas nachgiebiger: „Der Puls ist weich, Eigenarten der Krankheit entsprechend selten unter solchen äusseren 

seine Frequenz meist über 100—140 und mehr, doch wurde eine Reihe Verhältnissen zur Untersuchung kommen werden, dass sich diese Me- 

von stets günstig verlaufenden Fällen beobachtet, bei denen die Puls- thode an wenden Hesse. Das Verhalten der Leukozyten ist demnach 

frequenz sich fast während der ganzen Krankheit zwischen 80 und ebensowenig wie das des Pulses geeignet, uns für eine frühzeitige 

100 oder nur vorübergehend höher abspielte“, auch Skutetzky, Diagnose wesentliche Dienste zu leisten, man muss die Vielgestaltig- 

Rondke und Otto berichten nur von Pulsbeschleunigung. Da- Reit der Krankheitsercheinungen berücksichtigen, um sich nicht auf 

gegen bemerkt Willh eim, dass er gerade bei schweren Fällen sehr das eine oder andere Symptom hin frühzeitig mit drr Diagnose 

oft eine relative Bradykardie beobachtet habe. Einzelne Ausimhmen festzulegen. 

von der gewöhnlichen Pulsbeschleunigung erwähnen Boral. der in Das Fleckfieber zeichnet sich in der Tat, wenn man die über¬ 
einem Fall 80 Pulsschläge bei 39° fand, und He gl er und Pro- wiegende Zahl der Fälle bei grossen Epidemien in Betracht zieht, 

waczek, deren Kranker n-och dazu mit habitueller Bradykardie be- durch eine charakteristische Einförmigkeit des Verlaufes aus. Umso 

haftet war, da er in der späteren Rekonvaleszenz dauernd weniger schwieriger ist dagegen, wie wir schon aus wenigen Andeutungen 

als 50 Pulsschläge zeigte. sahen, wegen der Vielgestaltigkeit der Symptome die Frühdiagnose 

Den Beobachtungen der Mehrzahl der angeführten Autoren wider- der ersten Fälle. Ebenso weisen die M o r t a li t ä ts za h 1 e n ge- 

sprechen durchaus die von uns bei der Greifswalder Epidemie ge- radezu ungeheure Schwankungen auf; wie Z1 a t o g o r off bemerkt, 

machten Erfahrungen, und da die Frage vom Gesichtspunkt der ein- haben Griesinger und Schwalbe während der verschiedenen 
fachen klinischen Beobachtung aus gerade bezüglich der Differential- Epidemien Schwankungen von 6—60 Proz. festgestellt, 
diagnose gegen Typhus von Wichtigkeit ist, sei etwas genauer auf In dem Kriegsgefangenenlager in Krasnojarsk in Sibirien betrug 

unsere Erfahrungen eingegangen: die Mortalität unter mehr als 800 fleckfieberkranken Deutschen, Oester- 

Unsere 26 Kranken, die von Krankheitsbeginn an beobachtet und reichern, Ungarn und Türken 45 Proz. Ich selbst habe die letzten 

bei denen 2—4 mal am Tage Pulszählungen vorgenommen wurden, Stadien dieser furchtbaren Epidemie im Winter 1914/15 miterlebt 

möchte ich einteilen in eine Gruppe mit Pulszahlen über 110 und und halte es für unwahrscheinlich, dass etwa Doppelinfektionen mit 

eine solche mit Pulszahlen unter 110. In die erste Gruppe fallen Abdominaltyphus, der freilich in Anbetracht der unglaublich hilflosen 

nur 10, in die zweite 16 Fälle. Im allgemeinen bedeutet zunehmende Lage der kriegsgefangenen Aerzte unmöglich vom Fleckfieber ge- 

Pulsbeschleunigung natürlich Verschlechterung des gesamten Zu- trennt werden konnte, daran- wesentlich Schuld waren, vielmehr muss 

Standes, und die Konvergenz der Temperatur- und Pulskurve ist mit mit grösster Wahrscheinlichkeit der äusserst heruntergekommene Ge- 

Recht als ein wichtiges Zeichen der Verschlechterung angesehen wor- sundheitszustand der Gefangenen zur Erklärung herangezogen werden, 

den. So verhielt es sich in dem angeführten Falle des Dr. B.. gleich- Infolge der üblichen Unterschlagungen der russischen Transportführer 

wohl wurde bei ihm die Pulszahl 100 erst am 6. Krankheitstage er- kam die überwiegende Zahl der Soldaten schrecklich verhungert und 

reicht (Kurve 1), und obwohl die Erkrankung tödlich endete, wurde durch Magen- und Darmkrankheiten entkräftet in dem Lager an und 
nur einmal als höchste Pulszahl 120 gefunden. Bei dem zweiten erhielt auch dort meist eine unzureichende Ernährung, wofür als Be- 

tödlich verlaufenden Fall wurden nicht über 128 Pulse gezählt, die weis wieder die zahlreichen Skorbuterkrankungen gelten können, 

höchste von uns überhaupt beobachtete Zahl. Die nächsthöchste Zahl, In <jer Greifswalder Epidemie starben dagegen unter 27 nur 3. 

124, zeigten 2 Fälle, die bezüglich des Lebensalters Extreme dar- e s waren Deutsche im Alter von 44, 53 und 58 Jahren; 4 Russen 

stellten, eine 53 jährige Frau und ein 3 jähriges Kind. Beide sind dagegen im Alter von 40-53 Jahren hatten nur mittelschwere, ja 

genesen. Die höchsten Fieberzahlen waren bei ihnen 40 und 40.6. leichte Erkrankungsformen. Das entspricht der allgemeinen Erfahrung. 

Wir hatten bei der Epidemie 3 Todesfälle, die übrigens alle dass Personen aus gebildeten Kreisen die Krankheit schwerer über- 

Einheimische betrafen. Der 3. Todesfall, 58 jähriger Mann, gehört stehen als solche, die geistig nicht arbeiten-. Zum. Trost für solche 

auch zu der Gruppe mit geringer Pulsbeschleunigung Hier wurde gefährdete Geistesarbeiter sei aus den Erfahrungen unserer Epidemie 

als höchste Pulszahl am 9. Krankheitstage 108 notiert (Kurve 2). bemerkt, dass 2 der erkrankten Aerzte nur mittelschwer und leicht 

Und nun verfügen wir über eine ganze Anzahl von Kurven, die erkrankten; die ausgleichende Gerechtigkeit mag dafür gesorgt haben, 

zwischen Puls und Temperatur ein Verhältnis zeigten, wie es im dass auf der anderen Seite das Moment des guten Ernährungszu- 

Gegensatz zu Fleckfieber als charakteristisch für Typhus erklärt wird Standes, das für die beiden genannten Kranken zutraf, eine günstige 

(Kurve 3 und 4). 7 von ihnen hatten dauernd weniger als 100 Puls- Prognose in Aussicht stellt 



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3. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


997 



Dass die Intaktheit des Zentralnervensystems von grösster Be¬ 
deutung für die Mortalität ist, lässt auch die eingehendere Betrachtung 
des leichteren oder schwereren Verlaufes im einzelnen Falle erkennen. 
Folgerichtig haben demnach gute Beobachter hierauf die Lehre der 
Prognose für das .Fleckfieber gegründet. Ich verweise besonders 
auf die Arbeit von N e u k i r c h und Z 1 o c i s t i. Wenn auch schwere 
und ungünstig verlaufende Fälle oft besonders hohes Fieber zeigen, 
so bi-etet die Temperaturkurve doch keinen ausreichenden Anhalt 
für die Vorhersage. Sehr hohes Fieber hatte nur einer unserer töd¬ 
lich endenden Fälle (Kurve 1). Ein anderer zeigte kürzeren und 
knapp so hohen Fieberverlauf als beispielsweise ein nur mittel- 
schwerer Fall (Kurve 2 gegenüber Kurve 4). 



wurden kühl und zyanotisch, ohne dass die eigentlichen Symptome der 
Herzschwäche dabei zu bemerken waren. 

Je schneller die fortschreitenden Stadien zentraler Lähmung auf- 
emanderfolgen, umso ernster sind sie zu bewerten. Sie kommen 
gewiss nur bei schweren Formen vor. dürfen aber, wenn sie sich 
allmählich im Verlauf einiger Tage entwickeln, nicht als absolut infaust 
gelten. Namentlich im fieberfreien Stadium können sie sich wieder 
zurückbilden und einen günstigen Ausgang ermöglichen. Das beob¬ 
achteten wir bei einem Falle, der erst am Ende der Fieberperiode in 
unsere Behandlung kam. Psychisch bot er ein eigenartiges Bild der 
Lähmung. Tagelang war er völlig teilnahmslos, verlangte nie nach 
Nahrung und gab auch auf Fragen eigentlich so gut wie keine Aeusse- 
rung von sich. Dazu bestand Incontinentia urinae et alvi, ausserdem 
als Ausdruck der Vasomotorenstörung Rötung und Zvanose der Haut 
des ganzen Körpers, besonders der meist kalten Extremitäten. In 
der ersten fieberfreien Woche traten dann allmählich noch die er¬ 
wähnten Zeichen der zentralen Atemstörung hinzu. Trotzdem er¬ 
folgte schliesslich noch Genesung. 

Im 3. Falle trat der Tod erst am 11. fieberfreien Tage ein. Dem¬ 
entsprechend waren alle stürmischen Gehirnerscheinungen, wie sie für 
die im Fieberstadium tödlich endenden Fälle charakteristisch sind, zu 
vermissen. Selbst das Sensorium blieb frei von den schweren Zeichen 
der Lähmung, es bestand nur ein Zustand schwerer Besinnlichkeit. 
Neben grosser allgemeiner Schwäche traten andere zentrale Sym¬ 
ptome mehr in den Vordergrund, tagelang vor dem Tode Incontinentia 
urinae et alvi. das Schlucken war zeitweise erschwert und un¬ 
möglich, ohne dass die geringsten lokalen Ursachen dafür nachweisbar 
gewesen wären. Von Seiten der Lunge und des Herzens waren keine 
Störungen zu bemerken, der Blutdruck betrug an den 3 Tagen vor 
dem Tode 110— 115 mm Hg. Schliesslich erfolgte der Tod unter 
schnell einsetzenden Erscheinungen der beschriebenen Atem- und 
Vasomotorenlähmung. 

Zur Pro p h y 1 a x e hat P e c i r k a vorgeschlagen, gefährdeten 
Menschen 12 1 age hindurch täglich K» g Chinin zu verabfolgen, er 
hat auch bei diesem Verfahren gute Erfolge gesehen. Der Autor 
meint, dass durch das Chinin das Blut des Menschen derart verändert 
werde, dass es für die Laus, die ja bekanntlich bei der Auswahl der 
zu stechenden Menschen bis zu einem gewissen Grade wählerisch ist, 
schlecht oder gar nicht geniessbar wird. Während unserer Epidemie 
haben demnach die Aerzte und Pfleger, welche mit den Kranken in 
Berührung kamen, sich dieser Prophylaxe unterzogen und jedenfalls 
die Genugtuung gehabt, dass keiner von ihnen erkrankt ist, obwohl, 
wie später festgestellt werden musste, 9 Tage hindurch nach Beginn 
der Chininprophylaxe bei einigen Fleckfieberkranken noch Läuse vor¬ 
handen gewesen sind. 

Zusammenfassung. 

1. Die Kleiderläuse dürften zum Zustandekommen der Ueber- 
tragung des Fleckfiebers von ausschliesslicher Bedeutung sein. 

2. Ob Läusestiche unbedingt dazu erforderlich sind, ist noch un¬ 
bekannt. 

3. Die Annahme direkter Uebertragung von Mensch zu Mensch 
ist abzulehncn. 

4. Die Vielgestaltigkeit der Symptome im Beginn zweifelhafter 
Erkrankungen erfordert grosse Vorsicht bei der Diagnosenstellung. 

5. Pulsfrequenz und Leukozytenzahl sind im Anfang sehr vor¬ 
sichtig zu bewerten. 

6. Die Mehrzahl unserer Kranken zeigte geringe Pulsfrequenz. 


Wichtiger ist schon das fortschreitende Ansteigen der .Pulskurve. 
Wir konnten es in 2 Fällen beobachten. Besonders ist die Kreuzung 
rep. Konvergenz beider Kurven prognostisch ungünstig, charakte¬ 
ristischer wäre es nach den Worten der zuletzt genannten Autoren, 
hätte man eine Kurve des Sensoriums; sie würde uns bei den tödlich 
verlaufenden Fällen eine ununterbrochen aufsteigende Linie ergeben. 
Doch gilt dies nach unseren Erfahrungen nur für die im Stadium des 
Fiebers oder unmittelbar darauf sterbenden Kranken. Kopfschmerzen, 
Schlaflosigkeit, mässige Benommenheit waren die gewöhnlichen Er¬ 
scheinungen bei leichten und mittelschweren Fällen. 

W i 11 h e i m erwähnt besonders eine eigentümliche Schreck¬ 
haftigkeit, die auch wir als Zeichen des schon stärker in Mitleiden¬ 
schaft gezogenen psychischen Zustandes beobachteten. Der Eintritt 
■nicht nur fremder Personen, sondern auch des behandelnden Arztes 
in das Krankenzimmer löst bei solchen Kranken einen Zustand der 
Erregung und' des Schreckens aus. Man wird an den Zustand bei 
Tetanus erinnert, bei dem alle möglichen geringfügigen sensorischen 
Reize die Anfälle auslösen. In der Tat ähneln die beiden Krank¬ 
heiten einander bezüglich der von der infektiösen Vergiftung bevor¬ 
zugten Alteration des Zentralnervensystems. 

Ernster ist das Krankheitsbild zu bewerten, wenn diese Erschei¬ 
nungen eines Zustandes der Erregung in den des Sopors oder des 
„Coma vigile“ übergehen; das konnte in 2 unserer Fälle beobachtet 
werden. Das Ende wird dann durch charakteristische Erscheinungen 
zentraler Lähmung herbeigeführt. Die Atmung erleidet eigentümliche 
Veränderungen, sie wird tief und mühsam, setzt zeitweise aus. bietet 
auch einen dem Cheyne-Stokes ähnlichen Typus, alles Symptome der 
herannahenden Atemlähmung. In 2 Fällen traten mehr die Erschei¬ 
nungen der Vasomotorenlähmung in den Vordergrund, die Extremitäten 


7. Pulszahlen über 128 wurden überhaupt nicht beobachtet. 

8. Die besten Anhaltspunkte für die Prognose bietet die Ent¬ 
wicklung der Erscheinungen von seiten des Zentralnervensystems. 

Literatur 

Ausführlicher Nachweis bei Gotschlich (1916) und Munk 
(1916). — Bardach zi und Barabas: W.kl.W. 1917 S. 845. — 
Bäu ml er: Med. Kl. 1915 S. 795. — Bora 1: W.kl.W. 1915 S. 641. 

— Brauer: D. Kongr. f. inn. Med. 1916 S. 83. — Brauer: Diskuss.- 
Bemerk. M.m.W. 1917 S. 460. — Curschmann: Nothnagels spez. 
Path. 1902. — Dorendorf: D.m.W. 1916 S. 345. — Gottschlich: 
Ergebn. d. Hyg., Bakt. etc. 1917 S. 232. — Hegleru. Prowazek: 
B.kl.W. 1913 S. 2035. — Jürgens: Das Fleckfieber. Bibi. v. C o l e r 
1916. — Kollert und Finger: Beitr. z. Klin. d. Infektionskrkh. 6. 

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M.m.W. 1915 S. 1345. — Meyer. Klink und S c h 1 e s i e s: B.kl.W. 
1916 S. 182. — Otf. Müller: Med. Kl. 1915 S. 1230. — Munk: 
Zschr. f. kl. Med. 1916 S. 415. — Murchison: Die typhösen Er¬ 
krankungen. Uebers. 1867. — Neukirch und Z1 o c i s t i: Med. Kl. 
1916 S. 256. — Otto: D.m.W. 1915 S. 1325. — P e c i r k a: D. Kongr. 
f. inn. Med. 1916 S. 181. — Popper: W.kl.W .1917 Nr. 44. — 
Rondke: Med. Kl. 1915 S. 1152. — Schiff: M.mW. 1917 S. 1193. 

— Schlesies: B.kl.W. 1916 S. 184. — Schürer und Stein: 
Mm..W. 1917 S. 886. — Skutetzky: W.kl.W. 1915 S. 887. — 
Wiener: W.kl.W. 1915 S. 407 etc. — Wi ll heim: Med. KI. 1917 
S. 119. — Z 1 a t o g o r o f f: Spez. Path. von Kraus und B r u g s c h 
2. 1914. 


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998 


MUKNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 36. 


Zur primären Behandlung der Schädelschüsse, 
besonders im Hinblick auf die Gehirninfektion. 

Von Stabsarzt d. L. Dr. Therstappen bei einem Feld¬ 
lazarett, kommandiert zur Sanitätskompagnie. 

Aus den verschiedenen 'Behandlungsmethoden hat sich für die 
Schädelschüsse eine bestimmte Behandlung langsam auskristallisiert, 
je mehr sich die Fälle häuften und besonders, wo zu den Erfahrungen 
im Felde die Endresultate in der Heimat traten. Der Grund der 
Streitigkeiten hinsichtlich der primären Wundversorgung liegt viel¬ 
leicht darin, dass manche Schädelschussverletzungen fast symptomlos 
ohne Operation verheilen und erst später Erscheinungen machen, die 
unter viel -ungünstigeren Wundverhältnissen einen operativen Eingriff 
verlangen. Diese Fälle werden dann von der erstbehandelnden Stelle 
als ein Plus für die konservative Behandlung gebucht, während sie 
aufs Verlustkonto zu setzen wären, wie uns das Endresultat der Fälle 
lehrt. Um dieselbe Zeit, vor ca. 2 Vs Jahren, als ich begann die 
Granat- und Minensplitterverletzungen mehr operativ anzugehen, 
unterzog ich auch die Schädelschüsse einer aktiveren Behandlung, 
schon deshalb, um mich von Ueberraschungen zu bewahren, wie sie 
äusserlich kleine und kleinste Wunden bringen können, die in der 
Tiefe ungeahnte Zerstörungen hervorriefen. Die Möglichkeit solcher 
Geschosswirkungen erklärt sich aus dem Bau und der Art des Ge¬ 
webes, das beim Schädelschuss getroffen wird. Das Geschoss setzt 
in der Kopfschwarte manchmal eine so unbedeutende Wunde, dass 
sie ohne genaue Revision dem Blick des Untersuchenden entgeht. 
Klein und unscheinbar, verrät die äussere Wunde nichts über die oft 
grossen Zerstörungen in der Tiefe. Das Geschoss durchsetzt die 
spröde knöcherne Schädeldecke, zersplittert sie. um die unregel¬ 
mässig geformten 'Knochenstückchen mit ihren Spitzen und Kanten 
in die weiche Masse des Gehirns hineinzutreiben. Von Bedeutung ist 
bei dem Verletzungsmechanismus die Zusammensetzung des Schädel¬ 
knochens aus einer dünnen kompakten* Aussen- und Innenschicht mit 
der dazwischengelagerten, wabenartigen Spongiosa. Aussen- wie 
Innenschicht können isoliert gebrochen sein, was sich aus der 
Elastizität des Schädeldaches und der verschiedenen Wölbung seiner 
Schichten erklärt. Die Aussenschicht gibt elastisch nach, ohne zu zer¬ 
brechen, und pflanzt die Geschosswucht auf die Innenschioht fort, die, 
nicht imstande, dem Drucke auszuweichen, zerbricht. Noch weiter 
kann* die Wucht des Geschosses dringen; selbst durch die unver¬ 
letzte Dura vermag sie sich auf die Gehirnmasse zu übertragen. Die 
Wirkung zeigt sich dann in einem subduralen Hämatom, einem Befund, 
wie ich ihn bei 2 meiner Fälle erheben konnte. 

Auffallend ist manchmal die starke Splitterung der Lamina int. 
bei nur geringer Splitterung der Lam. ext. Abgesehen von weithin¬ 
reichenden Fissuren lassen sich bei der Operation häufig lose Stücke 
der Lam. int. mit der Pinzette unter der intakten Lam. ext. hervor¬ 
holen. Man findet eigentlich selten Knochensplitter, bestehend aus der 
ganzen Dicke des Schädeldaches; meistens sind es dünne Lamellen 
der Lam. ext. oder der int. mit anhaftenden Spongiosabälkchen. Oft 
scheint es, als ob sich im Moment des Geschossanpralls ein Splitter 
der Lam. ext. von der Lam. int. loslöste, um als selbständiges Ge¬ 
schoss die darunterliegende int. in eine Anzahl kleinerer Splitter zu 
zerteilen. So sah ich einen Schrapnellschuss, der die Tabula ext. 
im Umfang eines Pfennigstückes eingedellt hatte; die Lam. int. war 
an dieser Stelle in 22 kleine Splitter zersprengt, die die Dura sieb¬ 
artig durchlöchert und die Gehirnoberfläche mit ihren Spitzen an¬ 
geritzt hatten. Bei einem anderen Fall, einem Gewehrtangentialschuss, 
hatte sich ein mandelgrosser Splitter der Lam. ext. in der Lam. int. 
verkeilt, diese dabei stark zersplitternd. Von den Splittern haftete 
noch eine Anzahl an der Lam. int., während andere durch die Dura ins 
Gehirn geschleudert worden waren. 

Ist einmal die Dura eröffnet, so ist die Verletzung viel ernster zu 
bewerten. Das Geschoss dringt mit grosser Geschwindigkeit in das 
Gehirn, eine weiche Masse, die von einer festen Knochenkapsel um¬ 
geben ist. Die dort entfaltete Explosivkraft beschränkt sich nicht auf 
die direkt getroffenen und zerstörten Hirnteile, sondern weit über diese 
hinaus. Die Explosivkraf ist so gross, dass sich Sn einzelnen Fällen 
an dünnen Stellen der Schädelbasis (Lam. cribrosa. Stirnhöhlenwand, 
Orbitaldach) Fissuren zeigen, obsohon die Knochenwunde weit ent¬ 
fernt von ihnen liegt, oder es bilden sich nach einer neueren Be¬ 
schreibung v. Hansemanns als ein rudimentäres Stadium der 
Sprünge Sugillationen an den dünnen Stellen, die so elastisch und 
biegsam sind, dass die Druckwirkung durch sie hindurchgehen kann, 
ohne sie zu zerbrechen. 

Duroh die Explosivkraft wird das Gehirn bei seiner grossen La¬ 
bilität, in der starren Knochenkapsel weit über die Wundgrenze hinaus 
geschädigt. Ihren sichtbaren Ausdruck findet diese Schädigung in 
kleinen* und kleinsten Hämorrhagien, die in mehr oder weniger breiter 
Schicht um den Schusskanal das Gehirn durchsetzen. In diesem abge¬ 
storbenen oder auch nur in seiner Vitalität herabgesetzten Gewebe 
finden die mit einem Fremdkörper. Knochensplitter etc. hineinge¬ 
tragenen Infektionserreger einen guten Nährboden, begünstigt durch 
die geringe bakterizide Fähigkeit des Gehirns und seine geringe 
Tendenz zur örtlichen Begrenzung des infektiösen Prozesses. Infolge¬ 
dessen kommt es leicht zur diffusen Verbreitung der Entzündung, 
einer Enzephalitis, weniger häufig einer Meningitis. Der durch die 
Entzündung hervorgerufenen Vohimzunahme begegnet das in seiner 
Knochenkapsel eingeschlossene Gehirn durch Ausweichen an der 


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durch -die Scliussverletzung entstandenen Knociienlücke, es stülpt sich, 
vor, es entsteht der Gehirnproiaps. Wir erleben alle möglichen 
Uebergänge von einem die Dura kaum überragenden, frisohroten, gut 
pulsierenden Prolaps, der sich gewöhnlich von selbst in einigen. 
Tagen zurückbildet, bis zu dem iaustgrossen und grösseren, schmierig¬ 
graugelblichen Tumor, der starr, nicht pulsierend, vor der Schädel- 
lücke liegend, uns so recht plastisch die Schwere der Infektion vor 
Augen führt. Der äusseren Erscheinung nach einem Blumenkohl ver¬ 
gleichbar, die weiche, zerklüftete Oberfläche gebildet von mehr oder 
weniger erhaltenen Windungen und Furchen und abgestorbenen, er¬ 
weichten Teilen der Hirnrinde, sitzt der Prolaps dem Schädeldach 
auf, mit dem Gehirn verbunden durch den Prolapsstiel. Dieser be¬ 
droht, weil von dem starren Rande der Knochenlücke fest umschnürt, 
wie der Bruchsackhals beim eingeklemmten Bruch, die Ernährung des- 
Prolapses, was umso bedeutungsvoller ist. als das den Prolaps bildende 
Hirngewebe bereits durch die Schussverletzung geschädigt wurde. 
Im weiteren Verlauf sehen wir die Zeichnung der Prolapsoberfläche 
allmählich schwinden, die Hirnwindungen verkleben und bilden als 
bröckelige, missfarbene Schicht ein Dach, das die darunterliegenden 
Infektionserreger von der Aussenwelt abschneidet und sie zwingt, sich 
nach dem Gehirninnern hin auszubreiten. Gehinvt es dem Gehirn, sich 
der ihm innewohnenden Fremdkörper zu entled'igen. stossen sich 
Knochensplitter etc. aus und geht damit die Entzündung zurück, so 
bildet sich auch der Prolaps zurück und verschwindet allmählich im 
Schädelinnern. 

Zugleich mit der Prolapsbildung wird der Gehirnventrikel trich¬ 
terförmig ausgezogen und läuft Gefahr, beim Fortschreiten der Ent¬ 
zündung eröffnet zu werden. Tödliche Meningitis ist die Folge. Diese 
Entstehungsweise der Meningitis ist häufiger, als die direkt von der 
Wunde auf die Gehirnoberfläohe übergreifende Konvexitätsmeningitis. 
im Gegensatz zu den Erfahrungen der Gehrnchirurgie im Frieden. — 
Der gewöhnliche Ausgang der Gehirninfektion ist die Enzephalitis, die 
diffuse Erweichung mit oder ohne Abszedierung und zwar sowohl als 
Folge der frischen Verletzung wie als Spätfolge in der Heimat. 

Beide, die drohende Enzephalitis wie Meningitis, begleiten den 
Gehirnsonussverletzten wie ein Gespenst, jeden Augenblick bereit, 
von einem auiilackemden* Infektionsherd aus ihre tödliche Wirkung 
zu entfalten. 

Diese kurzen Betrachtungen zeigen uns eigentlich schon das 
Ziel, das die primäre 'Behandlung der Schädelschüsse zu erstreben 
hat, dasselbe Ziel, auf das uns die Spätfolgen hinweisen, nämlich die 
Verhütung der Gehirninfektion. Leider liess man sich anfangs zu. 
mehr konservativer Behandlung der Schädelschüsse verleiten durch 
den günstigen Verlauf, den die Fälle zunächst zu nehmen schienen, 
bis die Spätfolgen derart „geheilter“ Fälle uns zur Vorbeugung der 
Infektion durch primäre Entfernung der die Infektion vermittelnden 
Gewebstrümmer und Fremdkörper mahnten, um dadurch den Bak¬ 
terien die Möglichkeit zu nehmen, in die Tiefe zu wuchern, wo sie 
nach Belieben schalten und walten können, ohne Möglichkeit, ihr 
Zerstörungswerk aufzuhalten. Es bleibt uns nur kurze Zeit, wenn 
wir mit Erfolg die Tiefeninvasion der Bakterien verhindern wollen, 
so dass im allgemeinen nur die vorderen Sanitätsformationen die 
primäre operative Behandlung als ihre Aufgabe betrachten können. 

Bei der Frührevision* gehen wir von dem Gedanken aus, die Bak¬ 
terien mit ihren Brutstätten, d. h. dem nekrotischen Gewebe und den- 
Fremdkörpern möglichst zu entfernen und den noch zurückbleibenden¬ 
den gefährlichen Weg ins Gehirninnere durch Ableitung nach aussen 
zu ersparen. 

Wir verfahren gewöhnlich so, dass, wenn keine bedrohlichen 
Erscheinungen zur Eile mahnen, der Schädel des Patienten gleich nach 
der Aufnahme vollständig bis zu den Wundrändern rasiert, mit Aether 
abgewischt und jodiert wird. Auf das Rasieren des ganzen Schädels, 
nicht nur der Wundumgebung, lege ich grossen Wert, weil ich so vor 
der Unannehmlichkeit bewahrt bleibe, eine Wunde zu übersehen und 
der Asepsis bei der Operation und der Nachbehandlung sicherer bin. 
In Lokalanästhesie oder Chloräthyl-Aether-Allgemeinnarkose, die sich 
bei unruhigen Patienten nicht imer vermeiden lässt, werden die Wund¬ 
ränder Umschnitten und der Knochen ireigelegt. Handelt es sich um 
eine einfache Knochenimpression ohne Duraverletzung oder subdurales^ 
Hämatom, so wird der imprimierte Knochen gehoben; im weit 
ernsteren Fall einer Duraverletzung wird der gezackte Knochernan-d 
soweit geglättet, dass die Dura ringsum freiliegt. Nur so gewinnt 
man einen Ueberblick über die Wunde und beherrscht sie auch bei 
der Nachbehandlung mit ihren Komplikationen (Prolaps- und Abszess¬ 
bildung). 

Auf die Freilegung der Knochen- und Duraränder antwortet das 
Gehirn meistens mit pulsatorischem Austreiben des den Schusskanal 
ausfüllenden, mit Knochensplittern vermengten Gehirn- und Blutbreies. 
Stellt sich keine Pulsation ein, so liegt die Schuld manchmal an 
einem den Schusskanal verstopfenden Gewebspfropf oder Knochen¬ 
splitter, nach dessen- Entfernung die pulsierenden Bewegungen sich 
wieder zeigen. Diesem natürlichen Austreibungsvorgang lasse ich 
regelmässig die digitale Wundrevision* folgen, die mit der nötigen 
Vorsicht ausgeführt, nicht schadet und eine gewisse Sicherheit gibt, 
die erreichbaren Knochensplitter und Fremdkörper entfernt zu haben. 
Der palpierende Finger lernt unterscheiden zwischen dem weichen, 
zerstörten* Hirnbrei und dem eine gewisse Festigkeit bietenden nor¬ 
malen Hirngewebe. Niach vorsichtigem Abwiscben der groben Ge- 
websbröcke! mit dünnem Präpariertupfer führe ich einen schmalen 

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3. Septerrtber 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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sterilisierten Muflstrelfen bis in die Tiefe der Wunde. Eine Anzahl 
derselben Mullstreifen (ich benutze dazu die ca. % cm breiten ge¬ 
webten Kanten des Verbandmull in Ermangelung von Gummistreifen, 
die ich sonst bei der Drainage bevorzuge) schiebe ‘ich mit der Blatt¬ 
sonde zwischen Hirnoberfläche und Dura, um eine abgesackte Eite¬ 
rung nach vorzeitiger Verklebung von Gehirn und Dura zu vermeiden. 

Von der Anwendung antiseptfsoher Mittel nehme ich bei der Be¬ 
handlung von Gehirnwunden Abstand mit Ausnahme des Wasserstoff¬ 
superoxyd, von dessen mechanischen Eigenschaften ich gute Erfolge 
sah. Bei Sinusvertetzungen tamponiere ich während einiger Tage 
mit Jodoformgaze, die die Blutung ohne anderweitige Behandlung 
zum Stehen brachte. Uebrigens messe ich den Blutverlusten, wie 
sie bei jeder Gehirnschussoperation Vorkommen-, keine Bedeutung 
bei, im Gegenteil habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie ent¬ 
lastend wirken. 

Der erste Verband bleibt einige Tage liegen. Nach seiner Ab¬ 
nahme sieht man in der Regel leichte Prolapsbildung als Ze : chen 
lokaler Enzephalitis, die im günstigen Fall mit der Wundheüung ver¬ 
schwindet. Schreitet die Infektion weiter, so wölbt sich der Prolaps 
mehr und mehr vor, die anfangs frische, blassrote, feuchtglänzende 
Farbe geht in ein mattes Graugelb über, die Pulsation nimmt ab, bis 
der Prolaps schliesslich als ein starres, blumenkohlartige« Gebilde 
den Rand der Knochenlücke überragt und den Zugang zum Schädel- 
innern versperrt. Das sind Fälle, die in kurzer Zeit zum Exitus 
führen. Kurz vorher sinkt der Prolaps manchmal bei genügend 
grosser Schädelöffnung zurück, so dass wir dann bei der Obduktion 
statt des Prolapses einen Hirndefekt finden. 

Die Behandlung des Prolapses hängt innig zusammen mit der 
Frage der Infektion und ihrer Bekämpfung in dem Sdnne, dass ich die 
Infektion und damit ihre Folge, den Prolaps, zu vermeiden suche und 
bei ausgebildetem Prolaps den Infektionserregern in der Tiefe freie 
Bahn zur Wundoberfläche schaffe. Diese, für alle infizierten Wunden 
geltenden Regeln sind bei dem Gehirn besonders zu beachten, weil 
es dem Weiterschreiten der Infektion nur wenig Widerstand entgegen¬ 
zusetzen vermag und die Empfindlichkeit seines Gewebes, sowie seine 
lebenswichtige Bedeutung besondere Vorsicht gebieten. Sämtliche 
Nischen und Taschen werden mit dem schmalen Mullstreifen drai- 
niert, Abszesse offen gehalten durch möglichst voluminöse Gummi¬ 
drains. Besteht die Gefahr der Eiterretention in den Gehirnfurchen, 
so werden auch die benachbarten, leioht miteinander verklebenden 
Gehirnwindungen durch Mullstreifen auseinander gehalten. Um die 
Uebersicht über derartige Prolapse nicht zu verlieren, revidiere ich 
täglich den Verband, und ich habe diese Vielgeschäftigkeit niemals 
zu beklagen gehabt, im Gegenteil mich von der Notwendigkeit mehr 
und mehr überzeugen können. 

Verfallen Teile des Prolapses der Erweichung, wird ihre Ober¬ 
fläche matt, missfarben, eventuell von kleinen Abszessen durchsetzt, 
so lassen sie sich häufig durch einen Stieltupfer wegwischen. Die 
prinzipielle Abtragung jeden Prolapses ist meiner Ansicht nach zu 
weitgehend und unnütz, weil sich gewöhnlich ein neuer bildet. 
Meines schwersten Prolapsfalles entsinne ich mich, bei dem idh immer 
wieder, ich glaube im ganzen 14 mal, abgestorbene Prolapsteile, ein¬ 
mal bis zur Grösse eines Enteneies, abtrug, die sämtlich kleine und 
kleinste Knochensplitter, in eiternde Hirnbröckel eingehiillt. enthielten. 
Besonders irr diesem Fall hatte -ich bei jeder neuen Prolapsbildung 
die Vermutung, dass noch irgend ein Infektionsherd zurückgeblieben 
sei, der sich dann auch in Gestalt eines Knochensplitters im Prolaos 
fand. Nach dieser radikalen Behandlung ist die Auskunft des Sprach¬ 
lehrers zu verstehen, der mir über den Zustand des Patienten nach 
19 Monaten schreibt: ..T. ist mit einem Leutnant W. der schwerste 
Fall, den ich zu behandeln habe ... Bel der Schwierigkeit des Falles, 
totale motorische Aphasie mit stark sensorischem Einschlag, geht 
die Besserung naturg-emäss nur langsam!von statten.“ 

Es ist naheliegend, dem in der Knochenlücke eingezwängten Pro¬ 
lapsstiel durch Erweiterung des Knochenringes Luft zu machen, doch 
stellt sich der alte Zustand bald wieder ein. indem sich der Prolaps¬ 
stiel dem erweiterten Knochenring anpasst und von ihm ebenso um¬ 
klammert wird, wie vorher. 

Bei der Frage der Prolaosbehandlung richte ich das Hauptaugen¬ 
merk auf die Uebersichtlichkeit der Birrrwunde: ich revidiere täglich, 
um vorzeitige Verklebungen zu verhindern, den Infektionsherden die 
Verbindung mit der Gebirnoberfiärhe aufrecht zu erhalten und so das 
Vordringen der Infektion in die Tiefe zu verhindern. 

Anderen Mitteln zur Behandlung des Prolapses, chemischer wie 
physikalischer Natur, blieb der erwartete Erfolg versagt, weil sie sich 
zu wenig gegen die Ursache, die Infektion, richteten. 

Mit dem Zurückgehen der entzündlichen Erscheinungen bildet 
sich auch der Prolaos zurück, seine .Oberfläche reinigt sich, die 
schmutzig-graugelbe Farbe weicht einer frischroten und mehr und 
mehr sinkt das orolnbierte Gehirn in die knöcherne Kapsel zurück, 
worauf die Weichteilwunde vom Rande her vernarbt. Bleibt eine 
Fistel zurück, so muss man die frühzeitige Verklebung ihres Aus¬ 
zuges verhindern, um der Bildung eines abgeschlossenen Eiter¬ 
herdes ln die Tiefe vorzubeugen, der, zurzeit reaktionlos, jederzeit 
lebenbedrohend exazerbieren kann. 

So einfach die primäre operative Wund Versorgung gewöhnlich 
auch .ist die Nachbehandlung des operierten Schädelschusses er¬ 
fordert. besonders bei ProlansbUdung. grosse Sorgfalt und Aufmerk¬ 
samkeit Ich behalte die Schädelschüsse möglichst bis zur voll- 

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ständigen Wundheilung zurück, weil der nachbehandelnde Arzt, trotz 
ausführlicher Krankengeschichte, die Gehirnwunde nie so gründlich 
kennt, wie derjenige, der die Operation und die Nachbehandlung im 
Anschluss daran übernahm. Mehr als bei anderen Wunden verlangt 
dieser Umstand bei der Gehirnwunde Berücksichtigung. Dass ich 
einem drainierten oder sogar prolabierten Hirnschuss möglichst 
keinen Transport zumute, ergibt sich hiernach von selbst. 

Vielleicht darf ich noch kurz eine Reihe von Schädelschüssen 
erwähnen, die fast sämtlich eiifem Zeitabschnitt entsprechen, während 
dessen- das Feldlazarett an einem ständig unter starkem Minen- und 
Gnanatfeuer liegenden Frontabschnitt eingesetzt war. Es sind 32 Fälle, 
von denen mir Aufzeichnungen voriiegen; eine Anzahl weiterer 
Krankengeschichten verbrannte bei dem Brande meiner Unterkunft. 
Sämtliche Fälle kamen mit dem ersten Verband und stark ver¬ 
schmierten Wunden- vom Truppenverbandplatz. Dem Charakter der 
Kämpfe entsprechend finden sich in den Aufzeichnungen nur 4 In- 
fanterieschüsse, die anderen sind Minen- und Granatverletzungen 
und zwar: 

1 Durchschuss (Infanteriegeschoss), 

6 Steckschüsse (2 Granat-, 2 Schrapnell-, 1 Infanteriegeschoss), 

16 Tangentialsohüsse (11 Granat-, 1 Schrapnell-, 4 Intanterie¬ 
geschosse). 

7 + 2 Prellschüsse (2 Granat-, 1 Schrapnell-, 4 Minengeschosse). 

Zu diesen 7 habe ich noch 2 schwere Fälle v-on kompliziertem 

Bruch des Schädeldaches durch Verschüttung gerechnet, bei denen 
Knochensplitter durch die Dura ins Gehirn gedrungen waren, also 
einem Prellschuss ähnliche Verletzungen-. 

Es starben im Feldlazarett 8 (5 Steckschüsse, 2 Tangentialschtisse 
und 1 Prellschuss. 

Obduktionsbefund: 

Fall E. (Basissteckschuss durch Augenhöhle mit Dura- und Ge¬ 
hirnverletzung, Meningitis) Tod 2 Tage nach der Aufnahme. 

Fall H. (ausgedehnte Gehirnzerstörung) Tod am Aufnahmetag). 

Fall K. (Schrapnellkugel im Stirnhirn, Abszessdurohbruch in den 
Ventrikel, Meningitis) Tod 17 Tage nach der Aufnahme). 

Fall H. (Prolaps. Granatsplitter in einem Abszess dicht am Ven¬ 
trikel, Abszessdurchbruch in den Ventrikel, Meningitis). Tod 3 Tage 
nach der Aufnahme. 

Fall J. (hühnereigrosse Zertrümmerung der Gehirnsubstanz, der 
Sohussverletzung entsprechend; keine Erweichung, keine stärkere 
Blutung in der* Umgebung. Ventrikel unbeteiligt — Deutliche Herz¬ 
hypertrophie beiderseits und leichtes Lungenödem. — 'Histologische 
Untersuchung: „Lunge: Fettembolie mässigen Grades. Frische, herd¬ 
förmige Pneumonie mit kleinen Blutungen in die Alveolen. Herz¬ 
muskel: Geringe fleckige, fettige Degeneration.“ — Der betreffende 
Patient wurde bei gutem Puls von 75, in Chloräthyl-A-ethernarkosc 
operiert (Entfernung eines In-fan-teriegeschosses aus dem Parietal- 
hirft). 4 Stunden nach der Operation plötzlich Exitus bei unver¬ 
ändertem Puls (85). 

Fall M. wurde mit faustgrossem. Prolaps vom abrückenden La¬ 
zarett übernommen (Prolaps mit Fistel, die in einen Knochensplitter 
enthaltenden Abszess führt. Der Abszess ist in den durch den Pro¬ 
laps ausgezogenen Ventrikel perforiert). Tod 105 Tage nach der 
Aufnahme. 

Fall G. (ausgedehnte Gebimzertrümmerung im rechten Scheltel¬ 
und Stirn-hirn, diffuse Blutansammlung zwischen Hirnoberfläche und 
Dura reohterseits)). Tod 2 Tage nach der Aufnahme. 

Fall B. (Prolaos mit multiplen Abszessen, linkseifige Meningitis). 
Tod 14 Tage nach der Aufnahme. 

Dieser Fall konnte erst nach 3 Tagen eingeliefert werden. Bei 
der Operation fanden sich ca. 10 in kleinen Abszessen liegende 
Knochensplitter. — Nicht angeführt sind die Fälle, die einige Stunden 
nach der Einfiefer-ung unoperiert ad exitum kamen-. Die Zelt des 
Lazarettaufenthaltes schwankt bei den Ueberlebenden zwischen 14 
und 89 Tagen, im Durchschnitt waren- es 39 Tage: ein außergewöhn¬ 
lich schwerer Fall blieb wegen hartnäckiger Fistel 166 Tage fm La¬ 
zarett. Sämtliche Fälle waren beim Verlassen des Lazaretts voll¬ 
ständig verheilt, abgesehen von 4 Fällen, die mit kleinen, granulieren¬ 
den Wunden abtransportiert werden mussten, weil der'Ort. In dem 
das Lazarett etabliert war, beschossen wurde, oder wegen Ablösung 
des Lazaretts. Besonders möchte ich betonen, dass ich nie einen 
fistelnden, drainierten-. tamponierten oder gar einen Schädelschuss 
mit Himnrolan« abtransnorüerte. 

Die Möglichkeit, die Fälle so lange im Feldlazarett zu -behandeln, 
ist natürlich nur im Stellungskriege und dann nur unter günstigen 
Verhältnissen gegeben, sie bedeutet dann aber für den Oehirnschuss- 
verietzten einen nicht gering zu schätzenden Vorteil, mehr als für 
andere Verletzungen. Geben wir die Verletzten früh aus der Hand, 
so begeistert uns der augenblickliche günstige Zustand des Patienten 
vielleicht für eine Behandlungsart, die das endgültige Schicksal des¬ 
selben als falsch erweist. 

Je mehr Stimmen aus der Heimat laut wurden, die über die 
traurigen Endresultate der konservativen Therame und der durch sie 
bedingten Spätoperationen mit ihrer durchaus infausten Prognose be¬ 
richteten, umso dringlicher wurde die Forderung der Frühoperation. 


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MUENCHBNBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


•Nr. 36. 


Form der OberschenkelhUlse an Prothesen. 

Von Prof. v. Baeyer (Wtirzburg). 

Die Oberschenkelhülsen an Prothesen -dienen in -der Mehrzahl 
der Fälle dazu, die Körperlast abzustützen. Ausserdem sucht man den 
Oberschenkel möglichst fest in der Hülse zu packeu. um eine innige 
Verbindung zwischen Prothese und Körper zu erzielen. Fast gar 
hiebt wird dagegen darauf geachtet die Beweglichkeit des Hüft¬ 
gelenkes nicht zu stören. Auf die Bedeutung der Beweglichkeit in 
diesem Gelenk, besonders bei Oberschenkelamputierten wies auch 
Schede 1 ) vor kurzem näher hin. 

1. Abstützen der Körperlast. Wenn man von der Be¬ 
lastung des Stumpfendes und der Haut absieht, stehen zwei Partien 
zur Verfügung. Die gebräuchliche Stützung direkt am Tuber ischii 
empfehle ich nicht, denn der Knochen ist gegen Druck sehr empfind¬ 
lich. Man versuche an sich selbst sich auf einen 1 horizontal ge¬ 
haltenen Stock von Tübersitzdicke zu setzen und nun die Last direkt 
auf das Tuber wirken zu lassen. Dieser Versuch löst unangenehme 
Empfindungen aus. Verschiebt man dagegen den Stock gegen den 
Femurschaft so dass biso das Tuber über den Stock nach hinten 
hinüberragt, so sitzt man einigermassen bequem. An diese Stelle des 
Ueberganges vom Becken zum Oberschenkel ist der sog. Tubersitz 
zu legen. Man vermeidet dabei auch, dass das Tuber in das Lumen 
der Oberschenkelhülse beim Belasten hineinsinkt, was bei so vielen 
Prothesenträgern der Fall ist und was den Gang erschwert und un¬ 
schön macht. Dies Vorlagern des Tubersitzes hat den weiteren Vor¬ 
teil, dass beim Hüftbeugen die Abhebelung des Sitzes von der Trag¬ 
fläche des Beines weniger stark wird. 

Eine zweite Stützfläche findet man aussen am Oberschenkel, 
dicht unter dem Trochanter. Um diese auszunützen muss die Hülse 
hier sehr genau anmodelliert und gegen ihr Lumen hin eingewölbt 
sein. Durch leichte X-Bein-Stellung am Knie wird dieser Halt be¬ 
günstigt. 

2. Fixation der Hülse am Stumpf. Fehlen am ampu¬ 
tierten Bein die Femurkondylen, so kann man das Auf- und Abgleiten 
des Stumpfes in der Hülse nur indirekt durch Hessingkorb. Traggurt 
oder dergl. in nennenswerter Weise einschränken. Dagegen ist es 
möglich das Drehen -der Hülse durch geeignete Formgebung zu be¬ 
seitigen. Der Oberschenkel ist in seinen oberen Partien nicht kreis¬ 
rund, sondern zeigt annähernd die Form eines Dreieckes. 
Hält man sich an diese Gestaltung, so ist das Drehen der 
Hülse um die Oberschenkelachse zu verhüten. Die eine Seite 
dieses Dreieckes bildet die Aussenfläche des Oberschenkels 
am Trochanter, die zweite Seite ergibt sich aus der vor¬ 
deren Abflachung des Oberschenkels, etwa parallel dem Poupart- 
schen Band, die mit der Aussenfläche einen Winkel von ungefähr 
66° bildet. Sie läuft also nicht parallel der Frontalebene, sondern 
von aussen vorn nach innen hinten. Die dritte Seite liegt hinten und 
zieht von aussen hinten nach vorn innen, und zwar, wie oben dar¬ 
gelegt. vor dem Tuber ischii vorbei. Die Ecken des Dreieckes sind 
abgerundet und gewähren wichtigen Muskelgrupnen Raum, wodurch 

3. die aktive Beweglichkeit im Hüftgelenk -besser 
möglich wird, als wenn die Muskeln durch Druck beengt sind. Im 
vorderen äusseren Eck liegt die Muskelgruppe, die von der Spina ant. 
sun. entsoringt. Die hintere Ausbuchtung lässt dem Glutaeus max. 
und die innere den Adduktoren Platz. 

Es bleibt nun nur noch übrig. Raum für die vom Tuber ent¬ 
springenden Muskeln zu schaffen, die eine hervorragende Rolle für die 
so wichtige Streckung des Hüftgelenkes spielen. Sie springen bei 
Hüftstreckung auch bei Oberschenkelamputierten deutlich hervor und 
bewirken, dass eine falsch geformte Oberschenkelhülse nach hinten 
abgedrängt wird und dass dadurch das Tuber ,in die Hülse hinein¬ 
gleiten kann. 

Man -muss somit den hinteren Sitzteil der Hülse an der Stelle 
dieser Muskeln nach hinten ausbuchten. 

Der distale Teil der Oberschenkelhülse darf ebenfalls nicht rund 
im Ouerschnitt gearbeitet sein. Er soll den Stumpf fest packen 
und dabei den Muskeln freies Spiel gestatten. Dies erreicht man da¬ 
durch, dass die Hülse im Ouerschnitt wiederum dreieckig geformt 
wird: die Ecken dieses Dreieckes befinden sich vorn zur Aufnahme 
des Rektus und .beiderseits hinten für Semi- und BizeDsgruppe. Die 
geraden Flächen der Hülse können sich nun dem Femur so eng an¬ 
schmiegen, dass der Knochen beim Bewegen des Beines einen festen 
Widerhalt findet und nicht, wie man es gewöhnlich beobachtet, nach 
allen Seiten hin- und hernendelt. Bei dieser Hülsengestaltung, die 
im einzelnen je nach dem Fall variiert werden muss, macht sich eine 
auftretende Stu-mpfatrophie weniger schädlich bemerkbar, als wenn 
der Stumpf allseitig gleichmässig umschnürt ist. 

Vorbedingung für die richtige Form der 'Hülse ist. dass stets vom 
Stumpf ein OiDSabdruck genommen wird, der genau den ana¬ 
tomischen Verhältnissen aneepasst ist. Je besser der Sitz emer Ober¬ 
schenkelhülse. um so leichter und natürlicher wird der Gang des 
Amputierten. 


0 Schede: Zur Mechanik des künstlichen Kniegelenkes. 
M.m.W. 1918 Nr. 23. 


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Aus dem I. Rigaer Stadtkrankenhause (Dir.: Dr. K. D e u b n e r). 

Zur Frage der Wi da Ischen Reaktion bei Dysenterie. 

Von Dr. V. Kretzer, Assistent der II. therap. Abteilung. 

Der Aufsatz von Köhler und V e i e 1: „Zur Diagnose der Ruhr“ 
(M.m.W. 1918 Nr. 27), der die Bedeutung der Agglutination von 
Dysenteri-ebazillen durch das Serum Dysenteriekranker bespricht, hat 
mich veranlasst, über unsere Erfahrungen in dieser Frage kurz zu 
berichten. 

Unsere Untersuchungen stammen aus dem Herbst 1917 während 
einer grossen Dysenterieepidemie in Riga. Als Naohkrankheit trat 
damals eine grosse Anzahl von exsudativen Polyarthritiden auf. Im 
Bestreben, die dysenterische Provenienz der Ergüfese zu veran¬ 
schaulichen, wurden sie auf Eigenschaften untersucht, die ihre spe¬ 
zifische (dysenterische) Natur verraten sollten. Es gelang jedoch 
'kein einziges Mal weder Dysenteriebazillen noch andere Mikro¬ 
organismen in den Gelenkpunktaten zu finden, wohl aber aggluti- 
nierten diese Dysenteriebazillen (auch in Verdünnungen 1:100 und 
mehr). Dieses veranlasste uns sowohl das Blut, als auch andere 
Körperflüssigkeiten (Aszites, Pleuratranssudat, die oft meist mit all¬ 
gemeinem Hydrops als Naohkrankheiten auftraten) zu untersuchen. 
Dabei erwies sich das Blut nach überstandener Dysenterie stark, die 
anderen Flüssigkeiten als viel schwächer (entsprechend ihrem ge¬ 
ringerem Eiweissgehalt) agglutinierend. Dr. P. P r a e t o r i u s batte 
die Liebenswürdigkeit, alle diese Untersuchungen auszuführen. 

Die Agglutinationsprobe des Serums (1 :100) gewann eine er¬ 
hebliche diagnostische Bedeutung, da bei vielen postdysenterischen 
Eikrankungen (Polyarthritis, Konjunktivitis, Hydrops) die Ruhr anam¬ 
nestisch nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte (viele Fälle 
verliefen sehr leicht, trotz schwerer Naehkrankheiten, andere -wurden 
absichtlich verheimlicht). Es handelte sich meistenteils um Shiga. 
nur in vereinzelten Fällen um His. Agglutinationen (1:100) auch 
mehrere (3) Monate nach überstandener Ruhr waren oft positiv. 

Mehrmals gelang es bei chronischen, ganz atypischen Enteri¬ 
tiden mit negativem Bazillenbefund Dysenterie festzustellen — auch 
wurden 2 solcher Fälle durch Sektion bestätigt. 

Es kamen allerdings mehrere Dysenterienachkrankheiten zur Be¬ 
handlung mit negativer Agglutination (1:100), so z. B. ein Fall von 
Polyarthritis nach sicherer Ruhr (vor 1 Monat); dieser Patient hatte 
daneben Wassermann 4+. 

Aus diesen Ausführungen ist ersichtlich, dass wir den Folge¬ 
rungen von Prof. Vciel über die klinische Bedeutung der positiven 
Dysenterieagglutination uns anschliessen müssen; die negative Probe 
scheint nicht beweisend zu sein. 


Erfahrungen in Kleinasien Ober endemische Syphilis*). 

Von Prof. Dr. v. Düring. 

Die Untersuchungen, von denen ich Ihnen heute Mitteilungen 
machen darf, liegen schon 20 Jahre zurück. Sie sind gemacht zu 
einer Zeit, wo wir in der Syphilisforschung noch keinen der grund¬ 
legenden Fortschritte gemacht hatten: Spirochäten und Wassermann 
waren noch nicht bekannt. Auch die Form der Untersuchungen 
kann, aus den Umständen bedingt, nicht allen Anforderungen klinisch- 
wissenschaftlicher Art entsprechen. Gleichviel haben diese Unter¬ 
suchungen noch heute, und vielleicht in gewissem Sinne wieder 
heute einiges Interesse. Wir hören warnende Stimmen über eine 
bedeutende Zunahme der Syphilis durch den Krieg. Tatsächlich 
sind ja Hunderttausende von verheirateten Männern im Felde und 
nicht wenige von Ihnen haben sich der Gefahr der Ansteckung aus¬ 
gesetzt und sind angesteckt worden. 

Während doch sonst in der Mehrzahl der Fälle die Syphilis 
vor der Ehe erworben wird und häufig eine Gefahr für die Frau 
und für die Nachkommenschaft vermieden werden kann, fürchtet man 
jetzt eine weitgehende Durchseuchung grösserer Schichten der Be¬ 
völkerung mit den Folgen für Zahl der Nachkommenschaft und für 
die Degeneration der Ueberlebenden durch die Infektion der Eltern. 

Da ist es nicht ohne Bedeutung, einen Blick auf ein Land zu 
werfen, in dem die Syphilis in ausgesprochenster Weise als Volks¬ 
krankheit verbreitet ist, so dass man wohl geradezu von „endemischer 
Syphilis“ gesprochen hat. 

Grosse Teile Russlands, der Balkanstaaten teilen das Schicksal 
mit der Türkei, dass die Syphilis in ihnen als Volkskrankheit ver¬ 
breitet ist. In Deutschland haben wir örtlich begrenzte Herde solcher 
Durchseuchung gehabt — ich erinnere an die Dithmarsenkrankbeit. 
Während meiner akademischen Tätigkeit in Kiel ist mir noch ein 
Fall dieser Lues zu Gesicht gekommen. 

Wenn man sagen will, dass die Verbreitungsart, die örtlichen, 
klimatischen, konstitutionellen Bedingungen, der Mangel an Vor- 
beugungsmassregeln und an Behandlung den Erscheinungen der 
Syphilis gewisse, auffallende Besonderheiten geben, so kann- man 
damit die Bezeichnng einer Endemie vielleicht rechtfertigen. 

Ehe ich daran gehe, über diese Besonderheiten und über die 
Bedeutung einer solchen Durchseuchung der Bevölkerung für den 


*) Vorgetragen in der Sitzung des Aerztl. Vereins Frankfurt a. M. 
vom 3. Juni 1918 

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3. September 19J8. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1001 


Staat sich auszusprechen, lassen Sie mich kurz über Veranlassung 
und Ausführung meiner Untersuchungen sprechen. 

Die neue Militärreorganisation, die der Feldmarschall von der 
GoltzPaschain den achtziger Jahren in der Türkei einführte, sah 
Aushebungsbezirke vor, in denen aus einer bestimmten Anzahl von 
Bewohnern 12 000 Mann jährlich ausgehoben und von diesen 8000 
Mann eingestellt wurden: die übrigen 4000 wurden wegen Krankheit, 
als einzige Söhne usw. zurückgestellt. Nim zeigte es sich, dass in 
vielen Bezirken — darunter gerade die, aus denen die Einstellungen 
für die Garnison der Hauptstadt genommen wurden — unter 20, ja 
22000 Rekruten kaum die genügende Anzahl von 8000 Gesunden ge¬ 
funden wurde. Ja, unter diesen 8000 waren noch viele Kranke. Als 
ich im Winter 1895/96 die Leitung der Luetischen Abteilung des Kran¬ 
kenhauses von Haidar Pascha übernahm, waren 3 alte Cholera¬ 
baracken mit ungefähr 180 kranken Rekruten belegt, deren Tafeln 
sämtlich die Diagnose „Lupus“ trugen — einige wenige Leprakranke 
waren unter ihnen, alle übrigen hatten ausgesprochene, ja aus¬ 
gesprochenste Erscheinungen von Spätlues, wie ich sie in der 
Schwere und der Ausdehnung noch nie gesehen hatte. 

Nach Besprechungen mit dem General von der Goltz wurde 
ich im Sommer 1896 in die Provinzen gesandt, aus denen besonders 
die Rekruten stammten: Castamuni und Sinope am Schwarzen 
Meer, dann in das Sandjak Ismidt, das Vilajet Hudavendighiar und 
später in die Vilajets Samsun und Angora. Mein erster Aufenthalt 
dauerte 6 Monate, dem sich, dann 1899 ein weiterer von 6 Monaten 
und dann ein solcher von fast 3 Jahren, 1900—1902 anschloss. 

Ueber die Art der Untersuchungen kann ich im Rahmen des 
heutigen Vortrages nicht sprechen — so interessant diese Erlebnisse 
sind. In einigen Mitteilungen „Briefe aus Kleinasien“ in der D.m.W. 
1902 habe ich darüber gesprochen. 

Alles in allem habe ich in den 4 Jahren etwa 250000 Menschen 
untersucht; in meinen Papieren hatte ich gegen 80 000 Fälle von 
Syphilis verzeichnet. 

Die Besonderheiten der in diesen abgeschlossenen Gebieten 
herrschenden Syphilis — die Mitteilungen darüber sind völlig über¬ 
einstimmend — sind nun folgende: 

1. Die nicht geschlechtliche, sondern die gelegentliche, wenn man 
will „gesellschaftliche Uebertragung“ überwiegt weitaus, also die 
sog. Syphilis insontium. 

2. Man bekommt sehr viel mehr Spätformeni der Syphilis zu 
sehen als Frühformen. Diese Spätformen sind so schwere und aus¬ 
gedehnte, dass fast alle Beobachter daraus auf eine besondere Form, 
besondere Ursachen, besondere Malignität der endemischen Syphilis 
geschlossen haben. Auch an und für sich eine weit überwiegende 
Häufigkeit des Tertiarismus über die Früherscheinungen wurde an¬ 
genommen. 

3. Während Haut-, Schleimhaut-, Knochen-, Gelenk- und be¬ 
sonders Gefässerkrankungen (Aneurysmen) überaus häufig und in 
schweren Formen beobachtet werden, sind Erkrankungen des Nerven¬ 
systems, Hirn- und Rückenmarklues, Optikuserkrankungen, Tabes und 
Paralyse ausserordentlich selten. 

4. Von besonderem Interesse sind die Fragen der Folgen für die 
Nachkommenschaft. Wenn- irgendwo, so kann man in solchen ge¬ 
schlossenen Bezirken feststellen, welche Folgen die Syphilis auf 
Bevölkerungszahl, Degenerationserscheinungen, Rassenverderbnis hat. 


1, Uebereinstimmend in allen Gebieten, in denen die Syphilis als 
Volksepidemie 'herrscht, ist die gelegentliche, gesellschaftliche An¬ 
steckung unbedingt häufiger als die geschlechtliche. Wir erleben 
ja schon ähnliches in den doch noch immer wieder vorkommenden 
„Familieneprdemien". Prozentzahlen, wie es von anderen Autoren 
geschehen ist, anzugeben über das Verhältnis der geschlechtlichen 
zur gelegentlichen Ansteckung, halte ich für ganz phantastisch. Bei 
solchen selbst über mehrere Jahre ausgedehnten Massenunter¬ 
suchungen kommen selbstverständlich Primäraffekte überhaupt ver¬ 
hältnismässig sehr selten zur Beobachtung. Aber es gibt bestimmte 
Beobachtungen, die zu dem Schluss zwingen, die gelegentliche An¬ 
steckung über wiege. Wenn ich in einem Dorfe, in einem Distrikte 
die sämtlichen Schulkinder untersuche und z. B. in einer Schule unter 
140 Kindern des ganzen Umkreises über 100 Kinder finde mit den 
ausgesprochensten Erscheinungen einer frischen Syphilis, wenn wei¬ 
ters an den Genitalien jegliche Anzeichen einer Eintrittspforte der 
Infektion fehlen, so ist es selbstverständlich — und eine andere Auf¬ 
fassung wäre künstlich — nicht auf eine gelegentliche Ansteckung zu 
schliessen. In den türkischen Schulen wird die Uebertragung fast 
stets durch die spitz-scharfschnäbeligen Trinkkannen — Ibrik ge¬ 
nannt — vermittelt sein. Wenn dann in einer Massenhaftigkeit und 
Ueppigkeit, wie ich sie bei uns nie gesehen habe, sich wuchernde 
Papeln an der Lippe, Mundschleimhaut, Zunge entwickeln, so wird 
es uns sehr selten gelingen, den Primäraffekt zu finden. 

Wenn weiter die Zeichen frisch erworbener Lues auffallend 
häufig sich bei der Jugend finden, in einem Alter, in dem ein Ge¬ 
schlechtsverkehr noch höchst unwahrscheinlich ist, wenn jenseits 
der 20 er Jahre die Späterscheinungen überwiegen so spricht auch 
das dafür, dass die Lues früh, auf gelegentlicher Ansteckung be¬ 
ruhend, erworben ist. 

Auch lange Beobachtungszeit würde kaum zu brauchbaren 
Zahlen über die Häufigkeit des einen oder des anderen Verbreitungs- 

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modus führen. Denn die Bevölkerung ist so gleichgültig gegen die 
Krankheit, durch die enorme Verbreitung derselben so daran ge¬ 
wöhnt, dass sie mit der Bagatelle eines Primäraffekts kaum zum Arzt 
käme. Da die Verbreitung der Krankheit überhaupt nicht auf den 
Geschlechtsverkehr, also auch nicht auf den ausserehelichen zurück¬ 
zuführen ist, so ist auch deT Begriff der Schande nicht Mode — es 
eilt nicht, zum Arzte zu kommen. 

Immerhin bekommt man doch eine grosse Masse eigenartiger 
extragenitaler Primäraffekte zu sehen. Ansteckungen an den Lippen, 
an den Mundwinkeln, an den Konjunktiven, durch Lecken zum Ent¬ 
fernen von Fremdkörpern*, an den Armen durch Tätowierungen, an 
den Fingern sind nicht selten. 

Eine, häufig auf geschlechtlichem Wege erworbene Form ist 
erwähnenswert. 

Bei den Muselmanen werden regelmässig die Haare der Achsel¬ 
höhlen, der Genitalien, der Unterbauchgegend entfernt, entweder 
durch Aufstreichen von Arsenpasten oder durch Rasieren. Das ge¬ 
schieht meistens im Bade. Die Bäder sind aber vielfach — besonders 
in der Hauptstadt — gleich männlichen Bordellen — die Päderastie 
ist enorm verbreitet. An* der nach dem Rasieren oder nach Ent¬ 
fernung der Paste sicher zahlreiche oberflächliche Verletzungen 
tragenden Unterbauchgegend sieht man häufig Primäraffekte, die 
hier eine ganz eigenartige Form haben. Sie sind meist sehr aus¬ 
gedehnt, handtellergross, erinnern sehr an* flache Hautkrebse und 
heilen mit am Rande stark pimentierten, im Zentrum fast pigment¬ 
losen Narben ab. 

2. Besonders in der ersten Zeit ausserordentlich auffallend’ ist das 
anscheinende Ueberwiegen der syphilitischen Spätformen. 

Schon in Konstantinopel war die Zahl der durch ihre Schwere 
wie durch die Ausdehnung auffallenden Späterkrankungen ganz 
ausserordentlich gross — sie hatten zu der Diagnose „Lupus“ Anlass 
gegeben. 

Während man bei uns für die Spätformen als typisch annimmt, 
dass sie meist örtlich begrenzt an einem (oder wenigen Organen 
gleichzeitig) auftreten, findet man bei dieser endemischen Syphilis 
als Regel eine ganz enorme Verbreitung der Späterkrankungen. 
Pustulös-ulzerös-krustöse Syphilide, die sich serpiginös ausbreiten, 
gleichzeitig einen grossen Teil des Körpers bedecken, ihm ein reUef- 
kartenähnliches Aussehen geben und allmählich den ganzen Körper 
abgrasen, sind die Regel. 

Ganz besonders auffallend ist die häufige Erkrankung der Mund- 
und Rachenschleimhaut, der Knochen des Gesichts, des Oberkiefers, 
der Nase. Zerstörungen von einer Scheusslichkeit und von einem 
Umfange bekommt man zu sehen, die man kaum für möglich hielte. 
Die Zerstörungen, Verwachsungen, Obliterationen im Rachen und 
Nasenrachenraum sind ausserordentlich mannigfaltig und eigenartig. 
Auffallend ist, wie wenig die Bevölkerung sich stören lässt durch 
den ekelhaften* Anblick, den oft fürchterlichen Geruch dieser jahre¬ 
lang. bis zur Vernarbung bestehenden Gewebszerstörungen. Die 
Zerstörungen der Nase, des Gaumens sind so häufig, das ich in einem 
Ort, Djiddeh, unter etw r a 600 Fällen von Spätlues 150 Fälle von 
solchen Entstellungen fand; in einem Dorfe von gegen 50 Ein¬ 
wohnern nicht eine erwachsene weibliche Person ohne diese 
Zerstörungen! 

Alle Arten von Knochenerkrankungen sind ausserordentlich 
häufig. Besonders in den Gelenkgegenden und an den* Fingern können 
gelegentlich Formen Vorkommen, die eine Differentiakfiagirose mit 
Tuberkulose schwer machen. Die — bei uns doch recht seltenen — 
Gelenkerkrankungen spezifischen Ursprungs sind dort recht häufig; 
sie sind aber sehr charakteristisch und geben deshalb meistens zu 
einer Verwechslung _mit tuberkulöser Gelenkerkrankung kaum Anlass. 
Meist entwickelt sich die Gelenkschwellung so typisch umgrenzt, 
einseitig, von einem Knochengumma ausgehend, dass dadurch dem 
syphilitischen Gelenk eine ganz eigenartige Form gegeben wird. 
Die Prognose dieser spezfischen Gelenkerkrankungen ist eine sehr 
günstige, wie denn übrigens auch die Funktionsstörungen, im Gegen¬ 
satz zu den tuberkulösen Erkrankungen, meist sehr unbedeutend 
sind. 

Mehr als die Aufzählung der in dieser Kürze doch kaum inter¬ 
essierenden Formen verlangt die Frage eine Besprechung: Ist tat¬ 
sächlich der Tertiarismus bei dieser endemischen Syphilis ein so 
ausgesprochener? Die Statistiken aus Russland, Bosnien, Serbien 
geben Zahlen bis zu 84 Proz. tertiärer Erkrankungen; meist wird an¬ 
gegeben etwa 2 /s Spätlues, A Frühlues in diesen Ländern. Meine 
ersten Untersuchungen ergaben mir die gleichen Zahlen — spätere 
Kritik hat mir aber gezeigt, dass diese Zahlen bestimmt falsch sind, 
und ich habe auch die Fehlerquellen bei meinen eigenen Unter¬ 
suchungen feststellen können. 

Wenn ich an einem Orte, in einem Bezirke Untersuchungen 
anstelle über den gegenwärtigen Zustand — ich will sie Momentauf¬ 
nahmen nennen — so werden sich, da die Untersuchungen gleichsam 
poliklinikartig vorgenommen werden, zunächst selbstverständlich die 
Personen mit ausgesprochenen Krankheitserscheinungen melden. 
Gehe ich etwas weiter und unersuche z. B. an einem Markttage mit 
Hilfe der Gendarmerie — selbstverständlich ganz kursorisch, ober¬ 
flächlich — alle Marktbesucher, so fallen mir die mit ausgesprochenen 
Spät erschein ungen — und auch die, als Syphilitiker in die Listen 
gebrachten, ab geh eilten Späterscheimingen — sicher eher ins 

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1002 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


•Nr. 30. 


Auge als unbedeutende, an bedeckten Stellen sitzende Früherschew- 
nungeft. Es müssen mir also eine grosse Anzahl Luetiker mit ge¬ 
ringen, mit Früherscheinungen, ohne Erscheinungen in der Latenz 
entgehen. 

Dass dem so ist, merkt man, wenn man sich länger an einem 
Orte aufhält, und nun systematisch ganze Bevölkerungsgruppen: 
die Schulen, die Barbiere, die Inhaber der Bäder, die Bäcker, das 
Militär untersucht Da werden z. T. ganz von selbst weil auch 
leichtere Erkrankungen sich melden, z. T. durch diese Untersuchungen 
die Zahlen ganz andere. 

Noch mehr aber korrigieren sich diese Zahlen, wenn man als 
Stichproben ganz genau Untersuchungen ganzer Dörfer unternimmt. 
Das wird meist sehr schwer sein — in der Türkei war es damals 
möglich. Wir richteten es so ein, dass wir in der Nacht aufbrachen, 
beim ersten Morgengrauen mit Qendarmen, unter Hilfe des Dorf¬ 
schulzen die Dorfbevölkerung zwangen, das Dorf nicht eher zu ver¬ 
lassen, als bis wir Haus bei Haus jeden Bewohner untersucht hatten. 
Und selbst dann müssen einem ja Friihluetiker mit geringen Erschei¬ 
nungen und besonders solche ohne Erscheinungen in der Latenz ent¬ 
gehen. Ich bin schliesslich zu der Ueberzeugung gekommen, dass 

— immer noch enorm — etwa Va aller Erkrankten Spätlues hat. 
Was das bedeutet in Gegenden, in denen stellenweise auch nicht 
ein gesundes Individuum zu treffen war, ist klar. In den Gebirgs- 
dörfern am Schwarzen Meere sind zahlreiche solche Distrikte zu 
finden. 

Diese Schwere und Ausdehnung der Späterscheinungen werden 
von einigen Autoren als Zeichen einer grossen Malignität der Lues 
in diesen endemischen Herden angeführt. Ich glaube, es liegt da eine 
völlige Verkennung des Begriffes maligne Lues vor. Unter maligner 
Lues soll man eine, zwar auch — aber das ist nicht das wesent¬ 
liche — mit ausgedehnten, schnell zerfallenden, nicht zur Heilung 
neigenden örtlichen Erkrankungen einhergehende, besonders aber sich 
durch Fieber, Kachexie, Kräfteverfall auszeichnende Lues verstehen. 
Solche Fälle, bei denen offenbar auch die Gefässerkrankungen eine 
grosse Rolle spielen und die häufig unter dem Bilde einer innerlich, 
in die Gewebe z. B. der Muskulatur erfolgten Blutung zugrunde gehen, 
habe ich auoh beobachtet. Die meisten der selbst mit ausgedehntesten 
Hauterkrankungen, scheusslichsten Knochenzerstörungen behafteten 
Kranken waren aber keineswegs kachektisch; sie gingen jahrelang 
ihrer Arbeit nach mit diesen Erkrankungen und fühlten sich sub¬ 
jektiv ganz wohl. 

Welches sind nun die Gründe für diese Häufigkeit, Ausdehnung 
und lange Dauer der tertiären Erscheinungen? 

Man macht geltend, dass die Lues in diesen Ländern jung sei, es 
habe noch keine immunisierende Durchseuchung stattgefunden. Tat¬ 
sächlich lässt sich nachweisen — aus der Literatur —, dass die Lues 
in Kleinasien noch nicht 100 Jahre eingeschleppt ist. Aus den 20 er, 
aus den 30 er Jahren liegen glaubwürdige Angaben vor, dass die 
Krankheit nicht oder kaum bekannt sei. Erst in den 40 er Jahren 
wird, als neue Erscheinung, ihre Verbreitung unter dem Militär fest¬ 
gestellt. (Bis 1824 hatten die Türken kein stehendes Heer — erst 
nach der Vernichtung der Janitscharen wurde rekrutiert.) 

Abgesehn davon, dass wir von einer Milderung der Lues durch 
relative Immunisierung gar nichts wissen — die Mär von der milden 
Lues in Portugal ist längst widerlegt —, wüsste ich wenig für oder 
wider diese Ansicht zu sagen. 

Ein anderer Grund ist einleuchtender. Die Bevölkerung Klein¬ 
asiens ist ausserordentlich schlecht genährt; Tuberkulose ist sehr 
häufig. Man sagt, dass die geringere Widertandsfähigkei des Orga¬ 
nismus die Schwere des Tertiarismus bedinge. 

Der dritte — meiner Ansicht nach weitaus wesentlichste und 
ausschlaggebendste Grund — ist der, dass die Lues eigentlich so gut 
wie vollständig unbehandelt blieb. Abgesehen von einer mit strenger 
Hungerkur verbundenen „Räucherung“ (Zinnober oder Kalomel, auf 
die Wasserpfeife gelegt), die gelegentlich bis zu schweren Vergiftungs¬ 
erscheinungen vorgenommen wurde, gab es irgendwelche Therapie 
auf dem Lande nicht. Besonders Jodkali gegen die Späterscheinungen 
war so gut wie unbekannt. Es unterstützte unsere Arbeit ausser¬ 
ordentlich, als die Bevölkerung die Wirkung einer geeigneten Thera¬ 
pie sah — und gerade die unbedingt prompte Wirkung des Jodkali 
bei den schon jahrelang bestehenden Spätformen, die sich in nichts 
von der Jodwirkung bei der Lues bei uns unterschied, war ein Be¬ 
weis dafür, dass es sich hier nicht um eine bösartige, sondern ledig¬ 
lich um eine unbehandelte Lues handelte. 

3. Während, wie gesagt, Erkrankungen der Haut, der Schleim¬ 
häute, der Knochen und Gelenke überaus häufig und in schweren 
Formen beobachtet werden, während Aneurysmen sehr häufig, zu 
Gangrän führende spezifische Gefässerkrankungen immerhin nicht 
selten waren, sind Erkrankungen des Nervensystems ganz ausser¬ 
ordentlich selten, ja fehlten ganz. Gehirn- und Rückenmarkslues war 
selten — Optikusatrophie, Tabes, Paralyse kommen kaum vor. Darin 
stimmen alle Untersucher in allen daraufhin untersuchten Gegenden 

— Nordafrika, Russland, Balkan, Türkei — überein. Wohlverstanden 
gilt das nur für das Land, nicht für die Städte. 

Unter fast 80 000 Fällen von Syphilis im Innern, über die ich 
Notizen hatte, befanden sich 3 Fälle von Tabes und diese bei besser 
situierten Türken, die auch zeitweise in der Hauptstadt gelebt 
hatten, und kein Fall von Paralyse. 

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Nonne bezweifelt die Richtigkeit dieser Angaben. Er meint, 
ohne einem dieser Untersucher zu nahe treten zu wollen, sei es doch 
gar nicht so leicht, fruste Fälle von Tabes richtig zu erkennen. Zu¬ 
gegeben. Aber es müsste doch wohl einer bestimmten Anzahl von 
fruster Tabes auch eine gewisse Anzahl von Tabes entsprechen, 
die auch eine weniger hervorragende Autorität diagnostizieren 
könnte. Oder sollte die Besonderheit dieser kleinasiatischen Lues 
darin bestehen, dass sie nur fruste Fälle erzeuge? 

Sehr eigenartig ist nun, dass die gleichen Menschen, wenn sie 
in das Leben der Hauptstadt versetzt werden, z. B. die Jungen 
türkischen Offiziere, die Aerzte, wenn sie dort „ä la franca“ leben, 
d. h. Alkohol trinken, spät bis in die Nacht sitzen, bummeln, sich 
in die Intriguen der Ministerien und des Palais einlassen, dabei unter 
Umständen noch fleissig studieren wollen — ganz ausserordentlich 
früh gerade an Tabes erkranken. Tabetiker am Ende des ersten, 
im zweiten Jahre der Lues habe ich häufiger beobachtet Auch 
Hirn- und Rückenmarkslues war unter den Türken der Hauptstadt 
durchaus keine Seltenheit. 

Vor Jahren habe ich schon mit dem verstorbenen Kollegen 
Edinger darüber gesprochen — man muss eben doch annehmen, 
dass das vollständig „nervenreizlose“ Leben im Innern, wo man im 
Winter mit Dunkelwerden sioh zum Schlafen legt, irgendwelche Auf¬ 
regung, Kampf ums Dasein usw. nicht kennt, diese Widerstands¬ 
fähigkeit des Nervensystems bedingt. 

4. Vielleicht am wichtigsten und gerade bei unserer Sorge, 
dass durch den Krieg die Syphilis in die Familien eindringen könne, 
sind wohl die Untersuchungen über die Folgen einer solchen Volks¬ 
durchsuchung für Bevölkerungszahl und Rassenverderbnis. 

Meine Untersuchungen fielen gerade in die Zeit in der die 
Pariser Schule unter dem Vorgänge Fourniers ungefähr Jede 
Degenerationserscheinung, ja jede Missbildung als Folge einer lueti¬ 
schen Uebertragung, luetischer Rassenverderbnis hinstellte. Klump- 
fuss und Spina bifida, Hasenscharte und Naevi — alles was man sich 
nur denken kann — wurde in der dritten Generation als Beweis gross- 
elterlicher Lues angeführt. Es ist also wohl verständlich, dass in 
ausgedehnter Weise gerade möglichst systematisch Untersuchungen 
über diese Wirkungen der Syphilis angestellt wurden. 

Die Ergebnisse lassen sich für diese endemischen Herde in den 
Satz zusammenfassen, dass die Syphilis viel weniger zur Entartung 
der Rasse als zur Austilgung der Bevölkerung führt. Ob das für 
unsere Verhältnisse im Hinblick auf die doch mehr oder minder überall 
angewandte Therapie Gültigkeit hat, wollen wir weiterhin kurz er¬ 
örtern. 

Für Kleinasien ist die volksvernichtende Wirkung der Syphilis 
geradezu furchtbar. Nach allerdings ziemlich problematischen Auf¬ 
stellungen hat sich die eigentliche osmanisch-muselmAnische Bevöl¬ 
kerung Kleinasiens in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts 
von 12 Millionen auf 7 Millionen vermindert. In den Jahren 1890—96 
war nach den Steuerbüchern der öffentlichen Schulverwaltung etwa 
eine Abnahme von 500000 Einwohnern von Kleinasien festzustellen. 
Da nun die Christen und Juden, wie aus den Büchern der Kultus¬ 
gemeinden festzustellen ist, dauernd Zunahmen, muss die Abnahme 
lediglich die Muselmanen treffen. Diese Zahl ist um so besorgnis¬ 
erregender, als dauernd eine sehr bedeutende Einwanderung von 
sog. Mohadjiers stattfindet, das sind die muselmanischen Bewohner 
unter christliche Herrschaft gekommener früherer türkischer Ge¬ 
biete; Kaukasus, Krim, Dobrudscha, Bulgarien, Serbien, Bosnien, 
Kreta usw. Die Einwanderung wird gering auf mindestens eine 
'■Million in diesen 6 Jahren gesohätzt — also fügt sich diese Zahl zu 
der Abnahme der Bevölkerung zu. 

Unter den Christen und Juden gibt es sehr wenig Syphilis; 
und, was sehr zu beachten ist, sie lassen sich sofort behandeln, reisen 
zur Hauptstadt, um sich eine Behandlung verschreiben zu lassen. 

Die Hauptursache bis zur Mitte des letzten Jahrzehnts für diese 
Abnahme war zweifellos die Syphilis. Zwar hat auch der fast aus¬ 
schliesslich auf der kleinasiatischen Bevölkerung ruhende Militär¬ 
dienst, mit den ununterbrochen geführten kleinen Feldzügen in Arabien, 
die männliche Bevölkerung stark vermindert — die Hauptursache 
dieser Bevölkerungsabnahme ist aber die Syphilis. Man findet ganze 
Dörfer, in denen es kaum noch Kinder gibt; in meinen Listen stehen 
Familien mit 12, 18 und mehr Schwangerschaften, Wochenbetten — 
es ist kein lebendes Kind vorhanden. 

In der fruchtbaren Ebene von Düsdje, zwischen Ismidt und Bolu, 
zwischen der Eisenbahn nach Eskischehir und dem Schwarzen Meere, 
trifft man eine Gegend, die furchtbar beweisend für die volkaus- 
rottende Eigenschaft der Syphilis ist. Die Fruchtbarkeit der Gegend, 
die Nähe der Hauptstadt machen es zweifellos, dass hier eine grosse 
Bevölkerungsdichte geherrscht haben muss. Im Altertum muss sie 
sehr gross gewesen sein, denn unaufhörlich kommt man durch Ge¬ 
biete, in denen Tumuli, Nekropolen häufig in kaum 1 km Entfernung 
auf das Vorhandensein alter Wohnstätten hindeuten; heute reitet 
man 5—10 km ohne eine Siedelung zu finden. Und die Ansiedler 
in diesem Paradies bilden ein interessantes ethnographisches Mu¬ 
seum: es handelt sich um lauter Neuansiedlungen eingewanderter 
Muselmanen (Mohadjirs). Hier ist ein Tscherkessendorf, eine Stunde 
weiter sind wir zwischen Tataren aus der Krim, wieder weiterhin 
zwischen Balkanmuselmanen, zwischen Dobrudschabewohnern. Bos- 
niaken usw. Alle diese Leute haben leere Plätze vorgefunden — 

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3. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1003 


die ursprüngliche Bevölkerung ist so gut wie verschwunden. Der 
Kaimakam von Düsdje brachte mich nach einem Dorf, das nach den 
Steuerlisten vor 30 Jahren 100 Häuser — dem entsprechen etwa 
500 Einwohner — gehäbt hatte. Jetzt hatte es 3 Häuser mit 7 Ein¬ 
wohnern. „Gott hat uns geschlagen!“ sagte ein alter Bauer. „Womit 
denn?“ „Mit der frängi hastalik“, der fränkischen Krankheit, d. h. 
der Lues. 

, Ein anderer trauriger Beweis des (durch Lues bedingten) Be¬ 
völkerungsrückganges ist der folgende: In den Gebirgsgegenden be¬ 
finden sich in den durch Berge eingeschlossenen weiteren Hoch¬ 
flächen in der Mitte einer Anzahl auf den Bergen liegender Dörfer 
sog. Basar Köis, Basardörfer, in denen an bestimmten Tagen in der 
Woche (meist Freitags) die Dorfbewohner Zusammenkommen, Handel 
treiben, Steuern bezahlen, sich begrüssen. In diesen Basardörfern 
ist der Sitz der Behörden — aber ausser an den Basartagen herrscht 
hier tiefster Frieden, diese Orte sind vollständig „verschlossen“. An 
verschiedenen Orten ziehen jetzt die Bauern der Bergdörfer in die 
Basardörfer herunter — mehrere Dörfer finden bequem in einem 
Dorfe Platz, so ist die Bevölkerung zurückgegangen 

Darüber kann also kein Zweifel herrschen, die Syphilis hat in 
Kleinasien die Bevölkerungszahl in verhängnisvoller Weise herunter¬ 
gedrückt. 

Wie ist es nun aber mit der Entartung? Man kann für dortige 
Verhälmsse beinahe sagen, dass durch Zuchtwahl die Entartung der 
Rasse nicht so beträchtlich ist — was schwach ist* stirbt aus! Es 
gibt natürlich auch angeborene Lues und zwar nicht wenig; aber 
eine grosse Rolle als rassenverdeibendes Moment spielt sie nicht. 

Einfügen will ich hier, dass die angeborene (oder vielleicht 
früherworbene) Lues durchaus nioht vor Neuinfektion schützt. Nicht 
wenige Fälle von Primäraffekten oder Erscheinungen unbezweifel- 
barer Frühlues kamen zur Beobachtung neben Narben abgeheilter Lues. 

Was man an Zeichen konstitutioneller Minderwertigkeit findet, 
ist viel mehr auf die allgemeine Degeneration durch mangelhafte Er¬ 
nährung, Tuberkulose usw. zurückzuführen als gerade auf die Lues. 
Man kann sagen: Was übrig bleibt, ist trotz der Generationen durch¬ 
seuchenden Lues verhältnismässig kräftig und gesund. 

Man muss also sagen, dass die endemische Syphilis mehr vofks- 
mindernd als rasseverderbend wirkt. 

Ob wir diesen Satz ohne werteres auf unsere Verhältnisse über¬ 
tragen dürften, möchte ich bezweifeln. Wie der Tertiarismus durch 
die fehlende Behandlung so ausserordentlich häufig und ausgebreitet 
ist, dürfte auch die ungeheure Sterblichkeit der Frucht und der. 
Kinder auf die fehlende Behandlung der Eltern zurückzuführen sein — 
man könnte sagen, es bleibt nichts übrig zum Entarten! Bei uns 
ist das anders. Besonders ist ja m e i s t die Lues der Eltern minde¬ 
stens nicht mehr eine frische, sie ist behandelt — die Mortalität 
ist infolgedessen eine geringere — aber es bleibt mehr Material zur 
Degeneration übrig. 

In grossen Zügen habe ich mir erlaubt. Ihnen aus den Er¬ 
fahrungen über endemische Syphilis, über die man bequem im Se¬ 
mester eine mehrstündige Vorlesung halten könnte, einiges mit¬ 
zuteilen,, was vielleicht für heutige Erlebnisse einige Bedeutung 
haben könnte. Es ist zweifellos, dass die Massenansteckung von Ehe¬ 
männern die Möglichkeit von Gelegenheitsübertragungen vermehrt. 
Für eine klinisch gerade den Typus der Endemie ausmachende Zu¬ 
nahme des Tertiarismus dürfte bei uns keine Gefahr bestehen. Da¬ 
gegen ist die Gefahr nicht zu unterschätzen, und bei unserem Be¬ 
darf an Menschen, an gesunden tüchtigen Menschen zum Ausgleich 
der ausserordentlichen Verluste um so grösser, dass die Sterblich¬ 
keit und die Entartung der Nachkommen aus diesen infizierten Ehen 
sicher bedeutend sein wird. 

Zum Schluss möchte ich nochmals betonen, dass die Lues an 
sich, auch die sog. endemische, überall dieselbe, die uns bekannte 
Lues ist, dass aber soziale, klimatische, konstitutionelle Bedingungen 
immerhin Eigenheiten schaffen, die dahin geführt haben, m dieser 
Krankheit etwas besonderes zu sehen, das sie nicht hat. 


Bacheranzeigen und Referate. 

Erich Klose: Kinderheilkunde. Aerztliche Bücher für Fort¬ 
bildung und Praxis. 3. Bd. Leipzig 1918. Verlag der Buchhandlung 
des Verbandes der Aerzte Deutschlands. Preis 4.80 M. 

Ein Hilfsbuch zur Auffrischung „vergessener und verwischter 
Kenntnisse“, zum Gebrauch bei Fortbildungskursen und in der Praxis. 
Im Telegrammstil geschrieben. Jede Krankheit eingeleitet durch 
einen typischen Fall aus der Praxis. Bemerkenswerte diagnostische 
Erwägungen; gute übersichtliche Stoffanordnung; viel didaktisches 
Talent. Der Titel „Kinderheilkunde“ zu weit gefasst, da kein all¬ 
gemeiner Teil, also besser „Spezielle Kinderheilkunde“! Im ganzen 
ein wohlgehingenes originelles Werk, für den Praktiker zur Kittung 
von abbröckelndem Wissen durchaus geeignet. 

Prof. Dr. H e c k e r - München. 

Prof. Dr. Haus Llnlgers Rentenmann. Med.-Akademischer 
Verlag L. H. Boucher, Frankfurt a. M. 

L. spricht im Vorwort aus, dass, wenn die Schätzung des Arztes 
von durchschlagender Bedeutung sein soll, sie vor allen Dingen mit 


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der Rechtsprechung des RVA. in glatten Unfallschäden in Einklang 
stehen müsse. Jeder erfahrene Gutachter wird diese Forderung als 
richtig anerkennen. Voraussetzung ihrer Erfüllung ist aber die all¬ 
gemeine Kenntnis des grundsätzlichen Standpunktes des RVA. gegen¬ 
über den sog. glatten Dauerschäden und diese Kenntnis in praktisch 
rasch orientierender Form zu vermitteln, ist die Absicht des L i n i - 
ge r sehen Rentenmanns. Die eine der beiden Tafeln illustriert die 
Abschätzung des Schadens bei 72 Arten von Dauerschäden, welche 
die Extremitäten betreffen, besonders ausführlich jene der Finger 
(Verluste!). Die 2. Tafel bringt die aus der dauernden Recht¬ 
sprechung des RVA. sich ergebenden Ziffern der Abschätzung bei 
andern Schäden, welche die Extremitäten, Sinnesorgane und Rumpf 
betreffen. In den Vorbemerkungen über das ärztliche Gutachten emp¬ 
fiehlt L. vor allem Rücksichtnahme auf die Lohnauskunft und auf den 
Faktor der Gewöhnung. Zugleich ist er ein warmer Vertreter der 
möglichst häufigen Abfindung, deren Gebiet er über l U der Vollrente 
hinausgerückt haben will. Dankenswert an dem kleinen, sicher gut 
brauchbaren Werkchen, das aus sehr grosser persönlicher Erfahrung 
herausgewachsen ist, erscheint auch die darin gegebene Neben¬ 
einanderstellung der Entschädigungssätze beim Militär und bei den 
Privatversicherungsgesellschaften. Grassmann - München. 


Neueste Journalliteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medizin. 127. Bd. 3. u. 4 . H. 

H. Eich hörst-Zürich: Die Beziehungen zwischen Tuber¬ 
kulose und spinaler progressiver Muskelatrophie. (Mit 2 Abbildungen.) 

Bei einem 29 jährigen Kaufmann fand sich neben einer tuberku¬ 
lösen Karies der Halswirbelsäule eine spinale progressive Muskel¬ 
atrophie, weiche wohl von der Wirbeltuberkulose ausgelöst wurde. 
Die Atrophie und der zunehmende Schwund der grossen Ganglien¬ 
zellen in den Vorderhörnern des Rückenmarkes bei völligem Fehlen 
aller entzündlichen Veränderungen, sowie die hochgradige Entartung 
der Nervenfasern in den Armnerven sicherten die Diagnose. In den 
atrophischen Muskeln fand sich eine Vermehrung der Sarkolemm- 
kerne, Blutgefässveränderungen im Perimysium internum, Verbreite¬ 
rung des interstitiellen Bindegewebes mit lebhafter Rundzellen¬ 
infiltration und Abrundung der Muskelfaserquerschnitte, sowie zu¬ 
nehmende Atrophie der Muskelfasern innerhalb dieser Herde. 

D. Gerb a r dt-Würzburg: Beitrag zur Lehre vom Venenpuls 
(besonders über den systolischen Venenkollaps). (Mit 3 Kurven.) 

Das systolische Kollabieren der Venen ist nicht nur auf die Er¬ 
schlaffung des Vorhofs, sondern zum wesentlichen Teil auf die Kon¬ 
traktion der Kammer zu beziehen. Nur 'bei überstürzten kleinen 
Herzschlägen ist bei Vorhofflimmern der Venenpuls ein systolischer, 
die kräftigeren Schläge sind auch hier von systolischem Venenkollaps 
begleitet. Die Kombination von systolischem Anschwellen bei den 
überstürzten mit systolischem Einsinken bei den kräftigen Pulsen 
spricht für muskuläre, konstante systolische Erhebungen für orga¬ 
nisch bedingte Trikuspidalinsuffizienz. 

F. Marchand: Ein neuer Fall von Asthma bronchiale mit 
anatomischer Untersuchung. (Aus dem pathologischen Institut Leip¬ 
zig.) (Mit 1 Abbildung.) 

Bei einem 48 jährigen Arbeiter, der angeblich in einer chemi¬ 
schen Fabrik zeitweise auch giftige Gase eingeatmet haben wollte, 
fand sich längere Zeit nach dieser Tätigkeit ein typisches Bronchial¬ 
asthma mit hochgradiger inspiratorischer Dyspnoe, starker Aus¬ 
dehnung und Unbeweglichkeit des Thorax, Zyanose, Oedem der 
unteren Extremitäten, und der Kranke starb unter zunehmenden 
Stauungserscheinungen. Im anfangs spärlichen, zähen Sputum 
fanden sich zahlreiche eosinophile Zellen und nach längerem Stehen 
auch etwas modifizierte Charcotsche Kristalle; den gleichen Be¬ 
fund bot bei der Autopsie die Schleimhaut der Trachea und der 
linken Kieferhöhle, Spiralen fanden sich nicht im Sputum. Was den 
Bronchialmuskelkrampf anlangt, so spielt er wohl beim Anfalle eine 
grosse Rolle hinsichtlich der Verengerung der Bronchien; doch dürfte 
die Schwellung der Schleimhaut, starke Füllung der kleinen Gefässe 
und Sekretion dazu von Anfang beitragen. In länger dauernden 
Fällen entwickelt sich übrigens eine Verdickung der Schleimhaut und 
der ganzen Bronchialwand, so dass in Verbindung mit dem zähen 
Sekret ein unüberwindliches Atmungshindernis entsteht. Vielleicht 
ist der primäre Angriffspunkt, der den asthmatischen Anfall auslöst, 
in einer Schädigung des Epithels zu suchen, so dass hier gefäss- 
erweiternde Stoffwechselprodukte im Trachealepithel sich bilden, 
daran würden sich Hyperämie und seröse Durchtränkung. Hyper¬ 
sekretion des Oberflächenepithels und der Schleimdrüsen, schliesslich 
entzündliche Infiltration und Bronchospasmus anschliessen. Jeden¬ 
falls handelt es sich um eine Systemerkrankung der Respiratlons- 
schleimhaut. Therapeutisch bewährte sich Adrenalin sehr, indem 
ca. 3—5 Minuten nach subkutaner Einspritzung von 0,75 ccm einer 
1 proz. Lösung regelmässig der Bronchospasmus aufhörte. 

G. Katsch: Alkapton und Azeton. (Aus der med. Klinik Mar¬ 
burg.) (Mit 1 Abbildung.) 

Bei einem jugendlichen, 3 Yz Jahre alten männlichen Alkaptoniker 
zeigte sich die Stoffwechselanomalie nicht als eine totale; er baute 
vielmehr im Hunger und bei Kohlehydratfettkost aromatische Ei¬ 
weisskomplexe ab, ohne sie als Homogentisinsäure durch den Harn 
auszuführen; die aromatischen Eiweissbausteine wurden bis zu den 

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1004 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 36. 


Azetonkörpern verbrannt. Dieser Gegensatz zu den Befunden anderer 
Autoren erklärt sich durch die Neigung des kindlichen Organismus 
zur Ketonurie. Jedenfalls sind im Hungerversuch aromatische Amino¬ 
säuren vom Alkaptonuriker bei Hungerazidose in Azetonkörper 
übergeführt. Auf welchem Wege dieser Abbau erfolgt, ob die unter 
gewöhnlichen Verhältnissen bei der Homogentisinsäure einsetzende, 
hemmende Barriere vom hungernden Alkaptonuriker umgangen oder 
durchbrochen wird, oder ob beim Abbau aromatischer Aminosäuren 
zu Azetonkörpern in der Hungerazidose der Weg über die Homo¬ 
gentisinsäure geht oder vermieden wird, bleibt zunächst unent¬ 
schieden. Jedenfalls wurde vom Alkaptonuriker körpereigenes Ei- 
weiss abgebaut, ohne dass daraus Homogentisinsäure gebildet wurde, 
wahrscheinlich kann auch zugeführtes Nahrungseiweis im Zustande 
der Azidose vom Alkaptonuriker ohne Homogentisinsäurebildung 
umgesetzt werden. Eiweisszusatz zur Nahrung beeinflusste die 
Alkaptonausscheidung viel schneller als die Stickstoffkurve. Die von 
den herrschenden Anschauungen über Alkaptonurie mehrfach ab¬ 
weichenden Ergebnisse dürften durch die Aenderung intermediärer 
Stoffwechselvorgänge bei dem jugendlichen Alkaptonuriker bedingt 
sein. Jedenfalls muss bei solchen Untersuchungen stets die Aus¬ 
scheidung von Azetonkörpern gleichzeitig mitstudiert werden. Was 
die anhangsweise noch erörterte Frage des Leims als Eiweisssparer 
anlangt, so wird betont, dass die biologische Wertigkeit eines 
Nahrungsmittels keine konstante Grösse ist, sondern eine je nach 
den Ernährungsbedingungen der Vortage wandelbare. 

S. Steckelmacher: Ein Beitrag zur Kenntnis der tayper- 
plastisch-porotiscben Osteoperiostitis (Osteoarthropathie hyper- 
trophlante [Marie]). (Aus der med. Universitätsklinik Heidelberg.) 
(Mit 3 Abbildungen.) 

Bei einer 56 jährigen Frau fand sich das in der Ueberschrift er¬ 
wähnte seltene Krankheitsbild der Osteoarthropathie hypertrophiante 
pneumique. In ausgesprochener und typischer Weise waren an dem 
Prozess die Extremitäten und das Skelettsystem beteiligt, im Blute 
fand sich eine ausgesprochene Reizungsleukozytose unter vorzugs¬ 
weiser Beteiligung der Eosinophilen und ihrer Markzellen, sowie 
unter hochgradiger Verdrängung der Lymphozyten und ein in diesem 
Sinne verändertes Knochenmark. Die Autopsie ergab ein Karzinom 
des linken Oberlappens, das schliesslich den ganzen linken oberen 
Brustraum einnahm und wohl die erwähnten Veränderungen an den 
Extremitäten und dem Blutbilde herbeifüfhrte. 

C. und M. 0 e h m e: Zur Lehre vom Diabetes insipidus. Nach 
experimentellen Untersuchungen. (Aus der med. Klinik in Göttingen.) 
(Mit 15 Kurven.) 

Die Wirkung der Hypophysenextrakte (Pituitrin) auf die Harn¬ 
sekretion setzt sich aus zwei Komponenten zusammen, einer initialen 
Förderung der Wasser- und Cl-Sekretion. die rasch abklingt, und 
einer länger anhaltenden Hemmung der Wasserausscheidung, welche 
die Salzelimination nicht mitbetrifft. Beide Wirkungen sind peripher 
und kommen nach Nervenzerstörung zustande. Von den Hirnven¬ 
trikeln aus lässt sich keine Einwirkung auf die Niere durch Pituitrin 
erzielen. Eine Sensibilisierung der Nierengefässe für verschiedene 
Reize durch langsame Pituitrininfusionen findet nicht statt, auch die 
diuretische Wirkung von Na Cl-Reizen während solcher Infusionen 
verstärkt sich nicht, der Effekt von Theozin ist keineswegs stärker. 
Die Piuitrindiurese selbst fehlt bei langsamer Infusion stets, dagegen 
kommt die Hemmung ebenso wie bei rascher Zufuhr derselben Dose 
zustande, sie ist also eine reine Zellwirkung. Die Wirkung des 
diuretischen Moments ist wahrscheinlich vom Konzentrationsgefälle 
abhängig, die hemmende Substanz wirkt erst nach Speicherung. 
Während der Hemmung reagiert die Niere nicht wie sonst auf Blut¬ 
verdünnung bei Einleitung einer Wasserdiurese, ihre Empfindlichkeit 
gegen den hydrämischen Reiz ist herabgesetzt. Die pharmakologische 
Analyse der Pituitrinwirkung ergibt, dass dem Insipidus keine Hyper¬ 
funktion der Hypophyse zugrunde liegen kann. Die Niere ist beim 
Insipidus nicht in ihrem Konzentrationsvermögen geschädigt, viel¬ 
mehr ist eine Reizbarkeitssteigerung des wassersezernierenden Ap¬ 
parates durch NeTveneinfluss anzunehmen, der sich überhaupt nicht 
auf den Konzentrationsmechanismus, sondern ausschliesslich nur auf 
die Erregbarkeit des Organs erstreckt. Die Erregbarkeitsänderung 
ist eben für die Nierensekretion bedeutungsvoll. Da auch bei pri¬ 
märer Polydipsie eine gesteigerte Reizbarkeit des wässersezernieren- 
den Apparates anzunehmen ist, ist trotz verschiedener Abweichungen 
die grosse symptomatische Aehnlichkeit zwischen primärer Polyurie 
und Polydipsie verständlich. 

A. R e i n h a r t Ueber die Eignung der Sphygmovolumetrle zur 
Bemessung der Systolengrösse. (Aus der med. Klinik Kiel.) 

Die von anderer Seite als ungeeignet erklärte Sphygmo- 
volumetrie nach Sahli ist eine einwandfreie klinische Methode, die 
über die Zirkulation wertvolle Aufschlüsse ergibt. Im Stehen ist 
das Puls- und Minutenvolumen kleiner wie im Liegen, entsprechend 
einer Abnahme der Herzgrösse im Stehen und einer Abnahme des 
Schlagvolumens im Stehen. Beim V a 1 s a 1 v a sehen Versuche nimmt 
das Pulsvolumen um 75—80 Proz. ab. Bei Pulsus paradoxus und 
respiratorischer Arhythmie entsprechen den kleineren Systolen im 
Beginn der Inspiration kleinere Pulsvolumina. Bei Frequenzände¬ 
rungen der Herzkontraktion sind bei hohen Frequenzen die Puls¬ 
volumina kleiner als bei langsamer Schlagfolge. Bei Kompensations- 
Störungen mit kleiner Systole und bei Lungenödem mit Versagen des 


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linken Ventrikels findet sich ein deutliches Kleinerwerden des Puls¬ 
volumens. Mit Besserung der Zirkulation nimmt dasselbe wieder zu. 

Bamberger - Kronach. 

Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie. 
1918, Heft 6 u. 7. 

E. F u I d - Berlin: Urticaria appendlcularis. Ueberempfindlich- 
keit und Appendizitis. 

Verf. beschreibt ausführlich 4 Fälle von Appendizitis, bet denen 
gleichzeitig die Neigung zum Auftreten von Urtikaria bestand, nicht 
ohne dass es gelang, eine bestimmte Substanz zu beschuldigen. Bei 
einem Kranken verschwand prompt nach der Operation auch die 
Neigung zur Urtikaria, selbst nach Genuss von Krebsen, die sie 
bisher stets ausgelöst hatten. Verf. nimmt bei diesen Kranken eine 
veränderte Einstellung des Verdauungsapparates an, die zu Nessel¬ 
sucht führt, und glaubt, dass andererseits manche kurzdauernde 
Anfälle als Urtikaria der Appendix zu deuten seien. 

Bangart - Charlottenburg: Physikalische und technische Be¬ 
trachtungen über moderne Lichttherapie. Die Siemens-Aureollampe. 
(Schluss.) 

Die Siemens-Aureollampe stellt der Lichttherapie den lücken¬ 
losen Strahlenbereich vom Roten zum Ultravioletten in einer Lampe 
restlos zur Verfügung, erlaubt also in erster Linie und besser als die 
„künstliche Höhensonne“, die Therapie nachzuahmen, die Rolli er 
und Bernhard mit der Sonnenbestrahlung im Hochgebirge ver¬ 
folgt haben. 

W. B r i e g e r: Zur Geschichte der physikalischen Heilmethoden. 
Materialien aus chemischen Quellenschriften. II. Die Schlacken- 
b ä d e r. 

M am lock -Berlin: „Bhiffotherapie**. Die deutsche Physiko- 
therapie in französischem Lichte. 

Besprechung einiger Erzeugnisse des Deutschenhasses im Kriege. 

Nr. 7. Goldscheider: Ueber die krankhafte Ueberempfind- 
llchkeit und Ihre Behandlung. (Fortsetzung folgt) 

Determann: Die Funktion des Magendarms als Grundlage 
der Diagnostik. Fortbildungsvortrag. L. Jacob. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 145. Bd. 3.— 4. Heft. 

H. Martenstein: Beitrag zur Chirurgie der Hirntumoren. 

(Aus der Chir. Klinik in Leipzig. Vorstand Geheimrat Prof. Payr.) 

Eingehende Beschreibung eines Falles von Sarkom der Falx 
magna cerebri, Operation und erfolgreiche Rezidivoperation durch 
Hör Hammer (Klinik Payr); aus der Literatur werden ausserdem 
12 Fälle von Tumoren der Falx cerebri zusammengestellt. Die Tu¬ 
moren sind fast ausnahmslos Endotheliome. Besteht neben den 
meistens wenig ausgesprochenen Allgemeinerscheinungen eines Hirn¬ 
tumors eine primäre isolierte spastische Monoplegie eines Fusses 
oder einer Fussmuskelgruppe oder eines Fussmuskels, oder ist nach 
Jacson eine sekundäre derartige Monoplegie aufgetreten, so ist die 
Diagnose einer kortikalen Schädigung des gekreuzten Parazentral¬ 
lappens durch einen von der benachbarten Fläche der Falx cerebri 
in der Zentralregion ausgehenden Tumor zu stellen, daneben können 
noch die angrenzenden proximalen Beinabschnitte leichter spastisch 
gelähmt sein. Mortalität: 27 Proz. der operierten Fälle. 

Franz Stadel: Die Varizen und ihre chirurgische Behandlung. 
(Aus dem herzogl. Landkrankenhaus zu Koburg. Direktor: Prof. 
Dr. C o 1 m e r s.) 

Bei 41 Patienten wurde 47 mal die Exzision der Varizen nach 
Narath-Colmers ausgeführt: Unterbindung der Vena saphena, 
schrittweise Exzision von kleinen Schnitten aus. Die Resultate des 
einfachen Verfahrens waren recht gute. Auch Uloera bei ganz alten 
Leuten wurden heil. 

(In der Literatur fehlt die wichtige Arbeit von Kocher, dessen 
Verfahren: Hohe Unterbindung der Vena saphena und perkutane Um¬ 
stechung sämtlicher ektatischer Venen noch einfacher ist und z. B. 
mir im Felde sehr gute Erfolge gab. Ref.) 

Eduard Martens: Physiologische Methoden der Wundbehand¬ 
lung im Feldlazarett. 

I. Primäre Reparation des durch das Geschoss angerichteten 
Schadens. Gut exzidierte Weichteilwunden werden, wenn die Naht 
ohne Spannung ausführbar ist, erfolgreich primär genäht. Primäre 
Verbindung der Schussfraktur, ist nur selten möglich (Verzahnung). 
Die primäre Kapselnaht bei Gelenkschüssen gibt gute Erfolge ebenso 
die primäre Gefäss- und Nervennaht. Eine allgemeine Anwendung 
der primären Duranaht (Barany) bei Hirnschüssen ist zu gefährlich. 
Einmal wurde ein Duradefekt primär durch Faszienlappen mit Erfolg 
gedeckt, Blutungen aus Dura und Hirn wurden durch Muskelplastik 
gestillt. Gesicht und Halswunden eignen sich gut für primäre Naht. 
Primäre Nahtversorgung der Verletzungen der Harnröhre und des 
Penis sind sehr empfehlenswert. 

II. Prophylaxe und Bekämpfung der Sekundärinfektionen. Vor¬ 
teile der offenen Wundbehandlung bei stärkerer übelriechender Se¬ 
kretion. 

III. Förderung der Regeneration. Gute Erfolge mit dem Ueber- 

klcbungsverfahren nach Bier. H. F1 ö r c k e n - Paderborn. 

Original fro-rri 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





3. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1005 


Zentralblatt für Chirurgie. Nr. 33, 1918. 

Fr. Neugebauer -Mälir. Ostrau: Der Einstich in das Gan¬ 
glion Gasseri nach Härtel eine Gefahr fürs Auge. 

Verf. hat nach einer Alkoholinjektion in das r. Ganglion Gasseri 
eine Erblindung auf dem r. Auge beobachtet; es kam zu einer intra¬ 
kraniellen Verletzung der Art. carotis int. mit starker Blutung in das 
Auge und durch Kompression zur Atrophie des Sehnerven. Deshalb 
sollte diese Alkoholinjektion nach Härtel nur für die schwersten 
Fälle von Neuralgie in Frage kommen, wobei man dann auch mit 
dem Verlust der Sehkraft auf einem Auge rechnen muss. 

H. Flörcken-Paderborn: Zur Behandlung des Ulcus peptl- 
cutn lejuni nach Gastroenterostomie. 

Verf. hat ein Ulcus jejuni nach hinterer Gastroenterostomie auf 
folgende Weise behandelt: Durchtrennug der Jejunumschlinge direkt 
aboral von der Gastroenterostomie, Nahtverschluss beider Stumpf¬ 
enden und neue andere Gastroenterostomie mit dieser Schlinge. Die 
Ursache seines Erfolges (seit 10 Monaten beschwerdefrei) sieht Verf. 
darin, dass die Geschwürsgegend nur mit Galle und Pankreassaft in 
Berührung kommt, dafür durch Neutralisierung des Magensaftes die 
Heilung begünstigt wird. 

Carl Helbing: Kurze Mitteilung über einen Ersatz von Glps- 
mullbhnden. 

Als Ersatz für unsere Mullbinden eignen sich Papierkreppbinden, 
welche mit einer dünnen Sterilinlösung imprägniert sind und dann 
mit Gips eingestreut werden. Eine Minute in warmem Wasser mit 
etwas Alaunzusatz eingelegt, schmiegen sie sich, vorsichtig aus¬ 
gedrückt, bei gelindem Zuge ganz gut dem betr. Gliede an. 

E. Heim, zurzeit im Felde. 

Gynäkologische Rundschau. Jahrg. XI, Heft 17 bis 20. 

J. Eisenbuch -Basel: Ein Fall von torqulerter Dermoidzyste 
bei einem 10 jähriger Kinde. (Aus dem Frauenspital Basel.) Mit 
2 Figuren. Fortsetzung folgt. 

Heft 19 u. 20. 

Max L i n n a r t z - Oberhausen: Adrenalin in der Verwendung bei 
vaginalen Operationen. 

Verf. verwendet als Injektionsflüssigkeit 100 ccm physiologischer 
Kochsalzlösung, der 1—1,5 ccm Suprarenin Höchst in der Lösung 

1 :1000 zugesetzt werden. Die Vorteile des Adrenalins bestehen in 
einer besseren Uebersichtlichkeit des Operationsfeldes, Entlastung der 
Assistenz, Schonung des Gewebes, Abkürzung der Operationsdauer 
und Blutersparnis. 

J. Eisen buch - Basel: Ein Fall von torquierter Dermoidzyste 
bei einem 10 jährigen Kinde. (Aus dem Frauenspital Basel.) Mit 

2 Figuren. Schluss. 

Verf. beginnt mit einer Uebersicht über die verschiedenen An¬ 
schauungen über das Wesen der Ovarialdermoide, schildert kurz den 
selbst beobachteten Fall und berichtet weiter über 11 ähnliche Fälle 
aus der Literatur. An der Hand zweier Abbildungen Darstellung der 
pathologischen Anatomie, der Histogenese und Aetiologie, serner der 
klinischen Erscheinungen, Symptome und Komplikationen, der Dia¬ 
gnose, Differentialdiagnose, Prognose und Therapie. Am Schluss 
Literaturverzeichnis. 

Franz Pa chner -Poln. Ostrau: Zur Reform des Hebammen¬ 
wesens. 

Verf. war bisher der Anschauung, dass die Schlussprüfung am 
Ende der Hebammenausbildung überflüssig ist; diese Auffassung hat 
er jedoch geändert und ist für die Beibehaltung derselben. Verf. ver¬ 
langt eine Reform des Hebammenwesens in Oesterreich von Grund 
auf, nur der Baugrund, die Einheitlichkeit des österreichischen Heb¬ 
ammenwesens, mag bleiben. Die Reform hat beim Aufbau der so¬ 
zialen Verhältnisse der Hebammen zu beginnen. 

A. Rieländer-Marburg. 

Jahrbuch für Kinderheilkunde. 87. Band. 4 Heft. 

Hans Aron: Ueber Wachstumsstörungen im Kindesalter. (Aus 
der Universitäts-Kinderklinik Breslau.) Hierzu 2 ^Tafeln. 

Der Verf. teilt die Wachstumsstörungen in primäre und sekun¬ 
däre. Bei beiden kommen sowohl Wachstumshemmungen wie -Steige¬ 
rungen vor. Unter die primären Wachstumshemmungen sind die 
Hypoplasie und der Zwergwuchs zu rechnen, unter die Steigerungen 
Hyperplasie und Riesenwuchs. Von den durch äussere Einflüsse er¬ 
worbenen sekundären Wachstumsstörungen werden die reparablen 
Verzögerungen des Wachstumsablaufes mit eventueller Verlängerung 
der Wachstumsperiode erwähnt — sog. „Konkavkurven“ — daneben 
kommen irreparable dauernde Schädigungen des Körperwachstums 
vor. Als reine Beschleunigung des Wachstumsablaufes kommen auch 
sekundäre Wachstumsstörungen vor. Klinisch und praktisch bean¬ 
spruchen die sekundären Wachstumsstörungen erheblich höheres 
Interesse. Die vorliegende Arbeit behandelt im ersten Teile dieses 
Thema in klarer Weise, vielfach durch Kurven erläuternd. Einen 
breiteren Raum nehmen naturgemäss die durch Ernährungsstörungen 
hervorgerufenen Wachstumsstörungen ein. Schluss im nächsten Heft. 

Eduard Jenny: Ein Beitrag zur Kenntnis der Osteodysplasia 
exostotlca. (Aus dem Kinderspital Basel. Vorstand Prof. Dr. E. W i e- 
land.) Hierzu 2 Tafeln. 

Kasuistische Mitteilung. Literatur. 


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B. v. Holwede: Paratyphus B bei Säuglingen. (Aus der 
Säuglingsabteilung des Städt. Krankenhauses Braunschweig. Geh.- 
Rat v. Holwede.) Kasuistik. 

Literaturbericht von A. N i e m a n n. 

O. R o m m e 1 - München. 

Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 58.Bd. t 3.—6.H. 

Eoerster -Breslau: Die operative Behandlung der spastischen 
Lähmungen (Hemiplegie, Monoplegie, Paraplegie) bei Kopf- und 
Rückenmarksschüssen. 

Die Methoden zur operativen Behandlung von spastischen Läh¬ 
mungen erfahren hier von kompetenter Seite eine eingehende Be¬ 
sprechung. Es kann an dieser Stelle nur erwähnt werden, dass die 
durch zahlreiche Krankengeschichten belegten Erfolge überraschend 
gute sind, dass nicht nur die spastischen Erscheinungen durch die 
zentral oder peripher ansetzenden operativen Massnahmen weit¬ 
gehend gebessert, sondern auch die Lähmungen so zum Rückgang ge¬ 
bracht werden können, dass das funktionelle Endresultat ein recht 
gutes wird Freilich ist es mit der Operation allein nicht getan, 
sondern eine langdauernde Uebungsbehandlung muss den ersten Erfolg 
ausbauen. 

B. Pfeifer- Nietleben: Zur Lokalisation der Motilität und 
Sensibilität in der Hirnrinde. 

Eine Reihe von abgeheilten Schussverletzungen des Gehirns 
gaben Verf. Gelegenheit, die Frage nachzuprüfen, ob die Motilität 
ausschliesslich in der vorderen, die Sensibilität ausschliesslich in der 
hinteren Zentralwindung und anschliessenden Scheitellappen zu lokali¬ 
sieren sei. Die vorliegenden Kriegserfahrungen bilden eine Stütze 
der dualistischen Lehre von der für beide Qualitäten getrennten 
Lokalisation. 

K. Löwenstein, M. Borchardt -Berlin: Symptomatologie 
und elektrische Reizung bei einer Schussverletzung des Hinterhaupt¬ 
lappens. 

Bei einem durch Tangentialschuss am linken Hinterkopf ver¬ 
wundeten Soldaten stellten sich nach 5 Monaten Krampfanfälle ein, 
die durch optische Erscheinungen, rechtsseitig vom Patienten, einge¬ 
leitet Avurden. Als Ursache deckte eine vorgenommene Operation 
narbige Veränderungen und Verwachsungen im Bereich des linken 
Okzipitallappens auf. Bei dieser Gelegenheit gelang es die bei den 
Krampfanfällen auftretenden subjektiven Augensymptome einwandfrei 
durch elektrische Reizung der Rindensubstanz des Okzipitallappens 
auszulösen. Eine wesentliche Bedeutung der Beobachtungen am vor¬ 
liegenden Falle sehen Verf. „in dem gemeinsamen Auftreten verschie¬ 
dener Reiz- und Ausfallserscheinungen des Okzipitallappens (Gesichts¬ 
feldausfall, Flimmern, Photopsien, Halluzinationen, okzipitale Epi¬ 
lepsie) bei derselben Läsion, der Möglichkeit, sie alle als verschiedene 
Stufen eines und desselben Prozesses zu erkennen, sowie einen Teil 
von ihnen durch elektrische Reizung hervorzurufen, also einer wesent¬ 
lichen Uebereinstimmung der physiologischen und pathologischen 
Phänomene“. 

A. Westphal -Bonn: Ueber familiäre Myoklonie und über Be¬ 
ziehungen derselben zur Dystrophia adiposo-genitalis. 

Bei den beiden hier mitgeteilten Fällen von familiärer Myoklonie 
war die Psyche in bemerkenswerter Weise beteiligt, teils durch 
hysterische, teils durch in das Gebiet der Dementia praecox hinüber¬ 
reichende Erscheinungen. Trotzdem glaubt der Verf., dass nicht 
psychogene Ursachen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung des 
Leidens spielen. Hierfür sprechen die zunehmende geistige Schwäche 
bei der einen Patientin und vor allem somatische Erscheinungen, so 
der langsam sich entwickelnde spastische Zustand auf der von der 
Myoklonie befallenen rechten Seite mit ganz konstant nachweisbaren 
B a b i n s k i sehen und Oppenheim sehen Phänomen. Symptome, 
die auf eine Beteiligung der Pyramidenbahnen hinweisen. Beide Fälle 
waren kombiniert mit Dystrophia adiposo-genitalis; wie die kausalen 
Beziehungen zwischen diesem Leiden und der Myoklonie sind, lässt 
sich nach dem Stand unserer heutigen Kenntnisse nicht entscheiden. 
Doch scheint Heredodegeneration die gemeinsame Grundlage zu 
bilden. 

W. Für nr o h r - Nürnberg: Einige seltenere Beobachtungen 
aus der Kriegsneurologie. 

Schussverletzungen von Hirnnerven in ihrem extrakraniellen 
Verlauf, isolierte und kombinierte. Schussverletzungen der unteren 
Dorsalnerven. Isolierte Verletzung der N. lumboinguinalis. Schuss¬ 
verletzung des N. obturatorius. Multiple Neuritis infolge Ueberan- 
strengung. 0. Renner -Augsburg. 

Vierteljahrschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches 
Sanitätswesen. 54. Band, 1. Heft. 

Der Leichenbefund beim Erstickungstod. Von Prof. Dr. Wach¬ 
holz. (Aus dem gerichtlich-medizinischen Institut Krakau.) 

Bericht über die Ergebnisse der Leichenöffnung bei 58 Fällen 
von Tod durch Ertrinken. Die hauptsächlichsten Befunde, wie An¬ 
sammlung von Schaum vor Mund und Nase, sowie in den Luftwegen, 
Blutbeschaffenheit in den Hirnleitern und im Herz, Blutreichtum der 
Lungen, der Milz und der Leber, das Vorkommen von Blutaustritten 
werden nach Art und Häufigkeit des Vorkommens sind näher dar¬ 
gestellt. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1006 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 36. 


Die Grundlage einer mikroskopischen Lungenprobe. Von Dr. 
Hugo Marx- Berlin. 

Verf. schildert die Aufgaben der Untersuchung, wobei es in der 
Hauptsache darauf ankomme, das respiratorische Epithel, das Stütz¬ 
gewebe, den Bau und die Anordnung der Kapillaren zum Gegenstand 
des Studiums zu machen. Die Lungenstückchen sind in Formalin¬ 
lösung fixiert, in Paraffin eingebettet, als Farbstofflösungen kamen 
zur Anwendung Hämatoxylin, Hämatoxylin-Eosin, W e i g e r t s Ff* 
brinfärbung und Hämatoxylin-van Gieson-Färbung. Nach dem Er¬ 
gebnis der Untersuchung erstrecken sich die durch Lufteintritt bei der 
Atmung verursachten Veränderungen auf alle Bestandteile des Lun¬ 
gengewebes, mit der Veränderung in der Füllung und Anordnung der 
Kapillaren verändern sich auch die Epithelien an den Alveolen. Die 
durch Fäulnis bedingte Ausdehnung in den ungelüfteten Partien 
(Fö t a 11 u ngen) vollzieht sich im wesentlichen in den Räumen der 
Stützgewebes, während sie sich in den gelüfteten Partien in der 
Hauptsache in den alveolären Hohlräumen abspielt. Selbst bei weit 
vorgeschrittener Lungenfäulnis verspreche daher die mikroskopische 
Lungenprobe noch befriedigende Ergebnisse. 

Zur Lehre vom Kindsmorde; gerichtsärztliche und klinische Be¬ 
obachtungen sowie Experimente. Von A. L esse r - Breslau. 

L. führt eigene Beobachtungen an, die einige der bisherigen 
Auffassungen über forense Deutung von Verletzungen an Kindsleichen 
richtig stellen sollen, so u. a. bezüglich der Würdigung grosser sub- 
periostaler Schädelblutungen für die Entscheidung der Frage nach 
der Entstehung ante oder post mortem, Beobachtungen über Naht- 
zerreissungen des Schädeldaches bei Unversehrtheit der Knochen, 
über mehrfache erhebliche Blutungen bei unversehrten Schädel¬ 
knochen zwischen diesen und der Beinhaut, über postmortale Rachen¬ 
quetschungen, deren Kenntnis bei der Würdigung der Befunde bei 
eventuellem Tod nach Einführung von Fingern in den PhaVynx zwecks 
Erstickung nicht unwichtig erscheine, sowie über differentialdia¬ 
gnostisch bemerkenswerte Fälle, in denen Blutungen der nämlichen 
Gegend aus inneren Ursachen (Asphyxie, Lues, Sepsis) zustande ge¬ 
kommen sind, ferner über ungewöhnlich ausgedehnte Ablösungen 
der Pleura von der Lunge und entsprechendem Luft- und Blutaustritt 
in die so gebildeten Höhlen bei einem sterbend nach schwerer Wen¬ 
dung extrahierten Kinde. 

Ueber Kohlenoxidvergiftungen in Motorbooten. Von Francis 
H a r b i t z - Christiania (Norwegen). 

Nähere Darstellung von Vergiftungsfällen, hervorgerufen durch 
die Abgase die vom Schalldämpfer des Auspufferrohres in die Kabine 
von Motortjooten gedrungen waren. 

Ueber di Gesundheitspflege der Grubenarbeiter über und unter 
Tage. Von Dr. M, Zenke r. 

Verf. berichtet über seine Erfahrungen als Knappschaftsarzt, über 
die verschiedenen Massnahmen zur Hebung der gesundheitlichen Ver¬ 
hältnisse der Grubenarbeiter, namentlich in seinem Tätigkeitsbereiche, 
einem 'grossen Industrieorte Oberschlesiens. 

Ueber die Beziehungen zwischen Unfall und Herzerkrankungen 
vom versicherungsgerichtsärztlichen Standpunkte aus. Von Dr. R. 
Engelmann - Düsseldorf. 

Nach dem Stande unserer Wissenschaft sei bei dem Zustande¬ 
kommen von Herzkrankheiten nach Unfall neben dem äusseren 
Trauma der Ueberanstrengung, die an sich der Unfall bedeuten könne, 
oder mit dem äusseren Trauma zusammen die Schädigung bewirken 
könne, eine wichtige Rolle zuzuschreiben. Diese Schädigung könne 
nun den Herzmuskel, den Klappenapoarat, die nervösen Elemente des 
Herzens und den Herzbeutel betreffen: infolge eines Unfalls könne 
durch die mit der Arteriosklrose einhergehenden Veränderungen die 
Leistung des Herzens herabgesetzt werden. Der Unfall könne natür¬ 
lich ein gesundes und ein krankes 'Herz treffen, die Frage ober zu ent¬ 
scheiden, ob ein Herz vor dem Unfall gesund war, sei selten zu ent¬ 
scheiden möglich, da man meist keine Gelegenheit hatte, ein solches 
Herz vor dem Unfall zu untersuchen, anderseits können mit den zur 
Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden leichte Herzverände¬ 
rungen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Indes käme es 
praktisch auf eine genaue Entscheidung dieser Frage nicht an, da 
die Verschlimmerung eines schon bestehenden Leidens der Ent¬ 
stehung eines Leidens gleich geachtet werde. 

Die Hauptsache sei, festzustellen, ob tatsächlich den Kranken 
ein Unfall betroffen habe oder ob er eine das Mass der gewöhnlichen 
Arbeit übersteigende Anstrengung geleistet habe und ob die fest¬ 
gestellten Veränderungen am Herzen auf dieses Ereignis ursächlich 
zurückgeführt werden können. Dadurch werde die Abtrennung von 
den Gewerbekratfkheiten ermöglicht. 

Für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit Herzkranker nach Un¬ 
fällen können nur allgemeine Gesichtspunkte gegeben werden, in 
i°dem einzelnen Falle seien die Erwerbsfähigkeit vor und nach dem 
Unfälle und die sozia’e Stellung, d. h. die Art der von dem Ge¬ 
schädigten zu leistenden Arbeit als massgebende Faktoren für die 
Urteilsabgabe zu betrachten. Spaet-Fürth. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 33, 1918. 

J. C i t r o n: Das klinische Bild der spanischen Grippe. 

Vergl. Bericht der M.m.W. über die Sitzung der Berl. med. Ge¬ 
sellschaft, 17. Juli. 


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0. Meyer und G. Bernhardt-Stettin: Zur Pathologie der 
Grippe von 1918. 

Die Mitteilung bezieht sich airf Beobachtungen und Unter¬ 
suchungen an 28 Sektionsfällen, die direkt oder indirekt der gegen¬ 
wärtigen Epidemie zur Last fallen. (Ein bösartiger Charakter der¬ 
selben für Stettin war übrigens nicht gegeben.) Mitteilung der Sek¬ 
tionsbefunde. (Schluss folgt.) 

M. Immmelmann-Berlin: Röntgenologische Erfahrungen mit 
Friedmanns Mittel gegen Tuberkulose. 

Der Befund von je 10 Fällen von Knochen- und Lungentuberkulose 
wird mitgeteilt. Verf. zieht den Schluss, dass in diesen Fällen, die 
ausschliesslich mit dem F.-Mittel behandelt worden waren, röntgeno¬ 
logisch die Anzeichen fortschreitender Heilung nachweisbar waren. 

M. Löh lein: Follikuläre Ruhr und Colitis cysdca. 

, Auseinandersetzung mit Ort h, welcher sich gegen die von Ver¬ 
fasser geäusserten Ansichten über die Pathogenese der bazillären 
Dysenterie gewendet hat. 

0 u e t s c h - Nürnberg: Greifklauenbildung bei ausgedehntem 
Fingerverlust. 

In Fällen von ausgedehnten Fingerverlusten kann man versuchen, 
durch Umbildung der Mittelhand in eine Greifklaue der Hand die 
Möglichkeit des Zugreifens und Festhaltens zurückzugeben. Mit¬ 
teilung des in Anwendung gebrachten Operationsverfahrens in einem 
dieser Fälle. Abbildung. 

H. K ü m m e 11: Nlerenverletzungen, chirurgische Nlerenerkran- 
kungen und ihre Begutachtung bei Soldaten. 

Aus dem eingehenden Referat ist besonders hervorzuheben. dass 
K. bei schweren Fällen von Nephritis sich mit der abwartenden Be- 
handung nicht zufrieden gibt, sondern den relativ leichten Eingriff 
der Dekapsulation möglichst in allen diesen Fällen vornimmt. 12 in 
dieser Weise operierte Fälle genasen alle bis auf einen an späterer 
Infektion der Wunde Zugrundegegangenen. Bezüglich der Grundsätze 
bei der Begutachtung muss auf die ausführlichen Gesichtspunkte im 
Original verwiesen werden. Vor allem wichtig ist eine mit allen 
verfügbaren Methoden vorgenommene Feststellung über die Nieren¬ 
funktion. Die Entfernung einer Niere braucht die Dienstfähigkeit 
nicht aufzuheben. Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. 1918. Nr. 33. 

A. v. Wasser mann-Berlin-Dahlem: Ueber die Wasser¬ 
mann sehe Reaktion und biologische Stadien der Lues in bezug auf 
Therapie sowie Bekämpfung der Syphilis. 

Der Kampf gegen die Syphilis ist ein Kampf gegen den syphi¬ 
litisch verseuchten Körper. Die die Wassermann sehe Reaktion 
gebenden Substanzen werden von den Organen, gebildet, in denen 
die Spirochäten ihren Sitz haben. Mithin fällt die Wassermann- 
sehe Reaktion dann positiv aus, wenn die Spirochäten metastatische 
Herde in Geweben gebildet haben. Vor Eintritt eines positiven Aus¬ 
falls der Wassermann sehen Reaktion gelingt es in 100 Proz. der 
Fälle, die Spirochäten dauernd zu beseitigen, während es später immer 
schwieriger und schwieriger wird. Im ersten Falle ist der Patient 
nur als Spirochätenträger anzusehen, im zweiten Falle als syphilis¬ 
krank. Die Salvarsanbehandlung, event. kombiniert mit Quecksilber, 
verspricht sehr guten Erfolg vor Auftreten der Wassermann- 
sehen Reaktion. 

Ferdinand Blumenthal -Berlin: Das Problem der Bösartig¬ 
keit beim Krebs. (Vortrag im Verein für innere Medizin und Kinder¬ 
heilkunde Berlin, s. S. 660.) 

F. Unterberger -Königsberg: Hat die Ovarialtransplantatiou 
praktische Bedeutung? 

Die autoplastische Verpflanzung ist indiziert bei doppelseitigen 
benignen Ovarialtumoren und bei schwerer chronischer Adnexerkran¬ 
kung. Erreicht wird dadurch das Vermeiden von Ausfallserschei¬ 
nungen. In allen Fällen trat nach 2—7 Monaten die Menstruation 
wieder auf. Die homoioplastische Verpflanzung kommt für den Men¬ 
schen nicht in Frage. 

W. Benthin -Königsberg: Der Kindsverlust In der Geburt und 
seine Verhütung. 

Der Ausfall an lebensfähigen Kindern beträgt in der Geburt 
5,65 Proz. Neben den Gefahren der Austreibungsperiode sind es im 
wesentlichen Geburtsanomalien, die dies verschulden. Es werden 
die einzelnen Gefahren und ihre Verhütung besprochen. 

A. Lippmann -Hamburg: Apoplexie, Enzephalomalazie und 
Blutdruck. (Demonstration im Hamburger ärztl. Verein, s. S. 413.) 

M. S em rau-Strassburg: Ueber die klinische Bedeutung des 
Vorhofflimmerns. 

Vorhofflimmern tritt als eine sehr häufige Form der Arhythmie 
(in etwa 40 Proz.) nach früheren Herzklappenfehlern, besonders nach 
Mitralstenose auf. Neben einer Form, bei der der Puls beschleunigt 
ist, gibt es eine zweite mit langsamem Puls, wobei die Natur der 
Arhythmie erst durch die elektrokardiographische Untersuchung ge¬ 
klärt werden kann, und schliesslich noch eine vorübergehende Form. 
Vorhofflimmern wird beim Menschen ausgelöst durch eine Ueber- 
erregbarkeit des Vorhofmyokards und durch gesteigerte Vagusreize, 
die die übererregbare Vorhofmuskulatur abnorm beeinflussen. Eine 
Myokarderkrankung braucht mit dem Vorhofflimmern nicht verbunden 
zu sein. Die Prognose ist ernst. Therapie: bei der langsamen Form 
ist eine Behandlung nicht nötig, bei der mit Pulsbeschleunigung ein- 

Qrigiraal fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



3. September 1918. 


MiUENCHBNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1007 


hergehenden Digitalis, bei der vorübergehenden Chinin oder Bella¬ 
donna. 

K. Szymanowski -Breslau: Einwirkung des Krieges auf die 
Augenerkrankungen ln der Heimat. 

Patienten mit Glaukom und Ulcus serpens kamen später als in 
Friedenszeiten in die Klinik. Die Cataracta diabetica haben ab- 
genommen. Dagegen haben Verletzungen durch äussere Gewalt zu¬ 
genommen. Der Zystizerkus tritt wieder auf. Keratomalazie und 
Intoxikationsamblyopie nahmen ab. Botulismus tritt ziemlich häufig auf. 

I. Schürer und G. Wo 1 f f: Der Nachweis der Ruhrbazillen 
bei chronischer Ruhr. 

In 11 von 18 Fällen von ausgesprochener chronischer Ruhr ge¬ 
lang der Nachweis von Bazillen, während in den 7 anderen der nega¬ 
tive Ausfall durch technische Schwierigkeiten zu erklären ist. Chro¬ 
nische Ruhrkranke sind daher ansteckungfähig, solange im Stuhl Eiter 
und Schleim gefunden wird. 

Warnecke -Görbersdorf: Ueber die Anwendung der Eta¬ 
ste loschen Tastperkussion bei der Frühdiagnose der Lungentuber¬ 
kulose. 

Die Methode ist leicht erlernbar und gibt kombiniert mit den 
übrigen Methoden gute Resultate. 

du Mont: Zur Behandlung des regulären Fünftagefiebers. 

Verf. gab am 5. Tage nach dem letzten Fieber 6—8 g Natr. 
salicyl. 

Fritz P o r d e s - Wien: Einfaches Verfahren zur Ortsbestimmung 
von Steckschüssen auf einer Röntgenplatte. 

Polemik gegen Hans Köhler. .Böen heim - Rostock. 


Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift 

No. 31. Karl Stutetzky-Innsbruck: Ueber das Auftreten 
komplementbindender Stoffe im Serum spezifisch behandelter Gonor- 
rhoiker. 

Das Serum mit Vakzin behandelter Gonorrhoiker gibt in der 
Mehrzahl der Fälle, in aktivem Zustande untersucht, vorübergehenden 
positiven Ausfall der Wassermann sehen Reaktion. Derselbe 
verschwindet nach dem Inaktivieren oder bleibt nur als leichte Hem¬ 
mung bestehen. 

Der positive Ausfall der Reaktion stellt sich nur nach intra¬ 
venöser Behandlung und bei schwerer von Komplikationen begleiteter 
Gonorrhöe ein und dürfte mit der Antikörperbildung im Blute Zu¬ 
sammenhängen. 

H. Finsterer -Wien: Zur Frage der Lokalanästhesie in der 
BauchChirurgie. 

Verfasser ist unbedingt für Verwendung der Lokalanästhesie 
in der Bauchchirurgie. Es lässt sich dadurch nach seiner Ansicht 
nicht nur die Zahl, sondern auch die Schwere der Lungenkomplika¬ 
tionen wegen des Wegfalles der Herz- und Lungenschädigung ganz 
bedeutend verringern. 

W. Pfauner -Innsbruck: Zur Frage der Lokalanästhesie. 

Die Lokalanästhesie kann auch in der Bauchchirurgie weitgehend 
die allgemeine Narkose ersetzen. Ihre Hauptstärke zeigt sich vor¬ 
nehmlich darin, dass sie die Ausführung eines radikalen Eingriffes 
mit Aussicht auf Erfolg auch dann noch möglich macht, wenn die Aus¬ 
führung desselben in Allgemeinnarkose mehr oder weniger aussichtslos 
erscheint. Die Verhütung oder wesentliche Einschränkung von post- 
operativen Störungen kann nach den Erfahrungen des Verfassers von 
der lokalen Betäubung nicht erwartet werden. Jedenfalls ist ihr 
Wert in dieser Richtung bei Operationen im Bereiche des Halses, 
Mundes, Kiefers usw., bei denen die Aspiration von Blut und Schleim 
die Hauptgefahr des Eingriffes bildet, ein weit höherer. Die Allge¬ 
meinnarkose behauptet nach wie vor ihre volle Bedeutung und es 
muss auch fernerhin unser Bestreben sein, sie noch weiter zu vervoll¬ 
kommnen und ihre Gefahren herabzusetzen. 

J. Philipowicz -Wien: Ueber Anästhesferungsverfahren im 
Felde. 

Auf Grund seiner im Felde gesammelten Erfahrungen, die sich 
auf rund 4000 Aethernarkosen und Aetherräusche, 500 Rückenmarks¬ 
anästhesien und 300 Leitungsanästhesien beziffern, lehnt der Ver¬ 
fasser das Chloroform im Felde absolut ab. Man kann gerade bei 
Verwundeten mit einem Minimum von Aether in kürzester Zeit eine 
tiefe Narkose erzielen. Die Allgemeinnarkose wurde vom Verfasser 
stets bei grösseren Eingriffen an den oberen Extremitäten, Gefäss- 
und Nervenverletzungen am Hals und in der Schlüsselbeingrube, aus¬ 
gedehnten Operationen am Thorax und Rücken, meistens bei Bauch¬ 
schüssen, selten bei Schädelschüssen angewandt. Für alle grösseren 
Eingriffe vom Nabel abwärts bildet die Lumbalanästhesie mit Tropa¬ 
kokain eine ausserordentlich wertvolle Hilfe in der Kriegschirurgie. 
Die Leitungsanästhesie setzt einen gewissen Grad von Vernunft beim 
Patienten voraus. Die Lokalanästhesie hat ihr Hauptgebiet bei Opera¬ 
tionen, welche in einem räumlich begrenzten Terrain vorgenommen 
werden. 

Stefan Rusznyäk und Arthur Weil-Zsolna: Bemerkungen 
und Beitrag zur Therapie des Schwarzwasserfiebers. 

In den beiden beschriebenen Fällen gelang es den Verfassern 
nicht, durch die von Matko beschriebene Behandlung die Hämo¬ 
globinurie zu kupieren bzw. zu verhüten. Die von Matko be- 


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schriebene Regeneration des Blutes anschliessend an die intravenöse 
Einverleibung der öproz. Kochsalzphosphatlösung konnte ebenfalls 
nicht beobachtet werden. Die Beobachtung Matkos lassen daher 
eine eingehende Nachprüfung wünschen, wobei es sich vielleicht er¬ 
geben wird, dass der Mechanismus im Zustandekommen des Schwarz¬ 
wasserfiebers kein einheitlicher ist, was auch das verschiedenartige 
Verhalten der Matkoschen Therapie gegenüber erklären würde. 

Nr. 32. P. Mansfeld-Pest: Die Behandlung des Kindbett¬ 
fiebers ln Spital und Praxis. 

Die Mortalität des Puerperalfiebers herabzusetzen ist in aller¬ 
erster Reihe die Prophylaxe berufen. Vermeiden jedes Eingriffes, 
der bei bestehendem Fieber frische Wunden setzt, ist zunächst zu emp¬ 
fehlen. Also: Konservativeres Vorgehen bei Febris sub partu, stren¬ 
ger Konservatismus beim febrilen Abort und völliges Einstellen der 
Lokalbehandlung beim Puerperalfieber. 

Beginnende Peritonitiden sowie auf Perforation verdächtige 
Fälle mit Fieber sind operativ anzugehen. 

Das Argochrom (Methylenblausilber von E. Merck geliefert) 
scheint den Organismus im Kampfe gegen die Keime zu unterstützen, 
es kann nach den Erfahrungen des Verfassers die Mortalität der 
schwereren Fälle um 10 Proz. verbessern. 

Adolf E d e lm an n - Wien: Zur Bakteriologie der gegenwärtig 
herrschenden Epidemie. 

Verfasser fand in mehreren Fällen Bazilien, die kulturell, morpho¬ 
logisch und ihrer Beweglichkeit wegen als zur Gruppe des Bacillus 
paratyphi B gehörend anzusehen sind. Ob und welche Bedeutung die¬ 
selben für die herrschende Epidemie haben, können erst weitere 
Untersuchungen lehren. 

Josef Pichler-Wien: Die Spanische Krankheit. 

Verfasser ist der Ansicht, dass die Seuche bei uns weder auf 
ihrer Höhe an£elangt zu sein scheint, noch ihr wahres Gesicht ge¬ 
zeigt hat. 

Heinrich Schur und Franz Urban- Wien: Zur Bestimmung 
der Harnstofttraktlon lm Blute. 

Die von den Verfassern ausgearbeitete Methode hat zwar keine 
neue prinzipielle Basis, aber doch so viele Vorzüge, dass sie auch 
im Frieden Anwendung verdienen wird. Sie ist im Original ein¬ 
zusehen. 

C. Mayer: Ueber die anatomische Grundlage des von den 
Fingergrundgelenken auslösbaren Reflexes. 

Bemerkung zu den Ausführungen Prof. v. Schuhmachers 
über das gleiche Thema. 

S. v. Schuhmacher: Ueber die Auslösbarkeit reflektorischer 
Muskelkontraktionen durch passive Beugung der Fingergrundgelenke. 

Anatomische Bemerkungen zur Vorführung Prof. Dr. C. M a y e r s. 

Zelle r - München. 


Vereins* und Kongressberichte. 

Aerztlicher Verein in Frankflirt a. M. 

(Offizielles Protokoll.) 

1755. Sitzung vom Montag den 3. Juni 1918, abends 
7 Uhr. 

Vorsitzender: Herr V o h s e n. 

Schriftführer: Herr Dreyfus. 

Herr E. Golds chmld: Demonstrationen 
Aussprache: die Herren: Cahen-Brach, Auerbach. 
Herr Quincke: Demonstration der Temperaturmessung lm 
Urin. (Erscheint als kurze Mitteilung in der M.m.W.) 

Herr v. Düring: Erfahrungen in Kleinasien über endemische 
Syphilis. (Siehe unter den Originalien dieser Nummer.) 


Naturhistorlsch-medizinischer Verein zu Heidelberg. 

(Medizinische Sektion.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 11. Juni 1918. 

Vorsitzender: Herr Braus. 

Schriftführer: Herr Homburger. 

Herr Grüble: Die epileptoiden Psychopathen im Felde. 

Die seit langem bestehende, von J. L. A. Koch stammende Ge¬ 
wohnheit, psychopathisch mit minderwertig zu kombinieren oder 
beides sozusagen für identisch zu halten, ist wenig empfehlenswert! 
In dem Ausdruck minderwertig steckt eine moralische oder ethische 
oder irgendwie geartete soziale Wertung, die mit einer naturwissen¬ 
schaftlichen Feststellung nichts zu tun hat. ln der Tat haben sich 
viele Psychopathen auch in den mannigfachsten Situationen sehr gut 
bewährt. Und Koch selbst weist auf diesen Umstand auch schon 
hin. Auch im Kriege gibt es Psychopathen, die an der richtigen 
Stelle Vorzügliches und Ueberdurchschnittliches leisten. Andererseits 
versagen sehr viele Typen durchaus. Zu ihnen gehören vor allem 
die epileptoiden Psychopathen. 

Der epileptoide Typus ist ein Typus abnormer Veranlagung, der 
nicht verwechselt werden darf mit irgendwelchen Störungen, die 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1008 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRrFT. 


Nr. 36. 


sonst als epileptiform bezeichnet werden. Man will mit dem Aus- 
druck epileptoid nicht irgend etwas verwässern, sondern im Gegen¬ 
teil eine bestimmte Artung möglichst scharf herausarbeiten. Der 
Grund, warum man den Ausdruck epileptoid wählt, sind gewisse 
Gemeinsamkeiten mit der Epilepsie, und zwar hauptsächlich das 
Endogene der Störungen. Alle Anfälle der Epilepsie, mögen sie 
psychisch oder motorisch sein, haben gemeinsam das Elementare, 
psychologisch nicht Ableitbare, kurz Vorübergehende. Und ebenso 
sind die epileptoiden Störungen autochthon, endogen. Dabei ist nicht 
eine larvierte Epilepsie gemeint, noch weniger handelt es sich, wie 
der Ausdruck Psychopathie ja schon festlegt, um einen destruktiven 
Krankheitsvorgang wie bei der genuinen dementen Epilepsie, sondern 
hinter dem Begriff des epileptoiden Psychopathen steckt nichts als 
die Feststellung, dass es psychopathische Persönlichkeien gibt, die 
an endogenen Störungen leiden. Die psychologisch völlig unver¬ 
ständlichen und gerade hierdurch gekennzeichneten epileptoiden Stö¬ 
rungen können in Verbindung mit allen Arten von Charakteren und 
Begabungen auftreten. 

Diese endogenen Störungen bestehen vorwiegend in Verstim¬ 
mungen, die entweder zur Gedrücktheit, Lebensmüdheit, Niederge¬ 
schlagenheit gehören, oder aber in Gereiztheit, Unwilligkeit, Unruhe 
und Unzufriedenheit sich äussern; stets drängen sie zu einer Ent¬ 
ladung, zum Abfluss ins Motorische. Diese Abreaktionen oder Ent¬ 
ladungen könneh sein: 1. impulsives Fortlaufen (Poriomanie), 2. Selbst¬ 
mord, 3. Wutszenen, besonders in Form des pathologischen Rausches, 
4. kommen dipsomanische Anfälle vor. 

Alle diese Entladungen werden jetzt im Felde praktisch wichtig. 
Die Anfälle impulsiven Weglaufens führen häufig zur unerlaubten 
Entfernung bzw. zum Verlassen des Postens vor dem Feind. Der 
Selbstmord ist weniger wichtig. Um so häufiger und verderblicher 
sind die praktischen Folgerungen der Wutszenen (die pathologischen 
Räusche), die meist zu gerichtlichen Verfahren führen. Die Gut¬ 
achter an einem der grossen Etappenhauptorte haben reichlich Ge¬ 
legenheit, solche epileptoide Psychopathen kennen zu lernen und 
auf ihre Verantwortlichkeit hin zu begutachten. Im einzelnen Falle 
ist diese Begutachtung recht schwer. Die Angaben der straffälligen 
Militärpersonen selbst sind mit grösster Vorsicht aufzunehmen. Wenn 
sich jedoch bei sorgfältiger Exploration das Bestehen einer epilep¬ 
toiden Artung mit Sicherheit nachweisen lässt, und wenn die be¬ 
treffenden strafbaren Handlungen in einer solchen endogenen Ver¬ 
stimmung sicher begangen wurden, müssen die Voraussetzungen des 
§ 51 R.St.G.B. angenommen werden. 

Die Aufstellung des epileptoiden Typus ist eine der vielen Be¬ 
strebungen, die Psychopathie in Typen aufzulösen. Man verwechsle 
die so immer feiner und komplizierter gestaltete Diagnostik nicht 
mit den Bestrebungen der alten Psychiatrie, immer neue Krankheits¬ 
bezeichnungen zu erfinden. Es handelt sich hier nicht um Krankheits¬ 
bezeichnungen, sondern um Schattierungen einer und derselben all¬ 
gemeinen psychopathischen Artung. 

Diskussion: Herr H e 11 p a c h erörtert die Schwierigkeit im 
Einzelfall, die Verstimmungen als rein spontan, unreaktiv zu erweisen. 
Danach bleibe die oft noch heiklere Abgrenzung von anderen Spontan¬ 
verstimmungen z. B. den Zyklothymen. Gegenüber diesen sei für 
das epileptoide kennzeichnend: 1. Amnesie oder Hypomnesie, 2. plan¬ 
loser Ortsveränderungstrieb, 3. rohe Gewalttätigkeit; namentlich die 
letztere sei differentiell sehr wichtig gegenüber den meist über¬ 
raschend harmlosen Entladungen der Zirkulären. H. berichtet über 
einen Fall, der jahrelang epileptoid aussehende Zufälle darbot, um 
dann noch in eine typische langdauernde Depression mit Aus¬ 
schwingen in hypomanische Wellen überzugehen. 

Herr V o 1 h a r d erwähnt einen Fall aus seiner Beobachtung, bei 
dem seit Jahren regelmässig in den ersten Tagen des Monats ein 
Anfall auftritt, der sich entweder in jähzornigen Wutausbrüchen oder 
in tiefster Verstimmung äussert. Wie elementar diese Verstimmung 
hereinbricht, konnte V. vor einigen Tage beobachten. V. hatte den 
Kranken um 7 Uhr abends telephonisch gesprochen und bei bester 
Stimmung getroffen. 3 Stunden später wurde V. an den Fernsprecher 
gerufen. Der Kranke versicherte ihm schluchzend, er könne nicht 
mehr leben, wolle sterben usw. Am anderen Morgen war der Kranke 
noch matt und elend, nach 24 Stunden wieder fast normal. 

Herr Braus: Der Luftweg und der Schllngweg. 

Bei Tieren besteht eine Bifurkation des Schlingweges; der Luft¬ 
weg geht ungeteilt zwischen den beiden geteilten Schlingwegen hin¬ 
durch und ist gegen das Verschlucken gesichert durch die Epiglottis. 
Nötig ist dazu, dass der Kehldeckel als Röhre bis über den Gaumen 
in die Höhe ragt. Beim Menschen ist die Beziehung zwischen Epi¬ 
glottis und Gaumen, die bei Tieren vorübergehend gelöst sein kann 
(Verschlingen der Beute bei Raubtieren), dauernd unterbrochen. 
Eine Analyse der Einrichtungen des Schlingweges beim Menschen 
ergibt, dass ein ganzes Heer von Sicherungen existiert, um ein Ver¬ 
schlucken möglichst zu verhüten. Immerhin tritt es bei Kindern oder 
Kranken, bei ungeübten und geschwächten Personen nicht selten ein. 
Der Kehldeckel ist auch beteiligt, aber nur in zweiter Linie (sein 
Verlust hebt den Mechanismus nicht auf). Am wichtigsten ist die 
Art, wie der Kehlkopfeingang sich unter der Zunge „duckt“ 
(W a 1 d e y e r). Die Speisen nehmen den Weg möglichst seitlich, 
können aber auch median über den Kehldeckel hinweggleiten, da 
dieser biegsam ist, wenn die Zunge nach hinten gewölbt wird. Nur 


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bei der herausgestreckten oder -gezogenen Zunge ist der Kehldeckel 
starr und wenig nachgiebig, wie ein Stück Pappe, das gebogen und 
dadurch versteift wird (Wellpappe). 

Dass gerade beim Menschen die Epiglottis vom Gaumen dauernd 
herabgezogen und damit ein schwacher Punkt im Schluckmechanismus 
gesetzt ist, bezieht Vortragender darauf, dass der Kopf bei der auf¬ 
rechten Körperhaltung gesenkt werden musste. Der Winkel zwischen 
Gaumendach und Luftröhre ist beim Vierfüssler ein sehr stumpfer, 
beim Menschen sinkt er auf 90°. Ueber dem Drehpunkt liegt der 
Kehldeckel, welcher dabei, falls er nicht entsprechend in die Länge 
gezogen werden konnte, den Zusammenhang mit dem Gaumen ver¬ 
lieren musste. Dieser Nachteil für den Schlingweg wird aufgehoben 
durch den Vorteil für den Luftweg. Denn durch die neue Stellung 
(Winkel von 90") prallt die ausgeatmete Luft, welche den Weg 
in die Mundhöhle frei findet, senkrecht gegen das Gaumendach. Letz¬ 
teres wird ein wichtiger Faktor für die Stimmbildung (Artikulation). 
Der weiche Gaumen scheint in diesem Zusammenhang als eine Ver¬ 
längerung des harten Gaumens, sobald er von Muskeln gespannt wird. 
Er ist dann in seinem vorderen Teil knochenhart wie die gespannte 
Palmaraponeurose. Mit einem im Körperhaushalt wenig wertvollen 
Material (Bindegewebe) hann hier der „harte“ Gaumen nach Be¬ 
lieben verlängert oder verkürzt werden. Wie sehr die Kopfresonanz 
durch den Gaumen beeinflusst ist, fühlt man am eigenen Scheitel, 
wenn man den Vokal i spricht (Bart h). Im Gaumen haben wir 
Resonanzflächen von verschiedener Grösse wie bei den verschiedenen 
Violinenarten zur Verfügung: der Organismus leistet auch hier (wie 
bei der Linse des Auges) durch die Zusammenarbeit von Muskeln 
und Aponeurosen mit dem einen Gaumen so viel wie der Instru¬ 
mentenmacher mit vielen Instrumenten. 


Naturwissenschaft!.-medizinische Gesellschaft zu Jena. 

Sektion für Heilkunde. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Juni 1918. 

Vorsitzender: Herr Lex er. 

Herr Ibrahim: Demonstration. Beiderseitiger Zwischenkieier- 
deiekt und kongenitale Hirnmissbildung (Arhinenzephalie und Hydro- 
enzephaüe) bei einem 4 Wochen alten Kind. Es fehlt das Filtrum, 
die Nasenscheidewand, wahrscheinlich die Siebbeinplatte. Der Gau¬ 
men zeigt komplette mittlere Spalte. Augen stark vorquellend und 
direkt aneinander gerückt. Stirn fliehend. Mikrozephalie. Grosse 
Fontanelle von Geburt an fast geschlossen. Strasburgersehe 
Transparenzprobe ergibt Durchleuchtbarkeit des Schädels in seinem 
hinteren Abschnitt, etwa von einer Linie ab, die vom Ohr zur Schei¬ 
telhöhle reicht. Vermutlich entspricht diese Zone dem hydrozephal 
erweiterten Zwischenhirn, während das wahrscheinlich abnorm ge¬ 
bildete Vorderhirn der dunklen Zone entspricht, die frontal daran 
gelagert ist. — Spasmen oder abnorme Reflexe sind nicht vorhanden. 

Herr Lex er: Vorstellung eines Falles von Turmschädel mit be¬ 
reits völlig eingetretener Erblindung. 

Fräulein Körner: Ueber zwei seltene Dermoldzystem 

a) Dermoidzyste des vorderen Mediastinums bei einem 25 jähri¬ 
gen russischen Kriegsgefangenen <S. Nr. 703/17). Die Dermoidzyste 
war vereitert und fistulös in die rechte Pleurahöhle durchgebrochen, 
von gut Faustgrösse. Mikroskopisch fanden sich neben Epidermisteilen 
samt Anhängen flimmerndes Zylinderepithel und speicheldrüsenartige 
Gebilde. Im Brustbein, dem die Zyste innig anlag, fand sich mitten 
im Körper eine bleistiftdicke schiefe Oeffnung. Dieser Befund ist 
bisher einzigartig. Ein Zusammenhang mit der Entstehung der Der¬ 
moidzyste im Sinne der Wilmsschen Theorie ist sehr wahrschein¬ 
lich. 

b) Daumengrosse Zyste der Serosa des Magens im Bereich der 
grossen Kurvatur zwischen Kardia und Fundus mit mehreren Neben¬ 
zysten bei 31 jährigem, an Lungentuberkulose verstorbenem Soldaten 
(S. Nr. 306/18). Das divertikelähnliche Gebilde hatte keinen Zu¬ 
sammenhang mit der Magenschleimhaut und war erfüllt von einem 
Brei aus Cholesterintafeln und teilweise verkalkten Körnchenkugeln. 
Obwohl sich Epithel nicht fand, offenbar infolge einer chronischen 
Entzündung der Wand mit resorptiver Lipoidverfettung, bleibt als 
Möglichkeit neben einem weniger wahrscheinlichen zystischen Lymph¬ 
angiom nur die Diagnose einer einfachen Dermoidzyste. Bisher liegt 
in der Literatur nur ein Fall von Meckel gleicher Art vor. 

Aussprache: Herr Rössle: Der Rest einer Fissura sterni 
deutet hier nicht nur in ungewöhnlicher Klarheit auf die Art und 
Weise der Entstehung der mediastinalen Dermoidzyste hin, sondern 
lässt auch ein Urteil über den teratogenetischen Terminationspunkt 
zu: Da .eine spätere Entstehung des Loches im Brustbein äusserst 
unwahrscheinlich ist, so dürfte die Verlagerung des die Dermoid¬ 
zyste bildenden Materials aus dem äusseren Keimblatte vor dem nor¬ 
malen Verschluss der Brustbeinspalte stattgefunden, denselben so¬ 
gar wohl gestört haben; die Zeit dieser Störung wäre auf das Ende 
des 2. Embryonalmonats abzuschätzen. 

Herr Rössle: Ueber die Lungensyphilis der Erwachsenen. 

(Siehe unter den Originalien dieser Nummer.) 

Aussprache: Herr Reichmann: Der eine von Herrn 
Rössle erwähnte Fall lag nur wenige Tage vor seinem Exitus in 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


3. September 1918. 


MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1009 


der Klinik. Auf die Vermutung, dass es sich um eine luetische Er¬ 
krankung handelt, waren wir nicht gekommen, daran hinderte uns 
schon die Kürze der Beobachtungszeit. Im übrigen erinnere ich mich 
nur eines Falles von wahrscheinlich luetischer Erkrankung der Lungen 
innerhalb der letzten 10 Jahre. In diesem handelte es sich klinisch 
um ein Asthma bronchiale mit den bekannten auskultatorischen Er¬ 
scheinungen. Der Kranke war in vielen Sanatorien allmählich mit 
allen gegen Asthma gebräuchlichen Mitteln behandelt worden. Da 
die Wasser mann sehe Reaktion bei ihm positiv ausgefallen war, 
unterzogen wir ihn einer energischen antiluetischen Kur. Darauf sind 
die Anfälle seither nicht wiedergekehrt. 

Herr Eden berichtet über Erfahrungen mit dem Subokzlpital- 
stich, die er an 9 Fällen gemacht hat. Die Technik ist einfach, die 
Blutung gut zu beherrschen, wenn man nicht nach der Vorschrift 
Schmiedens die Muskelansätze am Okzipitale ablöst, sondern sich 
entfernt davon hält. Oertliche Anästhesie genügt fast immer. Am 
besten zugänglich ist die Membrana atlanto-occipitalis in sitzender 
Stellung des Patienten. Das angelegte Membranfenster bleibt dauernd 
offen. Hinter ihm bildet sich eine Liquorzyste mit bindegewebiger 
Wand aus (Präparat). Dadurch wird dauernde Resorption des 
Liquors behindert, so dass noch Verbesserung der Methode durch 
spätere Ableitung des Liquors in besser resorbierende Gewebe oder 
in die Blutbahn bei manchen Fällen notwendig ist. Schädigungen 
wurden nicht beobachtet. Es empfiehlt sich, vor breiter Eröffnung 
die Cysterna cerebro-medullaris zu punktieren und den Liquor langsam 
abzulassen. In 4 Fällen von Hirntumor wurde z. T. keine, z. T. 
nur sehr vorübergehende Besserung erreicht. Bei einem weiteren 
Fall mit Erscheinungen des Hirntumors war der Erfolg sehr zufrieden¬ 
stellend, u. a. ging auch die Stauungspapille in kurzer Zeit zurück. 
Vortr. erörtert an der Hand seiner Fälle, dass bei Tumoren der 
hinteren Schädelgrube der Balkenstich und die Entlastungstrepanation 
günstigere Wirkung haben werden, weil hier die Abflusswege nach 
der Zystema verlegt werden, und dass bei solchen der vorderen und 
mittleren Schädelgrube ein Versuch mit dem Subokzipitalstich Erfolg 
verspricht. Ein Fall von Hydrozephalus bei einem 3jährigen 
Kinde wurde günstig beeinflusst. Die bestehenden Krämpfe blieben 
fort, der Patient fing an zu sprechen, zu laufen, die geistigen Fähig¬ 
keiten stellten sich wieder ein. Ein Schussverletzter mit Menin¬ 
gitis serosa und Verlegung des Foramen Magendii ist nach der 
Operation mit Durchbohrung der Membrana tectoria als geheilt an¬ 
zusehen. Ein weiterer Fall mit Verlegüng des Ausganges des stark 
erweiterten linken Seitenventrikels nach Schussverletzung musste 
unbeeinflusst bleiben. Für solche Fälle, bei denen der Verschluss 
oberhalb des 4. Ventrikels liegt, müssen Ventrikelpunktion, Ent¬ 
lastungstrepanation oder Durchbohrung des Gehirnes und Schaffung 
neuer Abflusswege nach Art des Balkenstiches Anwendung finden. 
In zweifelhaften Fällen ist zuerst die Lumbalpunktion als das ein¬ 
fachste Verfahren zu versuchen, sie wird aber oft nicht ausreichen. 
Ein weiterer Fall von eitriger Meningitis nach Ventrikel¬ 
einbruch eines Hirnabszesses wurde durch den Subokzipitalstich nur 
vorübergehend günstig beeinflusst. Vortr. glaubt aber, dass man bei 
rechtzeitiger Anwendung des Sübokzipitalstiches auch in Fällen eitriger 
Meningitis, ferner von Hirnprolaps und Meningitis serosa sympathica 
Erfolge haben kann. (Erscheint ausführlich in der D. Zschr. f. Chir.) 

Aussprache: Herr Ibrahim empfiehlt die Operation für 
fortschreitenden Hydrozephalus im ersten Lebensjahr, vielleicht auch 
für eitrige Meningitis kleiner Kinder. 

Herr Reichmann sieht in dem Subokzipitalstich keinen 
wesentlichen Vorteil gegenüber den anderen Punktionsmethoden des 
Gehirns und Rückenmarks. 

Herr Binswanger: Der Okzipitalstich hat vor den Lumbal¬ 
punktionen nur in den Fällen den Vorzug, bei denen durch Verlegung 
der M a g e n d i sehen Oeffnung ein Abfluss der Zerebrospinalflüssig¬ 
keit aus den Himventrikeln nach dem Spinalkanal unmöglich wird. 
In diesen Fällen muss dem Okzipitalstich die Punktion des 4. Ven¬ 
trikels hinzugefügt werden. 


Akademie der Wissenschaften in Parle. 

Die Ueberhäutung der Kriegswunden und das Hypochlorit als Anti« 
septikum. 

In der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 
14. Januar 1918 wurde auf die histologischen Veränderungen hin¬ 
gewiesen, welche die Epidermis unter dem Einfluss des Hypochlorits 
erführe, und empfohlen, dies Antiseptikum mit der grössten Vorsicht 
und nur möglichst kurze Zeit anzuwenden. (Epidermisation anormal 
apr&s balneation aux hypochlorites. Note de M. Pierre M a s s o n, 
prteentöe par M Roux, C. R. 166. 1918. Nr. 2.) 

Bei der Ueberhäutung der Kriegswunden träte mancherlei in 
Erscheinung; so verhindere eine Infektion die Ueberhäutung, und 
man könne wohl sagen, dass die meisten atonischen Wunden infiziert 
wären; geradezu frappant zeigte sich dies bei Wunden mit Fistel¬ 
bildungen. Andere Erscheinungen aber Hessen sich so nicht er¬ 
klären. Würden gewisse Wunden lange Zeit mit Hypochloriten von 
Na und Hg behandelt, so gerate die Vernarbung ins Stocken und 
mache kernen Fortschritt, trotzdem die bakteriologischen Unter¬ 
suchungen kein Weiterbestehen der Infektion ergäben. Wenn man 
mit der Hypochloritbehandlung fortfähre, so sehe man bisweilen die 


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Hautdecke sich heben und sich als kleinen Wulst erheben; dann 
dauere es lange Zeit bis die Vernarbung wieder beginnt, so dass der 
Chirurg gewöhnlich nach einigen Wochen, will er eine rasche Ver¬ 
heilung erzielen, sich zu einem Ausschneiden genötigt sieht, was er 
gleich hätte vornehmen sollen. Wenn man Gelegenheit hätte eine 
grössere Zahl mit Hypochlorit behandelter Wunden histologisch zu 
untersuchen, so fände man mancherlei, was von praktischer Be¬ 
deutung sein könne. Die Unterbrechung der Heilung finde man an 
allen Hauträndern, namentlich gegen das Zentrum der Wunde hin. 
Entweder verhornt die Epidermis in ihrer ganzen Dicke, oder sie 
schilfert sich ab und lässt die tieferliegenden Neubildungen ent- 
blösst. Die Zellen der ‘Keimschicht verlieren ihre Teilungsfähigkeit, 
worauf der Stillstand der Verheilung beruht. In der Nachbarschaft 
entstehen Wärzchen mit langen und grossen Papillen mit normalen 
Zellen; die der M a 1 p i g h i sehen Schicht sind voluminös, blasig 
auf getrieben und das Ganze ödematös; die häufig doppelten Kerne 
sind hypertrophisch und hyperchromatisch. Mitunter reicht die Ver¬ 
änderung auch noch weiter in die Tiefe und erstreckt sich durch die 
ganze Haut; viele Zellen sind mehrkernig. Bald hat die Veränderung 
die M a 1 p i g h i sehe Schicht in ihrer ganzen Dicke ergriffen, bald 
nur die obere Schicht der Papillen. Die Epidermis sieht -dann ganz 
genau so aus wie bei der Psorospermose. Ein andermal entsteht 
eine Hornperle, dadurch dass die atypischen Bildungen um einen 
Kernpunkt herumliegen. Einmal hatte die Stelle ganz das Aussehen 
einer beginnenden krebsigen Entartung. Aus dem Gesagten erkläre 
sich die Verzögerung in der Ueberhäutung. Die Wucherung des 
rasch zerfallenden Epithels gehe unter der Einwirkung des Hypo¬ 
chlorits vor sich. Die präkankroiden Veränderungen erreichten ihr 
Maximum nach 3—6 Wochen Behandlung mit Hypochlorit und wären 
ganz ähnlich den von Verbrennungen bei der Radiotherapie. Das 
Hypochlorit verursache also einen Stillstand in der Vernarbung unä 
in der Epidermisbildung. welche an eine krebsige Entartung erinnern. 
Daraus folge selbstverständlich, dass man, wenn eine primäre Naht 
unmöglich wäre, das Hypochlorit nur möglichst kurze Zeit anwenden 
dürfte. Man müsse, wenn es die Umstände erlaubten, alles 
regenerierte Hautgewebe durch Exzision entfernen, ja es sei sogar 
zu empfehlen, dass man eine unter Hypochlortbehandlung vernarbte 
Wunde anfrischt; denn die beschriebenen Läsionen wären suspekt 
zumal man ihre weitere Entwicklung nicht kenne. 

Dr. L. K a t h a r i n e r. 


Kleine Mitteilungen. 


Besuch der deutschen medizinischen Fakultäten 
im Sommer halb jahr 1918. (Vergl. d. Wschr. 1918 Nr. 5.) 


Uni- 

versität 

I. 

Reichsangehörige 

II. 

Aus¬ 

länder 

Summe 

I. und II. 

Nicht inbegriffen in 
dieser Summe sind 
Studierende der 

Lan¬ 

des* 

«3 K 

Summe I. 

Zahn¬ 

heilkunde 

Tierheit 

knnde 

ungehörige 


darunt. stehen lm 
Heere,' im Sani¬ 
tätsdienst. im 
vaterl. Hilfsd. 


darunt. stehen im 
Heere, im Sani¬ 
tätsdienst usw. 


darunter Frauen 


darunt stehen lm 
Heere, im Sani¬ 
tätsdienst usw. 


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Berlin .... 

2152 

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152 


2560 

251 

146 

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Bonn .... 

1537 

52 

1589 

1257 

13 


1602 

152 

29 

29 



Breslau . . 

1046 

26 

1072 

535 

11 

3 

2083 

91 

69 

42 



Erlangen . . 

395 

104 

499 

354 

3 


§02 

29 

12 

8 

. 


Frankfurt a.M. 

369 

181 

550 

320 

9 

1 

559 

60 

20 

12 



Freiburg . . 

161 

493 

654 

533 

3 

1 

657 

42 

18 

20 



Qiessen . . 

191 

163 

354 

292 

5 

1 

359 

23 

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136 

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Oöttingen . . 

450 

107 

557 

371 

7 


564 

54 

1 



, 

Oreifswald . 

344 

31 

375 

323 

2 

1 

377 

27 

25 

19 



Halle ... 

375 

54 

429 

375 

9 

4 

438 

32 

15 

15 



Heidelberg . 

229 

606 

835 

583 

24 

2 

859 

179 

44 

28 

. 


Jena. . . 

91 

342 

433 

315 

10 


443 

63 

22 

14 



löel. . 

547 

215 

762 

447 

2 


764 

64 

35 

21 



Königsberg . 

549 

22 

571 

464 

12 

7 

583 

60 

15 

12 



Leipzig 

707 

343 

1050 

880 

34 


1084 

65 

82 

66 


. 

Marburg . 

416 

78 

494 

412 

8 


502 

65 

47 

45 



München . . 

1140 

1159 

2299 

1474 

113 

25 

2412 

423 

81 

53 

298 

269 

Münster . . . 

592 

29 

621 

523 



621 

n 

44 

28 

. 


Rostock . . . 

101 

256 

357 

233 

*6 

. 

363 

42 

17 

10 

. 


Strassburg 

262 

164 

426 

233 



426 

23 

21 

17 

. 

, 

Tübingen . . 

385 

272 

657 

396 

i7 

2 

674 

145 

22 

15 

• 

, 

Wflitbnrg . 

368 

352 

720 

476 

16 

1 

736 

60 

42 

28 


• 


12407 

5305 

17712| 12582 

1455 

48 

181 8 

1982 

814 

562 

434 

”379 


Frequenz der Schweizerischen medizinischen Fakultäten im 
Sommersemester 1918: Basel 220 (201 m„ 19 w.); Bern 395 (366 m., 
29 w.); Genf 381 (307 m., 74 w.); Lausanne 225 (196 m., 29 w.); 
Zürich 504 (413 m., 91 w.). In Summa 1725 (1483 m„ 242 w.), davon 
1088 (975 m., 113 w.) Schweizer, 637 (508 m., 129 w.) Ausländer. 

Therapeutische Notizen. 

Warnung vor ungeeignetem Paraffinum 1 i q. 
zur intraglutäalen Injektion. 

Während ich im Lazarett eine 10-Proz.-Paraffinemulsion sowohl 
für Hg-salicyl.- wie auch für Kalomelinjektionen stets zu meiner 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





1010 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 36. 


grössten Zufriedenheit verwandt habe, lernte ich neulich 2 Fälle 
schwerer Schädigungen durch ungeeignetes Paraffinum liquidum aus 
einer Privatpraxis kennen: Rieseninfiltrate der Glutäen, wie ich sie 
noch niemals gesehen habe; hohes Fieber, schweres Krankheits¬ 
gefühl; in einem Falle dauerte die Arbeitsunfähigkeit 21 Tage. Rück¬ 
bildung ohne Einschmelzung. Dass hier nur das Paraffinum liq. 
die Schuld trug, wurde mir besonders aus Versuchen an weissen 
Ratten mit unserem Lazaretpräparat und und dem den gebrauchten 
Emulsionen entnommenen Paraffin klar. Letzteres (nach völligem 
Absetzen des Hg wasserklar entnommen) machte auch bei den Ver¬ 
suchstieren mächtige Infiltrate, das Lazarettparaffin wurde völlig 
reaktionslos vertragen. In grosser Masse sah übrigens das in einer 
Apotheke gekaufte schädliche Präparat leicht gelb aus und roch 
etwas petroleumartig. 

Vorsicht also bei Paraffinemulsionen nach Rezept! Die fertigen 
Emulsionen (z. B. Vasenol Kopp) sind noch gut brauchbar. 

Der Tierversuch (weisse Ratte, Oberschenkelmuskulatur) scheint 
für Ausprobierung der Präparate sehr empfehlenswert. 

Es verdient erwähnt zu werden, dass in beiden Fällen gegen die 
starken Schmerzen, wo Atropin versagte, Tagol schnell und gut wie 
„spezifisch“ wirkte. E n g w e r - Königsberg i. Pr. 

Klinische Erfahrungen und Richtlinien der Goldbehandlung 
der Tuberkulose teilt Adolf Fe 1 dt mit. Es handelt sich um 
das neue Goldpräparat Krysolgan, das eine p-Amino-o-aurophenol- 
ikarbonsäure-Verbindung darstellt. Das Krysolgan ist ein dunkel¬ 
gelbes Pulver, das in lOproz. Lösung in Einzeldosen von 0,3—0,5 g 
intravenös angewendet wird. Das injizierte Krysolgan löst nach 
24—48 Stunden eine spezifische Reaktion an den tuberkulösen Herden 
und im Gesamtorganismus aus. Diese Reaktion zeigt eine Ueberein- 
stimmung mit der Reaktion auf Tuberkulininjektionen: Rötung und 
Schwellung der tuberkulösen Herde, Verschlimmerung der katar¬ 
rhalischen Lungenerscheinungen, Vermehrung des Auswurfes, Schwel¬ 
lung der Drüsen und leichte Temperatursteigerung. Nach einigen 
Tagen tritt ein Rückgang der entzündlichen Reaktion ein und im 
günstigen Falle schliessen sich daran die Heilungsvorgänge. 

Die Krysolganinjektionen sollen mit 0,1 g Krysolgan begonnen 
werden und, wenn keine erheblichen Temperatursteigerungen auf- 
treten, in Zwischenräumen von 8—10 Tagen wiederholt und bis auf 
0,2 g gesteigert werden. Die Krysolganinjektionen sollen kombiniert 
werden mit Liegekuren, Sonnenbestrahlung und allgemeiner Behand¬ 
lung. — Es liegen zurzeit noch wenige klinische Berichte über die 
Erfolge der neuen Behandlung vor. (Ther. Mh. 1918. 7.) 

H. T h i e r r y. 

Zur Behandlung der urämischen Kopfschmerzen be¬ 
diente sich Erich Ebstein- Leipzig auf Grund seiner günstigen Er¬ 
fahrungen des A d a 1 i n s. Er behandelte einen 64 jährigen Patienten, 
der an chronischer Nephritis mit ständigen starken Kopfschmerzen 
litt, 5 Jahre lang mit dem besten Erfolg mit Adalin, ohne dass eine 
Gewöhnung an das Mittel eintrat. Der Patient bekam täglich vor 
dem Schlafengehen 1—lVa Tabletten, die vollkommen genügten, um 
bei dem Kranken einen guten Schlaf herbeizuführen und die Kopf¬ 
schmerzen bedeutend zu lindern. (Ther. Mh. 1918. 6.) H. Thierry. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 2. September 1918. 

— K r i e g s c h r o n i k. Immer noch dauert die wütende 
Schlacht im Westen an. Mit unerhörtem Aufwand an Menschen und 
Material sucht der Feind den Durchbruch unserer Front zu erzwingen, 
ein Ziel, von dem er heute noch so weit entfernt ist wie zu Beginn 
der gewaltigsten Schlacht der Weltgeschichte. Hand in Hand mit 
der elastischen Verteidigung an den angegriffenen Stellen geht die 
vom Drucke des Feindes unabhängige, strategische Rückverlegung 
unserer Linien, die durch Herstellung einer geradlinigen Front den 
Feind fernerhin zu frontalen Angriffen ohne die Möglichkeit einer 
Flankierung zwingt und so das Ziel unserer Heeresleitung, den Auf¬ 
brauch und die Zermürbung der feindlichen Massen näher bringt. 
So schmerzlich die freiwillige Aufgabe so mancher durch die früheren 
Kämpfe berühmten Punkte wie Noyon, Bapaume, Bailleuil und zuletzt 
des Kemmel berühren mag, wir verharren unerschütterlich in dem 
durch so viele Grosstaten ohne Gleichen begründeten Vertrauen 
zu unserem Heere und unserer Heeresleitung und sehen mit H i n - 
denburg der Zukunft getrost entgegen. „Wir werden es schon 
schaffen!“ 

— Das preussische Kriegsministerium hat auf eine Anfrage des 
Reichstagsabgeordneten Frhr. v. Ric'hthofen, ob nicht eine Be¬ 
urlaubung der zum Heeresdienst eingezogenen Medizin- 
studierenden behufs Vollendung ihres Studiums 
möglich sei erwidert, es sei beabsichtigt, die Medizinstudierenden, die 
vor dem 1. April 1915 7 Studiensemester, darunter 2 klinische, be¬ 
endet hatten, vom 1. Oktober 1918 ab zur Fortsetzung des Studiums 
zu beurlauben. 

— Der „Reichsanzeiger“ veröffentlicht eine Warnung vor 
dem Genuss des aus den Beeren des roten Hoilun- 


V«riac m |. r. Lch»ana tat München S.W. 2, Pani Heyaeatr. 36. 

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d e r s (Sambucus raoemosa) durch Pressen oder Extraktion g e - 
wonnenen Oeles, das bei verschiedenen Personen heftiges Er¬ 
brechen und Durchfall erzeugte. Nach Untersuchungen von Geh.-Rat 
rPof. Dr. T h o m s im Pharmazeutischen Institut der Universität 
Berlin enthalten die Holunderbeeren zwei verschiedene Oele, ein in 
geringer Menge im Fruchtfleisch vorhandenes, unschädliches, und ein 
gesundheitsschädliches in den Samen. Die Herstellung des Frucht- 
fleicchöles ist wegen der geringen Ausbeute nicht lohnend, vor dem 
Samenöl muss auf das Nchdrücklichste gewarnt werden. 

— Der Senat der freien und Hansestadt Lübeck hat dem 
Direktor der Heilanstalt Strecknitz Dr. med. O. Wattenberg 
anlässlich seines am 1. September stattgehabten 25 jährigen Amts¬ 
jubiläums den Titel Professor verliehen. 

— Dr. August F o r e 1, früher Professor der Psychiatrie an der 
Universität Zürich und Direktor der Irrenanstalt Burghölzli, in wei¬ 
teren Kreisen bekannt als Vorkämpfer im Kampf gegen den Alkohol 
und als Insektenforscher, feierte am 1. September seinen 70. Geburts¬ 
tag. 

— Die bis zum 31. Dezember 1918 laufende Amtsdauer der 
Aerzfekammern für das Königreich Preussen wurde bis zum 31. De¬ 
zember 1919 verlängert. 

— Cholera. Deutsche Verwaltung in Litauen. In der Woche 
vom 7. bis 13. Juli 1 Erkrankung, vom 14. bis 20. Juli 2 Erkrankungen 
und 1 Todesfall. 

— Fleckfieber. Kaiserl. Deutsches Generalgouvernement 
Warschau. In der Woche vom 21. bis 27. Juli wurden 355 Erkran¬ 
kungen (und 26 Todesfälle) festgestellt. In der Woche vom 28. Juli 
bis 3. August wurden 272 Erkrankungen (und 29 Todesfälle) an¬ 
gezeigt. — Deutsche Verwaltung in Litauen. In der Woche vom 

7. bis 13. Juli 148 Erkrankungen und 4 Todesfälle, vom 14. bis 
20. Juli 177 Erkrankungen und 6 Todesfälle. — Deutsche Kreisver¬ 
waltung in Suwalki. In der Woche vom 14. bis 20. Juli 1 Erkran¬ 
kung. — Oesterreich-Ungarn. In Ungarn wurden in der Zeit vom 

8. bis 14. Juli 5 Erkrankungen gemeldet. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 4. bis 10. August sind 
1631 Erkrankungen (und 159 Todesfälle) gemeldet worden. 

— In der 32. Jahreswoche, vom 4. bis 10. August 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Wilhelmshaven mit 46,1, die geringste Rüstringen mit 7,6 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬ 
storbenen starb an Diphtherie und Krupp in Lehe. 

(Vöff. d. Kais. Ges JU 

Hochschulnachrichten. 

Bonn. Dem Leiter der Zahnklinik der Universität Bonn, Prof. 
Dr. Alfred Kantorowicz, ist vom 1. Oktober d. J. ab zugleich 
die Leitung der dortigen städtischen Schulzahnklinik übertragen wor¬ 
den. (hk.) 

Strassburg, Der Ordinarius der Physiologie an der 
Strassfburger Universität, Geh. Med.-Rit Prof. Dr. Richard Ewald 
ist auf seinen Antrag zum 1. Oktober 1918 emeritiert worden, (hk.) 

Prag. Der Privatdozent für spezielle Pathologie und Therapie 
der inneren Krankheiten an der Prager deutschen Universität 
Dr. Hans R o t k y erhielt den Titel eines a. o. Professors, (hk.) 

Todesfälle. 

Ln München starb am 30. August der prakt. und Spezialarzt 
Dr. Richard Tempel, leitender Arzt des Vereinslazarettes Männer- 
Turn-Verein München und der Münchener Freiwilligen Rettungsge¬ 
sellschaft im Alter von 45 Jahren. 

In Marienbad ist der emerit. a. o. Professor der Balneologie an 
der Prager deutschen Universität Dr. Enoch Heinich Kischi diri¬ 
gierender Hospitalarzt und bekannter Badearzt in Marienbad, im 
Alter von 77 Jahren gestorben, (hk.) 

In Pest ist der a. o. Professor für Kehlkopfkrankheiten an der 
dortigen Universität, Hof rat Dr. Artur Irsay von Szemlöhegy, 
Direktor der Ofener Spitäler, im 64. Lebensjahre gestorben. 


Ehrentafel, 

Fürs Vaterland starben: 

Feldunterarzt Ernst Reimer, Lewin. 

Feldhilfsarzt Hermann Rosenthal, Berlin. 

Oberarzt Johannes Roter, Cloppenburg. 

Landsturmpfl. Arzt Ernst Schloss, Trier. 

Oberstabsarzt Andr. Schmidt, Emmerleff. 

Feldhilfsarzt Josef Schoettel, St.Johann (Niederbayern) 
Oberarzt d. R. Alfred Schwarz, Stetten (Pfalz). 
Assistenzarzt d. R. Otto S p r i n z, Burghaslach. 

Oberarzt d. R. Karl S t u b n e r, Fürth. 

Feldunterarzt Em. Tabken, Dötlingen. 

Assistenzarzt d. L. Julius Wagner, Weener. 

Unterarzt Siegfried Weil, Mülhausen i. E. 

Zivilarzt Theodor Wette, Herbern. 

Oberarzt d. R. Hans Wiedel, Rahden. 

Landsturmpfl. Arzt Karl Wilms, Oberhausen. 

Landsturmpfl. Arzt Theodor Zeller, Nazareth. 

Oberarzt d. R. Walther Zurbonsen, Bremerhaven. 


von E. Mühlthder’« Bach- and Kanstdrackerd A.Q., München. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 








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Medizinische Wochenschrift. 


ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Nr. 37. 10. September 1918. 

Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulf Strasse 26. 

Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 

65. Jahrgang. 

Der Verlag behilt lieh da* ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Orlginalbdtrtge vor. 


Originalien. 

Aus dem physiologisch-chemischen Laboratorium 
in Dr. Lahm an ns Sanatorium Weisser Hirsch, Sachsen. 

Ueber die Abhängigkeit des Eiweissbedarfs vom 
MineralstoflWecbsel. 

Von Hofrat Dr. med. C. R-öse und Ragnar Berg. 

hn Jahre 1911 hatte einer von ans im Anschluss an eine Arbeit 
von Birkner und Berg (Ueber Entfettungskuren. Zsdir. 
f. kHn. Med. 77. 1913. H. 5—6) darauf hingewiesen, dass der Bedarf 
des Menschen an Eiweiss nach den schon bekanrften Tatsachen un- 
bedingt von dem Mineralstoffwechsel abhängig sein müsste. Enthält 
nämlich die Nahrung nicht genügend anorganische Basen oder gar 
einen Ueberschuss von anorganischen Säuren, so erscheinen im Harn 
Eiweissscblacken, die teilweise, wie Ammoniak, Kreatinin und Amino¬ 
säuren, in geringen Mengen schon physiologisch im Harn vorhanden 
sind, teils auch solche, die normaler Weise nicht (Kreatin) oder nur 
in geringen Mengen (Reststickstoff) darin Vorkommen. Dies kann 
so weit gehen, dass der Harn den Stickstoff statt in normaler Weise 
zu 90 Proz. oder darüber nur »mehr zu 40—50 Proz. in Form von 
Harnstoff, den Rest hauptsächlich in Form von/ Ammoniak, Amino¬ 
säuren, Harnsäure und Reststidkstoff enthält. 

Diese Tatsache deutet auf bestimmte Vorgänge im Organismus. 
Wie schon bekannt, verfällt das Nahrungseiweiss ebenso gut wie das 
Körper eiweiss stets zunächst einer Hydrolyse: das Eiweiss wird unter 
Wasseraufnahme in einfachere Bestandteile zerlegt wobei eben 
Ammoniak, Harnsäure, Aminosäuren, Kreatin* Kreatinin und un¬ 
bestimmbare Verbindungen, die wir als Reststickstoff bezeichnen, ent¬ 
stehen. Normalerweise werden diese Stoffe zum weitaus grössten 
Teil weiter zu Harnstoff verbrannt und das Krankhafte in dem Vor¬ 
gänge bei ungenügender 'Basenzufuhr durch die Nahrung liegt darin, 
dass diese Verbrennung in ungenügendem Masse geschieht. Daraus 
hat der eine von uns gefolgert, dass bei ungenügender Basenzufuhr 
durch die Nahrung infolge der schlechteren Ausnutzung des Eiweisses 
durch herabgesetzte Oxydation der Bedarf an Eiweiss in diesem Falle 
ein grösserer sein müsste, als wenn genügend Basen gleichzeitig zu¬ 
geführt werden. Daraus folgt andererseits, dass man bei genügender 
Basenzufuhr mit der Nahrung wahrscheinlich einen weit geringeren 
Eiweissbedarf finden würde, der voraussichtlich naher an die 20 
als an die 30 g Eiweiss pro Tag liegen würde. 

Diese letzte Folgerung im Verein mit den Erfolgen von Dr. Hind- 
hede auf diesem Gebiete führten uns dazu, während der Jahre 
1912—1914 systematische Versuche in dieser Richtung auszuführen. 
Als Versuchspersonen standen uns Dr. Rose selbst (48—50 Jahre) 
und sein Sohn Walter, der sich noch dm Wachstumsalter (16—18 Jahre) 
befand, ziur Verfügung. 

Der Entschluss, sich als Versuchsobjekt für derartige Versuche 
herzugeben, ist wahrlich kein leichter gewesen. Bekanntlich muss bei 
derartigen Stoffwechselversuchen die Versuchsperson wie ein Uhr¬ 
werk leben: um eindeutige Resultate zu bekommen, die durch keine 
Zufallsresultate beeinflusst waren, mussten die Versuche im all¬ 
gemeinen 8, oit 14 Tage durchgeführt werden, und während/ dieser 
Zeit waren die Versuchspersonen wie die reinsten Sklaven an ein 
bestimmtes Lefbenssohema gebunden. Was und wie viel sie essen 
und trinken sollten, wann und wieviel sie arbeiten und schlafen soll¬ 
ten, ihre Erholung, alles war auf das genaueste festgelegt und musste 
auf das allerstrengste eingehalten werden. Am schmerzhaftesten mag 
gewesen sein, dass dieses Sklavemleben auch während einer langen 
Vorperiode notwendigerweise, sozusagen ohne sichtbaren Zweck ein¬ 
gehalten werden musste. 

•In früheren Arbeiten hat der eine von uns schon darauf hin¬ 
gewiesen, dass bei solchen Versuchen über das Stickstoffminimum vor 
idem eigentlichen Versuche notwendigerweise eine Vorperiode von 
ganz knapper Eiweissernährung vorgeschaltet werden muss, in welcher 
der Organismus Gelegenheit bekommt, event. aufgespeicherte Stick¬ 
stoffschlacken auszuscheiden. Ebenso muss während dieser Vor¬ 
periode die dargereichte Nahrung möglichst wenig anorganische 
Stören und möglichst viel anorganische Basen enthalten, damit im 
Körper befindliche Säureschlacken ausgesohieden werden können. 
Es ist ja gefunden worden, dass bei säurereicher Ernährung der 
Organismus einen Teil der zugeführten anorganischen Säuren nicht 

Nr ’ 37 ' Digitized by (jCK -QIC 1 


wieder ausscheidet, sondern in den passiven Geweben (Knochen, 
Sehnen, Bindegewebe, vor allen Dingen Unterhautgewebe) zurück¬ 
behält. Gleichzeitig wird auch bei genügender Eiweisszuführ ein Teil 
Stickstoffverbindungen über das zur Erhaltung des Organismus nötige 
Mass zurückbehalten. Da nun einerseits die Nahrung nicht genügend 
anorganische Basen enthält, um die mit derselben zugeführten Säuren 
abzusättigen, zweitens die überschüssigen anorganischen Säuren im 
Organismus unmöglich in freier Form in den Geweben gespeichert 
werden können und drittens bei veränderter Lebensweise, also bei 
Zufuhr basenreic-her Nahrung mit der prompt einsetzenden Aus¬ 
schwemmung der angehäuften Säureschlacken: auch eine Ausschwem¬ 
mung von Stickstoffsohlacken stattfindet, muss man Ja annehmen, dass 
die Säureschlaoken im Organismus eben durch diese Stickstoff¬ 
schlacken neutralisiert gewesen sind. 

Zur Ausfuhr dieser Schlacken genügt nicht eine Vorperiode von 
einigen Tagen oder Wochen, die Vorperiode muss vielmehr so weit 
ausgedehnt werden, bis die analytische Kontrolle zeigt, dass ein tat¬ 
sächlicher Gleichgewichtszustand! eingetreten ist. Erst wenn der 
Organismus bei geringen Veränderungen in der Zusammensetzung der 
Nahrung entsprechend reagiert, darf man den Vorversuch als beendet 
betrachten. Besonders am Anfang einer neuen Ernährung finden wir 
ausserordentlich grosse Schwankungen in der Ausfuhr, und es wäre 
deshalb ganz verfehlt, wenn man nach ein paar Tagen von sehr niedri¬ 
gen Werten den Versuch als beendet betrachten wollte: schon die 
näohsten Tage können Ausfwhrziffem von mehr als doppelter Höhe 
bringen. 

In unserem Falle waren wir in der glücklichen 'Lage, dass beide 
Versuchspersonen an eine -basenr eiche Diät gewöhnt waren; trotzdem 
zeigte es sich als notwendig, die Vorperiode, da die Versuchspersonen 
früher bedeutend mehr Eiweiss als nötig genossen hatten, auf fast 
3 Monate auszudehnen Während dieser ganzen Zeit bestand die 
Nahrung ausschliesslich aus gekochten Kartoffeln und Butter; als Ge¬ 
tränk wurde das mit etwas Zitronensäure und Zucker versetzte Kar¬ 
toffelwasser genommen. 

Da wir bei diesen Versuchen nicht nur den StiokstoffstoffWechsel, 
sondern auch den Mineralstoffwechsel und ihre Abhängigkeit von¬ 
einander möglichst gründlich untersuchen wollten, mussten sowohl 
in der Nahrung wie in der Ausscheidung alles bestimmt werden, was 
irgendwie bestimmbar war. In der Nahrung wurde der Gehalt an Stick¬ 
stoff, Reineiweiss, Fett, Kohlehydraten, Ammoniak, Salpetersäure, 
Schwefelsäure, Phosphorsäure, Chlor, Kalium, Natrium, Magnesium, 
Kalzium, Mangan-, Eisen* und Tonerde bestimmt. Im 'Ham bestimmten 
wir: Gesamtstickstoff, Harnstoff, Harnsäure, das Lösungsvermögen des 
Harnes für Harnsäure, Ammoniak, Aminostickstoff, Kreatin, Kreatinin, 
Reststickstoff, Phosphorsäure, präformierte und veresterte Schwefel¬ 
säure, Neutralischwefelv Chlor und die unorganischen Basen wie oben, 
schliesslich die Reaktion des Harnes gegen Lackmus, Phenolphthalein, 
Kongo und Methylorange. Im Kot kamen zur Bestimmung: Gesamt¬ 
stickstoff, Fett, Seifen, Kohlehydrate, präformierte und Gesamtphos¬ 
phorsäure, präformierte und Gesamtschiwefelsäure, Chlor und die 
Basen wie oben in der Nahrung. Natürlich konnte man bei den be¬ 
schränkten Hilfsmitteln des Laboratoriums unmöglich alle Substanzen 
sofort bestimmen: leicht veränderliche Stoffe wie die organischen Be¬ 
standteile usw. mussten sofort bestimmt werden* im übrigen wurden 
die Proben in eine derartige Form gebracht, dass irgendwelche Ver¬ 
änderungen oder Verluste nicht mehr zu befürchten waren und dass 
man ihre Untersuchung später auf ruhigere Zeiten verschieben konnte. 
Besonders die Bestimmung der Mineralstoffe musste man verschieben; 
sie sind erst jetzt, 4 Jahre nach Beendigung der Versuche zu Ende 
gebracht worden. 

Um dem Leser einen Begriff von der Ausdehnung dieser Ver¬ 
suche zu geben, mag im Vorübergehen erwähnt werden, dass die 
Versuche rund 127 000 M. gekostet haben. Es ist hoch anzuerkennen 
und wir sprechen hiermit den Erben des verstorbenen Herrn Dr. med. 
Heinrich Labmann unseren herzlichsten Dank für die erwiesene 
Teilnahme und Förderung unserer Arbeiten aus, die um so höher zu 
werten ist, da diese Arbeiten ja keinerlei pekuniären- Nutzen für das 
Sanatorium braohten. 

Alles in allem werden wohl aus diesen Versuchen 27 grössere 
Publikationen mit etwa 1400 Tabellen und voraussichtlich 5—8000 Seiten 
Text resultieren-; vorläufig haben wir nur den Stickstoffstoffwechsel 
abschliessen können: ein Band mit etwa 250 Seiten Text und 100 Ta¬ 
bellen. Leider ist die Publikation einer derartigen Arbeit unter den 
jetzigen Umständen ausgeschlossen; da die Resultate unserer Arbeit 
jedoch auch* für die Volksernährung von allergrösster Bedeutung sind, 

1 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 







1012 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


haben wir uns entschlossen., in dem folgenden kurz die wichtigsten 
Resultate darzulegen. 

Mit Liebigs Nachweise der Notwendigkeit von Mineralstoffen 
für alles organische Leben überhaupt blieb die Frage nach ihrer Be¬ 
deutung für lange Zeit erledigt Gewiss verzeichnet die Literatur 
eine unendliche Anzahl von Einzelbeobachtungeai, hauptsächlich sei¬ 
tens der Aerzte, in welchen man einen Zusammenhang zwischen ge¬ 
wissen Mineralstoffen, ihrem Fehlen oder ihrem Vorkommen in Über¬ 
schuss in der Nahrung nachgewiesen haben wollte. Jedoch sind 
diese EiJizelbeobachtungen alle Vermutungen geblieben. Das 
Schlimmste ist der Umstand, dass diese Beobachtungen, wie gesagt, 
stets nur einzelne Mineralstoffe betreffen und ausser Zusammenhang 
mit dem übrigen Stoffwechsel stehen. Infolgedessen sind sie einerseits 
ausserordentlich unsicher und andererseits häufig genug einander 
direkt widersprechend ausgefallen. 

In neuerer Zeit hat die experimentelle Physiologie den Einfluss 
der einzelnen Mineralstoffe auf ganze Tiere und Pflanzen oder auf 
überlebende Organe ausserordentlich eingehend untersucht. Diese 
ganzen Untersuchungen haben schliesslich ihren Gipfel und ihre Krö¬ 
nung in L o e b s FertiMsationstheorie «reicht. Aber alle diese Ar¬ 
beiten behandeln ausschliesslich ionisierbare Stoffe, und diese ioni- 
sierbaren Stoffe treten in unserer Nahrung sehr zurück: im all¬ 
gemeinen kann man wohl sagen, dass unsere Nahrung nicht mehr 
als ein Fünftel sämtlicher Mineralstoffe in ionisierbarer Form enthält. 

Ueber den allgemeinen, gesamten Mineral Stoffwechsel 
dagegen wissen« wir überhaupt nichts. Ganz vereinzelt sind gewiss 
Versuche zu diesem Studium gemacht worden. Diese Versuche sind 
aber einerseits gewöhnlich sehr unvollständig geblieben: so z. B. 
ist noch niemals bei solchen Stoffwechselversuohen das Mangan be¬ 
stimmt worden, obgleich es nach seinem quantitativ reichlichen Vor¬ 
kommen in allen organischen Stoffen und nach seinem Ausscheiden 
durch den Harn in Mengen«, die die des Eisens häufig um das 20- bis 
40-fache oder noch mehr über treffen, offenbar eine gewaltige Rolle 
im organischen Leben spielen muss. Andererseits sind diese Ver¬ 
suche niemals von analytisch ausgebildeten Chemikern ausgeführt 
worden. Es kommt hinzu, dass die Methodik bei der Bestimmung 
der einzelnen Stoffe gewöhnlich sehr viel zu wünschen übrig lässt, 
häufig sogar auf klinische Bestimnrungsmethoden zurückgreift. Nun 
kommen aber die Mineralstoffe in /verhältnismässig feo winzigen 
Mengen vor, dass schon die kleinsten Fehler in der analytischen 
Methodik ausserordentlich grosse prozentuelle Fehler im Resultate be¬ 
dingen. Will man vollständige Stoffwechsel versuche ausführen, so 
ist die erste Bedingung, dass man sich bei der Bestimmung der 
Mineralstoffe der altergenauesten wissenschaftlichen Methoden be¬ 
dient. 

Aber selbst die beste Anleitung zur Analyse ist in den Händen 
des Ungeübten von sehr zweifelhaftem Wert, denn auch, die beste 
Methodik verlangt zur Erzielung genauer Resultate eine grosse Uebung 
des Ausfiührenden: er muss die betreffenden Reaktionen und Be¬ 
stimmungen nicht nur ein«- oder zweimal, sondern hundertweise aus¬ 
geführt haben, wenn er sie souverän «beherrschen will. Als zweite 
Bedingung ist also die Forderung aufzustellen, dass die Untersuchungen 
von vorzüglich geschulten Analytikern ausgeführt werden. 

Als der eine von uns vor bald 10 Jahren sich mit dem ge¬ 
samten Mineralstoffwechsel zu befassen begann, stellte es sich so¬ 
fort heraus, dass ausser dem schon Gesagten noch ein zweiter erstaun¬ 
licher Umstand festgestellt werden musste. Von keinem, auch unserem 
allergewöhnlichsten, Nahrungsmittel existierte eine einzige vollständige 
und zuverlässige Analyse, so dass wir weder wissen, wieviel von den 
einzelnen Mineralstoffen in unseren Nahrungsmitteln enthalten ist, 
noch wieviel wir davon zu uns nehmen. Infolgedessen haben wir 
natürlich nicht die entfernteste Ahnung, wieviel wir von diesen ein¬ 
zelnen Mineralstoffen wirklich nötig haben. Dies ist um soviel schwie¬ 
riger zu sagen, da zu unserer Unkenntnis noch hinzukommt, dass 
die Mineralstoffe einander im Organismus ausserordentlich stark gegen¬ 
seitig beeinflussen, so dass eine Nahrung, die z. B. genügend Kalk 
enthält, durch Hinzufiigung eines neuen Nahrungsmittels mit einem 
relativen Reichtum an Phosphorsäure sofort relativ kalkarm wird. 

„Die Berichtigung der fehlenden Mineralstoffe dürch die ge¬ 
mischte Kost“, die dem Stoff wechselpüysiologen «heutzutage immer 
wieder entgogengehalten wird, ist also weiter nichts als eine leere 
und unbegründete Redensart, die sogar in offenem Widerspruch zu 
wohlbekannten Tatsachen steht. Wir wissen nämlich trotz aller 
unserer grossen Unwissenheit im grossen und ganzen, dass unter 
Umständen z. B. Kalkmangel in der Nahrung durchaus nichts Seltenes 
ist und dass durch diesen schwere Gesundheitsstörungen, besonders 
beim wachsenden Organismus, eintreten. Andererseits ist es den 
Aerzten, besonders den Spezialisten für Hautkrankheiten, eine wohl- 
bekannte Tatsache, dass übermässiger Kochsalzgenuss zu vielge- 
stalteten- Störungen im Allgemeinbefinden, führen kann usw. 

Der verstorbene Dr. Heinrich L a h mann hat seinerzeit diesen 
Mangel in unseren Kenntnissen schwer empfunden. Er hat ver¬ 
sucht diese Lücken durch die Annahme auszufüllen, dass wir in 
unserer Nahrung die Mineralstoffe in Mengen und in dem Verhältnisse 
bedürften, wie sie in der Kuhmilch Vorkommen, die ia von vielen als 
eines unserer 'hervorragendsten Nahrungsmittel betrachtet wird. Es 
ist mit Recht hiergegen eingewendet worden, dass für den Menschen 
nicht die .Kuhmilch, sondern die Muttermilch massgebend sein müsste. 
Einerseits muss man zu Lahmanns Entschuldigung betonen, dass 
die damals bekannten Analysen von Kuhmilch und Frauenmilch ziem- 

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lieh grosse Uebereinsfcimmunig zeigten, so weit man dies 'bei dem 
damals äusserst mangelhaften analytischen Material beurteilen konnte. 
Die neueren Analysen von Frauenmilch haben andererseits gezeigt, 
dass Lahmanns Forderung eines Basenüberschusses in der Nah¬ 
rung, der dem in der Kuhmilch entpräche, noch zu gering war: die 
gesunde Frauenmilch enthält noch bedeutend mehr Basen. 

Wenn wir also nichts Genaues über den gesamten Mineralstoff- 
weohsel wissen, so hatten doch Versuche über die Ammoniakpro- 
duktion im Organismus einen vielversprechenden Anfang schon- in den 
siebziger Jahren gemacht. 

Als Resultat von diesen Untersuchungen kön¬ 
nen wir folgenden Satz-h «instellen: das Chlor kommt 
in der organischen Natur stets an» Natron oder Kali 
gebunden vor und w ird als neutrales Salz durch die 
Nieren ausgeschieden; nur ein winziger Bruchteil 
erscheint im Kot. Der Phosphor und der Schwefel 
der Nahr-ungwerdenim Organismussogutwie voll¬ 
ständig zu Phosphorsäure und Schwefelsäure ver¬ 
brannt. Diese Säuren erfordern zu ihrer Ausschei- 
dumg ebenfalls eine Neutralisation’durchanorgani- 
sche Basen. Schliesslich: wenn «dem Organismus 
zu diesen Neutralisationszwecken nicht genügend 
anorganische Basen \zur Verfügung stehen, wird 
seitens des Organismus Ammoniak gebildet und 
die überschüssig im Organismus gebildeten oder 
mit der Nahrung eingeführtem Säuren werden da¬ 
mit abgesättigt. 

In dieser Fassung liegt ein teleologisches Moment, «das umso¬ 
weniger befriedigen konnte, da es eine dem Mediziner bekannte Tat¬ 
sache ist, dass diese Ammomakproduktion nicht imstande ist, bei über¬ 
mässiger Zufuhr von säurereicher Nahrung das schliessliche Auf¬ 
treten der Azidosis und den Ausgang in Koma zu verhindern. Seit 
etwa 9 Jahren durchgeführte Untersuchungen zeigten denn auch, 
dass diese vermehrte Ammoniakproduktion bei Zufuhr von säure- 
reichen Nahrungsmitteln nur eine Erscheinung ist Neben 'Am¬ 
moniak erscheinen in diesem Falle verschiedene andere Zersetzungs- 
Produkte von Eiweiss, von welchen wir analytisch die Aminosäuren, 
Harnsäure, Kreatinin und Kreatin fassen können. Ausserdem steigt 
in dem Ham die Menge des nicht analytisch fassbaren Stickstoffes, 
des sog. Reststickstoffes, mächtig an, sogar stärker als die Ammoniak¬ 
bildung selbst. Während bei 'basenreicher Ernährung gewöhnlich 
weit über 90 Proz. des Harnstickstoffes in Form von Harnstoff, also in 
möglichst oxydierter Form, erscheint, enthält der Harn« nach längerer 
säurereicher Ernährung schliesslich vielleicht nur 50 Proz. oder noch 
weniger Stickstoff in Form von Harnstoff, wobei die grösste Steige¬ 
rung der nichtoxydierten Stiokstoffformen auf Konto des Reststick¬ 
stoffes kommt. 

Wenn auch eine Vermehrung von Aminostickstoff und Kreatinin, 
teilweise auch von Ammoniak im Harn durchaus nicht pathologisch 
zu sein braucht, da diese Stoffe ja doch in der Nahrung fast immer 
in grösseren oder kleineren Mengen vorhanden sind und. wenigstens 
was Ammoniak und Kreatinin betrifft, wieder unverändert ausge- 
schiedeiu werden, so ist eine Vermehrung von Kreatin und Rest¬ 
stickstoff im Harn nur als pathologische Erscheinung aufzufassen. I<n 
dem Falle also, wenn auf Darreichung säurereicher Nahrung auch 
Ammoniak, Kreatinin, Aminostickstoff gleichzeitig mit dem Gehalt in 
Kreatin und Reststickstoff im Harn ansteigt, müssen wir auch diese 
Substanzen als Zeichen pathologischer Vorgänge im Organismus auf¬ 
fassen. 

Da diese Steigerung nach Darreichung von Nahrung mit Säure¬ 
überschuss stets unweigerlich Eintritt und ebenso unfehlbar auf Dar¬ 
reichung basenreicher Nahrung wieder zurückgeht, können wir die 
von Salkowsky und den übrigen Physiologen festgenagelten 1 
nackten Tatsachen in die Form einer hygienischen Forderung kleiden: 
eine zweckmässige und gesunderhaltende Nahrung muss mindestens 
ebensoviele anorganische Basen wie Säuren enthalten. 

Da unsere Nahrung stets auch aromatische*) Säuren«, die zu ihrer 
Ausfuhr anorganische «Basen bedürfen, enthält, müssen wir unseren 
obenstehenden Satz dahin erweitern, dass die Nahrung mehr an¬ 
organische Basen als anorganische Säuren enthalten muss. Hierbei 
koimmen nicht die Gewichtsmengen, in« welchen die Stoffe vorhanden 
sind, in Betracht, denn diese sind nicht direkt miteinander vergleich¬ 
bar. Vergleichbar sind nur die Verbindungs- oder Aequivalentge- 
wichte, die angeben, in welchem Verhältnisse sich die Stoffe mit¬ 
einander vereinigen. Ganz genau gefasst wird der Satz also lauten: 
eine zweckmässige und gesunderhaltende Nahrung 
muss im Durchschnitte mehr Aequivalente anor¬ 
ganischer Basen als anorganischer Säuren ent¬ 
halten. 

Diese pathologische Vermehrung von den gesamten Eiweiss- 
zerfallprodukten deutet auf ganz bestimmte Vorgänge im Organismus 
selbst. Nach den Untersuchungen von Emil Fischer. Abder¬ 
halden und« anderen Forschem ist der natürliche Zersetzungsvor¬ 
gang beim Eiweiss, dass dieses unter Aufnahme von Wasser (sog. 
Hydrolyse) in- einfachere Bruchstücke zerfällt wobei gerade die 
erwähnten Stoffe mitentstehen. Diese einfacheren Stoffe werden dann 


*) Die alifatischen Säuren, von Oxalsäure abgesehen, werden im 
Organismus leicht und glatt zu Kohlensäure und Wasser verbrannt, 
kommen also hier nickt in Betracht. 

Original ffom 

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10, September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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vom Organismus oxydiert, d. h. mit Sauerstoff verbrannt, wobei 
Kohlensäure, Wasser und Harnstoff entstehen. Wenn nun im Harn 
bei säurereicher Kost eine Vermehrung der durch hydrolytische Spal¬ 
tung entstandenen Produkte auf Kosten der normalen Harnstoffbildung 
stattfindet, so können wir daraus schliessen, dass die Hydrolyse im 
Organismus wie gewöhnlich funktioniert, dass aber die Verbrennung, 
die Oxydation der 'hydrolytischen Spaltungsprodukte behindert ist. 

Die Träger der Oxydation im Organismus sind die roten Blut¬ 
körperchen, und es hält nicht schwer, nachzuweisen, dass diese auch 
bei säurereicher Kost ihr Oxydationsvermögen unvermindert erhalten 
haben. Die Ursachen der mangelhaften Oxydation müssen deshalb in 
irgend einem anderen Umstand zu suchen sein. 

Wenn wir Glyzerin, einen verhältnismässig sehr einfachen organi¬ 
schen- Körper, in stark saurer Lösung mit Permanganat oxydieren, so 
wird das Glyzerin glatt zu Kohlensäure und Wasser verbrannt. Wenn 
wir dagegen dafür Sorge tragen, dass die Reaktion in absolut neu¬ 
traler Lösung vor sich geht, so entsteht fast ausschliesslich Glyzerin- 
aklehyd. Stumpfen wir das während der Reaktion entstehende Alkali 
nicht mit Säuren sorgfältig ab, sondern lassen die Reaktion schwach 
alkalisch werden, so entstehen neben dem Aldehyd auch Dioxy- 
azeton und Glyzerinsäure. Wird die alkalische Reaktion stärker, so 
entstehen auch-Ameisensäure. Glykolsäure, Glyoxylsäure und Trauben- 
säure neben Kohlensäure und Wasser, endlich auch Oxalsäure. Bei 
stark alkalischer Reaktion entstehen nur Kohlensäure, Oxalsäure und 
Wasser so glatt, dass man diese Reaktion zur quantitativen Be¬ 
stimmung des Glyzerins benützen kann. 

Dieses ganz grobe Beispiel aus der Laboratoriumspraxis des 
organischen Chemikers zeigt uns deutlich, dass ausser dem oxy¬ 
dierenden Agens auch die Reaktion des Mediums, worin die Reaktion 
stattfindet, von geradezu ausschlaggebender Bedeutung ist. Je kom¬ 
plizierter die zu verbrennenden Substanzen sind, desto peinlicher 
müssen zur Erhaltung eines gewissen Resultates die Versuchsbe- 
dingungen innegehalten werden. Und so ist es verständlich, dass beim 
Herabsetzem der alkalischen Reaktion der Körpersäfte oder gar beim 
Ersatz von Kalium oder Natrium durch Ammoniak bei einer säure¬ 
reichen Ernährung die Resultate der Lebensreaktionen abnorm wer¬ 
den müssen. Nur unter Innehaltung einer ganz bestimmten Zusammen¬ 
setzung der Körperflüssigkeiten ist es dem Körper möglich, innerhalb 
eines gewissen Zeitraumes das zugeführte oder -das abgebaute Eiweiss 
restlos zu Köhlensäure, Wasser und Harnstoff zu verbrennen, während 
bei Veränderungen in der Zusammensetzung dieser Flüssigkeiten die 
Oxydation erschwert wird. In der gegebenen Zeiteinheit kann der 
Organismus nur einen Teil der stickstoffhaltigen Substanzen zu Harn¬ 
stoff verbrennen, und’ der Rest der unverbrannten Spaltungsprodukte, 
die aus dem Organismus entfernt werden müssen, -damit sie nicht 
schädlich wirken, erscheint dann im Harn. 

Es ist eine schon seit längerer Zeit bekannte Tatsache, die sich 
auch sehr leicht analytisch verfolgen lässt, dass bei Verfütterung 
einer säurereichen Nahrung nicht alle im Ueberschusis zugeführten 
Säuren sofort ausgeschieden werden. Diese Säuren müssen ja zu ihrer 
Ausfuhr abgesättigt werden, wozu ausser anorganischen Basen und 
Ammoniak auch Aminosäuren und andere stickstoffhaltige Produkte 
zur Verfügung stehen. Während aber die anorganischen Salze die 
Nieren verhältnismässig leicht passieren, scheint zur Entfernung der 
organischen Verbindungen der Phosphorsäure und der Schwefelsäure 
eine hohe osmotische Differenz zwischen dem Harn und dem Blute 
notwendig zu sein: es müssen sich diese Verbindungen deshalb im 
Körper ansammeln und werden erst dann allmählich ausgeschieden, 
wenn durch ihre Ansammlung der osmotische Druck eine gewisse 
Höhe erreicht. Vielleicht auch sind diese gemischtorganischen Ver¬ 
bindungen» von so hohem Molekulargewicht, d. h. sie sind von so 
vielen Atomen auf gebaut und Iso gross, dass sie normaler Weise 
zum Teil -nicht die Nieren passieren können. Kurz und gut, ein Teil 
von diesen Säuren und ein Teil Stickstoff wird bei säurereicher Er¬ 
nährung im Ueberschuss vom Organismus zurüdkgehalten. 

Wenn man dann bei gleichbleibender Nahrung anorganische 
Basen in geeigneter Form und Mischung zuftihrt, werden die Oxy¬ 
dationsstörungen behoben, die Stickstoffverbindungen können wieder 
zu Harnstoff oxydiert werden und die wahrscheinlich an sie ge¬ 
bundenen Säuren können wieder als unorganische Salze ausgeführt 
werden. 

Wenn wir also bei säurereicher Ernährung nach Eintritt des 
Gleichgewichtes ein derartiges Basengemisch verabreichen, erfolgt 
sofort eine vermehrte Ausfuhr der im Körper zurückgestauten Stick¬ 
stoff- und Säureverbindungen. 

Aus diesen theoretischen Darlegungen, die bei unseren 93 Ver¬ 
suchen stets bestätigt sind und nie eine Ausnahme erfahren haben, 
erfolgen dann einige wichtige Forderungen, zunächst für die Er¬ 
reichung eines wirklichen Stickstoffmimimums: 

1. Vor Beginn einer Versuchsreihe muss eine Vorperiode einge¬ 
schaltet werden, wobei die Stickstoffzufuhr möglichst gering sein soll, 
damit derartige, im- Organismus zurüdegestaute, unverbrannte, stick¬ 
stoffhaltige Produkte Gelegenheit zur Ausscheidung bekommen. Sonst 
würden diese Stoffe -bei Versuchen mit geringer Stickstoffzufuhr mit 
ausgeschieden werden, wodurch ein Mehrverbrauch und -damit ein 
Mehrbedarf an Stickstoff vorgetäuscht wird. Gegen diese Forde¬ 
rungen haben fast alle bisherigen Untersuchungen verstossen. 

2. Aber, wie wir gesehen haben, werden nicht nur stickstoff¬ 
haltige Produkte zurückbehalten, sondern auch anorganische Säuren, 
die zur Erziehing eines rich£ig$n Resultates, also zur Schaffung nor- 

□ igitized by CjOOQIC 


maler Zustände im Organismus und optimaler Verbrennungsmöglich- 
keit für das Eiweiss unbedingt vorher aus dem- Körper entfernt 
werden müssen. Deswegen soll die Versuchsnahrung in der Vor¬ 
periode nicht nur stidkstoffarm, sondern auch basenreich sein. Gegen 
diese Forderung verstossen alle bisherigem Untersuchungen. 

3. Diese Vorversuche müssen so lange ausgedehnt werden, bis 
die analytische Kontrolle zeigt, dass sowohl die Ausfuhr von Stick¬ 
stoffschlacken wie die von Säuren beendet ist. Nun kann wohl die 
Stickstoffausfuhr und ebenso die Säureausfuhr bei gleicher Nahrung 
an verschiedenen Tagen ausserordentlich verschieden sein: oft findet 
man an einem Tage mehr als doppelt so hohe Ausscheidung wie am 
nächsten Tage usw. Es ist deshalb verfehlt, wenn man nach dem 
Auftreten von 2 oder 3 Tagen mit geringer Stickstoff- oder Säure¬ 
ausscheidung folgern wollte, dass das Ziel schon erreicht sei; m»an 
muss vielmehr die Versuche so lange fortsetzen, bis keine grossen 
Schwankungen mehr auftreten. Hierzu gehört bei Organismen, die 
säurereiche Nahrung gewohnt sind, eine sehr lange Ausdehnung der 
Vorversuche, die wohl im allgemeinen mindestens einige Monate er¬ 
fordern wird. Da die beiden, vorhergehendem Bedingumgem ja unbe¬ 
kannt waren, ist es selbstverständlich, dass bisher bei Minimumver- 
suchem die Vorversuche, wenn solche überhaupt gemacht wurden, viel 
zu kurz bemessen waren; gewöhnlich nur wenige Tage. 

4. Auch der Versuch selbst muss zur Erzielung eines wahren 
Minimums mit einer basenreichen Ernährung stattfinden. Will man 
säurereiche Nahrungsmittel versuchen, so mu-ss man dafür Sorge 
tragen, dass der Säureüberschuss durch Zugabe von basenreichen 
Pflanzenextrakten oder von geeigneten unorganischen Basengemischen 
überneutralisiert wird. Auch diese Forderung ist als vollständig un¬ 
bekannt bisher nie berücksichtigt worden. Auch uns selbst ist sie 
erst im Laufe unserer Untersuchungen klar geworden. 

5. Weiter muss selbstverständlich der Hauptversuch selbst so 
lange ausgedehnt werden, dass die täglichen Schwankungen irr der 
Ausfuhr sich mit Sicherheit äusgleichen können. Würde man zu früh 
aufhören, so würde ein zufälliges, abnorm niedriges oder abnorm 
hohes Resultat eines solchen Versuchstages die Genauigkeit der 
ganzen Untersuchungen gefährden. Diese Bedingung, die wohl zuerst 
von Rubmer aufgestellt wurde, ist ja allgemein bekannt, wird 
jedoch viel zu wenig beachtet und selbst in den neuesten Arbeiten 
findet man Versuche, die sich nur über 3-—4 Tage ausdehnen. Es ist 
selbstverständlich, dass derartige kurze Versuchsreihen keine absolute 
Sicherheit für die Richtigkeit -der Resultate gewähren können. 

6. Werden nicht allgemeine Volksnahrungsmittel, sondern solche 
von akzessorischer Natur verabreicht, so müssen wir bedenken, dass 
unser Verdauungstraktus nicht den ungewöhnlichen Anstrengungen ge¬ 
wachsen- ist, die ihm vielleicht durch solche Nahrungsmittel zuge¬ 
mutet werden. In solchen Fällen muss deshalb der Versuch so lange 
ausgedehnt werden, bis man sich überzeugt hat, dass der Organismus 
imstande ist, die ihm gestellte neue Aufgabe zu bewältigen. Diese 
Forderung ist bisher niemals genügend beachtet worden. 

7. Dass die äusseren Bedingungen sowohl im Vorversuch als 
auch im Versuch selbst auf das genaueste innegehalten werden 
müssen-, dass also Schlaf, Arbeit, Erholung, Zeit der Mahlzeiten usw. 
die ganze Zeit möglichst gleichbleiben sollen, ist eine altbekannte 
Forderung, die wohl stets nach Möglichkeit berücksichtigt wird. 

8. Ebenso ist es eine selbstverständliche Forderung bei Ver¬ 
suchen über das Stickstoffminimum, dass die Energiezufuhr so gross 
sein muss, dass der Organismus nicht seinen eigenen Eiweissbestand 
oder das zugeführte Eiweiss zur Deckung des Energiebedarfs anzu¬ 
greifen braucht. 

9. Dass man die erhaltenen Resultate, um Vergleiche zu ermög¬ 
lichen, auf ein bestimmtes Körpergewicht (gewöhnlich 70 kg) oder auf 
das Kilo Körpergewicht berechnet, ist ja eine bekannte Forderung. 
Dagegen ist die vielfach geübte Gepflogenheit, die erhaltenen Re¬ 
sultate im Verhältnis zum Körpergewicht auch auf den wachsenden 
Organismus zu übertragen, wrie alle denkenden Eltern bestätigen 
können, grundfalsch. Die nordamerikanischen Gelehrten, die im Auf¬ 
träge der nordamerikanischen Regierung ausserordentlich gross an¬ 
gelegte Versuche über die Ernährung der Bevölkerung in den Ver¬ 
einigten Staaten ausgeführt haben, haben bei der Berechnung Ihrer 
Resultate leider alle diesen verkehrten Standpunkt eingehalten. Wie 
ein Vergleich in der untenstehenden Tabelle zeigt, müssen sie dabei 
viel- zu hohe Ergebnisse unter Berechnung auf 70 kg Körpergewicht 
erhalten. 


Erwachsener Mann 
Jüngling, 15—18 Jahre 
Knabe, 13—14 Jahre 
Knabe, 12 Jahre 
Knabe, 10—11 Jahre 
Knabe, 6—9 Jahre 
Knabe, 2—5 Jahre 
Knabe unter 2 Jahren 


Gewöhnliche 

Annahme 

( 100 ) 

90 

80 

70 

60 

50 

40 

30 


R. Bergs 
Beobachtungen 
( 100 ) 
120—150 
100—130 
100—130 
95—120 
95—120 
70—90 
30—50 


Bestand eine Familie z. B. aus Mann (70 kg schwer). Frau 
(62 kg) und zwei Kindern- im Alter von 9 (32 kg) und 5 (26 kg) Jahren, 
und hat diese Familie täglich 190 g Eiweiss verbraucht, so entspricht 
dies nach der 'Berechnungsweise der amerikanischen Gelehrten: 
x Hb 0,9 x -H 0,5 x 4- 0,4 x = 190 g; x = 67,8 g Eiweiss pro 70 kg 
und Tag. Richtiger würde man rechnen; x -f 0,9 x 4* 1,2 x + 0,9 x 
— 190; x = 47,5 g Eiweiss pro 70 kg und Tag. Durch die verkehrte 

Original frer !• 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


Berechnungsweise sind ieider die Resultate der grossen amerikani¬ 
schen Untersuchungen» hinfällig geworden; man müsste alle ihre 
Versuche umrechnen. 

Wie oben 'betont wurde, gründen sich alle Obenstehenden Forde¬ 
rungen auf die Ergebnisse unserer Untersuchungen. Gar manchem 
wird es schwer fallen, daran au glauben, dass dem Mdneralstoff- 
wechsel für den Ei weissbedarf eine derartig ausschlaggebende Be¬ 
deutung zukommt. Wir möchten deshalb auf die beigefiigte Tabelle 
verweisen. 


Säureüberschuss der Versuchsnahrung in einen schwachen (Basenüber¬ 
schuss verwandelt; der Vorversuch war der Versuch mdt Bananen- 
roggensclirotbrot und Mus, also mit starkem Basen Überschuss. Die 
Herabsetzung der Basenzufuhr in dem Versuche, wo also der Vor¬ 
versuch noch immer basenreich war, 'hatte beim Wachsenden schon 
eine Steigerung des Bedarfes um» 10 Proz. zur Folge. In dem 
folgenden Versuche, wo also der Vor versuch immer noch basenreich 
war, wurde das Mus weggelassen, so dass die Versuchsnahrung einen 
starken Säureüberschuss aufwies. Die Vermehrung des Bedarfes be- 


Abhängigkeit des Eiweissbedarfs vom Aequivalentenverhältnisse. 




I. Kartoffeln mit Butter 


r«: 


II. Bananenweizenbrot mit Butter und Mus -f -f- 

„ „ „ ohne „ — . 

Welzenbrot mit Butter.. ... 


Dasselbe weitere 8 Tage-. 


UI. Bananenrosgenschrotbrot mit Butter und Mus + 
Roggenschrotbrot mit Butter und Mus -f ..... 

„ „ „ ohne „- .... 

Dasselbe weitere 8 Tage... 


IV. Knflckebrot mit Butter.. 

Dasselbe.. 

„ weitere 8 Tage... 


V. Kommissbrot mit Butter • 
Dasselbe-. . . ,, 


VI. Fleisch mit Butter • 
Dasselbe-. . 


Kartoffeln mit Butter + -f-. 

Fleisch mit Butter.. 


Bananenweizenbrot mit Butter ohne Mus — . 

Kartoffeln mit Butter + 4-. 

Wirsing mit Butter + +.. 

Kommissbrot mit Butter.. 

Weizenbrot mit Butter.. 


Bananenweizenmehl mit Butter und Mus 4- -f- 
Bananenroggenschrotbrot mit Butter und Mot 

Roggenschrotbrot mit Butter — — . ”, 


Kartoffeln mit Butter -f . .. 

Kommissbrot mit Butter — —. 

Knickebrot mit Butter.. 

25 Tage Brot mit Butter. . 


Kartoffeln mit Butter -f- -f . . .. 

Knäckebrot.. 


Kartoffeln mit Butter + + . . 
28 Tage Brot mit Butter- 


Sehen wir uns diese Tabelle am, so zeigt es sich, dass wir mit 
Kartoffeln und «Butter bei basenreicher Versuchsnahrung und eben¬ 
solcher Nahrung während des Vorversuches ein wahres Minimum er¬ 
reichten, das bei dieser Kartoffelsorte beim erwachsenen Mann einem 
Bedarf von» 5,28 g Stickstoff oder 33 g Protein entsprach. Wurde nur 
eine einzige Versuchswoche mit sänrereichem Fleisch statt mit Kar¬ 
toffeln eingeschaltet und dann der Kartoffelversuch wiederholt, so sprang 
der Stickstoffbedarf beim erwachsenen Manne um 10,7, beim Wach¬ 
senden um 2,4 Proz, in die Höhe, wobei bemerkt werden muss, dass 
während des Fleischversuches die dargereichte Stickstoffmenge nicht 
etwa grösser, sondern fast genau dieselbe w. : e während des ersten 
Kartoffelversuches war »(5,21 g N). 

Weizenbrot enthält ja einen Ueberschuss von Saurem zu 
dessen Abstumpfung wir in einigen Versuchen neben feinstem Weizen¬ 
mehl einen gleichen "Teil basenreiches Bananenmehl hinednbacken 
Hessen; der Basenüberschuss des Bananemmehls war nur so gross, 
dass der Säureüberschuss des Weizenmehls nicht ganz abgestumpft 
wurde. In einem Versuche mit diesem Brote wurde nun ein 
Pflaumenmus dazu gereicht, das durch Zusatz von basenreichen 
Pflanzenextrakten sehr an Basen angereichert worden war, so dass 
die ganze Versuchsnahrung einen grossen Basenüberschuss auf¬ 
wies. Die Vorperiode enthielt als Versuchsnahrung dasselbe 
Bananenweizenbrot, aber ohne Mus, so dass die Versuchs¬ 
nahrung einen schwachen Säureüberschuss aufwies; dadurch 
erreichten wir ein Minimum an Stickstoffbedarf, das beim 
Erwachsenen 8,15 g N (50,9 g Rohprotein) und beim Wachsenden 
9,31 g N (58,2 g Rohprotein) 'betrug. In der Vorperiode, die also einen 
schwachen Säureüberschuss aufwies, hatten wir als Vorperiode wie¬ 
derum Kartoffeln mit einem starken Basenüberschuss gehabt, wodurch 
dieser Versuch gegenüber dem folgenden mit dem Mus in dieser 
Hinsicht etwas im Vorteil war. Da ausserdem der Säureüberschuss 
selbst nur, wie gesagt, gering war, konnte der Einfluss nicht gross 
werden, bedingte jedoch beim Erwachsenen eine Steigerung um 5,6, 
beim Wachsenden um 11,0 Proz. ln einem weiteren Versuche, wo 
Weizenbrot aus nur diesem feinsten Weizenmehl untersucht wurde, 
und wobei als Nahrung in dem Vorversuch Wirsing benutzt wurde, in 
welchem also der Vorversuch basenreich, die Versuchsnahrung selbst 
aber stark säurereich war, betrug die Steigerung des Stickstoffbedarfs 
beim Erwachsenen 6,8 Proz. und beim Wachsenden 14,3 Proz. In 
einem vierten Versuch mit diesem gewöhnlichen Weizenbrot, wobei 
aber auch die Nahrung des Vorversuchs (Komdssbrot) säurehaltig 
war, betrug die Steigerung beim Erwachsenen 23,4 Proz., und beim 
Forfcsetzen dieses Versuches liber »weitere 8 Tage betrug der Mehr¬ 
bedarf an Eiweiss 50.9 Proz., war also um die Hälfte gestiegen. 

In derselben Weise wie beim Weizenbrot hatten wir ein» 
Roggenbrot hergestellt, dessen Säureüberschuss durch Zu¬ 
mischung von gleichen Teilen Bananenmehl bedeutend herabgesetzt 
war. Durch Zugabe von dem obenerwähnten Pflaumenmus war die 
Versuchsnahrung stark »basenreich und im Vorversuch: Bananenr 
weizenbrot mit Mus* war ebertfallsi Basenüberschuss vorhanden. 
Dieser Versuch wurde leider nur beim Wachsenden ausgeführt, wobei 
wir einen unzweifelhaften Minimumbedarf von 8,74 g Stickstoff (54,6 g 
Rohprotein) erzielten. In einem z/wedtera Versuche wurde das Ba¬ 
nanenmehl weggelassen,^aber durch Zugabe von Pflaumenmus der 

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trug jetzt beim Wachsenden 34,2 Proz. Diese beiden letzten Versuche 
waren auch beim Erwachsenen ausgeführt worden und der letzte er¬ 
gab gegen den vorhergehenden) eine Bedarfssteigerung von 21,9 Proz 
Berücksichtigen wir, dass in dem vorhergehenden Versuche der 
Basenüberschuss vielleicht nicht ganz genügend gewesen sein wird, 
dass also, wie ja aus dem Vergleich mit dem Resultat beim Wachsen¬ 
den hervorgeht, wohl beim Erwachsenen kein wahres Minimum er¬ 
reicht worden war, sondern dieses vielleicht um 5—10 Proz. niedriger 
gewesen sein wird, so wäre die wirkliche Steigerung gegenüber dem 
Minimum etwa 25—30 Proz. gewesen. Beim Erwachsenen haben 
wir dann diesen Versuch mit Roggenschrotbrot noch 8 Tage fort¬ 
gesetzt, wodurch die Bedarfssteigerung auf 40,1, also in Wirklichkeit 
auf 45—50 Proz., genau wie beim Weizenbrot heraufsprang. 

Eine lange Versuchsreihe wurde dem schwedischen Hartbrot, dem 
Knäckebrot gewidmet, das einen sehr starken Säureüberschuss 
aufweist. Beim ersten Versuch enthielt die Nahrung im Vor versuch 
(Kartoffeln) einen» Basenüberschuss: dabei wurde der niedrigste Be¬ 
darf von 6,29 g Stickstoff (39,3 g Rohprotedn) erreicht. Als der Vor¬ 
versuch mit Komissbrot, also mit einer säurereichen Nahrung, unter¬ 
nommen wurde, sprang der Stickstoffbedarf bei Knäckebroternährung 
um 26,1 Proz. in die Höhe. Bei der Fortsetzung dieses Versuches 
weitere 8 Tage, so dass der Vorversuch jetzt das noch stärkere 
säurereiche Knäckebrot enthielt, betrug die Bedarfssteigerung 
43,1 »Proz. und bei 25 Tagen» Brotkost sprang der Bedarf an Eiweiss 
in Form von Knäckebrot um 98,8 Proz. in die Höhe. 

Weitere Versuche wurden mit sächsischem Kommissbrot 
angestellt: dieses enthielt, wie gesagt, einen Säureüberschuss. Ent¬ 
hielt die Nahrung im Vorversuch (Kartoffeln) einen Basenüberschuss, 
so wurde der geringste Eiweissbedarf mit 6,43 g N (40,2 g Rohprotein) 
erreicht. Wenn derselbe Versuch nach längerer Darreichung von 
Knäckebrot also nach starker Uebersäuerung des Organismus wieder¬ 
holt wurde, betrug der Mehrbedarf an Eiweiss 121,9 Proz. 

Wurde Fleisch, also eine Nahrung mit starkem Säureüber¬ 
schuss hinter 'basenreichen Kartoffeln gereicht, so wurde ein Minimum¬ 
bedarf von 5,21 g Stickstoff (32,57 g Rohprotein) erzielt. Wurde die¬ 
ser selbe Versuch nach vierwöchiger Ernährung mit Brot wiederholt, 
wo der Organismus also stark übersäuert worden war, so betrug der 
Mehrbedarf an Stickstoff nicht weniger als 243,2 Proz. usw. 

Der Eiweissbedarf steht also in allerengster Abhängigkeit vom 
Mineralstoffwechsel, und wir können die Resultate dahin zusammen¬ 
fassen, dass der Bedarf des Organismus an Eiweiss 
einer »bestimmten Art ein Minimum wird, wenn so¬ 
wohl im Vorversuch, wie im Haupt versuch die Nah¬ 
rung einen hinreichenden »Basenüberschuss ent¬ 
hält. »Enthält die Vorperiode nicht genügend 
Basenüberschuss, wohl aber die Hauptperiode, so 
steigt der Stick Stoff bedarf im 'Hauptversuche je 
nach dem Basenstand des Organismus um 5, 10, 20 
oder noch mehr «Prozent. Enthält die Nahrung im 
Vorversuch^ einen genügenden Basenüberschuss, 
in dem Versuch selbst aber zu wenig Basen, so 
steigt der Stickstoffbedarf während eines acht¬ 
tägigen Versuches je nach dem Grade des Basen¬ 
mangels um 10, 25, 50 und noch mehr Prozent. 

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10. September 1918. 


MUBNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Herrscht sowohl während des Vorversuches als 
auch im Hauptversuch Basenmau ge 1, so steigt der 
St ick Stoff bedarf je nach dem Grade des ßasen- 
mangels um 50, 100, sogar 300 P r o z M d. h. das V o i t s c h e 
Optimum wird schliesslich zum Minimum! 

Als genügenden Baseniiberschuss glauben wir 
nach unseren Versuchen für einen mittelschwer 
arbeitenden, 70 kg schweren Menschen einen 
Basenüberschuss von 25 Milligrammäquivalenten 
anorganischer Basen täglich bezeichnen zu 
können. 

Der Einfluss des Basenmangels zeigt sich aber nicht nur beim 
Eiweissstoffwechsel. Wir haben bei unseren Versuchen sogar er¬ 
lebt, dass bei stark saurer Versuchsnahrung (Fleisch) schliesslich auch 
Zucker im Harn erschien, dass also auch die sonst so ausserordentlich 
leicht verbrennbaren Kohlehydrate vom Organismus nicht mehr ge¬ 
nügend schnell verbrannt werden konnten, sondern, da ihre An¬ 
wesenheit im Blute ja eine erhebliche Erhöhung des osmotischen 
Druckes hervorruft und sie deshalb auf irgendeine Weise entfernt 
werden müssen, der Zucker zum Teil durch die Nieren ausgeführt 
werden musste, obgleich die Versuchsperson im übrigen vollständig 
gesund war. Umgekehrt verfügt Berg über eine grosse Anzahl 
von Fällen, wo Zuckerkranke durch Darreichung einer genügend 
basenreichen Kost ihr Oxydationsvermögen so verbessert haben, dass 
nicht nur die Azetonkörper, sondern auch selbst der Zucker aus dem 
Ham verschwand, obgleich die Nahrung sehr reich an Kohlehydraten 
war. Noch mehr, nach lange fortgesetzter basischer Ernährung waren 
diese Leute imstande, selbst grössere Quantitäten Honig zu vertragen 
(dem man sonst ja geradezu als Gift für einen Diabetiker bezeichnet), 
ohne dass Zucker im Harn erschien. Der eine von uns, R. Berg, ist 
augenblicklich noch beschäftigt, über die Veibältnisse bei solchen 
Zuckerkranken vollständige Stoffwechselversuche anzusteilen. und 
wird seinerzeit auch die Resultate von diesen Arbeiten veröffent¬ 
lichen. 

Also durch Säureüberschuss in der Nahrung wird ein Teil vom 
Eiweiss nicht genügend ausgenutzt oder mit anderen Worten, es geht 
ein Teil des Verbrennungswertes der im Eiweiss enthaltenen Energie¬ 
menge dem Organismus verloren, und dasselbe trifft schliesslich auch 
für die Kohlehydrate zu. Das bedeutet aber, dass der Energie¬ 
bedarf bei säurereicher Ernährung, in welcher die 
zugeführte Energie nicht genügend ausgenützt 
werden kann, eine grössere sein muss, als wenn 
die Nahrung einen genügenden- Basenüberschuss 
e n t h ä 11. Da diese Gesichtspunkte bisher bei den Bestimmungen 
des Energiebedarfs des Menschen nicht berücksichtigt worden sind, 
müssen die bisherigen Annahmen von diesem Energiebedarf samt 
und sonders zu hoch sein. Durch Berechnung kann man aus den 
ausgeschiedenen anormalen 'Produkten, selbstverständlich nur ganz 
schätzungsweise annehmen, dass die bisherigen Kalorienforderungen 
um etwa 200—500 Kalorien pro 70 kg und Tag zu hoch geraten sind. 

Wollen wir nun diese unsere Erfahrungen auf praktische Verhält¬ 
nisse anwenden, so kommen wir zu der ersten Folgerung: Eiweiss 
und Eiweiss ist zweierlei oder vielmehr vielerlei. 
Während wir den Minimalbedarf z. B. bei Milch zui 3,16 g N (19,8 g 
Rohprotein«), bei Kartoffeln je nach der Sorte zu 4,16 g N (26,0 g 
Rofoprotein) bis 5,28 g N (33.0 g Rohprotein), bei Eiern zu 4,28 g N 
(26,7 g Rohprotein) und bei Fleisch zu 5,21 g N (32,6 g Robprotein) 
fanden, betrug der Bedarf bei Bananen 6,98 g N (43.6 g Rohprotein), 
bei Roggenbrot, je nach der Feinheit der Vermahlung und dem Kleie¬ 
srehalte von 6,29 g N bis 8.87 g N (39,3 bis 55.5 g Rohnrotein). bei 
Weizenbrot 8.15 bis 8,81 g N (50,9 bis 55,1 g RohproteinX Dagegen 
ergab die Ausnutzung der Eiweissarten, der Gemüse ganz wesentlich 
schlechtere Resultate: so fanden wir für Wirsing einen Bedarf von 
10.81 g N (67,5 g Rohprotein) und bei Kohlrüben von 12,71 g N 
(79,4 g Rohprotein). 

Es ist also vollkommen verfehlt w'enin man 
eh ne weiteres annimmt der Stickstoffbedarf sei 
40 oder 100 g Eiweiss: es ist vielmehr notwendig, 
dass man einerseits berücksichtigt, ob die Nah¬ 
rung säurereich oder basenreich ist (denn nur in 
dem letzteren Falle darf man sich auf die wirk¬ 
lichen Mini malwerte des Bedarfsstützen), anderer¬ 
seits muss man- auch angeben, woraus die Ernäh¬ 
rung besteht, da ja die verschiedenen Eiweiss-: 
arten ganz verschiedene physiologische Aus¬ 
nutzungswerte haben. Nehmen wir z. B. die offiziell zu- 
gebilligte Bürgerkost während des Kriegsjahres 1916/17, so finden 
wir, dass diese nur 38,25 g Rohprotein enthält, welche Menge man 
gemäss den heutigen Anschauungen als durchaus unzureichend be¬ 
zeichnen müsste. Berücksichtigen wir aber, dass einerseits diese 
Bürgerkost einen genügenden Basenüberschuss besitzt und wir also 
die wirklichen Minimalwerte in Rechnung zu setzen berechtigt sind, 
andererseits welchen Anteil die einzelnen Eiweissarten in dieser Kost¬ 
form von dem wirklichen Minimum decken können, so ergibt sich 
als Scbfussresultat, dass durch diese Kostform unser Eiweissbedarf 
zu 117,65 Proz., also ziemlich reichlich gedeckt war 9 ). Genau so ver- 


9 ) Siehe Tab. III und VI in B e r g s Broschüre: ..Volksernährung 
im Kriege“, abgedruckt im Sonderheft der Blätter für biologische 
Medizin. 5. Jahrgang, September 1917. 

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hält es sich, wenn wir die durch diese Kostform zugeführten Energie¬ 
mengen betrachten: sie ist ja mit 1421,7 Kalorien ausserordentlich 
knapp, weit unter dem, was man nach bisherigen Anschauungen zu 
fordern berechtigt war. «Nun müssen wir bedenken, dass bei un¬ 
genügender Kalorienzufuhr unweigerlich auch der Eiweissbestand an¬ 
gegriffen wird: wären also die alten Anschauungen die richtigen 
gewesen, so hätte die Kriegskost für 1916/17 für Deutschland* gerade¬ 
zu einen Zusammenbruch bedeuten müssen. Wie allgemein, bekannt, 
ist das nicht der Fall gewesen: Sehen wir ab von der Vermehrung 
der Tuberkulose, die ja in erster Linie eine Verelendungskrankheit 
und erst in zweiter und dritter Reihe von der Ernährung abhängig 
ist, sowie von den wahrscheinlich durch den Fettmangel bedingten 
Fällen von eingeklemmten Brüchen und schliesslich von den durch 
die ungewohnte Nahrung hervorgerufenen Diarrhöen und sonstigen 
Verdauungsstörungen, so bezeugen uns die Aerzte, dass sich der 
Zustand der Volksgesundheit während dieser Periode nicht ver¬ 
schlechtert, sondern eher gebessert hat. Dies können wir aber nur 
dadurch erklären, wenn wir annehmen, dass unsere Anschauungen 
richtig sind«. 

In Bergs Haushalt ist die Kriegsernährung ganz genau 
kontrolliert und ausserdem das Gewicht sämtlicher Personen fest- 
gestellt worden. Im Laufe des Krieges hat sein Körpergewicht unter 
dem Einfluss dieser Enährung zwischen 71 und 68 kg geschwankt, 
welche Schwankungen wohl nur durch zufällige Veränderungen im 
Wasserhaushalte bedingt gewesen sind. Wie ihm ist es auch den 
anderen Familiengenossen ergangen, und besonders muss betont 
werden, dass die Kinder normal und kräftig weitergewachsen sind, 
nur eine Zeitlamg zeigte sich eine Ausnahme. 

Nehmen wir in der Bürgerkost, wie sie in der zitierten Tabelle 
enthalten ist, irgendwelche Veränderungen vor. wodurch der Basen- 
überschuss vermindert wird, so muss die Folge unweigerlich eine 
Steigerung des Eiweissbedarfs sowohl als des Energiebedarfs wer¬ 
den. Eine solche Veränderung fand in den traurig bekannten Mona¬ 
ten. April—Juli 1917 statt, wo einerseits die Kartoffelration immer 
kleiner wurde, um schliesslich ganz zu verschwinden, wodurch ein 
Ausfall an Basen entstand, während andererseits durch die höhere 
Ausmahlung des Brotgetreides eine Mehrzufuhr von Säuren bedingt 
wurde. Durch diese Veränderungen war ein geringfügiges Minus in 
Eiweiss- und Kalorienzufuhr entstanden, gleichzeitig aber auch der 
Basenüberschuss der Nahrung in einen geringen Säureüberschuss ver¬ 
wandelt worden. Durch die Erhöhung der Fleischration wurde die 
frühere Proteinzufuhr jedoch mehr als wiederhergestellt, fast um 
10 Proz. vergrössert, und auch der Kalorienbedarf leidlich gedeckt, 
dafür aber so viel Säure in die Nahrung hineingebracht, dass der 
schliessliche Säureüberschuss 10 Milligrammäquivalente täglich be¬ 
trug. Die wesentliche Veränderung der Kost in diesen, verhängnis¬ 
vollen Monaten bestand also darin, dass der vorher genügende Basen¬ 
überschuss in; einen starken Säureüberschuss verwandelt worden war. 
Die Folgen sind uns allen, Aerzten wie Laien, bekannt. Bei Berg 
selber sank das Körpergewicht ununteibrocberc und betrug Anfang 
August 1917 nur 62,5 kg und ebenso erging es allen andern Mit¬ 
gliedern der Familie. Die Kinder fielen so ab, dass man trotz der 
heissen Jahreszeit ihnen Leberthranemulsion zu verabreichen genötigt 
war. 'Erst als die Kartoffeln wieder auf dem Markte erschienen, 
besserten sich die Verhältnisse sehr rasch: Berg erreichte sein altes 
Gewicht wieder, die Kinder nahmen normal zu und fingen stark zu 
wachsen an. Dabei ist die Eiweisszufuhr infolge der stark ver¬ 
kleinerten Fleischration jetzt noch geringer als im Jabre 1916/17, 
und auch die Kalorienzufuhr hat unter dem intensiven Fettenangel 
der jetzigen Wirtschaftsperiode, gelitten, aber da die Nahrung wieder 
einen starken Basercüberschuss*enthält, kommen wir mit dem Weni¬ 
gen, was uns zugeteilt wird, immer noch gerade aus. 

Das betrifft natürlich mir die gewöhnlichen Verhältnisse; so¬ 
bald irgendwelche ungewohnte Anstrengungen, seien es körperliche 
oder geistige, an uns berantreten, die tatsächlich eine wesentliche Er¬ 
höhung des Energiebedarfs herbeiführen, dann genügt die jetzige 
Kostform nicht. Dann wird dieses Leben auf Messersschneide gegen¬ 
über Stickstoff- und' Energiezufuhr sehr leicht zum Verhängnis. In¬ 
sofern hat Rubner recht: unsere Nahrung soll ein gewisses Mehr 
über das unbedingt Erforderliche als Sicherheitsreserve enthalten. 
Es wäre deshalb dringend zu wünschen., wenn die Eiweissgaben, vor 
allen Dingen aber die Energiemenge unserer Nabrung erhöht werden 
könnte, wobei jedoch als erste Forderung die Beibehaltung des Basen¬ 
überschusses unserer Nahrung hocbgebalten werden müsste. Zu¬ 
gaben von Fleisch würden, obgleich dadurch sowohl Eiweiss- wie 
Energiezuführ vergrössert werden, doch verhängnisvoll werden, weil 
sie eben den an sich schon knappen Basenüberschuss hcrabsetzen. 
Das Vorteilhafteste wäre teils eine rücksichtslose Erfassung der 
Magermilch- die Ja gleichzeitig eiweiss- und basenreich ist vor allem 
aber die Erhöhung der Kartoffelerzeugung und Kartoffelzuteiiung. 
Um für Schwerarbeiter genügende Energiezufuhr (Kalorien) zu er¬ 
halten, ist eine Vermehrung unseres Oelfruchtbaues dringend zu emp¬ 
fehlen. Man sollte den Landwirten bedeutend höhere Höchstpreise 
für Oelfrüchte, insbesondere für Mohn bewilligen. Heute baut jeder 
Bauer nur so viel Mohn, als er selbst verwenden darf. Die intensive 
Arbeit der Mohnkultur lohnt sich nicht bei den heutigen Höchst¬ 
preisen. 

Zum Schluss noch eins: man kann den schwerwiegenden Ein¬ 
wand gegen unsere Versuche erheben, dass- zu solchen Versuchen 
notwendigerweise eine Kontrolle durch den Kalorimeterversuch ge- 

Origiral frem 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


hört. Vot dem Beginn unserer Versuche waren wir auch auf das 
eifrigste bemüht, ein kalorimetrisches Kabinett für diese Versuche zur 
Verfügung zu bekommen. Es war uns jedoch nicht möglich, ein der¬ 
artiges aufzutreiben, weder in Deutschland, noch in Amerika, in Fin- 
land, in Schweden, in der Schweiz, noch* in Oesterreich. Schrieb 
Berg, dann bekam er teilweise überhaupt keine Antwort, schrieb 
R ö s e, dann erfolgte höfliche Ablehnung unter Berufung auf die 
erheblichen Unkosten, die solche Versuche freilich verursachen. Sogar 
bürokratische Unzulänglichkeit stand uns im Wege. Der Direktor 
des grossen landwirtschaftlichen Institutes in Möckern bei Leipzig war 
persönlich bereit, uns zu unterstützen. Aber seine Vorgesetzte Be¬ 
hörde im Dresdener Ministerium erlaubte es nicht, da es sich um 
menschliche und nicht um landwirtschaftliche Tierversuche handelte! 
Ja, wenn es sich um Schweineernährung gehandelt hätte! Vielleicht 
hat uns auch der in wissenschaftlichen Kreisen leider noch vielfach 
verketzerte Name Dr. Lahm an ns im Wege gestanden, und man 
«hat uns hier und da nicht ganz ernst genommen. Heute liegen die 
Verhältnisse anders. Es besteht begründete Aussicht, dass uns nach 
Wiederkehr des Friedens Gelegenheit zur Vervollständigung unserer 
Versuche geboten wird. 

Immerhin möchten wir darauf verweisen, dass bei Versuchen, 
die sich, wie die imseren, über Jahre ausdehnem und wobei der ge¬ 
samte Stoffwechsel, soweit fassbar, auf das genaueste chemisch kon¬ 
trolliert worden ist. für die Frage nach dem Fiweissbedarf ausschliess¬ 
lich die analytischen Befunde massgebend sind. Handelte es sich um 
kurz andauernde Versuche, könnte man den Einwand erheben, dass 
die Ausscheidungsverhältnisse durch irgendwelche Zufälligkeiten mehr 
oder weniger abnorm wären, in welchem Falle natürlich den kalori¬ 
metrischen Versuchen unter Umständen eine geradezu ausschlag¬ 
gebende Rolle zukommen würde. Bei unseren Versuchen ist das 
ausgeschlossen, da spricht die analytische Kontrolle eine absolut un¬ 
widerlegbare Sprache, infolgedessen die kalorimetrischen Versuche 
höchstens zur Aufklärung der inneren mechanischen Vorgänge bei¬ 
tragen könnten. Aber für das Gesamtresultat sind sie so gut wie 
ohne jegliche Bedeutung, sobald einmal, wie in unseren Versuchen, 
dafür Sorge getragen worden ist, dass die Energiezufuhr während der 
Versuche reichlich den Bedarf decken konnte. 

Etwas anderes ist es ja, wenn man den Nachweis führen will, 
dass auch der Energiebedarf durch den Mineralstoffwechsel beein¬ 
flusst wird. In dem Falle spielt natürlich der kalorimetrische Ver¬ 
such die Hauptrolle. Da wir, wie gesagt, diese Versuche auszu¬ 
führen keine Gelegenheit hatten, können wir auch über diese Beein¬ 
flussung keinerlei feste Daten, sondern ausschliesslich Vermutungen 
auf theoretischer Grundlage äussern. Wenngleich diese theoretische 
Grundlage derart einleuchtend ist, dass selbst Spezialisten auf diesem 
Gebiete aus unseren Versuchen über den Eiweissbedarf selbständig 
diese Folgerungen gezogen haben, so können wir uns doch selbst¬ 
verständlich vor der endgültigen Bestätigung durch Kalorimetcrvcr- 
suche für ihre absolute Richtigkeit nicht verbürgen. 


Aus dem Orthopädischen Spital und Invalidenschulen 
(k. u. k. Reservespital 11), Wien. 

Zur Frage des direkten Muskelanschlusses. 

Von Hans Spitzy. 

An der Tagung der deutschen Prüfstelle für Ersatzglieder in 
Berlin hatte ich Gelegenheit auf Einwendungen, die von einigen 
Seiten gegen die Haltbarkeit und Verwendbarkeit der nach Sauer¬ 
bruch angelegten Kanäle erhoben wurden, unter Hinweis auf unsere 
bisherigen Erfahrungen zu entgegnen. Einige dieser Einwendungen 
sind von Drüner in einem diesbezüglichen Aufsatz „Ueber die 
bewegliche künstliche Hand“ (D.m.W. 1918 Nr. 7) niedergelegt. Da 
ich in meiner Anstalt über eine grosse Zahl von nach verschiedenen 
Methoden operierten Muskelanschlüssen verfüge (110) und die ersten 
dieser Operationen bereits über Jahre zurückliegen, die opera¬ 
tiven Fälle einer grossen Anzahl von Kollegen sowohl durch Demon¬ 
stration auf Kongressen, wie gelegentlich ihrer Besuche in meiner An¬ 
stalt bekannt sind, halte ich es im Interesse der Sache angezeigt, 
unsere bisherigen Erfahrungen, so wie sie liegen, zu veröffentlichen. 

Die bei uns gebräuchlichen Methoden sind mehrfach: Sowohl der 
bereits bekannte, von Vanghetti angegebene Muskelanschluss 
durch Isolierung von zungenförmigen Muskellappen. sowie die von 
Sauerbruch verwendete Methode der Tunnelierung mittels eines 
Hautkanales durch das Muskelfleisch und schliesslich jene Methode 
der Muskelunterfütterung, die ich ursprünglich zur Nutzbar¬ 
machung von kurzen Vorderarmstümpfen in dieser Wochenschrift 
(1917 Nr. 1) angegeben habe. 

Ursprünglich war sie für jene ganz kurzen Vorderarmstümpfe 
gedacht, bei welchen der periphere Ansatz der Bizepssehne noch 
erhalten, der Vorderarmstumpf jedoch so kurz ist, dass er bei Ell¬ 
bogenbeugung in der Haut verschwindet. Seine praktische Ausnützung, 
d. h. Fassung durch eine Hülse oder einen Schnürfurchenriemen. ist 
unmöglich. In diesem Falle legte ich das untere Ende des Bizeps¬ 
muskels bzw. Sehne durch zwei neben Sehne und Muskel im Sulcus 
bicipitalis int. und ext. liegende Schnitte frei, hob diese Hautbrücke 
samt dem darunterliegenden Muskel ab; Gefässe und Nerven wurden 
zurückgeschoben und kommen weiter nicht zu Gesicht, bleiben in ihrer 
Lage mit dem Oberarm in Verbindung. Der abgehobenes, brücken¬ 


artige Lappen besteht also aus Haut, Faszie. Bizepssehne und Muskel. 
Unter diesen brückenartigen Weichteillappen wird ein 12 cm breiter, 
der Brust entnommener, zu einer Röhre zusammengclegter Hautlappen 
gelegt, das periphere Ende der Hautröhre wird mit dem im Sulcus 
bic. ext. gelegenen Hautschnitt exakt vernäht, so dass die Naht der 
Röhre, die mit Katgut ausgeführt ist, nach vorne sieht, also dem 




Bizepsmuskel zugekehrt ist, während der periphere Wundwinkel und 
die an sich anheftende Röhre aus gut ernährtem, ununterbrochenem, 
nahtlosem Hautlappen besteht. Am Hautschnitt, der im Sulcus bic. int. 
liegt, wird die Hautröhre mittels einiger Katgutfädcn in die Wund¬ 
winkel fixiert, um Zerrungen zu vermeiden und um das flächenhafte 
Anwachsen der Röhre zu unterstützen In die Röhre selbst wird 
nur ein kleiner Gazefleck eingefübrt; 
für wichtig halte ich es, bei der Ver¬ 
bandanlegung; das periphere Ende 
des Stumpfes selbst mit einer dicken 
Seidennaht (Turnerseide) so an die 
Brusthaut zu fixieren, dass sich bei 
Bewegungen eher diese Naht spannt 
als der Hautlappen. Der Patient wird 
bei gewollfen und ungewollten Be¬ 
wegungen durch die dadurch ent¬ 
stehenden Schmerzen daran gemahnt, 
die Bewegungen, die den Lappen 
bzw. dessen Anheilung gefährden 
könnten, zu unterlassen. Nach 
14 Tagen wird der Lappen glatt ab¬ 
getrennt und nun die Ansäumung im 
Sulcus bic. int. vorgenommen. Die 
Methode ergibt sehr breite Ka¬ 
näle, die man eigentlich kaum mehr 
mit dem Namen Kanal bezeichnen 
kann, es sind eher breite Spalten, 
die hinter dem Muskel liegen und 
sich mit dem Muskel mitbewegen. 


Flg. 4. Die Hautröhre ist durch- 

Fig 3. Bildung der Harnröhre. geschoben und eingesftumt. 

Sie sind für 2 und mehr Finger durchgängig, je nach der Länge 
des Stumpfes und der Lage der Plastik, denn während wir anfäng¬ 
lich diese Methode nur, wie oben erwähnt, dann anwandten, wenn 
der Bizeps noch ganz vorhanden war, so führten wir sie später auch 
bei Fällen aus, an denen kein Unterarmstück mehr vorlag, bei denen 
nur mehr ein Oberarmstumpf ohne periphere Bizepsinsertion erhalten 
war. Diese Methode wird in ganz gleicher Weise ausgeführt, mit 
dem Unterschied, dass wir es nicht mehr mit der Endsehne, sondern 
nur mehr mit dem Muskelrest zu tun haben, der aber an seinem 
Ende mit der Narbe Zusammenhänge am Hautkanal fest verwächst, 
so dass kein Leergang dieser Hautspalte hinter dem Muskel bei den 
Muskelbewegungen zu befürchten ist Bei der grossen Anzahl von 
derartigen Operationen konnten wir auch nicht ein einziges Mal eine 
Bestätigung dieser mir einigemale vorgehaltenen Befürchtungen vor¬ 
finden. Immer verwächst die Hautnische vollständig mit dem Muskel. 
Uebrigens könnte ebenso wie bei der Trizepsoperation (siehe unten) 
die Röhre mittels einiger Katgutfäden an den Muskel fixiert werden. 
Sie muss natürlich möglichst peripher angelegt werden, um einen 




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Gck igle 


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möglichst grossen Weg zu erreichen, soll nur so breit sein, als das 
Muskelfieisch es ist, da jede überflüssige Breite die Länge des 
Kanales vergrössert und dadurch die Überwachung desselben er¬ 
schwert ist. Wenn dieser Kanal jedoch so breit angelegt wird, dass 
man ihn, wie es in den meisten Fällen, besonders bei langen Stümpfen, 
möglich ist, ohne weiteres umstülpen kann, so lässt er sich in allen 
seinen Teilen dem Auge zugänglich machen, leicht reinigen, aus- 
waschen, einpudern, einfetten, kurz, ebenso rein halten, wie andere 
Hautfalten des menschlichen Körpers. Die Hautfalten liegen auch 
dadurch nicht so ständig aneinander, sind für den Luftzutritt frei, so 
dass die Haut darin ihre natürliche Beschaffenheit nicht 
so leicht einbüsst, wie dies in langen und engen Kanälen der Fall ist. 

Ich glaube damit einige Einwendungen gegen das Verfahren des 
direkten Muskelanschlusses entkräftet zu haben und habe schon 
manchem Zweifler an der praktischen Verwendbarkeit des Ver¬ 
fahrens diese Zweifel angesichts der breiten, mit natürlich ge¬ 
bliebener, in Färbung und Beschaffenheit normaler Haut behoben. 

Beiliegende Bilder können den Gang der einfachen Operation er¬ 
läutern. Auf einige Schwierigkeiten, Einzelheiten und „Kniffe“, die 
erst -die Erfahrung an vielen Fällen bringen konnte, sei noch hinge¬ 
wiesen. 

Besondere Sorgfalt ist auf die Anlegung der Lappenbasis zu 
verwenden. Sowohl bei diesen Operationen, wie bei den häufigen 
Hand- und Fingerplastiken hat es sich gezeigt, dass nicht alle Teile 
der Brust- und Bauchhaut bezüglich ihrer Eignung zur Lappenspal¬ 
tung gleichwertig sind. Ich habe aus diesem Grunde einen meiner 
Schüler (P. W i d o w i t z) beauftragt, sowohl anatomisch wie klinisch 
die Wertigkeit und 1 Topographie der Brust- und Bauchhaut in Bezug 
auf ihre Gefässversorgung und Lappeneignung zu prüfen. Die Er¬ 
gebnisse dieser Untersuchungen sind in der nachfolgenden Arbeit 
beigeschlossen. Wesentlich ist bei der Abtragung des Lappens nicht 
sparsam zu sein, sondern breite Lappen zu nehmen, natürlich je 
nach der Grösse des Stumpfes, doch immer möglichst breit. Auch 
grosse Defekte lassen sich an der Brust- und Bauchhaut leicht decken, 
niemals waren wir gezwungen zu Thierschlappen zu greifen. Die 
Lostrennung des türflügeligen Lappens geschieht am besten stumpf; 
nachdem er Umschnitten wurde, lässt er sich am leichtesten und mit 
der geringsten Blutung wie ein Balg von der Brust abziehen. Der 
entstehende Hautdefekt wind am besten so vereinigt, dass zuerst die 
Mitte der Grundlinie des Hautdefektrechteckes mittels eines starken 
Seidenfadens gegen die Lappenbasis genäht und darauf nach beiden 
Seiten Nähte angelegt und schliesslich die heraufgezogenen Ränder 
seitlich zusammengenäht werden, so dass eine U-förmige Naht ent¬ 
steht. Der in der Naht der Lappenbasis bleibende Defekt wird 
später bei der Abtrennung des Lappens vom Lappenstiel aus gedeckt. 
Krukenb erg schneidet die Lappen in der Mitte knopflochförmig 
an der Basis an und vernäht direkt die eine Knopflochseite mit dem 
freien Rande des heraufgezogenen Hautrandes. Wir sehen davon ab, 
weil ohnehin noch dem Lappenstiel genug Material zur Deckung bleibt 
und die Spannung, zu weit getrieben, vom Patienten zu unangenehm 
empfunden wird. 

Nachdem wir, wie gezeigt, die Methode anfänglich nur bei kurzen 
Oberarmstümpfen für den Bizeps, später auch für den Trizeps sowie 
für die Beugemuskeln des Unterarmes angewendet haben, gleichzeitig 
mit der von Sauerbruch angeführten Methode der Durchbohrung 
des Muskelflefsches mit den engeren, dem Stumpf selbst entnommenen 
Hautlappen, ergaben sich durch die gegenseitige Abwägung und viel¬ 
fach gleichzeitige Verwendung beider Methoden für uns folgende Richt¬ 
linien für die operativen Massnahmen. 

I. Oberarmstumpf. Bei Oberarmstümpfen wenden wir für den 
Muskelanschluss des Bizeps immer die Muskelunterfütterung an, auch 
wenn nur die Hälfte des Oberarmes vorhanden ist. Dadurch rückt 
allerdings die Lappenbildung in die Nähe der Achselhöhle, doch 
ist man so immer noch in der Lage, breitere Lappen zu nehmen, als 
es der Oberarmstumpf selbst hergeben kann. Die Art der Muskel¬ 
unterfütterung weicht nicht von dem oben angegebenen Schema ab. 
Der Bizeps ist gewöhnlich gut beweglich, hängt selten an den Stumpf¬ 
narben, so dass die Lösung seines peripheren Endes meist nicht nötig 
ist, wie es beim Trizeps sehr häufig der Fall ist. Auch die anderen, 
später zu erwähnenden Schwierigkeiten fallen bei diesem Muskel 
weg. 

Für den Trizeps entnehmen wir fast immer den Lappen vom 
Stumpf selbst und müssen uns dabei natürlich mit engeren Kanälen 
begnügen, als dies bei der Entnahme von Brustlappen der Fall ist, 
doch ist die Kraft des Trizeps ohnehin eine geringere und weniger 
ausnützbar, als die des Bizeps, so dass wir jene Funktionen der 
Prothese, die eine grosse Kraft beanspruchen: Fingerschluss, Faust¬ 
schluss, Ellbogenbeugung, an den Bizeps anschliessen. während wir 
den Trizeps nur zu geringeren Kraftleistungen (Ellbogenstrecken, 
Fingeröffnen, Pronation) verwenden. Für diese geringeren Kraft¬ 
leistungen genügt der Anschluss an einen dünneren Stift, der durch 
den engeren Sauerbruchkanal geführt ist, während eine mehr Kraft 
beanspruchende Funktion viel besser an den breiten, in den Spalt 
eingelegten Klotz verteilt wird. Ebenso, wie man an einem kräftigen 
Griffe einen schweren Gegenstand leichter trägt wie an einem dünnen 
Ring, ebenso wird der breite Hautkanal, bei dem die Last an einem 
breiten Griff angreift, der den Druck auf eine grössere Fläche verteilt, 
weniger unter dem Drucke zu leiden haben, wie der enge Hautkanal 
von dem dünnen Stift und die von vielen Autoren befürchteten Ex- 
koriationen, Ekzembildung, werden eher ausbleiben und zu vermeiden 

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sein. Selbstverständlich muss auch, wenn die Kanäle der Haut des 
Stumpfes entnommen werden, diese so breit sein, als nur irgend 
möglich, doch sind diesem Bestreben durch die anatomischen Verhält¬ 
nisse Grenzen gesteckt. 

Auf einige Fehler, die anfänglich von uns gemacht wurden, die 
wir aber auch an Fällen, die uns von anderer Seite geschickt wurden 
und die an Kongressen zu sehen und über die Klagen zu hören ich 
Gelegenheit hatte, sei noch hingewiesen. Die Kanäle sollen, wie 
schon erwähnt, so kurz wie möglich angelegt werden, ferner sollen 
sie senkrecht zur Zugrichtung stehen, da jede Schiefstellung dem 
Mechaniker bei der Ausarbeitung der Prothese grosse Schwierig¬ 
keiten macht und die Ausnützung der Muskelaktion darunter leidet, 
da der Stift sich verschiebt und seine Führung technische Schwierig¬ 
keiten bereitet. Noch unangenehmer gestalten sich die Verhältnisse, 
wenn die Zugwirkung an beiden Enden des Kanales eine verschiedene 
wird und dies tritt dann ein, wenn der Kanal nicht gleichartige 
Muskelpartien durchbohrt. Wenn das eine Ende des Kanales in 
Muskelfleisch liegt, dessen Fasern senkrecht zum Kanal verlaufen, die 
eine grosse Kontraktionsbreite haben, während das andere Ende des 
Kanales in kürzeren Muskelfasern, deren Kontraktionsrichtung zum 
Kanal nicht mehr senkrecht ist, liegt, so erhalten wir eine verschiedene 
Bewegung und Bewegungsrichtung der beiden Kanalenden und wenn 
sie sich schliesslich auch, da sie durch die Haut gebunden, gewisser- 
massen geführt sind, in gleicher Richtung bewegen müssen, so be¬ 
wegen sie sich doch ungleich weit und mit verschiedener Kraft, und 
ein grosser Teil, sowohl des Weges, wie der Kraft, geht verloren. 
Der Mechaniker kann sich dann nicht anders helfen, als dass er 
entweder nur e i n Stiftende, dasjenige, das den grösseren Weg zeigt, 
zur Ausnützung verwendet und das andere. Ende mit einem Knopf 
schliesst, oder dass er jeden Teil mittels einer eingesteckten Olive 
getrennt fasst und gewissermassen N nur die Resultierende zur Ver¬ 
wendung bringt, doch sind dies nur Notbehelfe, die uns die Not¬ 
wendigkeit, geschickter zu operieren und diesen Schwierigkeiten aus¬ 
zuweichen, deutlich vor Augen stellen. Zur Klarlegung liess ich die 
Muskelverhältnisse durcharbeiten (F. Se id 1 e r), die ebenfalls in einer 
beiliegenden Skizze erörtert sind. Aus diesen, sowie aus manchen 
gemeldeten und beobachteten Fehlerfolgen geht hervor, dass wir nur 
jenen Teil des M. triceps z. B. verwenden dürfen, der längsverlaufende, 
parallele Fasern zeigt und jenen ausweichen müssen, die wie die 
kurzen Köpfe, schräg verlaufende Fasern besitzen. Dadurch wird 
der Kanal kürzer, was nur einen Vorteil, und der Weg grösser, was 
für den Prothesenbau eine grosse Erleichterung bedeutet. 

Eine weitere Schwierigkeit ist die häufige Verwachsung des 
Trizeps bzw. seiner ihn deckenden derben Faszie mit dem Knochen 
bzw. der Amputationsnarbe, so dass seine Exkursionen dadurch ab¬ 
geschwächt sind und manchmal geradezu unmöglich gemacht werden. 
Wie noch später hervorgehoben werden soll, werden alle Fälle durch 
Turnen vorbereitet und falls sich die Bewegungsverhältnisse nicht 
ändern und man sich den Eindruck verschafft, dass die starre An¬ 
heftung der Faszie ein dauerndes Bewegungshindernis für den Muskel 
bedeutet, so muss diese Anheftung bei der Operation gelöst werden. 
Da wir gerne, sowohl den Bizeps-, wie den Trizepsanschluss in einer 
Sitzung machen und es nicht gut möglich ist beide Muskeln mit aus 
der Brust oder Rücken entnommenen Lappen zu versehen, so wird 
für den Trizeps der Hautlaooen aus dem Oberarmstumpf selbst ent¬ 
nommen, ausser in jenen Fällen, in welchen die Operation zweizeitig 
gemacht wird oder in jenen, in denen der Patient selbst, wie es sich 
bereits ereignet hat, ausdrücklich für den Trizeps einen ebenso 
breiten Kanal wünscht und sich lieber einer zweiten Operation 
unterzieht. 

Der Gang wäre nun folgender: Mittels eines Türflügelschnittes 
wird möglichst peripherwärts der Trizeos freigelegt und nun. wie 
nach der Vorschrift Sauerbruchs, ein möglichst grosser Kanal ge¬ 
bildet, so dass derselbe wenigstens für einen Finger leicht durch¬ 
gängig ist. Durch die Abtrennung des Hautlapn-ens liegt der Trizeps¬ 
muskel frei, die parallel verlaufenden Längsfasem werden isoliert, 
abgehoben, der Hautkanal darunter geschoben, umsäumt und an¬ 
genäht (s. o.) und nun bei irgendwie starrer Anheftung 
der Faszie, wenn der Trizeps nicht ganz frei beweglich ist, die Faszie 
und der Muskel möglichst peripherwärts vollständig vom Knochen 
abgetrennt und um den Hautkanal herum geschlagen und an den¬ 
selben mittels zweier Katgutnähte fixiert. Der Muskel umgreift also 
jetzt den Hautkanal. Die Hautwunde wird nun dort, wo Haut an 
Haut liegt, mit Seide, wo Haut an Muskel angelagert wird, mit Kat- 
gut möglichst verkleinert, der bleibende Defekt mit einem Thierschlappen 
gedeckt, wobei es sich nach dem Vorschlag von E r 1 a c h e r gut be¬ 
währt hat, den Thierschlappen direkt mit einer feinen Katgutna-ht an 
die Haut zu nähen, dadurch werden Verschiebungen des Lappens bei 
Bewegungen vermieden. Wichtig ist, dass eine möglichst glatte Ober¬ 
fläche ohne Taschen und Nischen entsteht. Verhältnisse, die bei jeder 
Thierschung berücksichtigt werden müssen. Den Thierschlappen 
decken wir. mit einem Stück Blattsilber, das sich uns zu diesem Zweck 
ausgezeichnet bewährt hat und von dem abzugehen wir keinen Grund 
haben. (Siehe Erlachers Doppeltürflügelschnitt.) 

Die auf diese Weise hergestellten Kanäle unterscheiden sich von 
den anfänglich erreichten erstens durch ihre periphere Lage und zwei¬ 
tens durch ihre Kürze und dadurch leichtere Ueberwacbbarkeit, durch 
eine verhältnismässige Breite, durch die gleichsinnige und gleich- 
wegige Bewegung der Kanalenden, sowie durch den verhältnismässig 
grossen Weg, den man durch diese Isolierung erreicht. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1018 


MUBNCH'BNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nt. 37. 


Der Trizeps- bleibt last immer hinter dem Bizepsweg zurück. 
Während wir am Bizeps Wege bis zu 7 cm erreichen, sind beim Tri¬ 
zeps 3 cm schon viel, auch die Kraft bleibt wesentlich hinter dem 
Bizeps zurück, weil wir es dort eben nur mit einem aus parallelen 
Längsfasern bestehenden, kräftigen Muskel zu tun haben, während 
beim Trizeps dadurch, dass die schrägen Fasern aus technischen Grün¬ 
den wegblerben müssen, nur die Kraft eines Teiles der Muskulatur 
zurückbleibt. 

In einem Falle isolierte ich den Trizeps so. dass ich % des 
Trizeps lostrennte, dieses zungenförmige Stück mit Haut umkleidete 
und am Ende der Zunge mit der zusammengerollten Sehne einen 
Knopf bildete. Das übrig gebliebene Viertel des Trizeps genügt, um 
die Ellbogenstreckung auszuführen. Diese am Ende keulenförmig auf¬ 
getriebene Zunge (Vanghetti) bewegte sich nun selbständig, 
wurde hinter der Auftreibung mit einem Ring versehen, an welchem die 
Zugvorrichtungen für die Prothese angreifen. Diese Methode hat sich 
nicht besonders gut bewährt, da der Ring, wenn er nicht verrutschen 
soll, ziemlich stark einklemmen müsste, was auf die Dauer besonders 
zu Kraftleistungen schlecht vertragen wird. Ich musste deshalb spä¬ 
ter zur Durchlochung der Zunge greifen, um diesem Uebelstand ab¬ 
zuhelfen. Die Methode ist kompliziert und konnte nicht in einer 
Sitzung mit dem Anschluss der 'Beuger durchgeführt werden, ist auch 
kosmetisch nicht einwandfrei und es hat sich noch keiner gefunden, 
der die Ausführung dieser Operation gewünscht hätte, obwohl das 
vorhandene Beispiel eine gute Beweglichkeit zeigt und diese an einer 
sehr guten Prothese ausnützt, ein Umstand, der wohl auf das un¬ 
schöne Aussehen zurückzuführen ist. Die Leute ziehen allgemein die 
Tunnelierung vor. 

2. Bei Enukleierten oder so kurzen Oberarmstümpfen, die 
praktisch diesen gleichzuwerten sind, können wir durch Anschluss 
der Prothese an den M. pectoralis oder M. latiss. dorsi immer noch 
kräftige Quellen finden, um die Prothese zu bewegen. Die Operation 
wurde in 12 Fällen ausgeführt, teils mit Durchlegung eines Haut¬ 
kanales durch den Muskel, in letzter Zeit jedoch fast immer mittels 
Ablösung des Muskels von seiner Unterlage und Unterfütterung des¬ 
selben mit einem Kanal. 

Auch hier sind die vorerwähnten Grundsätze zu beachten. Mit¬ 
tels eines Türflügelschnittes mit der oberen Basis nahe dem peripheren 
Ende des M. pectoralis. ’bzw. M. latiss. dorsi, wird der Muskel frei¬ 
gelegt, die Röhre gebildet, und nun der Muskel von seiner Unterlage 
abgehoben. Gewöhnlich ist sein sehniges Ende mit der Narbe fest 
verwachsen, so dass die Gefahr besteht, dass kein vollständiger Weg 
erreicht werden kann. Es ist also besser, ähnlich wie beim Trizeps 
ihn ganz abzulösen, um den Kanal herumzuschlagen und dort zu 
fixieren. Durch Lappenverschiebung gelingt es leicht, den Hautdefekt 
vollständig zu schliessep, sowohl beim M. pect., wie beim M. lat. dors. 
Wichtig ist, dass der Kanal senkrecht zum Faserverlauf angelegt 
wird, um nichts vom Weg zu verlieren. Die bisherigen Prothesen 
wurden so konstruiert, dass der Pektoralis zum Fingerschluss und 
der M. lat. dors. zur Ellbogenbeugung verwendet wurden, welcher 
auch eine leicht abduzierende Komponente zur Wegführung des 
Armes vom Körper beigefügt war. 

3. Vorderarmstümpfe. Beim Vorderarm ergeben sich grössere 
Schwierigkeiten wie beim Oberarm und auch die Misserfolge, die beob¬ 
achtet werden, sind am Vorderarm häufiger. Die Gründe sind anatomi¬ 
scher Art. Sowohl bei den Beuge- wie bei den Streckmuskeln haben 
wir es nicht mit einheitlichen Muskelmassen zu tun. sondern mit ver¬ 
schiedenen Muskeln, mit verschiedener Wegrichtung und verschie¬ 
dener Faserlänge. Wenn nun, wie es vielfach geübt wird, einfach 
ein enger, langer Hautkanal durch die Beugemuskulatur durchgescho¬ 
ben wird, so wissen oder wussten wir nicht, durch welche verschie¬ 
denen Muskelgruppen der Hautkanal dringt. Der Erfolg war, dass 
sich diese verschiedenen Bewegungen vielfach interferieren, wir es 
also nicht mit einer einfachen Bewegung, sondern mit einer Resul¬ 
tierenden von verschiedenen Zugkräften und Wegrichtungen zu tun 
haben, und zwar an jedem Kanalende verschieden. Bei der Streck¬ 
muskulatur des Vorderarmes kommt hiezu noch ebenso wie beim 
Trizeps, dass sie von einer derben Faszie überkleidet ist, die vielfach 
mit der Amputationsnarbe straff zusammenhängt, so dass in einigen 
Fällen der Ausschlag ausserordentlich gering war. Beobachtungen, 
die auch von anderer Seite bestätigt wurden (Prüfstelle für Ersatz¬ 
glieder, Berlin). Die Verhältnisse liegen ähnlich wie beim Trizeps, 
auch hier müssen wir in erster Linie danach trachten. Muskelkräfte 
zum Anschluss heranzuzehen, die gleichsinnig wirken, die eine mög¬ 
lichst gleich grosse Kontraktionsgrösse und auf jeden Fall eine gleiche 
Zugrichtung haben. Der Beugerwulst wird nun von den Handbeugern, 
den Fingerbeugern und dem Pronator zusammengesetzt. Wenn wir 
ein Kanalende im schräg verlaufenden Pronator sitzen haben, das 
andere in dem Muskelfleisch der Fingerbeuger, so werden sich daraus 
schon technisch ganz unhaltbare und schlecht ausnützbare Verhält¬ 
nisse ergeben. Aus diesem Grund haben wir das Verfahren in fol¬ 
gender Weise abgeändert: 

a) Für die Beuger, die für mehrere Kräfte beanspruchende Funk¬ 
tion verwendet werden (Faustschiuss), wird die Unterfütterung mit 
einem ungefähr 8 cm breiten Hautlappen von der Brust entnommen. 
Bei der 'Lostrennung Beobachtung der Gefahrzone. 

•b) Für die Strecker wird die Haut vom Stumpf selbst genommen, 
um beide Operationen in einer Sitzung durchführen zu können. Die 
Anschlussoperation wird möglichst peripher, dort, wo die Sehne in 
den Muskel überzugehen beginnt, ausgeführt. Nach Freilegung des 

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Muskels, sei cs durch einen Tierflügelschnitt. sei cs durch 2 Längs¬ 
schnitte, werden die einzelnen Muskeln auf ihre Richtung untersucht. 
Am besten führt man die Operation in Lokalanästhesie aus und lässt 
den Patienten die den Muskeln eigentümlichen Bewegungen (Hand¬ 
beugen, Fingerbeugen) ausführen. Dabei kann man sich am besten 
über die Wertigkeit und Eigenschaft der Muskeln Klarheit ver¬ 
schaffen. Man wird sehen, dass bei einzelnen die Sehnen fest mit dem 
Knochen verwachsen sind und deshalb überhaupt kein Weg vorhanden 
ist, bei anderen, dass sie innen Narben besitzen und deshalb nicht 
funktionieren. Man wird die kräftigsten, längstwegigen, sowie jene 
aussuchen, deren Zugriclitung gleichartig ist. Die Muskeln werden am 
besten peripher gelöst, um den Hautlappen hcrumgeschlagen und an 
diesem mit Katgutnähten befestigt. Bei den Streckern achte man noch 
auf die Verbindung der derben Faszie, die fallweise gelöst und ab¬ 
getrennt werden muss. 

Auf diese Weise erreicht man kurze breite Kanäle mit b ek a n n- 
t c r Zugrichtung, die technisch viel besser und sicherer zu verwerten 
sind, die die Aufnahme einer breiteren Achse gestatten, kurz, die ein 
grosser Teil jener Vorwürfe nicht trifft, die der Methode unge¬ 
recht e r w e i s e gemacht werden. Die Ausführung der Methode 
ist dieselbe wie die beim Bizeps bzw. Trizeps erwähnte, der Kanal 
wird natürlich nicht so breit sein können, wie man den Spalt hinter 
dem Bizeps anlegcn kann, doch muss er auf jeden Fall für einen Fin¬ 
ger durchgängig angelegt werden. 

Selbstverständlich lassen sich auch auf diese Art verschiedene 
Muskeln zu mehrfachen Kraftquellen isolieren und benützen, doch 
kompliziert dies den Prothesenbau immer mehr und bedeutet eine 
um so schwierigere Lösung der Frage. 

4. Für den Quadrizeps gelten ähnliche Vorschriften, wie für den 
Trizeps. Auch hier dürfen wir bei der Anlegung des Kanales nach 
Sauerbruch nicht den Vastus ext. oder int. treffen, sondern wir 
nehmen am besten die Rektusfasern, die wir sowohl durchbohren, 
wie unterfüttern können. Auf jeden Fall werden wir einen grösseren 
Weg und eine gleichsinnigere Bewegung erzielen, als wie wenn der 
Kanal ohne Beachtung der anatomischen Verhältnisse duich das Mus¬ 
kelfleisch gebohrt wird. 

Der Kanal muss breit angelegt und der Hautdefekt mit einem 
Thierschlappen gedeckt werden. 

Wenn diese Vorsichtsmassregeln beobachtet werden, so gelingt 
es, dauerhafte, leicht zu überwachende, leicht zu reinigende Haut¬ 
röhren herzustellen, in welchen die Haut ihre Beschaffenheit behält 
nicht durch Nässe, Exkoreationen einen narbigen Uebergangscharak- 
ter annimmt und dadurch schliesslich für Beanspruchung auf Druck 
ungeeignet wird, denn darüber müssen wir uns klar sein: wenn diese 
Kanäle für Dauerarbeit benützbar sein sollen, so werden an die 
Haut ziemlich grosse Ansprüche gestellt. Es genügt nicht, zu Demon¬ 
strationszwecken die Prothese zu zeigen oder sie stundenweise zu 
tragen, sondern erst dann wird man darüber urteilen können, wenn 
Arbeitsprothesen tatsächlich lange Zeit in Gebrauch stehen. Wenn 
es jedoch schon gelingt, eine einfache Prothese herzustellen, bei wel¬ 
cher durch einen Anschluss des Ellbogengelenkes an den Bizeps eine 
Arbeitsprothese willkürlich im Ellbogen gebeugt werden kann, so 
ist damit schon sehr viel gewonnen, weil der Oberarmamputierte da¬ 
durch einem Unterarmamputierten näher kommt. Er hat eine im Ell¬ 
bogen willkürlich bewegbare Prothese, die an ihrem Ende eine 
Kellerklaue trägt oder irgendeinen anderen zur Arbeit gebrauchten 
Ansatz. 

Ein von mir mittels Muskelunterfütterung Operierter befindet 
sich bereits über ein Jahr in Arbeit und ist mit seiner Prothese sehr 
zufrieden. Aber auch weun die Prothese nicht zur Schwerarbeit be¬ 
nützt wird, wenn sic schliesslich nur dazu dienen soll, leichte Tätig¬ 
keiten des täglichen Lebens zu verrichten, um 1 einen in einem Re¬ 
präsentationsberuf Stehenden den Mangel seiner Hand weniger fühl¬ 
bar zu machen, so ist damit bereits sehr viel gewonnen und kein 
Grund vorhanden, gegen die Methode ein abträgliches Urteil zu fällen, 
da die anderen Methoden nicht einmal soviel erreichen und 
jedenfalls die leichten, eleganten Bewegungen dieser Hand, die die 
andere Extremität, die Schulter vollständig unberührt lassen, mit den 
zwangsläufigen Bewegungen jener Arme, die durch Kraftquellen 
ausserhalb des Stumpfes bewegt werden, nicht zu vergleichen sind. 

Auf eines sei noch besonders hingewiesen. Wir lassen, ebenso 
wie Sauerbruch, unsere Patienten sowohl vor Ausführung der 
Operation, wie insbesondere nachher, die Muskeln fleissig üben. Vor 
allem um die Art der Anheftung klarzulegen, um zu erkunden, ob der 
Muskel überhaupt sowohl eine Volums- wie Kraftzunahme erwarten 
lässt, ob nicht innere Narben nach früheren Eiterungen usw. von 
vornehinein einen günstigen Erfolg ausschliessen. Erst wenn sich 
nach längerer Uebung gezeigt hat. dass der Patient die 'Muskeln 
tatsächlich mit steigender Kraft und steigendem Weg bewegt, wenn 
er die einzelnen Bewegungen. Beugen. Strecken, d. h. Bizepskontrak¬ 
tion, Trizepskontraktion, getrennt durchführen kann, wird die Opera¬ 
tion ausgeführt. Nach der Operation wird das Abheilen abgewartet. 
Auch die jungen Narben dürfen nicht durch zu frühes Einfuhren der 
Stifte zu sehr gereizt werden, der Hautkannl muss vorsichtig an die 
steigende Belastung gewöhnt werden, das Turnen setzt erst wieder 
einige Wochen nach völligem Verheilen ein. dann aber muss kon- 
seauent geübt werden, und zwar nicht nur in den täglichen Turn¬ 
stunden, sondern nach ärztlicher Verschreibung auch an einfachen 
Rollenapparaten im Zimmer, da es in einigen Fällen vorgekommen 
ist, dass durch das Einsetzen einer halbstündigen Uebungszeit mit 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



10. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1019 


den an den Stift befestigten Gewichten Schädigungen des Kanales 
entstanden sind, während bei den jede Stunde eingeschobenen, 
in ihrer Kontraktionszahl vorgeschriebenen Bewegungen im Zimmer 
derlei Zwischenfälle vermieden werden können. Das Turnen selbst 
muss von einem verständigen, von einem Arzt angeleiteten Turn¬ 
lehrer überwacht werden, was besonders bei unserer, verschiedenen 
Nationalitäten angehörenden Bevölkerung ausserordentlich schwierig 
ist, da sich der Lehrende hier mehr auf Nachahmung, wie auf Befehls¬ 
gebung verlassen muss. 

Die Uebungen werden mit beiden Armen gleichsinnig ausgeführt, 
um den Patienten durch die Bewegungen des gesunden Armes die 
Bewegungen der Muskeln des Stumpfes begreiflich zu machen. An 
Kurven lässt sich die rasche Wegzunahme bei regelmässigem Turnen 
zeigen, besonders durch Ueben vor der Operation, im Vergleich 
zu jenen Fällen, die eine ungeübte Muskulatur besitzen. 3 

Für alle diese Fälle ist wesentlich die Konstruktion hochwertiger 
Prothesen, die auf alle Einzelheiten Rücksicht nehmen müssen, auf 
alle Erfolge, wie auf alle Fälle, die durch die Operation gemacht 
werden. 

Im Punkte der Korrektur von weniger gut geratenen Fällen sei 
noch zum Tröste jener, die fehlerhafte Kanäle angelegt haben, einiges 
hinzugefügt. Zu enge Kanäle, die innen wund werden oder „immer 
innen wund waren“, lasse man zuheilen. Dem Vorschlag, Kanäle mit 
Thierischlappen auszukleiden, stehe ich äusserst skeptisch, wenn 
nicht ablehnend gegenüber, besondere Druckansprüche werden diese 
Kanäle niemals vertragen. Wenn Drüner schon verlangt, dass die 
Hautkanäle möglichst vaskularisiert und vollständig innerviert sein 
sollen, so wird ein derartiger halbnarbiger Kanal ganz un¬ 
brauchbar sein. Zur Vernarbung hinneigende Kanäle lasse man 
ruhig verheilen, aus denen wird nichts mehr. Ist die verheilte Stelle 
in der Mitte, so gelingt es durch Einführung von 2 Oliven, die durch 
einen Halbring mit einander in Verbindung stehen und die in die 
Enge des Kanales eingeführt sind, die Achse einigermassen zu er¬ 
setzen. Ist nur ein Ende erhalten, so kann man das blinde Ende des 
Hautkanales nach aussen präparieren auf die Weise, dass man den 
Kanal austamponiert und ihn so nach aussen säumt, wie einen Anus 
imperforatus. Es ist mir auf diese Weise gelungen, einen Haut¬ 
kanal zu retten. Aus einem nekrotisch gewordenen wunden Haut- 
kanai einen brauchbaren Kanal zu machen, ist mir nicht gelungen, so 
dass ich eigentlich vor allen Versuchen solche Hautkanäle durch 
Salbenverbände, Paraffinstäbc, Thierschlappen, Epithelbrei zu er¬ 
halten, abraten muss. Zum mindesten kommt nichts Brauchbares da¬ 
bei heraus. Es ist daher für Patient und Arzt besser, die Operation 
an einer anderen günstigeren Stelle zu wiederholen. 

Von den Prothesen haben wir zweierlei in Gebrauch: 

1. die obenerwähnte Arbeitsprothese, bestehend aus einem Ober¬ 
armgerüst, einfachen Ellbogen, kurzem Unterarmgerüst mit dem 
Aufnahmsor^an für den normalisierten Ansatz. Im Bizepsspalt liegt 
ein ihn ausfüllender Eifenbeinklotz, durch welchen eine Stahlseele 
seht. Diese Stahlachse ist mittels eines Hebels mit dem Unterarm 
in Verbindung, und der Bizeps ist nun imstande den Unterarm kräf¬ 
tig und willkürlich zu beugen. Mit diesem Arm können mit ent¬ 
sprechenden Klauen schwere Arbeiten ausgeführt werden. Ebenso 
lassen sich einfache Klauen, die willkürlich geöffnet und geschlossen 
werden können, damit in Verbindung bringen, obwohl meiner Ansicht 
nach die einfachen Ansätze zur Arbeit vorgezogen werden sollen und 
die feiner konstruierten Apparate mindestens für die Schwerarbeit 
weniger tauglich sind (Landwirtschaft). 

2. Kunstarme, bei denen es sich um die Betätigung von Ellbogen 
und Hand handelt im Sinne der natürlichen Hand. Bei Oberarm- 
Stümpfen erreichen wir die Beugung des Ellbogens und Faustschluss, 
entweder nach der alten Type durch Umschaltung mittels eines 
Knopfes, der an die Seitenwand des Rumpfes gedrückt wird, so dass, 
ähnlich wie bei einer Automobilumschaltung. die Bizepskontraktion 
sowohl die Ellbogenbeugung wie nach Umschaltung den Faust¬ 
schluss in jeder Stellung bewirkt, während die Trizepsmuskulatur zur 
Pronation verwendet wird. Fingerstrecken und Supination erfolgen 
durch Federwirkung. Besser bewährt hat sich die neue Type, bei 
welcher die Ellbogenbeugung durch Hebung des Stumpfes, also 
zwangsläufig mit dem Schulter gelenk, der Faustschluss durch die Bi¬ 
zepswirkung und die Pronation durch den Trizeps ausgelöst wird. 
Wenn auch möglichst der natürlichen Physiologie der Bewegungen 
entsprechend gleichsinnige Bewegungen von den Stumpfmuskeln ver¬ 
langt werden sollen, so muss man meiner Ansicht nach damit nicht 
allzu starr vorgehen. Die Leute lernen rasch um, und es bildet sich 
sehr bald ein Muskelgefühl auch für die Prothesenbewegungen aus, 
was man besonders bei doppelseitig Armamputierten beobachten 
kann. Leute, bei denen der Trizeps die Pronation ausführt, erlernen 
sehr rasch, ohne darauf zu sehen, einen ganz bestimmten Drehungs¬ 
winkel einzustellen; doppelseitig Armamputierte mit „Drehhänden“, 
bei welchen die Pro- und Supination des Stumpfes zum Oeffnen und 
Schlüssen der Finger verwendet wird, können sehr bald die Finger- 
öifnung auf den Zentimeter genau einstellen, ohne hinblicken zu 
müssen. Die Not lehrt auch hier sehr schnell. Die Einarmigen lernen 
es natürlich langsamer, weil sie es eben nicht notwendig 
haben. 

Bei Vorderarmprothesen benützen wir die Beuger zum Finger¬ 
schluss, die Strecker zum Fingeröffnen oder zum Beugen des Hand¬ 
gelenkes, je nach Bedarf. Die Pro- und Supination wird vom Stumpf 
selbst ausgeführt. Die Schwierigkeit liegt meistens darin, dass der 

Nr. 37. 

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Weg hier kein sehr grosser ist, besonders bei Vorderarmstiiinpfen. 
Wege von 2 cm sind schon sehr gross, gewöhnlich sind sie am 
Unterarm nur 15 mm und sehr oft nur einige Millimeter. Damit 
lassen sich nun die wenigsten von den bisher konstruierten Händen 
mit Kraft bewegen; insbesondere jene, bei welchen mit einem 
Muskelzug die Schliessung. Sperrung und Oetfnung (wie beim Carnes- 
arm) hervorgebracht werden sollen, brauchen einen langen Weg, 
der nicht zur Verfügung steht und jedenfalls sehr schwer zu erreichen 
ist. Die nach der früher erwähnten Methode der vollständigen Mus¬ 
kelisolierung geschaffenen Kanäle bieten bessere Bedingungen und wir 
hoffen dadurch dem Ziel näher zu kommen. 

Jedenfalls ist das Höchstinass an Wirkung nur erreichbar, wenn 
sich Operateur und Techniker hier in die Hand arbeiten und letzterer 
ohne viel Murren korrigierend eingreiit und anderseits der Opera¬ 
teur die noch überhaupt möglichen Korrekturen dem Wunsche des 
Technikers entsprechend anbringt. Ja, es ist vorteilhaft, sich vor der 
Operation mit dem Techniker zu besprechen über die Anlage der 
Oeffnungen, über die Anlage des Spaltes, über die Richtung der 
Kanäle, um später nicht mit den Konstruktionseinzelheiten* in Kampf 
zu geraten und dem Techniker unnötige Schwierigkeiten zu bereiten, 
durch Kreuzung der Achsen, durch die Unmöglichkeit, Schienen an¬ 
zubringen usw. Operateur, Turnlehrer und Techniker müssen hier 
gemeinsam arbeiten, mit gemeinsamem Verständnis und gemeinsamem 
guten Willen den gleichen Weg gehen und hiebei von sehr guten 
Arbeitern unterstützt werden, die gut geleitet in das Wesen dieser 
Arbeit eindringen und bei dieser Arbeit dann bleiben müssen, was 
nur in grösseren Anstalten, die infolge ihrer breiteren Anlage die 
Arbeitsteilung vollständig durchführen können, der Fall sein kann. 
Dazu ist es aber unbedingt notwendig, dass die Werkstätten sich im 
Orte des Operateurs befinden, d. h. Operations- und Werkstätten¬ 
leitung müssen in einer Hand sein oder wenigstens räumlich und 
organisatorisch eng verbunden. Es ist ganz unzweckmässig, die ver¬ 
hältnismässig einfache Operation irgendwo von ungeübten Kräften 
ausführen zu lassen, die oft mangelhaft operierten Fälle an eine andere 
Stelle zur Anfertigung von Apparaten zu schicken, die vielfach den 
schwierigeren Teil des Problems darstellen. Es ist im Gegenteil an¬ 
zuraten, die Herstellung dieser Apparate sowie die Vornahme der 
Operation an bestimmten Stellen zu zentralisieren, um nicht zum 
Schaden der Verletzten Fehler wiederholen zu lassen, die sich nach¬ 
träglich nicht einmal mehr beheben lassen. 


Aus dem k. u. k. Reservespital Nr. 11 (orthopädisches Spital 
u. Invalidenschulen). (Komm.: Ob.-St.-A. Prof. Dr. H. S p i t zy.) 

Gefahrenzonen bei Fernplastiken. 

(Mit besonderer Berücksichtigung der fernplastischen 
Muskelunterftitterung.) 

Von Dr. Paul Widowitz, k. u. k. Oberarzt. 

Die seit Kriegsbeginn währende Bemühung der Prothesenärzte 
um die Schaffung einer zweckentsprechenden, allen Anforderungen 
genügenden Armprothese hat seit der Einführung der kinetischen Pro¬ 
these mit direktem Muskelanschlusse einen grossen Fortschritt zu 
verzeichnen. Neben anderen Methoden (so von Vanghetti, 
Sauerbruch und Kruken b erg) haben wir in der Spitzy- 
schen Muskelunterfütterungsoperation mittels Fernplastik zur Erlan¬ 
gung einer Anschlussprothese ein Verfahren gewonnen, das heute 
Gemeingut der meisten Orthopäden geworden ist. Auch die an¬ 
fängliche Abneigung der Amputierten gegen eine neuerliche Opera¬ 
tion ist bereits geschwunden; angesichts der offenkundigen Erfolge 
ist das spontane Zuströmen von operationswilligen Patienten so gross, 
dass wir mit der Bestellung von Arrnprothesen kaum nachkommen 
können. Meine Aufgabe soll es sein, alle jene Erfahrungen, die ich 
an Hand einer Nachuntersuchung von ungefähr 52 Fernplastiken ge¬ 
wonnen habe, mitzuteilen. Neben den Spitzysehen Muskelunter¬ 
fütterungsoperationen bezog ich alle fernplastischen Fingerneubil¬ 
dungen, Narbenersätze usw. in die Untersuchung ein. ln erster und 
letzter Linie will ich alle jene Forderungen, die auf ein einwandfreies 
Gelingen der Fernplastik und auf die primäre Einheilung des Lappens 
abzielen, aufstellen und sie einer kritischen Diskussion unterziehen. 
Die Untersuchung ist erfolgt im Aufträge meines Spitalkommandan- 
ten, der aus der Verschiedenheit des Heilungsverlaufes der unter 
gleichen Voraussetzungen gemachten Operationen den Verdacht auf 
das Bestehen von „Gefahrenzonen“ lenkte. 

Die erste und wichtigste Forderung betrifft die Vermeidung der 
die prima intentio bedingenden Lappengangrän, die bei autoplastischen 
Operationen mit Bildung langer gestielter Lappen stets eine grosse 
Schwierigkeit bildete und gar manche Frage nach Hintanhaltung der 
durch Lappengangrän verursachten Sekundärheilung unbeantwortet 
liess. Eine Forderung ist es, die doppelt laut nach Klärung dieser 
Frage verlangt, da die durch Lappengangrän bedingte Demarkierungs- 
entzündung, wie wir sie in grösserem und kleinerem Masse öfters 
beobachten mussten, unangenehme Folgen auf die technische Aus¬ 
nützung der Unterfütterungsmethode nach sich zieht. Ganz abge¬ 
sehen von dem langen misskreditierenden Heilungsverlauf führt der 
Ausfall des demarkierten Hautstückes dazu, dass der Muskelkanal 
teilweise obturiert, bzw. stencsiert, teilweise narbig verzogen wird 
und so von der gewünschten Zugrichtung abweicht. Eine Erschei- 

2 

Original ftom 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


nung ist es, die wir bei engen Kanälen, wie es die Sauerbruch- 
sehe Methode schafft, besonders häufig beobachten mussten. Auch 
durch narbige Anheftung kann die „Hubhöhe“ derartig beeinträchtigt 
werden, dass von einer entsprechenden Auslösung des Bewegungs¬ 
mechanismus in der Ausschlussprothese keine Rede mehr ist. Einen 
weiteren nicht zu übersehenden Uebelstand der Sekundärleitung bildet 
die grosse Verletzlichkeit der narbig veränderten Muskelkanalhaut, die 
immer wieder rezidivierend Entzündungen unterworfen ist und auf 
diese Weise den Gebrauch der Anschlussprothese zeitlich stark ein¬ 
schränkt. Die nächste Folge dieser rezidivierenden Entzündung ist 
schliesslich ein chronisch nässendes Ekzem, das mit seinen Sekreten 
auf die bei uns probeweise statt der. teueren Elfenbeinstifte ver¬ 
wendeten Kanalstifte aus Gallalith quellend und deformierend ein¬ 
wirkt. Diese knapp gehaltene Schilderung der beobachteten Folge¬ 
zustände nach einer durch Lappengangrän bedingten Sekundärheilung 
zwingt uns, alle jene Umstände, die eine Nekrose aus der Fernplastik 
ausschliessen lassen, ins Auge zu fassen. Ausser den bekannten 
Gesetzen über die Technik der Lappenfernplastiken (Verhältnis zwi¬ 
schen Länge und Breite des Lappens, Ausschalten jeder Torsions- und 
Knickungsmöglichkeit. Einbeziehung der Fascia superficialis etc.) er¬ 
scheinen uns besonders drei Hauptforderungen, deren Wichtigkeit 
schon zum Teil aus anderen Arbeiten über Fernplastiken erhellen, zur 
Erreichung der primären Einheilung des Lappens unerlässlich: 

1. die richtig gewählte Topographie der Mitte der Lappenbasis, 

2. die Immobilisierung des eingenähten Lappens an den fixierten 
Stumpf (bzw. Extremität), 

3. die Anwendung konservativ unterstützender Behelfe zur 
zwangsweisen Ausbildung des Kollateralkreislaufes. 

ad 1: Die Berücksichtigung des Verlaufes der Hautgefässe und 
ihre Einbeziehung in den Lappen war stets eine strenge Forderung, die 
aber infolge der immerhin bestehenden Verschiedenheit im Verlaufe 
der Endarterien und der d unit zusammenhängenden abweichenden 
anatomischen Befunde dem Chirurgen einen weiten Spielraum in der 
örtlichen Wahl des Lappens lassen und so die erste Fehlerquelle bilden. 
Dennoch haben sich auf Grund meiner vergleichenden Untersuchungen, 
bei denen ich die anatomischen Befunde (von Spalteholz, Toldt 
und Walcker) über den Verlauf der Hautarterien dem Heilungs¬ 
gange unserer den fernplastischen Operationen unterzogenen Patien¬ 
ten gegenüberstellte, Gesetzmässigkeiten nachweisen lassen, die das 
Ausschalten von bestimmten Zonen für die Wahl der Lappenbasis als 
unerlässlich erscheinen lassen. Um es gleich vorwegzunehmen; 




abb 2 

es sind dies Zonen, in deren Bereich auf keinen Fall die Mitte der 
Lappenbasis, der nutritiven Matrix des ganzen Lappens, angelegt 
werden darf. Ich bin bei der Untersuchung von der Voraussetzung 
ausgegangen, dass es bei der primären Einheilung des Lappers nur 
auf die topographisch richtig gewählte Lappenbasis ankommt. Denn 
diese muss als Trägerin des letzten sicher zu rechnenden Gefässes an¬ 
gesehen werden, das die Kraft aufzubringen hat, die Ausbildung des 
Kollateralkreislaufes Im gesamten abgehobenen Lappen zu erzwingen. 
Während auf die neubildende Kraft des im abgehobenen Lappen be¬ 
findlichen Gefässrestes infolge der Lageveränderung, Thrombosierung 
und Umschneidung kein allzu grosser Verlass sein kann. Die Mitte 
der Lappenbasis ist daher angewiesen, an ein entsprechend kräftiges 
Gefäss angeschlossen zu werden. Aus dem Gesagten geht hervor, 
dass die Wahl des Ortes der Lappenbasismitte entscheidend für Leben 
und Tod des ganzen Lappens ist. 

Ein vergleichender Blick auf die uns zur Verfügung stehenden 
anatomischen Befunde lässt sofort erkennen, dass es in der Haut 
Zonen gibt, die für den oben geforderten Anschluss an ein ent¬ 
sprechendes Gefässsystem taugen, bzw. nicht taugen. Die auf diese 
Voraussetzung hin angestellten Nachuntersuchungen bei allen für fern¬ 
plastische Operationen der oberen Extremität in Betracht kommenden 
Hautbezirke des Rumpfes haben nur drei Zonen ergeben, die das Ein¬ 
treten der Lappengangrän fast zur Norm machen. Nennen wir diese 


Zonen nach einem Vorschläge Spitzys „Gefahrenzonen“, so haben 
wir als erste Gefahrenzone: die in der Höhe des Angulus Ludovici be¬ 
ginnend, sich längs der Medianlinie in 2Yi cm Breite bis 6 cm über dem 
Nabel erstreckt, um sich, auf 1 cm Breite verringernd, bis zum Nabel 
fortzusetzen und dann wieder in der anfänglichen Breite, angelehnt an 
die Medianlinie, 8 cm unter dem Nabel zu endigen. (S. Abb. 1.) 

Die zweite Zone, wegen der Häufigkeit der Konfliktsmöglichkeit 
besonders berücksichtigenswert, beginnt in derselben Höhe, die Para¬ 
sternallinie als Mitte einnehmend, in 3 cm Breite und erreicht in einem 
leicht nach innen konvexen Bogen an Breite etwas zunehmend in der 
Höhe des Schwertfortsatzes die Mammillarlinie. In der Mammillar- 
linie verläuft die etwa 6 cm breite Zone vertikal abwärts bis zur 
Nabelhöhe, von wo aus sie, sich auf 3 cm stufenförmig verrin¬ 
gernd, nach innen unten verlaufend, in Handbreite unter dem Nabel 
wieder zur Parasternallinie stösst (Abb. 1). 

Die dritte Zone setzt am hinteren Rand der Achselfalte an und 
verläuft in 7 X A cm Breite etwas nach vorne und unten und erreicht 
in der Höhe des 5. Interkostalraumes die Axillarlinie (Abb. 2). 

Diese Gefahrenzonen haben natürlich auch ihre Gültigkeit für die 
durch Nachbarlappen gewonnenen Plastiken, d. h. mit der ergänzenden 
Einschränkung, dass es Gegenstand weiterer Arbeiten wäre, in ver¬ 
gleichenden Untersuchungen mit den Heilungsergebnissen von Nach¬ 
barlappenplastiken neue Gefahrenzonen zu erschliessen. die für die 
Fernplastiken nicht in Betracht kommen. Beim Durchlesen der nur 
spärlich vorhandenen Literatur habe ich eine indirekte bemerkens¬ 
werte Bestätigung meiner ersten Forderung durch Sievers ge¬ 
funden, der für die Wahl des fernplastischen Lappens am Rumpfe 
den Hautbezirk in der Höhe der 7. Rippe mit der ausdrücklichen Er¬ 
gänzung „ausserhalb der Mammillarlinie“ vorschlägt. Gegenüber dem 
festgestellten Pessimum der Anlage der Lappen beantwortet sich 
die scheinbar schuldig gebliebene Frage nach dem Optimum von 
selbst, da die ausserhalb der Gefahrenzonen angelegten Lappen fast 
immer Primärheilung ergeben haben. 

Ad 2: Die Immobilisierung des eingenähten Lappens an den 
fixierten Stumpf! Eine Regel, die seit jeher von allen Plastikern 
mehr oder weniger stark betont wird. Es handelt sich bei der 
Immobilisierung um nichts anderes, als um die Schaffung von Ruhe¬ 
verhältnissen, die dem implantierten Lappen die Möglichkeit geben, 
seinen eigenen privaten Kreislauf ohne störende Einflüsse von seiten 
einer Lappentorsion oder Quetschung zu bilden. Eine Forderung ist 
es, der auch vom selben Gesichtspunkte aus die von Perthes an- 




Abb. 3 Abb. 4. 

Fixation an eine Dreieckschiene. Fixation mittelst Oipsschalenverband. 

gegebene „Vorbereitung des Lappens in situ“ Rechnung trägt. Per¬ 
thes strebt nämlich durch die mehrere Tage währende Belassung 
des umschnittenen Lappens auch nach solchen Ruheverhältnissen, 
die wir durch feste Fixierung einzeitig, nicht wie Perthes 
zweizeitig erreichen. Die Immobilisierung ist um so fester 
geboten, je weiter die plastische Stelle vom Schultergelenk 
entfernt und je grösser die dadurch bedingte Exkursions¬ 
möglichkeit ist In unserem Spitale wird zur Erreichung dieses 
Zieles nach Ausschliessung aller Torsions- und Knickungsmöglichkeiten 
der Stumpf mittels Turnerseide durch eine Situationsnaht an den 
Rumpf befestigt. Die Anheftung findet derart statt, dass bei unge¬ 
wünschten Bewegungen, noch bevor es zu einer Zerrung am Lappen 
kommt, durch Einschnürung an der Nahtstelle eine Schmerzempfin¬ 
dung ausgelöst wird, die den Patienten zur Ruhehaltung zwingt. 

Bei Fernplastiken arn Vorderarm wird die Extremität noch oben¬ 
drein durch Fixation an eine Dreieckschiene (Abb. 3), am Oberarm 
durch Fixation an eine Gipsschale (Abb. 4) zur grösstmöglichsten 
Ruhigstellung gebracht. 

An dieser Stelle scheint es mir geboten, unsere Ansicht über 
den Zeitpunkt der „Lösung“ (= Abschneiden der Lappenbasis) mit¬ 
zuteilen. Wir kennen nur eine untere Grenze, die mit dem 14. Tage 


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10. September 1918. 


MUENCHEN'ER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


1021 


post Operationen! gegeben ist, während die obere Grenze des Lö¬ 
sungstermines, je nach der Solidität und Reinheit des Lappens und 
seiner Umgebung, individualisiert in die Zeit vom 14.—28. Tag nach 
dem ersten Teil der Operation fällt. 

Ad. 3. Die dritte Forderung betrifft die Anwendung konservativ 
unterstützender Behelfe zur zwangsweisen Ausbildung eines Kol- 
lateralkreislaufes. Um gleich in medias res zu gehen: es handelt sich 
einerseits um die Verwendung der Bi ersehen Stauung, anderer¬ 
seits um die lokale Applikation von trockener Wärme in Form von 
Föhn. Wir wenden die Bier sehe Stauung mit Erfolg nach den be¬ 
kannten Prinzipien an; in dem einen Falle, wo wir bei Sauer¬ 
bruch scher Unterfütterung mittelst Nachbarplastik sowohl Lappen¬ 
geber wie Lappenempfänger unter erhöhtem Drucke stauen, in dem 
anderen Falle, wo es sich um die Spitzy sehe Methode der Unter¬ 
fütterung handelt, setzen wir durch die Bi ersehe Stauung der Ex¬ 
tremität nur den Lappenepipfänger unter venöse Stauung (Anwendung 
vom 3. Tag ab). 

Diese einseitige Stauung scheint auf den ersten Blick einen 
Widerstand für das junge sprossende Gefäss zu bedeuten. Der Er- 
iolg lehrt uns in diesem Falle eine andere Deutung der Stauungs¬ 
wirkung annebmen zu müssen. Wir sind hiebei von dem Wahrschein- 
lichkeitsstandpunkte ausgegangen, dass es für die Lebensbedürfnisse 
des Lappens nicht genügt, nur den zuführenden Arterien zu helfen, 
wenn wir den Abfuhrwegen, den Venen, kein Augenmerk schenken. 
Wir wollen also durch die Bier sehe Stauung, die durch 4—6 Tages¬ 
stunden unterhalten wird, den sich mühsam durch die Lappen 
arbeitenden jungeji Arterien durch Vortreiben der venösen Abfluss¬ 
wege soweit entgegenkommen. dass die weitere arterielle Zufuhr nicht 
an der Unmöglichkeit der Abfuhrsgelegenheit scheitert. 

Die Applikation des warmen trockenen Föhn geschieht bei 
uns fn der Absicht, einerseits eine Vasodilatation zu unter¬ 
halten. andererseits die unvermeidliche Bildung der Sekrete von seiten 
der Lappengrundlage zur Aufsaugung zu bringen. 

An dieser Stelle will ich eine nicht uninteressante Beobachtung, 
die gleichzeitig die Bestätigung einer altbekannten pharmakologischen 
Behauptung ist, Vorbringen. Es handelt sich nämlich um den Zu¬ 
sammenhang einer in drei Fällen eingetretenen Lappengangrän mit 
{gleichzeitig bestehenden arteriosklerotischen Veränderungen auf Grund 
eines starken Nikotinabusus. Eine Tatsache, die bei weiteren Unter¬ 
suchungen über Lappenplastiken nicht vergessen werden möge. 

In der Weissschen Methode (Untersuchung der Nagellunula 
mittelst Zedernöltropfen) haben wir ein Verfahren, das uns hinlänglich 
über das Bestehen einer Hautarteriosklerose Aufschluss gibt. 

Ich hoffe, die Ueberzeugung erweckt zu haben, dass es bei Be- 
* obachtung der drei von mir gestellten Forderungen und Berück¬ 
sichtigung der längst bestehenden Gesetze gelingen wird, die dem 
fernplastischen Verfahren noch anhaftenden wenigen Schwierigkeiten 
glücklich zu überwinden. 

Literatur. 

1. Prof. Georg Perthes- Tübingen: Lappenvorbereitung in situ. 
— 2. Dozent S on nt a g-Leipzig: Ausgedehnte Hautdeckung der Haut 
mittelst Muffplalstik. — 3. Walcker - Petersburg, Anatomisches 
Institut. 


Aus dem orthopäd. Spital u. Invalidenschulen (k. u. k. Reserve¬ 
spital 11) Wien. (Komm.: O.-St.-A. Prof. Dr. Spitzy.) 

Anatomische Schwierigkeiten bei Sauerbruch- 
Operationen. 

Von Oberarzt Dr. Ferdinand Seidler. 

Um von einem praktischen Erfolge bei einer Sauerbruchoperation 
sprechen zu können, müssen vor allem zwei Bedingungen erfüllt 
sein. Der Kanal muss erstens von gesunder, gut ernährter, wider¬ 
standsfähiger Haut ausgekleidet sein, und. muss zweitens bei ge¬ 
nügender Kraft einen möglichst grossen Weg haben. Je grösser der 
Weg. umso günstiger für die Prothese. In dieser Beziehung geben 
die Muskelunterfütterungen des Bizeps nach Spitzy durchwegs 
sehr gute Resultate. War der Hautkanal gut zur Einheilung ge¬ 
kommen, so ist er später infolge der leichten Reinhaltung und des 
für die Haut wichtigen leichten Luftzutrittes nicht Ekzemen oder 
Verletzungen bei Durchführung des Stiftes ausgesetzt, wie dies bei 
zu engen Kanälen recht häufig ist. Auch ist die Arbeitsleistung 
sehr gut. Es werden durchschnittlich 4 kg 2 cm hoch gehoben, doch 
stot es auch Leute, die 30 kg 10 cm hoch heben. 

Nicht so gleichmässig gut waren unsere Erfolge bei Operationen 
am Trizeps und am Unterarm, wo wir Hubhöhen von 3 cm bei 3 kg Be¬ 
lastung neben solchen, die keinen oder nur einen wenige Millimeter be¬ 
tragenden Weg gaben.-sahen. Da alle Operierten auf einer Abteilung ver¬ 
eint sind, dort massiert werden und gemeHisam Turnübungen machen, teils 
f frei, teils mit eingehängten Gewichten, so kann für die verschiedenen 
Erfolge nicht die Nachbehandlung, deren Bedeutung allerdings sehr 
ßross ist. sondern nur die Operation verantwortlich gemacht werden. 
Es lag daher der Gedanke nahe, dass nicht alle Muskeln des Unter¬ 
armes, nicht alle drei Köpfe des Trizeps gleich günstig für die Durch¬ 
bohrung sind, und veranlasste uns, auf die anatomischen Verhältnisse 
genauer einzugehen. 

Von Bedeutung sind die Ursprungsverhältnisse, der Faserverlauf. 
Muskel und 




Sehnenlänge, Muskel-Nndel länge tiiid damit im Zusammen 


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ge u«d da 

gle 



hange die Kontraktionsgrösse. Die nun folgenden Daten, sowie auch 
das den Faserverlauf deutlich zeigende Bild, sind dem Werke von 
F r o h s e und Fraenkel in Bardelebens Hb. d. Anat. ent¬ 
nommen. 

Der lange Kopf entspringt am Tuberculum infraglenoidale 
grösstenteils sehnig, nur wenige Muskelbündel sind bis zum Knochen 
verfolgbar. Sein Faserverlauf ist senkrecht nach abwärts gerichtet. 

J die Länge der einzelnen Bündel schwankt zwischen 10 cm und 
8,6 cm, ist also im Durchschnitt 9,2 cm. 

Das Caput laterale entspringt mit kurzen Sehnen schräg am 
Humerus ober- und unterhalb der Tuberositas deltoidea. reicht proxi¬ 
mal bis zum Collum chirurgicum, distal bis zum Sulcus radialis. 
Die Fasern ziehen leicht schräg von oben lateral nach unten medial. 
Die Muskelbündellänge ist im Durchschnitt 8,9 cm, da sie im Maximum 
9,9 cm, im Minimum 7,8 cm beträgt. 

Das Caput mediale nimmt seinen Ursprung fleischig von der 
Hinterseite des Humerus, distal vom Sulcus radialis und von beiden 
Septa intermuscularia. Die Fasern ziehen hauptsächlich von oben 
medial nach unten lateral und zwar nimmt die Schrägheit in den 
distalen Partien zu. Dort finden sich auch in entgegengesetzter 
Richtung schräg laufende Fasern, die vom lateralen Zwischenmuskel¬ 


septum kommen. An diese schliesst sich der Anconaeus quartus an, 
der direkt horizontal gefasert ist. Auf der Abbildung, die den Muskel 
entfaltet vom Knochen her gesehen zeigt, kommen diese Verhältnisse 
deutlich zur Anschauung. 

Die Muskellänge der einzelnen Köpfe beträgt 22—23 cm, nur der 
mediale Kopf zeigt zwischen medialer und lateraler Partie entspre¬ 
chend seiner, dem Sulcus radialis folgenden, schrägen Ursprungslinie 
den Unterschied von 22: 12,8 cm. Auch seine Muskelbündel schwanken 
daher zwischen 9,4 cm und 4,2 cm, sind also durchschnittlich _ 7,8 cm 
lang. *V 

Die sich am Olekranon ansetzende gemeinsame Endsehne strahlt 
auf den langen Kopf 20 cm hinauf, auf den medialen 7 cm, auf den 
lateralen 1 cm über den sichtbaren Sehnenspiegel, der im Durch¬ 
schnitt 11cm misst. 


Die Wirkung besteht in der Streckung des Ellbogengelenkes, 
und zwar wirken bei adduziertem Arme hauptsächlich die beiden seit¬ 
lichen Köpfe, da der lange Kopf in dieser Stellung entspannt ist. Er 
wirkt nur bei abduziertem Arme als Ellbogenstrecker, bei feststehen¬ 
dem Schultergürtel führt er als zweite Wirkung den Arm nach hinten 
innen. Die distalen, sehr schrägen Fasern des medialen Kopfes und 
des Ankonäus wirken infolge ihres starken Fiederungswinkels weniger 
als Strecker, als sie zur Fixierung des Ellbogengelenkes »gegen seit¬ 
liche Verschiebung dienen. 

Nach dem W e b e r - F i c k sehen Gesetz wachsen die Muskel¬ 
fasern solange in die Länge, dass sie doppelt so lang sind, als ihrer 
Verkürzungsmöglichkeit am Gelenkapparat entspricht, oder mit an¬ 
deren Worten, die Verkürzungsgrösse beträgt die Hälfte der Muskel¬ 
bündellänge in entspanntem Zustande und richtet sich ungefähr nach 
dem Durchschnitt. Sie wäre demnach beim Caput longum 5 cm. beim 
Caput mediale 4.7 cm. beim lateralen Kopf 5,1 cm. Während hier 
also keine grossen Unterschiede vorliegen, verschieben sich diese 
Verhältnisse am Stumpf sehr bedeutend. 


Da der Muskel seinen Insertionsounkt verloren hat, wird er sich 
durch die unwillkürliche tonische Erregung des Nerven kontrahieren, 
durch willkürliche Innervation wird nur noch eine geringe Zunahme 
der Kontraktion erfolgen. Man muss daher die Prothese so kon¬ 
struieren, dass die Muskel passiv möglichst gedehnt werden. Dies be¬ 
stätigen auch unsere Versuche, die zeigen, dass die grösste Hub¬ 
höhe nicht bei der geringsten Belastung erreicht wird, sondern es gibt 
für jeden ein Optimum, bei dessen Ueberschreitung sie erst wieder 
abnimmt: Während einer bei 10 kg Belastung 6 cm Weg hatte, hat 
der bei 1 kg nur 4 cm. Ein anderer hatte bei 7 kg eine Hubhöhe von 
2.1 cm, bei 1 kg von 1,2 cm. ein dritter bei 2 kg 2 cm. bei H kg 1,6 cm. 
Wir haben für jeden einzelnen durch Einsetzen eines Bleistiftes in 
den Kanal die Hubhöhe bei verschiedener Belastung leicht messbar 
graphisch registriert und können dadurch die Fortschritte im Turnen 
.verfolgen. Da also alle Muskeln am Amputationsstumof entspannt 
sind, ist der Unterschied zwischen den einzelnen Köofen bezüglich 
der Ellbogenstreckung verschwunden, wie er am intakten Gelenk be¬ 
steht. für das künstliche Gelenk wird der lange Kopf ein ebenso guter 
Strecker sein als die seitlichen. 

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1022 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


Von grosser Bedeutung ist die verschiedene Sehnenlänge der 
Köpfe. Dadurch kommt es, dass bei Amputation im distalen Drittel 
der lange Kopf fast nichts an Muskelbündellänge verliert, der laterale 
mehr, am meisten der mediale. Verlust an Muskelbündellänge heisst 
aber Verlust an Kontraktionsgrösse. Da der mediale Kopf ausserdem 
breit fleischig vom Knochen bis weit distalwärts entspringt, lateral 
von Haus aus kurze Fasern hat, wird ein ihn durchbohrender Kanal 
von so kurzen Bündeln umschlossen werden, dass er praktisch keinen 
Weg hat, er wird gleichsam an den Knochen fixiert und damit auch 
die Wirkung besserer Fasern aufgehoben. Aehnlich liegen die Ver¬ 
hältnisse am lateralen Kopf bei Amputation im oberen Drittel, während 
bei der Absetzung im distalen Drittel die kurzen Fasern infolge des 
schrägen Faserverlaufes schon in die Endsehne übergingen und nur 
längere zur Wirkung kommen. Immerhin wird gegen den langen Kopf 
ein Unterschied bestehen, der leicht in einem schiefen Gang des 
Kanales zur Geltung kommt. 

Der schräge Faserverlauf hat eine weitere unerwünschte Neben¬ 
wirkung. Am intakten Gelenk hat der Fiederungswinkel, der Win¬ 
kel zwischen Zugrichtung der Sehne und Faserverlauf zur Folge, dass 
ein kleine Komponente der Muskelkraft für die Wirkung in der Rich¬ 
tung der Sehne verloren geht und dafür zu ihrer seitlichen Verziehung 
und zur Fixierung des Gelenkes gegen seitliche Bewegungen verwendet 
wird. Je schräger der Faserverlauf, desto grösser ist diese seitliche 
Komponente. Am Stumpf, wo der Muskel nicht mehr durch Vermitt¬ 
lung der Endsehne auf den starren Knochen wirkt, sondern die 
Fasern direkt auf den weichen Kanal, wird dieser in der Faserrichtung, 
also schräg verzogen werden. Daraus ergibt sich, dass einen aus¬ 
giebigen senkrecht aufwärts gerichteten Zug nur der lange Kopf aus¬ 
üben kann, der mediale Kopf ist ganz ungeeignet, und auch der Zu¬ 
wachs an Kraft, den man 
durch Mitnahme des la¬ 
teralen Kopfes gewinnt, 
wird meist mit Einbusse an 
viel wertvollerem Weg be¬ 
zahlt. Wir verwenden da¬ 
her ausschliesslich nur mehr 
den langen Kopf, nehmen 
die gemeinsame straffe Fas¬ 
zie weg, um diesem eine 
möglichst freie Beweglich¬ 
keit zu sichern. Auf neben¬ 
stehendem Bilde ist der 
lange Kopf bereits unter- 
tunneliert, daneben die 
schrägen Fasern des la¬ 
teralen Kopfes sichtbar. 

Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse, am Quadrizeps femoris, 
durch den wir in 3 Fällen mit sehr gutem Erfolge Sauerbruchkanälc 
legten. Der Rectus femoris ist wie das Caput longum zweigelenkig, 
entspringt vom Acetabulum und der Spina iliaca ant. inf., geht 8 cm 
oberhalb der Patella in die Endsehne über. Der mediale und laterale 
Kopf entspringen teils sehnig, teils fleischig am Femur seitlich der 
Linea aspera und gehen mit schrägem Faserverlauf in die Endsehne 
über. Der Vastus medialis bleibt bis oberhalb der Patella fleischig, 
wodurch er bei Amputation viel an Muskelbündellänge verliert, und 
auch infolge der schrägen Faserung gleich dem medialen Kopf des 
Trizeps für die Tunnelierung ungeeignet ist. Auch der sich breit 
am Knochen ansetzende Vastus intermedius muss vermieden werden, 
wenn man den Kanal nicht an den Knochen fixieren will. 


Aus dem k. u. k. Reservespital Nr. 11, Wien V. 
(Komm.: O.-St.-A. Prof. Dr. Hans Spitzy.) 

Eine neue Methode der Bildung des Hautkanals 
bei Muskelunterfütterungen. 

Von Dr. Philipp Erlacher (Qraz und Wien). 

Jetzt, nach mehr als 2 jährigen Erfahrungen mit den Operationen, 
um die am Stumpf brachliegende Muskulatur für die Bewegung der 
Prothese nutzbar zu machen, gewinnen wir bereits einen Ueberblick 
über den Wert der einzelnen Methoden und über die Gesichtspunkte, 
die besonders zu beachten sind, wenn wir einen gut brauchbaren 
Kanal gewinnen wollen. Sauerbruch verwendet schon seit län¬ 
gerer Zeit einen am Stumpf selbst seitlich gestielten Hautlappen zur 
Kanalbildung, den er in Form eines Türflügels ausschneidet und zur 
Zigarette zusammengerollt durch den Mnskelkanal durchzieht. 
Kausch s Vorschlag, den Weichteil- und sogar den Knochenkanal 
nur mit Thierschlappen auszukleiden, dürfte kaum Nachahmer finden, 
da bisher keine überzeugenden Beweise vorliegen, dass derartige 
Kanäle, die ausserdem nach den Publikationen sehr eng sind, einer 
längerdauernden Inanspruchnahme standhalten werden. Spitzy hat 
schon zu einer Zeit, als Sauerbruch noch Kraftwülste bildete, die 
Unterfütterung des ganzen Bizeps befürwortet, auf die Bildung eines 
möglichst grossen Kanals ein besonderes Gewicht gelegt und deshalb 
immer die Hautfernplastik von der Brust oder Bauchseite heran¬ 
gezogen, um ia grosse, gut übersichtliche und leicht zu reinigende 
Kanäle zu bekommen. Seine Methode hat auch noch den Vorzug, 
dass sie eine breite Angriffsfläche für den Stift bietet, wodurch allein 
eine ständige, tage-, wochcn- und monatelange 
Benützung, wie es bei unseren Patienten der Fall 
i s t, ermöglicht wird. Diese Methode hat sich uns in zahlreichen 
Fällen — sowohl der Bizeps wie die Beuger am Vorderarm werden 
prinzipiell durch Hautfernplastik unterfüttert — ausgezeichnet be¬ 
währt und konnte unverändert beibehalten werden. Um aber beide 
Kanäle, den Beuger- und Streckerkanal, immer möglichst in einer 
Sitzung anlegen zu können, haben wir in der Regel für die Strecker 
einen Sauerbruchkanal mit seitlich gestieltem Türflügelschnitt C. 
und nur für die Beuger die Spitzysche Methode angewendet. 

Die Ergebnisse der Operationen waren nur in einzelnen Fällen, 
und zwar fast ausschliesslich bei den Sauerbruchkanälen nicht voll¬ 
kommen befriedigend; einige der meist ziemlich engen Strecker¬ 
kanäle sind obliteriert, in anderen Fällen sind in der Tiefe nässende 
Ekzeme, ja Geschwüre aufgetreten: wieder in anderen Fällen war der 
Kanal zu lang oder schief geworden, oder endlich die Muskelwifkung 
war eine zu geringe, besonders weil die Muskeln am Stumpfende 
fest verwachsen waren. In einzelnen dieser letzteren Fälle haben wir 
mit Vorteil die Muskeln am Stumpf nachträglich gelöst und dadurch 
eine besere Wirkung erzielt. Eine primäre Stumpfkürzung um die 
Muskelanschlussoperation besser ausführen zu können, haben wir 
gleich anderen nie ausgeführt. Jedoch sind wir später dazu über¬ 
gegangen. den Muskel, der unterfüttert werden soll, schon bei der 
ersten Operation vom Stumpfende zu lösen, ihn ein Stück hinauf zu 
isolieren und um den Hautkanal herumzuschlingen, so dass auf diese 
Weise auch die Streckermuskeln durch den Sauerbruchkanal unter¬ 
füttert werden konnten. Durch dieses Herumschlingen und festes Ver¬ 
nähen des isolierten Muskels mit dem Kanal ist auch ein Leergang 
des Kanals absolut ausgeschlossen. Dadurch haben wir dann eine 
befriedigende Zugwirkung fast immer erzielen können. Wie weit 
dabei auch die Faserrichtung der Muskeln eine Rolle spielt, ist in einer 




Vorderermstumpf 
a. hautsetmitte 



Hilfcschnittzur 
.1 Bildung eines 
[[.‘-Lappens um 
den unteren 

Hautdefekt voll- _ 

ständig zu decken. c Verkleinere 
b. Der Houtkanal gebildet rfes Häutdefektes. 



§ Der herausgelöste und um den Kanal herumgeschlungene (Slrecker-)Mutkel. 


Viel komplizierter liegen die Verhältnisse am 
Unterarm und es lässt sich hier keine einheitliche 
Regel aufstellen. Man darf ebenfalls nicht durch die 
ganze Beuger-, die ganze Streckergruppe als ein¬ 
heitliche Muskelmasse einen Kanal führen, sondern 
man muss die gut und gleich kontraktionsfähigen 
Muskeln auswählen, deren Feststellung bei der er¬ 
schwerten Orientierung am Stumpf nicht immer leicht 
ist. Ain sichersten wird man natürlich zum Ziele ge¬ 
langen bei Operation in Lokalanästhesie, wozu aller¬ 
dings nicht jeder Patient seine Einwilligung gibt. 

Wenn man von diesem Gesichtspunkte aus 
unsere Operationsergebnisse prüft, versteht man 
ohne weiters die gute Wirkung des einheitlichen 
Bizeps und es erklären sich die Misserfolge durch 
Mitverwendung wenig kontraktionsfähiger Muskel¬ 
partien. Am Unterarm ist es in einzelnen Fällen ge¬ 
lungen. durch Durchschneidung von in der Amputa¬ 
tionsnarbe fixierten Muskeln, das Resultat nachträg¬ 
lich noch zu verbessern. Man muss sich immer vor 
Augen halten, dass die erste und wichtigste Forderung 
der grosse Weg ist, dem auch eine Einbusse von 
Kraft geopfert werden kann. Denn wurde die 
grössere Kraft durch geringeren Weg erkauft, so wird sie durch das 
dadurch notwendige ungünstige Hebels.vstem der Prothese wieder 
wettgemacht. Der Weg wird nicht von dem best kontraktionsfähigen 
Muskel bestimmt, er ist nicht einmal das Mittel, sondern folgt ganz 
dem schlechtesten Muskel, der dadurch auch die gut wirksamen in 
ihrer Leistung behindert. 


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Arbeit von Seidl er dargelegt, während auf die unangenehmen 
Folgen eines schlechten Hautkanals und auf die Gefahrenzonen bei 
den Hautplastiken Widowitz hingewiesen hat. (Beide Arbeiten 
stammen aus unserer Anstalt.) Kurz es hat sich gezeigt, dass die An¬ 
lage des Hautkanals unter Umständen von derselben Wichtigkeit ist, 
wie die gute Kontraktionsfähigkeit des Muskels. 

Um nun einen Hautkanal, besonders aber jenen Teil, der der 

Original frorn 

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10. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1023 


stärksten Belastung durch den Stift ausgesetzt ist, unter möglichst 
normalen Verhältnissen zu bilden, habe ich vor allem für jene Fälle, 
wo wir eine Fernplastik nicht ausführen wollen und wo eine Lösung 
des zu unterfütternden Muskels angezeigt ist, einen Doppeltürflügel¬ 
schnitt mit einer breiten mittleren Brücke, wie er aus den nachstehen¬ 
den Zeichnungen (a, b, c) ohne weiteres ersichtlich ist, angewendet. 
Erst wird der untere Türflügel mit zentraler Basis (a, 1) eingeschnit¬ 
ten; seine Basis (Breite) schwankt zwischen 3—4 cm, seine Länge 
(Höhe) beträgt ungefähr 3 cm. Nun werden die in Betracht kom¬ 
menden Muskeln isoliert und möglichst weit peripher abgeschnitten. 
Soll nun der Kanal z. B. 4 cm breit werden, so wird jetzt 4 cm 
zentral von der Basis des ersten Türflügelschnittes ein zweiter 
Doppeltürflügel (a, 2) mit gleich breiter Basis, aber von nur ungefähr 
VA cm Höhe eingeschnitten. Wenn ich jetzt die beiden freien Haut¬ 
ränder gegeneinander umschlage und miteinander vernähe (b, 1, 2), 
erhalte ich einen 3—4 cm langen, aber auch ebenso weiten Hautkanal, 
dessen hinterer Teil in vollster "Kontinuität erhalten geblieben ist. 
Nach Abtragung der Faszie beiderseits wird nun der Muskel 
unter dem Hautkanal zentralwärts herausgezogen, über und um 
diesen herumgeschlungen und peripher und hinter ihm mit dem Kanal 
und mit der Unterlage wieder vernäht. Die Abtragung der Faszie ist 
deshalb notwendig, weil sie sonst sehr leicht zu Verwachsungen 
führt, die die Zugwirkung wesentlich beeinträchtigen können. Der 
anfänglich ziemlich grosse zurückbleibende HautdefeTTf, erscheint nur 
grösser, wenn wir eben einen wirklich grossen Kanal gebildet haben, 
er lässt sich aber unschwer soweit verkleinern, dass nur der gerade 
über dem Kanal liegende Teil des Muskels unbedeckt bleibt. Dieser 
Defekt wird jetzt mit einem entsprechend grossen Thierschlappen 
vom Oberschenkel gedeckt, nachdem die Hautränder zu beiden Seiten 
des Kanals mit einigen langen Seiden- oder Katgutnähten gegen¬ 
einander geheftet worden sind, damit kein Hohlraum unter dem 
Thierschlappen zurückbleibt. Um eine stärkere Retraktion des 
Thierschiappens zu verhindern, aber auch um zu verhüten, dass das 
Transplantat durch eine Bewegung des Muskels verschoben würde, 
nähe ich den Thierschlappen mit feinstem Katgut an den Rand der 
normalen Haut mehrfach fest. Dieser kleine Kunstgriff hat uns bisher 
immer ausgezeichnete Dienste geleistet, so dass jede derartige 
Thierschung vollkommen gelungen ist. Damit ist die Opera¬ 
tion beendet und wir haben einen beliebig kurzen und beliebig weiten, 
sicher geraden Kanal gebildet, keine Verwachsungen der Faszie 
zu befürchten, den Muskel sicher mobilisiert und in seiner Zugwirkung 
genau an den Kanal gebunden. Wie ich mich an den bisherigen 8 Fäl¬ 
len überzeugen konnte, eignet sich diese Methode in gleicher Weise 
für die Beuger wie für die Strecker am Unterarm, für den Trizeps 
und für den Quadrizeps, aber auch für den M. latiss. dorsi. 
Es besteht weder eine Gefahr für den herausgelagerten Muskel 
noch für den aufgelegten Thierschlappen. Nach 14 Tagen ist 
dieser meist vollkommen angeheilt, der Kanal ist vollkommen 
trocken, und die Hebungen des Muskels können wieder an¬ 
genommen werden. Für diesen besteht schon deshalb keine Gefahr, 
weil ich ja nicht wie bei einer Sehnenplastik die Gleitfähigkeit einer 
Sehne beanspruche, sondern lediglich die Kontraktilität des Muskels 
selbst in Anspruch nehme, die im wesentlichen ja nur von der ner¬ 
vösen Innervation und der Uebung abhängt. Selbstverständlich ist 
die Kanalhaut auch bei sehr kurzen und weiten Kanälen jedesmal 
tadellos eingeheilt. Daher erlaube ich mir das Verfahren nicht nur 
für die angegebene Einschränkung, sondern auch in den übrigen Fällen 
der Nachprüfung zu empfehlen, jedoch mit der Bedingung, dass nur 
aarbenfrere Haut verwendet wird. 


Aus dem orthopäd. Spital und den Invalidenschulen (k. u. k. Re¬ 
servespital 11) in Wien. (Komm.: O.-St.-A. Prof. Spitzy.) 

Arbeitsbehelfe bei Fingerverlusten. 

Von Oberarzt Dr. Alexander Hartwich, Assistent. 

Während in den ersten Kriegsjahren der Prothesenarzt nicht 
gerade häufig Gelegenheit hatte, Patienten zu versorgen, bei denen 
zwar die Hand erhalten, aber die 
Finger in verschiedenem Masse 
verloren gegangen waren, wird 
das in letzter Zeit immer häufiger 
der Fall. Der Grund dafür dürfte 
darin zu suchen sein, dass infolge 
der ausgebreiteten Anwendung der 
aktiven Wundbehandlung es sel¬ 
tener zu einer eingreifenderen Am¬ 
putation nach schwereren Hand¬ 
oder Fingerverletzungen kam und 
dass anderseits nicht so oft ver¬ 
sucht wurde, schwer geschädigte 
Finger ohne Rücksicht auf ihre 
Funktion zu erhalten. Gerade 
diese Defekte kamen auch im 
Frieden häufig vor, infolge der 
zahlreichen Industrieverletzungen; ihr Ersatz ist nach einer Richtung 
hin wohlbekannt und steht auf entsprechender Höhe, nämlich in kos¬ 
metischem Belang. Der Vorgang ist ja auch ganz einfach. Solche 


Patienten erhalten leicht gekrümmte Holzfinger, die mit einer Leder¬ 
manschette am Handrücken und Handgelenk befestigt werden, oder, 
noch einfacher, einen Handschuh mit ausgestopften Fingern. Der 
Frage des funktionellen Ersatzes scheint, von einzelnen Ausnahmen 
abgesehen, nicht nahegetreten worden zu sein, offenbar deshalb, weil 
solche Patienten mit ihren Fingerresten oft noch gut arbeitsfähig 
sind, oder bei wirklich weitergehenden Defekten in der Regel in 
jenem Betriebe, in dem ihnen die Verletzung widerfahren war, als 
Aufsichtsorgane, Diener etc. Verwendung finden konnten. 

Nun hat sich aber die Zahl solcher Invaliden gegenüber dem 
Frieden um ein Bedeutendes erhöht und zudem hat die Not des 
Krieges uns hier ebenso wie auf allen anderen Gebieten gezwungen, 
alle verfügbaren Arbeitskräfte nutzbar zu machen. In Auswirkung 
dieses Prinzipes wurden bereits in Deutschland (Perthes, Jüng¬ 
ling) und in Oesterreich (Bauer) gleichzeitig Behelfe ersonnen und 
veröffentlicht, die solchen Beschädigten die Wiederaufnahme manu¬ 
eller Arbeit ermöglichen sollen. Es sind dies die sog. Gegen¬ 
greifer. Das sind Metallplatten, die mittels einer Manschette am 
Unterarm befestigt werden. Gegen diese Platten wird nun der Hand¬ 
rest, Handteller angedrückt und dadurch ein Werkzeugstiel oder 
dergleichen festgehalten, der obendrein noch mittels eines Riemens 
an den Unterarm und den Behelf geschlungen wird. Diese Gegen¬ 
greifer sind ebenso einfach wie sinnreich erdacht und haben sich 
auch in der Praxis gut bewährt. Jedoch ist ihr Anwendungsgebiet 
ein beschränktes, da sie nur dann vorteilhaft gebraucht werden 
können, w'enn es sich darum handelt, mit groben Werkzeugen grobe 
Arbeit zu verrichten, also etwa in der Landwirtschaft einen Rechen, 
eine Schaufel oder Heugabel zu benützen. Ein Nachteil ist es ferner, 
dass bei diesen Behelfen etwa vorhandene Fingerreste gar nicht aus¬ 
genützt werden, denn die Verbindung zwischen Arm und Werkzeug 
wird ja nicht durch ein Zugreifen des Handrestes erreicht, sondern 
durch die entsprechende Biegung des Metallteiles und durch den 
Riemen des Apparates. Der Handrest kommt nur zum Dirigieren des 
Gerätes und als sensibler Fühler in Betracht, denn einen 
Gegenstand durch Andrücken des Handrestes an den Gegengreifer 
auch nur einige Zeit festzuhalten, ist überaus anstrengend und w'ird 
bald unmöglich. 

Aus dem Gesagten ergibt sich schon, dass sowohl für die Ver¬ 
richtungen des täglichen Lebens, als auch überhaupt für feinere 
Arbeiten diese Behelfe wenig zweckdienlich sind. Dieser Uebelstand 
kommt nicht gerade häufig zur Geltung und zwar deshalb, weil zu 
i derlei kleineren Handgriffen die Patienten auch mit ihren Funk- 
| tionsresten befähigt sind und ihren Defekt gewöhnlich erst dann 
empfinden, wenn es sich darum handelt, kraftvoll ein grösseres 
Werkzeug zu führen. Immerhin gibt es genug Fälle, bei denen es 
i nützlich und notwendig ist, den bestehenden Funktionsverlust auszu¬ 
nützen. Prinzipiell ist hier folgendes im Auge zu behalten: Erstens gilt es 
von Fall zu Fall genau zu überlegen, ob hier ein Arbeitsbehelf über¬ 
haupt in Betracht kommt oder ob nicht auf andere Weise die Funktion 
des Handrestes verbessert werden könnte; denn sehr oft sind z. B. 
die ersten Phalangen einiger Finger erhalten, aber infolge von Kon¬ 
trakturen in den Grundgelenken funktionell geschädigt, noch öfter 
ist durch die lange Inaktivität die Kraft der Fingerbeuger gesunken. 
Dann w'ird man natürlich versuchen, durch medikomechanische Be¬ 
handlung die Gebrauchsfähigkeit des erhalten gebliebenen Greif¬ 
apparates zu heben. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welch ge¬ 
ringen Resten manche geschickte Leute auszukommen wissen. So 
war der Invalide, dessen Hand Bild 1 und 2 zeigt, ohne weiteres 
imstande, sie mit gleicher Geschicklichkeit und Kraft zu benützen, 
l wie die gesunde. Selbst der kleinste Apparat wäre hier überflüssig, 
ja störend. 

Ferner war es notwendig, diesen Behelf so zu gestalten, dass 
weder er selbst, noch die zu seiner Befestigung an der Extremität 
dienende Vorrichtung den Gebrauch der Hand schädige. So muss 
z. B. die Handfläche freibleiben und die Bewegungen des Handge¬ 
lenkes dürfen nicht gehindert werden. Schliesslich gilt es noch auf 
den Beruf des Invaliden sorgfältigst Rücksicht zu nehmen und daraus 
ergibt sich auch, dass jeder dieser kleinen Arbeitsbehelfe für sich 



Nr. 37. 


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Gck igle 


Fig. 2. 


allein durchdacht und ausgestaltet werden muss. Immerhin ist es 
uns gelungen, nach verschiedentlichen Versuchen und auch Fehl¬ 
griffen, einige Richtlinien für diese Arbeitsbehelfe, die wir als aktive 

3 

Original from 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




102-4 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


Gegengreifer bezeichnen, herauszufinden. Wir geben sie dann, 
wenn der Invalide weder Faustschluss noch „Zange“, d. h. Andrücken 
des Daumens an irgend einen Finger, ausführen kann und zwar nach 
vorhergegangener medikomechanisclier Behandlung; in der Regel also, 
wenn der zweite und dritte Finger ganz oder bis auf Reste der 
Grundphalangen verloren gegangen und der Daumen und die anderen 
Finger in ihrer normalen Kraft und Beweglichkeit geschädigt sind. 
Dieser Leitsatz gilt auch für jene extremen Fälle, in denen z. B. 
nur der Daumen erhalten ist. Es muss aber mindestens e i n kräftiger 
und ausgiebig beweglicher Finger (Fingerrest) erhalten sein. 

ln Anbetracht der Umstände (Reproduktionsschwierigkeiten) 
muss mit Bedauern darauf verzichtet werden, die gerade hier fast 
unentbehrlichen Bilderbeilagen in gewünschtem Umfange beizugeben. 
Es ist leider klar, dass es nicht möglich ist, sie durch eine Beschrei¬ 
bung nur annähernd zu ersetzen. 

Der wesentlichste Bestandteil unserer aktiven Gegengreifer ist 
eine kleine Metallplatte, die jenem Finger zweckentsprechend gegen¬ 


versorgen (Abb. 4 u. 5). Am schwierigsten sind zweifellos die Auf¬ 
gaben, wie sie uns dort begegnen, wo nur die Grundphalangen er¬ 
halten sind. Doch lässt sich auch da manchmal ein überraschender 
Erfolg erzielen. 

Diese kleinen und einfachen Behelfe scheinen uns schon deshalb 
das Interesse aller kriegsorthopädisch tätigen Aerzte zu verdienen* 
weil sie es diesen ermöglichen, allein und selbständig Invalide funk¬ 
tionell weitgehend zu bessern, ohne auf die in den meisten Pro¬ 
thesenfragen unumgängliche Mitarbeit des Ingenieurs angewiesen zu 
sein. __ 

Aus der Universitäts-Frauenklinik in Frankfurt a. M. 

Oer Einfluss von Allgemeinerkrankungen des Körpers 
auf die weiblichen Genitalorgane. 

Von Prof. Dr. Max Walthard. 


übergestellt wird, der am meisten Kraft und Beweglichkeit besitzt. 
Wenn also der Daumen erhalten und beweglich ist, so werden wir 
dieses Plättchen so befestigen, dass der Daumen kräftig dagegen ge¬ 
drückt werden kann, sonst sie für einen der anderen Finger geeignet 
anbringen. Da bei diesen verstümmelten Händen, deren Handfläche 
auch oft von Narben durchrissen ist, der Bewegungsumfang der er¬ 
haltenen Finger sich mit dem normalen, physiologischen nicht deckt, 
so ist in folgender Weise Ort und Grösse dieser Griffplatte zu be¬ 
stimmen. Der Arzt legt seine Hand dem kraftspendenden Finger 
gegenüber, quer über den Handstumpf des Invaliden und fordert 
diesen auf, mit dem Finger dagegen zu drücken. Durch Verschieben 
der Hand kann nun der Arzt bei einiger Erfahrung leicht und sicher 
den Punkt bestimmen, auf den der Finger des Patienten die meiste 
Kraft ausüben kann. An diese Stelle gehört das Plätt¬ 
chen desaktiven Gegengreifers. Die Form des Plättchens 
ist am besten längsoval, die Grösse 1 — lVa mal so gross wie eine 
Daumenkuppe. Zur Herstellung kann man beliebiges Material ver¬ 
wenden, am besten verzinktes gerieftes Eisen, oder man kann ge¬ 
rillte Lederstücke daraufheften. Die Platte wird nun durch Streben 
mit einer kleinen Metallkappe verbunden oder ihr direkt aufgesetzt, 
die auf ein exaktes Gipsmodell des Handstumpfes getrieben und mit 
Steifleder überzogen wird. Man kann sich auch begnügen, diese 
Stumpfkappe aus Walkleder allein zu konstruieren, besonders dann, 
wenn der Invalide seinen Gegengreifer nur zur Verrichtung häuslicher 
Arbeiten benötigt und ihn also nicht so sehr beansprucht. Innen 


Die Lebensvorgänge im weiblichen Genitale sind in weitem 
Masse von denen im übrigen Körper abhängig. Es muss deshalb 
betont w erden, wie wichtig es für den praktischen Arzt ist, bei allen 
seinen Beobachtungen und Bewertungen von Störungen der Genital¬ 
funktionen den Gesamt-Gesundheitszustand eines Individuums mit in 
Rechnung zu ziehen. Nur dadurch ist in einer grossen Zahl von 
Genitalstörungen eine ätiologische Therapie möglich. Dies betrifft 
alle jene Fälle von Menstruationsblutungen, Ausflüssen und Be¬ 
schwerden aller Art. welche durch die organische Beschaffenheit des 
Genitale nicht in genügender Weise erklärt werden können und 
unter dem Sammelnamen der funktionellen Genitalstö¬ 
rungen zusammengefasst werden. 

Mehr denn je haben wir heute Gelegenheit, den mächtigen Ein¬ 
fluss der Störungen des Gesamtgesundheitszustandes und der Allge¬ 
meinerkrankungen auf die Lebensvorgänge im weiblichen Genitale 
zu beobachten. Ihn zu erkennen heisst ätiologische Diagnostik. Nur 
ätiologische Diagnostik und ätiologische Therapie 
führen zur Besserung und zur Heilung. 

Es ist auch ein gut Teil Bevölkerungspolitik, durch ätiologische 
Diagnostik und Therapie den Patientinnen die so enttäuschende 
symptomatische Behandlung zu ersparen und sie vor nutz¬ 
losen symptomatischen Operationen zu bewahren. 

Es sollen deshalb hier Richtlinien gegeben werden, welche zu 
den Wegen führen, auf denen die Lebensvorgänge im weiblichen 
Genitale durch die Allgemeinerkrankungen beeinflusst werden. Weiter 



Fig. 3. Fig. 4 . 


werden wir die verschiedenen Quellen im Gesamt- 
*£>■’ körper des weiblichen Individuums kennen lernen, 
unter deren Einfluss das weibliche Genitale und 
seine Funktion stehen. Dadurch gewinnt der 
Arzt die Möglichkeit, das Wesentliche des ein¬ 
zelnen Krankheitsfalles im Wirrsal der klinischen Sym¬ 
ptome und der oft zu einem Circulus vitiosus verketteten 
Erscheinungen zu erkennen und Ursache und Wirkung 
auseinanderzuhalten. 

Das Genitale ist unter allen Organsystemen im 
weiblichen Körper das selbständigste. Losgelöst durch 
eine Querschnittsmyelitis im Brustmark von vielen Ver¬ 
bindungen mit dem Zentralnervensystem, volziehen 
sich seine Lebensvorgänge, die Ovulation, die Menstrua¬ 
tion, die Einbettung des befruchteten Eies in die Uterus¬ 
schleimhaut, die Schwangerschaft, die Geburt und das 
Wochenbett ungestört. 

Unumgänglich notwendig dagegen ist die V i r - 
bindungmit dem Zirkulationsorgan. Dieser 
Weg dient in der Hauptsache den Wechselbeziehungen 
zwischen dem weiblichen Genitale und dem übrigen 
Körper. 


wird diese Kappe mit Sämischleder gefüttert (Bild 3). Ihre Befesti¬ 
gung am Handstumpf erfolgt derart, dass sie mittels zweier Riemen an 
eine kleine Ledermanschette angezogen wird, die vom Handgelenk 
bis zur halben Höhe des Unterarmes reicht. Um Bewegung im 
Handgelenk zu ermöglichen, sind in diese Riemen starke Gummi¬ 
bänder eingeschaltet. Der ganze Apparat ist leicht und billig. Seine 
Herstellung erfordert weder besondere Geschicklichkeit des Arbeiters, 
noch viel Material und Zeit. 

Die Erfolge, die sich damit erzielen lassen, sind manchmal ge¬ 
radezu überraschend. Patienten, die vorher kaum imstande waren, 
dicke Gegenstände mühsam klammernd zu umfassend, und sie kaum 
je dirigieren konnten, vermögen nun bequem, sicher und fest alles 
aufzunehmen und festzuhalten. Hauptbedingung ist wirklich zweck¬ 
entsprechende Stellung des Griffplättchens. Selbst die kleinsten Diffe¬ 
renzen können hier ausschlaggebend sein. Manchmal ist es auch 
notwendig, im Hinblick auf die Tätigkeit des Invaliden, Aenderungen 
eintreten zu jassen. So haben wir z. B. einem Patienten, bei dem nur 
der Daumen und der fünfte Finger erhalten und letzterer obendrein 
versteift war, den ganzen Gegengreifer aus Zelluloid und Aluminium 
angefertigt. Der Patient w'ar nämlich Fleischhauer und hätte mit 
einem aus Leder und Eisen bestehenden Behelf nicht arbeiten können, 
da derselbe nicht rein zu halten gewesen wäre. In ähnlicher Weise, 
konnten wir in zwei anderen Fällen Patienten, bei denen nur der 
Daumen erhalten und dieser kräftig und beweglich war, einwandfrei 

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Auf der Blutbahn, durch direkten Einbruch oder durch Ver¬ 
mittlung der Lymphbahn, das strömende Blut als Transportmittel be¬ 
nutzend, gelangen Krankheitsereger. oder lebensfähige Elemente ma¬ 
ligner Tumoren aus Herden in den verschiedensten Körperorganen 
zum Genitale. Ebenso werden aus bakteriellen Krankheitsherden im 
weiblichen Genitale auf dem gleichen Wege Bakterien und Tumor¬ 
zellen nach allen Richtungen verschleppt. Dadurch entstehen aus 
primären Erkrankungen in den verschiedensten Körperorganen hämato¬ 
gene metastatische Erkrankungen im Genitale und aus primären 
bakteriellen Erkrankungen sowie malignen Tumoren im Genitale 
hämatogene Metastasen im ganzen Körper. 

Neben dem hämatogenen Wege verbreiten sich bakterielle Er¬ 
krankungen und bösartige Neubildungen per continuitatem auf natür¬ 
lichen oder durch Krankheit erworbenen Verbindungen vom Genitale 
auf seine Nachbarorgane und umgekehrt. 

Gifte, welche der Arzt bei seinen Heilbestrebungen per os, 
subkutan oder intravenös dem Körper zuführt, gelangen ins strömende 
Blut und auf diesem Wege zu ihren Angriffspunkten in der lebenden 
Substanz, zu den peripheren Nervenendigungen bzw\ dem Nerven- 
muskelsystem im Genitale und den Ursprungsstätten der Genitalnerven 
im Gehirn. 

Den gleichen Weg zu der lebenden Substanz nehmen jene Stoffe, 
die als Nahrungs- und Genussmittel im Uebermass und andauernd* 
dem Körper zugeführt werden. Dahin gehören vor allem die* giftig 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



10. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1025 


wirkenden Fäulnisprodukte der Luxuskonsumption. Sie entstehen bei 
Fäulnis der im Uebermass genossenen Ingesta im Darm. 

Weiter sind hieF die allmählich wirkenden minimalen Giftmengen 
zu nennen, welche beim Morphinismus, Kokainismus und Aetherismus 
dauernd dem Körper zugeführt werden, schliesslioh alle jene Gifte, 
welche in industriellen Betrieben durch den Respirations- und Di- 
gestionstraktus »der durch Resorption von seiten der Haut andauernd 
in den Körper eindringen (z. B. das Blei beim Saturnismus der Be¬ 
arbeiterinnen). 

Den gleichen Weg zum weiblichen Genitale benutzen die toxisch 
wirkenden Abbauprodukte von Bakterienleibern. 

Das Blut ist der Träger des Kohlensäureüberschusses, der sich 
bei Dekompensationsstörungen im kleinen Kreislauf und bei Kohlen¬ 
säure- und Kohlenoxydvergiftungen von aussen eindringend im Blut¬ 
plasma ansammelt. 

Auf dem Wege der Blutbahn gelangen toxisch wirkende Sekrete 
erkrankter Blutdrüsen und die toxisch wirkenden Produkte von 
Stoffwechselkrankheiten, sowie die uns noch unbekannten toxisch 
wirkenden Produkte des Stoffhaushaltes bei Ermüdung und Er¬ 
schöpfung zu den peripheren Nerenvendigungen im weiblichen Geni¬ 
tale oder deren zentralen Ursprungsstätten. 

Vergleichen wir den Einfluss, welchen alle diese Störungen des 
Gesamtgesundheitszustandes auf die Funktion des Genitale in den 
verschiedensten Phasen des Verlaufes der Allgemeinerkrankungeil 
ausüben, so wird im Auftreten der Genitalsymptome eine gewisse 
Regelmässigkeit ersichtlich. 

Welcher Art die giftig wirkenden Produkte auch sein mögen, 
weiche im Blute zirkulieren, stets vollzieht sich die Einwirkung auf 
das Genitale nach den Gesetzen, welche die Physiologie für die Be¬ 
einflussung der lebenden Substanz durch Reize aufgestellt hat. Diese 
Gesetze lehren, dass die Wirkung bald eine erregende, bald eine 
lähmende ist. 

Auf die Lebensvorgänge im weiblichen Genitale übertragen, führt 
die erregende Wirkung zu gesteigerter Erregbarkeit der kon¬ 
traktilen Substanz, zu Hypersekretion der Drüsen (Fluor) und zu 
Hypermenorrhoen (Menorrhagien). Es führt die lähmende Wir¬ 
kung zu Hypotonie der kontraktilen Substanz (Atonie), zu Hypo¬ 
sekretion der Drüsen und zu Hypomenorrhöen (Oligomenorrhoe, 
Amenorrhoe). 

Alle diese Ausdrücke sind für ihr Wesen bezeichnend mit Aus¬ 
nahme der gesteigerten Erregbarkeit der kontraktilen Substanz, der 
Hypertonie der Uteruswand. Darunter verstehe Ich eine leichtere 
Auslösbarkeit von Uteruskontraktionen, also eine Herabsetzung der 
Reizschwelle. Ausserhalb der Schwangerschaft hat sie geringe 
klinische Bedeutung. Sie löst beim Einführen einer Sonde ins Cavum 
Uteri schmerzhafte, krampfartige Uteruskontraktionen aus, welche den 
Eintritt der Sonde verhindern. In der Schwangerschaft dagegen führt 
die gesteigerte Erregbarkeit zu vorzeitigen, lange andauernden und 
starken Schwangerschaftswehen zu Abortus und Frühgeburt. 

Für weitaus die meisten bei den Allgemeinerkrankungen in Be¬ 
tracht kommenden, giftig wirkenden Stoffe kann im Anfang ihrer 
Einwirkung auf das Genitale eine Erregbarkeitssteigerung, bei lange 
andauernder Einwirkung eine Herabsetzung der Erregbarkeit und 
schliesslich eine Lähmung beobachtet werden, alles in gleicher Weise, 
wie wir es aus den Ergebnissen physiologischer Experimente für 
die Kohlensäurewirkung und den Einfluss der Ermüdung auf das 
Zentralnervensystem, auf das Nervenmuskelsystem und die kon¬ 
traktile Substanz des Muskels selbst kennen. 

Wo alle obenerwähnten, toxisch wirkenden Produkte angreifen, 
ob am Nervensystem des „Erfolgsorgans“, dem der Uterusmuskulatur, 
der Uterusdrüsen, der Uterusgefässe etc. selbst, oder ob der Weg 
über das Ovarium gewählt wird, ist zurzeit nur für wenige Sub¬ 
stanzen festgelegt. 

Zum Schluss sei die sog. „Hypertonie“ und der erhöhte Blutdruck 
im Gefässsystem erwähnt. Er verstärkt die Menses und führt bei 
varikösen Veränderungen der Schleimhautvenen im Uterus auch zu 
profusen intermenstruellen Blutungen. Wichtig zu wissen ist, dass 
diese Blutungen keineswegs nur bei manifesten Arteriosklerosen und 
Schrumpfnieren beobachtet werden, sondern gerade als Frühsymptom 
präsklerotischer Zustände häufig sind. 

Ich möchte zur Bekräftigung des Gesagten hier einige Beispiele 
anführen. 

Treten im kleinen Kreislauf Kompensationsstörungen auf, so 
reagiert das innere Genitale auf die erregende Einwirkung des Kohlen¬ 
säureüberschusses im Blute mit frühzeitigem Einsetzen und Ver¬ 
stärkung des Menses. Diese Störungen der Genitalfunktion treten 
vielfach als Frühsymptome von Dekompensationen auf, auch wenn 
im übrigen Körper Dekompensationserscheinungen noch völlig fehlen. 

Bei lange andauernden Kompensationsstörungen führt der Kohlen¬ 
säureüberschuss im Blute, zusammen fnit anderen Produkten von 
Stoffwechselstörungen des Siechtums, als Ausdruck der Lähmung 
zu Oligomenorrhoe und Amenorrhoe. 

Bei Gravidae mit Herzfehlern, bei welchen in erster Linie De¬ 
kompensationsstörungen im kleinen Kreislauf auftreten, wie z. B. bei 
den Mitralstenosen, entsteht frühzeitig Kohlensäureanreicherung im 
Blutplasma. Sie führt zu vorzeitigen und starken Schwangerschafts¬ 
wehen, zu Abortus und Frühgeburt. 

Dementsprechend beobachteten wir an der Universitäts-Frauen¬ 
klinik bei der Kombination von Mitralstenose und Gravidität in 
41 Proz. vorzeitige, spontane Unterbrechung der Schwangerschaft 

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und die Geburt einer Frucht von unter 2000 g Gewicht (Traugott 
und K a u t s k y). Diese Zahl ist 4 mal so gross wie die Zahl von 
Aborten und Frühgeburten bei 45 Schwangerschaften, die mit anderen 
Herzfehlern kombiniert waren. 

Als Beispiel für die Einwirkungen von Blutdrüsenerkrankungen 
auf das weibliche Genitale sei der Morbus Basedowi genannt. 

A. Kocher, der das Basedowmaterial seines Vaters Theodor 
Kocher bespricht, erwähnt Fälle von Morbus Basedowii, bei wel¬ 
chen schon vor dem Auftreten manifester Basedowsymptome profuse 
Menses auftraten, welche mit fortschreitender Krankheit immer 
schwächer wurden. Ausdrücklich betont er, dass das Schwächer¬ 
werden der Menses, die Oligomenorrhoe und die Amenorrhoe als An¬ 
fangssymptom selten seien. 

Wer bei seinen Untersuchungen nach der Aetiologie frühzeitig 
einsetzender und verstärkter Menses aus extragenitaler Ursache die 
Funktion der Thyreoidea berücksichtigt, wird häufig genug Kriterien 
finden, welche zusammen genommen mit der Hämorrhagie die Dia¬ 
gnose Basedowoid erlauben und diese Diagnose durch den späteren 
Verlauf bestätigt finden. Das gleiche gilt für die Tuberkulose. 

Es kann nicht genügend hervorgehoben werden, dass bei Menor¬ 
rhagien, Oligo- und Amenorrhoen, für welche sich im Genitale keine 
erklärenden Ursachen finden, der Gesamtorganismus auf Tuberkulose 
zu durchforschen ist. 

Vielfach ist die Menorrhagie ein Frühsymptom einer Nieren¬ 
tuberkulose. Sie tritt zu einer Zeit auf, in welcher noch alle übrigen 
Symptome fehlen. Man begnüge sich in diesen Fällen von Menor¬ 
rhagie nicht, das Urinsediment ein einziges Mal zytologisch zu unter¬ 
suchen. Wer die Urinsedimente systematisch 8 und mehr Tage 
nach Tuberkelbazillen durchmustert, wird frühzeitig eine beginnende 
Nierentuberkulose als Ursache der Menorrhagie zu erkennen vermögen. 

In gleicher Weise wie der Kohlensäureüberschuss im Blut und 
die giftig wirkenden Produkte des Basedow und der Tuberkulose etc. 
wirken Ermüdung und Erschöpfung auf die Funktionen des w^'blichen 
Genitale. Dabei ist es gleichgültig, ob die Erschöpfung aus körper¬ 
lichen Ursachen infolge von qualitativ und quantitativ unzureichender 
Nahrung oder infolge körperlicher bzw. seelischer Ueberanstrengung 
entsteht. 

Einige Autoren bezeichnen die Fälle von Amenorrhoe infolge 
von somatogener oder psychogener Erschöpfung, welche sie seit 
Kriegsausbruch etwas häufiger als früher beobachten konnten, mit 
dem Namen „Kriegsamenorrhöe“. Ich finde diese Bezeichnung un¬ 
zutreffend, da es auch vor dem Kriege genug Frauen gab, welche 
infolge von Hunger oder seelischem Zusammenbruch amenorrhoisch 
wurden. 

Der Zeitpunkt, in welchem die Einwirkung einer erregend oder 
lähmend wirkenden Substanz auf das weibliche Genitale im Einzel¬ 
falle in Erscheinung tritt, unterliegt grossen Schwankungen. Er ist 
zunächst vom Verlaufe der extragenitalen Erkrankung und von der 
konstitutionellen Beschaffenheit und Funktionstüchtigkeit der Ovarien 
und des Uterus abhängig 

Das Einsetzen der einzeihen Genitalstörungen wird weiter von 
den Affinitäten des Nervensystems im allgemeinen und denjenigen 
der Genitalnerven im besonderen gegenüber den im strömenden Blute 
zirkulierenden toxisch wirkenden Substanzen abhängig. Ich erinnere 
hier an die grossen zeitlichen Schwankungen, welche für die Menor¬ 
rhagie, die Oligomenorrhoe und die völlige Amenorrhoe in ihren Be¬ 
ziehungen zu den übrigen Basedowsymptomen beobachtet werden 
können. 

Ferner wird im Einzelfall das Auftreten der Genitalsymptome 
von Gleichgewichtsstörungen in der gegenseitigen antagonistischen 
Beeinflussung des autonomen und sympathischen Teiles des viszeralen 
Nervensystems kompliziert. 

Wenn auch heute die Erforschung dieses Gebietes noch in den 
Anfängen steht, so kann ich, gestützt auf unsere Untersuchungen am 
Material der Frankfurter Universitäts-Frauenklinik, mioh dahin 
äussern, dass beim Ueberwiegen der Erregbarkeit im autonomen 
System Menstruationsstörungen im Sinne von Menorrhagien in der 
Phase der erregenden Einwirkung einer Allgemeinerkrankung in den 
Vordergrund treten. 

Ferner wird das klinische Bild im Einzelfalle durch eine durch An¬ 
lage und Erziehung des Individuums erworbene Denkweise, welche 
banale Erlebnisse auf die Höhe eines „psychischen Trauma“ über¬ 
wertet und Vorstellungen zu „überwertigen Ideen steigert“, beein¬ 
flusst. Die Reaktionen einer solchen psychopathologischen 
Anlage führen zu gehäuften Affekten und Emotionen mit ihren ent¬ 
sprechenden Lust- und Unlustgefühlen und deren psychischen und 
körperlichen Folge- und Begleiterscheinungen. 

Nach den schönen Untersuchungen Webers sind es namentlich 
die mit Unlustgefühlen einhergehenden Affekte und Emotionen, welche 
zu Blutverschiebungen von der Haut zu den viszeralen Organen 
führen. Dadurch entstehen gerade bei jenen Individuen mit einer 
gesteigerten Erregbarkeit im autonomen System, im unmittelbaren 
Anschluss an die überwertige Idee, bzw. das psychische Trauma, in¬ 
folge der Blutverschiebungen, plötzliche Genitalblutungen. 

Auch die angstbetonte, gesteigerte Aufmerksamkeit auf eine 
Funktionsstörung im Genitale fördert diese Genitalstörung. 

Schliesslich sind« es die Nachwirkungen sogen, hysterischer Re¬ 
aktionen, welche die Genitalfunktionen oft genug beeinflussen. 

Der Arzt wird demnach, wie bisher bei Störungen der Genital¬ 
funktion, zunächst durch Inspektion und Palpation sowie zytologische 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1026 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


und bakterioskopische Untersuchung der Sekrete nach Entzündungen 
im Genitale suchen. Weiter wird er durch Austastung des Cavum 
uteri und histologische Untersuchungen entnommener Gewebeteile 
nach Eiresten und Neubildungen als Ursachen der gestörten Genital¬ 
funktionen forschen. Es sei hier ausdrücklich bervorgehoben, dass 
nach dem Stande unserer heutigen Kenntnisse banale Hyperplasien 
der Korpusschleimhaut oder gar die hyperplastischen Phasenbilder 
der prämenstruellen Schleimhäute sowie Erosionen am Orific. ext. ut. 
nicht mehr als organische Veränderungen angesehen werden dürfen, 
die zur Erklärung von primären Ursaohen von Genitalstörungen ge¬ 
nügen. Dasselbe gilt von den Retro- und Laterodevlationen des 
Uterus an sich, also insbesondere von der Retroflexio und Retroversio 
uteri mobilis. 

Finden sich bei den Untersuchungen keine Kriterien für g e n i 
tale Ursachen der Störungen, so muss der Arzt den 
Mut haben, sich und der Patientin zu sagen, dass trotz der ge¬ 
störten Genitalfunktion das Genitale organisch gesund ist. Er wird 
bei Blutungen aus extragenitaler Ursache nicht mehr Ausschabung auf 
Ausschabung folgen lassen, noch bei Hypersekretion die natürlicher¬ 
weise schön rote Zervixschleimhaut über Jahr und Tag mit Aetzungen 
behandeln. Nun muss er seine Aufmerksamkeit auf die eben auf¬ 
gezählten extragenitalen Ursachen richten und ev. mit 
Unterstützung von seiten eines Internen bzw. eines Psychiaters den 
Gesamtorganismus sowie die Psyche durchforschen. 

Auf diese Weise gelangt er zur ätiologischen 
Diagnose und damit zur ätiologischen Therapie 
der funktionellen Störungendes weiblichen Geni¬ 
tale. 

Die erwähnten Störungen der Genitalfunktion aus extragenitalen 
Ursachen sind nicht selten zu beobachten. Am klinischen gynäko¬ 
logischen Material der Frankfurter Universitäts-Frauenklinik ans den 
Jahren 1909—18 gemessen beträgt ihre Zahl 1611 auf 15 038 klinisch 
untersuchte Fälle, gleich 10,5 Proz. 

Daran beteiligen sich die funktionellen Menorrhagien mit 
2,8 Proz., die Oligo- und Amenorrhoen mit 1,08 Proz. und die funktio¬ 
neilen Hypersekretionen der Uterusdrüsen mit 1,4 Proz. 

Der Rest entfällt auf die Sensibilitätsstörungen, die Hyperästhe¬ 
sien und die Algien im Genitale und dessen Umgebung, sowie die Mo¬ 
tilitätsstörungen, wie den Vaginismus und den „Tick“ des Levator 
ani . l ) 


*) Einzelheiten der Frage des Einflusses von Allgemeinerkran¬ 
kungen im Körper auf den Genitalapparat finden sich in der dem¬ 
nächst erscheinenden 2. Auflage des Handbuches für Gynäkologie von 
Menge und Opitz, Verlag J. F. Bergmann, Wiesbaden, in der ich 
die Zusamenhänge der einzelnen Fragen ausführlich behandelt habe. 


Weitere Untersuchungen Uber das Gebiet der sehr 
harten Röntgenstrahlen und ihre Anwendung in der 
Tiefentherapie*). 

Von Ingenieur Dr. Friedrich Dessauer, Frankfurt a. M. 

I. Erweiterung des Röntgenspektrums. 

Um die Wende des Jahres 1915—1916 tauchte ein sehr ernsthaftes 
physikalisches Problem auf, dessen 'Lösung wichtige Konsequenzen 
für das Gebiet der Tiefentherapie hatte. Von seiten Rutherfords 
und zweier seiner Mitarbeiter, der Herren Richardson und Bar¬ 
nes, wurde nämlich auf Grund einer sorgfältigen Untersuchung die 
Behauptung aufgestellt, dass die Strahlen der.Röntgenröhre nicht über 
einen bestimmten Härtegrad hinaus steigen, wenn man an die Pole 
der Röntgenröhre immer höhere und höhere Spannungen anlegt. 

Dieses Ergebnis stand im Gegensatz zu allen Bestrebungen, die 
von manch anderer Seite, auch von mir, seit Jahren zum Ausbau der 
Tiefentherapie mit grossem Aufwand verfolgt worden waren. Ich 
darf daran erinnern, dass ich 1 in einer Reihe von Arbeiten auch in 
dieser Zeitschrift 1 ) Schritt für Schritt die technische Erzeugung sehr 
harter Röntgenstrahlen, möglichst solcher, die der Härte der Gamma¬ 
strahlen nahekommen, als wichtigstes physikalisch-technisches Pro¬ 
blem in der Tiefen therapie auf gestellt und verfolgt hatte. Die 
Schlüsse Rutherfords, würden sie nicht durch neue Tatsachen 
widerlegt, hätten die Bedeutung, dass die Röntgentechnik niemals 
in- der Lage wäre, dasselbe Medikament, welches das Radium dem 


*) Vortragsabend über Röntgen-Tiefentherapie in der Kgl. II. Uni¬ 
versitätsklinik für Frauenkrankheiten in München am 16. März 1918. 
Der Vorstand der Klinik hat Herrn Dr. F. Dessaue r-Frankfurt a.M. 
ersucht, im Rahmen dieses Vortragsabends über die Einführung von 
durchschlagsicheren Transformatoren für sehr hohe Spannungen in 
praktischen Dimensionen zu berichten und über die mit ihrer Hilfe 
entdeckte Erweiterung des Röntgenspektrums, welche ganz neue Aus¬ 
sichten für die Tiefentherapie zu gewähren scheinen und uns hoffen 
lassen, dass ein neuer grosser Fortschritt vorwärts getan ist zur Be¬ 
kämpfung des Krebses. 

*) Versuche über die harten Röntgenstrahlen, M.m.W. 1913 Nr. 13. 
— Fortschritte in der Erzeugung harter Röntgenstrahlung, M.m.W. 
1913 Nr. 4L — Neue Arbeiten auf dem Gebiete der Tiefenbestrahlung, 
M.m.W. 1912 Nr. 30, ferner Nr. 24 und 32, 1908 Nr. 30, 1917 und andere. 

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Arzte zur Verfügung stellt, gewissermassen künstlich zu gewinnen, 
denn, wenn die Röntgenstrahlung nicht härter als bis zu einem ge¬ 
wissen Masse erregt werden kann, wenn also ihre Wellenlänge nicht 
weiter verkleinert oder, was dasselbe bedeutet, die Schwingungszahl 
nicht weiter vergrössert werden kann, dann erreicht die X-Strahlung 
auch niemals die wirksame Strahlung der radioaktiven Substanzen 
deren Wellenlänge immer noch kleiner ist als die dar härtesten von 
uns bis zu diesem Zeitpunkte erzeugten Röntgenstrahlung und die in¬ 
folgedessen vielleicht eine spezifisch andere biologische Wirkung 
haben kann, die aber jedenfalls einer geringeren Absorption unter¬ 
liegt als die dann nur möglichen härtesten Röntgenstrahlen. 

Da hätte man etwa 13 Jahre hindurch gepflegte Hoffnungen in 
der Tiefentherapie zu Grabe tragen müssen, deren physikalische 
Grundlagen an erster Stelle äusserste Härte, daneben Homogenität 
der Strahlung, hinreichende Intensität an der Wirkungsstelle, unschäd¬ 
liche Intensität an anderen Stellen und Dosierbarkeit verlangten, für 
alle diese weiteren Forderungen ist aus Gründen, die an anderen 
Stellen behandelt wurden, die erste, die Erzeugung härtester Strahlen, 
die Voraussetzung. 

Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Ergebnisse von 
R u t he r f o r d nicht allein blieben. Ein Jahr vorher hatte in meinem 
Laboratorium Winawer die bis dahin bekannte härteste X-Strah¬ 
lung gemessen und sein Ergebnis (Absorptionskoeffizient ß = 0,39 
in Alum.) wurde von dem Rutherfords bestätigt. Die Härte 
dieser Strahlung, von uns Xy-Strahlung genannt, konnten wir 
zunächst nicht übertreffen. Auch von W i n t z weüss ich, dass er 
Versuche mit negativem Resultate anstellte, um durch Spannungs¬ 
erhöhung noch härtere Strahlen zu erzeugen. Die Technik zog ihre 
Konsequenzen im Apparatebau; ich erwähne den Reformapparat und 
aus neuerer Zeit den Symmetrieapparat von W i n t z und Bau¬ 
meister. 

In einer ausführlichen Untersuchung habe ich die Ergebnisse der 
drei englischen Autoren nachgeprüft und widerlegt. Wegen der 
Einzelheiten muss ich auf die Veröffentlichung in den Verhandlungen 
der Deutschen physikalischen Gesellschaft IX. Jahrg. H. 17/18 ver¬ 
weisen. Die Untersuchung, welche im Institut für angewandte Physik 
der Frankfurter Universität durchgeführt wurde, benutzte Spannungen 
bis zu 310 000 Volt, das ist also das Doppelte von dem, was 
zur Erzeugung harter Röntgenstrahlen etwa durchschnittlich bis da¬ 
mals angewendet worden ist. Dabei ergab sich, dass die Rüther- 
fordsche Annahme von einer begrenzten Erweiterung des Röntgen¬ 
spektrums irrtümlich ist. Vielmehr konnten Röntgenstrahlen von 
grösserer Härte, das ist kleinerer Wellenlänge erregt werden, als jene 
es war, die Rutherford als Grenze angegeben hatte. Auch die 
Ursache des Irrtums, welchem die englischen Autoren unterlagen, 
wurde festgestellt. Diese Ursache bestand im Auftreten, der charakte¬ 
ristischen Strahlung der Antikathode, die in so grosser Intensität bei der 
Erreichung einer gewissen Spannung sich geltend macht, dass die 
weitere Härtung eines kleinen Teiles der Strahlung im Gemische bei 
steigender Spannung zunächst nicht gemerkt wird und erst wieder 
zutage tritt, wenn man die Spannung wesentlich erhöht, so dass die 
Intensität der charakteristischen Strahlung im Verhältnis zur Gesamt¬ 
intensität wieder zurücktritt. 

In der Zwischenzeit hat Rutherford selber seine Arbeit zu¬ 
rückgenommen insoweit, als er anerkennt, dass seine Schlüsse über 
die Begrenzung des Röntgenspektrums irrtümlich waren und er selbst 
fand, dass bei seiner neuen Untersuchung, die sich über Spannungen 
bis 200 000 Volt erstreckte, härtere Strahlen auftreten. Das Problem 
ist also entschieden: wir können durch Steigerung der 
Spannung die Rön fgenstrahlen weiter und weiter 
härten, eine Grenze dafür wird, wenn sie überhaupt vorliegt, erst 
sehr spät zu erwarten sein. Es ist immerhin interessant, dass die 
härtesten in meiner Untersuchung entdeckten Röntgenstrahlen eine 
Durchdringungsfähigkeit besitzen, die hinreicht, noch nach Bleidicken 
von 25 mm deutlich wahrgenommen zu werden, während die bisher 
härtesten Röntgenstrahlen durch ein Bleifilter von 3 mm praktisch 
ganz absorbiert worden sind. Die Durchdringungsfähigkeit dieser 
Strahlen ist also schon ungeheuer gross. Praktisch sind sie aber nicht 
so sehr gefährlich, da sie zwar den Untersucher auch hinter der 
Bleiwand noch treffen, aber ihre Härte so gross ist, dass sie 
biologisch nicht so brutal wirken, als die bisher bekannten weicheren 
Strahlen es getan haben. 

Es fragt sich nun, welche Bedeutung hat die Möglichkeit, härtere 
und immer härtere Röntgenstrahlen zu erregen für die Tiefenfherapie? 
Und es fragt sich weiter: Kann die Technik diese im physikalischen 
Experimente nachgewiesenen Strahlen auch ökonomisch hersteilen, 
so dass sie in der Hand des Arztes nützlich verwertet werden können? 
Mit diesen beiden Fragen möchte ich mich im nachfolgenden kurz 
beschäftigen und ein Instrumentarium beschreiben, das nacn meinen 
Angaben zur Verwertung sehj harter Strahlen von den) Veifa-Werken 
gebaut worden ist. 

II. Die Bedeutung der harten Strahlen für die Tiefentherapie. 

Ausser von ganz vereinzelten Autoren ist meine seit mehr wie 
einem Jahrzehnt verfochtene Ansicht, dass die Röntgenstrahlen für 
die Probleme der eigentlichen Tiefentherapie möglichst hart sein 
müssen, nun wohl von allen Untersuchem als richtig anerkannt. Es 
ergibt sich dies aus dem einfachen Gedankengange der Homogen¬ 
strahlungslehre, die ja, wenn auch in vielen Variationen und anderen 
Bezeichnungen immer wieder als Kern des physikalischen Bestrah¬ 
lungsproblems sich herausgestellt hat. Ich nehme im folgenden an. 

Original from 

UNfVERSITY OF CALIFORNIA 




10. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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dass die Erzeugung sehr harter Röntgenstrahlen unzweifelhaft wichtig 
ist, dass wir uns mit ihrer Härte dem Radium möglichst nähern 
müssen, um in 1 -der Tiefe einen möglichst grossem Effekt im Vergleich 
zur Oberfläche zu erzielen. Ueber die Gründe will ich mich hier 
nicht näher verbreiten, in einer Reihe von Abhandlungen *) ist dar¬ 
über ja schon ausführlich gesprochen worden. 

Aber wie auch schon aus den alten Grundüberlegungen der 
Tiefentherapie, der Homogenstrahlungslehre, hervorgebt, ist es mit 
der Erregung einer sehr harten Strahlung allein nicht getan. Die 
Strahlung, die wir benutzen, muss nicht nur sehr hart sein, sondern 
sie muss auch möglichst einheitlich sein, kein zu breites Gemisch sein, 
damit man ein einheitliches Medikament vor sich hat und einiger- 
massen darüber urteilsfähig wird, wie die Absorption im Körper 
stattfindet und welche Intensität der Strahlung in der Tiefe an den 
eigentlichen Krankheitsherd von jeder Einfallspforte aus gelangt. 
Ferner muss die Strahlung in möglichst grosser Intensität vorhanden 
sein. Die meisten massgeblichen Untersuchungen der neueren Zeit 
(u. a. W a r n e k r o s, Winter, Pagenstecher, auch S e i t z und 
Wintz neuerdSngs, M.m.W. 1918 Nr. 4 u. 8) weisen immer wieder 
darauf hin, dass die rasche Verabfolgung hinreichend grosser Dosen 
wichtig für dem Erfolg ist, ja entscheidend, dass die Verzettelung der 
Dosen» Nachteile bringt, ja die Wirkung völlig gefährdet. Da aber 
beginnt das technische Problem. Mit physikalischen Methoden kann 
man nicht arbeiten. Die physikalischen Untersuchungsmethoden sind 
überaus fein, auch minimale Mengen extrem harter Strahlen lassen 
sich nachweiseir. Die Technik verlangt etwas anderes, sie muss ge¬ 
nügende Intensitäten der homogen harten Strahlung mit Sicherheit 
zur Verfügung stellen und sie muss — und damit komme ich zu der 
letzten entscheidenden 'Forderung — gestatten, diese Mengen auch 
zu messen, sowohl hinsichtlich ihTer Qualität wie ihrer Quantität. 
Ueber das Problem des Messens der Strahlung, d. h. also das alte 
Problem dier Dosierung, habe ich mich vor kurzem im der M.m.W. 
ausgesprochen- und dargetan, dass mit Hilfe der gasfreiem Röntgen¬ 
röhren und bestimmter Apparattypen' gelingen muss, und tatsächlich 
auch gelingt, qualitativ und quantitativ mit ganz einfachen Hilfs¬ 
mitteln genauer und einwandfreier zu messen als es bisher gelang. 
Ich verweise auf die Arbeit M.m.W. 1917 Nr. 30 und erwähne, dass 
in dem nachfolgend beschriebenen Instrumentarium diese Arbeits¬ 
methode verwirklicht werden soll und dass es also nicht nur der 
Erzeugung harter Strahlern gewidmet ist, nicht nur der Erzeugung 
grosser Intensität und Gleichmässig'keit der Strahlung, sondern» auch 
ihrer einfachen Messung hinsichtlich Härten und Menge, also auch der 
zuverlässigen Dosierung im der Hand des Arztes. 

Die Härte der Röntgenstrahlen ist in erster Linie und wahrschein¬ 
lich allein abhängig von der Spannung, die man» am die Elektroden 
einer gasfreien Röhre (Fürstenau-Coolidge -Röhre) amlegt. 
Bei den alten gashaltigem Röhren hängt die Härte der Strahlung auch 
von dem Zustand der »Röhre ab. Bei den gasfreien Röhren ist das nicht 
mehr der Fall. Hier ist die 'Härte der erregten Röntgenstrahlung ein Aus¬ 
druck der Spannung und allenfalls noch abhängig von dem Auftreten 
charakteristischer Strablungslimiem von der Antikathode her. Diese 
letztere Komplikation wollen wir aber ausser acht lassen. Lilien¬ 
feld ist anderer Ansicht. Er hat in einer Broschüre und kürzlich in 
einer Abhandlung in den Verhandlungen der Sächsischen Akademie 
der Wissenschaften dargetan, dass seiner Ansicht nach die Härte der 
Strahlung prinzipiell nicht nur von der Spannung, sondern auch 
von der Dichte des Kathodenstrahlenbündels auf der Antikathode ab¬ 
hängig ist Die Darlegungen» Lilienfelds in dieser Beziehung und 
seine experimentelle Nachprüfung halte ich nicht für stichhaltig und 
Kontrollversuche, die ich anstellte, bestätigten sie nicht 3 ). Wir 
können das aber dahingestellt sein lassen. Wenn die Dichte der 
Elektronen mach Lilienfeld auch die Härte beeinflusst, dann 
werden wir eben alle Röntgenröhren so bauen müssen», dass diese 
Dichte möglichst gross ist und werden- dadurch, wenn Lilienfeld 
Recht hätte, eine gewisse, allerdings kleine Beeinflussung der Härte 
herbeiführen können. Er dürfte aber nicht Recht haben. Entscheidend 
ist nach allem, was die Physik weiss, die Geschwindigkeit, 
mit welcher die Kathodenteilchen auf die Antikathode prallen und 
diese ist in gasfreien Röhren einzng und allein abhängig von der 
Spannung, die an den Röhrenelektroden anliegt. Dies ist unbestritten 
der gerade und entscheidende Weg. 

Will man diesen Weg gehen, so stösst man alsbald auf ein sehr 
schwieriges technisches Problem, ein Problem, das schon in den 
letzten 5 Jahren der Röntgentechnik eine sehr unangenehme Rolle 
gespielt hat. Man musste nämlich seit dieser Zeit die Römtgenapnarate 
für immer höhere Spannungen- bauen, d. h. die Induktoren oder Trans¬ 
formatoren so bemessen, dass sie immer mehr Volt Sekundärsnannung 
geben, entsprechend auch immer grössere Schlagwciten. Ein nor¬ 
males Röntgeninstrumentarium für Tiefentherapie gab etwa 
100000 Volt Sekundärspannung und wesentlich mehr vertrug auch 
früher die gashaltige Röhre nicht. Um wesentlich weiter zu kommen, 
muss man diese Spannungen auf zunächst 200 000 Volt erhöhen. Aber 


*) Vergl. die nachfolgenden Messungen von Dr. Frhr. v. W i e s e r. 
9 ) Vergl. u. a.: Eine neue Anwendung der Röntgenstrahlen. Vh. d. 
D. phvsik. Ges. IX. 1907. Nr. 3. — Die nhvsikalischen und technischen 
Orundlagen der Tiefenbestrahlung. Strahlemtherapie 1. 1912». H. 3. — 
Radium. Mesothorium und die harte X-Strahlung, Leipzig 1914 bei 
Otto Nemmich. — Dessauej-Wiesner: Leitfaden des Röntgen¬ 
verfahrens. 5. Auf!.. 1916, ib-tw m. 

Digitized by 


schon der Versuch, der vor dem Kriege veröffentlicht wurde (M.m.W. 
1914 Nr. 18), die Spannung wesentlich zu erhöhen und härtere 
Strahlen zu erzielen, gelang zwar, aber brachte unangenehme Begleit¬ 
erscheinungen. Nachdem auf meinen Vorschlag die Veifawerke und 
nachher alle anderen Fabriken Tiefentherapieapparate für immer 
höhere Sekundärspannungen bauten, zeigte sich im Dauerbetrieb kein 
Indüktorium und kein Transformator der Belastung mit diesen hohen 
Spannungen gewachsen. Spannungen von 150 000 Volt und mehr, wie 
sie damals in mehrstündigem, täglichem Betriebe an die Röhre an¬ 
gelegt wurden, zerstören früher oder später, aber mit unfehlbarer 
Sicherheit den Transformator, oder den Induktor und es ist nur eine 
Frage der Zeit gewesen, dass er defekt wurde, vorausgesetzt aller¬ 
dings, dass »der Benutzer wirklich von der höchsten Spannung, die 
das Instrumentarium ihm zur Verfügung stellte, längere Zeit Gebrauch 
machte. Wenn irgendwo diese Transformatoren lange hielten, geschah 
es deshalb, weil man sie nicht dauernd mit den höchsten Spannungen 
betrieb. Dann hatte man nicht die geeignete Strahlung. Wo man 
aber, um das Medikament möglichst gut zu bekommen, also mit mög¬ 
lichst harter Strahlung zu arbeiten, die Spannung ausnützte-, kam es 
zum Durchschlag des Induktoriums oder des Transformators und zwar, 
wie sich herausgestellt bat, mit unvermeidbarer Naturnotwendigkeit. 
Infolgedessen war, bevor dem Arzt noch härtere Röntgenstrahlen in 
grosser Menge und mit Sicherheit zur Verfügung gestellt werden 
konnten, jetzt erst ein anderes Problem zu lösen, nämlich das der 
Herstellung eines Instrumentariums, speziell eines Transformators, der 
nicht durchschlägt und doch Spannungen von 200 000 Volt und mehr 
dauernd zur Verfügung stellen kann. Dieser Aufgabe habe ich mich 
in einer mehr als ein Jahr dauernden Untersuchung unterzogen und 
zwar gleichfalls in den Laboratorien der Frankfurter Universität 4 ). 
Einzelheiten über das neue Transformatorensystem sind in der oben 
zitierten Arbeit „Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesell¬ 
schaft“ IX. Jahrg. H. 17/18 niedergelcgt. Im nachfolgender gebe icli 
nur eine ganz kurze Darstellung des Gedankengangs der Erfindung. 

m. Die technische Erzeugung sehr harter Strahlung. 

Wenn der Strom einer Wechselstromzentrale von beispielsweise 
120 Volt Spannung auf beispielsweise 100 000 Volt hinauf trans¬ 
formiert werden soll mit Hilfe eines Transformators, so muss die 
Isolation des Transformators die Spannung von- 100 000 Volt auch 
ertragen. Will man nun den Transformator so bauen, dass eine 
Spannung von 200 000 Volt geliefert und von der Isolation ertragen 
wird, dann- kommt man, wenn man betriebssicher auf Grund der 
Gesetze der elektrischen» Festigkeitslehre konstruieren will, zu un¬ 
geheueren Dimensionen und zu unerschwinglichen Kosten. Ein solcher 
Transformator würde gegenwärtig viele zehntausende von Mark 
kosten und würde in einem normalen ärztlichen Institut nicht unter¬ 
zubringen sein. Konstruiert man ihn aber so, dass er die Spannung 
liefert und gibt man ihm nicht die grosse Dimension und beansprucht 
ihn dauernd mit dieser hoben Spannung, dann schlägt er durch. Als 
Beispiel für den Raumbedarf ist das oberste Teil eines Hochspannungs¬ 
transformators für 500 000 Volt in Fig. 1 abgebildet. Der Trans¬ 
formator selbst steht unterhalb des Bodens in der Figur. 

Der Grund des Durchschlags ist der. dass die Isolationsmaterialien 
nicht existieren, welche auf die Dauer die Beanspruchung seitens 
einer solchen- Spannung auszuhalten vermögen», wenn sie nicht über¬ 
mässig dimensioniert werden. Es ist dabei etwas gedanklich w r ohl 
auseinanderzuhalten, was häufig verwechselt wird: einmal die Se¬ 
kundärspannung eines Transformators, zum Beispiel also 100 000 Volt 
und dann ferner die Beanspruchung, welcher das Isoliermaterial aus¬ 
gesetzt ist und» die bei einem gewöhnlichen Transformator abhängig 
ist von dieser Sekundärspannung, die er liefert. Wenn man die Se¬ 
kundärspule eines Transformators genau in der Mitte erdet, so dass 
also dort das Potential 0 herrscht und an seinen beiden Enden plus 
50 000 Volt und minus 50 000 Volt, also zusammen 100 000 Volt 
zwischen den Polen, dann hat jede Seite des Transformators eine 
> Isolationsbeanspruchung von 50 000 Volt auszuhalten. Bei einem 
Transformator von 200 000 Volt hätte jede Seite eine Beanspruchung 
von» 100 000 Volt auszuhalten. Die Lösung des Problems liegt darin, 
dass der Transformator nach dieser Erfindung so gebaut wird, dass 
er wohl die Spannung liefert, die er liefern soll, also zum Beispiel 
200 000 Volt, dass aber das Isoliermaterial nicht die Beanspruchung 
auszuhqlten hat, welche die Folge dieser Spannung ist, dass es also 
in diesem Beispiel nicht 100 000 Volt an jedem Ende ertragen muss, 
sondern dass diese Beanspruchung zum Teilp durch besondere 
Organe aufgefangen wird, die, weil sie eben nur die Beanspruchung 
auszuhalten haben, nicht aber Spannung erzeugen, diese Aufgabe auch 
erfüllen- können. In Fig. 2 zeigen die Skizzen 1 bis IV diesen- Ge¬ 
dankengang anschaulich. In Skizze I ist schematisch ein Trans¬ 
formator für 100 kV effektive Sekundärspannung angedeutet und 
zwar nicht so, wie er tatsächlich gebaut wird, mit übereinander¬ 
gelagerter primärer und sekundärer Wickelung, sondern der Ueber- 
sichtlichkeit halber die Primärspule wi. deren Eisenkern und die 
Sekundärspule in» der Ebene nebeneinandergelegt. An die Primär¬ 
spule ist ein Netz von beispielsweise 100 Volt Wechselstrom *mgc- 
scblossen. Sie hat also ein von der Erde nur wenig verschiedenes 

4 ) Dem Vorstand des Instituts für angewandte Phvsik der Uni¬ 
versität, Herrn o. ö. Professor Dr. D 6 gu isn e, ferner Herrn Ingenieur 
Kress von den Veifawerken und meinem Versuchsmechaniker 
van der Linden, die mich dabei kräftig unterstützten, sage ich 
auch an dieser Stelle Dank. 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1028 


M1IENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


Potential, denn die beiden Pole der Sekundiärspulie haben plus und chung. Die eigentliche Transformationsaufgabe besorgt der geteilte 

minus 50 000 Volt und gegenüber der hohen Spannung der Sekundär- Haupttransformator. 

spule begeht man keinen Fehler, wenn man diese kleinen/ Spamnungs- An der Verbindungsstelle c wird die Hochspannungsseite geerdet, 

unterschiede der Primärspule zur Erde vernachlässigt und der Ein- dann entsteht bei a (vgl. Diagramm) und b in jedem Moment ent- 

fachheit halber sich vorstellt, die Primärspule hätte das Potential 0, gegengesetzt gerichtete, aber der absoluten Grösse nach gleiche Span- 

also das Erdbotentiali, so wie es im Schema angedeutet ist. Die nung gegenüber der Erde von je 50 kV. Die Punkte d und e sind 

Mitte der Sekundärspule wird bei Transformatoren vielfach an Erde im Mittelpunkte der beiden Sekundärwicklungen. Ihre Potentiallage 

angescblossen, weil das tatsächlich die günstigsten Bedingungen für zur Erde ist also je 25 kV. Diese beiden Punkte werden nun jeder 

den Betrieb schafft.^ Aus der Betrachtung der Skizze ist dann leicht für sich mit der zugehörigen Primärspule verbunden. Die Primär¬ 
ersichtlich, dass beim Betrieb des Transformators zwischen der Mitte spulen der Transformatoren müssen voneinander und von der Erde 

der sekundären Spule und der primären Spule keime Potentialdifferenz isoliert sein. Durch diese Massnahme ist die maximale Beanspru- 

und damit auch keine Beanspruchung des Isoliermaterials besteht chung auf 25 kV beschränkt, und es ist nur noch Sorge zu tragen, 

weil ja beide das Potential 0 haben. Anders ist es an den beiden dass die Hilfstransformatoren Hi und Hs eine Spannung von gleich¬ 
enden a und b, die plus und minus 50 000 Volt Spannung gegen die falls 25 kV zwischen Primär- und Sekundärspule aushalteni, eine For- 

Erde und damit auch gegen die Primärspule habem In der neben- derung, die bei den wenigen primär und sekundär gleichen Win- 

stehenden graphischen Darstellung ist das dadurch zum Ausdruck ge- düngen leicht zu erfüllen ist. Das Diagramm zeigt die Verteilung der 

bracht, dass die Linie a bi, welche dartut, wie die Spannung rechts Durchschlagsbeanspruchung deutlich. 

und links von' der Mitte der Sekundärspule proportional der Windungs- Vielleicht ist dieser Gedankengang dennoch etwas schwer ver¬ 

zähl wächst, durch 0 hindurchgeht, und die Beanspruchung ist durch ständlich. Man mache sich klar, dass bei einem Transformator die 
die gestrichelte Linie a bi dargestellt; man sieht, dass die Bean- Aufgabe der primären Spule ja nur die ist, elektrische Energie in ein 

spruchung des Iso Herma terials an jedem Polende 50 000 Volt gegen- pulsierendes Kraftfeld umzusetzen, damit dieses Kraftfeld in der 

über der Primärspule beträgt Würde man, statt die Mitte der Sekun- Sekundärspule neuerdings Hochspannung hervorruft. Bei der ge- 

därspule an Erde zu legen, das Polende b der Sekundärspule mit der wohnlichen Transformatorenkonstruktion gehen die Kraftlinien von 

Erde verbinden, so würde gemäss der Linie aba die Spannung von Primärspulen aus, die annähernd Erdpotential haben, weil sie von den 

b nach a einseitig bis auf plus 100 000 Volt anwachsen und die ge- Netzen direkt gespeist werden. Es ist gar nicht nötig, dass die pri- 

strichelte Linie a t >2 zeigt dann, dass bei b keine Beanspruchung des mären Spulen direkt von den Netzen gespeist werden und damit 

Materials erfolgt, aber bei a eine solche von 100 000 Volt. Dies wird Erdpotential erhalten. Bei dem neuen Transformator werden sie 

keinesfalls besser, wenn etwa, wie Skizze II es zeigt, der Trans- daher nicht mehr vom Netz gespeist, sondern aus einer anderen 

iormator in zwei Gruppen zerlegt wird. Irgendein Punkt des Se- Stromquelle, deren Potential beliebig gestaltet werden kann. Ist die 

ktmdärkreises muss an Erde gelegt werden. Ist es Punkt c, so bleibt Sekundärspule des Transformators in zwei Teile zerlegt (Fig. 2 IV), 

das Diagramm der Hochspannung und die Beanspruchung ist ebenfalls die bei c miteinander verbunden sind und wird c an Erde gelegt, 

gleich (Diagrammskizze) der halben Sekundärspanmung, wird statt c dann haben die beiden Mitten der Sekundär spulen d und e natürlich 

ein Ende a oder b geerdet, dann steigt die Durchschlagsbeanspruchung nicht Erdpotential. Ist es z. B. ein 100 000-Volt-Transformator, und 

wiederum am 1 anderen Ende auf die volle Höhe der Sekundärspan- zwar bei a plus 50 000 und bei b minus 50 000 Volt, dann wird die 

n-ung. Spulenmitte d ein Potential plus 25 000 Volt 


Skizze III zeigt die Vorschaltung eines 
Hilfstransformators H vor den Hochspannungs¬ 
transformator. Einfach ist das nur, wenn der 
Hilfstransformator ein Verhältnis ähnlich 1:1 
hat, und dabei bleiben die Diagramme des 
Falles II bestehen. Den irgendwo zwischen a 



Fig. 1. Prüftransformator für 500000jV. der 
Maschinenfabrik Oertikon. 
Oesamthöhe des Transformators bis zu den 
Kugeln 5,75, bis zum AufhSngegerÜst 8,9]m, 
Oesamtgewicht 34 t, Oewicht des Oels 19 t. 



Fig. 2. 


haben und die Spulenmitte e minus 25 000 Volt. 
Das Neue ist nun ausser dieser Teilung 



Fig. 3. 


und b im Sekundärkreise des Hochspannungstransforinators muss^ Erd¬ 
potential liegen, am besten bei c. Dann aber muss auch die Primär¬ 
spule Erdpotential haben, denn jedes davon verschiedene Potential 
erhöht die Durchschlagsbeanspruchung an einem Ende. Würde in H 
ein. Teil des Uebersetzungsverhältnisses gelegt, so wäre die Sache 
wohl ungünstiger, denn der Eisenkern in T erhält damit die Rolle, 
die vorher die Primärwicklung in T hatte, und muss deshalb Erd¬ 
potential erhalten. Die elektrische Beanspruchung ist geblieben und 
die Kosten und Schwierigkeiten der Unterbringung einer zweiten 
Wickelung von sehr zahlreichen Windungen kommen hinzu. 

Dagegen erlaubt die Anordnung IV die angestrebte Entlastung 
des Materials, wie sie aus dem Diagramm hervorgeht. 

Der Transformator ist in zwei Hälften Ti. Ts zerlegt, deren jede 
beispielsweise das vorgeschriebene Ucbersetizungsverhältnis hat, so 
dass dieses bei der hier angedeuteten Sekundären und primären 
Serienschaltung ungeändert bleibt. Den beidenHaupttransformatoren ist 
je ein Hilfstransformator vorgeschaltet. Diese Hilfstransforma¬ 
toren brauchen kein von 1 verschiedenes Uebersetzungsverhälnis zu 
haben, sie dienen lediglich zur Unterteilung und da¬ 
mit zur Herabset zja^i g d e r DjU rchbruchsbeanspru- 

Digitized by (jOOQlC 


des Transformators: jede Primärspulc erhält dem Strom statt aus dem 
Netz aus einer besonderen Stromquelle, nämlich im diesem Beispiel 
jede von der sekundären Spule eines Hilfstransformators her. Es 
sind das die Kreise wi und ws, die je eine Sekundärspule der Hilfs- 
transformatorem Hi und Ha enthalten und je eine Primärspule der 
Hochspannungstransformatoren Ti und Ts. So kann es erreicht wer¬ 
den, dass der Leitungskreis, welcher den Primärstrom für die beiden 
Hochspamnungstramsformatorem liefert, überhaupt keime leitende Ver¬ 
bindung mit der Zentrale hat. Da er aber diese leitende Verbindung: 
nicht hat, kann jeder dieser Kreise auf ein beliebiges Potential ge¬ 
bracht werden und man wählt ein solches, welches möglichst wenig 
verschieden ist vom dem Potential der zugehörigen* sekundären Spule, 
also man bringt den Kreis wi auf plus 25 000 Volt und den Kreis ws 
auf minus 25 000 Volt und damit ist die höchste Beanspruchung des 
Transformators, welche an den Enden a und b und in der Mitte c 
stattfimdet, auf je 25 000 Volt beschränkt, während sie bei einem ge¬ 
wöhnlichen Transformator dieser Bauart 50 000 Volt beträgt. 

Woher bekommen aber num die beiden Kreise wi und ws ihren 
Strom? Eben durch die Hilfstransformaioren Hi und H 2 , die vorn 
Netz gespeist werden 1 . Diese Hilfstransformatorem haben also keint; 

Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 
















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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1029 


andere Aufgabe, als die Energie des Netzstromes in die Primärspulen 
der Hochspannungtransformatoren zu übertragen, ohne dass diese 
letztere in leitender Verbindung mit dem Netz stehen. Die Hoch¬ 
spannungstransformatoren werden also nur indirekt vom Netz ge¬ 
speist und durch diese indirekte Speisung kann man die Potentiale der 
primären Spule steuern wie inan will und die Beanspruchung herab¬ 
setzen. 

Dieses System kann vielgestaltig weiterentwickelt werden, wie 
die Skizzen V und VI (Fig. 3) zeigen. 

Skizze V zeigt die Anordnung mit einer Verbesserung, der Ein¬ 
führung eines dritten Transformators. Die Ersparnis beträgt einen 
Hilfstransformator. Die Verteilung der dielektrischen Beanspruchung 
ist aus der Skizze und dem Diagramm ersichtlich. 

Beim weiteren Ausbau des Systems lassen sich Transformatoren 
sparen, indem die Hillstransformatoren; die gewissermassen die Eck¬ 
pfeiler des Systems bilden, grösser genommen werden, wie die 
Skizze VI zeigt, wenn man sie als aus Skizze V hervorgegangen be¬ 
trachtet. Besitzt ein Laboratorium eine Hochspannungsprüfanlage — 
z. ß. für 150 kV — und will auf 250 kV übergehen, so braucht es 
nichts von seiner Anlage zu verlieren, sondern nur die Flügel der 
Anordnung auszubauen. Die Ecktransformatoren werden in der Lei¬ 
stung grösser, die früheren rücken herein, keine Stelle ist afyer höher 
wie 35 kV in unserem Beispiel belastet, die Durchschlagssicherheit 
ist sehr gross. Darin liegt meines Erachtens ein Vorteil dieses Systems 
bei seiner Anwendung in Prüfanlagen, dass mit verhältnismässig ge¬ 
ringer Ergänzung und ohne Verlust die Anlage für immer höhere 
Spannungen ausgebaut werden kann, und dass dabei feststehende 
Typen- verwendet werden können, welche die serienweise Herstellung 
zulassen. Die Bedeutung des Systems für Starkstromzwecke, Prüf¬ 
transformatoren usw. ist nicht Gegenstand meines Vortrags. 

Vielleicht darf noch erwähnt werden, dass in den Schaltskizzen 
nur Beispiele gegeben sind; das System, welches in der Aufnahme 
eines Teiles der Durchschlagsbeanspruchung, nicht der Transformation 
selbst, im Hilfsorganen besteht, lässt sich mannigfach variieren. -So 
braucht das Potential, auf welches die Sekundärspulen der Hilfstrans¬ 
formatoren gebracht werden, nicht wie in den Beispielen, das der 
Verbindungsstellen zweier benachbarter Hochspannungswicklungen 
zu sein, ebensogut kann die Sekundärspule des zugehörigen Teil¬ 
transformators an einer passenden Stelle angeizapft und däs dor{ 
vorhandene Potential dem Zwischenkreise miitgeteilt werden. 

IV. Einige Ergebnisse. 

Mit diesem neuen Hilfsmittel ausgestattetf konnte, wie im I. Ab¬ 
schnitt bereits angeführt, das Röntgenspektrum nach der Seite der 
kurzen Wellen wesentlich erweitert werden. Fig. 4 gibt eine Ueber- 
sicht über die heutige Kenntnis der härtesten X-Strahlen unter Ver¬ 
wertung dieser neuen Resultate. Auf der horizontalen (Abszissen-) 
Achse sind die benutzten Spannungen des Transformators in kV an¬ 
gegeben, auf der Vertikalkolonne in logarithmischen Abständen die 
Schwächungskoeffizienten in Aluminium, welche der mit den an¬ 
gegebenen Spannungen erzeugten härtesten Röntgenstrahlung ent¬ 
sprechen. Die kleinen schwarzen Kreuze zeigen die Ergebnisse, welche 
von Winawe r, von Rutherford, Barnes. Richardson 
erhalten w'orden sind und die bei Veröffentlichung meiner Arbeit 
schon bekannt waren. Die umringten Kieuze geben die Resultate 
meiner Arbeit an. Man sieht, dass der Schwächungskoeffizient zunächst 
bei steigender Spannung von etwa 30 000 Volt bis etwa 70 000 Volt 
rasch abnimmt, dass also hier die mit den angegebenen Spannungen 
erregte härteste X-Strahlung rasch an Härte zunimmt. Von 70 bis 
140 000 Volt nimmt die Härte aber nur noch langsam zu und* von 
140 000 Volt bis 170 000 Volt nimmt sie überhaupt nicht mehr zu oder 
besser gesagt, lässt sich ihre Zunahme nicht mehr nachweisen und 
das war das Ergebnis, welches die drei englischen Autoren zu ihrem 
irrigen Schlüsse verleitet hat, wie ich oben im I. Abschnitt angegeben 
habe, und den Rutherford übrigens in letzter Zeit, wie erwähnt, 
zurücknahm. Nun zeigt sich, dass bei Ueberschreitung der Spannung 
von 170 000 Volt die Härte wieder zunimmt, und zwar erheblich. Am 
deutlichsten wird dies, wenn ausser den Koeffizienten in Aluminium 
die Aluminiumhalbwertschichten angegeben werden. Die nachfolgende 
Tabelle zeigt das. 


Maximale 
Spannung 
desTransf. 
in Ic. V. 

Maximale 
^pannunc 
der Röhre 
in k. V 

f.l Al 

Halb¬ 
wert¬ 
schicht 
in AI. 

X ■ 10° 

v IO-* 9 


Vorfilter 


Mess¬ 

filter 

103 

68,5 

0,51 

1,36 cm 

1,92 

1,56 

1 mm Blei 4- Vi cm AI 

1 cm Al 

132 

88 

0,424 

1,61 „ 

1,77 

1,69 

1,5 „ 

„ -t* V« , 


» „ „ 

179 

123 

0,3*56 

1,75 „ 

1 1,72 

1,74 

2,5 ,. 

,, + V* , 


2 „ „ 

220 

156 

0,325 

2,13 „ 

1.6 

1,87 

4 „ 

,, 4- 1 , 


2„ „ 

267 

198 

0,27 

2,57 „ 

1,5 

2,00 

6 „ 

„ 4-V, , 


3 „ ., 

283 

213 

0,258 

2.69 „ 

1,46 

2,05 

7 „ 

„fi , 


3,. , 

308 

237 

0,239 

2,9 „ 

1,42 

2,11 

7 „ 



3 „ „ 


In der ersten Kolonne sind die Spannungen angegeben, in der 
zw ( eiten die dazugehörigen Schwächungskoeffizienten der mit den 
Spannungen erregten härtesten X-Strahlung. Die beiden nächsten 
Kolonnen geben eine annähernde Berechnung der Wellenlängen auf 
Grund von vorläufigen Formeln, die aber noch einer endgültigen 
Nachprüfung in der Physik harren. Die fünfte und sechste Kolonne 
geben die Vorfilter und Messfilter an, mit denen die Abschwächungs¬ 
messung, also die Bestimmung des Al. gemacht worden ist. Die 
vierte Kolonne gibt die Halbwertschicht in Aluminium in Zentimeter 


an und es erweist sich, dass die härteste von mir gefundene X-Strah¬ 
lung eine Halbwertschicht von 2,9 cm Aluminium hatte. 

Lilienfeld und K ü p f e r I e z. B. haben in ihrer gemeinschaft¬ 
lichen Broschüre die härteste mit dem Lüienfeldrohr praktisch er¬ 
reichbare Strahlung unter den günstigsten Bedingungen mit etwa 
1,2 cm AIum.-Halbwertschicht angegeben, bei der grossen Funken¬ 
länge von 42 cm beim Funkeninduktor und 29 cm bei der Wechsel¬ 
strommaschine. 

Massgebend sind hier nur die Erregung hinreichender, durch 
Absorptionsmethoden nachweisbarer Energien. Von verschiedenen 
Seiten, Rutherford, de B r o g 1 i e u. a., ist in letzter Zeit darauf 
hingewiesei* worden, dass beim Nachweis mit der Kristallmethode sich 
schon bei der Erregung mit nicht zu hohen Spannungen Absorptions¬ 
linien der harten K-Strahlung des Antikathodenmaterials auftreten, 
deren Energie aber so gering ist, dass sie für diese Betrachtungen 
nicht in Frage kommen. 

Lilienfeld schreibt seiner Röhre eine besonders harte 
homogene Strahlung zu. Diese Strahlung ist aber tatsächlich nicht 
härter und zum Teil weniger hart als diejenige, die man schon seit 
geraumer Zeit in mancher Klinik mit Aufwand von grosser Sorgfalt 
zur Bekämpfung der Tumoren verwandt hat und sie steht weit zurück 
hinter dem, was nun neuerdings mit sehr hohen Spannungen möglich 
ge worden ist. 

Damit will ich nicht sagen, dass schon jetzt Apparate zur Ver¬ 
fügung stehen, die eine Röntgenstrahlung liefern bis zu 3 cm AIum.- 
Halbwertschicht. Diese Strahlung .kann vorläufig nur als physi¬ 
kalisches Experiment erzeugt werden. Maschinen zu ihrer Erzeugung 
werden augenblicklich noch nicht gebaut, auch sind die Röhren noch 
verbesserungsbedürftig. Wohl aber bauen die Veifawerke Frank¬ 
furt a. M. nach der oben beschriebenen Methode Maschinen bis zu 
240 000 Volt Maximalspannung, die als härteste Strahlung nahezu 
2 cm Alum.-Halbwertschicht liefern (Fig. 4). Praktisch gearbeitet 



wird mit diesen Maschinen bereits seit langer Zeit zumeist mit Halb- 
wertschichten von 1,75 Aluminium und zwar stehen in der Bumm- 
schen Klinik in Berlin zwei derartige Anlagen, davon eine seit 1)4 Jaliren 
in täglich etwa achtstündigem Betrieb. Ein elektrischer Durchschlag 
ist bis jetzt noch nicht vorgekommen; eine Anzahl weiterer Anlagen 
stehen in anderen Klini¬ 
ken. Es ist noch inter¬ 
essant zu vergleichen, 
wie weit die oben ge¬ 
nannte härteste X-Strah¬ 
lung noch von der star¬ 
ken Strahlung des Ra¬ 
diums entfernt ist und 
da lässt sich sagen, dass 
die beiden hauptsäch¬ 
lichen Strahler, Radium B 
und Radium C, etwas 
verschiedene Strahlung 
aussenden. Die Linien 
der Strahlen des Ra¬ 
diums B sind zum Teil 
weicher als die durch 
die neuen Versuche er¬ 
regte härteste X-Strah¬ 
lung und diese letztere 
fällt fast genau zusam¬ 
men mit der harten ß- 
Linie des Radiums B. 

Radium C dagegen stiahlt noch etwas härter doch ist in bezug 
auf die Absorption im Wasser und im Fleisch der Unterschied nicht 
mehr gross gegenüber den oben erwähnten allerhärtesten X-Strahlen. 



Fig. 5. 


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1030 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


Ueber die praktischen Erfahrungen mit diesen Apparaten müssen 
natürlich die Kliniken selbst berichten. Vom Standpunkt des Physikers 
und des Elektrotechnikers aus haben sie sich bewährt, insofern näm¬ 
lich, als sie mit konstanter Gleichmässigkeit und ohne Isolationsfehler 
Tag für Tag und Monat für Monat funktioniert haben. Es liegt keine 
prinzipielle Schwierigkeit vor, die Anlagen auch für 300 000 und 
400 000 Volt und noch höhere Spannungen zu bauen. Im Laboratorium 
arbeite ich zurzeit mit einer Anlage von 450 000 Volt Maximal¬ 
spannung, doch sind die Ergebnisse noch nicht publikationsreif. Alle 
Versuche sind mit der Fürstenau-Coolidge-Röhre ge¬ 
macht. Gewöhnliche Röntgenröhren halten diese hohen Spannungen, 
wenigstens gegenwärtig, nicht aus und geben auch nicht derartig 
harte Strahlen ab, eben wegen ihres Gasgehaltes. 

V. Dosierung. 

Kürzlich (M.rn.W. 1917 Nr. 30) versuchte ich zu zeigen, dass mit 
einem solchen Instrumentarium und der Fürste nau-Coolidge- 
Röhre möglich sein muss, das Dosierungsproblem der Röntgentherapie 
einer befriedigenden Lösung näher zu bringen. Jetzt liegt es noch 
chaotisch. Von den zahlreichen vorgeschlagenen Methoden hat bis¬ 
her keine auch nur annähernd die Voraussetzungen erfüllt. Weder 
die einfache, zuverlässige Feststellung der Strahlenart und ihre will¬ 
kürliche Erregung mit jeder geeigneten Röhre und Apparatur, noch 
der annähernd genaue Massstab der Röntgenstrahlenstärke, ihrer 
Helligkeit gewissermassen und der Vergleich dieser Grössen unter 
den Autoren ist möglich. Aber man darf nie vergessen, dass Klarheit 
erst mit der Messung kommen kann, erst mit hinreichender Kenntnis 
der verwendeten Strahlenart und Intensität einer bestimmten Art 
werden die Grundlagen der Tiefentherapie, die Frage der Sensibilität 
der Zellen, der Dosis, die Entscheidung darüber ob verschieden harte 
Strahlen dasselbe Medikament sind, oder nicht, gelöst werden. 

Der streng sinusförmige Spannungsverlauf der sekundären Ent¬ 
ladungen einer solchen Apparatur gestattet mit geeichten Primär- 
i Instrumenten- die Kontrolle der Sekundärspannung in 
Jedem Augenblick und durch die Regulierung die Aufrechterbaltung 
der Strahlenart. Diese Maximalspannung begrenzt die Härte der 
Strahlung nach oben. Durch Filter lässt sie sich nach unten be¬ 
grenzen und so ein beliebig schmales d. h. homogenes X-Strahlen- 
bündel erregen. Die Intensität dieses Bündels ist dann innerhalb hin¬ 
reichender Grenzen proportional der sekundären Stromstärke, die das 
Milliamperemeter misst. Damit kann man einfach und mit kleineren 
Fehlem die Qualität der X-Strahlen bestimmen und die Menge 
dosieren, welche in einer gut ausgepumpten Fürstenau- 
C o o 1 i d g e - Röhre erregt wird. Wegen der Einzelheiten sei auf die 
oben zitierte Arbeit verwiesen. 

VI. Schlussbemerkung. % 

Es darf nie vergessen werden, dass Physik und Technik in der 
Tiefentherapie nur die Waffenschmiede sind, es darf aber auch nie 
vergessen werden, dass nur sie die Waffen schmieden können. Die 
physikalischen Grundlagen der Tiefentherapie, die vor 13 Jahren unter 
erheblichem Widerspruch ausgesprochen worden und auch seither 
manchmal verlassen worden sind, sind dieselben geblieben. In dem 
Massstabe, als man sie verwirklichen konnte und verwirklicht hat, 
sind die Resultate besser geworden. 

Die neue Methode zur Erzeugung hoher Spannungen und zur 
Dosierung bereitet vielleicht einen neuen Weg. Ich stehe aber nicht 
an, zu erklären, dass von der physikalischen Lösung bis zur allge¬ 
meinen technischen Anwendbarkeit wie immer auch hier noch vieles 
zu tun» ist. Vorläufig ist die Anwendung höherer Spannungen, zu¬ 
nächst bis 200000 Volt Maximalspannung jenen Kliniken und Forschern 
vorzubehalten, die alle Voraussetzungen für die richtige Handhabung 
der zum Teil noch nicht ausgearbeiteten Hilfsgeräte und der durch 
den Krieg besonders behinderten Röhrenherstellumr erfüllen können. 
Es wird noch Zeit vergehen und Arbeit geleistet werden müssen, bis 
derartige Instrumentarien Gemeingut der Tiefentherapie werden 
können^ Ob wir das Hauptproblem, Bekämpfung maligner Tumoren 
überhaupt und bis zu welchem Grade wir es lösen können, darauf 
kann nur die weitere Erfahrung Antwort geben. Für uns gilt es, 
möglichst wissenschaftlich, d. h. zunächst messend und in Ueber- 
einstimmung mit den physikalischen Naturgesetzen zu arbeiten und 
den Optimismus zu wahren, den man zur Arbeit braucht und der uns 
schon über manchen bösen Rückschlag zu manchem Erfolg ge¬ 
tragen hat *). _ 


Ein Feldsterilisationsherd für Sanitälskompanien, 
insbesondere für den Bewegungskrieg. 

Von'Professor Dr. H. v. Bardeleben, Chefarzt einer 
Sanitätskompanie. 

Die drei Lichtbilder geben eine Anschauung von der Einrichtung 
des Feldsterilisationsherdes. Es gehören dazu 4 Stücke und 1 Rohr. 

1. Der Feuertisch; aufgestellt hat er eine Höhe von 0,73 m, 
zusammengeklappt 0,11 m, bei einer Länge der Platte von 1,25 m 
und einer Breite von 0,52 m. Die lichte Höhe des Feuerschlauches 
beträgt 0,048 m. Die obere Platte trägt die 4 grossen viereckigen 


*) Die Diskussion ist an anderer Stelle in dieser Nummer afo- 
gedruckt. 



Oeiinungen mit Schienen, auf welche die 2 Wasserkästen, je 26 cm 
breit, und die 2 Feldsterilisatoren, je 18 cm breit, genau daraui 
passen. Gewicht des Tisches 28 kg. 

2. Feuerungskasten mit einschiebbarem Aschenkasten. Feuerung: 
Höhe 0,25 m, Breite 0,20 m, Höhe 0,1b m. Ausser Gebrauch lässt 
sich der Aschenkasten in den Feuerungskasten genau einschieben, 
so dass zum Transport beide zusammen nur die Masse des Feuerungs¬ 
kastens beanspruchen. Gewicht beider zusammen 7 kg. 

' 3. und 4. 2 Wasserkästen mit Deckel, in welche die 2 plan- 

mässigen Feldsterilisiergeräte glatt hineinpassen. Länge 0,56 m, 
Breite 0,26 m, Höhe mit Deckel 0,335 m. Gewicht 4 kg. Raumgehalt 
eines jeden Kastens 48 Liter. 

Als Rauchrohre führen wir, etwas reichhaltig, 2 Stück recht¬ 
winklige Knie, 4 Stück Rohr ä 1 in Länge mit, von 10,5 cm Durch- 
l messer und 8 kg Gesamtgewicht. Es ist das Doppelte des unbedingt 
Nötigen. 

Zum Transport kommen die planmässigen Feldsterilisiergeräte 
in die behelfsmässigen Wasserkästen, in die sie bequem 'hineinpassen, 
und diese finden wieder bequem Platz an derselben planmässigen 
Stelle, wo sonst in den Sanitätswagen die Feldsterilisiergeräte hinein¬ 
gehören. Aussen an den 2 Sanitätswagen sind also nur 3 Teile über- 
planmässig anzubringen: 1. der Feuertisch mit 1,25 m Länge, 52 cm 
Breite, 11 cm Höhe und 28 kg Gewicht; 2. der Feuerungskasten mit 
I 50 cm Länge, 25 cm Höhe, 25 cm Breite und 7 kg Gewicht ein¬ 
schliesslich des Gewichtes des eingeschobenen Aschenkastens; 3. die 

Rohre im Gesamtgewicht von 8 
(4) kg und 4 (2) mal 1 m Länge, 
nebst 2 (1) Stück rechtwinkligen 
Rohrknien. Wir verteilen diese 
auf dem Verdeck der beiden Sani¬ 
tätswagen ohne jede Behinderung 
oder praktisch irgendwie in Be¬ 
tracht zu ziehende Erschwerung. 


Abb. 2. Abb. 3. 

Und daran änderte sich auch nichts dadurch, dass ich sogar noch 
einen wesentlichen Schritt weiter ging. Ich beliess die Feldsterilisier¬ 
geräte für sich an ihrer Stelle und benutzte die auf dem Verdeck der 
Sanitätswagen verstauten 2 Wasserkästen, um in dem einen Säcke 
mit fertigen Tupfern, Kompressen, Tupferlagen und Abdecktüchern 
unterzubringen, und in den andern 17 Literflaschen mit fertiger 
physiologischer Kochsalzlösung zu stellen. Die Masse des Wasser¬ 
kastens genügen gerade, um den Deckel über diesen 'Kochsalzflaschen 
mit ihrem Verschluss aus Mull- oder Wattestopfen und darüber ab¬ 
gebundener Kapsel aus Billrothbattist (oder ähnlichem) zu schliessen 
und fest aufzusetzen. Die weitere Mehrbelastung durch die Flaschen 
beträgt etwa 25 kg. Dafür ist aber auch der Vorteil ein erheblicher, 
sofort beim Aufschlagen des H.V.P1. 17 Liter physiologischer Koch¬ 
salzlösung und sowohl Tupfer, Kompressen, Lagen als auch Abdeck¬ 
tücher zur Verwundetenversorgurg gebrauchsfertig zur Verfügung zu 
haben. 

Zweck und Begründung. 

Die planmässige Ausrüstung an den Instrumenten und Sterilisier¬ 
geräten weist ja darauf hin, dass die wundärztliche Betätigung aui 
dem H.V.P1. entsprechend den Anforderungen unserer modernen 
Wissenschaft auf dem Boden der Aseptik stattzufinden hat, sobald 
sie nicht auf Grund der äusseren Gefechtsverhältnisse notgedrungen 
überhaupt unterbleiben muss. 

Das sind in erster Linie: möglichst frühzeitige, chirurgische 
Wund Versorgung (Spaltung, Exzision etc.). Zur Verhütung dessen, 
dass aus verschmutzten,, zerfetzten Schusswunden infizierte Wund¬ 
herde werden mit entsprechender Verschlechterung der Lebens- und 
Heilungsprognose; ferner: frühzeitige Blutstillungen und Kochsalz¬ 
infusionen zur Vermeidung des Verblutungstodes. 

Hierzu gehört bei einem Vollbetriebe ständig kochendes Wasser 


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10. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1031 


in grosser Menge, die Heizung muss ununterbrochen Tag und Nacht 
im Gange sein: Gilt es doch, nicht nur die dauernd gebrauchten In¬ 
strumente und Handbürsten immer wieder auszukochen, Tupfer, 
Abdecktücher ständig von neuem zu sterilisieren, sondern wir brau¬ 
chen auch ebenso dringlich heisses Wasser für das Waschen der 
Hände und vor allem zur Bereitung physiologischer Kochsalzlösung 
und zu ihrer Sterilisierung im Wasserbade. 

Dieser Anforderung genügt der kleine Kocher der Sanitätskom¬ 
pagnien in keiner Weise. Er steht also zu der sonstigen entsprechen¬ 
den und vortrefflichen Ausrüstung an Instrumenten und Sterilisier¬ 
geräten nicht im Verhältnis. Deshalb waren wir bei der Sanitäts¬ 
kompagnie schon zu Anfang, im Sommer 1914, stets gezwungen, Herde 
in den Ortschaften zu benutzen. Da aber solche Herde keineswegs 
überall vorhanden sind, so bestand immer die Gefahr und Sorge, 
den wundärztlichen Betrieb nur aus diesem Grunde auf ein der son¬ 
stigen Ausrüstung nicht entsprechendes Minimum eingeschränkt zu 
sehen. Da es zudem als Norm gelten muss, auf das angewiesen'zu 
sein, was man bei sich führt, so 'hielt ich es nicht nur für berechtigt, 
sondern für geboten, mir einen transportablen Sterilisationsherd zu 
beschaffen, der allen, der sonstigen Ausrüstung entsprechenden An¬ 
forderungen genügt. 

Der Militärkrankenwärter Seifermann der San.-Komp. 37 
fertigte behelfsmässig in einem Waldlager letzten Heibst den hier 
wiedergegebenen Tisch an. Er ist das Resultat aus einer mehr als 
3% jährigen kriegschirurgischen Erfahrung bei Sanitätskompagnien, 
von Erwägungen und Beobachtungen unter allen denkbaren Bedin¬ 
gungen, das Produkt lebendiger unmittelbarer Erfordernisse, denen 
damit entsprochen wurde und dafe Werk mehrwöchiger sinniger 
Arbeit eines sachverständigen Kunstschmiedes und Krankenwärters, 
den ich mir speziell für die instrumenteile Fürsorge auf dem 'Haupt¬ 
verbandplatz selbst ausgebildet hatte. 

Ich habe den Herdtisch vorher auf Felddienstübungen in Ruhe¬ 
zeiten erprobt gebe ihn aber erst jetzt bekannt, nachdem er in drei 
Offensiven seine Feuerprobe bestanden hat. Auf den verwüsteten 
Trichterfeldern, beim Nachrücken in der ständigen Bewegung, da 
war der S e i f e r m a n n sehe Apparat erst richtig am Platze, da er¬ 
wies er sich mir als unentbehrlich. Sobald die Trichterfelder soweit 
planiert waren, dass das Zeit stehen konnte, so kochte auch bereits 
der Sterilisationsherd, ermöglichte mir eine Stunde nach dem Ein¬ 
treffen überall jedes fachchirurgiscbe Arbeiten und verbreitete als sehr 
nützliche Nebenwirkung bei den kalten, feuchten Tagen im März- 
April für die Verwundeten wohltuende Wärme und Trockenheit weit 
um sich herum. 

Seine besonderen Vorzüge sind: 

1. Leichtigkeit der Heizung mit dem einfachsten Brennmaterial, 
ieder Art frischen grünen oder feuchten Holzes, wie es gerade auf 
dem Schlachtfeld aus zerschossenen Unterständen, Häusern etc. stets 
zu haben ist. 

2. Intensive vollkommene Verbrennung infolge des langen, brei¬ 
ten und flachen Feuerschlauches (das Feuer schlägt bis zum 3. Loch 
durch), so dass keinerlei Rauchentwicklung stattfindet. 

3. Wärmeabgabe in weite Umgebung (für ausgekühlte, aus- 
zeblutete Verwundete bedeutsam) infolge der Intensität n der Ver¬ 
brennung. 

4. Möglichkeit, nicht nur beide planmässigc Sterilisiergeräte 
gleichzeitig und ständig in Betrieb, sondern auch stets 96 Liter kochen¬ 
den Wassers vorrätig zu haben (in den zwei behelfsmässigen Wasser¬ 
schiffen). 

Zusanrmenfassend: Es ist ein einfacher stabiler Herdtisch. der 
es ermöglicht, allerorten eine Stunde nach dem Eintreffen (in den stets 
mitgeführten Zelten) in vollem Umfange fachchirurgisch zu arbeiten, 
ein Herdtisch, der sich leicht zusammenklappen, unter den Arm 
nehmen und an einer beliebigen anderen Stelle von neuem aufklappen 
und alsbald wieder in Gang setzen lässt, mit dem einfachsten und 
allenthalben vorhandenen Heizmaterial, nämlich jeder Art Holz, und 
auch jeder Art Wasser, ohne zu russen oder zu rauchen. 


Eine selbsttätig auslösbare Sperre für das Kniegelenk 
an Kunstbeinen für Oberschankeiamputation. 

Von Dr. W. Wolff, leitendem Arzt und 
Unteroffz. Q. Streisguth, Meister für Orthopädiemechanik 
der Orthopäd.Werkstätte des XV. Armeekorps, Strassburg i. Eis. 

Von jeher hat die Konstruktion eines guten, beweglichen Knie¬ 
gelenkes den Erbauern künstlicher Beine grosse Schwierigkeiten be¬ 
reitet. Demgemäss haben sich bei den gesteigerten Anforderungen 
des Krieges noch mehr als in Friedenszeit alle massgebenden Stellen 
mit derartigen Versuchen beschäftigt. Auch in hiesiger Werkstätte 
*ind seit 1 V* Jahren diesbezügliche Versuche unternommen worden. 
Dieselben erstreckten sich nach zwei Richtungen. Die ersten be¬ 
strebten, ein Kniegelenk zu bauen, das frei beweglich war und das 
m jeder beliebigen Beugestellung festgesteiit werden konnte. Die 
Versuche sind noch nicht zum Abschluss gekommen. Die zweite 
Richtung ging darauf aus, das Kniegelenk in der Standstellung zu 
verriegeln. Auf den ersten Blick könnte eine derartige Vorrichtung 
überflüssig erscheinen: denn durch die Rückverlagerung der Gelenk¬ 
achsen war bereits ein Fehler de^ beweglichen Kniegelenkes, das Ein- 

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knicken im Stand, erheblich verringert, sogar annähernd beseitigt 
worden. Die Anforderungen der praktischen Berufe der Kriegsbe¬ 
schädigten zeigten jedoch, dass diese Konstruktion zwar für die An¬ 
sprüche des gewöhnlichen Gehens einigermassen ausreichend war, 
jedoch für eine berufliche Betätigung im Stehen nicht genügte. Den 
festen Stand erzielte der Beschädigte dadurch, dass er seinen Stumpf 
dauernd nach hinten drückte: besonders bei kurzen Stümpfen stellte 
sich infolgedessen schnell Ermüdung ein; um nun ein Einknicken zu 
verhindern, legte der Beschädigte seine ganze Last auf das gesunde 
Bein, das auf diese Weise überlastet wurde. Um das Kunstbein bei 
der Arbeit steif zu halten, musste es bisher mit einer Riegeivorrich- 
tung versehen werden, durch die das Kniegelenk steif und fest ge¬ 
halten werden konnte. Diese Vorrichtung hatte aber den Nachteil, 
dass die Leute das Gelenk nicht nur zum Stehen, sondern auch zum 
Gehen feststellten und mit steifem Bein ähnlich wie mit einer Stelze 
gingen. Wenn auch an und für sich den Beschädigten hierdurch der 
Gang psyohisch erleichtert wird, so wird er doch steif und beschwer¬ 
lich, besonders auf unebenem Boden löst er einen ständigen bedeuten¬ 
den Kraftverlust aus. cs erfolgt auch eine grössere Erschütterung 
wie beim Gang mit beweglichem Kniegelenk 1 ). Diese Beobachtungen 
waren ja auch andernorts gemacht worden und haben die verschieden¬ 
sten Neukonstruktionen gezeitigt. Diejenige, die wohl mit am meisten 
bekannt geworden ist und deren Prinzip der unsrigen am nächsten 
steht, ist die S c h ä f e r sehe 2 ). Sie ist jedoch auch keine neue 
Erfindung, sondern hatte Vorläufer. Hasslauer 3 ) gibt an, dass 
sohon im Jahre 1906 eine derartige Konstruktion in einer französischen 
Erfindung existierte. M ii n c h 4 ) beschreibt des Genaueren bereits 
aus dem Jahre 1910 die Konstruktion des Huber sehen Kunstbeines, 
die man mit dem Schäfer sehen annähernd als identisch erklären 
kann. Bei allen 3 Konstruktionen handelt es sich um Beine, die nicht 
die gewöhnliche Lederhülsen-Schienenkonstruktion zeigen, sondern 
bei denen Ober- und Unterschenkel aus einem mit beweglichem Knie¬ 
gelenk versehenen Stahlrohr bestehen. In dem Kniegelenk des Unter¬ 
schenkels befinden sich Aussparungen, in die beim Stand entsprechende 
Nasen oder Bolzen, die am Kniegclenksende des Oberschenkels ange¬ 
bracht sind, durch die Körperlast hineingepresst werden. Dadurch 
erfolgt unter Einfluss der Körperlast eine Verriegelung. Die hiesige 
Werkstätte sah aus Erfahrungsgrundsätzen, deren Erörterung hier zu 
weit führen würde und andernorts gelegentlich erfolgen soll, von 
Versuchen mit Stahlrohrbeinen ab. Sie legte besonders Wert darauf, 
eine derartige Feststellung für das Lederhiilsen-Schienensysem zu 
fmden. die auch leicht bei den zahlreichen, bereits im Gebrauch be¬ 
findlichen früheren Beinen nachträglich eingebaut werden könnte. Die 
nachfolgende Konstruktion wird hier im Allgemeinen in einem Model! 
verarbeitet, bei dem der Oberschenkel aus einer mit donnelceitiven 
Schienen versehenen Lederhülsc. der Unterschenkel aus Holz besteht. 
Die Konstruktion lässt sich aber auch bequem in jedem aus Leder 
gebauten Unterschenkel einbauen. 

Die von uns konstruierte Sperre benutzt ebenfalls die Belastung 
des Körpergewichtes, um eine Festlegung des Unterschenkels in ge¬ 
rader Fortsetzung des Oberschenkels selbsttätig zu erzwingen, an¬ 
dererseits beim Heben und Entlasten des Beines selbsttätig wieder 
frei zu geben. Dieser Erfolg wird erzielt mit Hilfe eines Ouerstabes 
am Rahmen des den Unerschenke! mit dem Oberschenkel verbinden¬ 
den Schienengestells. Der Querstab legt sich bei Geradestellen des 
Beines unter dem Einfluss der Körperlast in eine Raste und ver¬ 
hindert damit jede Winkelbildung zwischen Ober- und Unterschenkel. 
Bei der Entlastung drückt eine Feder den Querstab aus der Raste 
wieder heraus und das Gelenk wird frei. Die genaue Anordnung und 
Funktion wird aus den 4 Figuren und der nachfolgenden entsprechen¬ 
den Erläuterung ersichtlich. 

Das Gelcnkstück a des Unterschenkels schwingt mit Schienen b. 
an welchen der Oberschenkel angebracht ist, um eine im Unter¬ 
schenkel festliegende Achse c. Ein Ouer- oder Riegelstab d ist mit 
den Schienen b fest verbunden und liegt bei gestrecktem Bein in 
den Rasten e von Seitenwandungen f eines im Gelenkstück des Unter¬ 
schenkels liegenden Gehäuses g. In dieser Lage bilden Riege! d und 
Rast e eine Sperre zwischen Ober- und Unterschenkel, wodurch die 
Kniebildung ausgeschlossen wird. Tn diesem Gehäuse g ruht ein 
durch Stift h in der Seitenwandung geführter, unter Druck einer 
Feder i stehender Block k. der bei gestreckter Lage von Ober- und 
Unterschenkel durch den Riegel d niedergedrückt wird, indem die 
Körperlast auf den Schienen b ruht. Um die kurze Abwärtsbewegung 
der Schienen zu ermöglichen, sind Schlitze I in demselben angeordnet. 

Werden die Schienen b beim Heben des Oberschenkels entlastet, 
so drückt die Feder i mit Hilfe des Blockes k den Riegel d aus den 
Rasten e, so dass die Schienen b um die Achse c schwingen können, 
wobei der Riegel d auf den Oberkanten der Seitenflächen f des Ge¬ 
häuses g gleitet. 

Bel gestrecktem und belastetem Bein ist die Strecklage mithin 
gesperrt und Durchknicken unmöglich gemacht, während beim Ent- 


*) Gocht: Künstl. Glieder in Bruns Deutsche Chirurgie, Lie¬ 
ferung 29 a. 

2 ) Schäfer: Ein bei der Belastung feststehendes und beim Gang 
frei bewegliches Kniegelenk. Zschr. f. orthop. Chir. 37. S. 791. 

*) Hasslauer: Amputationsstumpf und Kunstbein. Zschr. f. 
orthop. Chir. 37. S. 778. 

4 ) Müncb: Das Huber sehe Kunstbein. Chir.-techn. Korr.-Bl. 
f. Chirurgie-Mech. 38. Nr. 24. 

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1032 


MUENCHENF.R MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


lasten und Heben des Beines das Gelenk selbsttätig aus der Sperre 
gelöst und schwingbar wird. Zur Milderung der Anschläge sind 
Einzelteile mit Filz ausgefüttert, mit Gummipuffern oder dergl. ver¬ 
sehen, in üblicher Weise. 

Um den Anschlag zu mildern und das Gleiten des Querstabes d 
zu erleichtern, haben wir in letzter Zeit folgende Modifikation ange¬ 
bracht: 

An das Ende der Platte k wird ein Stahlband 1 angebracht, das in 
Halbkreisform zum Unterschenkel führt und dort bei m mit einer 
Schraube befestigt wird. In der Mitte von d wird mittels eines 
Stückchens Sahirohr eine Rolle angebracht. Auf diese Weise wird 
bei der Kniebeugung und -Streckung stets ein leichtes Gleiten des 
Querstabes d erreicht (s. Fig. 4). 





Die beschriebene Einrichtung hat den Vorteil grosser Einfachheit. 
Beobachtungen von über 6 Monaten haben ergeben, dass das Material 
ausserordentlich gering abgenutzt wird und dass die Betriebssicher¬ 
heit derartig gebauter Beine keine erhöhte Reparaturnotwendigkeit 
aufweist. Auch ist der Gang für die Leute leicht zu lernen. Das Ge¬ 
fälle oder die Hubhöhe der Raste beträgt ungefähr 5 mm und macht 
sich im Gang nicht bemerkbar, wie z. B. die Hubhöhe bei den älteren 
Schäfer-Beinen, die 10 mm betrug. 

Wie Schäfer neuerdings mitteilt, hat er seine Konstruktion, 
jetzt auch derart abgeändert, dass die Hubhöhe nur noch 5 mm be¬ 
trägt. Bemerkt hierzu muss werden, dass wir die Kunstbeine durch¬ 
schnittlich Wi —2 cm kürzer wie das normale Bein herstellen, da 
unsere Erfahrungen im Gegenteil zu Schäfer gezeigt haben 5 ), 
dass der Gang mit gleichlangem Kunstbein grösstenteils unnatürlich 
ist und nur mit seitlichem Schleudern erfolgen kann. Wir haben 
die alte Erfahrung 0 ) jederzeit bestätigt gesehen, dass selbst das 
leichteste Kunstbein bei Oberschenkelamputation nur immer als ein 
schweres Anhängsel zu betrachten ist, das zu seinem Hub viel 
Kraft erfordert. Wenn ein derartiges Bein einige Zentimeter am künst¬ 
lichen Oberschenkel gekürzt wird, so geht der Pat. viel leichter und 
bequemer, während er meistenteils nicht die genügende Kraft hat. ein 
gleichlanges Bein gut durchzuziehen. 

Anmerkung bei der Korrektur: In den seif Einreichen 
der Arbeit verflossenen 5 Monaten haben wir eine Modifikation ein¬ 
geführt, die den Gang noch leichter und sicherer macht. Wir arbeiten 
nicht mehr mit einer zentralen Feder, sondern mit zwei parallel ge¬ 
richteten Federn, wodurch natürlich das Prinzip nicht geändert ist. 

Die Sperre ist -unter Nr. 685 126, Klasse 30 d, W 50 002 gesetz¬ 
lich geschützt. 


5 ) Schäfer: Ein Massapparat zur genauen Bestimmung der 
Länge des Kunstbeines bei Oberschenkelamputierten. M.m.W. 1917 
Nr. 49. 

fl ) Gocht: 1. c. 435. 

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Aus dem Reservelazarett I, Stuttgart. 

Ein Behelf bei intravenösen Salvarsaninjektionen. 

Von San.-Rat Dr. K. Ries, Stuttgart, ord. Arzt am Res.- 
Laz. I und facliärztl. Beirat beim Sanitätsamt des XIII. A.-K. 

Bei der Technik der intravenösen Salvarsan-Injektionen hat sich 
immer wieder die Schwierigkeit ergeben, den Patienten bzw. dessen 
Arm richtig zu lagern und zu fixieren. Besonders mühsam und 
schwierig war es zuweilen, den Arm in einer für die Injektion ge¬ 
eigneten Lage so lange festzuhalten, bis die Nadel einwandfrei in die 
Vene eingedrungen war. Bei rigiden Venen, bei Armen mit viel Fett 
kommt es in erster Linie auf eine richtige Lagerung des Patienten 
an. Nach vielerlei Versuchen bei horizontaler Lage des Kranken, bei 
Lagerung des Armes auf einem Tischchen, bei herabhängendem 
Arm etc. benützen wir nunmehr auf der Korpsgeschlechtsstation ein 
einfaches hölzernes Bänkchen. Dasselbe stellt eine mit einem 
Untergestellt durch ein Scharnier beweglich verbundene schiefe Ebene 
dar. Diese, 37 cm lang und 15 cm breit, ist der Armform entsprechend 
ausgehöhlt (ausge¬ 
fräst), so dass bei 
sitzenderStellung des 
Pat. der Arm bequem 
und fest in der Höh¬ 
lung liegt. Mittelst 
zweier seitlich ange¬ 
brachter Eisenstäbe, 
die mit ihren unteren 
Enden in Fallzacken 
des Untergestells ein- 
greifen und beweg¬ 
lich sind, kann der 
Neigungswinkel des 
Bänkchens nach Be¬ 
lieben vergrössert oder verkleinert und hierdurch dieses selbst in 
die richtige schiefe Lage gebracht werden. Da der Unterarm und 
der untere Teil des Oberarms in der Höhlung (Ausfräsung) ruhen, 
ist der Arm nicht nur gestreckt, sondern muss auch in durchaus 
ruhiger Lage verharren. 

Wir haben diesen einfachen, billigen Apparat (Preis etwa 5 bis 
10 M.) an Hunderten von Fällen erprobt und können ihn einer Nach¬ 
prüfung aufs wärmste empfehlen. Selbstverständlich kann das Bänk¬ 
chen auch zu jeder anderen intravenösen Injektion verwendet werden. 


BQcheranzeigen und Referate. 

Veröffentlichungen der Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der 
Tuberkulose. Bd. II. Heft 1. Aus dem Kgl. Institut für Infektions¬ 
krankheiten „Robert Koch“ in Berlin. Leipzig. Georg T h i e m e. 

1. Ueber das Vorkommen und den Nachweis von 
Tuberkelbazillen im strömenden Blut von Dr. Ishio 
H a g a. 

Untersuchungen nach der S c h n i 11 e r sehen Methode an 
103 Menschen, 12 Meerschweinchen, 12 Kaninchen. 3 Rindern, ie 
1 Ziege und 1 Huhn. Durch Kontrollversuche wurde als Grenze 
0,0001 mg Tuberkelbazillen in 1 ccm Blut für den mikroskopischen 
Nachweis festgestellt. „Der Tierversuch scheint sicherer und ge¬ 
nauer zu sein als der mikroskopische Nachweis.“ Es wurde deshalb 
zur Kontrolle das Blut subkutan, in einzelnen Fällen intraperitoneal. 
3—4 gesunden Meerschweinchen injiziert. (Ungefähr 10 ccm Blut 
unmittelbar nach der Entnahme defibriniert und dann je 1—3 ccm 
eingespritzt.) 

Von 35 Lungentuberkulosen des I. Stadiums waren 10 mikro¬ 
skopisch, 8 im Tierversuch (22 : 8 Proz.) positiv. Nur 4 mal stimmten 
beide Untersuchungen überein; von 20 Fällen des II. Stadiums waren 
6 (30 Proz.) positiv, 5 davon mikroskopisch und im Tierversuch. 
1 nur im Tierversuch. 

Von 20 Fällen des III. Stadiums waren 8 (40 Proz.) im Tier¬ 
versuch, 8 mikroskopisch positiv, aber nur 5 mal stimmten beide 
Methoden überein. Von 6 Fällen von Tuberkulose anderer Organe 
waren im Tierversuch 2 positiv, von denen nur einer mikroskopisch 
säureieste Stäbchen aufwies. Als auffallend wird ein Fall von 
Drüsentuberkulose erwähnt mit negativer Pirquetreaktion, bei dem 
im positiven Tierversuch der Typus humanus in Reinkultur nach¬ 
gewiesen werden konnte. Bei 22 klinisch auf Tuberkulose ver¬ 
dächtigen Fällen war 3 mal der Tierversuch positiv, mikroskopisch 
wurden nur in einem im Tierversuch negativen Fall tuberkelbazillen¬ 
ähnliche säurefeste Stäbchen gefunden. Die Tuberkulinreaktion war 
10 mal positiv. Nur 2 mal stimmte dieser Befund-mit dem positiven 
Ergebnis des Tierversuchs überein. 

„Die tuberkulöse Infektion kann also unmöglich in der Regel 
eine Bakteriämie sein.“ „Der Prozentgehalt der positiven Blut¬ 
befunde steigt mit der Schwere der Erkrankungen.“ 

Unter 12 mit 0,5 mg humaner Bazillen subkutan infizierten Meer¬ 
schweinchen konnten bei 9 Tieren wenigstens 1 mal Tuberkelbazillen 
nachgewiesen werden. Bei je 2 Fällen war die Untersuchung nur 

Original frnm 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 










10. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1033 


mikroskopisch oder nur im Tierversuch positiv. Unter insgesamt 
48 Untersuchungen fiel der Tierversuch 13 mal = 27,1 Proz. positiv 
aas. Bei 8 human infizierten Kaninchen fiel sowohl der Tierversuch 
als die mikroskopische Untersuchung negativ aus, während von 
3 bovin infizierten Kaninchen 2 ein positives Impfresultat ergaben. 

„Der Tierversuch, d. h. die subkutane Verimpfung einer grösseren 
Menge Blut auf mehrere Meerschweinchen, ist die einzige zuverlässige 
Methode zur Feststellung, ob Tuberkelbazillen im Blut vorhanden 
sind.“ (Diesem allein gesperrt gedruckten Resultat des Autors kann 
in dieser Form nicht zugestimmt werden. Es' muss die Einschränkung 
gemacht werden, „ob virulente Tuberkelbazillen im Blut vor¬ 
handen sind“. D. Ref.) 

2. Die Tuberkelbazillen im strömenden Blute. 
Von Stabsarzt Prof./Dr. B. Möllers und Dr. A. Oehler. Mit 
einer Kurve. 

Zur Nachprüfung der vorstehenden H a g a sehen Resultate 
wurden entsprechende Untersuchungen (Verimpfung sofort nach der 
Entnahme defibrinierten Blutes in einer- Menge von 2—4 ccm auf je 

3 Meerschweinchen subkutan an der Bauchseite) an 105 Patienten 
der Tuberkuloseabteilung des Robert Virchow-Krankenhauses in 
Berlin vorgenommen. Der Tierversuch war positiv in 8,57 Proz., 
d. h. bei 62 des I. Stadiums 2 mal = 3,2 Proz., bei 34 des II. Stadiums 

4 mal = 11,8 Proz., 9 des III. Stadiums 3 mal = 33,3 Proz. 

Ausser diesen 105 Fällen wurde noch ein tuberkulöser Rheu¬ 
matismus bei einem Kinde entdeckt, der durch bovine Tuberkelbazillen 
verursacht war und später eigens geschildert werden soll. 

Von den 13 tuberkulös gewordenen Meerschweinen boten nur 

5 das übliche Obduktionsbild der Tuberkulose vorgeschrittenen 
Grades mit Verkäsung der Leistendrüsen. 3 Tiere starben schon 
innerhalb der ersten 3 Wochen nach der Blutinjektion, bei ihnen 
waren nur leicht vergrösserte Leistendrüsen nachzuweisen und die 
Tuberkulose daher erst durch Weiterimpfung sicherzustellen. Auch 
bei 5 weiteren waren die Veränderungen geringfügig. Vor allem 
fehlten Verkäsungen in den Lymphdriisen. Diese Beobachtungen 
sind in Uebereinstimmung mit solchen von Rüssel und Breton 
aus dem C a 1 m e 11 e sehen Institut in Lille, die 5 mal unter 19 Fällen 
bei Kindern im Blut durch Verimpfung Tuberkelbazillen nachweisen 
konnten (histologisch und durch Weiterverimpfung), obwohl die Ver¬ 
suchstiere weder an Tuberkulose starben, noch makroskopisch tuber¬ 
kulöse Veränderungen zeigten Möllers und Oehler nehmen an, 
dass diese Erscheinungen eine Folge der Injektion „vereinzelter 
und wohl auch in ihrer Virulenz veränderter“ Bazillen sei. 

3. Zur Frage der, Mobilisierung der Tuberkel¬ 
bazillen durch Tuberkulin. Von Stabsarzt Prof. Dr. Möl¬ 
lers und Dr. A. Oehler. Mit 12 Kurven. 

Das vorstehend geschilderte Untersuchungsmaterial wird zur 
Klärung der im Titel ausgesprochenen Frage herangezogen. 
54 Patienten wurde „auf der Höhe der Tuberkulinreaktion, d. h. 
während des auf die Tuberkulineinspritzung folgenden Fieberstadiums, 
Blut entzogen und auf Meerschweine subkutan verimpft“. Aus den 
beigegebenen Kurven geht hervor, dass es sich um sehr brüske In¬ 
jektionen mit nachfolgendem hohen Fieber handelte. Bei 32 Patienten, 
bei denen das Blut vor und nach der Tuberkulininjektion untersucht 
wurde, war das Ergebnis vor der Tuberkulininjektion 3 mal, nach 
der Tuberkulininjektion 2 mal positiv, und zwar stimmte das Resultat 
der beiden Blutproben in keinem Falle überein, d. h. bei den 
3 Patienten, die vor der Tuberkulininjektion Bazillen im strömenden 
Blut hatten, fehlten sie nach derselben und umgekehrt bei den beiden 
weiteren Fällen. Die Autoren schliessen daraus: „die Behauptung, 
dass durch Tuberkulineinspritzungen virulente Tuberkelbazillen aus 
den erkrankten Organen in die Blutbahn gebracht werden und dass 
dadurch eine bedenkliche Schädigung der Patienten eintritt, ist bisher 
nicht erwiesen.“ Dr. Karl Ernst Ranke. 

Neueste Journalliteratur. 

Zentralblatt für Chirurgie. Nr. 31, 1918. 

Eug. P 6 I y a - Pest : Ueber pulsierende Hämatome der Parotis 
nach stumpfer Verletzung* 

Verf. schildert kurz 2 Fälle von pulsierenden Hämatomen in der 
Parotis, weiche nach Kontusion der Parotisgegend auftraten; gleich¬ 
zeitig waren an anderen Körperstellen noch Granatverletzungen vor¬ 
handen. Unterbindung der Karotis ext. brachte in beiden Fällen 
Heilung. 

Leo Drüner - Quierschied: Ueber Aneurysmen der Karotis und 
Bemerkungen zum Aufsatz R. L a u e n s t e i n s m Nr. 10. 1918: Bei¬ 
trag zum Aneurysma der Art. vertebralis* 

Verf. fasst seine Erfahrungen über die Aneurysmen des Kopfes 
und Halses im Bereiche der Karotis in 19 Leitsätzen zusammen, deren 
Studium für jeden Kriegschirurgen wichtig und wertvoll ist. 

Th. Voeckler -Halle: Ersatz der Nasenspitze durch die frei 
transplantierte Zehenbeere. 

Verf. hat in 2 Fällen zum Ersatz der Nasenspitze die Zehenbeere 
(der 2. Zehe) benützt, diese frei transplantiert und mit feinen Seiden¬ 
nähten am Nasenstumpfe befestigt. Kosmetisches Resultat sehr gut, 
wie die Abbildungen zergen. Kurze Angabe der Technik. 

E. Heim, zurzeit im Felde. 

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Jahrbuch ifir Kinderheilkunde. Band 87. Heu 5. 

Paul H e r tz und K. S e c h e r : Ein Fall von Neuroblastoma 
jsympathlcum congenitum kombiniert, mit Morbus Addlsonli bei einem 
Kinde. (Aus der Kinderklinik der Universität [Prof. Bloch) und 
au$ dem path.-anatom. Institut der Universität iProf. Fibiger] in 
Kopenhagen.) Kasuistische Mitteilung mit 4 Figuren. 

Hans Aron: Ueber Wachstumsstörungen im Kindesalter. (Aus 
der Kgl. Universitäts-Kinderklinik Breslau.) (Schluss.) 

Das wichtigste Ergebnis der vorliegenden Studie ist die Erkennt¬ 
nis der weitgehenden Reparationsfähigkeit aller durch irgendwelche 
sekundären Momente, Ernährung oder Krankheit, soweit sie nicht im 
Gehirn ansetzen, bedingten auch langdauernden Störungen der körper¬ 
lichen und geistigen Entwicklung. Im zweiten Teil bespricht Verf. 
die Steigerungen des Wachstums, wobei die Bedeutung überraschen 
Wachstums auf die inneren Organe, besonders das Herz und die 
Leistungsfähigkeit gebührend hervorgehoben ist. Als praktisch wich¬ 
tiges Ergebnis ist auch die Feststellung zu erachten, dass beschleunigte 
Längenzunahme ohne entsprechende Gewichtsvermehrung das Auf¬ 
treten gewisser Krankheitserscheinungen begünstigt. Die „Schul¬ 
anämie“, oder wie sie Verf. nennt*die „Wachstumsblässe“, die „Wachs¬ 
tumsklagen“ und die funktionelle Eiweissausscheidung sind die kli¬ 
nisch hervorstechendsten Folgeerscheinungen der disproportionalen 
Form des Wachstums, die Verf. als ein zeitlich beschleunigtes Längen¬ 
wachstum und deshalb als Wachstumsstörung anspricht. Literatur. 

Emil F röscheis - Wien: Psychologische und klinische Beiträge 
zur kindlichen Sprachentwicklung und zur kindlichen Stummheit. 

Literaturbericht, zusammengestellt von A. Niemann-Berlin. 

Buchbesprechungen. O. R o m m e 1 - München. 

Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 
83. Band, Heft 3 u. 4. 

O r i m a: Die histologischen Veränderungen des Pankreas infolge 
der chronischen Atropinvergiftung beim Tiere. (Physiol. Institut 
Basel.) 

Verf. vermutet, dass die sekretionserregenden Reize von dem 
durch Atropin leicht erregbar gewordenen Vaguszentrum der Medulla 
oblongata durch Vagus und Sympathikus in das Pankreas geleitet 
werden und reichliche Sekretion desselben anregen, wofür die histo¬ 
logischen Befunde sprechen. 

J. Fei gl: Neue Beiträge zur Kenntnis des Reststickstoffs der 
Blutflüssigkeit, der Kritik einschlägiger Methoden, der Beurteilung 
und Anwendung in Klinik und Pathologie. I. Mitteilung: Ueber den 
gesamten Nichteiweissstickstoff unter physiologischen Verhältnissen 
und nach seinen Schwankungen in Beziehung zum Lebensalter. (Aus 
dem chemischen Laboratorium des Allgem. Krankenhauses Hamburg- 
Barmbeck.) 

Verf. hat mit B a n g s Mikromethode an über 700 Fällen Unter¬ 
suchungen angestellt. Die Resultate und Tabellen sind im Original 
nachzulesen. Eine Steigerung des Reststickstoffs beim Normalen 
kommt in gewissen Altersstufen vor. 

Derselbe: II. Mitteilung: Ueber die Struktur des gesamten 
Nichteiweissstickstoffs, mit besonderer Rücksicht auf den Harn¬ 
stoffanteil unter physiologischen Verhältnissen sowie ln Beziehung 
zum Lebensalter. 

Die Ergebnisse sprechen entschieden für das verhältnismässig 
breite Vorkommen höheren Harnstoffgehaltes mit steigendem Lebens¬ 
alter. 

J. Pohl: Versuche zur Entgiftung des Methylalkohols. (Phar- 
makol. Institut Breslau.) 

Das Gehirn speichert im Tierversuch am wenigsten Methyl¬ 
alkohol, ist also wohl besonders überempfindlich schon für kleine 
Dosen, da die klinischen Erfahrungen von seiten des Nervensystems 
vorwiegen. Einen fördernden Einfluss auf die Befreiung des Gehirns 
vom Methylalkohol erweisen die Kombination von Aderlass und 
Ringerlösung und subkutane Zufuhr von Tierkohle und Hefe. Viel¬ 
leicht sind diese Tatsachen für die Therapie der Vergiftung zu ver¬ 
werten. 

H a r t m a n n und Z i 1 a: Das Schicksal des Chinins Im Organis¬ 
mus. (Pharm. Institut Wien.) 

Da nur 40 Proz. des Chinins im Harn und Kot ausgeschieden 
werden, werden wahrscheinlich 60 Proz. im Organismus zerstört, 
da eine nennenswerte Speicherung in den Organen nicht stattfindet. 
Nach PI eh ns Untersuchungen wird wahrscheinlich in der Leber ein 
grösserer Teil zerstört. Bei intravenöser Injektion erfolgt ein anfangs 
rapjdes, dann langsameres Absinken des Chiningehaltes des Blutes 
bis zum Nullpunkt nach 8 Stunden (bei 0,5 g Chin. mur.); bei Einnahme 
per os hält sich 24 Stunden ein niedriger, aber konstanter Chinin¬ 
spiegel. 

Wittgenstein: Pharmakologische Untersuchungen über 
Dichloräthylen als Narkotikum. (Pharm. Institut Wien.) 

Dichloräthylen scheint weder Kreislauf noch Respirationsorgane 
noch Zentralnervensystem bei tiefer Narkose zu schädigen. Die auf¬ 
tretenden Muskelzuckungen können im Tierexperiment rasch durch 
Morphium beseitigt werden. Die vielen Vorteile des Dichloräthylens 
lassen zahlreichere Versuche am Menschen gerchtfertigt erscheinen. 

Adler: Beiträge zur Pharmakologie der Beckenorgane, (Pharm. 
Institut Frankfurt a. M.) 

Original from 

UNIVERSITY C ;ALIFORNIA 


1034 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


Fei gl: III. Mitteilung: Ueber die Struktur des gesamten Nlcht- 
ci weissstickst off s unter physiologischen Verhältnissen In Beziehung 
zum I .ebensalter, dargestellt durch Zuordnung der Werte für Ur + und 
Gesamt-Rest-N. 

Derselbe: IV. Mitteilung: Kreatinin, Kreatin und Harnsäure 
unter physiologischen Verhältnissen und in Beziehung zum Lebens¬ 
alter, sowie über die Beteiligung dieser Stoffe am Aufbau des Rest¬ 
stickstoffs im nüchternen Blute. L. Jacob. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1918. 
86. Band, 3. Heft. 

H. A. Gins-Berlin: Ueber histologische Veräniderungen und 
bisher unbekannte Zelleinschlüsse in der mit Windpockenpustelinhalt 
geimpften Kaninchenhornhaut. 

An der Hand von 13 Abbildungen erläutert Gins seine Befunde 
bei V a r i ze 11 e n. Er beobachtete bisher unbekannte Zelleinschlüsse 
bei der Impfung der Kaninchenkornea mit Windpockenpustelinhalt, 
die er für „anscheinend“ spezifisch hält. Er fand sie bei Verimpfung 
mit Vakzine niemals, bei Variola höchst selten. Diese Zelleinschlüsse 
können für die Diagnose „Windpocken“ verwertet werden, wenn sie 
bei negativem Pockentierversuch nach Pa u 1 an den Impfstellen auf- 
treten und wenn die echten Guamierikörperchen fehlen. 

H. Selter- Königsberg: Thermostabile bakterienfeindliche 
Seramstoffe. 

H. Selter und A. Esch- Königsberg: Der Feuchtigkeitsgehalt 
der Luft als treibender Faktor der Ventilation und der Wert der 
Fensterlüftung vollbestzter Räume bei geringen Temperaturdlffe- 
renzeo. 

Die Verff. versuchten festzustellen, ob und inwieweit der 
Feuchtigkeitsgehalt der Luft bei der Ventilationswirkung beteiligt 
ist. Aus ihren Experimenten geht hervor, dass bei höherem Feuch¬ 
tigkeitsgehalt der Zimmerlutf ein Luftaustausch stattfindet, aber 
nicht nur bei Temperaturdifferenzen, sondern auch bei Temperatur¬ 
gleichheit; ja auch dann, wenn die Aussenluft sogar wärmer ist. Das 
Oeffnen der Oberlichten allein hat keine erhebliche Wirkung. Prak¬ 
tisch wird man daher, z. B. in Schulzimmern, wo immer ein er¬ 
höhter Feuchtigkeitsgehalt vorhanden ist, durch Oeffnen der Fenster 
auch bei gleicher Innen- und Aussentemperatur eine Ventilations¬ 
wirkung erwarten dürfen. 

Gerhard Wagner- Kiel: Ueber Regenwasserversorgung unter 
Berücksichtigung der Erfahrungen mit einer Zisternenanlage im 
Hygienischen Institut zu KleL i 

Wagner behandelt in seiner Arbeit die Regen wasserversor¬ 
gungsfrage in verschiedenen Ländern und Ortschaften, bespricht 
dann den Zweck dieser Versorgungsart, die Geniessbarkeit, das Auf¬ 
fangen des Regenwassers, die Grössenberechnung von Zisternen¬ 
anlagen, deren Anlage und Bedeutung. Auf Grund der Literatur¬ 
studien und seiner an der iVs Jahr lang bestehenden Anlage am 
Kieler hygienischen Institut gemachten Erfahrungen glaubt Wagner, 
dass trotz der widersprechenden Ansichten über die hygienische 
Zulässigkeit von Zisternenanlagen, dieselben doch so gestaltet wer¬ 
den könnten, dass sie den sog. „Mussvorschriften“ entsprächen. 
Die Notwendigkeit von Zisternenanlagen kann für manche Verhält¬ 
nisse nicht bestritten werden und daher wird man sie auch nicht ganz 
zurückweisen können, selbst wenn sich alle hygienischen Forde¬ 
rungen nicht realisieren lassen.. R. O. N e uma n n - Bonn. 

Vlerteijahrschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches 
Sanitütswesen* 54. Band, 2. Heft. 

Eine eigentümliche Veränderung von Leichen ln Torfmooren 
(Moorgerbung“). Von V .Eller mann. (I Abbildung.) (Aus dem 
Institut für gerichtliche Medizin in Kopenhagen.) 

Beschreibung des Befundes bei einer in einem schon früher ab¬ 
gegrabenen Moore, etwa 1 m unter der jetzigen Oberfläche und dicht 
am natürlichen Sandboden aufgefundenen Leiche. Die Dauer des Ver- 
weilens der Leiche im Moore konnte nicht sicher festgestellt werden, 
aus der Beschaffenheit der Kleider mutmasste das Nationalmuseum, 
dass wahrscheinlich die Moorleiche einem von Zigeunern vor einigen 
Jahrhunderten begrabenen Manne entstamme. Die Hauptbefunde 
an der Leiche waren Gerbung der Haut und Entkalkung 
der Knochen. Diese Veränderungen seien wahrscheinlich durch 
das sauer reagierende Moor — die darin enthaltene Sphagnum- 1 
säure — hervorgerufen, die vorherrschenden Pflanzen im Moore | 
seien eben Moose (Sphagnum acutiiolium etc.), welche gewisse : 
Säuren enthalten. Nach angestellten Versuchen bewirke die Splfag- 
numsäure einerseits eine Gerbung der Haut, die hierdurch ausser¬ 
ordentlich haltbar werde, anderseits eine Entkalkung der Knochen, 
die mit der Gerbung der organischen Bestandteile verbunden sei. 

In neutral reagierenden Mooren werden die Leichen dagegen auf 
gewöhnliche Weise gelöst und saponifiziert. 

Die Kohlendunstvergiftung vom versicberungsgerlchtlichen Stand, 
punkte. Von Dr. Hans Jaenisch -Berlin-Lichterfelde. 

Die Klarstellung dieser Vergiftungsfälle könne nur dann gelingen, 
wenn die zur Entstehung der Vergiftung beitragenden Faktoren er¬ 
kannt werden; so sei namentlich das Auffinden der Quelle des Giftes 
wesentlich. Da aber das Vorliegen einer Kohlendunstvergiftung nur 
durch eine richtige Bewertung des Tatbestandes und aus dem Körper- 

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befunde der betroffenen Personen erschlossen werden könne, so sei 
es klar, dass nur der Arzt, nicht aber der Techniker oder Betriebs¬ 
beamte befähigt sei, ein Urteil über derartige Fälle zu gewinnen. 
Dies könne oft auch nur geschehen, wenn die Untersuchung des Falls 
sich sofort an die Vergiftung anschliesse, der Arzt also sofort hinzu¬ 
gezogen werde. Regelmässig werde sich bei zunächst unaufgeklärten 
Fällen die Leichcneröffnung empfehlen. Wenn *auch die RVO. eine 
solche bei Unfällen mit tödlichem Ausgange nicht vorgesehen habe, 
so sei sie doch nach § 1559 RVO. durch die Ortspolizeibehörde von 
Amts wegen zu erwägen und jedenfalls auf Antrag der Hinterbliebenen 
oder Berufsgenossenschaften vorzunehmen. 

Ueber Hirnödem bei Pilzvergiftungen. Von Dr. R. Schnydcr. 
(Aus dem pathologisch-anatomischen Institut der Universität Basel.) 

Verf. weist auf Grund einiger Sektionsbefunde, bei welchen in 
allen Fällen H i r n ö d e m vorhanden war, darauf hin, dass diesem 
Befunde wohl eine ziemlich grosse differentialdiagnostische Bedeutung 
beikommc, während es sonst zurzeit unmöglich sei, aus dem ana¬ 
tomischen Befunde allein eine Pilzvergiftung zu diagnostizieren, da 
alle übrigen Befunde sich bei manch anderen Krankheitsbildern auch 
i erheben lassen, so wäre eine Verwechslung mit Sepsis, Weilschem 
; Fieber, Scharlach, akuter gelber Leberatrophie, gelegentlich auch mit 
■ Eklampsie denkbar. Immerhin bringe eine einwandfreie Untcrschci- 
i düng erst die chemische Untersuchung des Mageninhalts. 

Pseudovenerische Geschwüre. Ein Beitrag zum Kapitel der ab¬ 
sichtlich erzeugten Krankheiten. Von Dr. Böla Schmidt. (Aus 
dem Institute für gerichtliche Medizin Pest.) 

Bericht über 15 Fälle künstlich erzeugter Geschwüre an der 
Glans bei Soldaten, die zum Zweck der Dienstbefreiung vorgenomnieu 
waren. Zur Erzeugung waren verschiedene Aetzmittcl verwendet, 
am häufigsten Aetzsoda (Na. carbon.) in Substanz oder in Fett als 
Salbe, ferner das Pulver des Wurzeistockes der grünen Niesswurz 
(Helleborus viridis) mit Fett oder Wachs vermischt, dann Cuprum 
sulfuricum, der Saft der Hundsmilch. Pulver des Getreidebrandes und 
einmal das glimmende Feuer einer Zigarette. 

Ruptur der Leber und MHz Neugeborener, besonders bei spon¬ 
taner Geburt. Von Prof. Dr. G. H e d r i n - Stockholm. 

Beschreibung eigener Beobachtungen über Leber- und Milzzcr- 
rcissungen bei spontanen Geburten, wo jede fremde Gewaltein¬ 
wirkung auf den kindlichen Körper ausgeschlossen werden konnte. 
Im allgemeinen seien solche Vorkommnisse ausserordentlich selten; 
H. fand unter 12 020 neugeborenen Kindern nur einen einzigen Fall, 
ihre Möglichkeit müsse aber als erwiesen gelten. Als letzte Ursache 
sowohl der subkapsulären Leberblutungen mit der zuweilen beob¬ 
achteten Zerreissung der über die Hämatome gespannten Leberkapscl 
wie der echten parenchymatösen Leberrupturen sind wohl mit der 
Geburt zusammenhängende Druckwirkungen auf den rechten Rippen¬ 
rand oder die rechte obere Bauchgegend anzusehen, wenn daneben 
gleichzeitig andere Momente, wie Blutüberfüllung der Leber durch 
■intrauterine Asphyxie oder andere, bis jetzt vielleicht noch unbe¬ 
kannte Ursachen mitwirken. Milzrupturen seien noch seltener als 
Leberrupturen und kommen nur bei krankhaft veränderten Organen 
vor, während die Geburtsrupturen der Leber völlig normale, wenn 
auch häufig durch akute Stauung blutüberfüllte Organe betreffen. 

Stucfien zum Abortusproblem (Mord durch Abortiva). Von Dr. 
J. R. Spinn er-Zürich. 

Verf. bespricht verschiedene forensisch beachtenswerte Fälle, 
in welchen ein Täter nicht selbst tätig eingreift, sondern bloss eine 
psychologische Situation in der Weise ausnützt, dass der von ihm 
beabsichtigte Erfolg unter den nicht einmal notwendig von ihm selbst 
geschaffenen Umständen mit einiger Sicherheit eirrtreten müsse. Er 
sichert sich dadurch regelmässig eine den Verhältnissen entsprechend 
niedrige Strafe, falls es ihm nicht überhaupt gelinge, straflos aus¬ 
zugehen — so etwa in der Weise, dass er für die Frau das Abortivuni 
wählt, die Instrumente beschafft, oder dass er psychisch direkt 
auf die Frau wirkt durch Drängen zur Tat oder Beeinflussung aut 
dem Wege der Erzeugung von Suggestion usw., oder dass er in 
raffinierter Weise die Frau nur indirekt beeinflusst, indem er z. B. 
von den Methoden anderer Frauen behufs Kindsabtreibung u. dgl. 
erzählt. . 

Die Bekämpfung der Diphtherie als Volksseuche. Von Dr. 
v. R o 11 k a r g. 

R. empfiehlt in eingehender Behandlung dieser Frage als haupt¬ 
sächliche Massnahmen die Serumprophylaxe und die bakteriologisch- 
hygienischen Massnahmen der Absonderung und Desinfektion. Zu 
diesem Behufe sei vor allem die behördliche Abgabe des Heilserums 
zu prophylaktischen und therapeutischen Zwecken anzustreben. 
Krankenhausisolierung sei unbedingt zu fordern bei Raummangel und 
I im Nahrungsmittclbetriebe. Das Vetorecht der Eltern und des be- 
I handelnden Arztes sei zu beseitigen. Für erwachsene Daueraus- 
i scheider, welche klinisch genesen, sei Absonderung bis zu einer 
| Höchstfrist von ca. 5 Wochen nach Eintritt der klinischen Genesung, 

! für Nahrungsmittelgewerbetreibende usw. auch darüber hinaus zu 
i fordern. Alle Bazillenträger seien über ihre Ansteckungsfähigkeit 
zu belehren und mit eingehenden Vorschriften bezüglich der Infektion 
zu versehen und zu deren Ausführung unter Strafandrohung anzu¬ 
halten. Schulkinder sollen als Bazillenträger nur unter ganz be¬ 
sonderen Vorsichtsmassnahmen zum Schulbesuch zugelassen werden. 
Zur Entkeimung der Keimträger empfehle sich Wasserstoffsuperoxyd. 

Original ffom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



lü. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1035 


Jodtinktur, Natr. sozojodolic., sowie Versuche mit Providofornr, ein 
absolut sicheres in vivo keimtötendes Mittel gebe es nicht. ! 

Ueber das Vorwiesen der Frauen beim Giftselbstmorde. Von 
Dr. J. R. S p i nne r - Zürich. 

Feststellung auf Qrund der schweizerischen Statistik, dass ; 
mindestens für die Schweiz die fast allgemein vertretene Anschauung, 
die F'rau greife bei Mord und Selbstmord weit eher zum Gift als ; 
der Mann, nicht zutreffe. Spinner hält es für eine lohnenswertes ; 
Dissertationsthema, die Ursachen dieser Erscheinung näher zu er- j 
iorschen und auch die statistischen Ergebnisse anderer Staaten streng ; 
wissenschaftlich zu bearbeiten, um die hierbei massgebenden sozialen 
Ursachen aufzudecken. Auf Grund dieser Feststellungen werde dann J 
auch eine Prophylaxe des Giftselbstmordes und der anderen möglichen ; 
V-ergiftungsformen auf administrativem Wege eher möglich sein, als ! 
bei den zurzeit vielfach sehr vagen Vorstellungen der Bureaukratre. I 

Dr. Spa et -Fürth. j 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 34, 1918. j 

T o u t o n - Wiesbaden: Oie militärärztliche Sachverständigen- j 
tätigkeit auf dem Gebiete des Ersatzwesens und der miUtäriscben 
Versorgung bei Haut- und Geschlechtskrankheiten. (Schluss folgt.) I 

G. Wege- Weisser Hirsch bei Dresden: Zur Bewertung des [ 
Fried m annsehen Tuberkuloseheilmittels* 

Mitteilung einer Anzahl Krankengeschichten, welche die günsti- j 
gen Erfolge veranschaulichen. Mehrfach wurden solche durch eine ; 
Injektion herbeigeführt, sofern es sich um frische Fälle handelte, i 
Verf. hält besonders viel von der prophylaktischen Wirkung der In- j 
jektionen. z. B. bei erblich mit Tuberkulose belasteten Kindern. Miss- j 
erfolge seien auf das die eigene fehlerhafte Anwendung des sonst j 
„einwandfreien“ Heilmittels zu schieben. 

E. Tobias: Ueber Diathermie und die Grenzen ihrer Wirk¬ 
samkeit. 

Verf. bespricht zunächst die Apparate, welche sich ihm als prak¬ 
tisch erwiesen haben, sowie technische Einzelheiten der Anwendung, 
bei deren Befolgung eine Gefährdung des Patienten ausgeschlossen 
ist. Die häufig prompte Schmerzstillung mittels des Verfahrens 
steht fest. Muskel- und Gelenkerkrankungen, namentlich Arthritis 
der., reagieren sehr gut, die Wirkung bei den tabischen Schmerzen ist 
unberechenbar. Ungenügend sind die Erioige bei der echten Trige¬ 
minusneuralgie, besser bei Braohialgien und Ischias, für letztere 
besonders bei mehr chronischen Fällen. Der subjektive Einfluss auf 
Angina pectoris ist ein recht günstiger, sehr günstig lauten die Er- 
lahrungen bei Adnexerkrankungen, vielfach auch bei Hauterkran¬ 
kungen, Ohrenleiden. 

C. Hirschmann -Berlin: Die operative Behandlung der 
lippenförmigen Hamröhrenfisteln und einer Schusshypospadie. 

Mitteilung einschlägiger Krankengeschichten, Vorschläge zur 
chirurgischen Technik bei diesen Erkrankungen. 

0. Meyer und G. Berhardt - Stettin: Zur Pathologie der 
Grippe von 1918. 

Die anatomischen Befunde ergaben im wesentlichen eine Be¬ 
stätigung der Erfahrungen, welche auch bei den früheren Influenza- 
epidemien gemacht worden waren. In keinem der sezierten Fälle 
fehlte eine eitrige Bronchitis. Ausserordentlich häufig fanden sich 
Hronchopneumonien, z. T. mit eitriger Einschmelzung und Abszess- 
bildung. Häufig ergab sich Pleuritis und Perikarditis. Kompli¬ 
kationen von seiten anderer Organe standen weitaus in hinterer 
Linie. Die bakteriologischen Befunde lassen den Schluss zu, dass 
eine wesentliche Beziehung der Mikrorganismen der Diplostrepto- : 
kokkengruppe zur Pathologie der Grippe von 1918 besteht. 

Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 34, i9iö. 

August Bier- Berlin: Beobachtungen über Regeneration beim 
Menschen. 15. Abhandlung. (Schluss folgt.) 

H. Setter-Königsberg: Zur Aetiologie der Influenza. 

Bei Untersuchungen von Rachenabstrichen, Sputa, Blut- und 
Eiterproben konnte S. niemals Influenzabazillen finden. Die bakterio¬ 
logischen Untersuchungen, sowie 2 Versuche am Menschen zeigen, 
oass der Erreger der Influenza zur Gruppe der nitrierbaren Virus 
gehört. 

G. v. Bergmann-Marburg: Die Spanische Krankheit ist In¬ 
fluenza vera. 

Nach Hinweis auf das vielgestaltige Bild der letzten Epidemie 
wird auf Grund allgemeiner Ueberlegungen, sowie bakteriologischer 
Untersuchung betont, dass diese letzte Epidemie eine echte Influenza 
darstellt. 

H. Hirschbruch -Metz : Ueber die ansteckende Lungenent¬ 
zündung (Spanische Krankheit). 

ln 30 Proz. der Todesfälle an Spanischer Krankheit fand Verf. 
eigentümliche Veränderungen der Lunge, die andernorts nicht kon¬ 
statiert wurden, nämlich eine Peribronchitis, Abszesse oder diph- 
theroide fibrinöse Bronchiolitis. Es wird sodann ein Vergleich mit 
der Brustseuche der Pferde durchgeführt und Behandlung mit Sal- 
varsan vorgeschlagen. 

G. Schmor 1-Dresden: Pathologisch-anatomische Beobach¬ 
tungen bei der jetzt herrschenden Influenzaepidemie* 

Einen letalen Ausgang hatten fast ausschliesslich Fälle bei 
tilgen Leuten. In allen Fällen konnten Erkrankungen der Luftwege 

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nachgewiesen werden, ausserordentlich oft das Bild einer Pneumonie 
und in mehreren Fällen Abszesse. Eine hämorrhagische Enzephalitis 
wurde recht oft konstatiert. In 7 Fällen fand sich eine ausgedehnte 
wachsartige Degeneration der Muskulatur, und in dreien dieser Fälle 
bestand eine grosse Blutung in den Rektis. Von den Veränderungen 
der Bronchien und der unteren Trachea ist eine diphtherische Ent¬ 
zündung zu erwähnen. Schliesslich wird noch darauf hingewiesen, 
dass der P f e i f f e r sehe Bazillus nicht der Erreger der Epidemie sein 
dürfte. 

K o e p c h e n - Bonn: Symptomatologie der Influenza ähnlichen* 
sog. Spanischen Krankheit. 

Angabe der Symptome und der Komplikationen. 

Erich Kuznitzky - Breslau: Ueber zwei noch nicht beschrie¬ 
bene Nebenwirkungen bei Salvarsanbehandlung der Syphilis.. 

In 2 Fällen trat nach Injektion Von Salvarsan Rötung und 
Schwellung der Augengegend auf, die sich auf das Os zygomaticum 
fortsetzte. Bei späteren Injektionen trat sie nicht mehr auf. Ferner 
wurde oft, fast ausschliesslich bei Frauen, Schmerzen ziehender Art 
in der Gelenkgegend gefunden, ohne dass ein objektiver Befund an 
den Gelenken nachweisbar gewesen wäre. 

Stein- All enstein: Die Behandlung von Baiichhöhlendurch- 
Schüssen im Feldlazarett 

Nach Angabe der Indikationsstellung zur Operation kommt Verf. 
zu dem Resultat, dass man bei gutem Allgemeinbefinden, wenn die 
erste Zeit nach der Operation verstrichen ist (etwa 8—12 Stunden), 
abwarten soll. 

Otto A n s i n n: Präzisionsmass für die anteren Extremitäten. 

Beschreibung eines Apparates. 

Z e i s s 1 e r - Altona: Die Pferdeblut- oder Schafblut-Trauben- 
zuckeragarpiatte als Ersatz iür die Menschenbhit-Traubenzuckeragar- 
platte zur Züchtung der pathogenen Anaerobier. 

Statt Menschenblutes kann man zur Blut-Traubenzuckeragar¬ 
platte auch Pferde- oder Schafblut nehmen. 

I. Jadassohn -Breslau: Zu ;dem Gesetzentwurf zur Bekämp¬ 
fung der Geschlechtskrankheiten. Böen heim - Rostock. 

Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1918. Nr. 26 

bis 28. 

Nr. 26. S i lb e r sch mi dt: Ueber Ernäbrungsfragen. 

Kurzer Ueberblick über die Kriegserfahrungen mit besonderer 
Berücksichtigung der Schweizer Verhältnisse. 

G i g o n - Basel: Einiges über Ernährung und Diät im Kriege. 
Pe 1 1 a v e 1 - Bern: Contribution ä l’ötude de la Transfusion du 
sang. (Schluss folgt.) 

Ma ss in i -Basel: Dreifarbennährboden zur Typbusruhr¬ 
diagnose. 

Verf. hat bei dem von Gassner angegebenen Nährboden die 
in der Schweiz nicht erhältlichen Anilinfarben durch andere (Ericho- 
chromgelb und Helvetiablau) ersetzt und gute Resultate erhalten. 

Nr. 27. Ch. R e b e r - Basel: Ueber Frühgeburten. 

Ausführlicher Bericht über Beobachtungen an 91 Frühgeburten 
des Basler Säuglingsheims. 

Pe 11 a v e 1 - Bern: Contribution ä l’etude de la Transfusion du 
sang. 

Unter ausführlicher Berücksichtigung der Literatur berichtet Ver¬ 
fasser über seine eigene Methodik, über 8 Fälle, die klinischen 
Indikationen etc. Literaturverzeichnis von 93 Nummern. 

Nr. 28. S i e b e n m a n n - Basel: Einige Bemerkungen aus dem 
Gebiete der Oto-Laryngologle für den schweizerischen Kranken- und 
Unfallkassenarzt. 

H ö s s 1 i - Zürich: Ueber die Behandlung der kindlichen Spastiker 
(Hemi-Diplegie, Littlesche Krankheit). 

Die Förster sehe Operation (6 Fälle) und die Stoffel sehe 
(41 Fälle) sind ein wesentlicher Fortschritt, jedoch nur als eine Phase 
in der jahrelang durchzuführenden Uebungsbehandlung anzusehen. 
Subkutane Magnesiumsuliatinjektionen bewährten sich nicht. 

Löffler- Basel: Herpes zoster naso-frontalis mit ausgedehnten 
Augenmuskellähmungen. L. J a c o b. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Breslau. Juli 1918. 

Rahm Amalie: Fingerkontrakturen nach Sehnennekrosen und ihre 
Behandlung. 

Knote Paul: Zur Kasuistik der Knochenbildungen in Laparotömie- 
narben. 

Grabisch Alfons: Ueber Fibrosarcoma myxomatodes der Brust¬ 
haut. 

Wauschkuhn Fritz: Desinfektionsversuche bei Lyssa. 
Oppenheimer Walther: Das Verhalten des Blutbildes und der 
Gerinnungsdauer bei Uterusblutungen. 

Urbanski Viktor: Appendizitis bei innerer Einklemmung des 
Wurmfortsatzes. 

Jenner Theodor: Beitrag zur Kenntnis der traumatischen Aorten¬ 
ruptur. 

Levi Mieczyslaus: Ovarialtumoren als Geburtshindernisse mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Ovarialzystenpunktion während des 
Kreissens. 

. Original fren 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1036 


MHJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg. 

^Medizinische Sektion) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 16. Juli 1918. 

Vorsitzender: Herr Braus. 

Schriftführer: Herr Homburger. 

Herr H. Kossel: Bemerkungen und Demonstrationen zur gegen¬ 
wärtigen Influenzaepidemie. (Vergl. d. Wschr. Nr. 32. S. 890. 

Herr L. Ar ns per g e r - Karlsruhe: 1. Demonstration eines 
Falles von Ausreissung des ganzen Beines und der linken Becken¬ 
hälfte. 

12 jähriger Junge am 30. IX. 17 durch eine Kuh geschleift. Ein¬ 
lieferung mit Notverband 4 Stunden nach der Verletzung. Die ganze 
linke Seite des Beckens mit den Bauchdecken ist abgerissen, so dass 
die Därme blossliegen. Die Harnröhre sowie der After sind ab¬ 
gerissen. Die Gelenkenden des Kreuzbeins, sowie die Symphyse 
liegen in der Wunde frei. Die Wunde wurde in leichter Narkose 
durch einige Nähte verkleinert, doch gelang es nicht, den Defekt zu 
decken. 

Trotz der schweren Verletzung erholte sich der Patient aus 
dem Schock; er wurde später mit Dauerkatheter behandelt, der in 
das zentrale Ende der Harnröhre eingelegt wurde. 

Zurzeit, 9 Monate nach der Verletzung ist das Allgemeinbefinden 
sehr gut; der Gang mit Krücken ganz flott. Die grosse Wunde ist 
.völlig Uberhäutet; es besteht ein 12 cm langer Rektalprolaps; für den 
Urin besteht Kontinenz, für den Stuhlgang nicht. 

2. Gelenkbandplastlk bei veralteter Radlusluxation am Ellenbogen. 
(Beitrag zur freien Faszientransplantation.) 

lOjähr. Mädchen. Veraltete Radiusluxation nach vorn seit 
5 Jahren. Isolierung des Radiusköpfchens, welches nun reponiert 
werden kann, aber immer Neigung hat zu reluxieren. Fixation durch 
einen freitransplantierten Faszienstreifen aus dem Ligamentum 
latum, der wie eine Schlinge um den Radius ausserhalb der Gelenk¬ 
fläche herumgelegt und an dem äusseren Bandapparat durch Katgut- 
nähte befestigt wird. Nach % Jahren funktionelle Heilung vorzüglich, 
alle Bewegungen völlig frei; anatomisch ist wieder eine leichte Ver¬ 
schiebung aufgetreten. 

3. Resektion der Papilla Vateri. 

Mitteilung eines Falles von Karzinom der Papilla Vateri, bei 
dem der erweiterte Choledochus von eitriger Galle und tumorartigen, 
papiilomatösen Massen erfüllt war. Die stenosierte Papille wurde 
durch einen hindurchgeführten Löffel aus der Choledochotomiewunde 
herausgestülpt und durch zirkuläre Exzision entfernt. Die Gallen¬ 
gang- und Duodenalschleimhaut wurde schrittweise durch Katgutnähte 
vereinigt. Hepatikusdrainage. Heilung. 

Die in diesem Falle geübte transcholedochale Aus- 
stiilpungsmethode ist noch nicht beschrieben. Meist wurde 
der transduodenale oder retroduodenale Weg gewählt oder der ganze 
Duodenalteil reseziert (Kausch, Hirschei u. a.). 

4. Zur Behandlung der Aktlnomykose. 

In einem sehr schweren Falle von Aktincmykose der Bauch¬ 
decken, welcher trotz ausgiebiger Spaltung und Jodbehandlung keine 
Heilungstendenz zeigte, wurde durch Behandlung der Ab¬ 
szesshöhlen mit Vs pro z. Methylenblaulösung und 
intravenöse Applikation von Argochrom überraschend rasche 
Heilung erzielt. Auch eine bestehende metastatische Endokarditis 
ging daraufhin zurück; später wurde noch Methylenblau innerlich in 
Kapseln gegeben. 

5. Zur Kenntnis der retrotracbealen Strumen. 

Unter dem grossen Strumamaterial des nördlichen Schwarz¬ 
waldes finden sich besonders viele diffuse, weiche, parenchymatöse 
Kröpfe ohne Neigung zur Zystenbildung, aber oft mit sehr hoch¬ 
gradiger Atemnot und thyreotoxischen Beschwerden. 

In einem grossen Teil dieser Fälle sind hinter der Trachea 
liegende Strumaknoten die Hauptursache der Kompression; diese 
werden oft übersehen und sind auch laryngoskopisch schwer fest¬ 
stellbar. Bei der Operation dieser Kröpfe nimmt die Atemnot nach 
der Durchtrenmmg des Isthmus stark zu, ebenso bei jedem Zug an 
der Struma und Versuch, dieselbe zu luxieren. Die retrotracbealen 
Knoten sind manchmal doppelseitig, aber meist einseitig, besonders 
häufig rechts hinten oben mit Gegendruck von links vorn und unten; 
dabei ist die Achse der Trachea derart gedreht, dass die Vorder¬ 
seite der Luftröhre nach der entgegengesetzten Seite des retro- 
trachealen Kropfes sieht. In einem Falle hatte der retrotracheale 
Kropfknoten zu einem grossen Dekubitalgeschwür der Hinterwand 
der Trachea geführt, welches nach der Operation gut ausheilte. 

Zweifellos werden diese retrotrachealen Kröpfe oft übersehen; 
in 2 Fällen von Rezidivstrumen hatte der Knoten wohl sicher schon 
bei der ersten Operation bestanden, da die Patientinnen angaben. dass 
auch nach der ersten Operation die Atmung niemals ganz frei ge¬ 
wesen sei. 

Das sicherste diagnostische Mittel, die retrotrachealen Kröpfe zu 
erkennen, ist die Röntgendurchleuchtung. 

Diskussion: Herr Franke hat während des Krieges auf 
einer grosse« chirurgischen Abteilung im Reservelazarett Ettlingen 

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zahlreiche Vorderarmpseudarthrosen gesehen, teils mit Defekt des 
Knochens, teils auch ohne einen solchen. Die Leute weisen während 
der Lazarettbehandlung meist keine Besonderheiten bezüglich des 
Radiusköpfchens am Ellbogengelenk auf. Wenn sie aber bei vor¬ 
handener Pseudarthrose an schwerere Arbeit kommen, so sieht man 
fast regelmässig (Rentenempfängernachuntersuchung) eine Luxation 
des Radiusköpfchens, auch wenn sie nach dem Entlassungsbefund aus¬ 
drücklich als nicht vorhanden bemerkt war. Er glaubt deshalb, dass 
man auch im vorliegenden Falle (Kindesalter) in der Beurteilung des 
Resultates zurückhaltend sein muss und dass die Belastungsprobe erst 
bei der Arbeit im Erwerbsleben abgewartet werden sollte. 

Herr Franke glaubt mit dem Vortragenden, dass in einzelnen 
Gegenden die Kröpfe verschiedenartig wachsen. Er erinnert sich aus 
seiner Assistentenzeit bei Prof. v. S t u b e n r a u c h - München dort 
viele schwere Kröpie zum Teil retropharyngeal gesehen zu haben, 
so dass v. Stubenrauch nie mehr einen Kropf operierte, ohne 
gleiciizeitig die Tracheotomie gerichtet zu haben. Auch in Ettlingen 
sah er einige derart schwere Kröpfe, von denen einer mehr Schluck¬ 
ais Atembeschwerden hatte. 

Herr J. Hoff mann: Krankenvorstellung. 

1. 21 jähr. Mädchen, das seit ca. % Jahren einen Krampf im 
linken Quintusgebiet beobachtet hat; an dem Krampf, der sehr häufig 
tagsüber, aber auch nachts auftritt, sind beteiligt der linke M. tem- 
poralis, der linke Masseter, die beiderseitigen Digastrici mit ihren 
vorderen Bäuchen und die Mm. mylohyoidei. Ausserdem aber 
findet sich bei der Kranken Hemiatrophia faciei und lingualis. Zu¬ 
weilen auch Zuckungen im linken mittleren und unteren Fazialis; 
doppelseitiges Zucken der Nasenflügel. Es sind somit 3 Nerven¬ 
gebiete an dem Prozess beteiligt (V., VII. und XII). Keine Zeichen 
für Beteiligung des Sympathikus. Gegen die Apnahme, dass der 
Quintus ursächlich mit der Erkrankung etwas zu tun hat, spricht die 
Tatsache, dass der Prozess über das Trigeminusgebiet hinausge¬ 
griffen hat. 

2. 2 Geschwister, die an einer rein peripheren Affektion des 
sensiblen Anteils der Nerven erkrankt sind. Das Mädchen ist im 
Dezember 1915 mit Schwindelanfällen erkrankt, im Januar 1916 
Kribbeln in den Extremitäten und Unsicherheit beim Gehen und 
Stehen, so dass sie für betrunken gehalten wurde. Es fand sich 
bereits vor 1 Jahre, da sie Vortr zuerst gesehen hatte, hochgradige 
Ataxie der Beine, Fehlen aller Sehnenreflexe, Störung der gesamten 
Sensibilität (inkl. Tiefensensibilität und Stereognosie) von unten nach 
oben zu abnehmend. Ausgesprochene Hypotonie der Beine. Dabei 
sehr gute grobe Kraft, Fehlen jeder Atrophie. Normale elektrische Er¬ 
regbarkeit von Muskeln und Nerven. Normale Pupillenreaktion. 
Beiderseits temporale Abblassung der Papilla optici. Keine Anhalts¬ 
punkte für Lues (Wassermann im Blut sowie die 4 Reaktionen im 
Liquor negativ). 

Der Bruder der Kranken war im Kriegsdienst im März 1916 plötzlich 
fieberhaft erkrankt. Nach 5 wöchigem Lazarettaufenthalt wurde starke 
ataktische Bewegungsstörung un<i ein Schlechterwerden der Sprache 
beobachtet. Der objektive Befund ist im ganzen derselbe wie bei 
dem Mädchen; nur ist die Sensibilität hier noch stärker und aus¬ 
gedehnter gestört. Sprache verwaschen, undeutlich. Auch hier 
beiderseits temporale Abblassung der Papillen, Fehlen der Sehnen¬ 
reflexe, Ataxie und Hypotonie der Beine; gute motorische Kraft. 
Fehlen von Atrophien* Fehlen der luetischen Anamnese und objektiver 
Anhaltspunke für Lues. 

Es erkrankten also beide Geschwister, weit voneinander ent¬ 
fernt, mit den gleichen Symptomen, die eine mit, der andere ohne 
schmerzhafte Sensationen. Bei dem Manne könne man an eine 
infektiöse Ursache des Fiebers wegen denken, das zu Beginn der 
Erkrankung vorhanden war. In der Familie keine hereditären Er¬ 
krankungen. Gegen Friedreich sehe Ataxie spricht das rasche 
Einsetzen der Erkrankung und die starken sensiblen Störungen. 
Gegen zerebellare Affektion spricht das Fehlen der Sehnenreflexe, 
gegen Tabes das Fehlen der luetischen Anamnese und der negative 
Blut- und Liquorbefund bei beiden Geschwistern. 

Es handelt sich somit um ein bisher noch nicht zur Beobachtung 
gekommenes familiäres Auftreten einer rein peripheren Affektion 
des sensiblen Anteils der Nerven. Die Fälle erinnern ganz an das 
von D 6 ] 6 r i n e beschriebene Bild der Nevrotabe^ periphSrique. Ein 
von Letzterem anatomisch untersuchter Fall zeigte Degeneration der 
sensiblen Nervenendigungen. 


Vortragsabend Uber RUntgen-Tiefentherapie 

in der Kgl. II. Universitätsklinik für Frauenkrankheiten in München 
am 16. März 1918, 

Herr Dessauer: Weitere Untersuchungen über das Gebiet 
der sehr harten Röntgenstrahlen und ihre Anwendung in der Tiefen¬ 
therapie. (Der Vortrag erscheint an anderer Stelle dieser Nummer.) 

Diskussion: Herr Warnekros berichtet über iVs jährige 
Erfahrungen mit dem Intensivreformapparat an der Berliner Frauen¬ 
klinik (Bumm). Der Apparat wurde mit 2 Röhren bei einer Span¬ 
nung von 170 Kilovolt und 3 MA. Belastung täglich 8 Stunden lang 
betrieben-, ohne dass der Induktor einmal durchgeschlagen ist. 
Elektroskopische Vergleichsmessungen des neuen Apparates mit 
Coofidgeröhre und des Symmetrieapparates mit selbsthärtender 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



10. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1037 


Siederöhre fielen zugunsten des ersteren aus. Die Entladungs¬ 
zeiten des Instrumentes verhielten sich wie 1:1,8; die prozentuale 
Absorption pro Zentimeter Gewebe war 13 bzw. 20 Proz. In kli¬ 
nischer Beziehung gelang es, Fälle, bei denen früher keine Erfolge 
erzielt- werden konnten — wie ausgedehnte Tumoren in der Tiefe 
des Beckens, faustgrosse Drüsenrezidive an den grossen Gefässen, 
grosse inoperable Ovarialkarzinome — klinisch zum Verschwinden 
zu bringen. In einem Falle konnte durch die Sektion das Ver¬ 
schwinden des Karzinoms bewiesen werden. Die Erfolge sind jedoch 
bei ganz ähnlich liegenden Fällen manchmal nicht zu erzielen und 
deshalb nimmt Vortragender verschiedene Sensibilität verschiedener 
Karzinome an. Als besonders schwer zu beeinflussen nennt er die 
Karzinome der Vulva, des Mundbodens und der Zunge. Es wird 
dann genauer die angewandte Technik besprochen, die eine kombi¬ 
nierte gleichzeitige Radium-Röntgenbehandlung darstellt. Die Bumm- 
sche Klinik steht' der Strahlenbehandlung des Krebses optimistisch 
gegenüber, da es ihr schon mit den früheren Apparaten gelungen ist, 
manche Karzinome zdr Heilung zu bringen. Zum Beweis dessen wird 
L*iiie geheilte Patientin vorgestellt, die vor 4Yx Jahren wegen eines in¬ 
operablen, medullären Portiokarzinoms, damals 31 Jahre alt, allein 
durch perkutane Röntgenbehandlung geheilt wurde. 

Herr v. Wieser -Wien berichtet über das Ergebnis einer 
grossen Zahl elektroskopischer Messungen mit dem Apparat 
und solcher mit Kienböck und Sabouraud-Noire. Die Strahlung 
einer Glühkathodenröhre ändert sich, abgesehen von einer kur¬ 
zen Einlaufzeit, unter gleichen Umständen weder qualitativ noch 
quantitativ. Da sich nun die Brennfleck grosse und -form im 
Laufe der Betriebszeit ändert und bei verschiedenen Röhren 
immer verschieden sein dürfte, woraus nach Lilienfelds 
Anschauung mindestens verschiedene Qualität der Strahlen, be¬ 
sonders bei verschiedenen Röhren, folgen müsste, hat Redner 
bei 4 Coolidgeröhren mit der Lochkamera den Fokus photo¬ 
graphiert und Absorpationskurven der durch 1 mm Cu gefilterten 
Strahlung in Aluminium aufgenommen und demonstriert. Trotz 
starker Verschiedenheit der Fokusbilder ergab sich absolute Ueber- 
einstimmung der Absorptionskurven. 

Herr W i nt z-Erlangen bezeichnet den neuen Dessauer sehen 
Apparat als recht bemerkenswerten Fortschritt, glaubt aber, dass die 
jetzt und wohl in der nächsten Zeit zur Verfügung stehenden Röhren 
eine Ausnützung höherer Spannungen als 170 Kilovolt im praktischen 
Betriebe nicht zulassen werden. Er glaubt mit dem Symmetrie¬ 
apparat inzwischen das gleiche leisten zu können. An der Coolidge- 
röhre bemängelt er die grosse Abhängigkeit des Heizstroms von den 
Schwankungen des Stadtstromnetzes (6—8 Proz. in Erlangen), was 
ein dauerndes Regulieren am Heizstrom nötig macht. Die Strahlen¬ 
ausbeute ergab dabei Schwankungen bis zu 30 Proz.. Redner wendet 
sich gegen die von Franz und F r a n q u 6 ausgesprochene An¬ 
schauung, dass die Coolidgeröhre irgend eine besonders gefährliche 
Strahlenart aussendet, sondern ist überzeugt, dass beide Fälle von 
Darmverbrennung einfach auf fehlerhafter Technik beruhen». Er 
bekennt sich ausdrücklich zu seinen früheren Standpunkt, dass die 
Empfindlichkeit jedes Karzinoms gegen Röntgenstrahlen gleich ist 
und höher als die der Haut oder des Darmes. Wintz weist dann 
auf die Bedeutung einer genauen Dosierung hin und glaubt, dass das 
am Intensivreformapparat angebrachte Voltmeter als exaktes Hilfs¬ 
mittel brauchbar wird, wenn die Härte- und Intensitätsschwankungen 
der Coolidgeröhren aufgeklärt sind. Schliesslich betont er, dass 
nicht allein ein guter Apparat, sondern sehr wesentlich die Bestrah- 
lungstechnik für den Erfolg der Karzinombehandlung den Ausschlag 
gibt. 

Herr Winter- München hat die Frage untersucht, ob mit dem 
lntensivreformapparat und Coolidgeröhren bei gleicher Schaltung 
und unter sonst gleichen Umständen immer wieder eine praktische 
gleichartige Strahlung von gleicher Intensität hergestellt 
werden kann. Elektroskopische Messungen im Laufe von 11 Tagen 
ergaben für den in Aluminium gemessenen Absorptionskoöffizienten 
Abweichungen von höchstens ± 3 Proz. Die Schwankungen der 
Intensität waren sogar nur ± 2 Proz. Die Netzschwankungen in 
München wurden mit 3 Proz. festgestellt, was allerdings gegenüber 
Erlangen viel günstigere Verhältnisse ergibt. Auch die Proportionalität 
der Intensität mit der Belastung der Röhre wurde bei 4 Proz. Ab¬ 
weichungen als praktisch vollkommen ausreichend gefunden. Redner 
kommt zu dem Schluss, dass sich auf diesem Wege eine genau de¬ 
finierte Strahlung immer wieder herstellen lässt und eine viel exak¬ 
tere Dosierung als bisher möglich geworden ist. Unter gleich¬ 
bleibenden Verhältnissen kann direkt nach der Zeit dosiert werden. 
Dadurch erhofft er eine weitere Verbesserung der Resultate in der 
Behandlung des Krebses, da die vielen und überall beobachteten 
Fehlschläge wohl nicht in letzter Linie auf die mangelhafte Do¬ 
sierungsmöglichkeit und die damit sehr erschwerte Ausbildung der 
Betriebstechnik bezogen werden müssen. 

Herr Stephan- Frankfurt hat ebenfalls die Möglichkeit mit 
dem Intensivreformapparat und Coolidgeröhren exakt zu dosieren 
erprobt und gefunden, dass die Forderung, die Tiefentherapie dosi- 
metrisch nach Hauterythemdosen zu orientieren, an dem neuen Ap¬ 
parat erfüllt ist. Nach vorheriger Eichung der Röhren ist direkte 
Dosierung nach der Zeit möglich. Auch er hat keine praktisch ins 
Gewicht fallenden Schwankungen der Strahlung feststellen können. 
Auch die Frage, ob bei zunehmender Härte biologisch wirksamere 

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Strahlen zu erwarten sind — was Stephan auf Grund eigenen 
Materials für sicher hält — wird mit Hilfe des Des sau ersehen 
Apparates der Lösung näher gebracht werden können. Schliesslich 
berichtet er über gute Erfahrungen bei der Behandlung der Lungen¬ 
tuberkulose, mahnt aber zur grössten Vorsicht bei der Röntgen¬ 
behandlung dieser Erkrankung. 

Herr Müller- Immenstadt stellt fest, dass die Strahlung der 
radioaktiven Substanzen die in sie gesetzten Erwartungen nicht er¬ 
füllt hat und nur für die Behandlung der bösartigen Erkrankungen 
in zugänglichen Körperhöhlen in Betracht kommt. Im weiteren stellt 
er sich auf den Standpunkt, dass bei der härtesten Strahlung vor 
allem Tiefeneffekte und keine solchen in der Nähe der Kapsel zu 
erwarten wären. Den Widerspruch zum tatsächlichen Verhalten 
sucht er der Wirkung der sekundären ^-Strahlung der Filterkapsel 
zuzuschreiben. Die ganze übrige harte Strahlung soll den Körper 
durchdringen ohne absorbiert zu werden (?). Redner hofft, dass es 
mit dem neuen Apparat gelingen wird, genügende Dosen von Rönt¬ 
genstrahlen in die Tiefe des Körpers zu bringen, um dort das Kar¬ 
zinom wirksam bekämpfen zu können. Er empfiehlt ferner die Be¬ 
strahlung operabler Karzinome und bespricht die Aussichtslosigkeit 
jeder Therapie nach eingetretener Kachexie. 

Herr Christen- München macht darauf aufmerksam, dass die 
biologische Dosis nicht nur von der an einer Stelle absorbierten 
Strahlenmenge abhängt, sondern auch vom Sensibilitätskoeffizienten. 
Ueber die Abhängigkeit des letzteren vom Härtegrad ist Sicheres 
nicht bekannt Es ist aber in hohem Grade wahrscheinlich, dass 
der Sensibilitätskoeffizient mit wachsendem Härtegrad zunimmt. 
Der neue Apparat gestattet eine dauernde Steigung des Härte¬ 
grades. Dabei muss eine Grenze erreicht werden, bei der mit weiter 
wachsendem Härtegrad die Absorption in der Tiefe wieder abnimmt. 
Sollte dann die biologische Dosis nicht ebenfalls abnehmen, so 
wäre die Abhängigkeit des Sensibilitätskoeffizienten vom Härtegrad 
bewiesen. 

Herr Geheimrat Sommerfeld -München widerspricht der 
Behauptung Herrn Müllers, dass die Härte der Streustrahlung 
vom Atomgewicht des Sekundärstrahlers abhängt und ferner, dass 
die Wirkung der radioaktiven Präparate lediglich von der Sekundär¬ 
strahlung der Filterkapsel stamme. Geheimrat Sommerfeld hält 
es für wohl möglich, dass erst die korpuskulare Sekundärstrahlung auf 
die Zellen wirke. Diese hat aber verschiedene Energie je nachdem 
ob sie von härteren oder weicheren Primärstrahlen erregt wurde. 
Harte Strahlen können daher wohl qualitativ anders wirken als 
weiche. 

Schlusswort: Herr Dessauer dankt den Kliniken Bumm und 
Amann für die seit Jahren gemeinsam mit ihm geleistete Arbeit. Er 
gibt seiner Freude Ausdruck, dass die Mitteilungen von Wieser, 
Winter und Stephan die angedeutete Möglichkeit einer exakten Do¬ 
sierung bewiesen haben. Auch kann er auf Grund eigener Versuche 
die Abhängigkeit der Härte vom Brennfleck nicht bestätigen. Herrn 
Wintz gibt Dessauer soweit Recht, dass die allerhärtesten Strah¬ 
lung noch nicht technisch verwertet werden kann. Wohl aber sind 
härtere Strahlen als bisher in grösserer Gleichmässigkeit und Sicher¬ 
heit der Therapie zugänglich geworden. Der Einfluss gröberer Netz¬ 
schwankungen auf den Heizstrom lässt sich leicht beseitigen. Die 
Versuche von Herrn Stephan stützen gut die von Christen 
vertretene Anschauung. 

Herr Prof. Amann schliesst mit einem Danke an alle An¬ 
wesenden die Sitzung. 


Kleine Mitteilungen. 

Therapeutische Notizen. 

Ueber einen schweren Kollaps nach intravenöser 
Melubrininjektion berichtet Hans Martz-Basel. 

Die Injektion von 0,5 Melubrin, die bei einer 18 jährigen Patientin 
gemacht wurde, bei der eine schwere Schädigung des Kreislaufes 
nicht bestand, rief einen ausgesprochenen Kollaps hervor: Zuerst 
Herzklopfen, Dyspnoe, dann Schwinden des Pulses, Blässe und Be¬ 
wusstlosigkeit. — M. mahnt zu grosser Vorsicht bei allen Gelenk¬ 
erkrankungen, die mit endokarditischen Veränderungen einhergehen, 
und rät, in diesen Fällen lieber die intramuskulären oder subkutanen 
Melubrininjektionen den intravenösen vorzuziehen. (Ther. Mh. 1918.6.) 

H. T h i e r r y. 

Für den Wert des Malzextraktes als Nährpräparat tritt 
Schuele-Freiburg mit voller Ueberzeugung ein. Er hält den 
Malzextrakt für die Kinderpraxis für unersetzlich und möchte ihn 
auch in der Krankenernährung nicht missen, da er alle Vorzüge eines 
guten Nährpräparates besitzt: Er ist gut bekömmlich, wird gerne 
genommen und ist verhältnismässig billig. Dazu kommt, dass seine 
Fabrikation nicht unrentabel ist, da bei seiner Herstellung von 
dem Nährwert der Gerste wenig verloren geht und die Rückstände 
zur Viehfütterung verwendet werden. Es liegt somit kein Grund 
vor, den guten, alten Malzextrakt von der Liste der Nährpräparate 
zu streichen. (Th. Mh. 7. 1918.) H. Thierry. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1038 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 37. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 9. September 1918. 

— Kriegschronik. An -der Sch lacht! ront stehen wir überall 
in unseren neuen Stellungen. So meldet der Deutsche Heeresbericht 
vom 8. September. Damit ist also der Rückzug beendigt und die 
eherne Mauer wieder hergestellt, die den Einbruch der Feinde in die 
Heimat jetzt und für alle Zukunft verhindern wird. Sache der Heimat 
ist es nun, auch im Innern die Front gegen Wankelmut und Mies¬ 
macherei wieder herzustellen und ihren Dank abzustatten durch Einig¬ 
keit und festen, unbeugsamen Siegeswillen. — Die Zusatzverträge 
zum Friedensvertrag mit Russland wurden ausgetauscht. Russland 
verzichtet auf die Staatshoheit über die Ostseeprovinzen, Estland, 
Livland, Kurland und Litauen, und auf jede Einmischung in deren 
innere Verhältnisse. — Am 23. September beginnt die Zeichnungs¬ 
frist für die 9. Kriegsanleihe. Möge ihr Ergebnis unseren Feinden den 
Willen des deutschen Volkes zum Durchhalten eindringlich vor Augen 
führen1 

— Nach einem Erlass des bayer. Kriegsministeriums vom 2. Sep¬ 
tember 1918 können landsturmpfic'htige, bereits mit Kriegs¬ 
stellen auf Widerruf beliehene A e r z t e, die im Besitze des Dienst¬ 
zeugnisses oder der diesem entsprechenden Erklärung der Truppe 
über die Eignung zum Sanitätsoffizier sind, bei entsprechender mili¬ 
tärischer und militärärztlicher Beurteilung — ohne Rücksicht auf den 
Grad ihrer Kriegsbrauchbarkeit — zur Ueberführung zu den Sanitäts¬ 
offizieren des Beurlaubtenstandes vorgeschlagen werden. Eine 
4 wöchige Dienstzeit als Unterarzt wird dabei von diesen Aerzfen 
nicht mehr gefordert. Bei der Patentregelung wird die im Heeres¬ 
dienst bereits zurückgelegte Dienstzeit als Arzt berücksich¬ 
tigt werden. — Neu in den Heeresdienst tretende land- 
sturmpflichtigfe approbierte Aerzte, die nich «die 'Beleihung 
mit einer Kriegsstelle, sondern die Ueberführung zu den Sanitäts¬ 
offizieren des Beurlaubtenstandes anstreben, können nach Erlangung 
des Dienstzeugnisses durch 2 monatige Ausbildung mit der Waffe bei 
entsprechender Beurteilung zur Ernennung zum Unterarzt des Be¬ 
urlaubtenstandes und nach 4 wöchiger weiterer Dienstzeit zur Be¬ 
förderung zum Assistenzarzt des Beurlaubtenstandes vorgeschlagen 
werden — ohne Rücksicht auf den Grad ihrer Kriegsbrauchbarkeit. 
— Für die Ueberführung landsturmpflichtiger approbierter Feldhilfs¬ 
ärzte zu den Sanitätsoffizieren des Beurlaubtenstandes wird die Kriegs“ 
Verwendungsfähigkeit nicht mehr als Voraussetzung gefordert. Sie 
können also bei Erfüllung der sonstigen Bedingungen nach erlangter 
Approbation und nach einer weiteren 4 wöchigen Dienstzeit als Feld¬ 
hilfsarzt gleich zu Assistenzärzten des Beurlaubtenstandes vor¬ 
geschlagen werden. — Landsturmpflichtige Feldunterärzte können 
nach erlangter Approbation unter den gleichen Bedingungen wie die 
übrigen Feldunterärzte — ohne Rücksicht auf den Grad ihrer Kriegs¬ 
brauchbarkeit — zu Unterärzten und nach 4 Wochen zu Assistenz¬ 
ärzten des Beurlaubtenstandes vorgeschlagen werden. Streben die 
genannten landsturmpflichtigen Feldunterärzte und Feldhilfsärzte die 
Ueberführung zu den Sanitätsoffizieren des Beurlaubtenstandes nicht 
an, so sind sie nach erlangter Approbation mit Kriegsstellen auf 
Widerruf als landsturmpflichtige Aerzte zu beleihen. 

— Gelegentlich der 250-Jahrfeier der Chemischen Fabrik 
E. Merck in Darmstadt (s. d. W. Nr. 31 S. 862), die am 24. August 
in Anwesenheit des Grossherzogs von Hessen und von Vertretern 
der Behörden, zahlreicher wissenschaftlicher Körperschaften, indu¬ 
strieller Verbände usw. durch einen Festakt begangen wurde, wurde 
der Geh. Medizinalrat Dr. phil. E A. Merck von der medizinischen 
Universität Giessen zum Dr. med. h. c., von der Technischen Hoch¬ 
schule zu Darmstadt zum Dr.-Ingenieur Ehrenhalber ernannt. Der 
Grossherzog überreichte persönlich eine Reihe von Auszeichnungen 
an Inhaber und Angestellte der Firma. Dem Dr. phil., Dr. med. h. c. 
Willy Merck wurde der Charakter als Geheimer Kommerzienrat 
verliehen Die Inhaber der Firma haben aus Anlass des Jubiläums 
Zuwendungen an Beamte und Arbeiter, sowie Stiftungen für wissen¬ 
schaftliche, gemeinnützige und wohltätige Zwecke im Betrage von 
einer Million Mark gemacht. 

— Cholera. Schweden. Zufolge Mitteilung vom 13. August 
ist in Stockholm eine weitere Erkrankung unter der Besatzung des 
aus Russland eingetroffenen und bei der Quarantäneanstalt Fejan 
liegenden schwedischen Dampfschiffes bakteriologisch festgestellt 
worden. — Russland. In Petersburg ist zufolge Mitteilung der Stadt¬ 
verwaltung für die Zeit vom 18. Juli bis 4. August eine weitere er¬ 
hebliche Abnahme der Choleraepidemie zu verzeichnen. In den 
Krankenhäusern der Stadt, ohne die Militärlazarette, sind vom 16. 
bis 31. Juli 1826 Erkrankte aufgenommen worden; gestorben sind 947. 
In die Militärlazarette sind in der Zeit vom 5.—31. Juli 692 Cholera- 
kranke eingeliefert worden, von denen 195 gestorben sind. — Ukraine. 
In der Zeit vom 6. Juli bis 10. August sind insgesamt 250 Erkran-. 
kungen festgestellt worden. Besonders betroffen war das Flüchtlings¬ 
lager in Koronjewo (an der Bahnstrecke Kursk-Kiew); aus Charkow, 
Rostow a. Don und aus Sewastopol sind eine Anzahl von Erkran¬ 
kungen gemeldet worden. Die Fälle in Rostow sind aus Taganrog, 
diejenigen in Sewastopol auf dem Seewege aus dem Kaukasus einge¬ 
schleppt. In Kiew ist nur eine weitere Erkrankung vorgekommen. 
Eine epidemische Ausbreitung hat die Krankheit nirgends erlangt. 


— Türkei. Zufolge Mitteilung vom 17. August sind in Trapezunt 
einige Erkrankungen festgestellt worden. 

— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 
18. bis 24. August 1 Erkrankung. — Kaiserlich Deutsches General¬ 
gouvernement Warschau. In der Woche vom 4. bis 10. August 
wurden 21S Erkrankungen und 26 Todesfälle angezeigt. — Oester- 
reich-Ungr rn. In Ungarn wurden in der Zeit vom 15. bis 21. Juli 
4 Erkrankungen und 1 Todesfall gemeldet. 

— Ruhr. Prcussen. In der Woche vom 11. bis 17. August 
sind 1997 Erkrankungen und 161 Todesfälle und in der Woche vom 
18. bis 24. August 2295 Erkrankungen und 170 Todesfälle gemeldet 
worden. 

— In der 33. Jahreswoche, vom 11.—17. August 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Frankfurt a. O. mit 37,9, die geringste Recklinghausen-Land 
mit 6,4 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein 
Zehntel aller Gestorbenen starb an Keuchhusten in Recklinghausen- 
Land. Vöff. Kais. GesA. 

— In der 34. Jahreswoche, vom 18. bis 24. August 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Plauen i. V. mit 50,1, die geringste Gladbeck mit 7,0 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬ 
storbenen starb an Keuchhusten in Gladbeck. Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Giessen. Der a. o. Professor und Direktor der Klinik für 
Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. Albert Jesionek ist zum 
ordentlichen Professor ernannt worden. 

Greifswald. Dem Abteilungsvorsteher am anatomischen 
Institut der Universität Greifswald, Privafcdozenten Dr. Wilhelm 
v. Möllendorff, ist der Titel Professor verliehen worden, (hk.) 

Halle. Der bisherige Direktor der Städtischen Krankenanstal¬ 
ten zu Mannheim, Dr. Franz Volhard, wurde zum Ordinarius und 
Direktor der medizinischen Klinik in Halle als Nachfolger von Geh. Rat 
Adolf Schmidt ernannt, (hk.) 

Tübingen. Prof. Dr. Paul v. Baumgarten, der bekannte 
Vertreter der pathologischen Anatomie und allgemeinen Pathologie 
an der Tübinger Universität, beging am 28. August den 70. Geburts¬ 
tag. (hkj 

Dorpat. Zum Rektor mit dem Titel Magnifizenz wurde der 
Professor der Medizin Dr. Karl Dehio ernannt. In der medizin. 
Fakultät lesen in dem am 1. September beginnenden Wintersemester 
die Professoren Adolphi-Dorpat, Sommer-Dorpat, v. Krü¬ 
ger-Dorpat, Gross-Heidelberg, Trendelenburg-Freiburg, 
Stamm-Dorpat, D e h i o - Dorpat, Grob er-Jena und E. Ma- 
sing-Dorpat, Rothberg -Dorpat, Paldrock -Dorpat, Zoege 
v. Man teuf fei, der zum Dekan ernannt ist, M e y e r - Dorpat, 
R ich fers-Dresden, Brüggemann-Giessen. Angefordert sind: 
Korf f-Petersen-Berlin, B o i t - Königsberg, Brückner- 
Berlin. 


Korrespondenz. 

Zum Artikel: lieber orthotlsche Albuminurie in Nr. 27 S. 721 d. W. 

Aus einer an die Schriftleitung der M.m.W. gerichteten Er¬ 
widerung von Herrn San.-Rat v. Dzi emb owski-Posen ersehen 
wir, dass er der Anschauung ist, wir lehnten einen Zusammenhang 
zwischen Vagotonie und orthotischer Albuminurie generell ab. Tat¬ 
sächlich haben unsere Versuche jedoch ergeben, dass bei einem Teil 
der Orthotiker, und zwar anscheinend dem grösseren, ein irgendwie 
gearteter unzweifelhafter Zusamenhang zwischen Orthotismuf und 
Vagotonie besteht, wie aus unserem Aufsatz in der M.m.W. 1918 Nr. 27 
S. 721—725 hervorgeht. Es ist das Verdienst des Herrn v. Dz., zu¬ 
erst an diesen Zusammenhang gedacht zu haben. 

O. A. Beckmann und Prof. Sch 1 ay e r. 


Man schreibt uns: 

Zur Lage der landsturmpflichtigen Aerzte. 

In Nr. 35 der M.m.W. ist ein Erlass des Kgl. Bayer. Kriegs¬ 
ministeriums veröffentlicht, wonach die Aerzte der Ersatzreserve und 
des Landsturms, denen bisher Dienstgrade auf Krieg9dauer verliehen 
wurden, zu den Aerzten des Beurlaubtenstandes übergeführt werden 
können. 

Wie steht es aber mit denjenigen Aerzten des Landsturms, denen 
infolge des entgegenstehenden Erlasses vom 29. März 1915 Dienst¬ 
grade auf Kriegsdauer nicht mehr verliehen wurden? 

Nachdem auch der Chef des Feldsanitätswesens in einer ktirz- 
lichen Veröffentlichung (s. Aerztl. Vereinsblatt) anerkannt hat, dass 
ein Bedürfnis zur Verleihung von Dienstgraden auch an die Aerzte 
des Landsturms sich gezeigt hat, so ist wohl zu erhoffen, dass an 
dieselben auch in Bayern wie vor dem März 1915 Dienstgrade auf 
Kriegsdauer wieder verliehen werden. Auch wäre wohl zu wünschen, 
dass das Verleihungsdekret nach der Dienstzeit zurückdatiert wird, 
damit sie nicht zu sehr gegenüber den jüngeren Kollegen benach¬ 
teiligt sind. 


VMtfcvbaLr. I chninv Id Mflnchcn S.W. 2, Paul Heytestr. 26. — Druck von E. Mfthltkaler't 8nck- and KuBStdruckcret A.O., pflocken. 

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und Ausland siehe uniea unter Bezugsbedingungen. 

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MÜNCHENER 


Zneadnugen fM an ri c h te n 

Pfir die Schriftidtung: ArauTfstr.26 (Sprechstunden §K~1 tfhrl 
Für Bezug: an I. r. Lehmann's Verlag, Paul Heysestrasae 26. 
Für Anzdgen und Beilagen: an Rudolf Mosse, Theaiinerstrasse & 


Medizinische Wochenschrift. 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 38. 17. September 1918. 

Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulf Strasse 26. 
Verlag: J« F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 

65. Jahrgang. 

Der Verleg befallt rieh das ausschliessliche Recht der VervielflUbguiig ihd Verbreitung der ln dieser Zeitschrift zun 

> Abdruck gelangenden Orlginalbdtrigc vor. 


Originalien. 

Erfolge der Nervennaht*). 

Von Prof. W. Spielmeyer. 

M. H.! Oer Titel des Vortrages verspricht vielleicht mehr, als 
ich zu halten vermag. Es ist selbstverständlich, dass sich heute eine 
irgendwie sichere oder gar abschliessende Beantwortung dieser Frage 
nach der Wirksamkeit der Nervennaht nicht geben lässt. Jeder weiss 
ja, wie lange die Wiederkehr der Funktion auf sich warten lässt und 
dass in manchem schon verloren gegebenen Falle nach Jahr und Tag 
noch die erste Besserung auftreten und schliesslich zu einem mehr 
oder weniger völligen Ausgleich der Lähmung führen kann. Und auch 
das ist bekannt, dass bei Fällen, bei denen die Regeneration zunächst 
einen guten Anlauf nahm, die Sache ins Stocken kommt und die Läh- 
numgsreste stationär werden. Will man wirklich ein sicheres Urteil 
über die Wirksamkeit der Nervennaht haben, so müsste man, meine 
ich, in jedem einzelnen Falle 4—5 Jahre noch nach der Operation 
zuwarten. Man dürfte für die Statistik überhaupt nur solche Fälle 
benutzen, bei denen eben eine Nachuntersuchung noch 4—5 Jahre 
nach der Naht vorgenommen wurde. 

So kann es sich denn heute nur um den Versuch handeln, einmal 
zu sehen, wie sich die Dinge nach den bisherigen Erfahrungen 
darstellen. Dass ein solcher Versuch gerade mit Rücksicht auf aktuelle 
und praktische Fragen berechtigt ist, bedarf nicht erst der Begrün¬ 
dung. 

Ich berücksichtige hier lediglich mein eigenes Material, das ich 
im Sammellazarett für Nervenverletzte Zusammentragen konnte, und 
das grösstenteils auch anatomisch von mir kontrolliert wurde. Die 
Literatur in dieser Frage ziehe ich hier im Vortrage nicht in Betracht, 
da das, was bisher darüber veröffentlicht wurde, unter sehr ver¬ 
schiedenen Gesichtspunkten zusammengestellt ist, so dass schon die 
zahlenmässige Vergleichung oder Ergänzung meiner Befunde mit den 
Erfahrungen anderer schwer ist, jedenfalls im Vor trage ohne lange 
Erörterungen nicht durchführbar erscheint. 



Erfolg 

Besserung 

Misserfolg 

(84) 32 Radialis .... 

11 

11 

10 

(40) 12 Ulnaris ... . 

3 

1 

8 

(17) 16 Medianus .... 

4 

4 

8 

(22) 8 Oberer Plexus . 

2 

3 

3 

(24) 9 Peroneus . . . 

2 

4 

3 

(3) 2 Tibialis. 

! — 

2 

— 

(52; 21 Isehiadikus . . . 

. 1 

11 

9 

100 

I 23 | 

36 

41 


Ich habe jetzt im Sammellazarett für Nervenverletzte seit Kriegs¬ 
beginn reichlich 1600 Fälle von peripherischen Nervenschussver- 
letzungen gesehen. Darunter waren im ganzen etwa 280 genähte 
Fälle, die ich nachuntersuchen konnte. Was meine Zusammenstellung 
von dem gesamten Material in viel grösserem Massstab dartut, spie¬ 
gelt auch diese Statistik wieder, iämlich zunächst das Ueber- 
wiegen der Verletzungen an den Nerven der oberen Extremität 
und weiterhin die ganz besondere Häufigkeit der R a d i a - 
lisläsionen. Sehr zahlreich sind auch die Ulnarisschüsse 
und die kombinierten Ulnar is-Medianusverlet- 
zungen. Dass hier nur verhältnismässig wenig Plexusverletzungen 
unter den operierten Fällen Vorkommen, beweist die alte Erfahrung, 
dass gerade Läsionen der grossen Nervengeflechte meist nur unvoll¬ 
ständig sind und nicht zur Operation herausfordern. — Wie man 
sieht, sind in diese Statistik nur die häufigeren Nervenver¬ 
letzungen aufgenommen. 

Die ganze Reihe der operierten Fälle konnte nun hier nicht in 
Rücksicht gezogen werden. Manche der Fälle wurden nur einige 
Wochen oder wenige Monate nach der Naht neurologisch untersucht. 
Selbstverständlich sind solche Beobachtungen wertlos für die Sta¬ 
tistik, da ja die Restitution der Bewegungen erst nach einer gewissen 
«Inkubation“ <(P er t he s) einsetzt; und Wie Perthes komme 
auch ich bei der Durchsicht meines Materials zu dem Resultat, dass 
die ersten Anfänge in der Besserung bzw. der Heilung durch¬ 
schnittlich erst am Ende des ersten oder am Anfang 


*) Nach einem am 20. April 1918 im „Bayer. Landesverein für 
ärztliche Fortbildung“ gehaltenen Vortrage. 


Nr. 38 


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des zweiten Halbjahres beobachtet werden. Ich habe deshalb 
alle die Fälle hier von vorherein ausgeschieden, bei denen die 
Nachuntersuchung lediglich innerhalb des ersten halben 
Jahres vorgenommen wurde. Dadurch schrumpft natürlich das ver¬ 
wertbare Material erheblich ein, wie das aus einem Vergleich der 
(eingeklammerten) Gesamtzahl der genähten Fälle mit der (vor den 
Nerven gestellten) Zähl der verwertbaren Fälle hervorgeht. Es blei¬ 
ben also von 84 genähten Radialisfällen nur 32 für die Statistik übrig, 
von 40 Ulnarisnähten nur 12 usw. Im ganzen sind es 100 N ä h t e, 
die wir hier für die Statistik übrig behalten. 

Ich habe hier 3 Gruppen unterschieden: solche mit vollem 
Erfolg, dann die mit weitgehender Besserung und eine 
dritte Gruppe, bei der sich eine Wiederkehr der Funktion 
nicht oder noch nicht nachweisen Hess. (Ich habe der Kürze 
der Bezeichnung wegen über diese letzte Gruppe „Misserfolge“ ge¬ 
schrieben, ohne damit sagen zu wollen, dass das schon eine „fertige“ 
Zahl sei; s. u.). Zur ersten Gruppe rechne ich alle die Fälle, bei 
denen sämtliche Bewegungen, die ursprünglich durch die Läh¬ 
mung ausgeschaltet waren, wiedergekehrt sind, also der Pa¬ 
tient im Prinzip jede Be wegung wieder auszuführen vermag, 
die in das ursprünglich ausgeschaltete Nervmüskelgebiet gehört. Es 
ist wohl nichts dagegen einzuwenden, wenn ich hier auch solche Fälle 
eingeieiht habe, bei denen die Bewegungen noch kraftlos und mühsam 
waren. Die Wiederkehr zum völlig ungehinderten und ursprünglichen 
Gebrauch ist ja dann nur eine Frage der Zeit. 

Irr die zweite Gruppe habe ich nur d i e Fälle aufgenommen, 
bei denen die Besserung weitgehend ist; bei denen also 
wichtige Bewegungen wiedergekehrt sind. Selbstverständlich 
habe ich dabei eine blosse Besserung des elektrischen Verhaltens im 
Sinne eines Promptwerdens der direkten galvanischen Zuckung etc. 
nicht berücksichtigt, ebensowenig die Rückbildung von Sensibilitäts¬ 
störungen. Eine wesentliche 'Besserung ist es ja auch nicht, 
wenn etwa bei einer Radialislähmung nun bloss der M- brachioradialis 
zurückgekehrt ist. Dabei können ja auch Anastomosen eine grosse 
Rolle spielen, wie ich gerade jüngst in einem mit Hofrat K r ecke 
beobachteten Fall gesehen habe, wo der RadiaHs bei der Operation 
sich völlig durclurennt erwies, keine Nervenfasern von diesem Nerven 
zum Brachioradialis zu verfolgen waren und wo offensichtlich der 
Muskulokutaneus die Versorgung mit übernommen hatte. Ein solches 
vikariierendes Eintreten einiger Nerven füreinander wird ja ganz be¬ 
sonders bei dem Ulnaris und Medianus beobachtet und hier ist be¬ 
kanntlich ganz besondere Vorsicht in der Annahme eines Nahterfolges 
notwendig. 

Die einzelnen Prozentzahlen sind bei den verschiedenen 
Nerven nun recht verschieden und auch aus dieser Statistik hebt 
sich wieder der verhältnismässig günstige Erfolg der Radia- 
1 d s n a h t ab von der wesentlich schlechteren Heilungstendenz bei 
den meisten anderen Nerven. Beim Radialis entfällt in den 3«2 Fällen 
merkwürdigerweise etwa genau ein Drittel auf jede der 3 Gruppen. 
Besonders günstig scheint auch der Erfolg naoh der Median-us- 
naht. Aber selbstverständlich können -bei diesen kleinen Zahlen 
Zufälligkeiten mitspielen. Zu dem Isehiadikus ist noch zu bemerken, 
dass das Ergebnis der Naht in meiner Statistik allerdings besonders 
schlecht erscheint; denn von 21 Fällen habe ich nur 1 mal einen 
vollen Erfolg gesehen. Aber ich habe mich eben selbstverständlich 
genau nach der oben gegebenen Abgrenzung der ersten Gruppe ge¬ 
halten. Und so kommt es, dass unter den 11 Fällen der zweiten 
Reihe eine grössere Anzahl von Ischiadikusverletzungen sind, bei 
denen nach der Naht eine ganz besonders weitgehende Besserung 
zu verzeichnen ist: wo sich also zum Beispiel alles wieder hergestellt 
hatte bis auf die Fähigkeit der Zehenextensdon oder wo etwa nur 
eine Parese des Fxtensor hallucis longus übrig blieb. So sind also 
die Erfolge nach der Ischiadikusnaht nicht so schlecht, wie sie nach 
der Statistik zunächst scheinen. 

Weshalb nun die Erfolge der Naht an einzelnen Nerven grosse 
Unterscniede autweisen, das vermag ich nicht zu erklären. Bekannt 
sind ja die Theorien darüber. Es hat keinen Zweck, diesen nachzu¬ 
gehen. 

Sehen wir die Gesamtzahl der Fälle an, so haben wir also 
23 P r o z. vollen Erfolg nach der Nervennaht, 36 P r o z. 
Besserung und 41 Proz. „Misserfolge“. Das ist kein 
überwiegend erfreuliches Resultat; und ich betone 
ausdrücklich, dass hier alle die Fälle ausgeschaltet wurden, bei 
denen ein Verfahren zur Ueberbrückung grösserer Nervendefekte, wie 
r 1 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 









1040 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


etwa die Ed in ge r sehe Methode, angewandt worden ist; nur wirk¬ 
lich direkte Nähte sind berücksichtigt. 

Immerhin dürfen wir nicht nur hoffen, sondern Voraussagen, dass 
diese Zahlen sich noch in günstigem Sinne ändern werden. Die Zahlen 
sind eben noch nicht fertig. Die erste Gruppe wird sicherlich grösser 
werden. Denn nach dem eingangs Gesagten nimmt ja die Besserung 
bzw. die Heilung oft lange Zeiträume in Anspruch und so dürfen wir 
erwarten, dass ein Teil der Fälle von der dritten in die zweite und 
von der zweiten in die erste Gruppe hinüberwandern wird. 

Wieviel das sein werden, das lässt sich heute auch nicht an¬ 
nähernd übersehen. Ich vermag ganz und gar nicht abzuschätzen, 
wieviel Fälle etwa in der Rubrik „Misserfolge“ Dauerzustände dar¬ 
stellen. Von der Gruppe mit weitgehender Besserung glaube ich 
aber heute schon sagen zu dürfen, dass weit mehr als die Hälfte 
keine wesentlichen Aussichten auf eine völlige Restitution bietet. 
Es sind das solche Beobachtungen, bei denen, wie ich eingangs schon 
erwähnte, die Wiederherstellung sich anfangs ziemlich glatt vollzog, 
wo aber dann von einem bestimmten Stadium ab eine weitere Besse¬ 
rung nicht mehr beobachtet werden konnte. Hierher gehören zum 
Beispiel die Fälle von Radialislähmung, in denen die Streckung der 
Hand gut wiederkehrte, die der Finger dagegen durch Monate und 
Jahre völlig ausgeschaltet blieb. Ferner seltenere Fälle, wo merk¬ 
würdigerweise gerade die Handstreckung ausblieb, dagegen die 
Streckung des Daumens und Zeigefingers zurückkehrte. Beim Tibia- 
lis ist es ja nicht selten, dass die Nervenleitung sich für die Plantar¬ 
flexoren wiederherstellt, nicht dagegen für die Zehenbeuger. Und 
nicht selten bleibt nach einer Peroneuslähmung die Funktion der 
Zehenstreckung oder auch nur die der Extension der Grosszehe iso¬ 
liert ausgeschaltet. Wie sich solche Eigentümlichkeiten anatomisch 
erklären lassen, will ich hachher zu zeigen versuchen. In allen diesen 
Fällen haben wir es ganz offensichtlich mit stationär gewordenen 
Residuen der Lähmung zu tun. 

Was nun das Tempo der Wiederkehr der Funktion 
anlangt, so war ja schon die Rede davon, dass durchschnittlich erst 
nach einem halben Jahr die ersten Zeichen der Restitution beobachtet 
werden. Von ganz besonders früh heilenden Fällen habe ich 
n i e etwas gesehen, und man kann nur immer wieder die Notwendig¬ 
keit der Skepsis gegenüber solchen Mitteilungen betonen. Immerhin 
sah ich 2 mal schon 5 Wochen nach der Naht die Wiederkehr der 
Handstreckung bei einer Radialislähmung und einige wenige Male 
war bereits nach etwa 4 Monaten der grössere Teil einer Lähmung 
zurückgegangen. Aber das ist äusse r st selten in meinem Material. 
Häufiger ist es, dass die Wiederkehr der Bewegung erst auf¬ 
fällig lange nach der Naht beginnt. So habe ich z. B. in 
einem Falle von Ischiadikusnaht die ersten Zeichen des Erfolges der 
Operation nach 2 und sogar nach 2Yi Jahren gesehen; auch ein ge¬ 
nähter Ulnaris wies die frühesten Symptome der Wiederherstellung 
der Leitung erst nach 2 Jahren auf. — Sehr gross sind dann auch die 
Unterschiede bezüglich der Zeit, welche von diesen Anfangs¬ 
symptomen der Besserung bis zur völligen Heilung ver¬ 
geht. Manchmal ist dieser Zeitraum ganz auffallend kurz. So sah 
ich nach der Wiederkehr der Handstreckung die Restitution sämtlicher 
Bewegungen im Radialisgebiet schon 4 Wochen später. Durchschnitt¬ 
lich aber vergeht von den ersten Zeichen der Besserung bis zur völ¬ 
ligen Heilung noch eine lange Zeit, die bei den verschiedenen Nerven 
recht verschieden ist. Alles in allem berechnet sich die Zeit der 
Rückbildung einer Radialislähmung nach der Naht durch¬ 
schnittlich auf 14 Monate. Bei den meisten anderen Nerven 
dauert die definitive Rückbildung Wk bis 2 Jahre. Und oft braucht 
ein Nerv, wie schon eingangs erwähnt, sehr viel längere Zeit zu 
seiner vollständigen anatomisch-physiologischen Wiederherstellung. 

Sehen wir nun von diesen blossen Zahlen ab und suchen wir — 
was wichtiger erscheint — Antwort auf die Frage, was sich denn 
aus dieser Zusammenstellung ergibt. Wir können die 
Fragen fn zwei Gruppen ordnen. Wir suchen erstens zu er¬ 
mitteln, was sich aus der Statistik für die Operation über¬ 
haupt — für den Termi n der Operation, für die verspätete 
Naht und für die Nachoperation — ableiten lässt. Und zwei¬ 
tens wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, was denn an 
den Misserfolgen der Naht schuld sein kann. 

• Mit Rücksicht auf die erste Reihe von Fragen ergibt sich 
aus der Staistik zunächst die Forderung, dass man keine Ner¬ 
ven naht unnütz machen soll, dass man also nicht dort resezieren 
und nähen darf, wo die Bedingungen zur selbständigen Restitution 
gegeben sind. Denn die Nervennaht ist eben keine solche Operation, 
die mit einiger Sicherheit Aussicht auf Erfolg bietet. Dieses Ergebnis 
klingt recht banal. Und doch ist die daraus gezogene Forderung 
nicht selbstverständlich. Dies zeigt mir das anatomische Material, 
soweit es von solchen Fällen stammt, bei denen die äussere 
Kontinuität des Nerven Strangs gewahrt war. Wenn 
ich nur diese Fälle meines anatomischen Materials berücksichtige, 
so ist der vorhin aufgestellten Forderung in fast der Hälfte der 
Fälle nicht entsprochen. Das heisst, es sind Nerven an der Schuss¬ 
stelle reseziert worden, bei denen die Bedingungen für eine Restitu¬ 
tion vorhanden waren; zum grossen Teil war die Leitung erhalten, 
zum andern Teil hatten die zerstörten Nervenfasern in breitem 
Strome ihren Uebergang in den peripheren Abschnitt gefunden. Ich 
betone ausdrücklich, dass in diesen Fällen eine grosse Masse von 
neugebildeten Nervenfasern in den peripherischen Abschnitt hinein¬ 
gelangt waren; denn dass einzelne Fasern und Bündel hinüberfinden. 


kamt natürlich die Wiederkehr der Funktion nicht ermöglichen; und 
fast in allen 'Fällen sieht man ja, dass die Narbe von mehr oder 
weniger dürftigen Bündeln neugebildeter Fasern überwunden wird. 
Aber wie gesagt ist es fast die Hälfte der in der Kontinuität nicht 
getrennten Nerven, wo man mit einer an Sicherheit grenzenden Wahr¬ 
scheinlichkeit annehmen darf, dass hier eine Restitution der Be¬ 
wegungen zustande gekommen wäre. Mit Genugtuung stelle ich fest, 
dass ein so erfahrener Neurohistologe wie Bielschowsky (Jour¬ 
nal f. Psychol. u. Neurol. 1917) die gleichen anatomischen Beobach¬ 
tungen gemacht hat und deshalb, ebenso wie ich es seit Beginn des 
Krieges getan habe, vor einer übereilten und unnützen Resektion und 
Naht warnt. 

Es fragt sich: Was findet man denn mikroskopisch bei 
den Nerven, wo der Schuss den Nervenstrang nicht zerrissen 
hat, und wo im grossen und ganzen die äussere Kontinuität 
erhalten ist. Gewiss sind hier in einer grossen Reihe von Fällen 
die Kabel des Nerven im Innern durchtrennt, und es 
haben sich Narben entwickelt, welche den neu vorsprossenden 
Schwann sehen Zellen mit ihren Nervenfasern unüberwindlichen 
Widerstand entgegensetzen. Aber man findet eben auch in einem 
grossen Prozentsatz der Fälle wesentlich andere Bilder und diese 
können sich in etwa dreifach verschiedener Form darstellen — 
so wie ich das früher schon geschildert habe. Es kann nämlich 
erstens ein Teil der Nervenbahnen erhalten und ein 
anderer zertrümmert sein, wi-e das die Fig. 1 zeigt. Zwei¬ 
tens kann e i n Teil der Nervenkabel durch rissen und der 
andere nur zerquetscht sein. Ich habe ein Bild dafür schon in 
meiner ersten Arbeit „Zur Frage der Nervennaht“ (M.m.W. 1915 
Nr. 2) und in meiner Broschüre „Zur Klinik und Anatomie der Nervcn- 
schussverletzungen“ (Jul. Springer, Berlin 1915) gebracht. Endlich 
drittens kann sich die mechanische Schädigung durch das Ge¬ 
schoss lediglich auf eine Läsion des nervösen Gewebes im 
Nerven beschränken und kann die bindegewebigen Hüllen und 
Zwischensubstanzen intakt lassen. Ich füge ein Bild hiervon bei 
(Fig. 2), in welchem man sieht, dass die allgemeine Architektonik des 



Fig. 1. Fig. 2. 

Zu Fig. 1: Partielle Kontinuitätsunterbrechung; ein grosser Teil der Bündel erhalten; 

in dem durchrissenen Teil des Nerven erfolgreiche Regeneration. (Mark¬ 
scheidenfärbung am Oefrlerschnitt) 

Zu Fig. 2: Partielle Zerstörung der Markfasern ohne Schädigung des Bindegewebs- 
apparates und der Architektonik. (Markscheidenfärbung am Qefnerschnitt.) 

Nerven erhalten ist. In der Figur heben sich eine Reihe von schwarz 
gefärbten markhaltigen Nervenfasern ab, die nicht geschädigt sind 
Der Hauptteil der ursprünglichen Nervenkabel scheint nur noch fein 
grau gestreift; hier sieht man zum Teil noch nackte Achsenzylinder 
im Bielschowskypräparat, zum andern Teil sind die Fasern völlig 
degeneriert und an ihrer Stelle finden sich Abbauzellen und ge¬ 
wucherte Sch w ann sehe Elemente. Solche Bilder geben die histo¬ 
logische Erklärung für den in der Literatur vielfach erwähnten Be¬ 
fund, dass an der Läsionsstelle eines gelähmten Nerven makro¬ 
skopisch bei der Operation keine Veränderungen nachweisbar sind. 
Es wird darüber auch jetzt immer wieder von neuem berichtet, diese 
Feststellung als etwas sehr Eigentümliches hingestellt und nach Er¬ 
klärungen dafür gesucht. Ich habe bereits im Frühjahr 1915 die 


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Original fram 

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17. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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histologische Erklärung für diesen Befund erbracht (Zur Klinik und 
Anatomie der Nervenschussverletzungen). 

Bei dieser Art von Schussläsionen haben es nun offenbar die 
Nervenfasern verhältnismässig leicht, sich zu regenerieren, da ihnen 
kein Widerstand durch bindegewebige Narbenbildung entgegengestellt 
ist. Ich habe das vielfach an meinem Material beobachten können, 
wie sich hier in den Bahnen die alten S ch w a n n sehen Zellen, die 
sich in Bandfasern umgewandelt haben, die Neubildung der Nerven¬ 
fasern vollzieht. In dem alten Geleise kommt es zur Fibrillisation. — 
Dass aber auch an den Stellen, wo die Nervenkabel zusammen mit 
dem Bindegewebe durchtrennt wurden und wo es zu einer Narben¬ 
entwicklung kam, die Regeneration Erfolg haben kann, lehren eben¬ 
falls die histologischen und die klinischen Tatsachen. Die Fig. 1 
demonstriert das ganz besonders schön. Es ist das ein Schnitt durch 
einen Medianus, der anfangs total gelähmt erschien. Während der 
klinischen Beobachtung besserte sich der Lähmungszustand allmäh¬ 
lich, und zwar etwa vom 3. Monat nach der Verletzung ab. Schliess¬ 
lich hatte sich die Lähmung motorisch und elektrisch völlig zurück- 
gebildet. Der Patient litt aber unter enormen Nervenschussschmer- 
zen und verlangte unbedingt die Durchtrennung seines Nerven, die 
dann auch gemacht wurde. So entspricht das hier gezeigte ana¬ 
tomische Präparat mit der vollständigen Nervenregeneration der völli¬ 
gen klinischen Restitution der Bewegungen. Man sieht schon an 
diesem Uebersiehtsbilde, wie die Nervenfasern in überaus reichen 
Bündeln die Narbe auf Irrwegen durchsetzt und ihren Anschluss an 
den peripherischen Abschnitt gefunden haben. 

Es fragt sich also in jedem Falle, wo man den Nerven bei der 
Operation nicht durchtrennt findet: wieviel etwa von der ur¬ 
sprünglichen Nervenleitung intakt, wieviel nur z e r - 
4 u e t s c h t und wieviel durchtrennt ist, und ob die Bedingungen 
für die Restitution gegeben sind. Jeder erfahrene Chirurg weiss, dass 
diese Frage häufig nicht entschieden werden kann; vor allem aber 
beweist es das anatomische Material von solchen Beobachtungen. Es 
kann also nicht nachdrücklich genug auf die Gefahr hingewiesen 
werden, dass man hier leicht unnützer Weise reseziert. Das 
wäre >a dann nicht schlimm, wenn die Nervennaht eine wirklich aus¬ 
sichtsvolle Operation wäre. Aber wir sehen, dass sie das nicht 
ist. Und deshalb glaube ich heute mit noch mehr Grund die Forde¬ 
rung vertreten zu dürfen, man solle mit der Operation erst einige 
Monate (durchschnittlich 4 Monate) zuwarten und den Fall klinisch 
beobachten, ob sich etwa Zeichen einer Wiederkehr der Funktion 
heraussteilen. Natürlich lässt sich gegen eine Friihoperation ein prin¬ 
zipielles Bedenken nicht erheben — wie ich das ja früher ebenfalls 
hervorgehoben habe —, und wenn man die Operation gleichsam nur 
als eine diagnostische macht und nur den Nerven näht, der tatsäch¬ 
lich durchtrennt ist, so ist das ein operatives Verfahren, für das 
so viele gute Gründe sprechen, dass man sie gar nicht aufzuzählen 
braucht. Aber man wird dann eben auf der Hut sein müssen, den in 
der Kontinuität erhaltenen Nerven nicht unnötig zu re¬ 
sezieren und zu nähen; die Gefahr, dass man hier Schaden stiftet, ist 
bei -den Frühoperationen wesentlich grösser als dort, wo man eine 
mehrmonatliche klinische Beobachtung zu Rate gezogen hat. 

Gegen diese Forderung ist vor allem der Einwand erhoben wor¬ 
den, man' verpasse die günstigen Chancen der Regeneration, die 
Nervennaht biete in späteren Monaten geringere Aussichen auf Er¬ 
folg, da die Proliferationsfähigkeit am nervösen Gewebe rasch ab¬ 
nähme. Ich habe mich seinerzeit schon auf die Statistik von 
Oberndörffer bezogen, wonach die sofortige Naht eine keines¬ 
wegs bessere Prognose hat, als die erst nach einigen Monaten vor¬ 
genommene Operation. Heute kann ich mich auf die Beobachtungen 
am Kriegsmaterial beziehen. Und dabei stellt siich heraus, dass die 
in den ersten Wochen vorgenommenen Nähte ganz und gar 
keine besseren Resultate geben, als die, welche im zweiten 
Vierteljahr gemacht wurden; es sind sogar die Misserfolge bei 
Frühnähten ein wenig grösser als bei den zu einem mittleren Termin 
vorgenommenen Operationen. 

Ich betone auch heute, dass man über das erste Halbjahr hinaus 
mit der Naht nicht warten sollte und es kann keinem Zweifel unter¬ 
liegen, dass schliesslich mit der Länge des Zuwartens die Chancen 
der Operation allmählich sinken. Das weiss ja jeder und die Statistik 
an den Nervenschussverletzungen zeigt das zur Evidenz. Gewiss 
haben wir auch noch Erfolge in solchen Fällen gesehen, wo nach 1, 
1 14 und nach 2 Jahren die Naht gemacht wurde; aber der Prozent¬ 
satz der gebesserten, bzw. geheilten Fälle wird immer 
geringer, je länger man über das erste Halbjahr 
hinaus zuwartet. 

Das führt uns zur Erörterung einer anderen Frage, nämlich ob 
man in veralteten Fällen noch zu einer Operation 
schreiten soll Mit der Länge des Krieges mehren sich ja die 
Fälle, in denen aus irgendwelchen chirurgischen oder auch rein 
äusserlicben Gründer; die Nervennaht nicht gemacht werden konnte 
oder wo etwa ein unzweckmässiges Verfahren der Ueberbrückung 
gemacht worden ist Hat es überhaupt Sinn, in diesen Fällen noch 
zu operieren und zu nähen? Ich habe diese Frage schon früher be¬ 
jaht („Ueber Regeneration peripherischer Nerven“, Zschr. f. d. ges. 
Neurol. u. Psych. Bd. 36) und habe inzwischen neues Material dafür 
gesammelt. 

Während ich mich damals lediglich auf die Friedensstatistik be¬ 
zog (wonach eine nach langen Jahren vorgenommene Nervennaht 
hier und da zu dem gewünschten Ziel geführt hat) und während 

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ich nur über die allgemeinen anatomischen Bedingungen für eine 
spätere Regeneration berichten konnte, habe ich jetzt zwei Fälle ge¬ 
sehen, die für diese Frage von wesentlicher Bedeutung sein dürften. 
Das eine ist eine klinische Beobachtung Hier war eine Nerven¬ 
naht am Nervus peroneus erst 2 Jahre nach der Verletzung gemacht 
worden, und ein Jahr später hatte sich ein grosser Teil der Peroneus- 
funktionen wieder hergestellt. Dieser positive Erfolg zeigt also, dass 
die Naht auch nach so langem Zeitraum nicht völlig aussichtslos ist. 
Und da der operative Eingriff ja harmlos ist, so ist meines Erachtens 
auch eine Spätoperation zu befürworten. Die zweite ist eine 
anatomische Beobachtung. Ein Ulnaris war 2% Jahre nach 
der Verletzung genäht worden und nach einem weiteren halben Jahre 
drang der Patient wegen heftiger NeüroTnschmerzen jan der Stelle der 
Verletzung auf eine erneute Operation. Hier fand ich nun genau das 
gleiche histologische Bild wie bei jeder (auch in frühem Termin) 
vorgenommenen Nervennaht. Von dem zentralen Ende waren reiche 
Schwann sehe Zellketten mit ihren Nervenfasern in die Operations¬ 
narbe vorgesprosst und zeigten hier die bekannten wirren Durch¬ 
flechtungen. Nach Ueberwindung dieses Narbengebietes hatten sie 
den Anschluss an die Schwann sehen Zellketten im degenerierten 
peripherischen Abschnitt gefunden und hier war die sog. „Neuroti- 
sation“ bereits in die ursprünglichen Nervenkabel vorgeschritten. 
(Wenn hier eine Restitution der Bewegungen klinisch -noch nicht 
sichtbar geworden war, darf man das füglich darauf zurückführen, 
dass die Fibrillisation im peripherischen Teil noch nicht bis in die 
Endgebiete des Nerven vorgedrungen war.) Dieser Fall lehrt also, 
dass auch eine Reihe von Jahren nach der Verletzung die Regenera¬ 
tion im peripherischen Abschnitt möglich ist. 

Noch eine dritte Frage ist in diesem Zusammenhänge zu be¬ 
sprechen, nämlich die, wann man etwa nachoperieren soll, 
wo die Naht keinen Erfolg zu haben scheint. Bei einem solchen 
scheinbaren Versager muss man sich gegenwärtig halten, dass, wie 
ich eingangs erwähnte, die Regeneration nicht zu selten 2 und 
3 Jahre, vielleicht auch noch etwas länger, auf sich warten lassen 
kann. Die elektrische Untersuchung gibt ja allerdings in manchen 
Fällen eine Klärung der Frage, indem sie zeigt, dass etwa die 
galvanische Erregbarkeit wieder prompt oder gar der Nerv galvanisch 
erregbar wird. Aber im allgemeinen lässt sie uns doch hier im 
Stich; und wo das elektrische Reaktionsbild noch keine Aenderung 
zum Besseren aufweist, kann doch die Restitution möglich wer¬ 
den. Deshalb meine ich, dass man innerhalb der ersten drei 
Jahrenicht zu einer Nachoperation schreiten soll, ausser 
dort, wo aus chirurgischen Gründen der Eingriff berechtigt 
erscheint; wo man etwa vermuten darf, dass die Naht nicht gehalten 
hat oder dass Kallusmassen den Nerv schädigen Ich rate zu dieser 
Zurückhaltung besonders auch aus dem Grunde, weil ich jüngst ein 
anatomisches Präparat sah, an welchem bereits 1J4 Jahre nach der 
Naht eine Nachoperation gemacht worden war und wo dch fand, dass 
neue Nervenfasern auch in dem peripherischen Abschnitt distal von 
der Nahtstelle in ausserordentlich reichlichem Masse vorhanden waren. 
Es ist mir in diesem Falle nicht unwahrscheinlich, dass es wohl zu 
einer wesentlichen Besserung, vielleicht gar zu eineT -Heilung ge¬ 
kommen wäre und dass diese Nachoperation verfrüht war. Im 
Gegensatz dazu waren in einem anderen Falle nur wenige Fasern 
und Bündel in den peripherischen Teil hinübergelangt; der weitaus 
überwiegende Teil der Nervenkabel im peripherischen Abschnitt war 
nicht fibrillisiert. 

Ich wende mich der 2. Reihe von Fragen zu: was denn die 
erfolgreiche Regeneration verhindern kann. Es 
sind da bekanntlich viel Theorien und Behauptungen aufgestellt, die 
aber nicht beweisend sind, und ich will mich deshalb lieber an das 
allerdings wenige halten, was man auf Grund der anatomischen 
Studien sagen kann. 

Dabei ist die Vorfrage zu streifen, wie stchdie Regenera¬ 
tion nach der Naht vollzieht Ich übergehe jede histo¬ 
logische Detailfrage, zumal ich sie früher eingehend erörtert habe 
(„Ueber Regeneration peripherischer Nerven“, Zschr. f. d. ges. Neurol. 
36. 1917). Nur worauf es grundsätzlich ankommt, sei erwähnt. Es 
ist nicht richtig, dass die neugebildeten Nervenfasern selbst aus- 
wachsen oder dass sie gar, wie E d i n g e r sagte, austropfen und 
als eine zähflüssige Masse sich durch das Narbengewebe vorschieben. 
Für das Zutandekommen der Regeneration ist viel mehr notwendig: 
die Möglichkeit einer Vereinigung der vom zentralen Ende 
vorsprossenden Züge Schwanitscher Zellen mit 
denen, die sich am peripherischen Ende zu Bandfasern 
umgewandelt haben. An jedem Präparate von einer Nervennaht sieht 
man, wie sich am zentralen Nervenende von den -normalen Nerven¬ 
kabeln her Züge Schwann scher Zellen in das perineurale Binde¬ 
gewebe der Nahtstelle vorschieben, anfangs ziemlich geradlinig, 
dann in allerhand wirren Durchflechtungen, ähnlich wie man sie in 
grösserem Massstab in den sog. Amputationsneuromen findet. In 
diesen Schwann sehen Zellrerihen kommt es zur Fibrillenbildung 
und die Achsenzylinder umkleiden sieb allmählich mit der Mark¬ 
scheide, die schliesslich an den Fasern mittleren und gröberen Ka¬ 
libers sehr charakteristische Spongiosastrukturen aufwedst. Aus dem 
wirren Geflecht im Narbengebiete suchen die S c h w a n n sehen Zell¬ 
reihen ihre Verbindung mit dem peripherischen Abschnitt, wo sie sich 
dann wieder ähnlich sammeln und parallel ordnen, wie sie ausge¬ 
strahlt waren — entsprechend der Lage der ursprünglichen Kabel im 
degenerierten Abschnitt. 

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Ürigiral frem 

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MUENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


Was kann nun dabei hinderlich sein? Ich brauche kaum zu er¬ 
wähnen, dass starke Na r b en b i 1 du n g, wie sie sich besonders an 
Entzündungen, anschliesst, den Durchtritt der Schwann sehen Zell¬ 
reihen vereiteln kann. Das ist gewiss ein sehr häufiges Hindernis für 
die Widerherstellung der Leitung. Wie häufig, lässt sich natürlich 
ganz und gar nicht beurteilen, und man- weiss auch nicht, warum 
manche Fälle, in denen klinisch erhebliche Entzündungsvorgänge nach 
der Operation beobachtet wurden, dooh in Heilung übergehen und 
andere per primam geheilte Nähte keinen Erfolg haben. Die Be¬ 
dingungen, weshalb es mitunter doch zu sehr deiben Narben kommt, 
wo keine entzündlichen Vorgänge eine Rolle spielen, sind uns noch 
unbekannt. 

Es gibt mm aber auch ganz andere Hindernisse, die den Erfolg 
der Naht vereiteln. So sah ich einen Fall, wo sich Fettgewebe 
an die Nahtstelle zwischen zentralem und peripherem Stück geschoben 
oder sich dort etabliert hat. In einem anderen Präpara hatte sich 
eine ziemlich grosse Zyste in der Nahtnarbe gebildet. In beiden 
Fällen war von neugebildeten Nervenfasern so gut wie nichts 
über die Nahtstelle hinausgelangt. Auch grosse Oefässpakete, Ge- 
fässe mit ausserordentlich verdickten Wandungen können sich hier 
entgegenstellen. An einem solchen Präparat war nur ein kleiner 
Nervenfaserzug an den Oefässpaketen vorbei in den peripherischen 
Teil gelangt. 

Von den verschiedensten Autoren ist jetzt betont worden, dass 
die Nähte bei den Nervenschüssen eine sehr viel schlechtere Prognose 
haben als die bei den Friedensverletzungen, wo es sich ja viel mehr 
um Stichwunden oder überhaupt um glattere Durchtrennungen handelt. 
Ursächlich massgebend dafür sind offensichtlich die ausgedehnten Zer¬ 
trümmerungen und Fernwirkungen infolge des Schusses. Eine „traü- 
matische Degeneration“ ist, wie ich das früher schon be¬ 
schrieben habe, oft noch weit oberhalb der Verletzungsstelle 
sichtbar. In einigen Fällen, wo besonders lange Stücke entfernt 
wurden (in einem Falle von Prof. Perthes z. B.X habe ich fleckweise 
verteilte Zertrümmerungen in den nervösen Kabeln noch 5—6 cm 
oberhalb der eigentlichen Läsion gefunden. Das gibt einen Hinweis 
darauf, weshalb die operativen Aussichten bei den Kriegsverletzungen 
ungünstigere sind. Denn, wenn die Bahn eines Nerven nicht nur an 
einer Stelle, sondern auch weit zentral von der eigentlichen Durch¬ 
trennung, bald hier, bald dort in mehr oder weniger grossen Teilen 
seiner Bündel unterbrochen ist, so ist es klar, dass die Aussichten 
auf eine möglichst breite Vereinigung des zentralen und peripheri¬ 
schen Abschnittes gering sein werden. Auch dürfte nicht nur der 
starke Druck und die Quetschung durch das Geschoss den Nerven 
schädigen, sondern sehr wahrscheinlich spielt auch die Zerrung eine 
wesentliche Rolle dabei, da ja das Geschoss den Nerven oft eine 
Strecke weit mitreisst. Ich erinnere in diesem Zusammenhänge an 
die schwere Schädigung der Ganglienzellen, die man gerade nach 
Nervenausreissung sieht und die wir aus den grundlegenden Unter¬ 
suchungen N i s s 1 s kennen. 

An manchen Präparaten ist eki recht merkwürdiger Befund zu 
erheben. Man sieht nicht selten ziemlich lange Zeit nach der 
Verletzung —- selbst 5—6 Monate nach dem Schuss — Zerfalls¬ 
vorgänge an der Markscheide und an den Achsenzylindern, auch 
wert hinauf von der Verletzung. Bielschowsky hat das 
erwähnt, ebenso Berblinger. Ich weiss eine Erklärung dafür 
nicht zu geben. Ich glaube, dass nichts damit gewonnen ist, wenn 
man von einer aszendierenden Neuritis spricht, denn von „Neuritis“ 
ist nicht die Rede. Jedenfalls sind auch diese mikroskopischen Bilder 
bedeutsam mit Rücksicht auf die Frage nach dem ausbleibenden 
Nahterfolg. 

Bei weithin eingerissener Nervenscheide besteht die ausge¬ 
sprochene Neigung zur N eur omb i ldun g und die neuen 
Sch wann sehen Zellreihen streben nicht einfach distal vorwärts, 
sondern rückläufig und vor allem nach der Peripherie des Nerven- 
querschnittes. So kommt es auch hier nicht zu einem Erfolge der 
Naht; das Gros der neugebildeten Sch wann sehen Zellen sohlägt 
eine falsche Richtung ein. 

Es ist selbstverständlich, dass dort, wo nur einzelne Fasern 
und Bündelchen hindurchgelangen können, die geringfügige Re¬ 
generation die Wiederkehr der Funktion nicht gewähr¬ 
leistet. Die häufigen histologischen Bilder von unzureichender 
Fibrillisation im peripherischen Abschnitt geben weiter eine 
gute Erklärung für die eingangs besprochenen Fälle einer mangel¬ 
haften Restitution und eines Stationärwerdens mehr 
oder weniger grosser Lähmungsreste. Aus der enormen Fülle 
von Nervenfasern, die sich am zentralen Ende neu zu bilden pflegen, 
gelangt eben nicht selten nur ein kleiner Teil in den peripherischen 
Abschnitt. Der Teil der.Leitung, der wieder hergestellt wird, kann 
wohl genügen, dass bestimmte Funktionen, wie etwa die liandstrek- 
kung nach einer Radialislähmung oder die Plantarflexion nach einer 
Tibialislähmung, zurückkehren, aber andere Funktionen in dem be¬ 
treffenden Gebiet bleiben ausgeschaltet. 

Wie man diesen Misserfolgen, dem partiellen oder gänzlichen 
Versagen begegnen kann, ist nicht Sache des Anatomen und Neuro¬ 
logen. Ich habe zur Technik der Naht selbst nichts zu er¬ 
wähnen. Nur das soll nebenbei gesagt werden, dass man in der sonst 
selbstverständlichen Exaktheit der Naht nicht so weit gehen braucht, 
dass man, wie es wohl verlangt wurde, Kabel auf Kabel näht. Die 
mikroskopischen Bilder machen eine Diskussion darüber überflüssig. 
Zur Technik habe ich mich hier lediglich mit Rücksicht auf die Frage 

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zu äussern, weiche Methoden der Ueberbrückung grösserer 
Nervenlückeil zu empfehlen sind. Denn das ist ja eine überwiegend 
anatomisch-physiologische Frage, und mit dem Herumprobieren 
kommt man hier ebensowenig vorwärts wie mit der theoretischen 
Spekulation. 

Wir haben das mit dem Edi nger sehen Verfahren erlebt. Es 
kann heute als abgetan gelten. Niemand bat etwas Gutes davon ge¬ 
sehen. Auch wir selbst hatten eine grosse Reihe von Fällen, die nach 
Edinger operiert waren, nachuntersucht; und als allgemein die 
Skepsis gegen dieses Verfahren wuchs, hatte sich bekanntlich Herr 
Hoh mann entschlossen, 2 von ihm nach Edinger operierte Fälle 
nachzuoperieren. Ich konnte seinerzeit an diesem Material im mikro¬ 
skopischen Bilde zeigen, dass auch die theoretischen Grundlagen für 
jene Methode falsch waren (vgl. M.m.W. 1917). 

Nach- den Anschauungen, die wir heute über die Regeneration 
haben, erscheint mir auch das H o f m e i ste rsebe Verfahren nicht 
sehr aussichtsvoll. Ich meine, man darf kaum erwarten, dass bei der 
doppelten Implantation ein-es durchschossenen Nerven in die Bahn 
eines gesunden dieser letztere nun reichliche Faserbündel in den de¬ 
generierten peripherischen Abschnitt schicken sollte. Und was man 
bisher davon gesehen hat, spricht wohl auch dafür, dass die Aus¬ 
sichten für dieses Verfahren nur gering sind. Auch meine anatomi¬ 
schen Untersuchungen an experimentell gewonnenem Material spre¬ 
chen in diesem- Sinne. 

Anatomisch und physiologisch wohl begründet ist vor allem das 
Bethesche Verfahren. Ich bin schon früher dafür eingetreten. 
Bethes Experimente sind natürlich einwandfrei und man kann sich 
an seinen Präparaten leicht davon überzeugen, wie sich die Nerven¬ 
fasern unter dem zentralen Reiz in dem eingeschalteten Zwischen¬ 
stück von einem Leichennerven entwickeln und der Zusammenhang 
auch mit dem peripherischen Nerven hergestellt wird. Neuerdings 
hat Bielschowsky Bethes Experimente nachgeprüft; anch 
er fand, dass die eingeflickten Leichennerven beim Tiere gute Brücken 
bilden, durch die sich die erfolgreiche Regeneration in den peripheri¬ 
schen Abschnitt hinein vollzieht. Für die rein praktische Frage ist es 
dabei eine Sache von untergeordneter Bedeutung, ob man, wie 
B e t h e und auch ich, der Ansicht ist, dass das überlebende Nerven- 
material — die Schwann sehen Zellen — sich aktiv am Aufbau der 
Nerven beteiligen, oder ob sie, wie Bielschowsky meint, nur 
vermöge ihrer eigenartigen Konstruktion ein sehr gutes Mittel deT 
Zwischenschaltung bilden. 

Jch habe im ganzen 11 Fälle, die nach Bet he operiert wor¬ 
den waren, nachuntersucht. In einem Fall von einer Verletzung des 
Handastes des Medianus mit einer Diastase von ungefähr 6 cm 
(den Herr Oberstabsarzt Dr. Brünings operiert hatte) konnten 
nach etwa 4 Monaten Symptome der Leitungswiederherstellung funk¬ 
tioneil und auch elektrisch nachgewiesen werden. Besonders schön 
ist ein zweiter Fall von Erfolg nach Bet he, bei dem Herr Hofrat 
K r e c k e einen 8 cm langen Defekt im medialen Plexusstamm durch 
einen Leichennerven ersetzt hatte. Hier war es zu einem völligen 
Ausgleich d-er Ulnarislähmung gekommen^ die durch die Verletzung 
des medialen Plexusstammes bewirkt worden war. 

Im Grunde dem gleichen anatomisch-physioiogiscben Prinzip wie 
beim B e t h e sehen Verfahren folgt man, wenn man den Nerven 
spaltet und den Lappen umschlägt und vernäht. Nur können 
natürlich hier aus räumlichen Gründen die Bedingungen für eine völ¬ 
lige Regeneration nicht so günstig sein, da ja die Brücke mit ihren 
mindestens um die Hälfte reduzierten Nervenkabeln meist zu schmal 
sein wird. Aber auch hier habe ich einige Male weitgehende Besse¬ 
rungen gesehen. In einem Fall von breiter Durchtrennung des 
Ischiadikus (Hofrat K r e c k e) begann die Regeneration im Peroneus 
erst 2Va Jahre nach der Operation, während die Tibialisfunktionen 
schon nach Jahren anfingen zurückzukehren und jetzt (nach 
3 V» Jahren) bis auf die Zehenbeugung gut sind. 

Wenn man, wie vor allem Foersteres tut, sensible Ner¬ 
ven in Bündel geordnet als Brücke verwendet, so wird wohl auch 
da das Material der Schwann sehen Zellen sich mit am Aufbau be¬ 
teiligen; vielleicht aber sind auch hier die Struktureigentümlichkeiten 
— die parallel geordneten Bindegewebs- und Nervenfaserschichten — 
in der Wiederherstellung der Leitung wirksam. 

Das letztere muss ja, wie Bielschowsky (Journ. f. Psychol. 
u. Neurol. 1917) gezeigt hat, dort von Bedeutung sein, wo man nach 
dem Vorschlag dieses Autors ein in Borsäure konserviertes, 
alsp abgetötetes Nervenstück einflickt. In seinen experi¬ 
mentellen Untersuchungen zeigte Bielschowsky, dass auch 
dieses Material mit vollem Erfolg als Brücke verwendet werden kann. 
Das Bindegewebe des lebenden Organismus substituiert die ursprüng¬ 
lichen Bindegewebslagen des toten Nerven. In den längsgeordneten 
Bindegewebslamellen vermögen sich die vom zentralen Ende vor¬ 
sprossenden S ch w a n n sehen Zellen gut vorzuschieben. Soviel ich 
weiss, sind mit dieser erst neuerdings bekannt gegebenen Methode 
Erfahrungen beim Menschen noch nicht gesammelt worden. Aber 
ich meine, man sollte die Anwendung dieses von Bielschowsky 
experimentell erprobten Verfahrens besonders dort in Erwägung 
ziehen, wo man -bei der Operation einen grossen Defekt am Nerven 
findet und wo ein Leichennerv nach B e t h e nicht gerade zur Hand 
ist. — 

Ich bin damit am Ende dieser Besprechung und kehre zu dem 
zurück, was ich eingangs erwähnte: dass diese Ergebnisse heute noch 
kein einwandfreies odeT irgendwie vollständiges Bild von der Wirk¬ 
en rigi real from 

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MUENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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samkeit der Nervennaht geben können, da eben in der Mehrzahl der 
Fälle die 'Beobachtungszeit viel zu kurz ist. Wir sehen aber heute 
schon, dass die Erfolge der Naht bei den Kriegsverletzten keineswegs 
glänzend oder erfreulich sind, selbst wenn wir in Rücksicht ziehen, 
dass die Resultate mit der Zeit etwas besser werden dürften. Ein 
abschliessendes Urteil wird nur eine solche Statistik geben, 
bei der lediglich die Fälle verwertet werden, die noch nach 
4 oder 5 Jahren nachuntersucht werden konnten. Dass 
der Erreichung dieses Zieles grosse Schwierigkeiten entgegenstehen, 
braucht nicht dargelegt zu werden. Bei der ausserordentlichen Förde¬ 
rung aber, welche diese Untersuchungen über die Klinik und Anatomie 
der Nervenschussverletzungen bei Sr. Exz. dem Generalstabsarzt der 
bayerischen Armee, Herrn Prof. Dr. von Seydel und bei dem stell¬ 
vertretenden Korpsarzt Herrn Obergeneralarzt Dr. H o f b a u e r ge¬ 
funden haben, darf ich wohl hoffen, dass diese Schwierigkeiten über¬ 
wunden werden können. Natürlich wird dieses Ziel der Zukunft nur 
erreicht werden, wenn die Zusammenarbeit zwischen dem Chirurgen 
und Neurolgen auch weiterhin möglich ist. Und neben der klinischen 
Untersuchung und Beobachtung der Fälle sollte auch, wo immer es 
möglich ist, die Anatomie zu Rate gezogen werden. Denn ich glaube 
in diesen Darlegungen gezeigt zu haben, dass auch an der Klärung 
dieser Frage die Anatomie berufen ist mitzuwiiken 


Aus der chirurgischen Abteilung der Universitäts-Kinderklinik 
München (Prof. Dr. W. Herzog). 

Zur Diagnose der Appendizitis des Kindes. 

Von Dr. Richard Drachter, stellvertr. Leiter d. Abtig. 
Privatdozent für Chirurgie. 

Wie wichtig es ist, die Diagnose der Appendizitis des Kindes zu 
verfeinern, beweisen die zahlreichen, als Appendizitis diagnostizierten 
Fälle, in denen eine solche nicht vorliegt, ebenso, wie die noch 
zahlreicheren Fälle wirklicher Appendizitis, die erst mit diffuser 
Peritonitis oder ausgedehnten perityphlftischen Eiterungen zur Opera¬ 
tion kommen. 

Wenn die Mortalität der an Appendizitis erkrankten Kinder eine 
höhere ist, als die des Erwachsenen, so beruht dies lediglich auf 
der mangelhaften Diagnose. Würden die Kinder in demselben frühen 
Stadium der Erkrankung operiert, wie die Erwachsenen, so wäre die 
Mortalität nicht nur nicht höher, sondern geringer. 

Alle Fälle, die wir zur Operation bekommen, bieten bei dieser 
schon das Bild der Appendizitis destructiva. Unsere günstigsten 
Fälle sind die, bei welchen erst Schleimhautgangrän und abgeschlos¬ 
senes Empyem bestand. Bezüglich der Diagnosenstellung müssen 
wir uns leiten lassen von dem Grundsatz: Die Appendizitis 
wird aus der begleitenden Peritonitis diagnosti¬ 
ziert. Und zwar (mit einer Ausnahme) nur aus dieser. 

Diese Tatsache ist von grosser Bedeutung. Sie zeigt den in 
jedem Falle vorhandenen Ernst der Lage und besagt, dass die zahl¬ 
reichen Fälle von „ganz leichter (Entzündung“ oder „Blinddarm¬ 
reizung“ beim Kind so gut wie nie solche sind. 

Selbstverständlich gibt es eine Appendizitis ohne Peritonitis. Das 
ist jede, von der Schleimhaut des Wurms ausgehende Appendizitis 
in ihrem allerersten Beginn. Diägnostizierbar ist sie in diesem Sta¬ 
dium aber nicht. 

So wenig wie ein Ulcus der Darmschleimhaut bei Dysenterie, 
bei Typhus, bei Tuberkulose etc. durch Untersuchung des Abdomens 
diagnostiziert werden kann, und so wenig diese Ulzera das wichtigste 
Symptom, die reflektorische Bauchdeckenspannung bedingen, ebenso¬ 
wenig tut das das Ulcus des Wurmfortsatzes an sich. Dass trotz¬ 
dem Ulzera desWurmfortsatzesfrüher undhäufiger 
diagnostiziert werden, als Ulzera der übrigen 
Darmschleimhaut, das rührt nurdavon her, dass der 
Wurmfortsatz ein Blinddarm ist, und dazu noch 
einer mit engem Lumen. Denn auf Grund dieser beiden 
Tatsachen führt eben das Ulcus des Wurmfortsatzes früher und öfter 
zu Peritonitis, als das Ulcus der übrigen Darmschleimhaut. 

Ich habe gesagt die Appendizitis werde aus der begleitenden 
Peritonitis diagnostizert mit einer Ausnahme. Nehmen wir an, der 
sich eben entzündende Wurm sei weit von dem Peritoneum parietale 
— der vorderen oder hinteren Bauchwand — entfernt gelegen, seine 
Serosa beteilige sich bereits an,der Entzündung. Benachbarte Darm- 
schKngen und Netz hüllen den Wurm frühzeitig in der bekannten 
Weise ein. So ist es denkbar, dass ein perityphliti- 
scher Tumor zustande kommt, ohne dass Entzün¬ 
dung des Peritoneum parietale und reflektorische 
Bauchdeckenspannung auftrete n. In diesem Falle also 
wird die Appendizitis nicht aus der Peritonitis, sondern aus dem peri- 
typhlitischen Tumor diagnostiziert. Aber auch hier war die Appen¬ 
dizitis als solche nicht diagnostizierbar. 

Im folgenden seien einige wichtige Hinweise gebeben, die die 
Diagnose beim Kinde erleichtern können. 

Die wichtigste anamnestische Frage bezieht 
sich auf das Verhalten des Patienten während der 
Nacht. Am besten ist es. die Frage, so zu formulieren: Hat das 
Kmd die letzte Nacht (oder die letzten Nächte) gut geschlafen? Wird 
diese (Frage bejaht, so liegt so gut wie nie eine 

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Appendizitis vor. Umgekehrt, wenn Appendizitis vorliegt, wird 
diese Frage mit einer geradezu seltenen Regelmässigkeit verneint, das 
Kind war während der Naht „u n r u h i g“. 

Gewöhnlich besteht anfänglich Stuhlverhaltung. Nur in einzelnen 
Fällen beginnt die Erkrankung beim Kinde mit -Durchfällen. Diese 
Fälle sind aber häufig keine Peritonitis nach Appendizitis, meist 
handelt es sich dabei um eine, von dem übrigen Darmtraktus — 
ulzeröse Schleimhautaffektion — ausgehende Durchwande¬ 
rungsperitonitis. Die 'Diagnose dieser habe ich wiederholt 
vor der Operation stellen können. Massgebend hiefür sind Schmerz 
und Bauchdeckenspannung, die ihre grösste Intensität nicht in der 
rechten Unterbauchgegend haben. Besteht schon fortgeschrittene 
Peritonitis, so sind Durchfälle anders zu bewerten. Im Heilungs¬ 
verlauf einer postappendizitischen Peritonitis sind sie nicht selten. 

So relativ häufig wir beim Kinde Durchwanderungsperitonitis 
beobachten können, so selten ist eine bei Mädchen von dem Genitale 
aus erfolgende Peritonitis. Ich habe bisher keinen einzigen sicheren 
derartigen Fall beobachten können. 

Ganz verschieden wird der Wert der Körpertemperatur beurteilt. 
Man kann gelegentlich den Ausspruch hören: Die Temperatur besagt 
mir gar nichts. Wer das sagt, befindet sich gewaltig im Irrtum. Die 
Temperatur ist nach wie vor der feinste Indikator für das Vorhanden¬ 
sein eines akut entzündlichen Prozesses im Körperinnern. Richtig' 
ist nur (worauf ich selbst schon bei anderer Gelegenheit hingewiesen 
habe), dass bei sehr weit fortgeschrittenem Prozess mit Eiterbildung 
die Temperatursteigerung eine unverhältnismässig geringe sein oder 
ganz fehlen kann. Dagegen ist ausserordentlich selten, dass ein akut 
entzündlicher Prozess des Wurmfortsatzes, der zunächst noch nicht 
zu Eiterbildung in der Bauchhöhle geführt hat, ohne Temperatursteige¬ 
rung sich abspielt. 

Setzt sich das Kind im Bette auf oder macht es sich nichts 
daraus, dass man es etwa zum Zwecke der Untersuchung im Bette 
aufsetzt, so wird die Diagnose Appendizitis unwahrscheinlich. 

Objektiv ist von grosser Bedeutung das Aussehen des Kindes. 
Lebhafte Röte des Gesichtes, erhitztes Aussehen sprechen auch bei 
hoher Temperatur sehr gegen einen akut entzündlichen Prozess im 
Abdomen. Eine Pneumonie kann schon vorhanden sein, wenn Aus¬ 
kultation und Perkussion keinerlei Anhaltspunkte dafür bieten. Exakte 
Röntgenuntersuchung der Lunge bringt am ehesten Aufschluss über 
deren Verhalten. 

.Findet man bei der Palpation des Abdomens in 
der rechten Unterbauchgeg^nd Darmgurren, so 
liegt kaum eine Appendizitis vor. 

Es ist ganz unnötig, bei der Palpation des Abdomens zu fragen, 
ob das weh tue. Bei der ersten Palpation fragt man nicht, sondern 
achtet darauf, wie sich das Kind der Palpation gegenüber verhält. 

Wie bekannt und von keiner Seite bestritten ist. spielt die reflek¬ 
torische Bauchdeckenspannung die ausschlaggebende Rolle. Ist sie 
vorhanden, so ist die Indikation zur Laparotomie gegeben, fehlt sie, 
so eilt * es nicht. Die Schwierigkeit liegt lediglich darin, zu ent¬ 
scheiden, ob reflektorische Bauchdeckenspannung vorliegt oder nicht. 
Hiezu bedarf es einer grossen Erfahrung. 

Da die 'Bauchdecken dem Eindrücken einen Widerstand entgegen¬ 
setzen und da das Wesen der reflektorischen Bauchdeckenspannung 
in einem Widerstand besteht, den die Bauchdecken auch schon dem 
geringsten Eindrücken gegenüber entgegensetzen, so Ist klar, dass 
die Palpation nur eine ganz leichte und oberfläch¬ 
liche sein darf. Zum Auffinden eines tiefer gelegenen Druck¬ 
punktes oder Tumors etc. kann ein tieferes Eindrücken der Bauch¬ 
decken nötig werden. Niemals aber beginne man damit. Tut man 
dies, so löst man ev. einen nachhaltigen Schmerz aus, der seinerseits 
Bauchdeckenspannung veranlasst. Dieses tiefere Palpieren löst bei 
Pneumonie, Dysenterie, Pyelitis und anderen differentialdiagnostisch 
wichtigen Erkrankungen fast immer Schmerz aus. Daher die nicht 
seltenen Verwechslungen. 

Das Blumbergsche Symptom ist bei Peritonitis gewöhnlich 
positiv. Die reflektorische Bauchdeckenspannung ist es aber schon 
vorher. Alle anderen Symptome, wie die Genitalsvmptome (t e n 
Horn), der Meteorismus des Rektums (Przewalsky), Bauch¬ 
deckenreflex (Sicard), Röte des Gesichtes bei Dtiuck auf die 
Appendixgegend (de Veau, Wilbouchewitsch) sind ganz un¬ 
zuverlässig. 

Untersuchung in Narkose kann in Ausnähmefälten vorteilhaft sein. 
Unter allen Umständen muss aber vorher festge¬ 
stellt Sein, ob reflektorische Bauchdeckenspan- 
nung besteht oder nicht. Sonst begibt man sich mit 
der Narkose des wichtigsten diagnostischen Merk¬ 
mals. 

Von ausserordentlicher Bedeutung üm vielen 
Fällen ist die Untersuchung auch der hinteren 
Bauch wand. Man kann den Patienten zu diesem Zwecke auf den 
Bauch legen und die hintere Bauchwand ebenso auf das Vorhanden¬ 
sein von Schmerz und reflektorischer Spannung absuchen, wie dies 
an der vorderen Bauchwand geschehen ist Aber auch in Rückenläge 
kann diese Untersuchung sehr leicht durchgeführt werden, indem man 
auf der rechten Seite des Patienten stehend mit beiden Händen di$ 
hintere und hintere seitliche Bauchwand beider Seiten auf das Be¬ 
stehen einer reflektorischen Spannung hin abtastet. 

Achtet man auf das Verhalten auch der hinteren Bauchwand, 
so wird man in bestimmten Fällen einen Druckschmerz finden, wie 

Original frorn 

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1044 


MUBNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


beim paranephritischen Abszess, und eine Bauchdeckenspannung, die 
der der vorderen Bauchwand analog ist. 

Welches sind diese bestimmten Fälle? Das sind die Fälle, in 
welchen der Wurm und der von ihm ausgehende entzündliche Prozess 
näher der hinteren als der vorderen Bauchwand gelegen ist. In diesen 
Fällen ist man bisweilen erstaunt, zwar das Gesamtbild der Appen¬ 
dizitis vor sich zu haben, aber den entsprechenden Palpationsbefund 
an der vorderen Bauchwand 2 u vermissen. 

Stets ist also in solchen Fällen eine exakte 
Untersuchung auch der hinteren Bauch wand vor¬ 
zunehmen. 

Ich habe Fälle mit der Diagnose Appendizitis zu Gesicht be¬ 
kommen, in deneif es sich handelte um: Masern, Scharlach (Inku¬ 
bationsstadium), Diphtherie, Pneumoni'e. 
Pleuritis, Dysenterie, Pyelitis, Otitis 
media purul., rezidivierende Nabelkoli¬ 
ken, Mesenterialdrüsentuberkulose, Bla¬ 
sendivertikel, Meckel sches Divertikel, 
Volvulus. Invagination, rechtsseitiger 
Nierentumor, Koxitis; auch ein Fall von 
Tumor cerebri wurde als akute Appen¬ 
dizitis eingewiesen. 

Es handelt sich also grossenteils 
um dem Kindesalter eigentümliche Er¬ 
krankungen, die zu Irrtümern Anlass ge¬ 
geben haben. 

Der therapeutische Standpunkt ist nicht mehr diskutabel. Jede 
beim Kinde diagnostizierte Appendizitis acuta gehört sofort operiert. 

Die Einteilung der Fälle in solche am ersten, zweiten, dritten etc. 
Krankheitstag ist beim Kinde durchaus unangebracht. Sie ist völlig 
zwecklos und hat schon viel geschadet, da als erster Krankheitstag 
nur der bezeichnet werden kann, an dem man von einer Krankheit 
etwas bemerkte, der entzündliche Prozess aber schon erheblich älter 
ist. So verfällt man leicht dem Irrtum, den ersten oder zweiten 
Krankheitstag für gegeben zu halten, wo der dritte oder vierte vor¬ 
liegt. 

Mit der Diagnose chronische Appendizitis 
kann man beim Kinde nicht vorsichtig genug sein, 
sofeme es einem darum zu tun ist, eine richtige Diagnose zu stellen. 
Vielfach ist diese chronische Appendizitis keine Appendicitis chronica, 
sondern lucrativa. In dieser Beziehung hat sie Aehnlichkeit mit man¬ 
cher „ganz leichten“ akuten Appendizitis, die post Operationen! sich 
„gefunden“ hat. 

Es ist zwar gewiss kein Unglück, wenn gelegentlich einmal ein 
nicht entzündeter Wurm entfernt wird. Im Inkubationsstadium man¬ 
cher Infektionskrankheiten, besonders aber auch bei Pneumonie kann 
die Operation event. schwer schaden. 


Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Marburg 
(Direktor: Professor Dr. W. Zangemeister). 

(Jeber den Hydrops gravidarum und seine Beziehungen 
zur Nephropathie und Eklampsie 1 )* 

Von W. Zangemeister, Marburg. 

Die bisherigen Ansichten über Oedeme bei- Schwangeren be¬ 
dürfen einer Revision. Weder spielt bei den auf die unteren Ex¬ 
tremitäten beschränkten Oedemen eine Stauung die Hauptrolle, noch 
sind allgemein verbreitete hydropische Zustände bei Schwangeren als 
Folge einer Nierenerkrankung aufzufassen. Vielmehr handelt es sich 
bei fast allen Schwangerenödemen um die äusseren 
Erscheinungen einer typischen Allgemeinerkrankung, 
des Hydrops gravidarum. Dies ergibt sich daraus, dass scheinbar 
örtliche Oedeme jederzeit in allgemeine übergehen können, dass Tu¬ 
moren von gleicher Grösse wie der gravide Uterus weit seltener 
Oedeme an den unteren Extremitäten verursachen, und dass sich bei 
den meisten Schwangeren mit Oedemen gleichartige, typische Ver¬ 
änderungen am Körpergewicht, an der Diurese und am Blut nach- 
weisen lassen. Gegen die nephritische Natur allgemein hydropischer 
Vorgänge bei Schwangeren spricht die von mir festgestellte Tatsache, 
dass der Urin im Anfang solcher Zustände stets eiweissfrei ist. Eine 
Albuminurie kommt erst in späteren Stadien gelegentlich hinzu. 

Knöchelödeme, welche vorübergehend auftreten, sind in den letz¬ 
ten Monaten der Schwangerschaft so häufig (99 Proz.), dass sie als 
physiologisch aufgefasst werden müssen. Ein pathologischer Vorgang 
beginnt dann, wenn derartige Oedeme an Intensität, Extensität und 
Persistenz zunehmen, d. h. wenn sie nicht mehr nur zeitweise 
(abends) bestehen, und wenn sie auf die Unterschenkel oder noch 
höhere Körperteile übergreifen. Derartige hydropische Zustände 
kommen in etwa 3 Proz. der Schwangeren in den letzten 12 Wochen 
der Schwangerschaft vor. 

Die hydTopischen Schwellungen bestehen durchaus nicht immer 
in einem teigigen Oedem. Ein solches kommt besonders an den 
Füssen, den Labien und der Bauchhaut vor. An den Unterschenkeln 
macht sich dagegen das Oedem durch eine grössere Prallheit der 


*) Nach einem am 19. Juni 1918 im ärztlichen Verein zu Marburg 
gehaltenen Vortrag. (Die« Arbeit wird in der Zschr. f. Geb. u. Gyn. 
ausführlich erscheinen.) 

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gesamten Weichteile bemerkbar. Ein Höhlenhydrops fehlt bei 
unkomplizierten Fällen fast ausnahmslos. 

Die Oedeme pflegen bei Bettruhe sowie nach dem Fruchttod 
und nach der Entleerung des Uterus schnell zu verschwinden. Teil¬ 
weise handelt es sich bei diesem Rückgang allerdings nur um eine 
Verschiebung der vermehrten Gewebsflüssigkeit aus den peri¬ 
pheren Körperteilen in andere, bzw. um eine gleichmässige 
Verteilung derselben. So ist es auch zu erklären, dass die 
Oedeme gelegentlich bei veränderter Körperlage wandern; die 
Gewebsflüssigkeit sammelt sich nach längerem Stehen in den Beinen 
an, während sie sich nach längerem Liegen am Rücken oder an den 
Händen, dem Gesicht bemerkbar machen kann. 

Charakteristisch ist nun für solche Kranke, dass sie während 
der Zunahme des hydropischen Prozesses an Gewicht a b n o r m 
z u nehme n und bei Rückgang desselben entsprechend ab¬ 
nehmen, wobei die normale Gewichtszunahme in der Schwan¬ 
gerschaft berücksichtigt werden muss. Diese Gewichtszunahme kann 
eine sehr erhebliche sein; ich beobachtete Gewichtssteigerungen um 
15 kg in 4 Wochen. 

Die Beobachtung der Nierentätigkeit ergibt, dass der Urin 
wenigstens zu Anfang, oft aber für die ganze Dauer der Erkrankung 
e i w e i s s f r e i ist, und dass seine 24 stündliche Menge zeitweise 
verringert ist. Nicht selten werden solche oligurischen Phasen 
von polyurischen Attacken abgelöst, in welchen der Organismus 
offenbar bestrebt ist, einen Ausgleich herbeizuführen. Die letzteren 
können sehr hochgradig sein, so dass 6 Liter Urin und darüber pro 
Tag ausgeschieden werden. Die Nachtdiurese (welche bei 
normalen Schwangeren etwas grösser ist als die Tagdiurese) pflegt 
bei Hydropischen, solange noch nicht der Einfluss der klinischen 
Behandlung einsetzt, geringer zu sein als die Tagdiurese. 
Dementsprechend ist auch die nächtliche Gewichtsabnahme hier ge¬ 
ringer als bei normalen Schwangeren. Die Funktionsfähig¬ 
keit der Niere erweist sich in jeder Hinsicht als normal, sowohl 
im Konzentrations- wie im Verdiinnungsversuch. Auch die absolut 
ausgeschiedenen Salzmengen sind normal; nur im oligurischen Stadium 
zeigt sich eine Verringerung der Chloridausscheidung. 

Hat der hydropische Prozess eine gewisse Ausdehnung ge¬ 
wonnen, so kann Albuminurie hinzutreten, welche u. U. schnell 
zunimmt. Damit geht der Hydrops in das zweite, das nephro- 
pathische Stadium über. Meist gleichzeitig mit der Albuminurie 
tritt ein Ansteigen des Blutdruckes ein. Mit Einsetzen 
der Albuminurie pflegt die Harnmenge dauernd oder für grössere 
Zeiträume unter die Norm herabzusinken und das Körpergewicht noch 
schneller anzusteigen. 

Wird dem Prozess nicht Einhalt geboten, so stellen sich bald 
eine Reihe von Symptomen ein, die auf eine zentrale Druck¬ 
steigerung hinweisen. Damit geht die Erkrankung in das dritte, 
das eklamptische Stadium über. Zunächst machen sich 
meist eine Reihe von Erscheinungen bemerkbar, die man als p r ä - 
eklamptische zusammenfassen kann. Zu ihnen gehören die be¬ 
kannten Prodromalsymptome der Eklampsie sowie einige Erschei¬ 
nungen, auf die ich in einer früheren Arbeit 5 ) hingewiesen habe. 
Durch genauere Beobachtung ist es uns in der Mehrzahl der Fälle 
geglückt, auch die bisher vermisste Pulsverlan^samung nach¬ 
zuweisen. Den präeklamptischen Symptomen folgt, sofern keine Ab¬ 
hilfe oder kein spontaner Rückgang eintritt, mehr oder weniger 
schnell der Ausbruch eklamptischer Krämpfe, oft begünstigt durch 
äussere Momente, vor allem die Wehentätigkeit. 

Dies ist in kurzen Umrissen das Symptomenbild des 
Hydrops und seiner Komplikationen. Bei dem Versuch, die Ge¬ 
nese dieser eigenartigen Erkrankung zu erklären, muss man von 
der von mir festgestellten Tatsache ausgehen, dass der Prozess 
auf einer Wasserverhaltung im Körper beruht. Dies er¬ 
gibt sich unzweideutig aus den Beobachtungen des Körpergewichtes 
und der Diurese. Es erhebt sich zunächst die Frage, ob ein mangel¬ 
haftes Ausscheidungsvermögen der Niere die Ursache der ganzen 
Affektion ist, oder ob etwa die Veränderungen der Harnmenge nur 
sekundär auftreten. Die Nieren sind, soweit sich das durch klinische 
Untersuchungsmethoden überhaupt feststellen lässt, in dem sich oft 
über Wochen hinziehenden ersten Stadium der Erkrankung voll¬ 
kommen gesund und funktionsfähig. Da ausserdem be¬ 
kanntlich Störungen der Wasserausscheidung an sich nie bzw. nur 
bei extremen Graden Oedeme verursachen, und da selbst eine Hy- 
drämie bei intakten Gefässwänden diesen Erfolg nicht zu haben 
pflegt, kann die Ursache der hydropischen Vorgänge jedenfalls im 
ersten Stadium unserer Erkrankung nicht der Niere zur Last ge¬ 
legt werden. Es kommt nur eine Störung der Kapillarfun k- 
t i o n 3 ) in Betracht, welche die Oedeme zu verursachen imstande 
ist. Dass eine solche tatsächlich vorliegen muss, beweist auch die 
Tatsache, dass die Oedeme besonders dort auftreten, wo der Venen¬ 
abfluss einen grösseren Widerstand zu überwinden hat; denn bei 
gesunden Gefässen macht eine Stauung nicht in jener Ausdehnung 
und Häufigkeit Oedeme. 

Es liegt also offenbar eine abnorme Durchlässigkeit 
der Kapillaren vor, deren anatomische Grundlage uns aller- 


5 ) Zschr. f. Geb. u. Gvn. 79. S. 124. 

3 ) Ich verweise auf die Darlegungen Volhards (in Mohr- 
Staehelins Hb. d. inn. Med. 3. S. 1240) sowie auf mein? ausführliche 
Arbeit. 

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17. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1045 


dings zurzeit noch fehlt. Dieselbe führt zu einem vermehrten Aus¬ 
tritt von Flüssigkeit aus dem Blut in die Gewebe. Da der Organismus 
aber energisch bestrebt ist, die Blutmenge stets auf gleicher Höhe 
zu halten, muss die Wasserausscheidung durch die Nieren einge¬ 
schränkt werden, bis der Defekt im Blute wieder ersetzt ist. Dies 
geschieht in irgendeiner Weise reflektorisch, wahrscheinlich durch 
vasomotorische' Vorgänge oder durch Einwirkung der veränderten 
Blutbeschaffenheit auf die Niere selbst. 

Ich halte also die Verringerung der Harn menge bei 
unserem Hydrops für einen sekundären Vorgang, 
bedingt durch einen Flüssigkeitsverlust des Blu¬ 
tes. und diesen wieder für die Folge einer Störung 
der Gefäss wandfunktion. Für diese Auffassung spricht auch 
die Beobachtung, dass leichte Oedeme der Verringerung der 
Diurese und der durch sie bedingten Körpergewichtszunahme vor¬ 
anzugehen pflegen. 

Welche Folgen muss der geschilderte Vorgang haben? Das 
Körpergewicht muss um soviel a n s t e i g e n, als dem ver¬ 
mehrten Flüssigkeitsaustritt aus der Gefässbahn entspricht. Das ist, 
wie oben hervorgehoben wurde, tatsächlich der Fall. Ferner muss das 
Blut, da die aus ihm in die Gewebe austretende Flüssigkeit e i weiss¬ 
haltig, wenn auch relativ eiweissarrn ist, an Eiweiss verarmen. 
Auch diese Erwartung wird durch Ermittelung der Blutbeschaffenheit 
bestätigt. Zahlreiche Blutnalysen. welche ich unternommen habe, 
haben ergeben, dass das Blutplasma, welches an sich schon in der 
normalen Schwangerschaft eiweissärmer als sonst ist (I. Hälfte 
der Schwangerschaft i. D. 70 Prom., II. Hälfte der Schwangerschaft 
i. D. 66 Prom. Serumeiweiss). bei Hydropischen durchschnittlich 
einen erheblich geringeren Eiweissgehalt besitzt (Schwangere mit 
leichten Oedemen 64 Prom., Schwangere mit stärkeren Oedemen 
ohne Albuminurie 62 Prom., solche mit stärkeren Oedemen 
und Albuminurie 57 Prom. Serumeiweiss). Alle anderen Bestand¬ 
teile des Blutes, auch die Zahl der roten Blutkörperchen, sind 
normal. 

Weit schwieriger Ist die Frage zu erklären, wodurch die 
Albuminurie im Verlauf des Hydrops hervorgerufen wird. Selbst¬ 
verständlich kann bei Schwangeren gelegentlich auch Albuminurie 
ohne Hydrops Vorkommen; aber soweit es sich dabei nicht nur 
um Eiweissspuren handelt, sind dies nach unseren Beobachtungen 
ausnahmslos Frauen mit chronischen Nierenleiden oder solche 
Schwangere, welche vorher bereits eine bis zur Albuminurie führende 
liydropische Erkrankung durchgemacht haben. 

Offenbar ist es die Steigerung» des hydropischen Prozesses, 
welche die Niere in Mitleidenschaft zieht, entweder dadurch, dass 
die oben angenommene Gefässerkrankung nunmehr a u c h d i e 
Nierengefässe in einer Weise ergreift, welche ihre Funktion 
stört, oder durch Uebergreifen des hydropischen Prozesses 
auf die Niere selbst, durch eine ödematöse Nierenschwellung. 

Die Erklärung der das nephropathische Stadium meist begleitenden 
Blutdrucksteigerung stösst auf dieselben Schwierigkeiten 
wie die der gleichen Erscheinung, welche sich bei anderen Nierenerkran¬ 
kungen einstellt. Da keine Anhaltspunkte für eine Blutdrucksteigerung 
aus anderer Ursache vorliegen, muss an der Hand der Erfahrungen 
aus der Nierenpathologie angenommen werden, dass es die Gefäss- 
e rkrankung der Niere selbst ist bzw. die durch sie bedingten 
Zirkulationsstörungen, welche die Blutdrucksteigerung auslösen. 

Der Uebergang der Erkrankung in das dritte, das eklamptische 
Stadium wird zweifellos 'bedingt durch Mitbeteiligung des Zentral¬ 
organs an dem hydropischen Schwellungsvorgang, durch Hirnödem 4 ). 
Diese Verschlimmerung tritt entweder durch Zunahme des allge¬ 
meinen Hydrops ein oder durch örtliche Stauungsvorgänge in 
der Schädelhöhle, wie sie besonders bei den Presswehen herbeigeführt 
werden. Tatsächlich sind von unseren Eklampsien der letzten Jahre 
drei Viertel der Fälle bei allgemeinem Hydrops entstanden, 
ein Viertel ohne denselben. Unter den letztem Fällen trat die Er¬ 
krankung fast ausnahmslos nach besonders langer Dauer der Aus- 
trerbungsperiode auf. Es ist aber selbstverständlich, dass sich die 
den Boden zum Ausbruch abgebende Hirnschwellung ausnahmsweise 
auch durch andere Momente ausbilden kann. 

Ist die Hirnschwellung so weit ausgebildet, dass es zu Zirku¬ 
lation- und Ernährungsstörungen in der Hirnrinde kommt, so bedarf 
es nur eines Reizes, um den Ausbruch der Krämpfe zu veranlassen. 
In der Regel sind es Blutdruckstösse, besonders solche, welche mit 
den Wehen einhergehen, die den ersten Anlass abgeben. 

Die Diagnose des Hydrops und seiner Komplikationen wird 
wesentlich erleichtert, wenn man sich an bestimmte Beobachtungs¬ 
verfahren hält. Zunächst ist es die regelmässige Gewichtskon¬ 
trolle Schwangerer, welche uns über den Grad der Wasserver¬ 
haltung bei auftretenden Oedemen Aufschluss verschafft, und welche 
auch den Erfolg therapeutischer Massnahmen vor Augen führt. Die 
Kontrolle der 24 stündlichen Urinmenge ist von geringerer Bedeutung, 
weil sie im Einzelfall kein sicheres Urteil über die Wasserbilanz 
des Körpers ermöglicht. Dagegen ist es notwendig, den Urin, nament¬ 
lich bei stärkerem Hydrops, regelmässig auf Albumen zu prüfen, um 
den Uebergang der Erkrankung in das zw<ette Stadium rechtzeitig 
zu erkennen. Ebenso wichtig ist eine regelmässige Kontrolle des 
Blutdruckes, weil eine konstante Blutdrucksteigerung anzeigt, 
dass der Prozess baldigst in das dritte Stadium übergehen wird. 

*) Vergl. Zschr. f. Geb. u. Gyn. 79. S. 124. 

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Hier sind dann die präeklamptischen Symptome zu beachten. Da sich 
während der Geburt ein dem Hydrops gravidarum 
ähnlicher Prozess relativ schnell entwickeln kann, ist im Ver¬ 
lauf langdauernder Geburten nicht nur der Urin gelegentlich auf 
Albumen zu untersuchen, sondern vor allen Dingen der Blutdruck 
in den Wehenpausen öfters zu kontrollieren, wo er für gewöhnlich 
nicht erhöht ist. 

Die Aussichten, den Hydrops und seine Komplikationen mit 
Erfolg zu behandeln, sind umso unsicherer, je weiter der 
Prozess fortgeschritten ist. Im ersten Stadium gelingt es fast 
ausnahmslos, die Erkrankung zum Rückgang zu bringen. Schwie¬ 
riger ist es schon im zweiten Stadium, weitere Komplikationen zu 
verhüten. Im präeklamptischen Stadium glückt es nur bei sofortigem 
energischem Vorgehen, den Ausbruch von Krampfanfällen zu ver¬ 
hindern und den Hydrops zu heilen. Im eklamptischen Stadium selbst 
dagegen sind die Erfolge der Behandlung durchaus unsichere. Sic 
hängen davon ab, wie schnell die geeignete Therapie nach Ausbruch 
des ersten Krampfanfalles eingeleitet wird, und wieweit der zentrale 
Prozess um diese Zeit schon um sich gegriffen hatte. 

Die Prophylaxe des Hydrops besteht darin, dass man bei 
der Neigung zu Knöchelödemen, die über das physiologische Mass 
. hinaus bestehen bleiben, die Flüssigkeitszufuhr einschränkt und die 
Schwangeren am Tag mehrere Stunden liegen lässt. Vor allem ist 
dafür zu sorgen, dass die nächtliche Bettruhe eine genügende 
ist. Diese Massnahmen sind um so wichtiger, wenn die betreffenden 
Frauen bereits früher eine gleiche Erkrankung oder ihre Kompli¬ 
kationen durchgemacht haben. 

Die Behandlung besteht im ersten Stadium des Hydrops in 
der energischen Beschränkung der flüssigen Nahrungsmengen und in 
absoluter Bettruhe. Bei höheren Graden empfehlen sich Schwitz¬ 
prozeduren, um den Wasserüberschuss aus dem Körper schneller zu 
entfernen. Im zweiten Stadium, dem nephropat hi sehen, werden 
dieselben Massnahmen verwendet. Jedoch ist es hier zweckmässig, 
auch die festen Nahrungsmengen zu beschränken, namentlich das 
Kochsalz. Zwar wird das letztere nur sekundär retiniert; aber 
ein Ueberschuss an Kochsalz, welcher bei* Beschränkung der auf¬ 
genommenen Flüssigkeit leicht eintreten kann, wirkt — da er auch 
eine Wasserverhaltung nach sich zieht — ödemvermehrend. 

Im dritten Stadium sind Schwitzprozeduren zu unterlassen. 
Durch wiederholte Aderlässe und Spinal Punktionen ist 
eine Herabsetzung des Blutdruckes und des erhöhten zentralen 
Druckes anzustreben. Gehen die präeklamptischen Symptome nicht 
bald zurück, oder nehmen sie gar zu. oder besteht die Gefahr einer 
Verschlimmerung darin, dass die Wehentätigkeit hinzugekommen ist, 
so ist die baldige, u. U. operative Entleerung des Uterus 
herbeizuführen. Es ist vorteilhaft, diesen Eingriff nicht erst dann 
vorzunehmen, wenn bereits Krampfanfälle eingetreten sind, weil als¬ 
dann die Folgen der Erkrankung unberechenbar werden können. 

Im eklamptischen Stadium selbst, d. h. nach Ausbruch der 
Krämpfe, halte ich es für ein unbedingtes Gebot nicht erst die Mög¬ 
lichkeit abzuwarten, ob es gelingt, die Eklampsie ohne Entleerung 
des Uterus zu heilen, sondern auf jeden Fall sofort zu entbinden. Ge¬ 
wiss wird man unter diesen Umständen in einzelnen Fällen zu viel 
tun. Dieser Schaden ist aber nicht so gross wie der andere, dass 
man bei abwartendem Verhalten in einer Reihe von Fällen eine Ver¬ 
schlimmerung der Erkrankung zustande kommen lässt, der man 
schliesslich machtlos gegenübersteht. Bleiben die Krampfanfälle 
trotz der Entleerung des Uterus nicht aus und gehen die zentralen 
Reizerscheinungen nicht bald zurück, steigt vor allen Dingen die 
Temperatur und sinkt die Harnmenge, so beruht meines Erachtens die 
einzige Möglichkeit, das Leben zu erhalten, in einer druckent¬ 
lastenden Palliativtrepanation. Allerdings lässt sich 
noch nichts Bestimmtes über die praktische Wirkung derselben aus- 
sagen. 

Ausser diesen Massnahmen ist im dritten Stadium die Reizbar¬ 
keit des zentralen Nervensystems durch gewisse Narkotika (Kom¬ 
bination von Morphium und Chloral) herabzusetzen, und es sind alle 
äusseren Reize (Schmerz, Wehen) femzuhalten, welche erneute 
Anfälle auszulösen vermögen. 

In den Fällen mit schwerstem Hirndruck, d. h. jenen mit hoher 
Temperatur, geringer Harnmenge, kleinem frequenten Puls 
und tiefstem Koma sind Narkotika ebenso zu vermeiden wie der 
Aderlass, und Analeptika zu geben. 

Aus der Bakteriologisch-hygienischen Abteilung (Abteilungs¬ 
vorsteher: Privatdoz. Dr. H. Braun) des Hygienischen Univ.- 
Instituts in Frankfurt a. M. (Direktor: Qeheimrat Prof. Dr. 
M. Neisser, derzeit im Felde). 

Ist'die Gruber-Wldalsche Reaktion bei Schutz- 
geimpften unverwertbar?*) 

Von Dr. W. Liess, Medizinälpraktikant. 

Fast durchweg herrscht heute die Ansicht, dass die Gruber- 
W i d a I sehe Reaktion bei Schutzgeimpften zur Stellung der Diagnose 

*) Nach einem im Frankfurter ärztlichen Verein am 17. VI. 18 
von Dr. H. Braun gehaltenen Vortrage. 

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1046 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


des Typhus* imverwertbar ist. Von den in der Literatur vorhandenen 
Aeussenungen möchten wir nur die'von Zier sch, Hage und 
Korff-Petersen, Reiss sowie (Klose erwähnen. 

Erfahrungen, über die ich mir im folgenden zu berichten erlaube, 
haben gelehrt, dass man die Gruber-Widal sehe Reaktion unter 
bestimmten Verhältnissen bei Sohutzgeimpften verwerten kann. 

Seit Mitte des Jahres 1915 sind alle Blutproben, mehrereTausend, 
die zur Anstellung der Griuber-Wida Ischen Reaktion unserem 
Laboratorium eingesandt worden sind, auf ihr Agglutinationsvermögen 
gegen Typhus-, Paratyphus-B- und Paratyphus-A-Bazillen untersucht 
worden. Gegen die letzteren deshalb, weil uns während des Krieges 
wiederholt Faratyphus-A-Infektionen begegnet sind. Unter diesen 
eingesandten Blutproben befanden sich zahlreiche von Schutzge¬ 
impften, die weder an Typhus noch Paratyphus erkrankt waren. 

Zunächst möchte ich über die Resultate der Prüfung der Blut¬ 
sera von Typhuskranken berichten. Folgende Tabelle 1, in der 
121 Fälle wahllos aus unserem Material herausgcgrrffen worden sind, 
veranschaulicht unsere Erfahrungen. 


Tabelle 1. 


121 Typhus- 
kranke, davon 


Typhus- 

Agntuti- 

nation 

Paratyph.-B- 
Aggluti- 
nation 

Keine 

Paratyph -B- 
Aggluti- 
nation 

Para- 

typhus-A- 

Aggluti- 

nation 

Keine Para¬ 
typh us-A- 
Aggluti- 
nation 

Soldaten .... 
Nichtsoldaten 

62=51% 

59=49% 

62 = 100% 
59 = 100% 

51 = 82 % 
45 = 76 % 

11 =18% 
14 = 24 % 

32 = 52% 
36 = 61 % 

30 = 48 % 
23 = 39 % 

121 Typhuskranke | 

121=100% 

96 = 79% 

25 = 21 % 

88 = 66% 

53 = 44 % 


Hervorzuheben wäre, dass etwa die Hälfte der Kranken Soldaten 
gewesen sind und, wie wir deshalb annehmen müssen, schutzgeimpft 
waren. 

Nun mögen unsere Erfahrungen, die bei Untersuchungen von 
nichttyphuskranken Schutzgeimpften gesammelt wurden, tabellarisch 
zusammengestellt werden. 100 willkürlich aus unserem Material 
herausgegriffene Untersuchungen ergaben folgendes: 


Tabelle 2. 


100 Schutz¬ 
geimpfte 

Typhus- 

Agglnt 

Paratyphus-B- 

Agglnt. 

Keine Para- 
typh.-B-Aggl. 

Paratyph us-A- 
Agglut 

Keine Para- 
typh.-A.Aggl. 


100=100 Proz. 

55=55 Proz. 

45=45 Proz. 

0=0 Proz. 

100=100 Proz. 


Wenn wir die beiden Tabellen vergleichen, ist die Tatsache auf¬ 
fällig, dass die Sera nichttyphuskranker Schutzge- 
impfteTsich vondenjenigentyphuskranker Schutz¬ 
geimpfter unterscheiden. Während die. Typhuskranken, 
gleichgültig ob schutzgeimpft oder nicht, in etwa der Hälfte der Fälle 
eine Mrtagglutination von Paratyphus-A-Bakterien aufweisen, fehlt 
diese bei nichttyphuskranken Schutzgeimpften. In bezug auf die Mit- 
agglutmation von Paratyphus B unterscheiden sich dagegen die Sera 
der beiden Gruppen nicht wesentlich. 

Dieses Ergebnis ist von praktischem Interesse, denn es ermöglicht 
uns, bei Typhuskranken trotz vorangegangener 
SchutzimpfungindenHälftederFälledieKrankheit 
mit Hilfe der Mitagglutination von Paratyphus A zu 
erhärten. 

Es ist selbstverständlich, dass wir uns immer wieder die Frage 
vorgelegt «haben, wie der Unterschied in dem Verhalten der Sera von 
nichttyphuskranken Schutzgeimpften einerseits und Typhuskranken 
andererseits zustande kommt. 

Die naheliegendste Annahme war^ dass die Mitagglutinatfon von 
Paratyphus A bei Schutzgeimpften deshalb fehlte, weil der Titer der 
Sera nicht hochwertig war. Dre geringe Wertigkeit der Sera hätte 
darauf zurückgeführt werden können, dass in diesen Fällen die 
Schutzimpfung schon einige Zeit zurücklag. Wir haben deshalb Ge¬ 
legenheit genommen, einige Blutentnahmen auf der Höhe der Anti¬ 
körperbildung zu untersuchen. In der folgenden Tabelle 3 sind die 
Resultate zusammengefasst: 1 


Tabelle 3. 


7 Sera von Schntzgeimpften 
auf der Höhe der Antikörper- 
bildnng (7 Tage nach der 

3. Injektion) 

Typhus- 

Agglut. 

Paratyph.-B- 
Agglut. 

Keine Para¬ 
typbus- B- 
Agglut. 

Para- 

typhus-A- 

Agslut. 

Keine Para- 
typhus-A- 
Agglnt. 


7 

7 

0 

2 

5 


Wir fanden, dass bei 7 Sera Schutzgeimpfter, die 7 Tage nach 
der 3. Injektion von Typhusimpfstoff entnommen waren, in 2 Fällen 
eine Paratyphus-A-Mitagglutination auftrat. Trotzdem steht, wie wir 
gezeigt haben, die Erfahrung fest, dass die Mitagglutination von Para¬ 
typhus-A-Bakterien fehlt, wenn die Untersuchung nicht auf der Höhe 
der Antikörperbildung erfolgt. 

Was die Höhe der Mitagglutination von Paratyphus-A-Bakterien 
betrifft, so wäre folgendes zu bemerken: Selbst niedrige Werte wie 1;20 
und 1:40 sind bei unserer wenig empfindlichen Methodik Neis- 
ser-Proescher) verwertbar. In der Mehrzahl der von uns unter¬ 
suchten Fälle bewegte sich die Mitagglutination in diesen Konzen¬ 
trationen. Seltener war eine Mitagglutination bis 1:160, sehr selten 
320. Bemerkenswert ist, dass die Mitagglutination von 
Paratyphus A bei Typhuskra n k en durchaus nicht 

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dem Titer des Serums gegen Typbusbazillen 
parallel geht. Denn Sera, die Typhusbakterien in geringer Höhe 
agglutinierten, zeigen zuweilen bereits eine deutliche Mitagglutination 
von Paratyphus A und umgekehrt, Sera von hohem Titer für Typhus¬ 
bazillen agglutinieren Paratyphus A nicht. Die Annahme also, die 
wir oben gemacht haben, dass die Mitagglutinatfon von 
der Wertigkeit des Serums abhängt, trifft nicht in 
allen Fällen zu. Ein Beispiel ist in der Tabelle 4 gegeben 1 ). 

Einige Worte möchten wir noch über unsere Methodik der Ag¬ 
glutination sagen. Wir arbeiteten mit Bouillonkutturen, die nach der 
Methode von Ne iss er und Proescher mit Formol abgetötet 
waren, und stellten Serum verdünn ungen von 1:20 bis 1:320 in 
Blockschälchen an. Die Blockschälohen blieben 2 Stunden bei 37° 
und dann über Nacht ber Zimmertemperatur stehen. Die Ablesung 
erfolgte unter Lupe (8 fach) nach 15—20 Stunden. Als Beispiel möge 
die Gruber-Widalsehe Reaktion eines schutzgeimpften Typhus¬ 
kranken und eines schutzgeimpften Nichttyphuskranken wieder¬ 
gegeben werden: 

Tabelle 4. 


Verdünnung 

| Schutzgeimpfter Nichttyphuskrankei | 

| Schutzgeimpfter Typhuskranker 

| Typhus j 

Paratyph. B 

Paratyph. A 

Typhus 

Paratyph. B 

Paratyph. A 

1 :20 

j 


-f 

0 

4- 

+ 

f 

1 :40 

J 

_ 

4- 

0 

4- 



1 : 80 

J 

- 

+ 

O 

+ 

schwach 4 

*r 

1 : 160 

J 

_ 

+ 

0 

•+ 

0 

0 

1 : 320 

_| 

_ 

0 

0 

schwach 4 

0 

0 

Kontrol e 

i 

) 

0 

0 

0 

0 

0 


Analoge Verhältnisse wie wir hat bereits im Jahre 1915 
G. S e i f f e r t mit der Mitagglutination von Gärtnerbazillen bei 
schutzgeimpften Typhuskranken erhoben und in einer kurzen Mit¬ 
teilung in der Münch, med. Wochenschr. publiziert. Erfahrungen an 
grossem Material über die Mitagglutination von Gärtnerbazillen sind 
bis jetzt unseres Wissens nicht veröffentlicht worden. Es ist aber 
sehr wahrscheinlich, dass sie sich mit unseren Erfahrungen mH der 
Mitagglutination von Paratyphais-A-Bakterien: decken werden. 

Welche Schlüsse dürfen wir daraus ziehen, wenn durch Sera 
Schutzgeimpfter auch Paratyphus-A-Bakterien agglutiniert werden und 
die Schutzimpfung einige (acht) Wochen zurückliegt? In unseren Fällen, 
in denen Agglutination von Paratyphus A auftrat, handelte es steh 
in der Mehrzahl der Fälle um Infektionen mit Typhusbazillen, aber 
auch um Paratyphus B (10 Fälle) und Paratyphus A (3 Fälle). Daraus 
geht hervor, dass wir aus der Agglutination von- Para¬ 
typhus A bei Schutzgeimpften eine ätiologische 
Diagnose zu stellen nicht immerin der Lage sind und 
uns mit der Diagnose „typhöse Erkrankung“ oder 
zumindest „Verdacht einer typhösen Erkrankung“ 
bescheiden müssen. 

Die Diagnose „Typhus“ bei Scbutzgeimpften aus der Mitagglutina¬ 
tion von Paratyphus A zu stellen*, ist deshalb nicht erlaubt, weil es 
sich um einen beginnenden Päratyphus A handeln kann, so dass die 
Agglutination von Paratyphus A nicht als Mitagglutination, sondern 
als Folge der Paratyphus-A-Infektion aufzufassen ist. Uebertrifft die 
Agglutination von Paratyphus-A-Bakterien die der Typhusbakterien 
beträchtlich, dann handelt es sich natürlich auch nicht um eine Mit- 
agglutination, sondern um eine primäre Paratyphus-A-Agglutination. 
Immerhin erscheint uns selbst eine so eingeschränkte Verwertbarkeit 
der Gruber-Widal sehen Reaktion, die nur eine typhöse Er¬ 
krankung oder den Verdacht einer typhösen Erkrankung erschlossen 
lässt, für den praktischen Arzt nicht ohne Bedeutung zu sein. Wenn 
ihm die Gruber-Widal sehe Reaktion bei 1 Schutzgeimpften durch 
die Mitagglutination von Paratyphus A auch nicht die absolute Sicher¬ 
heit bietet, so gibt sie ihm doch in schwierigen Fällen ein Symptom 
mehr zur Stellung seiner Diagnose. Man darf doch nicht vergessen, 
dass die Gruber-Widal sehe Reaktion auch bei Nichtschutz¬ 
geimpften vom praktischen Arzt stets nur mit Kritik verwertet werden 
darf. 

Zum Schluss möchten wir noch die Frage aufwerfen, ob der 
Paratyphus-A-Baziilus für die Mitagglutination besondere Vorteile 
bietet. In Friedenszeiten wurde fast überall bei uns die Gruber- 
Widal sehe Reaktion nur mit Typhus- und Paratyphus-B-Bazillen 
vorgenommen. Dass die Paratyphus-B-Bakterien sich für unseren Zweck 
nicht eignen, ist schon oben erwähnt worden. In der Agglutination 
von Paratyphus-B-Bakterien war zwischen Sera typhuskranker und 
nichttyphuskranker Schutzgeimpfter kein wesentlicher Unterschied. 
Ausserdem kommt noch als erschwerendes Moment in Betracht, dass 
der Paratyphus-B-Bazillus von Sera Anderskranker und Normaler 
bis zur Höhe 1:80 mitagglutiniert wird. 

Was die Mitagglutination von Gärtnerbazillen betrifft, wie sie 
in der oben erwähnten Arbeit Seiff ert benutzte, so wäre folgendes 
zu bemerken. Theoretische Bedenken gegen die Verwendung der 
Gärtnerbazillen bestehen nicht. Da aber die Infektionen mit Gärtner- 
baziilen bei uns selten sind, bedeutet ihre Verwendung für unseren 
Zweck eine Komplikation der Methodik der Grub er- Widalschen 
Reaktion, die im Grossbetrieb nicht angenehm empfunden würde. 


‘) Herr Prof. Sachs machte uns darauf aufmerksam, dass der 
Unterschied vielleicht damit zu erklären wäre, dass die Schutzge- 
impften mit erhitzten Bakterien immunisiert weiden. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 












17. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


ml 


Well aber mit Paratyphus-A-Infektionen auch nach dem Krieg 
zu rechnen ist, so ist es dringend nötig, dass die Gruber-Widal- 
sche Reaktion stets mit Typhus-, Paratyphus-A- und B-Bakterien 
ausgeführt wird, wobei man ausser der Möglichkeit der Stellung einer 
ätiologischen Diagnose auch die Verwertung der Mitagglutination bei 
Schutzgeimpften haben wird. 

Schlusssätze: In mehr als der Hälfte der Fälle tritt bei 
Typhuskranken, gleichgültig ob schutzgeimpft oder nicht, eine Mit¬ 
agglutination von Raratyphus-A-Bakterien auf. Diese fehlt bei mit 
Typhusimpfstoff-Schutzgeimpften, die nicht an Typhus oder Para¬ 
typhus krank sind, wenn die Schutzimpfung mehrere (acht) Wochen 
zurückliegt. Die Mitagglutination von Paratyphus A gestattet uns 
also unter diesen Umständen trotz Schutzimpfung den Verdaoht auf 
bestehende typhöse Erkrankung auszusprechen. 

Literatur. 

1.. Paul Zier sch: Beobachtungen bei Typhusschutzgeimpften. 
M.m.W. 1915 S. 1310. — 2. H a ge und K o rf f - P e te r s e n: Typhus¬ 
schutzimpfung und Typhusdiagnose. D.m.W. 1915 S. 1329. — 3. Emil 
Re iss: Der Wert der Agglutinationsprobe bei Typhusgeimpften. 
M.m.W. 1915 S. 1277. — 4. K1 o s e: Die Gruber-Widalsehe Re¬ 
aktion bei typhusschutzgeimpften Franzosen und ihre Bewertung für 
die Diagnosestellung. Arch. f. Hyg. 84. 1915. S. 193. — 5. G. S e i f - 
fert: Die Mitagglutination der Gärtnerbazillen, ein Hilfsmittel zur 
Typhusdiagnose. M.m.W. 1915 S. 1753. 


Aus den Reservelazaretten B und P, München. (Chefärzte: 
Generalarzt Dr. He nie und Oberstabsarzt Dr. Bredauer.) 

Erfahrungen an Aber 1000 Malariakranken in der Heimat 

(Kurze Mitteilung.) 

Von Oberstabsarzt Dr. May (Kreuth). 

Die Malaria in der Heimat verlangt von sämtlichen in Betracht 
kommenden Stellen die grösste Beachtung. Sie ist jetzt die in der 
Heimat zu fürchtendste Infektionskrankheit wegen der Schwere der 
Erkrankungsformen, unter welchen sie auch bei uns hie und da 
auftritt, ferner wegen der Schwierigkeit, sie zu heilen. Die Gefahr 
der Ansteckung in der Heimat, also einer Ausbreitung einer Epidemie 
durch Plasmodienträger, lasse ich ausser acht. Eine solche existiert 
kaum nach Nocht (Vh. d. ReichsGes.A. 1917), auf jeden Fall fehlen 
bei uns die klimatischen Vorbedingungen für die Mücke, erfolgreicher 
Zwischenwirt zu werden. Die beobachteten Krankheitsformen waren 
im Winter fast ausschliesslich Tropika, unter ca. 1000 Malarikern 

2 Quartanafälle (I) seit Ende März, Anfang April fast ausschliesslich 
Tertiana. Die beiden Quartanafälle, die sich wegen immer wieder¬ 
holter Anfälle und schwerer Rekonvaleszenz noch auf meiner Station 
befinden, sind beide im April mit Tertiana (!) neu erkrankt. Im 
Winter während der teilweise sehr schweren Tropikaanfälle keine 
oder nur sehr leichte Hämoglobinurieanfälle oder fast nur Spuren 
von Schwarzwasserfieber; seit Ende März, Anfang April bei Tertiana 

3 schwere Schwarzwasserfieberattacken. Die Hämoglobinurie geht 
verhältnismässig rasch zurück auf Ziem ans Alkalimixtur*); erneut 
auftretende Plasmodien mit vorsichtigen Chiningaben zu bekämpfen, 
ist vergeblich wegen sofort wieder einsetzender Hämoglobinurie. 
Eine NeosalvarsaninjektJon aber befreit mit einem Schlage das peri¬ 
phere Blut von den Plasmodien und nun gelingt in den folgenden 
Tagen das Einschleichen mit Chinin (von täglich 0,1 an) ohne weitere 
Hämoglobinurie. 

Abgesehen von den doch immerhin vereinzelten Fällen nur sehr 
schwer zu bekämpfender Rezidive (bei unserem Material möchte ich 
sie auf kaum 10 Proz. veranschlagen) sind die schwersten Fälle (für 
die Zukunft des Patienten und für den Staat hinsichtlich etwaiger Ver¬ 
sorgungsansprüche) die nervösen Komplikationen der Malaria. 
Auch hier können wir keinen Unterschied machen zwischen Tertiana 
oder Tropika. Bei beiden fanden wir Erregungszustände in den anfalls¬ 
freien Zeiten, die sich sowohl im Zirkulationsapparat geltend machte, 
als auch in allgemeiner nervöser und psychischer Beziehung: Schlaf¬ 
losigkeit, Verstimmungen, motorische Erregungen etc. Die Chinin¬ 
alterationen des Pulses sind bei diesen Fällen nicht mit inbegriffen. 
Brom hatte nur vorübergehenden Erfolg; Arsen in Form von Arsa- 
zetininjektionen nützte allmählich in mehreren Serien mit Besserung 
des Allgemeinzustandes; ebenso, aber schneller wirksam war die 
künstliche Höhensonne. Bei schon hysterisch Veranlagten kam es 
nach Fieberattacken zu hysterischen Anfällen; ein Fall zeigte mit 
leichten Fiebertemperaturen 3 Tage langes Koma mit athetotischen 
Bewegungen. Auf Chinininjektionen erholte sich der Mann langsam, 
bekam einige Wochen später wieder ein Fieberrezidiv und wurde 
nun ausgesprochener Neurotiker mit andauerndem Tremor des ganzen 
Körpers etc. Er wurde einem Neurotikerlazarett überwiesen. Ein 
weiterer Fall erkrankt nach erneuter Fieberattacke an Myelitis: voll¬ 
kommen schlaffe Lähmung beider Beine, spastische KontFaktur des 
Blasen-, Mastdarmsphinkters, Sensibilität der Extremitäten kaum ge¬ 
stört, Tiefenreflexe erloschen, Hautreflexe vorhanden. Innerhalb 

4 Wochen beginnen sich die Lähmungen allmählich zurückzubilden, 
Mastdarmfunktion vor Blasenfunktion wieder positiv. Ein Fall ist zu 


verzeichnen, der im Tertianaanfall komatös wurde und die folgenden 
8 Tage das Bild einer epidemischen Zerebrospinalmeningitis bot. 
Lumbalpunktion war erfolglos. Chinininjektion besserten im Verlaufe 
von 14 Tagen die spastischen Krämpfe. Der Mann hat seither keinen 
Rückfall mehr gehabt, musste aber auch wegen funktioneller Neurose 
einem Speziallazarett überwiesen werden. Ich habe nicht den Eindruck 
gewinnen können, als ob diese nervösen Anfälle nur funktioneller 
Natur gewesen wären, sondern glaube, aus den organisch durch die 
Malaria (Kapillarverstopfung) gesetzten Schädigungen des Zentral¬ 
nervensystem sind die nachfolgenden funktionellen Störungen ent¬ 
standen, meist allerdings auf wohl schon vorhandener hysterisoher 
Basis. Ein Fall ist gestorben. Es handelte sich um eine Apoplexie mit 
totaler halbseitiger Lähmung. Wassermann war negativ; die Paresen 
bildeten sich langsam zurück, ein neuer apoplektischer Insult machte 
2 Monate nach dem ersten dem Leben ein Ende. Sektion wurde 
leider nicht gestattet. 

Alle übrigen Komplikationen der Malaria, die wir in der Heimat 
beobachten konnten, wie Magendarmerscheinungen, Nierenreizungen 
bis ausgebildete Nephritiden, in allererster Linie die An¬ 
ämie und die Milz- und Lebertumoren bilden sich lang¬ 
sam aber sicher unter der nun seit fast einem Jahre geübten Thera¬ 
pie zurück. Es sind, wie gesagt, höchstens 10 Proz. des Gesamt¬ 
zugangs, welche durch die Hartnäckigkeit ihrer Rezidive mehrmonati¬ 
ger Behandlung**) bedürfen. Der Durchschnitt ist bei der 
in folgendem kurz beschriebenen Methode 8 Wo¬ 
chen. Der Erfolg ist laut Mitteilungen teils persönlicher Natur von 
den Entlassenen selbst, teils auf Umfrage bei den Truppenteilen ein 
befriedigender: über 50 Proz. der 'Befragten ist seit H Jahr rezidiv- 
frei geblieben, befindet sich teils k. v. an der Front, teils g. v. F., 
E. und H. 

Diese Therapie besteht in stets wiederholten 
Provokationen. 

Die angewendeten Provokationen müssen die Therapie unter¬ 
stützen: von diesen kennen wir nur die künstliche Höhensonne und 
subkutan anzuwendende Arsenpräparate. Die diagnostische Provo¬ 
kation mit künstlicher Höhensonne (Reinhard: M.m.W. 1917 Nr. 37) 
ist bekannt. Wir haben damit an 80 Proz. positive Resultate. Ich 
habe seit nun fast einem Jahre diese Provokation au«h therapeutisch 
fortgesetzt, indem ich den Patienten in kurzen Zwisohenräumen 
immer wieder einer Bestrahlungsperiode unterwerfe. Allmählich wer¬ 
den hiebei Plasmodien ohne Temperaturerhöhungen ausgeschwemmt, 
und schliesslich bleiben Fieber und Plasmodien aus. Vor endgültiger 
Entlassung wird nochmals eine prognostische Bestrahlungs¬ 
serie angewendet. Damit wird untersucht, ob der Patient ent¬ 
lassungsfähig ist. Die Bestrahlungsserie besteht in Bestrahlungen, 
abwechselnd äuf Brust und Rücken, angefangen von 5 Minuten, stei¬ 
gend auf 10, 20, 30, 40, 50, 60 Minuten. Diese letztere Dosis muss 
er an 5 aufeinanderfolgenden Tagen ohne Reaktion, d. h. ohne Plas¬ 
modien im dicken Tropfen, ertragen. Temperatursteigerungen allein 
sind nicht beweisend. Von Plasmodien muss er Schizonten auf¬ 
weisen, Gameten kann man als neutral betrachten. 

Ebenso diagnostisch, therapeutisch und prognostisch provozierend 
haben wir das Arsazetin angewendet. Ich habe von Anfang an aus¬ 
schliesslich Arsazetin genommen, da es als ungiftiges äthylisiertes 
Atoxyl auch parasitotrop wirken könnte und gerade die A e t h y 1 - 
Verbindungen nach Morgenroth (B.kl.W. 1917 Nr. 3) bakterien- 
bzw. plasmodiendesinfizierender wirken als die Methyl Verbin¬ 
dungen. Wir haben mit Arsazetin 76 Proz. positive Provokations¬ 
erfolge. Das Arsazetin wird in einer Serie von 14 Injektionen ge¬ 
geben. Diese müssen sich unmittelbar hintereinander folgen. 

Sowohl die künstliche Höhensonne als auch das Arsazetin regen 
die Blutneubildung mächtig an. ln den Fällen vorstechender Anämie 
haben wir meist vorerst vom Arsazetin Gebrauch gemacht, also vor¬ 
wiegend in Tropikafällen, bei Tertiana meist Höhensonnebestrahlung. 
Je nach Bedarf wurde auch beides kombiniert. Die Höhensonne 
bringt vor allem eine ungeheure Vermehrung der Erythrozyten, da¬ 
mit ein Ansteigen des Hämoglobins. Die Leukozytenkurve steigt au 
unter relativer Vermehrung der Lymphozyten. Die Mononukleären 
sinken allmählich ab unter der Bestrahlung (s. auch Rotky: M.m.W. 
1918 Nr. 40). Die hohe Zahl der roten Blutkörperchen bleibt nach Be¬ 
strahlung nicht konstant, sondern sinkt wieder ab, erneute Be¬ 
strahlung treibt sie wieder vor: wiederholte Bestrahlungen massieren 
so gleichsam die blutbildenden Organe. Nach Arsazetin bleibt das 
Blutbild länger in konstanter Höhe; die Zahlen, namentlich der 
Erythrozyten schnellen nach Arsazetin nicht so rapid in die Höhe 
wie nach Bestrahlung. 

Um gleich hier in Kürze das Blutbild der Malaria fertig zu be¬ 
sprechen, so sei erwähnt, dass die Leukozyten in relativer poly¬ 
nukleärer Verminderung mit relativer Vermehrung der Lymphozyten 
auf einen noch in Bälde zu erwartenden Anfall hindeuten. Die Mono- 
nukleären spielen hiebei nicht die Rolle, die ihnen teilweise zu¬ 
gemessen wurde. Sie können vor dem Anfall vermehrt sein, ihre 
relative Minderheit verbürgt aber absolut nicht Anfallsfreiheit oder 
Genesung. loh habe Fälle mit andauernd hohen Mononukleärenzahlen 
20 Proz.) gesehen, die in bester Rekonvaleszenz sich befanden und 
nun ohne Anfall seit Monaten wieder Dienst machen. Andere Kranke 
zeigen konstant, d. h. wochenlang, normale Mononukleäre und er¬ 
kranken plötzlich wieder mit neuer Attacke. Eine Erscheinung ist 


♦) Natr. cafbon, Natr--c4»Iorat., Magres, sulfur. äa 20/1000. 

Nr« 38 Digjtized by ^ Q( 


Magnes. « 

gle 


**) sc. im Lazarett. 


2 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


1045 


regelmässig zu beobachten: nach dem Anfall sind die Mononukleären 
stets beträchtlich vermehrt. 

Die provozierenden Mittel müssen auch thera¬ 
peutisch wirksam sein! Alle anderen provozieren¬ 
den Mittel sind zu verwerfen. Solche, die event. 
schaden können, wie Röntgenstrahlen, Salvarsan, 
sind zu verbieten! Mit der Provokation locken wir 
gleichsam die Plasmodien in die periphere Blut- 
b a h n^ d. h. wir lassen sie in die Blutbahn ausschwemmen. 

Nachdem wir mit der Therapie des Chinins nur die in der peri¬ 
pheren Blutbahn sich befindlichen Plasmodien erreichen können, be¬ 
nützen wir diese Methode der Ausschwemmung, um die Plasmodien 
mit Chinin hiebei jeweils abzutöten oder zum Verschwinden zu 
bringen. Das Chinin ist kein Heilmittel der Malaria, 
sondern nur ein Unterstützungsmittel im Kampfe gegen die Infektion. 
Man muss beim Chinin in der Behandlung der Malaria die fieber¬ 
herabsetzende Wirkung desselben und seine parasitrope Wirkung 
streng auseinanderhalten (Morgenroth: lieber die neuere Ent¬ 
wicklung der Chemotherapie. Berichte der Deutschen pharm. Oes.). 
Man muss deshalb die N o c h t sehe Kur stets modifizieren. Wir geben 
nur Chinin bei Fieber und einer gewissen Anzahl von Schizonten im 
Kubikmillimeter (berechnet auf 100 Leukozyten). Steigt die Plas¬ 
modienkurve an, wird Chinin weitergegeben, täglich 1,2 Chinin, 
event. 2 Tage 2,1 Chinin per os. Zeigt sich keine sofortige 
Wirkung auf das Fieber oder die Schizontenzahlen, wird Urethan- 
chinin gegeben in ein- oder zweimaliger intramuskulärer Injektion. In 
verzweifelten Fällen, wenn die Plasmodien oder die Fieberattacken 
nicht ausbleiben, erfolgt eine einmalige intravenöse Injektion. 
Diese Massnahmen haben uns noch nie im Stiche gelassen: wir haben 
noch nie eine wirkliche Ghininresistenz nachweisen können. Was die 
Chininausscheidung betrifft (Quecksilberbijodidreaktion im Harn 
[G i e m s a]), so haben wir sie immer, auch bei Andauern der Plas¬ 
modien oder Persistenz des Fiebers unter Chinin per os gleich „g u t 
positiv“ verfolgen können. Bei gewissen Patienten, namentlich 
wenn schon eine bedeutende Konsumierung von Chinin in therapeuti¬ 
scher oder prophylaktischer Beziehung vorausgegangen ist, genügt 
die geringe Chininmenge, die duroh den Magendarmkanal in die Blut¬ 
bahn kommt, nicht mehr zur Abwehr der Plasmodien. 

Ein ausgezeichnetes Unterstützungsmittel, um die Plasmodien 
sofort aus der Blutbahn zum Verschwinden zu bringen, ist das Neo- 
salvärsan. (Auch kein Heilmittel!) Allerdings nützt es nur bei 
Tertiana und Quartana, nicht bei Tropika. Wir geben es in 0,3, dann 
0,45-Dosis unter 2—3 maliger Wiederholung der letzten Gabe in Ab¬ 
ständen von einer Woche mit Chinin 1,2 per os; bei sehr hohen 
Plasmodienzahlen (1000 und mehr im Kubikmillimeter) mit Urethan- 
chinin intramuskulär. Bei über 1000 Neosalvarsaninjektionen haben 
wir bis jetzt unberufen noch nie irgendwelche schädliche oder nur un¬ 
angenehme Nebenwirkung erlebt. Absolut zu vermeiden ist bei der 
Neosalvarsaninjektion Luftzutrit zum Präparat in der Spritze vor 
der Injektion! Die Lösung muss absolut klar sein! 

Dass die provozierten Plasmodienausschwemmungen oder Fieber¬ 
attacken keine zufälligen sind, haben wir in ausgedehnter Statistik 
nachgewiesen. Mehrere 100 Fälle wurden nicht bestrahlt, sondern in 
ausgedehnter schematischer N o c h t scher Kur beobachtet. Die Rück¬ 
fälle erfolgten stets in einem Abstand, der durch 7 teilbar war, also 
z. B. am 7. Tage, am 14. Tage, am 28. Tage etc. Die provo¬ 
zierten Attacken lassen den ganz unregelmässigen Typ erkennen» 
unabhängig vom letzten Anfall, mitten in der Bestrahlung auftretend 
oder innerhalb der Woche, welche auf die letzte Provokation, Be¬ 
strahlung oder Arsazetininjektion, gefolgt ist. Es ist deshalb 
auch mit der Entlassung noch 8 Tage nach erfolg¬ 
loser prognostischer Provokation zu warten. 

Die Chininprophylaxe wurde von mir von Anfang an einer sta¬ 
tistischen genauen Würdigung unterworfen in Gestalt von Prophylaxe¬ 
kurven jedes Zugangs. Wir haben uns aus diesen Kurven immer 
wieder überzeugt, dass die Chininprophylaxe keinen Einfluss hat auf 
die Malariaerkrankung des Pat. überhaupt, d. h. dass der Pat., wenn 
er geschwächt genug ist, mit und ohne Prophylaxe an Malaria er¬ 
krankt; wir haben uns immer wieder davon überzeugen können, dass 
auch Leute ohne Prophylaxe gesund blieben und erst beim Wieder¬ 
betreten nach Monaten der Seuchengegend eventuell jetzt mit Pro¬ 
phylaxe erkrankten. Die Ghininprophylaxe hat keinen Einfluss auf 
den Verlauf der Malaria, im Gegenteil ist eher der prophylaktisch 
vorausgegangene lange Chiningenuss nicht günstig für die spätere 
Therapie. 

Zusammenfassung. 

Die von uns bisher erprobte Therapie verfolgt den Zweck, durch 
immer wiederholte Provokation, und zwar entweder mit künstlicher 
Höhensonne oder mit Arsazetininjektionen, verbunden mit indi¬ 
vidueller Chiningabe die in den inneren Organen sich befindlichen 
Plasmodien in der peripheren Blutbahn zum Verschwinden zu bringen. 
Hauptsache ist hierbei, die zunehmende Kräftigung und das zu¬ 
nehmende subjektive Wohlbefinden des Pat. trotz der 
in kürzesten Intervallen absichtlich hervorgerufenen Re¬ 
zidive. Bewirkt wird dies durch die die Blutneubildung mächtig 
anregenden Provokationsmethoden! 

Das Chinin darf nicht schematisch gegeben werden, sondern nur 

□ igitized by Google 


nach dem Plasmodienbefund und zwar naoh der Plasmodienkurve, 
kurz, aber ev. kräftig. 

Von der Prophylaxe sieht man in den anamnestischen Kurven 
keinen Erfolg. Aus der Beobachtung, dass die Rezidive auch inner¬ 
halb der schematischen Nocht sehen Kur in Tagesabständen auf- 
treten, welche durch 7 teilbar sind, geben wir seit einiger Zeit mit 
gutem Erfolge in der Nachbehandlung nach der letzten Chium- 
gabe (im positiven Rezidiv) jeden 7. Tag 1,2 Chinin 5—6 Wochen lang. 

Meinen Mitarbeitern meinen besten Dank! 


lieber die Bedeutung dee MineralstoffWecheele in der 
Strahlentherapie 9 ). 

(SelbstsensibiUslerung des Darmes.) 

Von Dr. Walter Lindemann, zurzeit im Felde. 

Die Vermeidung von Röntgen- und Radiumschädigungen in der 
Therapie ist seither ein besonders eifrig bearbeitetes Gebiet ge¬ 
wesen. Wir haben in jahrelanger eifriger Arbeit immer mehr gelernt, 
den Patienten und uns selbst vor unangenehmer Strahlenwirkung zu 
schützen, indessen sind die Klagen darüber auch heute noch nicht 
vrstummt. Wir stehen jetzt auf dem Gebiete der Röntgenbestrah¬ 
lung in dem Zeitalter der sog. Schnelltherapie. Grosse massige 
Dosen werden gegeben. Die besondere Konstruktion der Röhren und 
des sonstigen Instrumentariums haben uns in den Stand gesetzt, mit 
besonders harter Srahlung zu arbeiten, die eine Schädigung der Haut 
bei ausserdem noch geeigneter Filteranwendung ziemlich sicher ver¬ 
meiden bzw. erst bei ganz hohen Dosen auftreten lässt. 

Wenn ich mir erlaube. Ihnen heute über einen möglichen Zu¬ 
sammenhang zwischen Strahlentherapie und Mineralstoffwechsel zu 
berichten, so bin ich dabei von der Ansicht bestimmt, dass gewisse 
Darmschädigungen hiermit in Zusammenhang gebracht werden 
können resp. ihre Entstehung wenigstens diesem Zusammenhang 
teilweise verdanken. Es soll der Mineralstoffwechsel auch nur in 
seinen Beziehungen zum Darm betrachtet werden. 

Besonders haben mich einige erst ganz kürzlich erschienene 
Bemerkungen führender Gynäkologen über Darmschädigungen dazu 
bestimmt. 

Franz 1 ) erlebte einen Todesfall an Darmerkrankung ohne 
Hautverbrennung. Hierbei wurde in 3 Serien bestrahlt: 

1. Serie: 13 Stunden in 14 Tagen, 

2. Serie: 10 Stunden in 12 Tagen, 

3. Serie: Dosis 13 Stunden. 

Abstand jedesmal ca. 6 Wochen. Instrumentarium: Coolidge- 
röhre und Gammastrahlenapparat (Veifawerke). 

v. F r a n q u € *) hat bei Coolidgebestrahlung eine schwere Haut- 
und Darmschädigung erlebt. Die Patientin bekam eine so schwere 
allgemeine Enteritis, dass es nur der sorgsamsten Pflege und auf¬ 
opferndsten ärztlichen Fürsorge gelang, sie vor dem Tode zu be¬ 
wahren. 

Kroemer*) berichtet über ähnliche Erfahrungen. Gewiss eine 
Aufforderung möglichst viel noch theoretisch und experimentell an 
der Vermeidung der Schäden der Schnelltherapie zu arbeiten! 

Auch die Radiumtherapie hat in der letzten Zeit weniger, in 
früherer mehr Darmschäden zur Folge gehabt. 

Jeder Radiumtherapeut weiss von Darmkoliken und Rektum¬ 
geschwüren zu berichten. Man hat deshalb allgemein eine besondere 
Radiumempfindlichkeit des Rektum angenommen. 

Nach den in der hiesigen Klinik gemachten Erfahrungen be¬ 
ginnen die Mastdarmerscheinungen bei den einzelnen Patientinnen 
verschieden früh, manchmal sehr zeitig. Es treten kolikartige Schmer 
zen auf. Der Stuhl wird schleimig und zeigt die Erscheinungen eines 
Dickdarmkatarrhs. Oefters ist auch Blut beigemengt. Die Erschei¬ 
nungen schwinden zunächst mit dem Entfernen des Radium aus der 
Scheide. Es bleibt aber eine Neigung zu besonders leichter Wieder¬ 
kehr bestehen. In ungünstigen Fälen fühlt man am Septum recto- 
vaginale eine Infiltration, die erst nach mehreren Wochen oder Mona¬ 
ten auftreten kann, und die dann allmählich in eine Rektovaginalfistel 
übergeht Bemerkenswert ist, dass die Fistelränder nicht karzinoma- 
tös zu sein brauchen, in 2 hier beobachteten Fällen waren sie es 
sicher nicht. 

Nach neueren Untersuchungen ist es überhaupt die Frage, ob die 
Perforation auf Grund etwaiger karzinomatöser Infiltration (Weiter¬ 
wuchern, Metastasenbildung) erfolgt. 

Es erübrigt sich, die einzelnen Autoren aufzuführen, welche aus 
anderen Klinken darüber berichten, sie alle haben dieselben und ähn¬ 
liche Erfahrungen gemacht 

Die Frage erschien gewiss der experimentellen Prüfung 
wert Pankow hat Versuche in dieser Richtung anstellen lassen. 


*) Vortrag, gehalten in der 7. ordentlichen Sitzung des Vereins 
der Aerzte zu Halle a/S. (6. II. 18). 

J ) B.kl.W. 1917 Nr. 27. 
f ) Zentralblatt 1918 Nr. 1. 

*) Mschr. f. Geburtsh. u. Gyn. 46. 1917. 

Original from 

UNIVERSIT7 OF CALIFORNIA 


17. September 1918. 


MUENCHBNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1049 


50 mg Mesothorium wurden Kaninchen mit starker Filterung in 
die Vagina geschoben und dann 12—14 Stunden mit 8 tägigen Pausen 
darin belassen. 

In 5 Fällen zeigten sich bei dieser Versuchsanordnung aus- 
gesprochene Rektalerscheimmgen wie bteim Menschen: Durchfälle, 
wässriger Stuhl, intensive Schmerzen. Die Rektal Schleimhaut war 
stark geschädigt, z. T. ulzeriert verändert. P. nimmt an, dass auch 
beim Menschen zuerst eine Schädigung des Rektum erfolgt. Die 
Epithelschädigung führt durch Kotinfektion zur Bildung eines Ulcus, 
welches dann — wahrscheinlich je nach der Infektiosität der Darm¬ 
bakterien [Verf. *)] — früher oder später durch das Septum vesico- 
vaginale durchbricht Daher kann es wohl auch zu phlegmonen¬ 
artigen Erscheinungen kommen. Wir haben hier in mehreren Fällen, 
die Herr Prof. Schmieden in liebenswürdiger Weise untersuchte, 
Abszesse beobachtet, die nach dem Rektum zu Fluktuation zeigten 
und deren Umgebung hart phlegmoneartig infiltriert war. 

Eine hohe Empfindlichkeit der Rektalschleimhaut ist somit auch 
experimentell erwiesen. 


Im folgenden soll gezeigt werden, dass nicht nur der Mast¬ 
darm, sondern auch die übrigen Abschnitte, besonders der Dickdarm, 
zu Schädigungen disponiert sind. 

Experimente an Tieren haben die starken Schädigungen auch 
des übrigen Darmkanals schon seit einiger Zeit anschaulich gemacht. 

Bekannt sind die Bestrahlungsversuche von Nogier, Regaud 
und Lacassagne 8 ) am Verdauungskanal des Hundes. Die ge¬ 
nannten Autoren fanden eine sehr schnell einsetzende Schädigung 
der Schleimhaut. Die Dünndarmzotten, die Li eberkühn sehen 
Drüsen und die lymphoiden Elemente wurden sehr schnell geschädigt. 
Es kam gelegentlich zur Perforation des Darmes. 

Fromme 0 ) und ich fanden bei Mäusen und Meerschweinchen 
starke Schädigung und Abhebung der Epithelschicht, vaskuläre De¬ 
generation, Hämosiderinablagerung Im Dickdarm fand sich eine 
ausserordentlich starke Anreicherung mit eisenhaltigem Pigment, so 
dass Bilder einer Darmmelanose ähnlich entstanden. Ueberall war 
eine leukozytäre Einwanderung in die Drüsenlumina festzustellen. 

Inwiefern hat nun der Mineralstoffwechsel zu unserer Frage Be¬ 
ziehung? Hierzu muss in aller Kürze etwas auf die physiologische 
Seite des Themas, den Mineralstoffwechsel überhaupt, 
cingegangen werden. 

Neben den übrigen sind die Salze des Eisens und Kal¬ 
ziums besonders wichtig für den Körperhaushalt. Daneben sind 
Mangan, Silicium, Arsen, Phosphor, Chlor, Jod und Schwefel als 
Bausteine verschiedener Zellbestandteile zu nennen. 

Besonders interessiert in diesem Zusammenhang das Eisen 7 ), 
welches ja auch das ganze Problem des Mineralstoffwechsels in Fluss 
gebracht hat. 

Das Eisen wird dem Körper in organischer Bindung und als Salz 
angeboten. Man fand bei experimenteller Prüfung der Frage zu¬ 
nächst, dass per os verabreichtes Eisen zum grössten Tefl in 
den Fäzes wieder erschien und der Harn nur einen sehr geringen 
Bruchteil aufwies. Dieses war noch kein Beweis für die Resorption 
des Eisens und seine Wiederausscheidung durch dei Darm und konnte 
auch anders gedeutet werden 8 ). 

Wahren Aufschluss über den Ausscheidungsmechanismus erhielt 
man durch das Experiment von Hamburger 8 ), welcher Eisen intra¬ 
venös und subkutan zuführte. Auch hierbei stieg der Gehalt des 
Darmes an Eisen beträchtlich an. In weiteren Versuchen wurde dann 
der Dickdarm als sicherer Ausscheidungsort erkannt. 

Somit war als Ausscheidungsquelle des Eisens der Darm, und 
zwar der Dickdarm festgestellt. 

Ueber die Art der Aufnahme war aber noch keine Klarheit 
geschaffen. Hier mussten mikroskopische Versuche mit Schwefel¬ 
ammonium und Berlinerblaureaktion helfen. Diese zeigten, dass die 
Gegend des Duodenums aller Wahrscheinlichkeit nach als 
Aufnahmeort zu gelten hat. Die Eisenkörnchen zeigten sich 
hier sowohl im Epithel, als auch direkt darunter und in der Sub¬ 
mukosa. Das Eisen wird zum Teil auf dem Lymphwege, zum Teil 
auf dem Blutwege resorbiert und auch durch Leukozyten, die mit 
Eisenkörnchen angefüllt sind, fortgeschleppt. Es gelangt dann in den 
Organismus, wo es zum Teil in Leber und Milz aufgespeichert wird. 
Die Aufnahme erfolgt wahrscheinlich nach vorhergehender Spaltung 
aus organischer ‘Bindung, so dass das Eisen als Salz oder als Ion 
zur Resorption gelangt. 

Zum Schluss wandert es nach dem Dickdarm und verlässt den 
Körper. 

Zusammenfassend Hesse sich also sagen, dass das Eisen im 
Magendarmkanal aus einen Verbindungen herausgelöst und als Salz 
oder Ion zur Resorption gelangt. Man kann das Eisen mikro¬ 
chemisch hi den Darmepithelien verfolgen. Als Aufnahmeort ist das 


4 ) Arch. f. Gyn. 106. H. 3. 

•) Zitiert n. Wetter er 265. II. 

•) Zschr. f. Geburtsh. u. Gyn. Bd-. 79. 

7 ) Abderhalden: Lehrbuch f. d. phys. Chemie 1915. 768. 

8 ) Hamburger: Zschr. f. p. Chemie 2. 

•) Hochhaus und Quincke: Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 


Bd. 37. 


Digitized b) 


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Duodenum aufzunehmen. Weiter wird beständig ein Teil des Eisens 
aus dem Körper ausgeschieden. Als Ausscheidungsort fungiert der 
Dickdarm und zwar besonders der obere und untere Teil desselben. 

Zu bestimmten Zeiten also wird die Schleimhaut des Duodenums 
und des Dickdarmes von Eisen durchwandert, welches teils in den 
Körper hinein, teils aus ihm herausgeht. Es ist klar, dass dies schon 
bei unserer gewöhnlichen Nahrung der Fall sein muss, denn wir 
nehmen ja beständig Eisen auf, wenn auch in geringen Mengen. 

Von besonderer Bedeutung sind ferner für die Eisenanreicherung 
des Darmes seine lymphzellenhaltigen Stellen. 

Die sogen. Solitärfollikel sind über den ganzen Darm verbreitet, 
sie sitzen dicht unter dem Epithel. 

Ferner sind zu erwähnen die P e y e r sehen Plaqiies, die sich 
nur im Ileum vorfinden gegenüber dem Mesenterialansatz. Diese 
lymphzellenhaltigen Stellen des Darmes reichern sich mit Eisen an, 
ähnlich wie die Milz. 

Bezüglich der Aufnahme und Ausscheidung liegen die Verhält¬ 
nisse ähnlich wie beim Kalzium. 

Es ist festgestellt, dass Kalziumsalze hauptsächlich im Anfangs¬ 
teil des Duodenums reorbiert und durch den übrigen Teil des Darmes, 
besonders durch den Dickdarm, wiedr ausgeschieden werden. Ent¬ 
hält die Nahrung zu gleicher Zeit genügend Phosphorsäure, so erfolgt 
die Ausscheidung des Kalziums in erster Linie durch die Darmwand. 
(Der Phosphor, den wir ja in den verschiedensten Formen in orga¬ 
nischer Bindung und als Salz zu uns nehmen und der zu unserem 
Leben sehr wichtig ist, verlässt unseren Körper teils durch die Niere, 
teils durch den Darm.) 

Wenn wir uns das vorläufige Ergebnis der Feststellungen be¬ 
trachten, so ergibt sich im Punkte der Anreicherung an Metallen 
für den Darm, besonders für Duodenum und Dickdarm, ein stetes 
Plus. Ständig passieren unseren Darm teils zum Körper, teils aus 
dem Körper Metallionen und zwar schon bei unserer gewöhnlichen 
Ernährung und Verdauung. 

Wenn wir nun aus irgendwelchen Indikationen derartige Me¬ 
talle zu uns nehmen, z. B. Kalzium, Eisen oder Arseneisen, so ist 
eine grössere Anreicherung der Darmwand eine notwendige Folge. 

Wir wissen ferner, dass auch andere Schwermetalle ihren Lieb¬ 
lingsausscheidungsort im Dickdarm haben. Das ist zunächst bekannt 
für Quecksilber, das ja in mannigfacher Weise therapeutisch zur 
Anwendung kommt, ähnlich verhalten sich Silber, Blei. Wismut 
Aluminium. 

Wir erhalten also als weiteres Ergebnis die Tatsache, dass 
jede Zuführung von derartigen Metallen in unseren 
Körper die Darmwand mit Metallionen anreichert. 

Von Wichtigkeit erscheint der Hinweis, dass diese Anreicherung 
nicht nur die Epithelzelle ganz zu durchsetzen imstande ist, sondern 
auch die Submukosa und die die Darmwand zirkulierenden Leuko¬ 
zyten, so dass mit andern Worten die verschiedenen 
Schichten der Darmwand mit Metailionen ange¬ 
reichert sind. 

Es ist nun nach den Forschungsergebnissen der Physik der 
Röntgen- und Radiumstrahlen möglich, dass der wenn auch geringe 
Gehalt der Darmschicht an Metallen auf die dort befindlichen Zellen 
eine Sonderwirkung entfalten kann. 

Wir wissen, dass überall im Körper, wenn ihn eine Primär¬ 
strahlung trifft, eine sogen. Sekundärstrahlung entsteht. Alle, die 
weichen sowohl wie die harten Primärstrahlen, erzeugen eine Se¬ 
kundärstrahlung. Uns interessieren hier nur die von den Gamma¬ 
strahlen erzeugten, da sowohl die radioaktive Substanz, als die 
Röntgenröhre nur zur Erzeugung von Gamma- oder ähnlichen 
Strahlen bei der Tiefentherapie jetzt angewendet wird. 

Die Intensität 10 ) dieser von den Gammastrahlen ausgehenden 
Sekundärstrahlung ist proportional der absorbierten Primärstrahlung. 
Die Absorption wächst mit dem Atomgewicht des ausstrahlenden 
Körpers. Die Art der Sekundärstrahlung ähnelt der Betastrahlung 
des Radium ist also weich und hat einen hohen biologischen Effekt. 

Es ist also ohne weiteres klar, dass allein schon durch den Ge¬ 
halt der Darmwand an Metallionen eine die Zellen schädigende 
weiche Sekundärstrahlung ausgelöst werden kann, deren Stärke dem 
Gehalt der Darmwand an Metallionen proportional ist. 

Es genügt in diesem Zusammenhang ein kurzer Hinweis darauf, 
dass von der Erregung weicher Sekundärstrahlung durch in den 
Körper intravenös oder in das krankhafte Gewebe eingebrachte 
Metallsuspensionen häufiger schon zu therapeutischen Zwecken Ge¬ 
brauch gemacht worden ist. 

Neben dieser in der Darmwand selbst gelegenen Strahlungs¬ 
quelle kommt naturgemäss der Darminhalt selbst in Betracht. Wir 
resorbieren zunächst nicht alle aufgenommenen Mineralstoffe, be¬ 
sonders nicht Schwermetalle. Ein Teil durchwandert ungenutzt 
unseren Verdauungskanal und verlässt den Körper. Es befindet sich 
ferner die Darmwand in ständigem Kontakt mit dem mineralhaltigen 
Darminhalt 

Während die in der Darmwand befindlichen Metallionen zur Er¬ 
zeugung von Sekundärstrahlung in der ganzen Mukosa und Sub- 
mukosa und wohl auch noch in weiteren Schichten imstande sind, 
kann es der Darminhalt selbst nur in den oberflächlichsten Schichten. 

10 ) Meyer-Schweidler: Radioaktivität. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




105Ö 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


Barcla 11 ) berechnet sic bei anderer Gelegenheit auf Vioo mm. 
Sie würde also hier doch ziemlich tief in die Mukosa hineinreichen. 
Es geht hieraus hervor, dass die oberste Schicht des Darmes durch 
Summation der .Sekundärstrahlung der darin befindlichen Metallionen 
und des Darminhaltes einer besonders intensiven weichen Strahlung 
ausgesetzt ist. Die besondere Gestaltung der Darmschleimhaut, die 
mannigfachen Windungen und vor allen Dingen Faltenbildungen und 
Zotten bringen den Darminhalt in besonders reichliche Berührung 
mit dem Darm und setzen ihn auf diese Weise besonders leicht einer 
ausgedehnten Strahlungsmöglichkeit aus. 

Es soll nun gewiss nicht gesagt sein, dass die bisher ausgeführ¬ 
ten Momente unbedingt die Ursache einer Schädigung in Jedem Falle 
von Bestrahlung sein müssten, wenigstens von Schäden, die ohne 
weiteres erkennbar sind. Immerhin ist die Möglichkeit nicht 
von der Hand zu weisen, dass sie eine Disposition zur Schädigung 
der Darmschleimhaut und der Darmwand selbst schaffen können, be¬ 
sonders im Zusammenwirken mit anderen zur Schädigung disponieren¬ 
den Verhältnissen in Magen und Darmkanal, z. B. starke Blutfüllung. 
Nach kurzen Bestrahlungen pflegen auch Darmschäden nicht ein¬ 
zutreten. 

Es wäre aber der Mühe wert, wenn bei den enorm hohen Dosen, 
die jetzt gegeben werden, einmal eine besondere Sorgfalt den da¬ 
durch geschaffenen Verhältnissen im Verdauungskanal geschenkt 
würde. Besonders wäre nach den ausgeführten Erscheinungen von 
seiten des Dickdarms bei extragenitalen Bestrahlungen auch das 
Duodenum zu berücksichtigen. 

Noch ein kurzes Wort sei über die Rektumschädigung bei Ra¬ 
dium- und Mesothoriumtherapie gesagt. Hier können ebenfalls die 
beiden ebenerwähnten Faktoren, erstens die Ausscheidung der Me¬ 
talle durch die Darmwand und zweitens die Kotsäule selbst eine 
Rolle spielen. Im Dickdarm und besonders im Rektum findet ja 
eine Eindickung statt, die den prozentuellen Gehalt des Kotes an 
Mineralbestandteilen erhöhen muss. 

Es ist klar, dass besonders die hohe Dosierung auch kom¬ 
binierter Radium- und Röntgentherapie und sog. Kreuzfeueranwen¬ 
dung eine Gefahr der Rektumschädigung im angedeuteten Sinne in 
sich schliesst. 

Das praktische Ergebnis der Betrachtungen wäre zu¬ 
nächst, vor therapeutischen Bestrahlungen den Magendarmkanal mög¬ 
lichst vom Inhalt freizumachen. Man führe deshalb vorher gründlich 
ab und sorge, wenn man Radium in die Scheide einlegen will, durch 
einen Einlauf für die Entleerung des Rektums. 

Die geeignetste Zeit zur Durchführung einer intensiven Bestrah¬ 
lung wäre nach allem der Vormittag nach Genuss eines einfachen 
Frühstückes und nach Darmentleerung. 

Alle Anreicherungen des Körpers mit Metallionen, z. B. die An¬ 
wendung einer Eisenmedikation zur Bekämpfung einer ev. bestehen¬ 
den Anämie müssen bei Bestrahlungskuren am besten unterbleiben. 
Vor der Anwendung allzugrosser Dosen hintereinander ist zu 
warnen und auf den E r h o 1 un g s f a k t o r, d. h. die Erholungszeit 
zwischen den einzelnen Bestrahlungen muss grosser Wert gelegt 
werden. 

Es ist leider noch nicht möglich gewesen, die Frage eingehend 
experimentell zu prüfen. An der Entstehung von Sekundärstrahlung, 
sowohl durch die in der Darmwand und in dem Epithel befindlichen 
Metallteilchen und auch der Kotsäule ist nicht zu zweifeln. Es han¬ 
delt sich nur um die Frage, unter welchen Bedingungen eine Schädi¬ 
gung erfolgen kann und wie gross dieselbe bei den einzelnen Bstrah- 
lungsdosen ist. Nach dieser vorläufigen Mitteilung soll, wenn ge¬ 
nügend Zeit zur Verfügung steht, die Frage experimentell in Angriff 
genommen werden. 


Aus der Univ.-Frauenklinik Erlangen. (Qeheimrat Seitz.) 

Eine Zentrierungsvorrichtung für Karzinombestrahlung 
der Gebärmutter. 

Von H. Wintz. 

In der Veröffentlichung von Seitz und Wintz 1 ) über die 
Grundsätze der Röntgenbestrahlung des Karzinoms wird als einer 
der wichtigsten Punkte die exakte Zentrierung auf den Krankheits¬ 
herd bezeichnet. Nur durch sie ist es möglich, die notwendige Dosis 
für Vernichtung des Karzinoms in der Höhe von 110 Proz. der Haut¬ 
einheitsdosis zusammenzubringen. 

Durch unser Stativ mit dem Kompressionstubus lässt sich die 
Austrittsstelle der Röntgenstrahlen zwangsläufig in gewünschter 
Richtung leiten. Auch ist die Grösse des Tubus derartig berechnet, 
dass der Tiefenwert in Körpermitte die günstigste Grösse aufweist. 
Es spielt nämlich bekanntlich die Grösse des Einfallskegels infolge 
mehr oder weniger stattfindender Erzeugung von Streustrahlen für 
die Grösse der Tiefendosis eine wichtige Rolle. So gelingt es durch 
eine entsprechende Zentrierung nicht nur die verlangten 110 Proz. 
der Hauteinheitsdosis an Stelle der Portio z. B. zu erreichen, sondern 
es hat auch die Gegend der Summation eine höchst erreichbare 
Grösse. 


“) Barcla: Strahlentherapie 4. 570. 
D M.m.W. 1918 Nr. 4. 

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Für die gynäkologischen Bestrahlungen kommen am häufigsten 
die Uteruskarzinome in Betracht und an ihnen ist auch die Methodik 
der Erlanger Frauenklinik schon jahrelang erprobt. Der zentral ge¬ 
legene Uterus ist durch Einfallskegel von verschiedenen Seiten leicht 
zu treffen. Das mag wohl auch der Grund sein, warum die Gynäko¬ 
logen die ersten Erfolge in der Röntgen-Tiefentherapie des Uterus¬ 
karzinoms erzielt haben. Es lässt sich schliesslich auch mit einer nicht 
ganz leistungsfähigen Apparatur bei entsprechend exakter Einstellung 
eine Tiefendosis durch Addition erreichen, die recht nahe an unsere 
Karzinomdosis herankommt. Zunächst scheint die Einstellung, zentriert 
auf die Portio, ziemlich leicht. Wer aber genügend Erfahrung hat, 
der muss zugeben, dass es selbst für den Arzt, der mit den anatomi¬ 
schen Verhältnissen vertraut ist, gar nicht so einfach ist, sicher 
von jedem Einfallsfeld aus die Portio bzw. den Uterus zu treffen. 
Daher auch die Erklärung, warum merkwürdige Versager bei schein¬ 
bar gleichmässig bestrahlten Fällen immer wieder Vorkommen und 
darin haben wir auch den Grund für überraschende Nichterfolge trotz 
unserer guten Methodik gefunden. 

Wie viel leichter können dann Fehler durch eine Röntgen¬ 
schwester Vorkommen, die doch in sehr vielen Betrieben allein die 
Einstellung vornimmt. Was von einer richtigen Zentrierung abhängt, 
das wurde in dem vorhin zitierten Artikel von Seitz und Wintz 
auseinandergesetzt. E i n schlecht eingestelltes Seitenfeld vermindert 
die Dosis an der Portio bereits um 20—25 Proz. und. was noch 
schlimmer ist, es setzt eine an der Beckenschaufel gelegene Drüse 
unter eine Strahlendosis, die nur im Sinne einer Reizdosis wirken 
kann. Kommt es somit auf die Einstellung ausschlaggebend für den 
Erfolg an, dann musste eine Einstellungsvorrichtung zweckmässig sein, 
die der Röntgenschwester schematisch erlaubt, die Einstellungen 
richtig zentriert vorzunehmen. Dafür haben wir dann folgende An¬ 
ordnung getroffen, die nachfolgende Zeichnung wiedergibt. 


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Eine 2 m lange Röhre aus dunklem Glase ist an der einen Seite 
blind geschlossen. In dieser Kuppe befindet sich ein kleiner Leucht¬ 
schirm, beschickt mit einer Masse, die auch im harten Röntgenlicht 
ganz besonders hell aufleuchtet. Dieser Leuchtschirm steht zur 
Längsachse der Röhre schräg und ist unterlegt mit Blei, dessen Seiten 
mit entsprechend hohen Kanten versehen sind. Die Leuchtmasse 
wird also in ihrer ganzen Fläche fluoreszieren, sobald sie in gerader 
Richtung von Röntgenstrahlen getroffen wird. Seitlich oder von 
unten einfallendes Röntgenlicht wird vom Blei abgefangen; diese 
Röhre wird nun in die Scheide eingelegt und an die Portio angedrückt. 
Das gerade einfallende Feld ist sehr leicht einzustellen, dazu bedarf 
es auch dieses Instrumentes nicht. Das seitliche Feld jedoch verlangt 
eine starke Röhrenneigung, damit die Mitte des Strahlenkegels den 
ein wenig zur Seite gedrehten Leuchtschirm voll trifft. Durch geringe 
Drehung des Kompressionstubus kann man die Feldgrösse mittels der 
Zentrierungsröhre bestimmen, so dass eine richtige Einteilung in der 
Mitte des Strahlenkegels ohne weiteres möglich ist. Für die von 
hinten verabfolgten Seitenfelder ist die Zentrierungsröhre ebenso 
wichtig. 

Die Bleiumwallung der Leuchtfläche ist notwendig, damit nicht 
die Streustrahlung aus dem Gewebe ein Aufleuchten des Schirmes 
bewirkt und dadurch eine richtige Einstellung vorgetäuscht wird. 
Der gerade Einfall der Röntgenstrahlen kann auch nach der Hellig¬ 
keit und dem Randschatten der Bleiumwallung festgestellt werden. 

Mancher Leser hält das kleine Instrument vielleicht für über¬ 
flüssig. Wir haben uns jedoch oft genug zum eignen Erstaunen 
überzeugt, dass die Seitenneigung der Röntgenröhre bei einem Seiten¬ 
feld, das nach dem Augenmass von geübter Hand eingestellt worden 
war, nach Kontrolle mit der Zentrierungsröhre einer Korrektur be¬ 
nötigte. Wir lassen in der Universitäts-Fauenklinik Portio-, Uterus- 
und Scheidenkarzinome nur mit Hilfe der Zentrierungsröhre be¬ 
strahlen. 


Aus der Univers.-Frauenklinik Erlangen (Qeheimrat Seitz.) 

Neue Hilfsmittel zur Röntgen-Tiefentherapie. 

Von H. Wintz und L. Baumeister, 
a) Der Härtemesser. 

In der Röntgentiefentherapie spielt bis heute noch die Härte 
der Strahlung die wesentlichste Rolle. Unser Bestreben ist, eine 
möglichst durchdringungsfähige Strahlung zu erzielen. Die klinischen 
Erfahrungen haben eben doch gelehrt dass die Tiefenwirkung der 
Strahlen den wichtigsten Anteil am Erfolg hat. Wenn auch der Ge¬ 
danke nahe liegt, dass es für die Härte ein gewisses Opt imum geben 

Original from 

UN [VERSITZ OF CALIFORNIA 


17. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1051 


muss, so scheint doch in der Tat diese Grenze noch nicht erreicht, 
sicher jedoch noch nicht überschritten zu sein. Aus diesem Grunde 
hat auch die Feststellung der Härte für den praktischen Betrieb 
im Röntgenzimmer seine Bedeutung noch nicht verloren. 

Einwandfrei kann die Härte der Röntgenstrahlen eigentlich nur 
bestimmt werden mit Hilfe der Wellenlängen. Diese Untersuchung 
hat fast nur physikalische Bedeutung, ausserdem setzt sie ein homo¬ 
genes Röntgenlicht voraus oder wenigstens Strahlen, deren Wellen¬ 
längen möglichst nahe beieinander liegen. Was man aber gewöhnlich 
miteinander vergleichen will, ist Röntgenlicht von grösster Homo¬ 
genität einerseits undi weicheres oder wenig gefiltertes andererseits. 
Gerade die zurzeit gebräuchlichen Filtermethoden (Aluminium, Zink 
oder Kupfer) bringen eine grosse Verschiedenheit in dem zur thera¬ 
peutischen Anwendung gelangenden Strahlengemisch mit sich. Wäre 
die Filtrierung auf Homogenität, wie sie z. B. das 0,5 mm-Zinkfilter 
mit sich bringt, allgemein durchgeführt, so könnte man die Härte als 
eine Funktion der angelegten Spannung ausdrücken. Es haben näm¬ 
lich die neueren Untersuchungen des einen von uns im Verein mit 
1 1 e n und gleichzeitig die englischen Untersuchungen von Ruther¬ 
ford, R i c h a r d s o n und Barnes gezeigt, dass sich von einer ge¬ 
wissen Spannungshöhe an, die ungefähr bei 140 000 Volt liegt, die 
Qualität des Strahlengemisches bis zu einer Spannungshöhe von 
ca. 180 000 Volt nicht mehr ändert; die Steigerung der Spannung von 
140 auf 180 Kilovolt hat vielmehr nur eine Vermehrung des bei 
140 Kilovolt bereits vorhandenen härtesten Anteiles im Strahlen¬ 
gemisch zur Folge. Es wäre als Grösse der Härte für einen weiteren 
Untersucher die Aufgabe genügend, bei welcher äquivalenten Funken¬ 
strecke die auf Homogenität gefilterten Röntgenstrahlen thera¬ 
peutisch oder experimentell zur Anwendung kämen. Da ein solcher 
allgemeiner Modus noch fehlt und auch die homogene Filte¬ 
rung noch nicht allgemein durchgeführt wird, ist 
ein Instrument noch zweckmässig, das als Härtemesser zur Kontrolle 
im eigenen Röntgenzimmer und als Vergleich mit anderen Härte¬ 
angaben benutzt werden kann. 

Wenn wir hier von homogener Strahlung sprechen, so ver¬ 
stehen wir darunter die praktische Homogenität der Röntgen¬ 
strahlen, wie wir sie für unseren Betrieb fordern. Wir sind uns wohl 
bewusst, dass es sich hier keinesfalls um eine Homogenität hn Sinne 
exakt physikalischer Messung handelt,.da das Spektrum einer als 
homogen bezeichneten Strahlung noch viele Linien zeigt, also Strah¬ 
len verschiedener Wellenlängen enthält. Von der therapeutischen 
Anwendbarkeit einer wirklich homogenen Strahlung, die demnach nur 
aus Strahlen einer Wellenlänge besteht, sind wir noch weit entfernt. 

Die Definition der „praktischen Homogenität für 
Therapie“ wäre demnach folgendennassen zu geben: Wir ver¬ 
stehen darunter eine Strahlung, die durch eine Gewebsdicke von 
15 cm in ihrer Qualität nicht mehr verändert wird. 

_ Die bekannten Härtemesser nach Wehnelt, Benoist u. a. 
sind für Messungen hoher Härtegrade nicht mehr geeignet, ins¬ 
besondere kommt der Umstand in Betracht, dass der Vergleich ver¬ 
hältnismässig weicher Strahlen mit recht harten durch die elektive 
Absorption des Silberplättchens beim Wehnelthärtemesser falsche 
Resultate ergibt. Auch ist die Durchdringungsfähigkeit des Silbers 
und des Aluminiums für harte Strahlen eine unverhäitnismässig 
grössere als für weichere. Aus diesem Grunde kann eine Messung 
bei stark gefiltertem Röntgenlicht überhaupt nicht zuverlässig ab¬ 
gelesen werden. 

Wir haben zunächst für eigene Versuche einen Härtemesser uns 
hergestellt, der für die genannten Zwecke sich recht brauchbar erwies. 
Bei ihm ist das Vergleichsfeld durch die Presspapiermasse Pertinax 
gegeben, deren Durchlässigkeit in der dem Härtemesser gegebenen 
Dicke ungefähr 1 cm Wasser entspricht. Zum Vergleich wird eine 
Aluminiumtreppe herangezogen. Aluminium absorbiert bekanntlich 
die verschiedenen Qualitäten des weichen und des harten Röntgen¬ 
lichtes nicht gleichmässig. Wir lesen in früheren Publikationen von 
Perthes, Holzknecht u. a., dass 1 mm Aluminium = 1 cm 
Wasser bzw. Weich teilschicht entspräche. Das ist jedoch nur bis zu 
einer bestimmten Strahlenhärte der Fall. In dem bei der Tiefen¬ 
therapie üblichen Röntgenlicht ist dieser Härtegrad schon längst über¬ 
schritten; es absorbiert das Aluminium viel weniger. Bei härtestem 
Röntgenlicht der heute von uns angewendeten homogenen Strahlen, 
erzeugt bei der Spannung 170—180 Kilovolt, ausserdem noch filtriert 
durch 0,5 mm Zink, absorbiert das Aluminium nur noch entsprechend 
seinem Dichtigkeitswert, der 2,7 beträgt. Wir müssen also heute 
1 cm destillierte Wasserschicht einem Aluminiumblech von 2,7 mm 
gleichsetzen. Mit Rücksicht auf dieses Ergebnis besitzt der Härte¬ 
messer 4 Stufen, die erste von 1 mm Dicke, die zweite von J,5 mm, 
die dritte von 2 mm und die vierte von 2,7 mm Dicke (Zeichnung 1). 

Eine homogene Strahlung ist also dann vorhanden, wenn der 
Koritrollstreifen Pertinax in gleicher Weise von Röntgenstrahlen 
durchdrungen ist wie die Aluminiumdicke 2,7 mm. Die weiteren Ab¬ 
stufungen sind natürlich nicht mehr sichtbar, da die scharfen Gren¬ 
zen durch die durchgehenden Röntgenstrahlen verwischt werden. 
Anders ist dies, wenn man ein komplexes Röntgenstrahlenbündel zur 
Anwendung bringt. Dann zeigt der untergelegte Fluoreszenzschirm 
oder noch deutlicher die photographische Platte eine scharfe Ab¬ 
stufung des Feldes 2,7 mm und auch des Feldes 2 mm, die beide dunk- 

Nr ‘ ^igitized by GOOölC 


ler auf dem Fluoreszenzschirm bzw. heller auf der Platte erscheinen 
als der von den Röntgenstrahlen leicht durchsetzte Pertinaxstreifen. 



Zeichnung I. 

So hat z. B. bei hartem Röntgenlicht die Aluminiumstufe 1,5 mm 
gleiche Helligkeit wie das Pertinaxfeld, die 1-mm-Aluminiumstufe 
dagegen ist heller, die beiden anderen dunkler. Schaltet man jetzt 
ein 5-mm-Aluminiumfilter in den Strahlengang, dann ist die 2-mm- 
Aluminiumstufe in der Helligkeit mit dem Vergleichsfeld gleich. Nur 
bei härtester Strahlung, die man erreicht, wenn man bei mindestens 
33 cm paralleler Funkenstrecke = 150 000 Volt und einer Unter¬ 
brechungszahl von 2400 pro Minute arbeitet, ausserdem noch ein 
0,5 mm Zinkfilter einschaltet, ist auch das vierte Feld, die 2,7 mm 
dicke Stufe dem Pertinaxfeld gleich getönt. Den Hauptwert bei der 
Verwendung des neuen Härtemessers legen wir eigentlich nur auf die 
Feststellung des Vorhandenseins homogener Strahlung. Es kann 
sich jeder Untersucher rasch überzeugen, ob seine Strahlung homo¬ 
gen ist. Die anderen- Abstufungen sollen nur die Möglichkeit der 
Feststellung darlegen, wie die Härte einer Röntgenstrahlung stufen¬ 
weise zunimmt. 

b) Hochspannungsleitung am Bestrahlungstisch. 

Eine Reihe Veröffentlichungen des letzten Jahres haben betont, 
wie wichtig es ist, der Verschlechterung der Luft im Röntgenzimmer 
und den dadurch bedingten Schädlichkeiten besondere Aufmerksam¬ 
keit zuzuwenden. Bekannt ist die Entstehung des Ozons in bestimm¬ 
ter organischer Verbindung und nitroser Gase an offenen Funken¬ 
strecken. Sie ist an unserer Apparatur — dem Symmetrieinduk- 
torium — durch spezielle Konstruktion der Gasfunkenstrecke ver¬ 
mieden. An den anderen Apparaten der Frauenklinik, die offene Fun¬ 
kenstrecken -besitzen — Intensiv-Reform der Veifa, Therapie- 
Apparat Siemens & Halske — haben wir uns so ge¬ 
holfen, dass wir Apparateraum und Bestrahlungsraum völlig 
voneinander trennten und die Hochspannung durch luftdicht abge¬ 
schlossene Durchführungen, bestehend aus Glasplatten mit Pertinax- 
seheiben und Porzellanisolierungen führten. Bei den hohen Span¬ 
nungen, die die moderne Tiefentherapie verlangt, kommt in fast eben¬ 
so grossem Masse, wie die offenen Funkenstrecken für die Ent¬ 
stehung giftiger Gase, die ausstrahlende Hochspannungsleitung mit 
ihren dunklen Entladungen in Betracht. Nun können diese weitgehend 
verringert werden, wenn an Stelle der bisher üblichen oft dünnen 
Drähte polierte Rohre benutzt werden. Aber auch sie müssen auf di-e 
geringmöglichste Länge beschränkt werden, was bei der bisherigen 
Anordnung nicht immer möglich war. 

Wir haben nun neuerdings die Hochspannung derartig angeordnet, 
dass jeder Bestrahlungstisch an seinen Ecken 4 Masten aus Holz trägt, 
auf die ein Pertinaxrohr angesetzt ist, das in einen Porzellanisolator 
endet. An diesem befestigt ist ein 10 mm starkes poliertes < Rohr, 
so lange wie der Tisch, an einem Ende mit dem entsprechenden Pol 
des Induktors verbunden. Die nachfolgende Photographie zeigt diese 
Anordnung (Zeichnung 2). 

Gleichzeitig erreichen wir damit, dass die Hochspannungs¬ 
leitungen sehr kurz werden und deshalb, wie auch durch die Dicke 
der Röhren, die Ausstrahlungen selbst bei hohen Spannungen auf ein 
Minimum herabgedrückt werden. Einen mindestens ebenso wichtigen 
Vorteil aber haben wir# mit dieser neuen Art der Hochspannungs¬ 
vorrichtung durch die Vermeidung der Spannschnüre. Bei der üb¬ 
lichen Art der Kabelspannung durch nichtleitende Schnüre wird das 
Kabel an einer Drahtseilführung oder auch direkt an der Wand ge¬ 
halten. Nun tritt aber infolge des hohen Spannungspotentials der 
Hochspannungsleitungen eine starke Verrussung ein, die sich nicht 
nur an den Hochspannungsleitungen, sondern auch an der ganzen 
nächsten Umgebung besonders geltend macht. Nach relativ kurzer 
Zeit werden die Spannschnüre trotz öfterer peinlichster Säuberung 

3 

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M-UENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


mit Russ dick überzogen und verlieren dadurch ihren Isolationswert. 
Dann wird ein Teil der Spannung zur Erde abgeleitet. Er geht aber 
nicht bloss nutzlos verloren, sondern es wird dadurch die Isolation 
des Induktors zwischen Primär- und Sekundärspule übermässig be- 



Zeichnung 2. 

ansprucht. Es kann aber auch der Fall sein, dass durch Verrussen 
der isolierten Spannschnüre mehrere nebeneinander stehende Apparate 
sich beeinflussen und dadurch ganz unerklärliche Störungen in der 
Apparatur auftreten. 


wird dann noch ein grosser Widerstand W eingeschaltet. Ist die 
Röhre im Betrieb, so werden die Aufladungen von der Erdelektrode 
aufgenommen, es geht dann ein kleiner Funke ständig vom Palladium¬ 
röhrchen nach dem Gashahn über. Strömt Gas aus, so wird sofor 1 
eine Flamme entzündet. (Zeichnung 3.) 

Auch an solchen Röhren, die nicht den Vorteil der Erdkathode auf¬ 
weisen, kann die elektrische Zündung der Regenerierflamme in Be¬ 
trieb gesetzt werden. Für diesen Fall haben wir die Anordnung so 
gewählt, dass das Palladiumröhrchen (P) mit der Hilfsanode (A) 
leitend verbunden wird, der Gasbrenner dagegen mit der Anti¬ 
kathode (AK). Diese Anordnung gibt Zeichnung Nr. 4 wieder. 



Nun findet dauernd ein Funkenübergang zwischen Gasbrenner 
und Osmoröhrchen statt. Das ausströmende Gas wird entzündet, der 
Anschluss der Röhre muss dann an die Antikathode als Anode er¬ 
folgen. 

Man kann auch das Palladiumröhrchen an den Glashals der 
Hilfsanode anbringen, wie dies Zeichnung Nr. 5 zeigt. 


c) Die elektrisch gezündete Gasflamme am Regenerierhahn. 

Für den Betrieb des Regenerierautomaten hat sich im Laufe der 
letzten Jahre an manchen Orten eine grosse Unannehmlichkeit heraus¬ 
gestellt: die schlechte Beschaffenheit des Leuchtgases und der wech¬ 
selnde Druck. Wir waren infolgedessen bestrebt, diesem Uebelstand 
abzuhelfen. Es lag zunächst nahe, Blaugasbomben zu verwenden, 
um sich auf diese Weise unabhängig von dem jeweils vorhandenen 
städtischen Gase zu machen. Hier war aber wieder die Beschaffung 
exakter Reduzierventile sehr schwer. Auch hat das Blaugas Neigung, 
rasch das Palladiumröhrchen zu verrussen. Die weiteren Versuche 
erstreckten sich dann auf direkte Erhitzung des Palladiumröhrchens 
durch elektrischen Strom, um dadurch auf die Gasflamme ganz ver¬ 
zichten zu können. Mit Hilfe der Röhrenerdung D war die Zuführung 
niedrig gespannten Stromes sehr leicht möglich. Hier stellen sich 
aber Schwierigkeiten in den Weg. da der Wasserstoffgehalt des 
Palladiumröhrchens bald verbraucht ist. 



Eine Lösung des Problems brachte dann folgende Anordnung 
mit sich. Man konnte sich leicht überzeugen, dass von der Erdkathode 
aus ein mehrere Zentimeter luftraumüberbrückender Funke abgezogen 
werden kann. Diesen Funken benützen wir zur Zündung der Re- 
generierflammc. Es wird also, wie dies nachstehende Zeichnung 
veranschaulicht, von der Erdelektrode E ein Draht nach dem Palladium¬ 
röhrchen P geführt. Die Fortsetzung der Erdleitung geschieht dann 
erst vom Gashahn der Regenerierflamme R aus. In die Erdleitung 


*) cf. Wintz: M.m.W. 1916 Nr. 49. 

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Jetzt wird wiederum die Antikathode mit dem Gasbrenner und 
die Hilfsanode mit dem Palladiumröhrchen verbunden. 

Unter Benützung dieser letztgenannten Anordnung stellt die 
Firma Müller, Hamburg die selbsthärtende Siederöhre (SHS-Röhre) 
mit der elektrischen Zündung her. An diesem Modell ist der Brenner 
fest an den Hals der Antikathode angebracht, so dass ein für allemal 
eine konstante Funkenlänge gewährleistet ist. Auch wird die Draht¬ 
führung von der Hilfsanode zu dem das Palladiumröhrchen schützen¬ 
den Drahtkorb geleitet. Damit ist auch die Möglichkeit ausgeschlossen, 
dass durch dauernden Funkenübeigang das Regenerierröhrchen be¬ 
schädigt werden kann. 

Die einfache Anordnung bringt nun eine ganze Reihe Vorteile 
mit sich. Mit dem Ausschalten des elektrischen Stromes wird gleich¬ 
zeitig die Gasflamme ausgeschaltet, es kann also die Röhre nicht mehr 

Original fmm 

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17. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1053 


nachträglich durch unzweckmässige Regenerierung beschädigt 
werden, wenn z. B. die Röntgenschwester vergisst, vor Ausschaltung 
des Arbeitsstromes den Schwachstrom des elektrischen Gashahnes 
vom Regenerierautomaten auszuschalten. Der elektrische Gashahn 
selbst aber kann von nun an ganz einfach konstruiert werden, da 
kein Umweg für eine kleine Flamme mehr nötig ist. Der Gashahn 
wird also nur so funktionieren; dass er die Gasleitung vollständig 
öffnet und vollständig schliesst. Dadurch sind wir aber unabhängig 
vom Gasdruck, da es nunmehr keine Rolle spielt, ob die Regenerier- 
ilamme etwas grösser oder kleiner brennt. Der Betrieb mit dem 
Regenerierautomaten ist dadurch ein wesentlich einfacherer ge¬ 
worden, da nunmehr die häufigsten der beobachteten Störungen, die 
iast immer am Gashahn (Beschmutzung des Umwegs) oder am Gas¬ 
druck lagen, beseitigt sind. Auch kann der schwächste Gasdruck 
Verwendung finden, da der Regenerierbrenner infolge Fortfalls der 
Zündflamme ganz nahe an das Palladiumröhrchen herangebracht 
werden darf. An der neuen Vorrichtung ist nunmehr einem Umstand 
Beachtung zu schenken, nämlich der geeigneten Entfernung zwischen 
Palladiumröhrchen und Regenerierbrenner. Das ist aber nur eine 
Kleinigkeit, die bei der Anlage dem Bedienungspersonal einmal ge¬ 
zeigt werden muss. 

lieber quantitative Zuckerbestimmung nebst Beschreibung 
eines neuen Harnzuckerapparates. 

Von H. Citron, Berlin. 

Zur quantitativen Bestimmung des Harnzuckers stehen bekannt¬ 
lich eine Reihe von Verfahren zur Verfügung, die teils auf optischem, 
teils auf biologischem, teils auf chemischem Prinzip beruhen. Das 
polarimetrische Verfahren ist die Methode der Wahl lür Laboratorien, 
in denen zahlreiche Untersuchungen gemacht werden. Für den Prak¬ 
tiker, der gelegentlich Harnzuckerbestimmungen vornimmt, 
dürfte sich der Anschaffungspreis, der sich heute auf mindestens 250 M. 
beläuft, schlecht amortisieren lassen. Auch abgesehen vom Geld¬ 
punkte haften dem sonst vortrefflichen polarimetrischen Verfahren 
gewisse Schönheitsfehler an: Erfordernis von Klärung, Enteiweissung, 
sowie einer nicht allzu geringen Harnmenge. Frisohe Harne lassen 
sich gut klären durch Versetzen mit Bkiazetat u-nd Natriumsulfat in 
Substanz 1 )- Harne dagegen, die nicht ganz frisch sind, lassen sich 
nur schwierig klären. Am besten hat sich mir folgende Methode be¬ 
währt: Einige Kubikzentimeter Harn werden im Reagenzglas mit 
ca. je einem Teelöffel Kieselguhr und guter Tierkohle geschüttelt, auf 
ein trockenes Filter gebracht, nach dem Abtropfen 30 ccm Harn auf 
das Filter gegossen. Die Filtration muss event. mehrmals wiederholt 
werden und bringt gewisse Verluste an Harnzucker mit sich. Eiweiss- 
haltiger Harn muss vom Eiweiss befreit werden, am einfachsten durch 
Versetzen mit einigen Kubikzentimeter Karbolbleilösung. (Reine 
Karbolsäure mit pulverisiertem Bleiazetat gesättigt.) Die Verdünnung 
muss beim Endresultat in Rechnung gestellt werden. Was schliesslich 
die erforderliche Harirmenge betrifft, so wird man unter 30 ccm nicht 
heruntergehen können, was nicht allzuviel, aber unter Umständen 
nicht vorhanden ist. Ein von mir vor einer Reihe von Jahren an¬ 
gegebener Apparat zur Zuckerbestimmung [Gärsaccharoskop a )J, tür 
den ich in technischer Hinsicht nach wie vor vollkommen einst-ehe, 
leidet an dem Erfordernis einer allzu grossen Harnmenge, das ich 
seinerzeit unterschätzt habe. Je weniger Harn erforderlich, um so 
besser. Das L o h n s t e i n sehe Gärungssaccharometer, das nur 
Vi ccm braucht, verdankt seine Beliebtheit sicher zum Teil diesem 
Umstand. — Ich selbst habe jpit dem L o h n s t e i n sehen Apparat 
weniger gearbeitet. Fachleute beanstanden bei aller Anerkennung 
des geistreichen Prinzips die Zerbrechlichkeit und Schwierigkeit der 
Reparatur. Weniger zerbrechlich scheint die auch von Hoppe- 
Sey 1 er und Thierf elder erwähnte Modifikation nach Wagner 
zu sein, doch ist bei allen Gärungsapparaten die 
Schwierigkeit der HefebeSchaffung und die min¬ 
destens östündige Dauer der Analyse zu berück¬ 
sichtigen. 

Die chemischen Methoden haben sich in der Praxis nicht ein¬ 
gebürgert. Die Fehling sehe Methodd ist in einwandfreier Form 
angestellt eines der schwierigsten analytischen Verfahren, daher für 
die Praxis vollkommen ungeeignet. In approximativer Form an¬ 
gewendet, wie es auoh noch hie und da geschieht, gibt sie ganz 
unbrauchbare Werte. Einen bedeutenden Fortschritt bezeichnet die 
jodometrisebe Zuckerbestimmung nach Lehmann. Sie gibt zumal 
in der Modifikation von Mayenne und der von mir angegebenen 
Apparatur durchaus scharfe, einwandfreie Resultate 3 ), stellt aber 
immerhin gewisse Anforderungen an Zeit und technisches Können, 
die oft seitens des beschäftigten Praktikers nicht zu erfüllen sind 
und erfordert 6 verschiedene Reagentien. Ich übergehe verschiedene 
reine Laboratoriumsmethoden (Allihn, Pacy u. a.) und komme zu 
einem Verfahren, das sich in der Wissenschaft insbesondere zur 
quantitativen Bestimmung des Zuckers im Blut und anderen serösen 
Flüssigkeiten längst eingebürgert hat, in der Praxis aber kaum ver¬ 
wendet wird, dem Verfahren von Ivar Bang. Er verwendet zwei 

*) Citron: D. Med.Ztg. 1903 Nr. 33 

a ) Citron: D.m.W. 1905 Nr. 44. 

3 ) Citron: D.m.W. 1904 Nr. 44. 


Lösungen (Bang I und Bang II). Die erste enthält neben Kupfer¬ 
sulfat und kohlensaurem Kali eine gewisse Menge Rhodankalium, bei 
der Reduktion wird das gebildete Kupferoxydul in farbloses Kupfer- 
rhodanür übergeführt, so dass die Flüssigkeit klar bleibt. Das durch 
den Zucker nicht zersetzte Kupfersulfat wird durch Bang II bestimmt, 
von welcher 1 ccm je 1 ccm Bang I entfärbt. Aus dem Verbrauche 
an Bang II wird die Menge reduzierten Kupfersulfats und aus diesem 
der Zuckergehalt berechnet. 

Schon nach den ersten Versuchen, die ich nach B a n g s Methode 
anstellte, war mir klar, dass sie sich ausgezeichnet für den Praktiker 
eignen würde, wenn man sie durch geeignete Apparatur dessen Be¬ 
dürfnissen anpassen und umgestalten würde. 

Der von mir konstruierte Apparat besteht aus einem 250 ccm 
fassenden Erlenmeyerkolben a mit kleinem Luftloch e im oberen Drittel, 
in den eine ca. 60 ccm fassende Bürette b luftdicht ein¬ 
geschliffen ist. Die Bürette läuft unten in eine Spitze 
ohne Hahn aus und ist oben mit einem eingesohliffeiren 
Stopfen c verschlossen. Im Stopfen und im Bürettenhalse 
befindet sich je eine kommunizierende Oeffnung d. Die 
Bürette besitzt zwei Teilungen, eine von 0—4,86 Proz., 
eine zweite von 4,86—9,6 Proz., die erste auf Vio, die 
zweite auf Vs Proz. Zucker genau. Beigegeben zum 
Apparat ist eine Messpipette bis 2 ccm, eine Voll¬ 
pipette zu 60 ccm, ein Kolbenhalter und eine 3 Minuten¬ 
sanduhr. Erforderliche Lösungen: Bangsche Lösung! 
mit destilliertem Wasser von 1000 auf 1200 ccm ver¬ 
dünnt. Bang sehe Lösung II wie gewöhnlich. Gang 
der Analyse: 1 ccm Ham, der weder geklärt noch 
enteiweisst wird, und 60 ccm der wie oben verdünnten 
Bang I werden in den Kolben gemessen, auf dem 
Drahtnetz oder einfach im Kolbenhalter zum Kochen 
erhitzt, genau 3 Minuten im Sieden erhalten, sofort 
in kaltes Wasser gestellt. Nun wird die Bürette ge¬ 
füllt, der Stopfen mit abgekebrten Löchern aufgesetzt 
und durch vorsichtiges Drehen so viel Flüssigkeit ab- 
fliessen lassen, bis sie auf 4,86 Proz. genau einsteht. 

Jetzt setzt man die Bürette in den Kolben ein und 
lässt durch Drehen des Stopfens unter stetem Um¬ 
schwenken des Kolbens in erst grösseren, dann kleineren 
Portionen- so lange Flüssigkeit einfliessen, bis die blaue Lösung voll¬ 
kommen entfärbt ist. — Je mehr man sich diesem Punkte nähert, 
der sich durch Hellerwerden der Flüssigkeit schon vorher ankündigt, 
um so vorsichtiger ist der jedesmalige Zusatz zu bemessen. Der 
Stand der Flüssigkeiten ergibt den Zuckergehalt unmittelbar in Pro- 
zentem Von Urinen, die ganz unbekannt sind oder bei denen man 
mit einem Prozentgehalt von mehr als 4,86 Proz. rechnen muss, nimmt 
man nur 0,5 ccm und benutzt die Tabelle II der Bürette. Umgekehrt 
kann man bei Urinen, deren Zuckergehalt erfahrungsgemäss sicher 
nicht 2 Proz. übersteigt, 2 ccm Urin verarbeiten und das der Tabelle I 
zu entnehmende Resultat durch 2 dividieren. Man erzielt hierdurch 
die doppelte Genauigkeit 

Mittels des beschriebenen Apparates habe ich gegen hundert Ana¬ 
lysen unter Kontrolle des Polarisationapparates angestellt, die Ueber- 
einstimmung war im allgemeinen ausgezeichnet. Ein nicht unbeträcht¬ 
licher Teil der Zuckerhame entstammte dem reichen Material des 
Instituts für medizinische Diagnostik zu Berlin, Herrn Dr. Klop- 
stock bin ich für die Ueberlassung des Materials und die Kontroll- 
analysen zu aufrichtigem Danke verpflichtet. — Die Firma Richard 
Kallmeyer 6c Co. hat mich bei der Anfertigung des Modells in ver¬ 
ständnisvoller Weise unterstützt und bringt den Apparat unter dem 
Namen „Glukometer“ in den Handel. 

Zusammenfassung: Die Harnzuckerbestimmung mittels 
des Glukometers ist in 10 Minuten leicht und bequem ausführbar. Die 
beiden erforderlichen Reagentien sind zu mässigen Preisen leicht zu 
beschaffen und lange haltbar. Die Analyse erfordert nur 1 ccm Harn, 
der weder geklärt noch enteiweisst zu werden braucht. Die Resultate 
sind scharf und genau. 

-- 

Zum Prozess Henkel. 

Von Ernst Qiese, Professor für gerichtliche Medizin 
an der Universität Jena. 

Für das Oberverwaltungsgericht in Jena ist mit dem Freispruch 
des Angeklagten der „Fall Henkel“ abgetan, nicht aber für die 
deutsche Aerztewelt, die ein grosses und berechtigtes Interesse daran 
hat, in dieser Angelegenheit klarer zu sehen, als es ihr die Berichte 
der Tagespresse, die auoh in diesem Falle, wie so häufig, nur ein 
schiefes Bild der ganzen Angelegenheit gegeben haben, gestatten. 

In den folgenden Ausführungen soll versucht werden, den An¬ 
gehörigen des Aerztestandes die nötigen Unterlagen zur Bildung eines 
eigenen Urteiles zu verschaffen. Sie stützen sich auf die persönliche 
Teilnahme an der öffentlichen Gerichtsvcrnandlung, die Kenntnis der 
ergangenen Urteile erster und zweiter Instanz 1 ) mit Begründung, 
die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen und teilweise auch 
der sonstigen Akten. 

*) Bei diesem nur auf die veröffentlichte vorläufige Begründung. 



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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


Der Aufsatz hat vor der Veröffentlichung der Mehrzahl der Mit¬ 
glieder der medizinischen Fakultät Jena Vorgelegen und deren Zu¬ 
stimmung gefunden. 

Zur Orientierung sei eine kurze geschichtliche Entwicklung des 
Falles vorausgeschickt. Im Februar 1915 wurde gegen H. von dem 
beamteten Arzt Anzeige bei dem zuständigen Amtsgericht erstattet, 
weil binnen weniger Tage aus der Frauenklinik zwei Fälle von 
eitriger Rückenmarkshautentzündung im pathologischen Institut einge¬ 
liefert waren, die nach Lumbalanästhesie entstanden waren, Der 
pathologische Anatom hatte nach vorherigem Einvernehmen mit dem 
Dekan der Fakultät dem Bezirksarzt dienstlich hiervon Mitteilung ge¬ 
macht, nachdem er während seiner vom Juli 1911 an dauernden 
Tätigkeit in Jena die Erfahrung hatte machen müssen, dass das von 
der Frauenklinik gelieferte Sektionsmaterial im Gegensatz zu seiner 
bisherigen Erfahrung auffallend häufig postoperative Infektionen dar¬ 
bot. Die beiden Fälle von tödlicher Lumbalanästhesie infolge In¬ 
fektion hatten also gewissermassen nur das Fass zum Ueberlaufen 
gebracht. Die daraufhin eingeleitete Voruntersuchung wurde Juli 
1915 aufgehoben, da nach dem Gutachten des Herrn Geh. Med.-Rates 
Prof. Dr. Bier ein Verschulden des Prof. Henkel an der Infektion 
der Rückenmarkshäute nicht mit Sicherheit nachweisbar und die Vor¬ 
untersuchung. die allerdings Missstände in der Frauenklinik aufgedeckt 
habe, nur auf die erwähnten beiden Teile beschränkt worden sei. 

Darauf wurde vom Grossherzogi. Staatsministerium die Einleitung 
des Disziplinarstrafverfahrens verfügt und nach umfassender Vor¬ 
untersuchung an die Dienststrafkammer verwiesen. Diese kam in 
ihrer Sitzung vom 23.—30. Oktober 1917 zur Verurteilung des Ange¬ 
klagten zur Dienststrafversetzung, während die Berufungsinstanz, das 
Oberverwaltungsgerrcht zu Jena, in seiner Sitzung vom 17.—20. Juli 
1918 zum Freispruch gelangte. 

Ehe aui die materielle Seite des Prozesses eingegangen 
werden soll, ist es zweckmässig, zunächst einige formelle Be¬ 
sonderheiten des Verfahrens zu besprechen. 

Am meisten in die Augen springend ist die auffallend lange 
Dauer des ganzen Verfahrens. Vom Februar 1915 bis zum 
Juli 1918 hat es gedauert, bis der Fall zum Abschluss kam; man fragt 
sich unwillkürlich, sollte es nicht möglich gewesen sein, dass hier 
schneller gearbeitet werden konnte? Am meisten bedauerlich war 
dieser Umstand, gleichgültig wie das Ende lausfieJ, für den Be 
schuldigten selbst, der so lange Zeit der Ungewissheit über sein 
Schicksal ertragen musste. Abe r auch für das Verfahren selbst waren 
dadurch erhebliche Nachteile bedingt. Das Gedächtnis über Dinge, 
die in den Jahren 1910—1914 sich ereignet haben, war 1915 sicher 
ein besseres als im Jahre 1918; Erinnerungstäuschungen und Er¬ 
innerungsfälschungen laufen unter; unter dem Einflüsse der Kriegs¬ 
ereignisse werden andere Eindrücke verwischt, deren 'besondere 
Wichtigkeit sich erst im Laufe des Verfahrens herausstellte, alles 
Punkte, die ein schnelleres Arbeiten dringend wünschenswert er¬ 
scheinen Hessen. Dass sehr viel kompliziertere und umfangreichere 
Prozesse in wesentlich kürzerer Zeit zu Ende geführt werden können, 
lehrt die tägliche Gerichtserfahrung. 

Weiterhin ist die gewählte Artdes Verfahrens — Diszi- 
plinarstrafverfahren — als auffällig zu bezeichnen. Der ge¬ 
wöhnliche Modus procedendi bei Verfehlungen eines Beamten — ein 
solcher war H. in seiner Eigenschaft als Direktor der Frauenklinik — 
ist allgemein der, dass erst in einem gerichtlichen Strafver¬ 
fahren geprüft wird, ob Dinge vorliegen, die eine Ahndung er¬ 
fordern, und dann erst das Disziplinarverfahren Platz greift. 
Im Falle H. ist nur scheinbar nach diesem allgemein üblichen 
Brauch verfahren worden: wie oben angeführt, wurde die gericht¬ 
liche Voruntersuchung im Juli 1915 geschlossen und dann das Diszi¬ 
plinarverfahren eingeleitet, aber sie wurde nur geschlossen, weil sie 
eigentümlicherweise auf die beiden Fälle von fraglicher fahrlässiger 
Tötung durch eitrige Rückenmarkshautentzündung nach Lumbal¬ 
anästhesie beschränkt war. Schon während dieser Voruntersuchung 
waren eine ganze Anzahl Fälle von zweifelhafter Anzeigestellung bei 
Schwangerschaftsunterbrechung und Unfruchtbarmachung, von man¬ 
gelnder Schonung des kindlichen Lebens u. a. aktenkundig geworden, 
die dringend dazu aufforderten, auch sie einer strafrechtlichen 
Prüfung zu unterwerfen. Es ist nicht zu bezweifeln, dass damit 
der Sache wesentlich gedient gewesen wäre. 

Ein bemerkenswerter Unterschied in dem Verfahren 1. und 
2. Instanz besteht in der Zuziehung von medizinischen 
Sachverständigen. In der ersten Instanz wurden Gutachten 
beigezogen vom Gynäkologen (Hofmeier -Fehling, Winter), 
vom Psychiater (Binswanger), vom pathologischen Anatomen 
(R ö s s I e), vom Chirurgen (L e x e r) und vom gerichtlichen Medi¬ 
ziner (B e u m e r, Puppe). Sie alle erhielten Gelegenheit zur Aus¬ 
arbeitung schriftlicher Gutachten und wurden in der mündlichen Ver¬ 
handlung gehört. 

Wie anders in der Berufungsinstanz. Zur Vorbereitung der Ver¬ 
handlung wurde noch ein Gutachten eines Gynäkologen (B u m m) 
beigezogen; ziur mündlichen Verhandlung aber trotz wiederholter An¬ 
träge der Oberstaatsanwaltschaft kein einziger Sachverständiger, mit 
der Begründung, dass die Angelegenheit gutachtlich genügend geklärt 
sei. So konnte es kommen, dass Henkel als Angeklagter und ein¬ 
ziger Sachverständiger im Verhandlungssaale erschien. Das Fehlen 
eines Sachverständigen wird sicher nicht bloss ärztlicherseits als ein 
schwerer Mangel des Verfahrens angesehen werden müssen. 

Die Besonderheit des Falles bedingt es schliesslich, dass noch 

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mit einem Worte auf die Bedeutungder Krankengeschic h- 
t e n eingegangen werden muss, bildeten sie doch neben den Zeugen¬ 
aussagen die wichtigsten Unterlagen für die Beurteilung zahlreicher 
Einzelfälle. 

Jeder Arzt, der in seinem Leben als Assistent Krankengeschichten 
selbst geschrieben hat oder selbst in leitender Stellung solche zu 
überwachen hatte, weiss, dass diese schriftstellerischen Leistungen je 
nach Zeit, Neigung aind Gewissenhaftigkeit sehr verschieden aus- 
fallen können, aber immerhin wird man voraussetzen dürfen, dass 
die Krankenblätter klinischer Universitätsinstitute schon mit Rück¬ 
sicht auf den Unterricht gewissen Mindestforderungen genügen 
müssen. Henkel hat offen zugegeben, das die Krankenblätter seiner 
Klinik sehr mangelhaft waren; er entwickelte aber in der Verhand¬ 
lung sehr merkwürdige Ansichten über die Anforderungen, die an ein 
Krankenblatt zu stellen sind: Auf Anamnese und Niederschrift der 
Indikationsstellung legte er keinen Wert, sondern verlangte nur An¬ 
gabe der Behandlungsart und Tag der Entlassung. Bei solchen An¬ 
schauungen ist es allerdings kein Wunder, wenn die Krankenblätter, 
die nach Ansicht der Verteidigung nur Stützen des Gedächtnisses 
sein sollen, in den gerichtlich wichtigsten Punkten versagen, und 
man kann Bumm in der Würdigung dieser Schwierigkeiten nur bei¬ 
stimmen. Als besonders empfindlicher Mangel erweist sich dieses 
Verfahren in den Fällen von Schwangerschaftsunterbrechung. Gerade 
wegen der strafrechtlichen Bedeutung dieser Operation muss 
verlangt werden, dass hier die Indikation ausführlich an der Hand 
des objektiven Befundes begründet und im Krankenblatt niedergelegt 
werden muss. Fritsch 2 ) gibt ausdrücklich den Rat, mit noch zwei 
Kollegen zu konsultieren und das Resultat der Beratung protokollarisch 
niederzulegen. Henkel hat während der in Rede stehenden Zeit von 
4% Jahren 51 mal in der staatlichen Klinik und 47 mal in der Privat¬ 
klinik, in Summa 98 mal, die Schwangerschaft unterbrochen (Zahlen 
aus dem Gutachten von Bum m). Bumm sagt über die Fälle der 
Privatpraxis: „Das Fehlen ausführlicher Begründung in den Kranken¬ 
blättern sowie der Umstand, dass viele der Frauen schon am Tage 
nach der Aufnahme ohne weitere Beobachtung operiert worden sind, 
dürfe nicht zu Ungunsten von Prof. Henkel verwertet werden. 
Jeder Frauenarzt, der gezwungen war, unter den Verhältnissen der 
Privatpraxis die Schwangerschaftsunterbrechung vorzunehmen, weiss, 
dass der Operation längere Beobachtung und mehrfache Be¬ 
sprechungen im Privathause selbst vorauszugehen pflegen. Die 
Frauen entschlossen sich erst dann in die Klinik einzutreten, wenn 
die Frage des Abortus in positivem Sinne entschieden ist. Dass 
unter diesen Umständen in den Krankenblättern der Klinik die Be¬ 
lege für die Notwendigkeit der Unterbrechung fehlen können, ist leicht 
erklärlich.“ 

Ich glaube nicht, dass sich viele Aerzte finden werden, die diese 
Auffassung zur ihrigen machen, ebensowenig wie die von Henkel 
in der Verhandlung vorgebrachte Ansicht, dass es unmöglich sei, ein 
Protokoll über Schwangerschaftsunterbrechung so aozufassen, dass 
eine Nachprüfung möglich sei. Jeder Frauenarzt weiss vielmehr, dass 
die Erkrankungen, die als Anzeige zur Schwangerschaftsunterbrechung 
gelten, trotz der Einwirkung subjektiver Färbung in der Schilderung 
soviel objektive Feststellungen gestatten, dass eine Nachprüfung mög¬ 
lich ist. 

Gehen wir nun zur Besprechung des materiellen Teiles über, 
so ist es am zweckmässigsten, sich an die Einteilung des Stoffes zu 
halten, wie sie nach der Fragestellung der medizinischen Fakultät im 
Gutachten Hofmeier-Fehling gegeben ist. Ich füge gleich 
hinzu, dass ich mit Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden Raum 
aus den einzelnen Abschnitten nur eine Auswahl von Punkten zur 
Besprechung bringen kann. Die Diemtstrafkammer hatte danach zu 
prüfen, ob Henkel in folgenden fünf Richtungen als Staatsbeamter 
seine Dienst Verpflichtungen verletzt hat, ob er 

1. bei ärztlichen Eingriffen mit mangelhafter Asepsis vorge¬ 
gangen sei; 

2. Operationen 

a) ohne genügende wissenschaftliche Notwendigkeit 
und 

b) z. T. unter nicht genügender Schonung des keimenden 
Lebens 

und 

c) ohne die Zustimmung der Leidenden einzuholen ausgeführt 
habe. 

3. und 4., dass er eine Schwerkranke nachlässig behandelt habe, 
einzelne Handlungen bei den Operationen nicht sorgfältig aus¬ 
geführt habe und es an einer genügenden Pflege der Kranken 
und 

5. an einer genügenden Fürsorge für die Säuglinge habe fehlen 
lassen. 

Zu 1. In bezug auf diesen Punkt ist die erste Instanz zu einem 
freisprechendtn Erkenntnis gekommen, in der zweiten wurde der 
Gegenstand nicht wieder verhandelt, weil die Berufung des Staats¬ 
anwaltes sich nur gegen das Strafmass, nicht gegen das Urteil hn 
ganzen gerichtet hatte. Jeder Gerichtsarzt weiss, dass die Verstösse 
gegen die Asepsis schon sehr grober Natur sein müssen, wenn sie 
zu einer gerichtlichen Verurteilung führen sollen. Solche grobe Ver¬ 
stösse hat nun die Zeugenvernehmung nicht ergeben, abgesehen von 
einem Falle, in welchem Aussage gegen Aussage stand, und so 

2 ) F r i t s ch: Gerichtsärztliche Geburtshilfe, Stuttgart 1901, S. IR 

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17. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


lass 


könnten anscheinend diejenigen Recht haben, die sagten, die ganze 
Anzeige, die vom pathologischen Anatomen ausging, sei unberechtigt 
und inkollegial gewesen. Um diesen schweren Vorwurf zu entkräften, 
ist es notwendig, sich das Material der Frauenklinik zu vergegen¬ 
wärtigen, wie es sich dem Obduzenten darbot. R ö s s I e sagt* dass er 
in seiner jetzt fast 15 jährigen Obduzententätigkeit für die verschieden¬ 
sten Frauenärzte in München, Kiel und m Thüringen niemals ein 
solches Material von Bauchfellentzündungen nach Operationen, von 
in der Bauchhöhle zurückgelassenen Tupfern, verletzten Därmen, 
schweren Nachblutungen gesehen habe, wie bei seiner Tätigkeit für 
die Jenenser Frauenklinik. Diesen Eindruck scheint auch sein Vor¬ 
gänger (D ür c k) gehabt zu haben, denn er bekundet vor Gericht, 
dass „die vielen postoperativen Peritonitiden (Bauchfellentzündungen) 
augenblicklich nach Henkels Einzug m Jena einsetzten und er¬ 
schreckend waren 44 . 

Aus einer von Hofmeier-Fehling in ihrem Gutachten auf-* 
gemachten Statistik ergibt sich, dass an diesen Todesfällen auch die 
Assistenten mH einer nioht unerheblichen Zahl beteiligt sind, einer 
allein mit 27; sie weisen aber auch zugleich darauf hin, dass es H.s 
Pflicht gewesen sei, entweder weitere Operationen zu inhibieren oder 
ihre sachgemässe^Ausführung zu überwachen. Henkel ging weder 
selbst zu den Sektionen, noch hielt er seine Assistenten dazu an, eine 
verständnisvolle Zusammenarbeit von Kliniker und pathologischen 
Anatomen war damit ausgeschlossen. Angesichts einer solchen Sach¬ 
lage hätte e<* für den Letzteren Mitschuld an weHeren Todesfällen 
bedeutet, wenn er weiter geschwiegen hätte. Wie ihm daraus der 
Vorwurf gemacht werden kann, dass er sich zum Kritiker und Richter 
des Klinikers aufgeworfen habe, ist unverständlich. Trotz dieses er¬ 
drückenden Materials kam der Richter erster Instanz zu einem frei- 
sorechenden Urteil, „da die aus den SektionsDrotokollen erkennbaren 
Nebenvcrletzungen von Organen der Operierten sowie die Beobach¬ 
tung gesteigerter Todesfälle durch Infektion den Verdacht fahrlässigen 
Handelns, besonders mangelhafter Asepsis zwar nahelegen, aber doch 
mit hinreichender Sicherheit in keinem Einzelfalle festgestellt sind. 44 

Vom strafrechtlichen Standpunkte aus wird sich gegen 
diese Beurteilung nichts einwenden lassen, da es hier eben darauf an- 
kommt, den ursächlichen Zusammenhang zwischen ärztlichem Handeln 
bzw. Unterlassen und eingetretener Folge einwandfrei nachzuweisen.. 
Es ist aber immer nur eiir Freispruch mangels genügender, klarge¬ 
stellter Beweise, und der Arzt wird selbstverständlich anders über 
diese Zusammenhänge urteilen. 

Es ist bedauerlich, dass der Untersuchungsrichter dem Antrag 
von Rössle sowohl wie Henkel, noch einen weiteren Patho¬ 
logen bzw. gerichtlichen Mediziner mit der Begutachtung des ge¬ 
samten pathologisch-anatomischen Materials zu betrauen, nicht statt¬ 
gegeben hat. dann hätte wohl das Gericht eine andere Auffassung über 
die disziplinäre Beurteilung gewonnen. 

Z. B. hätte auch Herr Lubarscb. der befremdlicher Weise 
allem kollegialen Brauche zuwider auf Ersuchen der Verteidigung, 
nioht des Gerichtes, daher ohne Kenntnis aller Akten, ein Gutachten 
abgegeben bat, Gelegenheit finden können, seine Auffassung auf 
gründliche Kenntnis des Falles gestützt vorzubringen. 

Zu 2a), ..Ausführung von Operationen ohne ge¬ 
nügende wissenschaftliche Begründung“ lasse ich am 
besten die Outachter H o f m e i e r und Fehling zunächst selbst 
sprechen: „Was den ersten Punkt betrifft, so ist es für den mit dem 
betreffenden Krankenmaterial nicht vollkommen Vertrauten ausser¬ 
ordentlich schwer, ein massgebendes Urteil auszusoreeben, da die 
Anschauungen über die Notwendigkeit oder Nützlichkeit onerativer 
Eingriffe bei Frauenleiden sehr auseinandergehen und unwillkürlich 
von dem mehr optimistischen oder mehr zur Kritik geneigten Tem¬ 
perament des ‘betreffenden Operateurs abhäneen werden. Selbst nach 
Krankengeschichten und Eintragungen in Operationsinurnale wird man 
ein obiektives Urteil nur immer mit Vorsicht aussprechen können, 
da auch die Abfassung der Krankenberichte von der subjektiven Auf¬ 
fassung des Arztes für die ihm erheblich (anderen vielleicht uner¬ 
heblich) erscheinenden Punkte und subjektiven Klagen der Patien¬ 
tinnen wesentlich abhängig ist. Hiervon wird natürlich die Zahl 
der Onerationen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Kranken haunt- 
sachlich abhängig sein. Ebenso wird die Zahl der ausgeführten Er¬ 
griffe ganz erheblich von dem Vertrauen beeinflusst werden, welches 
der betreffende Operateur zu seiner persönlichen technischen Ge¬ 
schicklichkeit und seinem Können, besonders in der Beherrschung 
schwieriger operativer Situationen hat. 

Trotz dieser hierdurch gebotenen Vorsicht bei der Beurteilung 
glauben wir doch aussprechen zu müssen, dass bei der Durchsicht der 
Operationsbücher und einzelner Krankengeschichten die ganz ausser¬ 
ordentliche Häufigkeit der wegen Metritis und Endometritis und ähn¬ 
licher Krankheitszustände angeführten Totalexstirpation des Uterus 
und der Ovarien (wir zählen z. B. im Jahre 1912 allein 41 derartige 
Operationen: 28 klinische und 13 auf der Privatabteilung), ebenso 
wie die ausserordentliche Häufigkeit der Adnexoperationen und be¬ 
sonders auch die der Ovarialresektionen auffallen muss und uns nioht 
berechtigt erscheint. Es erscheint den Gutachtern nach den Er¬ 
fahrungen bei ihren eigenen Kranken kaum glaublich, dass in allen 
diesen Fällen so grobe anatomische Veränderungen Vorgelegen hätten, 
dass sie nicht auf einem weniger radikalen und, wie die nicht geringe 
Zahl der Sektionen auch zeigt, ungefährlicherem Wege «hätten be¬ 
handelt werden können. Nur ein Operateur, dessen Klinik die Asepsis 
absohit und sicher beherrscht^ dürfte wagen, bei nicht lebensgefähr- 

Digitized by (jCK "QIC 


liehen Erkrankungen wie Metritis und Endometritis, chronischen 
Adnexerkrankungen, Myomen <usw. so häufig sogleich zur Laparotomie 
zu greifen. Die in den Krankengeschichten eingetragenen Befunde 
rechtfertigen die operativen Eingriffe z. T. nur mangelhaft, besonders 
da wir ja gerade für einen erheblichen Teil dieser Fälle in der 
Röntgenbehandlung jetzt ein so sicher wirkendes Mittel besitzen. 

Ebenso erscheint die Zahl von 72 abdominalen Kaiserschnitten 
(abgesehen von 64 sog. vaginalen Kaiserschnitten) auf r»nd 1800 Ge¬ 
burten = 4 Proz. in den 4 fraglichen Jahren, als eine durchaus 
abnorme. Als Beweis für diese Ansicht möge die entsprechende Zahl 
aus der Würzburger Klinik angeführt sein, wo wir in den letzten 
8 Jahren unter rund 7000 Entbindungen 72 Kaiserohnitte hatten 
= 1 Proz. In der Strassburger Klinik kamen in den letzten 6 Jahren 
auf rund 7000 Geburtsfälle (inkl. Aborte) 63 Kaiserschnitte = 0,9 Proz. 
Dabei mag bemerkt sein, dass auch in Franken die rachitischen 
Beckenerkrankungen als Hauptursache für den Kaiserschnitt sehr 
häufige sind, und dass wir schon glauben, die Indikation zum Kaiser¬ 
schnitt recht weit zu stellen. 

Ebenso kann nicht geleugnet werden, dass die Zahl der Zangen¬ 
entbindungen aus der Privatabteilung T54 Zangenoperationen auf 
65 Geburten = 83 Proz. 3 )! eine ganz ungewöhnlich grosse ist und 
in den tatsächlichen Verhältnissen unmöglich begründet gewesen sein 
kann, da der durchschnittliche Prozentsatz für diese Eingriffe für diese 
Klinik etwa 3—5 Proz. beträgt. Für die Strassburger Klinik z. B. 
betrug die Zangenfreauenz nach 8 jährigem Durchschnitt auf der klini¬ 
schen Abteilung 4 Proz. Der Umstand allein, dass hierdurch kein 
besonderer Schaden- für Mütter und Kind verursacht worden ist, 
kann ja vielleicht die übergrosse Häufigkeit etwas entschuldigen. 

Im allgemeinen möchten wir unser Urteil dahin aussnrechen, dass 
Herr Prof. Henkel bei der Indikationsstellung zur operativen Be¬ 
handlung von Frauenleiden die Grenze des nach unseren jetzigen 
Anschauungen Zulässigen- jedenfalls erreicht hat. ia dass er in ein¬ 
zelnen Punkten die übliche Grenze nicht unerheblich überschritten zu 
haben scheint. 44 

Zur Vervollständigung und besseren Veranschaulichung sei die 
folgende Tabelle angeführt, von Rössle auf Ersuchen des Unter¬ 
suchungsrichters auf Grund der Operationsbiicher der Klinik und 
Privatklinik aufgestellt, die von Henkel selbst in der öffentlichen 
Verhandlung als absolut zuverlässig bezeichnet worden sind. 


Gesamtzahl der Operationen und Todesfälle aus 
Klinik und Privatklinik. 


Art der Operation 

Sunt 

1910 

1911 

1912 

1913 

1914 

faUfcr 

folsrt. 

1. Abdominale Ovariotomien ..... 

24S 

28 

46 

60 

60 

54 

9 

2. Maliene Tuben und Ovarialtumoren . . 

21 

2 

4 

? 

7 

6 

4 

3. Entzündl. Erkrank, v. Tuben tu Ovarien 

609 

120 

93 

104 

135 

157 

19 

3a. Tubargravidität . 

103 

18 

25 

22 

24 

14 

1 

4. Ventrofixatinnen und Alexander Adams 

510 

54 

79 

144 

130 

103 

3 

5. Kaiserschnitt. . 

169 

36 

15 

33 

43 

42 

11 

6. Myome . . . 

299 

42 

44 

72 

77 

64 

21 

7, Probelaparotomie.. 

39 

7 

7 

8 

8 

9 

9 

8. Vaginale Totalexstirpationen . ... 

172 

49 

28 

4 

15 

39 

8 

9. Totalexslirpation mit Kotporrhaphie usw. 

1 

1 

0 

0 

0 

0 

0 

10. Alexander Adams mit Plastik. 

132 

21 

13 

31 

25 

42 

1 

li. Mahgne Uterustumoren . 

174 

29 

37 

42 

49 

17 

39 

12. Verschiedenes .... ... . . 

947 

93 

155 

414 

249 

199 

37 

13 Resektion der Ovarien bei Dysmenorrhöe 
u. dergl.. 

9 

6 

2 

0 

1 

0 

0 


Hofmeier-Fehling sprechen ausdrücklich aus, dass H. in 
einzelnen Punkten die übliche Grenze nicht unerheblich überschritten 
hat. Zweifellos haben sie dabei z. B. die Fälle von Totalexstirpation 
bei Metritis und Endometritis sowie ähnlicher Erkrankungen der Ge¬ 
bärmutter und Eierstöcke im Auge, die in sehr zahlreichen Fällen aus¬ 
geführt worden sind. 

Bumm geht in seinem Gutachten über diese Fülle von Material 
bedauerlicherweise mit folgender kurzer Bemerkung hinweg: „Prof. 
Henkel hat die Anzeige zu operativen Eingriffen leicht und reich¬ 
lich, nach der Meinung mancher Fachgenossen sogar überreichlich 
gestellt und im Vertrauen auf seine Kunst auch noch in aussichtslosen 
Fällen operiert.“ 

Da ist es denn nicht verwunderlich, dass das Oberverwaltung*-, 
gericht in dieser Beziehung zum Freispruch kommt. Das Urteil sagt 
hierüber in seiner Begründung: „auf das statistische Material, das 
vorliegt, allein kann eine Feststellung zuungunsten des Beschuldigten 
nicht gestützt werden. Denn selbst wenn man die Richtigkeit der 
vorliegenden Statistiken unterstellt, so würde damit höchstens be¬ 
wiesen werden, dass der Beschuldigte mehr operiert hat wie andere. 
Aber damit würde noch nicht bewiesen sein, dass er ohne Grund 
bzw. aus blosser Lust am blutigen Eingriff operiert hat. Eine solche 
nur auf die absolute Häufigkeit der Operation gestützte Vermutung 
müsste vielmehr mindestens durch den Nachweis einer Anzahl von 


3 ) Nach der von Prof. Engelhorn auf Ersuchen des 
Untersuchungsrichters nicht nur aus dem Operationsbuch, son¬ 
dern aus den gesamten Krankengeschichten der geburtshilflichen 
Privatabteilung gefertigten Zusammenstellung fanden im ganzen 
128 Geburten statt; von diesen wurden beendet: ohne ärztlichen Ein¬ 
griff 24 = 19 Proz., durch Kaiserschnitt 19 = 15 Proz., durch Wen¬ 
dung, Extraktion und Perforation 7 = 5 Proz., durch die Zange 78 
= 61 Proz. 

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1056 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


Fällen unterstützt werden, in denen der vom Beschuldigten vorge¬ 
nommene Eingriff als unnötig nachgewiesen wäre. Solche Fälle sind 
aber im Verfahren nicht hervorgetreten.* 4 Hätte das Gericht in der 
Verhandlung das Gutachten Hofmeier-Fehling sich durch 
einen Sachverständigen erläutern lassen, dann hätte es zu einer an¬ 
deren Auffassung kommen müssen. Jeder Gynäkologe wird ebenso 
wie es Hofmeier und Fehling getan haben, die häufige Anzeige 
zu Totalexstirpation bei* Metritis und Endometritis und ähnlichen Er¬ 
krankungen ablehnen; in diesen Fällen hätte das Gericht die nach¬ 
zuweisende Anzahl von Fällen gehabt, in denen der vom Beschuldigten 
vorgenommene Eingriff, der ausserdem so und so viel Frauen das 
Leben kostete, die nie an diesem ihrem Leiden sterben mussten, als 
unnötig nachgewiesen wäre. Aber freilich, der Gerichtshof hielt dieses 
Material für genügend gutachtlich geklärt, und so konnte es bedauer¬ 
licherweise unter den Tisch fallen. Jene Begründung verrät einen 
ziemlichen Mangel an Verständnis für die Beurteilung ärztlichen Han¬ 
delns. 

Zu 2b). Wir kommen zu den Fällen von Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung, die von Henkel in 4M jähriger 
Tätigkeit 51 mal in der Klinik und 47 mal in der Privatklinik, zusammen 
in 98 Fällen ausgeführt wurde. Dass diese Zahl, namentlich für die 
Privatpraxis, eine ganz ungewöhnlich hohe, aus dem Rahmen der 
sonstigen Statistik herausfallende Zahl ist, wird ieder Arzt ohne 
weiteres zugeben. Das Oberverwaltungsgerioht hat in seinem Urteil 
erklärt, dass es aus den vorliegenden Gutachten und der Fachliteratur 
den Eindruck gewonnen hat, dass die medizinischen Fragen hinsicht¬ 
lich Schwangerschaftsunterbrechung noch keineswegs so geklärt seien, 
dass man von allgemein anerkannten Grundsätzen sprechen kann (!). 
Jedenfalls gehe eine weit verbreitete Ansicht dahin, dass die Frage, 
ob ein Eingriff indiziert sei, nur nach den Umständen des einzelnen 
Falles entschieden werden könne und dabei die Gewissenhaftigkeit 
und Moral des Arztes die entscheidende Rolle spiele. Mit dem letzten 
Satze kann, man einverstanden sein, nicht aber mit den Ausführungen 
Henkels in der öffentlichen Verhandlung, die dahin gingen, dass 
er die Indikation für Schwangerschaftsunterbrechung genau ebenso 
stelle wie für jede andere Operation. Damit schiebt er die straf¬ 
rechtliche Seite dieses Eingriffes, die unter allen Umständen be¬ 
rücksichtigt werden muss, völlig beiseite, und das ist durchaus unzu¬ 
lässig. Dieser Standpunkt erklärt vielleicht zum Teil die auffallend 
hohe Zahl von Unterbrechungen. Das Gericht hat die Einzelfälle in 
nichtöffentlicher Sitzung verhandelt und z. T. neue Erhebungen dabei 
verwertet, die den bisherigen Gutachten nicht zur Verfügung standen 
und auoh* mir noch nicht vorliegen, da die ausführliche Urteilsbe¬ 
gründung noch nicht erschienen ist. Aus diesem Grunde kann ich zu 
meinem Bedauern heute noch nicht eine eingehende Kritik des Urteils 
in dieser Hinsicht bringen. Immerhin lohnt es sich, auf das bisher be¬ 
kannt gewordene einzugehen. 

Bumm sagt in seinem Gutachten: „Sämtliche Fälle haben sich 
in den Jahren 1910—1914 abgespielt. Damals hatte der Kampf gegen 
den Missbrauch des therapeutischen Abortus noch nicht begonnen und 
lag für die Kliniken noch keine Veranlassung vor, Anzweiflungen ihrer 
Tndikationsstellung anzunehmen und sich nach dieser Richtung vor¬ 
zusehen (nämlich durch genaue Aufzeichnung in den Krankenblättern).“ 
Da muss man sich doch fragen, hat denn damals der 
ParagraphdesStrafgesetzbuches nicht bestanden? 
Sind etwa die Kliniken in dieser Zeit auf eine schiefe Ebene ge¬ 
raten und haben sie die Indikationen in Widersoruch mit dem gelten¬ 
den Recht gestellt? 

Gewiss ist mir bekannt, dass die Anschauungen, wie weit z. B. 
bestehende Tuberkulose als Unterbrechungsgrund gelten durfte, da¬ 
mals im Streit der Meinungen standen; aber das rechtfertigt doch 
unter keinen Umständen eine derartige allgemeine Bemerkung 
Bum ms, die er zum Schutze der mangelhaften Krankenblätter und 
der darin verzeiohneten Indikationen Henkels über die Schwanger¬ 
schaftsunterbrechungen aufstellt. Henkel hat in 33 Fällen von 
Tuberkulose unterbrochen und in 22 von diesen noch weitere konzep- 
tionsverhindemde Eingriffe (Totalexstirpation bzw. Tubensteri-lisation) 
vorgenommen. In der öffentlichen Verhandlung hat er erklärt, dass 
er früher in jedem Falle von Tuberkulose operiert hätte, jetzt würde 
er das nicht mehr tun, sondern nur da eingreifen, wo durch das 
Fortbestehen der Schwangerschaft ein schnelles Fortschfeiten der 
Tuberkulose zu erwarten sei. Er nimmt also jetzt den Standpunkt ein, 
der wohl am besten nie verlassen worden wäre. 

Im Falle Str. wurde wegen unstillbaren Erbrechens 
der Abortus eingeleitet. Patientin wurde bereits am Tage nach der 
Aufnahme operiert. Ein objektiver Befund liegt nicht vor, auch das 
Körpergewicht ist nicht notiert. Die Frau wurde vorher poliklinisch 
behandelt und soll nach der Erinnerung des behandelnden Assistenten 
Ohnmachtsanfälle gehabt haben. Zu einem solchen soll Henkel am 
Tage vor der Aufnahme in den poliklinischen Räumen dazugekommen 
sein und den Eingriff angeordnet haben. Entspricht etwa dieses 
Verfahren dem in bezug auf unstillbares Erbrechen für Aerzte doch 
wohl feststehenden Regeln? Bumm findet, dass die Angaben von 
Henkel und dem Assistenten nichts von einer gesuchten Ausrede an 
sich haben und wahrhaftig klingen. Anzuerkennen ist in diesem Falle 
jedenfalls das gute Gedächtnis Henkels und des Assistenten, das 
die Lücken der Krankengeschichten auf das Glücklichste ergänzt. 
Puppe und Winter hielten den Abortus nicht für berechtigt. 

Im Gutachten von H o f m e i e r und Fehling findet sich fol- 

□ igitized by Google 


gende Tabelle der in der Privatklinik vorgenommenen Schwanger¬ 
schaftsunterbrechungen. 


Schwangerschaftsunterbrechungen. 


Nr. 


Monat 


Indikation 


Art der Unterbredrangen 


mo 

1911 


19 2 

1913 


1914 


83 

90 

107 

31 

35 


Oravida mens 2 

4 

5 

7-8 

4 


36 

41 

97 

163 

177 

197 

223 


„ 3-4 
.. 3—4 
„ 3-4 
>. 3-4 
„ 2 

:: 1-! 


246 

249 

90 

137 

2 

60 

100 

221 

265 

2 

24 

103 

114 


Pf 4-5 
:: 3 "*3 
:: 7 

■-2 4 

:: -3 

:: 4-1 
„ 1—2 
„ 2 


Neurasthenie 
Hyper emesis 
Neurasthenie 

Nierenkoilken.Morphinismua 

Nephritis 

Retroflexio, Perl metritis 
Nephritis 

kein Orund’ angegeben 
Psychose 

Hysterie, Neurasthenie ? 
Hyperemesis 
Lues 

kein Orund angegeben 
Neurasthenie 
Melancholie 
Febris 

Chlorose Neurasthenie 
Unterernährung 
Vitium cordis 
Hyperemesis 

kein Orund angegeben 
Vitium cordis 
Psychose 

Psychose, Nephritis, Retro- 
flexto 


Kolpohysterotomie 


Part, praemat. artifkialis 
Kolpohysterotomie. Tuber* 
Sterilisation 
Kolpohysterotomie 

99 

Amputatkm”des Uterus 
Kolpohysterotomie 


M 


Part praemat. artifidalis 
Kolpohysterotomie 


Kolpohysterotomie, Sterilisat. 
Kolpohysterotomie 

ft 


Die Gutachter sagen selbst, „dass die Gründe für die Unter¬ 
brechung vielfach als ungewöhnlich anzusehen seien; da diese aber 
überall nur in ein oder wenigen Worten angegeben sind, so können 
sie natürlich nicht sagen, dass bei genauer Kenntnis der Kranken sie 
nicht auch in diesem oder jenem Falle zur Unterbrechung der 
Schwangerschaft gekommen wären. Aber die Häufung dieser ihrer 
Meinung nach zum Teil recht seltenen Indikationen ist doch sehr auf¬ 
fallend.“ 

Aehnlioh zweifelhaft liegen die Unterbrechungen wegen Psy¬ 
chosen und aus eugenischer Anzeige. 

Inwieweit alle diese Fälle teils durch Vernehmung der Operierten 
selbst, teils durch das Gedächtnis des Operateurs für das Oberver- 
waltungsgericht aufgeklärt sind, entzieht sich wie gesagt noch der 
Kenntnis, da die Verkündung der ausführlichen Begründung noch 
nicht erfolgt*ist. Bei seiner Nachprüfung der klinischen Fälle (bisher 
veröffentlichtes Urteil) „ist das Oberverwaltungsgericht zu dem Er¬ 
gebnis gekommen, dass sich der vorgenommene Eingriff nur in 
einem Falle als nach der herrschenden Ansicht objektiv unge¬ 
rechtfertigt nach weisen lässt. Das ist der Fall, in dem aus eugenl- 
sehen Gründen die Schwangerschaft unterbrochen und die Tuben¬ 
sterilisation vorgenommen worden ist. Dagegen glaubt das Ober¬ 
verwaltungsgericht in weiteren 4 Fällen feststellen zu müssen, dass die 
vorgenommenen Eingriffe objektiv berechtigt waren, und in 5 weiteren 
Fällen hat es die Ueberzeugung gewonnen, dass der Beschuldigte bei 
der Indikationsstellung die gebotene Sorgfalt beobachtet hat und auf 
Grund gewissenhafter Untersuchung offenbar von der Notwendigkeit 
des Eingriffes überzeugt gewesen ist und überzeugt sein durfte. Ein 
Fall, wo aus sozialer Indikation eingegriffen sein soll, soll aus- 
scheiden, weil durch die neue Beweisaufnahme unsicher geworden ist,, 
ob überhaupt aus sozialer Indikation operiert worden ist, und jeden¬ 
falls feststeht, dass der Beschuldigte für den von einem Assistenten 
während eines längem Urlaubs vorgenommenen Eingriff auch nicht 
moralisch verantwortlich zu machen ist. Es bleiben nur 4 Fälle, 
ln denen es nicht nur zweifelhaft ist, ob der Eingriff objektiv be¬ 
rechtigt war, sondern auch Zweifel entstehen können, ob nicht der 
Beschuldigte leichtfertig in der Anzeigestellung zuweit gegangen ist, 
oder doch die Anzeigestellung nicht mit der nötigen Sorgfalt vor¬ 
genommen hat.. Aber bei der Beurteilung dieser Fälle ist doch zu 
berücksichtigen, dass sie mit dem Falle E. die einzigen sind, die von 
25 ursprünglich beanstandeten Fällen schliesslich übrig geblieben sind, 
und dass diesen 5 etwa zu beanstandenden Fällen 46 gegenüberstehen, 
in denen sich ursprünglich nichts zu beanstanden gefunden hat oder 
jetzt nichts mehr zu beanstanden ist. Das könnte immerhin den 
Schluss rechtfertigen, dass hier nur der Schein gegen den Beschul¬ 
digten spricht und er tatsächlich auch hier nach bestem Wissen und 
Gewissen vorgegangen ist Jedenfalls steht auch in diesen Fällen 
eine strafbare Handlung, wie die Dienststrafkammer angenommen 
hat, nicht in Frage.“ 

Für ein Urteil eine ungewöhnliche Form der Ausdrucksweise und 
der Schlussfolgerung! Weil nur fünf Fälle „etwa“ m beanstanden 
sind, „könnte“ das den Schluss rechtfertigen, dass „nur der Schein“ 
gegen den Beschuldigten spricht. Dabei erinnere man sich an den 
erwähnten Fall Str.. wo wegen Hyperemesis unterbrochen wurde, 
oder man vergleiche den folgenden Fall der Hebamme W., wo ver¬ 
handelt wurde, ob wegen Krampfadern unterbrochen wurde: 

Fall W„ Krampfadern, von Dr. A. geschickt. Abortus 
durch Assistenten, Henkel zugegen. 

Henkel bekundet nach seiner Erinnerung (im Operationsbuch 
und im poliklinischen Aufnahmebuch steht kein Wort davon: im 
Krankenblatt heisst es: Uterus gut beweglich, Adnexe o. B., Para¬ 
metrien —): Entzündliches Exsudat neben dem Uterus, deshalb Abortus. 

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17. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1057 


Bumm begutachtet: Fall nicht genügend geklärt. 

Dr. A. sagt aus. dass Asthma und Krampfadern Vorlagen, er er¬ 
wartete Verschlimmerung beider. 

Frau W. selbst sagt aus, sie habe Magenbeschwerden, Herz¬ 
klopfen, Schmerzen in der rechten Bauchseite und Krampfadern ge¬ 
habt. . 

Oder endlich Fall Bu. Verwachsungen des Wurmfortsatzes 
mit den rechten Gebärmutteranhängen. 

Buram hält für richtiger, den Wurmfortsatz zu entfernen und 
die Schwangerschaft in Ruhe zu lassen. 

Er hätte sagen sollen, das ist das allein Richtige. 

Solchen Tatsachen gegenüber muss die Redeweise des Urteils 
auf Aerzte und Laien befremdend wirken. 

Im Anschluss an diese Schwangerschaftsunterbrechungen muss 
jetzt die Besprechung von drei Fällen folgen, in denen es sich nicht 
um Vernichtung keimenden Lebens, sondern um die vorzeitige Ent¬ 
bindung von einer lebensfähigen Frucht, um künstliche Frühgeburt, 
handelt. Es sind die Fälle K., B. und Fr. Bei allen dreien war Tuber¬ 
kulose die Anzeige für die Operation. 'Bumm sagt über diese An¬ 
zeige: „Bei Tuberkulose wird die Unterbrechung in den späteren 
Monaten von den meisten als zwecklos abgelehnt. Hat eine Frau 
ihr Kind 7 oder 8 Monate getragen, so macht es für den Fortschritt 
der Lungenerkrankung wenig mehr aus. ob die Schwangerschaft 4 
oder 8 Wochen länger bestehen bleibt oder nicht. Dazu kommt, dass 
in diesen späteren Monaten die künstliche Entleerung der Gebärmutter 
mit nicht geringeren Anstrengungen und Blutverlusten verbunden ist, 
als die spontane Geburt am Schwangerschaftsende und somit vor 
dieser nichts voraus hat. Bei sehr heruntergekommenen und ge¬ 
schwächten Frauen hat man versucht, die mit der Geburt verbundenen 
Anstrengungen und Gefahren des Wochenbetts dadurch zu umgehen, 
dass man in einem möglichst rasch und blutlos durchzuführenden 
Eingriff die ganze hochschwangere Gebärmutter entfernte. Man 
macht damit aber einen schweren und dementsprechend auch gefähr¬ 
lichen Eingriff, und es ist wohl zu überlegen, ob die besonderen Um¬ 
stande des Einzelfalles ein solches Risiko erheischen.“ 

Im Falle K. handelt es sich um fortgeschrittene Tuberkulose. 
Die Frau überlebte die Operation 3 Wochen, das Kind lebt. 

Im Falle B. lag ebenfalls vorgeschrittene Kehlkopf- und Lungen¬ 
tuberkulose vor, der die Frau 4 Wochen nach der Operation, die im 

7. Monat der Schwangerschaft erfolgte, erlag. Der Obduktionsbefund 
— käsige Lungenentzündung, Miliartuberkulose des Darmes, der 
Leber und der Nieren — muss es als zweifelhaft erscheinen lassen, 
ob die Frau das Ende der Schwangerschaft noch hätte erreichen 
können. Der Uterus wurde hn Falle B. nicht zur Herausnahme der 
Frucht eröffnet, das Kind stand jedenfalls an der unteren Grenze der 
Lebensfähigkeit. 

Für diese beiden Fälle treffen die zitierten Ausführungen 
Bum ms zu, sie können für die Beurteilung des ärztlichen Handelns 
damit ausscheiden. Anders liegen die Verhältnisse im Falle Fr. 
Zunächst kurz der tatsächliche Hergang. Frau Fr. befindet sich im 

8. oder 9. Monat der Schwangerschaft und wird von ihrem Hausarzt 
zur Unterbrechung dieser geschickt, da sie an Lungentuberkulose mit 
Blutungen leidet; Diagnose und Indikation seien von iProf. Lommel 
bestätigt. Letzterer hat sich in seiner Vernehmung dagegen verwahrt 
und erklärt, dass im Hauptbuch der Poliklinik nur ein geringfügiger Be¬ 
fund und keine Indikationsstellung verzeichnet sei. Im Krankenblatt der 
Frauenklinik findet sich kein Lungenbefund, jedoch hat der Assistenz¬ 
arzt ausgesagt, dass er die Frau daraufhin untersucht und nichts ge¬ 
funden habe. Henkel hat früher ausgesagt, dass er sich in bezug 
auf Tuberkulose auf die Mitteilung des Hausarztes verlassen habe, 
später aber betont, dass er die Frau von oben bis unten untersucht 
und Tuberkulose festgestellt habe. Bei dem elenden Allgemein¬ 
zustand (Gewicht bei der Obduktion 88 Pfund) und der Gefahr er¬ 
neuter Lungenblutung sei schleunige Operation notwendig gewesen, 
diese wurde bereits am Tage nach der Aufnahme ausgeführt. 
Am Abend vor der Operation ist von dem Assistenten auch festgestellt 
worden, dass das Kind lebt und die Herztöne in Ordnung sind. Un¬ 
mittelbar vor der Operation ist das Leben des Kindes nicht nochmals 
kontrolliert wordenI Es wurde Totalexstirpation der schwangeren 
Gebärmutter gemacht und diese uneröffnet in Formollösung gelegt. 
Die Frau starb nach 12 Tagen an Bauchfellentzündung und fort- 
geletteter linksseitiger eitriger Rippenfellentzündung; die Bauchwunde 
war geheilt. Bei der Obduktion (D ü r c k) stellte sich heraus, dass 
die Frau keinerlei tuberkulöse Lungenerkrankung 
hatte. 

In bezug auf den Irrtum der Diagnose kann man trotz 
der einander widersprechenden Angaben H.s ohne weiteres das Ein¬ 
geständnis machen, dass ein solcher jedem gewissenhaften Arzt 
unterlaufen kann, obwohl es bei einem so lebensgefährlichen Eingriff 
nahe gelegen hätte, sich nach dieser.Richtung hin nach Möglichkeit 
zu sichern. 

Auch in bezug auf die Wahl des operativen Vorgehens mag man 
sich den Ausführungen Bumms anschliessen und die Frage als nicht 
völlig geklärt ansehen, obwohl H o f m e i e r und Fehling es als 

remdend bezeichnen, dass bei diesem Schwangerschafts- 
befund (48 cm Länge, des Kindes) nicht dem Vorschläge des Haus¬ 
arztes entsprechend die künstliche Frühgeburt eingeleitet wurde. 

Unter allen Umständen auf das schwerste zu 
verurteilen ist dagegen die Behandlung, die dem 
Kinde zuteil wurde. Obwohl feststeht, dass es am Abend 

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vorher noch gelebt hat, und obwohl ein Assistent an der heraus¬ 
geschnittenen Gebärmutter noch Bewegungen wahrnimmt. wird diese 
•n Formol versenkt. 

Alle Gutachten stimmen darin überein, dass das Vorgehen Hen¬ 
kels zu verurteilen sei. Hofmeier-Fehling sagen ausdrück¬ 
lich, dass der Operateur die Pflicht gehabt hätte, vor Entnahme des 
Uterus aus dem Leibe, den Uterus zu spalten und das Kind heraus- 
zunehmen. Bumm sagt, von der Rücksichtnahme auf die lebens¬ 
fähige Frucht darf nur abgesehen werden, wenn feststeht, dass sie 
abgestorben ist. 

Hören wir nun, wie Henkel selbst sein Vorgehen zu recht- 
fertigen suoht. In früheren Vernehmungen hat er gesagt, dass er das 
Kind nicht für lebensfähig gehalten habe, weil er sich über 
die Entwicklung des Kindes getäuscht habe; er 
habe es für eine Frucht vom 6. Monat und nicht vom 8. Monat ge¬ 
halten. Darüber sagt sogar Winter, dass diese Unterscheidung 
schon jede Hebammenschülerin treffen könne. 

Dann wieder hat er es nicht f ü t lebensfähig gehalten 
wegen der Tuberkulose der Mutter, die auf das Kind über¬ 
gehe, deshalb seien die Aussichten für das Kind schlecht. Wenn ein 
Arzt aus dem Vorhandensein von Tuberkulose so folgenschwere 
Schlüsse für sein Handeln zieht, so sollte man wenigstens verlangen 
dürfen, dass er einigermassen mit dieser Krankheit vertraut ist. Es 
ist wohl jedem praktischen Arzt die Tasache geläufig, dass bisher 
beim Menschen der intrauterine Uebergang der Tuberkulose von der 
Mutter auf das Kind nur als äusserst seltene Ausnahme festgestellt ist; 
auf keinen Fall kann dieser Stand der Frage dem Gynäkologen das 
Recht geben, ein kindliches Leben auf Grund einer solchen Annahme 
zu vernachlässigen. In der gleichen Vernehmung (Mai 1915) hat 
Henkel zugegeben, dass er den Uterus mit dem Kind, eben weil er 
es aus diesem Grunde nicht für lebensfähig hielt, für wissenschaft¬ 
liche Zwecke als Präparat konservieren wollte, während er in der 
Verhandlung sagte, dass er aus dem Kinde kein Formolpräparat ge¬ 
macht, sondern es nur auf eine Schale gelegt habe! Bewegungen in 
diesem Präparat seien deshalb aufgetreten, weil das Kind im Frucht¬ 
wasser nach seiner eigenen Schwere den Platz verändert habe. 

In der Hauptverhandlung endlich erklärt er, das Kind für tot 
gehalten zu haben, weil die von ihm gewählte Operationsmethode, 
bei der im Interesse der Blutersparnis jedes Qefäss auf jeder Seite 
hätte unterbinden müssen, so lange dauere, dass das Kind abgestorben 
sein musste. Er wäre so mit der Operation beschäftigt gewesen, dass 
er sich nicht hätte um das Kind kümmern können. 

Hätte diese Vielzahl und diese Verschiedenaxtigkeit der Ent¬ 
schuldigungsgründe Henkels dem Gerichtshof nicht Veranlassung 
geben sollen, sich über ihre Wertigkeit durch Vernehmung eines Sach¬ 
verständigen zu unterrichten? In diesem Falle konnte er sie nicht 
wie früher als genügend geklärt erachten, denn sie haben z. T. den 
früheren Gutachtern gar nicht Vorgelegen, sondern sind erst in der 
Verhandlung geltend gemaoht worden. 

Dass es bei einer derartigen Operation eine selbstverständliche 
Pflicht des Operateurs ist, sich unmittelbar vorher über das Leben 
des Kindes zu vergewissern und alle Anordnungen zu treffen, um es 
zu erhalten, bedarf keiner Erörterung. Die Schuld Henkels, dies 
unterlassen zu haben, wird nicht dadurch beseitigt, dass einige Gut¬ 
achten die Verantwortung für die Formolkonservierung des Kindes 
den Assistenten aufbürden, Henkel bleibt der allein Verantwort¬ 
liche. Mag man auch das Verhalten der Assistenten nicht billigen, 
erklärt wird es durch das auch vom Gerichtshof anerkannte selbst¬ 
bewusste und schroffe Auftreten Henkels, der während seiner 
4)4 jährigen Tätigkeit in vier planmässrgen Assistentenstellen ungefähr 
20 Assistenten verbrauchte. 

Ein anwesender Sachverständiger hätte dem Gerichtshof die 
nötige Aufklärung über die Tuberkulose (Uebergang von Mutter auf 
Kind), über die Art der Operationstechnik und ihre möglichen Folgen, 
über Vortäuschung von Kindsbewegung in der Gebärmutter, über 
das Verhalten der Bauch wunde bei Bauchfellentzündung usw. ohne 
weiteres geben können, so aber waren auch hier Henkels Aus¬ 
führungen die eines Sachverständigen. Nicht einmal die beeidigten 
Aussagen des Assistenten, der die Kindsbewegungen an der heraus¬ 
geschnittenen Gebärmutter wahrgenommen hatte, hatten Gewicht 
gegenüber der neuen Erklärung Henkels; dieser wichtige Zeuge 
war nicht vorgeladen worden. 

Wie findet sich nun das Oberverwaltungsgericht mit diesem 
Falle Fr. ab? Es sagt in der vorläufigen Begründung des Urteils: 
„Es ist dem Beschuldigten zu glauben, dass er bei der Art, wie er 
die Uterusexstirpation ausgeführt hat, angenommen hat, und von 
seinem Standpunkte aus annehmen konnte, dass die Frucht in dem 
herausgeschnittenen Uterus nicht mehr lebe. Aber da er immerhin 
mit der wenn auch entfernten Möglichkeit, dass sie doch noch lebte 
und lebensfähig sei, hätte rechnen müssen, so hätte er doch 
die Gebärmutter mindestens öffnen müssen, um festzustellen, 
dass die Frucht nicht mehr lebe. Dass sie wirklich noch gelebt hat, 
kann in beiden Fällen (B. und Fr.) nicht festgestellt werden. Dass er 
die Operation in diesen Fällen überhaupt vorgenommen und in der 
Weise vorgenommen hat, dass die möglicherweise lebende Frucht da¬ 
bei zugrunde gehen musste, ist ihm dagegen nicht zum Vorwurf zu 
machen. Nach dem Gutachten Beumers und Bumm darf ange¬ 
nommen werden, dass in massgebenden medizinischen Kreisen der 
vom Beschuldigten vorgenommene Eingriff als zulässig angesehen 
wird, wenn eine schwere Erkrankung der Mutter die vorzeitige Ent- 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1058 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


bindung unter möglichster Vermeidung jeglichen Blutverlustes zur 
Erhaltung des Lebens nötig macht.“ 

Also das Gericht glaubt dem Beschuldigten, dass er bei seiner 
Operationsmethode annehmen konnte, die Frucht sei tot und führt als 
Kronzeugen ftir diese Annahme die Sachverständigen Beumer und 
Bumm an. Das Oberverwaltungsgericht bezieht sich dabei offenbar 
auf den oben angeführten Satz des B u in m sehen Gutachtens, dass 
man mit der gewählten Operationsart einen schweren und dement¬ 
sprechend auch gefährlichen Eingriff mache, und hat wohl ange¬ 
nommen, dass sich der Ausdruck „gefährlich“ auch auf die Frucht 
beziehe, während doch aus dem Tenor unzweifelhaft hervorgeht, dass 
dieser sich nur auf die Mutter beziehen kann. 

Wenn auch im strafrechtlichen Sinne eine fahrlässige 
Tötung nicht vorzuliegen scheint, weil nicht festzustellen ist, dass 
das Kind unmittelbar vor der Operation noch gelebt hat, so liegt 
doch zweifellos für das rein ärztliche Denken eine solche Handlung 
vor, denn die allgemeine ärztliche Annahme muss dahin gehen, dass 
ein Kind im 9. Monat der Schwangerschaft, wenn nicht besondere 
Ereignisse eintreten, auch am anderen Morgen noch lebt, wenn es 
am Abend zuvor gelebt hat, und dieser Ansicht ist Henkel offen¬ 
bar auch gewesen, denn er hat es erst infolge seiner/Opera¬ 
tionsweise für tot gehalten. 

Auf einige Punkte der Anklage, wie dass Henkel eine 
Schwerkranke nachlässig behandelt habe, sowie dass er einzelne 
Handlungen bei den Operationen nicht sorgfältig ausgeführt habe, 
und es an einer genügenden Pflege der Kranken habe fehlen lassen, 
will ich nicht näher eingehen. Zum Teil tritt ihre Bedeutung gegen¬ 
über dem übrigen Stoff ganz wesentlich zurück, zum Teil sind ein¬ 
zelne Fälle derart aufgeklärt worden, dass sie nicht als belastend 
angesehen werden können. Dahin gehört zum Teil auch der sogen. 
Prinzenfall, in welchem eine Frau gegen ihren Willen, nur zum 
Zwecke einer Schauoperation vor einem Prinzen, operiert und in un¬ 
mittelbarem Anschluss an die Operation gestorben sein sollte. 
Trotz Unsicherheit eines Zeugen bleibt die eidliche Aussage 
mehrerer anderer Zeugen bestehen, dass an einer unvorberei¬ 
teten Patientin eine Schauoperation ausgeführt worden ist. Das 
Oberverwaltungsgericht nimmt hierzu als Entschuldigung für H en ke 1 
an, dass die Zulassung gebildeter Laien, und namentlich wissen¬ 
schaftlich interessierter, zum Operationssaal anscheinend in den Kli¬ 
niken in gewissem Umfange üblich ist und nicht als anstössig gilt. 
Dass es sich hierin irrt, zeigt uns die bekannte Erklärung der 
Münchener medizinischen Fakultät; die dortigen Kliniken „lassen 
schon aus Rücksicht auf die rein menschlichen Empfindungen der 
Kranken selbstverständlich niemals Laien zu den klinischen De¬ 
monstrationen und Operationen zu“. Sie verwahren sich aufs schärfste 
gegen eine etwaige Verallgemeinerung der obigen Behauptung und 
weisen sie jedenfalls für dortige Verhältnisse vollkommen zurück. 
Hierbei ist noch nicht einmal der ebenso selbstverständlichen Er¬ 
füllung der durch das Strafgesetz geforderten ärztlichen Schweige¬ 
pflicht gedacht. Jede andere deutsche Fakultät wird diese Erklärung 
zu der ihrigen machen. 

Nur auf den 5. Punkt der Anklage, mangelhafte Säug¬ 
lingsfürsorge betreffend, soll noch kurz eingegangen werden. 
Zunächst der Urteilstenor I. Instanz 4 ) hierüber: 

„Für die Beschuldigung, dass er es an genügender Fürsorge für 
die Säuglinge habe fehlen lassen, hat die mündliche Verhandlung 
keinen genügenden Beweis erbracht. Die gerügte mangelhafte Füh¬ 
rung der Krankengeschichten in der Frauenklinik ist zwar auch in 
der geburtshilflichen Abteilung zu finden, und die erhöhte Säuglings¬ 
sterblichkeit, die durch Vergleich mit derjenigen anderer deutscher 
Universitätskliniken und den günstigeren Verhältniszahlen des Vor¬ 
gängers Prof. Franz und des jetzigen Stellvertreters Prof. Engel- 
h o r n ermittelt ist, wird von der Anklage teils mit mangelhafter 
Unterbringung (2 Säuglinge in einem Bett), teils mit schlechter Er¬ 
nährung (Flasche statt Mutterbrust) und mit nachlässiger Körper¬ 
pflege (Wundsein, seltenes Trockenlegen) ursächlich in Verbindung 
gebracht. Allein die über das ganze Kapitel vernommenen Sachver¬ 
ständigen Czerny, Winter, Hofmeier und Fehling, denen 
auch die zahlenmässigen Zusammenstellungen Vorlagen, sind alle der 
bestimmten Ansicht, dass dem Beschuldigten aus dem ungünstigeren 
Säuglingsstande seiner Amtsführung kein Vorwurf zu machen sei. 
Am weitesten ging darin der Direktor der Universitätskinderklinik in 
Berlin, Prof. Dr. Czerny, welcher der Sterblichkeitsstatistik als 
Unterlage für ein Urteil über die Ursachen der Todesfälle jeden 
Wert absprach und mit Winter meinte, dass am wenigsten der 
pathologische Anatom zu einem Urteile berufen sei, weil sehr viele 
Todesursachen, z. B. Krampfanfälle und 'Brechdurchfälle, in der 
Kindesleiche keine Spur hinterlassen. Aus den Hauterkrankungen 
könne nicht auf Mangel an Pflege geschlossen werden, wie auch die 
Behaftung mit Soor(-Schwämmchen) nicht an Unsauberkeit liege. Das 
gesunde Kind könne im Schmutz liegen und das Unglaublichste ver¬ 
tragen. Auch in der bestgeleiteten Anstalt seien Hautinfektionen und 
Endemien nicht vermeidbar. 

Der Sachverständige Geh. Med.-Rat Dr. Winter von Königs¬ 
berg hat den ganzen Anklagestoff in Vergleich mit den Stationsein¬ 
richtungen und dem Gesundheitszustand von 14 anderen Universitäts¬ 
kliniken Deuschlands geprüft und gefunden, dass in Jena die Ein- 

*) In 2. Instanz wurde aus oben angeführtem Grund über die 
Säuglingspflege überhaupt nicht verhandelt. 

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richtungen der Säuglingsstation durchaus auf der Hohe zeitgemässer 
hygienischer Anschauung und keineswegs schlechter sind als in 
anderen Frauenkliniken, ja sogar besser, abgesehen von dem unzu¬ 
lässigen Unterbringen zweier Säuglinge in einem Bette, und dass 
allerdings der Gesundheitszustand und die Sterblichkeit auf der Säug¬ 
lingsstation nicht befriedigend sei, auch die Durchschnittssterblichkeit 
der anderen Frauenkliniken von I Proz. mit 4,3 Proz. 6 ) weit überrage, 
dass die Ursachen aber wohl in der ungenügenden Tätigkeit des Unter¬ 
personals liegen und ein unmittelbares Verschulden des Direktors 
Henkel, der es persönlich nicht an Interesse und Fürsorge für die 
Säuglingsstation fehlen Hess, nicht nachweisbar sei. 

Die Sachverständigen H o f m e i e r und Fehling halten den 
allgemeinen Vorwurf einer Nachlässigkeit des Beschuldigten in der 
Säuglingspflege gleichfalls nicht für begründet, und am wenigsten mit 
der Statistik erweisbar. Nach ihren Darlegungen sind die Gründe, 
weshalb Säuglinge in den ersten 10 Tagen zugrunde gehen, von der 
Pflege und von der Leitung eines Direktors der Frauenklinik überhaupt 
unabhängig, so dass ihn auch keine Schuld treffe, wenn unter seiner 
Leitung wirklich einige Kinder mehr gestorben seien. Die Ursachen 
könnten heute nicht mehr nachgeprüft werden. 

Gegenüber diesen Auffassungen zuständiger Beurteiler verbot 
es sich, betreffs der Säuglingsfürsorge, die er bei Beginn seiner 
Wirksamkeit durch Verlegung der Säuglinge aus einem ungeeigneten 
Raum der Nordseite in ein grosses sonniges Zimmer nach Südeir hin 
und durch Einführung der Gewichtskurven tatsächlich gefördert hat, 
auf den Beschuldigten einen Tadel zu werfen.“ 

Um auch hier dem Leser zu einem eigenen Urteil zu verhelfen, 
lasse ich anschliessend eine von R ö s s 1 e angefertigte Tabelle folgen, 
in welcher die Jenenser Sterblichkeit in Vergleich gesetzt ist mit 
den bisher literarisch festgestellten Mortalitätsziffern aus anderen 
Frauenkliniken: 



Totgeburten in 
*0 

Neugeborenen¬ 
sterblichkeit ln •/• 
d. Lebendgeborenen 

Innerhalb von 

Deutelte* Reich. 

3,1 (Seitz) 

3,5 (Franqul) 

10 Tagen 

Preuuen. 

3,08 (1901-03) 

3,8 


Baden . 


3,17 

^ ft 

Bayern . . ....... 


3,8 

10 „ 

Bayerische Entbindungs- 

initillffl - ■ - 


2.33 

-> 

Ölessener Frauenklinik. 

5,71 (Wcingeroff) 

1,7 (Franquä und 
Weingerof!) 

10 „ 

Bonn Frauenklinik . . 

5,98 (Krone) 

2,88 

10 „ 

Münchener Frauenklinik . . 

5,5 (Schnitze) 

2,5 (Seitz) 

8 „ 

Freiburg Frauenklinik . . . 

5,84 (Thielen) 

4,0 

9 „ 

Jena. 

10,6 

7,4 

10 „ 


Die Tabelle zeigt, dass die Zahlen an der Jenenser Klinik unter 
Henkel fast doppelt so hoch sind als an anderen Kliniken. 
Hält man damit die Tatsaohe zusammen, dass sowohl der Vorgänger 
wie der Nachfolger von Henkel nur Zahlen von normaler flöhe 
hatten, so fällt es schwer, darüber hinwegzukommen; trotz der An¬ 
sicht Czernys, die Statistik sei eine schwache Grundlage für eine 
Beschuldigung. Dass Vorgänger und Nachfolger bzw. Stellvertreter 
von Henkel bessere Ergebhisse hätten, rührt nach Winter davon 
her, dass insbesondere der Stellvertreter wegen der ihm bekannt ge¬ 
wordenen Vorwürfe gegen die Säuglingsfürsorge in der Jenenser Frauen¬ 
klinik sein besonderes Augenmerk darauf gerichtet «hätte, während 
sonst die Säuglingsstation für die Frauenkliniksdirdktoren etwas neben- 
sächHches und die uninteressanteste Abteilung sei! Schliesslich ist es 
nur die ungenügende Tätigkeit des Unterpersonals, die an allem Schuld 
ist, aber nur nicht der verantwortliche Direktor. 

Jeder Arzt wird aus diesen Tatsachen einen anderen Schluss 
ziehen als ihn die entlastenden Gutachten gezogen haben. Wenn 
sie recht hätten, dann wäre nicht einzusehen, warum die Zahlen 
an anderen Kliniken nicht auch so hoch sein sollten wie in Jena, 
und dann vergegenwärtige man sich, dass es sich um Menschen¬ 
leben handelt, die zugrunde gehen; zu welchen Sterblichkeitsziffern 
müssten wir dann für unser Volk kommen? Und das alles angesichts 
der modernen Säuglingsfürsorgebestrebungen? Ich verweise noch auf 
die aus Anlass dieses Prozesses entstandenen Aufsätze von Opitz 
und L a n g s t e i n, die sich ebenfalls gegen die von den Gutachtern 
vertretenen Anschauungen wenden. 

Schliesslich ist entsprechend dem Ersuchen des Staatsmini- 
steriums auch die ärztlich-ethische Seite der Fragen vom allgemein- 
ärztUchen Standpunkte aus von den Sachverständigen gewürdigt 
worden. Henkel wird in dieser Beziehung von Bumm völlig ent¬ 
lastet, obwohl er zugibt, dass H en ke 1 als Anhänger der aktiven Be¬ 
handlungsweise die Anzeigen zu operativen Eingriffen leicht und reich¬ 
lich gestellt habe. Auch Hofmeier und Fehling können in 
dem ärztlichen Verhalten des Angeschuldigten nichts sehen, was 
gegen die ärztlich-ethischen Pflichten verstiesse. „Wenn auch die Aus¬ 
dehnung der operativen Eingriffe von ihm gelegentlich sehr woit ge¬ 
trieben worden ist, so würden wir hierin nur dann einen Verstoss 
gegen die ärztUche Ethik erblicken, wenn dies nachweisbar ans 
materiellen Gründen geschehen wäre. Hierfür ist aber nirgends ein 
Anhaltspunkt gegeben oder gar ein Beweis erbracht.“ Ich finde 

6 ) Winter legt seiner Berechnung nur Kinder mit mindestens 
2000 g zugrunde, während die obenstehende Tabelle sämtliche Lebend- 
geborene berücksichtigt. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 








17. September 1918 


MUENCHE'NER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1059 


diesen Standpunkt reichlich eng gefasst. Der Arzt kann doch auch 
ganz abgesehen vom materiellen Vorteil in seinem Berufe gegen die 
ärztliche Ethik verstossen. Wenn auch Henkel, wie er privatim 
versichert hat, für die 61 Proz. der Zangenentbindungen auf der Privat¬ 
abteilung dasselbe Honorar erhalten hat, als wenn er es zur Spontan¬ 
geburt hätte kommen lassen, so hat er doch gegen die ärztliche Ethik 
verstossen, da er sicher in einer grossen Anzahl von Fällen ohne 
genügende Indikation operiert hat; sonst wäre der klaffende Gegen¬ 
satz dieser Frequenzziffer zu der anderer Geburtshelfer (3—4 Proz.) 
nicht erklärbar. Die ärztliche Ethik fordert aber, dass nur operiert 
wird, wo es angezeigt ist, nicht aus anderen Gründen. 

AehnHch steht es mit dem Schwangerschaftsunterbrechen. Selbst 
für das Gericht bleiben von den 98 Fällen von Schwangerschaftsunter¬ 
brechung 5 übrig, von denen einer „objektiv ungerechtfertigt“ ist und 
bei vieren „es nicht nur zweifelhaft ist, ob der Eingriff objektiv 
berechtigt war, sondern auch Zweifel entstehen können, ob nicht 
der Beschuldigte leichtfertig in der Anzeigestellung zu weit gegangen 
ist oder doch die Anzeigestellung nicht mit der nötigen Sorgfalt vor¬ 
genommen hat.“ 

Vom ärztlich-ethischen Standpunkt aus kommt es nicht darauf an, 
ein wie grosser oder wie geringer Prozentsatz der Eingriffe 'berech¬ 
tigten allgemeinen Grundsätzen zuwiderläuft, sondern es muss ver¬ 
langt werden, dass das gesamte ärztliche Tun und Lassen sich als 
einwandfrei erweist. Verlangt man dies schon von jedem praktischen 
Arzt, um wieviel mehr von einem Manne in der hervorragenden Stel¬ 
lung als Kliniksleiter und akademischer Lehrer. 

Hören wir nun, wie das Oberverwaltungsgericht angesichts dieses 
Tatsachenmaterials seinen Freispruch begründet: 

„Ein Dienstvergehen, das mit einer förmlichen Dienststrafe belegt 
werden müsste, stellen aber auch die sonst noch festgestellten Ver¬ 
fehlungen nicht dar. Eine strafbare Handlung steht nir¬ 
gends in Frage: in den Fällen F. und B. schon deshalb nicht, 
weil der — etwa in Betracht kommende — Tatbestand der fahrlässigen 
Tötung nur vorliegen würde, wenn festgestellt werden müsste, dass 
die mit der Gebärmutter herausgenommenen Kinder nach der Ab¬ 
setzung der Gebärmutter gelebt haben, was. wie schon erwähnt wurde, 
nach der Sachlage nicht möglich ist. Eine strafbare Abtreibung liegt 
auch im Falle E. nicht vor. denn der Beschuldigte hat erklärt, dass 
er eine Schwangerschaftsunterbrechung aus eugenischen Gründen nie 
gemacht hätte und nie machen würde, und diesen Standpunkt hat er 
auch literarisch e ) vertreten. Dass gleichwohl die Unterbrechung hier 
lediglich aus eugenischen Gründen vorgenommen worden ist, kann sich 
daher, da sonst ein Motiv, das den Beschuldigten bestimmt haben 
körnite. nicht ersichtlich ist. nur so erklären, dass er bei der Anordnung 
oder Billigung des Eingriffes ganz übersehen hat, dass es sich um eine 
Unterbrechung aus eugenischen Gründen handelte und er sich damit 
begnügt hat. dass die medizinische Poliklinik eine Schwangerschafts¬ 
unterbrechung empfahl. Es hat ihm also der für die Strafbarkeit 
aus § 219 St.G.B. erforderliche Vorsatz gefehlt. Noch viel weniger 
aber kann eine Strafbarkeit bei den übrigen, etwa zu beanstandenden 
Unterbrechungen in Betracht kommen, da in diesen Fällen weder fest¬ 
steht. dass die Unterbrechung obiektiv unberechtigt war. noch sich, 
feststellen lässt, dass der Beschuldigte sich nicht für berechtigt ge¬ 
halten hat und halten durfte, den Eingriff zu machen, sondern höch¬ 
stens eine nicht zu billigende Weifherzigkeit in Betätigung seiner 
wissenschaftlichen Anschauung in Frage steht. Es handelt sich also 
in allen diesen Fällen um eine gewisse Nachlässigkeit, die sich der Be¬ 
schuldigte bei der Wahrnehmung einzelner Dienstgesrhäfte hat 
zu Schulden kommen lassen. . . .“ Und weiter nach einer Begriffsbe- 
stimnrung des formellen Dienstvergehens: „Die festge¬ 
stellten Säumnisse des Beschuldigten sind* nun im einzelnen nicht 
schwerwiegender Art. Denn in den Fällen F. und B. handelt es sich, 
wenn man dem Bechuldigten glaubt, dass er nach dem ganzen Ver¬ 
laufe die Frucht für tot halten musste, nur um die Ausserachtlassung 
derjenigen Sorgfalt, die ein besonders vorsichtiger Mann vielleicht 
angewendet hätte und m den Fällen der zu beanstandenden Unter¬ 
brechungen könnte eine grössere Fahrlässigkeit nur in dem Fall E. 
in Frage kommen. Aber bei seiner wissenschaftlichen Stellung zur 
Frage der Indikation aus eugenischen Gründen und dem Fehlen jedes 
verständigen Grundes für eine bewusste Abweichung von dieser 
Stellungnahme kann doch nur angenommen werden, dass den Be¬ 
schuldigten hier im Drange der Geschäfte oder infolge Ueberarbeitung 
oder dergleichen ein Versehen unterlaufen ist, das ihm nicht als schuld¬ 
hafte Säumnis anzurechnen ist. Im übrigen könnten in diesen Unter¬ 
brechungsfällen die festgestellten Säumnisse freilich deshalb als 
schwerwiegend erscheinen, weil hier durch das Verhalten des Be¬ 
schuldigten die öffentliche Moral und die Berufsauffassung des von 
ihm ausgebildeten ärztlichen Nachwuchses gefährdet erscheinen 
könnte. Indessen das Gericht ist überzeugt. dass diese Befürchtung 
nicht begründet ist, weil doch nichts dafür spricht, dass der Be¬ 
schuldigte in der Frage der Schwangerschaftsunterbrechungen wie 
überhaupt eine leichtfertige Auffassung vertreten, befolgt oder ge¬ 
lehrt habe.“ 

Also nur Nachlässigkeiten und Säumnisse nicht 
schwerwiegender Art sind es. die das Oberverwaltungsge¬ 
richt Henkel zur Last legen zu können glaubt. 


•) H en ke 1 in dem 1918 (!) erschienenen Sammelwerk von Plac- 
zek: Künstliche Fehlgeburt und künstliche Unfruchtbarkeit, ihre Indi¬ 
kation, Technik und Rechtslage. 

□ igitized by Google 


Ich glaube der Zustimmung weitester ärztlicher Kreise sicher zu 
sein, wenn ich behaupte, dass eine derartige richterliche Auffassung 
der ärztlichen Denkweise aufs schroffste widerspricht, und dass sich 
kaum ein akademischer Lehrer finden wird, der sie vor seinen Hörem 
vertritt. Diese unrichtige Auffassung ist einmal nur durch das mangel¬ 
hafte Verständnis für ärztliche sachverständige Gutachten zu er¬ 
klären; ich brauche das nioht weiter auszuführen, das ergibt sich 
schon aus den vorstehenden Ausführungen von selbst. Das klare, 
nüchterne Gutachten von Puppe, das die Grundlage zu seinem 
Aufsatz in der „Med. Klinik“ gegeben hat, ist fast gänzlich unbe¬ 
achtet geblieben. Zum anderen entspringt die irrige Auffassung der 
Richter dem Umstand, dass sie der ärztlichen Ethik nicht genügend 
Rechnung getragen haben. Ich glaube auch hierfür die Beweise er¬ 
bracht zu haben. Gerade bei der disziplinären Beurteilung 
im Gegensatz zur rein strafrechtlichen hätte die ärztliche Ethik be¬ 
sondere Berücksichtigung verdient, wie es auch von Henkels 
Fakultätskollegen im Interesse der Würde des akademischen Lehr¬ 
amtes beantragt worden war. Ich bin überzeugt, dass eine Aerzte- 
k a m m e r die Handlungen Henkels nicht nur als Nachlässigkeiten 
und Säumnisse nicht schwerwiegender Art erachtet hätte. Jetzt hat 
man zweifellos den Eindruck, dass vorwiegend eine formal-juristische 
Beurteilung durch den Disziplinarrichter stattgefunden hat. 

Auch ich bedauere auf das Lebhafteste, dass ein solches Prozess¬ 
verfahren wie das hier besprochene überhaupt notwendig war, aber 
im Interesse des Aerztestandes sowohl wie der Volkswohlfahrt war 
es nicht zu vermeiden. Ansichten und Handlungsweise wie die Hen¬ 
kels müssen bekämpft werden, umsomehr, wenn er zugleich in 
seiner Eigenschaft als akademischer Lehrer Gelegenheit -hat. sie auf 
seine Schüler zu übertragen. 

Der Freispruch im Henkelprozess ist für den Arzt ein Fehlspruch. 


Bücheranzeigen und Referate. 

Dr. med. M. v. Kemnitz: Das Weib und seine Bestimmung. 
Ein Beitrag zur Psychologie der Frau und zur Neuorientierung ihrer 
Pflichten. Verlag von Ernst Reinhardt, München 1917. 188 S. 
Preis: M. 3.80. 

An der Hand wissenschaftlicher Untersuchungen, gestützt von 
trefflichen eigenen Beobachtungen, versucht die Verfasserin die unter¬ 
schiedliche Begabung der beiden Geschlechter nachzuweisen. Den 
Glauben an die Inferiorität der Frau sucht sie umzustimmen. Die 
grössere Aktivität der Frau, ihr Altruismus, ihre Begabung für 
Psychologie lassen sie besonders geeignet erscheinen, in sozialwissen¬ 
schaftlichen, pädagogischen Berufen an leitender Stelle neben dem 
Manne zu arbeiten. Das Gebiet der exakten Wissenschaften hält die 
Verfasserin als ureigenstes Gebiet männlicher Intelligenz. Nur die 
Medizin mache davon eine Ausnahme. Ihre Ausübung.harmoniere als 
Beruf mit den Vorzügen weiblicher Begabung. 

Die nicht zu leugnende schwierige Frage der Zweiteilung der 
Frau zwischen Ehe und Beruf will die Verfasserin von Fall zu Fall 
entschieden wissen. Doch fordert Frau v. K e m n i t z ein Leben voll 
ernster Pflicht und Arbeit für alle Frauen, gerade um sie auf die 
Mühen der Gattin und Mutter würdig vorzubereiten. Sie meint, dass 
auch die Frauen mehr Verständnis für Geschichte und Geographie 
etc. haben könnten, wenn nicht der ganze Lehrftoff auf die männliche 
Intelligenz zugeschnitten wäre. Von einer gemeinsamen Arbeit der 
beiden Geschlechter unter Betonung der geistigen Eigenart eines 
jeden erhofft sich die Verfasserin eine günstige Beeinflussung unseres 
staatlichen und intellektuellen Lebens. 

ln dem Abschnitt über Gynäkokratie und Männerherrschaft sind 
wohl Ursache und Wirkung nicht genügend getrennt. Das massvolle 
Buch bemüht sich obiektiv, eine Besserstellung der Frau zu erzielen: 
dadurch wirkt die Lektüre ausserordentlich wohltuend und anregend 
und erhebt sich weit über die Höhe vieler ähnlicher Bücher. Es ist 
ihm ein grosser Leserkreis nicht nur zu wünschen, sondern sicherlich 
zu erhoffen. Max Nassauer -München. 

J. Schwalbe: Diagnostische und therapeutische Irrttimer und 
deren Verhütung. Heft 4: Ebermayer: Zivil- und strafrechtliche 
Haftung des Arztes für Kunstfehler. Leipzig 1918 bei G. Thieme. 
58 Seiten gross 8°. M. 4.50 ungeb. 

Das Heft ist den oft recht unangenehmen Folgen diagnostischer 
und therapeutischer Irrtümer gewidmet, welche nicht den Patienten 
betreffen, sondern den Arzt. Der manchmal ziemlich verwickelte 
Stoff ist von dem gesetzkundigen Verfasser, der Reichsgerichtsrat 
ist, gründlich und klar bearbeitet. Möge das Büchlein vielen Kollegen 
eine Hilfe sein! Kerschenste ine r. 

Neueste Journallfteratur. 

Zeitschrift für klinische Medizin. 86. ßd., 1. u. 2. Heft. 

F. Klemperer und F. Rosenthal: Untersuchungen über 
die Grub er- W1 dal sehe Reaktion bei gesunden und kranken 
Typbusschutzgeimpften. 

3—6 Tage nach der Impfung setzt eine individuell verschiedener 
aber stets deutliche Agglutininneubildung ein, die meist nach 
2—4 Wochen ihren Höhepunkt erreicht, der oft beträchtlich Ist. 
Vom 3. Monat nach der Impfung ist bei 30—40 Proz. Gr.-Wid. wieder 

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negativ. Die positiven Reaktionen sind nach dieser Zeit meist 
niedrig. In den ersten Monaten kommen auch bei Gesunden spontan 
starke Titerschwankungen vor. Nichttyphöse fieberhafte Pro¬ 
zesse sind mit zunehmender Enfernung vom letzten Impftermin ohne 
praktisch wichtigen Einfluss auf die Agglutininkurve. Typhöse 
Infektion löst sehr häufig einen starken Anstieg des Agglutinin¬ 
spiegels beim (ieimpfen aus. Injektion von lOproz. Kochsalzlösung 
lässt bei gesunden Geimpften in den ersten Monaten einen rasch vor¬ 
übergehenden Agglutininanstieg (akute Agglutininausschüttung) 
entstehen. Für die Titerstärke ist die Agglutinabilität des Typhus¬ 
stammes von hoher Bedeutung. — Danach hat in den ersten 4 Mo¬ 
naten nach der Schutzimpfung die Gruber-Widal sehe Reaktion 
keine diagnostische Bedeutung. 5—7 Monate nach der Impfung kann 
ein Gr.-Wid. von über 1 :400 mit 90 Proz. Wahrscheinlichkeit für 
die Diagnose Typhus verwendet werden. Werte von 1 :800 und 
höher sind nach 7—8 Monaten beweisend. Rasches Ansteigen auf 
Werte über das Dreifache des Ausgangswertes innerhalb 3 Wochen 
bei Fiebernden, die seit 6 Monaten nicht gegen Typhus geimpft sind, 
beweist typhöse Infektion. Die Minderung des diagnostischen Wertes 
der G r u be r - W i d a 1 sehen Reaktion bei Schutzgeimpften ist eine 
voraussichtlich in wenigen Jahren vorübergehende. 

F. Gudzent, C. Maase, H. Z o n d e k: Untersuchungen zum 
Harnsäurestoffwechsel beim Menschen. 

Die Veränderung des Blutharnsäurespiegels lässt sich nach der 
Methode von Maase-Zondek, bei der 5 ccm Blut ausreichen, 
bequem verfolgen. Bei Veffütterung von Nukleinsäure besteht bei 
Gesunden und Leukämiekranken zwischen der Blut- und Urinharn- 
säure ein weitgehender Parallelismus. Die Blutharnsäurewerte 
steigen und fallen gleichsinnig mit der Urinharnsäure. Bei der Gicht 
tritt in den Kurven die Störung des Purinstoffwechsels klar zutage. 
Durch Einverleibung von Extrakten aus Drüsen und Organen kommt 
es zu einer zwar vorübergehenden, aber erheblichen Harnsäurever¬ 
mehrung, die ihren Weg über die Blutbahn nimmt. Ob es sich 
lediglich um eine Ausschwemmung von Purinen aus den Organen 
oder um andere Ursachen handelt, bleibt eine offene Frage. Auch 
bei 'Kolchikum, Atophan und radioaktiven Substanzen werden Blut- 
und Urinharnsäure vorübergehend vermehrt. Ferner bewirken Ab¬ 
führmittel eine vorübergehende Blut- und Harnsäurevermehrung, 
während die Stopfmittel den Purinstoffwehsel unverändert lassen. 
Kalzium hat insofern eine Ausnahmestellung, als es bei Vermehrung 
der Urinharnsäure den Blutharnsäurespiegel herabdrückt und offen¬ 
bar an der Niere angreift. Die Anschauungen von Abi, dass die 
Wirkung der Abführmittel auf den Purinstoffwechsel eine reine 
Darmwirkung ist, wird abgelehnt. Von Interesse dürfte sein, dass 
manche Substanzen, die früher bei Gicht angewandt wurden, den 
Purinstoffwechsel erheblich beeinflussen und sich hierbei von dem 
gegenwärtig souveränen Atophan nicht unterscheiden. 

R. Kienböck: Zur Radiologie des Herzens. 

Versuch, im Bilde des Herzens, im „radiologischen Homogen- 
herzen“ eine weitere Orientierung zu ermöglichen, speziell die Lage 
der Furchen kennen zu lernen und die vier anatomischen Teile, vom 
Verf. „Herzviertel“ genannt, auseinanderzuhalten. Die weiteren Aus¬ 
führungen sind zu kurzem Referat ungeeignet. 

E. Adler: Ueber Cbloridebestlmmungen Im Ham Nierenkranker 
nach Volhard-Arnold. 

Vergleich zwischen der Enteiweissungs- und Veraschungs¬ 
methode. Bei Nierenkranken wurden nach der Volhard- 
Arnold sehen Methode im veraschten Harn stets höhere Koch¬ 
salzwerte gefunden als im enteiweissten, vorausgesetzt, dass mess¬ 
bare Eiweissmengen vorhanden waren. Im ausgefällten Harneiweiss 
war in der Regel Kochsalz durch Veraschung nachweisbar und zwar 
in einer Menge, die der Differenz zwischen den nach beiden Me¬ 
thoden gefundenen Werten entsprach. Es empfiehlt sich darum, 
bei Kochsalzbestimmungen, die genau sein müssen, in eiweisshaltigen 
Harnen den Harn zu veraschen und aus der Harnasche die 
Chloride nach Volhard-Arnold zu bestimmen. 

R. Schmidt: Tonusprobleme und Vagotonle. 

Die Annahme einer stets gleichsinnigen Veränderung in bezug 
auf Tonus und Reizbarkeit besteht nicht zurecht. Auch ist phar- 
makodynamische Ueberprüfung der Reizbarkeit nicht auf eine Stufe 
zu stellen mit örtlich scharf begrenzter Einwirkung bei freigelegten 
Nervenbahnen. Ein Urteil über die Reizbarkeit irgend eines be¬ 
lebten Substrats kann auf Grund der Ueberprüfung mittels eines 
Reizes überhaupt nicht abgegeben werden. Es gelingt in physio¬ 
logischen Experimenten gerade durch Detonisierung eine erhöhte 
Reizbarkeit zu erzielen. Die Annahme einer auch nur häufigen 
gegensätzlichen pharmakodynamischen Empfindlichkeit in bezug auf 
Pilokarpin-Atropin einerseits. Adrenalin andrerseits hat keine Be¬ 
stätigung gefunden, im Gegenteil, in der Regel besteht nach beiden 
Richtungen Ueberempfindlichkeit. Damit sind aber die Hauptstützen 
für das Gebäude der „Vagotonie“ zusammengebrochen. Es ist auch 
durchaus denkbar, dass normale, stark tonisierende Einflüsse in der 
Vagusbähn im Bereich des Erfolgorgans auf einen Zustand abnorm 
grosser Anspruchlosigkeit treffen — auch ohne abnorm hohen Vagus¬ 
tonus. Es ist also unstatthaft, aus abnorm hohen Reizaffekten von 
Atropin-Pilokarpin auf hohe tonisierende Einflüsse in den para¬ 
sympathischen Bahnen zu schliessen. Es ist auch zu berücksichtigen, 
dass in den Erfolgsorganen selbst Tonisierungsvorgänge ablaufen. 

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Beim klinischen Studium von Tonusproblemen erscheint nur eine der 
spezialisierenden und dezentralisierenden Tendenz im höheren 
Säugetierorganismus entsprechende, sich auf einzelne Organe und 
Orgsnbezirke estreckende Detailbeobachtung geeignet, die Lösung 
der Tonusprobleme anzubahnen und zu fördern. Durch kritiklose An¬ 
wendung ist der Begriff „Vagotonie“ zu einem recht fragwürdigen 
modernen Schlagworte geworden. Für klinische Fragestellungen er¬ 
scheinen zwei Perspektiven besonders bedeutsam: 1. das Quell- 
gebiet tonisierender Einflüsse, 2. die Tonisierungsverhältnisse in ein¬ 
zelnen Organen bzw. Organabschnitten. — Diese Sätze mögen den 
Inhalt der Arbeit andeuten, bezüglich der weiteren Ausführungen 
muss auf das Original verwiesen werden. 

E. Schultz: Klinische Beobachtungen über Nierenentzündung 
bei Kriegsteilnehmern. 

Bearbeitung von 93 Fällen. Erkrankungen infektiöser Natur 
waren niemals vorausgegangen. Dass trotzdem Infektion eine Rolle 
spielt, dafür spricht die Häufigkeit des Fiebers und die Häufigkeit 
plötzlichen Krankheitsbeginns. Kein sicherer Anhaltspunkt für die 
ätiologische Bedeutung der Erkältung, jedoch Nachlass der Nieren¬ 
kranken bei Frühlingsbeginn. Vitaminfreie Ernährung und Schutz¬ 
impfung scheinen keine Rolle zu spielen. Die mechanische Kompo¬ 
nente hat für die Entstehung der Nephritis wahrscheinlich eine bis 
jetzt nicht genügend gewürdigte Bedeutung. Die Mehrzahl der 
Kranken gehörte der Infanterie an. Einteilung der Fälle in schwere, 
mittelschwere und leichte. Krankheitsbeginn bei der Mehrzahl plötz¬ 
lich, zu Beginn meist normale Temperatur. Oft Husten. Blutzu¬ 
sammensetzung zur Zeit der stärksten Oedeme normal, stärkere 
Hydrämie erst bei Rückbildung der Oedeme. Oefter Vermehrung 
der Eosinophilen. Die Zahl der abnormen Herzen war recht be¬ 
trächtlich. Langdauernde und hohe Eiweissaussoheidung kenn¬ 
zeichnet im allgemeinen die schweren Fälle. Drei Formen der 
Eiweissausscheidung: Kontinua, Intermittens. Uebergangsformen. 
Das Sediment zeigt keine Besonderheiten. Im Vordergrund des 
ganzen Krankheitsbildes steht das Oedem. In keinem Falle völlige 
Anurie. Günstig wirkten auf die Diurese Kalziumchlorid. Trocken¬ 
kost, Skarifikationen. Die Nierenfunktion war weniger in Mitleiden¬ 
schaft gezogen, die Wasserretention ist wohl extrarenal bedingt. 
Die Variabilität der Niere war meist erhalten. Urämische Erschei¬ 
nungen bei 11 Fällen, 20 Proz. der Fälle wurden durchschnittlich in 
3 Monaten eiweissfrei. Häufig wurde über heftige Rücken- (Nieren-) 
schmerzen Klage geführt. 

Ph. Diel und M. Levy: Beitrag zum Studium der aleukämi¬ 
schen Myelose. 

In der Lieratur sind mehrere einwandfreie Fälle von aleukämi¬ 
scher Myelose beschrieben. Hier Fall der I. med. Klinik Berlin. 
Sehr niedrige Leukozytenwerte, die unter Röntgenbestrahlung noch 
sinken. Schon zu Beginn starke Vermehrung der Mastzellen, ln 
verschieden hohem Grade Myelozyten und Myeloblasten, zeitweise 
Megalo- und Normoblasten. Enorme MilzvergrÖsserung. Beweisend 
war das Resultat der Milzpunktion, die bei Verwendung feiner Kanüle 
und oberflächlichem Einstich gefahrlos ist. Im Punktat fanden sich 
vorwiegend Megaloblasten und in etwas geringerem Masse Myelo¬ 
zyten. Durch Sektion Bestätigung, typische Befunde in Milz und 
Leber. Knochenmark wenig verändert, vielleicht besteht ein kausaler 
Zusammenhang zwischen der Verarmung des Knochenmarks an 
zelligen Elementen und dem Fehlen der Ausschwemmung grosser 
Mengen weisser Blutkörperchen im strömenden Blute. 

Kämmerer - München. 

Zeotralblatt für Chirurgie. Nr. 34, 1918. 

H. v. B a e y e r - Würzburg: Zur Behandlung von grossen 
Waden Verletzungen. 

Zur Vorbeugung von Spitzfuss nach Wadenverletzungen emp¬ 
fiehlt Verf., abwechselnd Beugung und Fixation im Fuss- und Knie¬ 
gelenk vorzunehmen neben Hochlagerung des verletzten Beins und 
offener Wundbehandlung; das Bein trägt einen zweckmässigen Ver¬ 
band, der aus zwei Skizzen ersichtlich ist. 

M. L i n n a r t z - Oberhausen: Zur Technik der Nagelextension. 

Statt des Vierkantschliffes des Extensionsnagels benützt Verf. 
den Dreikantschliff mit nicht zu langer Spitze und 4 mm Durchmesser, 
mit dem sich der Knochen leicht durchbohren lässt. Den Nagel selbst 
spannt er nicht in einem Bügel ein, sondern er benützt einen eigens 
dafür konstruierten Schraubkolben, der jede Verletzung des ge¬ 
sunden Beines und des Bettzeuges ausschliesst. Mit 1 Abbildung. 

H. Neuhäusdr - Ingolstadt: Unblutige Methode zur Aus¬ 
füllung alter Empyemhöhlen. 

Statt der „lebenden Tamponade“, die auch nicht immer zur Aus¬ 
heilung führt, legt Verf. ein Netz aus Katgut (in Melsungen hergestellt) 
in die Höhle ein, das als Fremdkörper wirkt und die Granulationen 
zu kräftigem Wachstum anregt; diese kriechen den Katgutfäden ent¬ 
lang in die Höhle und füllen als kompakte Masse bald den ganzen 
Hohlraum aus, während die Fäden resorbiert werden. 

J. A 11 m a n n - Bergedorf: Zur Technik der Darmreinigung. 

Verf. empfiehlt nach seiner Erfahrung die von Orth in Nr. 28. 
1917 angegebene Methode der Darmreinigung (Invagination des rese¬ 
zierten Daftnstückes). 

H. G ä r t n e r - im Felde: Beitrag zur Behandlung des schweren 
Tetanus. 

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17. September 1918. 


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Bei schwerem Tetanus empfiehlt es sich, beide Scheitelbeine 
zu trepanieren und je 40 K.-E. Tetanusserum unter die Dura zu 
spritzen (nach Betz). E. H e i m, zurzeit im Felde. 

Gynäkologische Rundschau, Jahrgang XI, Heft 21 u. 22. 

Wilhelm Gessner - Olvenstedt-Magdeburg : Ueber Eklampsie- 
Verbreitung und Eklampsiestatistik. 

Der Verfasser ist der Anschauung, dass die Eklampsie mit in 
letzter Linie auf einer Ernährungsfrage beruht. Einmal die Hunger- 
blokade Englands, andererseits der Zwang für die Frau, fast bis zur 
Niederkunft der Erwerbstätigkeit nachzugehen und sich einer regel¬ 
mässigen körperlichen Bewegung in weit höherem Grade als in Frie¬ 
denszeiten auszusetzen, hat entschieden eine Abnahme der Eklampsie 
im Kriege zur Folge gehabt. Die Eklampsie hängt zusammen mit 
der Fettaufnahme; in Ländern, wo viel Fett gegessen wird, kommt 
sie häufiger vor, z. B. in den nordischen Ländern. Verfasser polemi¬ 
siert gegen eine Behauptung Lichtensteirts in einer Arbeit aus 
der Leipziger Frauenklinik, „der Krieg habe prozentualiter keine 
fortschreitende Abnahme der Eklampsie gebracht; er weist aus 
Lichten Steins eigener, aber mit der nötigen Vorsicht gedeuteten 
Statistik nach, dass die Eklampsie auch in Leipzig sowohl inner- wie 
ausserhalb der Leipziger Frauenklinik wesentlich seltener ge¬ 
worden ist. 

Matthias V a e r t i n g - Berlin; Der MännermangeA nach dem 
Kriege. Das gewaltige Anwachsen des Frauenüberschusses nach 
dem Kriege. 

Schon vor dem Kriege bestand in fast allen europäischen Län¬ 
dern ein Frauenüberschuss. Während er vor dem Kriege vor allem 
das Problem der alternden Frau war, wird er nach dem Kriege 
eine Lebensfrage der jungen Frau sein. Infolge des Krieges wird 
die Sterblichkeit der Männer noch zunehmen, so dass der jetzt schon 
grosse Frauenüberschuss nach dem Kriege noch eine beträchtliche 
Steigerung erfahren wird. Verfasser ist der Meinung, dass nach 
dem Kriege auch eine starke Zunahme der Knabensterblichkeit zu 
erwarten ist und ausserdem eine Abnahme der Knabengeburten. Der 
Knabenbestand ist also von vornherein im Keime gefährdet, eine 
Folge der durch den Krieg hervorgerufenen Degeneration. Vermehrt 
wird die Gefahr des Zurückganges der Knabengeburten noch durch 
die Gefahr der polygamen Entartung des Mannes. Verf. verlangt 
genaue statistische Erhebungen, um recht bald das Verhältnis zwi¬ 
schen Knaben- und Mädchengeburten erfassen zu können. Vielleicht 
wird man auf der Grundlage dieser Statistik zu der Einsicht kommen, 
dass es eine falsche und ungesunde Geburtenpolitik ist, jetzt die 
Volksvermehrung künstlich zu fördern. 

Mar L i n n a r t z - Oberhausen (Rhld.): Eine neue Methode der 
FluorbebatiidJung mittels Birkenholzteer. 

Beschreibung der Art der Behandlung: der Teer wird im Spe- 
kuuiti mit einem fihgerglieddicken Malerpinsel aufgetragen. dann der 
Spiegel bei liegenbleibendem Pinsel herausgenommen. Den Schuss 
der Behandlung bildet die ausgiebige Bearbeitung der Scheiden¬ 
wände mit dem Teerquast. A. Rieländer - Marburg a/L. 

Jahrbuch für Kinderheilkundte. Band 87. Heft 6. 

Arnold 0 r g 1 e r: Zur Theorie der Lebertranwirkung. 

Verf. konnte durch seine experimentellen Untersuchungen zeigen, 
dass die fettsauren Kalksalze, in erster Reihe der oleinsaure Kalk, 
viel besser vom Serum gelöst werden als phosphorsauxe Kalksalze, 
so dass also durch eine Darreichung von Lebertran eine Anreiche¬ 
rung des Blutes an Kalk stattfinden kann. Ob diese Kalkanreicherung 
des Blutes genügt, um die Wirkung des Lebertranes völlig zu er¬ 
klären, muss allerdings vorläufig dahingestellt bleiben. Literatur. 

A. H ü s s y Zürich: Ueber Chylothorax Im Kiqdesatter. 

Kasuistischer Beitrag zu dieser seltenen Erkrankung im Kindes¬ 
alter. 

Erwin Schiff: Frühzeitige Entwicklung der sekundären Ge- 
schlechtscharaktere bei einem zweijährigen Mädchen inlolgje eines 
Hypernephroms der rechten Nebenniere. (Mitteilung aus dem 
Weissen-Kreuz-Kinderspital in Pest [Primarius Dozent Dr. N. Be¬ 
reu d].) Kasuistik. 

Literaturbericht, zusammengestellt von Dr. A. Niemann- 
Berlin. — Nekrologe auf A. Baginsky von Czerny und auf 
E. Schloss von E. Müller. — Sach- und Namenregister zu 
Öd. 87. Inhaltsverzeichnis zu Bd. 87. 0. R o m m e 1 - München. 

Zieglers Beiträge zur pathologischen Anatomie und 
allgemeinen Pathologie. Band 63, Heft 3, 1918. 

Rud. B e n c k c: Weitere Beobachtungen über wachsige Muskel¬ 
degeneration nach anaphylaktischen Vergiftungen. [Zugleich ein 
Beitrag zur Echinokokkenanaphylaxie.] (Aus dem pathol. Institut der 
Universität Halle.) 

Die Muskelveränderungen traten (übereinstimmend mit den Tier¬ 
experimenteny ausserordentlich rasch ein, besonders im ersten Fall 
(Tod 11 Stunden nach der Punktion einer Echinokokkenzyste der 
Leber!), wo der Zysteninhalt durch Anstechung einer grösseren 
Vene direkt in die Blutbahn gelangt war. Im zweiten Fall (länger 
dauernde Behandlung eines Rektumkarzinoms mit Krebsserum) war 
der Exitus nicht durch Anaphylaxie bedingt 

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Ad. Reinhardt: Hernia mesocolica media und Hernia bursae 
omentalis mesocolica. (Aus der Prosektur des Städt. Krankenhauses 
St. Georg-Leipzig.) 

Mehrere Arten von Rezessus im Mittelfelde des Mesocolon 
transversum innerhalb der Arkade der Vasa colica media vor¬ 
kommend, können Veranlassung zu Hernien sein, die entweder in 
der Bursa liegen oder schon aus derselben durch Omentum urinus, 
Lig. gastrocolicum, Foramen Winslowi ausgetreten zur Beobachtung 
kommen (eigene Beobachtungen und Literatur); auffallend häufig sind 
sie mit Ulcus ventriculi oder duodeni kombiniert. 

Max Borst- München: Ueber Entzündung und Reizung. 

Georg Herzog: Ueber ein metastasierendes malignes Hoden- 
teratom und seine Histogenese. (Aus dem Pathol. Institut Leipzig.) 

Beobachtung bei einem 33 jährigen Landsturmmann, bemerkens¬ 
wert sowohl durch den rapiden Verlauf (Tod etwa 15 Wochen nach 
dem ersten Bemerken einer Hodensdiwellung), wie ferner durch die 
Ausbreitung (hochgradiges kontinuierliches Wachstum im Venen- 
system und Ductus thoracicus neben diskontinuierlichen meiastati- 
schen Lungen- und Lymphdrüsenknoten) und endlich durch den histo¬ 
logischen Befund, der zeigt, dass sowohl im Primärtumor wie in den 
Metastasen das geschwulsteigene indifferente Zellmaterial zur selb¬ 
ständigen Ausdifierenzierung von ekto-, meso- und endodermaleu 
Elementen befähigt ist. 

Fr. H e n k e - Breslau: Pathologisch-anatomische Beobachtungen 
über den Typhus abdominalis im Kriege. 

Zusammenfassende Schilderung auf Grund von 100 Sektionen; 
sie ergeben, abgesehen von gehäuften Lungenkomplikationen (Kriegs¬ 
schädigung!) weitgehende Uebereinstimmung mit den Beobachtungen 
des Verlaufs in Friedenszeiten. 

Max Vetre: Ueber die experimentelle Lipo-Cholesterinämie. 

(Aus dem Pathol. Institut Leipzig.) 

(S. vorl. Mitteilung der Ergebnisse d. Wochenschr. 1916 Nr. 30.) 

H. M e rke 1-München. 

Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie. 
83. Band. 5. und 6. Heft. 

J. Feigl: Neue Beiträge zur Kenntnis des ReststickstoHs der 
Blutflüssigkeit, der Kritik einschlägiger Methoden, der Beurteilung und 
Anwendung ln Klinik und Pathologie. V. Mitteilung: Uelber den 
Aminosäurestickstoff unter physiologischen Verhältnissen, in Be¬ 
ziehung zum Lebensalter sowie über seine Wiedergabe durch Rech¬ 
nung und getrennte Bestimmung. 

Derselbe: VI. Mitteilung: Das Blutbild des Nichteiweissstick¬ 
stoffs unter physiologischen Verhältnissen, belegt durch Auswahl voll¬ 
ständiger Analysen für den grossen Durchschnitt, für mittlere Ab¬ 
weichungen und extreme Vorkommnisse. Nüchternblut aller Alters¬ 
stufen. Zur Frage der (normalen) Ammoniakämie. 

Derselbe: VII. Mitteilung: Zusammenfassung bisheriger Er¬ 
gebnisse. Praktische Schlussfolgerungen. 

Zu kurzem Referat nicht geeignet. 

0. L o e w i - Graz: Ueber den Zusammenhang zwischen Digi¬ 
talis- und Kalziumwirknng. III. Mitteilung. 

Der negatiw-dromotrope Digitalisstillstand ist Ausdruck einer 
gesteigerten Kalziumwirkung. Der sog. negativ-inotrope Digitalis¬ 
stillstand ist Folge spezifisch gesteigerter Dehnbarkeit bei gleichzeitig 
schwacher Kontrakturwirkung und wird durch Herabminderung des 
Kalziumgehaltes der Ringerlösung behoben. 

v. 0 e 11 i n ge n - Heidelberg: Ueber das Verhaften des Atro¬ 
pins im Organismus des Frosches. 

Es findet beim Frosch eine sehr rasche Entgiftung durch die 
Leber statt. Dem Blut oder Serum kommen im Gegensatz zu dem 
des Kaninchens keine entgiftenden Eigenschaften zu. 

L. Jacob. 

Deutsche medizinische Wochenschrift 1918. Nr. 35. 

Hugo R i b b e r t - Bonn: Die Arteriosklerose. 

Am Ende des ersten Jahrzehntes entstehen bei allen Menschen 
fleckige und streifenförmige Verfettungen, die aus Lipoiden bestehen. 
Sie werden nicht von Bindegewebe überlagert. Daneben entstehen 
bei vielen Menschen Verdickungen der Intima (hyperplastische Schicht 
und sklerotisches' Bindegewebe). Aus diesen entwickelt sich das 
Bild der Arteriosklerose. 

K. H i r t h 1 e - Breslau: Vergleich der gemessenen und be¬ 
rechneten Kräfte des Blutstromes. 

Berechnung und Experimente ergeben, dass eine aktive peri¬ 
staltische Bewegung der kleinen Arterien nicht nötig ist. Auch die 
„Lehre vom peripheren Herzen“ wird durch die Berechnung nicht 
gestützt. 

August Bi er-Berlin: Beobachtungen über Regeneration beim 
Menschen. 15. Abhandlung: Regeneration der quergestreiften Mus¬ 
keln. 

I. Morgen roth - Berlin: Die Therapie der Malaria durch 
Chinaalkalolde und ihre theoretischen Grundlagen. (Schluss folgt.) 

Harry S c h o 1 z - Königsberg: Zur Frage der Chiningewöhnung. 

Chinin wird auch bei Gewöhnung im Urin und Kot in derselben 
Menge ausgeschieden wie bei Nichtgewöhnten. Die Ursache der 
Gewöhnung liegt neben einer erhöhten Widerstandsfähigkeit der 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


Plasmodien und der Entstehung ohininresistenter Stämme in stär¬ 
kerer Bindung des Chinins. 

L. Michaelis -Berlin: Die Behandlung der Plaut-Vin¬ 
cent sehen Angina mit Eukupin. 

Behandlung von 4 Fällen hatte ausgezeichneten Erfolg. 

Eugen Bibergeil: Das Vuzln ln der Wundbehandlung, spe¬ 
ziell bei der Behandlung von Kriegsbeschädigten. 

Bei Injektionen von Vuzin kommt es nach 24 Stunden zu Fieber, 
ferner zu ödematösen Schwellungen an der Injektionsstelle. Vuzin 
ist besonders prophylaktisch anzuwenden. Tamponade oder Drai¬ 
nage ist überflüssig. 

G. G i e m s a - Hamburg : lieber Arsalyt. 

Zu kurzem Referat nicht geeignete Bemerkungen. 

S t ü m p k e - Hannover-Linden: Morbus Basedow mit schwerer 
sekundärer Syphilis, durch Salvarsan (Neosalvarsan) günstig be¬ 
einflusst. 

Mitteilung eines Falles, in dem auch die Basedowerscheinungen 
durch Salvarsan günstig beeinflusst wurden. 

Georg v. Knorre-Riga: Ein Beitrag zur Lumbalanästhesie. 

Statistische Angaben über 286 Fälle. die.Verf. seit 1906 mit 
gutem Erfolg unter Lumbalanästhesie operiert hat. 

W. A r n o 1 d i : Beobachtungen über den Muskelrheumatismus. 

Nicht selten bestanden Störungen der Herz-Niererifunktion. Bei 
Untersuchungen auf Reststickstoff wurden durchgängig sehr niedrige 
Werte gefunden. 

Felix Loewenhardt - Breslau: Zur Therapie des Schwarz¬ 
wasserfiebers. 

Empfehlung von Injektion von Dinatriumphosphat mit 3—6 proz. 
Kochsalzlösung zu gleichen Teilen. 

Hermann Engel: Eine Verbesserung der Volk-Engel sehen 
Arbeitsschiene für Strecklähmungen der Hand. I 

Beschreibung mit Abbildung. 

R. Otto: lieber Immunitätsreaktionen mit dem Bazillus Well- 
Felix und über seine ätiologische Bedeutung für das Fleckfieber. 

Polemik gegen Friedberger. Boenheim -Rostock. 

Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. 19l8.Nr.29u 30. 

Nr. 29. H i t z i g-Mexiko: Ueber Flecktyphus. 

Bemerkungen zur Verbreitung, Aetiologie, Diagnose etc. Verf. 
beruhtet, dass in Mexiko die Mehrzahl der Aerzte zu der Ansicht 
neigt, dass eine Infektion auch durch die oberen Luftwege zustande 
kommen könne, da der Darminhalt infizierter Läuse mit Staub ein¬ 
geatmet werde. 

N i g s t - Bern: Zur Frage der Dickdarmlipome. 

Beschreibung eines Operationsfalles. Literaturverzeichnis. 

H. v. Salis: Zur Frage der Schienenhülsenapparate. 

H ö s s l y - Zürich: Zur Frage der Stützapparate mit Stahlgurten. 

Polemik. 

Nr. 30. C. S t ä u b 1 i +: Die diagnostische Bewertung des leuko- 
zytären Blutbildes bei Infektionskrankheiten. 

Bei fast allen akuten bakteriellen Krankheiten findet sich Ge¬ 
samthyperleukozytose und Verminderung oder völliges Fehlen der 
Eosinophilen, ausgenommen ist die Typhusgruppe und die Masern, 
wo Verminderung der Eosinophilen mit Hypoleukozytose einhergeht. 
Vermehrung der Gesamtleukozyten und der Eosinophilen findet man 
nur bei Scharlach und Trichinose, allgemeine Leukopenie mit nor¬ 
malen oder leicht vermehrten Eosinophilen bei versteckter chroni¬ 
scher Tuberkulose und beginnender perniziöser Anämie. Leukopenie 
spricht absolut gegen Variola und für Varizellen, stärkere Leuko¬ 
zytose macht Variola wahrscheinlich. 

E. S 1 g e r i s t - Zürich: Aus einem Lazarett im zweiten VIII- 
mergerkrfeg 1712. 

Kotzaraff - Genf : Un das de Cbordome. 

Ausführliche Beschreibung eines Falles. L. Jacob. 

Inauguraldissertationen. 

Universität München. Juli und August 1918. 
Kopischke Franz: Ueber die Methoden zum Studium der Flimmer¬ 
bewegung und die Wirkung von Expektorantien auf dieselbe. 
Mittasch Gerhard: Ueber Lungenschüsse. 

Schmitt Marie: Beitrag zur Kasuistik der Lebervenenthrombose. 
(Endophlebitis hepatica.) 

Berkmann Boris: Ueber syphilitische Erkrankungen der Iris und 
der Papilla nervi optici und ihre Beziehungen zueinander. 
Koch Friederike: Die kruppöse Pneumonie mit lytischer Entfieberung 
bei Kindern. 

Universität Strassburg. April—Juli 1918. 

B i n d se i 1 Artur: Ueber die Haltbarkeit der Typhusbazillen an Nah¬ 
rungs- und Genussmitteln. 

Herz Alice: Ueber autodhthone Sinusthrombose. 

Peter Georg: Ueber ein neues Mittel zur Erzielung schmerzloser 
Geburten. 

W i 11 w e r Erika: Indikation und Methodik der künstlichen Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft bei Tuberkulose. 


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Vereins* und Kongressberichte. 

Naturiiistorisch-medizinlscher Verein zu Heidelberg. 

(Medizinische Sektion.) 

(Offizielles Protokoll) 

Sitzung vom 26. Juli 1918. 

Vorsitzender: Herr Braus. 

Schriftführer: Herr Homburger 

Herr J. Hoff mann: Krankendemonstration. 

1. Eine Kranke, die vor Jahren wegen leicht spastischer Er¬ 
scheinungen in den Beinen mit B a b i n s k i schem Phänomen, sehr 
schwacher Bauchdeckenreflexe, feinschlägigem Horizontalnystagmus 
vorwiegend nach rechts, subjektiven Gefühlsstörungen in den Beinen 
als Sclerosis multiplex aufgefasst worden war, kommt jetzt zum 
2. Male zur Aufnahme in die Klinik mit dem Bilde der ausgesprochenen 
amyotrophischen Lateralsklerose. Die Arme, die bei der ersten kli¬ 
nischen Beobachtung ganz frei waren, sind jetzt in starrer Adduktions¬ 
kontraktur am Oberkörper fixiert; es bestehen Spasmen im Hüft¬ 
gürtel und in der Oberarmmuskulatur bei ganz schlaffer Lähmung der 
Muskulatur an den Unterschenkeln; letztere ist atrophisch und zeigt 
Entartungsreaktion. Leichte Atrophien werden bereits an der kleinen 
Handmuskulatur beobachtet; auch hier Entartungsreaktion. Fibrilläre 
Zuckungen in Armen, Händen und Beinen und in der Zungen- 
muskulalur. Während erhebliche Steigerung der Arm- und Patellar- 
reflexe besteht, sind die Achillessehnenreflexe jetzt abgeschwächt. 
Rechtsseitiger Nystagmus auch jetzt wieder vorhanden. Keine Ver¬ 
änderungen am Augenhintergrund. Sprache kraftlos; Schluckakt er¬ 
schwert. 'Gespannter, gequälter Gesichtsausdruck: Zwangsweinen und 
Zwangslachen. Die Lateralsklerose hat hier aufsteigenden Charakter, 
der Nystagmus gehört hier wohl zum Krankheitsbild. 

2. 27 jähriger junger Mann, der im März 1918 durch Geschoss¬ 
splitter an der linken oberen Halsseite, etwa in Höhe des Zungen¬ 
beins getroffen worden war. Das Geschoss hatte die Halsschlagader 
und die Jugularvene in der Art getroffen, dass ein Aneurysma arterio- 
venosum zustande gekommen war. Wenig oberhalb der verheilten 
Einschussstelle ist das Gefässbündel über daumendick und ein über 
die ganze linke Halsregion verbreitetes Schwirren fühlbar. Letzteres 
ist auskultatorisch über der ganzen Schädeldecke nachweisbar. 
Direkt nach der Verletzung machte sich bei dem Patienten eine 
Sprachstörung im Sinne einer motorischen Aphasie und eine über die 
ganze rechte Körperhälfte verbreitete spastische Hemiparese geltend. 
Am ausgesprochensten sind Reste dieser Hemiparese noch kn r. Fa- 
zialis (mit Ausnahme des Stirnastes), im r. Masseter, etwas weniger 
in dem spastisch paretischen r. Arm, am wenigsten im r. Bein be¬ 
merkbar. Von besonderem Interesse ist eine anfangs sehr störend 
empfundene Behinderung der Zungenbeweglichkeit, die durch zwei¬ 
fache Läsion der Zungeninnervation bedingt war. Der linke Hypo- 
glossus war durch das Geschoss in seinem peripheren Verlauf ge¬ 
troffen und hatte linksseitige Zungenatrophie mit Entartungsreaktion 
zur Folge, die rechte Zungenhälfte war zentral (infolge der rechts¬ 
seitigen zerebralen Hemiparese) gelähmt. Dabei kann die Zunge 
jetzt weiter nach links wie nach rechts über die Lippen heraus¬ 
gestreckt werden, während die Zungenspitze nur rechts nach hinten 
gezogen werden kann, nicht aber links. 

Da es sich links um eine peripherische atrophische Hypoglossus- 
Iähmung handelt, mussten alle beschriebenen Zungenbewegungen 
mit der rechten Zungenhälfte ausgeführt werden, wie bei jeder ein¬ 
fachen peripheren linksseitigen Hypoglossuslähmung. Von besonderem 
Interesse ist es, dass die rechte Zungenhälfte, die linksseitig zerebral 
gelähmt war, alle Funktionen ausführte, wie wenn sie gar nicht an 
der Hemiparese teilnähme. Dies lässt sich nur dadurch erklären, 
dass die rechte Gehirnhälfte für die linke eingetreten ist oder mit 
anderen Worten, dass die Zunge auch beim Menschen bikortikal 
innerviert wird, wie es Horsley und Be e vor experimentell am 
Affen festgestellt haben. 

Herr Holthusen: Diagnose und Differentialdiagnose der 
Miliartuberkulose. 

Das Röntgenbild der hämatogenen Miliartuberkulose ist nur in 
typischen Fällen fast eindeutig. Oft ist es schwer gegen andere 
ähnliche Zustandsbilder differentialdiagnostisch abzugrenzen. Eine 
Entscheidung auf Grund des klinischen Bildes ist meist auch nicht 
zu fällen, da es erst in terminalen Stadien mit dem Auftreten von 
Dyspnoe und Zyanose eine charakteristische Form annimmt. An der 
Hand von Demonstrationen werden eine Reihe von der Miliartuber¬ 
kulose ähnlichen. Röntgenbildern gezeigt und besprochen, unter 
anderen Fälle von disseminierten broncho-pneumonischen Herden, 
Anthrakose, Fälle von Stauungslunge. Die auffallende Gleichartigkeit 
der granulären Struktur aller dieser Röntgenbilder ist durch die 
Aehnlichkeit der anatomischen Strukturen allein nicht immer aus¬ 
reichend zu erklären, vielmehr muss hierzu die Einwirkung einer nkdit 
punktförmigen Strahlenquelle (Antikathodenbrennfleck) auf die Ab¬ 
bildung feiner Strukturen im Sinne der Wirkung einer Lochkamera 
herangezogen worden. 

Diskussion: Herr Braunschweig betont ebenfalls die 
Vielgestaltigkeit des Röntgenbildes der Miliartuberkulose und demon¬ 
striert an vier_Diapositiven die Bedeutung des Röntgenbildes für die 
Diagnose. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




17. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1063 


1. Bild 8 Tage nach der Ausbreitung. Es sind nur sehr spärliche, 
kleine, weiche, nicht ganz scharf begrenzte Fledkschatten erkenn¬ 
bar. Die nach 24 Tagen stattgehabte Nekropsie zeigte, dass die 
Miliartuberkel knapp die Grösse der auf der Platte vorhandenen 
Fleckschatten erreichten. Es wird daraus geschlossen, dass nicht die 
Tuberkel, sondern im wesentlichen eine durch diese bedingte lokale 
Hyperämie als anatomisches Substrat der Fleckchenbildung auf¬ 
zufassen ist. Des weiteren, dass man bis zum 9. Tage auch bei 
„negativer Lungenplatte“ eine Miliartuberkulose nicht ausschliessen 
kann. 

2. Röntgenogramm einer ambulanten hämatogenen Miliartuber¬ 
kulose, die klinisch noch nicht erkennbar war, aber schon einen aus¬ 
gedehnten charakteristischen Röntgenbefund zeigte (durch Sektion 
bestätigt). 

3. Röntgenogramm des seltenen Falles von fast völlig geheilter 
lympbogener Miliartuberkulose. Die Knötchen sind hierbei 
spärlicher als bei der hämatogenen Miliartuberkulose und in Reihen 
angeordnet. Der Patient starb nach operativem Eingriff. Anatomi¬ 
sche Diagnose (Dr. Schneider): Alte, lymphatische, teilweise ver¬ 
narbte Miliartuberkulose. 

4. Röntgenogramm, einer 4 Wochen alten hämatogenen Miliar¬ 
tuberkulose mit besonders grossen und distinkten Knötchen (durch 
Sektion bestätigt). 


Naturwissenschaft!. - medizinische Gesellschaft zu Jena. 

Sektion für Heilkunde. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 27. Juni 1918. 

Vorsitzender: Herr Lex er. 

Herr Engelhorn: Weitere Erfahrungen mit dem Scheiden¬ 
bestrahler. 

Seit einem Jahre wurde in der Frauenklinik ein besonderer 
Bestrahlungsapparat (s. M.m.W. 1917 S. 1481) bei einer Reihe gynä¬ 
kologischer Erkrankungen (Fluor atbus, Erosion der Portio, Ulcera 
decubitalia bei Prolaps, Vaginitis usw.) angewandt. Es wurden bis 
jetzt über 320 Fälle bestrahlt mit einem fast durchweg ausgezeich¬ 
neten Erfolg. Nur 8 Fälle kamen mit einem Rezidiv wieder. Vortr. 
berichtet über Bestrahlungen mit verschieden* gefilterten Strahlen, 
die er vornahm, um die Frage zu studieren, ob bei der Bestrahlung 
Licht- oder Wärmestrahlen in erster Linie zur Wirkung kommen; 
es zeigte sich dabei, dass es nicht auf die einzelne Strahlenart, 
sondern auf ihre Intensität ankommt. Bestrahlungen der Portio mit 
Sonnenlicht mittels eines Heliostaten und Hilfsspiegels brachten eine 
rasche Heilung der oben angegebenen Affektionen. 

Herr Ibrahim: Ueber das Vorkommen von Duodenal* 
geschworen im SäugHngsalter. 

Vortr. berichtet über 5 einschlägige Beobachtungen und spricht 
die Ansicht aus, dass ein grösserer Teil der Duodenalgeschwüre des 
späteren Säuglingsalters aus der Neugeborenenzeit stammt und der 
schlechte Entwicklungszustand dieser Säuglinge vielfach nicht 
Ursache, sondern Folge der Duodenalgeschwüre sein dürfte. 

Aussprache: Herr Rössle weist noch einen weiteren 
Fall von Duodenalulkus beim Säugling (6 Wochen altes Mädchen) 
mit Verblutung in den Darm, sowie ein tödliches Duodenalulkus bei 
einem 3 jährigen Knaben und bei einem 9Va jährigen Mädchen vor. 

Herr Fröhlich: Die Bedeutung der Austreibungszeit als Grad¬ 
messer der Herzinsuffizienz. 

Die bisher gebräuchlichen Methoden der Herzfunktionsprüfung 
(Puls und Blutdruck, Bestimmung nach Anstrengungsversuch, 
Katzensteinsches Verfahren) erlauben keine schnelle objektive 
Beurteilung, da ihre Resultate in unberechenbarer Weise unter dem 
Einfluss psychischer Faktoren stehen können. Nach neuerer Ansicht 
sind wir berechtigt am Sphygmogramm der Karotis in dem Zeit¬ 
abschnitt: Pulsanstieg-Dikrotiesenkung einen Ausdruck zu erblicken 
für die Austreibungszeit des Herzens. Es wird an der Hand von 
Anstrengungsversuchen (Treppensteigen) gezeigt, dass das Herz 
schon normalerweise bei zunehmender Pulsfrequenz (nach An¬ 
strengungsversuch) die Austreibungszeit (umgerechnet in Prozent- 
werte des zugehörigen Einzelpulses) relativ vermehrt (Karotis- 
sphygmogramm) und dass bei insuffizientem Herzen eine viel 
stärkere Zunahme dieses Prozentwertes erfolgt, als Zeichen von 
Kreislaufsstörung auch bei anderen Fehlern als Aortenstenosen. Be¬ 
sonders hervorgehoben wird, dass die richtige Würdigung von ein¬ 
zelnen Herzfunktionszeiten nur im Prozentwert der ganzen Herz¬ 
revolution erfolgen kann, um brauchbare Vergleichsresultate zu er¬ 
halten. Die reinen Herzneurosen fallen nach vorliegenden Resultaten 
durch zu geringe Prozentwerte auf. Es erscheint nach den Resultaten 
von über 300 Fällen (Res.-Laz. Löbau, Zittau, Bautzen) durchaus 
möglich, auf dieser Grundlage eine objektive Methode der Herz* 
funktionsprüfung zu gewinnen, welche die neueren Methoden an 
Empfindlichkeit und Sicherheit übertrifft und geringe Zeit beansprucht. 

Aussprache: Herr L o m m e 1 hält Nachprüfung der Blefunde 
auf breiterer Grundlage für notwendig, ehe eine diagnostisch ver¬ 
wertbare Beziehung zwischen Austreibungszeit und Herzkraft an¬ 
genommen werden kann und glaubt, dass das Verhältnis zwischen 
der Austreibungszeit und der ganzen Pulsperiode durch ver¬ 
schiedene Faktoren verändert werden kann. 

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Herr Köhler stellt drei mit Röntgenstrahlen behandelte 
Narbenkontrakturen vor, die nach Verbrennungen entstanden sind. 
Im ersten Fall handelt es sich um ein 2 jähriges Kind, das sich 
beide Hände verbrannt hat, in den beiden anderen um weit aus¬ 
gedehnte Narben auf der Beugeseite grosser Gelenke (Ellenbogen, 
Hüfte). Bei einem dieser beiden bestand spitzwinklige Feststellung. 
Alle drei bezeichneten Fälle sind wieder voll beweglich geworden. 
Der Vortragende empfiehlt däe Behandlung mit härtesten 
Röntgenstrahlen und mittelgrossen Dosen, wenn eine andere, 
namentlich chirurgische Behandlung nicht mehr helfen kann, sei es, 
weil die Narben zu ausgedehnt sind, sei es, dass durch ihre Lage ein 
operativer Eingriff wenig Erfolg verspricht (Narben bei kleinen 
Kindern, peritonitische Verwachsungen etc.). Bei operablen Fällen 
ist die Auflockerung des Narbengewebes als Vorbereitung zur 
Operation oder zur Nachbehandlung hypertrophischer Narben zu 
empfehlen. 


Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen. 

(Medizinische Abteilung.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 17. Juni 1918 
Vorsitzender: Herr Heidenhain. 

Schriftführer: Herr Schloessmann. 

Vor der Tagesordnung: 

Herr Reiss: Vorstellung eines Falles von Meningitis serosa 
mit myotonischer PuplUenreaktion und leidendem AchUlespehnen- 
refiex nach Kopfschuss. 

Die Verwundung liegt 2 Jahre zurück und war eine verhältnis¬ 
mässig leichte Granatsplitterverletzung der linken Stirn. Der Fall 
ist von R ö m h e l d in der Deutsch. Zeitschr. f. Nervenheilk. als 
traumatische Pseudotabes nach Kopfschuss (Fall 4) veröffentlicht. 
In den 2 Jahren seit der Römheldschen Beobachtung hat sich die 
myotonische Pupillenstarre entwickelt und die psychischen Verände¬ 
rungen (allgemeine Erschwerung, Merkstörung, Verlangsamung 
aller geistigen Leistungsfähigkeit) haben noch zugenommen. Der 
Druck bei der Lumbalpunktion war nicht mehr wesentlich erhöht, 
doch bestand anfallsweise deutlicher Hirndruck mit Pulsverlang¬ 
samung, Kopfschmerzen, Schwindel und Benommenheitsgefühl. Auf¬ 
fallend ist ein gewisser Wechsel im Vorhandensein der Patellar- 
reflexe, die bald völlig schwanden, bald auszulösen waren. Bei dem 
fehlenden Druck im Lumbalsack ist die Erklärung einer Schädigung 
der hinteren Wurzel durch den allgemeinen Druck nicht ausreichend 
und die Möglichkeit einer zerebralen Wirkung nicht ganz abzulehnen. 
Auffallend ist, dass auch bei dem 2. Fall R ö m h e 1 d s fehlende 
Patellar- und Achillesreflexe bei einer Verletzung an der Stirn sich 
fanden. 

Erörterung: Herr 0. Müller schneidet die Frage an, ob 
man aus einer wesentlichen Steigerung des Liquordrucks (bis gegen 
300) bei fehlender Pleozytose und fehlender Globulinreaktion die 
Diagnose der traumatischen serösen Meningitis mit Sicherheit ab¬ 
leiten darf. 

Herr Reis-s: Wegen der erfahrungsgemäss sehr leicht ein¬ 
setzenden Erscheinungen von Meningismus bei Psychopathen und 
Neurotikern pflegen w(r die Lumbalpunktion nur bei dringender 
Indikation vorzunehmen, zumal eine leichte Erhöhung des Drucks 
unseres Erachtens nicht dazu berechtigt, die Diagnose Meningitis 
serosa zu stellen. In dem vorliegenden Falle ergibt das gesamte 
Krankheitsbild mit den deutlichen Erscheinungen des Hirndrucks und 
der charakteristischen psychischen Veränderung eindeutige Anhalts¬ 
punkte für die Diagnose. 

Herr v. B a u m ga r t en: Ich habe zurzeit Gehirn und Rücken¬ 
mark eines letal verlaufenen Falles von Meningitis in Untersuchung, 
der klinisch ein sehr ähnliches Krankheitsbild daTbot wie der von 
dem Herrn Vortragenden demonstrierte Fall. Pathologisch-anatomisch 
handelt es sich in diesen Fällen ja wesentlich um die Frage, ob dem 
Fehlen der Reflexe anatomische Veränderung der hinteren Wurzeln 
an den entsprechenden Reflexbogen zugrunde liegen. Diese Frage 
ist noch nicht gelöst. In dem mir zur Untersuchung gegebenen Falle 
fehlten* Patellar- und Achillessehnenreflexe beiderseits vollständig, 
während die Bauchdeckenreflexe auf einer Seite noch vorhanden 
waren. Der Liquordruck betrug 420 mm HaO. Makroskopisch waren 
am Gehirn die Erscheinungen einer Meningitis serosa mit beträcht¬ 
licher Erweiterung der Gehirnventrikel nachzuweisen. Die hinteren 
Wurzeln der Rückenmarksnerven erschienen, wie auch das Rücken¬ 
mark, intakt. Die mikroskopischen* Untersuchungen sind noch nicht 
abgeschlossen. 

Tagesordnung: 

Herr Pfersdorf!: Ueber Eifersuchtswahn. 

(Erscheint ausführlich an anderer Stelle.) 

Herr Schloessmann: Die Hämophilie in Württemberg. 

Vortragender gibt einen kurz gefassten Ueberbliok seiner durch 
mehrere Jahre fortgesetzter Forschungen über das Vorkommen des 
Hämophilie in Württemberg, ihre Erblichkeitsverhältnisse und das 
Wesen der Bluterkrankheit. 

Es hat sich ergeben, dass, im Vergleich zu dem, was sonst über 
das Auftreten der Hämophilie bekannt ist, ihre Häufigkeit in Würt- 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1064 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 38. 


temberg geradezu überraschend ist, an- einzelnen Punkten des Lan¬ 
des Hessen sich richtige Bluternester feststellen, die die engere und 
weitere Umgebung mitinfiziert hatten. Im ganzen konnte S., dessen 
württembergische Familienforschungen im Kgl. Landesmedizinalkolle¬ 
gium durch Herrn Obermedizinalrat v. Scheurlen dankens¬ 
werteste Unterstützung fanden, 19 voneinander unabhängige Bluter¬ 
stammbäume aufstellen, darunter solche, die durch 6—7 Generationen 
verfolgt wetden konnten. Ein Stammbaum mit 350 gut erforschten 
Gliedern stellt sich den grössten der bislang bekannten Bluter- 
iamilien ebenbürtig an die Seite. 

Neben der f erblichen Hämophilie konnten 5 Fälle von durchaus 
vereinzeltem, sog. sporadischem Auftreten der Krankheit be¬ 
obachtet werden, und weiterhin 8 Fälle von anscheinend erstmaligem 
Auftreten der Krankheit in einer Familie mit gleichzeitigem Befallen¬ 
sein mehrer männlicher Glieder einer Generation. Auf jeden Fall ist, 
nach Ansicht von S., bei der ausgesprochenen Erblichkeit des Lei¬ 
dens und bei der Eigenschaft der Hämophilie, ihre Anlage durch 
mehrere Generationen latent fortzuerben, allen sporadischen Fällen, 
besonders den mehrfach auftretenden gegenüber, allerstrengste'Kri¬ 
tik am Platze. 

Die Vererbungsregeln der von S. untersuchten Bluter¬ 
stämme stimmen in der Hauptsache mit den bekannten Formen der 
hämophilen Vererbung überein. Die reinste Form der Uebertragung 
— also nur durch die Frau, die selbst nie erkrankt, auf ausschliess¬ 
lich männliche Nachkommen (Lossen sehe Regel) — fand sich 
in einer grösseren Anzahl von Stämmen lückenlos durchgeführt, da¬ 
neben ergaben sich jedoch auch ganz sichere Abweichungen 
von diesem typischen Vererbungsgesetz. Es konnten Fälle von ein¬ 
wandfreier Uebertragung vom blutenden Vater durch Konduktoren¬ 
töchter auf die Enkel nachgewiesen werden und ebenso einige Fälle 
von sicherem Auftreten typisch hämophiler Krankheitserscheinungen 
bei der Frau, letztere wurden sogar durch Blutuntersuchungen er¬ 
härtet. Vererbungstechnisch waren die zur Beobachtung gelangten 
„w e i b 1 i c h e n B 1 u t e r“ ausnahmslos heterozygot, ausserdem stets 
Konduktoren. S. betrachtet deshalb das Manifestwerden hämo¬ 
philer Erscheinungen bei der Frau als nur Ausdruck einer ungenügen¬ 
den Prävalenz des Erbfaktors Weib über den Erbfaktor Krankheit. 
Die weiblichen Hämophilen sind im Grunde einfache Konduktoren, bei 
denen nur die vorhandene Erbanlage durch die sonst wohl anzu¬ 
nehmende Einwirkung der weiblichen Geschlechtlichkeit nicht hin¬ 
reichend niedergehalten wurde. 

Dass, abgesehen von der Vererbung, auch sonst unverkennbare 
Beziehungen der Hämophilie zur Geschlechtsfunktion, und 
zwar männlicher und weiblicher, bestehen, konnte an verschiedenen 
anderen klinischen Beobachtungen bestätigt werden. Dahin gehören 
die bemerkenswerten Fälle vom ersten Auftreten der Krankheits¬ 
zeichen erst in der Pubertät, ferner die regelmässige Zunahme der 
Blutungsgefahr beim männlichen Bluter in dieser Zeit, ebenso die 
beinahe typisch-schweren Menstruationsblutungen bei weiblichen 
Hämophilen und deren erhöhte Neigung zu nichtgenitalen Blutungen 
während der Schwangerschaft. 

Der Einfluss der Verwandtenheirat auf die Hämophilie 
liess sich in mehreren Fällen verfolgen. Wie theoretisch voraus¬ 
zusetzen, war die Blutsverwandtschaft an sich für das Auftreten der 
Erbkrankheit unter den Nachkommen bedeutungslos; der vererbungs¬ 
theoretisch allein wichtige Fall, in dem em blutender Mann eine 
Konduktorenfrau aus gleichem Stamme heiratete, wurde nicht be¬ 
obachtet. 

Von interessanten Einzelheiten der hämophilen Familienforschung 
hoben sich auch hier hervor die bekannte grosse Fruchtbarkeit der 
Frauen aus Blutergeschlechtern und die eibensogrosse Frühsterblich¬ 
keit der Kinder. Dreimal kamen Zwillingsgeburten in hämophilen 
Familien vor, einmal waren es zweieiige, verschiedengeschlechtliche 
Zwillinge, beide gesund; zweimal handelte es sich um blutende Zwil¬ 
linge männlichen Geschechts, von denen jedesmal der eine bei weitem 
stärker die Bluteranlage zeigte als der andere. Auffallend häufig 
war das Vorhandensein exsudativer Diathesen bei hämophilen Kin¬ 
dern in jüngeren Jahren. 

Der Charakter der hämophilen Blutungserscheinungen ist 
nicht allgemein gleich, m manchen Familien stehen die Schleimhaut¬ 
blutungen, in anderen -die Haut- oder unstillbaren Wundblutungen, in 
wieder anderen die hämophilen Gelenkblutungen im Vordergründe 
des Bildes. Es bestehen hierin, wie auch in den genannten Ab¬ 
weichungen vom Vererbungstyp, ausgesprochen familiäre Eigen¬ 
tümlichkeiten im Sinne Merzbachers. Die hämophilen Blutungen 
treten ausserdem in 2 gut unterscheidbaren Formen auf: als Spon¬ 
tanblutungen (typisch die Nierenblutung) und als trauma¬ 
tisch hervorgerufene Blutungen. Die spontanen Blutungen zeigen 
vielfach Abhängigkeit von bestimmten Jahreszeiten und gehen nicht 
selten mit subjektiven Vorempfindungen einher. 

Das Wesen der hämophilen Blutstörungen erblickt 
S. auf Grund seiner früheren Studien (Bruns Beitr, Bd. 79) weder 
in einer quantitativen Mangelhaftigkeit, noch qualitativen Minder¬ 
wertigkeit der Thrombinbildung, sondern vielmehr in einer ausser¬ 
ordentlichen Verzögerung des Bildungsprozesses dieses Fibrinfermen¬ 
tes. Der letzte Grund hierfür und somit für die hämophile Gerin¬ 
nungsstörung überhaupt ist in einer ungemein verlangsamten, weil 

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offenbar erschwerten, Abgabe der Thrombokinase seitens der Blut- 
und Gewebszellen zu erblicken. 

Für die Sicherung der Hämophiliediagnose in wenig 
ausgeprägten oder zweifelhaften Fällen ist die Untersuchung der Blut¬ 
gerinnung das beste Hilfsmittel, sie geschieht am einfachsten und 
besten nach der Methode Bür k er. Dabei ist für die Beurteilung 
der vorliegenden Blutentartung die Bestimmung des Gerinnungs¬ 
ablaufes und Gerinnungsendes beinahe wichtiger, als die des Ge¬ 
rinnungseintritts. Auch die Gerinnungsstörungen des hämophilen Blu¬ 
tes zeigen familiäre Gesetzmässigkeiten und Grenzen. Interessant 
ist, dass es S. gelang, auch im Blute der Mädchen und Frauen, welche 
zum Uebertragen der Anlage befähigt, aber selbst von Krankheits¬ 
erscheinungen frei sind (Konduktoren), ganz bestimmte Merkmale 
abnormer Gerinnung festzustellen, die bei gesunden, nicht über¬ 
tragungsfähigen Frauen aus Bluterfamilien fehlen. Die Möglichkeit 
solcher Feststellungen ist für die Frage der Verheiratung weiblicher 
Abkommen aus Bluterstämmen nicht ohne praktische Bedeutung. 

(Die ausführliche Veröffentlichung des gesamten Materials er¬ 
scheint demnächst an anderer Stelle.) 

Erörterung: Herr O. Müller macht darauf aufmerksam, 
dass auch bei der exsudativen Diathese die Vererbung häufig durch 
eine gesunde Mutter auf deren männliche Abkömmlinge stattfindet. 

Herr G a u p p fragt an, warum die weiblichen Konduktoren, 
die nach den angestellten Erhebungen eine etwas verminderte und 
verlangsamte Gerinnungsfähigkeit des Blutes haben sollen, dann doch 
klinisch keine Blutersymptome aufweisen. Es muss doch bei der 
Bluterkrankheit sehr verschiedene Formen und Abstufungen des Lei¬ 
dens geben, sonst wäre es wohl nicht denkbar, dass weibliche Bluter 
Kinder gebären und an der Geburt nicht zugrunde gehen, 

Herr A. Mayer: Aus dem sehr interessanten Vortrag von 
Herrn Schloessmann ergeben sich efne Menge Punkte zur 
Aussprache. Es ist sehr schade, dass die Zeit schon so vorgerücki 
ist; mit Rücksicht darauf will ich mich mit einigen kurzen Bemer¬ 
kungen begnügen. 

Herr Schloessmann hat betont, dass der bekannte Ver¬ 
erbungsmodus der Hämophilie, wonach nur die Frauen die 
Träger der Vererbung sind, den sonstigen Vererbungsgesetzen wider¬ 
spreche. Wenn ich nicht irre, haben wir eine gewisse Analogie bei 
manchen Missbildungen, die auch nur an ein bestimmtes Geschlecht 
gebunden sind. 

Bezüglich der Diagnose der Hämophilie habe ich etwas 
Bedenken, ob es erlaubt ist, die Diagnose lediglich auf die im Bür- 
ker sehen Apparat nachgewiesene Verzögerung der Blutgerinnung 
zu stützen. Die Gerinnbarkeit des Blutes hängt ja sogar bei dem¬ 
selben Menschen von einer Anzahl Momente, z. B. von der Tages¬ 
zeit, dem Zustand der Sättigung oder des Hungers usw. ab. 

Ebenso glaube ich, dass man bei der Deutung von starken 'Men¬ 
struationsblutungen als Zeichen der Hämophilie sehr vorsichtig sein 
muss. Wir finden solche Blutungen so ausserordentlich oft ohne 
Hämophilie. Manche Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, 
dass das dem njenstruierenden Uterus entstammende Blut lang¬ 
samer gerinnt als das übrige Körperblut. Vor allem aber müsste 
durch eine zuverlässige Genitaluntersuchung eine gynäkologische Er¬ 
krankung ausgeschlossen sein, ehe man daran denken kann, eine 
starke MenstruationsblMtung als Ausdruck einer Hämophilie an¬ 
zusprechen. 

Sodann hat Herr Schloessmann den verspäteten 
Eintritt der Menarche erwähnt und betont, dass, wenn end¬ 
lich die erste Periode einmal sich eingestellt hat, nicht selten starke 
Menstruationsblutungen auftreten. Auch dieser Blutungsmodus ist 
uns Gynäkologen ohne Hämophilie wohl bekannt. Wir finden ihn 
nicht selten im Zusammenhang mit Hypoplasie des Genitalapparates. 
Die Ursache der abnormen Blutung erblicken wir hiebei neben der 
Insuffizienz des muskelschwachen, kontraktionsunfähigen, hypo- 
plastischen Uterus vor allem in Störungen der inneren Sekretion. 

Dass man auch bei der Hämophilie an solche Störungen de r 
inneren Sekretion denken muss, darin kann ich Herrn 
Schloessmann nur zustimmen. Im Hinblick auf die öfters in 
der Schwangerschaft auftretenden Blutungen aus Nase, Zahnfleisch 
etc., denkt Herr Schloessmann in erster Linie an den Eier¬ 
stock, da in der Schwangerschaft die Eierstockstätigkeit sistiere. 
Mit dieser Deutung muss man aber nun sehr vorsichtig sein. Man 
muss unterscheiden zwischen Follikelreifung und der innersekre¬ 
torischen Tätigkeit des Ovariums. Von einem Sistieren der Eier¬ 
stockstätigkeit in der Schwangerschaft kann aller Wahrscheinlichkeit 
nach nur hinsichtlich der Follikelreifung die Rede sein. Indes wird 
auch das Sistieren der Follikelbildung in der Schwangerschaft nicht 
als ausnahmslose Tatsache anerkannt. Erst vor wenigen Tagen fand 
ich bei der Operation eines Kollumkarzinoms einen schönen reifenden 
Follikel, obschon der Uterus eine Zwillingsschwangerschaft be¬ 
herbergte. 

Will man aber die verzögerte Blutgerinnung der Hämophilen mit 
der Eierstockstätigkeit in Zusammenhang bringen, dann erhebt sich 
die schwer zu entscheidende Frage: Welcher Abschnitt des Eier¬ 
stocks kommt da in Betracht, das Corpus luteum oder der Follikel? 

Sehr viele Autoren glauben, dass das Corpus luteum eine blut¬ 
hemmende Wirkung ausübt. Nach dieser Auffassung kann z. B. das 
Sistieren der Menstruationsblutung als eine Folge der Corpus-luteum- 

Qriginal fro-m 

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17. September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Funktion angesehen werden. Nun ist aber das Corpus luteum gra¬ 
viditatis anatomisch sehr viel ausgedehnter als das Corpus luteum 
menstruationis. Man müsste also erwarten, dass es auch seine blut¬ 
hemmende Wirkung in höherem Masse ausübt und dass darum die 
Neigung zur Blutung in der Schwangerschaft kleiner ist. Das aber 
steht im Gegensatz zu den Beobachungen von Herrn Schloess- 
m a n n, wonach gerade in der Schwangerschaft oft starke Nasen¬ 
blutungen auffielen. 

Indes scheinen mir an der Annahme, dass ausschliesslich das 
Corpus luteum jene augesprochen blutungshemmende Eigenschaft be¬ 
sitze, Zweifel berechtigt. Ich mache zurzeit Versuche über die 
blutungshemmenden Eigenschaften des Follikelsaftes und habe zu 
diesem Zweck zuerst einem jungen Mädchen den bei der Laparo¬ 
tomie wegen Follikelzyste steril entnommenen Follikelsaft zur Zeit 
der Periode subkutan eingespritzt. Dabei konnte ich die über¬ 
raschende Feststellung machen, dass die Menstruationsblutung wie 
mit dem Messer abgeschnitten aufhörte. Ganz dasselbe ergab sich 
in ca. 15 weiteren Fällen. 

Zu der interessanten Mitteilung von Herrn Schloessmann, 
dass Eigenserum der Bluter die Blutgerinnung im Apparat 
beeinflusse, möchte ich auf eine andere interessante Wirkung des 
Eigenserums hin weisen. Als ich vor einigen Jahren zur Behandlung 
der Schwangerschaftsdermatose die Injektion von Blutserum ge¬ 
sunder Schwangerer empfahl, dt hat ein Forscher die Beobachtung 
gemacht, dass, wenn man den kranken Schwangeren ihr Eigenserum 
wieder einspritzt, die Dermatose auch günstig beeinflusst wird. 
Grössere Erfahrungen über diesen Punkt scheinen nicht vorzuliegen. 
Aber wenn es sich nicht um einen Zufall handelt, dann muss man an¬ 
nehmen, dass durch die Entnahme des Blutes und die mechanische 
Prozedur der Serumbereitung das Serum sich sehr verändert und 
sogar eine andere biologische Wirkung aufweisen kann als vorher. 

Interessant ist schliesslich noch die Mitteilung von Herrn 
Schloessmann, dass von Zwillingen der eine — und zwar, 
wenn ich recht verstanden habe, das Mädchen — Bluter war, der 
andere — der Knabe — aber nicht. Auffallend scheint mir hiebei 
vor allem das, dass an Stelle des Knaben das Mädchen Bluter 
war, nicht so sehr aber die Tatsache, dass nur einer der Zwil¬ 
linge mit der Krankheit behaftet war; denn bei der Geschlechtsver¬ 
schiedenheit der Kinder hat es sich um zweieiige Zwillinge gehandelt. 

Allerdings würde auch bei zweieiigen Zwillingen das ver¬ 
schiedene Verhalten der Blutgerinnung besonders auffallen, wenn die 
zweieiigen Zwillinge aus ein und demselben Eierstock stammten, was 
sich freilich nur ganz ausnahmsweise einmal wird nachweisen lassen. 

Dagegen wäre es besonders interessant, wenn von ein¬ 
eiigen Zwillingen, die ja immer gleichgeschlechtlich sind, der 
eine Bluter wäre, der andere aber nicht. 

Herr Fleischer kann die von Schloessmann gemachten 
Erfahrungen bei seinen zur Erforschung verschiedener Augenerkran¬ 
kungen, insbesondere auch bei der myotonischen Dystrophie unter¬ 
nommenen Stammbaumforschungen bestätigen in Hinsicht auf die 
Häufigkeit familiärer Erkrankungen in Württemberg, die häufige 
Schwierigkeit der Aufdeckung familiärer Beziehungen* die Nester¬ 
bildung, das zuweilen zu beobachtende explosive Auftreten in einer 
Generation, das Vorkommen bestimmter Varietäten in einzelnen Fa¬ 
milien, die nicht so seltene starke Kindersterblichkeit bei gleichzeitiger 
grosser Fruchtbarkeit u. a. und sieht diese Uebereinstimmung als 
einen Beweis dafür an, dass diesen familiären Erkrankungen eben 
bestimmte allgemeine Gesetze zugrunde liegen. — Er weist hin auf 
die der Bluterkrankheit ähnliche Vererbungsform insbesondere der 
Rotgrünblindheit, und frägt, ob Schloessmann — wie er 
selbst — eine besondere Häufigkeit von Zwillingsgeburten in de- 
generativen Familien beobachtet hat. 

Herr Schloessmann: Die bei Frauen mit Konduktoren¬ 
eigenschaften von mir aufgefundenen Abweichungen der Blutgerin¬ 
nung im Sinne der hämophilen Störung sind, wenn sie auch unver¬ 
kennbar sind, im allgemeinen natürlich so gering, dass sie zu groben 
klinischen Erscheinungen nicht Veranlassung werden können. Es 
handelt sich dabei nicht allein um Verlangsamung des Eintritts und 
Ablaufs der Blutgerinnung, sondern auch um die Form und (Qualität 
der Gerinnselbildung, welche der des hämophilen Blutes unver¬ 
kennbar nahesteht. Die von Herrn G a u p p angenommenen Ab¬ 
stufungen im Krankheitsbilde der Hämophilie sind selbstverständlich 
vorhanden, und zwar sehr ausgeprägt, auch bei den männlichen Blu¬ 
tern. Unter weiblichen Blutern habe ich auch solche von wirklich 
schwerem Typ gesehen, trotzdem ist bemerkenswert, dass Verblu¬ 
tungstod bei weiblichen Hämophilen bisher nie beobachtet ist. 

Gegenüber den von Herrn A. Mayer geäusserten Bedenken, 
ob man die Hämophiliediagnose so ausschliesslich auf die Gerinnungs¬ 
prüfung stützen dürfe, ist zu sagen, dass die Ausschläge bei hämo- 
philer Gerinnungsstörung in jedem Falle, auch im leichtesten, so 
Sross sind, dass sie die unbedeutenden Schwankungen, die man wohl 
auch bei der Gerinnungsprüfung des normalen Blutes findet, weit 
hinter sich lassen; die Gefahr einer Verwechslung oder Irrung ist da 
völlig ausgeschlossen. Ich halte die Blutgerinnungsprüfung sogar 
für die einzig entscheidende Methode zur Hämophiliediagnose in un¬ 
sicheren Blutungsfällen und bin der Ueberzeugung, dass man in Zu¬ 
kunft bei kritischer Aufstellung von Bluterstamrnbäumen der Zu¬ 
hilfenahme dieser Blutuntersuchungen nicht wird entraten können. 

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Starke, selbst übermässig starke Menstruationsblutungen dür¬ 
fen natürlich allein niemals Anlass zur Diagnose weiblicher Hämo¬ 
philie werden, auch nicht bei Frauen aus Bluterfamilien; nur wo 
nebenbei noch andere Hämophilieerscheinungen stark hervortreten, 
glaube ich, darf man die profuse Menstruationsblutung im Sinne 
hämophiler Veranlagung deuten. 


Kleine Mitteilungen. 

therapeutische Notizen. 

H. l.uce und J. F e i g 1 teilen ihre Beobachtungen über eine 
Reihe von Luminalexanthemen rrtit, die sie bei der Be¬ 
handlung der Chorea infantum mit L u m i n a l auftreten 
sahen. Die Verfasser machten mit der Luminalbehandlung der Chorea 
infantum sehr gute Erfahrungen. 5 so behandelte Fälle kamen zur 
Heilung und zwar in kurzer Zeit. Die verabreichten Luminaldosen 
waren verhältnismässig gross. In 4 von den 5 behandelten Fällen 
erhielten die Kinder täglich 4 mal 0,05 g Luminal. In dem 5., be¬ 
sonders schweren Falle wurde sogar 4 mal täglich 0,2 g Luminal dar¬ 
gereicht. 

Bei 3 Kindern trat ein ausgesprochenes Scharlach-Masern-Exan- 
them auf, 2 mal mit Temperatursteigerung bis zu 39°. Der 3. Fall 
verlief fieberfrei. Die Dauer des Exanthems schwankte zwischen 
4—7 Tagen. 

Bei der Entstehung der Luminalexantheme spielen nach der 
Ansicht der Verf. individuelle Momente eine Hauptrolle. Die Exan¬ 
theme kommen bei gegebener Veranlagung zustande durch arznei¬ 
toxische Schädigungen des neurovaskulären Gefässapparates. (Ther. 
Mh. 7. 1918.) H. Thier ry. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 16. September 1918. 

Kriegschronik. Der feindliche Ansturm ist vor unseren 
neuen Stellungen zum Stillstand gekommen, die immer wiederholten 
heftigen Angriffe konnte keinen Boden mehr gewinnen. Der Wrinkel 
von St. Mihiel wurde von tms planmässig geräumt und auf vorbe¬ 
reitete Stellungen in der Sehne des Bogens zurückgegangen. Oester- 
reichisch-ungarische Truppen deckten die Bewegung. — Den Reden 
des Staatssekretärs Dr. Solf, des Prinzen Max von 'Baden und 
des Vizekanzlers v. Payer folgte eine Wiener amtliche Verlaut¬ 
barung, in der mitgeteilt wird, dass der österreichisch-ungarische 
Minister des Auswärtigen, Graf Burian, an alle kriegführenden Re¬ 
gierungen eine Note gerichtet hat, in der er den Vorschlag macht, 
zu einer vertraulichen und unverbindlichen Aussprache über die 
Grundprinzipien eines Friedensschlusses an einen Ort des neutralen 
Auslandes und zu einem nahen Zeitpunkt Delegierte zu entsenden. 
Also ein neues Friedensangebot, diesmal der österreichisch-ungari¬ 
schen Regierung! Ob gerade jetzt, wo die Kriegspsychose der 
Entente angesichts der nicht zu bestreitenden. Erfolge der letzten 
Wochen mächtig in die Halme geschossen ist, der „psychologische 
Moment“ hiefür gegeben waT, kann bezweifelt werden. 

— Auf der vom 5. bis 7. September d. Js. in Köln abgehaltenen 
39. Versammlung des Deutschen Vereins für öffent¬ 
liche Gesundheitspflege wurde beschlossen, die Vereins¬ 
tätigkeit im Sinne der sozialen Hygiene auszubauen. Dement¬ 
sprechend wurde die Vereinssatzung ausgestaltet; insbesondere wurde 
bestimmt, dass für die einzelnen Zweige Ausschüsse gebildet werden 
sollen, und die Zahl der Vorstandsmitglieder von 6 auf 10 zu er¬ 
höhen ist. Es wurden neu hinzugewählt: die ordentlichen Pro¬ 
fessoren der Hygiene Dr. Abel- Jena und Dr. Kruse- Leipzig, der 
Sozialhygieniker Dr. Alfons Fischer- Karlsruhe, sowie Geh. Re¬ 
gierungsrat Schröder von der Landesversicherungsanstalt Hessen- 
Nassau. 

— Das neueste' Doppelheft der „Sozialhygienischen 
Mitteilungen für Baden“ (Geschäftsstelle Karlsruhe, Herren¬ 
strasse 34) bringt den wörtlichen Bericht über die Verhandlungen, 
welche im badischen Landtage gelegentlich einer Petition der Badi¬ 
schen Gesellschaft für soziale Hygiene stattgefunden haben. Die 
Petition verlangt: 1. Gründung eines sozialhygienischen Institutes, 
2. Einrichtung von sozialhygienischen Kollegien und Kursen. 3. Finan¬ 
zielle Unterstützung zur Familienversicherung, 4. Ausdehnung der 
schulärztlichen Untersuchungen namentlich auf die Schüler der Ge¬ 
werbe-, Handels- und Fortbildungsschulen, 5. Bildung einer Land¬ 
tagskommission für soziale Hygiene. Die Verhandlungen im Landtag 
sind äusserst interessant, so dass die Lektüre der genannten Zeit¬ 
schrift, die auch sonst beachtenswerte Darlegungen enthält, warm 
empfohlen werden kann. 

— Der Deutsche Krippenverband veranstaltet am 
Montag, den 7. Oktober, vormittags IOV 2 Uhr im Vortragssaal des 
Neuen Rathauses in Dresden die IV. K r i p p e n k o n f e r e n z. Zur 
Verhandlung stehen 2 Referate: Die Aussichten der Versorgung der 
Kinder ausserhäuslich erwerbstätiger Frauen in Familie und Anstalt 
(Prof. Dr. R i e t s c h e 1 - Würzburg) und Kriegskinderheime, ihre 
Stellung in Gegenwart und Zukunft (Prof. Dr. I b r a h i m - Jena. — 

Original frorn 

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1066 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3$. 


Vom 8.—19. Oktober findet ein Fortbildungskurs für 
Krippenpflegerinnen und Mitarbeiter im Krippen¬ 
wesen statt. — Vom 7.—20. Oktober findet im Lichthof des Neuen 
Rathauses in Dresden die Ausstellung: Die Versorgung der 
Kinder ausserhäuslich erwerbstätiger Frauen und 
die Krippen statt. 

— Wie wir hören, findet in der Zeit vom 23.—28. September 
in der hiesigen Universität ein Lehrgang für Kleinkinder¬ 
fürsorge statt. Weitere Auskunft erteilt die Geschäftsstelle des 
Landesverbandes für Säuglings- und Kleinkinderfürsorge, Ludwigs¬ 
strasse 14, 3. Eing. 

— Der Senior der DresdnerAerzte, Dr.med. J. Steinhausen, 
feierte 91 Jahre alt das Fest seiner diamantenen Hochzeit. 

— Zum leitenden Arzt des von der Landesversicherungsanstalt 
Schlesien errichteten Genesungsheims zu Buchwad i. R. wurde der 
Chefarzt der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Lungenheilstätte zu Landeshut 
Dr. Wilhelm May berufen, (hk.) 

— Dem Herausgeber der Zeitschrift für Laryngologie, Rhino- 
logie und ihre Grenzgebiete Dr. Felix Blumenfeld in Wiesbaden 
wurde vom Fürsten zu Schaumburg-Lippe der Professortitel ver¬ 
liehen. 

— Cholera. Ukraine. In Odessa wurde am 16. und 17. August 
je 1 Choleraerkrankung festgestellt. Abgesehen von allgemeinen 
Schutzmassnahmen, die seitens der Stadtverwaltung angeordnet 
wurden, ist für den Hafen eine Aufsichtsbehörde eingesetzt worden, 
die diesen überwachen und eine Einschlepung der Cholera ver¬ 
hüten soll. 

— Fleck fieber. Deutsches Generalgouvernement Warschau. 
In der Woche vom 11. bis 17. August wurden 234 Erkrankungen und 
16 Todesfälle angezeigt. In der Woche vom 18. bis 24. August wurden 
227 Erkrankungen und 27 Todesfälle gemeldet. — Oesterreich-Ungarn. 
In Ungarn wurde in der Zeit vom 22. bis 28. Juli 1 Erkrankung im 
Komitat Sohl gemeldet. 

— Pest. Niederländisch Indien. Im Juni wurden auf Java 
48 tödlich verlaufene Erkrankungen gemeldet. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 25. bis 31. August 
sind 2566 Erkrankungen und 232 Todesfälle gemeldet worden. 

— In der 35. Jahreswoche, vom 25. bis 31. August 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Hindenburg mit 43,3, die geringste Bamberg mit 5,1 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Diphtherie und Krupp in Gotha, an Unterleibstyphus in 
Graudenz. Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Breslau. Als Nachfolger des verstorbenen Professors Dr. 
Julius S c h m i d wurde Prof. Dr. Josef Forschbach, Privatdozent 
und Oberarzt der medizinischen Klinik der Universität Breslau, zum 
Primärarzt der medizinischen Abteilung am dortigen Allerheiligen¬ 
hospital berufen, (hk.) 

Halle. Dem Direktor des Anatomischen Institutes Geheim¬ 
rat Roux ist der Rote Adlerorden 3. Klasse mit der Schleife, dem 
Prosektor Prof. Eisler der Rote Adlerorden 4. Klasse verliehen 
worden. 

Wien. Dem mit dem Titel eines a. o. Professors bekleideten 
Pritvatdozenten für Kinderheilkunde an der Wiener Universität 
Dr. med. Emil F r o n z ist der Titel eines Hofrates verliehen 
worden, (hk.) 

(Berichtigung.) In dem Artikel der M.m.W. 1918 Nr. 15 

S. 404 „Körperentlausung durch Enthaarungspulver zwecks Fleck¬ 
fieberbekämpfung" muss es „Strontium sulfuratum" statt Strontium 
sulfuricum heissen. 

Amtliches. 

(Bayern.) 

Nr. 5022 b 9. München, den 9. August 1918. 

Kgl. Staatsministerium des Innern. 

An die Kgl. Regierungen, Kammern 
des Innern. 

Betreff: Verhandlungen der Aerzte¬ 
kammern 1917. 

Auf die Anträge der Aerztekammern, zu denen der K. Ober¬ 
medizinalausschuss ein vernommen wurde, ergeht folgender Bescheid: 

1. Einer der Beratung der Aerztekammern unterstellten An¬ 
regung des Landesversicherungsamtes, die Zuständigkeit der in jedem 
Regierungsbezirk am Sitze der Aerztekammer errichteten ärztlichen 
Kollegien zur Erstattung von Obergutachten in Unfallversicherungs¬ 
angelegenheiten auf die übrigen Gebiete der Reichsversicherungs¬ 
ordnung, somit der Kranken-, der Invaliden- und Hinterbliebenen¬ 
versicherung zu erstrecken, haben sämtliche Kammern zugestimmt. 
Das Staatsministerium des Innern wird die Anregung des Landes¬ 
versicherungsamtes weiter verfolgen. 

2. Sämtliche Kammern haben eine Nachprüfung der Gebühren¬ 
ordnung für ärztliche Dienstleistungen in der Privatpraxis, Anlage 
zu § 1 der K. V. vom 17. Oktober 1901 über ärztliche Gebühren, 
GVB1. S. 629, beantragt. Durch die K. V. vom 27. Juli 1918 über 


Gebühren für ärztliche Dienstleistungen in der Privatpraxis, GVBl. 
S. 383, wurden die Gebühren mit Rücksicht auf die durch den Krieg 
veranlassten ausserordentlichen Verhältnisse erhöht. 

Ferner haben sämtliche Kammern um Aufhebung der MJ3. vom 
17. Dezember 1902 über Entschädigung für Fahrrad- und Motoren¬ 
benutzung durch Aerzte, GVBl. S. 737, nachgesucht und im Falle der 
Benutzung eigenen Fuhrwerks oder Beförderungsmittels, auch Fahr¬ 
rads oder Motors, Entschädigung nach den jeweils ortsüblichen 
Preisen beantragt. Hiezu wird bemerkt, dass die Vergütung bei Be¬ 
nutzung eigenen Fuhrwerks oder Beförderungsmittels nach § 6 
Abs. I der Verordnung nach den ortsüblichen Preisen zu berechnen 
ist. Durch die Bekanntmachung vom 27. Juli 1918 über die Ent¬ 
schädigung der Aerzte für Benutzung des eigenen Kraftwagens, GVBL 
S. 385, wurde auch für die Verwendung eigenen Kraftwagens Ver¬ 
gütung nach den ortsüblichen Preisen bestimmt. Für die Benutzung 
eigenen Fahr- oder Kraftrads ist diese Berechnungsweise schon des¬ 
halb nicht durchführbar, weil eine gewerbsmässige Verleihung von 
Fahr- und Krafträdern nur ausnahmsweise stattfindet. 

3. Sämtliche Kammern haben beantragt, den § 12 der Oberpoli¬ 
zeilichen Vorschrift vom 20. November 1885 über die Leichenschau 
und die Zeit der Beerdigung, GVBl. S. 655, dahin zu ändern, dass 
die dort festgesetzten Gebühren auf das Doppelte erhöht werden. 
Dem Anträge wurde durch die Bekanntmachung vom 26. Juni 1918 
über die Leichenschaugebühren, GVBl. S. 349, entsprochen. 

4. Der Antrag, die 1914 vorbereitete Standes- und Ehrengerichts¬ 
ordnung einer nochmaligen Durchsicht durch die zuständigen Stellen 
und vielleicht auch durch die Aerztekammern zu unterstellen, um 
sie tunlichst bald zur Vorlage an den Landtag bringen zu können, 
wird gewürdigt werden. , 

5. Die Bestrebungen zur Wahrung der Interessen der durch 
Heeresdienst der Praxis entzogenen Aerzte werden möglichst ge¬ 
fördert werden, öffentliche Stellen mit festem Einkommen, wie 
Stellen eines Armenarztes, Krankenhausarztes oder die Obliegenheit 
eines Leichenschauers sollen tunlichst wieder ihren früheren Inhabern 
zukommen. Zur Unterstützung notleidender Aerzte stehen staatliche 
Mittel nicht zur Verfügung; die Bereitstellung kann in Hinblick auf 
die ungünstige Finanzlage nicht in Aussicht gestellt werden. 

6. Der Antrag, bei der in Aussicht genommenen Neuordnung der 
Kammer der Reichsräte auch eine Vertretung der Aerzte vorzusehen, 
wird, soferne der Aufnahme von Vertretungen weiterer Berufskreise 
nähergetreten wird, gewürdigt werden. 

7. Die Kammern haben ersucht, den gesamten ärztlichen Stand 
zu den sozialen Fürsorgebestrebungen für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege künftig tunlichst weitgehend heranzuziehen. Die Staats¬ 
regierung begrüsst die Mitwirkung des ärztlichen Standes an der 
Lösung der Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege und Für¬ 
sorge, deren Durchführung vielfach die tatkräftige Mitwirkung der 
Aerzte zur Voraussetzung hat, wärmstens. 

8. Sämtliche Kammern haben ersucht, bei der Heeresverwaltung 
dahin vorstellig zu werden, dass den Landärzten auch fernerhin die 
zur Aufrechterhaltung ihres Kraftwagenbetriebes notwendige Be¬ 
reifung geliefert wird. Im Hinblick auf die für die ärztliche Ver¬ 
sorgung der Zivilbevölkerung dringende Notwendigkeit ausreichender 
Versorgung der Landärzte mit Betriebsmitteln wurde schon früher 
Anregung an die Heeresverwaltung gerichtet, der soweit irgend 
möglich entsprochen wurde. Das Staatsministerium des Innern hat 
die Heeresverwaltung erneut um ferneres tunlichstes Entgegen¬ 
kommen ersucht. 

9. Die Kammern von Oberbayern und Oberfranken haben noch 
einzelne Anträge gestellt, die teils Standesfragen im engeren Sinne, 
teils das allgemeine Gesundheitswesen berühren. Das Staatsmini- 
sterium des Innern wird diese Anträge verbescheiden, wenn auch die 
übrigen Kammern hierzu Stellung genommen haben. Es wird an-, 
heimgegeben, zu den Anregungen, soferne sie weiter verfolgt werden 
sollen, eine Beschlussfassung auch der übrigen Kammern herbei¬ 
zuführen. In gleicher Weise ist auch künftig zu verfahren. 


Der von der Kammer von Oberbayern vorgelegte Bericht über 
die militärische Stellung der vertraglich verpflichteten Zivilärzte und 
der Landsturmärzte wurde dem Kriegsministerium zur Kenntnisnahme 


übermittelt. 


Dr. v. B r e tt r e ich. 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben: 
Stabsarzt Rud. Brückner, Leipzig. 

Zivilarzt Heinr. Hochhaus, Euskirchen. 
Bat.-Arzt Gerd Huck, Pirna. 

Oberarzt d. Res. Hermann J a f f 6. Santomichel. 
Oberarzt d. Res. Wolfgang Kracek, Lübeck. 
Oberarzt d. Res. Paul Mann, Apostelmühle. 
Bat.-Arzt Robert M o o k, Marieshausen. 
Stabsarzt Karl Schaumann, Dresden. 
Oberarzt Bernh. Sünder, Neumünster. 
Oberarzt Joh. Wolf, Dresden. 


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tat Mfinchen S-W. 2 , Pul Hejsestr. 96. — Druck von E. Mflhlthaler’s Bach- uni KnnsMrnckersi 3.Q., München. 

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Für Bezug: an 1. r. Lebmsnn's Verlag, Paul Heysestrasss 2i 
Für Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Mosse. Theatinerstrass« & 


Medizinische Wochenschrift. 

ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 39. 24. September 1918. 


Schriftleitun«: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verla«: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 


65. Jahrgang.. 


Der Verlag sich das ausschliessliche Recht der Vervielffthlgung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeitrlge vor. 


Originalien. 

Aus der II. chirurgischen Abteilung der k. k. Krankenanstalt 
Rudolfstiftung in Wien. 

Oie Operation der Magen-Kolon-Fistel nach 
Gastroenterostomie*). 

Von Prof. Dr. P. Clairmont und Dr. P. Hadjipetros 

In dem Folgenden wollen wir über 3 Fälle berichten, die durch 
ausgedehnte Resektionen an Magen, Dünndarm 
und Dickdarm von einem qualvollen und gefährlichen Zustand 
dauernd befreit wurden, der das unglückliche Ergebnis eines voraus¬ 
gegangenen Eingriffes am Magen wegen Geschwür war. Wenn die 
Fälle kurzweg als Magen-Kolon-Fistel bezeichnet werden, so ist dies 
anatomisch nicht ganz zutreffend. Denn tatsächlich bestand in allen 
Fällen eine auf dem Boden eines Ulcus pepticum Je¬ 
juni aufgetretene Dünndarm-Kolon-Fistel, die aber 
durch die nächste Nähe einer Gastroenterostomie dazu führte, dass 
Magen und Dickdarm indirekt kommunizierten. Damit wurden alle 
Beschwerden und Gefahren für die Patienten ausgelöst. Die ein¬ 
zelnen Fälle sind untereinander durch Besonderheiten verschieden, 
die.ihren Grund in den vorausgegangenen Eingriffen haben. Die Jetzt 
ausgeführten Operationen konnten aber so systematisch durchgeführt 
werden, dass nicht nur diese 3 Fälle geheilt wurden, sondern dass 
wohl der Methode und nicht der einzelnen glücklichen Operation 
der Erfolg zugesprochen werden darf. Damit ist auch gesagt, dass 
ähnliche Fälle in Zukunft mit glücklichem Ausgang zu operieren sein 
werden. 

1. Fall. Johann W., 45 j ä h r i ge r Mann, 5. V. bis 2. VIII. 
1917. — März 1912: Gastroenterostomia retrocolica 
posterior mit Pylorusausschaltung nach v. ELsels- 
berg wegen stenosierenden Ulcus in der Nähe des 
Pylorus. — April 1914: Wegen neuerlicher Magen¬ 
beschwerden in Beobachtung. — April 1917: Er¬ 
brechen von fäkulentem Geschmack. Röntgeno¬ 
logischer Nachweis einer pathologischen Ver¬ 
bindung zwischen Magen und Dickdarm, wahr¬ 
scheinlich über den Dünndarm nach einem Ulcus 
pepticum j e j u n i. — 4. VI. 1917: Magen-Dünndarm- 
Dickdarm-Resektion, laterale Duodeno -Jejuno- 
stomi e, Kolo-Kolostomie, Gastroenterostomia 
antecolica End zu Seit (Fig. 1 u. 4). — Heilung. — Fe¬ 
bruar 1918: Gewichtszunahme 13V* kg. 

Wir wollen auf die Einzelheiten der Krankengeschichte, die 
verschiedenen Befunde und Untersuchungsergebnisse nicht eingehen 
und uns auf die genaue Beschreibung des letzten Eingriffes be¬ 
schränken. 

Operation am 4. VI. 1917 (Prof. CI.). Grosser Laparotomie¬ 
schnitt parallel dem linken Rippenbogen. Sofort nach Eröffnung des 
Bauchfelles zeigt sich, dass die hintere Wand des Magens, ent¬ 
sprechend der Gastroenterostomie, von einem eigrossen entzündlichen 
Tumor eingenommen ist, der in ziemlich gleichmässiger Weise die 
benachbarten Abschnitte von Magen, Dünndarm und Colon trans- 
versum verbackt. Die Fixation nach hinten zu scheint vorzugsweise 
durch die Schrumpfung des Mesenteriums der obersten Jejunum¬ 
schlinge bedingt zu sein. Verwachsungen, die nach rechts zu be¬ 
steben, verhindern einen Ueberblick in dieser Richtung; deshalb 
zunächst Lösung nach rechts zu (entsprechend der ersten Laparo¬ 
tomie). Es wird sofort an die Exstirpation des ganzen entzünd¬ 
lichen Tumors geschritten, und zwar wird diese begonnen mit Unter¬ 
bindungen am grossen Netz, zur Mobilisierung des rechts von der 
Gastroenterostomie liegenden Magenteiles und des Colon trans- 


*) Die 3 Patienten, deren Ueberweisung ich meinem verehrten 
Lehrer Herrn Hofrat Frhr. v. Eiseisberg verdanke, wurden von 
mir in der Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 
1. III. 1918 demonstriert (s. W.kl.W. 1918 Nr. 10 S. 285). Da mir in 
allen Fällen Dr. P. Hadjipetros, Hilfsarzt meiner Station, assi¬ 
stiert hat, an dessen Ausdauer und Aufmerksamkeit ebenso grosse 
Anforderungen gestellt wurden wie an den Operateur selbst, erfolgt 
die Mitteilung mit ihm gemeinsam. Prof. Cl. 

Nr. 39. ^ By 

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versum. Die Unterbindungen spielen sich dann in folgender Reihen¬ 
folge ab: Unterbindungen des Mesooolon transversum, des Mesen¬ 
teriums der obersten Jejnumschlinge, des grossen Netzes kardial von 
der Gastroenterostomie und schliesslich des kleinen Netzes. Die 
Unterbindungen in dem Jejunalmesenterium können zunächst aber 
nicht beendet werden, da dort die Verhältnisse durch Verzerrung 
und Erweiterung der zuführenden Dünndarmschlinge anatomisch am 
undeutlichsten sind. Die, beträchtliche Dilatation der zuführenden 
Jejunumschlinge, die sich bis unter die abführende Jeiunumschlinge 
vorwölbt, täuscht zuerst eine dritte Schlinge vor. Es kann deshalb 
das Mesenterium des Dünndarmes erst nach’ Durchtrenn um g des 
abführenden Jejunumschenkels vollständig unterbunden werden, die 
nach der Durchtrennung des zuführenden Colon transversum ebenso 
wie die folgende Durchtrennung des zuführenden Jejunum und des 
abführenden Colon transversum zwischen Quetschklemmen mit dem 
Paquelin ausgeführt wird. Sämtliche Darmlumina werden durch 
Steppnaht, fortlaufende Seromuskularisnaht und Lembertknopfnähte 
versorgt. Als letze wird die Durchtrennung des Magens kardial von 
der Gastroenterostomie ausgeführt. (Fig. 1.) Die Anastomosen wer- 


Fig. 1. Fall 1. 

A. Gastroenterostomia retrocolica 
posterior. 

B. Fistula jejuno-colica. 

C Plica duodeno-jejtmalis. 

Die schraffierten Telle ent« 
sprechen den resezierten Ab« 
schnitten von Magen, Dünndarm 
und Dickdarm. Die Ziffern 1, 
2. 3, 4 und 5 geben die Reihen¬ 
folge der Durchtrennungen an. 



den danach in der folgenden Reihe gemacht: als erste eine kleine 
seitliche Verbindung zwischen zu- und abführendem Jejunumschen¬ 
kel, von annähernd lVi cm Länge, ungefähr 15 cm unter dem blind 
vernähten Ende des abführenden Dünndarmes. Als zweite folgt die 
Anastomose zwischen den beiden Colon-transversum-Stümpfen. 
Diese laterale Anastomose liegt zwar unter Spannung, wird aber 
gerade aus diesem Grunde möglichst breit angelegt. Als letzte folgt 
die End-zu-Seit-Gastroenterostomie als Antecolica mit dem abführen¬ 
den Jejunum (Fig. 4). Schliesslich werden alle durch die Anlegung 
dieser Anastomosen entstandenen Lücken, die zu Inkarzeration An¬ 
lass geben könnten, durch Knopfnähte geschlossen. Bauchdecken¬ 
naht. 

Beginn des Eingriffes nach Morphin in Lokalanästhesie, die nur 
gelegentlich durch etwas allgemeine Narkose ergänzt wird. Dauer 
der Operation 5 Stunden, Gesamtverbrauch 30 g Billrothmischung, 
20 g Aether. 

Glänzender postoperativer Verlauf. Weder Aufstossen noch 
Sodbrennen oder Erbrechen. Entfernung der Klammern am 6. Tag 
p. op. Heilung p. pr. Nach 8 Wochen mit 9 Ya kg Gewichtszunahme 
entlassen. Im Februar 1918 bestes Wohlbefinden. Gewichtszunahme 
13% kg. 

2. Fall. Armin Gr., 33 j ä h r i g e r Mann. 16. VII. b i s 
9. VIII. 1917. — Juli 1912:'Gastroenterostomia retro¬ 
colica posterior mit Pylorusausschaltung nach 
v. Eiseisberg wegen Ulcus duodeni. — Oktober 1912: 
Wegen neuerlicher Beschwerden Jejunostomie. — 
Januar 1913: Entfernung der Ernährungsfistel. — 
April 1913: Wegen Ulcus pepticum jejuni Gastro¬ 
enterostomia antecolica anterior und Entero- 
anastomose. — Dezember 1913: Wegen profuser 
Diarrhöen :u n»d Erbrechen von Geruch und Farbe 
der Diarrhöen in Beobachtung. Fistula gastro- 
colica vermutet. — Juli 1917: Die pathologische 
Verbindung zwischen Magen und Colon trans¬ 
versum sichergestellt. — 25. Juli 1917: Radikal- 
operation wie Fall 1 (Fig. 2 u. 4). — Heilung. — Fe¬ 
bruar 1918: Gewichtszunahme 18 kg. 

1 

Original frn-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 









1068 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


Die obigen Angaben mögen zur Andeutung der liartnückigen 
schweren Erkrankung des Patienten genügen, auf die erst in einer 
ausführlichen Darstellung aller unserer hierher gehörigen Beob¬ 
achtungen eingegangen werden soll. Der grosse Eingriff am 
25. Juli 1917 (Prof. CI.) nahm folgenden Verlauf: Schnitt parallel 
dem linken Rippenbogen bis über die Medianlinie nach rechts. 
Bauchhöhle im oberen Anteile entsprechend dem Fundus und dem 
kardialen Teil des Magens grösstenteils frei. Nach unten und rechts 
zu Verwachsungen, an denen sich die Dünndarmschlingcn unter¬ 
einander, das Netz, Darmschlingen und der Magen durch Verklebung 
gegen die vordere Bauchwand beteiligen. Lösung dieser Verwach¬ 
sungen, um einen Ucberblick über die anatomischen Verhältnisse zu 
bekommen. Als erstes kann die Gastroenterostomia antecolica 
anterior dargestellt werden. Ein hellergrosser wachsig-weisser Fleck 
in der vorliegenden Wand des Dünndarmes ganz nahe dieser Gastro¬ 
enterostomie macht auf den ersten Blick den Eindruck, dass auch 
dort ein Ulcus vorliegt. Die Palpation bestätigt dies insoferne als die 
Umgebung der Gastroenterostomie entsprechend dieser Stelle derb 
ist. Diese Gastroenterostomie liegt ziemlich hoch am Magen und 
ganz nahe dem grossen Kurvaturrand. Die Gastroenterostomia 
retrocolica posterior ist durch Verwachsungen und entzündliche In¬ 
filtration in einen Tumor umgewandelt, in dem sich zunächst Einzel¬ 
heiten der Darmschlingen nicht erkennen lassen. Zuerst wird der 
pylorisch blind vernähte Teil des Magens aus den Verwachsungen 
auspräpariert. Dies gelingt teilweise scharf durch Lösung der Ver¬ 
wachsungen, teilweise durch Unterbindungen des grossen und kleinen 
Netzes, die soweit verfolgt werden, bis die Adhäsionen ein weiteres 
Vordringen nicht gestatten. Damit ist auch das Kolon und Meso¬ 
colon transversum rechts von der Gastroenterostomie frei geworden, 
so dass hier die Unterbindungen fortgesetzt werden können, wobei 
das Kolon entsprechend seiner späteren Durchtrennung freipräpariert 
wird. Durch die Gastroenterostomia antecolica und Enteroanasto- 
mose entsteht eine Kulissenbildung des Dünndarmmesenteriums, 
welche bei der Unterbindung der zugehörigen Gefässe eine ganz 
besondere Vorsicht fordert. Diese Unterbindungen werden zwei 
Finger breit unter der Enteroanastomose am abführenden Schenkel 
begonnen und gehen bogenförmig gegen den zuführenden Schenkel 
der Gastroenterostomia retrocolica posterior der schon erkennbar ist. 
Je mehr man sich dieser nähert, um so hinderlicher werden für die 
Unterbindungen die in dem zugehörigen Mesenterium liegenfleh, 
ausserordentlich stark vergrösserten entzündlichen Lymphdrüsen. 
Die Ligaturen nähern sich sehr dem Hauptstamm der Art. mesen- 
terica sup. Ein vollständiges Auslösen der kurzen zuführenden Je¬ 
junumschlinge der Gastroenterostomia .retrocolica posterior ist zu¬ 
nächst nicht möglich. Die Unterbindungen werden deshalb dort ab¬ 
gebrochen und auf der linken Seite von der hinteren ,Gastroentero¬ 
stomie fortgesetzt, zunächst als Unterbindungen des grossen Netzes, 
dann des Mesocolon transversum. Hiebei ist auffallend, dass das 
zuführende Kolon erweitert und mit Stuhlmassen ausgefüllt ist 
während das abführende eng und kaum gefülllt ist. Danach werden 
die Darmschlingen in der folgenden Reihe durchtrennt: zuerst das 
zuführende Colon transversum, dann das abführende Jejunum unter 
der Enteroanastomose, als drittes das abführende Colon transversum, 
als viertes nach entsprechenden weiteren Unterbindungen an dem 
kurzen Mesenterium dieser Schlinge das zuführende Jejunum zur 
hinteren Gastroenterostomie, und schliesslich unterhalb einer grossen 
Hansyschen Klemme der Magen kardial von der Gastroenterostomia 
antecolica anterior (Fig. 2). Alle Durchtrennungen bis auf die letzte 


Fig. 2. Fall 2. 

A. Gastroenterostomia retrocolica 
posterior. 

B. Fistula jejuno-colica. 

C. Gastroenterostomia antecolica an¬ 
terior. 

Das daneben stehend« Kreuz 
zeigt das zweite kleine peptische 
Oeschwfir im Dünndarm an. 

D. Braun ’sche Enteroanastomose. 

E. Plica duodeno-jejunalis. 

Die schraffierten Abschnitte 
von Magen, Dünndarm und Dick¬ 
darm wurden reseziert. Die Zif¬ 
fern 1, 2. 3, 4 und 5 zeigen die 
Reihenfolge derDurchtrennungen. 


werden mit dem Paquelin gemacht, die im Körper bleibenden Enden so¬ 
fort blind durch Steppnaht und Decknaht in zwei Etagen geschlossen. An 
den durch Exstirpation entfallenden Teilen bleiben die Öuetschklemmen 
liegen. Die Anastomosenbildung erfolgt darnach in der folgenden 
Weise: zuerst als Jejuno-Jejunostomie zwischen der zuführenden und 
der abführenden Jejunumschlinge ca. 25 cm unterhalb ihres blind ver¬ 
nähten Endes. Zu dieser Anastomosenbildung wird im strengen Sinn 
schon die Pars ascendens duodeni verwendet. Der blinde Verschluss 
dieses Schenkels liegt so knapp vor jener Stelle, wo die Schlinge 
retroperitoneal verschwindet, dass ein freier Teil zur Anastomosen¬ 
bildung zunächst nicht besteht. Dieser Darm kann aber doch so 


beweglich gemacht werden, dass eine 2 cm lange Anastomose, aller¬ 
dings unter beträchtlichen Schwierigkeiten wegen der tiefen Lage 
und wegen des engen Raumes auszuführen ist. Als zweites folgt die 
Kolo-Kolostomie, ebenso wie die vorausgegangene Anastomose, Seit- 
zu-Seit ohne Spannung. Entsprechend den freien Tänien wird die 
Verbindung, während die blind vernähten Kolonstümpfe kopfwärts 
schauen, recht breit gemacht. Der abführende Kolonschenkel ist in 
Adhäsionen des grossen Netzes eingebettet, aus denen er zuerst be¬ 
freit werden muss. Zunächst erscheint er kurz, nach dieser Lösung 
ist aber ein hinreichend langes Darmstück vorhanden, an dem sich 
die seitliche Kolo-Kolostomie leicht und sicher ausführen lässt. Als 
letzte Anastomose wird die Gastroenterostomie als Antekolika End- 
zu-Seit gemacht, nach Anlegung einer Okklusionsnaht am Magen¬ 
stumpf von der kleinen Kurvatur her über 5 cm. Diese Okklusions¬ 
naht wird mit dem obersten Teil des blind vernähten Dünndarm¬ 
schenkels gedeckt. (Fig. 4.) Nach Abnahme der Klemme wegen 
Blutung an der grossen Kurvatur einige Ligaturen. Abschluss der 
Operation durch Etagennaht. 

Die Operation wurde nach Morphin in Lokalanästhesie begonnen 
und je nach Empfindlichkeit der Gewebe in oberflächlicher all¬ 
gemeiner Narkose fortgesetzt (Gesamtverbrauch 62 g reines Chloro¬ 
form, 52 g Billrothmischung). Dauer des Eingriffes 7 Stunden. 

In den ersten Tagen p. op. Temperaturerhöhung bis 38, bedingt 
durch Bronchitis. Entfernung der Klammern am 31. VII. Heilung 
p. pr. Von seiten des Magens keinerlei Beschwerden. Nach 
3 1 /« Wochen 2 l /a kg Gewichtszunahme. Im Februar 1918 vorzügliches 
Befinden. Gewichtszunahme 18 kg. 

3. Fall. J a k o b R.. 47 i ä h r i g e r M a n n, 31. I. bis 9. III. 1918. 

— Januar 1909: Appendicitis acuta suppurativa. 
Appendektomie. Heilung p. sec. Bauchwandbruch. 

— August 1914: Gastroenterostomia retrocolica 
posterior wegen Pylorusstenose. — Dezember 1917: 
Röntgenologischer Nachweis einer Fistula 
g a s t r o col i c a. — 1. II. 1918: R a d i k a 1 o pe r a t i o n dieser 
Fistel (Fig. 3 u. 4). — Heilung. — Mai 1918: 5 kg Ge¬ 
wichtszunahme 1 ). 

Auch hier soll nur der letzte Eingriff ausführlich beschrieben 
werden. "O p e r a t i o n am 1. II. 1918 (Prof. CI.). Schnitt 2 bis 
3 Querfinger unter dem linken Rippenbogen parallel zu diesem, nach 
rechts ca. 2 cm den rechten Musculus rectus kerbend. Nach Durch¬ 
trennung der Weichteile kommt man wohl in dem äussersten lin¬ 
ken Winkel in freie Peritonealhöhle. Nach rechts bestehen aber 
feste Verwachsungen, und zwar vor allem dadurch, dass die Netz¬ 
platte fläohenförmig mit der vorderen Bauchwand verwachsen ist und 
gegen den Bauchwandbruch in der rechts liegenden Narbe nach Appen¬ 
dektomie zieht. Aeusserst mühsam wird zunächst versucht, von dem 
linken Schnitt aus mehr Eindruck zu gewinnen, da aber ein richtiges Vor¬ 
wärtskommen nicht möglich ist, wird ein neuer Bauchdeckenschrcitt von 
jenem Punkt nach rechts unten angesetzt, wo der erste Schnitt die 
Medianlinie kreuzt. Dieser Schnitt durchtrennt nach Sicherungs¬ 
nähten in schräger Richtung nach abwärts verlaufend den grössten 
Teil des Muse. rect. dextr. Wenn auch dadurch freie Bauchhöhle 
nach rechts herüber nicht erreicht wird, so gelingt es nunmehr doch, 
allerdings nur unter sehr zahlreichen Unterbindungen, das Netz ab¬ 
zulösen oder zu durchtrennen, so dass schliesslich Magen und Colon 
transversum vorliegen und vorgezogen werden können. Durch die 
Verwachsungen ist auch jetzt noch eine gewisse Unbeweglichkeit 
des Colon transversum bedingt, vor allem des rechtsseitigen Schen¬ 
kels. Es stellt sich leicht die Gegend der hinteren Gastroentero¬ 
stomie ein, die durch Injektion und Oedem als Sitz eines Geschwürs¬ 
und Entzündungsprozesses ohne weiteres zu erkennen ist. Das Colon 
transversum ist ganz an die Gastroenterostomie herangezogen. Die 
Palpation lässt neben Schwielenbildung in der Umgebung der Gastro¬ 
enterostomie eine tumorähnliche Verdickung an der Jejunumschlinge 
und eine sehr leicht für den Daumen durchgängige Fistula jejuno- 
colica erkennen. Diese Fistel liegt im abführenden Schenkel knapp 
neben der durchgängigen Gastroenterostomie und führt von der der 
vorderen Bauchwand zugekehrten Konvexität der Jejunumschlinge 
mit der Richtung nach vorne oben in das Colon transversum. Lage 
und Richtung dieser Fistel machen es verständlich, dass bei dem 
Patienten wohl Stuhl in den Magen kann, der Mageninhalt aber nicht 
in das Kolon, sondern sofort in den abführenden Jejunumschenkel ab¬ 
floss. Die Gegend des Pylorus ist durch die narbige Verengerung 
auf Kleinfingerdicke stenosiert. Eine Durchgängigkeit lässt sich bei 
der Palpation aber nicht mehr nachweisen. Die Nahtlinie der ersten 
Laparotomie ist mit der vorderen Wand des Magens fest narbig 
verwachsen und bedingt an dieser Stelle, das ist gerade etwas 
pyloruswärts von der angelegten Gastroenterostomie und Fistula 
jejuno-colica, eine ausgesprochen sanduhrförmige Verengerung. Die 
Resektion wird sofort an der grossen Kurvatur des Magens be¬ 
gonnen und dort bis über die Pylorusstenose nach rechts verfolgt, 
so dass das Duodenum erreicht wird, dessen Auslöung sehr leicht 
gelingt. Dann folgen Unterbindungen an der kleinen Kurvatur. Die 
Unterbindungen im grossen und kleinen Netz werden so bis oral 


f ) Ueber diesen Patienten wurde schon in der Arbeit: „Ueber 
die Mobilisierung des Duodenums von links her“ (Langenbecks Arch. 
110 S. 104) berichtet. 



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MüENCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


IÖ69 


24. September 1918. 


von der Gastroenterostomia retrocoh post, fortgesetzt. Dann wird ! 
das Mesokolon des zuführenden Kolonschenkels unterbunden und das 
Darmrohr unter Ligaturen zum blinden Verschluss ausgelöst. Hierauf 
Unterbindung des Mesenteriums der abführenden Jejunumschlinge 
handbreit unter der Eistula gastrocolica. Durch die Schrumpfung und 
Verdickung des Jejunalgekröses an der Gastroenterostomie sind diese 
Unterbindungen besonders mühsam und muss auf die Gefässversor- 
gung des Dünndarms Rücksicht genommen werden. Schon vor Be¬ 
ginn der Ligaturen wurde die Pars ascendens duod. in der typischen 
Weise mobilisiert, allerdings konnte diese Mobilisation zunächst keine 
ausreichende sein, da der Dünndarm nicht eventriert und rechts ge¬ 
halten, sondern im Bauche .gelegen war. Immerhin ist damit mehr 
Beweglichkeit gewonnen, so dass eine leichtere Orientierung über 
den zur Gastroenterostomie ziehenden Dünndarmschenkel gewonnen 
werden kann. Im Gekröse, gerade an der Gastroenterostomie, liegen 
mehrere bis nussgrosse Lymphdrüsen, welche den schon anfangs 
iestgestellten Tumor an der Gastroenterostomie bilden und das Durch¬ 
kommen durch das Mesenterium ausserordentlich erschweren. Nachdem 
der abführende Schenkel mit den Unterbindungen erreicht ist, wird 
das Mesokolon des abführenden Schenkels ligiert, ergänzende Unter¬ 
bindungen am Magen gemacht, so dass dieser vom Duodenum bis 
3 Querfinger kardial von der Gastroenterostomie, die oberste Dünn¬ 
darmschlinge und die Mitte des Colon transversum aus jeder Er¬ 
nährung losgelöst und beweglich gemacht sind. Sämtliche Durch¬ 
trennungen werden mit Quetschklemme und Paquelin, der blinde Ver¬ 
schluss durch Steppnaht und zwei Etagenübernähungen ausgeführt, 
und zwar am: 1. Duodenum, 2. zuführenden Colon transversum. 

3. abführenden Jejunumschenkel, 4. zuführenden Jejunumschenkel, 
nachdem früher die obere Hälfte des Dünndarms eventriert und die 
Mobilisierung des Duodenums von links her vervollständigt worden 
ist, 5. des abführenden Colon transversum (Fig. 3). Die ganzen da- 



Fig. 3. Fall 3. 

A. Gastroenterostomia retrocolica 
posterior. 

B. Fistula jejuno-colica. 

C. Plica duodeno-jejunalis. 

D. Peritoneum parietale, die Pars 
ascendens duodeni deckend. Die 
darüber liegende Linie entspricht 
der Inzision des Peritoneums zur 
Mobilisierung des Duodenums. 

Die schraffierten Abschnitte 
wurden reseziert. Die Ziffern 1, 
2, 3, 4, 5 und 6 geben die Reihen¬ 
folge der Durchtrennungen an. 


mit entfallenden Darmabschnitte werden mit dem noch in der Kon¬ 
tinuität bleibenden Magen über den linken Rippenbogen nach links 
geschlagen. Danach wird sofort mit den Anastomosen begonnen, und 
zwar als erste eine laterale Duodeno-Jejunostomie zwischen Pars 
ascendens duodeni und oberster Jejunumschlinge 25 cm unter dem 
blinden Verschluss angelegt. Durch die Mobilisierung des Duodenums 
(die Abtragung und blinde Vernähung fällt gerade mit der Plica 
duodeno-jejunalis zusammen, entspricht also genau dem Uebergang 
von Duodenum in das Jeju-num) lässt sich diese Anastomose ohne 
wesentliche Schwierigkeiten in einem Ausmasse von 4 cm ausführen. 
Dann folgt die laterale Kolo-Kolostomie, wobei die Spannung, die 
zuerst den zuführenden Kolonschenkel betrifft, mit Durchtrennung 
einiger Verwachsungen des zuführenden Schenkels nach rechts be¬ 
hoben werden kann. Die Anastomose folgt dem Verlaufe einer 
Tänie und ist sicher in einem Ausmasse von 7 cm durchführbar. 
Jetzt wird der Magen abgetragen. Der aashafte Gestank ist nach 
der Eröffnung desselben ganz besonders deutlich. Der Magen wird 
zum Teil durch Okklusionsnaht geschlossen, der andere Teil End-zu- 
Seit mit der blindverschlossenen obersten Jejunumschlinge anastomo- 
siert, durchaus in drei Etagen (Fig. 4). Das obere Ende der Dünn¬ 
darmschlinge wird zur Deckung der Okklusionsnaht verwendet. Der 
ireie Rand des Dünndarmmesenteriums, der früher in sich selbst ver¬ 
näht worden ist, wird nach hinten genäht und damit eine Lücken¬ 
bildung zwischen Mesenterialrand, Kolo-Kolostomie und hinterer 
Bauchwand verhindert. Schon vorher wurden die Mesokolonreste 
auf die Kolo-Kolostomie genäht, zum Teil auch zur Deckung des 
blinden Duodenalstumpfes verwendet. Dann Bauchdeckennaht. 

Beginn der Operation in Lokalanästhesie nach Morphin, später 
oberflächliche allgemeine Narkose, Gesamtverbrauch 150 g Billroth- 
mischung. Dauer der Operation 6 Stunden. Wegen Gefahr des Kot- 
erbechens und der Aspiration Tieflagerung des Kopfes. 

Vorzüglicher Verlauf, Heilung p. pr. Am 6. V. 18 stellt sich 
Patient mit einer Gewichtszunahme von 5 kg in -bestem Allgemein¬ 
zustand vor. 

In den beschriebenen 3 Fällen wurde im wesentlichen dieselbe 
Operation ausgeführt, bestehend in einer Resektion des die 
Gastroenterostomie tragenden Magenabschnittes, 
aer zur Gastroenterostomie verwendeten ober- 


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sten Jejunum schlinge und des durch die Fistula 
jejunocolica in Verbindung stehenden Anteils des 
Colon transversum. Das Vorgehen am Magen war zweimal 
dadurch erleichtert, dass die Pylorusausschaltung vorausgegangen 
war, somit nach rechts ein blinder Sack bestand und eine neue Durch¬ 
trennung nicht erfolgen musste. In dem Falle, wo nur die Gastro¬ 
enterostomie angelegt worden war, erfolgte die Resektion im Be¬ 
reiche des Duodenums, das, im höchsten Masse verengt, dank der 
Ausheilung des Geschwüres leicht auslösbar war. Gegen die Kardia 
zu musste einmal am Magen, der zwei Gastroenterostomien trug, 
recht hoch hinaufgegangen werden, um oral von der letzt angelegten 
Magen-Dünndarmverbindung zu resezieren. 


I ig. 4. 

Schematische Darstellung des End¬ 
ergebnisses nach Ausführung der 
Anastomosen. 

1: laterale Duodeno-Jejunostomie, 
2: laterale Kolo-Kolostomie, 

3: Oastroenterostomia antecolica 
End zu Seit bei Okklusionsnaht 
am Magen. 

Die Ziffern 1, 2, 3 bezeichnen 
gleichzeitig die Reihenfolge der 
Anastomosen. 



In allen drei Fällen bestand eine seitliche Gastroenterostomia 
retrocolica posterior mit kurzer Schlinge, isoperistaltisch gelagert, 
in einem Falle ausserdem, wie schon erwähnt, eine Gastroentero¬ 
stomia antecolica anterior mit Enteroanastomose. Die Resek¬ 
tion der hinteren Gastroenterostomie war durch 
zwei Momente erschwert: durch die Kürze der zu¬ 
führenden Schlinge und durch die tumorähnlichen 
entzündeten Lymphdrüsen im Dünndarmmesen¬ 
terium. Die erste Schwierigkeit kann, wie schon ausführlich be¬ 
richtet wurde, durch die Mobilisierung des Duodenums von links 
her, d. i. die Auslöung des retroperitoneal gelegenen aufsteigenden 
Abschnittes des Zwölffingerdarmes, überwunden werden. Die zweit« 
erfordert ein langsames schrittweises Vorgehen. Allein die Kenntnis, 
dass hier vergrösserte Lymphdrüsen liegen, welche die Orientierung 
sehr erschweren, erleichtert die Technik. 

Ganz besonders mühsam wurde die Resektion des obersten Je¬ 
junums in dem Falle, wo zwei Gastroenterostomien bestanden. Am 
horizontalen Querschnitt kann die Kulissenbildung des Dünndarm¬ 
mesenteriums als zweifach S-förmig bezeichnet werden. Die Gefahr 
für die Zirkulation des Jejunums durch die Unterbindung des Mesen¬ 
teriums ist in der Operationsgeschichte erwähnt. 

Der Resektion des Cölon transversum gingen die Ligaturen am 
Netz und am Mesokolon voraus. Der Dickdarm wurde sofort zur 
Abtragung vollkommen ausgelöst, zuerst am zu-, dann am abführen¬ 
den Schenkel. 

Unsere drei mit Erfolg operierten Fälle er¬ 
geben bezüglich der technischen Ausführung fol¬ 
genden Grundriss: Bauchdeckenschnitt am besten quer bzw. 
schräg über den rechten Rektus und die linke Bauchhälfte. Zuerst 
Lösung der zahlreichen intraperitonealen Verwachsungen, die infolge 
eines oder mehrerer vorausgegangener Eingriffe und der Entzündung 
um das peptische Jejunalgeschwür in der Regel vorhanden sind. 
Dann Isolierung des Magens, beginnend mit Unterbindungen am 
grossen Netz, gegen den Pylorus fortschreitend, bis zu dem blinden 
Verschluss einer Pylorusausschaltung oder bis zu der später er¬ 
folgenden Durchtrennung oral oder aboral vom Pylorus. Ligaturen 
des kleinen Netzes, bis ungefähr in jene Höhe, wo später die Ab¬ 
tragung des Magens erfolgen soll. Fortsetzung der Unterbindungen 
längs der grossen Kurvatur bis in die Höhe der Gastroenterostomie. 
Dadurch wird der Einblick auf das Mesocolon transversum rechts 
von der Gastroenterostomia retrocolica und der Fistula jejuno-colica 
gewonnen. Unterbindungen des Mesokolons und der Netzschürze 
entsprechend der späteren Durchtrennung des zuführenden Colon 
transversum-Schenkels. Ligatur des Mesokolons hinter der Gastro¬ 
enterostomie. Mobilisierung der Pars ascendens duodeni von links 
her nach entsprechender Eventration der obersten Dünndarm¬ 
schlingen, die wieder in die Bauchhöhle reponiert werden. Unter¬ 
bindungen am Mesenterium der zur Gastroenterostomie verwendeten 
Jejunumschlinge. Ligaturen an der grossen Kurvatur des Magens 
links von der Gastroenterostomie, Freilegung des Mesokolons des 
abführenden Dickdarmschenkels und Unterbindungen dieses Gekröses 
sowie der Netzschürze auf der linken Seite. Damit ist die voll¬ 
ständige Isolierung des zu resezierenden Magen-Dünndarm-Dickdarm- 
abschnittes aus der Zirkulation erreicht. Die Durchtrennungen spielen 
sich in der folgenden Reihenfolge ab: 

1. des Magens, wenn die Pylorusausschaltung nicht schon in 

1 • 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


einem früheren Eingriff ausgeführt wurde, vor oder unter dem 
Pylorus. 

2. des zuführenden Colon transversum. 

3. des abführenden Jejunums. 

4. des zuführenden Jejunums. 

5. des abführenden Colon transversum. 

Damit kann der ganze zu resezierende Magendarmabschnitt über 
den linken Rippenbogen nach links oben geschlagen werden. Alle 
'Durchtrennungen erfolgen zwischen Quetschklemmen mit dem 
Paquelin, jedes Ende wird sofort mit Steppnaht blind ge¬ 
schlossen, zuerst mit fortlaufender Seromuscularisnaht, dann mit 
Serosaknopfnähten gedeckt. Sämtliche Anastomosen werden als seit¬ 
liche Verbindungen durchgeftihrt, und zwar 

1. die Duodeno-Jejunostomie, 

2. die Kolo-Kolostomie,. 

3. nach Durchtrennung des Magens die Gastro-Jejunostomie. 

Die Duodeno-Jejunostomie wird zwischen der mobilisierten Pars 

ascendens duodeni und der obersten Jejunumschlinge 20—25 cm 
unter ihrer blinden Vernähung angelegt, die Kolo-Kolostomie mög¬ 
lichst breit, entsprechend der freien Tänie, so dass die blind ver¬ 
nähten Stümpfe nach oben schauen; die schliessliche Verbindung 
zwischen Magen und Darm als Gastroenterostomia antecolica End-zu- 
Seit, mit teilweiser Okklusionsnaht am Magen von der kleinen Kurva¬ 
tur her, wobei der freie Mesenterialrand der Dünndarmschlinge zur 
Deckung und Sicherung der Kolo-Kolostomie verwendet werden kann. 
Damit ist das in Fig. 4 schematisch dargestellte Endergebnis er¬ 
reicht. 

In dem Falle, in dem 2 Gastroenterostomien angelegt worden 
waren, wurde die Reihenfolge insoferne geändert, als das abführende 
Kolon vor dem zuführenden Jejunum durchschnitten wurde; der 
Grund lag in der schlechten Zugänglichkeit des kurzen zuführenden 
Dünndarmschenkels, die Mobilisierng des Duodenums von links her 
war in diesem Falle aber noch nicht zur Anwendung gekommen. 

Bei diesen grossen, langdauernden Eingriffen 
von 5—7 Stunden darf selbstverständlich der Pa¬ 
tient nicht gleichmässig narkotisiert werden. Der 
Bauchdeckenschnitt wird in Lokalanästhesie gemacht. Im weiteren 
Verlauf darf nur dann narkotisiert werden, wenn Schmerzen zu er¬ 
warten sind oder auftreten. Dies ist namentlich bei den Lösungen 
der Verwachsungen und den Unterbindungen des Mesokolons und 
des Dünndarmmesenteriums der Fall. Sämtliche Durchtrennungen, 
Uebernähungen und Anastomosen können fast durchaus ohne Nar¬ 
kose gemacht werden. Chloroform kann, wenn es vorsichtig tropfen¬ 
weise und in geringer Gesamtmenge gegeben wird, erlaubt sein. 
Aether ist namentlich in grösserer Menge unbedingt verboten; am 
besten geeignet ist die Mischung. Das schmerzhafte und für die 
Atmung gefährliche Einsetzen von Laparotomiespateln wird durch den 
Querschnitt möglichst vermieden. Eine besondere Bedeutung hat die 
Verhütung der Abkühlung bei offenem Bauch. Aus diesem Grunde 
wurde bei dem im Winter operierten Patienten (Fall 3) der Opera¬ 
tionssaal von 26° C zu Beginn der Operation auf 32° während der 
ersten 2 Stunden erwärmt und für die Dauer des ganzen Eingriffes 
auf oder über dieser Temperatur gehalten. 

Aus der Nachbehandlung erwähnen wir nur die Ueberschwem- 
mung des Körpers mit subkutan infundierter Kochsalzlösung (kein 
Tropfklysma!), die freigebige Verabreichung von Kampfer in den 
ersten 24 Stunden, die intramuskuläre Injektion von 4—5 cm Diga- 
len oder Digipuratum pro die in den ersten Tagen p. op., das Heraus¬ 
setzen des Patienten 24 bis 48 Stunden nach dem Eingriff. 

Wir müssen hier wohl noch einen Einwand entkräften. Es ist 
die Frage, ob die Fistula jejuno-colica so grosse und gefährliche Ein¬ 
griffe tatsächlich indiziert. Dass die ausgedehnte Resektion die beste 
und richtigste Behandlung des Ulcus pepticum jejuni nach Gastro¬ 
enterostomie ist, geht aus der Mitteilung von v. Haberer 8 ) her¬ 
vor, der diesen Eingriff zum erstenmal und mit guten Resultaten aus¬ 
geführt hat. Wenn v. Haberer auch keine Gelegenheit gehabt hat, 
Fälle von Fistula gastrocoiica zu operieren, so ergeben sich in Aus¬ 
gestaltung des Operationsplanes die grossen Eingriffe, die in unseren 
Fällen mit Erfolg und, was das wichtigste ist, mit guten Fernresul¬ 
taten durchgeführt werden konnten. Misserfolge bezüglich Rezidiv, 
wie sie in der Literatur verzeichnet sind (v. E i s e 1 s b e r g, 
Gosset, v. Herczel) weisen darauf hin, dass in der syste¬ 
matischen Operation, die den Magen gründlich reduziert und Dünn- 
und Dickdarm weit im Gesunden abträgt, wie sie in unseren Fällen 
zuerst ausgeführt -wurde, die beste Gewähr für das unmittelbare und 
spätere Resultat gegeben ist. 

Schon vor diesen 3 Fällen hatte eine frühere Beobachtung ge¬ 
zeigt, dass von seiten des Abdomens die ausgedehnte Resektion 
durchführbar ist. Der grosse Verbrauch von Aether zur Narkose 
(700 g) hatte den Tod dieses Patienten durch doppelseitige Pneu¬ 
monie verschuldet, während der Bauch bei der Obduktion in bester 
Ordnung gefunden wurde. Trotz unglücklichem Ausgang war dieser 
Fall ermutigend und für die Ausarbeitung der Methode massgebend, 
weshalb auch hier kurz über denselben berichtet werden soll, 


8 ) H. v. Haberer: Zur Radikaloperation des Ulcus pepticum 
iejuni post-operativum. Langenbecks Arch. 101. H.3 S. 669. 

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Johann L., 37 j ä h r i g e r Mann. 9. V. bis 22. V. 1916 
(I. chirurgische Klinik, Hofr. v. Eiseisberg). Juni 
1913: Wegen Ulcus duodeni Pylorusausschaltung 
mit Gastroenterostomia retrocolica posterior. — 
Seit einem halben Jahr neuerliche Beschwerden. 
Mai 1916: Verdacht auf Ulcus pepticum jejuni. — 
19. V. 1916: Magen-Dünndarm-Dickdarm-Resektion. 
— Exitus am 22. V. 1916. 

In diesem Falle nahm die Operation am 19. V. 1916 (Prof. 
CI.) folgenden Verlauf: Mediane Laparotomie neben der alten Narbe. 
Freilegung der Musculi recti, die weit diastasiert sind. Im Peritoneal- 
raum keine Verwachsungen. Sogleich stellt sich der Magen ein, der 
entsprechend der .Gastroenterostomie einen entzündlichen Tumor 
trägt, der auf das Colon transversum übergreift und sämtliche be¬ 
nachbarten Organe, d. i. Magen, oberes Jejunum, Mesokolon und 
Colon transversum an sich heranzieht. Der zuführende Dünndarm 
ist ausserordentlich erweitert. Im Duodenum scheint durch die Wand 
hindurch noch immer ein Geschwür der hinteren Wand fühlbar zu 
sein. In der Umgebung desselben ein kleiner entzündlicher Tumor. 
Zur Behandlung des Ulcus pepticum an der Gastroenterostomie 
scheint nur die Resektion in Betracht zu kommen, die mit Unter¬ 
bindungen an der grossen Kurvatur des Magens begonnen wird. Auf 
diese Weise wird der pyloruswärts blind vernähte Magen voll¬ 
kommen ausgelöst. Dann wird das Mesokolon transversum, soweit 
es den zuführenden Schenkel des Colon transversum betrifft, schritt¬ 
weise ligiert bis an die Gastroenterostomie heran. Die nächsten Unter¬ 
bindungen betreffen das Mesenterium der abführenden Jejunum¬ 
schlinge. Ueberall, wo man sich der Gastroenterostomie nähert, 
besteht Oedem und Schwielenbildung. Bei den Unterbindungen des 
Mesenteriums des oberen Dünndarmes muss schon auf die Arteria 
mesenterica superior geachtet werden. Dann Unterbindungen am 
Mesokolon des abführenden Schenkels. Unterbindungen an der 
kleinen Kurvatur machen schliesslich das ganze Gebilde soweit be¬ 
weglich, dass es nur mehr an der Gastroenterostomie selbst hängt. 
Noch immer besteht Unklarheit über die Beschaffenheit und Lage¬ 
verhältnisse des zuführenden Dünndarmschenkels, der, wie schon 
früher gesagt, ausserordentlich dilatiert ist. Diese Durchtrennung 
muss aus diesem Grund als letzte bleiben. Zuerst Durchtrennung des 
Colon transversum zwischen Kocher sehen Quetschklemmen am 
zuführenden Schenkel, dann des abführenden Jejunumschenkels zirka 
20 cm unter der Gastroenterostomie ebenfalls zwischen Quetsch¬ 
klemmen mit Paquelin. Durchtrennung des abführenden Mesokolons 
auf dieselbe Weise. Sämtliche Schenkel werden sofort durch Ver¬ 
schluss und Uebernähung definitiv versorgt. Anlegung einer grossen 
H a n s y sehen Klemme am Magen und Durchtrennung desselben 
oberhalb der Gastroenterostomie. Als letzte die Durchtrennung des 
zuführenden Jejunumschenkeis mit Paquelin und sofortige Verpähung. 
Danach muss zuerst eine Anastomose zwischen Duodenum und 
Jejunum hergestellt werden. Nach einem vergeblichen Versuch, das 
Duodenum retroperitoneal freizulegen, bei dem es sogar zu einer 
Eröffnung des Duodenums kommt, die möglichst exakt geschlossen 
wird, wird zwischen dem unter der Plica duodeno-jetunalts hervor¬ 
tretenden Dünndarm und der abführenden Dünndarmschlinge eine 
kleine laterale Anastomose angelegt. Diese ist äusserst mühsam. 
Dann Anlegen einer Gastroenterostomie End-zu-Seit anisoperistal- 
tisch. Es ist nicht zu vermeiden, dass es entsprechend der lateralen Ana- 
stomose zur Abknickung kommt. Diese kann dadurch gemildert werden, 
dass der ganze abführende Jejunumschenkel am Magen fixiert wird. 
Schliesslich Herstellung der Verbindung im Bereich des Dickdarmes. 
Die beiden Kolonschenkel lassen sich nicht mit einander vereinigen, 
weil die Spannung zu gross ist, ausserdem der abführende Dünndarm¬ 
schenkel komprimiert werden dürfte. Deshalb Erweiterung der La¬ 
parotomie nach unten, wo sich eine Flexura sigmoidea mit ausser¬ 
ordentlich langem Mesenterium findet. Diese wird heraufgeschlagen 
und mit dem zuführenden Kolonschenkel die laterale Anastomose ge¬ 
macht. Verschluss der Bauchdecken in Etagen. 

In den nächsten Tagen kleiner Puls, mehrmaliges Erbrechen. 
Temperatursteigerung, pneumonische Erscheinungen. Abgang von 
Flatus und Stuhl auf Klysma. Exitus am 22. V. 

Obduktionsbefund: Multiple lobulärpneumonische Herde 
im linken Unterlappen und rechten Mittellappen. Beiderseitige frische 
serös-eitrige Pleuritis. Parenchymatöse Degeneration des Herzens, 
der Leber und Nieren. Atrophie der Milz. Keine Peritonitis, alle 
Nähte suffizient, keine Stauung im zuführenden Jejunum. 

Ein Vergleich der in diesem Falle ausgeführten Operation mit 
dem Vorgehen in den späteren Fällen zeigt wichtige Unterschiede. 
Die für die Unterbindung des Dünndarmmesenteriums betonten 
Schwierigkeiten .wiederholten sich auch hier, so dass entsprechend 
dem zuführenden Jejunum die Durchtrennung erst nach der Ab¬ 
tragung des Magens erfolgte. Die Kürze der Schlinge erschwerte 
die Versorgung und Wiederherstellung der Verbindung mit dem 
Dünndarm. Eine schon damals versuchte Mobilisierung des Duo¬ 
denums scheiterte, da für ihre Ausführung die Versuche an der Leiche 
fehlten. Sowohl in der Folge wie in der Lage der Anastomosen er¬ 
gibt sich eine wesentliche Differenz, die nach den letzten Erfahrungen 
gelöst erscheint. Die Anlegung der Gastroenterostomie als Retro¬ 
colica verhindert nicht nur die Anastomosenbildung im Bereiche des 
Kolon transversum, sondern hätte, wenn diese durchführbar gewesen 

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24 . September 1918. 


MUENCHEINER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1071 


wäre, die Möglichkeit der Passagestörung im abführenden Jejunum 
durch Kompression gegeben. 

In Gegenüberstellung unserer 3 erfolgreich operierten Fälle zu 
dieser ersten Erfahrung kann nochmals als wesentlich hervor¬ 
gehoben werden: Nach den entsprechenden Unterbin¬ 
dungen und Abtragungen von rechts nach links fort¬ 
schreitend, wird zunächst nach Mobilisierung des 
Duodenums von linksherdie Duodenojejun ostomi e, 
dann die laterale Kolo-Kolostomie mit nach oben 
sehenden, blind geschlossenen Stümpfen und 
schliesslich die isoperistaltische Gastroentero- 
stomia antecolica End-zu-Seit zwischen teilweise 
geschlossenem Magen und gut beweglicher ab¬ 
führender Jejunumschlinge ausgeführt. 


Aas der Universitäts-Frauenklinik zu Freiburg i. B. 

Verschwinden von Myomen In der Schwangerschaft. 

Von E. Opitz. 

Dass Myome in einem schwangeren Uterus nicht unbeteiligt 
blerben an den durch die Schwangerschaft bewirkten Veränderungen, 
ist eine bekannte Tatsache. Nach der allgemeinen Annahme sollen 
sie sich an dem Wachstum des Fruchthalters durch eigene Vergrösse- 
rung meist beteiligen (Küstner u. a.). Ich will diesen Erfahrungs¬ 
satz keineswegs allgemein bestreiten, habe aber in meinen eigenen 
Erfahrungen nicht Gelegenheit gehabt, mich davon zu überzeugen. 
Oefters ist mir ein Wachstumsstillstand (Emm et) oder gar eine 
Verkleinerung (Pinard) aufgefallen. Mehrfach habe ich Nekrosen 
der Myome, zuweilen unter ganz stürmischen Erscheinungen, ein- 
treten sehen und die gestellte Diagnose im anatomischen Präparat 
nach Totalexstirpation im Wochenbett sichern können. Indessen, das 
sind altes mehr oder weniger häufige, jedenfalls bekannte Dinge. 

Soweit ich aber das Schrifttum augenblicklich übersehen kann, 
ist ein völliges Verschwinden grösserer Myome während, und wie ich 
annehme, infolge der Schwangerschaft bisher nicht bekannt geworden. 
2 derartige Fälle habe ich erlebt und möchte sie deshalb veröffent¬ 
lichen. Der erste betrifft eine lange zurückliegende Beobachtung, die 
lediglich klinisch und durch die äussere Untersuchung belegt werden 
kann. 

Die 35 jährige Gattin eines Kollegen fragte mich zuerst im 
5. Monat fhrer vierten Schwangerschaft wegen Druckgefühls im Leib 
um Rat. Ich fand einen fast bis zum Nabel reichenden schwangeren 
Uterus und auf ihm ein überkindskoofgrosses. an den linken Rippen¬ 
bogen anstossendes. hartes Myom, das deutlich vom Uterus abgesetzt 
und auf Druck massig empfindlich* war. Während des weiteren Ver¬ 
laufes der Schwangerschaft ; schien das Myom allmählich von dem 
wachsenden Uterus nach hinten verdrängt zu werden oder auf ihm 
nach hinten zu wandern. Jedenfalls wurde es immer undeutlicher 
wahrnehmbar, um schliesslich sich dem Nachweise zu entziehen, 
während der Uterus sich vergrößerte und an der vorderen Rauch¬ 
wand nach oben schob. Ich erwartete, das Mvom nach der Ent¬ 
bindung im Fundus wieder zu finden. Die Geburt verlief ohne Stö¬ 
rung zur richtigen Zeit. Von dem Myom war iedoch im nuerneralen 
Uterus, trotzdem er sich bei schlaffen Bauchdeckon vftH*g umgreifen 
Hess, keine Spur mehr zu finden. 

Eine Täuschung ist für mich ausgeschlossen. Indessen lässt sich 
der Beweis dafür dem grundsätzlichen Skeptiker gegenüber schwer 
führen. 

Dazu geeigneter erscheint mir folgender Fall, den ich kürzlich 
erlebte. 

Frau St., 38 Jahre. J.-Nr. 578/1917, 2 Partus vor 15 und 
R Jahren normal. Letzte Regel Anfang April 1917. Im Mai und Juni 
schwächere Blutung. Seit einigen Tagen etwas stärkerer Blutabgang. 

Untersuchung am 2. VII.: Uterus über doppeltfaustgross, nach 
links gedrängt, reicht mit dem Fundus bis zwei Querfinger unter¬ 
halb des Nabels, Konsistenz weich, 2 härtere, knollige Stellen. Nach 
rechts und hinten vom Uterus liegt eine etwa ebenso grosse, sich 
zystisch anfühlende Geschwulst, die breit mit dem Uterus zusammen¬ 
zuhängen scheint, aber deutlich von ihm abgesetzt und insbesondere 
von der Zervix scheinbar völlig getrennt ist. Wegen der straffen 
Bauchdecken und Spannens ist genauere Feststellung des Befundes 
nicht möglich. Da es während der Untersuchung stark aus dem 
Uterus blutet, wird möglichst schonend untersucht. Die Wahr¬ 
scheinlichkeitsdiagnose lautet: Uterus grav. myomatosus. Kystoma 
ovarii dextri, Abortus imminens. Unter Vorbehalt des Ergebnisses 
der in Narkose zu wiederholenden Untersuchung wird Laparotomie 
zur Entfernung des Ovarialtumors beschlossen. 

5. VII. Die Narkosenuntersuchung ändert nichts an dem vorher 
erhobenen Befunde, deshalb Laparotomie. Nach Eröffnung des Ab¬ 
domens bietet sich ein unerwartetes Bild. Der vermeintliche 
schwangere Uterus ist ein mehrknolliges, auffallend weiches Myom, 
das aus der Hnken Seite und der Hinterwand des Uterus entspringt. 
Das für einen Ovarialtumor gehaltene Gebilde ist der schwangere 
Uterus, an dessen Vorderwand noch ein weiteres, kleines Myom sitzt. 
Zervix lang ausgezogen. Die Bauchhöhle wird wieder geschlossen. 
Unter Bettruhe und Opium kommt die Blutung wieder zum Stehen. 
Ganz glatter Verlauf. Am 18. VII. Entlassung. 

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Die Schwangerschaft entwickelt sich ungestört weiter. Das 
Myom in der linken Seite des Uterus wölbt sich immer weniger her¬ 
vor und ist schliesslich überhaupt nicht mehr zu fühlen. 

22. XII. 17 spontane Geburt eines kräftigen, ausgetragenen Kna¬ 
ben in linker Hinterhauptslage. Uterus zieht sich gut zusammen, keine 
Blutung. Er ist etwas breit und dick, Myome sind nicht zu fühlen. 
Da die Plazenta noch nach einer Stunde ungelöst ist, wird CredS 
versucht. Er ist, ebenso wie die Wiederholung in Narkose, erfolglos. 
Deshalb nach sorgfältiger Auswaschung der Scheide mit Wasserstoff¬ 
superoxydlösung Entfernung der Nachgeburt mit der Hand. Sie sitzt 
in der linken Tubenecke fest, lässt sich aber leicht vollständig lösen. 
Dabei wird sorgfältigst nach dem im Juli kindskopfgrossen Myom 
gefahndet. Indessen erweist sich die Utemswand als überall gleich- 
mässig dick und fest. Nur in der Vorderwand des Uterus, dicht über 
der Blase, ein haselnussgrosses, subseröses Myomknötchen. Ver¬ 
lauf fieberfrei, auffallend geringe Lochienabsonderung. Entlassung: 
30. XII. mit gut zurückgebildeter Gebärmutter, in deren Vorderwand 
auch das kleine Myom nicht mehr zu fühlen ist. Nachuntersuchung 
im Januar ergibt einen noch nicht vollkommen zurückgebildeten, 
durchaus normal gestalteten Uterus. 

Diese Beobachtung scheint mir einwandfrei zu beweisen, dass 
selbst ein recht grosses Myom sich in der Schwangerschaft völlig 
zurückbilden kann. Auch der erste Fall war überzeugend fiir mich, 
indessen dürfte er als Beweisstück für Zweifler nicht so einwandfrei 
sein, wie der zweite, in dem bei offener Bauchhöhle die Gesohwulst 
in ihrer Grösse sichergestellt und bei der Geburt die in den Uterus 
eingeführte Hand den sicheren Nachweis vom Fehlen des vorher fest¬ 
gestellten Myoms erbringen konnte. 

In der Literatur habe ich vergeblich nach einschlägigen Beobach¬ 
tungen gesucht. Philipps (Joum. Obst, of the Brit. Emp. XXVI) 
schreibt über einen Fall von völligem Verschwinden des Myoms 
während eines fieberhaften Wochenbettes. Der Fall ist wohl kaum 
mit dem oben beschriebenen zu vergleichen. Eine Dissertation von 
Panzer, Halle 1888, die mir in Urschrift nicht zugänglich ist, spricht 
nach dem Bericht von einem günstigen Einfluss der Schwangerschaft 
bei Myomen. Verfettung und Resorption könnte eintreten. Ob ein 
völliges Verschwinden von Myomen beobachtet worden ist, konnte 
ich leider aus dem Referat nicht feststellen. Dass in der Literatur 
Wachstumsstillstand und Verkleinerung in der Gravidität vielfach er¬ 
wähnt wird, ist oben bereits gesagt. Erwähnen möchte ich nur noch, 
dass Cornil bei histologischer Untersuchung eines myomatösen. 
im 4. Monat schwangeren Uterus neben Hypertrophie der Muskulatur 
in den Geschwülsten auch Atrophie anderer Muskelbündel fand, die 
er auf Druckwirkung zurückführte. 

Für diese kurze Mitteilung dürfte das genügen. Möchte vielleicht 
auch irgendwo ein entsprechender Fall veröffentlicht sein, in den zu¬ 
sammenfassenden Werken ist seiner jedenfalls nicht Erwähnung ge¬ 
tan. Es handelt sich also um ein seltenes und wenig oder gar nicht 
bekanntes Ereignis, wenn ein grosses Myom während der Schwanger¬ 
schaft verschwindet. 

Mit der Feststellung dieser Tatsache könnte man sich begnügen. 
Indessen drängt die auffallende Beobachtung doch dazu, nach einer 
Erklärung zu suchen. 

Während in der Mehrzahl der Fälle Myome in der Schwanger¬ 
schaft zu hypertrophieren scheinen, d. h. unter Vergrösserung des 
Fruchthalters, gleichsam als ein Teil davon sich beteiligen, sehen wir 
in anderen, nach meiner Erfahrung häufigeren Fällen Wachstumsstill¬ 
stand oder Verkleinerung und gelegentlich sogar völlige Rückbildung. 
Von den Nekrosen, die meist unter stürmischen Erscheinungen at:f- 
treten, darf man in diesem Zusammenhang wohl absehen. Sie dürften 
hinlänglich durch die Verschiebung der Myome in der wachsenden 
Uteruswand erklärt sein, die Ja bei den eigenartigen Gefässverbin- 
dungen der Geschwülste mit der Uteruswand verständlich sind. 

Wie kommt es nun aber, dass die einen Fälle völlig entgegen¬ 
gesetztes Verhalten zu den anderen zeigen? Es sind da natürlich 
nur Vermutungen möglich und nicht mehr als eine solche ist es, 
die ich mit aller Vorsicht aussprechen möchte. Man muss wohl die 
eigenartige Verbindung der Myome mit dem Mutterboden berück¬ 
sichtigen. Dass die Schwangerschaft einen starken Wachstums¬ 
anreiz für die Uterusmuskulatur bedeutet, und dass die Gefässver- 
sorgung des Uterus nicht nur im ganzen, sondern auch verhältnis¬ 
mässig verstärkt wird, ist sicher. Eine bessere Versorgung auch etwa 
im Uterus vorhandener Myme ist aber dadurch keineswegs bedingt. 
Die nur an wenigen Stellen der Oberfläche eines Kugelmyomes in 
dieses eintretenden Gefässe können sehr leicht bei den Verschie¬ 
bungen und Umordnungen der Muskulatur, die sich zugleich mit der 
Hypertrophie vollziehen, abgeknidkt, verengert, ja vollständig ver¬ 
schlossen werden, und zwar um so leichter, als die „Kapsel“ der 
Myome bei Auflockerung der Gewebe ein Gleiten und Verschieben 
der Myome zu fördern vermag. Es wird wahrscheinlich häufiger zur 
Verschlechterung der Durchblutung der Myome kommen, als zu einer 
reichlicheren Blutdurchströmung. Die Zahl meiner Beobachtungen 
(etwa 30) ist zu klein, um daraus verallgemeinernde Schlüsse zu 
ziehen. Jedenfalls habe ich aber ein auffallendes Wachstum der 
Myome in der Schwangerschaft niemals zu sehen bekommen und nur 
ein starkes Wachstum lässt sich einwandfrei beobachten, denn ge¬ 
ringe Vergrösserung ist im schwangeren Uterus kaum ‘feststellbar. 
Ohne jede Schwierigkeit verständlich ist es, dass bei verschlechterter 
Gefässversorgung Stillstand des Wachstums und bei völligem Gefäss¬ 
verschluss Nekrosen eintreten werden. 

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1072 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


Nicht so einfach liefet die Sache bezüglich der Verkleinerung 
oder sogar vollständigen Rückbildung in der Schwangerschaft. Dass 
Myome an sich der Rückbildung fähig sind, ist ja bekannt genug. 
Die Schrumpfungen nach Röntgenbestrahlung. Kastration und im Kli¬ 
makterium sind ja bekannt. Da vollzieht sich die Rückbildung der Ge¬ 
schwülste zugleich mit der allgemeinen Rückbildung der Geschlechts¬ 
organe und vor allem des Uterus selbst; in der Schwangerschaft aber 
das genaue Gegenteil: strotzende Blutfülle und grosse Zunahme des 
Fruchthalters. Der Zusammenhang muss also anders sein. Er dürfte 
in dem Wachstum des Uterus und im Nahrungsbedürfnis des Fötus 
gefunden werden. 

Es ist schon mehrfach die Meinung ausgesprochen worden, dass 
eine Art Nisus formativus des Uterus letzten Endes die Bildung der 
Myome veranlasst, wenn der physiologische Wachstumsreiz durch 
die Schwangerschaft fortfällt. Man hat damit die freilich auch oft 
bestrittene Tatsache erklären- wollen, dass Nullipare oder Frauen 
mit wenig Schwangerschaften mehr zur Myombildung neigen, als 
Mehr- oder Vielgebärende. Man könnte sich dementsprechend wohl 
weiter vorstellen, dass Myome, d. h. von selbst nicht oder nur 
wenig zur Rückbildung geneigte überschüssige Massen von Uterus¬ 
muskulatur, beim Eintritt einer neuen Schwangerschaft nun doch für 
den Aufbau der Gebärmutter verbraucht werden. 

-In dem ersten meiner Fälle fehlen mir genaue Aufzeichnungen 
über die Zeit zwischen der letzten vorangegangenen und der mit 
Myom komplizierten Schwangerschaft. Nach meiner Erinnerung lag 
die letzte Geburt 8 Jahre zurück. Im zweiten Falle waren 2 Ge¬ 
burten vor 15 und 10 Jahren vorangegangen, ehe die neue Schwanger¬ 
schaft eintrat. Wenn also überhaupt die Auffassung zulässig ist, dass 
Ausbleiben der Schwangerschaft den Reiz zur Myombildung auslöst 
und Myome bei erneuter Schwangerschaft dann sozusagen über¬ 
flüssig geworden sind und aufgebraucht werden, so würde sie für den 
zweiten Fall, wahrscheinlich auch für den ersten, passen. Sehr viel 
Wahrscheinlichkeit hat diese ganze Auffassung aber nicht für sich, 
besonders dann nicht, wenn es sich um grosse Geschwülste handelt, 
wie in meinen beiden Fällen, deren Verwendung zur Vergrösserung 
des Uterus sich schwer vorstellen lässt. 

Mehr Wahrscheinlichkeit hätte die zweite, oben ausgesprochene 
Vermutung für sich. Die bekannte Tatsache, dass die wachsende 
Frucht mit grosser Kraft alles für sie nötige Nährmaterial an sich 
reisst, selbst auf Kosten des Körperbestandes der Mutter, hat in der 
jetzigen Kriegszeit mit ihrer vielfach mangelhaften Ernährung sich 
von neuem als richtig erwiesen. Ich möchte nun annehmen, dass die 
etwa vorhandenen Myome sozusagen alsLager fürEiweiss- und andere 
Stoffe vom Körper einfach abgebaut und zur Ernährung der Frucht 
mitverwandt werden.' Es gibt im Tierreich physiologische Parallelen, 
so z. B. dass die Salmoniden, wenn sie zur Laichzeit in die Flüsse 
aufsteigen, keine Nahrung zu sich nehmen, dafür aber grosse Teile der 
Muskulatur für ihre Ernährung und für den Aufbau der Eier ver¬ 
wenden. 

Dä mir histologische Untersuchungen bei den genannten Fällen 
natürlich nicht möglich waren, so lässt sich über die Art einer solchen 
Aufsaugung und Verwendung von vorhandenem Körpermaterial zum 
Zwecke der Verwendung für die Frucht nichts beibringen. Ob es 
mehr als ein Zufall ist, dass im zweiten Falle die Plazenta gerade an 
der dem verschwundenen Myom entsprechenden Stelle der Uterus¬ 
wand festhaftete, muss dahingestellt -bleiben. Immerhin ist es denk¬ 
bar, dass die reiche Gefässversorgung an der Plazentastelle die 
Aufsaugung des grossen Myoms begünstigt hätte. Wir kämen dann 
gerade zu der Anschauung, dass reichliche Gefässversorgung die 
Myome verschwinden lässt, statt sie, wie zunächst erwartet wurde, 
zu verstärktem Wachstum anzuregen. Immerhin dürfte die vorge¬ 
tragene Auffassung doch vielleicht die merkwürdige Erscheinung des 
(seltenen) Verschwindens und des (häufiger beobachteten) Rück¬ 
ganges von Myomen in der Schwangerschaft in den Rahmen des uns 
bekannten histologischen Geschehens einordnen. 


Aus der Kaiserl. bakteriolog. Anstalt für Lothringen in Metz. 

A-Meningokokken als Genickstarreerreger. 

Von Prof. Dr. med. AlbertHirschbruch, Leiter der Anstalt, 
und Dr. phil. Carl Börner, Regierungsrat. 

Kein anderer wohlbekannter Krankheitserreger besitzt in gleich 
erheblichen Grade die Eigenschaft, häufig durch Abweichungen seiner 
Merkmale der Diagnose Schwierigkeiten zu bereiten, wie der Erreger 
der epidemischen Genickstarre. 

Zuerst aus Spinalflüssigkeit kultiviert und in seinen Merkmalen 
genau beschrieben wurde der Diplococcus intracellularis meningitidis 
1887 von Weichsel bäum [1], nachdem ihn höchstwahrscheinlich 
schon 1884 Marchiafava und Celli [2] gesehen hatten. 
Weichselbaum hat auch bereits angegeben, dass sein Kokkus 
die kurz vorher von Gram [3] beschriebene Färbung nicht annimmt. 

Bald aber wurden bei Entzündung d-er Hirn-Rückenmarkhäute 
zahlreiche Erreger beschrieben, die zum Teil dem kurzweg Meningo¬ 
kokkus genannten Weichselbaum sehen Erreger sehr ähnlich 
sind, wie z. B. die durch ihre unbestimmte Färbung nach Gram sich 
unterscheidende sog. „Jäger sehe Modifikation“ f4l. Eine Ver¬ 
tiefung der Kenntnisse von den Artmerkmalen war um so notwendi¬ 
ger, als ähnliche Bakterien auch in* Nasenrachenraum bei Kranken, 

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bei gesunden Personen in der Umgebung Kranker und selbst bei ge¬ 
sunden Menschen gefunden werden, bei denen Beziehungen zu Krank¬ 
heitsfälle nicht nachgewiesen werden können. 

Nachdem Alb recht und Ghon [5] nachgewiesen hatten, 
dass der Meningococcus intracellularis ineningitküs durch ein spe¬ 
zifisches Immunserum agglutiniert wird, hat v. L i n g e l s h e i m' [61 
festgestellt, dass diese Agglutination durch Inrmunserum m ent¬ 
sprechender Verdünnung auch spezifisch ist, und dass die echten 
Weichselbaum sehen Kokken im Gegensatz zu. vielen ähnlichen 
Bakterienarten in Nährböden, die Dextrose oder Maltose enthalten, 
Säure bilden, in Nährböden mit Lävulose jedoch nicht, v. L i n g e I s - 
heim schreibt (1. c.): „Der Meningokokkus hat sich als ein bakterio¬ 
logisch gut definierbarer Mikroorganismus erwiesen, der von den 
sonst in Nase und Rachen vorkommenden Bakterien scharf getrennt 
werden kann.“ 

Sobald dieser Erreger sich typisch verhält, ist tatsächlich die 
bakteriologische Feststellung nicht schwierig. Bald aber stellte es 
sich heraus, dass es echte Meningokokken gibt, die auch einem hoch¬ 
wertigen Immunserum gegenüber vollständig inagglutinabel sind: 
Kutscher [7] hat einen solchen inagglutinablen Stamm mehrfach 
aus der Lumbalflüssigkeit und der Leiche eines klinisch und ana¬ 
tomisch sicheren Falls von Genickstarre nachgewiesen; sein Stamm 
wurde innerhalb 24 Stunden bei Brutschrank wärme nicht im geringsten 
beeinflusst, zeigte aber eine nicht unbeträchtliche Agglutinierbarkelt 
bei 55°. Der Stamm hat jedoch bei 37° spezifisch Agglutinine ab¬ 
gesättigt und positive Komplementbindung gegeben. Schlecht oder 
gar nicht agglutinable Meningokokken wurden besonders häufig im 
Nasenrachenraum gefunden, z. B. von Kutscher und Hübener 
[8], Fromme und H a n c k e n f9l. Derartige Befunde führten da¬ 
zu, dass Jochmann TlOl die Agglutination in der Serumverdümrung 
1:80 bei einem Grenzwert von 1500 bereits als beweisend ansieht. 
Eberle [11], der 18 Meningokokkenstämme der Züricher Sammlung 
aus Lumbalpunktaten Kranker geprüft hat, kommt sogar zu dem 
Schluss, „dass die Agglutinationsreaktion weder für die Diagnose der 
Meningokokken noch für die Differenzierung ähnlicher Mikroorganismen 
als ausschlaggebend betrachtet werden kann“. Dieser Ausspruch ist 
aber unseres Erachtens dahin abzuändern, dass 'bei Würdigung der 
mikroskopischen und kulturellen Merkmale und bei Berücksichtigung 
der Kontrollen (Kochsalzlösung und Verdünnungen normalen Serums 
derselben Tierart) die positive Agglutination für die bakteriologische 
Feststellung der Weichsel bäum sehen Meningokokken bewei¬ 
send ist, während allerdings der negative Ausfall nicht von vornherein 
dagegen spricht. Daran wird auch durch unsere weiter unten be¬ 
schriebenen abweichenden Stämme nichts geändert. 

Ebenso schwankend kann auch das Verhalten den Zuckerarten 
gegenüber sein (Ghon [12], Arkwright [13], Bruckner [14l, 
Stövesandt [15], und zwar handelt es sich um die verminderte 
oder fehlende Fähigkeit, Maltose zu vergären. Fromme und 
H a n c k e n [9j sprechen der M'altosevergärung keinen unbedingten 
Wert zu, da 66 Proz. der von ihnen aus dem Nasenrachenraum ge¬ 
züchteten Stämme Maltose nicht angegriffen habe* und da die von 
demselben Manne bei verschiedenen Untersuchungen gezüchteten 
Stämme sich gegen Maltose verschieden verhalten haben. Traut¬ 
mann und Fromme [16] geben an, dass ein Teil ihrer Stämme 
mit der Zeit die Fähigkeit der Maltosespaltung verloren hat. Hierauf 
wird bei Besprechung der weiter unten zu beschreibenden Bak¬ 
terien zurückzukommen sein. 

Die von Dopter [17] sowie Dopter und Koch [18] anstatt 
der Agglutinationsprüfung empfohlene Untersuchung auf Präzipitine 
gibt nach dem Urteil von Kutscher [19] gleichfalls keine besseren 
Ergebnisse als jene. 

Sind auch auf dem Wege der Komplementbindung ebenso wie 
mit der Agglutination gute Ergebnisse zu erzielen, so. ist jedoch auch 
diese Fähigkeit nach Kutscher bei den verschiedenen Stämmen 
verschieden hoch. Der von Neufeld [20l angegebene bakterio- 
trope Versuch wird auch von U h I e n h u t h [21] empfohlen und ver¬ 
dient trotz der nach Kolle und Wassermann [22] vorhandenen 
technischen Schwierigkeiten und trotz der Angabe von O n a k a [23], 
dass manche Stämme so gut wie nicht phagozytiert werden. Berück¬ 
sichtigung. Schliesslich hat Ficker \24\ noch als Unterscheidungs¬ 
merkmal angegeben, dass Meningokokken durch taurocbolsaurcs 
Natrium aufgelöst werden. Angaben über den Ausfall dieser Reaktion 
bei sonst zweifelhaften Stämmen haben wir in der Literatur nicht ge¬ 
funden. 

Anfangs 1917 fanden wir in dem Lumbalpunktat eines an sicherer 
epidemischer Genickstarre erkrankten Mannes zu 2 verschiedenen 
Malen in Reinkultur meningökokkenähnliche Diplokokken, die sich 
serologisch gegenüber dem Meningokokkus durchaus abweichend ver¬ 
hielten 

Bei beiden Lumbalpunktionen floss unter hohem Druck stark 
getrübter Liquor ab. Mikroskopisch wurden massenhaft EiterzeUen, 
und zwar fast ausschliesslich polynukleäre festgestellt. Im Proto¬ 
plasma der Eiterzellen waren sehr reichliche absolut Gram-negative 
semmelförmige Diplokokken vorhanden (Stämme 33 und 44). Auf 
Aszitesagar erhielten wir direkt Reinkulturen dieser Diplokokken. 
Die Kolonien verhielten sich in jeder Beziehung wie die des Weich- 
selb aun: sehen Diplococcus intracellularis meningitidis. Abimpfung 
der Reinkultur auf gewöhnlichen Nähragar ging fast ausnahmslos nur 
in der ersten Abimpfung an und auch jetzt noch nach % jähriger künst¬ 
licher Fortzüchtung geht nur ganz selten eine zweite Verimpfung auf 

Original frorri 

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24 . September 1918. 


MfUENCHBNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1073 


Agar ohne Asziteszusatz an. Auch auf Aszitesagar sind die Diplo¬ 
kokken sehr hinfällig. Der 2 mal mit der Post an das Kgl. Institut 
für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ in Berlin geschickte Stamm 
rst dort bei sofortiger Abimpfung nicht mehr angegangen. Mikro¬ 
skopisch zeigt die Kultur streng nach Gram negative semmelförmige 
Doppelkokken von verschiedener Grösse und Färbbarkeit, auch ver¬ 
einzelte Riesenformen. Die Kokken liegen oftmals auch in Tetraden 
zusammen. In der Zuckerreihe nach v. Lingelsheim [3] wurde 
zunächst in Dextrose- und Maltoseagar sehr deutlich Säure gebildet, 
in Lävulose dagegen nicht. -Die Fähigkeit* aus Maltose Säure zu bil¬ 
den, hat der Stamm grossenteils verloren; sie ist jetzt nur noch eben 
wenn auch deutlich, in der 3 Tage alten Kultur zu erkennen. Die Ab¬ 
schwächung ist sowohl bei Benützung von Lackmus wie von China- 
blau als Indikator unverkennbar. Bei einem anderen Stamme (40), 
den wir bei späterer Gelegenheit von einem anderen Manne gezüchtet 
haben und der mit Stamm 33 serologisch identisch ist, blieb das Ver¬ 
mögen, aus Maltose Säure zu bilden, erhalten. Dies auf die Dauer 
wechselnde Verhalten gegen Maltose haben auch bei sicheren Me- 
ningokokkenstämmen, wie oben erwähnt, Trautmann und 
Fromme f 16l festgestellt. 

Unser Stamm 33 wie auch die Stämme 40 und 24 werden jedoch 
von einem agglutinierenden Meningokokkenserum aus dem Kaiserl. 
Gesundheitsamt (Titer 800) und von einem Serum aus dem Institut 
für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ in Berlin (Titer 800) nur 
in der Verdünnung 1; 5 in 2 Stunden und 1; 10 in 24 Stunden agglu- 
tiniert. Die Prüfung wurde bei 37° und nach dem Vorgang von 
K u t s ch e r [7] — bei 55 0 vorgenommen. 

Für experimentell in ihrer Agglutinierbarkeit herabgesetzte 
TyphusbazHlen hatte l H i r s c h b r u c h n ) festgestellt, dass mit ihnen 
ein Immunserum hergestellt werden kann, welches die normalen 
Stämme besser agglutiniert, als die homologen schlecht agglutinablen. 
Dieselbe Beobachtung bat für verschiedene agglutinabie Meningo¬ 
kokken Eberl e flll gemacht. Die Immunisierung von Kaninchen 
durch intravenöse Einspritzung abgetöteter Kulturen von Stamm 33 
misslang und wurde erst möglich durch Verwendung lebender Kul¬ 
turen. Das Serum dieses Kaninchens agglutinierte die Stämme 33, 
40 und 24 gleich hoch, nämlich bei 37 8 in 2 Stunden bis zur Verdün¬ 
nung 1:80 und in 24 Stunden bis 1:160. während sonst sehr gut 
agglutinabie Weichselbaum sehe Meningokokken selbst in der 
Serumverdüraiung 1:5 durch unser Serum unbeeinflusst blieben. Die 
Reaktion verlief ähnlich bei 55 0 innerhalb 4 Stunden: Stamm 33 und 
40 wurden agglutiniert bis 400; dagegen 2 Weichselbaumstämme nur 
1:10. In 24 Stunden wurden bei 55° die Stämme 33 und 40 durch 
das Antiserum für Stamm 33 bis 1:1600 agglutiniert und die Weich¬ 
selbau m sehen Meningokokken «bis 1:100; bis 1:100 wurden aber 
auch unsere Gonokokkenstämme agglutiniert. Bis dahin geht also die 
Breite der Gruppenreaktion. 

Die Absättigung der Aggluthmie mit echten Meningokokken und 
mit unseren Stämmen war so eindeutig; dass die Uebersichten 
hier folgen mögen; 

Ueb ersieht 1. 

Agglutininbindung im Kaninchen-Immunserum des 
Stammes 33. 

Absättigung während 14 Stunden bei 37® in V» Serumverdün¬ 
nung bis zu negativer Kontrolle. 

Agglutination (4- bzw. —) abgelesen nach 1 Stunde 37®. Titer 
des unabgesättigten Serums für unsere Stämme 1; 80. 


Abftittigung durch: 


Agglntbiationsprfifiuig ffir: 

Stamm 33 

Stamm 24 

Stamm 40 

Meningokokken 
Weich setbanm 

Memngok. Wefcbselbamn 

1/80 + 

1/80 + 

1/80+ 1 

1/3 - 

Stamm 33 . . 

„ 24 . 

1/3 - 
1/10 — 

1/10 - 

! 1/5 - 

1/10 - 
1/10 - 

1/5 — 

1 / - 


Uebcrsicht2. 

Aggiutininbindung in Meningokokken-Eselserum 
des Gesundheitsamts. 

Absättigung und Ablesen der Agglutination wie in der vorstehen¬ 
den Tabelle. 

Titer des unabgesättigten Serums für Meningokokkus Weichsel¬ 
baum 1:500. 


Absittignng durch: 


Aggtatiaatioaaprfifuag Sr: 

Stamm 33 

Stamm 24 

Stamm 40 

Meningokokken 

Weichselbaum 

Meningok.Weichselbaotn 

1/3 - 


1/5- 

1/5 - 

Stamm 33.. 

1/5 - ! 

1/3 - 

i 1/5 - 

1/500-4- 

„ 24. 

1/5 - 

! 1/5“ 

1/5 - 

1/300 + 


Daraus geht hervor, 1. dass die Agglutinine aus dem Meningo- 
kokkenserum des Kaiserl. Gesundheitsamts durch unsere Stämme 
nicht gebunden wurden, 2. dass Meningokokken Weichselbaum aus 
Serum für den Stamm 33 keine Agglutinine gebunden haben, 3. dass 
die Stämme 33 und 24 aus dem Antiserum zu 33 die Agglutinine 
wechselseitig und auch für den identischen Stamm 40 absättigten. 

Komplementbindung fand bei geeigneter Versuchsanordnung nur 
zwischen 33 Serum und 33 Stamm sowie zwischen Meningokokken¬ 
serum des Gesundheitsamtes .und echten Meningokokken statt. 

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Das Verhalten unserer Stämme im bakteriotropen Versuch soll 
wegen der Verteidigung, die diese Methode -durch Neufeld [20] 
und Uhlenhuth [21] erfuhr, noch studiert werden. 

Eine geringe Virulenz, die Stamm 33 früher bei Lntraperitonealer 
hnpfung für weisse Mäuse besass, ist im Verlauf der Fortzüchtung 
verloren gegangen. 

Die Eigenschaften unserer Stämme stimmen so weitgehend mit 
denen des W *e ii c h (s e 1 b a u m sehen Diploooccus intraceilularis 
meuingitküs hinsichtlich Pathogenität, Verhalten im Präparat aus 
Lumbalpunktat, Färbbarkeit, Kulturmerkmale und biologische Eigen¬ 
schaften überein, dass an einer nahen Verwandtschaft kein Zweifel 
sein kann. Anderseits geht aus dem grundverschiedenen serologischen 
Verhalten hervor, dass es sich um 2 voneinander verschiedene -und 
leicht zu trennende Arten handelt. Wir bezeichnen die von uns ge¬ 
fundene Bakterienart als ‘D i p 1 o c o c c u s intraceilularis me¬ 
nin g i t i d i s A. 

Der 19 Jahre alte Kranke Friedrich Dr„ aus dessen Lumbal¬ 
punktat Stamm 33 gezüchtet wurde, ist am 22. 111. 17 plötzlich mit 
Schüttelfrost, Erbrechen, Durchfall, hohem Fieber erkrankt. Am 26. III. 
hatte er ausgesprochene Nackensteifigkeit, Opisthotonus, Kernig stark 
positiv, Druckpuls 60 bei Temperatur 39,6°, Stauungspapille. Am 
21. IV. 17 ist der Kranke entfiebert. Aber am 1. VI. sind noch alle 
Reflexe erhöht. Am 16. VI. nachts hatte Dr., der einige Tage bett¬ 
lägerig gewesen war, 92 Pulse bei Temperatur 36,4°. Plötzlich 
Exitus. Die Leichendiagnose, die wir Herrn Prof. Dr. H. Merkel- 
München verdanken, gibt an „riesiger Hydrocephalus internus (nach 
epidemischer Genickstarre) mit hochgradiger Abplattung der Gehirn¬ 
oberfläche“. 

Ebenfalls im Frühjahr 1917 fanden wir bei 3 Personen der Um¬ 
gebung des Dr. und bei 4 weiteren Gruppen von (5) klinisch sicheren 
Genickstarrekranken im Lumbalpunktat eines Kranken sowie in Ab¬ 
strichen aus dem Nasenrachenraum eines Kranken und im übrigen bei 
den Umgebungsuntersuchungen noch bei 18 Personen insgesamt 
20 Stämme (einschliesslich Dr., also bei 19 Personen 22 Stämme), 
die mikroskopisch, färberisch und kulturell den Weichselbau lo¬ 
schen Meningokokken völlig glichen, ohne durch agglutinierendes 
Meningokokkenserum im geringsten bei 37 ® in 24 Stunden agglutiniert 
zu werden. Sämtliche Stämme waren in höherem Grade hinfällig, als 
man es selbst beim Meningokokkus gewohnt ist. Trotz täglichen 
Ueberimpfens auf Aszitesagar hatten wir ausser dem Stamm 33 nur 
noch die Stämme 24 und 40 in der Hand, als uns das Antiserum 
für 33 zur Verfügung stand. Wir konnten für diese 3 Stämme die 
Arteinheit feststellen. Jetzt besitzen wir nur noch Stamm 33 und 40. 

Es sei noch erwähnt, dass von den 6 Kranken 2 zusammen ge¬ 
hören. während die 4 übrigen zu diesen und untereinander keinen 
epidemiologischen Zusammenhang besitzen. Wir zweifeln nicht, dass 
diese 6 Fälle von Genickstarre sämtlich durch A-Meningokokken ver¬ 
ursacht sind. 

Eine gewisse Aehnlichkeit scheint zwischen unseren A-Meningo- 
kokken und den Parameningokokken von D o p t e r zu bestehen. 
Dopter verstand ursprünglich [17] darunter Gram-negative Kokken, 
die sich in jeder Beziehung wie die Weichselbaum sehen Me¬ 
ningokokken verhielten, aber durch ein spezifisches Serum nicht agglu¬ 
tiniert wurden. Später [26] hat er seine Angaben dahin geändert, dass 
seine Parameningokokken durch ein Meningokokkenserum und umge¬ 
kehrt Meningokokken durch Parameningokokkenserum agglutiniert 
werden. Bezeichnend dafür, dass die Bakterienarten (aber nicht 
identisch sind, soll jedoch ihr Unvermögen sein, aus beiden Serum¬ 
arten wechselseitig die Agglutinine zu binden. Gegenwärtig steht 
Dopter [27] auf dem Standpunkt, dass es 3 verschiedene Arten 
von Parameningokokken gebe: die erste „a“ sei die häufigste und 
besässe die eben -beschriebenen Eigenschaften; seltener seien die bei¬ 
den anderen „/?“ und „y“, die von Meningokokken- und Parameningo¬ 
kokkenserum nioht agglutiniert würden, und deren Antisera nur die 
homologen Stämme agglutinierten. Nach der Beschreibung scheinen 
die „/T-Stämme D o p t e r s dem ‘Diplococcus mucosus v. L i n g e l s - 
heims nahe zu stehen, während es sich bei dem einzigen Vertreter 
der ,.y“-Gruppe anscheinend um den Diplococcus cinereus handelt. 
Martha W o 11 s te i n [28] aus dem Rockefeller-Institut in New York 
beschreibt die ‘Doptersehen Stämme PL und PM als kulturell 
identisch aber serologisch verschieden vom Meningokokkus. Gerade 
diese beiden Stämme sind aber Dopters Vertreter des /3-Typus, 
also entweder Mukosus oder mindestens dem Mukosns sehr ähnliche 
Stämme. Mit den Parameningokokken Dopters sind demnach die 
A-Meningokokken nicht identisch. 

Nach Wachstumsgeschwindigkeit, Gestalt der Kolonie und nach 
ihrem serologischen Verhalten sind die A-Meningokokken auch leicht 
von dem Gonokokkus zu unterscheiden, der nach Rothe T29l von 
Dextrose, Maltose und Lävulose nur die erstgenannte Zuckerart unter 
Säurebildung spaltet. 

Ist demnach auch der Diplococcus intraceilularis meningitidis A 
als Erreger typischer Zerebrospl-nalmenineitis hier erstmalig be¬ 
schrieben. so ist es zum mindesten nicht unwahrscheinlich, dass er 
schon öfters gefunden und als Erreger nicht selten ist. Die Häufig¬ 
keit der sog. „inagglutinablen“ Meningokokken fordert direkt zu 
dieser Annahme heraus. Gehen doch K1 i n g e r und Four- 
mann [30l so weit, den echten- Weichselbaum sehen Diölo- 
kokkus auch dann zu diagnostizieren, wenn die Agglutinierbarkeit 
fehlt, falls nur die Züchtung aus dem Lum-bal du nktat eines klinisch 
sicheren Falles von Genickstarre erfolgt ist. Wie häufig die A-Me- 

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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1074 


MUENCHfiNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


ningokokken sind, wird erst festgestellt werden müssen. Soviel aber 
lässt sich bei ihrem abweichenden serologischen Verhalten jetzt schon 
sagen, dass ein mit typischen Weichselbaum sehen Stämmen 
hergestelltes Antiserum keinen Heilerfolg bei A-Meningitis haben kann, 
sondern dass ein spezifisches Antiserum zur Behandlung erforder¬ 
lich ist. 

Literatur. 

1. Weichsel bäum: Fortschr. d. Med. 1887. 2. Mar¬ 

ch i a f a v a und C e 1 1 i: Gaz. d. osped. 1884. zit. nach Weichsel- 
haum in Kolle-Wassermann Hb. I. Aufl. 3. und Celli und Mar¬ 
ch iafava: Zbl. f. Bakt. Orig.-Bd. 43. Seite 141. 3. Die Färbung 

ist von uns ausgeführt nach v. Lingelsheim. Klin. Jb. 15. 1906. 

— 4. Jäger: Zschr. f. Hyg. 19. 1895. — 5. Albrccht und Ohon: 
W.kl.W. 1901, zit. nach Weichselbaum. — 6. v. Lingels¬ 
heim: Klin. Jb. 15. 1906. — 7. Kutscher: D.m.W. 1906 Nr. 46. 

— 8. Kutscher und H ii b e n e r: D. militärärztl. Zschr. 1907 Nr. 15, 
zit. nach Kutscher: D.m.W. 1906 Nr. 46. — 9. Fromme und 
Hancken: Zschr. f. Hyg. 82. 1916 und Hancken: Zbl. f. Bakt. 
Orig. 78. 1916. — 10. Jochmann: D.m.W. 1906 Nr. 20. — 11. Eberle: 
Arch. f. Hyg. 64. 1908. — 12. Ghon: W.kl.W. 1907, zitiert nach 
Kutscher in Kolle-Wassermann Hb. II. Aufl. 4. — 13. Ark- 
w right: Jcurn. of hyg. 9. 1908. — 14. Bruckner: Compt. rend. 
d. soc. biol. 64. 1908. Nr. 15. — 15. S t ö v e s a n d t: Zbl. f. Bakt. Orig. 
46. 1908. — 16. Trautmann und Fromme: M.m.W. 1908. — 
17. Dopt er: Compt. rend. Soc. biol. 67. 1909. — 18. Dopter und 
Koch: Compt. rend. Soc. biol. 65. 1908. — 19 Kutscher: Kolle- 
Wassermann Hb. II. Aufl. 4. — 20. N e u f e 1 d: a) Med. Kl. 1908 Nr. 30, 
b) Arb. a. d. Kais. Ges.-A. 34. 1910. c) Kolle-Wassermann Hb. II. Aufl. 

4. Seite 643, d) N. u. Ungermann in Kraus-Levaditi: Technik der 
Immunitätsforschung. I. Erg.-Bd. S. 117 ff. — 21. Uhlenhuth: 
Zweite Tagung der freien Vereinigung für Mikrobiologie: Zbl. f. Bakt. 
Ref. 42. 1908. — 22. Kolle und Wassermann: Klin. Jahrb. 15. 
1906. — 23. Onaka: Zschr. f. Hyg. 66. 1910. — 24. Ficker: Arch. 
f. Hyg. 68. 1908. — 25. Hirschbruch: Arch. f. Hyg. 56. 1906. — 
26. Dopter und Pa uro n: Compt. rend. Soc. biol. 77. 1914. H. 22. 

5. 157. — 27. Dopter und Pauron: Compt. rend. Soc. biol. 77. 
1914. H. 23. S. 231. — 28. W o 11 s t e i n: Journ. of exp. Med. 20. 1914. 

— 29. Rothe: Zbl. f. Bakt. 46. 1908. — 30. K 1 in ge r und Four- 
mann: M.m.W. 1915. 


Zur Epidemiologie der Malaria. 

Von Stabsarzt Dr. Kirschbaum, Korpshygieniker. 

Am Schlüsse meiner Arbeit „Zur Epidemiologie der Malaria“ 
(M.m.W. 1917 Nr. 43 S. 1405 ff.) habe ich die Erwartung ausge¬ 
sprochen, dass der Verlauf der Malariaerkrankungen des Jahres 1917 
im Korpsbezirk günstiger sein würde als der des Vorjahres. Die Hoff¬ 
nung hat nicht getrogen. Nachstehende Kurven (Fig. 1) zeigen, dass 



keine Zivilbevölkerung vorhanden ist, während die im Bereich der 
Zivilbevölkerung untergebrachten Bagagen, Kolonnen usw. fast ganz 
verschont blieben. 

Ferner habe ich die Ansicht vertreten, dass überwinternde, in¬ 
fizierte Mücken (die in Malariagegenden dafür angesehen werden) 
nicht die Ursache der Frühjahrserkrankungen sind. Dafür bieten die 
diesjährigen Erkrankungen folgende Beweise: 

Um festzustellen, wo und in welchem Umfange in unserm Ge¬ 
biet Anopheles überhaupt überwintert, habe ich mir bei Beginn der 
schon im November eingeleiteten Mückenbekämpfung von vielen Stel¬ 
len der Front die gefangenen Mücken einschicken lassen, im übrigen 
die Truppenärzte veranlasst, auf das Vorkommen von Anopheles ihr 
Augenmerk zu richten. Ueberall wurden Anopheles gefunden, und 
zwar machten sie durchschnittlich etwa 2 Proz. der gefangenen 
Mücken aus. Die Mückenbekämpfung wurde dann mit Hilfe der 
Truppe energisch durchgeführt dabei wurden neben den mannig¬ 
fachen, zur Mückenvertilgung angegebenen Mitteln, alle bewohnten 
Unterstände und Ställe, soweit es bei diesen möglich war, geweisst, 
eine Massnahme, die sich sehr gut bewährt hat. 

Wie ich schon in dem Nachtrag der früheren Arbeit erwähnte, 
habe ich in der Umgebung der ersten Erkrankungen, die übrigens 
trotz des sehr strengen Winters bereits im Februar begannen, ein¬ 
gehend nach Mücken suchen lassen. Es wurden nirgends welche ge¬ 
funden, sie sind sicher zum allergrössten Teil der Bekämpfung zum 
Opfer gefallen. 

Von dem Gedanken ausgehend, dass sich in der näheren Um¬ 
gebung der ersten Malariakranken leicht noch mehr solcher finden 
könnten (warum sollten die Mücken in einem Unterstand z. B. nur 
den einen infiziert haben, wenn sie sich den ganzen Winter darin 
aufgehalten hatten?), habe ich ausserdem bei den ersten Erkrankungs¬ 
fällen Umgebungsblutuntersuchungen ausgeführt, meist nur bei den 
Leuten derselben Unterkunft, in einem Falle auch bei dem ganzen 
Truppenteil des Erkrankten bei etwa 200 Leuten. Malariaerreger 
habe ich nirgends gefunden. 

Fänden die Infektionen erst im Frühjahr durch überwinternde, 
infizierte Mücken statt, so müsste man annehmen, dass sich dort, bzw. 
bei den Truppenteilen, bei denen im Jahre 1916 die meisten Erkran¬ 
kungen vorgekommen sind, wo also die meiste Gelegenheit zur In¬ 
fektion war. auch in diesem Frühjahr die Erkrankungen hätten häufen 
müssen; das ist nicht der Fall gewesen. Es zeigte sich nirgends 
eine ähnliche Herdbildung, wie im vorigen Jahre. Die Krankheit trat 
bei allen Fronttruppen gleichmässig in vereinzelten, nirgends in Zu¬ 
sammenhang stehenden Fällen auf. gleichmässig diesmal auch bei den 
beiden Divisionen des Korps. Darauf muss ich später noch einmal 
zurückkommen. 

Ueberwinternde infizierte 
Mücken können also nicht 
die Infektionen der dies¬ 
jährigen Erkrankungen ge¬ 
setzt haben. In der vorigen 


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Kurve 1. 



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in diesem Jahre nur Ya, genau 37,6 Proz. der Malariafälle des Jahres 
1916 vorgekommen sind. 

Diese Tatsache sowie der ganze Verlauf der diesjährigen Erkran¬ 
kungen, ausserdem einige weitere Beobachtungen, haben mich in 
meiner, in der eben angeführten Arbeit ausgesprochenen. Ansicht über 
die Entstehung und den Verlauf der Malaria in dieser Gegend Russ¬ 
lands bestärkt. 

Ich glaube nämlich zunächst nicht, dass die Malaria hier en¬ 
demisch und dieses endemische Vorkommen die Ursache unserer Ma- 
lariacrkrankungen ist, sondern dass die vor unserer Ankunft hier und 
da beobachteten Fälle eingeschleppt worden sind, ebenso wie unsere 
Truppen ihre Malaria mitgebracht haben, denn trotzdem die Bevöl¬ 
kerung unter strenger ärztlicher Beaufsichtigung steht, sind in dem 
ganzen, sehr ausgedehnten Korpsgebiet im Jahre 1917 keine Malaria¬ 
erkrankungen bei Kindern beobachtet worden. Im ganzen sind über¬ 
haupt nur 6 Malariafälle in der Bevölkerung gemeldet worden. Sie 
betrafen sämtlich erwachsene Angehörige von Zivilarbeiterbataillonen, 
die im Unterkunftsbereich der Fronttruppen tätig und zeitweise unter¬ 
gebracht waren, also wohl durch diese angesteckt worden sind. 

Genau so wie im vorigen Jahre trat die Malaria fast ausschliess¬ 
lich in der Stellung und den Unterkünften der Fronttruppen auf, wo 

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Arbeit habe ich gezeigt, dass es sich nur um den Ausbruch latenter 
Infektionen aus dem Vorjahre handeln kann. Beispiele langer Latenz 
kann ich auch jetzt wieder anführen. Die Rückfälle traten im all¬ 
gemeinen 2—6 Monate nach der Ersterkrankung auf. Zwei Leute, 
die am 17. bzw. 28. VII. 17 rückfällig erkrankten, haben ihre Erst¬ 
erkrankung beide vom 20. IX. bis 2. XI. 16 durchgemacht, haben 
also ohne Krankheitserscheinungen die Malariaerreger über 8 Monate 
in sich getragen. 

Was hat aber nun den Ausbruch dieser latenten Infektionen ver¬ 
anlasst? Im Vorjahre sagte ich: „die Wärme“. Die Frühjahrssonnc 
hat auch in diesem Jahre die schlafenden Malariaplasmodien zu 
neuem Leben erweckt und zum Wachstum angeregt, bis sie ihren 
Wirt wieder krank machen konnten. Siehe nachstehende Kurven 
(Fig. 2): „Das fünftägige Mittel der täglichen Durchschnittstempera¬ 
turen mit dem fünftägigen Krankenzugang“. Genau so wie im vori¬ 
gen Jahre folgen die Zugangszahlen der Temperatur. Und der einzige 
Unterschied, den die Kurven von 1916 und 17. abgesehen von der 
Höhe (s. Kurve 1) zeigen, beweist ebenfalls den Einfluss der Tem¬ 
peratur auf die Erkrankung. Bei der Kurve von 1917 liegt die höchste 
Spitze später wie bei der andern, das rührt daher, dass die Tempera¬ 
tur in diesem Jahre langsamer und später hochstieg. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


















24 . September 1918. 


MUENCHfiNfcR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


lOfS 


Nach der vorjährigen Arbeit ist die erfreuliche Erscheinung des 
viel leichteren Auftretens der Malaria in diesem Jahre darauf zurück¬ 
zuführen, dass infolge ungünstiger klimatischer Verhältnisse im Som¬ 
mer 1916 die Plasmodien in den Mücken nicht zur Reife gelangt oder, 
was für den Erfolg dasselbe ist, die infizierten und dadurch kranken 
Mücken zugrunde gegangen seien. 

Ich bin der Ansicht, dass auch in diesem Jahre infolge der glei¬ 
chen ungünstigen Temperatur Verhältnisse nur wenig infizierte Mücken 
in den Winter gelangten. Im vorigen Jahre konnte ich das mit der 
Temperaturtabelle beweisen und damit, dass die 2. Zacke der Malaria¬ 
kurve im August-September, die im allgemeinen höher zu sein pflegt 
als die Frühjahrszacke, ganz ausfiel. Die 2. Zacke fehlt auch an der 
diesjährigen 1 Kurve vollständig. Umstehende Temperaturkurve 
(Fig. 3) und Tabelle 1 zeigen nur wenig andere Verhältnisse wie im 
vorigen Jahre. Die Temperatur hält sich in den 3 Sommermonaten 
nicht mal dauernd über 15°, abgesehen von den tiefen Minimaltem¬ 
peraturen, die auf der Kurve nicht zur Geltung kommen, die aber in 
allen 3 Monaten häufig unter 10° heruntergingen (s. Tab. 2). In 
diesem Jahre kann ich dafür aber ausserdem einen Beweis bringen, 
wie er durch einen wissenschaftlichen Versuch nicht besser geführt 
werden könnte. Anfang Juni wurden nämlich etwa a /s der Division B 
des Korps herangezogen und durch andere Truppen ersetzt, die in 
ihrer Gesamtheit nie in malariaverseuchter Gegend gewesen waren, 
so dass also nun a /s neue und Yz alte Truppen vorhanden waren. 
Mücken waren in dem ganzen, meist sumpfigen Gebiet wieder in un¬ 
geheurer Menge vorhanden. Wären unter ihnen viel infektions¬ 
tüchtige gewesen — Gelegenheit zur Infektion hatten sie in reichem 
Masse —, so hätte es zu einem starken Anstieg der Erkrankungs¬ 
ziffern bei den neuen Truppen kommen müssen. Und wie war es in 
Wirklichkeit? 

Das zeigt die Tabelle: 

Malaria 

alte Truppen neue Truppen 

im Juli 1,4 Prom. der Iststärke, 0,5 Prom. der Iststärke 

August 1,1 „ „ „ 0,34 „ „ 

„ September 0,7 „ „ „ — „ 

Für die Erkrankungen bei den neuen Truppen sind die dies¬ 
jährigen Müoken verantwortlich zu machen. Den Ueberschu-ss an Er¬ 
krankungen bei den alten Truppen bilden die bis dahin latent ge¬ 
bliebenen Erkrankungen aus dem Jahre vorher. 

Der Verlauf der Malar iaerkrankungen des 
Jahres 1917 in unserem Korpsbereich bestätigt also 
die in der vorigen Arbeit angegebene Erklärung 
fürdieeigenartigen Verhältnisse bei den Malaria¬ 
erkrankungen des Jahres 1916. 

Er ißt in beiden Jalhren demnaoh folgender: 

„Mit unseren Truppen sind im Jahre 1915 aus malariaverseuchter 
Gegend eine grössere Anzahl infizierter Leute nach hier gekommen, 
die erst im Frühjahr 1916 erkrankt sind. An ihnen haben sich Mücken 
infiziert, von denen aber infolge der ungünstigen klimatischen Verhält¬ 
nisse verhältnismässig wenig Weiterübertragungen ausgegangen sind. 
Nur ein geringer Teil dieser ist im Sommer und Herbst 1916 zum Aus¬ 
bruch gekommen. Die Mehrzahl erst wieder im Frühjahr 1917. Im 
Herbst 1917 sind wieder nur wenig frische Infektionen vorgekommen.“ 

Der Grund dafür, dass die Infektionen meist erst im nächsten 
Frühjahr zum Ausbruch kommen, den Winter über latent bleiben, muss 
auch in den klimatischen Verhältnissen liegen. Im Spätsommer und 
Herbst finden anscheinend die Plasmodien ebensowenig wie in den 
Mücken auch im Menschen die für ihr Wachstum und Vermehrung er¬ 
forderlichen Bedingungen. Diese scheint ihnen erst das Frühjahr zu 
bieten. 

Ich hatte nun Gelegenheit, mich näher mit dem Verlauf der Ma¬ 
laria in einem benachbarten Korpsbereich zu beschäftigen, der schon 
im Jahre vorher andere Verhältnisse gezeigt hatte. Schon in der 
vorigen Arbeit erwähnte ich kurz, dass die Kurve desselben von 
1916 im Gegensatz zu unserer eine zweite Zacke gezeigt habe, die 
fehlt bei der diesjährigen zwar auch, es sind aber dafür in diesem 
Jahre die Zahlenverhältnisse direkt umgekehrt wie bei uns. Wäh¬ 
rend wir 1916 erheblich mehr Erkrankungen hatten wie das Nachbar¬ 
korps, hat dieses jetzt sehr viel mehr Erkrankungen als wir. 

Wie ist das in Einklang zu bringen mit meiner Auffassung? 

Die zweite Zacke im August—September in der Kurve des Jahres 
1916 beim Nacbbarkorps lässt uns den Weg finden dazu. Diese muss 
entstanden sein durch Mücken, die sich im Laufe des Jahres infiziert 
Haben. 

Ich habe in der vorigen Arbeit und auch jetzt ausgeführt, dass 
vereinzelte Mücken trotz der schlechten klimatischen Verhältnisse 
sicher infektionstüchtig werden und auch Infektionen setzen. Dieser 
müssten also im Nachbarkorps mehr gewesen sein als bei uns. 

Die Ursache davon liegt meines Erachtens in folgendem: 

Das Stellungsgebiet des Nachbarkorps ist durchweg Sumpfwald 
entlang einem träge fliessenden Flusslauf, eine Mückengegend, wie 
es keine bessere gibt, und tatsächlich haben die Mannschaften dort 
auch sehr unter der Mückenplage zu leiden gehabt Infektions- 
Quellen waren für die Mücken im vorigen Frühjahr auch dort genug 
vorhanden an Leuten, die wie bei uns sich im Sommer 1915 infiziert 
hatten — das Korps isf auf dem Vormarsch auch in Malariagegenden 

Nr ' 39 ' Digitized by QoOOlC 


gewesen. In den ausgedehnten Waldungen fanden sie aber mehr 
Schutz vor den Unbilden der Witterung, wie bei uns. So konnten dort 
mehr Malariaplasmodien in ihnen zur Reife gelangen und im Sommer 

1916 mehr Leute infiziert werden wie bei uns. Und daher kommt 
auch die grössere Ausdehnung der Epidemie im Jahre 1917. 

Stimmt diese Erwägung, so mussten die Verhältnisse bei der 
herausgezogenen Division unseres Korps ähnlich liegen. 

Die Division hatte nämlich zur Hälfte ähnliches Gebiet wie das 
Nachbarkorps, Sumpfwald. Bei ihr hätten also auch im vorigen Jahr 
die infizierten Mücken eine grössere Rolle spielen und in diesem Früh¬ 
jahr mehr Erkrankungen Vorkommen müssen, als bei der anderen 
Korpsdivision A. Und das ist tatsächlich der Fall, nicht nur bei dem 
zurückgebliebenen Drittel, auch -bei der abtransportierten Division 
— der Divisionsarzt hat mir liebenswürdigerweise die Zahlen mit¬ 
geteilt — sind in diesem Frühjahr verhältnismässig mehr Er¬ 
krankungen vorgekommen als bei der Division A. Die diesjährige 
Erkrankungszahl der 'Division B stimmt fast genau mit der vor¬ 
jährigen überein, sie hat also nicht stark abgenommen, wie bei der 
Division A. Auf unsere diesjährige Kurve konnte das keinen Ein- 
flus haben, weil der zurückgebliebenen Truppen der Division B im 
Verhältnis zum ganzen Korps zu wenig waren. Für den Teil unseres 
Korps, das im Sumpfwald liegt und für das Nachbarkorps muss ich 
also in meiner oben ausgesprochenen Ansicht eine Einschränkung 
machen. Ich darf jetzt nicht mehr sagen: „Es haben im Sommer 

1917 nur wenig Infektionen stattgefunden“, sondern kann nur noch 
aufrecht halten, dass von den im Sommer 1917 frisch infizierten Leu¬ 
ten wenige kurz nach der Infektion erkrankt sind. Das letztere wird 
nämlich durch das Ausbleiben der zweiten Zacke der Malariakurve 
beim Nachbarkorps Bewiesen. Wieviel Infektionen überhaupt statt¬ 
gefunden haben, wird sich erst im Frühjahr 1918 zeigen. 

Welche neuen Gesichtspunkte) *für die Bekämpfung der 
Malaria ergeben sich aus diesen theoretischen Erwägungen? 

Ich habe schon in der vorigen Arbeit darauf hingewiesen, welche 
Gefahr in diesem langen Latentbleiben der Malariainfektionen liegt. 
Kommen solche mit Malariaerreger behaftete Leute in malariafreie 
Gegenden, in denen es Anopheles gibt, das ist sehr häufig der Fall, 
so muss eine weitere Ausbreitung der Malaria die Follge sein. Das 
Bestreben, eine Weiterverbreitung zu verhüten, darf also nicht auf¬ 
hören bei den Leuten, die an Malaria gelitten haben. Die sorgfältige 
Feststellung deren Genesung vor dem Abtransport in andere Gegen¬ 
den genügt meines Erachtens nicht. Auch ev. latent Erkrankte 
müssen gefasst werden. Truppenteile, bei denen solche vorgekommen 
oder zu erwarten sind* müssen vorher eine Chininkur durchmachea 
oder Chininprophylaxe treiben. 

Durch Blutuntersuchung etwa latent Erkrankte in genügend 
sicherem Masse auszumerzen, halte ich nach meinen Erfahrungen für 
ausgeschlossen. Das haben mir die Untersuchungen der Malaria- 
kranken des Sommers 1916 auf Keimträger im Winter 1916/17 und 
auch die jetzt eingeleiteten Untersuchungen der Erkrankten des 
Jahres 1917 gezeigt. Schon bei den Keimträgern sind die Plasmodien 
in den meisten Fällen so selten, dass es langen, eifrigen 
S u c h e n s bedarf, bis man sie selbst in einem einwandfrei her¬ 
gestellten dicken Tropfen findet. Wie viel schwieriger und unsicherer 
mag dies erst bei den Frischinfizierten sein! 

Auf diese Untersuchungen muss ich noch etwas näher eingehen: 
„Ich habe sie im Winter 1916 angeregt, um die verhältnismässig zahl¬ 
reichen Rückfälle, die noch anfangs des Winters vorkamen, zu be¬ 
schränken und dann auch vor allem die Rückfälle zu vermeiden, die, 
nach meiner Auffassung der Epidemie, im Frühjahr 1917 zu erwarten 
waren. Denn gerade so gut wie die Frischinfektionen mussten auch 
eine Anzahl der Rückfälle latent bleiben. 

Die Untersuchungen und ihr Erfolg gaben mir Recht. Ich habe 
die Malariakranken des Jahres 1916 im Winter 1916/17 114mal 
durchuntersucht — aus äusseren Gründen musste ich dann die Unter¬ 
suchungen abbrechen — mit dem Erfolg, dass durchschnittlich 10 Proz. 
der Erkrankten sich als Keimträger erwiesen, bei einzelnen Truppen¬ 
teilen, bei denen die Malariaerkrankungen besonders gehäuft aufge¬ 
treten waren, fanden sich auch die Keimträger verhältnismässig zahl¬ 
reich, in einem Falle bis zu 30 Proz. 

Die gefundenen Keimträger machten dann eine Chininkur durch, 
derart, dass sie 6 Wochen hindurch abwechselten zwischen 2 Chinin- 
(je 1 g) und 5 chininfreien Tagen. 14 Tage nach Abschluss dieser 
Kur wurden sie dann wieder untersucht. Die meisten waren frei von 
Plasmodien. Bei einzelnen wurden aber doch wieder welche ge¬ 
funden. Diese wurden dann ins Lazarett geschickt, um eine Salvarsan- 
kur durchzumachen. Sie mussten dazu ins Etappengebiet abgescho¬ 
ben werden. Ueber ihr weiteres Verhalten habe ich nichts in Er¬ 
fahrung bringen können. 

Was durch dieses Verfahren erreicht wurde, zeigt ein Vergleich 
mit dem Nachbarkorps, bei dem diese Untersuchungen nicht statt¬ 
gefunden haben: 

„Bei uns sind im Jahre 1917 nur noch 1 Prom. der vorjährigen 
Erkrankungen rückfällig geworden, dagegen bei dem Nachbarkorps 
etwa 15 Proz. Ich halte es daher für erforderlich, jeden Malaria¬ 
kranken 14 Tage nach der Entlassung aus der Chininbehandlung zu 
untersuchen un<F diese Untersuchung in Zwischenräumen von je einem 
Monat noch* mindestens 2 mal zu widerholen. Nur so kann man die 
Rückfälle verhüten und die gefährlichen Keimträger unschädlich 
machen» 

Original fram * 

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MUENCttENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


Zusammenfassung. 

Ich glaube bewiesen zu haben, 

1. dass die Malaria in unserem Korpsbereich nicht endemisch 
ist, sondern dass sie von unseren Truppen aus anderen Gegenden 
Russlands nach hier eingeschleppt worden ist, 

2. dass infizierte Mücken nicht die Erkrankungen im Frühjahr 
verursachen, sondern dass es sich um den Ausbruch latenter Erkran¬ 
kungen aus dem Jahre vorher handelt, 

3. dass die Malariaplasmodien in dem infizierten Menschen erst 
durch die Wärme des Frühlings zum Wachstum und Vermehrung an¬ 
geregt werden, 

4. dass die klimatischen Verhältnisse des Sommers für die Ent¬ 
wicklung der Malariaplasmodien in der Mücke so ungünstig sind, 
dass keine grösseren Epidemien hier entstehen können, und dass 
wahrscheinlich auch die Latenz der Erkrankungen mit diesen un¬ 
günstigen klimatischen Verhältnissen im Sommer zusammenhängt, 

5. dass es nötig ist, bei Truppen, in denen latente Erkrankungen 
vorgekommen sind, rechtzeitig eine Chininprophylaxe durchzuführen, 

6. dass es zur Verme.idung von Rückfällen und zur Ausmerzung 
der Keimträger nötig ist, die Malariakranken nach ihrer Entlassung 
aus der Chininbehandlung in einmonatigen Zwischenräumen minde¬ 
stens 2 mal durchzuuntersuchen. 


Fettembolie ale Ursache von Schockerscheinungen 
nach Verletzungen. 

Von Dr. H. Sie gm und, Assistenzarzt d. Res. 
(Assistent bei einem Armeepathologen, Prot. Dr. H. B e i t z k e.) 

Mit kaum einem anderen Wort wird in der Medizin in den 
meisten Fällen ein so unbestimmter Begriff verbunden wie mit dem 
Ausdruck Schock. Es ist vielfach ein Wort, das sich einstellt, wo die 
Begriffe fehlen. Gebraucht wird es für alle nach einem körperlichen 
und seelischem Trauma auftretenden Allgemeinerscheinungen, die sich 
durch den objektiven Untersuchungsbefund und die lokalen Wundver¬ 
hältnisse nicht erklären lassen. Es dient so als Bezeichnung für eine 
ganze Reihe ätiologisch nicht näher bekannter, nicht einmal klinisch 
einheitlicher Zustände. In sehr vielen Fällen werden die als Schock 
gedeuteten Bilder bei eingehender Untersuchung durcIT die Aufdeckung 
innerer Verletzungen, innerer Blutungen ihre ungezwungene Erklärung 
finden und den Namen Schock überhaupt nicht verdienen. 

Die echten Schockfälle trennt v. Monakow in 3 Gruppen: Er 
unterscheidet den psychischen, den apoplektischen und den traumati¬ 
schen Schock (Wundschock). Der psychische Schock mit seinen 
Folgezuständen gehört in das Gebiet der Psychiatrie; über sein Wesen 
ist noch wenig bekannt, obwohl sein Studium von psychiatrischer 
Seite eifrig in Angriff genommen ist. Die Bezeichnung apoplektischer 
Schock umfasst die nach Hirntraumen aller Art (Hirnerschütterung, 
apoplektischer Insult, Kopfschuss) einsetzenden Allgemeinerschei¬ 
nungen wie Bewusstseins-, Zirkulations- und Atmungsstörungen. Der 
Streit der Meinungen über das Wesen des apoplektischen Schockes, 
dessen Erscheinungen bald als Herd-, bald als Allgemeinsymptome 
gedeutet werden, ist noch im Fluss. Reflexparalyse sämtlicher Hirn¬ 
zentren, insbesondere des Vasomotorenzentrums, Störungen im mole¬ 
kularen Zusammenhang der Hirnsubstanz, Anämie der Hirnrinde, 
Kompression der Medulla oblongata *) werden als Ursachen für das 
Zustandekommen des Krankheitsbildes angeführt. 

Von dem psychischen und dem apoplektischen Schock soll im 
folgenden nicht die Rede sein. Als echter traumatischer Schock 
(Wundschock) sind diejenigen Zustände bezeichnet, die im Gefolge 
von gröberen Verletzungen aller Art, insbesondere nach Knochen-. 
brüchen und ausgedehnten Weichteilverletzungen, nach ausgedehnten 
Quetschungen und grösseren operativen Eingriffen in Erscheinung 
treten. Der traumatische Schock stellt nicht nur klinisch ein wohl- 
umrissenes Krankheitsbild dar, sondern lässt sich auch ätiologisch, 
wie ich zu zeigen hoffe, einheitlich verstehen. Auf das klinische 
Bild soll hier nur kurz eingegangen werden. Im Vordergründe steht 
bei allen Fällen eine bedrohliche Kreislaufschwäche, starke Blutdruck¬ 
senkung im Verein mit stark beschleunigter Herztätigkeit und fre¬ 
quentem,- kleinem Puls. Dazu gesellen sich eine oberflächliche, be¬ 
schleunigte Atmung sowie vielfach Bewusstseinsstörungen, die von 
leichter Apathie bis zu schweren soporösen und komatösen Zu¬ 
ständen alle Grade erreichen können. Häufig erfolgt der Tod über¬ 
raschend plötzlich unter unaufhaltsamer Erniedrigung des Blutdruckes 
und zunehmender Herzschwäche am ersten oder zweiten Tage nach 
der Verletzung. Bei der Mehrzahl der Fälle gehen jedoch die be¬ 
drohlichen Erscheinungen langsam oder schneller zurück. Die Fälle, 
bei denen ausgesprochene zerebrale Erscheinungen im Vordergründe 
des klinischen Bildes stehen, pflegen von chirurgischer Seite oft als 
sog. protrahierter Schock bezeichnet zu werden. Der klinische Ver¬ 
lauf dieser Fälle ist meistens äusserst charakteristisch: während in 
den ersten Stunden nach der Verletzung nur leichte Schockerschei¬ 
nungen, insbesondere Kreislauf- und Atmungsstörungen, bestehen, 
stellen sich nach einiger Zeit — meist plötzlich und häufig unter Fieber ’ 


‘) Breslauer: Mitt. ürenzgeb. 29. 1917. 

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— zerebrale Störungen ein, die allmählich an Intensität zunehmen 
und über ein soporöses Stadium in ein tiefes, manchmal mit Krämpfen 
einhergehendes Koma übergehen, in dem am 3. oder 4. Tage nach der 
Verletzung in der Regel der Tod eintritt. Bei diesen wie den ein¬ 
fachen Schockfällen besteht durchweg ein auffälliger Gegensatz zwi¬ 
schen dem schweren Allgemeinzustand und den lokalen Wundver¬ 
hältnissen. 

Die zahlreichen Kriegsverletzungen aller Art boten eine aus¬ 
giebige Gelegenheit, das klinische und anatomische Bild des Wund¬ 
schockes zu studieren. In einem kriegsärztlichen Vortrage berichtete 
Hammer über die ausserordentlich grosse Häufigkeit von schweren 
Schockzuständen bei sehr vielen Schussfrakturen. insbesondere Ober¬ 
schenkelbrüchen und ausgedehnten Weichteilvedetzungen, die er aui 
Truppenverbandplätzen beobachten konnte. Das Missverhältnis zwi¬ 
schen dem bedrohlichen Allgemeinzustand und dem lokalen Unter¬ 
suchungsbefund ist nach seinen Ausführungen gerade bei frischen 
Fällen ausserordentlich in die Augen fallend. Todesfälle infolge Blut¬ 
drucksenkung und Kreislaufschwäche sind bei solchen Verletzten 
trotz energischster Ge ge nm assrege In keine Seltenheit. Andere 
Truppenärzte berichten Aehnliches Bei Sanitätskompagnien und in 
Feldlazaretten konnte ich mich durch eigene Wahrnehmung über¬ 
zeugen, dass bei sehr vielen Schussfrakturen und bei ausgedehnten 
Weichteilschüssen Schockerscheinungen mehr oder minder stark aus¬ 
geprägt waren. 

Fast konstant zeigten frische — komplizierte und einfache — 
Oberschenkelbrüche sowie ausgedehnte Zertrümmerungen des Unter- 
hautzellgewebes das Bild des Schockes, das meistens zwar bald ab- 
blasste, in einigen Fällen aber unaufhaltsam zum Tode führte. Be¬ 
sonders unangenehm tritt die Schockwirkung dort in Erscheinung, wo 
es sich darum handelt, grössere chirurgische Eingriffe in Narkose vor¬ 
zunehmen, die bei dem Darniederliegen des Kreislaufes in allen Fällen 
ein Wagnis darstellt. Auf den fördernden Einfluss, den der Schock 
auf die Ausbreitung von Gasbazilleninfektionen ausübt, und die un¬ 
günstigen Verhältnisse, die er für die therapeutische Anwendung des 
Gasbazillenserums setzt, ist auf der 3. kriegschirurgischen Tagung in 
Brüssel hingewiesen worden. Beachtenswert sind eine Reihe von 
klinisch besonders schweren Fällen, bei denen die Schockerschei¬ 
nungen im Anschluss an einen längeren Transport zur Ausbildung 
kamen. Ueberraschende Todesfälle „im Schock" nach oder während 
des Transportes sind keine Seltenheit. 

Fiir diese bekannten Bilder des echten traumatischen Schockes 
fehlt es an einer klinisch und anatomisch befriedigenden Erklärung. 
Vagusreizung im Sinne des Goltz sehen Klopfversuches, Irritation 
der Vasomotoren vom Wundbereiche aus, Reflexhemmungen sind allzu 
hypothetische Erklärungsversuche, die uns dem Verständnis des 
Krankheitsbildes nicht näher bringen. Auf Grund ausgedehnter ana¬ 
tomischer Untersuchungen an einem reichhaltigen Material glaube ich 
der kapillären Fettembolie eine bisher nicht beachtete Bedeutung für 
das Zustandekommen des Schockbildes zuschreiben zu dürfen. 

Bei einer Reihe von echten Schocktodesfällen (12) nach Schuss¬ 
verletzungen langer Röhrenknochen konnte ich die Leichenöffnung 
vornehmen. Der makroskopische Befund war in allen 12 Fällen 
absolut negativ und ergab keine Erklärung für den eingetretenen Tod 
und die beobachteten Krankheitserscheinungen. Oedem und Stauung 
in den Lungen, frische Stauung in den übrigen Organen waren makro¬ 
skopisch die einzigen bemerkenswerten Befunde. Das Herz war stets 
totenstarr oder hatte eine Totenstarre durohgemacht, bei den Leichen- 
gerinnseln fiel das Ueberwiegen lockerer Blutgerinnsel auf. Ge¬ 
legentlich fanden sich in den Lungen kleine Atelektasen und kleine 
umschriebene Blutungen ins Lungengewebe hinein. Bei zwei Fällen 
finden sich kleine Blutungen unter der Innenhaut der linken Herz¬ 
kammer im Protokoll verzeichnet. Auch die histologische Unter¬ 
suchung aller Organe, insbesondere des Hirns, ergab zunächst einen 
vollständig negativen Befund. Erst Fettfärburagen enthüllten durchaus 
übereinstimmend in allen Fällen das Bestehen einer allerschwersten 
Fettembolie der Lungen. Nicht nur kleine Haargefässe waren bei 
Sudanfärbung mit wurstförmigen Fettmassen vollständig ausgefüllt, 
auch kleine und mittelgrosse Arterien waren mit ausserordentlich 
zahlreichen zwischen den roten Blutkörperchen gelegenen Fetttropien 
vollgepfropft. In den Kapillaren war oft über weite Strecken hin 
kein einziges rotes Blutkörperchen nachzuweisen, zusammenhängende 
Fettmassen nahmen ihren Platz ein. Dafür sah man häufig reichlich 
rote Blutkörperchen in Form kleiner Blutungen im Lungenstützgewebe 
sowie in den Alveolen, auch Fetttropfen konnten gelegentlich in Al¬ 
veolen nachgewiesen werden. Die Fettembolie hatte alle Teile der 
Lungen gleicnmässig befallen, eine Bevorzugung irgend eines Lungen¬ 
abschnittes wurde nicht festgestellt. Ueberraschend war nun, dass ; 
in 10 unter 12 untersuchten Fällen auch eine Beteiligung des arteriellen 
Kreislaufes an der Fettembolie festgestellt werden konnte. Bei sorg¬ 
fältigem Durchsuchen zahlreicher Schnitte konnten Fetttropfen in I 
Haargefässen der Hirnrinde, in den Glomeruli der Niere, in kleinen 
Milz- und Herzgefässen nachgewiesen werden. Andere Verände¬ 
rungen in diesen Organen wurden nicht gefunden. Nicht berück- 
sichtigt sind bei den bisher mitgeteilten Untersuchungsergebnissen 
5 Fälle, die unter dem klinischen Bilde des protrahierten Schockes 
verlaufen sind, bei denen der Tod erst am 3. oder 4. Tage nach der 
Verletzung im allmählich zunehmenden soporösen bzw. komatösen 
Zustande eingetreten ist. Zweimal handelte es sich dabei um doppel¬ 
seitige Oberschenkelschussbrüche, einmal um einen Schussbruch des 
rechten Oberarmes und rechten Oberschenkels im Verein mit 

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24 . September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


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mehreren Weiohteilwunden, einmal bestand ein Schussbruch eines 
Ober- und Unterschenkels, einmal ein unkomplizierter Bruch beider 
Unterschenkel nach Fall vom Pferde. Bei zwei dieser Fälle hatten 
sich die schweren Allgemeinerscheinungen unmittelbar im Anschluss 
an einen längeren Transport im Sanitätskraftwagen herausgebildet. 

Die Leichenöffnung ergab auch hier in allen Fällen zunächst gar 
keine Anhaltspunkte für die Todesursache. Die Organe der Brust- 
und Bauohhöhle waren ausser frischer Stauung insbesondere der 
Lungen ohne nennenswerten Befund. Nur dreimal fielen in der 
Magenschleimhaut frische hämorrhagische Erosionen auf. Ebenso oft 
fanden sich im Gehirn vereinzelte punktförmige Blutungen an der 
(irenze von grauer und weisser Substanz. Die histologische Unter¬ 
suchung deckt bei allen diesen Fällen das Bestehen einer schwersten 
allgemeinen Fettembolie auf; nicht nur die Kapillaren der Lunge, 
sondern auch die aller übrigen Organe, insbesondere des Hirns waren 
mit Fetttropfen überschwemmt. Auf die Beschreibung der einzelnen 
hierbei beobachteten Bilder soll an dieser Stelle verzichtet werden. 
Erwähnt sei nur, dass im Gehirn hauptsächlich die allerfeinsten und 
engsten Kapillaren der grauen Substanz, insbesondere der Hirnrinde, 
verstopft waren, während die Gefässe der weissen Substanz fast 
ganz frei von Fett waren. Kleinhirn, Brücke und verlängertes Mark 
zeigten gleichfalls das Bild kapillärer Fettembolie. Die schon makro¬ 
skopisch erkennbaren Blutungen an der Grenze von grauer und 
weisser Substanz erwiesen sich als kleine Blutaustritte in die adventi- 
tiellen Gefässscheiden. In den übrigen Organen Hess sich überall in 
mehr oder minder grosser Menge Fett in den Kapillaren nachweisen, 
besonders reichlich in Glomeruluskapillaren der Niere. Beachtens¬ 
wert ist ferner in der Niere der Befund einer beträchtlichen Paren¬ 
chymdegeneration in den Kanälchen der Rinde. (Auch klinisch waren 
in einem Falle Eiweiss und Zylinder im Urin nachgewiesen worden.) 
Zweimal fanden sich kleine, fleckförmige, frische Nekrosen in Leber, 
Milz und Herzfleisch. Auch die kleinen hämorrhagischen Erosionen 
der Magenschleimhaut verdanken einer Fettembolie der Kapillaren 
ihre Entstehung. Besondere Beachtung wurde dem Verhalten des 
Foramen ovale im Herzen gesohenkt. Zweimal wurde es durchgängig 
geiunden, in den übrigen 15 Fällen war es fest verschlossen. Kann 
man in diesen zwei Fällen mit einem direkten Uebertritt des emboli- 
sierten Fettes aus dem rechten Herzen in den linken Vorhof rechnen, 
so versagt diese Annahme für die anderen Fälle. Es bleibt für diese 
nur die Annahme übrig, dass die Fetttropfen die Lungenkapillaren 
passiert haben und durch die Lungenvenen ins linke Herz gelangt 
sind. Es fiele aus dem Rahmen dieses Aufsatzes, auf die Ursachen 
und den Mechanismus einzugehen, die den Uebertritt des Fettes aus 
den Lungenkapillaren in den grossen Kreislauf bedingen. Für den 
Durchtritt von Luftbläschen durch Haargefässe hat Brauer 2 ) die 
mechanischen Verhältnisse klargestellt. Dieselben Gesichtspurfkte 
werden auch zur Erklärung für den Durchtritt von Fetttropfen durch 
Kapillaren herangezogen werden können. 

Ich konnte ferner einige Leichen Kriegsverletzter untersuchen, 
die klinisch schwere Schocksymptome nach Schussverletzungen ge¬ 
zeigt hatten, bei denen der Tod aber — am 2.-6. Tage nach der 
Verletzung — nicht „im Schock“ erfolgt war, sondern durch eine 
interkurrente Erkrankung (Gasbazillemnfektion, Nachblutung, Pneu¬ 
monie) bedingt war. Auch in diesen Fällen förderte die Untersuchung 
der Organe das Bestehen einer schweren Fettembolie zutage, die in 
den Lungen als hochgradig bezeichnet werden musste, in den übrigen 
Organen eben nachweisbar war. 

Systematische Untersuchungen der Lungen, des Hirns und der 
Nieren bei allen Leichenöffnungen zeitigten — kurz zusammengefasst 
— folgende Ergebnisse. Bei komplizierten urii einfachen Knochen¬ 
brüchen wurde Fettembolie der Lungen nie vermisst. Alle gröberen 
Weichteiiverletzungen, insbesondere die mit starker Zertrümmerung 
des Unterhautzellgewebes, zeigten gleichfalls durchweg das Bestehen 
einer mässigen oder leichten «Fettembolie der Lungen. Auch bei 
einigen Himschüssen mit ausgedehnter Zertrümmerung der Hirn- 
Substanz sowie bei einigen Bauchverletzungen wurde sie in geringem 
Grade nachgewiesen, bei reinen Brustschüssen aber vermisst. Sie 
fand sich ferner regelmässig nach Verschüttungen, auch ohne dass 
Frakturen von Röhrenknochen bestanden. Am hochgradigsten war 
sie bei den untersuchten Brüchen und Schussverletzungen langer 
Röhrenknochen, bei denen oft schon makroskopisch grössere Mengen 
flüssigen Fettes an der Frakturstelle oder in mitfrakturierten Gelenken 
nachgewiesen werden konnten. (Auch bei schweren Weichteilver- 
letzungen, vor allem Quetschungen, sieht man häufig schon mit 
blossem Auge flüssige Fetttropfen in dem verletzten Gewebe.) Relativ 
am massigsten wurde die Fettembolie am zweiten und dritten Tage 
nach der Verletzung gefunden. Freie Fetttropfen waren nooh nach 
18 Tagen in Lungenkapillaren zu sehen. Befunde an abgestürzten 
Fliegern mit ausgedehnten Skelettverletzungen, bei denen der Tod 
durch innere Organzerreissungen sehr schnell herbeigeführt sein 
musste (trotz zahlreicher Risse grosser Gefässe und Herzrupturen 
: v ar es nur zu ganz geringen inneren Blutungen gekommen), sprechen 
für das ausserordentlich schnelle Zustandekommen der pulmonalen 
Fettembolie. Häufig findet sich eine geringgradige Fettembolie der 
Lungen beim Bestehen einschmelzender Thromben und bei Osteo¬ 
myelitis. Bei 48 untersuchten inneren Erkrankungei wurde 3 mal die 
Anwesenheit von Fetttropfen in der Lunge festgestellt, stets aber 
nur in geringer Menge. Ob hier nicht etwa die Fettembolie — wie 


J ) Brauer: Kongr. f. inn. Med. 1913. 

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überhaupt ihr Vorkommen bei inneren Erkrankungen — durch voran¬ 
gegangene Kampferöleinspritzungen verursacht ist, sei dahingestellt. 
Fettembolie des arteriellen Kreislaufes wurd£ bei geringfügiger pulmo¬ 
naler Fettembolie nicht beobachtet, bei hochgradiger in den ersten 
sechs Tagen nach der Verletzung selten vermisst. Befunde über das 
Schicksal und die Resorption des embolisierten Fettes sollen zu ge¬ 
legener Zeit mitgeteilt werden. 

Folgende Schlussfolgerungen erscheinen mir als das wichtigste 
Ergebnis der veranstalteten Untersuchungen: Bei Knochenbrüchen 
und gröberen Weichteilverletzungen findet sich konstant eine Fett¬ 
embolie der Lungen. Bei höheren Graden pulmonaler Fettembolie 
lässt sich iu den ersten Tagen nach der Verletzung fast regelmässig 
ein Uebertritt des embolisierten Fettes in den arteriellen Kreislauf 
nachweisen. Dieselben Verletzungen, in derem Gefolge sich fast 
regelmässig Schocksymptome einstellen (in erster Linie Brüche langer 
Röhrenknochen) zeichnen sich durch besonders hohe Grade von Fett¬ 
embolie aus. Bei echten Schocktodesfällen ergab die Sektion als 
Todesursache hochgradige Fettembolie, vorwiegend pulmonale bei 
einfachen Schockfällen, zerebrale bzw. allgemeine Fettembolie beim 
protrahierten Schock. 

Auf Grund dieser Beobachtungen stehe ich nicht an. der Fett¬ 
embolie eine ursächliche Bedeutung für das Zustandekommen von 
Sohocksymptomen nach Verletzungen zuzuerkennen. Das regel¬ 
mässige Zusammentreffen von schwerer Fettembolie und Schock ist 
kein Zufall und bedeutet keine Koordination dieser beiden Zustände, 
in der Fettembolie ist vielmehr die Ursache für die als Schock be- 
zeichneten Krankheitserscheinungen zu suchen. Die Erklärung der 
klinischen Bilder des Schockes durch den anatomischen Befund pulmo¬ 
naler und allgemeiner Fettembolie stösst jedenfalls auf keine Schwie¬ 
rigkeiten. Für die Kreislauf- und Atmungsstörungen sind in erster 
Linie die Verstopfung und Ausschaltung eines grossen Teiles der 
Lungenkapillaren und die dadurch bedingte Erschwerung des .Gas¬ 
austausches verantwortlich zu machen. Die zerebralen Störungen 
finden Ihre Ursache in der Verstopfung der Hirnkapillaren durch 
Fett, die mehr oder minder hochgradig als fast regelmässiges Er¬ 
eignis bei höheren Graden pulmonaler Fettembolie in den ersten Tagen 
nach der Verletzung beobachtet wird. Je stärker klinisch Hirn- 
erscheimmgen ausgeprägt sind, umso hochgradiger ist auch anatomisch 
der Befand von Fetttropfen im Hirn, die Beteiligung des arteriellen 
Kreislaufes an der Fettembolie überhaupt. Bei dem ausserordentlichen 
Reichtum der grauen Substanz an Haargefässen und der starken Reak¬ 
tionsfähigkeit der Hirnsubstanz, insbesondere der Ganglienzellen, auf 
Ernährungsstörungen ist auch «bei leichten Graden zerebraler Fett¬ 
embolie das Auftreten von klinischen Hirnsymptomen durchaus ver¬ 
ständlich. Dass je nach dem vorwiegenden Befallensein verschiedener 
Gefässbezirke die Hirnerscheinungen sehr wechselnd sein können 
(Bewusstlosigkeit, Krämpfe, vasomotorische Störungen) bedarf keiner 
weiteren Erklärung. Die leichte Lädierbarkeit, speziell des Vaso¬ 
motorenzentrums, erklärt im Verein mit dem Lungenbefund das Vor¬ 
herrschen und die Unbeeinflussbarkeit der Kreislaufstörungen im 
klinischen Bilde. Die starke Reaktionsfähigkeit der grauen Substanz 
auf Zirkulationsstörungen ist auch der Grund, weshalb trotz der Schä¬ 
digung aller Organe klinische Erscheinungen von seiten anderer als 
des Hirns meist vermisst werden. Dass sie gelegentlich gefunden 
werden, beweist das Auftreten von Eiweiss und Zylindern im Urin, 
das durch den Befund einer Epitheldegeneration der Nierenrinde bei 
hochgradiger allgemeiner Fettembolie zu erklären ist. Die plötzlichen 
und überraschenden Todesfälle „im Schock“ werden durch die Auf¬ 
deckung einer allerschwersten Fettembolie ohne weiteres geklärt, 
ebenso die schweren« klinichen Ercheinungen, die nach längeren 
Transporten bei manchen Frischverletzten beobachtet werden, wenn 
man bedenkt, in wie hohem Masse die Erschütterungen des Fahr¬ 
zeuges das Zustandekommen der Fettembolie begünstigen, ein Um- 
stand> auf den mit Nachdruck G r ö n d a h 1 3 ) aufmerksam ge¬ 
macht hat. 

Von ausgedehnten Tierversuchen, durch künstliche Fettembolie 
schockähnliche Bilder hervorzurufen, musste bisher abgesehen werden. 
Orientierende Versuche an einigen Hunden und Katzen zeigten, dass 
bei Injektion von grösseren Mengen Olivenöl in eine Vene die Tiefe 
sehr rasch unter zunehmender Erniedrigung «des Blutdruckes (bei 
einem Hunde wurden 40 mm Hg gemessen) starben. Die Sektion er¬ 
gab nicht nur Fett in den Lungenkapillaren, sondern mehr oder minder 
reichlich auch in den anderen Organen. Aehnliche Erscheinungen 
beobachtete Fuchsig 4 ) bei seinen Versuchen über experimentelle 
Fettembolie. Durch Injektion von ganz geringen Fettmengen in die 
Art. car. com. konnten bei einem Hunde mit Leichtigkeit Bewusstlosig¬ 
keit und Krämpfe hervorgerufen werden. Teutschländer gelang 
es bei Hunden durch die Einspritzung von Tusche in eine Vene gleich¬ 
falls typische Krämpfe zu erzeugen. Schon diese wenigen eigenen 
Versuche im Verein mit den angeführten Untersuchungsergebnissen 
anderer Autoren glaube ich als Stütze für die anatomisch gefundene 
Annahme verwerten zu können, dass in der'Fettembolie eine Ursache 
für die klinischen Erscheinungen des Wundschockes zu suchen ist. 
In ihr aber die einzige Möglichkeit für das Zustandekommen von 
Schocksymptomen zu seihen, wäre zu weit gegangen. Alle kapillar- 
embolischen Prozesse sind, wenn sie massig genug sind, geeignet, ähn¬ 
liche Symptome hervorzurufen. Insbesondere gilt das für die Luft- 
?- 

8 )Gröndahl: D. Zschr. f. Chir. 111. 

4 ) Fuchsig: Zschr. f. exp. Path. u. Ther. 1910. 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


embolie; die mechanischen Verhältnisse sind hier die gleichen wie 
bei der Fettembolie, die Möglichkeit des Eindringens von Luft in 
miteröffnete Venen ist bei.offenen Wunden in demselben Masse ge¬ 
geben wie für Fett. Freilich ist bei Kriegsverletzten — mir wenig¬ 
stens — der Nachweis einer Luftembolie als Ursache von Schock¬ 
erscheinungen bisher nioht gelungen. Wohl ist aber bei verschiedenen 
anderen Zuständen, die mit dem klinischen Bilde des traumatischen 
Schockes weitgehende Uebereinstimmung zeigen, Luftembolie 'als Ur¬ 
sache der beobachteten Erscheinungen sichergestellt. Der sog. Pleura¬ 
reflex — (dessen Symptome mit manchen Bildern des protrahierten 
Wundschockes weitgehend identisch sind) bei Anlegung eines künst¬ 
lichen Pneumothorax und nach Lungenoperationen, ist nach Brau¬ 
ers 6 ) Untersuchungen durch zerebrale Luftembolie bedingt. Für 
.,Schock“todesfälle beim Eihautstich und bei Lufteinblasungen in die 
Gebärmutter ist Luftembolie als Todesursache längst bekannt. Jür¬ 
gen s e n und Schüppler 8 ) beschrieben das Vorkommen von allge¬ 
meiner Luftembolie bei einem Magengeschwür, das zur Arrosion der 
Milzvene geführt hatte. Für einen ähnlichen Fall, der „im Schock“ 
(in tiefer Bewusstlosigkeit, unter Krämpfen) nach einer leichten Magen¬ 
blutung starb, möchte auch ich zerebrale Luftembolie als Ursache 
der beobachteten Erscheinungen annehmen. Die Leichenöffnung er¬ 
gab, dass nicht nur in der durch das Magenulkus arrodierten Magen¬ 
vene, sondern auch in der Milzvene und Pfortader u.nd in den Ge- 
fässen der Hirnhemisphären silberweisse Luftperlen in überreichlicher 
Menge vorhanden waren, die nur auf kurze Strecken durch kleine 
Blutsäulen getrennt waren. Leider war aus äusseren Gründen eine 
eingehende Untersuchung des interessanten Falles nicht möglich. Auch 
bei einem erst kürzlich beobachteten Fall von schwersten Schock¬ 
erscheinungen im Anschluss an eine erstmalige intravenöse Salvarsan- 
einspritzung möchte ich in einer Luftembolie die Ursache für die 
Schocksymptome suchen: Die kurze Zeit naoh der Injektion auftreten¬ 
den Atem- und Herzbeschwerden, die starke Blutdrucksenkung. die 
allmählich einsetzende und ständig zunehmende Bewusstlosigkeit — 
Erscheinungen, die nach 2 Stunden wieder restlos verschwanden — 
lassen sich jedenfalls durch diese Annahme zwanglos erklären. Durch 
den Augenarzt, Herrn Dr. E. Webe r. wurden während des Anfalls 
kleine, silberweisse Perlen (Luftblasen) in den Gefässen des Augen¬ 
hintergrundes festgestellt. Die Möglichkeit, dass auch nach Ver¬ 
letzungen Schocksymptome auf der Grundlage einer pulmonalen bzw. 
zerebralen Luftembolie entstehen, halte ich durchaus für gegeben. 
Freilich wird es in den meisten Fällen sehr schwer sein, den einwand¬ 
freien anatomischen Beweis an der Leiche für das Bestehen einer 
Luftembolie, zumal wenn sie nicht sehr hochgradig ist, zu erbringen. 
Vor Verwechselungen mit Leichenerscheinungen und bei der Leichen¬ 
öffnung artefiziell angesaugten Luftansammlungen in Gefässen wird 
man sich wohl hüten müssen. 

Sehr zurückhaltend stehe ich der Ansicht gegenüber, die als Ur¬ 
sache des traumatischen Schockes Vagusreizung im Sinne des 
Goltz sehen Klopfversuches bzw. Reflexhemmung auf das Vaso¬ 
motorenzentrum hinstellt. Die Möglichkeit des Zustandekommens von 
Schockerscheinungen auf dieser Grundlage soll nicht geleugnet wer¬ 
den, in keinem einzigen Falle war ich aber bisher genötigt, zu dieser 
Erklärungsmöglichkeit meine Zuflucht zu nehmen. Vor allem bei 
Verletzungen der Bauchdecken durch stumpfe Gewalt ist man sehr 
leicht geneigt, etwa bestehende Schocksymptome als Vagusreflex* zu 
deuten. Der schwere Eindruck, den solche Verletzte boten, erklärte 
sich in den von mir untersuchten Fällen jedesmal durch den Sektions¬ 
befund, so dass die Annahme einer besonderen Schockwirkung in 
diesen Fällen überflüssig blieb. Ausgedehnte Runturen innerer Or¬ 
gane mit Blutungen in die Bauch- oder Brusthöhle. Darmzerreissungen 
oder Ouetschungen mit beginnender Bauchfellentzündung, Brüche 
der Wirbelsäule mit Blutungen im Rückenmark wurden in solchen 
Fällen durch die Leichenöffnung aufgedeckt. Gerade bei solchen Ver¬ 
letzungen ist die Diagnose auf echten traumatischen Schock stets 
mit grosser Vorsicht zu stellen. (Vergl. Borst in Borchard 
und Schmiedens Kriegschirurgie.) Bei der Aehnlichkeit. die 
manche eklamptische Anfälle während der Geburt und bei Säuglingen 
mit dem klinischen Bilde der zerebralen Fett- und Luftembolie haben, 
halte ich es durchaus für möglich, dass auch diesen Krankheitsbildern 
kapillarembolische Prozesse zugrunde liegen. Schmorls 7 ) Befunde 
hochgradiger Fettembolie bei Eklampsie im Verein mit nekrobiotischen 
infarktähnlichen, oft die ganze Rindensubstanz einnehmenden Herden 
in der Niere und ähnlichen kleinen Herden in anderen Organen, als 
deren Ursache gewöhnlicher Gefäßsknampf an gesprochen wird, weisen 
auf durchaus ähnliche Verhältnisse wie bei der Fettembolie hin; des¬ 
gleichen ähnliche Befunde Kaufmanns 8 ) in den Organen eklampti- 
scher Kinder. Auch für die Entstehung der sog. akuten vasomotori¬ 
schen Nephrosen nach Verschüttung 9 ) möchte ich die Möglichkeit 
kaprilarthrombotischer Prozesse nach Fett- oder Luftembolie nicht 
ausser acht lassen. 

Es wird eine dankenswerte Aufgabe sein, eingehende Unter¬ 
suchungen im angedeuteten Sinne anzustellen. 


5 ) Brauer: a. a. O. 

*) Jürgens«n und Schüppler: D. Arch. f. klin. Med. 1882. 

7 ) Schmorl: D. Ges. f. Gyn. 1901. 

8 ) E. Kaufmann: Lehrb. d. spez. path. Anatomie. 

*) Hackrath: Inaug.-Diss. München 1917. 


Aus dem Oskar-Helene-Heim, Berlin-Zehlendorf. 

Das neue Modell der aktiven Fischerhand und Arbeitsklaue. 

Von Prof. Biesalski. 

In meiner Arbeit „Die Kunstglieder der Versuchs- und Lehr- 
I werkstätte des Oskar-Helene-Heims“, Zschr. f. orthop. Chir. 37. Bd., 
auch als Monographie erschienen, habe ich die aktive Fischerhand 
beschrieben, und zwar als 2-Zughand und als 1-Zughand. Die erstere 
bauen wir nicht mehr, weil sie der 1-Zughand dadurch unterlegen ist, 
dass sie 2 Kraftquellen für sich beansprucht, und für die letztere 
haben wir nunmehr ein endgültiges Modell gefunden, das sich gut 
bewährt, und das wir bis auf weiteres beibehalten wollen. Der 
3. und 4. Finger ist nur noch passiv beweglich; beide können voll 
eingeschlagen, aber nicht gestreckt, sondern nur bis zu einer Beuge¬ 
stellung gebracht werden, die beim Greifen länglicher, runder Gegen¬ 



stände von Wichtigkeit 
ist und ebenso für das 
Tragen von Paketen an 
einem Griff. Der Dau¬ 
men steht nicht mehr 
dem 2. und 3. Finger, 
sondern nur dem 2. Fin¬ 
ger gegenüber (Fig. 1). 
Die Fingerspitzen sind 
abgeflacbt gehalten und 
tragen Quer- und Längs¬ 
riefen, so dass sie auch 
feinste Gegenstände in 
jeder beliebigen Lage 
fassen. Der Daumen 
geht aktiv stets mit, 
kann aber um die Länge 
des Schlitzes A passiv 
im Gelenk federn, was 
von Bedeutung ist. wenn 
man z. B. ein Geldstück 
vom Tisch auf heben 
will. Der Daumen drückt sich dann auf die Platte aui, 
und der Zeigefinger holt das Geldstück auf den Daumen 
herauf. Der Mechanismus ist überaus einfach und betätigt 
sich folgendermassen: An der Gal Ischen Kette, die entweder in der 
Mitte der Handwurzel herausgeleitet werden kann oder am Hand¬ 
rücken, zieht irgendeine Kraftquelle. Sie bewegt dann den langen 
Hebelarm B um seinen Drehpunkt C gegen den Handrücken, und 
zwar dadurch, dass sie an dem Doppelhebel D zieht mit seinem 
Drehpunkt E. Dieser Hebel trägt an seinem anderen Ende den 
Förderzahn F, welcher bei jedesmaligem Zug ein Sperrad weiter¬ 
transportiert, während gleichzeitig die ebenfalls in E drehbare 
I Sperrklinke G sich bei jedem Zuge einmal auf den Zahn eines be- 
I sonders geformten Rades stellt, wodurch dann die Arretierung seines 
Schwanzendes in der Verzahnung des Kreisbogens H aufgehoben 



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24. September 1918. 


MUENCHENtER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1079 


wird, (xler der Zahn der Sperrklinke sinkt beim nächsten Zug in 
eine Zahnlücke ein, und sein Schwanzende stemmt sich gegen die 
Zähne von H, so dass die Arretierung unverrückbar leststeht, ja 
sogar beim gewaltsamen Oeffnen der Finger sich noch stärker ein¬ 
drückt. Die Oeffnung der Finger geschieht durch die Feder J. Die 
Fingerspitzen LN stehen 90mm auseinander; um sie aneinander zu 
legen, bedarf es einer Weglänge in der Zugschnur von 32 mm. Von 
dem Hebelarm B gehen Zug- und Druckstangen zum Daumen und den 
anderen Fingergliedern. Entscheidend ist, dass der Hebelarm B 
ebenso lang ist wie die Strecke K L, dass also die volle Kraft des 
Zuges, abzüglich des geringen Verlustes in den Reibungswider¬ 
ständen, voll zum Ausdruck kommt. Man kann ferner den Angriffs¬ 
punkt auf dem Hebelarm B nach Belieben auch näher seinem Dreh¬ 
punkt wählen, wodurch man dann einen kürzeren Weg bekommt, frei¬ 
lich bei grösserem Kraftaufwand. Aber es ist gelegentlich, namentlich 
Oei Sauerbruchoperationen, von Bedeutung, dass man die Hand den 
vorhandenen Verhältnissen anpassen kann. Die Vorzüge der Hand 
sind: 1. Ausserordentlich einfache Bauart ohne rotierende Teile. 
2. Volle Ausnutzungder Kraft, ja. man kann, ehe man durch 
Nachlassen des Zuges die Arretierung schliesst, beliebig lange 
nachziehen und so das äusserste Mass der vor¬ 
handenen Kraft aus nutzen, also so fest zupacken, wie 
irgend denkbar, ein Vorzug, der mancher Hand fehlt. 3. Die Arre¬ 
tierung braucht nicht eingeschaltet zu werden. Es ist möglich, ohne 
sie, wie mit den Fingern, kleinere Gegenstände zu fassen, zu halten, 
wegzunehmen, ja, man kann mit den Fingern eine Pinzette bedienen 
und damit z. B. Blumenblätter auszupfen (Fig. 2). 4. Die Halt¬ 

barkeit der Hand ist ganz ausserordentlich. Ein Offizier benutzt sie 
seit einem Jahr, fährt damit täglich Rad, indem er fest die Lenk¬ 
stange packt, und schont die Hand in keiner Weise, ja, er hat den 
Auftrag, sie rücksichtslos zu strapazieren, und doch ist bisher nicht 
die geringste Beschädigung des Mechanismus eingetreten. Mit der 
Bandage ist die Hand durch ein Handgelenk verbunden, das in 
3 Beuge-Streckstellungen festgestellt werden oder frei gleiten kann. 

Die Hand wird jetzt in der Werkstatt des Oskar-Helene- 
Heims für Heilung und Erziehung gebrechlicher Kinder in Berlin- 
Zehlendorf-Mitte hergestellt und ist für jede Kraftquelle verwendbar, 
sowohl für den einfachen Schulterzug, als für Sauerbruch-, als auch 
für Krjikenbergoperationen. Einen von Krukenberg selber ope¬ 
rierten Kavalleriesergeanten haben wir mit dieser Hand ausgestattet, 
der damit, nach seiner eigenen Angabe, wieder jedes Pferd reiten 
kann (Fig. 3). Die Hand sitzt fest auf der Lederhülse der Ulna, 
während der Radius mit dem Ende seiner Lederkappe an der zur 
Hand führenden Kette beim Spreizen zieht; und zwar haben wir 
diese Bewegung gewählt, weil der Mann dabei die grösste Kraft hatte. 
Sie ist unphysiologisch, aber nicht weniger unphysiologisch als der 
Schluss der Krukenbergzange: denn auch diese gibt es ja in der 
Norm nicht, wie überhaupt alle Kraftquellen des Körpers unphysio¬ 
logisch sind, weil sie eine Tätigkeit ausüben, die am gesunden 
Körper nicht vorhanden ist. Genau so gut könnte man. indem man 
die Kette noch einmal über eine Rolle leitet, den Schluss der Zange 
benützen. Mit dieser Hand hat der Mann im Ernteurlaub mehrere 
Wochen lang gesät, gehackt und Gras gemäht. 

Ebenso wird jetzt die Fischerklaue, die ich gleichfalls in meiner 
eingangs erwähnten Arbeit als 2-Zugklaue beschrieben habe, als 
1-Zugklaue gebaut mit genau demselben Mechanismus. Auch hier 
kann die Kette aus der Mitte des Ansatzzapfens herausgeleitet wer¬ 
den oder an der Seite. Die Klaue wird ebenfalls im Oskar-Helene- 
Heim gebaut und dient für alle Verrichtungen des täglichen Lebens 
und für feinere Arbeit. Was sie leistet, zeigt Fig. 4. 


Aus der chirurgischen Abteilung des St. Josefs-Hospitals, 
Wiesbaden (Prof. Hackenbruch). 

Der Distraktionsklammerverband bei Coxitis tuberculosa 
(und anderen Hüftleiden). 

Von Dr. med. Leo Zorn. 

Das souveräne Mittel zur Behandlung der Coxitis tuberculosa ist 
der beckenumgreifende Gipsverband mit Gehbügel. Gegenüber seinen 
grossen Vorzügen vor anderen Verbänden nahm man seine Nachteile, 
Knieversteifung und Muskelatrophie, ger/ie in Kauf. Durch die Ver¬ 
wendung von Hackenbruchs Distraktionsklammern glauben wir, 
noch eine wesentliche Verbesserung des Gipsverbandes erzielt zu 
haben; da das Verfahren sich seit nunmehr 4 Jahren sehr bewährt 
hat, soll es im folgenden dargestellt werden. 

Das Prinzip des Verbandes besteht darin, dass in einen becken¬ 
umgreifenden Gipsverband ohne Gehbügel im unteren Teil des Ober¬ 
schenkels Distraktionsklammern eingeschaltet werden, derart, dass die 
distalen Kugelgelenke in die quere Achse des Kniegelenkes zu liegen 
kommen. Die Technik der Anlegung entspricht der von Hacken¬ 
bruch bei der Frakturbehandlung geschilderten 1 ): 

Narkose, wenn Eingriffe nötig sind oder eine bedeutende Kon¬ 
traktur besteht. Korrektion der Kontraktur nur soweit sie muskulär 
ist. Watterollenpolsterung des Beckens ohne Einbegreifung der unteren 
Thoraxapertur wie gewöhnlich. Reichliche lose Polsterung des Ober¬ 
schenkels, sehr reichliche, hochreichende und festere Polsterung 
unterhalb des Tuber ossis ischii. Anwdcklung mit Mull- oder Ersatz- 

Nr. 39. 

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binden. Besondere Massnahmen zur Adaptation des Sitzringes sind 
nicht nötig, da diese nachher durch die Distraktion erfolgt. Polsterung' 
des Unterschenkels bis über die Oberschenkelkondylen (oberhalb 
bleibt also ein Spalt iin Verband); sehr reichliche am hinteren oberen 
Umfang in der Kniekehle und über dem Fibulaköpfchen; Unterschenkel 
dünn, nur die Tibiakante etwas stärker. Ganz besondere Sorgfalt 
erfordert die Polsterung oberhalb des Fusses, sie muss sehr dick und 
fest sein. Wir nehmen zunächst ein überhandgrosses Wattekissen 
aus etwa 6—8 Lagen. Dann wird eine dicke Watterolle in mehr¬ 
fachen Touren um das Fussgelenk unter Deckung des Achillessehnen¬ 
ansatzes, der Knöchel und des Fussrückens herumgeführt, wobei ein¬ 
zelne Touren auch über die Fusssohle ziehen: die Zehen bleiben frei. 
Diese dicke Watteumhüllung w'ird fest mit Mull- oder besser Cam- 
bricbinden angezogen, bis sie unverrückbar dem Fussgelenk aufsizt. 
Es empfiehlt sich, auf die Binden dieselbe Watte-Bindenschicht noch 
einmal aufzulegen. Nun folgt die Einwicklung mit Gipsbinden wie 
gewöhnlich mit Verstärkung durch Schutfterspäne, besonders in der 
Leisten- und Knöchelgegend. Es ist darauf zu achten, dass die 
Polsterung den Gipsverband überall genügend überragt, besonders am 
Tuber ossis ischii und in der Kniekehle. So lange der Gips noch w'eich 
ist, wird er unterhalb des Tuber ossis ischii eingedrückt und über 
dem Achillessehnenansatz gut anmodelliert, da er sonst später über 
die Ferse hinuntergleitet. Jetzt werden, den Spalt überbrückend, die 
Klammern angelegt, bei kleinen Kindern mittlere, bei grösseren grosse 
Schrauben und proximale Fussplatten kommen in die Achse des 
Oberschenkels, die distalen Fussplatten in die Achse des Unter¬ 
schenkels. Die distalen Kugelgelenke sollen beim fertigen Verband 
in die quere Achse des Kniegelenkes (also etwa in die Kondylen- 
mitte) fallen, bei der Anlegung muss man sie fingerbreit höher steilen, 
da sne bei der späteren Distraktion mit dem UnterscLenkelteil des 
Verbandes etwa soviel herabgleiten. (Bei Behandlung von Frakturen 
kommt es auf eine so genaue Stellung meist nicht an, es sind doch 
Gelenkbewegungen möglich, bei Coxitis tuberculosa empfiehlt sich 
genaueste Einstellung, um die Ruhigstellung des Oberschenkelknochens 
auch bei Kniebewegungen zu garantieren.) 

Die Fussplatten werden in den weichen Gips leicht eingedrückt 
und mit schmäleren Gipsbinden festgewickelt, wobei Bindenschleifen 
unter der Klammer durchgezogen werden zur Fixation des nach innen 
überstehenden Teiles der Fussplatten. Jede Lage wird den Fuss¬ 
platten genau anmodelliert, da bei starker Inanspruchnahme hier der 
Verband noch am ehesten nachgibt. 

Sobald der Gips erhärtet ist, werden die Kugelgelenke festgestellt 
und man beginnt mit der Distraktion. Der obere Teil des Ver¬ 
bandes gleitet ein Geringes nach oben, bis er sich am Tuber ossis 
ischii anstemmt, der untere nach unten, bis er an Ferse und Fuss- 
rücken, bei gut vorspringenden Knöcheln auch an diesen, Halt findet. 
Distrahiert man jetzt weiter, so wird das Bein gew issermassen aus 
der Hüfte herausgezogen. Dies geschieht so lange bis der Patient 
angibt, einen angenehmen Zug in der Hüfte zu verspüren; dann Ein¬ 
setzen des Sicherungsbügels in die Schrauben. Vorsichtiger Transport 
vom Operationstisch, damit die Fussplatten nicht gelockert werden. 

Am nächsten Tage Ausschncidung eines halbmondförmigen 
Stückes aus dem hinteren oberen Rande des Unterschenkelteiles, um 
eine ausgiebige Kniebeugung zu ermöglichen, ausserdem Anlegung 
ev. nötiger Fenster. Dann kann Pat. aufstehen; nach dem ersten 
Male ist meist noch eine weitere Distraktion angebracht. Bei schweren 
Fällen bleiben zunächst alle 4 Kugelgelenke fixiert. Fig. 1 und 2 
zeigen den fertigen Verband. 



Fig. 1. Fig 2. Fig. 3. 

*) Hackenbruch: Die Distraktionsklammerbehandlung der 
Knochenbrüche. Ther. Mh. August 1916. 

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10S0 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


Der geschilderte Verband leistet zunächst dasselbe wie der übliche 
Gipsverband; er ist ein fixierender Gehverba n d. Während 
aber bei dem üblichen Verfahren eine Extension im Hüftgelenk nur 
bei aufrechter Haltung zustande kommt durch das Gewicht des Beines 
(sonst nur durch besondere Extensiotisvorrichtungen erreicht werden 
kann), bietet der Klammerverband eine dauernde Distraktion des Ge¬ 
lenkes und vermeidet damit die für das tuberkulöse Gewebe schäd¬ 
lichen Druckschwankungen im Hüftgelenk beim Aufstehen und Nieder¬ 
legen. Zur Mechanik des Stehens im Verbände ist zu bemerken, dass 
der auf das kranke Bein entfallende Anteil der Körperlast zunächst auf 
dem Fusse (Ferse und Fussriicken. ev. auch Knöcheln) ruht, denn 
bei der dargestellten Art der Anlegung bricht die dünne Gipssohle 
bald ein. Auf dem Fusse ruht dann der Verband, auf dem oben 
mit dem Tuber ossis ischii das Körpergewicht lastet. Ober- und 
Unterschenkel, Hüft- und Kniegelenk werden also gegen Belastung ge¬ 
schützt. Wir haben bei dieser Art des Verbandes mit weicher Sohle 
nie einen Nachteil gesehen, ausser massigem Blauwcrden des Fusses. 
Jedoch steht nichts im Wege, unter der Fusssohle her den Verband 
durch ein steigbügelartiges Bandeisen zu Verstärker, das dann aber 
von der Sohle nicht abzustehen braucht. 

Der weitere Vorteil besteht darin, dass man bei korrekter Anlage 
der Klammern auch bei tuberkulöser Koxitis, soweit sie nicht sehr bös¬ 
artig ist, schon nach relativ kurzer Zeit mit aktiven Bewegungen 
im Kniegelenk beginnen und dadurch stärkere Gelenk verstei- 
fung und M u s k e 1 a t r o p h i e verhüten kann. Man wird zu¬ 
nächst nur einmal täglich bei der Visite die distalen Kugelgelenke 
öffnen, den Patienten bewegen lassen und dann wieder fixieren. Wird 
dies gut vertragen, so geschieht -es immer häufiger, bis das Knie 
schliesslich dauernd beweglich gelassen wird. (Fig. 2 und 3 zeigen 
das erreichbare Bewegungsausmass.) Diese exakte Dosier¬ 
barkeit der Funktion ist ein grosser Vorteil aller Klammer¬ 
verbände. Er tritt noch mehr in seinem Wert zutage, wenn es sich 
darum handelt, das erkrankte Gelenk allmählich seiner Funktion 
wieder zuzuführen. Dies kommt bei Coxitis tuberculosa allerdings nur 
bei den leichteren Formen in Betracht, umsomehr aber bei anderen 
Leiden, die man mit dem geschilderten Verband behandeln kann 
(hochsitzende Oberschenkelfrakturen und Osteotomien, Hiittgelenks- 
plastiken, nicht tuberkulöse Hüftgelenksentzündungen): durch ganz 
allmähliches Zurückgehen mit der Distraktion kann man das Bein 
nieder der Belastung und durch Rotation des Unterschenkels nach 
Lösung aller 4 Kugelgelenke das Hüftgelenk der Drehung wieder zu¬ 
gänglich machen. Diese Funktionsübungen können in wenigen Augen¬ 
blicken vorgenommen werden und man hat die Möglichkeit, wenn 
etwa Schmerzen auftreten. in der Dosierung sofort ln exakter Weise 
zurückzugehen. 

Zusammengefasst bietet also der Verband absolute dauernde 
Fixation, gestattet Gehbehandlung, verhindert allzugrosse Kniever- 
steiiung und Muskelatrophie und gestattet, die Funktionsreste zu 
retten, soweit die Natur des Leidens und die Schwere des Falles dies 
zulassen. 

Der einzige Nachteil, der in Betracht kommen könnte, wäre De¬ 
kubitus. Wenn man aber an den Stellen der Anstemmung (obere 
Fersenkante, Fussrücken. Kniekehle und Tuber ossis ischii) reich¬ 
lich und fest polstert, lässt sich ein Druckgeschwür nach unserer 
Erfahrung mit Sicherheit vermeiden. Ein ab und zu beobachtetes 
stärkeres Oedem der freien Kniegend hat seine Ursache in der Ober¬ 
schenkelkompression, die zustande kommt, wenn der Oberschenkel¬ 
anteil des Verbandes zu eng angelegt wird und sich beim Hinauf¬ 
gleiten gegen die nach oben kegelartig stärker werdende Muskulatur 
anpresst. Dies lässt sich vermeiden, wenn nach Vorschrift am Ober¬ 
schenkel reichlich und lose gepolstert wird; auch dürfen die Gips¬ 
binden hier nicht im geringsten angezogen werden. 

Was nun unsere Erfahrungen über den Heilwert des Distraktions¬ 
klammerverbandes bei Coxitis tuberculosa anbetrifft, so ist unser 
Material zu gering und verschiedenartig, um eine vergleichende Sta¬ 
tistik, deren Wert ja auch durch die gerade bei Tuberkulose so wich¬ 
tigen veränderten Ernährungsverhältnisse illusorisch gemacht würde, 
angebracht erscheinen zu lassen. Diese Mitteilung möchte gerade 
chirurgische und orthopädische Abteilungen, die über ein grosses Ma¬ 
terial verfügen, veranlassen, das geschilderte Verfahren zu versuchen. 

Wir hatten in einigen Fällen sehr gute Resultate mit brauchbarer 
Funktion, in anderen, die fistelten und mischinfiziert waren, konnte 
die Operation und selbst der tödliche Ausgang nicht verhindert wer¬ 
den. In allen Fällen aber fiat der Verband das, was innerhalb der 
Grenzen seines Wirkungsbereiches liegt, in vollkommener Weise ge¬ 
leistet: Die Kranken wurden nach der Distraktion vollkommen 
schmerzfrei, waren nicht mehr im Bette zu halten vielfach musste 
ihnen zu grosse Anstrengung, Tragen von schweren Gegenständen etc., 
wiederholt verboten werden. Allgemeinbefinden und Appetit besserten 
sich. Bewegungen im Kniegelenk wurden fast in allen Fällen nach 
kürzerer oder längerer Zeit möglich ohne Schmerzen oder andere üble 
Folgeerscheinungen; die meisten Patienten wurden nach Entfernung 
der distalen Druckschrauben mit losem Kniegelenk in ambulante Be¬ 
handlung entlassen. 


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Aus der K. chirurgischen Klinik München. 

(Direktor Professor v. Ach.) 

Die Erfahrungen Uber die Chloräthyl-Narkose. 

Von Dr. Wilhelm Fischer. 

Wir verwenden jetzt das Chloräthyl für die gesamte Extremi¬ 
tätenchirurgie. Aber wir haben das Chloräthyl nicht nur für 
wenige Sekunden dauernde Eingriffe, wie Einrenkungen von 
frischen Luxationen, Repositionen dislozierter Radiusbrüche, bei 
Phlegmonen usw. angewandt, sondern auch Appendixoperationen 
vorgenommen und schwierige, langdauemde Geschossextraktionen 
in deT neuen Narkose ausgeführt. Bei durch lange Eiterungen sehr 
geschwächten und an den parenchymatösen Organen kranken Pa¬ 
tienten konnten wir den Chloräthylrausch ohne jeglichen Schaden 
an wenden. Wir haben oft bemerkt, dass infolge der einfachen An¬ 
wendung und der raschen Wirkung des genannten Narkotikums die 
Aufregung des Patienten wesentlich gemildert wurde. Auch nach 
längeren und grösseren Eingriffen haben wir jetzt keine Schädigung 
erlebt. Bei bestehender Bronchitis konnten wir in Fällen, bei denen 
ein chirurgischer Eingriff nicht aufschiebbar war, keine Verschlimme¬ 
rung der Komplikation konstatieren. Fälle von postnarkotischer Pneu¬ 
monie kamen bis jetzt nicht vor. Die Zeitersparnis, hauptsächlich 
im poliklinischen Betriebe, war. wie von anderer Seite betont, sehr 
bedeutend. Zu Mundhöhlenoperationen, zur Oesophago- und Gastro¬ 
skopie ist die geringe Salivation des neuen Mittels ein Vorzug gegen¬ 
über dem Aether, wenn wir auch manchmal durch oen beim Chlor¬ 
äthyl vorkommenden Trismus Störungen der Ope r ation hatten, hn 
Allgemeinen geben wir dem Chloräthyl den Vorzug vor dem Aether- 
rausch. 

Das Chi. CsHsCl auch „Kelen“ genannten von * 7 **Vi» = be¬ 
ruhige) ist eine angenehm riechende und bei 12° siedende Flüssigkeit, 
die einer Zersetzung nahezu nicht ausgesetzt ist. Seine Beständig¬ 
keit verliert es erst bei hohen Temperaturen, wenn z. B. sein Dampf 
in eine Gasflamme kommt, wobei es sich unter Bildung von Salz¬ 
säure zersetzt. Nur unreine Produkte, die höher chlorierte Ver¬ 
bindungen enthalten, sind zersetzlich. 

Das von uns «angewandte Chloräthyk hergesteWt von der „Chem. 
Fabrik Dr. G. Robii.sch-München“, entspricht dien an ein solches zu 
stellenden Anforderungen in vollem Masse. Nach unseren Erkun¬ 
digungen wird dasselbe nicht als Nebenprodukt bei der Chloralhydrat- 
darstellung gewonnen und unterliegt einem besonderen Reinigungs¬ 
prozess. 

Ein Vorzug bei Anwendung des vorgenannten Narkotikums 
gegenüber Aether ist seine höhere Flüchtigkeit, die keine festere Ver¬ 
ankerung des Giftes im Körper zulässt. Durch diese obengenannten 
Eigenschaften des Stoffes erklären sich ohne Zwang die klinisch 
günstigen Resultate und Erscheinungen, wie z. B. rascher Eintritt 
des Rausches und fast momentanes Zurückkehren zum Bewusstsein 
ohne Erbrechen; während der Narkose das Fehlen von Asphyxien. 
Unsere Statistik weist Erbrechen während der Narkose in 7 Proz. der 
Fälle auf, nach der Narkose in 20 Proz. (tiefe Narkosen miteinge¬ 
schlossen). 

Die geringere Wirksamkeit des Aethers auf die nervösen Zen¬ 
tren macht die Anwendung des letzteren als Rausch gefährlicher, 
weil man die Konzentration der Dämpfe durch dichte Masken steigern 
muss, die einen gehörigen Kohlensäure-Sauerstoff-Austausch ver¬ 
hindern. Es ist beim Aetherrausch viel häufiger, dass die Patienten 
erbrechen und hin und wieder Asphyxien bekommen. 

Unsere Technik deckt sich mit der gebräuchlichen in- vieler 
Hinsicht. Wir verwenden nur kleine, mit dünnen Schichten von Mull¬ 
gaze iibersponnene Masken ohne schädlichen Raum, in dem sich 
Kohlensäure nicht ansammeki, kiann. Die Maslken werden nicht mit 
undurchlässigen Stoffen, sondern mit 8—10 fachen Mullgazeschichten 
bedeckt. In der Not genügt es auch völlig, wie wir uns überzeugen 
konnten, nur dünne Schichten von Gaze auf Mund und Nase aufzu¬ 
legen. Nicht nötig halten wir einen Augenschutz aus wasserdichten 
Stoffen, doch besteht gegen seine Anwendung keine Erinnerung. Es 
ist ferner, wenn man das Chi. aufgetropft hat, ein Einfetten der Nase 
und Mundpartie nicht nötig. Die Chloräthylzuführung bei der Tropf¬ 
narkose geschieht in der Weise, dass der Hebelverschluss der Chlor- 
äthylröhre nur soweit geöffnet wird, dass sich der entweichende 
Strahl am Kapillarabdichtungsgummi bricht und dadurch die Flüssig¬ 
keit zum Abtropfen kommt. In der Regel tritt, wie auch anderwärts 
beschrieben, so nach Vs—?* Minuten nach 30—80Tropfen die Analgesie 
ein. Beim Beginn der Narkose, wobei natürlich alle Massnahmen, die 
wir von der Aether- und Chloroformnarkose kennen, berücksichtigt 
werden, lassen wir die Patienten laut zählen. Bei der ersten un¬ 
richtigen Angabe des Patienten wird die Operation begonnen. Die 
Narkose kann nun weitergeführt werden bis zum Eintritt der Exzi¬ 
tation, worauf zu sistieren ist (Vermeidung der Kumulation). Einem 
Erwachen des Patienten wird durch rechtzeitige Weitergabe von 
Chi. vorgebeugt. Es ist nicht nötig, die Maske wegzunehmen, da' das 
Narkotikum sehr rasch verdunstet und der Patient durch die aus 
wenigen Mullgazen bestehende Maske genügend frische Luft erhält. 
Bei förmlichen Narkosen verwandten wir oft gleichzeitig 2 Ohlor- 
äthylröhren. Für diese Fälle von förmlichen Narkosen und bei 
solchen, bei denen es sich hauptsächlich um rasche Zuführung einer 
grösseren Menge des Narkotikums handelt, ist die Strahlnarkose zu 

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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



24 . September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1081 


^mpiehlen. Die Firma Dr. (j. R o b i s c h - München bringt hiefür 1 
eine graduierte Röhre mit besonuers oicKcm Strahl in den Handel. 
Von den vielen oft komplizierten Masken zu Narkosen (Brauer scher 
.Korb, Maske von Nieriken, Hewlett u. a.) die eine Dosierung des 
Luitchloräthylgemisches im Grunde bezwecken, verwandten wir ver¬ 
suchsweise wegen ihrer Einfachheit die ilerre nknechtsehe 
Maske. Es ist dies die bekannte Esmarsch sehe Chloroformmaske 
mit undurchlässigem Gummistoff überzogen und mit einem Hohlraum 
.zwischen dem Flanellüberzug und Gummiüberzug. In der Mitte hat 
die Maske zum Einspritzen des Chi. eine etwas Überlinsengrosse 
Oeänung. 

lieber den Rosenthal-Berte, lot sehen Apparat und andere 
.Apparate, die eine Chloräthyl-Sauerstoff-Narkose gewährleisten sollen, 
fehlen zurzeit noch die Erfahrungen. Wenn das Chi. nach der Vor¬ 
schrift (K u I e n k a m p f f) mit durchlässigen Masken angewendet ist, 
ist es ziemlich gefahrlos. Die bisher beobachteten Todesfälle haben 
sich, wie der ebengenannte Autor 1913 erklärt, sämtlich unter An¬ 
wendung von mehr oder minder geschlossenen Masken, bei vollen 
Narkosen ereignet. In dieser Weise sind auch die von Luke be¬ 
neideten 8 Todesfälle -bei zahnärztlichen Operationen zu erklären. 
Viele bei uns vorgenommene förmliche Narkosen mit offenen Masken 
wiesen keine Störungen auf. Wir führten unsere bisherigen günstigen 
Erfahrungen gegenüber den in England eine unheilvolle Rolle spielen- • 
den Kohlensäureintoxikationen, nicht allein auf die geringere Konzen¬ 
tration der Chloräthyldämpfe und den guten Sauerstoff^Kohlensäure- 
.Austausch zurück, sondern auch auf die Reinheit des von uns ange¬ 
wandten Präparates. Natürlich sind bei tiefen Narkosen alle Vorsichts- 
massregeln zu beobachten, insbesondere auch eine genaue Herz- 
,nnd Atemkontrolle. Die Muskelerschlaffung trat übrigens bei An¬ 
wendung des neuen Mittels zu tiefen Narkosen genau so ein, wie bei 
Aether und Chloroform. 

Zusammen fassend sei bemerkt: 

1. Das neue Mittel ist unzersetzlich. rein und längere Zeit auf- 
zubewahren. 

2. Die Anwendung ist einfach. 

3. Der Eintritt der Narkose ist rasch, der Verlauf derselben 
ruhig, das Erwach-en fast momentan, postnarkotisches Er¬ 
brechen gehört zu den Seltenheiten. 

4. Es ist gleich ungefährlich als Rausch und protrahierter Rausch 
angewendet. 

5. Es reizt nur in ganz geringem Masse die Respirationsorgane 
und schädigt die parenchymatösen Organe, wie Niere. Herz 
und Leber, nach den jetzigen klinischen Erfahrungen nicht. 

Die Anwendung des Chlorät'hyls für förmliche Narkosen ist noch 
oiicht genügend erforscht und ausprobiert. 

Um Vagusreizungen im Verlaute der Narkose zu vermeiden, sind 
Atropininjektionen, wie vorgeschlagen wurde von Vioo—V im g, viel¬ 
leicht zweckmässig. V* Chloräthyl und */3 Luft soll angestrebt 
werden. 

Unsere noch nicht sehr grossen Erfahrungen in dieser Hinsicht 
ermuntern zur weiteren Forschung. 

Auf die Angabe der zahlreichen Literatur mussten w ir wegen 
Raummangels verzichten. 


Statistik Ober sprachgebrechliche Kinder in den 
Hamburger Volksschulen. 

Von W. Carrie, Hamburg. 

Im Januar 1917 wurde in den Hamburger Volksschulen durch die 
Oberschulbehörde eine Statistik über sprachgebrechliche Kinder er¬ 
hoben, die das nachstehende Resultat ergab: 


Zusammenstellung I. 


Von den Stotterern standen im vollendeten 


6. 

Lebensjahre 9 Knaben — 

0 

Mädchen = 

9 Schüler 

7. 

» 36 

4- 

13 

„ = 

49 

8. 

„ 70 

4“ 

17 

— 

87 

9. 

,. 106 

4- 

26 

„ — 

132 

10. 

97 

4 - 

34 

„ — 

131 

11. 

111 

4 - 

29 

„ — 

MO 

12. 

129 

4- 

27 

„ — 

156 

13. 

„ 102 

4- 

36 

„ — 

138 

14. 

99 

4- 

24 

„ = 

123 


759 Knaben + 206 Mädchen = 

965 Schüler 


== 0.84 Proz. 

der Gesamtschülerzahl. 


Zusammenstellung 11. 


Von den Stammlern 

standen im vollendeten 

6. 

Lebensjahre 28 Knaben — 

10 Mädchen — 

38 Schüler 

7. 

„ 74 

4 - 

49 

„ = 

123 

8. 

„ 56 

-4 

30 

,, — 

86 

9. 

39 

4- 

18 

— 

57 

10. 

„ 23 

4- 

17 

„ — 

40 

11. 

14 

4 - 

10 

„ = 

24 

12. 

9 

4 - 

7 

„ — 

16 

13. 

8 

4 - 

4 

„ — 

12 

14. 

6 

4- 

3 

„ — 

9 


257 Knaben f 

148 Mädchen = 

405 Schüler. 


Zusammenstellung III. 


Von den mit „anderen 

Sprachgebrechen“ behafteten Schülern 

standen 

im vollendeten 





6. 

Lebensjahre 12 Knaben 4- 

2 

Mädchen = 

14 Schüler 

7. 

„ 35 

4 - 

17 

.. =r 

52 

8. 

„ 36 „ 

4 - 

15 

„ — 

51 

9. 

31 

4 - 

14 

.. = 

45 

10. 

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45 

11. 

,. 11 

4 - 

9 


20 

12. 

„ 18 

4- 

13 

,. = 

31 

13. 

13 

+ 

11 

„ = 

24 

14. 

5 „ 

4 - 

7 

n — 

12 


192 Knaben + 102 Mädchen = 294 Schüler. 


Bundesstaaten und Städten über die Zahl der sprachgebrechlichen 
Kinder gemacht wurden, sollen nach Gutzmann durchschnittlich 
1 Proz. aller Schüler stottern; ungefähr die gleiche Zahl wurde vor 
einigen Jahren in Amsterdam festgestellt. In allen diesen Statistiken 
wurde ferner die bedauerliche Tatsache festgestellt, dass trotz der be¬ 
stehenden Heilkurse das Stottern in der Schule noch zunimmt. In 
Berlin fanden sich beispielsweise in den Oberklassen dreimal so viel 
Stotterer als bei den 1 Lemanfängern. In den Hamburger Schulen be¬ 
trägt die Zahl der Stotterer nach obiger Statistik nur 0,84 Proz., 
bleibt also hinter den anderwärts ermittelten Zahlen etwas zurück, je¬ 
doch ist anzunehmen, dass hier mehrfach Fälle beginnenden Stotterns, 
also Fälle, die sich von Laien nicht immer leicht und sicher dia¬ 
gnostizieren lassen, in der Rubrik 4 c als „andere Sprachgebrechen“ 
registriert wurden. Die Lehrer sind, wie ich des öfteren erfahren 
musste, keineswegs immer imstande, die Art des betreffenden Sprach- 
gebrechens bestimmt angeben zu können. Das ist bedauerlich, denn 
mit der Hygiene der Stimme und Sprache sollten vor allen Dingen 
auch die Lehrer vertraut gemacht werden. 

Von den Stotterern in den Hamburger Volksschulen stehen nach 
Zusammenstellung I der obigen Statistik im 7. Lebensjahre 49, im 
12. Lebensjahre aber schon 156 Schüler: die Zahl der Stotterer hat 


l 

2 

3 ..... 


3 

6 

7 


Anzahl der mit 





Von diesen Kindern 


Von diesen Schülern 

Von diesen Schü- 


Sprachgebrechen 











litten an 




h 


besuchten bereits einen 

lern besuchten 

iöaase 

behafteten 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

.3. 

14. 



c 

a 

nicht versetzt 

Heilkursns für Stotterer 

früher die Son- 



b 

Mfldch. 




1 1 

Lebensjahre 

a 

Stottern 

b 

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Sprathftbf. 

NfCllilli| 

i»nrtrt 

1 mal 

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3 mal 
u.mehr 

lmal 

2 mal 

3 mal 
u.mehr 

derklassen für 
Sprachkranke 

7 

- 


61 

197 

88 

18 


1 




|94 

186 

85 

•) 

74 

45 

4 

5 

2 



6 

Bin 



27 

114 

97 

28 

12 

3 



ISS 

100 

44 

129 

92 

45 

16 

40 

4 

4 


5 


813 


. 

19 

101 

72 

36 

25 

6 

4 

151 

54 

54 

113 

74 

43 

29 

33 

15 

5 

1 

4 


63 




18 

91 

59 

41 

23 

8 

165 

31 

43 

101 

70 

40 

38 

38 

16 

18 


3 


55 

. 




19 

§1 

63 

44 

19 

165 

16 

25 

69 

65 

52 

19 

m 

25 

9 

2 

2 


48 ' 





1 

22 

66 

59 

42 

159 

11 

24 

74 

76 

40 

4 

49 

36 

14 

11 

1 


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' 




5 

41 

53 

79 

7 

13 

39 

58 

2 


30 

12 

6 

3 

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ma 








1 

19 

14 


6 

19 

1 



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6 



Zu.: 

1213 

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61 

224 

221 | 

234 

211 | 

191 | 

203 

| 174 

145 

a** 1 

405 

294 

544 

510 

267 | 

1 100 

1 2M 1 

116 

56 

17 


*) 243 sprachgebrechliche Schüler aus den 7. Klassen waren überhaupt noch nicht versetzt. 


Die bisher über die Verbreitung von Sprachdefekten ange¬ 
nommenen Statistiken zeigen ausnahmslos den Uebelstand, dass sie 
sich meist lediglich auf die Feststellung der Zahl der sprachgebrech¬ 
lichen Schüler beschränken. Geber Heilversuche und Heilerfolge, 
Hemmungen in unterrichtlicher Hinsicht geben sie keine bestimmte 
Auskunft. Ueber Heilerfolge findet man höchstens hin und wieder 
«lehr oder weniger verschleierte Angaben. Die nunmehr vorliegende 
Hamburger Statistik hat versucht, auch über diese Punkte Licht zu 
verbreiten. Nach den Erhebungen, die bereits früher in deutschen 


sich also im Laufe dieser Zeit reichlich verdreifacht. Die geringe 
Zahl der Stotterer im vollendeten 6. Lebensjahre ist darauf zu¬ 
rückzuführen, dass die Statistik im Januar, also nahezu am Schlüsse 
des Schuljahres aufgenommen wurde, mithin die meisten Kinder der 
untersten Klasse das 7. Lebensjahr bereits überschritten hatten. 
Während sich die Zahl der Stotterer im Laufe der Schulzeit auf¬ 
fallend vermehrt, namentlich im 9. Lebensjahre, geht die Zahl der 
Stammler (Zusammenstellung II) zusehends zurück. Die Zahl der 
Stotterer scheint im 12. Lebensjahre ihren. Höhepunkt zu erreichen. 


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1082 


MUENCttENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


im 13. und 14. Lebensjahre nimmt die Zahl sogar ein wenig a*b. 
Die gleiche Erscheinung zeigt die vor einigen Jahren in Amsterdam 
erhobene Statistik. Es scheint demnach, als wenn mit dem all¬ 
mählichen Uebergang in das Pubertätsalter einzelne leichte Fälle 
von selber zur Heilung gelangten, während G u t z m a n n behauptet, 
dass das vorhandene btottern zur Zeit des Eintritts der Pubertät sich 
steigern soll. 

Wie stark die unterrichtliche Förderung der Kinder unter dem 
Sprachgebrechen leidet, zeigt Rubrik 5. Noch mehr als in der Schule 
wird der Sprachdefekt im Berufsleben hemmend wirken. Leider 
lässt sich hierüber keine Statistik aufstellen. Tatsache ist aber, dass 
der Stotterer in zahlreichen Berufen überhaupt nicht oder nur in 
höchst untergeordneter Stellung zu gebrauchen ist. 

Was nun die Heilerfolge betrifft (Rubrik 6), so zeigt sich, dass 
die Rückfälligkeit der in den Heilkursen behandelten Kinder ungefähr 
eine Regel ohne Ausnahme ist. Die Zahl der bis zu 3mal 
und noch öfter (in einzelnen Fällen bis zu 5 mal) in den Heilkursen 
ohne dauernden Erfolg behandelten Kinder (244 + 116 + 56 = 416) 
deckt sich fast genau mit der Zahl der sprachkranken Schüler, die 
im vorhergehenden Jahre in den Hamburger Heilkursen behandelt 
wurden. Dabei erstreckt sich die Behandlung in den Hamburger 
Heilkursen über den Zeitraum eines Jahres. Im ersten Halbjahr 
(Hauptkursus) erhalten' die Kinder wöchentlich 4 Stunden, im letzten 
Halbjahr (Nachkursus) 1 Stunde Unterricht. Die Heilkurse haben 
demnach ihre Aufgabe (restlose Beseitigung des Sprachgebrechens) 
in fast allen Fällen nicht zu erfüllen vermocht. Eine Reform auf 
diesem Gebiete ist daher dringend notwendig, wenn nicht Staat und 
Kommunen auch fernerhin namhafte Summen gwecklos opfern 
wollen. 

Bereits im Jahre 1914 berichtete der Haniburg'sche Senat an die 
Bürgerschaft in einem Anträge betreffend Schaffung von Lehrerstellen 
an der Schule für sprachkranke Volksschüler, „dass bei schwer stot¬ 
ternden Kindern eine dauernde Heilung nur zu erwarten ist, wenn die 
Schulkinder zeitweilig ihren gesamten Schulunterricht nach beson¬ 
derer Methode und getrennt von anderen Kindern erhalten“. Deshalb 
schuf man in Hamburg-unter noch vorläufiger Beibehaltung der Heil- 
kuFse für die leichteren Fälle Sonderklassen für sprachkranke Schul¬ 
kinder, in denen Unterricht nach dem allgemeinen Lehrplan der 
Volksschule erteilt wird, der aber zugleich in individualisierender 
heilpädagogischer Behandlung der einzelnen Schüler auf syste¬ 
matische Bekämpfung des Leidens gerichtet ist. Die Therapie geht 
in diesen Klassen mit dem lehrplanmässigen Unterrichte Hand in 
Hand. Die Therapie ist hier Unterricht, und der Unterricht ist Thera¬ 
pie. Nach erfolgter Heilung werden die SchüleT wieder den Normal¬ 
schulklassen überwiesen. Bis jetzt sind insgesamt 74 Schüler nach 
durchschnittlich 1—2 jährigem Besuch der Sonderklassen für Sprach¬ 
kranke zur Normalschule zurück geschickt worden. Einige davon 
traten vorzeitig aus, daher meldet die Statistik auch von diesen- noch 
17 Rückfällige. Diese Tatsache lehrt, wie schwierig und wie lang¬ 
wierig die Heilbehandlung ist und wie frivol einzelne heilpädagogische 
Charlatane handeln, die durch eine nur wenige Wochen dauernde Be¬ 
handlung Heilung in Aussicht stellen zum Schaden von Publikum und 
Sprachkranken. Die Zurückschulung aus den Sonderklassen nach der 
Normalschule darf, wie ich bereits an anderer Stelle 1 ) ausgeführt 
habe, zunächst nur versuchsweise vorgenommen werden. Erst dann, 
wenn nach einiger Zeit von der Normalschule die Nachricht eintrifft, 
dass der Schüler sich auch dort am Unterrichte in fliessender Sprache 
beteiligt, darf die Zurückschulung als endgültig betrachtet werden. 
Wenn in Zukunft dieser Forderung Rechnung getragen wird, werden 
die Sonderklassen ihre Erfolge noch günstiger gestalten können. 
Jedenfalls zeigt die Statistik, dass die Einrichtung von Sonderklassen 
für sprachkranke Schulkinder der einzige Weg ist, der volle Aussicht 
auf Erfolg verspricht. 

Wertvoll würde es sicherlich sein, wenn auch in anderen Städten 
eine gleiche oder ähnliche' Erhebung aufgestellt würde. Neben dem 
Experiment gehört ja die Statistik zu den Hauptwaffen der Wissen¬ 
schaft. Auch die Sprachheilkunde wird, wenn sie sich zu einer exak¬ 
ten Wissenschaft erheben will, deren Forschungsergebnisse nicht 
mehr anzuzweifeln sind, derartige Statistiken nicht entbehren können. 


Aus dem Reservelazarett München P (Beob.-Lazarett). 

(Chefarzt: Oberstabsarzt Dr. B red au er.) 

Kasuistischer Beitrag zur Dystrophia adiposo-genitalis. 

Von Stabsarzt Dr. Eichler. 

Während in der Pathologie der Hypophyse Tumoren die grösste 
Rolle spielen, sind Verletzungen dieses Organs bei der geschützten 
anatomischen Lage desselben äusserste Seltenheiten. Feld¬ 
kirchner*) erwähnt in seiner vor kurzem aus der I. Med. Klinik 
zu München publizierten Dissertation nur 2 derartige Fälle. 

1. Fall Madelung: Hier handelt es sich um ein 9jähriges 
Mädchen, das im Alter von 6 Jahren eine Schussverletzung mit einem 

*) Vergl. W. C a r r i e: Sonderklassen für sprachkranke Schul¬ 
kinder; Verlag von Hermann Beyer u. Söhne, Langensalza; Preis 
0.75 M. 

*) Feldkirchner: Kasuistische Beiträge zur Dystrophia 
adiposogenitalis; München 1916. 

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Flobertgewehr erlitten hatte und im Anschluss daran stark adipös 
wurde. 

2. Fall Frank: 39jähriger fettleibiger Mann, der sich vor 
mehreren Jahren in selbstmörderischer Absicht 2 Kugeln in die rechte 
Schläfe schoss. 6—7 Liter Urin täglich vom spezifischen Gewicht 
1005. Libido verschwunden. Röntgenologisch fand sich eine in der 
Medianlinie von oben herab in die Sella turcica hineinragende Kugel. 

Es erscheint mir daher gerechtfertigt, einen weiteren Fall von 
traumatischer . Hypophysenschädigung zu veröffentlichen, der aui 
meiner Station zur Beobachtung kam und manches Interessante bietet 

Theobald M., geboren am 5. II. 89, stammt aus gesunder Fa¬ 
milie; vor allem kamen Fälle ähnlicher Erkrankung bisher in seiner 
Familie nie vor. Er war als Kind und auch später nie ernstlich krank. 
1912 erlitt er im Alter von 23 Jahren als Schlosser in einer Eisenbahn¬ 
werkstätte einen schweren Schädelbruch dadurch, dass ihm die 
ca. 9 Zentner schwere Seitenwand eines Wagens auf das Schädel¬ 
dach fiel. Er blutete sogleich aus Ohren, Nase und Mund und war 
zunächst 14 Tage vollkommen bewusstlos. Nach K jähriger Kranken¬ 
hausbehandlung war er wieder soweit hergestellt, dass er ganz leichte 
Arbeiten verrichten konnte. Bis zu dem Unfall war M. ein lebens¬ 
froher Mann, verkehrte gern mit Kameraden, trank täglich 2—3 Liter 
Bier und rauchte 4—5 Zigarren. Es bestand normales Sexualleben. 
M. hatte einen Schnurbart, „den er schön drehen Konnte“, musste 
sich 2 mal wöchentlich rasieren lassen und hatte gehörig entwickelte 
Haare in den Achseln, auf der Brust und in der Schamgegend. Nach 
erlittenem Unfall machte M. schon während des Aufenthaltes ira 
Krankenhause die Beobachtung, dass allmählich die Schnurbarthaare, 
die Achsel-, die Brust- und Schamhaare ausgingen. Die Barthaare 
in der Backengegend schwanden mit der Zeit vollständig und die 
Haare am Kinn wurden bedeutend spärlicher und weicher, so dass 
er sich jetzt nur ca. alle 3—4 Wochen einmal rasieren lassen muss. 
Hoden und Penis wurden immer kleiner, der Geschlechtstrieb ver¬ 
schwand. M. fand keinen Gefallen mehr am Verkehr mit seinen 
Kameraden; er ist gleichgültiger und teilnahmsloser als früher ge¬ 
worden. Biertrinken und Rauchen bereitet ihm kein Vergnügen mehr. 
Während sein Körpergewicht, das vor demMJnfall 65 kg betrug, stän¬ 
dig abnahm (jetzt 60 kg), bemerkte er, dass der Leib durch Ansatz 
von Fett umfangreicher wurde. Schweiss- und Tränenabsonderung 
hat fast vollkommen aufgehört. Blick ins Licht verursacht starkes 
Blendungsgefühi. 

Fast ständig besteht jetzt mehr oder minder heftiger Kopfschmerz 
und Neigung zu Schwindel, ferner allgemeine Mattigkeit, Unfähigkeit 
nur halbwegs anstrengende Arbeit zu verrichten; Schwerfälligkeit im 
Denken und ziemlich grosses Schlafbedürfnis. Der Appetit ist sehr 
gering, M. kommt angeblich mit wenig Nahrung aus, vermehrtes 
Durstgefühl besteht nicht. Stu’hlentleerung und Wasserlassen in 
Ordnung. 

Befund: Auffallend alabasterartig blass aussehender, 161 cm 
grosser, 60,5 kg schwerer Mann von leicht femininem Typ. Die Haut 
ist kühl und trocken und zeigt an der Hals-, Brust-, Bauch- und Vor¬ 
derarmgegend klein- und grossfleckige Depigmentation (Vitiligo). Das 
Unterhautfettgewebe ist auf der Brust, am Bauch (stark ausgeprägte 
Querfalten) .-und am obersten Teil der Oberschenkel ziemlich stark 
entwickelt. (Der Umfang des Oberschenkels beträgt in der Höhe des 
Dammes 51,5 cm, 15 cm oberhalb der Kniescheibe 42,5 cm, dicht 
oberhalb der Kniescheibe 36 cm.) Der Haarwuchs des Schädeldachs 
ist auffallend dicht, dagegen ist der Schnurbart äusserst rudimentär 
und besteht nur aus wenigen seidenweichen, fast pigmentlosen Haaren. 
Bartwuchs am Backen ist nicht vorhanden, am Kinn sind spärliche 
flaumweiche Haare. Brust und Achselhöhle sind vollkommen frei 
von Behaarung, auch der Mons veneris trägt nur geringen Haar¬ 
wuchs. 

Seitens des Nervensystems bestehen keine krankhaften Stö¬ 
rungen der Sensibilität oder Motilität. Sämliche Reflexe sind in ge¬ 
höriger Weise auslösbar. Die Pupillen sind gleich gross, nicht ent- 
rundet und antworten prompt auf Lichteinfall und beim Naheblick. 
Sensorium frei. 

Gesichtszüge weich. Sehschärfe annähernd normal. Der Augeri- 
hintergrund ist pigmentarm, zeigt aber keinerlei sonstige pathologische 
Veränderungen. Das Gesichtsfeld ist frei. 

Hörvermögen: Flüstersprache r. = am Ohr, 1. = 6 m. Trommel¬ 
fell beiderseits getrübt (spezialärztliche Untersuchung: Erkrankung 
des inneren Ohres). 

Brustumfang 85,5:90 cm. Lunge gehörig. 

Herzgrenzen regelrecht, Töne leise, aber rein; 2. Aortenton etwas 
akzentuiert. Puls regelmässig, klein, weich; R.P. = 58, nach 10 Knie¬ 
beugen 100, 2 Minuten später 56. Blutdruck 65/80 R.R. Leib weich, 
nirgends'druckempfindlich, ziemlich starker Pannioulusiadiposus, Leber 
und Milz nicht vergrossen; Mageninhalt nach Probefrühstück gut ver¬ 
daut; L. - 25, A. = 36. S. = 0. 

Hoden von Haselnussgrösse, Penis hochgradig atrophiert, Pro¬ 
stata klein, kaum tastbar; wenig Schamhaare. 

Urin frei von Eiweiss und Zucker. 

Blutbefund: Hämoglobin 70 Proz., rote Blutkörperchen 3 000000. 
Färbeindex 1,1, weisse Blutkörperchen 4600, Polynukleäre 50 Proz., 
Lymphozyten 44 Proz., Uebergangszellen 1 Proz., Mastzellen 1 Proz., 
Eosinophile 4 Proz. Keine Poikilozytose, keine Polychromatophilie. 

Weder auf Zulage von 200 g Traubenzucker früh nüchtern, noch 
auf Injektion von 1 mg Adrenalin Auftreten von Glykosurie. 

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24 . September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1083 


Die tägliche Harnmenge schwankt zwischen 1600 und 1800 ccm, 
hei 1800—2000 ccm Wasseraufnahme, das spezifische Gewicht betrug 
1010—1016. Die Temperatur bewegte sich zwischen 36,5 und 37,5° 
(rektal). Attacken von Hyperpyrexie wurden nie beobachtet. 

Röntgenaufnahme des Schädels (Prof. Dr. Rieder): Die Sella 
turcica ist auffallend klein. Die Processus clinoidei post, sind ver¬ 
wachsen und erscheinen verdickt. (Kallus). 

Kurz zusammenfassend zeigte also vorliegender Fall folgende 
mehr oder weniger charakteristische Krankheitszeichen der Dystrophia 
adiposo-genitalis: 

a) subjektive: Dauernd Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, all¬ 
gemeine Mattigkeit, Schwerfälligkeit im Denken, Schlafbedürfnis. 
Mangel jeglicher Libido sexualis. Erschwerung der Tränen- und 
Schweisssekretion, Lymphozytose. 

b) objektive: Hochgradige Atrophie des Hodens. Penis und 
der Prostata. Adipositas mit ganz bestimmtem Typ der Fettvertei¬ 
lung. Ausfallen der Bart-, Brust- und Achselhaare. Trockene 
schiefernde Haut. Herabsetzung des Blutdrucks und des Hämoglobin¬ 
gehaltes. Erhöhte Kohlehydrattoleranz, Ausbleiben der glykosu- 
rischen Wirkung des Adrenalins. 

An weiteren mehr oder minder häufigen Begleiterscheinungen 
hypophysärer Dystrophie, die von verschiedenen Autoren beobachtet 
wurden, hier aber fehlten, wären noch zu nennen: 

Polyurie, Polyphagie, Tachykardie, subnormale Temperaturen, 
Attacken von Hyperpyrexie, Drucksymptome seitens der Nervi optici, 
Eosinophilie. 

Was endlich die 2 Jahre nach dem Unfall beginnende partielle 
Depigmentation der Haut (Vitiligo) anbetrifft, so muss die Frage offen 
bleiben, ob dieselbe in einem ätiologischen Zusammenhang mit der 
Hypophysenschädigung (konsekutive Affektion anderer innersekre¬ 
torischer Drüsen?) zu bringen ist, oder nur ein zufälliges Zusammen¬ 
treffen darstellt. In der einschlägigen Literatur finden sich hierüber 
noch keine Beobachtungen 

Ein Fall von gebesserter Dupuytrenscher Kontraktur. 

Von Dr. Bruno Qriessmann in Nürnberg. 

Die guten Erfolge, welche ich mit der von P. G. Unna [1] an¬ 
gegebenen Narbenbehandlung vermittels der Pepsindunstumschläge 
bei einer grossen Reihe von wulstigen und hypertrophischen Narben, 
sowie bei Narbenkontrakturen nach Verwundungen erzielte und die 
günstige Nachprüfung der Amend sehen Mitteilung über die Be¬ 
handlung hartnäckiger Initialsklerosen mit Pepsln-Salzsäure-Um- 
schlägen [2], veranlassten mich, die Brauchbarkeit dieser Methode 
bei einem veralteten Fall D u p u y t r e n scher Kontraktur zu ver¬ 
suchen. 

Nachdem es Unna [3] gelungen war, aus den intakten Mem¬ 
branen der Hornzellen durch einfache Osmose ihren Inhalt, der zu 
einem grossen Teile aus leichtlöslichen Albumosen besteht, heraus¬ 
zulösen, lag es ausserordentlich nahe, die Tiefenwirkung der 
Verdauungsflüssigkeit noch weiter auszunutzen, um durch 
die intakte Hornschicht hindurch die Schrumpfungs- und Entzündungs¬ 
vorgänge der tieferliegenden Gewebsteile nachhaltig zu beeinflussen. 

Ich verwandte im Anschluss an die Empfehlung Unnas einen 
Priessnitzschen Umschlag, in welchem das Wasser durch 
eine Pepsin-Salzsäurelösung ersetzt ist. Der Umschlag wurde nur 
nachtsüber angelegt, während des Tages gebrauchte der Patient seine 
Hand wie gewöhnlich. 

Als Verdauungsflüssigkeit benutzte ich anfangs eine Lösung: 

Rp. Acidi muriatici 2,0 

, Pepsini 20,0 

Aq. dest. ad 200,0 

M. D. S. 

Als schon nach 2 Wochen eine wesentliche, subjektiv und ob¬ 
jektiv deutlich wahrnehmbare Besserung der Dupuytren sehen 
Kontraktur eingetreten war, erhöhte ich auf Wunsch des Patienten, 
um die Heilung zu beschleunigen, die Konzentration der Salzsäure 
auf 3,0, die des Pepsins auf 30,0. 

Krankengeschichte: Adolf Z., 51 Jahre, Arbeiter, erlitt am 25. IX.16 
einen Unfall, wobei er sich die rechte Hohlhand an der Kurbel eines 
Schwungrades gestossen hatte. Daraufhin entstand nach einigen 
Wochen ein Knoten von Erbsengrösse in der Beugefalte des Ansatzes 
des rechten Mittelfingers. Der Unfall wurde angemeldet. Pat. ar¬ 
beitete aber mit einem Handleder weiter. Die Arbeit bestand im 
Einziehen von grossen Sperrbolzen im Zünder. Dazu gebrauchte 
Pat. einen Schraubenzieher, den er mit grosser Anstrengung drehen 
musste. Infolgedessen verschlimmerte sich sein Leiden. Es stellten 
sich Schmerzen in der rechten Hohlhand ein und sämtliche Finger mit 
Ausnahme des Daumens wurden krumm und stark nach der Hohlhand 
zu gebeugt. 

Behandlung bei einem Chirurgen im Dezember 1916, bestehend 
aus Massage und Uebungen, brachte keine Besserung. Anfang No¬ 
vember 1917 stellte ich folgenden objektiven Befund fest: 

Sämtliche vier Finger der rechten Hand stehen in Beugekon¬ 
traktur in einem Winkel von 120° gegen die Hohlhand. Streckung 
darüber hinaus ist nicht möglich, dagegen guter Faustschluss. In der 
Hohlhand verschiedene quer- und längsverlaufende derbe, wulstartig 
hervorspringende Stränge. Besonders die Gegend der Sehnenscheide 

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des rechten Mittelfingers springt stark gegen die Hohlhand vor und 
erscheint am Fingeransatz knotig verdickt. 

Behandlung: Pepsin-Salzsäuredunstumschläge. Ende Novembe*- 
1917, also nach knapp 4 Wochen, sind Zeigefinger und kleiner Finger 
bereits vollkommen beweglich. Sie können aktiv und passiv völlig 
gestreckt und gebeugt werden. Auch die Beweglichkeit des 3. und 
4. Fingers hat sich sehr gebessert. Es fehlen an ihrer völligen Streck¬ 
fähigkeit jedoch noch etwa 40°. Die Verdickungen und Strä*^ der 
geschrumpften Fascia palmaris der Hohlhand haben sich bedeutend 
zurückgebildet, insbesondere springt die Sehnenscheidengegend des 
3. Fingers nicht mehr so stark wie vor der Behandlung in die Hohl- 

^<in^ r«»* 

Der Pat. wurde von seiner Krankenkasse einem Facharzt für 
Chirurgie (San.-Rat Dr. B o 11 - Berlin) zur Begutachtung überschickt, 
welcher am 3. XII. 17 die Diagnose der D u p u y t r e n sehen Kon¬ 
traktur entsprechend den Beugesehnen des 3. und 4. Fingers bestätigte 
und dem der Pat. angab. dass sich durch Umschläge das Leiden ge¬ 
bessert habe. San.-Rat Dr. B o 11 bestimmte daraufhin, dass er nach 
Ablauf von 14 Tagen versuchsweise die Arbeit wieder aufnehmen 
solle. , 

Zusammenfassung: Ein Fall von Dupuytren scher Kon¬ 
traktur der rechten Hand wird innerhalb 6 Wochen durch nächtliche 
Pepsin-Salzsäuredunstumschläge auffallend gebessert, so dass der 
Pat. rasch wieder arbeitsfähig wird. 

Literatur. 

1. P. G. Unna: Kriegsaphorismen eines Dermatologen. .Berlin 
1917. Verlag von A. Hirschwald. XXX. Pepsin bei Behandlung 
von Narben und Elephantiasis. S. 123. — 2. Ph. Amend: Dcrm. 
Wschr. 1916 S. 307. — 3. Unna und Merian: Arch. f. Derm. u. 
Sy.ph. 111. 1911. 

Eine Kritik der gegenwärtigen medizinischen Unterrichts¬ 
methode und ein Plan zu ihrer zweckdienlichen Um¬ 
gestaltung. 

Von Prof. Dr. Robert Stigler in Wien. 

Weit mehr als in der guten alten Friedenszeit kommt es heute 
und in Zukunft uns Deutschen darauf an, Zeit und Kraft möglichst 
zweckdienlich zu verwenden, in möglichst kurzer Zeit eine möglichst 
gediegene Arbeit zu leisten. Es lässt sich indessen leicht beweisen, 
dass unser medizinischer Unterricht von der Erfüllung dieser Forde¬ 
rung weit entfernt ist. Der Erfolg des gegenwärtigen medizinischen 
Studiums entspricht durchaus nicht der darauf verwendeten Zeit; der 
neugebackene Arzt hat in der Regel weder ein für seinen Beruf hin¬ 
längliches positives Wissen, noch besitzt er die hietür unentbehrlichen 
ärztlich-technischen Fertigkeiten. Schuld an diesem Uebelstande ist 
der Unterricht selbst; denn er ist im grossen und ganzen mehr auf 
die äusserliche Erledigung eines bestimmten Programmes als auf 
dessen innerliche Verarbeitung gerichtet und fast durchaus unpäda¬ 
gogisch. 

Das Grundübel unseres medizinischen Unterrichtes besteht meiner 
Meinung nach darin, dass das Hauptgewicht desselben auf den 

A. Vorlesungen 

beruht. 

Mögen die Vorlesungen noch so vorzüglich, reichhaltig und an¬ 
regend sein, mögen sie noch so zahlreiche und wohlgewählte Demon¬ 
strationen enthalten: als Unterrichtsmittel erfüllen sie ihren Zweck 
doch nur dann, wenn sie mit Diskussionen, Repetitorien oder prak¬ 
tischen Uebungen verbunden sind. Vorlesungen ohne Wechselrede 
eignen sich im allgemeinen nur für wissenschaftliche Zwecke und für 
zusammenfassende Darstellungen eines den Hörern wenigstens in den 
Grundzügen bereits bekannten Stoffes. 

Die Mängel, welche unseren diskussionslosen Vorlesungen an¬ 
haften, sind folgende: 

1. Wenn der Hörer etwas nicht verstanden hat. so kann er sich 
nicht durch eine sofortige Anfrage beim Lehrer Aufklärung verschaffen 
und verliert deshalb das Verständnis für den folgenden Teil der Vor¬ 
lesung. 

2. Der Lehrer überzeugt sich nicht durch Anfragen an die Hörer, 
ob er auch wirklich richtig verstanden worden ist. 

3. Ein überaus wichtiger Mangel bei diskussionslosen Vorlesungen 
besteht darin, dass dem Hörer alle Schlüsse, welohe aus den vorge¬ 
tragenen Tatsachen und den vorgeführten Demonstrationen und Ex¬ 
perimenten zu ziehen sind, vom Lehrer vorgesagt werden, statt dass 
sie der Hörer selbst zöge. Statt dass der Unterricht dazu diente, 
den Hörer zu selbständiger Beobachtung und zu selbständigem physio- 
medikologischen Denken zu erziehen, ist er in seiner gegenwärtigen 
Form vielmehr geeignet, Oberflächlichkeit upd Denkfaulheit zu unter¬ 
stützen. 

4. Vorlesungen ohne Weohselrede ermüden, besonders wenn sie, 
wie beim gegenwärtigen Unterricht, einander stundenlang folgen, auch 
einen aufmerksamen Hörer bald in solchem Masse, dass er nicht weiter 
zu folgen vermag. 

5. Wie die Erfahrung lehrt, leistet man weit mehr, wenn man 
mehrere Stunden hintereinander mit ein und derselben Sache be- 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1084 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


schäftigt ist, als wenn man, wie es unser Vorlesungsbetrieb vom 
Hörer verlangt, jede Stunde etwas anderes betreibt. Ein grosser Teil 
der Hörer, welcher von Vorlesung zu Vorlesung eilt und den grössten 
Teil des Tages rein passiv, statt selbsttätig verbringt, huldigt eigent¬ 
lich einem geschäftigen Müssiggahge. 

6. Es ist gegenwärtig üblich, die theoretischen Fächer kapitel- 
weise mit allen Details zu behandeln, ehe der Hörer einen Ueberblick 
über die Grundzüge derselben Disziplin und deren Zusammenhang er¬ 
worben hat; dadurch wird bewirkt, dass der Hörer aus den Vor¬ 
lesungen in der Regel bestenfalls ein flüchtiges, gedächtnismässiges 
Detailwissen nach Hause trägt, das er mangels Assoziationen und 
mangels Verständnisses für die Bedeutung der memorierten Tatsachen 
rasch wieder vergisst. Selbst wohlverstandene Teile des Lehrstoffes 
werden rasch vergessen, wenn sie nicht durch vielfache Assoziationen 
mit anderweitigen Erfahrungen verknüpft werden. Deshalb kann auch 
die vorzüglichste Vorlesung dem Hörer keinen Ersatz für eigene 
praktische Erfahrung bieten. 

B. Der zweite Hauptbehelf des gegenwärtigen medizinischen 
Unterrichtes sind die praktischen Uebungen. Dass diese 
gänzlich unzulänglich sind, braucht wohl nicht erst bewiesen zu 
werden. Die anatomischen Uebungen sind im allgemeinen zu sehr 
auf ein für die ärztliche Tätigkeit nutzloses Detailwissen angelegt. 
Die physiologischen Uebungen enthalten, wie ein Blick auf die 
zahlreichen „Leitfäden für das physiologische Praktikum“ zeigt, zum 
grössten Teile Experimente, welche zwar für den Fachphysiologen 
interessant, für den praktischen Arzt aber bedeutungslos sind, und nur 
einen sehr geringen Teil des unerschöpflichen Stoffes, welchen die 
Klinik der praktischen Physiologie entlehnt. Die praktischen Uebungen 
in den klinischen Fächern, ganz besonders das Praktizieren 
während der Vorlesung, sind als Unterrichtsbehelfe kaum ernst zu 
nehmen; ihre Vernachlässigung steht mit dem Endzweck des medi¬ 
zinischen Unterrichtes, der Heranbildung von praktischen Aerzten, in 
krassestem Gegensätze. Mit Rücksicht darauf hat R. Kutner 1 ) 
beim XII. internationalen med. Kongress in London (August 1913) 
die obligatorische Einführung ärztlich-technischer Uebungen für not¬ 
wendig erklärt. 

Weit besser als der offizielle Unterricht bewährt sich der in¬ 
offizielle: Einpaukkurse, welche von Hilfskräften oder sogar von 
Dienern für Prüfungskandidaten gehalten werden. Jene Studenten, 
welche es mit ihrer medizinischen Ausbildung ernst nehmen und nicht 
bloss für die Prüfungen studieren, bedienen sich auch noch eines 
zweiten inoffiziellen Unterrichtsmittels, indem sie als Famuli bzw. 
Hospitanten in Institute oder Spitäler eintreten; sobald sie dies 
tun, müssen sie natürlich die Vorlesungen schwänzen. Gewissen¬ 
hafte medizinische Ausbildung ist also dem Studenten in der Regel 
nur um den Preis der Verletzung seiner offiziellen akademischen 
Pflichten möglich. 

Der geringe pädagogische Wert des offiziellen medizinischen 
Unterrichtes könnte leicht durch ein Experiment dargetan werden. 
Würden alle Vorlesungen und offiziellen Uebungen eingestellt, so dass 
die Studenten nur die inoffiziellen Kurse besuchen könnten, so würde 
dies den Durchschnittserfolg der Prüfungen kaum wesentlich beein¬ 
flussen; würden aber, umgekehrt, statt der Vorlesungen und offiziellen 
Uebungen alle inoffiziellen Kurse eingestellt, so würde dies aller Wahr¬ 
scheinlichkeit nach geradezu mit einer Katastrophe endigen, indem der 
weitaus überwiegende Teil der Hörer bei den Prüfungen versagen 
würde. 

Meine Kritik gilt in erster Linie für die grossen Universitäten; 
an den kleinen kommt der offizielle Unterricht gelegentlich einem 
individualisierenden Kursbetriebe nahe. 

Aus obigen Betrachtungen ergeben sich für die unerlässliche Re¬ 
form des medizinischen Unterrichtes folgende Leitsätze: 

1. An die Stelle des gegenwärtigen Vorlesungsmassen- 
Unterrichtes soll ein diskussionsweiser Gruppenunterricht treten. 
Die Hörer sollen, der Anzahl der verfügbaren Hilfstehrkräfte ent¬ 
sprechend, in möglichst kleine Gruppen geteilt und von den Hilfs¬ 
lehrkräften im Wechselgespräch und unter fortgesetzter wiederholen¬ 
der Zusammenfassung des bereits gelehrten Stoffes mit besonderer 
Betonung der Wechselbeziehungen der einzelnen Tatsachen zu selb¬ 
ständiger Beobachtung und physio-rnedikologischem Denken erzogen 
und mit den für die ärztliche Praxis wichtigsten diagnostischen und 
therapeutischen Methoden vertraut gemacht werden. Das Haupt¬ 
kolleg des Ordinarius soll sich, womöglich unter Zuhilfenahme von 
Diskussionen, auf die Zusammenfassung des den Hörern bereits durch 
den Gruppenunterricht vertraut gemachten Lehrstoffes beschränken. 

2. Der Unterricht soll das Hauptgewicht auf das Verständnis 
der Grundlagen der im Lehrplan vorgesehenen medizinischen Diszi¬ 
plinen und ihrer Wechselbeziehungen legen, Details sollen auf das 
unerlässliche Minimum beschränkt werden. 

3. Der Unterricht soll in jeder Disziplin mit der zusammenfassen¬ 
den Darstellung der Grundtatsachen beginnen, damit der Hörer voraus 
einen Ueberblick gewinne; dann erst soll mit der detaillierten Be¬ 
sprechung der einzelnen Kapitel begonnen werden *). 


BR. Kutner: Ueber die Notwendigkeit einer Reform des 
Unterrichtes im Hinblick auf die Bedeutung der Technik im ärzt¬ 
lichen Berufe. Bericht des XII. Internat, med. Kongresses in London, 
herausgegeben von E. v. Gross und C. Adam, Berlin 1918. 

°) Man errichtet ja auch ein Wohnhaus, indem man zuerst Grund, 
Mauern und Dach baut und dann erst an die Einrichtung geht. Analog 

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4. Es soll beim theoretischen wie beim praktischen Unterricht 
vor allem darauf ankommen, dass der Hörer die sich aus dem vor¬ 
getragenen Lehrstoffe und den ausgeführten Untersuchungen ergeben¬ 
den Schlüsse selbst ziehe, statt dass sie ihm vom Lehrer vorgesagt 
werden. 

5. In den theoretischen Fächern soll das Hauptgewicht auf eigene 
Untersuchungen und Experimente der Hörer gelegt und der Zusammen¬ 
hang mit der ärztlichen Praxis besonders betont werden, damit der 
Hörer wisse, wozu er die einzelnen theoretischen Lehren braucht, 
und Assoziationen zwischen diesen und der ärztlichen Praxis gewinne; 
nur dadurch wird es gelingen, die für eine wissenschaftlich-ärztliche 
Tätigkeit unerlässlichen theoretischen Kenntnisse zu einem dauernden 
Besitze der Mediziner zu gestalten. 

6. Zur Ausbildung in den klinischen Fächern sollen die Studenten 
in Gruppen in alle für den Unterricht geeigneten Spitäler verteilt 
und daselbst unter Kontrolle des Leiters der betreffenden Abteilung 
von Assistenten und Hilfsärzten theoretisch und praktisch ausgebildet 
\Verden. Die klinischen Kollegien sollen zu solchen Stunden abge¬ 
halten werden, dass sie mit der gruppenweisen praktischen Aus¬ 
bildung der Hörer an den Spitälern nicht kollidieren. 

7. Der Unterricht soll nicht jede Stunde den Gegenstand wechseln, 
sondern der ganze Vor- oder Nachmittag der gleichen Disziplin ge¬ 
widmet werden (vgl. Lehrplan am Schlüsse dieser Abhandlung). Eine 
solche Zeiteinteilung hätte auch den Vorteil, dass man neue theo¬ 
retische Institute nicht unbedingt in der nächsten Nähe der Universität 
zu errichten brauchte, weil die Hörer nicht alle % Stunden in ein 
anderes Institut laufen müssten, um dort Vorlesungen zu hören. 

8. Prüfungen. Für die Qualifikation der Studenten soll in 
erster Linie das Kalkül der den Gruppenunterricht besorgenden Hilfs¬ 
lehrkräfte massgebend sein. Die Schlussprüfung durch den Ordinarius 
soll den Hörer zu zusammenfassender Wiederholung der bereits im 
Gruppenunterricht errungenen Kenntnisse veranlassen und nebstdem 
auch dem Ordinarius zur Kontrolle des Gruppenunterrichtes und der 
Hilfslehrer selbst dienen. 

9. Bei der Erteilung der Venia legendi und des Professortitels soll 
die Lehrtätigkeit der Kandidaten in weit höherem Grade als bisher in 
Betracht gezogen werden. Wer keine pädagogischen Fähigkeiten oder 
keine Lust und Geduld zum Lehren hat. kann wohl ein vorzüglicher 
Gelehrter sein, eignet sich aber nicht zum akademischen Lehrer. 

Der grössere Bedarf an Lehrkräften für den Gruppenunterricht 
würde den Assistenten, Dozenten und Extraordinarien (besonders jenen 
der theoretischen Fächer) zugute kommen, die Einsicht von der Not¬ 
wendigkeit eines intensiveren Unterrichtes eine bessere Besoldung 
der akademischen Lehrer rechtfertigen und erheischen. Ausserdem 
würde bei Unterweisung der Studenten durch Hilfslehrkräfte der 
gegenwärtigen Ueberbürdung der Ordinarii durch den Unterricht we¬ 
nigstens teilweise gesteuert werden, so dass diese ihre kostbare Zeit 
in grösserem Ausmasse ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeit zu¬ 
wenden könnten. 

Bezüglich des Unterrichtes in den einzelnen Fächern möchte ich 
folgendes hervorheben: 

l.Im physikalischen Unterricht soll das Hauptge¬ 
wicht auf ein obligates Praktikum gelegt werden, in welchem die 
Hörer durch eigene Experimente Verständnis für die physikalischen 
Grundlagen der wichtigsten physiologischen und pathologischen Er¬ 
scheinungen zu erringen hätten. 

2. Beim physiologischen Unterricht sollen vor allem 
jene Abschnitte der Physiologie gelehrt werden, welcher der Mediziner 
zum Verständnis seiner künftigen Berufstätigkeit bedarf. Die physio¬ 
logischen Funktionen sollen die Hörer, soweit als möglich, durch eigene 
Untersuchungen kennen lernen, und zwar sollen beim physiologischen 
Praktikum vor allem Untersuchungen am Menschen vorgenommen 
werden, Ausfallserscheinungen sollen nicht, wie bisher, nur an ope¬ 
rierten Tieren, sondern womöglich an kranken oder verletzten Men¬ 
schen gezeigt werden, z. B. soll die Funktion bestimmter Hirnteile 
durch die nach entsprechenden Schussverletzungen auf tretenden 
Ausfallserscheinungen demonstriert werden. Hierzu empfiehlt 
es sich, an physiologische Institute Krankenabteilungen auzu- 
schliessen. die unter der Leitung eines Hilfsarztes stehen 
und ihr Material samt Diagnose von Kliniken beziehen. Da¬ 
für sollen alle für den Arzt wertlosen veralteten Bestand¬ 
teile der gegenwärtigen physiologischen Praktika, z. B. die elektro- 
physiologischen Froschversuche (Elektrotonus, paradoxe Zuckung etc.), 
weggelassen werden. Das Verständnis der physikalischen Grund¬ 
lagen physiologischer Vorgänge soll durch ausgiebigen Gebrauch 
guter Modelle vermittelt werden. 

3. In experimenteller Pathologie, Pharmakologie und Hygiene 
sollen ebenfalls obligate Praktika eingeführt werden, was vielfach 
auf Kosten eines allzu detaillierten theoretischen Unterrichtes möglich 
wäre. 


dem gegenwärtigen Unterrichtssystem aber wäre es, zuerst den 
untersten Stock allein zu bauen und mit allen Möbeln einzurichten, 
dann die weiteren Stockwerke darauf zu bauen und wieder einzu¬ 
richten und erst zum Schlüsse das Dach darauf zu setzen. Einem 
derartigen Bau würde ein gleicher Erfolg beschieden sein, wie dem 
gegenwärtigen medizinischen Unterricht: ehe noch das Dach darauf- 
gesetzt würde, würden die Einrichtungsgegenstände und die Grund¬ 
festen des Hauses selbst zugrunde gegangen sein. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




24 . September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1085 


Betreffs der Zeiteinteilung schlage ich folgende medizinische 
Studienordnung vor: 



Vormittags 1 Nachmittags 

1. Semester 

an 

Physik | Chemie 

i Ende des I. Semesters Prüfung aus Physik und Chemie. 

II. Semester 

Anatomie 

Histologie (und Embryologie) 

111. Semester 

Anatomie (und Histologie) 

Physiologie 

IV. Semester 
am Ende d« 

V. Semester 

Anatomie (und Histologie) 
i IV. Semesters Prüfung aus J 

Physiologie 

Vnatomie, Histologie und Physiologie. 

interne Medizin (praktisch) 

pathologische Anatomie und Histologie 
täglich 2 Stunden 

experimentelle Pathologie tägl. 2 Stund. 

VI. Semester 

in'erne Medizin 
(Praktikum und Vorlesung) 

pathologische Anatomie und Histologie 
täglich 2 Stunden 

experimentelle Pathologie tägl. 2 Stund. 

VII. Semester 

Pldiatrie (3 Vormittage) 
Psychiatrie und Neurologie 
(3 Vormittage) 
Vorlesung aus interner 
Medizin 

am Ende des VII. Seme 

Pharmakologie 3malwöchentl je 3 S:d., 

1 Kurs aus pharmazeutischer Technik, 

1 Rezeptierkurs, 1 Impfkurs, 1 Kurs über 
Krankenpflegetechnik 2 mal wöchentlich 
je 3 Stunden. Vorlesung aus Psychiatrie 
und Neurologie wöchentlich 3 Stunden, 
sters II. Rigorosum. 

VIII. Semester 

Chirurgie 

Dermatologie u. Syphilis, 1 Verbandkurs, 

1 radiologischer Kurs, 1 Zahnheilkurs 

IX. Semester 

Chirurgie (3 Vormittage in 
der Woche), Augenheilkunde 
(an den übrigen 3 Vormitt.) 

Hygiene, gerichtliche Medizin, 
Operationskurs, Augenspiegelkurs 

X. Semester 

Oynäkologie u. Gebuttshllfe 
chirurgische Vorlesungen 

Gynäkologie und Oeburtshilfe, laryngo- 
logischer Kurs, otologischer Kurs 

XI. Semester 

Wiederholungskurse u. Hl. Rigorosum samt der neu ein¬ 
zuführenden Schluss ubersichtsprüfung. 


Zur Erprobung einer nach obigen Prinzipien gehaltenen Unter¬ 
richtsreform eignen sich folgende Wege: 

1. Von Extraordinariis und Dozenten abzuhaltende, mit dem 
bisherigen Unterricht parallel laufende, gruppenweise Diskussionsvor¬ 
lesungen und neugestaltete praktische Uebungen. 

2. Die Einführung des Reformunterrichtes bei Neubesetzungen von 
Lehrkanzeln und bei der Gründung neuer Institute. 

3. Die Gründung von medizinischen Reformhochschulen, 
ev. (wie in England und Amerika) aus privaten Mitteln. 

Bezüglich näherer Angaben über die Unterrichtsreform und über 
den medizinischen Unterricht im Auslande verweise ich auf meinen 
„Entwurf eines neuen medizinischen Lehrplane s“, 
W.m.W. 1918 Nr. 16—22, als Sonderdruck erschienen im Verlag von 
M. Perl es-Wien und auf meine Abhandlung: „Wie kann die 
Neugestaltung des medizinischen Unterrichtes durchgeführt werden?“ 
W.m.W. 1918 Nr. 32. 


BQcheranzeigen und Referate. 

Chirurgie im Felde. Herausgegeben vom K. u. K. 2. Armee¬ 
kommando. Preis 6 Kronen. 

Das vorliegende Buch stellt einen für die Aerzte der K. u. K. 
2. Armee bestimmten Leitfaden dar, zu dem Chirurgen der 2. Armee 
die Beiträge geliefert haben. 

Im allgemeinen Teil werden die Schussverletzungen und ihre 
Behandlung besprochen. „Da die Schussverletzungen des Krieges 
in einer so grossen Menge primär infiziert sind“, so fällt bei ihrer 
Behandlung die chirurgische Abstinenz im Sinne v. Bergmanns 
weg und tritt die chirurgische Antiseptik in Kraft (Ruhigstellung der 
verletzten Teile, Blosslegen der Wunden, Sorge für guten Abfluss des 
Sekrets, Entfernung von Fremdkörpern). Besonders wertvoll ist das 
Chloren der Wunden mittels der D a k i n sehen Lösung. — Bei Schuss¬ 
frakturen wird empfohlen Erweiterung von Ein- und Ausschuss, Aus¬ 
räumen sichtbarer Tuchfetzen, Metallsplitter und der losen Knochen¬ 
splitter; „die Entfernung der abgesprengten Knochen ist eine der 
wichtigsten Aufgaben der Operation“. In dieser Beziehung stehen 
die Verfasser, wie sie selbst zugeben, im Gegensatz zu anderen 
Autoren. 

Für die Amputation, die im Felde oft innerhalb infizierten Ge¬ 
webes zu erfolgen hat, werden empfohlen 2 seitlich an korrespon¬ 
dierenden Stellen dem Querschnitt angefügte Längsschnitte, bis auf 
den Knochen dringend und 2 substanzreiche Lappen begrenzend; Ab¬ 
lösung derselben vom Knochen, Absägen entsprechend der Lappen¬ 
basis. 

Der Gasbazilleninfektion ist ein breiter Raum gewidmet; auch 
Erfrierung und Granatschock sind gebührend gewürdigt. 

Im speziellen Teil finden wir eingehende Schilderung der ein¬ 
zelnen Verletzungen und zwar hinsichtlich ihrer Entstehung, Erschei¬ 
nungen und Behandlung; regelmässig ist die so wichtige Indikation 
zum Transport und die Art des letzteren angegeben. — Auf die 
Technik der typischen Operationen wird nicht eingegangen. 

Das Buch besitzt ein handliches Format, der Stoff ist auf Grund 
neuester Erfahrungen eingehend und übersichtlich behandelt. Es 
kann deshalb allen im Felde tätigen Kollegen bestens empfohlen 
werden. Schönwerth. 

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J. Schwalbe: Diagnostische und therapeutische Irrtümer 
und deren Verhütung. Heft 5. Krankheiten der Harnorgane von 
A. v. Koranyi. Impotenz und krankhafte Samenverluste von 
P. Fürbringer. Leipzig 1918 bei G. Thieme. 180 Seiten 
gross 8° mit 17 Textabbildungen. 6 M. ungeb. -4- 25 Proz. Teue¬ 
rungszuschlag. 

Die Abhandlung von A. v. Koranyi ist ein Meisterwerk. Auf 
dem knappen Raum von 150 Seiten ist alles Wesentliche, was zum 
Thema gehört, in klarer Darstellung zusammengedrängt, dabei eine 
staunenswerte Fülle eigener, zum Teile ganz neuer, Gesichtspunkte 
gegeben. Die Abhandlung ist eine für den Praktiker geradezu ideale 
Ergänzung seines Wissens und seiner Lehrbücher. Aus der Fülle 
des Wissenswerten, die das Buch bringt, seien nur einige Abschnitte 
als besonders wichtig hervorgehoben: die über Polyurie, Nykturie, 
den hyperglykämischen Diabetes insipidus, die Hypertonie (unsere 
üblichen Instrumente messen nicht den „Blutdruck“!), über die Er¬ 
nährung der Nierenkranken, über Morphium und Digitalis bei 
Nierenkrankbeiten über Nierenperkussion (die, nach v. Koranyis 
Methodik ausgeübt, sehr viel leistet), über Nierendystopien usw. 
Selten findet man grösstes theoretisches Wissen und Sinn für die 
Anforderungen der Praxis so glücklich vereint wie hier. Auch da¬ 
von v. Blaskovics verfasste Abschnitt über die Augenverände¬ 
rungen bei Nierenkrankheiten und die Abhandlung Fürbringers 
über Impotenz und krankhafte Samenverluste sind sehr interessante, 
lesenswerte Stücke. Kerschenstein er. 

Neueste Journalllteratur. 

Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und 
Chirurgie^ 30. Band, Heft 3. 

Heinz Walther: Erfahrungen mit Optochin bei chirurgisch 
Erkrankten. 

17 Fälle (meist Kinder) wurden mit 0. behandelt, wobei post¬ 
operative Lungenprozesse günstig beeinflusst erschienen. Bei 
Pneumokokkenperitonitis wurde kein Erfolg gesehen. Neben¬ 
wirkungen fehlten. 

Elisabeth Kind: Blutbefunde bei endemischem Kretinismus. 

Bei 45 untersuchten Fällen fand sich absolute und relative 
Lymphozytose, verbunden mit neutrophiler Leukopenie. Es steht 
dahin, ob mehr das konstitutionelle Moment oder die Krankheit selbst 
die Lymphozytose bedingt. Vor übertriebener Betonung des Blut¬ 
bildes wird gewarnt. 

D. Gerhardt: Ueber Empyembehandlung mit Saugdrainage. 

Bericht über 20 nach Hahn-Massini behandelte Fälle. 
Beste Aussichten bei metapneumonischem Empyem. Entfernung des 
Drains nach Röntgenuntersuchung. Gefahr der Unsicherheit des voll¬ 
ständigen Eiterabflusses infolge Lage und Fixierung des Drains inner¬ 
halb der Pleura. 

Felix Boenheim: Ueber Anomalien im ventralen Rumpf Ver¬ 
schluss als Ursache der Hernla epigastrlca. 

Die Hernia epigastrica wird als kongenitale Missbildung, die 
fast immer mit einer Spaltung des Processus ensiformis verbunden 
ist, angesehen. Die Annahme einer traumatischen Entstehung lässt 
sich nicht mehr halten. 

Otto Hess: Ueber Schussverletzung des Zwerchfells und chro¬ 
nische Zwerchfeilhernien. 

Beitrag zur Kasuistik und Symptomatologie. 6 Fälle. 

Werner Schulze: Ueber das Auftreten toxischer Kiefer¬ 
nekrosen Infolge antiluetischer Behandlung. 

5 Fälle, ein Fall nach lokaler zahnärztlicher Arsenbehandlung, 
4 nach antiluetischer Behandlung. Die Nekrosen sind mit Sicherheit 
auf den Gebrauch von Quecksilberpräparaten (bes. Merzinol) zurück¬ 
zuführen. Durch geeignete Massnahmen lassen sich die Schädigungen 
vermeiden. Eine Kiefernekrose nach Salvarsan kommt nicht vor, 
im Gegenteil ist S. in manchen Fällen von Stomatitis eher von 
Nutzen. 

C. Ritter: Ueber die Ursache der Neubildung von Lymph- 
drüsen. 

Beitrag zur Streitfrage, unter welchen Bedingungen Lymph- 
drüsenneubildungen Vorkommen. Ablehnung der Ersatzlymphdriisen 
und neue Belege für die Reiztheorie. 

Hermann Schlesinger: Ueber die akute eitrige Osteo¬ 
myelitis vertebrarum mit multiplen Wurzelläsiooen. 

Kasuistischer Beitrag mit Obduktionsbefund 

W. Grob ly: Ueber das Nukleoproteid der Schilddrüse. 

Die Verbitterung von Nukleoproteid an Hunde ergibt charak¬ 
teristische Veränderungen der Schilddrüsen. Das N. ist diejenige 
Komponente des Schilddrüsenkolloids, welche dessen Konsistenz er¬ 
höht und die Löslichkeit vermindert. Mangelhafte Bildung von N. 
führt zu Hypothyreose. Es bestehen Beziehungen zwischen Schild¬ 
drüsensekretion und Phosphorstoffwechsel, die besonders bei Basedow 
in Erscheinung treten und bei der Therapie beachtet werden müssen. 
Näheres im Original. 

Graf Haller: Die Mechanik des Liquor cerebrospinalis. 

Ausgehend von den P r o p p i n g sehen Anschauungen hat Verf. 
vor allem am Lebenden die Mechanik des Liquor cerebrospinalis 
studiert. Leichenversuche wurden aufgegeben, weil der Druck sich 
nach dem Tode erheblich zu ändern scheint. Die Druckver- 

Qriginal from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1086 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


hältnisse werden wesentlich komplizierter beschrieben, als bei 
P r o p p i n g. Einzelheiten sind im Original nachzulesen. 

J. E. Kayser-Petersen. 

Bruns’ Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von Qarrfc, 

Küttner, v. Brunn. 112. Band. 2. Heft. (57. kriegschir. 
Heft.). Tübingen, Lau pp, 1918. 

G. R i c k e r und A. Harzer geben einen Beitrag zur Kenntnis 
der ödem, und gangränerzeugenden Wirkung anaerober Bazillen bei 
den Versuchstieren und beim Menschen, zunächst einen Vergleich 
zwischen der Wirkung der Oedembazillen und der Gasbrandbazillen 
bei den Versuchstieren und dem Menschen und dann in einer grossen 
Reihe Versuchen die Wirkung des Fränkelbazillus und des Oedem- 
bazillus je bei Versuchstieren und beim Menschen, sie nehmen dabei 
Stellung zu den Anschauungen, die die wichtigsten Autoren während 
des Krieges vertreten haben und geben Untersuchungen über die 
Disposition zur Wirkung der Gasbazillen, Wundinfektionsversuche, 
intermittierende Injektion der Bazillen nach vorheriger oder nachträg¬ 
licher Abbindung des Gliedes, sowie Versuche mit allgemeiner Be¬ 
einflussung des geimpften Tieres durch Blutentziehung, Chloral- 
hydratvergiftung und Nahrungsentziehung, welch letztere bzw. der 
Hungerzustand die schweren Veränderungen beschleunigt und selbst 
bei in verdünntem Zustand gegebenen Impfdosen sowohl bei Injektion 
als Wundinfektion die Wirkung erhöht. R. und H. führen die diffuse 
Hyperämie der Muskulatur im Hungerzustande auf Dilatatorenreizung 
bei gleichzeitiger Aufhebung der Erregbarkeit der Konstriktoren zu¬ 
rück, es ist dies derjenige Reizungszustand der Gefässnerven, der 
von den Stoffwechselprodukten der Bazillen verursacht, das Oedem — 
und bei Steigerung zum Stillstand — die Gangrän zur Folge hat. 
Disposition zur Wirkung und Wirkung der Bazillen spielen sioh zu¬ 
nächst am Nervensystem der Gefässe ab, und betrachten R. und H. 
Disposition, lokalen Prozess und Beteiligung des Gesamtkörpers 
unter diesem Gesichtspunkt. 

Drüner-Quierschied berichtet über de chirurgische Anatomie 
der Arteria vertebralis und gibt zu der Küttner sehen Arbeit in 
Bd. 108 der Beitr., der die Kenntnis und Beurteilung der Verletzungen 
der Vertebralis zu verdanken ist, in einigen Punkten Ergänzungen, 
indem er auf die topographische Anatomie des Gebietes näher ein¬ 
geht und unter Beigabe einer Reihe von Abbildungen die einzelnen 
Abschnitte des vertebralen Verlaufes unter Einschaltung kritischer 
Bemerkungen bespricht und Vorschläge für die Operation der Verte- 
bralisverletzungen und die dabei im Bereich des Operationsgebietes 
nötige Blutleere gibt. Bei der Aufsuchung der Vertebralis von ihrem 
Ursprung bis zum Querfortsatz des 6. Halswirbels ist nach Quer¬ 
durchtrennung des Kopfdreheransatzes am Schlüsselbein besonders 
die Nachbarschaft der Ganglien des Sympathikus und der von ihnen 
ausgehenden sympathischen Herznerven zu beachten. Dr. kommt 
zu dem Schluss, dass die Meinung, dass alle oder die meisten trau¬ 
matischen Aneurysmen der Operation bedürfen, nicht mehr zu Recht 
besteht, wir wissen, dass viele von ihnen zur Ausheilung kommen 
oder unverändert bleiben und so wenig Beschwerden verursachen, 
dass die operative Behandlung nicht am Platze wäre, wenn der 
Eingriff auch' nur geringe Gefahren mit sich brächte. Für die Opera¬ 
tion haben sich bestimmte Anzeigen herausgebildet (Beseitigung ört¬ 
licher Störungen [Druck auf Nervenstämme) oder allgemeiner Art 
[Gefahr des Durchbruches]). Soll die Operation unternommen wer¬ 
den, so ist abzuwägen, ob ihre Gefahr nicht grösser, als der be¬ 
stimmt zu erwartende Nutzen, jedenfalls ist die Operation so gefahr¬ 
los und unschädlich wie möglich zu gestalten. 

Kohlhardt berichtet über die Schussbrüche der langen 
Röhrenknochen und deren Behandlung, bei denen man, wenn man 
sich auch auf dem Truppenverbandplatz mit einem Notverband be¬ 
gnügen müsse, doch bei der 2. Versorgungsstelle (auf dem Haupt¬ 
verbandplatz, Sanitätskomp. oder Feldlazarett) das möglichst früh¬ 
zeitige Anlegen eines Behandlungsverbandes effektuieren solle. K. 
geht auf die Nachteile der für die Schussbrüche wenig sich eignen¬ 
den Kontentivverbände, besonders des Gipsverbandes, der die Stel¬ 
lung nicht genügend sichert, leicht zu Gefahren während des Trans¬ 
portes führt etc., näher ein und hebt die Vorzüge seiner Kombination 
von Schienen und Extensionsverbänden hervor, die sioh im Osten 
bei dem grossen Schussbruchmaterial der russischen Offensive aus¬ 
gezeichnet bewährt haben und von Anfang an gute Stellung der 
Frakturenden, ausgedehnte Zugänglichkeit der Wunden. Kontrolle mit 
Röntgenschirm ermöglichen und ein gleichmässiges Andauem der Fixa¬ 
tion (Extension) bis zur Konsolidation gewährleisten, auch für die Nach¬ 
behandlung in Ermöglichung frühzeitiger Uebung der Gelenke, Vermei¬ 
dung stärkerer Muskelatrophie etc. Vorzüge haben. Die Apparate 
bestehen im wesentlichen aus Längsschienen für die gebrochenen 
Knochen und 1 resp. 2 Streckvorrichtungen (beim Oberarm und Ober¬ 
schenkel, noch aus einer Einrichtung zur Befestigung der Schienen 
am Rumpf). Die Streckvorrichtungen wirken bei den Längsschienen 
genau in der Längsrichtung des getrennten Knochen von 1 oder 2 an 
diesen Längsschienen angebrachten, mit senkrecht verlaufendem 
Schlitz versehenen Giebelbrettchen, indem mittels einer Spindel und 
Flügelschraube (wie sie zur Befestigung der Pneumatikschläuche 
in den Automobilradfelgen üblich) eine gewöhnliche Heftpflaster¬ 
extension mit Spreizbrettchen gegen die Schiene herangezogen und 
in der nötigen Extension fixiert wird. 

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Bei Unterarm und Unterschenkel ist es möglich, beide Gelenke 
oberhalb und unterhalb des getrennten Knochens für die Bewegung 
freizuhalten, da das topographisch-anatomische Verhalten es tech¬ 
nisch zulässt mit 2 nach entgegengesetzer Richtung wirkenden 
Streckvorrichtungen auf beide Bruchendenpaare direkt zu wirken. 
Bei Oberarm und Oberschenkel muss Schulter- und Hüftgelenk fest¬ 
gelegt werden und kann nur Knie und Ellenbogengelenk freigelassen 
werden. Es ist leicht, mit dieser Extension die für Form und Funk¬ 
tion des Gliedes bedenkliche Dislocatio ad longit. und ad axin. aus¬ 
zugleichen, ohne dass Narkose und Gehilfe nötig ist; meist lässt sich 
auch durch leichten Druck (Entgegenführung) das untere Fragment 
gegen das obere reponieren, die Disl. ad latus beseitigen und die 
Festlegung der reponierten Fraktur durch die Bindentouren auf der 
Längsschiene nach vorherigem Unterschiehen von Kissen erreichen. 
Zur Polsterung benützt K. vorher vom Pflegepersonal vorbereitete 
fingerdicke Zellstoffkissen, die durch Mull umhüllt und durch Stepp¬ 
nähte gegen Verschiebung der Polsterung gesichert sind. Der 
Streckverband kann auch bei Vornahme kleiner Eingriffe (Inzisionen, 
Drainierungen, Fremdkörperentfernungen) belassen werden, bei ent¬ 
zündlichen Prozessen lässt sich auch Hyperämie als Heilmitel etc. 
dabei verwenden, ebenso Lichttherapie, Gelenkversteifung und 
höherer Muskelatrophie lässt sich durch die Apparate Vorbeugen; je 
mehr der Bruch fest wird, um so weniger kräftig sei die 
Extension, zuletzt nur so stark, dass sie Biegung an der Bruchstelle 
verhindert. Jeder Arzt macht sich mit der einfachen Wirkungsweise 
der mit den einfachsten Mitteln aus dem in den Sanitätsdepots etats- 
mässig vorrätigen Material herstellbaren Apparate rasch vertraut 
und wird sich von den Vorzügen derselben leicht überzeugen. K. 
schildert der Reihe nach und unter Beigabe klarer Abbildungen die 
Oberarmstreckschiene, die am Rumpf mittels Binden und Gurten 
befestigt mit entsprechender Vorderarmschiene ausgestattet die Ex¬ 
tension in Abduktion sichert, die lästigen Kontrakturen bei Vertikal¬ 
extension vermeidet, dann die Oberschenkelstreckschienen, die 
Unterarmstreckschiene und die Unterschenkelstreckschiene, sowie 
die leichteren, aus Metallrahmen bestehenden Streckschienen für 
Unterarm und Unterschenkel, Schliesslich erörtert K. noch die kom¬ 
binierte Verwendung der Streckschienen bei gleichzeitiger Fraktur 
des Ober- und Unterschenkels, Ober- und Unterarms derselben 
Seite, die sich auch therapeutisch bewährte. 

F. Brüning berichtet aus „Gülhane“ über Nasen- und Gesichts- 
Plastik und teilt speziell eine Reihe von Plastiken bei seitlichen De¬ 
fekten der Nase mit. 

H a r 11 i e b berichtet über das Verhalten des Unterschenkels 
nach Unterbindung der Art. femoralis und teilt u. a. einen Fall mit, 
in dem er die Unterbindung der Femoralis schon bald nach Ver¬ 
letzung vornehmen musste, der Unterschenkel und Fuss aber (mit 
Verlust des Endgliedes der Grosszehe, nach Exzision einiger kleiner 
gangränöser Hautstellen) unter Anwendung des elektrischen Licht¬ 
bogens mehrere Stunden im Tage erhalten blieb. Er schliesst daraus, 
dass man in solchen Fällen in den ersten Stunden nötiger Unterbindung 
nach Verletzung im Bereich zwischen Abgangsstelle der Profunda, Fe¬ 
moralis und Poplitea betreffs des Schicksals des Unterschenkels nicht 
besorgt zu sein braucht, da seine Ernährung bis zu relativ hohem 
Grade durch die Anastomose zwischen den Endverzweigungen der 
Profunda, Femoralis und Poplitea gewährleistet werde. Sehr. 

Zentralblatt für Chirurgie. Nr. 35, 1918. 

Ed. M e 1 c h i o r und Hs. Rahm- Breslau*: Ueber den Nachweis 
elektrischer Ströme in der granulierenden Wunde. 

Den beiden Verfassern ist es gelungen, in granulierenden Wun¬ 
den verschiedenster Art elektrische Ströme nachzuweisen mit Hilfe 
der von ihnen beschriebenen Versuchsanordnung. Die Intensität des 
Stromes scheint ein Gradmesser für die Qualität der Wunde zu sein, 
indem kräftige Granulationen auch stärkeren Strom liefern. Weitere 
Versuche sind im Gange. 

Emst Roedelius - Hamburg: .Zur Technik der direkten Blut- 
und Eigenbluttransfusion. 

Verf. tritt warm für die direkte Bluttransfusion ein, die er mit 
Hilfe von 2 kniegebogenen, unter sich durch einen 10—15.cm langen 
Gummischlauch verbundenen Glaskanülen macht; vor dem Gebrauch 
wird das ganze Rohrsystem in Paraffin gelegt und kurz vor der 
Einschaltung mit 1 proz. Natr.-citricum-Lösung voll* angefüllt. Die 
Höhe des Blutdruckes, nicht über 200, bestimmt das Abbrechen der 
Transfusion; genaue Ueberwachung nachher. Bei der Eigenblut¬ 
transfusion empfiehlt er Freilegung der Armvene bereits während 
des Narkotisierens, dann Stillung der Blutung, erst dann Auffangen 
des Blutes und Infusion nach Verdünnung mit % — V» Kochsalzlösung. 

G. K e 11 i n g - Dresden: Ueber die Beseitigung der Narkose¬ 
dämpfe aus dem Operationssaale. 

Vfcrf. schildert den von ihm konstruierten Apparat, der eine 
Absaugung der Chloroform- und Aetherdämpfe in die freie Luft von 
der Maske direkt ermöglicht. Mit 3 Abbildungen. 

H. Dreesmann -Köln: Tödliche Blutung aus einer Leberzyste. 

Ein Fall von tödlicher Blutung aus einer Leberzyste, die wahr¬ 
scheinlich ein Kavernom vorstellte, wird geschildert. Kleinere Blu¬ 
tungen aus demselben mögen zur Thrombose eines grösseren Venen¬ 
astes mit Infarkt geführt haben; daraufhin kann ein grösserer Ast 

Original fro-m 

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24 . September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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perforiert sein und die Leberkapsel abgehoben haben, welche zuletzt 
auch durchriss. Von einem Trauma war nichts bekannt. 

Carl Gütig- Witkowitz (Mähren): Darmeinklemnuin« nach 
Gastroeuterostomia retrocolloa posterior. 

Verf. hat 2 Tage nach einer Gastroent. retroc. post, eine Darm- 
einklemmung mit Exitus beobachtet; fast der ganze Dünndarm war 
in die Lücke zwischen dem straff gespannten, kurzen, zuführenden 
Schenkel des Jejunums, dem hinteren Peritoneum pariet. und unteren 
Mesokolonblatt hineingeschlüpft und völlig abgeschnürt. Deshalb 
empfiehlt es sich stets, die künstliche Lücke zwischen zuführendem 
Schenkel, hinterem parietalem Peritoneum und unterem Mesokolon¬ 
blatt durch einige Nähte zu verschliessen. 

Herrn. G r i s s o n - Hamburg: Einfacher und brauchbarer 
Streckverband für den Oberarm. 

Die vom Verf. empfohlene Schiene fixiert nur den Unterarm, 
lässt Oberarm für Korrektur der Bruchstücke und Wundverband 
frei, erlaubt frühzeitige Bewegungen im Ellenbogen, während die 
Hand und Finger beliebig bewegt werden können. Mit 2 Skizzen. 

Ad. Ii of£m an n -Guben: Zur Frage der Nichttragfähflgkelt 
mancher Amputationsstümpfe. 

Die Nichttragfähigkeit mancher Stümpfe kommt davon her, dass 
die Knochenmarkshöhle nur von einer elastischen Bindegewebs- 
membran bedeckt ist, welche bei Belastung sich eindellt und zu einer 
schmerzhaften Drucksteigerung in der ganzen Knochenmarkshöhle 
führt, wie Verf. kürzlich an einem Stumpfe mit Sicherheit eines 
Experimentes nachweisen konnte. Auslöffelung des Knochenmarkes, 
Abtragung der dünnen Membran und Verschluss der Weichteile 
über dem Knochen erzielten gut belastungsfähigen Stumpf. 

Lor. Böhler-Bozen: Ueber Schlottergelenke Im Knie nach 
Oberschenkelschussbrüchen. 

Verf. verteidigt seine Behauptung, dass durch den bei der 
Fraktur entstehenden Erguss der Bandapparat im Kiegelenk über¬ 
dehnt -wird (Nr. 39 1917) gegenüber der gegenteiligen Ansicht von 
Mühlhans (Nr. 9 1918). E. Heim-z. Z. im Felde. 

Zieglers Beiträge zur pathologischen Anatomie und 
allgemeinen Pathologie. Band 64, Heft 1. 

E. N e u m a n n-Königsberg: Zur Verständigung über Fragen 
der Entzündungslehre. 

1. Ueber das Verhältnis der Entzündüng zur Regeneration. Die 
auf die G e w e b s 1 äs i o n eintretende Reaktion setzt sich aus 
einem entzündlichen und aus einem regenerativen Prozess zusammen; 
es gibt keine Entzündung ohne Regeneration, wohl aber Regeneration 
ohne Entzündung. — 2. Ueber die Bezeichnung „fibrinoide Degenera¬ 
tion“ bzw. „fibrinoide Nekrose“. 

St. L i p s k a - Mlodowska: Zur Kenntnis des Muskelglykogens 
und seiner Beziehungen zum Fettgehalt der Muskulatur. (Aus dem 
Pathol. Institut Bern.) 

Vergleichende (z. T. experimentelle Fütterungsversuche) Unter¬ 
suchungen an Tieren (Ratte, Kaninchen, Rind) und am Menschen 
(plötzliche Todesfälle). 

W. M. de Vries -Amsterdam: Ueber Abweichungen in der 
Zahl der Semilunarklappen. 

Verf. hat unter 3600 Sektionen 15 mal Klappenzahlreduktion 
(Aorta 12, Pulmonalis 3 Fälle), 10 mal Vermehrung (Aorta 1, Pul- 
monalis 9 Fälle, kombiniert 1 mal) gefunden! (Nach des Ref. Meinung 
dürfte bei der Entstehung der Klappenreduktionen die primäre de¬ 
formierende Endokarditis als Ursache eine grössere Rolle spielen 
als Verf. annimmt.) 

Gg. Lepehne: Milz und Leber. Ein Beitrag zur Frage des 
hämatogenen Ikterus, zum Hämoglobin- und Eisenstoffwechsel. (Aus 
dem Pathol. Institut Freiburg i/B.) 

Die experimentellen Untersuchungen sprechen für die von 
M c N e e begründeten Anschauungen über die Hämoglobinverarbei¬ 
tung durch den retikulo-endothelialen Apparat der Milz und Leber 
(Kupf ersehe Sternzellen) und dessen Bedeutung für die Entstehung 
des hämolytischen Ikterus. Vikariierendes Eintreten der Leber bei 
entmilzten Tieren und funktionelle Blockierung der Kupfer sehen 
Sternzellen durch Kollargol! 

Erna Meyer: Die Thoraxform bei Skoliosen und Kypho¬ 
skoliosen und Ihr Einfluss auf die Brustorgane. (Aus der Prosektur 
der städt. Krankenanstalten Mannheim.) 

Sehr instruktive Befunde durch Fixierung des Situs mittels intra¬ 
venöser Formalininjektion. (Auch die von Hauser beschriebene 
Oefrierschnittmethode mit sekundärer Fixierung bietet schöne Be¬ 
funde. Ref.) H. M e r k el - München. 

Archiv für Verdauungskrankhelten mit Einschluss der 
Stoffwechselpathologie und der Diätetik, red. von Prof. J. 
Boas-Berlin. Band XXIV, Heft 3. 

Rodella-Basel: Bericht über klinische und experimentelle 
Danniäulnls. (Aus der med. Klinik der Universität Basel, Direktor: 
Prof. Staehelin.) 

Nach R o d e 11 a unterscheidet man eine unter sehr starker Gas- 
bzw. Gestankbildung erfolgende Eiweissgärung anaerober und 
aerober, letzterer jedoch asporogener Mikroorganismen, die unter 
dem Namen Fäulniserreger zusammenzufassen sind, und eine unter 

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zunehmendem negativen Druck erfolgende Peptonisierung gleich¬ 
falls aerober, jedoch stark sporenbildender Bakterien. Die Vertreter 
dieser Gruppen sind meist harmlose Saprophyten, doch finden sich 
unter den anaeroben Fäulniserregern auch pathogene Arten, der 
Bazillus des malignen Oedems und Rod. Anaerob. I. Die Gasbildung 
bei der Fäulnis wird von den selbst nicht fäulniserregenden Darm- 
anaeroben, die als Gasbranderreger bekannt sind, gefördert. Sowohl 
bei den meisten Gasbranderregern als auch bei den pathogenen 
Arten der Eiweissfäulnis hat man die Bildung echter Toxine nach¬ 
gewiesen. Nachdem die vornehmlichsten anaeroben Fäulniserreger 
kein Indol bilden, kann aus der Indolbildung allein kein Schluss auf 
die Intensität der Fäulnis gezogen werden, einen besseren Massstab 
ergibt die gleichzeitige Beurteilung der Gasbildung und Eiweiss¬ 
verflüssigung. 

Vogel i us - Kopenhagen: Dyspepsie beim chronischen Alko- 
faolismus. 

Ueber die allgemein bekannte Tatsache des Zusammenhangs 
zwischen chronischem Alkoholismus und dyspeptischen Beschwerden 
hat V. spezielle Untersuchungen angestellt, die ergaben, dass sich 
in ca. 50 Proz. der untersuchten Fälle Magensymptome feststellen 
Hessen und fast ebenso häufig zeigten sich Achylie bzw. Hypochylie 
mit chronischem Alkoholismus vergesellschaftet. Die an sich gün¬ 
stige Prognose wird beeinträchtigt durch die Aufnahme der alten 
Lebensweise nach Verlassen des Krankenhauses. 

A. Alexander -Berlin: Pentosurie und Darmstörung. 

Auf Grund seiner Beobachtungen glaubt A. einen Zusammen¬ 
hang zwischen Pentosurie und Verdauungsstörungen feststeflen zu 
müssen, in der Weise, dass die Pentosurie nicht eine Krankheit sui 
generis, sondern lediglich ein Symptom darstellt. Desgleichen sind 
nach seiner Auffassung die nervösen Erscheinungen ebenso zum 
ganzen Krankheitsbild gehörig wie die erwähnten Darmstörungen. 

Boenheim -Rostock: Bemerkungen zur Fragd, ob die Be¬ 
stimmung der Werte für Salzsäure und für Pepsin Im exprlmierten 
Mageninhalt sofort vorgenommen werden muss. 

Aus B.s Fällen ergibt sich, dass eine Aenderung der Werte für 
freie HCl überhaupt nicht eintritt und eine solche für die Gesamt¬ 
azidität fast immer im Rahmen der Fehlerquellen sich bewegt, so 
dass es innerhalb eines Tages ganz gleich ist, wann die Untersuchung 
des Ausgeheberten erfolgt. A. Jordan. 

Bertner kliaische Wochenschrift Nr. 35 u. 36, 1918 

S. B e r g e 1-Berlin-Wilmersdorf: Fibrin, ein Schutz- und Heil¬ 
mittel des erkrankten Organismus. 

Vergl. den Bericht dieser Wochenschrift über die Sitzung der 
Berl. med. Gesellschaft vom 15. Mai 1918. 

Max Le v y - D o r n - Berlin: Beitrag zu den für die Röntgen¬ 
diagnose wichtigen WelöhteilVerknöcherungen. 

Vergl. den Bericht der M.m.W. über die Sitzung der Berl. med. 
Gesellschaft vom 15. Mai 1918. 

Severin- Breslau: Klinische Erfahrungen mit Tetrahydro- 
atophan. 

Es handelt sich um ein Reduktionsprodukt des bekannten Ato- 
phans, dessen Zufuhr bei Tieren eine hochgradige Steigerung der 
Reflexerregbarkeit hervorruft. Verf. hat das Mittel in einem Falle 
von Tabes dorsalis mit günstiger Wirkung auf gewisse Gefühls¬ 
störungen des Kranken angewendet; ferner bei Fällen verschiedener 
peripherer Lähmungen. Es erwies sich als günstig besonders dann, 
wenn es sich nicht um komplette Paralysen, sondern nur Paresen 
handelte. Die Beschleunigung der Besserung war nicht zu ver¬ 
kennen. 

Landsberger - Charlottenburg: Zur Wohnungsfrage. 

v. R o t h e - Wilmersdorf: Die Kinematographie als chirurgisches 
Lehrmittel 

Es ist Verf. mit Hilfe der Spezialtechnik gelungen, die Hände 
des Operateurs und das Operationsfeld in vielfacher Vergrösserung 
kinematographisch aufzunehmen, so dass dadurch für die Operations¬ 
technik ein wichtiges Anschauungsmittel gewonnen ist. Nähere tech¬ 
nische Mitteilungen folgen. 

T o u t o n - Wiesbaden: Die militärärztliche Sachverständigen¬ 
tätigkeit auf dem Gebiete des Ersatzwesens und der militärischen 
Versorgung bei Haut- und Geschlechtskrankheiten. (Schluss.) 

Nicht zu kurzer Wiedergabe des Wesentlichen geeignet. 

Nr. 36. 

W. Frey- Kiel: Weitere Erfahrungen mit Chinidin bei absoluter 
Herzunregelmässlgkelt. 

Nach den vom Verf. gemachten Erfahrungen gelingt es in etwa 
50 Proz. der Fälle von Vorhofflimmern, die Herzunregelmässigkeit 
mittels Chinidin zu beseitigen. In seltenen Fällen kann es aber zu 
zerebralen Lähmungserscheinungen nicht unbedenklicher Art hierbei 
kommen. Die heilsame Dosis liegt etwa zwischen 5 mal 0,2 und 3 mal 
0,4 g in 24 Stunden. Bei insuffizientem Herzen hat der Chinidin¬ 
therapie stets eine Digitaliskur vorauszugehen. Das Verschwinden 
der Arhythmie ist aber durchaus nicht immer dau&rnd. Die Be¬ 
seitigung des Flimmerns beruht auf Hemmung der Reizbildung und 
Reizbarkeit im Bereich der Vorhofmuskulatur. Auch nach Ver¬ 
schwinden der Arythmie erscheint die atrio-ventxikuläre Ueberlei- 
tungszeit meist verlängert, wechselnd, woraus auf Veränderungen 
im Bereich der Reizleitung zu schliessen ist. 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


0. F e h r: Die Tabaksamblyopie in der Kriegszeit. 

Mitteilung von 6 Beobachtungen der Art, die alle starke Rau¬ 
cher betrafen. Die Ursache des häufigeren Auftretens sieht Verf. in 
der Minderung der Widerstandsfähigkeit 'des Körpers unter den 
Einflüssen des Krieges. 

A. Rothschild - Berlin: Ueber 2 Fälle ungewöhnlicher 
zystischer Geschwülste der Harnblase, ihre Operation und Heilung. 

Siehe den Bericht der M.m.W. über die Sitzung der Berl. med. 
Gesellschaft vom 29. Mai 1918. 

G. Mönch-Tübingen: Ein Fall von drittem Ovarium. 

Mitteilung des Befundes, der bei einem 20 jährigen Mädchen er¬ 
hoben wurde. 

Th. B e n d a - Berlin: Zur Aetiologie der isolierten Neuralgie 
des Nerv. tlb. 

In dem mitgcteilten Falle — 58 jähriger Mann — entstand das 
Leiden im Anschluss daran, dass der stark abgemagerte Patient die 
Gewohnheit hatte, mit im Knie übereinandergeschlagenen Beinen zu 
sitzen. Heilung. 

J. Hirschberg: A. Cornelius Ce 1 sus. 

Medizin-geschichtliche Skizze. Grassmaiin -München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 36, 1918. 

Colmers-Koburg: Die Behandlung der akut bedrohlichen 
chirurgischen Erkrankungen des Brustkorbs. (Schluss folgt.) 

J. Morgenroth-Berlin : Die Therapie der Malaria durch 
Chinaalkaloide und ihre theoretischen Grundlagen. 

Die Wirkung des Chinins, das nicht als Protoplasmagift an¬ 
zusehen ist, ist chemotherapeutisch aufzufassen. Trotz der geringen 
Konzentration, in der sich das Chinin im Blutplasma befindet, ist 
eine Abtötung der Malariaparasiten möglich, wenn auch noch nicht 
erwiesen. Zwischen den Chininalkaloiden und den Erythrozyten 
besteht eine enge Beziehung, indem in den roten Blutkörperchen 
eine Speicherung stattfindet. Andererseits können jene aber auch 
Chinin abgeben. Der Chiningehalt der Erythrozyten ist höher als 
der des Serums, hängt aber von diesem ab. Wichtig ist, dass der 
Merozoit nicht in das Chinin enthaltende rote Blutkörperchen ge¬ 
langen kann, d. h. der Kreislauf des Parasiten wird unterbrochen. 

Georg L ock em a n n-Berlin: Beiträge zur Biologie der Tu¬ 
berkelbazillen. 3. Mitteilung. 

Bleiben die Nährstoffmengen gleich, so ist die Lösungsstärke 
für das Wachstum der Bazillen gleich, während vermehrte Nährstoff¬ 
menge das Wachstum steigert. Bei gleicher Nährstoffmenge bleibt 
die Grösse der Oberfläche der Nährlösung für das Wachstum ohne 
Einfluss. 

Ernst B a r t h - Charlottenburg: Zur DifferentiakUagnose orga¬ 
nischer und psychogener Hörstörungen. 

Singt ein „Tauber“ musikalisch richtig und benutzt er einen 
am Klavier angegebenen Ton richtig, so ist die Hörstörung als 
psychogen anzusehen. 

Erich Mühlmajin - Stettin: Zur Röntgenbehandlung der 
Lymphdrüsentuberkulose. 

Unter den Soldaten erkranken in der Hauptsache kräftige Leute. 
Nicht selten besteht eine Kombination mit tuberkulöser Erkrankung 
anderer Organe. Bestrahlt wird mit 5 /s der toxischen Hautdosis. 
Sind die Drüsen nach 5 bis 6 Bestrahlungen innerhalb von 15 bis 
18 Wochen nicht zurückgegangen, so ist der Rest operativ zu ent¬ 
fernen. 

A Adam: Eine Stammlösung zur Romanowskyiärbung. 

Angabe der Herstellung und der zu beachtenden Vorsichtsmass- 
regeln. 

Kurt Hach-Riga: Zur Frage der Ernährungsschädigung und 
der Hungerkrankheit. 

Kurze Skizze der Symptome und Therapie. 

Peltesohn -Berlin: Zur Verringerung des Spiritusverbrauchs. 

Der Heissluftkasten kann durch einen kleinen Holzkohlenofen 
geheizt werden. 

M e 11 i n - Greifenhagen: Pharmazeutische Vorschläge. 

Bei prozentualer Angabe der wirksamen Substanz sind offizineile 
Präparate etc. als Einheit aufzufassen. 

Conrad Poch harn me r-Potsdam: Die Bedeutung des okkul¬ 
ten Blutnachweises in den Fäzes. 

Polemik gegen Baumstark. Es wird der diagnostische 
Wert der okkulten Blutungen betont. Boenheim -Rostock. 

Korrespoodenzblatt für Schweizer Aerzte. Nr. 32 u. 33, 

1918. 

Nr. 32. Stae helin: Einige Bemerkungen über die Influenza¬ 
epidemie. 

Im ganzen klinisch der gleiche Verlauf wie 1889/92, Pfeiffer- 
sche Bazillen wurden- aus Sputum und Blut gezüchtet (in einem 
Fall am Tag vor dem Tode); im ganzen scheint der Verlauf aber 
bösartiger als früher. Hinweis auf die Häufigkeit der Pneumo¬ 
nien, ihre ernste und unsichere Prognose, äuf die meist vorhandene 
Leukopenie (besonders Reduktion der Lymphozyten sogar bis 
2 Proz.), auf scharlachähnliche Exantheme. Salvarsan, 
Optochin, Chinin ohne besonderen Einfluss, nur Salizylpräparate 
leidlich günstig wirkend. 

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0. Amrein-Arosa: Aktuelle Tuberkulosefragen. 

Kurzer Ueberblick über die Kriegsliteratur, Hinweis auf mehr 
oberflächlich, in der Pleura sich abspielende Formen mit Verbreitung 
auf dem Lymphwege von den Hilusdrüsen aus. 

I. a b h a r d t: Zur Frage der Krebsstatistiken. 

Gegenüber A e b 1 y betont Verf. die besseren Resultate der 
vaginalen Operationen im Vergleich zu den abdominalen. 

A e b 1 y - Zürich: Nochmals die Karzinomstatistiken. 

Erwiderung. 

A. E. Adler: Ueber den osmotischen Druck im Blutserum 
Typhuskranker. (Med. Klinik Zürich.) 

Am Anfang der Erkrankung und während des kontinuierlichen 
Fiebers ist der Gefrierpunkt fast immer erhöht (falls keine Kom¬ 
plikationen vorhanden sind) und kehrt dann zur Norm zurück. Dem 
geringeren osmotischen Druck entsprechend waren die Werte für 
Na CI und Rest-N im Serum niedriger. 

Nr. 33. O. R o t h: Ueber die paroxysmale Tachykardie und der¬ 
selben verwandte Erscheinungen. 

Ausführliche Beschreibung von 5 Fällen mit Sinustachykardie. 
Mechanische Vagusreizung (durch Kompression nach Czermak) 
führte bei der Mehrzahl der Kranken zum Aufhören des Anfalls. 
Ausserdem ist die chronische Digitalisdarreichung von Nutzen. 

A. R o d e 11 a: Ueber konkomitlerende Reflexe. 

Verf. fand beim Streichen der inneren oberen Seite des Ober¬ 
schenkels in 1 Proz. der Fälle deutlichen Bauchdeckenreflex, bei 
akuter Ischias in 8—10 Proz. Bei dieser Krankheit war auch der 
Bauchdeckenreflex auf der kranken Seite erhöht. Es wird das Zu¬ 
standekommen dieser und anderer konkomitierender Reflexe dis¬ 
kutiert, besonders die anatomischen Grundlagen. 

F. Brandenburg: Die Pflichten des praktischen Arztes 
gegenüber der Ansteckungsgefahr der Diphtherie. 

E. L a n z: Ueber die Grippe. 

Für die Bronchopneumonien sind die Hilusdrüsen die Eingangs¬ 
pforte. Niemals fehlt bei ausgedehnterer Bronchopneumonie die 
Verminderung der Chloride im Harn und sofortiges Normalwerden 
des Harnes bei Stillstand des Prozesses. Optoohin und Salvarsan 
waren ohne Wirkung. Natr. salicyl. mit Antipyrin und Digitalis 
(nach Franke, diese Wochenschr. 1918 Nr. 1) schienen schwere 
Erscheinungen zu verhüten. L. Jacob. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Tübingen. Juli und August 1918. 
Parrisius Walter: Was leistet die Bewegungstemperatur für die 
Frühdiagnose der Lungentuberkulose? 

J a n z e n Erna: Ueber Morbus coeruleus. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Vereinsamtliche Niederschrift.) 

Sitzung vom 16. März 1918 

Vorsitzender: Herr L i n d n e r. 

Schriftführer: Herr Dünger, Herr H. Weber. 

Herr Galewsky: Krankenvorstellung. 

Aussprache über den Vortrag Keydel: Funktionelle 
Blasenstörungen. 

Herr Galewsky: Ueber das Auftreten der Enuresis in der 
Garnison Dresden. 

Während im allgemeinen im Jahre 1916 die Zahl -der auf der 
Gemischten Station an Bettnässen und Blasenschwäche behandelten 
Heeresangehörigen zwischen 10 und 20 im Monat betrug, stieg die¬ 
selbe im Januar 1917 ausserordentlich an, erreichte ihren Höhepunkt 
im März (85) und ging dann allmählich wieder herunter, um dann 
auf einem immerhin erhöhten Standpunkte zu bleiben. Dieses plötz¬ 
liche Anschwellen hing augenscheinlich mit der ausserordentlich 
starken Kälte zusammen, ebenso wie das erste gehäufte Auftreten 
im Anschluss an den Karpathenfeldzug zu konstatieren war. Ganz 
zweifellos wirkte auf die Enuresis neben der abnormen Kälte die 
Zunahme an flüssiger Nahrung, die der Beginn des Jahres 1917 mit 
sioh brachte und die ganz besonders auf Leute mit schwacher Blase 
harntreibend wirkte. Die Zunahme der Enuresiskranken zeigte sich 
auch in verstärktem Masse bei den Kindern in Dresden. 

Die Kranken wurden auf die Station aufgenommen, wurden 
genau untersucht, insbesondere wurden Röntgenaufnahmen behufs 
Feststellung der Deformitäten des Kreuzbeins gemacht, sie wurden 
im Bedarfsfälle einem Nervenarzt vorgestellt und zystoskopiert. Die 
Behandlung bestand in Zusammenlegung sämtlicher Bettnässer in 
besonderen Stuben, in zweistündigem Wecken bei Nacht, in der Ein¬ 
schränkung der Verabreichung von Getränken, namentlich abends: 
daneben erhielten die Kranken heisse Sitzbäder, heisse Spülungen, 
Urotropin innerlich und wurden elektrisiert. 

Nach 8—14 Tagen, wenn die Untersuchungen abgeschlossen 
waren, wurden die Kranken, im allgemeinen gebessert, je nach ihren 
Fähigkeiten zur Truppe entlassen. Der grösste Teil derselben 
konnte wieder k. v. zur Truppe zurückkehren. 

Original from 

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24. September 1918. 


M'UENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1089 


Unter 49 Erkrankten eines bestimmten Zeitraumes ergab die 
Röntgenphotographie bei 25, also in 51 Proz., Deformitäten. Syn- 
daktylie konnte nicht beobachtet werden, dagegen war bei einer 
grossen Anzahl der Kranken der ängstliche, unsichere, oft stupide 
Gesichtsausdruck auffallend. Unter den Bettnässern befanden sich 
niemals Akademiker oder Offiziere; fast immer nur Leute aus den 
unteren Volksklassen, sehr selten Unteroffiziere. Eine grosse Zahl 
der Erkrankten machten den Eindruck minderbegabter, zum Teil 
degenerierter Leute. Entsprechend dieser Beobachtung fand sich 
5 mal Mikrozephalie, 2 mal Turmschädel, 4 boten ein unentwickeltes, 
knabenhaftes Bild, 30 Proz. konnten als schwächlich angesehen 
werden. Unter 80 Blasenkranken innerhalb einer bestimmten Zeit 
war das Leiden in 40 Proz. angeboren, bei den andern allmählich 
entstanden durch Erkältung, Durchnässung, bei einzelnen im An¬ 
schluss an Verschüttung und krepierende Qeschosse. Eine geringere 
Rolle spielten Allgemeinerkrankungen. 

Der urologische Befund war fast immer negativ. Unter den 
182 Mann eines bestimmten Zeitabschnittes waren selbstverständlich 
eine Anzahl der Simulation Verdächtige. Vollkommene Simulation 
konnte niemals nachgewiesen werden, aber eine grosse Anzahl der 
Kranken versuchte ihr Leiden zu verschlimmern und zu übertreiben* 

Bei energischer Behandlung besserte sich bei der Mehrzahl 
das Leiden in kurzer Zeit derart, dass die Leute entlassen werden 
konnten, namentlich wenn ihnen von Anfang an gesagt wurde, dass 
sie weder Rentenansprüche hätten noch durch ihr Leiden aus dem 
Militärdienst entlassen werden könnten. Aber auch schon das Zu¬ 
sammenlegen mit den anderen Bettnässern und das zweistündige 
Wecken bei Nacht hat bei vielen ausserordentlich günstig gewirkt. 
Ganz zweifellos war auch der suggestive Einfluss bei den Truppen¬ 
teilen zu konstatieren. Waren erst bei einer Kompagnie einige er- 
kränkt, so kamen auch bald mehr. 

Als Resultat meiner Untersuchungen möchte ich kurz folgendes 
mitteilen. Es gibt 3 Formen von Enuresis im Heere: 

1. Angeborene Bettnässer, bei denen sich sehr häufig hereditäre 
Belastung, degenerative Symptome, Deformität des Kreuzbeins usw. 
nachweisen lassen. 

2. Erworbene Bettnässer, bei denen die Erkrankung im Dienst 
durch Erkältung usw. aufgetreten ist, zum Teil als nervöse Inkonti¬ 
nenz nach Verschüttung usw. 

3. Simulanten, auf welche namentlich die Anwesenheit anderer 
Bettnässer suggestiv einwirkt. 

Die Behandlung erzielt bei der erworbenen Erkrankung Erfolge, 
bei der angeborenen nur Besserungen. Hier hat sich in einer Reihe 
von Fällen die suggestive «und Hypnosebehandlung mir schon früher 
sehr gut bewährt. Für alle Eikrankungen im Heere ist die Behand¬ 
lung auf Spezialabteilungen unbedingt nötig, auf denen genaue Unter¬ 
suchung, energisches Zufassen und Absonderung der Kranken mög¬ 
lich ist. Erfahrungen über Milchinlektionen und epidurale Injek¬ 
tionen habe ich nicht sammeln können. 

Aussprache: Herr Brückner: Der Vortragende ist der 
Ansicht, dass die Enuresis nicht im Anschluss an das Säuglingsalter 
bestehen bleibe, sondern stets nach einem mehrjährigen Intervall 
auftrete. Das trifft durchaus nicht für alle Fälle zu. Der Vortragende 
hat die Enuresis in Beziehung gebracht zu der mit der Entwicklung 
der Geschlechtsdrüsen sich einstellenden Entwicklung sympathischer 
Geflechte. Dann müsste die Enuresis in dieser Entwicklungsperiode 
eine physiologische Erscheinung sein. Das ist aber nicht der Fall. 
Der Vorgang der Miktion setzt sich zusammen aus einer Summe kom¬ 
plizierter reflektorischer Vorgänge, welche beeinflusst werden durch 
zerebrale Impulse. Da, wo die letzteren in den Hintergrund treten, 
stellt sich die Enuresis ein, sofern sie nicht durch anatomische Er¬ 
krankungen des Harnapparates bedingt ist. Auf diese Weise erklärt 
sich ungezwungen ihr häufiges Auftreten bei Imbezillen und Idioten. 
Die Anschauung, dass die Enuresis lediglich ein Symptom der Neuro¬ 
pathie sei, erklärt nichts. Sie geht lediglich einer genaueren Analyse 
des Vorgangs aus dem Wege. 

Herr H. W e b e r: Es ist Herrn K e y de 1 sehr zu danken, dass 
er die schwierigen und ausserordentlich verwickelten Verhältnisse 
von Bau und Lebensvorgängen der Blase einmal in ihrer ganzen 
Weite und Bedeutung vorgetragen hat. Bei der ungeheuren Fülle 
von Tatsachen und Beobachtungen ist es ihm nicht möglich ge¬ 
wesen näher auf die seelischen Vorgänge einzugehen, die bei den 
funktionellen Blasenstörungen eine Rolle spielen. Da diese aber 
für die Behandlung von Wichtigkeit sind, bedürfen sie einer kurzen 
Erwähnung. Sadger hat bei der Betrachtung der sog. erogenen 
Zonen, als deren ausgeprägteste der After wohl keinerseits mehr 
angezweifelt wird, auch den peripheren Harnapparat als solche an¬ 
gesprochen, was bei der engen Zusammenlagerung von Harn- und 
Geschlechtsorganen leicht verständlich ist; wie es Analerotiker gibt, 
so auch Urethralerotfker, für die das Harnlassen einen Lustgewinn 
darstellt. Polyurie ist bei ihnen selten, im Gegenteil pflegen sie den 
Ham nur in kleinen Mengen abzugeben, um recht oft des Genusses 
teilhaftig zu werden. Die Enuretiker sind, soweit es sich um wirk¬ 
lich rein funktionelle Fälle handelt, wahrscheinlich Harnerotiker. 
Die Beziehung der Affektion zum unfreiwilligen Harnabgang ist be¬ 
kannt; besonders ist es die Angst, die ihn hervorruft. Man wird kaum 
fehlgehen, wenn man bei manchen Soldaten die Enuresis als Aus-* 
floss des pavor belli ansieht.Hierbei tritt auch die nahe Beziehung 

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zum Masturbanten, der sich in jeder Notlage zu seiner Gewohnheit 
flüchtet, deutlich zutage, wie ja auch die masochistische Komponente 
des Sexualtriebes in gleicher Weise als unfreiwilliger Harnabgang 
wie als unfreiwilliger Samenabgang zum Ausdruck kommt. Die 
Annahme, dass die rein funktionelle Enuresis nur eine Art sexueller 
Betätigung darstellt, ist also nicht von der Hand zu weisen. Im 
Hinblick auf diese psychische Ursache des Bettnässens wird man 
also auch den Versuch machen, auf psychotherapeutischem Wege 
Hilfe zu schaffen. Tatsächlich ist die Suggestion auch von ausser¬ 
ordentlicher Wirkung. Eine ganze Reihe von Kindern konnte hier¬ 
mit unter Zuhilfenahme eines starken, auf der Blasengegend auf¬ 
gesetzten faradischen Stromes geheilt werden. Beim Versagen oder 
auch von vornherein wurde die Hypnose angewandt und bewährte 
sich selbst bei hartnäckigeren Fällen. Diese Behandlung sollte auch 
beim Militär ausgiebiger geübt werden; besondere Blasenstationen 
wären dazu allerdings einzurichten. Eine Psychoanalyse war in 
den behandelten Fällen nicht nötig geworden. — Die Enuresis ist als 
Zeichen einer Lebensschwäche, einer konstitutionellen Minderwertig¬ 
keit anzusehen; es fanden sich auch bei den bettnässenden Kindern 
fast durchweg andere Degenerationszeichen, wie schlechte Zahn¬ 
entwicklung, grosse Gaumenmandeln, mangelhaft gebildete Ohren 
u. a. m. 

Herr P ä s s 1 e r erinnert an seine Krankenvorstellungen mit 
nächtlichem Bettnässen, bei denen eine Intoxikation von septischen 
Vorgängen in der Mundhöhle aus angenommen wurde, und legt die 
Unterschiede dar, die zwischen solchen Fällen und den Kriegsdys¬ 
urikern bestehen. 

Herr S c h m o r 1 glaubt, dass die Exstirpation der Mandeln bei 
Enuretikern nur suggestiv wirke, hält Enuretiker für Leute von min¬ 
derwertiger Konstitution, fragt, ob der Status thymo-lymphaticus 
bei ihnen beobachtet worden sei. 

Herr L i n d n e r kennt einen Enuretiker, der besonders begabt 
war und keinerlei Degenerationszeichen aufwies, und weist ebenfalls 
auf die Verwandtschaft zwischen Masturbation und Enuresis hin. 

Herr Werth er erinnert sich an Fälle, wo ganze Schulklassen 
und Pensionate von der Enuresis befallen waren. Unter den Sol¬ 
daten finden sich viele, die schon im zivilen Verhältnisse eine 
schwache Blase hatten» oft infantile Leute und solche mit Degenera¬ 
tionszeichen, auch welche mit dem Status thymo-lymphaticus. 

Herr Brückner: Zar Fieberbehaadhmg 4er Vulvovaginitis 
gonorrhoica infantkun. 

Mit Rücksicht auf die unbefriedigenden Erfolge der örtlichen 
Behandlung der Gonorrhöe der kleinen Mädchen hat der Vortragende 
einen Versuch mit der von Weiss empfohlenen und nach 
Duncker modifizierten Heissbäderbehandlung an 8 Kindern ge¬ 
macht. Das Verfahren ist nur im Hospital bei guter sachverständi¬ 
ger Aufsicht durchzuführen. Der Erfolg der Behandlung konnte nicht 
befriedigen. Wenn auch der Ausfluss bald nachliess, so hafteten die 
Gonokokken doch weiter, besonders in der Harnröhre. Bei 3 Kindern 
kam es zu schweren Zufällen, wie sie auch N a s t und R i s s e 1 o d a 
beschrieben haben, so dass der Vortragende das Verfahren wieder 
aufgegeben hat. 

Besprechung: Herr Kyaw berichtet über seine Er¬ 
fahrungen mit der Thermopenetration: er habe Gonorrhöe in zahl¬ 
reichen Fällen damit prompt geheilt. 

Herr Galewsky: Mit heissen Bädern werden bestimmte For¬ 
men der Gonorrhöe gut beeinflusst, z. B. Gelenkerkrankungen. 
Thermopenetration ist wirksam, aber es gibt viel Rezidive. Zu loben 
sind auch heisse Spülungen mit Argentum, aber nur bei solchen 
Fällen, wo man mit der Flüssigkeit herankommt. 

Herr K e y d e 1 hat mit der Thermopenetration nicht immer Er¬ 
folge gehabt. 

Herr W e r t h e r berichtet von Versuchen mit Milchinjektionen, 
deren Erfolge noch nicht festzustellen seien. Die Methode der 
Thermopenetration krankt daran, dass das Thermometer nicht angibt, 
was man im Innern an Hitze erzeugt; es kommt leicht zu Kompli¬ 
kationen, zu Verbrennungen usw. 

Herr L e i b k i n d hat dieselben Erfahrungen mit heissen Bädern 
gemacht wie Herr Brückner. 

Herr Brückner: Die Milchinjektionen sind deswegen bei 
Kindern nicht wirksam, weil die Temperaturerhöhung nicht über 
38° C hinauskommt. _ 

NaturwiwenaehaflH. - madizinische Gesellschaft z« Jene. 

Sektion für Heilkunde. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 18. Juli 1918. 

Vorsitzender: Herr L e x e r. 

Herr Binswanger: Die hyperalgetische Gruppe der Kriegs¬ 
hysterie. (Erscheint ausführlich an anderer Stelle.) 

Herr Berger berichtet aus seinen Erfahrungen über das Vor¬ 
kommen der verschiedenen Formen nervöser und psychischer Er¬ 
krankungen im Felde und geht dabei näher auf die kriegsgerichtliche 
Bedeutung der einzelnen Geistesstörungen ein. 

Vprtr. zeigt ferner ein im unteren Brustteil durch Infanterie¬ 
schuss vollständig durchtrenntes Rückenmark eines Infanteristen, 

ÖrigmialTra-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1090 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


bei dem unter dem Einfluss einer Meningitis des Lendenmarks die 
früher geschwundenen Sehnenreflexe an den Beinen wiedergekehrt 
und auch Babinski beiderseits aufgetreten waren. 

Herr Lommel: a) Marschhämogloblnurfe. 

Vortr. berichtet über Marschhämoglobinurie, die im Anschluss 
an oft nur kurzes Gehen, nie aber nach anderweitiger Körperarbeit 
(nicht nach 100 km Radfahren) auftritt. Kälteeinwirkung war ergebnis¬ 
los, der Donath-Landsteiner sehe Versuch negativ. Die bis¬ 
herigen Erklärungsversuche (Rolle der Milz) sind hypothetisch. 

b) Endokrine Störungen. Vortr. berichtet über einen 50 Jährigen 
Mann, der plötzlich erkrankte mit allgemeiner Mattigkeit, Hypotonie, 
Hyperthermie, starker Bradykardie, gänzlichem Verlust des vorher 
an Kopf und übrigem Körper sehr starken Haarkleides. Es 
wird erörtert, ob sich die Erkrankung als multiple Blutdrüsen¬ 
erkrankung deuten lässt, was aber nicht ohne Zwang möglich ist. — 
Weitere Mitteilungen betreffen innersekretorische Störungen, die 
bei jungen Mädchen von den Ovarien ausgehen und sich teils in der 
Degeneratio genitosclerodermica, teils in Veränderungen der Ober¬ 
flächensensibilität, der Behaarung und Pigmentverlust äussern. 

Herr Strom eyer: Ueber Schlottergelenke. 

Schlottergelenke des Knies nach Schussfrakturen des Ober¬ 
schenkelschaftes haben bisher trotz ihrer Häufigkeit und Wichtigkeit 
wenig Beachtung gefunden. Sie treten in mindestens 30 Proz. 
dieser Frakturen auf. Ihre Ursache ist nicht in Kniegelenksergüssen, 
Streckverbänden oder falscher Statfk zu suchen, sondern in erster 
Linie in der Atrophie und Degeneration der Oberschenkelmuskulatur. 
Die Ausschaltung der Muskulatur allein kann also zur Erschlaffung 
des Bandapparates führen, wofür die spinale Kinderlähmung und die 
Myotonia congenita Beispiele bieten. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 27. Juni 1918. 

Herr Jo res: Experimentelle Untersuchungen über die Druck¬ 
atrophie des Knochens. 

Vortragender berichtet über Versuche, in denen ein Druck mittels 
quecksilbergefüllter Säckchen und wassergefüllter Gummiblasen auf 
die Processus spinosi von Kaninchen und Meerschweinchen aus¬ 
geübt wurde. Die Druckhöhe betrug ungefähr 8—140 mm Hg. Die 
Versuchsdauer reichte bis zu 2 Monaten. Der Druck konnte in 
manchen Versuchen konstant ausgeübt werden, in anderen ergab er 
sich von selbst als wechselnd oder wurde absichtlich wechselnd 
ausgeübt. Ferner wurde untersucht, wie sich der Knochen nach dem 
Aufhören des Druckes verhält. 

Die Veränderungen, die sich einstellten, waren gering, aber 
mikroskopisch deutlich wahrnehmbar. Sie waren auf die Kuppe 
des Dornfortsatzes beschränkt. Bei konstantem Druck zeigte sich 
schon nach wenigen Tagen eine Wachstumshemmung des Epiphysen¬ 
knorpels und weiterhin ein Schwund desselben und Ersatz durch 
Bindegewebe. Am Knochen tritt Resorption auf, die aber nur selten 
auf dem Wege typischer Howshipscher Lakunen vor sich ging, 
sondern meist in Form flacher Einbuchtungen, die durch gefäss- 
haltiges kernreiches Bindegewebe gefüllt waren. Ausserdem trat 
osteoides Gewebe auf, von welchem Vortragender in eingehender 
Begründung darlegt, dass es wahrscheinlich durch Halisterese zu¬ 
stande kommt. Bei wechselndem Druck waren ausserdem Neu¬ 
bildungsvorgänge festzustellen. Insbesondere traten starke Neu¬ 
bildungsvorgänge nach Aufhören des Druckes auf. Soweit Epiphysen¬ 
knorpel noch vorhanden, wurde die enchondrale Ossifikation in der 
druckfreien Zeit stärker als in der Norm, im übrigen fand die Neu¬ 
bildung periostal und endostal statt; zum Teil durch Osteoplasten, 
zum Teil metaplastisch aus dem bei der Resorption gewucherten 
endostalen Bindegewebe. Die Neubildung war 20 Tage nach Auf¬ 
hören des Druckes noch recht lebhaft, hält also lang an. Es handelt 
sich hier nicht um Wiedereinsetzen des normalen Knochenwachstums, 
auch nicht allein um Regeneration, sondern nach Ansicht des Vor¬ 
tragenden um eine besondere reaktive Wucherung, die durch Nach¬ 
lassen eines vorher bestehenden Druckes ausgelöst wird. 

Vortragender kommt zu der Anschauung, dass dem Druck selbst 
wahrscheinlich nur eine wachstumshemmende und resorbierende 
Wirkung zukommt und dass erst durch Wechsel von Druck und 
druckfreien Perioden appositionelle Vorgänge ausgelöst werden. 
Druckatrophie ist, wie ja vielfach, wenn auch nicht übereinstimmend 
angenommen wird, Folge des konstanten Druckes. Aber auch bei 
wechselndem Druck tritt dann noch als Wirkung eine Druckatrophie 
zutage, wenn die Perioden des Druckes gegenüber den druckfreien 
in ihrer Wirkung überwiegen. Im umgekehrten Falle aber ist der 
wechselnde Druck wachstumsfördernd. Auf die Literatur, ins¬ 
besondere auch auf die Anschauungen von H u e t e r und Volk- 
mann sowie von Julius Wolff, Roux und T h o m a geht Vor¬ 
tragender ein und glaubt, dass die gewonnenen Ergebnisse auch 
zur Erklärung des Einflusses angewandt werden können, den der 
Druck auf das normale Wachstum des Knochens, auf die Ausbildung 
der funktionellen Knochengestalt sowie auf die Erscheinungen der 
Anpassung an pathologisch veränderte Funktionen austibt. 

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Die Untersuchungen werden, nachdem sie völlig abgeschlossen 
sind, ausführlich veröffentlicht werden. 

Diskussion: Herren Anschütz, Jores, Lubinus. 
Herr Wagner: Fleisch- und Wurstvergiftungen. 

Herr Wagner berichtet in Vertretung von Herrn Bitter 
über einen kürzlich hier zur Beobachtung gekommenen Fall von 
Botulismus mit folgender Vorgeschichte: Der Schutzmann H. 
besuchte zu Pfingsten seine in dem benachbarten Städtchen E. 
lebende Ehefrau; er erwirbt dort eine Anzahl roher Heringe, die 
zunächst für eine Stunde in eine Salzlake unbekannter Konzentration 
eingelegt und dann mariniert, d. h. also in Essig eingebracht werden. 
Beide gemessen noch an dem gleichen Tage, ohne irgendeine schäd¬ 
liche Nachwirkung davon. H. nimmt das Gericht bei seiner Rück¬ 
kehr mit, lässt es 8 Tage stehen — das Wetter war in dieser Zeit 
für die Jahreszeit ungewöhnlich warm — und geniesst sodann am 
8. Tage nach der Bereitung als Mittag- und Abendspeise eine An¬ 
zahl der Heringe. Am nächsten Morgen fühlt er sich unwohl, begibt 
sich trotzdem in seinen Dienst, muss aber noch in den Vormittags¬ 
stunden einen Arzt aufsuchen, der aus den bereits deutlich aus¬ 
geprägten Zeichen: Augenmuskellähmung. Ptosis, Mvdriasis, 
Trockenheit der Mund- und Rachenschleimhaut, beginnende Aphonie 
die Diagnose: Botulismus stellt. Der Verlauf der Erkrankung ist ein 
äusserst rascher; H. stirbt schon am gleichen Nachmittag unter den 
Erscheinungen der akuten Bulbärparalyse. Eine Obduktion hat nicht 
stattgefunden. Der von der Polizei beschlagnahmte und dem Unter¬ 
suchungsamte für ansteckende Krankheiten am hygienischen Institut 
zur Untersuchung übergebene Rest des Heringgerichts zeigte äusser- 
lich einen durchdringenden scharfen, säuerlich-ranzigen Geruch, der 
bekanntlich für mit dem Bac.. botulinus infizierte Speisen typisch ist 
und als warnendes Signal im Publikum bekannt sein sollte. Mit den 
Heringen gefütterte Mäuse verendeten nach kurzer Zeit. In an- 
aöroben Kulturen und zwar zunächst in Gelatineschüttelkulturen „in 
hoher Schicht“ gelang es ein Stäbchen zu züchten, das nach Gestalt 
Beweglichkeit, Gärungsvermögen und Sporenbildung (Vorweisung 
von nach Bitter mit alkalischem Methylenblau und Safranin ge¬ 
färbten Sporenpräparaten) dem Bacillus botulinus van Ermercghem 
glich. Der Nachweis eines höheren Temperaturen und dem Tages¬ 
licht gegenüber wenig widerstandsfähigen Toxins in Filtraten von 
Tarozzibouillonkulturen. das bei subkutaner Einspritzung von 
0,0001 ccm Mäuse von 20 g Gewicht in etwa 24 Stunden unter Läh¬ 
mungserscheinungen (Demonstration einer Maus, deren Hinterbeine 
in Robbenstellung gelähmt sind) tötete, bestätigte diese Diagnose. 
Beachtlich erscheint, dass im Gegensatz zu den Stämmen van 
Ermenghems die Giftbildung nicht nur bei 22°, sondern auch bei 
höherer Temperatur stattfand, worüber noch genauere Unter¬ 
suchungen im Gange sind. Von praktischer Bedeutung erscheint 
ferner die Giftbildung in der Marinade, also einer Flüssigkeit mit 
erheblichem Säuregehalt: bei der Titration wurden zur Neutralisierung 
für 100 ccm der Marinade 10 ccm Normalnatronlauge verbraucht 
(entsprechend 0,4 g reinen Natriumhydroxyds). 

Anschliessend weist Vortragender auf die nicht nur' in den 
Kreisen der Aerzte, sondern auch in amtlichen Formularen infolge 
der lediglich auf die äussere Ursache der Vergiftung Bezug nehmen¬ 
den Anwendung der Bezeichnungen: Fleisch-, Fisch-, Wurst- usw. 
Vergiftung übliche begriffliche Zusammenlegung dem Wesen nach 
grundsätzlich zu trennender Krankheiten hin und gibt über die spe¬ 
ziell durch Nahrungsmittel hervorgerufenen Erkrankungen folgende 
Uebersicht: 

A. Infektionen, verbunden mit Intoxikationen durch hauptsächlich 
im menschlichen Körper gebildete, kochbestän¬ 
dige Gifte, hervorgerufen durch Keime der Paratyphusgruppe 
im weitesten Sinne, die meist dem äusserlich einwandfreien 
Fleisch septisch erkrankter (notgeschlächteter) Tiere entstammen: 

1. das Bact. enteritidis Gärtner. 

2. das Bact. enteritidis Breslau (syn. Flügge-Kaensche- 
Aertrycke), ein Spielart des Bact. Paratyphi B Schottmüller. 

Das Krankheitsbild wird durch die Enteritis beherrscht. 

B. Reine Intoxikationen durch ausserhalb des menschlichen Körpers 
vorgebildete Gifte: 

3. Botulismus, hervorgerufen durch das hitzeempfindliche 
Gift des Bac. Botulinus van Ermenghem: Symptome der 
Enteritis fehlen oder spielen nur eine sekundäre Rolle gegen¬ 
über den schweren nervösen Störungen. 

4. Mytilismus — Muschel- und Austernvergiftung — an¬ 
geblich hervorgerufen durch Gifte, die diese Tiere aus fauligem 
Wasser aufnehmen (Mytilitoxin Brieger). 

5. Faulfleischvergiftungen, hervorgerufen durch gif¬ 
tige Stoffe, die das Bact. proteus in fauligem Fleische bildet. 

6. Leichte Enteritiden nach Genuss abgekochten oder 
stark erhitzten toxinhaltigen Fleisches durch Enteritis- 
bakterien (Al und A 2) infizierter Schlachttiere. 

Hierzu ist zu bemerken, dass die unter 4., 5. und 6. aufgeführten 
Erkrankungen noch nicht genügend erforscht erscheinen; namentlich 
gilt das von dem Mytilismus. bei dem es sich vielleicht doch um eine 
Infektion wenigstens der Muscheln durch Keime der Paratypiras- 
gruppe handelt, die bei den früheren, weit zurückliegenden Unter¬ 
em rigiraal fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



24 . September 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1091 


suchungen übersehen wurden. Das Krankheitsbild des Botulismus 
dagegen ist sowohl klinisch wie bakteriologisch völlig geklärt; es 
sollte daher von den anderen Erkrankungen auch im Sprachgebrauch 
scharf getrennt werden; das geschieht am besten durch Anwendung 
der Bezeichnung: Botulismus und nicht seiner Verdeutschung: 
Wurstvergiftung, da einerseits nicht immer die Wurst der 
Träger des Giftes ist, wie der vorliegende Fall zeigt, und anderer¬ 
seits gerade die Enteritiden häufig durch Wurst (namentlich frische 
Leber- und Blutwurst) hervorgerufen werden. 

Diskussion: Herren Frey, Hoppe-Seyler, Kiss- 
k a 11, W a g n e r, L u,b i n u s, B e h n. 

Herr Berblinger 1. demonstriert zunächst ein Neuroma 
amyefinicum des Nervus iscbiadlcus. Dasselbe fand sich bei der 
Sektion einer 50 jährigen Frau, welche seit Jahren an Ischias gelitten 
hatte. Die Geschwulst, etwa nussgross, liegt unter dem Epineurium 
an der pelvinen Fläche des Ischiadikusstammes dicht unter der 
Vereinigung des 5. Lumbal- und 1. Sakralnerven zu demselben. Der 
Tumor hängt durch ein zartes Nervenstämmchen mit Faserbündel 
des Ischiadikus zusammen, besteht aus sich wirr durchflechtenden, 
marklosen Nervenfasern und multipolaren Ganglienzellen ähnlichen 
Elementen. Derart oberflächlich gelegene, anatomisch gutartige Neu¬ 
bildungen verursachen durch Druck auf den Nerven neuralgische Stö¬ 
rungen, machen aber keine Lähmungen. Die Untersuchung des Ner¬ 
ven distal von der Geschwulst Hess auch keinerlei Faserausfall fest¬ 
stellen. 

Herr Berblinger bespricht dann zwei Geschwülste, die sich 
an der Halsseite und durch ein Zwischenwirbelloch hindurch auf der 
spinalen Dura ausdehnen. Durch die letztere Lokalisation kam es in 
beiden Fällen zu einer Halsmarkkompressiön. Bei der früher ge¬ 
machten (1914), im Bilde vorgelegten Beobachtung liegt ein Neuro-* 
fibrom vor, das, zweifellos von einer sensiblen Halsnervenwurzel 
ausgegangen, auf dem erwähnten Wege nach aussen am Hals herab¬ 
gewachsen war. Bei dem jüngst gesehenen Fall ist die Wachstums¬ 
lichtung wahrscheinlich eine umgekehrte, Zeichen von Halssympathi¬ 
kus- und Plexuslähmung folgten erst die medullären KQmpressions- 
symptome. Auch diese Neubildung ist wohl zu denen aus neuro¬ 
genem Gewebe zu rechnen. 

In beiden Fällen war die Farbe des Liquor cerebrospinalis nicht 
verändert. Eine Gelbfärbung des Liquor war in der früher mit¬ 
geteilten Beobachtung nicht aufgefallen, in der kürzlich gemachten 
sicher auszuschliessen. Der Liquor enthielt weder Blut noch Zell- 
vermebrung, die Nonne sehe Reaktion war positiv. 

Die sog. Xanthochromie des Liquor wird von den .einen auf 
vorhandenen Blutfarbstoff, von anderen auf die Gegenwart von Lu¬ 
teinen (Schnitzler) zurückgeführt. Ueber Wesen und Ursache 
der medullären Kompression kann ,man aus der nachgewiesenen 
Xanthochromie keine Schlüsse ziehen. Es fand aber Raven (1913), 
dass bei extraduraler Kompressionsursache die Gelbfärbung doch 
weit seltener angetroffen wird als bei intramedullärem Sitz des 
Kompressionsmomentes, etwa im Verhältnis von 33,3 Proz. zu 
68,75 Proz. Die Beobachtungen des Vortr. unterstützen die Angaben 
von Raven. Ein gewisser Wert kommt der Xanthochromie, des 
Liquor doch zu; wo sie fehlt, ist die Kompressionsursache mit 
grösserer Wahrscheinlichkeit extradural zu suchen. In solchem 
Falle dürfte man sich leichter zu ihrer operativen Beseitigung ent¬ 
schlossen. 

Herr Berblinger: Eingehender schildert der Vortr. an Hand 
von projizierten mikroskopischen Präparaten die anatomischen Be¬ 
funde am Nervensystem in einem Falle von Frledrel oh scher 
Krankheit (hereditärer Ataxie). 

Als 4. Präparat aus dem Gebiete der Pathologie des Nervensystems 
bespricht Herr Berblinger einen fast durch dde ganze Länge 
des Rückenmarks sich ausdehnenden Abszess. Dieser Rücken¬ 
marksabszess fand sich bei der Sektion eines 25 jährigen Sol¬ 
daten, bei welchem sich im Anschluss an eine Amputationsstumpf¬ 
eiterung ein subkutaner Abszess in der Rückengegend entwickelt 
hatte. Nach Spaltung dieses Abszesses stellte sich schlagartig eine 
schlaffe Lähmung der unteren Extremitäten, Blasen- und Mastdarm¬ 
lähmung ein. Man vermutete klinisoh eine Osteomyelitis der Wirbel¬ 
säule mit Kompression der Medulla spinalis. Bei der Laminektomie 
fand sich kein Eiter auf der Dura, die Lähmungen blieben bestehen 
bis zu dem 4Ys Monate später erfolgten Tode des Soldaten. Bei der 
Autopsie fand sich in der ganzen Wirbelsäule kein osteomyelitischer 
Herd. Ueber dem Lumbalmark waren Pachy- und LeptomeninK 
miteinander verwachsen, ohne indessen das Rückenmark selbst dabei 
einzuschnüren. 

Projiziert werden Querschnittspräparate aus den verschiedenen 
Höhen des Rückenmarks. Vortr. führt dabei aus, wie sich der Ab¬ 
szess vornehmlich innerhalb der grauen Substanz ausbreitet. Zum 
Teil erfüllen die Abszesshöhlen Zelldetritus, Körnchenzellen und 
Leukozyten, in denen Gram-positive Kokken nachweisbar sind. Aus 
dem Abszesseiter wurde Staphylococcus aureus in Reinkultur ge¬ 
züchtet. Die mehr zentral gelegene Abszesshöhle wird von Binde¬ 
gewebe umgeben, zwischen das sich gewucherte Neuroglia drängt, 
welche auch streckenweise die Höhle ausfüllt. Auch der dorsal ge¬ 
legene Abszess weist schon eine Bindegewebskapsel auf. 

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Im Lumbalmark findet sich eine eitrige Leptomeningitis, ein Ein¬ 
bruch der Eiterung in das linke Hinterborn. Aeste der Vasokorona 
zeigen eine totale Obliteration, so wie das Löwenstein auch bei 
länger dauernder Zerebrospinalmeningitis beschrieben hat. In den 
Venen sind kleine Thromben vorhanden. 

Die Erweichung der Rückenmarksubstanz, wie sie mehrfach zu 
sehen ist, ist eine ischämische, bedingt durch die Kompression kleiner 
Arterien durch den Druck des Eiters. Sie begünstigt die Ausbreitung 
der Eiterung, diese geht aber nicht aus jener hervor. Im oberen 
Halsmark findet sich nur eine Degeneration der Hinterstränge und 
zwar einschliesslich des ventralen Hinterstrangfeldes, welches 
Fasern umschliesst, die aus der grauen Substanz stammen, die aber 
im vorliegenden Falle eben auch schwer verändert ist. 

Die Ausbreitung der Eiterung entspricht dem bei Rückenmarks¬ 
abszessen mehrfach beobachteten Verhalten, stimmt überein mit der 
Ausdehnung extravasierten Blutes bei Hämatomyelie. 

Der Rückenmarksabszess darf als fortgeleitet entstanden be¬ 
trachtet werden. Von einer umschriebenen, eitrigen Leptomeningitis 
aus erfolgte der Einbruch an der Hinterhornspitze. 

Das apoplektiforme Auftreten der Lähmungen lässt oft. den Ge¬ 
danken an eine Abszedierung im Rückenmark nicht aufkommen. Die 
bindegewebige Abgrenzung der Abszesse setzt nach H u g u e n i n 
ein Alter derselben von mindestens 2 Monaten voraus. Das stimmt 
mit dem gezeigten Falle überein, in welchem die verschiedenen Ab¬ 
szesshöhlen sicher seit 2 Monaten, wahrscheinlich sogar erheblich 
länger bestanden haben. 

Herr Berblinger zeigt im Anschluss daran eine Infizierte 
Myelomeningitis bei einem 14 Tage alt gewordenen Mädchen mit 
Uebergreifen der Eiterung auf den Zent'ralkanal und die Hirnventrikel. 
Pyomy elon und Pyozephalus. Vortr. weist auf die seltenen 
Fälle hin, bei denen es von einem Pyomyelon aus zur Abszess¬ 
bildung im Rückenmark kommt. 


Allgemeiner Ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 10. Juni 1918. 

Vorsitzender: Herr Moses. 

Schriftführer: Herr H ü t z e r. 

Herr Frangenheim berichtet über die Verletzungen vom 
Fliegerüberfail des 18. Mai. 

Von den in die dem Vortragenden unterstellten Kranken¬ 
häuser eingelieferten Verletzten starben 11 unmittelbar nach 
der Einlieferung: darunter befanden sich 7 Verbrennungen, die 
fast die gesamte Körperoberfläche betrafen; sofort starben ausser¬ 
dem eine Bauchverletzung und 3 Extremitätenverletzungeil» die nach 
Abriss ganzer Gliedmassen dem erlittenen Blutverlust erlagen. Unter 
den später Verstorbenen waren noch 3 schwere Verbrennungen, 
2 Allgemeininfektionen mit multiplen Steckschüssen grosser Körper¬ 
gelenke sowie ein Schädelbruch. In den Brandwunden wurde eine 
Substanz gefunden, die an der Luft rauchte (Phosphor?). Im übrigen 
zeigten die Verbrennungen auch in ihrem weiteren Verlaufe keine 
Besonderheiten. Uebergehen in bösartige Eiterung, eine Eigentüm¬ 
lichkeit der Phosphorbrandwunden, wurde nicht beobachtet. Die 
Verbrannten hatten keine anderen Verletzungen erlitten, im be¬ 
sonderen wurden keine Bombensplitter bei ihnen gefunden. Ein 
sofort operierter Bauchschuss mit Vorfall von Magen und Dickdarm 
heilte nach Anfrischung der Schusswunde, Reposition der Bauch¬ 
eingeweide und Naht der Bauchdecken. Alle Frakturen waren kom¬ 
pliziert und zur Hälfte infiziert. Ein Lungensteckschuss war von 
einem Pleuraempyem gefolgt. Verschiedene Weichteildurchschüsse 
sowie ein Anzahl von Steckschüssen heilten nach frühzeitiger radi¬ 
kaler Wundversorgung. Bei einer Gravida im 7. Monat mit zahl¬ 
reichen Steckschüssen besteht trotz Wundversorgung und Beseitigung 
mehrerer Geschosssplitter in Narkose die Gravidität fort. Eine Ver¬ 
brennung abortierte am 10. Tage, nachdem am 2. Tage Blutungen 
auf traten. Allen Verletzten wurde prophylaktisch’ Tetanusantitoxin 
injiziert. 

Diskussion: Herr Füth: Unter den Verletzten befanden 
sich 13 Frauen und Mädchen, und Dr. Ebel er hat sich der Mühe 
unterzogen, sie über die Einwirkung des Fliegerangriffes auf die 
Genitalfunktion auszufragen. Innerlich untersucht ist von ihnen 
keine. Zwei von ihnen fallen für die Beurteilung aus: eine Frau 
von 66 Jahren und eine von 45 Jahren, bei der die Totalexstirpation 
gemacht war. Für die übrigen ergibt sich, dass die Art der Ver¬ 
letzung (Granatsplitter, Verbrennungen, Oberschenkelbruch und son¬ 
stige Weichteilwunden) für die Einwirkung auf die Genitalsphäre 
keinerlei Rolle gespielt hat. Es handelt sich einmal um Blutungen, 
die im Intervall entsetzten, so bei einem 21 jährigen Mädchen 
(Granatsplitterverletzung der linken Hand und Hüfte), bei dem am 
Abend des 18. und zwar 9 Stunden nach der Verletzung und 12 Tage 
nach der letzten Periode, eine Blutung einsetzte, die 8 Tage dauerte, 
mit Schmerzen verbunden war und nicht so stark verlief wie die 
gewöhnliche Periode. Ferner zeigte sich eine Veränderung in der 
nächsten, zur richtigen Zeit eintretenden Periode. Bei einer 27jähr. 
Frau, welche die Periode regelmässig 4*wöchentlich, schwach, 3 Tage 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1092 


Nr. 39. 


dauernd hatte, setzte die nächste Periode nach dem Fliegerangriff 
am 29. V. ein, verlief furchtbar stark, War schmerzhaft und dauerte 
erheblich länger. Auch das Gegenteil wurde beobachtet. Eine 
19 jährige Patientin bekam die Periode 2 Tage nach dem Flieger¬ 
angriff am 29. V., sie dauerte nur einen Tag, war ganz schwach 
und verlief ohne Beschwerden, während die Periode sonst 8 Tage 
dauerte und sehr stark und schmerzhaft war. Bei anderen Patien¬ 
tinnen setzte die Periode früher ein, als sie erwartet wurde, so bei 
einer 20 jährigen Patientin, welche die Periode regelmässig 4 wöchent¬ 
lich hatte, diesesmal nach 3 Wochen; sie war von 6 tägiger Dauer, 
gegenüber sonst 3 Tagen. Bei einer Frau war die Periode gerade 
da, als durch den Fliegerangriff eine Weichteilwunde an der Hüfte 
gesetzt wurde; vom selben Tage ab verlief die Periode weiterhin 
ganz schwach und war nach 6 Tagen zu Ende, während sie sonst 
10 Tage dauerte. 2 Frauen waren gravide. Eine 31 jährige, VII. Ge¬ 
bärende, die von 6 Granatsplittern getroffen wurde und sich im 
8. Monat der Schwangerschaft befand, erlitt keinerlei Störungen 
der Gravidität; bei einer 31jährigen Frau wurde dagegen am 28. V. 
•in fötider Abort ausgeräumt. 

Ferner die Herren Krautwig, Hützer, Geuer, Löwens- 
berg. 

Es wird beschlossen, eine auf klärende Notiz der Presse zu¬ 
zusenden und gleichzeitig ein entsprechendes Zirkular betr. Flieger¬ 
verletzungen den Mitgliedern zuzustellen. 


Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen. 

(Medizinische Abteilung.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 1. Juli 1918. 

Vorsitzender: Herr Heidenhain. 

Schriftführer: Herr Schloessmann. 

Herr C. Jacob): Beeinflussung der VeratrinWirkung durch 
Chlorkalzftum. 

Veranlasst durch die Diskussion, welche sich in der Sitzung vom 
5. November 1917 an die Vorträge der Herren Fleischer, Hei¬ 
de nhain und Naegeli über Myotonie anschloss (vergl. diese 
Wschr. 1918 S. 86) hat W. J a c o b j versucht, Frösche in einen an¬ 
dauernd myotonischen Zustand zu versetzen, was ihm durch Gaben 
von 0,05—0,00125 mg Veratrin, welche in 1—3 tägigen Intervallen 
gegeben wurden, auch gelang. Aber selbst an Tieren, welche 3 Mo¬ 
nate ununterbrochen in solchem Zustand erhalten waren, konnten 
weder Veränderungen am Muskel, wie sie bei Myotonie beobachtet 
waren, von Prof. Heidenhain gefunden, noch auch am Auge Trü¬ 
bungen beobachtet werden. J. stellte dann weitere Versuche über die 
Beeinflussung der Veratrinmyotonie durch Ca-Ionen an. 

Auf Grund der neueren physikalisch- und kolloidchemischen Vor¬ 
stellungen *) kann man die Zuckung des quergestreiften Muskels als 
eine in 2 Akten verlaufende antagonistische reversible Aenderung 
des Dispersionszustandes der beiden Muskelkolloide auffassen und 
sich den Vorgang folgendermassen vorstellen. Unter dem Einfluss 
des durch den Nervenreiz an der Oberfläche des einen (anisotropen) 
Kolloids erzeugten elektrischen Potentials erhalten die Kolloidteilchen 
desselben erhöhte (—) Ladung, durch welche eine Dekondensation 
derselben, d. h. eine Zerteilung grösserer Moleküle in mehrere klei¬ 
nere bewirkt und hierdurch eine erhöhte Quellbarkeit der Kolloid¬ 
masse bedingt wird. Gleichzeitig wird durch die Dispersion der 
Molekülkomplexe eine leichtere oxydative Angreifbarkeit und bei 
Gegenwart aktiven Sauerstoffs eine stärkere Oxydation der aus den 
Molekülen lösbaren Köhlehydratgruppen veranlasst. 

Beim Zerfall dieser Gruppen entsteht bekanntlich Wasser. Gleich¬ 
zeitig tritt Wasser aus der isotropen Substanz aus, weil diese unter 
dem Einfluss der -f- Ladung und der durch sie hindurch entweichen¬ 
den Kohlensäure von deren -pH-Ionen in ihren Kolloidteilchen kon¬ 
densiert wird. Indem das auf beide Arten freiwerdende Wasser zur 
Quellung des anisotropen Kolloids verwendet wird, nimmt dieses an 
Volumen zu und dehnt sich bei dem durch Kondensation gesteigerten 
elastischen Widerstand der isotropen Substanz seitlich aus, so dass 
unter Verbreiterung des Querschnittes der Massen der Muskel gleich¬ 
zeitig in der Längsachse verkürzt wird. 

Unter normalen Verhältnissen kehrt sich dieser Vorgang mit Auf¬ 
hören der vom Nerven erzeugten elektrischen Spannung und unter 
Entweichen der entstandenen Kohlensäure und des überschüssigen 
Wassers in und durch die isotrope Substanz um, indem nun Kon¬ 
densation der Kolloidteile in der anisotropen und Dekondensation in 
der isotropen Substanz erfolgt. Sind aber Bedingungen vorhanden, 
welche die Abgabe des Wassers oder des Kondensationsvermögens 
der anisotropen Substanz herabsetzen oder verzögern, so wird die 
Entspannung nur verlangsamt und unvollkommen erfolgen können. Es 
wird zu dem spastischen Verkürzungsrückstand kommen, wie er als 
Tiegel sehe Kontraktion bei schlechtgenfihrten Winterfröschen wohl 
mit infolge Wassermangels der Gewebe und ebenso nach starker Er- 


*) Cf. Hamburger: Osmotischer Druck und Ionenlehre, 1904, 
S. 159 u. 160. 


müdung des Muskels durch tetanische Reizung, aber auch bei der 
Veratrin Vergiftung in der bekannten Kurve in Erscheinung tritt. Die 
in solchen Fällen vermutlich bestehende übermässige Neigung der 
anisotropen Substanz unter Zurückhaltung des Wassers in Dekonden¬ 
sation zu verharren, müsste demnach durch die die Kolloidteile ent¬ 
ladende Wirkung der Ca-Ionen herabgesetzt und so das Auftreten 
des Spasmus vermindert oder verhindert werden können* Die von 
W. Jacobj angestellten und auch vorgeführten Versuche an Frö¬ 
schen zeigten nun, dass die mit 0,025 mg Veratrin vergifteten, die 
myotonischen Erscheinungen zeigenden Tiere nach 20 mg Chlor¬ 
kalzium die Myotonie verlieren, und ebenso bei Fröschen, welche 
20 mg Chlorkalzium erhalten hatten, auf 0,025 mg Veratrin keine 
Myotonie auftritt. Dass Ca-Ionen diese Myotonie aufheben, ist damit 
bewiesen. Ob auch andere ähnliche myotonische Zustände durch 
Kalziumzufuhr sich beseitigen lassen, müssen weitere Versuche lehren, 
ebenso ob und in wieweit der gegebene Erklärungsversuch der Wir¬ 
kung als zutreffend anzusehen ist. J. hofft über diese und weitere 
Versuche später ausführlicher berichten zu können. 

Herr C. Jacob): Physikalische Begründung des mechanischen 
Einflusses der Lultdruckernledrigung als physiologischer Wirkungs¬ 
faktor des Höhenklimas. 

Die Möglichkeit eines mechanischen Effektes der Luftdruck- 
emiedrigung wird auch heute noch meist in Abrede gestellt und ihre 
Heranziehung zur Erklärung der Wirkungen des Höhenklimas vielfach 
nicht streng wissenschaftlich betrachtet, weil man von der Voraus¬ 
setzung ausgeht, dass der Luftdruck auf alle äusseren und inneren 
Teile unseres Körpers in jeder Richtung und in gleicher Weise zur 
Wirkung zu gelangen vermöge, und so sich in seiner Wirkung ln 
jeder Richtung aufheben müsse. 

J. zeigt nun auch an der Hand von Versuchen, dass diese Voraus¬ 
setzung unzutreffend sei, und zwar deshalb, weil man dabei nicht 
berücksichtigt, dass im Körper elastische Massen der verschiedensten 
Art und Anordnung vorhanden sind, deren vom Luftdruck unab¬ 
hängige, z. T. sehr erhebliche und veränderliche Kräfte der Wirkung 
des Luftdruckes in den verschiedensten Richtungen im Körper ent¬ 
gegenzutreten und sie abzuschwächen oder aufzüheben vermögen. 
So wird, auch wenn die Luftdruckänderung auf der Oberfläche gleich- 
mässig zur Geltung kommt, ihre Wirkung auf die in der Tiefe ge¬ 
legenen Teile ungleich ausfallen und zu Gleichgewichtsstörungen An¬ 
lass geben, welche unter Massenverlagerung zu mechanischen 
Effekten, wie z. B. auch zu einer stärkeren Blutfüllung der Lungen- 
gefässe führen müssen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Beweis¬ 
führung und der sich aus ihnen ergebenden theoretischen und prak¬ 
tischen Folgerungen muss auf die demnächst in dieser Wochenschrift 
erscheinende ausführlichere Darstellung verwiesen werden. 

Erörterung: Herren Paschen, Jacobi, Perthes. 


Akademie der Wissenschaften In Paris. 

Die bakteriologische Untersuchung des Seinewassers bei Paris auf 
Bazillen von Typhus und Paratyphus B. 

In der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 
14. Januar 1918 wurde über die Kultur und die Färbemethode be¬ 
richtet, welche zum Nachweis der Typhusbazillen und des Para¬ 
typhusbazillus B bei der amtlichen Wasseruntersuchung zur An¬ 
wendung käme. (De la recherche des bacilles d’Eberth et para- 
typhiques B dans les eaux. Note de MM. F. D i £ n e r t, A. Guil- 
1 e r d et Mme. Antoine L e g u e n, präsentöe par M. R o u x, C. R. 166. 
1918. Nr. 2.) 

Schon früher (C. R. 164. S. 124) hätten sie gezeigt, wie man 
durch Färbung mit Malachitgrün den Typhusbazillus und den Para¬ 
typhusbazillus B nachweisen könnte. Seitdem hätte dies Verfahren 
allgemeine Aufnahme in die Praxis gefunden und würde auch bei der 
amtlichen Untersuchung des Trinkwassers von Paris angewendet. 

Zuerst werden mehrere Liter Wasser mit dem Kollodiumsäck¬ 
chen filtriert, um die Keime zu konzentrieren; darauf wird der Rück¬ 
stand auf der Oberfläche des Filters in 50 ccm steriler physiologischer 
Kochsalzlösung auf geschwemmt. Damit werden 50 ccm 6proz. Pep¬ 
tonwasser mit 3 ccm keimfreier Galle und mit 2,5 ccm einer Lösung 
von Malachitgrün 1:200 beschickt; das Ganze bringt man in den 
Wärmeschrank von 37°. Nach 1—2 Tagen isoliert man die entstan¬ 
denen Kulturen folgendermassen: es werden 5 Tuben mit je 25 ccm 
frischhergpstellten Bleiagars*) genommen und im Wasserbad von 
46° geschmolzen. Darauf taucht man einen Platindraht in die 
Bouillon mit Malachitgrün, sodann nacheinander in jede der 5 Tuben 
mit Bleiagar, ohne jedesmal den Draht neu zu beschicken. Die 
Tuben werden geschüttelt, um die Keime besser im ganzen zu ver¬ 
teilen, darauf giesst man den Inhalt in eine Petrischale. Man kann 
auch 5 Tuben mit 40 ccm gewöhnlichen Agaragar bei 46° flüssig 
machen. Sobald das Bleiagar in der Petrischale fest geworden ist, 
bringt man etwas gewöhnlichen Agaragar darauf, damit die Bazillen 
im Bleiagar in anaerobem Milieu sind sodann in den Wärmeschrank 
von 37°, um die Entwicklung der Kulturen zu verfolgen. Typhus¬ 
bazillus und Bazillus Paratyphus B bilden eine braune Kolonie mit 


*) 0,5 ccm offizineller Bleiessig V™ auf 10 ccm Agaragar. 


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24. September 191$. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1093 


einem helleren Hof. während die Kolonie von Bacillus coli kaum 
braun und ohne Hof ist. Auch Pyozyaneus kann sich entwickeln, 
seine Kolonie sieht aber ganz anders aus als die von Para B. Die 
braunen Kolonien mit Strahlenkranz werden isoliert, auf Pepton¬ 
bouillon verimpft und mit Indol und Agglutination untersucht. Kultur 
auf Schrägagar und Färbung mit Gram, auf Zuckeragar Färbung mit 
Neutralrot, auf Lackmusmolke und auf Lackmusmilch. 

Mit diesem nahezu unfehlbaren Verfahren werde das Seine¬ 
wasser von Paris auf Typhus und Paratyphusbazillen untersucht. 
Zum Nachweis von 10 Kolonien von Typhusbaziflen oder Para¬ 
typhus B müsten 347 Kolonien auf Lackmusmilchagar gezüchtet wer¬ 
den, dagegen nur 64 auf Bleiagar. Dr. L. K a t h a r i n e r. 


Kleine Mitteilungen. 

Die Tätigkeit der Deutschen Lupuskommission Im Jahre 1917. 

Die Lupuskommission des Deutschen Zentralkomitees zur Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose hat auch im Berichtsjahre 1917 nach den 
bisherigen bewährten Grundsätzen gearbeitet. Erfreulicherweise ist 
in der Zahl der Heilverfahren gegenüber den Jahren 1915 und 1916 
wieder ein Fortschritt zu verzeichnen. Es wurden 1917 ganz oder- 
teilweise auf Kosten der Lupuskommission insgesamt 253'Kranke 
behandelt (gegenüber 192 Kranken tim Jahre 1915 und 157 Kranken 
im Jahre 1916), darunter 40 Männer, 164 Frauen und 49 Kinder. Die 
von der Lupuskommission aufgewandten Kosten belaufen sich auf 
insgesamt 18198.33 M„ von anderen Kostenträgern wurden 
39 807.24 M. aufgebracht. Von den Kranken konnten 100 geheilt, 139 
gebessert und 13 ungeheAlt entlassen werden. Ein Kranker ist 
verstorben. 

Von den Kranken konnten demnach mehr als ein Drittel geheilt 
entlassen werden, bei dem grösseren Teil wurde wesentliche Besse¬ 
rung bis zur Herstellung der Erwerbsfähigkeit erzielt. Die Behand¬ 
lungsdauer bei Kranken, die sich einem ständigen Heilverfahren 
unterwarfen, schwankte in der Regel zwischen 2—5 Monaten. Bei 
vielen Kranken konnte die Behandlung ambulant -durchgeführt wer¬ 
den, so dass die Aufnahme immer nur für einige Tage zu erfolgen 
brauchte. Häufig traten RüokfäUe ein, die innerhalb des Jahres 
wiederholte Behandlungen erforderten. 

Es darf hierbei nochmals darauf hingewiesen werden, dass die 
Lupuskommission vornehmlich solche Kranken berücksichtigt, deren 
Leiden sich noch im Anfangsstadium befindet und Heilung oder 
wesentliche Besserung bis zur Herstellung der Erwerbsfähig&eit 
erwarten lässt. Untersuchung und Behandlung hat in den von der 
Lupuskommission bekanntgegebenen Lupusheilanstalten zu erfolgen. 
Die Höhe der Beihilfen richtet sich nach dem Umfang der zu er¬ 
wartenden Kosten; sie beträgt im allgemeinen ein Viertel bis ein 
Drittel der Gesamtkosten. An die Gewährung ist die Bedingung 
geknüpft, dass die Restkosten von anderen Stellen (Kreis* Gemeinde, 
Landes Versicherungsanstalten, Krankenkassen, Wohltfa-hrtsvereine, 
Angehörigen oder dergk) sichergestellt werden. Es darf hieibei 
nochmals darauf hingewiesen werden, dass für die Fürsorge der 
Lupuskommission nur solche Fälle in Betracht kommen, deren An¬ 
meldung rechtzeitig, d. h. vor Beginn der Behandlung erfolgt ist, so 
dass der Lupuskommissiob Gelegenheit gegeben wird, bei der Ein¬ 
leitung des Heilverfahrens mitzuwirken und sich vorher über die 
zu bewilligende Beihilfe schlüssig zu machen. 

An alle für die Lupusbekämpifung interessierten Stellen ergeht 
die Bitte, die Bestrebungen der Lupuskommission durch rechtzeitige 
Mitteilung unbehandelter Lupuskranker freundlichst unterstützen m 
wollen. 


Vergleichende Ueberslcht der wichtigsten Sätze der neuen Gebühren¬ 
ordnungen. 


Sitze 

| Preussen j 

| Bayern | 

| Wflrttbg. 

M. 

H 

M. 

H, 

M. 

H 

Erst. Besuch . . . 

3 

20 

3 

10 

3 

10 

jed folg. Bes. . . ... 

1.50 

10 

2 

6 

1.50 

5 

Erst. Berat, in der Wohn, des Arztes 

1.50 

10 

2 

6 

2 

6 

|ede folg. Berat. ...... . 

1.— 

5 

1 j0 

3 

1 

5 


Rhein. Ae.Korr. 


Therapeutische Notizen. 

Zur Bartflechtenbehandlung. 

Da jetzt allenthalben von der Einrichtung von Rasierstuben 
für Bartflechtenkranke geschrieben wird, scheint die Frage am Platze, 
ob es überhaupt ratsam ist, dass Bartflechtenkranke sich rasieren 
lassen bzw. sich selbst rasieren? 

Beides ist unbedingt abzulehnen! Durch den Rasierpinsel 
werden die Pilze von der erkrankten Stelle aus über das ganze 
Gesicht des Patienten weiterverbreitet und durch das Rasiermesser 
direkt eingeimpft, so dass der Bartflechtenkranke mit seinen eigenen 
Pilzen immer weiter an gesunden Stellen infiziert wird. Man darf 
den Bart iedoch auch nicht lang wachsen lassen, sondern muss ihn 
durch «ine Va —1 mm Haarschneidemaschine kurz halten, da sonst 

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die Medikamente in den Haaren hängen bleiben und nicht bis auf die 
erkrankte Gesichtshaut gelangen. 

Den Patienten gefällt das „Nichtrasieren“ natürlich nicht, da sie 
nicht als „Stachelschweine“ herumlaufen wollen. Aber diese Mass¬ 
nahme ist meines Erachtens das einzig Richtige, um die Krankheit zu 
lokalisieren, was dadurch auch gelingt. 

Viele Patienten schaffen sich selbst eine solche Haarschneide¬ 
maschine an, die sie auch selbst durch Auskochen desinfizieren 
können. 

Bei der Behandlung der Bartflechte komme ich mit 3 Rezepten 
aus. Zur Ablösung der weissen Schuppen (Anfangsstadium) benutze 
ich folgende Salbe: 

Acidi salicylici 0,5 

Sulfuris praecipitat. 2,5 

Unguenti neutral, ad 25,0 

Diese Salbe lasse ich 2—3 mal täglich auf die erkrankten Stellen 
einpinseln, ausserdem aber abends das ganze Gesicht und Hals 

(soweit rasiert wurde) mit einem anderen Pinsel einpinseln, um 
eventuell verschleppte Keime schon vor ihrem Sichtbarwerden zu 
vernichten. Nach 3—4 Tagen lösen sich die Schuppen los. Dann 
lasse ich Sublimatumschläge 1:3000 machen (1:1000 reizt die Haut 
noch zu sehr) und alle Haare in den erkrankten Partien auszlehen. 

Ist schon Knotenbildung mit Eiterung eingetreten, so fange ich 
sofort mit Sublimatumschlägen (heiss) au und lasse nachts lOproz. 
Ichthyolsalbe auftragen. Natürlich müssen in diesem Krankheits¬ 
stadium die Haare erst recht ausgezogen werden. 

Der Patient muss nicht nur ein Handtuch für seinen alleinigen 
Gebrauch zur Verfügung haben; er darf dasselbe nicht einmal für 
das Gesicht benützen, sondern muss für dieses einen eigenen Lappen 
nehmen. Besonders muss sich der Patient hüten, sich — dem Juck¬ 
reiz folgend — mit den Händen ins Gesicht zu fahren, da er dadurch 
die Pilze an die Finger bringt, um dieselben dann durch Handgeben 
oder durch Türklinken, Zeitungen, kurz alles, was er anfasst, weiter 
zu verbreiten. 

Es kann daher auch niemand einen Barbier schadenersatzpflichtig 
machen, obgleich er sich nur bei ihm (einem Barbier) hat 
rasieren lassen, da eine Infektion auf anderem Wege nicht aus¬ 
geschlossen ist. 

In den Rasierstuben halte ich noch für besonders gefährlich 
, das Tuch, mit dem nach dem Rasieren das Gesicht getrocknet wird, 
da ersparnishalber der Barbier nicht für jeden Kunden ein neues, 
richtig gehend frisch gewaschenes Tuch nehmen kann. 

Dr. med. Th. Spiegelhauer-Zwickau i. S., 
Facharzt für Hautkrankheiten. 

Gutklebende Pflaster. 

In Nr. 74 der Pharm, Ztg. schreibt B a n d o li - Derenberg a. H.: 
Die Aufbewahrung gestrichener Pflaster zwecks Erhaltung ihrer 
Klebkraft in einer Benzinatmosphäre bewährt sich nicht bei solchen, 
die mit künstlichem oder Kautschukersatz hergestellt sind. Nach 
meinen Versuchen wurden selbst ganz alte ausgetrockmete Capsicin- 
und andere Pflaster aber in. Benzol-Chloroform-Dunst wieder tadellos 
brauchbar. Ich benutze hierzu einen mit Siebeinsatz versehenen 
Blechkasten, dessen Boden mit Creta laevigata beschickt ist zum 
Aufsaugen der Mischung aus gleichen Teilen Benzol und Chloroform. 

Mandelmilchersatz. Wenn man in der Milch auf den 
Liter 3—4 Pfirsichblätter, am besten die frischesten an der Spitze 
der Zweige, einige Minuten mitkocht, nimmt dieselbe den Geschmack 
bester Mandelmilch an. Man muss einigemale probieren, um den 
richtigen Zeitpunkt zu finden, wonach die Blätter entfernt werden. 
Vielleicht ist im Zeitalter der „Ersatzmittel" den Kollegen dieses Ver¬ 
fahren zur Geschmacksverbesserung bei Milchdiät willkommen. 

Dr. Landgraf -Bayreuth. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 23. September 1918. 

— Kriegschronik. Nach Beendigung des grossen stra¬ 
tegischen Rückzugs der deutschen Armee ist die Hindenburgstellung 
das Ziel stärkster Anstürme der Feinde; einige im Vorgelände der 
Linie gelegene Ortschaften gingen noch verloren; im ganzen wurden 
die Angriffe siegreich abgewehrt. In Mazedonien griffen französische, 
englische, serbische und griechische Truppen die bulgarischen Linien 
an. Nach Zurücknahme der Streitkräifte in bessere Stellungen wur¬ 
den alle weiteren Angriffe abgewiesen. An der Front von Archan¬ 
gelsk haben die Sowjettrupperc eine Schlappe erlitten. Die Stadt 
der Oelquellen, Baku, wurde den Engländern entrissen. — Die In 
letzter Zeit sich häufenden Angriffe feindlicher Flieger auf deutsche 
Lazarette zeigen, dass es sich hier um planmässiges Vorgehen- han¬ 
delt; in zwei Monaten sind nicht weniger als sechs solcher Angriffe 
auf deutlich mit dem roten Kreuz bezeichnete Lazarettanlagen aus¬ 
geführt worden, denen viele Verwundete zum Opfer gefallen sind; 
die deutsche Regierung hat gegen diese fortgesetzten Verletzungen 

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1094 


M'UENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 39. 


der Genfer Konvention aufs nachdrücklichste Verwahrung eingelegt. — 
Auf die Friedensnote des Grafen Burian hat als Erster Wilson offi¬ 
ziell mit einer glatten Absage geantwortet. Von der Entente Hegt 
eine amtliche Antwort noch nicht vor, doch lässt eine hasserfüllte 
Rede Clemenceaus im französischen Senat schon jetzt erkennen, wie 
sie lauten wird. Diese angesichts des — vermeintlich — nahen Sieges 
hervorbrechenden Aeusserungen ungezügelter Rachgier zeigen uns, 
was wir von einem siegreichen Frankreich zu erwarten hätten. Also 
heisst es, das deutsche Schwert scharf erhalten und Kriegsanleihe 
zeichnen. In der Tat könnte keine Anstrengung von deutscher Seite 
uns eindringlicher mahnen auch bei der 9. Kriegsanleihe 
unsere Pflicht zu tun, als Clemenceaus Rede an den Senat. 

— Für die im Heeressanitätsdient stehenden Medizinstu¬ 
dierenden, die vor dem 1. April 1915 sieben Studiensemester, 
darunter 2 klinische, beendet haben, kann eine Beurlaubung zur 
Fortsetzung des Studiums erst zum 1. November erfolgen. 

— Man schreibt uns: „Es ist seinerzeit lebhaft von allen Seiten 
begrüsst worden, als von den Armeekorpskommandos entschieden 
gegen die Gefteimmitteäfabrikanten Stellung genommen wurde und 
ihnen insbesondere jedes öffentliche Anpreisen ihrer Allheilmittel in 
der Tagespresse, in Flugblättern etc. verboten wurde. Nun ist es 
merkwürdig, zu beobachten, wie diese Vorschriften von gewissen 
Kreisen offen und ohne Scheu übertreten werden, ohne dass die Be¬ 
hörden gegen sie einschreiten. So empfiehlt die Karmelitenapotheke 
in München in wöchentlich 2—3 mal wiederkehrenden Inseraten, das 
Geheimmittel Hydropsal gegen Wassersucht. Der Hauptbestandteil 
ist nach der Reklame eine Rosavarietät, deren Dasein in weitesten 
botanischen Kreisen unbekannt ist. Ebenso fragwürdig ist auf alle 
Fälle der im Inserat in Aussicht gestellte Erfolg. Dazu ist es aus¬ 
drücklich aufs strengste verboten, in derartigen Inseraten Er¬ 
folg zu versprechen, so dass es verwunderlich ist, weshalb sich 
nicht längst schon die zuständige Aufsichtsbehörde rührt. Man kann 
doch nicht annehmen, dass hier zugunsten einer Apotheke eine Aus¬ 
nahme gemacht wird. Es ist unbedingt notwendig, dass dieses In¬ 
serat baldigst unterdrückt wird/' 

— Durch einen Beschluss des Bundesrats vom 28. August d. J. 
wird bestimmt, dass Angestellte, die nach dem Versicherungs¬ 
gesetze für Angestellte versichert sind und aus der Ver¬ 
sicherungspflicht ausschedden würden, weil sich ihr Jahresarbeitsver¬ 
dienst auf über 5000 M. erhöht, versicherungspflichtig bleiben, so¬ 
fern ihr Jahresarbeitsverdienst 7000 M. nicht übersteigt. Angestellte, 
die nach dem Versicherungsgesetze für Angestellte versicherungs¬ 
pflichtig waren und nach Ausbruch des gegenwärtigen Krieges aus 
der Versicherungspflicht wegen- Erhöhung ihres Jahresarbeitsver¬ 
dienstes auf über 5000 M. ausgeschieden sind, werden wieder ver¬ 
sicherungspflichtig nach diesem Gesetze, sofern ihr Jahresarbeits¬ 
verdienst 7000 M. nicht übersteigt. Freiwillige Weiterversicherung 
ist zulässig, wenn sich der Jahresarbeitsverdknst auf über 7000 M. 
erhöht oder erhöht hat. 

— Geheimrat Dr. Cu Titz ist für die Dauer seines Amtes als 
Vortragender Rat in der Medizinalabteilung des pr. Ministeriums des 
Innern zugleich zum ordentlichen Mitgliede der Wissenschaftlichen 
Deputation für das Medizinalwesen ernannt worden, (hk.) 

— Dem Dozenten an der deutschen Medizinschule für Chinesen 
in Schanghai, Dr. Richard Gerngross, wurde vom König von 
Bayern der Titel eines Professors verliehen, (hk.) 

— Als Nachfolger des Prof. Dr. K. W i 1 m a n n s, der am 1. Ok¬ 
tober d. J. das Ordinariat der Psychiatrie in Heidelberg übernimmt, 
wurde der Anstaltsarzt, Medizinalrat Dr. Johannes Klewe-Ne- 
b e n i u s zum Direktor der Grossherzogi. bad. Heil - undPflege- 
anstalt bei Konstanz ernannt, (hk.) 

— Die Chemische Fabrik E. M e r c k - Darmstadt, die kürzlich 
ihr 250 jähriges Jubiläum feierte, hat der Kaiserin^Friedrich-Stiftung 
für die Zwecke der ärztlichen Fortbildung den Betrag von 10 000 M. 
überwiesen. 

— Der in Wien tagende Kongress für Kriegsbeschä¬ 
digtenfürsorge wählte Berlin zum Sitz des nächstjährigen 
Kongresses und Prof. Biesalski zum Präsidenten. 

— Der von der ungarischen waffenbrüderlichen Vereinigung ver¬ 
anstaltete Kongress der ärztlichen Abteilungen der deutschen, 
österreichischen und ungarischen waffenbrüderlichen Ver¬ 
einigungen ist am 21. ds. in Pest feierlich eröffnet worden. 
Für die deutschen Aerzte sprach Ministerialdirektor Prof. Dr. 
Kirchner. 

— Der Deutsche Ausschuss für Kleinkinderfür- 
sorge (Geschäftsstelle Frankfurt a. M.) veranstaltete, wie berichtet, 
zusammen mit dem Landesverband für Säuglings- und Kleinkinder¬ 
fürsorge in Bayern und mit anderen Münchener lokalen Vereini¬ 
gungen seinen 3. Lehrgang vom 23. bis 28. September in München. 
Verhandlungsgegenstand ist die Ländliche Kleinkinderftir- 
sorge. Mit dem Lehrgang ist eine Wanderausstellung „Das Klein¬ 
kind" verbunden. Die Vorträge finden in der Universität statt. Teil¬ 
nehmergebühr 10 M. für -den ganzen Lehrgang. 2 M. für den einzelnen 
Tag. 

— Am 27. Oktober findet in Leipzig die 2. Kriegstagung 
der Vereinigung mitteldeutscher Psychiater und 


Vertag m |. P. Lehmann tn Manchen S.W. 2, Paal Heyvestr. 26. 

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Neurologen statt. Anmeldungen von Vorträgen werden er¬ 
beten an Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig, Psychiatrische und Nerven- 
klinik 'der Universität Leipzig. Bisher ist folgende Tagesordnung 
festgesetzt: Referat: Willige: Ueber die Behandlung der syphi¬ 
litischen Erkrankungen des Zentralnervensystems. Vorträge: 
Wichura: Zur spezifischen Behandlung der Tabes dorsa-Hs. — 
Anton: Kopfröntgenbilder bei Entwicklungsstörungen. — Jolly: 
Ueber Polyoeuritis bei Soldaten. — Strohmayer: Sexualität 
und Zwangsvorstellungen. — Flechsig: Bedeutung des mensch¬ 
lichen Stirnhirns. — Ziehen: Thema Vorbehalten. — Pfeif er- 
Nietieben: Ueber die Lokalisation der kortikalen Harnblasenzentren. 
— v. Rohden: Ueber Störungen der Aufmerksamkeit bei Hirnver¬ 
letzten. — Pf e i f e r - Leipzig: Die wissenschaftliche Orientierung 
der Sonderabteilung für Hirnverletzte. — v. Niessl-Mayen- 
dorff: Ueber Lähmungstypen nach Hemisphären Verletzungen im 
Kriege. — Krapf: Ueber die Behandlung der Kriegsneurosen. — 
Wattenberg: Die Benennung unserer Heilanstalten eine Gegen¬ 
wartsfrage. 

— Cholera. Russland. In Petersburg wurden laut Mit¬ 
teilung der Stadtverwaltung in der Stadt ohne die Vororte vom 
6. bis 23. August 659 Erkrankungen gemeldet. In die Krankenhäuser 
der Stadt ausschliesslich der Militärlazarette sind vom 1. bis 
fcl. August 1177 Cholerakranke auf genommen worden; gestorben 
sind dort 508. Den Militärlazaretten gingen in aer gleichen Zeit 
192 Cholerakranke zu; der Seuche erlagen 91. — In Moskau war 
nach Mitteilung vom 21. August die Cholera im Zunehmen begrifier. 
In der Woche vom 4. bis 10. August wurden 125 Erkrankungen ge¬ 
meldet. Am 16. August waren in den Krankenhäusern der Stadt 
281 Cholerakranke in Behandlung. Im Gouv. Moskau wurden vom 
11. bis 17. August 180 Erkrankungen festgestellt. 

— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 8. 
bis 14. September 4 Erkrankungen unter russischen Arbeitern in 
Eugenienhof (Kreis Grünberg, Reg.-Bez. Liegnitz). — Kaiserlich 
Deutsches Generalgouvernement Warschau. In der Woche vom 25. 
bis 31. August wurden 191 Erkrankungen (und 17 Todesfälle) fest¬ 
gestellt. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 1. bis 7. Septenmer 
sind 2861 Erkrankungen (und 296 Todesfälle) gemeldet worden. 

— In der 36. Jahreswoche, vom 1. bis 7. Septen&er 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Münster i. Westf. mit 42,6, die geringste Rüstringeo mit 7,6 
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr ais ein Zehntel 
aller Gestorbenen starb an Diphtherie und Krupp in Rüstringen. 

(Vöff. d. Kais. GesA) 

Hochschulnachricbten. 

Breslau. Prof. Dr. Franz D o f l e i n - Freiburg i. Br. hat 
den an ihn ergangenem Ruf auf den Lehrstuhl der Zoologie an der 
Universität Breslau als Nachfolger Kükenthals ange¬ 
nommen. (hk.) 

G ö 11 i g e n. Ernannt wurde Prof. Dr. Karl Reifferscheid, 
Privatdozent und Oberarzt an der Frauenklinik in Bonn, zum Ordi¬ 
narius und Direktor der Frauenklinik in Göttingen als Nachfolger 
des verstorbenen Geh. Med.-Rats Prof. Jung, (bk.) 

Marburg, ln der medizinischen Fakultät habilitierte sich 
Dr. H. Kehl, Assistenzarzt an der chirurgischen Klinik, mit einer 
Antrittsvorlesung über den „Ersatz des aus dem Kreislauf ausge¬ 
flossenen Blutes", (hk.) 

München. Militärärztliche Akademie. Der Sanitätsinspekteur 
und Direktor der militärärztlichen Akademie in München. Ober¬ 
generalarzt Dr. Georg R e h, ist in Genehmigung seines Abschieds¬ 
gesuches zur Disposition gestellt worden. Der Dozent an der ge¬ 
nannten Akademie, Oberstabsarzt Dr. Eduard Müller, wurde zum 
Generaloberarzt befördert, (hk.) 

Wien. Zum ordentlichen Professor und Vorstande des phy¬ 
siologischen Intsituts an der Wiener Universität wurde als Nachfolger 
des Hofrats Prof. Sigmund v. Exner Prof. Dr. Arnold D u r i g von 
der Hochschule für Bodenkultur daselbst ernannt. — Dem mit dem 
Titel eines a. o. Professors bekleideten Privatdozenten für allge¬ 
meine .und experimentelle Pathologie, Oberstabsarzt Dr. Robert 
D o e r r, Vorstand des bakteriologischen Laboratoriums des Militär¬ 
sanitätskomitees, wurde der Titel eines ordentlichen Professors ver¬ 
liehen. (hk.) 


Die Herren Kollegen werden darauf aufmerksam gemacht, dass 
es zweckmässig ist, das Honorar für Behandlung eines Kollegen de r 

„Münchener Aerztlicben Kriegshilfskasse“ 

zu zu wenden. 

Einzahlungen sind zu machen auf das Scheckkonto Nr. 9263 der 
Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse bei der Bayerischen Hypo^ 
theken- und Wechselbank München, Theatinerstr. 11 (Postscheck¬ 
konto der Bank Nr. 322). Obligationen und Kriegsanleihen sind zu 
hinterlegen auf das Depot Konto Nr. 75 859 ebenfalls bei der Bayer 
Hypotheken- und Wechselbank München. 

Münchener Aerztliche Kriegshilfskasse. 

Prof. Dr. K e r s c h e n s t e 1 n e r, Hofrat Dr. K r e c k e, Dr. Scholl 
_Hofrat Dr. Freudenberger, Hofrat Dr. Spatz. 


— Druck von E. MOklfluler'a Bach- and Kantdrnckerd A.O., Mfincbea. 

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tofc im thmt b rn WnüiHir M 4. • Mmgtptnk im Dntte&kad 
■ • • mul Ausland siehe unten unter Beroftbsdingungen. • • • 
leseretenechlitee am Donnerstag einer Jeden Woche. 


MÜNCHENER 


. , itfieschmrcn stad n riete 

rftr die Schrtftldtung: AratuMr.26 (Sprecbstuden 1^—1 Uhri. 
Für Bezug: an 1. r. Lehman n’a Verlag, Paul Heysesirasse 26 
Für Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatinerstrasse 8. 


Medizinische Wochenschrift. 


OROAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 40. 1. Oktober 1918. 


Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Vcrlaf: J. F. Lehtnano, Paul Heysesirasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag behilt sich das ausschliessliche Recht der VervictfÜtigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeltrige vor. 


Originalien. 

Ueber parapneumonische und bronchopneumonische 
Empyeme. 

Von Prof. D. Gerhardt, Würzburg. 

Von den gewöhnlichen metapneumonischen Empyemen 
sind zuerst durch französische Autoren die parapneumo¬ 
nischen, d. h. die schon im Höhestadium der Pneumonie auftreten¬ 
den Pleuraeiterungen schärfer abgegrenzt worden. Sie unterschei¬ 
den sich ausser durch das zeitliche Verhältnis zur Pneumonie in der 
Regel durch ihre Gutartigkeit, die Neigung zu Spontanhei¬ 
lung durch Resorption. KHnisch treten sie meist nur wenig in Er¬ 
scheinung und werden oft nur dann gefunden, wenn man besonders 
auf sie fahndet. Der Eiter ist gewöhnlich gering an Menge und ent¬ 
hält keine oder nur schwach virulente Pneumokokken. 

Diese Gutartigkeit der parapneumonischen Empyeme zeigte sich 
auch bei 5 Fällen, über die ich vor einigen Jahren berichten konnte *), 
und einige weitere seither auf der Klinik beobachtete Fälle verliefen 
in gleicher Weise. Kürzlich konnte N o n n e n b r u c h 2 ) über ähn¬ 
liche Erfahrungen aus einem Etappenlazarett berichten; unter 
35 Pneumonien sah er 5 spontan heilende parapneumonische Em¬ 
pyeme. 

Wesentlich seltener als diese gutartigen, kommen im Höhesta¬ 
dium der Pneumonie schwer verlaufende Empyeme mit 
reichlichem Gehalt an Pneumokokken vor. 

Ebenso ernst wie diese letztere Gruppe sind jene Empyeme zu 
bewerten, welche im Verlauf von Bronchopneumonien auf- 
treten. Sie sind in der Regel reich an Mikroben, meist Pneumo- und 
Streptokokken, tragen wesentlich zur Verschlimmerung des Krank¬ 
heitszustandes bei und haben keine Tendenz zur spontanen Rück¬ 
bildung. Die jetzige Influenzaepidemie hat besonders zahl¬ 
reiche derartige Fälle gebracht, und viele sind nach wenigen Tagen 
der Krankheit erlegen. Von den 5 Imfluenzatodesfällen der Würz¬ 
burger Klinik hatten 4 solche rasch entstandene Empyeme. 

Die Unterscheidung solcher Influenzaempyeme von den 
parapneumonischen Empyemen der kruppösen Pneumonie ist mit¬ 
unter schwieriger, als die Darstellung der Lehrbücher erwarten lässt. 
Diese Bronchopneumonien treten, wie es besonders Oberndor¬ 
fers*) Schilderung darlegt, nicht selten einseitig und in den mitt¬ 
leren und oberen Lungenteiien auf. und dieser Umstand im Verein mit 
der Kompressionswirkung des Pleuraergusses täuscht leicht eine 
lobäre Infiltration vor. Dazu kommt, dass das Sputum mitunter ganz 
die zähschleimige, rostfarbene Beschaffenheit des kruppösen Sputums 
aufweist. In einem Fall meiner Klinik nahmen wir neben dem Em¬ 
pyem mit Sicherheit kruppöse Infiltration des Ober- und Unter¬ 
lappens an, erst die Sektion erwies statt der erwarteten gleichmässi- 
gen Infiltration nur einzelne bronchopneumonische. z. T. in Vereite¬ 
rung begriffene Herde. Hier hatte das transparente rostfarbene Spu¬ 
tum, welches reichliche Fibrin gerinnsei und zahlreiche Pneumokokken 
enthielt, sowie der initiale Herpes die Annahme der echten Pneu¬ 
monie besonders nahegelegt; der Pleuraeiter hatte zahlreiche 
Pneumo- und Streptokokken enthalten. 

Die Unterscheidung dieser die kruppöse und die Bronchopneu¬ 
monie begleitenden schweren Empyemformen von den benignen para¬ 
pneumonischen Empyemen wird sich hauptsächlich auf 2 Kennzeichen 
stützen müssen: die Grösse des Ergusses und sein Reich¬ 
tum an Mikroben. 

Die Menge des Eiters ist wegen der begleitenden Pneumonie 
natürlich nicht nach der Ausdehnung und nur unsicher nach der 
Intensität der Dämpfung, sondern hauptsächlich nach den Verdrän- 
gungsersebeinungen von Herz, Trachea und Zwerchfell zu beurteilen. 

Was den Reichtum an Bakterien anlangt, so finden sich einzelne 
Pneumo- und (als Mischinfektion) Streptokokken wohl auch in den 
benignen parapneumonischen Empyemen; aber so massenhaft, dass 
man an jeder Stelle des Ausstrichpräparates zahlreiche Ketten- und 
Diplokokken sieht, kommen sie doch nur bei den schweren For¬ 
men vor. 

Für die Behandlung bietet diese Form des Emyems be¬ 
sondere Schwierigkeit. Die Patienten sind schwer krank, teils durch 


*) Grenzgebiete 26; Wer Literaturangaben. 

*) Nonnenbruch: M.m.W. 1917 S. 885. 

*) Oberndorfer: M.m.W. 1918 Nr. 30. 

;Nr 40. »w 

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den Allgeroeminfekt, teils durch die Bronchitis und Bronchopneumonie, 
teils durch die mechanischen und toxischen Wirkungen des Exsudates. 
Die Schwäche ist oft so gross, dass schon das Aufsitzen bei kurzer 
Untersuchung zu starker Ermattung führt. In diesem Zustand eine 
Rippenresektion auszuführen, wäre zu gewagt. Ihr steht nicht nur 
der schwere Allgemeinzustaiid mit der Kollapsgefahr entgegen, son¬ 
dern auch die Erschwerung des Atmens durch die Erkrankung von 
Lunge und Bronchien: Wird hier durch breite Eröffnung des Brustkorbs 
die Atmung noch weiter erschwert, dann droht die Gefahr der Er¬ 
stickung oder doch der Sekretretention in den Bronchien. Diese 
Gefahr wird allerdings verringert durch das neuerdings immer mehr 
betonte langsame Ablassen des Eiters durch kleine Wunde 4 ), aber 
die Operation bleibt doch zu eingreifend für die Widerstandsfähigkeit 
des Kranken. So kann zunächst nur die einfache Punktion und die 
Dauerdrainage in Frage kommen. 

Die einfache Punktion schafft oft augenblickliche Erleichterung, 
mitunter sogaT auch Temperaturabfall. In günstigen Fällen erholt 
sich der Patient dabei rasch soweit, dass man ihm nach 1 oder 

2 Tagen die Rippenresektion zumuten kann. Macht entweder der 
Kräftezustand oder das Andauem von reichlichem Husten und Aus¬ 
wurf ein weiteres Aufschieben der Operation wünschenswert, dann 
wird einstweilen die einfache Punktion wiederholt werden müssen. 
Vorzuziehen wäre es, die wiederholte Punktion durch die Ermög¬ 
lichung dauernden Abflusses zu ersetzen. Am nächsten liegt es, an 
Heber- oder Saugdrainage zu denken. 

Dass das B ü 1 a u sehe Verfahren, namentlich in der durch Hahn 
und Massini verbesserten Form, eine im Krankenhaus und unter 
günstigen Umständen sogar im Privathaus gut durchführbare Methode 
ist, davon habe ich mich an einer Reihe eigener Beobachtungen über¬ 
zeugen können, die ich »kürzlich mitgeteilt habe 5 ); die dem Ver¬ 
fahren anhaftenden Nachteile, Störungen im Eiterabfluss und Neigung 
zur Abkapselung von Eiterhöhlen, beziehen sich erst auf die späteren 
Stadien und brauchten kein Hindernis zu bilden, dass man die Methode 
zunächst als das minder eingreifende Verfahren in schweren Fällen 
an Stelle der Resektion anwende. 

Aber für den schwerkranken Pneumoniker ist auch dieses Ver¬ 
fahren doch noch ein recht bedeutender Eingriff; die Lokalanästhesie, 
die Spaltung der Haut durch Schnitt, das Einbohren des dicken (7 mm 
Lichtung haltenden) Trokarts, dann die Einführung und Befestigung 
des Drains und die Verbindung mit der Wasserstrahlpumpe verur¬ 
sachen allerhand Schmerz und Unbehagen und beanspruchen eine 
gewisse Zeit, während deren der Kranke aufrecht sitzen und still¬ 
halten muss, und am Schluss der Prozedur zeigt jeder Patient eine 
gewisse Erschöpfung. 

Um den Eingriff möglichst schonend zu machen, habe ich deshalb 
bei den in Rede stehenden schweren Fällen auf dauerndes Absaugen 
und auf Einführen des Gummirohrs verzichtet, habe statt dessen 
einen gewöhnlichen Trokart, dessen Hülse 3 mm Lichtung und 10 cm 
Länge hat und am oberen Ende mit einer breiten Platte gesichert ist, 
eingestochen und habe die Hülse nach Entfernung des Stilets und 
nach Abfluss der Hauptmasse des Eiters mit ein paar Heftpflaster¬ 
streifen befestigt und mit etwas Gaze und dicken Zellstoffschichten 
bedeckt. Der Verband verhindert in der Regel sehr bald das Ein- 
und Austreten der Luft, so dass die Atmung nicht oder doch nur 
vorübergehend erschwert wird. 6 auf diese Weise behandelte Pa¬ 
tienten vertrugen den Eingriff sämtlich gut und zeigten deutliche Er¬ 
leichterung der Atmung und Besserung des Allgemeinbefindens. Bei 
zwei von ihnen löste sich in den folgenden Tagen die Pneumonie, das 
Fieber fiel ab und es hatte den Anschein, dass auch das Empyem unter 
der einfachen Drainage ausheile; aber nachträgliche Temperatur¬ 
steigerung forderte zu neuer Probepunktion auf, bei beiden fand sich 
Eiter, der dann durch Rippenresektion entleert wurde. Bei den 4 
anderen Fällen- wurde die Resektion nach 1—3 Tagen ausgeführt. 

3 von ihnen erlagen trotz guten Eiterabflusses der Pneumonie; der 
vierte, sowie die beiden spätresezierten Fälle sind in voller Re¬ 
konvaleszenz. 

Die hier angewandte einfache Methode scheint mir in der Tat 
die schonendste Art der Empyembehandlung; sie empfiehlt sich des¬ 
halb als vorläufige Behandlungsweise für diejenigen Empyeme, bei 
denen der Zustand des Kranken jeden stärkeren Eingriff gefährlich 
erscheinen lässt. 

*) Vgl. I sei in: B-eitr. z. kl in. Chir. 102. — Hartert: M.m.W. 
1918 Nr. 31. 

*) Grenzgebiete 3ü. 

I 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 40. 


iuyö 


Nach einigen Tagen, wenn der Kranke sich genügend erholt 
hat, muss dann durch Resektion oder durch Saugdraiiiage für 
dauernden Abfluss des Eiters gesorgt werden. Von diesen beiden 
Methoden ist nach den Erfahrungen der hiesigen Klinik die Resektion 
trotz des grösseren Eingriffs die überlegenere. Denn bei der Punk¬ 
tionsdrainage bestehen späterhin zu häufig Störungen im Eiterabfluss 
durch Verstopfung des Drains und teilweise Verklebung der Pleura¬ 
blätter; andererseits erfolgt, wenigstens bei den akuten Empyemen, 
die Wiederausdehnung der Lunge schon unter dem üblichen Verband 
der Resektionswunde in der Regel ausgezeichnet; noch sicherer wird 
die Pe r t h es sehe Vereinigung von Resektion und Daueransaugung 
zum Ziele führen. 

Ueber Influenza*). 

Von Prof. A. v. Strümpell, Leipzig. 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wir seit etwa Anfang 
Juni d. J. hier in Leipzig eine Influenzaepidemie haben. 
Nach allen bisherigen Berichten scheint sich die Krankheit wiederum 
in kurzer Zeit über einen grossen Teil von Europa ausgebreitet zu 
haben. Das Volk nennt die Krankheit diesmal meist „die spanische 
Krankheit“ oder die „spanische Qrippe“, weil die ersten Nachrichten 
über das^ pandemische Auftreten der Krankheit aus Spanien 
kamen. Es handelt sich aber unzweifelhaft um die echte Inuflenza, 
um dieselbe Krankheit, an die wir älteren Aerzte uns alle noch gut 
erinnern von ihrem letzten pandemischen Auftreten her in den Jahren 
1889 und 1890. Damals war die Krankheit bei den Aerzten fast ganz 
in Vergessenheit geraten, wir mussten uns die Kenntnis ihrer Er¬ 
scheinungen erst neu erwerben. Zum Teil hat sich das kurze Ge¬ 
dächtnis der Aerzte auch jetzt wieder geltend gemacht. Wenigstens 
scheinen die spanischen Aerzte auch diesmal der „neuen Krankheit“ 
gegenüber anfangs ziemlich ratlos gewesen zu sein. 

Wenn wir nach der Pfeiffer sehen Entdeckung des Influenza¬ 
bazillus hoffen durften, endlich zu einer schärferen Abgrenzung des 
Begriffs der „Influenza“ und zu einer sicheren Diagnose eines jeden 
Einzelfalles zu kommen, so hat sich diese Hoffnung bisher doch nur 
in beschränktem Masse erfüllt. Noch letzt liegen die am meisten 
charakteristischen Eigenheiten der Influenza in ihrem epidemiologi¬ 
schen Verhalten, in ihrem fast plötzlichen pandemischen Auf¬ 
treten, wie wir dies bei keiner anderen Krankheit in gleicher Weise 
beobachten. Der Einzelfall von Influenza, losgelöst von der herr¬ 
schenden Epidemie, würde stets diagnostisch zweifelhaft bleiben und 
es ist allgemein bekannt, welcher Missbrauch mit der Diagnose „In¬ 
fluenza“ ausserhalb der Zeiten einer Epidemie zuweilen getrieben 
wird. Aber auch jetzt — während der herrschenden Epidemie — 
ist die Hinzurechnung eines jeden einzelnen vorkommenden Falles 
zur Influenza keineswegs sicher. Dass aber die grosse Menge der 
sich so plötzlich in unheimlicher Weise häufenden Erkrankungen auf 
irgend eine oder einige gemeinsame Ursachen zurück¬ 
zuführen ist, kann nicht bezweifelt werden. Welches aber diese 
Ursachen im einzelnen sind, ist noch keineswegs ganz sicher. Vor 
allem fehlt uns noch immer ein klarer Einblick in die bakteriologischen 
Tatsachen, vor allem über das Verhältnis zwischen der Primär¬ 
infektion zu den so überaus wichtigen zahlreichen 
Sekundärinfekten (mit Staphylokokken, Streptokokken, 
Pneumokokken u. a.). Unaufgeklärt ist auch die enorm rasche und 
weite Ausbreitung der Krankheit, die, wie es fast den Anschein hat, 
alle anderen Krankheiten ganz oder fast ganz in den Hintergrund 
drängt Die Gesamtzahl der Aufnahmen in unser Krankenhaus hat 
gar nicht sehr erheblich zugenommen. Geht man aber jetzt durch 
die Krankensäle, so findet man auf den akuten Stationen fast gar 
nichts als Influenza und wieder Influenza. 

Indem ich die Mitteilung über unsere bakteriologischen Unter¬ 
suchungen meinem Assistenten Herrn Dr. 0 e 11 e r überlasse, mag es 
mir gestattet sein, noch einmal in Kürze die wichtigsten klini¬ 
schen Erscheinungen der Influenzaerkrankungen hervor- 
zuheben, unter Berücksichtigung der Einzelheiten unserer jetzigen 
Epidemie. 

Vielfach hervorgehoben wird der plötzliche Beginn der 
schweren Krankheitserscheinungen. Der vom Volke während der 
letzten Epidemie 1889 oft gebrauchte Name „Blitzkatarrh“ ist auch 
jetzt nicht selten wieder angewandt worden. Ich kenne in der Tat 
viele Beispiele, wo die Erkrankten plötzlich „umfielen wie die Flie¬ 
gen“, z. B. unter den Arbeitern einer Fabrik zuweilen ziemlich gleich¬ 
zeitig in grösserer Anzahl. Als Anfangserscheinungen 
werden meist angegeben: Frost, zuweilen ausgesprochener Schüttel¬ 
frost, grosse allgemeine Schwäche und Hinfälligkeit, starke Kopf¬ 
schmerzen, Uebelkeit und Brechneigung, Rücken- und Kreuzschmerzen, 
allgemeine Gliederschmerzen. Immerhin wird dieser plötzliche Be¬ 
ginn der Influenza nicht ausnahmslos beobachtet. Nicht selten geht 
den schwereren Erscheinungen ein mehr tägiges Vorläuferstadium vor¬ 
her, das gewöhnlich mit einfachen katarrhalischen Erscheinungen von 
seiten der oberen Luftwege einhergeht und sich nun plötzlich zur 
schwereren Erkrankung steigert oder auch mehr allmählich in sie 
übergeht. Je nachdem sich nun die einzelnen, vielleicht schon von 
Anfang an vorhandenen Krankheitssymptome weiter entwickeln und 
im allgemeinen Krankheitsbilde besonders hervortreten, entstehen die 


*) Nach einem Vortrag im der Med. Gesellschaft zu Leipzig. 


verschiedenen „Formen der Influenza“. Diese Formen treten 
in so verschiedenartigen Krankheitsbildern auf, dass es ohne Zuhilfe¬ 
nahme der epidemischen Verhältnisse unmöglich wäre, sie einheitlich 
zusammenzufassen. Ich unterscheide folgende Formen: 

1. Die rein toxische Form, zuweilen auch als typhöse 
Form bezeichnet. Akuter Anfang mit Frost, Kopfweh, grosser allge¬ 
meiner Hinfälligkeit, Gliederschmerzen u. dgl. Hohes Fieber. Ge¬ 
ringe katarrhalische Erscheinungen (Konjunktivitis, Angina). Zu¬ 
weilen geringe Exantheme auf der Haut (Ervtheme u. dgl.). Nach 
einigen Taigen* selten nach längerer Krankheitsdauer Heilung. 

2. Die schwere nervöse, zerebrale Form. Akuter 
Beginn wie bei der vorigen Form. Schwere zerebrale Erscheinungen: 
Delirien, Benommenheit oder intensivster Kopfschmerz mit anhalten¬ 
der Brechneigung und Erbrechen. Zuweilen tritt ein deutlicher Me¬ 
ningismus auf. In einem Falle vermutete ich anfangs eine tuber¬ 
kulöse Meningitis, doch trat bald völlige Heilung ein. Solche Fälle 
bilden den Uebergang zu der eigentlichen Influenzamenin¬ 
gitis, von der wir zwei tödliche Fälle beobachtet haben. Fälle von 
der sog. Influenzaenzephalitis (Le-ichtenstern) sind bisher nicht 
vorgekommen. 

3. Die katarrhalische Form. Vorherrschen der katar¬ 
rhalischen Erscheinungen (Konjunktivitis, Angina mit intensiver Rö¬ 
tung der Rachenteile, Schnupfen, Laryngitis und vor allem oft ausge¬ 
breitete Bronchitis). Daneben Fieber und die sonstigen „Influenza- 
symptome“ (Kopfweh, Gliederschmerzen, Augenschmerzen u. a.). 

4. Die rheumatoideForm. Vorherrschen der rheumatoiden 
Gliederschmerzen. Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, selbst leichte 
Gelenkschwellungen. Daneben in wechselnder Weise die sonstigen 
Influenzasymptome. 

5. Die gastrointestinaleForm. Vorherrschen der gastri¬ 
schen (Erbrechen) und intestinalen (Durchfälle) Symptome. Diese 
Form haben wir bisher nur vereinzelt beobachtet. Ob die einige 
Male beobachteten dysenterischen Erscheinungen (blu¬ 
tig-schleimige Durchfälle) wirkliche Influenzasymptome waren oder 
Komplikationen mit echter Dysenterie, muss unentschieden bleiben. 

6. Die pneumonischeForm der Influenza. Diese Form gibt 
der diesjährigen Infhienzaepidemie, wenigstens soweit man nach den 
Krankenhausbeobachtungen urteilen darf, ihr besonderes Gepräge. 
Die Mehrzahl der ins Krankenhaus aufgenommenen Fälle boten ausge¬ 
sprochene schwere und schwerste pneumonische Erscheinungen dar. 
Dabei ist der Anfang meist ebenso akut wie bei der gewöhnlichen 
kruppösen Pneumonie (Schüttelfrost, Kopfweh, bald danach Dyspnoe, 
Husten und Auswurf) und schon nach 2—3 Tagen sind die örtlicheu 
pneumonischen Erscheinungen deutlich nachweisbar. Nur selten geht 
dem Auftreten der pneumonischen Erscheinungen ein mehrtägiges 
leichteres katarrhalisches Vorstadium vorher. Ausserhalb der Zeit 
einer Inüuenzaepidemie würde der einzelne Fall gar nicht immer 
als etwas Besonderes erscheinen. Die Gleichartigkeit der zahlreich 
gleichzeitig auf treten den Fälle hat aber doch etwas durchaus Charak¬ 
teristisches. Die Eigentümlichkeiten der Influenzapneumonie 
lassen sich etwa in folgender Weise ausdrücken: die Pneumonie 
hat ursprünglich einen lobulären Charakter. Perkutiert und aus¬ 
kultiert man genau, so kann man anfangs an den verschiedenen Stellen 
der Brustwand überall einen etwas verschiedenen Befund haben 
(Dämpfung, Tympanie, Knistern; Bronchialatmen). Bald schliessen 
sich aber die Herde, gewöhnlich nur auf einer Seite, zu einer 
festeren Gesamtinfiltration eines Unterlappens zusammen. Dabei 
sind aber doch gewöhnlich beide Lungen erkrankt, der untere 
Lappen der anderen Seite in einzelnen lobulären Herden, die oberen 
Abschnitte der Lungen mehr in einfach katarrhalischer Form. Diese 
von vornherein vorhandene beiderseitige Ausbreitung der Krankheit 
mit vorherrschendem Befallensein der einen Seite ist in dieser Weise 
bei der gewöhnlichen kruppösen Pneumonie viel seltener zu beob¬ 
achten. Auffallend ist in vielen Fällen das Auftreten einer ungemein 
„massiven“ (resistenten) Dämpfung über dem am stärksten befallenen 
Lungenlappen. Das Atemgeräusch ist dann sehr abgeschwächt, man 
hört höchstens etwas leises unterdrücktes Knistern oder leises hohes 
Bronchialatmen. Immer wieder vermutet man einen stärkeren pleu- 
ritischen Erguss, aber selbst wiederholte Probepunktionen bleiben 
ohne Erfolg. Offenbar handelt es sich um derbe Infiltration mit 
ausgedehnter Verstopfung der Bronchien, z. T. wohl auch um pleu- 
ritische Verwachsungen. Für andere Fälle charakteristisch ist das 
ausgedehnte Knisterrasseln. Der Auswurf bei der Influenzapneumonie 
kann stellenweise „pneumonisch“ sein, meist ist er aber im wesent¬ 
lichen katarrhalisch, schleimig-eitrig, zuweilen geballt, manchmal 
eigentümlich zerfliessend, in der Regel nicht sehr reichfleh, seltener 
reichlicher, mit seröser Beimengung und dann sich schichtend. Ge¬ 
legentlich kommt schmierig-blutig-schleimiger Auswurf vor. 

Die Gesamtdauer der Influenzapneumonie ist recht verschieden. 
Gemessen an der Dauer des Fiebers beträgt sie in den leichteren 
Fällen etwa eine Woche, in den schwereren Fällen 2—3 Wochen und 
mehr. Das Fieber ist nicht besonders hoch, schwankt etwa zwischen 
38 und 40°, zeigt Remissionen und Steigerungen je nach der Aus¬ 
breitung des pneumonischen Prozesse. Nach Aufhören des Fiebers 
erfolgt zuweilen rasche, häufiger ziemlich langsame Aufsaugung des 
Exsudats und Rückkehr in die normalen Verhältnisse. Der Allge- 
meinzustand der Kranken mit Influenzapneumonie ist meist ein 
schwerer. Oft besteht stärkste Dyspnoe und blass-zyanotisches Aus¬ 
sehen der Kranken. Der Puls kann bedenklich klein und weich werden, 
so dass die energische Anwendung von Herzreizmitteln notwendig 


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1. Oktober 1918. 


MUENCHE&ER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ist. Andererseits ist es mir oft aufgefallen, dass die Pulsfrequenz nicht 
so hoch ist, als man nach der Temperaturhöhe erwarten solite. Herpes 
haben wir in geringer Entwicklung wiederholt beobachtet, er ist aber 
nicht die Regel, im Blut findet man anfangs nicht -selten Leukopenie^ 
später eine massige Leukozytose. Die Nieren bleiben in der Regel 
unbeteiligt. Die Milz ist meist nicht nachweislich geschwollen. 

Von grosser Bedeutung sind die sekundären Pleuritiden, die 
oft serös-eitrige Beschaffenheit zeigen, zuweilen in reine Empyeme 
übergehen. Nicht selten beherrscht schliesslich nie eitrige Pleuritis 
das Krankheitsbild und erfordert einen therapeutischen Eingriff (Punk¬ 
tion oder Inzision). — Die Prognose der Influenzapneumonie ist 
inrnier mit einer gewissen Vorsicht zu stellen. Wir haben auch bei 
jüngeren, anscheinend ziemlich kräftigen Kranken eine ganze Anzahl 
von Todesfällen erlebt. 

Während die klinischen Erscheinungen der Influenza jetzt 
wohl als hinreichend bekannt gelten können, bietet uns die Krank¬ 
heit inätiologischer Hinsicht noch viel Rätselhaftes dar. Durch¬ 
aus unerklärt ist vor allem die enorm rasche pandemische 
Ausbreitung der Krankheit. Hängt sie von den besonderen Eigen¬ 
heiten des anzunehmenden spezifischen Krankheitserregers ab oder 
beruht sie auf besonderen äusseren Verhältnissen, welche diese ganz 
ungewöhnliche Ausbreitung des Krankheitserregers begünstigen? Ob 
wir wirklich berechtigt sind, den Pf e i f f e r sehen Influenzabazillus als 
den eigentlichen konstanten primären Krankheitserreger 
der Imiuenza anzumehmen. kann mit voller Bestimmtheit noch immer 
nicht behauptet werden. Dass er in vielen Fällen eine wichtige patho¬ 
genetische Rolle spielt, ist freilich nicht zweifelhaft. Vielleicht gehört 
aber auch er nur zu den häufigen Mischimektionen, die für die In¬ 
fluenza besonders cliarakteristisch sind. Denn jedenfalls Ist es eine 
besondere Eigenheit der primären imiuenzainfektion, dass säe 
einen so überaus günstigen Bammel- und Tummelplatz für all das 
Öakteriengesindel abgibt, das sich auch sonst allenthalben umhertreibt, 
aber nirgends und niemals so zur Herrschaft gelangt, wie zur Zeit 
einer lniluenzaepidemie. Erst diese sekundären, aber doch in ge¬ 
wissem Sinne charakteristischen Mischinfektionen, die auf dem günstig 
vorbereiteten Boden der lntluenza entstehen, geben der Influenza im 
allgemeinen und vor allem jedem Einzelfall das besondere 
Gepräge. Auch hier müssen besondere Umstände in Betracht kommen, 
welche teils die ebenfalls grosse Ausbreitung, teils das besonders 
leichte Haften dieser sekundären Krankheitserreger begünstigen. Jeder 
Fall erfordert seine eigene bakteriologische Analyse und namentlich 
bei komplizierteren pneuino-pleuritischen Erkrankungen ist es gewiss 
oft schwierig, alle bakteriellen Einzelwirkungen auseinanderzuhalten. 
Immerhin scheint mir aer Einzeliall doch häufig unter der Herr¬ 
schaft einer besonderen, aber freilich nicht immer der gleichen 
Bakterienart (Staphylokokken oder Streptokokken, Pneumokokken, 
Frieüländerbazillen usw.), zu stehen. Die deiinitive Stellung der „ln- 
iluenzaBazillen“ im bakteriologischen Gesamtbilde der Influenza muss 
noch festgestellt werden. 


Aus dem Senckenbergischen Pathologischen Institut der Uni¬ 
versität Frankfurt a. M. (Direktor: Pioi. Dr. B. Fischer). 

Anatomische Befunde bei der Influenzaepidemie im 
Sommer 1918. 

VonPriv.-Doz. Dr. Edgar Goidscümid, Prosektor am Institut. 


Während eines Monats, vom 23. VI. bis 24. VII., wurden 85 Fälle 
von Grippe seziert, die in ihrem anatomischen Verhalten in verschie¬ 
denen Punkten von den Befunden anderer Untersucher abweichen, 
ln Uebereinstnnmung mit der Epidemie an anderen Orten war das 
männliche Geschlecht und das A lt er zwischen 21 und 30 Jahren 
bevorzugt. Der V e r 1 a u f der Seuche war jedoch nicht gleichmässig, 
sondern zeigte im Anfang ein Ueberwiegen an Erkrankungen der 
oberen Luitwege: in der zweiten Hälfte traten die Veränderungen 
der Lungen mehr in den Vordergrund. Fast in der Hälfte der Fälle 
(41 mal) wurde eine pseudomembranöse Entzündung 
der Luftwege festgestellt. Diese sass meistens in den Bron¬ 
chien; in vielen Fällen aber war sie universell ausgebreitet oder 
betraf irgendeinen Abschnitt zwischen Epiglottis und Bronchialver- 
zweigung. Ein regelmässiges Freibleiben der oberen KehlkopfhäJte, 
wie Benda oder Dietrich es gesehen haben, war nicht zirbe¬ 
obachten; der Rachen war hingegen nur einmal befallen, die Ton¬ 


sillen stets frei. , A . 

Die Schleimhautveränderungen bestanden keineswegs nur in 
einer Nekrose, sondern zeigten in vielen Fällen wohl ausgebildete 
fleckige P s e u d o m e m b r a n e n. oft mit frei flottierenden Rändern. 
Wir sehen daher keinen Vorteil in dem Vorschlag, hier von ver¬ 
schonender Entzündung zu sprechen, sondern glauben, dass der Aus¬ 
druck „pseudomembranös“ den Befunden besser entspricht. ... 

Kehlkopfulcera haben wir nur 3mal gesehen, doch ist 
es dabei nicht wie in den S i m m o nd s sehen Fällen zur Periehondntis 


* e ^°Ebenso wie bei der früheren Epidemie und bei den meisten dies¬ 
jährigen Untersuchern bestanden die Lungenveränderungen meist in 
atyoischeu Pneumonien. 

Doch haben wir auch vereinzelte Fälle ohne Pneumonie ver¬ 
laufen sehen, nur mit Hyperämie der Lungen. Wir sahen alle Sta¬ 
dien der Hepatisation und zahlreiche Formen von Bronchopneumonie. 


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Gck igle 


Die Hepatisation überwog mit 40 Fällen ganz wesentlich die 22 mal 
gefundene konüuierende Bronchopneumonie. Die Hepatisation aller 
Stadien war stets weich. Alle Pneumonieformen neigten zur Ver¬ 
eiterung. Ausgesprochen hämorrhagische Formen sind im 
Gegensatz zum Oberndorfer sehen Material nicht zur Beob¬ 
achtung gekommen. Die Rötung der Lungen ging nicht über das 
Mass dessen hinaus, was man als beträchtliche Hyperämie zu be¬ 
zeichnen pflegt. Infarktähnliche Färbungen haben wir nicht gesehen. 

Schmieriges Exsudat, ähnlich wie bei Friedländerinfektion, 
haben wir nur ein einzigesmal beobachtet, ohne dass jedoch Fried- 
1 ä n d e r bazillen nachgewiesen werden konnten. 

Was die gelegentlich keilförmige Anordnung des Prozesses in 
den Lungen anlangt, so glauben wir sie mühelos durch die Abhängig¬ 
keit des Lungengewebes vom Bronchus erklären zu können. 

Die mehrfach beschrieben« bräunliche Färbung des Eiters 
haben wir nie gesehen. Der Eiter war gelb oder graugelb. 

Die Befunde an Pleura und Perikard entsprechen den 
anderweitig gemachten Erfahrungen. Weiter wurde auch bei uns 
nur ein einzigesmal eine eitrige Meningitis beobachtet, ein¬ 
mal eine Sinusthrombose. 

Dass Endokarditis eine besondere Resistenz Verminderung 
bei der Grippe bedeute, können wir an unserem Material nicht be¬ 
stätigen; denn wir haben nur dreimal rekurrierende Endokarditis 
gesehen, zweimal akute verruköse, eine ulzeröse und eine chro¬ 
nisch fibröse Endokarditis. 

Makroskopische Myokard Verfettung wurde nie, mikro¬ 
skopisch nur in geringem Masse beobachtet, wie wir Schöppler 
gegenüber angeben möchten. 

Auffällig hingegen und abweichend von den bisher berichteten 
Beobachtungen sind 5 Fälle von Partus resp. Abort und 3 weitere 
Fälle mit eitriger Endometritis puerperalis, die sich 
alle auf einen ganz kurzen Zeitraum zusammendrängten. 

Das M ilz gewicht war stets leicht vermehrt, so dass wir für 
das Alter von 20—30 Jahren ein Durchschnittsgewicht von 231,8 g 
berechnen können; ein einzigesmal wurde ein hohes Milzgewicht 
von 550 g gefunden. Die Milzfollikel waren im Gegensatz zu 
Oberndorfers Befunden stets klein, oft kaum erkennbar. 

Im Gegensatz zum Münchener Material haben wir nur ganz ver¬ 
einzelte Veränderungen an den Lymphdrüsen gefunden. Im all¬ 
gemeinen schienen die Drüsen am Hilus, Bifurkation und zu beiden 
Seiten der Trachea so gut wie unbeteiligt. 

Markige Schwellung von Bifurkations- und Hilusdrüsen haben 
wir nur gelegentlich bei lobärer eitriger Pneumonie gesehen. 1 mal 
unter 85 Fällen haben wir Hyperplasie der Tonsillen gesehen 
und leichte Vergrösserung der Darmfollikel. Wir sind daher nicht 
imstande, von einer besonderen Gefährdung der Lymphatiker 
zu sprechen. „ A 

Der von Oberndorfer in den Vordergrund gestellte Sta¬ 
tus thymico-lymphaticus kam bei uns nicht zur Beob¬ 
achtung. Ganz im Gegenteil haben wir in zahlreichen Fällen notiert, 
„Thymus auffallend dünn und klein“. In allen anderen Fällen haben 
wir ihn gewogen. Das niedrigste Gewicht war 5 g mit 20 Jahren, 
das höchste Gewicht 29 g mit 18 Jahren. 

Wenn wir daher mit den üblichen Durchschnittszahlen vergleicheif 
wollen, so ergibt sich bei unseren Fällen im Alter von 11—15 Jahren 
11 g, für 16-20 Jahre 15,45 g, für 21—25 Jahre 15,57 g, für 26 bis 
35 Jahre 14,87 g; also im Durchschnitt stets ein Minus und nie ein 
Plus. Im einzelnen wurde das Mittelgewicht überschritten einmal im 
Alter von 16—20 Jahren und einmal im Alter von 26—35 Jahren, 
ohne dass jedoch andere Komponenten des Status lymphaticus nach¬ 
gewiesen werden konnten. 

Wie auch anderen ist es uns nicht gelungen Influenza- 
bazillen nachzuweisen, dagegen haben wir — mit freundlicher 
Hilfe des hygienischen Instituts der Universität (Bakteriologische 
Abteilung, Leiter Herr Priv.-Doz. Dr. Braun) — in einer grossen 
Anzahl von Fällen (70 von 85 Fällen wurden untersucht) einen 
Gram-positiven pneumokokkenähnlichen Ketten- 
kokkus in Luftwegen und Lungen, Drüsen und Milz nachweisen 
können (15 mal unter 43 pseudomembranösen Erkrankungen, und 
24 mal in Fällen ohne pseudomembranöse Entzündung). Offenbar der 
gleiche Befund, den Mandelbaum, Grub er u. a. beschreiben. 
Diphtherie bazillen sind 1 mal in der Lunge nacbfcewiesen wor¬ 
den, in einem Fall, der vor der Grippe eine echte Diphtherie durch- 

gemaclit^ ^at ^^ ^ ^ ^ e n wur den 6 mal aus der Lunge, 2 mal aus 
Drüse und Milz, 1 mal aus einer Endokarditis und Perikarditis ge¬ 
züchtet 9mal fand sich Staphylococcus aureus in Trachea 
und Lungen, 5 mal in einer Lymphdrüse. 

Das Gesamtbild unserer Fälle war das einer schweren Er¬ 
krankung der oberen Luftwege und der Lu n ? e . n : 
in vielen Fällen zu Sepsis führte. Die Tonsille als Eintritts¬ 
pforte zu betrachten haben wir keinen Anlass, sondern müssen 
annehmen, dass die Atmungsorgane primär befallen sind. 
Ueber den Erreger haben auch unsere Falle keinen sicheren Auf- 
Schluss gebracht. Der Influenzabazillus muss. “£l g u e ; 

wiesen, aus unserer Betrachtung ausscheiden. Für den Verlauf 
der diesjährigen Orippe dürfte aber nach dem Ergebnis auch unserer 
Fälle der Gram-positive pneumokokkenahn liehe 
Kettenkokkus verantwortlich zu machen sein. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 40. 


ioy» 


Klinische und experimentelle Untersuchungen Uber den 
hämolytischen Ikterus. 

Von Prof. Hermann Liidke in WUrzburg. 

Klinisch« Krankheitsbegriffe berücksichtigen nur die funktio¬ 
nellen Veränderungen in einem Kraiikheitsbiki — um so mehr, wenn 
ein neu erkanntes Krankheitsbild in noch unscharf umrissenen Zügen 
vorliegt. 

So geben die Krankheitsbezeiclinungen ..hämolytischer Ikterus“ 
und „acholurischer Ikterus“ das Wesen dieses Krankheitsprozesses 
nicht wieder, da der Ikterus hier lediglich ein Symptom im Krankheits¬ 
bilde ausmacht. Man hat den Namen „Anaemia haemolytica“ vor¬ 
geschlagen, um damit anzudeuten, dass es sich um bestimmte Anämie¬ 
formen handelt, die hämolytischen Vorgängen im Blute ihre Ent¬ 
stehung verdanken. 

Auch diese Bezeichnung deckt sich nicht mit dem Wesen der 
Erkrankung, da wir hämolytische Anämien kennen, die ein vom hämo¬ 
lytischen Ikterus grundverschiedenes Symptomenbild aufweisen. So¬ 
lange uns die Pathogenese der Erkrankung noch unklar bleibt, dürfte 
schliesslich die ursprüngliche Bezeichnung: acholuiischer oder hämo¬ 
lytischer Ikterus genügen. 

Wir pflegen 2 Formen des hämolytischen Ikterus zu unter¬ 
scheiden, den angeborenen, vererbten und den erworbenen hämo¬ 
lytischen Ikterus. Trotz mancher differenter Symptome erscheint 
jedoch eine prinzipielle, strenge Scheidung beider Formen nicht ganz 
zulässig, da sich in den Kardinalsymptomen zumeist keine wesent¬ 
lichen Unterschiede ergeben und vor allem die Genese beider Formen, 
die pathologisch gesteigerte Erythrolyse, eine einheitliche ist. 

In Kürze gebe ich zunächst von 4 Fällen die wichtigsten Notizen 
wieder: 

Fall 1: Kongenitaler hämolytischer Ikterus. Pat. 
M. De., 16 Jahre. Vater angeblich an einer Leberkrankheit gestorben, 
Mutter ist gesund. Eine Schwester ist oft „gelbsüchtig“, die andere 
Schwester, die den Patienten begleitet, ist ebenfalls etwas ikterisch, 
ohne subjektive Krankheitsäusserungen. Der Patient selbst will von 
Kindheit an eine gelbliche Gesichtsfarbe haben, zuweilen sollen auch 
stärkere Anfälle von Gelbsucht mit Schmerzen in der linken Seite auf¬ 
getreten sein. Er wird vom Arzt wegen einer Milzvergrösserung mit 
der Diagnose „Leukämie“ geschickt. 

Befund: Ikterus leichten Grades. Milz gut handbreit den 
Rippenbogen überragend, fest und glatt. Leber um etwa 1 cm über 
den Rippenbogen vergrössert. Keine Drüsenschwellungen. Urobilin, 
kein Bilirubin im Urin. Stuhl nicht entfärbt, urobilinhaltig. Im Blut¬ 
serum Bilirubin. 4 060 000 Erythrozyten, 10 800 Leukozyten, 65 Proz. 
Hämoglobin; Anisozytose und Polychromatophilie, vereinzelte Normo- 
blasten, bei Vitalfärbung einzelne granulierte Erythrozyten. Re¬ 
sistenz nur etwas herabgesetzt. Isolysin vorhanden. Autolysine 
fehlen. Wassermann negativ. 

Nach etwa 34 Jahr wieder untersucht, findet sich dasselbe Krank¬ 
heitsbild. 

Die Schwester des Patienten, 21 Jahre alt, bot folgenden 
Befund: Leichter Ikterus, Milz etwa 4 cm unter dem Rippenbogen 
vorragend, Leber nicht vergrössert, im Urin Urobilin, im Blutserum 
Bilirubin, Stuhl soll stets normal gefärbt sein. 3 420 000 Erythrozyten, 
9000 Leukozyten, 50—55 Proz. Hämoglobin, Anisozytose und Poly¬ 
chromatophilie, wenige Normoblasten und zahlreiche granulierte 
Erythrozyten; Resistenz etwas herabgesetzt. 

Fall 2: Erworbener hämolytischer Ikterus. Pa¬ 
tientin J. R., 29 Jahre. Hereditäre Verhältnisse ohne Belang, ins- 
besonders keine Leberaffektionen. Masern, Scharlach, Keuchhusten 
als Kind durchgemacht, mit 21 Jahren Gelenkrheumatismus ohne 
Komplikationen. Jetzt seit etwa K Jahr erkrankt, die anfänglichen 
Beschwerden bestanden in einem mässigen Druck- und Völlegefühl 
im Leib, gelbblassem Aussehen, oft mangelndem Appetit, geringer Ab¬ 
magerung. 

Befund: Blassgelbliche Hautfarbe, leicht ikterische Konjunk¬ 
tiven. Massiges Fettpolster. Geringgradige Mitralinsuffizienz. 
36,9° C; 52 Pulse. Kein Hautjucken. Leber überragt Rippenbogen 
um ca. 1 cm in der Mammillarlinie, nicht druckschmerzhaft. Sehr 
grosser Milztumor, rechts bis zum Nabel reichend, nach unten 4 bis 
5 cm oberhalb der Spina il. anter. sup., obere Miizdämpfunig an der 
7. Rippe. Glatter, nicht druckempfindlicher Milztumor. Im Urin nur 
Urobilin. Harnstoff, Harnsäure, Phosphate in normaler Menge. Fäzes 
bieten normale Färbung, keine Diarrhöen. 3 540 000 Erythrozyten, 
6200 Leukozyten, 45 Proz. Hämoglobin; geringe Anisozytose, Lympho¬ 
zyten etwas vermehrt, wenige Normoblasten, bei vitaler Färbung 
zahlreichere granulierte Erythrozyten. Resistenz stark herabgesetzt. 
Wassermann positiv. Im dunkelgelben Blutserum Bilirubin, nach 
Hayem 1:9000. Isolysine nachweisbar, desgleichen Autolysin 
(zur Zeit der „Krise“ untersucht). 

Aus dem Krankheitsverlauf: Schon während der kli¬ 
nischen Beobachtung, später noch einmal bei einer Untersuchung wur¬ 
den Attacken eines schweren Ikterus festgestellt (Crises paroxysti- 
ques). Solche „ikterisch-anämischen Krisen“ wurden auch in den 
beiden weiteren Fällen beobachtet, und ich möchte sie als typisch 
für diese Formen von erworbenem hämolytischem 
Ikterus bezeichnen. Die Ursache für diese Krisen bleibt in den 
einzelnen Fällen unklar, manchmal mögen Diätfehler, Erregungen 

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u. dg.l als auslösende Momente anzuschuldigen sein; die innere 
Ursache für diese Krisen war nach meinen Befun¬ 
den das Auftreten autolytischer Stoffe im Serum. 
Die Krisen äusserten sich in intensiven Schmerzen in der Milzgegend, 
dabei war die Milz stärker als zuvor geschwollen und wurde druck¬ 
empfindlich. Temperaturerhöhungen von 38—39,5® C wurden für 
einige Tage notiert. Zugleich konnte eine Steigerung des Ikterus fest¬ 
gestellt werden and im Urin wurde Bilirubin gefunden. Ebenso be¬ 
stand etwas Hautjucken und eine Entfärbung der Stühle war nach¬ 
zuweisen. Während im krisenfreien Intervall Isolysine wie Autolysine 
im Serum nicht nachweisbar waren, gelang der Nachweis die§er 
Lysine zweimal im Verlauf einer Krise. Im direkten Anschluss an 
die Krise wurde für einen Tag eine Hämoglobinurie bei der Patientin 
festgestellt. 

Fall 3. Erworbener hämolytischer Ikterus. Pat. 
F. Sch., 40 Jahre, Vater an Phthise gestorben, Mutter ist gesund, 
ebenso zwei Geschwister. Pat. war früher stets gesund. Erkrankte 
angeblich vor etwa 10 Wochen mit etwas Fieber, Abspannung, 
Schmerzen im linken Hypochondrium. Dabei will er gelb gewesen 
sein. Bei der ersten Untersuchung 38,1 0 C, Puls 52. 

Die Diagnose wird auf die splenohepatomegalische Form des 
hämolytischen Ikterus gestellt. Die Leber überragt handbreit den 
Rippenbogen, die Milz geht fast bis zum Nabel, nach unten über¬ 
ragt sie den Rippenbogen um 6 cm. Beide Organvergrösserungen 
sind nicht druckschmerzhaft. Im Urin viel Urobilin, auch Bilirubin 
bei der erstmaligen Untersuchung. Im Blutserum Bilirubin, nach 
Hayem ca. 1:9000. Wassermann ist positiv. Die Fäzes sind 
normal, urobilinhaltig. Der Hautikterus ist massig stark. 3 160 000 
Erythrozyten, 7900 Leukozyten, 55 Proz. Hämoglobin; Anisozytose, 
Polychromatophilie, ganz vereinzelt granulierte Erythrozyten, wenige 
Normoblasten. Resistenz stark herabgesetzt. Isolysine nachweis¬ 
bar, Autolysine fehlen. 

Die geringe Temperaturerhöhung, die zu Beginn der Beobachtung 
konstatiert wurde, hält 3 Tage an, danach normale Temperaturen, 
Monothermie. Die Gelbfärbung, ebenso die übrigen Ikterus-Anämie- 
Symptome hielten bei 5 wöchiger Beobachtung an, am Schlüsse der 
Beobachtung war ein Abblassen der Krankheitserscheinungen. Ver¬ 
kleinerungen der Leber- und Milzvergrösserungen, Besserung der 
Anämie zu notieren. Eine spätere Untersuchung war leider nicht 
möglich. Im Verlaufe der Beobachtung konnte noch festgestellt wer¬ 
den, dass die Resistenzverminderung der roten Blutscheiben in 
weiteren Grenzen schwankte; bei einer der Blutuntersuchungen war 
gar eine geringe Resistenzsteigerung wahrzunehmen. 

Fall 4. Kongenitaler hämolytischer Ikterus. Pat. 
Em. B., 14 Jahre. In der Familie ist die Mutter an einer Leberkrank¬ 
heit gestorben, ein Bruder soll „stets gelb“ aussehen. Seit ihrem 
zweiten Lebens»ahre war die Patientin immer leicht ikterisch. Der 
begleitende Vater hat ebenfalls etwas ikterische Skleren, die Hand¬ 
teller sind gelblich gefärbt, auch Gesicht und Brust weisen einen 
schwach gelblichen Teint auf. (Im Urin des Vaters war Urobilin 
nachweisbar.) Die Patientin Em. hat Skrofulöse (noch fühlbare 
kleinste Haisdrüsen) durchgemacht, desgleichen besteht seit etwa 
34 Jahre ein geringgradiger linkseitiger Lungenspitzenkatarrh. Jetzt 
ist sie seit etwa 14 Tagen erkrankt mit ziehenden Schmerzen im 
linken Hypochondrium und stärkerer Gelbsucht. 

Befund: Grazil gebautes Kind, macht keinen besonders kranken 
Eindruck. Leichte Anämie und mittelstarker Ikterus. Normale Tem¬ 
peratur, 80 Pulse. Die Organe sind mit Ausnahme des Lungenspitzen¬ 
katarrhs und der Leber und Milz intakt. Die Milz ragt handbreit 
über den Rippenbogen, die Leber ist fingerbreit noch unterhalb des 
Rippenbogens tastbar. Beide Organe sind glatt, nicht druckempfind¬ 
lich. Im Urin nur Urobilin. Stuhl nicht entfärbt, urobilinhaltig. 

Im Serum Bilirubin, nach Hayem 1:11000. Blutbefund: 
3 960 000 Erythrozyten, 10 200 Leukozyten, 45 Proz. Hämoglobin; 
Anisozytose, Polychromatophilie, einige Normoblasten, mehrere gra¬ 
nulierte Erythrozyten, 1 Proz. neutrophile Myelozyten; Resistenz 
stärker herabgesetzt. Wassermann ist negativ. Iso- wie Autolysine 
fehlen. Bei Verfütterung von 100 g Lävulose keine Zuckerausschei¬ 
dung. Die Patientin war nur 4 Tage in meiner Beobachtung; 10 Wo¬ 
chen später zweite Untersuchung. Jetzt wird eine „anämisch- 
ikterische Krise“ festgestellt; Leber und Milz sind druckempfindlich, 
scheinbar etwas mehr vergrössert. Der Ikterus hat zugenommen, so 
dass im Urin auch Bilirubin nachweisbar ist, auch die Anämie ist 
stärker geworden: 3140 000 Erythrozyten, 40 Proz. Hämoglobin. Die 
Resistenzverminderung hat etwas zugenommen. Im Blutserum Iso¬ 
lysine, ebenso Autolysine nachweisbar. Die Krise währte 2 Tage 
lang an; eine geringe Hämoglobinurie war zudem während dieser 
Zeit festzustellen 

In der folgenden tabellarischen Aufzeichnung sind die wichtigeren 
Daten der vier Fälle von hämolytischem Ikterus wiedergegeben. 

Die Krankheitszeichen des hämolytischen Ikterus bestehen somit 
in einem acholurischen Ikterus, in Anämie mit Resi¬ 
stenzverminderung der Erythrozyten und Vergrös¬ 
serungen der Milz oder der Leber und Milz. Alle anderen 
klinischen Zeichen gruppieren sich um diese Trias von Krankeits- 
erscheinungen, die dem ausgeprägten Bilde des hämolytischen Ikterus 
nur selten fehlen. In einzelnen Fällen mag die Anämie nur gering 
ausgebildet sein, kann auch die Resistenzvernrinderung zuweilen 
fehlen, der Ikterus zu Zeiten cholurisch werden; der exakten Beob¬ 
achtung kann diese Symptomtrias nicht entgehen. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




I. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1099 



Der I k t e r u s, der eines der hervorstechendsten Kennzeichen 
bildet, zeigt Schwankungen in seiner Intensität. In den leichtesten 
Fällen von familiärer Cholämie (nach Q i 1 b e r t) findet sich kaum 
eine stärkere Abweichung vom normalen Teint, eine schwache Gelb¬ 
färbung der Konjunktiven oder der Handteller und Fusssahlen, in den 
schwersten Fällen, so beim erworbenen hämolytischen Ikterus, eine 
deutliche Gelbfärbung, jedoch nie so stark ausgeprägt wie bei den 
anderen Ikterusformen, etwa dem Retentionsikterus. 

Das Blutserum meiner Kranken wies eine dunkelgelbe bis 
gelbgrünliche Färbung auf; die chemischen Proben ergaben stets einen 
deutlichen Bilirubingehalt des Serums, während Urobilin nicht nach¬ 
zuweisen war. In den Fällen, in denen der Hautikterus nur gering 
ausgesprochen war, fand sich immer im Blutserum Bilirubin. 

Auffällig waren die Schwankungen r m Gallenfarbstoffgehalt, 
speziell bei der Patientin J. R. (Fall 2), wo nach einer psychischen 
Erregung plötzlich für einige Tage ein deutlicherer Hautikterus auf¬ 
trat, während zuvor die Haut nur ganz schwach gelblich gefärbt 
war. 

Schon die normale, etwas gelbliche Serumfärbung soll nach 
Gilbert und Herscher auf dem geringen Grad einer „physio¬ 
logischen Gholämie“ beruhen. Die intensive Gelbfärbung des Serums, 
wie sie bei Ikterusformen der verschiedensten Art auftritt, unter¬ 
scheidet sich deutlich von der Rosa- oder Rotfärbung des Serums, 
die wir bei einer akuten Zerstörung von Erythrozyten beobachten. 

Gilbert und Herscher haben eine spezielle Methode des 
quantitativen Nachweises des Bilirubingebalts des Serums Ikterischcr 
ausgearbeitet, die im wesentlichen darin besteht, dass das zu unter¬ 
suchende Serum mit einem künstlichen, aus Htihnereiweiss, Kochsalz¬ 
lösung und Natronlauge hergestelltem Serum soweit verdünnt wird, 
bis die Reaktion von H a y e m negativ ausfällt. Hierzu wird Sal¬ 
petersäure, die etwas salpetrige Säure enthält, mit dem Serum über¬ 
schichtet, wobei ein blaugrüner Ring für die Anwesenheit von Gallen¬ 
farbstoff spricht. Die Empfindlichkeitsgrenze der Reaktion liegt nach 
den französischen Autoren bei einem Bilirubingehalt von Vwooo. Er¬ 
reicht der Gehalt an Gallenfarbstoff im Serum einen etwas höheren 
Grad (1: 15 000), so nimmt Gilbert das Bestehen einer fami¬ 
liären Cholämie an, wenn in der Familie des Ikterischen das 
eine oder andere Mitglied in gleicher Weise eine ikterische Färbung 
aufgewiesen hat. Beim erworbenen hämolytischen Ikterus wurden 
mittels dieser Cholelimetrie höhere Werte (bis 1:7000) vom 
Bilirubingehalt im Blutserum eruiert. 

In meinen Fällen war ein beträchtlicher Bilirubingehalt im Serum 
nachweisbar, in 2 Fällen nach Hayem 1:9000, in 1 Falle 1:11000. 

An der grüngelblichen Farbe des Blutserums, dessen Bilirubin¬ 
gehalt durch die Cholelimetrie bestimmt wird, will Gilbert die 
von ihm gefundene familiäre Cholämie neben dem biliösen 
Teint der Individuen, der Urobilinausscheidung und den Milz- oder 
Lebervergrösserungen erkennen. Ein wesentliches Merkmal bildet 
iedoch die normale Resistenz der Erythrozyten. Eine Tren¬ 
nung der familiären Cholämie vom familiären hämolytischen Ikterus, 
wie G i 1 b e r t sie auf Grund dieses hämatologischen Befundes durch¬ 
führen will, erscheint mir unzulässig; beide Krankheitsprozesse ge¬ 
hören ihrem Wesen nach zusammen, nur bedeuten die Fälle mit 
herabgesetzter Resistenz der roten Blutscheiben einen höheren Grad 
der gleichen Schädigung des Organismus. 

Es handelt sich bei diesen Gelbsuchtformen des hämolytischen 
Ikterus um einen acholurischen Ikterus. Es scheint, dass 
es erst in den Fällen von Bilirubinämie zur Bilirubinaussclieidung im 
Harn kommt, in denen im Blut grössere Mengen von Bilirubin 
angehäuft sind. Diffusibler durch das Nierenfilter ist das Urobilin, 
das infolge der Ueberladung der Leber mit Bilirul in in den Kreis¬ 
lauf gelangt. Dass eine Bilirubinämie ohne Bilirubinurie bestehen 
kann, wissen wir aus der Tierphysiologie: Im normalen Pferde¬ 
serum ist Bilirubin regelmässig im Serum nachweisliche im Harn fehlt 
Bilirubin. Ebenso kann man bekanntlich bei verschiedenen Ikterus- 
formen öfter Bilirubinämie ohne Bilirubinausscheidung im Urin fest- 
steilen. 

Diese Acholurie des Urins braucht jedoch nicht ein konstantes 
Symptom des hämolytischen Ikterus auszumachen; in den Fällen von 
erworbenem, chronischem Ikterus, ln denen die Cholämie höhere 
Grade erreichte, war Bilirubin zuweilen im Harn nachweisbar. 

Urobilin und Urobilinogen enthält gewöhnlich der Urin beim 
hämolytischen Ikterus. Bei der angeborenen Form pflegt diese Uro- 

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bilinurie nur gering ausgesprochen zu sein, stärker ist sie beim er¬ 
worbenen Ikterus ausgebildet. 

In gewisser Beziehung steht die Urobilinurie bei der hämo¬ 
lytischen Anämie zu den hämolytischen Vorgängen im Blut. Wie 
die bekannten Untersuchungen von Eppinger und Charnass 
ergaben, sind beim hämolytischen Ikterus stets hohe Werte der Uro¬ 
bilinausscheidung im Stuhl festzustellen (fast 4,0 g, gegenüber 0,13 g 
Urobilinogen im normalen Stuhl). Eine ähnliche Proportionalität 
zwischen zirkulierender Hämoglobinmenge und Urobilinausscheidung 
wurde auch bei anderen mit Zerfall der Erythrozyten eirrhergehenden 
Krankheitsbildem konstatiert. 

Die Fäzes erwiesen sich in meinen Fällen von hämolytischem 
Iktorus als acholisch; nur während der kurzen Zeit der hämolytischen 
Krisen waren die Stühle normal gefärbt. 

Die charakteristischen Zeichen einer cholämischen Intoxikation, 
wie Pruritus, Urtikaria, Bradykardie, fehlen in der Regel beim hämo¬ 
lytischen Ikterus. 

Neben dem Ikterus bilden die B.l ut v e r ä nd e r un ge n ein 
wesentliches Charakteristikum des hämolytischen Ikterus. Bei der 
angeborenen Form der Erkrankung schwanken die Erythrozyten¬ 
zahlen zwischen 3—4 Millionen, beim erworbenen acholurischen 
Ikterus wurden auch noch niedrigere Werte notiert. Der Hämogiobin- 
gehalt sinkt entsprechend der Abnahme der Zahl der roten Blut¬ 
scheiben. Während der vorübergehenden Verschlimmerungen, wie 
sie bei der angeborenen und der erworbenen Form festgestellt wur¬ 
den, kommen öfter stärkere Anämien — bis zu 1—1^ Mill. Erythro¬ 
zyten — zur Beobachtung. Ganz normale Werte werden auch in 
den Zeiten vollkommenen Wohlbefindens niemals vorgefunden. Der 
Färbeindex betrug in meinen Fällen in der Regel gegen 1. Trotz 
der oft hochgradigen Anämie pflegt die Leistungsfähigkeit der Er¬ 
krankten kaum merklich herabgesetzt zu sein. 

Die Leukozytenzahlen schwankten zwischen normalen und wenig 
gesteigerten Werten; Abweichungen im Verhältnis der einzelnen 
Leukozytenformen wurden von mir nicht beobachtet. Eine ausge¬ 
sprochene Polychromasie fand sich stets vor, ebenso Anisozytose, 
bei welcher der durchschnittliche Erythrozytendurchmesser herab¬ 
gesetzt war. Erythroblasten, auch Myelozyten wurden in geringer 
Anzahl in einigen Fällen gefunden. 

Ueberhaupt stellen wir die Anzeichen einer starken Regene¬ 
ration des erythroblastischen Apparats bei dem 
hämolytischen Ikterus fest: Polychromasie, Anisozytose. Erythro¬ 
blasten und die Vitalfärbbarkeit sprechen hierfür — und nebenher 
gelten die Zeichen einer intensiveren Zerstörung der Erythrozyten. 

Nach französischen Angaben bildet der Nachweis der Substantia 
reiieulo-filamentosa (hömaties granuleuses) bei der Vitalfärbung ein 
besonderes Merkmal der hämolytischen Anämien. In der Tat finden 
wir diese granulierten Erythrozyten bei dieser Krankheit häufiger als 
bei anderen Anämieformen. 

Zur Ausführung der Vitalfärbung lässt man auf den Objektträger 
eine dünne Schicht von Brillantkresylblau antrocknen und legt darauf 
ein mit einem frischen Blutstropfen beschicktes Deckgläschen. Nach 
etwa 4—5 Minuten treten in den roten Blutscheiben stark basophil 
gefärbte, netzartige Figuren auf, ebenso oft, einige rotgefärbte Körn¬ 
chen, die sich im Erythrozyten lebhaft hin- und herbewegen. Der 
Farbstoff dringt in das Blutkörperchen ein und bringt die basophile 
Substanz vermutlich zur Gerinnung, die dann den Farbstoff an sich 
zieht. Je jünger ein Blutkörperchen ist, desto mehr basophile Sub¬ 
stanz enthält es, so dass der Nachweis dieser granulierten Erythro¬ 
zyten als ein Zeichen der Unreife angesprochen werden kann. 

Mit der Annahme französischer Autoren, dass die granulierten 
Erythrozyten ein wichtiges Symptom des hämolytischen Ikterus aus¬ 
machen, stimmen unsere Erfahrungen wie die anderer Untersucher 
nicht überein; im Fall 1 und 3 waren vitaifärbbare Erythrozyten nur 
sehr spärlich vorhanden. Ebensowenig besteht die Ansicht C h a u f - 
fards zu Recht, dass diese Blutscheiben den morphologischen Aus¬ 
druck der Resistenzherabsetzung bilden; beide Phänomene gehen 
nicht parallel. 

Das wichtigere hämolytische Symptom bildet die Resistenz- 
herabsetzung der Erythrozyten im Verlauf des hämo¬ 
lytischen Ikterus. 

Die Verfahren zur Resistenzbestimmung sind mehrfach beschrie¬ 
ben worden, so dass auf eine Beschreibung verzichtet werden kann; 
mir erwies sich die Methode von Vaquez und Ribierre als die 
praktisch brauchbarste. Normale Erythrozyten zeigen meist eine 
schwache Lösung zwischen 0,46 und 0,48; totale Hpmolyse bei 0,26 
und 0,28; die zuvor gegebene Tabelle erläutert am besten die Re¬ 
sistenzherabsetzung in meinen Tabellen. 

In einzelnen Fällen ist die Lösbarkeit der roten Blutscheiben 
nicht durch den Va q u e z-Ri b i er r esehen Versuch manifest zu 
machen, so dass die Resistenzbestimmung der sorg¬ 
fältig gewaschenen Erythrozyten (Verfahren von W i - 
dal. Abram 1 und B r u 16) herangezogen wurde. In diesen Fällen 
wird die leichte Lädierbarkeit der Blutkörperchen durch das Blut¬ 
plasma maskiert; denn ein Zusatz von Plasma zu den gewaschenen 
Blutzellen, die sich als sehr fragil erwiesen, gab Ihnen die normale 
Resistenz wieder. 

Neben der Resistenzbestimmung der Erythrozyten durch anlso- 
tonische Kochsalzlösungen kann man ihre Resistenz auch 
gegenüber differenten Blutgiften, so dem Saponin, 

Original ff am 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1100 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 40. 


prüfen. In unseren 4 Fällen von hämolytischem Ikterus spielte diese 
Saponinhämolyse keine diagnostisch verwertbare Rolle. 

Endlich wurde von manchen Untersuchern noch ein besonderer 
Wert der Autoagglutination beigelegt, die bei den erwor¬ 
benen Formen der Krankheit stets nachzuweisen sein soll, hingegen 
bei den kongenitalen hämolytischen Anämien angeblich vermisst 
wird. In dreien der angeführten Fälle (Fall 1, 2 und 4) war eine 
solche Autoagglutination deutlich nachzuweisen. 

Erklärt die Resistenzherabsetzung lediglich eine Minderwertig¬ 
keit der Erythrozyten, so deutet der Nachweis von hämo¬ 
lytischen Stoffen im Blutserum auf die Genese dieser 
Ikterusformen hin. Zugleich dürfte auch durch einen solchen Nach¬ 
weis von Hämolysinen ein genetischer Zusammenhang mit anderen 
Blutkrankheiten, vornehmlich der paroxysmalen Hämoglobinurie und 
manchen hämolytischen perniziösen Anämien, aufgedeckt werden. 

In den seltenen Fällen einer Blutung in die Bauchhöhle (geplatzte 
Extrauteringravidität) kann durch die Resorption der Blutscheiben die 
Bildung von Autolysinen angeregt werden, die ihrerseits zur 
Zerstörung der Erythrozyten im Gefässgebiet und damit zur Hämatin¬ 
bildung führen können. S c h o 11 m ii 11 e r hat solche Fälle geplatz¬ 
ter Tubargravidität erwähnt, bei denen die plötzlich aufge¬ 
tretene Steigerung des Hämatins im Laufe der Erkrankung durch eine 
Autolyse des Gefässblutes zustande kam. Auch die nach einigen 
Tagen auftretende Hämoglobinurie sprach für die Annahme einer 
akuten Autolvsinbildung. 

Es kann sich bei der Erforschung der hämolytischen Anämien nur 
um den Nachweis von Autolysinen handeln. Dieser Nachweis 
ist mit grossen Schwierigkeiten verbunden, da es noch an exakten 
Methoden zum Nachweis autolytischer Stoffe fehlt. 

Nach den eigenen Befunden, die durch Tierexperimente gestützt 
werden können, scheinen Autolysine nur in bestimmten 
Perioden im Serum nachweisbar zu kreisen. Bei der 
paroxysmalen Hämoglobinurie finden wir die autolvtischen Sub¬ 
stanzen in ihrer Wirkungsäusserung nur zur Zeit einer einsetzenden 
Erkältung im Blutserum manifest. So gelang es mir nur in 2 Fällen 
von hämolytischem Ikterus (Fall 2 und 4) Autolvsine im Serum zu 
entdecken, während andere, wiederholte Untersuchungen des Serums 
dieser Kranken, wie die der beiden anderen Kranken, einen negativen 
Befund ergaben. Der Autolysinnachweis gelang in den beiden Fällen 
von hämolytischem Ikterus nur während der Periode einer akuten 
Verschlimmerung der Erkrankung: die Anämie war eine stärkere ge¬ 
worden, desgleichen hatte der Ikterus an Intensität zugenommen und 
eine mässige Hämoglobinurie war für kürzere Zeit festzustellen. 

Ein weiterer Hinweis auf die Wirkung von Hämolysinen dürfte 
in dem Befund von Isolysinen im Blutserum gegeben sein; 
in allen 4 Fällen waren Isolysine für die Erythrozyten verschiedener 
Individuen nachweisbar. 

Der Nachweis von Autolysinen war in vitro durch Mischung von 
klar zentrifugiertem Serum in abfallenden Mengen mit. den sorgfältig 
gewaschenen Blutkörperchen der an hämolytischem Ikterus Erkrank¬ 
ten und Komplementzusatz zu erbringen. Auch der Donath- 
Land s t e i n e r sehe Kälte-Wärme-Vcrsuch wurde mit Erfolg zum 
Nachweis der Autolvsine 'herangezogen. 

Dass sich hämolytische Prozesse im Blut bei den hämolytischen 
Anämien stets abspielen müssen, beweisen neben dem biologischen 
Nachweis dieser lytischen Substanzen die Resistenzverminderungen 
der Erythrozyten und die starken Urob'ilinausscheidungcn in den 
Fäzes bei diesen Anämieformen. 

Ein drittes Kennzeichen des hämolvtischen Ikterus ist die 
Splenomegalie. In der Mehrzahl der beobachteten Fälle handelt 
es sich um eine Milzschwellung, in anderen ist das Lebervolumen 
in geringem Grade zugleich vermehrt und nur selten die Leber allein 
vergrössert. Zuweisen fehlt auch jeder klinische Nachweis der 
Volumzunahme von Leber oder Milz. Konsistenzveränderungen der 
vergrösserten Organe fehlen stets, was als Unterscheidungsmerkmal 
von zirrhotischen Leberveränderungen verwertet werden kann. 

Der Vorschlag G i 1 b e r t s, die Formen des hämolvtischen Ikterus 
nach den hypertrophischen Organbefunden zu klassifizieren und 
splenomegalische von hepatomegalischen. splenobepatomegalische 
von den reinen Formen, bei denen keine Organvergrösserungen an¬ 
zutreffen sind, zu differenzieren, bietet nur äussere Vorteile. 

Bei der leichtesten Form des hämolvtischen Ikterus, der fami¬ 
liären Cholämie, pflegen Milz und Leber zumeist nicht vergrössert zu 
sein, während beim erworbenen hämolytischen Ikterus diese Organ¬ 
vergrösserungen gewöhnlich beobachtet werden. In den Fällen, in 
denen eine Lebervergrösserung konstatiert wurde, war nach der 
Beschaffenheit der Fäzes, dem Harnstoffgehalt des Urins, dem nega¬ 
tiven Ausfall der Zuckerproben nach Glvkosedarreichung. eine nor¬ 
male Funktion der Leber anzunehmen. So hat man auch bisher trotz 
langer Dauer der Leber vergrösserung niemals eine echte Zirrhose 
festgestellt, häufiger jedoch Pigmentsteine in der Gallenblase ge¬ 
funden. 

Gutartigen Verlauf pflegen die angeborenen Formen des 
hämolvtischen Tkterus zu nehmen: die Kranken sind arbeitsfähig und 
erreichen gewöhnlich auch ein hohes Alter. Sie sind mehr ikterisch 
als krank. Die Gelbsucht wechselt oft in ihrer Intensität, zuweilen 
treten akute Zunahmen des Ikterus auf (so in Fall 2). von 
heftigen Schmerzattacken in der Milzgegend und selbst Von Hämo¬ 
globinurie begleitet. Zu anderer Zeit vermag nur die genaueste Be¬ 
obachtung den Ikterus und seine Begleitsymptome sicherzustellen. 

Digitized by Gck 'Sie 


Diese akuten Verschlimmerungen des Leidens (crises paroxystiques) 
können im Verlauf der Krankheit immer häufiger auftreten. Der Tod 
erfolgt jedoch nicht am hämolytischen Ikterus selbst, sondern an 
einer mehr zufälligen Komplikation, etwa an einem Typhus, einer 
Pneumonie. 

Der hämolytische Ikterus macht ein eigenes Krankheitsbild unter 
den hämolytischen Anämieformen aus, das nicht einer anderen Er¬ 
krankungsgruppe subordiniert werden kann. Die 3 Kardinalsym- 
ptome: die hämolytische Anämie, der acholurische Ikterus, die Spleno¬ 
megalie. bilden in den ausgeprägten Fällen ein stets wiederkehrendes 
Gesamtbild, das durch kleine Abweichungen nicht verwischt wer¬ 
den kann. Es fragt sich, in welchem inneren Zusammenhang diese 
Symptome untereinander stehen. 

Die Annahme einer hepatogenen Genese der Krankheit 
(Strauss) muss fallengelassen werden, da die Leber nach den 
pathologischen Befunden gewöhnlich intakt ist. Die W i d a 1 sehe 
Schule suchte die Ursache in einer primären Erkrankung des Blutes, 
aus der sich alle übrigen Symptome ablciten Hessen. Widal hält 
an einem hämatogenen Ursprung des Ikterus fest: eine Ansicht, die 
nach den Experimenten von Naunyn, Minkowski und Stadel- 
Tnann abzuweisen ist. 

Die plausibelste Deutung, die von Minkowski, dann C h a u f - 
fard angenommen wurde, sieht die Ursache des hämolvtischen, 
acholurischen Ikterus in einer übermässigen hämolytischen Funktion 
der Milz. Beweise hierfür sind von diesen Autoren nicht beigebracht 
worden; erst in der jüngsten Zeit hat man sich bemüht, für diese 
hämolytische Hyperfunktion der Milz greifbares Tatsachenmaterial 
zu finden. 

Der unklaren Genese einer Erkrankung wird man noch am ehe¬ 
sten durch die Möglichkeit einer experimentellen Erzeugung eines 
ähnlichen Symptomkomplexes am Tier nahekommen können. So ver¬ 
suchten französische Forscher durch Einführung von Toluilendiamin, 
durch Injektionen von Aq. dest., von globulizidem, spezifisch wirk¬ 
samem Serum Krankheitsphänomene zu erzeugen, die im wesentlichen 
dem Bilde des hämolytischen Ikterus gleichen konnten. Durch vrr- 
sichtige Modifizierung der Dosen, die sie verabreichten, erzielten sie 
bei kleinen Mengen mir Urobiiinurie, bei mittleren Gaben Urobilln- 
urle und Cholurie. Hämoglobinurie erst bei starken Dosen, und in 
jedem Falle wollen sie eine myeloide Reaktion der Milz, sowie 
Splenomegalien beobachtet haben. 

Ich habe durch kleine Dosen von Toluilendiamin. die wieder¬ 
holt subkutan gegeben wurden, bei Hunden neben einem deut¬ 
lichen Ikterus recht beträchtliche Milzvergrösse- 
rungen erhalten. Blieben die Tiere mehrere Wochen am Lehen, 
so war eine Angiocholitis der Leber und eine Sklerose der Milzpulpa 
festzustellen. Immer war eine recht beträchtliche Verminderung der 
Erythrozytenzahlen, ein Absinken des Hämnglnbinwertes zu notieren. 
Zudem fanden sich zahlreiche kernhaltige Erythrozyten. Anisozvtnse, 
Polychromatophile — aber die Resistenz der roten Blutscheiben gegen¬ 
über hypotonischen Kochsalzlösungen war nur direkt nach der In¬ 
jektion des Giftes herabgesetzt und eine oft recht beträchtliche poly¬ 
nukleäre Leukozytose wurde konstatiert. Das vollkommene Krank¬ 
heitsbild eines hämolytischen Ikterus liess sich also durch die To- 
luilendiaminintoxikation nicht erzielen. 

Wir erkennen erst einige Züge im Krankheitsbild des hämo¬ 
lytischen Ikterus, ohne die primäre Ursache der Hamolvsc aufdecken 
zu können. Soviel steht jedenfalls fest, dass der Ikterus, der die 
Krankheit begleitet, kein Grundsymptom derselben ausmacht, sondern 
als Folge der Blutveränderungen zu deuten ist. Die Blutverände¬ 
rungen sind das Primäre. Sie bestehen im wesentlichen in einer 
mehr oder minder schweren Anämie, bei der die Svmntome der Re¬ 
generation wie die der Zerstörung hervortreten, und einer Resistenz¬ 
verminderung der Ervthrozvten. Die Ursachen der Anämie 
wären somit aufzufinden. Eine abnorme, angeborene Brüchigkeit der 
Erythrozyten. Hämolysine im kreisenden Blut oder von bestimmten 
Organen produzierte lytische Substanzen könnten als Ursachen der 
Anämie an gesprochen werden. 

Die Theorie von der angeborenen Fragilität der Blutkörperchen 
kann nicht befriedigen. Denn nur die kongenitale hämoivtische 
Anämie könnte auf eine angeborene, vererbbare Dvstronhie der 
Erythrozyten, resp. eine angeborene Minderwertigkeit des ervthro- 
blastischen Knochenmarks Anspruch erheben. Es liegen zudem keine 
Anhaltspunkte dafür vor. dass der Aufbau der Erythrozyten beim 
hämolvtischen Ikterus modifiziert ist. 

Klinische und experimentelle Beweise bringt die Vorstellung, 
welche das Kreisen toxischer Stoffe endogener oder exogener Art im 
Blut annimmt. Diese hämolvtischen Gifte könnten nach dem Zerfall 
und der Resorption der Blutkörperchen selbst von den blutbereitenden 
Organen produziert werden. 

Solche endogenen Hämolysine finden wir bei der paroxysmalen 
Hämoglobinurie im strömenden Blut. Hämolvce durch externe N^xen 
kennen wir bei der Einführung toxischer Pflanzennlbnmosen (Riem, 
Abrin. Crotin). bei giftigen Tiersekreten (SchDruremriften). bei der 
Einwirkung von bakteriellen Hämotoxinen, wie Tefanolvsin. Staphylo¬ 
lysin u. a. m. und bei der Injektion von Serumhämolvsinen. F : ne 
klinisch bedeutungsvolle Rolle snielen lediglich die bakterieller 
Hämotoxine und die Lvsine. die im Blut selbst entstehen können, resp. 
von bestimmten Organen ans Blut abgegeben werden. 

Bei schweren Streptokokkeninfektionen, septischen SchHach- 
formen, bei Malaria finden wir den Typ der bakteriellen Hämolysine 

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1. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1101 


am reinsten vertreten. Aber auch manche Formen von perniziöser 
Anämie mögen nach den Untersuchungen von Lüdke und Fejes 
auf die Wirkung von bakteriellen Hämolysinen, die der Darmflora ent¬ 
stammen, zuriickzuführen sein. 

Bei der hämolytischen Anämie nehmen die Quellen der Krank¬ 
heit vielleicht den gleichen Weg: ich erinnere daran, dass bei der 
paroxysmalen Hämoglobinurie, die mit dem hämolytischen, acho- 
lurischen Ikterus manche gemeinsamen Punkte hat, fast in allen 1 Fällen 
eine luetische Vorgeschichte festgestellt wurde. Sehen wir die Fälle 
von angeborener und erworbener hämolytischer Anämie durch, so 
finden wir in den anamnestischen Daten Lues oder 
Tuberkulose besonders häufig verzeichnet. In 
meinen 4 Fällen war zweimal eine positive Wassermann sehe 
Reaktion zu notieren, einmal lag eine tuberkulöse Anamnese vor. 

Nicht in allen Fällen werden dem hämolytischen Ikterus diese 
toxischen Introduktionen vorausgehen; andere Infektionen mögen den 
Boden für die Erkrankung ebenso vorbereiten können. 

Ein wichtiges Moment in der Deutung der Pathogenese des 
hämolytischen Ikterus wäre der exakte Nachweis von Hämo¬ 
lysinen. Bei der paroxysmalen Hämoglobinurie gelingt der Nach¬ 
weis dieser Lysine durch den Donath-Landsteiner sehen Ver¬ 
such in fast allen Fällen. In zweien meiner Fälle von hämolytischem 
Ikterus war der Kälte-Wärme-Versuch ebenfalls positiv. Durch Zu¬ 
satz eines geeigneten tierischen Serums als Komplement konnte 
ausserdem der Nachweis einen reinen autolytischen Wirkung des 
Ikterusserums erbracht werden. 

Meine Fälle unterscheiden sich jedoch in einem Punkte von 
dem „Hämolysinikterus“, den Chauffard und T r o i s i e r in 
einem Beispiel beschrieben haben: in meinen Fällen war eine herab¬ 
gesetzte Erythrozytenresistenz nachzuweisen, die bei dem „Hämo¬ 
lysinikterus“ der französischen Autoren fehlte. 

Somit lassen sich Autolysine im Blutserum des 
hämolytischen Ikterus feststellen. Wenn ihr Nachweis 
nicht regelmässig gelingt, so kann die Ursache darin liegen, dass ihre 
Konzentration im Serum nur gering ist, dass zudem der Organismus 
auf die lytischen Stoffe mit der Produktion von Antilysinen ant¬ 
wortet und nur im Verlauf der ikterisch-anämischen Krisen die Bil¬ 
dung von Lysinen die der Antilysine übertrifft. 

Eine solche Produktion von Autolysinen kann durch eine aus¬ 
giebige Zerstörung der eigenen Blutzellen eingeleitet werden. 

Wir müssen hier kurz auf Forschungen E h r 1 i c h s und Mor- 
genroths über die Hämolysine zurückgreifen: Heterolysine ent¬ 
stehen gewöhnlich nach der Resorption fremdartiger Blutzellen; Iso- 
lysine können durch Injektion und Resorption von Blutkörperchen 
der gleichen Tierspezies künstlich erzeugt, werden. In diesen beiden 
Fällen handelt es sich um Experimente am Tier, die klinisch nur in 
den Fällen Bedeutung gewinnen können, in denen fremdartiges oder 
arteigenes Blut zu Zwecken der Transfusion übertragen wird. 

Für pathologische Verhältnisse kämen solche Krankheitsprozesse 
in Betracht, die als Folgen der Resorption des eigenen Zellmate¬ 
rials gedeutet werden können. Solche Bedingungen werden bei der 
Resorption von Blutergüssen in serösen Höhlen oder das subkutane 
Gewebe, bei intensiver Blutzerstörung durch Blutgifte geschaffen; 
wir fänden sie ferner wieder bei rapiden Einschmelzungen grosser 
Tumoren und akuten Organatrophien. In allen diesen Fällen sind 
die Bedingungen für eine reaktive Bildung von Substanzen gegeben, 
die spezifische, deletäre Beziehungen zu dem Ausgangsgewebe be¬ 
sitzen können. 

Für die experimentelle Pathologie wäre es daheT von grösster 
Bedeutung, festzustellen, ob die Resorption des eigenen Oewebs- 
materials zu diesen deletär wirksamen Antistoffen führen kann. Be¬ 
kannt sind bisher nur wenige Beispiele, nach denen die Annahme 
solcher Autotoxine gerechtfertigt ist. Vielfach müssen wir uns mit 
der Annahme begnügen, dass der tierische Organismus durch be¬ 
stimmte regulatnrische Vorrichtungen die Entstehung solcher schädi¬ 
genden Autotoxine verhindert. 

Ehrlich und Morgenroth hatten in Versuchen an Ziegen 
nnchgewiesen. dass durch Interaperitoneale Infektion von aufgelösten 
Ziegenervthrozvten wohl Isolysine, jedoch nicht Autolysine im Serum 
des behandelten Tieres auftraten. Es wäre gewiss dysteleologisch, 
wenn sich im Tierorganismus Autotoxine bilden würden. Das Aus¬ 
bleiben der Autolysinbildung beruht nach Ehrlich entweder auf 
einem Fehlen der passenden Rezeptoren an den Erythrozyten oder 
auf der „Bildung von Antiautolvsinen. In einzelnen Versuchsreihen 
wurde von Ehrlich und Morgen-roth dieser „horror autotoxi- 
cus“ der tierischen Gewebe experimentell erwiesen. 

Nach meinen Versuchen kann jedoch eine Bildung von Auto- 
lvsinen fm tierischen Organismus erzielt werden, und damit dürfte die 
Annahme an Wahrscheinlichkeit gewinnen, dass solche Autnlvsine 
nicht nur bei der paroxysmalen Hämoglobinurie, sondern auch beim 
hämolytischen Ikterus eine klinisch wichtige Rolle spielen. 

Es war mir gelungen, durch wiederholte intravenöse Tniektionen 
eigenen Blutes bei Hunden in seltenen Fällen- ein Autolvsin' zu er¬ 
halten. Das Serum dieser Hunde löste meist die Blutkömerchen 
anderer Hunde auf (Isolysine). in vereinzelten Fällen war 
durch besondere Versuchstechnik ein Autolysin nachweisbar. 

Die internen Regulationsvorrichtnngen, die das Auftreten von 
Autolysinen gewöhnlich hemmen, -konnten durch eine beson¬ 
dere Versuchsanordnung durchbrochen und damit zeitweise 
die Bildung von Autolysinen erleichtert werden. 

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Die Versuche glückten mir in der Versuchsanordnung, in der das 
Blut der Versuchshunde vor der Injektion der eigenen 
Erythrozyten durch profuse Aderlässe oder bio¬ 
logische wie chemische Blutgifte schwerer ge¬ 
schädigt wurde. Nur zwei dieser Versuchsreihen sollen hier 
kurz in ihren wichtigsten Ergebnissen angeführt werden. 


Versuch I 
Datum 

Ery- 

throzyten 

Hg 

Leuko¬ 

zyten 

Blutbild 

Resi¬ 

stenz 

Iso¬ 

lysine 

Anto- 

lyaine 

Urin 

1. 11. 

9 11 

6340000 

oen ui..» 

75 

8800 

Normal 

40 

0 

0 

Normal 


4. II. 
4. II. 

7. II. 

8. II. 
10. II. 
19. II. 

Versuch I 

14. IX. 

15. IX. 

16. IX. 
19. IX. 
22. IX. 
24. IX. 
27. IX. 

1. X. 


/ 1 I I —W a V ] 

250 ? Blut entnommen. 

80g eigenes Blut (durch wenig Ag. dest. lackfarben gemacht] 
4 100000 I 40 I n000 L^4 I 40 - 4J I 0 


3320000 

3940000 

5130000 

6720000 


35-30 

30 

40 

65 


80 


10 400 


8000 

7600 


o ifljuw | ou | 10 200 | normal | «u—u | u 
2 ccm hämolytisches Kaninchen-Immunserum intravenös 


Normal 


52-54 

50 

48-46 

40-42 


3125000 | 25 
70 g eigenen Bluts 
2450000 * “ 

2 980 000 

3 540000 
4120000 


20 

25—30 

40 

45 


, 28500 j Norrnobl. 
intravenös (vorher 
■ 24 100 I 

21 *°°0 NorZbl 
15 600 I „ 

II 300 | 


64-62 




intravenös injiziert. 


+ 

+ 


Injiziert. 
0 


Normal 

Urobilin 


Normal 


lackfarben gemaclit) injuiert 

‘ 64 +++ I + ■' 

58 -56 ++ | + 

52-50 -H- 

48 + 


Normal 

I Himo- 
| globinurie 

Urobilin 


Aehnlich fielen die Versuche aus, in denen zur Anämisierung der 
Hunde Pyrodin oder Toluilendiamin injiziert war. Bisher erhielt ich 
in 11 Versuchsreihen bei Hunden 9 mal positive Ergebnisse; im 
Blutserum fanden sich I s o 1 y s i n e, die lösend auf die Blutkörperchen 
verschiedener normaler Hunde einwirkten und Autolysine, die 
die eigenen Erythrozyten auflösten. Ueber diese Versuche, die Ver- 
suchstechnik, über die Bedeutung des Autolysinnachweises im tieri¬ 
schen Organismus und seine Beziehungen zur menschlichen Pathologie 
sollen weitere Untersuchungen berichten. 

Es gelingt somit im Tierexperiment, Autolysine 
künstlich zu erzeugen. Die Bildung von Autotoxinen könnte 
— analog der Autolysinentstehung nach Blutkörperchenzerfall — auch 
durch Resorption zerfallener Gewebszellen im tierischen Organismus 
ausgelöst werden. Wir erinnern an die vielfach diskutierte Frage 
der deletären Wirkung von Nephrolysinen bei der Urämie und weisen 
nur auf die Möglichkeit der schädigenden Wirksamkeit solcher Auto¬ 
toxine bei bestimmten Krankheitsbildern hin (akute gelbe Leber¬ 
atrophie, Basedow, Chlorose). 

Der Ursprungsort der Autolysine muss in die blutbereitenden 
Organe, die Hauptbildungsstätten der Antikörper, verlegt werden. 
Es galt somit die Produktion von Autolysinen in den blutbildenden 
Organen nachzuweisen. 

Durch die Untersuchungen von Morgenroth und K o r - 
schun, wie durch eigene Versuche wissen wir, dass man aus den 
Organen der verschiedensten Tiere wässerige Extrakte gewinnen 
kann, die lösend auf die roten Blutscheiben differenter Tierspezies, 
ja auch auf die eigenen Erythrozyten hämolytisch einwirken können. 
So wirkten wässerige Extrakte aus Darm. Magen, Milz, Nebenniere, 
Niere von Meerschweinen und Mäusen z. B. auch auf die eigenen 
Blutkörperchen hämolytisch. Diese Eigenschaft der Organextrakte, 
die Blutkörperchen des eigenen Individuums zu lösen, ist insofern von 
Bedeutung, als das Blutserum der Tiere weder normal noch nach 
immunisatorischen Eingriffen Stoffe enthält, welche die Blutscheiben 
des Tieres selbst schädigen. 

Es lag danach die Möglichkeit nahe, dass insbesonders durch die 
Milz, die schon normalerweise den Zerfall der Erythrozyten regelt, 
hämolytisch wirksame Stoffe produziert werden könnten. 

Von italienischen (Banti) und französischen Autoren (Chauf¬ 
fard, Gilbert) wurde diese Annahme einer gesteigerten hämo- 
lysierenden Funktion der Milz bei der hämolytischen Anämie zur 
Deutung deren Pathogenese bereits herangezogen. Man sprach von 
einer hypersplenischen Funktion der Milz beim hämolytischen 
Ikterus. 

Beweise für eine gesteigerte aktive Rolle der Milzfunktion 
waren durch Tierversuche zu erbringen. Die Zerstörung der Erythro¬ 
zyten, die Anhäufung von Trümmern derselben in der Milz von Tieren, 
bei denen durch Toluilendiamininiektion, durch Einspritzung von 
Kobragift oder durch Serumhämolysine eine Art von experimentellem 
hämolytischem Ikterus erzeugt werden konnte, ist eine recht be¬ 
trächtliche. Ebenso fand man in den Milzen und Lebern von Kranken 
mit hämolytischem Ikterus eine vermehrte Erythrozytenphagozytose 
und eine oft sehr ansehnliche Anhäufung von teils eisenhaltigem, teils 
eisenfreiem Pigment. 

Fein zerteilte, aseptisch gewonnene Milzpartikelchen von Tieren, 
bei denen eine Autolysinbildung durch Injektionen eigenen Bluts ein¬ 
geleitet war, bewirkten eine prompte, vollständige Auflösung einer 
5proz. Aufschwemmung der eigenen Erythrozyten. In gleicher Weise 
lösten Milzpartikelchen von Hunden, die mit Kobragift oder Toluilen¬ 
diamin intoxiziert waren, die eigenen Blutscheiben auf. 

Wurden gesunde Tiere bei normalem Blutbefund intravenös mit 
Milzextrakten injiziert, die von den Autolvsin enthaltenden Tieren 
gewonnen waren, so stellten sich ziemlich beträchtliche Anämien mit 
Resistenzverminderung der Erythrozyten bei den injizierten Tieren 
ein. Milzextrakte gesunder Tiere wirkten nicht anämisierend. 


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1102 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 40. 


Damit dürften Beweise für die Bildung von Hämolysinen durch 
die Milz im Tierversuch beigebracht sein. Ob ähnliche, hämolytisch 
wirksame Stoffe bei den menschlichen hämolytischen Anämien in 
Betracht zu ziehen sind, wollen wir durch diese Untersuchungen am 
Tiere noch nicht entscheiden. 

Hämolytisch wirksame Extrakte lassen sich auch aus anderen 
normalen, wie krankhaft veränderten Geweben herstellen; zudem 
dürften Reagenzglasversuche hier nicht auf eine vorausgesetzte Wirk¬ 
samkeit solcher hämolytischer Stoffe in vivo übertragen werden. 

Nach unseren Untersuchungen kreisen Autolysine im Blutserum 
bei den hämolytischen Anämien, die zu bestimmten Zeiten — den 
anämisch-ikterischen Krisen — in vitro nachweisbar werden. Die 
Bildungsstätte dieser Autolysine wird hauptsächlich ln der Milz zu 
suchen sein. 

Ueber die Ursachen der Autolysinbildung Hessen 
sich vorderhand nur Vermutungen aussprechen: Aeltere Angaben von 
Hayem, neuere Beobachtungen von Chauffard legten den Ge¬ 
danken nahe, dass manche Fälle von hereditärer Lues und kongeni¬ 
talem Ikterus in engem Zusammenhang stehen müssen. Dieser Zu¬ 
sammenhang wurde auch durch Salvarsaninjektionen veranschaulicht, 
da nach den Injektionen Iso- und Autolysine plötzlich im Serum auf¬ 
traten, ebenso eine akute Abnahme der Erythrozvtenzahlen. eine 
stärkere Abnahme der Resistenz, eine Hämo^obinurie festzustellen 
war. Hämolytischer Ikterus und paroxysmale Hämoglobinurie bieten 
sonach auch in ätiologischer Beziehung manche Parallele. 

In anderen Fällen wurden tuberkulöse Infektionen als Ursache 
hämolytischer Anämien vermutet. Ob durch diese Infektionen der 
Boden zur Entstehung des hämolytischen Ikterus vorbereitet werden 
kann, müssten jedoch erst weitere Erfahrungen lehren. Im ge¬ 
schwächten, im infizierten Organismus wird es jedenfalls leichter, 
wie dies auch meine Tierversuche ergaben, zur Bildung von Auto- 
lysinen kommen können. 

Literatur. 

Banti: Zieglers Beitr. 24. — Bruld: These de Paris 1909. — 
Chauffard: Soc. mdd. des höo. de Paris, 30. X. 1908 und Semaine 
m6d. 1907 Nr. 3 und 1908 Nr. 49. — Chauffard und T r o i s i e r: 
Soc. möd. des höp. 10. VII. 1908. — Chauffard: Annal. de M6d. I. 
1914. — Ehrlich und Morgenroth: Ueber Hämolysine. III. Mitt. 
B.kl.W. 1900 Nr. 21. — Eapinger und Chartias: Zschr. f. klin. 
Med. 78. 1913. H. 5/6. — Epp in ge r: B.kl.W. 1913 Nr. 33. 34 u. 52. 
— Gilbert: Clinique m6d. de rHötel-Dreu d« Paris 1913. — Gil¬ 
bert und Herscher: Presse möd. 31. III. und 4. IV. 1906. — 
Gilbert, Lereboullet und Herscher: Pull. Soc. de« hon. 
nov. 1907. — Hayem: Soc. m6d. des höp. 1908. 24. I. und Presse 
möd. 1898. — Lüdke und Fejes: D. Arch. f. klin. Med. 109. 
1912. — Minkowski: 18. Kongress für innere Medi7in Wies¬ 
baden 1900. — Morgenroth und Korschun: B.kl.W. 1902 
Nr. 37. — Schottmüller: M.m.W. 1914 Nr. 5. --- Straus«: 
B.kl.W. 1906. — Vaquez und Ribierre: s. Manuel des malad, 
du foie. Paris, Masson 1910. — Widal: Abrami und B r u 1 6: 
Arch. d. mal. du coeur etc. 1908 Nr. 4. 

Ueber die bewusste Erzeugung und Verwertung der 
SekundSrstrahlen bei der Röntgentherapie. 

Von Prof. Dr. med. W. Stepp, Oberarzt an der Med. Klinik, 
und Prof. Dr. phil. P. Cermak, Assistenten am Physikal. 
Institut der Universität Giessen. 

Trotz der grossen Fortschritte, die auf dem Gebiete der Röntgen¬ 
strahlen in den letzten Jahren gemacht worden sind, hat man noch 
nicht klar erkannt, worin die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die 
Zelle besteht. Man weiss im wesentlichen nur, dass die Strahlen 
alle lebenden Zellen beeinflussen, sie bei kurz andauernder Einwirkung 
in ihrem Wachstum fördern, bei längerer Einwirkung aber zerstören. 
Im übrigen ist die Röntgenempfindlichkeit der Zellen je nach ihrem 
Alter, ihrem biologischen Charakter, nach der Schnelligkeit ihres 
Stoffwechsels ausserordentlich verschieden. Auf dieser unterschied¬ 
lichen Empfindlichkeit gegen die Strahlenwirkung beruhen alle Heil¬ 
versuche und Heilerfolge der Medizin, und aus ihr ergibt sich auch 
sofort die Wichtigkeit richtiger Dosierung. 

Oft ist die Vermutung ausgesprochen worden, so z. B. von dem 
englischen Physiker Ch. G. Barkla*). dass bei der Bestrahlung 
der festen und flüssigen Bestandteile des tierischen Körpers ein 
ähnlicher Vorgang stattfinde, wie bei der Ionisation der Gase durch 
die Röntgenstrahlen, dass nur das Endergebnis anders auftrete als 
in Form von Ionen. Doch bleibt das Vermutung. Trotzdem lassen 
sich für die richtige Anwendung der Röntgenstrahlen immer be¬ 
stimmte Richtlinien aufstellen, weil längst erkannt ist. dass die direk¬ 
ten Einwirkungen der Röntgenstrahlen Atomvorgänge sind. Es 
lassen sich alle die physikalischen Gesetze über die Wirkung der 
Röntgenstrahlen auf die verschiedenartigen Atome in Betracht ziehen, 
wenn man weiss, aus welchen Atomen das betreffende Geweb e be- 
steht. 1 

Nun entstehen bekanntlich in der. Röntgenröhre nicht Strahlen 
eindeutiger Art (vergleichbar den Lichtstrahlen einer reinen Farbe). 

*) Brit. med. Journ. 1910 S. 1532/33. 

□ ifitized by Gouäle 


sondern ganze Strahlengemische (vergleichbar etwa dem zusammen¬ 
gesetzten weissen Lichte), in denen noch bestimmte Strahlenarten 
verstärkt erscheinen, je nach dem Material, aus dem die Antikathode 
gefertigt ist. Von diesem Gemisch nehmen schon das Glas der 
Röhre, mehr noch die in der Röntgentiefentherapie üblichen Vorfilter 
einen beträchtlichen Teil der weicheren, wenig durchdringenden 
Strahlung weg. Die übrigbleibenden härteren Strahlen wirken nun 
auf die Atome des Körpers, auf den sie treffen, und werden dort 
zum Teil absorbiert, zum Teil in andere Strahlenformen umgesetzt. 
Da nun diese neuerzeugten sekundären Strahlen ihrerseits auf 
die Körperatome wirken, ist die Kenntnis dieser Umsetzung von 
grosser Wichtigkeit. 

Es entsteht zunächst einmal eine von den getroffenen Atomen 
ausgehende Elektronen Strahlung, die eine äusserst geringe 
Durchdringungskraft besitzt und von den dünnsten Ge websschichten 
schon verschluckt wird. 

Zweitens tritt eine zerstreute, d. h. ungefähr nach allen 
Richtungen gleich intensive, sekundäre Röntgenstrahlung auf. deren 
Härte von der der auslösenden Strahlung nicht verschieden zu sein 
scheint. Doch zerstreuen die hochatomigen Körper viel weniger als 
solche, die sich aus Bestandteilen mit niedrigen Atomgewichten zu- 
sammeiisetzen. Da die tierischen Gewebe fast ausschliesslich aus 
Atomen kleinen Gewichtes bestehen, so muss auch auf diese Streu¬ 
strahlung geachtet werden. 

Drittens entstehen noch da, wo Röntgenstrahlen geeigneter 
Härte auftreffen, die sog. Eigenstrahlen des betreffenden 
Atoms, das sind Röntgenstrahlen ganz bestimmter Härte (oder 
mehrere Gruppen solcher), die von grosser Intensität sein können. 
Diese sekundären Eigenstrahlen sind umso härter, je höher das 
Atomgewicht des absorbierenden Körpers ist. Auch werden sie nicht 
durch jede beliebig auffallende Röntgenstrahlung erzeugt, sondern die 
auffallende Strahlung muss eine gewisse Mindesthärte besitzen, darf 
diese aber auch nicht allzuweit überschreiten, wenn intensive Eigen¬ 
strahlung entstehen soll. Im allgemeinen vermag die aus der tech¬ 
nischen Röhre kommende Strahlung in den Atomen des tierischen 
Gewebes (wegen des geringen Gewichtes seiner Atome) keine Eigen¬ 
strahlung auszulösen. Im menschlichen Körper wird also eine solche 
Eigenstrahlung *), die übrigens immer weicher ist als die erzeugende 
Strahlung, im allgemeinen nicht entstehen. Sie kann dagegen im 
Vorfiltcr, wenn dieses nicht richtig gewählt ist, entstehen. Das lässt 
sich aber vermeiden. 

Unter Umständen scheint es nun dringend erwünscht, die Strah¬ 
lung. die man zu Heilzwecken in den Körper hineinsenkt, durch solche 
Eigenstrahlen zu verstärken. Die moderne Röntgentherapie hat zwar 
grosse Erfolge mit der Tiefenbestrahlung erzielt, doch können dabei 
itür sehr harte Strahlen an den Krankheitsherd gebracht werden, und 
diese wieder können nur in ganz geringem Masse absorbiert werden. 
So ergibt sich naturgemäss der Wunsch, die Strahlung gerade in den 
erkrankten Teilen zu verstärken. 

Der Gedanke, künstlich im Innern des Körpers erzeugte Se¬ 
kundärstrahlen zu Heilzwecken zu verwenden, ist nicht neu, doch ist 
er bisher weder in bezug auf seine praktische Verwendbarkeit folge¬ 
richtig durchentwickelt, noch sind Versuche in grösserem Mass- 
stabe angestellt worden. Soviel wir aus der Literatur ersehen, war 
Barkla 3 ) der erste, der als Physiker sich mit der Frage be¬ 
schäftigte. Unabhängig von ihm und etwa um die gleiche Zeit stellten 
Gaussund Lembcke 4 ) Versuche an Kaulquappen an, die sie in 
dünne Kollargollösungen brachten und darin bestrahlten. Das Er¬ 
gebnis dieser Versuche war nicht ganz eindeutig, gleichwohl glaubten 
die Autoren eine Wirkung der vom Silber ausgehenden Sekundär¬ 
strahlen aus ihnen herausiesen zu dürfen. Ueber therapeutische Ex¬ 
perimente an Menschen mit Hilfe von Kollargolinjektionen ins Ge¬ 
webe, mit denen Gauss und Lembcke damals beschäftigt waren, 
haben sie nähere Mitteilungen noch nicht gemacht. Dagegen liegen 
von amerikanischer Seite, von Harris, Johnson und Beck*) 
einige Angaben über praktische Versuche an Kranken vor. John¬ 
son benützte metallisches Silber, das er in den Magendarmkanal 
einführte, Harris Zinksalbe als Quelle für die Sekundärstrahlen, 
während Beck Wismutverbindungen In das erkrankte Gewebe 
spritzte. Deutsche Autoren haben sich, soviel wir sehen, praktisch 
mit dieser Frage überhaupt nicht beschäftigt. 

Bevor wir auf die Grundlagen für derartige Versuche eingehen. 
sei nur kurz darauf hingewiesen, dass man zunächst daran hätte 
denken können, den betreffenden Stoff, dessen sekundäre Eigen¬ 
strahlung man benutzen will, in massiver Form m den Körper ein¬ 
zuführen (bei Körperhöhlen z. B. in Form von Sonden), sofern nur 
seine Eigenschaften in Bezug auf Giftigkeit, Reizwirkung usw. dem 
nicht im Wege stehen würden, wovon später ausführlich die Rede sein 
wird. Doch sagt uns eine einfache Ueberlegung, dass man so nur zu 
wenig günstigen Erfolgen kommen wird. Da jedes Element die vor, 

*) Das Gewebe der Schilddrüse macht hier eine Ausnahme. 
Das Jodthyreoglobulin enthält in dem Jod ein Element mit 
sehr hohem Atomgewicht, und man erzeugt bei der Bestrahlung der 
Schilddrüse zweifellos unbewusst eine sehr kräftige Eigen Strahlung. 

•) I. c. 

4 ) Röntgentiefentherapie. Berlin, Urban & Schwarzen¬ 
berg, 1912. 

*) Zit. nach Wetter er: Hb. d. Röntgenther. Leipzig 1913/14. 
2. Aufl. S. 10. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



ihm ausgehende Eigenstrahlung auch wieder besonders stark absor¬ 
biert, würde man nur aut der Vorderseite (der Einfallsseite der pri¬ 
mären Strahlung) eine Verstärkung erhalten und wegen' der grossen 
Weichheit der Strahlen nur in unmittelbarer Nähe der Sonde. Selten 
wird sich auch der Sonde eine solche Form geben lassen, dass die 
von ihr ausgehenden Sekundärstrahlen gerade nur die erkrankten, 
nicht aber die gesunden Zellen zerstören, weil nur ein Teil der er¬ 
krankten Zellen in ihrer unmitelbaren Nähe liegen würde. Es liegt 
bei solcher Anordnung die Gefahr nahe, dass manche Gewebsteile, 
die mau zerstören will, nur Reizdosen bekommen, andere, die nicht 
beeinflusst werden sollen, dagegen zerstört werden. Besser wird 
es schon sein, wenn die Eigen strahier in Pulverform, noch 
besser, wenn sie in Form von Lösungen gieichmässig auf die erkrank¬ 
ten Herde verteilt weiden können. Auch hat die Erfahrung gelehrt, 
dass es für die Eigenstrahlung ganz gleichgültig ist, in welcher che¬ 
mischen Beschaffenheit oder Bindung sich der Eigenstrahler 
beiiriuct. Man hat dann noch den Vorteil, dass man die Verteilung der 
Pulver oder die Stärke der eingeführten Lösungen nach Wunsch ver¬ 
ändern kann. 

Da die Eigenstrahlung von grosser Intensität sein kann und wegen 
ihrer Weichheit stark auf das in nächster Nähe Hegende Gewebe 
wirkt, so ist freilich die Gefahr gross, dass ihre bewusste Erzeugung 
leicht mehr Schaden als Nutzen stiften kann, und nur nach sorgfältig¬ 
ster Ueberlegung aller Umstände wird man zu diesem Hilfsmittel grei¬ 
fen. Bei der üblichen Härte der technischen Röhren werden Körper 
von den Atomgewichten 100—130 die kräftigsten Eigenstrah¬ 
lungen liefern. Und zwar senden alle Elemente dieser Gruppe 
zwei Arten von Eigenstrahlung aus, eine sehr weiche und 
eine etwas härtere, diesog. L-undK-Strahlung. Immer aber 
sind die Eigenstrahlungen beider Art weicher, werden also stärker 
absorbiert und wirksam werden als die zu ihrer Erregung benutzten 
Strahlen. 

Man könnte natürlich auch an die Verwendung von Substanzen 
mit höherem Atomgewicht, wie des Baryums und des Wismuts 
(Atomgewicht 137 bzw. 208,37) zur Sekundärstrahlung denken. Da¬ 
zu bedürfte es aber einer schon recht harten Primärstrahlung, und 
man hat die Abstufung der Wirkung nicht mehr so in der Hand. 

Am vorteilhaitesten werden sich die Bedingungen für die Er¬ 
zeugung von SeKumiärstrahlen dann gestalten, wenn es gelingt, dem 
erkrankten Gewebe den Eigenstrahler in solcher Form zuzu¬ 
führen, dass nur das erkrankte Gewebe, nicht aber die gesunden, um¬ 
liegenden Teile ihn aufnehmen. Doch darauf wird später einzugehen 
sein. ' 

Die erste Bedingung, die chemische Substanzen, welche als Quelle 
von Sekundärstrahlen in den Körper eingebracht werden sollen, er- 
iüllen müssen, ist die, dass sie ungiftig sind und dass sie den 
Urganismus auch sonst in keiner Weise schädigen. Aber noch auf 
etwas anderes ist zu achten. Bei der Auswahl der Eigen¬ 
st r a h 1 e r hat man auf die schon oben erwähnte Tatsache Rücksicht 
zu nehmen, dass die in der Praxis der Röntgentherapie benutzten 
Strahlen nur bei Elementen mit einem ganz bestimmten Atomgewicht 
eme kräftige Sekundärstrahlung erzeugen. Nach den Untersuchungen 
Salzinanns*) ergeben die Elemente, deren Atomgewichte zwi¬ 
schen 107 und 120 liegen, die beste Ausbeute an Eigenstrahlen. Be¬ 
sonders günstig liegen die Verhältnisse beim Silber und beim 
Jod. S i 1 b e r hat ein Atomgewicht von 107,93 undi J od ein solches 
von 126,97. Wie man sieht, steht das Atomgewicht des Silbers 
am unteren Ende, das des Jods nur wenig über der oberen Grenze 
dieser Reihe. Ueberdies sind sowohl das Silber wie das Jod das 
wirksame Prinzip wichtiger Heilmittel, deren Anwendungsweise und 
Wirkung gründlich studiert sind. Von den andern, in dieser Reihe 
liegenden Elementen ist eines, dias Antimon, stark giftig und 
ein anderes, das Kadmium, hi seiner Wirkung auf den Kör¬ 
per noch nicht genügend erforscht 7 ). 

W ie bringen w ir nun die wirksamen, chemischen 
Verbindungen in das erkrankte Gewebe, wo die 
Sekundärstrahlenwirkung erwünscht ist? Bei 
Hohlorganen, deren veränderte Schleimhäute beeinflusst werden 
sollen, ist die Lösung der Frage relativ einfach, so z. B. bei der 
tuberkulös erkrankten Harnblase. Wir brauchen'sie nur mit 
einer Lösung des betreffenden Stoffes zu füllen und von aussen zu 
bestrahlen, um eine kräftige Sekundärstrahlung zu erhalten. Frei¬ 
lich darf die Lösung in der verwendeten Konzentration keine Reiz¬ 
wirkung auf die Blase ausüben, damit die Flüssigkeit ohne Beschwer¬ 
den während der Dauer der Bestrahlung in der Blase behalten wer¬ 
den kann. Es ist überdies gar nicht wünschenswert, zu starke Kon¬ 
zentrationen zu nehmen, da man dabei entweder die Nachteile wie 
bei der Verwendung massiver Körper hätte oder von allen Seiten be¬ 
strahlen müsste, um das zu umgehen. 

Eine wenig differente Silberverbindung wie das Kollar gol 
ist wegen ihrer relativen Reizlosigkeit ganz besonders geeignet 
Sicherlich könnte man auch ebenso gut eine Jodverbindung in einer 
nicbtreizenden Konzentration verwenden. Dais Kollar gol 
(Heyden) haben wir stets in 1 p r o z. Lösung genommen und davon 
etwa 150—200 ccm in die Blase eingefüllt. 


•) D.m.W. 1913 Nr. 52 S. 2557. 

7 ) Kadnriumsulfat wurde früher gegen Gonorrhöe lokal an¬ 
gewandt. 


J<r. 40 

□ igitized by 


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Schon wesentlich schwieriger gestaltet sich die Einbringung der 
Eigen strahier in die Gelenke. Man kann ireilich auch hier 
die wirksamen Verbindungen in das Gelenkinnere einspritzen und 
dabei auf die schon seit langer Zeit zu Heilzwecken verwendeten 
Jodoformglyzerininjektionen zurückgrelfen. Jedoch ist 
die Reizwirkung hier sehr stark und lästig, so dass sich für manche 
Fälle das Bedürfnis nach einer anderen Einverleibungsart geltend 
machte. Wir haben daher auch den Weg der Einverleibung 
durch die Haut ins Auge gefasst und uns an die früher vielfach 
geübte Anwendung von Cr6d6scher Silber salbe erinnert. 
Es ist bekannt, dass K o 11 a r g o l s a 1 b e 8 ), energisch in die Haut 
eingerieben, sich nicht nur in den oberen Epidermisschichten, in den 
Ausführungsgängen der Schweiss- und Talgdrüsen and um die Haar¬ 
bälge herum findet, sondern auch in den unteren Schichten des 
Coriums nachzuweisen ist. Ferner ist durch die Untersuchungen 
von Kl immer erwiesen, dass das Kollargol schliesslich die Haut 
vollständig durchwandert und in den inneren Organen nachweisbar 
wird. In ähnlicher Weise lässt sich J o d in allen möglichen Ver¬ 
bindungen in die Umgebung der Gelenke von aussen durch die Haut 
einbringen. 

Nicht in Frage kommen die bisher besprochenen Einverleibungs¬ 
arten bei Prozessen, die sich in der Tiefe des Körpers abspielen 
oder sich in grosser Ausdehnung über ein Organ oder zugleich über 
mehrere Organe erstrecken, wie dies bei der Tuberkulose der Lungen, 
bei tiefliegenden Krebsen der Fall ist. Am idealsten wäre es 
— wie für die ganze SekundärStrahlentherapie 
überhaupt — die wirksame Substanz in die er¬ 
krankte Zelle selbst und nur in sie hinein ge langen 
zu lassen. Dann würde die stärkste Wirkung ge¬ 
rade dort erzielt werden, wo man sie haben will. 
Man hätte hier eine rein elektive Wirkung. Dieses 
Problem ist nun in deT Tat von die r Pharmakologie 
bereits gelöst worden und zwar in den Arbeiten, 
die sich mit der Verteilung der Arzneistoffe im 
tierischen Organismus beschäftigt haben. Wie 
M. J a k o b y zuerst zeigte, kann ein erkranktes Organ bei Zufuhr 
eines Arzneimittels sehr viel grössere Mengen davon speichern als 
in normalen Verhältnissen. Ja’koby und Bon di*) hatten das 
für die Salizylsäure beweisen können* Osw. Löb und Mi- 
chaud 10 ), sowie v. d. Velden 11 ) machten die wichtige 
Feststellung, dass tuberkulöse Qewebe, Karzinom¬ 
gewebe usw. zugeführtes Jod in sehr viel grösserer 
Menge aufzunehmen imstande sind als gesunde Or¬ 
gane und Gewebe,undzwar ist es wohl gleichgültig, 
ob die Jodverb in düng innerlich oder subkutan ver¬ 
abreicht wird. Diese Entdeckung ist auch für unsere Frage von 
sehr grosser Bedeutung. Es ist auf diese Weise möglich, 
gerade die Organe, die mit Röntgenstrahlen beein¬ 
flusst werden sollen, ganz gieichmässig mit dem 
Eigenstrahler für die S ekundär strahlen zu be¬ 
laden. 

Da die Eigenbestrahlung viel weicher ist und viel stärker absor¬ 
biert wird als die primäre Strahlung, musste man zunächst mit kleinen 
Strahlendosen arbeiten. Denn wenn die Wirkung auf die 
Zelle in demselben Verhältnis zunimmt wie düe 
Absorption, kann man unter Umständen mit einer 
etwa hundertmal so grossen Wirkung rechnen. Das 
ergibt sich aus dem Vergleich des Absorptionskoeffi¬ 
zienten für die primäre und die sekundäre Eigen¬ 
strahlung, worauf hier nicht im einzelnen eingegangen wer¬ 
den kann. Nun sind wir im allgemeinen gewohnt, mit 3 mm Aluminium 
zu filtrieren, infolgedessen ist die eindringende Strahlung so hart, dass 
die Eigenstrahlung nicht mehr im allzu grosser Stärke auftreten wird, 
und es wird ausser der Eigenstrahlung immer die zerstreute Se¬ 
kundärstrahlung, die die gleiche Härte wie die primäre hat, mitwirken. 

Praktische Versuche an Kranken. 

Es wurden in erster Linie solche Fälle ausgewählt, die kräftige 
Röntgenstrahlendosen ohne Schaden ertragen hatten und bei denen 
im Heilverlauf ein Stillstand bzw. wieder eine Verschlechterung 
eingetreten war. Zunächst stand eine grössere Anzahl von Blasen¬ 
tuberkulosen zur Verfügung. 

Das erste Erfordernis bei unseren Versuchen war, Sicherheit 
darüber zu gewinnen, dass bei vorsichtiger Dosierung die Sekundär¬ 
strahlen keine Schädigungen hervorzurufen vermögen. Nach unseren 
bisherigen Erfahrungen an 9 Fällen von Blasentuberkulose, die z. T. 
5—6 mal in Zwischenräumen von jeweils mehreren Wochen bei Kol- 
largolfüllung der Blase bestrahlt worden sind, können wir mit aller 
Sicherheit sagen, dass sich nicht der geringste Anhaltspunkt ergeben 
hat, dass die Sekundärstrahlen ungünstig auf das kranke Organ 
oder auf gesunde Organe in der Umgebung eingewirkt haben. 

Wie ist es nun um den Nutzen der Sekundär¬ 
strahlen, zunächst bei der Blasentuberkulose, be- 

•) Die Original-Crädäsalbe ist wegen ihrer gteichmässigen Be¬ 
schaffenheit dem offizinellen Präparate (Ung. Arg. colloid) vor¬ 
zuziehen. 

•) Hofmeisters Beitr. z. chem. Phys. und Paithol. 7. 1906. S. 514. 

1# ) Blochern. Zschr. 9. 1908. 

u ) Ber. d. Kölner Naturforscherversammlung 1908. 

2 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



no4 


stellt? Hierüber möchten wir noch kein endgültiges Urteil ab¬ 
geben. Dazu sind die Erfahrungen doch noch zu gering, und wir 
wollen uns vor einer allzu enthusiastischen Bewertung der ge¬ 
wonnenen günstigen Eindrücke hüten. Nur soviel sei festgestellt: 
Mehrere der Patienten erklärten nach der ersten Bestrahlung bei 
Kollargolfüllung, dass sie am Tage darnach etwas stärkere Reiz¬ 
erscheinungen, wie vennehrten Harndrang, stärkere Schmerzen beim 
Urinieren, bemerkt hätten, dass diese sich aber in den folgenden 
Tagen völlig verloren hätten, ja es sei dann fast völlige Besch werde- 
freiheit eingetreten. 

Eine Patientin, die unmittelbar vor der Bestrahlung mit Kollargol 
darüber gejammert hatte, dass ihr Zustand sich gar nicht bessern 
wollte, erklärte 8 Tage später, dass sie sich fast so wohl fühle wie 
vor ihrer Erkrankung. 

Uanz ähnliche Angaben machte ein anderer Patient, ein intelli¬ 
genter Vorarbeiter in einer Munitionsfabrik, der jahrelang wegen 
Blasentuberkulose, die sich im Anschluss an primäre Prostata- und 
Nebenhodentuberkulose entwickelt hatte, bestrahlt worden war. Bei 
ihm hatte die gewöhnliche Tiefentherapie im ganzen recht günstig ge¬ 
wirkt, immer wieder aber traten von Zeit zu Zeit stärkere Beschwer¬ 
den auf, mit gleichzeitiger Verschlechterung des Urinbefunds. Der 
Eitergehalt vermehrte sich und es zeigten sich wieder stärkere Blut¬ 
beimengungen. Auch hier bestrahlten wir die mit Kollargol gefüllte 
Blase. Die vor der Besrahlung sehr lebhaften Beschwerden steigerten 
sich noch etwas in 1 den ersten 2 Tagen, dann trat auch hier ein fast 
vollkommenes Verschwinden der subjektiven Sensationen ein. 

Der U r i n b e f u n d zeigte bei diesen beiden, wie auch bei 
den anderen Fällen keine so ausgesprochenen Veränderungen, dass 
sich mit Sicherheit eine objektive Besserung hätte behaupten lassen. 
Wenn man den Urin bei Blasentuberkulose häufig untersucht, so zeigt 
sich der Befund vielfach — auch ohne therapeutische Massnahmen — 
etwas wechselnd. Wir möchten daher auf eine Verringerung des 
Leukozytengehalts im Harn kein allzugrosses Gewicht legen, wenn 
dieser Befund nicht durch Monate hindurch dauernd erhoben wird. 

Aehnliche Beobachtungen wie bei den genannten Fällen konnten 
wir noch bei einer ganzen Reihe von anderen Patienten machen. 

Ganz auffallende Besserung haben wir von der Sekundär¬ 
strahlentherapie bei einigen Fällen von Gelenkerkrankungen 
gesehen. Als Quelle der Sekundärstrahlen wurde sowohl Jod wie 
Silber verwendet. Ersteres wurde als J odoformglyzerin in das 
Gelenkinnere gespritzt, letzteres als Unguent. Crödö in die Haut über 
den Gelenken eingerieben. Im folgenden seien einige der Fälle kurz 
mitgeteilt: 

Ein 47 jähriger Patient mit einer chronischen rechtsseitigen 
Omarthritis war ausserhalb der Klinik monatelang mit Salizyl- 
präparaten, Heissluft, Schwitzbädern behandelt worden. Es bestand 
eine fast völlige Unbeweglichkeit des rechten Oberarms, die Hand 
konnte noch nicht bis zum Halse geführt werden. Auch ein Rück¬ 
wärtsbringen der Hand auf den Rücken war unmöglich. Die Rönt¬ 
gentherapie brachte bei ihrer Durchführung in der gewohnten Form 
keine wesentliche Besserung. Daraufhin maphten wir einen Ver¬ 
such mit Unguent Crädä. 3—4 g der Salbe wurden nach 
Entfettung der Haut mit Alkohol und Aether so lange eingerieben, 
bis die Hauptmenge der Salbe in der Haut verschwunden war“). 
Dann wurden auf das Gelenk 40 X von vorne und hinten gegeben. 
Im Anschluss an die Bestrahlung besserte sich die Beweglichkeit im 
rechten Schultergelenk zusehends, und nach 3 weiteren Bestrah¬ 
lungen konnte Patient den Arm ohne besondere Schwierigkeiten nach 
rückwärts und die Hand auf den Kopf bringen. Er wird zurzeit noch 
weiterbestrahlt 

Eine ähnliche überraschende Besserung sahen wir bei einem Fall 
von Handgelenkstuberkulose, die mittels der gewöhnlichen Röntgen¬ 
bestrahlung nicht beeinflussbar schien. Auf Einreibung von Unguent. 
Crödö mit nachfolgender Bestrahlung (je 40 X auf die Beuge- und 
Streckseite) verschwand die ausserordentlich starke Schwellung, und 
die Beweglichkeit besserte sich. 

Bei mehreren Fällen von chronischer Gonitis und 
Kniegelenkstuberkulose wurde Jodoformglyzerin 
als Eigenstrahler verwendet. Die Injektionen wurden von den 
Kollegen der chirurgischen KHnik ausgeführt. Darauf wurde be¬ 
strahlt. Auch hierbei sahen wir einige ganz überraschende Resultate. 
Bei einem jungen Mädchen mit Tuberkulose des rechten Knies wollte 
die einfache Röntgenbestrahlung trotz lange durchgeführter Behand¬ 
lung keinen Erfolg bringen. Nach Jodoformglyzerineinspritzung und 
nachfolgender Durchbestrahlung setzte eine auffallende Besserung ein. 
Die Schwellung ging zurück, die Beweglichkeit wurde völlig frei, 
und die Schmerzen verschwanden. 

Wir haben J od o f o r m gl y z e rin in J e k ti onen auch in 
andere erkrankte Gelenke, wie Schulter- und Hüftgelenk, versucht, 
haben jedoch, da die Einspritzungen heftige Schmerzen verursachten, 
vorläufig davon wieder Abstand genommen. 

Bei der Verwendung von Jodoformglyzerin und von Silber¬ 
präparaten an Gelenken wird man natürlich auch daran denken 
müssen, dass das Jodoform bei Gelenkstuberkulose und das Silber 
bei Polyarthritis viel benutzt wird und dass ein Teil der Wirkung 


“) Es Ist wohl zweckmässig, nach Beendigung der Einreibung 
die Salbe, die sich noch auf der Haut befindet, zu entfernen, da eine 
verstärkte Einwirkung der Strahlung auf die äusseren Hautschichten 
gar nicht erwünscht ist. 

□ igitized by Goosle 


Nr. 4U. 

vielleicht den Arzneimitteln an sich zuzuschreiben ist. Allzu hoch 
darf man sie freilich wohl kaum veranschlagen. 

Weiter haben wir dann in einigen Fällen von Basedow¬ 
scher Krankheit in die Struma Unguent. Crödö ein¬ 
gerieben und danach bestrahlt. Diese Versuche sind jedoch noch 
nicht abgeschlossen. Man könnte sich hier die Frage vorlegen, ob die 
ausserordentlich grosse Verschiedenheit, mit der Strumen auf die 
Röntgenstrahlen reagieren, vielleicht in dem verschiedenen Jodgehalt 
der Schilddrüse begründet ist. In einer jodreichen Schilddrüse wird 
man bei der gewöhnlichen Röntgenbestrahlung zweifellos, ohne es 
zu wissen und zu wollen, Sekundärstrahlen hervorrufen. Es sei hier¬ 
auf nur als auf eine Möglichkeit, die im Auge zu behalten ist hin- 
ge wiesen. 

Wir haben dann ferner bei einigen Patienten mit Tumoren (Kar¬ 
zinom, Lymphosarkom) Versuche mit innerlicher Dar¬ 
reichung von Jodkali begonnen in der Hoffnung, dass 
durch die Jodspeicherung des kranken Gewebes b'e i 
der Tiefenbestrahl ung eine kräftige Sekundär¬ 
strahlenwirkung erzeugt wird. Auch darüber möchten 
wir erst dann nähere Mitteilungen bringen, wenn grössere Erfah¬ 
rungen gesammelt sind. 

Wir sind uns wohl bewusst, dass sich zurzeit über die Bedeutung 
der Sekundärstrahlentherapie noch kein abschliessendes Urteil fällen 
lässt, haben aber geglaubt, unsere bisherigen Erfahrungen mitteilen 
zu sollen, um die Fachkollegen, insbesondere die Röntgenologen zu 
Versuchen anzuregen. Die erste Forderung, deren Erfüllung man 
von jeder neuen Behandlungsmethode verlangen muss, die nämlich, 
dass sie keinen Schaden anrichte, scheint hier erfüllt zu sein. Bei 
keinem einzigen der mehr als 21 Fälle, die der Sekundärstrahlen¬ 
therapie unterworfen wurden, konnte -bei der von uns ausgeübten Do¬ 
sierung — nie mehr als 40 X auf die gleiche Hautstelle in Abständen 
von 3—4 Wochen — eine Schädigung festgestellt werden. Bei fast 
allen trat eine erhebliche Besserung ein, und wir möchten glauben, 
dass hier kein Zufall vorliegt, denn es handelte sich hier gerade um 
Patienten, die bei der Tiefenbestrahlung auf die herkömmliche Weise 
sich refraktär verhalten hatten. 


Ist Herzkammerflimmern durch die Brustwand hörbar? 

Von Prof. H. E. Hering, Köln a. Rh. 

Mit der Frage, ob Herzkammerflimmern ein durch die Brustwand 
hörbares Aukultationsphänomen hervorruft, habe ich 1 ) mich zuerst 
in der 1911 erschienenen Mitteilung „Ueber ein postmortales Auskul¬ 
tationsphänomen beim Menschen“ beschäftigt 

Dieses Phänomen, das meines Wissens zuvor noch nicht be¬ 
schrieben war, seitdem aber mehrfach bestätigt worden ist besteht in 
einem % bis etwa 2 Minuten anhaltenden, kontinuierlichen, leisen 
Rauschen, welches man über dem Thorax in der Herzgegend hören 
kann, nachdem alle sonst wahrnehmbaren Erscheinungen der Zirku¬ 
lation und der Atmung nicht mehr nachweisbar vorhanden sind. 

Meine Vermutungen über die Genese jenes Geräusches, welches 
vielleicht ein Gefässgeräusch ist, begann ich damals mit folgenden 
Worten: 

„Mein erster Gedanke, während ich noch auskultierte, war, es 
könnte vielleicht durch Herzflimmern erzeugt sein. Bei einiger Ueber- 
legung erschien es mir jedoch wenig wahrscheinlich, dass die dis¬ 
soziierte Kontraktion der einzelnen Muskelfasern des Herzens ein 
solches Geräusch zu erzeugen vermag, wenn auch, wie ich es kürzlich 
erst beschrieben habe, zur Zeit des Flimmerns eine Art Tonus besteht, 
welcher mit Sistieren des Flimmerns schwindet. Jedenfalls ist es 
noch fraglich, ob das flimmernde Herz ein über dem Thorax hörbares 
Auskultationsphänomen zu erzeugen vermag. Experimentell konnte 
ich mich davon bisher nicht überzeugen.“ 

Da zur Feststellung jenes Geräusches ein Stethoskop genügt, wie 
es jedem Arzte zur Verfügung steht, habe ich damals auch bei jenen 
Experimenten an Hunden das Stethoskop benutzt, ohne jedoch beim 
Kammerflimmern über dem Thorax etwas zu hören 2 ). 

Nun hat kürzlich H. Boruttau 3 ) in einer Mitteilung, betitelt: 
„Der Mechanismus des Todes durch elektrischen Starkstrom und die 
Rettungsfrage“ auf S. 16 in der Anmerkung folgendes bemerkt: 
„Wenn Jellinek . . . behauptet, dass noch niemand bei verun¬ 
glückten Menschen das Herzflimmern nachgewiesen habe, so empfehle 
Ich ihm bei nächster Gelegenheit das Stethoskop auf die Herzgegend 
des Verunglückten möglichst bald anzulegen.“ 

Diese Anmerkung macht Boruttau im Anschluss an die Dar¬ 
stellung eines Experimentes, in welchem er einen Hund mittels 
Wechselstromes, der durch Maul und Hinterbein zugeführt wurde, 
tötete. Nach Schilderung des steilen Abfalles der Blutdruckkurve 
bis zur Nullinie gibt er S. 15 an: ,4Ceine weiteren Aeusserungen 
von Herztätigkeit' sind an der Kurve sichtbar, während mittels des 
auf die Brust gesetzten Stethoskops ein dumpfes Schwirren hörbar 
war.“ 


») D.m.W. 1911 Nr. 1, s. a. M.m.W. 1912 Nr. 14. 

*) Siehe auch: „Der Sekundenherztod mit besonderer Berück¬ 
sichtigung des Herzkammerflimmerns.“ S. 82. J. Springer. 
Berlin 1917. 

*) VrtljschT. f. gerichtl. M. 3. Folge. 55. H. 1, 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 



!. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1105 


„Die sofort vorgenommene Eröffnung der Brusthöhle zeigt die 
Kammermuskulatur in wühlender Bewegung, ihre Oberfläche echt 
»flimmernd 4 , die Vorhöfe leise rhythmisch schlagend, das Blut tief 
asphyktisch gefärbt.“ An dieser Stelle macht B o r u 11 a u die oben 
erwähnte Anmerkung. 

Nach alledem glaubt Boruttau, dass bei Jenem Experimente 
am Hunde das Kammerflimmem als dumpfes Schwirren hörbar war 
und demnach auch beim Menschen hörbar sei. Wenn es sich so ver¬ 
hielte, wäre es sehr erfreulich, denn dann besässen wir zum Nach¬ 
weis des Herzkammerflimmers beim Menschen in diesem Auskul¬ 
tationsphänomen ein wichtiges Symptom. 

Leider kann ich nach meinen bisherigen Erfahrungen diesen 
Glauben nicht teilen, daher ich 4 ) unter den Anhaltspunkten für die 
Vermutungsdiagnose HerzkammerfHmmern ein diesem entsprechen¬ 
des hörbares Muskelgeräusch auch nicht mit anführen konnte. 

Das dumpfe Schwirren, welches Boruttau gehört hat, war nach 
meinen bei analogen Experimenten gemachten Erfahrungen das 
Muskelgeräusch der in Tetanus geratenden Skelettmuskulatur. 

Bezüglich des von mir beschriebenen postmortalen Auskultations- 
Phänomens, welches ich als kontinuierliches, leises Rauschen be¬ 
schrieb, sei hier noch hervorgehoben, dass es bisher, soviel mir 
bekannt, besonders bei plötzlichen Todesfällen beobachtet wurde. So 
gibt z. B. auch O. Steiger 8 ) im Falle seiner Mitteilung an: „Patient 
fällt, wie vom Blitze getroffen, zurück, pulslos, über dem Herzen 
kein Ton mehr zu hören, nur ein unbestimmtes Sausen ist noch 
während ca. 5—10 Sekunden zu auskultieren.“ Steiger geht auf 
die Genese dieses Sausens nicht ein; auch scheint ihm meine Mit¬ 
teilung entgangen zu sein. 

Gerade der Umstand, dass man dieses Auskultationsphänomen 
bei plötzlichen Todesfällen beobachtet, Hess daTan denken, es mit 
dem Herzkammerflimmem in Verbindung zu bringen. Leider spricht 
weder der Charakter des Geräusches noch das Ergebnis meiner 
experimentellen Untersuchungen dafür, es als ein Muskelgeräusch 
der flimmernden Herzkammern aufzufassen. 


Aus der kgl. Universitäts-Poliklinik für Nasen- und Kehlkopf¬ 
kranke in Würzburg (Vorstand: Prof. Seifert). 

(Jeber funktionelle und organische Stimm- und Sprach¬ 
stürungen bei Soldaten. 

Von Prof. Dr. Otto Seifert in Würzburg. 

II. Mitteilung: Kombinierte Lähmungen. 

Ein weiterer Bericht über unsere Beobachtungen in der Poli¬ 
klinik, der sich seines erheblichen Umfanges wegen nicht für eine 
Wochenschrift eignet, wird an anderer Stelle (Würzb. Abhandl.) zum 
Abdruck gelangen, hier mögen als II. Mitteilung eine Anzahl von kom¬ 
binierten, durch Schuss Verletzung entstandene Lähmungen Platz fin¬ 
den, deren Erscheinungen über ein rein spezialistisches Interesse 
hinausgehen. 

Fall 1. 26. X. 14. K. S., Unteroffizier, von der chirurgischen 
Klinik zur Untersuchung geschickt. Pat. erlitt beim Liegen im 
Schützengraben eine Schussverletzung dicht unter dem linken Auge 
(am 13. IX. 14). Nach der Verletzung mehrere Stunden Bewusstlosig¬ 
keit Schlingen fast unmöglich, Gehörvermögen links sehr stark ein¬ 
geschränkt. Sprechen sehr erschwert, beim Schlucken tritt sehr 
leicht Fehlschlucken ein. Linke üesichtshälfte wie „tot*. 

Status: Einschussöffnung (geheilt) dicht unter dem linken unteren 
Orbitalrande, nahe dem inneren Augenwinkel (Fig. 1). Ausschuss- 

Öffnung (geheilt) in der Mitte der 
linken Halsseite, zweifingerbreit vom 
Schildknorpel entfernt Am Schild- 
knorpet selbst eine Verletzung nicht 
nachweisbar. Sprache sehr erschwert, 
fast unverständlich, starke Heiserkeit. 
Gesicht: Linkes Auge durch das Ober¬ 
lid zur Hälfte verdeckt, linke Pupille 
enger als die rechte. Die ganze linke 
Wangenhaut anästhetisch. Obere 
Partie des linken Fazialis normal. 
Untere Partie des linken Fazialis 
in Reizzustand befindlich, häufige fi¬ 
brilläre Zuckungen der Muskulatur; 
beim Lachen oder anderen Inner¬ 
vationsversuchen starke Kontraktion 
der Muskulatur des linken Mund- 
u inkels. Gehör vermögen links eingeschränkt Hörweite für laute 
Stimme = 1 m. Am Trommelfell nichts Abnormes. Nase normal. 
Zunge weicht beim Herausatrecken stark nach links ab. Qe- 
schmacksvermögen auf der linken Seite völlig aufgehoben. Linke 
Gaumen- und Rachenhälfte gelähmt 


*) L. c. S. 58. 

6 ) lieber plötzliche Todesfälle (sog. Minutenherztod) bei In¬ 
suffizienz des Adrenalsystems spez. bei Nebennierenerkrankungen 
(Morbus Addisonü. Schweiz. Korr.Bl. 1917 Nr. 14. 



Laryngoskopie: Linke Stimmlippe in Kadav^jstellung, 
etwas tiefer stehend als die rechte, linke Kehlkopfhä* i i unvoll¬ 
kommen anästhetisch. 

Aus dem Befunde ergibt sich eine traumatische Lähmung des lin¬ 
ken Trigeminus, des linken Hypoglossus, Glossopharyngeus, Laryn- 
geus Superior und inferior (wahrscheinlich Verletzung des Vagus¬ 
stammes), Sympathikus. Die Reizerscheinungen in den unteren Ge¬ 
sichtsästen des Fazialis Hessen sich bei der nur einmalig stattgehabten 
Untersuchung nicht feststellen. 

Fall 2. K. Max, 25 Jahre, Infanterist. Am 21. August 1914 
wurde Pat., im Anschlag liegend, von einem Infanteriegeschoss ge¬ 
troffen, war einige Zeit bewusstlos. Nach Wiederkehr des Bewusst¬ 
seins bemerkte er, dass eine starke Blutung aus Nase und Mund er¬ 
folgt war, das das Schlucken Schwierigkeiten verursachte und er 
nur mit Flüsterstimme sich bemerkbar machen konnte. Erst später 
konstatierte er, dass er den rechten Arm nicht bis zur Horizontalen 
zu erheben vermochte. Zurzeit Allgemeinbefinden sehr gut, keine 
Schluckbeschwerden mehr, aber Stimmstörung. 

Status 6.X. 14: Pat. mittelgross, kräftig, Stimme rauh, klang- 
arm. Einschuss unter dem linken Auge. Ausschuss rechts an der 
Grenze zwischen oberem und mittlerem Drittel des rechten Trapezius- 
randes (Fig. 2). Beide Stellen vernarbt. Rechte Pupille enger als die 
linke. Rechte Lidspalte enger als die linke. Kein Unterschied in der 
Schweissabsonderung zwischen rechts und links (Sympatliikuslähmung 
rechts). Rechter Fazialis und rechter Akustikus intakt. Rechte 
Hälfte der Zunge gelähmt und schon etwas atrophisch, weicht beim 
Herausstrecken stark nach rechts ab, fibrilläre Zuckungen. Rechte 
Gaumen- und Rachenhälfte gelähmt. Rechter Trapezius gelähmt und 
etwas atrophisch. In Nase und Nasenrachenraum keine Verände¬ 
rungen. 

Laryngoskopie: Rechte Kehlkopfhälfte in der Sensibilität 
herabgesetzt. Rechte Stimmlippe in Kadaverstellung und etwas tiefer 
stehend als die linke. Lähmung des rechten N. laryngeus superior und 
inferior. 

15. XII. 14. Allgemeinbefinden sehr gut. Die Atrophie der rech¬ 
ten Zungenhälfte und des rechten Trapezius hat zugenommen. 

14. I. 15. Ein Aneurysma der rechten Carotis interna nachweis¬ 
bar. 

20. I. 15. Unterbindung der Karotis (Dr. Lobenhoffe r) 
proximal vom Aneurysma. 

29. I. 15. Vom Aneurysma nichts mehr nachweisbar. Wohl¬ 
befinden. 

Stimme etwas besser, da sich die linke Stimmlippe bei der Pho¬ 
nation über die Mittellinie hinaus der rechten ziemlich gut anlegt. 

Aus der Skizze (Fig. 2) und den angegebenen Lähmungsformen 
geht hervor, dass das Geschoss nähe der Schädelbasis einen grossen 
Teil der rechtsseitigen Gehimnerven und gleichzeitig die Carotis 
interna (Aneurysma) geschädigt hat. 




Fall 3. Ch. Josef, 34 Jahre, am 11. XI. 16 durch Granatsplitter 
verwundet, 1 Stunde lang Bewusstlosigkeit, infolge Kieferfraktur nur 
flüssige Speisen möglich. Sprechen erschwert, Stimmlosigkeit. Zur¬ 
zeit noch Sprechen erschwert, Schlucken gebessert, Stimme noch 
schwach, heiser, klangarm, monoton. 

Status 19.XII. 16: Eintrittsstelle des Splitters unter dem rech¬ 
ten Auge, Austritt ln der Mitte des Sternokleidomastoideus rechts, 
rechter Fazialis gelähmt. Rechter Hypoglossus gelähmt Störung der 
SensibiHtät der Zunge, Geschmacksvermögen erhalten. Rechte hin¬ 
tere Rachenwand gelähmt. Kieferfraktur geheilt, Kieferklemme mitt¬ 
leren Grades. (Fig. 3.) 

Laryngoskopie: Die Sensibilität der rechten Kehlkopfhälfte 
herabgesetzt,. rechte Stimmlippe in Kadaverstellung, etwas tiefer 
stehend als die linke. Der Verlauf des Geschosses ähnlich wie in 
Fall 2. 

Diesen 3 kombinierten Lähmungen füge ich 4 Fälle von vorüber¬ 
gehender Sthnmstörung durch Halsschüsse an: 

F a 11 1. W. Peter, 25 Jahre, erlitt am 28. September 1917 einen 
Halsschuss durch ein Infanteriegeschoss, darnach Blutung aus dem 
Munde während dreier Tage, einige Tage Stimmlosigkeit. Jetzt noch 
hie und da Schluckbeschwerden. 


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1106 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 40. 


Status 4. XII. 14: Einschussnarbe etwa in der Mitte des rech¬ 
ten Sternokleidomastoideus. Ausschussnarbe nahezu in gleicher Höhe 
links. (Fig. 4.) 

Laryngoskopie: Keine Veränderung an dem Kehlkopf und 
der Trachea. 

Das Oeschoss ist etwa in der Höhe der Incisura thyreoidea 
superior an der Vorderfläche des Larynx hindurchgedrungen, ohne 
eine schwere Verletzung desselben zu setzen, wahrscheinlich nur 
eine Kontusion und ein perilaryngeales und periösophageales Häma¬ 
tom, durch dessen Druck auf den Larynx die vorübergehende Stimm¬ 
störung und durch dessen Druck auf den Oesophagus die Schluck¬ 
beschwerden verursacht wurden. 




F a 11 2. G. Konrad, 26 Jahre, erlitt am 5. IX. 14 eine Verletzung 
durch einen Granatsplitter an der rechten Halsseite. Ganz geringe 
Blutung aus dem Halse. In den ersten 14 Tagen nach der Verletzung 
Sprechen sehr erschwert, fast völlige Stimmlosigkeit. Schlucken 
schmerzhaft. 

Status 9. XII. 14: Pat. gross, kräftig, kleine, kaum sichtbare 
Narbe in der Mitte der rechten Halsseite Stimme normal, nur etwas 
schwach, weil das Sprechen anstrengt. Druck auf den Kehlkopf emp¬ 
findlich. (Fig. 50 

Laryngoskopie: Weder im Kehlkopf noch in der Trachea 
irgendwelche Spuren stattgehabter Verletzungen. 

Möglicherweise hat es sich auch in diesem Falle um eine Kon¬ 
tusion des Kehlkopfes gehandelt. 

Fall 3. F. Christian. Verletzung durch ein Infanteriegeschoss 
am 25. VIII. 14, auf genommen in das Vereinslazarett „Krüppelheim“ 
(Prof. Dr. Riedinger) 30. VIII. 14. Infanteriegeschoss ein¬ 
gedrungen in den linken Oberarm nahe dem Schultergelenk, Schuss¬ 
kanal quer über die Klavikula, über die Trachea hinweg und im rech¬ 
ten Deltoideus stecken geblieben. Unmöglichkeit zu sprechen, 
mässige Schlingbeschwerden. Am Schädel keine Verletzung. 3. IX. 
Status: Rechtseitige Hemiplegie, rechtseitige Fazialislähmung, 
Aphasie fast vollständig, nur wenige Werte möglich. Am Schädel 
keine Verletzung. Sensorium frei, jedoch Pat. sehr aufgeregt. Vor 
der Trachea, vom unteren Rand des Schildknorpels an bis zur 
Mitte des Sternums und in grosser Breite nach rechts und links 
sich erstreckend, subkutaner Bluterguss, zum Teil schon sich regen¬ 
bogenartig verfärbend. Druck auf die Trachea etwas empfindlich. 

Laryngoskopischer Befund: Larynx und Trachea voll¬ 
kommen frei. 

Das Geschoss war dicht an der Vorderfläche der Trachea quer 
vorbei gegangen, ohne diese selbst zu verletzen, hatte di e Trachea 
vielleicht etwas kontusioniert, was daraus zu entnehmen ist, dass die 
Trachea am 8. Tage nach der Verletzung noch etwas druckempfind¬ 
lich war. (Fig. 6.) 

Auf welche Weise die Aphasie und rechtsseitige Hemiplegie zu¬ 
stande gekommen war. konnte nicht festgestellt werden, möglicher¬ 
weise durch Fall auf die linke Kopfseite. 


Fig. 6. Fig. 7. 

F a 11 4. 29. X. 14. Fl., französischer Infanterist. Schussver¬ 

letzung erfolgte am 3. September 1914. Pat. hat direkt nach der 
Schussverletzung etwa 2 Tage lang reichlich Blut ausgehustet, vor¬ 
übergehend Stimmlosigkeit, sonst keine Beschwerden. 


Am 29. IX. 14 auf die Festung Marienberg gebracht. 

Status: Am Rücken rechts zwischen Skapular-rand und Mittel¬ 
linie, in der Höhe des 6. Brustwirbels ein markstückgrosser Defekt 
(Ausschussöffnung eines Infanteriegeschosses) gut granulierend. Ein¬ 
schussöffnung in der Mittellinie des Halses gerade in der Höhe des 
2. Trachealknorpels, völlig verheilt, kaum mehr als Einschussöffnung 
zu erkennen. (Fig. 7.) 

Laryngoskopischer Befund: Larynx und Trachea voll¬ 
kommen normal. 

Dem Geschoss, das noch genügend Kraft besass, den rechten 
Oberlappen zu durchdringen, ist die Trachea offenbar nach links hin 
ausgewichen und die grossen Gefäss- und Nervenstämme blieben auf¬ 
fallenderweise auch intakt. Der zweitägige Bluthusten ist auf den 
Lungenschuss zurückzuführen. 


Die Rückfälle der Hysteriker. 

Von Medizinalrat Dr. Albert Wagner, Oberarzt am 
Teillazarett Heil- und Pflegeanstalt, Giessen. 

Es ist eine bekannte Erfahrung, dass wir unsere Kriegsneurotiker, 
namentlich die alten Rentenempfänger, symptomenfrei in gutem All¬ 
gemeinzustand und arbeitsfähig entlassen und trotzdem wieder ein 
Teil derselben bald die Fürsorgestellen mit neuen Rentenansprüchen 
aufsucht. Die Nervenärzte kommen dadurch in den Geruch, dass sie 
durch ihre Methoden, wie Hypnose, Kaufmann und sonstiges, keine 
Dauererfolge erzielen. Das veranlasst mich, der ich vornehmlich mit 
Hypnose behandle, zu folgenden Ausführungen. 

Ein Teil der Hysteriker hat durch nervöse Erschöpfung eine 
seelische Weichheit bekommen, ebenso, wie sic dem Kinde eigen ist. 
Es handelt sich also nicht um eine Krankheit, sondern um einen 
Zustand. Wenn ein Kind in der Schule von seinem Lehrer an¬ 
gefahren wird, so bekommt es einen hysterischen Hemmungszustand: 
die Kehle schnürt sich ihm zu, es bringt keinen Laut heraus, es kann 
kein Glied rühren und keine Gedanken mehr fassen. Die Hemmung 
geht rasch vorüber, nachdem der Lehrer sich von ihm ab^ewandt hat. 
Nach einigen Tagen kann sich bei demselben Kinde aus gleichen Grün¬ 
den das nämliche wiederholen. Keinem Menschen würde es ein¬ 
fallen, das Kind krank zu nennen oder beim zweiten Auftreten von 
einem „Rückfall“ zu sprechen. Der natürliche Werdegang der kind¬ 
lichen Seele ist eben der, dass sie durch die Unbilden des Lebens 
allmählich hartschlägiger werden muss. Genau dasselbe muss bei 
dieser Art, der erworbenen Art, seelischer Weichheit unserer Kriegs¬ 
neurotiker vor sich gehen. Der gleiche Prozess wird sich, wie hei 
dem Kinde, auch hier mit zwingender Notwendigkeit vollenden. Es 
gilt nur, die Allgemeinheit aufzuklären, dass ein übertriebenes Mit¬ 
leid ganz überflüssig und schädlich ist. Die Zeit und die täglichen 
Nadelstiche des Lebens besorgen schon ganz von selbst, wie beim 
Kinde, die allmähliche Abhärtung. Sobald die Umgebung weiss. dass 
diese „Rückfälle“ nichts Schlimmes bedeuten und keiner Beachtung 
bedürfen, werden sie sich mit Sicherheit ganz verlieren. 

Ber einer zweiten Art Kriegsneurotiker sind diese Rückfälle ein¬ 
fach ein Unfug. Ich gebe hier ein Beispiel: 

Ein junger Mann mit grotesken Zitterbewegungen wird von mir 
durch Hypnose geheilt Er beschäftigt sich darnach im Lazarett mit 
Gartenarbeit. Nach 14 Tagen hört er bei einem Ausgang in die 
Stadt einen Schuss und bekommt sein altes Zittern wieder. Geduldig 
wird es sofort m wenigen Minuten wieder durch Hypnose beseitigt. 
2 Tage später stellt er sich mir wieder vor, weil er aus der gleichen 
Ursache von neuem sein Zittern bekommen hatte. Ich befördere 
ihn kurzerhand zur Türe hinaus und frage ihn, ob er rieb einbilde, 
dass ich für einen solchen Unfug meine Zeit gestohlen hätte. Meinet¬ 
wegen könne er bis zum jüngsten Tage zittern. Noch am Abend 
desselben Tages 1 hat das Zittern von selbst aufgehört und sich seither 
nicht wieder eingestellt. 

Diese Art „Rückfälle“ nenne ich einen Unfug und glaube, dass 
sie durch energisches Verhalten der Umgebung rasch abzustellen sind. 

Die dritte Art „Rückfälle“ werden diirch bewusste oder unbe¬ 
wusste Rentenvorstellung hervor gerufen. Es gibt keine kleine Zahl 
von Neurotikern, die ihre Erscheinung absichtlich wieder hervor- 
rufen. Es gibt Leute, die ihren Kameraden vermachen, wie sie 
jederzeit Zittern, Hinken oder ähnliches hervorbringen können, wenn 
sie wollen. Sie geben geradezu Unterricht darin. Diese Leute 
haben einen Reflexmechanismus, den sie jederzeit 
willkürlich in Bewegung setzen können. 

Es ist ja klar, dass der Normale die Zittererscheinungen der 
Hysteriker nicht ohne weiteres nachmachen kann; wohl kurze Zeit, 
aber dann- ermüdet er. weil er seine Aufmerksamkeit dauernd auf den 
regelrechten Ablauf der motorischen Bewegungen richten muss. Das 
Rückenmark stellt nun einen Reflexaoparat dar, der dem Gehirn die 
Arbeit abnimmt. Lernt das Kind z. B. Gehen, später der Erwachsene 
Tanzen oder den Riesenschwung oder irgend eine komplizierte 
Muskelarbeit, z. B. Stricken, so muss jeder zunächst seine volle 
Gehirntätigkeit aufwenden, um die nötigen Muskeltätigkeiten zu be¬ 
greifen und in der richtigen Reihenfolge auszuführen. Beherrscht er 
sie, so erfolgen dann alle Bewegungen reflexaTtig vom Rückenmark 
aus, indem fede vorhergehende Phase der Muskelarbeit die unmittcl- 




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J. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1107 


har folgenden durch das Muskelgefühl auslöst, ahne Zutun des Hirns. 
Niemand denkt mehr beim Gehen, wie er die Beine vorzusetzen hat, 
heim Turnen wickelt sich der Riesenschwung automatisch ab, wie 
beim Tanzenden die Schritte von selbst sich fügen. 

Genau so ist es bei den Hysterikern. Ihre motorischen, ausser- 
gewöhnlichen Erscheinungen wickeln sich reflexartig ab. Ehe oft 
Rückfälligen haben stets von Haus aus Zeichen der 
En ta r tu n g. Sie können diesen Reflexmechanismus willkürlich in 
Bewegung setzen. Dass dies möglich ist. beweist ohne weiteres die 
Tatsache, dass man in der Hypnose bei Geheilten wieder die Krank- 
heitserscheinungen -Hervorrufen kann, indem man durch suggestiven 
Befehl den Reflexmechanismus m Tätigkeit setzt. Genau dasselbe 
machen diese Art Hysteriker mit sich selbst, indem sie willkür¬ 
lich durch eine Art Autosuggestion den Reflexmechanismus in Tätig¬ 
keit setzen und wieder abstellen können, genau so wie Jemand mit 
einer habituellen Luxation des Hüftgelenkes daselbst durch Muskel¬ 
zug beliebig auskugeln und wieder einrenken kann. 

Die Hysteriker machen ihre hysterischen Krankheitserschei¬ 
nungen zum Zwecke der Rentengewinnimg. Es fällt das unter die 
strafbare Handlung der S e 1 b s t v e r s t ii m m e 1 u n g. Sie ver¬ 
stümmeln sich selbst bewusst und absichtlich, nur zum Unterschied 
von den üblichen Begriffen nicht dauernd, sondern zeitweise. Ein 
derartiger rückfälliger Hysteriker ist nicht Objekt der ärztlichen Be¬ 
handlung, sondern der Strafjustiz. Genau wie bei anderen Vergehen 
die Strafe eine erzieherische und heilende Wirkung ausübt, so 
würde sie es auch hier tun. Es bedarf keines Wortes, dass die ab¬ 
sichtlich Rückfälligen nicht mehr Objekt der ärztlichen Behandlung 
sein können und einer Rente nicht bedürfen. 

Etwas anders liegt die Sache bei denen, wo die Rentenvor¬ 
stellung mehr im Unterbewusstsein verankert ist. Unsere Handlungen 
erfolgen ja vielfach reflexartig aus Vorstellungen und Gefühlen heraus, 
die durch die Erziehung uns in Fleisch und Blut über ge gangen sind 
und geradezu vom Unterbewusstsein aus unser Handeln dirigieren. 
Sic können jederzc.t in das Bewusstsein hervorgeholt werden. Wenn 
ich beispielsweise mit einem Bekannten gehe, dem ein Geldstück aus 
der Tasche fällt, so hebe ich es selbstverständlich auf und gebe es 
ihm wieder, statt es selbst zu behalten, ohne dass mir die Stelle im 
Katechismus bewusst ist. in der das Stehlen verboten ist. So wird 
unser Handeln vielfach von Tugenden oder Untugenden reflexartig 
dirigiert, die uns anerzogen und im Unterbewusstsein abgelagert sind, 
ln gleicher Weise werden von den Neurotikern, die wir eben be¬ 
sprechen, die hvsterischen F'-motou-- dnwk i: n Unterbewusstsein 
schlummernde Rentenvorstellung hervorgeholt. Die Krankheitserschei¬ 
nunsen werden glatt verschwinden, sobald die Rentenvorstellung ver¬ 
schwunden ist. Also auch bei dieser Art „Rückfälle“ wäre die 
Rentenentzicbung das beste Heilmittel. 

Fs handelt sich also eigentlich hei den 3 genannten Gruppen 
von ..rückfälligen“ Kriegsneurotikern gar nicht um erneutes Be¬ 
seitigen von Krankheitssymptomen, die ärztliche Massnahmen er¬ 
fordern. sondern es gilt bei der ersten Gruppe nur die Umgebung 
aufzuklären, dem hysterischen Getue keine Aufmerksamkeit zu wid¬ 
men, bei der zweiten Grunne handelt es sich um einfache erzieherische 
Massnahmen. Unfug und Unart abzustellen, bei der dritten Gruppe ist 
die Hauptsache, die Kriegsfürsorgestellen ein für allemal zu über¬ 
zeugen. dass Arbeit das beste Heilmittel und eine Rente geradezu 
schädlich ist. Die gewerblichen Kriegsfürsorgestellen, die sich all¬ 
mählich aus begreiflicher Menschenfreundlichkeit verpflichtet fühlen, 
rieh gerade der ..armen Nervenleidenden“ besonders anzunehmen, 
hindern nur deren Heilung, denn sie tun gerade das Gegenteil von dem, 
was man im Frieden als bestes Heilmittel für Hysteriker anwendete, 
nämlich die Ignorierung der Klagen un*d Arbeit. 

Man wird mit der Zeit dahin kommen, böswillig rückfälligen 
Hysterikern die Rente zu entziehen, selbst wenn sie noch Krankheits- 
ersebeinungen bieten. Eine dahingehende Aenderung der bestehenden 
gesetzlichen Bestimmungen wäre das beste. 

Auf das Gutachten des Facharztes hin müsste den Betreffenden 
eröffnet werden können, dass trotz ihrer Krankheitserscheinungen in 
% Jahr ihre Rente wegfalle. Ich bin überzeugt dass in dem Viertel¬ 
jahr alle diese Hysteriker gesund würden. 

Bis dahin kann man sieh auch anders helfen: In einem Gutachten, 
das aus der Abteilung Non n es hervorging, las Ich folgenden Fall: 
Ein Zitterer hatte geheilt das Lazarett verlassen. Gelegentlich einer 
Eisenbahnfahrt bekam er sein Zittern wieder und machte von neuem 
Rentenansprüche. Es wurde begutachtet: Der Mann war voll er¬ 
werbsfähig. Eine friedliche Bahnfahrt in der Heimat sei kern schä¬ 
digendes Moment. Wenn er jetzt krank geworden w'äre, so habe das 
mit den Kriegsereignissen nichts mehr zu tun und er möge sich an die 
zivilen Fürsorgestellen halten. Probatum est. Ich bin überzeugt, der 
Mann ist bald gesund geworden. Schliesslich geben auch die 
neuesten Anhaltspunkte für die militärärztlichc Beurteilung deT Frage 
der Dienstbeschädigung oder Kriegsdienstbeschädigung bei den häufig¬ 
sten psychischen und nervösen Erkrankungen der Heeresangehörigen 
eine Handhabe an dfe Hand. Darnach soll keine D. B. bei denen 
angenommen werden, die frei von Symptomen zur Entlassung 
kommen. 

Zum Schlüsse sei eine Gruppe übler Elemente erwähnt, die in¬ 
folge angeblicher krankhafter Reizbarkeit masslos in ihren Ent¬ 
ladungen sind, sich in der Rolle des wilden Mannes gefallen, ihre 
Umgebung schrecken und bei jeder ihnen auf erlegten Untersuchung 

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auf Aerzte und Staat schimpfen. Sie fallen auch unter die Unfugs- 
puppe und sind weniger Objekt der ärztlichen Behandlung, sondern 
bedürfen auch nur der Disziplinierung. Es war mir interessant zu er¬ 
fahren, dass in der Neurotikerstation Hornberg im Schwarzwald, 
welche ihre geheilten Neurotiker in der Metallindustrie Franz Schiele 
sich einarbeiten lässt rückfällige Neurotiker mit 14 Tagen Arrest 
bestraft würden und für üble Elemente eine Kompagnie gebildet wor¬ 
den sei, deren Soldaten sofort an die Front geschickt werden sollen. 
Seitdem hätten dort die Rückfälle aufgehört. 

Es bestätigt das meine Auffassung, dass die meisten rückfälligen 
Neurotiker gar nicht mehr Objekt der ärztlichen Behandlung sind. 

Vorstehenden Darlegungen liegt ein recht grosses Material zu¬ 
grunde: Es sind mir bis Jetzt in unserem Lazarett etwa 2800 Neu¬ 
rotiker durch die Finger gegangen, im letzten Jahre habe ich 400 
durch Hypnose geheilt und ich beseitige pro Monat bei alten 
Rentenempfängern ca. 1500 Proz. Rente. 

Die meisten bleiben geheilt, weil sie von Haus aus gesunde und 
ordentliche Leute sind und guten Verdienst finden. Ein geringer 
Prozentsatz, d esse nPersonenmeistangeborenm inder- 
wertig und Zeichen der Entartung haben, sind rückfällig 
und machen ein grosses Geschrei über das Unrecht was ihnen mit der 
Rentenentziehung geschieht. Weil die Mehrzahl der -Behandelten ge¬ 
heilt und ruhig ist, fallen die wenigen Schreier auf und rufen den 
Eindruck hervor,' als wenn sie mit ihren Klagen die Allgemeinheit 
vertreten würden. 

Je weniger man ihrer achtet umso besser ist es. 

Kriegsneurotiker und Verwundetenabzeichen. 

Von Dr. Erwin Loewy, Berlin, zurzeit Kriegsassistenzarzt 
und ordin. Nervenarzt in Allenstein. 

-Die Ausführungsbestimmungen des preuss. Kriegsministeriums 
vom 1. April d. J. über das Verwundetenabzeichen bestimmen: 
„Den Verwundungen sind gleichzuachten: Alle sonstigen Gesundheits¬ 
beschädigungen Angehöriger im Felde stehender oder vorübergehend 
ausserhalb des Kriegsgebiets verwendeter mobiler Verbände, voraus¬ 
gesetzt, dass diese Gesundheitsbeschädigungen durch die besonderen 
Gefahren des Kriegsdienstes hervorgerufen oder verschlimmert sind 
und lediglich aus diesen Gründen die Entlassung aus dem Heeres¬ 
dienste zur Folge haben. —Als Unterlagen für die Verleihung haben 
die Eintragungen in die 'Kriegsranglisten und Kriegsstammrollen zu 
dienen, Voraussetzung ist jedoch, dass ärztliche Behandlung not¬ 
wendig waT.“ 

Sobald diese Bestimmungen im 'Publikum mehr bekannt ge¬ 
worden sind, werden zweifellos viele Anträge von ehemaligen Kriegs¬ 
teilnehmern, die als „Kriegsneurotiker“ d. kr.u. entlassen sind 
(und trotz aller aktiven Therapie gibt es eine nicht ganz unbeträcht- 
Iiche Zahl solcher Leute) gestellt werden, ihnen das Verwundeten¬ 
abzeichen zu verleihen. Nach dem Wortlaut dter zitierten Aus¬ 
führungsbestimmungen haben sie auch ein unzweifelhaftes Recht 
darauf. Eine ganz andere Frage ist aber, ob sie auch ein „mora¬ 
lisches“ Recht darauf haben, d. h. mit anderen Worten, ob dfe Be¬ 
stimmungen hier nicht besser geändert würden. Nehmen wir einen 
der üblichen Fälle: In der Nähe einer Gruppe von Soldaten explodiert 
eine Granate, ohne sie zu verletzen. Einer — psvchopathisch belastet 
oder nicht — bekommt durch den Schreck eine Zittemeurose, kann in 
mehreren Lazaretten nicht völHg geheilt werden und wird als d. kr. u. 
entlassen, erwirbt also dadurch das Recht als „Verwundeter“ bemit¬ 
leidet zu weiden, während die anderen, die nicht pathologisch rea¬ 
gierten, leer ausgehen. Ich denke selbstverständlich nur an Fälle, wo 
die genaueste Untersuchung keine körperliche Aetiologie finden lässt, 
Fälle, die ja wohl auch Oppenheim und seine Anhänger jetzt als 
rein psychogen anerkennen. Andere Fälle liegen noch krasser und 
erfüllen doch die Voraussetzungen der Verleihung, so hysterische 
Kontrakturen., die bei Arbeiten weit hinter der Front entstanden sind. 
Ein sehr einfaches Mittel, das zu verhüten, wäre ia. sie nicht als 
d. kr. u., sondern möglichst als d. av. Heimat (Beruf) zu entlassen, 
was auch aus anderen Gründen sich meist empfiehlt. Aber alle 
Kranken eignen sich hierfür nicht. Man kann ja nun der Ansicht sein. 
Kranken, denen man Dienstbeschädigung zuerkannt hat, denen man 
eine mehr oder weniger hohe Rente zubilligt, auch das äussere 
Zeichen einer Kriegsschädigung geben zu sollen. Ich bestreite nun 
durchaus nicht, dass dies in vereinzelten Fällen gerechtfertigt sein 
kann, möchte nur meinen, dass die zuständigen' Behörden in der Lage 
sein müssten, nach Anhörung der entlassenden Neurotikerstation auch 
ablehnend zu entscheiden. 

Dass die ganze Frage, die Laien höchst nebensächlich Vor¬ 
kommen mag. bei der Psyche der Kriegsnevrotiker, bei fhrem auf 
äusseren Eindruck berechneten hysterischem Gebabren, nicht ganz 
unwesentlich ist, werden die Fachleute wohl nicht bezweifeln. Ich 
wollte diese Angelegenheit nur zur Diskussion stellen und gegebenen¬ 
falls eine Überprüfung durch das 'Ministerium veranlassen. Denn 
ich glaube kaum, dass man den Mann, der —■ bewusst oder unbe¬ 
wusst — durch seinen psychischen Mechanismus es erreichte, vom 
Heeresdienste freizubekommen, zum Helden stempeln wollte. 

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1108 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 40. 


Beitrag zur Behandlung der Lungentuberkulose mit dem 
Friedmannschen Mittel. 

Von Regimentsarzt Dr. F. C h a r 1 e m o n t, Facharzt für Lungen¬ 
krankheiten in Qries-Bozen, derzeit Abteilungschefarzt am 
k. u. k. Reservespital Brixen. 

So zweifellos und bewiesen der Heilwert des Friedmann¬ 
schen Mittels bei chirurgischer Tuberkulose ist, so skeptisch mag 
vielleicht noch von mancher Seite der therapeutische Wert desselben 
bei der Lungentuberkulose beurteilt werden. Deshalb erscheint es 
umso gerechtfertigter, einzelne Fälle aus der Praxis mitzuteilen, 
welche einerseits dazu geeignet sind, auch dort zum Versuche anzu¬ 
regen, wo eine günstige Beeinflussung kaum mehr zu erwarten ist, 
andererseits auf Fehler aufmerksam zu machen, welche den Heilungs¬ 
verlauf zu stören pflegen und sicher früher häufig dazu beigetragen 
haben, dem Mittel schädliche Eigenschaften zuzuschreiben, die nicht 
ihm, sondern seiner unrichtigen Verwendung in die Schuhe zu schieben 
sind. Die im Jahre 1917 vorgenommene Versuchsreihe an 12 Sol¬ 
daten, für die das Mittel mit besonderem Kurier nach Oesterreich ge¬ 
bracht werden musste, hat im Allgemeinen mein bereits im Jahre 1914 
gefasstes Urteil über den therapeutischen Wert des Friedmann¬ 
schen Mittels bei Lungentuberkulose nur gefestigt. Doch war es 
erst den literarisch festgelegten wissenschaftlichen Arbeiten der 
jüngsten Zeit Vorbehalten, die durch falsche Technik verursachten, 
früher von anderen Seiten berichteten Misserfolge zu begründen und 
dadurch jedem Arzt deren Verhütung zu ermöglichen. 

I. 1914, Fähnr. W. W. (dzt. Obltn.), spezifisch nicht vorbehandelt. 
Seit 3 Wochen mit hochfieberhafter, tuberkulöser Infiltration der 
ganzen linken Lungenhälfte in meiner Beobachtung. Im Sputum 
massenhaft Kochbazillen, hochgradige, allgemeine Körperschwache 
und Blutarmut. Pat. hatte damals durch seine leichenhafte Blässe 
allgemeines Aufsehen erregt. Bettruhe, hydropathische, medikamen¬ 
töse und diätetische Behandlung blieb ohne jeden Erfolg. Versuch mit 
dem Friedmannschen Mittel als „Ultimum refugium“. 3 Tage 
nach der intramuskulären Injektion, innerhalb welcher Zeit die Tem¬ 
peratur lytisch abfiel, dauernde Entfieberung. Im Laufe der nächsten 
2 Monate vollständige Aufhellung der früher gedämpften 
Lungen hälfte bis auf eine in der Projektion auf die Brustwand 
ca. fünfkronenstückgrosse Stelle. Sputum bazillenfrei. 14 kg 
Gewichtszunahme, blühendes Aussehen. In der Hoff¬ 
nung, auch den oben erwähnten Rest der Krankheit rascher zur 
Ausheilung zu bringen, wurde etwa 2J4 Monate nach der 1. Injektion 
eine 2. nachgeschickt (Fehler!). Von diesem Moment an bemerkte 
ich einen auffallenden Stillstand in der Rückbildung dieses Herdes. 
Die Injektionsstelle abszedierte 1 Yx Monate später nach Abreise des 
Patienten und an der erwähnten Lungenstelle entwickelte sich nach 
mehrmonatlicher Truppendienstleistung am russischen Kriegsschau¬ 
plätze und interkurrenter Pneumonie eine Kaverne. Friedmann 
selbst sowie Goepel (D.m.W. 1918 Nr. 6 und D. Zschr. f. Chir. 144. 
1918. H. 1 und 2) Köl liker uid Kühne (iß.kl.W. 1918 Nr. 7) 
weisen ausdrücklich darauf hin, wie schädigend interkurrente In¬ 
fektionskrankheiten auf den Tuberkulosch eil verlauf nach Anwendung 
des Friedmannschen Mittels wirken, was ich also aus eigener 
Erfahrung bestätigen kann. Innerhalb der nun folgenden VA Jahre 
war Patient wenigstens zeitweise imstande, leichtere Dienste zu ver¬ 
sehen und dient derzeit bei einer Küstenschutzkompagnie in Dal¬ 
matien. 

Kritisch beurteilt muss zugegeben werden, dass die 2. Injektion, 
falls sie überhaupt notwendig gewesen wäre, zu früh vorgenommen 
wurde, nämlich zu einer Zeit, wo nachgewiesenermaßen die einge¬ 
spritzten Schildkrötentuberkelbazillen noch leben und logischerweise 
noch weiter im Organismus wirken. Wäre also dieselbe unterblieben 
und dem Kranken die Möglichkeit geboten gewesen, den Heilungsver- 
lauf unter den früheren günstigen 'Lebensbedingungen abzuwarten, er¬ 
scheint die Annahme wohl begründet, dass nach dem ans Wunder¬ 
bare grenzenden Rückgang der klinischen Kraukheitserscheinungen 
eine vollständige Ausheilung stattgefunden hätte. 

II. 1917, Hptm. M., spezifisch nicht vorbehandelt, für den das 
Mittel durch Kurier von Berlin geholt wurde. Diagnose: Offene 
Lungentuberkulose des 2. Stadiums. Luesrezidiv. Der Fall dürfte 
insofern interessieren, als die intramuskuläre Injektion trotz gleichzeitig 
bestehendem Luesrezidiv und Behandlung desselben mit Schmierkur 
und Neosalvarsan reaktionslos vertragen wurde und den Lungen¬ 
prozess klinisch ausserordentlich günstig beeinflusste. Ein mehrere 
Monate später erlittener Knöchelbruch (interkurrente Erkrankung!) 
hatte ein vorübergehendes Aufflackern der alten Lungenherde 
zur Folge. 

III. Fhnr. T. (spezifisch nicht vorbehandelt). 1917 seit mehreren 
Wochen hochfieberhalte, akute tuberkulöse Apizitis. 3 Tage nach der 
Injektion fieberfrei, rascher Rückgang aller Symptome, gute Gewichts¬ 
zunahme. 2 Monate später geheilt, frontdiensttauglich entlassen. Seit¬ 
her dauernd günstige Berichte von seiten des Patienten. 

Endlich möchte ich noch eines Falles (vorbehandelt mit albumose- 
freiem Tuberkulin) erwähnen, in welchem es sich um eine durch 
Darmtuberkulose komplizierte, chronische, infiltrierende Lungen¬ 
tuberkulose gehandelt hat. Wegen drohender Abszedierung der 
intramuskulären Injektion wurde eine intravenöse Nachinjektion vor¬ 
genommen. Trotzdem letztere den Durchbruch nicht mehr ver- 

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hindern konnte, besserten sich in auffallender Weise die Darm¬ 
symptome und konnte 2 Jahre später die Danntuberkulose als aus¬ 
geheilt betrachtet werden. Der Lungenprozess wurde zwar nicht 
geheilt, hatte jedoch seinen progredienten Charakter verloren. Da 
die rechtzeitig vorgenommene Nachinjektion in diesem Falle nicht im¬ 
stande war, den Durchbruch der erweichten 1. Impfstelle zu ver¬ 
hüten und wenige Stunden nach Vornahme derselben ausserordent¬ 
lich stürmische Reaktionserscheinungen einsetzten (hohes Fieber, 
Kopfschmerzen, Uebligkeiten und Schmerzen in den spezifisch er¬ 
krankten Organen), so ist es wohl naheliegend anzunehmen, dass 
die damals angewandte Dosis viel zu hoch gegriffen war. Eine 
•kleinere und schwächere Dosts hättei nach /den 
neueren Erfahrungen sowohl den Durchbruch als 
auch stürmischere Reaktionserscheinungen ver¬ 
hütet. 

Da das Er iedm annsche Mittel für Oesterreich leider nicht 
freigegeben ist und die Beschaffung desselben daher unter den 
jetzigen erschwerten Trartsportverhältnissen und bei der kurzen 
Haltbarkeit des Präparates nur unter grossen Schwierigkeiten mög¬ 
lich ist, konnte an eine Auswahl der zu behandelnden Fälle nicht 
gedacht werden. Trotzdem habe ich die Ueberzeugung gewonnen, 
dass die 1. intramuskuläre Injektion in keinem einzigen Falle 
eine schädigende Wirkung gezeitigt hat, das Mittel im¬ 
stande ist, akute beginnende tuberkulöse Fälle inner¬ 
halb kurzer Zeit auszuheilen und selbst schwere Fälle, 
sofern sie überhaupt noch reaktionsfähig sind, in 
unerwarteter Weise günstig zu beeinflussen, wie es sicher durch kein 
anderes Spezifikum möglich wäre. So unerwünscht die intravenöse 
Injektion infolge ihrer oft stürmischen Reaktionserscheinungen an sich 
ist und obwohl sie auch bisweilen nicht imstande ist, den Durchbruch 
des Abszesses zu verhindern, so kommt es dennoch nach derselben 
niemals zu einer derart profusen Eiterung wie ohne Vornahme der¬ 
selben. Gewöhnlich entleeren sich dann durch einige Tage nur 
wenige Tropfen serös-eitriger Flüssigkeit. Der Abszesseiter wurde 
stets steril befunden, nur ein einzigesmal waren in demselben 
Schildkrötentuberkelbazillen nachzuweisen. Eine dauernde Schädi¬ 
gung der Kranken nach Abszessdurchbruch konnte ich nicht beob¬ 
achten. Die Behauptung, dass spezifisch nicht vorbehandelte Fälle 
das Friedmann sehe Mittel reaktionsloser auszu werten pflegen als 
spezifisch vorbehandelte, kann ich bei Durchsicht meiner Fälle nur be¬ 
stätigen. 

Das Mittel hat den grossen Vorzug, dass es jeder Arzt ohne 
Vorkenntnisse in der spezifischen Tuberkulosebehandlung anwenden 
kann und der Kranke nicht wie bei den anderen aktiv immunisieren¬ 
den Behandlungsmethoden einer monatelangen Injektionskur unter¬ 
worfen zu werden braucht. Viel heikler ist d i e F r a g e d e r even¬ 
tuellen 2. Injektion und die Wahl der Dosis für die 
intravenöse Nachinjektion. Eine unrichtige Zeitbestim¬ 
mung bei ersterer oder eine zu hohe Dosierung bei letzterer kann, 
wie die Literatur der jüngsten Zeit bestätigt, eine dauernde Schä¬ 
digung des Heilverlaufes zur Folge haben. Indes sind die For¬ 
schungen und Versuche mit dem Mittel heute so weit gediehen, dass 
sich die Fehlerquellen leicht vermeiden lassen und bleibt nur dringend 
zu hoffen, dass das Mittel auch ausserhalb Deutschlands in grösstem 
Umfange als Prophylaktikum und Therapeutikum zur rationellen Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose zur Anwendung komme. 


Psychiatrie und Schwangerschaftsunterbrechung*). 

Von Prof. F. Plaut. 

Meine Herren! Ich folge gern der Aufforderung Ihres Herrn 
Vorsitzenden, Ihnen einige Richtlinien für die Diskussion der Frage 
zu geben, inwieweit die Einleitung des Abortes aus psychatrischcn 
Gründen in Betracht gezogen werden darf. 

Im Ganzen ist die Häufigkeit des Auftretens von Psychosen wäh¬ 
rend des Generationsgeschäftes keine so erhebliche, dass man hieraus 
schon einen irgendwie zwingenden Eindruck erhält, es bestünden ätio¬ 
logische Beziehungen zwischen Generationsgeschäft und Auslösung 
von Geisteskrankheiten. Siem erlin g rechnet mit 5 Proz. Oe- 
nerationspsychosen, einer Zahl, -die relativ nicht erheblich ist, wenn 
man berücksichtigt, dass die häufigsten' Formen der Geisteskrank¬ 
heiten mit Vorliebe das dritte Lebensjahrzehnt bei den Frauen heim¬ 
suchen, in dem ja auch die Gebärtätigkeit der Frauen am lebhaftester 
isf. 

Unter den Generationspsychosen ist keineswegs die Gravidität 
besonders bevorzugt, vielmehr steht innerhalb der Phasen des Fort¬ 
pflanzungsgeschäftes unstreitig das Wochenbett an erster Stelle und 
es folgen in weitem Abstand Gravidität und Laktation. Wenn sich 
also überhaupt ans den Gesamtzlffem ätiologische Beziehungen ab¬ 
leiten Hessen, so dürften solche eher für das Puerperium als für di: 
Gravidität gegeben erscheinen. 

Betrachten wir nun. in welcher Weise die verschiedenen Formen 
des Irreseins in den Generationspsychosen vertreten sind — spe¬ 
zifische Generationspsychosen gibt es nicht —, so entsprechen die 
Zahlen im wesentlichen der Häufigkeit, mit der die verschiedener. 
Psychosen das weibliche Geschlecht auch ohne Gravidität zu be- 

*) Vortrag, gehalten in der Gynäkologischen Gesellschaft in 
München am 28. II. 18. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



i. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1109 


falten pflegen. Die grösste Gruppe bilden die Anfälle von manisch- 
depressivem Irresein, insbesondere die ihm zugehörigen Depressions- 
Zustände, es folgen die Dementia praecox, dann die psychogenen oder 
reaktiven Psychosen der Hysterischen und Psychopathen. Eine der 
Zahl nach geringe Rolle spielen Epilepsie, Paralyse, die anderen 
organischen Nervenkrankheiten, die Imbezillität und Idiotie, sowie eine 
Reihe seltenerer Störungen. 

Praktisch am häufigsten erbebt sich die Frage, ob eine Unter¬ 
brechung angezeigt erscheint bei den Depressionszuständen 
des manisch-depressiven Irreseins. Fragen wir uns 
nun, ob die Gravidität in ursächlicher Beziehung zum manisch- 
depressiven Irresein zu stehen scheint. Das manisch-depressive Irre¬ 
sein besteht aus einzelnen Attacken manischer oder depressiver Fär¬ 
bung, die in der Regel in Genesung ausgehen, in ihrer Zahl und 
Reihenfolge alle nur denkbaren Variationen bei den «einzelnen Kranken 
darbieten können. Die Einzelpsychose lässt nur in der Minderheit 
der Fälle eine irgendwie verwertbare Verursachung erkennen und 
sie erweist sich auch in ihrem Verlauf und ihrer Dauer von exogenen 
Momenten oder sonstigen Zufälligkeiten meist unabhängig. 

Ueberblicken wir den Lebenslauf manisch-depressiver Frauen, so 
sehen wir in der Regel, dass die erste Attacke nur selten mit der 
ersten Gravidität zusammenfällt, dass vielmehr schon ein Anfall 
oder mehrere Anfälle vor der ersten Schwangerschaft aufgetreten 
oder dass Schwangerschaften bereits ohne die geringsten krank¬ 
haften Störungen abgelaufen waren. Verfolgt man das weitere 
Schicksal solcher Frauen, die einmal während der Gravidität er¬ 
krankt waren, weiter, so sieht man, dass keineswegs spätere Gra¬ 
vidität zu erneuten Schüben Anlass zu geben braucht Wenn es 
ja auch ganz seltene Fälle gibt, es sind wirklich Raritäten, wo regel¬ 
mässig und ausschliesslich im Zusammenhang mit Geburten manisch- 
depressive Störungen sich einstellen, so muss man doch der ziem¬ 
lich allgemein anerkannten Auffassung beipflichten, dass praktisch 
genommen die Schwangerschaft weder das manisch-depressive Irre¬ 
sein erzeugt noch in nennenswerter Häufigkeit den einzelnen Anfall 
auslöst. Man hat sogar manisch-depressive Frauen beobachtet die 
nur, wenn sie gravide waren, gesund erschienen und in den Zwischen¬ 
zeiten entweder erregt oder deprimiert waren. 

Die ursächlichen Beziehungen werden noch weiterhin unwahr¬ 
scheinlich gemacht durch die Beobachtung, dass mit der Geburt oder 
dem Puerperium eine bestehende Psychose keineswegs abzuklingen 
braucht, sondern gewöhnlich ganz unbeeinflusst durch diese Vorgänge 
ihren Verlauf nimmt. Auch vermag der Abort die Psychose nicht ab¬ 
zubrechen. Es sind sogar Fälle beobachtet worden, in denen die 
Erkrankung sich nach einem Abort entwickelte und die depressive 
Wahnbildung nun aus diesem Ereignis ihren Inhalt entnahm, indem 
Versündigungsideen und Selbstvorwürfe gerade auf den Abort Bezug 
nahmen. 

Natürlich ist es bei der Regellosigkeit und Vielgestaltigkeit im 
Auftreten und Abklingen deT einzelnen Phasen des manisch-depres¬ 
siven Irreseins hin und wieder einmal beobachtet worden, dass mit 
einem Abort oder mit dem normalen Ende der Schwangerschaft oder 
des Puerperiums Anfälle ihr Ende fanden, aber da handelte es sich 
wohl gewiss um Zufälligkeiten. Nach alledem besteht keine Aussicht, 
durch Einleitung des Aborts einen Einfluss auf die bereits bestehende 
manisch-depressive Psychose zu gewinnen oder bei Prädisponierten 
die Entwickung «einer Psychose zu verhüten. 

Trotzdem könnte eine Indikation zur Unterbrechung gegeben 
sein, wenn durch das Zusammentreffen von Schwangerschaft und 
Psychose das Leben gefährdet würde. Die Hauptgefahr stellt der 
körperliche Kräfteverfall infolge psycho-motorischer Erregung und 
Nahrungsverweigerung dar. Man kann dieser Schwierigkeiten durch 
geeignete Massnahmen in den Anstalten meist Herr werden, so dass 
wohl nur sehr selten Bedenken auftauchen werden, ob die geringe 
körperliche Widerstandkraft die Fortdauer der Schwangerschaft ver¬ 
bietet. Im allgemeinen kommen die Frauen, auch wenn sie recht 
herunter sind, ganz gut über Schwangerschaft und Geburt hinweg, 
das ist die allgemeine Erfahrung. Wir haben uns nie veranlasst ge¬ 
sehen, auch nicht bei stark heruntergekommenen Depressiven, die 
Unterbrechung vornehmen zu lassen und haben dies nie zu bereuen 
gehabt. Zu bedenken ist auch, dass die Einleitung des Aborts gerade 
bei erregten Kranken kein harmloser Eingriff ist und wiederholt Tod 
durch Sepsis beobachtet wurde. 

Die Suizidgefahr der Depressiven darf keine Indikation abgeben, 
denn sie wird einerseits durch die Beendigung der Schwangerschaft 
nicht beseitigt, weil die Psychose fortdauert, und es kann ihr in 
der geschlossenen Anstalt wirksam begegnet werden. 

Man kann also zusammenfassend sagen, das manisch-depressive 
Irresein gibt rrn allgemeinen keine Indikation zur Unterbrechung der 
Schwangerschaft. . . _ 

Während wir bei dem manisch-depressiven Irresein dne Frage 
nicht zu erörtern brauchen, ob durch die Fortdauer der Schwanger¬ 
schaft die geistige Erkrankung eine ungünstige Wendung im Sinne 
der Verblödung nehmen könnte, da ja die einzelnen Anfälle des 
manisch-depressiven Irreseins überhaupt nicht zu geistigen Schwäche¬ 
zuständen führen, liegen die Verhältnisse bei der Dementia prae¬ 
cox anders. Die Dementia praecox oder Schizophrenie trägt die 
Tendenz zur Verblödung in sich. Die Verlaufsformen sind nun ausser¬ 
ordentlich mannigfaltig. Es gibt Fälle, bei denen sich von Beginn der 
Erkrankung ab ein unaufhaltsames geistiges Siechtum einstellt. Noch 
häufiger verläuft die Krankheit in einzelnen Schüben. Es tritt zu¬ 


nächst eine akute Erkrankung ein, die stürmischen Erscheinungen 
bilden sich nach einiger Zeit zurück und es kommt zur Heilung mit 
Defekt. Diese Defekte können leichterer Art sein, bestehen zuweilen 
nur in geringfügigen Charakterveränderungen, die von Laien über¬ 
sehen werden können und die soziale Leistungsfähigkeit nicht wesent¬ 
lich zu beeinträchtigen brauchen. Längere Zeit hindurch, oft jahre¬ 
lang, bleibt die Kranke in diesem erträglichen Zustand, bis sich dann 
ein neuer, akuter Schub einstellt, der den Defekt verstärkt oder in 
eine chronische Psychose ausmündet. Könnten wir nun mit Bestimmt¬ 
heit sagen, dass die Schwangerschaft bei einer mit leichtem Defekt 
ausgeheilten Dementia praecox eine erneute akute Psychose mit der 
ihr innewohnenden Gefahr einer tieferen Verblödung auszulösen ver¬ 
mag, müssten wir zur Unterbrechung der Schwangerschaft raten, und 
wir müssten es ebenso tun, wenn während der Schwangerschaft sich 
die ersten Erscheinungen einer Dementia praecox ankündigen und wir 
durch die Unterbrechung der Schwangerschaft die Psychose zum 
Stehen bringen könnten. Denn wir werden die Verblödung zu den 
schwersten Gefahren für die Gesundheit im Sinne der von der wissen¬ 
schaftlichen Deputation für das Medizinalwesen' in Preussen ange¬ 
nommenen Bumm-Krohnesehen Leitsätze rechnen müssen. 

Es fehlen uns jedoch vorläufig alle sicheren Grundlagen für die 
Annahme, dass die Schwangerschaft den ersten Anfall einer De¬ 
mentia praecox auslösen oder zu einem Rezidiv Veranlassung geben 
oder Defektheilung verhindern könnte und ebensowenig können wir 
behaupten, dass die physiologische oder vorzeitige Beendigung der 
Schwangerschaft den Prozess in günstigem Sinne zu beeinflussen 
vermag. Nach Beendigung der Schwangerschaft sieht man ebenso¬ 
wohl Besserung als Verschlechterung, noch häufiger erscheint der 
Fortgang des Leidens unbeeinflusst. 

Angesichts dieses Mangels am zuverlässigen Anhaltspunkten für 
etwaige Beziehungen haben wir bisher niemals bei Dementia prae¬ 
cox den Abort ein leiten lassen und die gleiche Zurückhaltung wird 
ziemlich einheitlich in unserem Fachkreise geübt. Dass bei der Un¬ 
berechenbarkeit der Verlaufsformen hin und wieder einmal nach 
einem Abort eine auffallende Besserung beobachtet wurde, kann nicht 
wundernehmen. Solche vereinzelte Beobachtungen sind jedoch für 
kausale Beziehungen nicht beweisend. Immerhin muss das häufige 
Auftreten der Dementia praecox in den Pubertätsjahren an Zu¬ 
sammenhänge mit den Sexual Vorgängen denken lassen und deshalb 
möchte ich nicht unterlassen, die kürzlich von Bon ho eff er ge¬ 
gebene Anregung 'hier zu wiederholen, es möchten alle Erfahrungen 
über den Einfluss von Aborten auf Fälle von Dementia praecox be¬ 
kannt gegeben werden. Der gegenwärtige Stand unseres Wissens 
gestattet uns, wie gesagt, nicht, in der Dementia praecox eine Indika¬ 
tion zur Unterbrechung der Schwangerschaft zu sehen. 

Während nun die Schwangerschaft der Manisch-Depressiven und 
der Schizophrenen hinter den verschlossenem Türen der Anstalten ab¬ 
zulaufen pflegen und der in der Praxis stehende Arzt nur selten 
hier vor Entscheidungen gestellt wird, wird er um so mehr von 
hysterischen und psychopathischen Frauen um Ein¬ 
leitung des Abortes angegangen werden. Man wird sich hier im all¬ 
gemeinen von vornherein auf einen streng ablehnenden Standpunkt 
stellen müssen. Je nach der Färbung des Fa'les wird man hypo¬ 
chondrisch ängstliche Vorstellungen durch Ueberredung, alle die 
gerade hier häufig üppig in Erscheinung tretenden hysterischen Zu¬ 
standsbilder durch jeweils amzupassende suggestive Massnahmen 
bekämpfen. Sobald die Schwangeren selbst oder die ihre Wünsche 
unterstützenden Angehörigen« den Eindruck gewinnen, man werde 
schliesslich doch noch weich werden und zu Kompromissen zu haben 
sein, hat man verlorenes Spiel. Dass der Arzt hier im eine sehr 
schwierige Lage kommen kann, besonders wenn mit Selbstmord 
gedroht wird, liegt auf der Hand. 

Bei ernsterer Selbstmordneigung pflegen allerdings meist die 
Störungen einen Charakter anzunehmen, den man als im engeren 
Sinne psychotisch bezeichnen kann. Im Vordergrund steht die Angst, 
die Schwangerschaft nicht überleben zu können oder geisteskrank zu 
werden. Es bikiet sich eine Fülle depressiver Vorstellungen aus, 
die sich fast ausschliesslich auf die Fortdauer der Schwangerschaft 
und die Geburt richten; die Depression kann sehr bedrohlichen Cha¬ 
rakter annehmen, die Kranken werden schlaflos, verweigern die Nah¬ 
rung, begehen ernstliche Selbstmordversuche, kommen sehr herunter. 
Es liegt hier ein ähnlicher Mechanismus vor, wie bei der Entstehung 
von psychogenen Psychosen unter dem Einfluss der Haft oder des 
Felddienstes. Ein ängstlich gefärbter Vorstellungskoraplex löst re¬ 
aktiv das ganze Krankheitsbild aus. Es unterliegt keinem Zweifel, 
dass wir hier im Gegensatz zu den endogenen Psychosen eine so¬ 
fortige Heilung durch den Abort erreichen können. Die Entlassung 
aus der Schwangerschaft wird ebenso prompt wirken«, wie die Ent¬ 
lassung aus der Haft oder dem Militärdienst. 

Gibt uns nun die sofortige Heilungsmöglichkeit das Recht zum 
Abort? Sicher nicht, wenn man keine Gefahr läuft mit dem Zu¬ 
warten bis zur physiologischen Beendigung der Schwangerschaft, 
denm diese führt ebenfalls zur Heilung. Die Gefahr besonders hin¬ 
sichtlich des Selbstmords ist allerdings eine erhebliche und sie würde 
eine Indikation abgeben, wenn man nicht die Möglichkeit hätte, die 
Kranken durch Internierung zu schützen. Sachlich liegt kein Anlass 
vor, bei einer psychogenen Depression mit Suizidneigung anders als 
bei einer endogenen Depression zu verfahren. Die Widerstände 
gegenüber der Internierung werden im allgemeinen allerdings erheb¬ 
lichere sein; die gänzlich unbegründete Befürchtung, dass eine solche 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


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MDENCHBNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4ü. 


hrau in. dier Klinik nun „wirklich“ geisteskrank wird, wird von der 
Patientin selbst und von den Angehörigen geäussert werden, all die 
Vorurteile, die in der Vorstellung der Betroffenen und im Urteile der 
Umwelt mit der Jbinschaffung in die geschlossene Anstalt verknüpft 
sind, werden sich dem Arzt entgegenstemmen und seine Lage ist in 
solchen Lallen Keine beneidenswerte. Die gesetzlichen Handhaben 
zur Einschaltung in eine Anstalt sind bei einer psycnogeneii De¬ 
pression mit Selbstmordneigung ebenso gegeben wie bei einer endo¬ 
genen Depression. Abort in solchen Fällen einzuleiten, ohne eine 
Klinische Beobachtung vorausgehen zu lassen, ist unstatthaft, ln 
diesem Sinne haben sich auch neuerdings wieder Siemerling, 
Bon'iioeffer und andere ausgesprochen. Tritt dann trotz aller 
Hilfsmittel der Klinik ein hochgradiger Kräfteverfaü ein, der das 
Beben zu gefährden droht, so ist es immer noch Zeit, einzugreifen. 
Ls wird nur in seltenen Ausnahmetällen so weit kommen. 

Hiermit sind die drei wichtigsten üruppen besprochen. 

Die Epilepsie gibt im allgemeinen keine Indikation. In vor¬ 
geschrittener Gravidität können gehäufte Aniälle in Form des Status 
epilepticus zum Eingreifen Anlass geben, sowohl wegen der Gefahr 
der Atmungsbehiinderung, dann auch bei lebensfähiger Frucht, um 
das Leben des Kindes zu retten, da der Status epilepticus häufig zum 
Tode der Mutter führt 

Die Psychosen bei gröberen organischen liirnerkran- 
kungen beeinflussen im allgemeinen die Gravidität nicht ungünstig 
und die Erkrankungen ihrerseits erfahren durch die Gravidität keine 
Progredienz. Dies gilt insbesondere von der Paralyse. Wir 
naben recht häufig paralytische Frauen bis zur Geburt in der Klinik 
gehalten und nie einen Anlass zur vorzeitigen Entbindung gefunden. 
Die Paralysen tragen meist aus, da der Infektionstermin weit zurück¬ 
liegt und die Wertigkeit der Kinder ist keine besonders geringe. 

Nur bei der multiplen Sklerose sollen, wie Bon- 
lioeif er hervorhebt, mitunter in cer Gravidität und im Wochenbett 
icbensbedrohenae Verschlimmerungen eintreten. Hier wird also 
unter Umständen die Einleitung des Aborts geboten erscheinen. 

Die Chorea gravidarum wird vielfach als Indikation 
zum Abort ohne weiteres angesehen. Dazu liegt jedoch kein Anlass 
vor. Die hysterische Chorea verdient kerne andere Beur¬ 
teilung als sonstige hysterische Symptomenkompkexe, rechtfertigt 
somit das Einsenreifen nicht. Auch die Huntington sehe 
Chorea verursacht angesichts der relativ geringen motorischen 
Reizerscheinimgen, die sie im Gefolge hat, keine aKute Gefährdung 
der schwangeren Frau. Ueber das Vorkommen von Progressionen des 
Leidens unter dem Einfluss der Schwangerschaft oder um auffällige 
Besserungen nach Abort liegen keine Erfahrungen vor. 

Auch die Frauen mit rheumatischer Chorea, sei es, dass 
es sich um den ersten Anfall oder um Rezidive handelt, kommen im 
allgemeine gut durch die Schwängerschaft hindurch. Wir haben erst 
kürzlich einen recht schweren Fall mit deliranten Erscheinungen ge¬ 
habt, sind nicht eingeschrittem und es ist alles gut verlaufen. Immer¬ 
hin scheint der Abort solche Formen von Chorea oft günstig zu be¬ 
einflussen, jedoch ist eine solche Wirkung nicht mit irgendwelcher 
Sichemeit vorauszusagen. Die ganz schweren Formen mit stürmi¬ 
scher Jaktation, Fieber und Verwirrtheitszuständen lässt man ge¬ 
wöhnlich mit Recht abortieren, da die Kranken auf das schwerste 
herunterkommen und zudem die Aussichten auf Austragung eines 
lebensfähigen Kindes gering sind. 

Die Eklampsien können von psychischen Störungen begleitet 
sein, die als Hysterie oder wohl auch als Katatonie verkannt werden. 
Solche Fälle kommen daheT nicht seiten in die psychiatrische Klinik. 
Soweit es sich um Graviditätseklampsie handelte, war in unseren 
Fällen die Gravidität weit vorgeschritten. Solche Kranke werden 
natürlich dem Gynäkologen überwiesen. 

Schwere, offenbar auf toxischen Einflüssen beruhende nervöse und 
psychische Störungen können sich bei Schwangeren mit unstill¬ 
barem Erbrechen entwickeln. Es können Polyneuritiden 
mit schweren sensiblen und motorischen Ausfallserscheinungen aui- 
treten, es kommt zu Krampfanfällen und zu psychischen Störungen, 
dde bald in ängstlichen Verwirrtheitszuständen bestehen, bald mehr 
der K orsako w sehen Psychose ähneln. Soweit ich die Literatur, 
die kürzlich von Siemerling durch neue Fälle bereichert wurde, 
übersehe, scheint der Einfluss des Aborts aut die toxischen Störungen 
ein recht unsicherer zu sein, wenn es auch zum Aufhören des Er¬ 
brechens kommt Diese Fälle sind glücklicherweise recht selten. 

Oft genug kommt es vor, dass schwachsinnige Mädchen, ja 
ganz tiefstehende Idiotinnen missbraucht und geschwängert 
werden. Bei solchen Zufällen wird immer besonders gern die Vor¬ 
stellung geäussert, man solle die Frucht entfernen, um den minder¬ 
wertigen Nachwuchs zu unterdrücken. Man geht aber oft noch viel 
weiter und behandelt überhaupt den Abort bei geisteskranken Frauen 
als ein aus eugenischen Gründen nützliches Werk. Dies ist jedoch 
eine Auffassung, die prinzipiell abgelehnt werden muss. Rassen¬ 
hygienische Erwägunge« dürfen überhaupt nicht erörtert werden, 
wenn einmal die Gravidität da ist: denn für die Schwangerschafts¬ 
unterbrechung entscheidet lediglich die Frage, ob das Leben oder die 
Gesundheit der Mutter bedroht ist. Unsere Kenntnisse über die Erb- 
lichkeitsverhältnisse stecken überdies noch so in der. Anfängen, dass 
wir im einzelnen Falle dem zu erwartenden Produkt gar keine zuver¬ 
lässige Prognose zu stellen vermögen. Die Befürchtungen stellen sich 
nicht selten als unbegründet heraus. 

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M. H.I Diese kurze Zusammenstellung lässt Sie erkennen, dass 
wir einen recht zurückhaltenden Standpunkt empfehlen. Sieht man 
von den toxischen nervösen Störungen, die in engerer Beziehung 
zur Gravidität stehen, ab, lässt man ferner für die multiple Sklerose 
und die schweren Formen der Chorea gravidarum vielleicht eine 
ätiologische Indikation im engeren Sinne gelten, so fehlt eine eigent¬ 
liche psychiatrische Indikation zur Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft in der Regel völlig. Bei den eingangs geschilderten grossen 
Gruppen von geistigen Erkrankungen, wo die Frage der etwaigen 
Unterbrechung am häufigsten au den Arzt herantritt, sind Ausnahmen 
nur insoweit zulässig, als der körperliche Zusammenbruch zu be¬ 
fürchten ist; die psychische Erkrankung an sich verlangt den Abort 
kaum jemals. Voraussetzung für eine solche ablehnende Stellung¬ 
nahme ist allerdings die Internierungsmöglichkeit und hierzu möchte 
ich- mit Alzheimer sagen: die Internierung ist noch immer ein 
milderer Eingriff als die Entfernung der Frucht. 


Aus der mobilen Qrazer Chirurgengruppe (Klinik v. H ac k e r.) 
(Leiter: Prof. Dr. Ed. Streissler.) 

Ein Nachteil der Rechtwinkeischienung 
bei Oberarmfrakturen. 

Von Dr. Hermann Biesenberger, Oberarzt in d. R. 

Die Schienung der hohen Oberarmfrakturen in Abduktion von 
90 0 (Rechtwinkeischienung nach Zuppinger und Christen) war 
auch bei uns die grundsätzliche Behandlungsmethode; sie zeitigte im 
allgemeinen recht zufriedenstellende Resultate. Nur bei einer kleinen 
Gruppe dieser Frakturen sahen wir nachteilige Folgen, die sich in 
Vereiterung der Achselhöhle und Eitersenkung in das Zellgewebe 
der seitlichen Thoraxwand kundgaben. Es handelte sich in diesen 
Fällen um Schusszertrümmeningen des Humerus im oberen Drittel 
oder an der Grenze zwischen oberem und mittlerem Drittel, die im 
Laufe der Behandlung zu sog. Defektschüssen führten, wie sie haupt¬ 
sächlich bei Artillerieverletzuugen oder bei Nahschüssen durch Klein¬ 
kalibergeschosse Vorkommen. Diese Verletzungen boten im grossen 
und ganzen ein stets wiederkehrendes Bild. Hinter der mehr oder 
weniger grossen Einschussöffnung fand sich umgeben von einem aus¬ 
gedehnten Hämatom eine Höhle, in der die zersplitterten Humerus- 
iragmente und Blutkoagula, evem. Monturfetzen und bei Steck¬ 
schüssen der Fremdkörper lagen. Stets war eine schwere Infektion 
mit hohen Temperaturen vorhanden, die im Verlaufe der Behandlung 
zu ausserordentlich starker Sekretion führte, ln jedem Falle wurde 
die operative Eröffnung des Trümmerherdes vorgenommen, Fremd¬ 
körper, Monturfetzen, sowie lose Knochensplitter und Koagula ent¬ 
fernt und durch ausgiebige Drainage für guten Abfluss gesorgt. Bei 
Fixation auf einer improvisierten Christenschiene gelang es in allen 
Fällen, in denen das Schultergelenk unverletzt war, ohne weitere 
Eingriffe Herr der Infektion zu werden. 

Im Verlaufe der Behandlung konnten wir in dreien dieser Fälle 
beobachten, dass es in den ersten Wocheh nach der Verwundung 
trotz ausgiebiger Drainage zu einer Eitersenkung in das lockere Zell¬ 
gewebe der Achselhöhle und von dort in das der seitlichen Thorax- 
wand kam. Hingegen konnten wir in ähnlichen Fällen, in denen der 
Oberarm in mehr oder weniger hängender Lage fixiert war, niemals 
ein Uebergreiien des Eiterprozesses auf die Achselhöhle oder die 
seitliche Thoraxwand ieststellen. 

Ich greife die betreffenden Krankengeschichten heraus und führe 
sie in gekürzter Form an; 

1. Inf. J. K., wurde am 29. Nov. 16 durch Gewehrschuss aus 
nächster Nähe am linken Oberarm verwundet. Bei seiner Aufnahme 
am 1. Dez. 16 konnte nachstehender Befund aufgenommen werden: 
Einschuss an der Vorderfläche des linken Oberarmes, 2 Querfinger 
neben der vorderen Achselfalte, Ausschuss an der Hinterfläche etwas 
über der hinteren Achselfalte. In der Umgebung der Schussöffnungen 
ausgebreitetes Hämatom und starke Schwellung des Oberarmes. 
Temp. 37,5. Radialisparese. Am selben Tage wird in Aethernarkose 
die Ausschusswunde breit eröffnet und nach Entfernung der Knochen¬ 
splitter und Blutkoagula, sowie Vornahme einer Wundtoilette die 
ausgiebige Drainage angeschlossen, worauf der Arm aut einer 
Christenschiene fixiert wird. In den ersten Wochen normaler Krank¬ 
heitsverlauf mit abklingendem Fieber. Am 3. Januar 17 (4 Wochen 
nach der Operation) treten hohe Temperaturen auf. Die aus diesem 
Grunde vorgenommene Kontrolle der durch die Schiene verdeckten 
Körperteile ergibt einen Senkungsabszess entlang der linken Thorax¬ 
wand, der in der Höhe der IV. Rippe spontan durchgebroclien ist. 
Drainage. Fixierung des linken Armes nach D e s a u 11. Am 25. Ja¬ 
nuar 17 ist die Wunde an der linken Thoraxseite vollkommen ge¬ 
reinigt nnd der Heilungsprozess soweit fortgeschritten, dass eine 
Christenschiene neuerdings angelegt werden kann. Am 20. Februar 17 
wird Pat. mit vollkommen beweglichem Schultergelenk entlassen. 

2. Schütze Sz. T., wurde am 25. Juli 17 durch einen Minen¬ 
splitter verwundet und kommt am 26. Juli in unsere Behandlung. An 
der Aussenfläche des linken Oberarmes, etwas oberhalb der Mitte, 
findet sich eine ca. zehnhellerstückgrosse Einschussöffnung; der Aus¬ 
schuss in gleicher Grösse liegt in derselben Höhe an der Hinterfläche. 
Beide Schussöffmmgen sind reaktionslos. Der Humerus ist an der 
Grenze zwischen mittlerem und oberem Drittel zersplittert. Nach 

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1, Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1111 


anfänglich fieberfreiem Verlaufe bei reaktionslosen Wundverhältnissen 
muss am 16. August wegen höherer Temperaturen und beginnender 
Rötung des Oberarmes Ein- und Ausschuss breit eröffnet und nach 
Entfernung der Knochensplitter drainiert werden, worauf der Arm 
auf einer Christenschiene fixiert wird. Am 13. Februar wird nach 
4 Wochen fortschreitender Heilung bei Temperaturanstieg in der linken 
Achselhöhle ein Abszess konstatiert, aus dem sich nach Inzision sehr 
viel Eiter entleert. Der Oberarm wird vorübergehend in hängender 
Lage fixiert. Am 20. September muss Pat. ins Hinterland abge¬ 
geben werden. Die Abszesshöhle steht im Beginne der Reinigung, die 
Humerusfraktur im Beginne der Konsolidierung. 

3. K. W., Leutnant, wurde am 12. August 17 durch Gewehrschuss 
(Nahschuss von ca. 1 m Entfernung) verwundet. Bei seiner Aufnahme 
in unser Spital wird folgender Befund aufgenommen: Einschuss 
kronenstückgross an der Innenfläche. Ausschuss handtellergross an 
der Hinterfläche des linken Oberarmes. Keine Nerven- und Gefäss- 
verletzung. Zertrümmerung des Humerus im obersten Drittel. Am 
13. August wird in Aethernarkose eine Toilette des Wundtrichters vor¬ 
genommen. möglichst einfache und glatte Wund Verhältnisse ge¬ 
schaffen und nach Entfernung der zertrümmerten Knochenmassen eine 
ausgiebige Drainage nach beiden Wundöffnungen hin angeschlossen. 
Der Arm ruht auf einer Christenschiene. Am 12. September wird der 
gute Heilungsverlauf durch Temperaturanstieg unterbrochen. Als Ur¬ 
sache hierfür findet sich infolge Senkung vom Oberarm aus in der 
linken Achselhöhle ein grosser Abszess, der inzidiert sehr viel Eiter 
entleert. Wegen des grossen Humerusdefektes (8 cm) wird die 
Christenchiene, die bei jedem Verbandwechsel entfernt werden muss, 
belassen. Am 23. August muss Pat. wegen Platzmangels ins Hinter¬ 
land abgegeben werden. Die Temperaturen sind normal; die Abszess¬ 
höhle und Oberarmwunde reinigen sich; die Sekretion ist gering; im 
oberen Drittel des Humerusschaftes besteht ein 8 cm langer Knochen¬ 
defekt. 

Die Eitersenkung in die Achselhöhle und in das Unterhautzell¬ 
gewebe der seitlichen Thoraxwand bei Zertrümmerungen im oberen 
Drittel des Humerusschaftes, wie wir sie in den eben angeführten 
Fällen zu beobachten Gelegenheit hatten, führen wir im Falle starker 
Eitersekretion auf die horizontale Lagerung des Oberarmes zurück. 
Bedingt durch die etwas tiefere Lage der Achselhöhle, die dem 
infolge horizontaler Schienung höher gelegenen proximalen Humerus¬ 
fragment benachbart ist, ist die Möglichkeit der Senkung des den 
Bruch begleitenden grossen, alle Bindegewebsspalten infiltrierenden 
Blutergusses und seiner fast stets erfolgenden sekundären Vereiterung 
gegeben; durch die reichliche Anwesenheit von lockerem Zellgewebe 
in nächster Nähe und unterhalb des Eiterherdes wird dieser Umstand 
noch begünstigt. Das Fehlen dieser Erscheinung in allen Fällen, in 
denen aus irgendwelchen Gründen von der horizontalen Schienung 
Abstand genommen werden musste, dürfte die Wahrscheinlichkeit 
unserer Annahme bestätigen. 

Es handelt sich in diesen Fällen der Eitersenkung um eine neuer¬ 
liche, wenn auch geringfügige Schädigung des meist schon durch die 
Verwundung und Infektion sehr geschwächten Patienten; es leidet der 
Heilungsprozess der Humerusfraktur, da die an der Thoraxwand be¬ 
festigte Armschiene zwecks Behandlung des neuen Eiterherdes zeit¬ 
weise abgenommen und neuerlich angelegt werden muss, ganz abge¬ 
sehen von den Schmerzen, die hierdurch bereitet werden. Wenn die 
Vereiterung der Achselhöhle und der seitlichen Thoraxwand auch 
keine nennenswerte Gefahr für den Patienten mit sich bringt, wie das 
gute Endresultat, das wir in jedem der 3 Fälle mühelos in kurzer 
Zeit mit Hilfe einiger Inzisionen erzielen konnten, beweist, so bedeutet 
die Eitersenkung doch immerhin eine unangenehme Beigabe im Bc- 
handlungsverlaufe und eine vielleicht bei sehr geschwächten und 
heruntergekommenen Patienten nicht ohne Folgen bleibende Ver¬ 
zögerung des Heilungsprozesses, die unserer Ansicht nach leicht zu 
vermeiden ist. 

Wir schlagen daher für diese Fälle von Humerusfrakturen vor. 
den Arm wenigstens für die ersten Wochen nach der Verwundung, für 
die Zeit der starken Sekretion in einem etwas geringeren Abduk¬ 
tionswinkel zu fixieren. Hiezu eignet sich z. B. das S1 a J m e r sehe 
oder v. Ha eher sehe Triangel, welch letzteres bei richtiger An¬ 
fertigung und richtiger Anlegung noch den Vorteil einer leichten 
Extension bietet, die die Humerusfragmente auseinanderzieht und 
damit das Offenhalten und Klaffen der Muskehvunde und einen leich¬ 
teren Eiterabfluss bewirkt. Das v. Hack ersehe Triangel wurde 
der grossen Sekretion wegen in diesen Fällen nicht aus Pappe oder 
Holz-, sondern aus einer zusammengebogenen Cramerschiene im¬ 
provisiert. 

Periodisches Erbrechen oder periodische Azetonämie? 

Kasuistischer Beitrag. 

Von Prof. Franz Hamburger, Graz. 

Das Krankheitsbild ist jedem Kinderarzt wohlbekannt. Obige 
Fragestellung deutet ihm sofort an: Was ist das Primäre, das Er¬ 
brechen oder die Azetonämie? Die Meinungen sind geteilt. Ich 
selbst möchte mich der schon längst von H e u b n e r ausgesprochenen 
Meinung anschliessen, dass das Erbrechen das Erste sein dürfte, und 
zwar auf Grund einer Beobachtung der Privatpraxis und der Tat¬ 
sache, dass es bei Kindern ganz besonders leicht zur Azetonbildung 
kommt! 


Der Fall betrifft ein 4 jähriges Kind, das in den letzten 2 Jahren 
ziemlich genau alle 75 Tage einen 24 Stunden dauernden Anfall von 
Erbrechen bekommt. Kurz (d. h. 6 Tage) vor dem erwarteten Anfall 
wurde der Ham täglich auf Azeton untersucht bis 4 Tage nach dem 
Anfall. Vor dem Anfall niemals Azeton, in dem Morgen harn 
nach dem nächtlichen Brechanfall kein Azeton, auch 
im Erbrochenen nicht. Erst in der nächsten 24-Stunden-Portion 
massenhaft Azeton, nachdem das Erbrechen schon vorüber war. In 
diesem Fall wenigstens war also das Erbrechen bestimmt das Erste. 
In den meisten Fällen anderer Untersucher wurde Azeton schon vor 
dem Erbrechen gefunden. 

Hecker kommt auf Grund seiner Beobachtungen zu dein 
Schlüsse, dass das Erbrechen der Azetonämie nicht sub-, sondern 
koordiniert sei; es ist mir nicht darum zu tun, die Frage streng 
wissenschaftlich zu entscheiden. Ich möchte nur das Wort perio¬ 
dische Azetonämie beanstanden, weil es irreführend ist, Bleiben 
wir bei dem nichts präjudizierenden Ausdruck periodisches Er¬ 
brechen. 

Besonders durch die Untersuchungen L'. F. Meyers wissen 
wir, wie häufig bei Kindern Azeton hn Harn auftritt. Dem Azeton 
muss eine entscheidende diagnostische Bedeutung abgesprochen wer¬ 
den, wie der genannte Forscher dartut. Wir finden es bei allen mög¬ 
lichen fieberhaften Krankheiten, bei allen möglichen Formen von Er¬ 
brechen (Meningitis, Appendizitis). Man kann sich nicht genug vor 
der Ueberschätzung des Azetonbefundes hüten. 

Ich möchte es daher für richtiger halten, von einem (mit Azeton¬ 
ämie einhergehenden) periodischen Erbrechen zu sprechen, wie dies 
auch Za de tut, statt den leicht irreführenden Namen periodische 
Azetonämie zu gebrauchen. 

Literatur. 

Heubner: Lehrbuch der Kinderheilkunde Bd. 2 S. 423. -- 
L. F. Meyer: Jb. f. Kinderhlk. Bd. 61 S. 438. — Hecker: Er¬ 
gebnisse d. inn. Med. u. Kinderhlk. Bd. 7 S. 242. - Zadc: Arch. f. 
Kinderhlk. Bd. 63. S. 1. 


lieber den Erfolg der Behandlung der weiblichen 
Urethral-Gonorrhoe mit Intravenösen Kollargollnjektionen. 

Von Dr. A. Sommer, Oberarzt. 

In der Münchener medizinischen Wochenschrift 1918 Nr. 2 be¬ 
richtet H. Menzi über die Behandlung der weiblichen Gonorrhöe 
mit intravenösen Kollargolinjektionen.* 

Bei der Behandlung ist, so schreibt Menzi. die intravenöse 
Behandlung die dominierende, während die alte lokale Behandlung die 
untergeordnete, unterstützende geworden ist. 

Diese alte lokale Behandlung wird aber nicht näher angegeben; 
wie schon aus der Ueberschrift der Arbeit von Menzi hervorgeht, 
ist der Heilerfolg auf die intravenösen Kollargolinjektionen zurückzu¬ 
führen. 

Dre besten Resultate hat nach Menzi die Kollargolbehandlung 
bei der akuten und subakuten Urethralgonorrhöe aufzuweisen. 

Es wurden von 24 ah Urethralgonorrhöe leidenden Patientinnen 
23, d. h. 95,8 Proz., geheilt, und zwar war zur Erzeugung einer 
dauernden Negativität nötig: bei 1 Fall 1 Injektion, bei 11 Fällen 
2 Injektionen, bei 4 Fällen 3 Injektionen, bei 4 Fällen 4 Injektionen, 
bei 1 Fall 7 Injektionen. 

Um über die Wirkung eines Präparates und einer Behandlungs¬ 
methode ein einwandfreies Urteil zu gewinnen, ist es erforderlich, 
sämtliche anderen Behandlungen zu unterlassen bzw. auszusetzen. 

Aus diesem Grunde habe ich Bei 15 Patientinnen mit frischer, 
bisher noch nicht behandelter Urethralgonorrhöe die intravenösen In¬ 
jektionen mit 2 proz. Kollargollösung ohne Lokalbehandlung der 
Urethra angewandt und will hier kurz über meine Resultate be¬ 
richten. 

Bei 11 Patientinnen wurden innerhalb 13 Tagen 6 Injektionen 
von 2 ccm bis auf 7 ccm steigend vorgenommen, und zwar mit dem 
Erfolg, dass bei täglicher Gonokokkenkontrolle in sämtlichen 11 Fällen 
keine Verminderung der Gonokokken festzustellen war. 

Bei 2 Patientinnen wurden innerhalb 11 Tagen 5 Injektionen 
von 2 ccm bis auf 6ccm steigend vorgenommen; eine Beeinflussung 
der Gonokokken war nicht feststellbar. 

Dieselben Resultate ergaben sich bei 2 Fällen, welche innerhalb 
9 Tagen mit 4 Injektionen behandelt wurden. 

Ich habe nach diesen schlechten Resultaten diese Behandlung 
auf gegeben. 

Aus meinen Beobachtungen geht also hervor, dass die intra¬ 
venösen Kollargolinjektionen allein bei der Behandlung der weiblichen 
Urethralgonorrhöe ohne Erfolg sind. 

Ob und wieweit die intravenösen Injektionen bei gleichzeitiger 
Lokalbehandlung der erkrankten Organe von Erfolg gekrönt sind, 
v erden erst weitere Beobachtungen ergeben. 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 40. 


Aus der II. medizinischen Universitätsklinik zu München. 
(Vorstand: Prof. Friedrich Müller.) 

Zur Frage Ober die Abhängigkeit des Eiweissbedarfs 
vom MineralstoffWechsel. 

(Bemerkung zu der Mitteilung von Hofrat Dr. C. Röse und 
Ragnar Berg in Nr. 37 dieser Wochenschrift .) 

Von W. H. Jansen in München. 

Die von beiden Autoren in ihrer zusammenfassenden Mitteilung 
über ihre Arbeiten auigestellten Hypothesen von der Abhängigkeit 
des Eiweissbedarfes vom Säure- und Basengehalt der Nahrung 
stehn in einem gewissen Gegensatz zu unseren bisherigen Anschau¬ 
ungen in der Ernährungsphysiologie und zu unserem Begriff über 
Azidose sowie der Entstehung der mit ihr einhergehenden Krankheits- 
formen. Sie beanspruchen auch praktisches Interesse bei den jetzt 
so wichtigen Fragen der Volksernährung. Daher erscheint eine 
Stellungnahme zu ihnen angezeigt. 

Die Verfasser behaupten auf Grund ihrer Arbeiten, dass bei 
genügendem Basenüberschuss in der Nahrung der Eiweissbedarf des 
Organismus minimal ist, und bei säurereicher Ernährung grösser wird. 
Daraufhin muss gefordert werden, dass eine Zulage organi¬ 
scher Säure zu einer Kost mit Basen Überschuss 
den Ei weissbedarf steigert. Ein derartiger entscheidender 
Versuch wird von ihnen nicht mitgeteilt. Ich habe ihn an zwei Per¬ 
sonen unter strengster Beachtung der Forderungen der beiden 
Autoren die Versuchsanordnung betreffend ausgeführt und teile das 
Ergebnis hier kurz mit. Die Arbeit erscheint im Deutschen Archiv 
für klinische Medizin. 

Nachdem in sechswöchiger basenreicher Vorperiode bei alka¬ 
lischem Harn Stickstoffgleichgewicht auf niederstem Eiweissstand 
(N im Harn = 3,8 pro Tag) erreicht war, wurde ein Gemisch freier 
anorganischer Säuren zugelegt. In diesen 14 Tagen wurde der Harn 
bei vollem Wohlbefinden beider Versuchspersonen stark sauer. Der 
Eiweissumsatz stieg nicht an. An zwei anderen Ver¬ 
suchspersonen wurde bei Verabreichung säurereicher Kost 
(7 Tage Hafermehl) an Stelle einer basenreichen 
Nahrung (8 Tage Kartoffel) gleichfalls keine Steige¬ 
rung des Ei weissumsatzes erzielt. 

Somit dürften die Anschauungen der Autoren 
über den Eiweissumsatz nicht haltbar sein. 


Bücheranzeigen und Referate. 

v. Ertl: Die Chirurgie der Gesichts- und Kieferdefekte. Urban 
& Schwarzenberg, Berlin und Wien, 1918. Preis 24 M. 

Dieses Buch -ist ein Erzeugnis des grossen Krieges. Indem E. 
mit gieichstrebcnden ungarischen Fachärzten Zusammenwirken 
konnte, gelangte er schön Ende 1914 zu Verfahren, welche die vdlle 
Heilung auch schwerster Kieferdefekte in befriedigender Wedse er¬ 
möglichte. Zunächst wird die konservative Behandlung wie überall 
durch-geführt, jedoch wird höchstens 8 Wochen auf die Heilung des 
Kieferbruches gewartet; diese Zeit reicht aus zum Eintritt knöcherner 
Konsolidation oder es entsteht eine Pseudarthrose, welche bei 
längerem Zuwarten nur schlimmer wird. In dem ungarischen Fach¬ 
spital wird bei Pseudarthrose längstens in der 8. Woche die osteo- 
periostale Plastik vorgenommen; dadurch die Heilung besohlennigt. 
Ist eine Transplantation nötig, so wird ein entsprechendes Tibia¬ 
stück bevorzugt, weiches «in die nötige Form gebogen wird; damit 
ist man „imstande, alle scharfen und stumpfen Winkel des Unter¬ 
kiefers wiederzugeben“. Bei der Darstellung der Entwicklung der 
Lehre und Praxis der Knochentransplantation im allgemeinen wird 
E. den grundlegenden Arbeiten Ax hause ns gerecht. In dem 
III. Teil seines Buches bringt E. eigene „Beiträge zur Biologie der 
Transplantation“, welche sich an Axhausens Arbeiten an- 
sc Mi esse n. 

Das von E. ausgebildete Operatiomsverfahren wird für ver¬ 
schiedene Aufgaben eingehend geschildert und durch Zeichnungen 
erläutert. Die Kasuistik bildet den Schluss des Buches. Ein An¬ 
hang „über zahnärztliche Schienensysteme“ folgt aus der Feder von 
Dr. Gadany. Die Ausstattung des Buches ist sehr gut; 101 Text¬ 
abbildungen und 35 Tafeln dienen der Darstellung wichtiger Einzel¬ 
heiten. Dr. H e 11 e r i c h. 

Grundriss der Sektionstechnik von Prof. Dr. Edgar v. GI e r k e. 
Mit 10 Abbildungen. 3. vermehrte und verbesserte Auflage. Frei¬ 
burg i/B. und Leipzig. Speyer & Kaerner, Universitätsbuch¬ 
handlung. 1918. 80 S. Preis 2.80 M. 

Der kleine Grundriss wird gewiss auch in seiner etwas er¬ 
weiterten Form die gleiche freundliche Aufnahme finden wie früher; 
neben der Hauptdarstellung der V i r c h o w sehen Sektionsmethode 
haben jetzt auch die Methoden von Rokitansky-Chiari und die 
von Hauser modifizierte Zenker sehe Sektionstechnik in kurzer 
Fassung Ausnahme gefunden. 

Ref. möchte bei der nächsten Auflage neben dem Nachweis eines 
Pneumothorax (S. 34) auch die von Richter angegebene und in 

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ihrer Wichtigkeit mehrfach betonte technische Methode des Nach¬ 
weises einer Luftembolie aufgenommen haben. 

H. Merkel- München. 

Neueste Journafllterator. 

Zeutralblatt für Chirurgie. Nr. 36, 1918. 

H. Dreesmann-Köln: Gastrostomie bei Ulcus veotricnU. 

Wenn das Ulcus im kardialen Teil des Magens seinen Sitz hat 
und seine Resektion nicht möglich ist, kann auch lediglich eintnal 
nur die Gastrostomie in Betracht kommen. Ein von Verf. so operierter 
Fall hat sich durch die einfache Gastrostomie völlig erholt und 
ist nach 18 Monaten ganz beschwerdefrei. 

H. Dreesmann -Köln: Operation der Hernla Ingulnalls. 

Verf. operiert im 1. Teil ebenso wie Hackenbruch, indem 
er bei Bildung der hinteren Kanalwand die Faszie des M. obliq. ext. 
mitfasst; im 2. Teil verlegt er den Leistenkanal völlig lateral, indem 
er den unteren Faszienlappen unter dem Samenstrang durchzieht 
und dann auf der Faszie des M. obliq. ext befestigt. Dadurch wird 
die tiefe Naht völlig verdeckt und gesichert; der Leistenkanal ver¬ 
läuft jetzt von unten innen nach oben aussen und ist gegen Rezidive 
geschützt weil er beim Husten und Pressen selbst komprimiert wird. 
Seit 7 Jahren erzielt Verf. mit dieser Methode sehr gute Erfolge. 
(Auf Arbeit in Nr. 40, 1917 nimmt Verf. Bezug.) , 

Otto Ans i n n- Brüssel: Zur Behandlung der Oberschenke!- 
sefaussfrakturen in den Streckverbandapparaten mit passiven Gelenk¬ 
bewegungen. 

Nach den Erfahrungen des Verfassers leisten die Apparate mit 
passiven Bewegungen bei Oberschenkelbrüchen sehr viel und ge¬ 
statten, dass der Patient selbst seine Bewegungen sehr viel freier 
ausführt sobald die Schmerzen dabei aufhören. Um die Bewegungen 
möglichst ausgiebig zu machen, braucht man nur die zwei eisernen 
Stützen am Oberschenkelrahmen aus ihren Führungen heraus- 
zuzieiien, nach hinten zum Patienten zu schlagen und durch einfachen 
Quergriff zu verbinden. Hier greift der Patient an, zieht den ganzen 
Rahmen an sich und bewegt dabei ausgiebig Hüft- und Kniegelenk. 
Mit 3 Abbildungen. E. Heim, zurzeit im Felde. 

Zentralblatt für Herz-, und Gefässkrankheiteu. 1918. Nr. 13 
und 14. 

W. Frey -Kiel: Der innere Mechanismus der verschiedenen 
Formen von extirasystolisdher Arrhythmie. 

Verf. unterscheidet gekuppelte Extrasystolen, periodisch wieder¬ 
kehrende Extrasystolen und vereinzelte ohne systematische Grup¬ 
pierung. 

Die erstere Gruppe ist dadurch charakterisiert, dass die Extra¬ 
kontraktion sich stets in demselben zeitlichen Abstand von der Haupt¬ 
kontraktion wieder einstellt, auch dann, wenn das Tempo des 
führenden Zentrums sich ändert. Der nomotope Reiz oder die Haupt¬ 
kontraktion ist die Ursache für alle nachfolgenden heterotopen Er¬ 
regungen. Bei pathologisch erhöhter Reizbildung 4m heterotopen 
Bezirk kommt es zur Extrasystole; je stärker die heterotope Reiz¬ 
bildung, «desto zahlreicher die gekuppelten Extrasystolen, das Extrem 
ist der Zustand des FMmmerns. Bei periodisch wiederkehrender 
Extrasystole handelt es sich um Interferenz zweier Rhythmen, sobald 
das Intervall zwischen den einzelnen Extrasystolen annähernd kon¬ 
stant gefunden wird. Vereinzelte Extrasystolen sind in der Mehr¬ 
zahl der Fälle gekuppelte Extrasystolen, indem auch hier das Inter¬ 
vall zwischen Normalschlag und Extrakontraktion annähernd kon¬ 
stant gefunden wird. Alle diese Formen von Extrasystole verdanken 
ihre Entstehung einer erhöhten heterotopen Reizbildung. In einem 
und demselben Fall können die drei Formen von Extrasystole neben 
einander gefunden werden. Grassmann -München. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 37, 1918. 

C. Hart: Konstitution und Disposition. 

Die Erörterungen des Aufsatzes gipfeln darin, dass man es bei 
dem Begriffe „Konstitution“ mit vererbter Anlage, mit der ursprüng¬ 
lichen Beschaffenheit des Individuums zu tun hat, gegenüber der 
während des ganzen Lebens ständig wechselnden und zunehmenden 
Veränderung und Umstimmung, welche in der „Disposition“ zu¬ 
sammengefasst wird. 

L. Bürger - Berlin: Leber Botulismus. (Vortrag in der Sitzung 
der Berl. med. Gesellschaft am 26. Juni 1918.) 

E. Schlesinger- Berlin: Beobachtung eines schweren Kolo- 
Spasmus und elne6 Vorstadtums fm Röntgenbild während einer 
enteralen tabtschen Krise. 

Vgl. Bericht der M.m.W. über dAe Sitzung der BerL med. Gesell¬ 
schaft vom 6. März 1918 d. W. Nr. 12 S. 332. 

Piorkowski -Berlin: „Tetosot 44 (ein wasserlösliches Kresol- 
präparat). 

Mitteilung der Versuche, welche den Nachweis einer beachtens¬ 
werten Desdnfektionskraft des genannten Mittels liefern. 

J. M. West-Berlin: Weitere Bemerkungen za Dr. Halles 
Aufsatz in Nr. 11 dieser Wochenschrift etc. und 

Dr. Halle: Letztes Wort zu Wests: Wehere Bemerkungen 
usw. Grassmann - München. 

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1. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1113 


Deutsche medizinische Wochenschrift 1918. Nr. 37. 

Wilhelm S t e p p - Giessen: Ueber hämorrhagische Diathesen. 

Die Hämophilie ist eine hereditäre Krankheit. Skorbut beruht 
auf einseitiger Ernährung. Purpura entsteht auf dem Boden einer 
(nicht einheitlichen) Infektionskrankheit. Vielleicht spielt auch die 
Ernährung eine Rolle dabei. Die Gerinnungszeit des Blutes ist ver¬ 
längert. Die Behandlung besteht im Darreiclien von Kalk, das aber 
nicht einen augenblicklichen Erfolg erzielt, in Koagulen (lokal oder 
auch injiziert) und Clanden (lokal angewandt). Subkutan kann man 
auch frisches Serum anwenden. Der Einfluss der Gelatine macht 
sich erst nach einigen Stunden bemerkbar. Schliesslich kommen 
noch in Frage Suprarenin und Hydrastininpräparate. — Die Blutplätt¬ 
chen fehlen in Fällen von hämorrhagischer Diathese oft ganz, sind 
allerdings bei Hämophilie meist vermehrt. 

C o 1 m e r s - Coburg: Die Behandlung der akut bedrohlichen 
chirurgischen Erkrankungen des Brustkorbs. (Schluss.) 

Zu kurzem Referat nicht geeignet. 

E. N e u f e 1 d - Berlin: Fawestol — Betalysol — Kresotlnkresol. 

Bemerkungen gegen D i 11 h o r n und B o r i n s k i. Fawestol 
ist weniger wirksam als Betalysol, Lysol etc., die denselben Kresol- 
gehalt haben. Betalysol wirkt nicht stärker als Lysol. Die neu¬ 
trale Reaktion des Fawestols ist nicht von Bedeutung. 

H. Fühner und W. Straub- Königsberg Ostpr. und Frei¬ 
burg i. Br.: Sollen ln das neue Arzneibuch pharmakologische Wert- 
messungen der Arzneimittel Aufnahme finden? 

Diese Frage ist zu bejahen, da die Methodik meist sehr einfach 
ist. Es folgt dann Nennung der Drogen, für die diese pharmako¬ 
logische Prüfung in Frage kommt. 

M. R a e t h e r - Bonn: Ein Beitrag zur okulären Hysterie und 
Ihrer Therapie. 

Lokalisierung der Hysterie am Auge ist sehr selten. R. fand 
bei einem Material von 1000 Fällen nur 8 hierhergehörige. Die 
Seltenheit beruht garauf, dass die „Organbegründetheit“ (Kehrer) 
beim Auge weniger in Frage kommt als an anderen Organen. Vier 
Fälle werden ausführlich mitgeteilt. 

W. S e i t z - Aachen: Ueber die verschiedenen Methoden der 
röntgenographischen Ortsbestimmung von Fremdkörpern. 

Die beste Methode ist die stereoplanigraphische Ausmessung 
nach Hasselwander. Die teure Apparatur kann billiger dar¬ 
gestellt werden Angabe, wie dies auszuführen ist. 

G. Mönch- Tübingen: Ein Sarkom des Ligamentum rotundum. 
Klinischer Untersuchungsbefund und makroskopische und mikro¬ 
skopische Beschreibung des Tumors. 

Richard Cords-Bonn: Angeborene Aplasie der äusseren 
Augenmuskeln. 

Mitteilung eines Falles, bei dem es sich wohl um eine Muskel¬ 
aplasie handelt. Differentialdiagnostisch kommt ferner in Frage eine 
Kernaplasie und eine Nervenlähmung. 

M. Wassermann: Ueber Trommelf ellzerreissungen und 
neue Gesichtspunkte ihrer Behandlung. 

Es handelt sich meist um die Folge einer indirekten Gewalt¬ 
einwirkung. Angabe der Symptome und Komplikationen. Die 
Therapie muss sehen zu erreichen, dass es nicht zu einer trockenen 
Verschorfung kommt, sondern zur Verklebung der Ränder. Beschrei¬ 
bung einer Methode, die in 90 Proz. zur Heilung führte. 

Otto Gehrmann: Zur Klärung der Frage nach der Rubr- 
erregerschaft eines dysenterieähnlichen Bakteriums. 

In einigen Fällen von Ruhr konnten neben typischen Ruhr¬ 
bazillen auch Dysenteriebazillen gefunden werden. Die ätiologische 
Bedeutung derselben ist noch nicht sicher anzugeben. 

Co 11 a-Bethel: Eine eigentümliche Krarapusneurose. 

Beschreibung eines Falles von tonischem Krampf in zahlreichen 
Muskelgebieten und Sprachbehinderung. 

R. Marquardt -Berlin: Ormizet in der Therapie der Erkran¬ 
kungen der Harnblase. 

Eigenkrankengeschichte, aus der hervorgeht, dass Ormizet 
sehr wirksam bei Blasenkatarrh Ist. 

Josef Seilei-Pest: Terpentinölinjektionen bei einigen Haut¬ 
krankheiten. 

Terpentinölinjektionen haben oft guten Erfolg, besonders bei 
Pruritus. Eitle unangenehme Nebenwirkung ist das auftretende 
Fieber. 

A. G o 11 s t e i n - Charlottenburg: Der Entwurf eines preussi- 
schen Jugendfürsorgegesetzes. 

Hanssen-Kiel: Geschichte der „Spanischen Krankheit* 4 ln 
Schleswig-Holstein. Boehnheim - Rostock. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift 

Nr. 33. Hans v. Haberer -Innsbruck: Zur Frage der Opera¬ 
tion während akuter Blutungen aus Magen- und Duodenalgeschwüren. 

Allgemein gültige Regeln für die Indikationsstellung zum opera¬ 
tiven Eingriff während akuter Ulcusblutungen lassen sich heute noch 
nicht aufstellen. Bei sicherstehender Diagnose und frischer Blu¬ 
tung kann man, so lange der Kranke noch nicht allzu anämisch ge¬ 
worden ist, operieren und durch Entfernung des blutenden Ulcus die 
Heilung beschleunigen. Einen sicheren Erfolg verspricht allein die 

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Resektion des blutenden Ulcus. Bei allen Fällen, die nicht ganz 
klar liegen und schon schwer ausgeblutete Patienten betreffen, gibt 
es nur eine sog. individuelle Indikation. 

Aladär Henszelman -Pest: Die Röntgendiagnostik der Milz. 

Der Verf. bläst in den Dickdarm Luft ein, füllt die linke Flexur 
mit Luft und stellt auf diese Weise den Milzschatten dar. Es er¬ 
scheint der Pol und gewöhnlich auch die ganze mediale Kante. 
Mit diesem sehr einfachen Verfahren erhält man das Röntgenbild der 
Milz in jedem Falle. Zur Feststellung einer nur geringen Grössen¬ 
zunahme des Organs, ausserdem bei gleichzeitiger Anwesenheit von 
Aszites, Meteorismus oder Bauchdeckenspannung hat dieses Ver¬ 
fahren einen besonderen Wert. 

Adolf Edelmann -Wien: Zur klinischen Symptomatologie der 
lobären Influenzapneumonie. 

Als echte Influenza sind nur die Erkrankungen, welche durch den 
Pfeifferschen Influenzabazillus hervorgerufen werden, zu be¬ 
zeichnen. 2 Symptome, relative Bradykardie und vor allem relative 
Bradypnoe. herrschen bei der echten lobären Influenzapneumonie 
des mittleren Lebensalters vor, sind aber auch bei älteren Individuen 
nicht selten zu beobachten. Sie verleihen dieser Erkrankung ein 
eigenartiges Gepräge, so dass sie leicht klinisch zu erkennen und 
von anderen Pneumonien zu unterscheiden ist. Durch ihren gut¬ 
artigen Verlauf, sowie durch meistens freies Sensorium nimmt sie 
eine besondere Stellung ein. Charakteristisch ist ferner das protra¬ 
hierte Bestehen des physikalischen Lungenbefundes nach dem Tem¬ 
peraturabfall, das Influenzasputum und schliesslich die Druckschmerz¬ 
haftigkeit der Nervenstämme, besonders der Austrittsstellen des 
Nervus trigeminus. 

Emil Löwi-Wien: Ueber ein Verfahren zur Beurteilung von 
Veränderungen der Farbe und Durchsichtigkeit bei Bakterienkulturen 
und chemischen Reaktionen. 

Die beschriebene Methode ermöglicht auch bei künstlicher Be¬ 
leuchtung die sichere Erkennung ganz vereinzelter blauer Kolonien 
innerhalb zahlreicher roter und erleichtert ihre vollständig isolierte 
Abimpfung. Sie zeigt auch manchmal bei einheitlich aussehenden, 
aber zweifelhaft gefärbten Kolonien, dass sie aus 2 Bestandteilen 
zusammengesetzt sind und lässt für die Zukunft die Verwertung man¬ 
cher bisher übersehener Eigenschaften als diagnostische Merkmale 
hoffen. 

Julius H e u f e 1 d - Wien: Zur Frage der Reinfektion bei Syphilis. 

Bemerkungen des Verf. zu dem gleichnamigen Artikel von P ä r - 
t o s in Nr. 32 der W.kl.W. 1918. 

Arpäd Pärtos-Nyitramolnos: Zur Frage der Reinfektion bei 
Syphilis. 

Entgegnung P ä r t o s’ zur Bemerkung H c u f e 1 d s. 

Nr. 34. L. M ü 11 e r - Wien: A. Prophylaktische Mllchln]ektlonen 
bei Augenoperationen. B. Heilung der Augenblennorrhöe durch Milcb- 
injekt Ionen. 

Die Injektionen mit Virusvakzine bieten keinerlei Vorteile gegen¬ 
über den Milchinjektionen, wohl aber Nachteile. Die Milchinjektionen 
hingegen, von denen Verf. weit über 1000 gemacht hat, sind voll¬ 
ständig ungefährlich, erzeugten nie Anaphylaxie und können jeder¬ 
zeit überall von jedermann vorgenommen werden. Die Erfolge waren 
immer ausgezeichnet. Ganz überragend Ist die Wirkung auf den 
beginnenden Hornhautprozess, der in ungeahnter Plötzlichkeit stehen 
bleibt. Keine Immunität schaffen die Milchinjektionen gegen die 
Schleimhauterkrankung, nur in wenigen Fällen verschwindet diese 
abortiv, wohl aber nimmt sie fast immer einen kürzeren und mil¬ 
deren Verlauf. 

Robert Hift: Beobachtungen über Skorbut und Hemeralopie. 

Der Verf. konnte die Hemeralopie der Kriegsgefangenen, ob sic 
nun 3 Tage, Wochen oder Monate bestand, bei sonst unverändert 
bleibenden Lebensbedingungen durch die Verabfolgung von Leber 
oder Lebertran in kürzester Zeit heilen. Er empfiehlt aus diagnosti¬ 
schen und therapeutischen Gründen in jedem Falle von Nachtblind¬ 
heit, der keinen einwandfreien Netzhautbefund, periphere Hornhaut¬ 
trübungen oder sonstigen unzweideutigen anatomischen Fehler hat. 
zunächst die Leberbehandlung zu versuchen und erst nach Versage;’ 
derselben die Neueinordnung des Falles vorzunehmen. 

Nikolaus Blatt: Okulare Störungen bei Skorbut. 

Verf. bemerkte, dass mit der Stärke der Anämie auch db; 
Hemeralopie gleichmässig zunahm. Als Erklärung hiefür kann an¬ 
genommen werden, dass der Blutverlust des Organismus auf di ■ 
Lichtadaptionsfähigkeit der Retina gewirkt und dieselbe herab¬ 
gesetzt hat. 

Paul Klemperer: DiphtherlHsche Entzündung der Luftwege, 
hervorgenifen durch Influenzabazillen. Kasuistischer Beitrag. 

Wotzilka: Ueber primäre Diphtherie des äusseren Gehör¬ 
ganges. 

Bemerkungen zu dem Aufsatz von Reg.-Arzt Dr. T. Szäsz. 

B. Lipschütz: Die Entstehung des Fleckfleberexanthems. 

Antwort auf die Bemerkungen W e i 1 s zu seiner Arbeit in 
Nr. 18 der W.kl.W. 1918. 

Eugen Marcovici -Bäd Bartfeld: Das weisse BlutbOd bei 
Mumps. 

Bemerkung zu Lehndorffs gleichnamiger Publikation. 

G. Mansfeld: Ueber Emulsionstherapie. 

Nachtrag zu seiner Mitteilung in Nr. 28 der W.kl.W. 1918. 

Original frarn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1114 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 40. 


Nr. 35. Edmund M a I i w a - Trient: Ueber die so*. Oedem- 
krankheit (Entkrältungskrankbelt). 

Ein prinzipieller Unterschied des anscheinend essentiell auftre¬ 
tenden Krankheitsbildes mit den Oedemen nach erschöpfenden Krank¬ 
heiten. wie wir sie bei chronischer Dysenterie, nach Rekurrens, auch 
bei Karzinomen sehen, kann nicht angenommen werden. Sämtliche 
Symptome lassen sich von einem gemeinsamen Gesichtspunkt aus be¬ 
trachten: Die Erschöpfung jeder einzelnen Organfunktion. Thera¬ 
peutisch ist eine Besserung der Energiebilanz zu erstreben. Das 
Verschwinden der Oedeme darf nicht als Massstab für die Genesung 
verwendet werden. 

D. Pupovac - Wien: Zur Technik der Darmresektion. 

Die vom Verf. angegebene Methode der Invagination stimmt 
im Grundgedanken mit v. Winiwarters Methode überein, nur 
wird sie den Anforderungen der Aseptik mehr gerecht und vermeidet 
die Ligatur der Stümpfe. 

M. W. H e r m a n: Wie soll man die „blutende Mamma 4 * be¬ 
handeln? 

Die blutende Brustdrüse ist zu exstirpieren, auch wenn wir in 
derselben keine anderen Veränderungen finden, um so mehr aber bei 
Vorhandensein von diffusen Veränderungen und bei einer Frau im 
krebsgefährlichen Alter. Im besten Falle ist die Blutung ein Zeichen 
des entstehenden (intraazinösen) Adenoms, von welchem bekannt 
ist, dass es sehr oft in Krebs entartet. 

Karl Flechtenmacher jun.-Innsbruck: Foudroyanter Gas¬ 
brand nach Hernlotomie* 

Eine 52 jährige Frau, die durch jahrelanges Tragen eines 
Braun sehen Ringes wegen Uterusprolaps an Dekubitalgeschwüren 
litt, erkrankte an Inkarzeration einer linksseitigen Kruralhernie. Diese 
wird in Braun scher Lokalanästhesie durch Radikaloperation be¬ 
seitigt. Die Operation spielt sich durchaus einwandfrei ab. 26 Stun¬ 
den nach dem Eingriff erliegt die Frau einem foudroyanten, von der 
linken unteren Extremität ausgehenden Gasbrand. Die bakterio¬ 
logische Untersuchung ergibt in den Dekubitalgeschwüren die glei¬ 
chen anaeroben Stäbchen wie im gasbranderkrankten Bein. Verf. 
zieht aus diesem tragischen Fall Schlussfolgerungen. 

S. Wassermann: Ueber eine mit Schwellung und Rötung 
der Beine verbundene Knocbenscbmerzhaftlgkeit bei Kriegern. Zu¬ 
gleich ein Beitrag zur Frage der „Ostitis“ (K r a u s - Z i t r o n). 

Die von verschiedenen Beobachtern mitgeteilten Fälle von 
Ostitis bzw'. Osteoperiostitis bei Kriegern konnten zum grössten Teil 
als von Ernährungsschäden (Barlow, Skorbut) herrührend bezeichnet 
werden. In einem geringen Teil der Fälle wäre vielleicht die An¬ 
nahme einer primären, „rheumatischen“ Aetiologie in Anlehnung an 
die „rheumatisch-hämorrhagischen“ Erkrankungen erwägenswert. 

Oskar Orth-Forbach i. Lothr.: Der quere Luftröhrenscbnltt. 

Bemerkungen zu dem Artikel H i n t e r s t o i s s e r s in Nr. 40 
d. W.kl.W. 1917. 

Max Jerusalem: Ueber Verbandstoffsparung. 

Bemerkungen zu dem gleichnamigen Artikel von Exncr, 
Ranzi und Weibel in der W.kl.W. Zeller- München. 


InauguraldissertationeB. 

Universität Greifswald. Mai—August 1918. 

ü euch Margarete: Ueber das Vorkommen und die Bedeutung 
doppelbrechender Substanzen im Harn. 

Stoewer Walter: Ein neuer Fall von postoperativer Darmver¬ 
schlingung nach Gastroenterostomie. 

Gössel Karl Ludwig: Die Behandlung der puerperalen Thrombo¬ 
phlebitis. 

Kühl Georg: Ueber Fremdkörper im Magen-Darmkanal. 

Köckritz Hermann Albrecht: Ueber einen Fall von Arthropathia 
tabidarum. 

Wiener Kurt: Ueber den Einfluss von Nerium Oleander auf das 
Grün- und Rotsehen. Ein Beitrag zu Arndts biologischem 
Grundgesetz. 

Braunert Fritz: Ueber Krampfanfälle bei Dementia praecox. 

Fe ebner Georg: Ueber Blindsackbildungen im Magen. 

Claus Theodor: Drei Fälle von Zwerchfellhernien aus dem Pathol. 
Institut des Stadtkrankenhauses Johannstadt-Dresden. 

Z i e 1 e z i n s k 1 Ludwig: Ueber Gehirnmetastasen. 

Universität Rostock. Januar—August 1918. 

G. Birnbaum: Erfahrungen über Opsonine. 

Egbert Caesar: Ueber die Wirkungen der Chlorate aui das Blut 
des Menschen und einiger Tierarten. 

Gerrit ten Doornkaat Koolmann: Typhus im Grnssherzog- 
tum Mecklenburg-Schwerin in den Jahren 1904—1913 mit beson¬ 
derer Berücksichtigung des Kindesalters. 

Paul Lindner: Beitrag zur Kasuistik über die akute eitrige Osteo¬ 
myelitis der Patella. 

Hans Pannwitz: Die Ansiedelung von Kriegsbeschädgiten vom 
Standpunkte der Sozialhygiene. 

Otto Putensen: Trypsin- und Diastasenverteilung im mensch¬ 
lichen Magen. 


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Go. 'gle 


Vereins- und Kongressberichte. 

Kongress für Kriegsbeschädigtenfürsorge 

in Wien vom 16.—19. September 1918. 

Bericht von Dr. G. H o h m a n n - München. 

Der gemeinsam von der Deutschen Vereinigung für Krüppel- 
fiirsorge, der Deutschen orthopädischen Gesellschaft und dem k. u. k. 
Verein „Die Technik für die Kriegsinvaliden“ (Prüfstelle für Ersatz¬ 
glieder Wien) veranstaltete Kongress wurde im Parlament in An¬ 
wesenheit des Ministerpräsidenten, Kriegsministers und sämtlicher 
militärischer und bürgerlicher Behörden eröffnet. Nach Begrüssungs- 
ansprachen von Prof. Spitzy-Wlen, Geheimrat Di et rieh- 
Berlin, Prof. Lud 1 off - Frankfurt und Exz. Exner - Wien für die 
veranstaltenden Vereinigungen und nach Begrüssungsworten der Mi¬ 
nister, sowie des Generalarztes Schultzen -Berlin hielt Prof. 
L a n g e - München einen Vortrag über Kriegsorthopädie und Frie¬ 
denskrüppelfürsorge. Die Friedensarbeit hat die Orthopäden zur 
Behandlung der verwandten Gebrechen der Kriegsbeschädigten be¬ 
fähigt (Infraktionen, Knochennähte. Kontrakturen, Ankylosen, Sehnen¬ 
plastik usw.). Während 1870 und im Balkankrieg noch keine An¬ 
deutung von Kriegsorthopädie war, wäre heute ein Fehlen der 
Orthopädie undenkbar. Da die Fachärzte weder im Krieg noch Im 
Frieden ausreichen, ist die Unterstützung der praktischen Aerzte not¬ 
wendig. Deshalb Ausbildung der Studierenden in Orthopädie. Vor 
50 Jahren war die Augenheilkunde in der gleichen Lage, wie heute 
die Orthopädie, sie errang sich in harten Kämpfen ihre Selbständig¬ 
keit von der Chirurgie. Von 1870 bis 1900 ging dann die Zahl der 
Erblindungen rapid herunter, in Bayern um 33 Proz. In Amerika, 
wo Orthopädie seit Jahrzehnten gelehrt wird, hat das Mutterfach der 
Chirurgie nicht darunter gelitten. An 21 deutschen Universitäten 
bestehen nur 7 Lehraufträge. Es fehlt die gesetzmässige Einfügung 
der Orthopädie in den Unterricht mit Zwangskolleg und Prüfung. 
Zurzeit ist bei der Rechtlosigkeit der Orthopädie keine Gewähr dafür 
vorhanden, dass freiwerdende orthopädische Lehrstühle mit voll¬ 
wertigen Vertretern besetzt werden. Es wäre gut, wenn die Ortho¬ 
pädie überall dieselbe grosszügige Behandlung und die tatkräftige 
Unterstützung fände, wie jetzt bei den Medizinalabteilungen der 
Kriegsministerien und den Sanitätsämtern. 

Den Krüppelfürsorgekongress beschäftigte hauptsächlich die so¬ 
ziale Zukunft der Kriegsinvaliden. Die Aussprache wurde beherrscht 
durch den Vortrag des Oberingenieurs Dr. Be c k m a n n - Berlin, 
dessen verdienstliche praktische Arbeiten zur Zurückführung Schwer¬ 
beschädigter in die Industrie bekannt sind. Eine Rundfrage bei über 
40 Grossbetrieben ergab, dass auf 320 000 gesunde Arbeiter nur 
660 Schwerbeschädigte, d. h. auf 480 einer in Arbeit gestellt waren. 
Auf ganz Deutschland würden bei einer Schätzung von 160000 
Schwerbeschädigten, berechnet auf 8 000 000 gewerbliche Arbeiter, 
auf 180 Gesunde ein Schwerbeschädigter kommen. Ohne einen ge¬ 
wissen Zwang ist das Ziel nicht *zu erreichen. Zu erwähnen sind 
noch die Ausführungen von Sc h a n z - Dresden und Kaup-Wlen, 
der auf die Kriegsbeschädigungen der inneren Organe hinwies. Po- 
korny -Wien sprach über die Versorgung der landwirtschaftlichen 
Invaliden mit einfachen Behelfen und S pi sic-Agram betonte, 
dass der Landwirt eine dauerhafte und einfache Prothese benötige. 

Mit der Kinderkrüppelfürsorge beschäftigten sich Domkapitular 
Buchb er ge r-München und Dr. W i d o w i t z-Wien, der die 
Ergebnisse einer Krüppelzählung in den Wiener Schulen mitteilte 
(5000 verkrüppelte Schulkinder). 

Der Orthopädenkongress hatte in die Mitte seiner Verhandlungen 
die Kunstgliederfrage in Zusammenhang mit der Stumpf- 
behandlung gestellt und zur Vorbereitung und Vertiefung der 
Aussprache die Referate schon vorher den Teilnehmern im Druck 
zugehen lassen, so dass die Referenten nur mit kurzer Zusammen¬ 
fassung ihrer Ergebnisse auf dem Kongress selbst zu Worte kamen. 

Es sprachen Schanz-Dresden über die Wertigkeit der 
Amputationsstümpfe. Betrachtung des Wertes der ver¬ 
schiedenen Arten von Stümpfen und ihrer Beziehung zur Prothese. 

G o c h t - Berlin spricht über den Begriff der Tragfähigkeit 
d e r S t ii m p f e. Ein Stumpf ist nur dann voll tragfähig, wenn seine 
Sohlenfläche imstande ist, das Gewicht des Körpers beim Stehen 
und Gehen auf die Dauer zu tragen, ohne dass höher gelegene 
Knochenflächen zum Mittragen herangezogen werden. Dieser De¬ 
finition stimmten in einer Rundfrage drei Viertel der Antworten zu. 
Schlägt vor, zu unterscheiden zwischen Tragfähigkeit, Belastungs¬ 
fähigkeit und Belastungsunfähigkeit. Diaphyscnstümpfc wurden von 
der Mehrheit der Antwortenden nicht als tragsähig angesehen. 

In der Aussprache betont Böhler- Bozen die funktionelle Be¬ 
handlung der Amputationsstümpfe zur Verhütung der Kontrakturen, 
vor allem bei Chopart und Lisfranc und spricht allgemein über Ver¬ 
hütung der Kontrakturen durch Ausbildung der Aerzte In Schul¬ 
spitälern. v. E i se ls b e r g-Wien spricht sich für die Amputation 
gegen zu lange konservative Behandlung aus, wenn die schwer ver¬ 
krüppelte Extremität sich nicht bessert. Gegenüber Schanz, der 
die Enukleation im Hüftgelenk der hoben Amputation vorzieht, betont 
er den Wert des Muskelpolsters. Verhütung der Stumpfkontrakturen 
durch Vermeidung der Lagerung in Beugestellung beim Oberschenkel 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA j, 


1. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1115 


r * •• 


und beim Oberarm in Adduktionsstellung. Hebt anerkennend die 
glänzenden Resultate Böhlers hervor. S e i d 1 e r - Wien: Der 
leistungsfähigste Oberarmstumpf ist der im Ellenbogen enukleierte, 
der die Verdrehung der Prothese verhütet. Beim Arbeiter 
ist ein langer Unterarmstumpf günstiger als beim Intellek¬ 
tuellen, der wegen der Art der Prothese durch die Länge 
etwas gehindert wird R a n z i - Wien berichtet über die 
Erfahrungen der Eiseisberg sehen Klinik. V u 1 p i u s - Heidel¬ 
berg hat in einem Frakturenlazarett der Westfront ähnlich gute Er¬ 
fahrungen wie Böhler gemacht. S p i t z y - Wien: Der Amputierte 
soll den Stumpf nicht unter Hemd und Rock tragen wegen Adduk¬ 
tionskontraktur. Möhring-Kassel: Zur Verhütung des Stumpf- 
eiends empfiehlt sich frühzeitige Zusammenlegung der gleichgearteten 
Fälle. 

Von Blencke-Magdeburg lag ein Referat über Stumpf ver¬ 
besserungen vor, das die gymnastische und operative, sowie 
die Schienenbehandlung der schlechten Stümpfe ausführlich darstellt. 
Pochhammer-Berlin: Reamputationen sind so viel wie möglich 
zu vermeiden. Hohmann -München: Die Kronensequester sind 
die Folge rücksichtsloser Entfernung von Periost und Mark bei der 
Absetzung. Hat wenig gute osteoplastische Stümpfe gesehen, sowohl 
Gritti wie Pirogoff Bei Reamputation empfiehlt sich die von Pürk- 
h au e r - München mit gutem Erfolge angewendete Deckung des 
Diaphysenstumpfes mit Bier sehen Periostknochemappen. Unter- 
schenkel-Kurzstumpfkontrakturen sind oft durch Verwachsung des 
Peroneus mit Fibula bedingt. Spitz-Klumpfussstellung bei Chopart 
und Lisfranc. Fragt nach Erfahrungen über die Entfernung des Talus 
bei schlechtem Chopart. Erlacher -Wien hat 12mal den Talus 
entfernt. Es darf keine seitliche Beweglichkeit resultieren. Stellt 
gute Fälle vor. Diaphysenstümpfe deckt er nur mit Periost. Nach 
Entfernung des Fibulaköpfchens (22 mal) niemals Eiterung des Knie¬ 
gelenkes. Muskat-Berlin: Durch Wickelung des Pektoralis Besse¬ 
rung der Adduktionskontraktur. K o e 11 i k e r - Leipzig zeigt ein¬ 
faches Verfahren bei Reamputation. W i d o w i t z - Wien zeigt einen 
Hautspanner zur Heranziehung von Haut für plastische Deckung 
mit ausgezeichneter Wirkung. B i e s a 1 s k i - Berlin wickelt Stümpfe 
wegen Muskelschädigung nicht mehr. Sah nur schlechte Choparts, 
empfiehlt Arthrodese des oberen und unteren Sprunggelenkes nach 
Tenotomie der Achillessehne. K ö l 1 i k e r - Leipzig empfiehlt bei 
Amputationen im Mittelfuss die Amputatio intertarsea. Schanz- 
Dresden betrachtet Tragfähigkeit vom Standpunkt des Baues der 
Säule aus. Je kleiner der Säulenfuss, desto geringer die Tragfähigkeit. 

S p i t z y - Wien spricht über Hand- und Fingerplasti¬ 
ken. Bei Lähmungen: Nervennaht bzw. Sehnenplastik. Zeigt 
Fingerersatz durch 12. Rippe. Zeigefingerdaumen (2. Metakarpus 
auf Daumenrest). Bei schlechter Stellung des Daumens Osteotomie 
des Metakarpus mit Drehung und Knickung bis zur Gegenüberstellung 
gegen die Hand. Grosse Zähl überzeugender Demonstrationen. 
Hohmann-München empfiehlt bei Verlust sämtlicher Finger die 
Mittelhandgreiffinger nach Klapp, Burkhard, Hohmann. Be¬ 
sonders am ersten Metakarpus aussichtsreich. Die anderen haben 
geringere Selbständigkeit, fiöchstens der fünfte bei Entfernung der 
Metakarpen 2—4 nach 0 u e s s e 1. Der S p i t z y sehe Zeigefinger¬ 
daumen hat sich bewährt. Glässner -Teplitz empfiehlt ebenfalls 
den Metakarpusdaumen und zeigt Prothesen für Daurnenersatz. 
W i 11 e k - Graz empfiehlt bei Ulnariskrallenhand zur Beugung des 
Grundglieds Verlagerung der Strecksehne in den Zwischenknochen¬ 
raum. S c h e r b - Troppau beschreibt zur Analyse der Bewegungen 
am Pendelapparat seinen Meridianapparat. Eden-Jena berichtet 
über Radialisplastik aus der Lex er sehen Klinik. Empfiehlt das 
Verfahren von Perthes. Bei Ulnariskrallenhand Faszienplastik 
von Palmarfaszie nach den Fingern. S t r a ck e r - Wien hat zur 
Vorbereitung von Stumpf Plastiken 10 Tage vorher Milchinjektionen 
gemacht. Wirkung vielleicht durch Lymphozytose. Etwas günsti¬ 
gerer Heilverlauf. Overgaard -Wien spricht über Stumpfkon¬ 
trakturen. An der Schulter Ursache meist im Subskapularis. Du 
Bois-Reymond -Berlin: Ueber die Kraft der Stümpfe. Beob¬ 
achtet Atrophien an verschiedenen Stellen der Stümpfe. 

L a n g e - München schlägt als einheitliche Bezeichnung vor: 
ganz, teilweise oder nicht belastungsfähig. Unterstreicht die Bie- 
s a 1 k i sehe Empfehlung des Müller sehen Massagebuches, erinnert 
an die Deckung schlechter Stümpfe mit dem W a 1 c h e r sehen Haut- 
zylinder. Oberschenkelstumpf-Beugekontraktur entsteht meist durch 
Tensor fasciae. M ö h r i n g - Kassel empfiehlt die Drehmann- 
sche zirkuläre Umschneidung bis auf die Faszie bei Stumpfgeschwür, 
zeigt Daumenersatz von Alsberg (Hebelapparat). Peltesohn- 
Berlin spricht aus den Erfahrungen des Feldchirurgen für Verhütung 
der Kontrakturen. B a d e - Hannover empfiehlt bei Sehnenplastik 
an der radialen Seite kurze, an der ulnaren längere Schnitte, ent¬ 
sprechend der verschiedenen Länge der Sehnen. Nach Nervennaht 
bis 2 Jahre warten mit der Sehnenplastik. Rebentlsch -Offen¬ 
bach betont die Wichtigkeit des Ansatzes der Muskeln am Stumpf¬ 
ende. 

D o 11 i n g e r - Pest spricht über die Stützflächen der 
Ersatzbeine bei den verschiedenen Stümpfen am Ober- und 
Unterschenkel. Die Tragfläche des Stumpfes ist meist zu klein. Die 
Stützflächen müssen gross gewählt werden. Für M o m m s e n 
spricht Bielsalski über die Verschiedenheiten der Oberschenkel- 
stumpfe wegen der verschiedenen Länge der Muskeln. Bei gut- 

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gearbeitetem Reitsitz kann sich der Köcher nicht drehen. Bei ganz 
kurzem Oberschenkelstumpf bis Trochanter minor erzielte er Be¬ 
weglichkeit durch Höhersetzen des Hüftgelenks und Bildung eines 
Dammwulstes. Saxl-Wien betont die bekannte statische Skoliose 
bei Beinverkürzung. K ö 111 k e r - Leipzig: Schon V o 1 k m a n n 
wusste, dass hierbei keine fixierte Skoliose entsteht. Hartwich- 
Wien: Bei Unterschenkelstumpf nur selten Tuberstütze. Bei Ober- 
schenkeldiaphyse fast immer. Schäfer- Mainz: Zur allmählichen 
Belastung Einlegen von Filzkissen in den Köcher. Spitzy-Wien: 
Das machen die Bandagisten schon längst. M öh r i n g- Kassel: 
Einschaltung einer Feder unter den beweglichen Köcher zur teil¬ 
weisen Belastung. E r 1 a c h e r - Wien: Bei kurzem Unterschenkel- 
stumpf Tuberstütze und Anmodellierung an Femurkondylen. Zur Ver¬ 
meidung von Klemmung Feder unter die Hülse. Demonstriert sein 
Verfahren zur Stumpfkontrakturbehandlung mit Rollenzügen. En¬ 
gels-Hamburg empfiehlt bei Nachoperation Annähung der Muskeln 
am Stumpfende. Goch t-Berlin erinnert an die Fassung kontrak¬ 
ter Kurzstümpfe durch Ausnutzen der vorderen Fläche. D o 1 - 
linger-Pest: Nicht Stützpunkte, sondern breite Stützflächen. Bei 
fabrikmässiger Prothesenherstellung fortwährende Kontrolle des 
Arztes notwendig. 

B i e 1 s a 1 sk i - Berlin spricht über Kraftquellen für 
selbsttätige Kunstglieder (Brustzug, Schulterhub, 
Schulterstoss, Schulterzug, Gelenk- und Stumpfbewegungen, Muskel¬ 
anspannung nach Boehm, Sauerbruch scher Kraftkanal, 
S p i t z y sehe Unterfütterung, Krukenberg, am Bein Züge nach 
Lange, aktives Bein nach Schede). Fordert strengste Indikation 
für Sauerbruchoperation. Der Operateur muss auch in der Lage sein, 
die Prothese zu konstruieren. Lange- München hat 210 Fälle mit 
seinem Arm ausgerüstet. Aenderung der Handform je nach Beruf. 
Material: Zelluloid. Feuergefährlich, deshalb jetzt Aluminium¬ 
legierung. Haltbar. Die Hand ist eine Berufshand (Gärtner, Land¬ 
wirte, Schlosser, Buchbinder arbeiten damit). 

Demonstration: W a 1 c h e r - Stuttgart: Demonstration 
von Fällen mit Anlegung eines neuen Gelenks bzw. einer Pseud- 
arthrose an verschiedenen Stellen des Armes zur Betätigung einer 
Kunsthand. K ö 11 i k e r - Leipzig zeigt den Sachsenarm. Die Hand 
kann in jeder Stellung geöffnet und geschlossen werden. Betätigt 
die Sperrung aktiv mit Vorwärtsschieben der Schulter. Schultzen- 
Berlin bittet um Mitteilung über die Leistungsfähigkeit der Kunst¬ 
arme. Buchbinder -Leipzig hat 51 mal nach Sauerbruch 
operiert. Eigene Sauerbruchwerkstätte mit 23 Arbeitern. Auch 
Arbeitsarme. Hauptmann Müller- Gleiwitz trägt selbst Sauer¬ 
brucharm, hat Verwendung des Schulterstosses zur Pro- und Supina¬ 
tion empfohlen. S p i t z y - Wien demonstriert eine grosse Zahl von 
Unterfütterungen. Nimmt Haut von Brust. Kanal kurz und weit. 
Bei zu kurzem Bizeps keine Unterfütterung. sondern Durchbohrung 
nach Sauerbruch. Erlacher -Wien zeigt Schnittmethoden 
für den Hautkanal. D r e y e r - Breslau: Um grössere Hubhöhe zu 
erzielen, Anhängung grosser Gewichte an den Kanal. Schede- 
München demonstriert das aktive Bein. Das wichtigste ist die Tren¬ 
nung der Tuberstütze von der Hülse. An Stelle der starren Hebel¬ 
verbindung Anwendung eines Zugorgans. Das Bein ist zur Arbeit 
an der Werkbank oder in der Landwirtschaft gedacht. Boehm- 
Berlin zeigt sein Verfahren, durch Ausbildung von Muskelwülsten 
am Bizeps, durch Ausnützung der Formyeränderung des Trizeps bei 
der Kontraktion, sowie durch Rotation des Stumpfes 4 Kraftquellen 
zur Betätigung des Kunstarmes zu gewinnen. Blumenthal- 
Berlin hat einen ähnlichen Gedanken ausgeführt. J a k s - Chemnitz 
stellt seinen Arbeitsarm vor. S c h 1 e e - Branuschweig berichtet über 
seine Erfahrungen mit Sauerbruch. Ebenso Beckmann-Berlin: 
Der Unterarmamputierte kann gut arbeiten, der Oberarmamputierte 
wegen des Fehlens des Ellenbogens wenig befriedigend. 

Schede-München spricht über das Kunstb ein als 
Stützorgan. Das Bein darf nicht in der Fortsetzung der Stumpf¬ 
achse, sondern muss in einem Winkel zu dieser gebaut werden. Der 
Stumpf steht immer in Beugung. Durch richtige Orientierung ent¬ 
steht erhöhte Kniesicherheit. Beherrschung des Kunstbeins durch die 
Hüftmuskulatur. Es besteht das dringende Bedürfnis nach einer 
zuverlässigen Messmethode. Empfiehlt mit Nachdruck sein Messver¬ 
fahren zur Achsenbestimmung. Projektion der Spina, Trochanter- 
spitze und des Stumpfendes auf ein Messblatt, auf das der Patient 
mit dem Fuss tritt. Schaf er-Mainz, Q o c h t - Berlin, Grün- 
ba um-Wien, W i ld e r m u t h - Frankfurt, Bi es alski -Berlin 
betonen übereinstimmend die Wichtigkeit eines solchen Messver¬ 
fahrens für die richtige Orientierung des Stumpfes zum Körper. 
Hasslauer -Frankfurt hat aus gleichem Grunde die Stumpfstellung 
in offener Prothese kontrolliert. 

Unter den kinematographischen Demonstrationen erregte die 
sogep. auf Hochfrequenzkinematographie beruhende Zeitlupe 
grosses Interesse, da man sich von ihr eine Förderung des Studiums 
der Bewegungen unter besonderer Berücksichtigung der Kunst¬ 
gliederfrage versprechen darf. 

Mit grosser Stimmenmehrheit wird zum Vorsitzenden des näch¬ 
sten Kongresses Schanz- Dresden und in den Vorstand der Ortho¬ 
pädischen Gesellschaft die Herren Blencke- Magdeburg, Hoh¬ 
mann- München, Springer - Prag, V u I p i u s - Heidelberg, W11 - 
t e k - Graz, Wollenberg - Berlin gewählt. 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 40. 


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Aerztticher Verein zu Marburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 20. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Bielschowsky. 

Herr Eduard Müller: Demonstrationen. 

1. Modell und Grundriss einer Entlausungsanstalt mit an¬ 
schliessender ßeobachtungsstatlon für Infektionskranke (von eigenem 
Personal nach eigenen Plänen in einem Kriegslazarett des Westens 
1915 erbaut). Hinweis auf die notwendige Dreiteilung eines 
„Lausoleums“ in Entkleidungs-, Entlausungs-, sowie sterilen Ankleide- 
raum, ferner aui die jetzige Entlausungstechnik bei 
Typhus exanthematicus. Der absolut lause- und nisse¬ 
freie Meckfieberkranke ist für gleichfalls läuseireie Umgebung (Arzt, 
Wartepersonal) ungeiährlich; auch Schutzanzüge u. dgl. hierbei völlig 
entbehrlich. Virus kreist zwar bis zur Entfieberung im Blute; Ueber- 
tragung durch Blut kommt jedoch — von früheren unglücklichen Im¬ 
munisierungsversuchen mit Meckfieberblut abgesehen — praktisch 
kaum in Frage. Entlausung durch Desinfektion sämtlicher Beklei- 
dungs- und Ausrüstungsgegenstände, sowie durch Bad. Schmierseile; 
einfaches Einreiben der Achselhöhlen- und Schamgegend mit grauer 
Salbe bei Fleckfieber ungenügend. Gleichzeitige völlige Ent¬ 
haarung am Körper erforderlich — teils mechanisch durch Ra¬ 
sieren, teils chemisch durch Enthaarungsmittel (z. B. Auripigment 
12,0, Stärke 24,0, gebrannter Kalk 64,0, mit Wasser anrühren, auf¬ 
streichen, antrocknen lassen, nach 5 Minuten Mittel und Haare mit 
Wasser abschwemnien; Neukirch). Kopfhaar sehr kurz ge¬ 
schnitten, event. sogar rasiert. Augenbrauen, Schnurbart, Bart ab¬ 
rasieren; ev. sogar Augenwimpern entfernen. Achte auch auf et¬ 
waige Haare aus Nase und ühr! Nicht nur Achselhöhlen- und 
Schamhaare (Rima ani), alle Haare an Rumpf und Extremitäten, be¬ 
sonders auch Beinen, durch geschicktes Rasieren entiernen. Nach 
Entlausung und Enthaarung nochmalige sachverständige Besichtigung 
auf etwaige Unvollkommenheiten bzw. verdächtige Haarreste. Sonst 
droht L ä u s e r e z i d i v d u r c h N i s s e! 

2. Fleckiieberfall mit anfänglich schwieriger Unterscheidung von 
„Paratyphus A‘‘ (Demonstration der Kurve). Hinweis auf die kli¬ 
nische Bedeutung der Weil -Felix sehen Reaktion, 
einer der grössten diagnostischen Fortschritte auf dem.Gebiete der 
Infektionskrankheiten. W e i 1 - F e 1 i x sehe Reaktion im vorliegen¬ 
den Fall am 6. Krankheitstage 1 :50 -p*. am 9. Tage 1:800 + und in 
Rekonvaleszenz (34. Krankheitstag) 1:25000! Nach Eigenbeob¬ 
achtungen bei Originalmethode 1:200 + für Fleckfieber ausschlag¬ 
gebend (abgesehen von Proteussepsis, Rarität!), 1:100+ für Fleck¬ 
fieber äusserst verdächtig, ebenso rasche Titersteigerung von 1:25 — 
auf 1:50 bzw. 1:100 +. Bei bakteriologisch sichergestelltem un¬ 
kompliziertem „P a r a t y p h u s“ allerdings öfters Titersteige¬ 
rung bis 1:100 + — selbst beobachtet. Wiederholte sero¬ 
logische Untersuchung mit Austitrieren vom 2. bis 

3. Krankheitstage an! 

3. Tödliche typhöse Erkrankung durch „Paratyphusbazillen B“ 
mit Sektionsbefund. 

Krankengeschichte: 19 Jahre alter Bauarbeiter (P. V. aus C.). 
Vater Potator; er selbst in Schule mangelhafte Fortschritte und 
epileptiforme Anfälle in Jugend. Plötzliche Erkrankung — 
angeblich nach Maisbrotgenuss — mit Schwindel, Kopfweh, Fieber 
und Durchfall. Befund: zunehmende Benommenheit, Kon¬ 
tinua; zunächst kein Hautausschlag, aber am 7. Krankheitstag 
Roseola. Kopf: leichte Konjunktivitis, Zungenmitte belegt; wäh¬ 
rend der Beobachtung Entwicklung lakunärer Angina, Hals frei; 
Brust: r. h. u. Schallabschwächung, Rasseln. Pulsbeschleuiiigung 
(108 bei 40,1); Puls regelmässig, anfangs kräftig. Bauchorgane: 
dünne Stühle, Milz vorübergehend fühlbar. Histologische 
Blutuntersuchung: negatives Dicktropfenpräparat; 8400 L. Bak¬ 
teriologische Untersuchung: Stuhl und Urin negativ; in 
Galle, Blut an zwei aufeinanderfolgenden Tagen „Paratyphus-B- 
Bazille n“. „Weil-Felix“ zuerst negativ. 2 Tage später 1:50 + —. 
Agglutination (am 3. Tage —; früher geimpft!) für Typhus 1:400+, 
Paratyphus A. 1:100 + —, Paratyphus B 1:50 positiv. Diazoreak- 
tion am 3. und 7. Tage positiv. Am 7. Tage „Totenkreuz“ (ab¬ 
fallendes Fieber, rasch steigende Pulskurve). Exitus in tiefer 
Benommenheit am folgenden Tage. 

Sektion (Dr. Wagenseil): Paratyphöse Darmverände¬ 
rungen, vorwiegend im Stadium der markigen Schwellung 
(im Ileum mit nach unten stark zunehmender Intensität und Häufig¬ 
keit Schwellung der Payer sehen Plaques und Solitärfollikel), da¬ 
neben vereinzelte Verschorfungen und oberflächliche Ge¬ 
schwürsbildungen. Starke markige Schwellungen 
der mesenterialen Lymphdrüsen. Bronchopneumonie 
des linken Unterlappens, hypostatische des rechten. Lungenödem, 
eitrige Bronchitis, Herzdilatation, bes. rechts; Tigerherz, Fettleber, 
trübe Schwellung der Nieren. Atrophie des Nebennierenmai+s und 
der Nebennierenrinde; infektiöse Milz, chronische Gastroenteritis 
und Angina tonsillaris lacunaris. Andeutung von chronischer Lepto- 
meningitis; vermehrter Hirndruck. 

Bakteriologische Leichenuntersuchung: In 
Milz und Galle Paratyphus-B-Stamnr, der mit dem während 
der Erkrankung aus dem Blute gezüchteten identisch ist. Stamm 

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j verhält sich ebenso wie der ursprüngliche auch auf Malachitagar und 
Lackmusmolke wie Paratyphus B; wird aber auch durch Para- 
typhus-A-Serum hoch agglutiniert. 

Hinweis, dass auch Paratyphus B eine „Gruppe“ bildet, 
sowie auf die Tatsache, dass diese „Paratyphus-B-Erkrankung“ auch 
im anatomischen Bilde dem „echten“ Typhus ent¬ 
sprach. 

4. Fall von „Paratyphus A“ (K. R. aus B.). Lieblicher 
klinischer Verlauf, aber sehr lehrreicher serologisch- 
bakteriologischer Befund: Stuhl am 6. und 13. Krank¬ 
heitstage positiv; am 10., sowie bei 2tägigen späteren Untersuchungen 
negativ. Im Galleblut am 6. Tage Paratyphus-A-Bazillen (über 
39,1 Fieber). Agglutination (übliche Schutzimpfung wie folgt; 
(Dr. Neukirch): 


Krankheitstag 

Typhös 

Paratyphus A 

Paratyphus B 

6. 

1 : 4U) + 

1 :400 4- 

_ 

13. 

1 : 40U -t- 

1 : 25000 4- - 

1:100 4- 

21. 

1 : 4uO r 

1 : 3200 4- 

— 

29. 

1 :40u -t 

1 : 1600 4- 

1 : 100 4- — 


Hinweis auf das Vorherrschen paratyphöser Er¬ 
krankungen in Konstantinopel gegenüber echtem 
Typhus auch in Friedenszeit. „Typhus Eberth“ fast nur 
bei Europäern. Eigentümlichkeiten der dortigen para- 
typhösen Erkrankungen: geradezu regelmässiges, oft 
mehrmaliges Rezidivieren bzw. Rekrudeszenzen 
(wohl Ausdruck schlechter Selbstimmunisierung); Primärerkrankung 
häufig leichter als schwerer wie Rezidiv. Häufig erst im Re¬ 
zidiv klinische Klärung und bakteriologische 
Sicherstellung möglich. Verlauf auch bei Paratyphus- 
Schutzgeimpften hochfieberhaft mit positiven bakteriologischen 
Stuhl-, Blut- und Urinbefunden. Merkwürdig oft das freie Bewusst¬ 
sein und das auffällig: gute Allgemeinbefinden trotz hohen Fiebers. 

Besprechung des Wertes der serologischen 
Blutuntersuchung auch bei Geimpften, insbeson¬ 
dere bei Paratyphus. Einmalige Einsendung der Blutprobe 
allerdings ohne erheblichen Wert. Häufigere, wöchentlich 
1—2mal wiederholte serologische Untersuchungen 
bis in die Rekonvaleszenz hinein mit sorgfältigem 
Austitrieren unerlässlich. Dauernd negative Reaktion 
bis in die Genesung spricht gegen typhöse Erkrankung durch die be¬ 
kannten Stämme, hochgradige rasche Titersteigerung, besonders 
„e 1 e k t i v e“, d. h. nur für eine Paratyphusform, mit erheblicher 
Wahrscheinlichkeit für die betreffende typhöse Erkrankung. 
Fehlerquelle: hohe Titersteigerung der Gruber-Widal- 
schen Reaktion bei Fleckfieber; hierbei aber positive Weil-Felix-Re- 
aktion und Auftreten hoher Titersteigerung für Typhus und Para¬ 
typhus fast nur bei Geimpften! Bewertung der Agglutination nur 
im Rahmen des klinischen Gesamtbildes. 

5. Bedeutung der bakteriologischen Stuhluntersuchung bei „kli¬ 
nischer“ Dysenterie (hämorrhagische Kolitis); Demonstration einer 
lehrreichen Eigenbeobachtung. Zahl der positivenBazillen- 
befunde. besonders „Shiga-Kruse“, wächst rasch mit 
dem Maasseder bakteriologischen Sorgfalt, mitder 
die Fälle untersucht werden! Häufige, event. tägliche, 
nicht einmalige Untersuchung zur Klärung oft erforderlich. Nur ganz 
frische Stuhlproben (am besten „lebenswarme“ Ausstriche) am 
Krankenbett mit unmittelbarem Einstellen der beschickten Platten 
in Brutschrank. Im vorliegenden Fall wurde der Erreger erst bei der 
7. Untersuchung gefunden. 

Ueberall, wo überhaupt technisch möglich, sind bei Ruhr bak¬ 
teriologische Stuhluntersuchungen unerlässlich. 
Hauptgründe: 1. mitunter für die Weiterverbreitung der Er¬ 
krankung wichtige Bazillenausscheidung auch nach klinischer Ab¬ 
heilung; 2. die epidemiologisch so wichtigen atypischen und leich¬ 
teren Fälle von bazillärer Ruhr verlaufen vielfach nur unter dem 
klinischen Bilde harmloser Dickdarmkatarrhe und sind nur bakterio¬ 
logisch sicherzustellen; 3. die nicht seltenen „paratyphösen Formen“ 
der Ruhr. 

Herr Eduard Müller: Malariafragem 

1. Verhütung: Streng genommen ist die vorbeugende 
Chinindarreichung keine echte Prophylaxe. Sie 
vermag mitunter während der Inkubation die Infektion zu kupieren; 
meist stellt sie aber eine verkappte, leider oft unzu¬ 
reichende Dauertherapie der Malaria dar, die im¬ 
stande ist, die tatsächlich stattgefundene Infektion zu einer durch¬ 
schnittlich leichteren, oft ganz abortiven Erkrankung (in klinischer 
Hinsicht) zu gestalten, sowie die militärische und soziale Brauch¬ 
barkeit des Befallenen möglichst lange zu erhalten. Auch gewissen¬ 
hafte Durchführung der besten Prophylaxe bringt keinen absoluten, 
sondern nur relativen Schutz vor klinischer Ma¬ 
lariaerkrankung. Auch die allerseits als notwendig erkannte 
Fortsetzung des Chininschutzes nach Verlassen der Malariagegend 
mindestens 2—3 Monate lang, also viel länger als die Malaria¬ 
inkubationsdauer, gehört zu den Beweisen für die Auffassung der 
Chininprophylaxe als verkappte Dauertherapie der Malaria. Un¬ 
regelmässiger Chininschutz züchtet geradezu Gametenträger und 
chronische, therapeutisch undankbare Malaria. 

Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1117 


2. Mischinfektionen von Tropika und Tertiana 
fanden sich in der Türkei um so häufiger, je sorgfältiger man das 
Blut untersuchte und je länger man den Malariafall beobachtete. 
Fast alle scheinbar reinen Tropikafälle, die spät rezidivierten, wur¬ 
den — meist Vk Jahre nach der Ersterkrankung — mit typischer Ter¬ 
tiana rückfällig, obwohl Neuinfektionen auszuschliessen waren. So¬ 
gar während des Krankenhausaufenthaltes kann sich die Tropika 
— mitunter während einer kräftigen Chininbehandlung — hinsichtlich 
Fiebertypus und Blutbefund in Tertiana umstellen. Diese allmähliche 
Umwandlung von Tropika in Tertiana erfolgt niemals umgekehrt; sie 
berufht auf einer von vornherein bestehenden verkappten Misch¬ 
infektion mit Tertiana. 

3. Chininresistenz der Malaria. Bei scheinbarer 
Chininfestigkeit von Malariafällen darf man nur in letzter Linie an 
Chininfestigkeit der Plasmodien selbst denken (schlechte Präparate, 
unzweckmässige Darreichungsform, zu kurze Kuren, zu geringe Do¬ 
sen, Vernachlässigung der Allgemeinbehandlung, störende Erkran¬ 
kungen des Magendarmkanals, krankhafte Veränderungen der 
inneren Organe, vor allem der Leber?). Eine gewisse Chininfestig¬ 
keit zeigt fast jede Malaria, deren Blutbild im Behandlungsbeginn 
schon reichlich Gameten zeigt. Tropikahalbmonde sind gegen Chinin 
noch widerstandsfähiger als Tertianagameten. Trotz sachgemässer 
Darreichung versagt das Chinin öfters hinsichtlich des Dauererfolges, 
d. h. hinsichtlich der sicheren Beseitigung der im Blute kreisenden 
oder in inneren Organen haftenden Plasmodien. Das Chinin ist ein 
Spezifikum in symptomatischer, nicht ganz in 
ätiologischer Hinsicht. Unsere medikamentöse Malaria¬ 
therapie bedarf — auch trotz Salvarsan, das im wesentlichen nur bei 
Tertiana hilft — dringend der Verbesserung. Für die Massenbehand¬ 
lung sind Schemata unerlässlich; der Kenner wird unter sorgfältiger 
eigener Kontrolle des Blutbildes von Fall zu Fall weitgehend indivi¬ 
dualisieren. Fehlerhaftes Vorgehen bei intraglutäalen Einspritzungen 
von Chinin-Urethan kann abgesehen von bakteriellen Entzündungen 
bzw. Eiterungen zu hartnäckigen, schweren Entzündungen des Hüft- 
nerven führen. Zur Nachbehandlung empfehlen sich u. a. tonische 
Pillen; Ferri reducti 10,0, Acidi arsenic. 0,1—0,15; Chin. hydrochl. 2,5; 
Extract. strychni 1,0; massa pil. ad pilulas 100. Consp. cinnamonii. 
S. 3 mal tägl. 1—2 P. nach dem Essen. 

4. Feststellung der Malariaheilung. Klinische Ge¬ 
sundheit und negative Blutausstriche, ja nicht einmal mehrmals nega¬ 
tive Dicktropfenpräparate beweisen Malariaheilung. Die Plasmodien 
können im peripheren Blut fehlen und im Inneren der Organe haften. 
Bei negativem Blutpräparat können psychische und körperliche Ein¬ 
flüsse zum Wiederauftauchen des Parasiten im strömenden Blute An¬ 
lass geben: psychische Schocks, körperliche Ueberanstrengungen, 
Durchnässungen, kalte Duschen, starke Besonnungen, geradezu ex¬ 
perimentelle Bestrahlungen der Milzgegend mit Höhensonne (auch 
Röntgenapparat), fiebererzeugende und auf das Gefässsystem ein¬ 
wirkende Mittel, z. B. Sekale, Suprarenin. Negativer Erfolg bei der 
„Provokation“ mit einer Methode schliesst positiven mit einer 
anderen nicht aus. (Ausführlicheres im Zbl. f. inn. M.) 

Herr Griiter: Ergebnisse der Optochintherapie in der Augen¬ 
heilkunde. 


Kleine Mitteilungen. 

Gerlchtlicbe Entscheidung. 

Der Breslauer Aerztestreit vom Reichsgericht 
entschieden. 

An den erbitterten Kampf zwischen Aerzten und Krankenkassen 
erinnert der nachstehende Rechtsstreit des Breslauer Arztes 
Dr. B u 11 a gegen den Verein der Breslauer Aerzte, der soeben vom 
Reichsgericht zugunsten des letzteren entschieden worden ist. Es 
handelte sich hierbei um folgendes: 

Am 14. November 1913 hatte der Verein der Breslauer Aerzte 
einen Beschluss gefasst, der sich gegen diejenigen Aerzte richtete, 
welche an den gesperrten Kassen in Tätigkeit traten und so ihren 
Kollegen in den Rücken fielen. Der in der „Schlesischen Aerzte- 
korrespondenz“ veröffentlichte Beschluss besagte, dass diese Aerzte 
als ausserhalb der Standesverbindung stehend zu betrachten seien, 
und dass kein Arzt mit ihnen Zusammenarbeiten dürfte. Durch dieses 
Vorgehen fühlte sich Dr. Bulla, der im Sommer 1913 von der 
Ortskrankenkasse zu Breslau auf 10 Jahre mit einem Gehalt von 
10000 Mark angestellt worden war, geschädigt, da seine Privat¬ 
praxis infolge der Verrufserklärung so sehr gelitten habe, dass sie 
statt der erwarteten 2000 Mark nur 500 Mark im Jahre einbrachte. 
Dr. Bulla verklagte deshalb den Aerzteverein auf Schadensersatz 
und Aufhebung des Beschlusses vom 14. November. Das Landge¬ 
richt Breslau wies die Klage ab, da die Voraussetzung des 
§ 826, Verstoss gegen die guten Sitten, nicht vorliege. Das Ober- 
landesgericht Breslau gab der Klage statt und zwar aus 
den nachstehenden Gründen: 

In dem angefochtenen Beschluss des Beklagten ist ein Angriff 
auf die Standesehre des Klägers enthalten. Der Beklagte musste 
die Schädigung der Privatpraxis des Dr. B. voraussehen, die er hier¬ 
durch bewirkte. Das Verhalten des Vereins widerspricht dem An¬ 
standsgefühl aller billig Denkenden. 

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Gegen dieses Urteil legte der beklagte Verein Revision ein. Er 
machte geltend, dass, wenn jemand gegen die guten Sitten verstossen 
habe, dies der Kläger gewesen sei, der sich als „reisender Streik¬ 
brecher“ betätigte. Man könne doch die Mitglieder des Vereins nicht 
zwingen, mit solchen Leuten zu verkehren. Der Beschluss vom 
14. November stelle sich nur als eine Abwehrmassnahme dar. Das 
Reichsgericht schloss sich diesen Ausführungen an und stellte 
das Urteil des Landgerichtes wieder her. 

Dr. Jur. C. K1 a m r o t h. 

Therapeutische Notizen. 

Succolan-Tab letten. Zu dem dieser Nummer bei¬ 
liegenden Prospekt der Saccharin-Aktien-Gesellschaft vorm. Fahl¬ 
berg, List & Co. erfahren wir auf Anfrage von dieser Firma, dass 
die Succolantabletten als vorwiegenden Bestandteil Succus liqui- 
ritiae, sowie andere unschädliche Stoffe, die sich als Zusatz zu Husten¬ 
tabletten bewährten, enthalten. Stark wirkende Arzneimitel fehlen. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 30. September 1918. 

— K r i e g s c h r o n i k. An der Westfront sind neue Schlach¬ 
ten im Gange. Am 26. September griffen Franzosen und Amerikaner 
m der Champagne und zwischen Argonnen und Maas an. Bei 
Tahure und Ripont gelang den Franzosen, bei Montfaucon den Ameri¬ 
kanern ein Einbruch in unsere Stellungen; den beabsichtigten Durch¬ 
bruch vereitelten unsere Reserven. Am 27. folgte ein gewaltiger 
englisch-französischer Angriff auf Cambrai; auch hier erreichte der 
Feind sein Ziel nicht, doch dauern die Kämpfe noch an. Sehr ernste 
Nachrichten sind von den südöstlichen Kriegsschauplätzen einge¬ 
troffen. In Palästina erlitt die türkische Armee eine Niederlage: die 
Engländer sind im Besitz der Hedschasbahn und bedrohen Damaskus. 
In Mazedonien hat die bulgarische Front dem übermächtigen Ansturm 
nachgegeben; der Feind ist über Prilep hinaus vorgedrungen und 
hat bereits altbulgarisches Gebiet erreicht. Deutsche und öster¬ 
reichisch-ungarische Streitkräfte sind zur Hilfeleistung unterwegs. 
Unter dem Eindruck dieser Ereignisse hat die bulgarische Regierung 
den Generalissimus ermächtigt, dem Oberbefehlshaber der Entente¬ 
heere in Salonichi die Einstellung der Feindseligkeiten vorzuschlagen. 
Die Folgen dieses Schrittes, wenn er zur Ausführung käme, sind 
nicht absehbar. — Die U-Bootbeute betrug im Monat August 
420 000 Brutto-Registertonnen. 

— Aus unserem Leserkreis gingen uns Klagen zu über die Stel¬ 
lung der Oberärzte a. Kr. (auf Kriegsdauer). Diese Kollegen, 
die jetzt wohl zumeist in der Mitte der vierziger Jahre stünden, wür¬ 
den in der Stellung von Stabsärzten verwendet, erhielten auch deren 
Gehalt, würden aber nicht zu Stabsärzten befördert. Darin liege 
eine Benachteiligung dieser Oberärzte a. Kr. gegenüber den Ober¬ 
veterinärärzten a. Kr., die zu Stabsveterinärärzten befördert würden. 
■Hierzu wird uns von zuständiger Seite mitgeteilt, dass eine grund¬ 
sätzliche Unmöglichkeit der Beförderung von Oberärzten a. Kr. zu 
Stabsärzten a. Kr. nicht besteht. Voraussetzung sei nur, dass sie die 
gleichen Bedingungen wie die Oberärzte der anderen Wehrkategorien 
erfüllten. Dazu gehöre auch eine entsprechend lange Dienstzeit. Es 
sei der Standpunkt des Kriegsministeriums, die Oberärzte a. Kr. nicht 
besser und nicht schlechter als die übrigen Oberärzte zu stellen. Aus 
diesem Grunde sei auch mit V.B1. 1918 S. 786 K.M.E. Nr. 179163 M. v. 
16. VIII. 18 für die Oberärzte a. Kr. die Möglichkeit zum Uebertritt 
zu den Sanitätsoffizieren der Reserve geschaffen worden. 

— Im Laufe des Spätherbstes wird eine neue deutsche 
Heilstätte in Davos eröffnet, die namentlich dem lungen¬ 
kranken kriegsbeschädigten Mittelstände zugute kommen soll. Die 
Mittel dazu sind von dem Reichsausschuss der Kriegsbeschädigten¬ 
fürsorge, der Bäderfürsorge, dem Zentralkomitee vom Roten Kreuz 
und dem Deutschen Kriegerhilfsbund in der Schweiz aufgebracht. 
Das Haus wird zunächst 160 Kranke aufnehmen können. Von reichs- 
deutscher Seite gehören dem Vorstand der Leiter des Reichsaus¬ 
schusses der Kriegsbeschädigtenfürsorge. Oberbürgermeister G e i b 
und der Kolonialpolitiker Dr. K a r s t e d t an. ' (Sächs. Korr.-Bl.) 

— Der langjährige Leiter der Lungenheilanstait Reibolds- 
gr ü n, Hofrat Dr. Wo 1 f f, legt am 1. Oktober seine Tätigkeit nieder. 
Reiboldsgrün geht in den Besitz des sächsischen Volksheilstätten¬ 
vereins für Lungenkranke über. 

— Der Preussische Minister des Innern hat einen Erlass betr. 
Fürsorge für sittlich gefallene oder gefährdete 
Mädchen und Frauen an die Regierungspräsidenten und den 
Polizeipräsidenten von Berlin herausgegeben, in dem auf die Gefahr 
hingewiesen wird, dass eine grosse Anzahl von Mädchen und Frauen 
infolge des Krieges sittlich herabsinken und der Prostitution ver¬ 
fallen. Dieser Gefahr nach Möglichkeit vorzubeugen, muss als eine 
dringende Pflicht aller amtlichen Stellen und der Organe der frei¬ 
willigen Liebestätigkeit angesehen werden. Bei Mädchen unter 
18 Jahren stehen die Einrichtungen der Fürsorgeerziehung zur Ver¬ 
fügung, bei älteren Personen muss mit strafrechtlichen Massnahmen 
die Fürsorgearbeit Hand in Hand gehen. In Betracht kommen zu¬ 
nächst die offene Fürsorge durch amtlich angestelite, entsprechend 
vorgebildete Fürsorgerinnen der Polizeibehörden unter Mitwirkung 
ehrenamtlich berufener Personen in Form der Schutzaufsicht, die 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1118 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 




bezweckt, die gefährdeten weiblichen Personen wieder einem ge¬ 
ordneten Lebenswandel durch Nachweisung von Arbeit oder Beseiti¬ 
gung sonstiger Hindernisse zuzuführen. Reicht die offene Fürsorge 
nicht aus, so muss die geschlossene Fürsorge in Fürsorgeanstalten 
eintreten, wozu ein direkter oder indirekter Zwang nötig ist, zu 
dem die bestehende Gesetzgebung die Mittel bietet. Unter Hinweis 
auf die in Bielefeld durchgeführte Einrichtung eines städtischen 
Arbeitsausschusses zur durchgeführten Bekämpfung der öffentlichen 
Unsittlichkeit fordert der Erlass die genannten Stellen auf, der er- 
örteten Frage ihr Interesse zuzuwenden und zunächst festzustellen, 
wo ein Bedürfnis zur Schaffung der empfohlenen Einrichtung besteht. 
Es wird angeregt, mit dem Gesamtverband der Frauenhilfe in Pots¬ 
dam, Mirbachstr. 2, und dem katholischen Fürsorgeverein für Mäd¬ 
chen, Frauen und Kinder in Dortmund-Rosenthal ins Benehmen zu 
treten, die wesentliche Hilfe bei der Durchführung der empfholenen 
Massnahmen leisten können. (Min.-Bl. f. Medizinalangelegenh. 1910 
Nr. 39.) 

— Am 8. und 9. November d. J. findet in Nürnberg unter der 
Schirmherrschaft Sr. Exz. des Chefs des Feldsanitätswesens, Ge¬ 
neralarzt der Armee Prof. v. Schjerning eine Kriegstagung 
des Vereins Deutscher Laryngologen statt. Im Felde 
stehende Kollegen werden, wenn irgend es die Kriegslage gestattet, 
dienstlich Urlaub erhalten, um der Tagung beiwohnen zu können. 
Es werden nur Berichte über die Kriegsverletzungen und Kriegs¬ 
erkrankungen der oberen Luft- und Speisewege erstattet. Vorträge 
können nicht gehalten werden, doch ist es sehr erwünscht, ein¬ 
schlägige Mitteilungen in der Aussprache zu bringen. Vorherige An¬ 
meldungen hierfür an den Schriftführer Prof. Dr. Otto Kahler, 
Freiburg i. Br., Karlstr. 75 erbeten, tunlichst bis 31. Oktober. Zur 
Deckung der Unkosten der Versammlung ist eine Teilnehmerkarte für 
10 Mark zu lösen. Diese ist nach Einsendung des Betrages an den 
Schatzmeister, Prof. Dr. Boenninghaus, Breslau. Wilhelmstr. 12 
erhältlich. Das Programm wird Mitte Oktober versandt werden. 

— Auf S. 16 des Anzeigenteils der heutigen Nummer ist das 
7. Verzeichnis der Anschaffungen aus der Bücherstiftung der 
M.m.W. für die Bibliothek des Aerztlichen Vereins München ver¬ 
öffentlicht. Die Bibliothek steht auch auswärtigen Aerzten zur Be¬ 
nützung offen. 

— Cholera. Kais. Deutsches Gen.-Gouvernement Warschau. 
In der Woche vom 15.—21. September 1 Erkrankung. — Ukraine. Laut 
Mitteilung vom 31. August wurden in Odessa auf dem aus Nowo- 
rossisk eingetroffenen Frachtschiff „Helena“ 6 Erkrankungen und auf 
einem aus Mariupo langelangten Kohlendampfer 1 Erkrankung festge¬ 
stellt. Ferner wurden zufolge Mitteilung vom 10. September unter 
der Fabrikbevölkerung der Stadt Nikopol im Süden des Kreises * 
Jekaterinoslaw 3 Erkrankungen ermittelt. 

— Fleckfieber. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau. In der Woche vom 1.—7. September wurden 157 Er¬ 
krankungen (und 17 Todesfälle) festgestellt. — Oesterreich-Ungarn. 
In Ungarn wurden in der Zeit vom 29. Juli bis 4. August 3 Erkran¬ 
kungen angezeigt; vom 12.—18. August wurde 1 Todesfall und 2 Er¬ 
krankungen gemeldet. 

— Ruhr. Preussen. Inder Woche vom 8.—14. September sind 
2020 Erkrankungen (und 229 Todesfälle) gemeldet worden. 

— In der 37. Jahreswoche, vom 8.—14. September 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Wilhelmshaven mit 51,9, die geringste Rüstringen mit 5,7 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Masern und Röteln in Hof. an Diphtherie und 
Krupp in Recklinghausen, Rüstringen, an Unterleibstyphus in Lehe, 
Neuss, Oberhausen. Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Dem Privatdozenten und Abteilungsvorsteher am 
hygienischen Institut der Universität Dr. Arthur Korff-Petersen 
ist der Professortitel verliehen worden, (hk.) — Geheimrat Orth 
stiftete der Berliner Hochschule 12 000 M.; Geh. R. James Israel 
70 000 M. zur Förderung medizinischer Arbeiten. 

Bonn. Geh. Ob.-Med.-Rat Prof. Dr. Fr. S c h u 11 z e stiftete 
anlässlich seines 70. Geburtstages 10 000 M. zur Bekämpfung der 
Lungentuberkulose. 

Greifswald. Prosektor Dr. v. Möllendorff erhielt den 
Professortitel. 

Kiel. Generaloberarzt Prof. Dr. S c h i 11 e n h e 1 m, z. Z. als 
beratender innerer Mediziner im Felde, wurde für die Wintermonate 
beurlaubt und wird in dieser Zeit die Leitung der medizinischen 
Klinik übernehmen. 

München. Der a. o. Professor und Prosektor am anatomi¬ 
schen Institut zu München, Dr. Albert Hasselwander, hat einen 
Ruf auf den Lehrstuhl für Anatomie an der Universität Erlangen 
erhalten. 

Dorpat. Der Lehrkörper der med. Fakultät setzt sich wie 
folgt zusammen: A d o 1 p h i - Dorpat Anatomie, Sommer- Dorpat 
Histologie, Embryologie und Vergleichende Anatomie, v. Krüger- 
Dorpat Physiologie mit Einschluss der Physiologischen Chemie, 
Gross-Heidelberg Pathologische Anatomie, Trendelenburg- 
Freiburg Pharmakologie, Stamm-Dorpat Pharmazie und Phar¬ 
makognosie, D e h i o - Dorpat, der zum Rektor ernannt wurde, 
Grober-J ena und E. M a s i n g - Dorpat Innere Medizin, Roth- 
berg-Dorpat Kinderheilkunde, Pa 1 d r ock-Dorpat Psychiatrie, 


Zoe ge v. Man teuf fei, der zum Dekan ernannt ist, Chirurgie, 
Meyer-Dorpat und Richters-Dresden Gynäkologie, Brügge¬ 
rn a n n - Giessen Osteo- und Laryngologie. Angefordert sind für 
Bakteriologie und Hygiene Korff-Petersen -Berlin, für Chi¬ 
rurgie B o i t - Königsberg und für Augenheilkunde Brückner- 
Berlin. 

Wien. Dr. Sigmund Kornfeld wurde als Privatdozent für 
Psychologie und Ethik an der Wiener Universität zugelassen, (hk.) 

Todesfall. 

Geh. Ob.-Med.-Rat Prof. Dr. Gaffky ist in Hannover, wo er 
im Ruhestand lebte, 68 Jahre alt, gestorben. Mit ihm geht abermals 
einer der Männer dahin, die als Schüler Kochs an der Begründung 
der 'Bakteriologie und der modernen Seuchenbekämpfung hervor¬ 
ragenden Anteil genommen haben. Er war Kochs Nachfolger tm 
Reichsgesundheitsamt und später sein Nachfolger in der Leitung des 
Instituts für Infektionskrankheiten. Dazwischen wirkte er als Ordi¬ 
narius für Hygiene in Giessen. Ein Nachruf folgt. 

Aufruf! 

„Es wird das Jahr stark und scharf hergebn. Aber man muss 
die Ohren steif halten, und Jeder, der Ehre und Liebe fürs Vater¬ 
land hat, muss alles daran setzen/* Dieses Wort Friedrich des 
Grossen müssen wir uns mehr denn ]e vor Augen halten, Ernst und 
schwer ist die Zeit, aber welterkämpien and wirken müssen wir 
mit allen Kräften bis zum ehrenvollen Ende. Mit voller Wucht 
stürmen die Feinde immer auis neue gegen unsere Front an, doch 
stets ohne die gewollten Erfolge. Angesichts des unübertrefflichen 
Heldentums draussen sind aber der Daheimgebliebenen Kriegsleldeo 
und Entbehrungen gering. An alles dies müssen wir denken, wenn 
Jetzt das Vaterland zur 9. Kriegsanleihe ruft. Es geht ums Ganze, tun 
Heimat und Herd, um Sein oder Nichtsein unseres Vaterlandes. 
Daher muss Jeder 

Kriegsanleihe zeichnen! 

iiiinnnimiimiiiiiiniiiiiiiiiMuim>uiMunii>iiuimmii>innin„nnmiiiM„HminiMuniimimmmtimM 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben: 

F.-U. A. Leo A e n s t o o t s, Duisburg. 

Ass.-A. Erich Beuscher, Essen. 

O.-St.-A. d. R. Karl Brockhaus, Elberfeld. 

St.-A. d. R. Sigismund Alfred Buchmann, Magdeburg. 
O.-A. d. R. Buddee, Göttingen. 

St.-A. d. L. Josef Dressen, Aachen. 

St.-A. d. L. Felix D u l k, Ebingen. 

F.-H.-A. Max Fischer, München. 

St.-A. d. R. Richard Gottschalk, Hanau. 

F.-H.-A. Gerhard Hirsch, Charlottenburg. 

St.-A. d. L. Wilhelm H o e b e r, Homburg. 

F.-H.-A. Maximilian H u m b e r g, Oedingen. 

F.-U.-A. Oskar Kelch, Warpuhnen. 

O.-A. d. R. Karl Kellner, Heiligenstadt. 

St.-A. d. L. Bernhard Knapp, Leutkirch. 

St.-A. d. L. Emil Körner, Brandenstein. 

Ldstpfl. A. Wilhelm Larenz, Hameln. 

Berichtigung. Die Nachricht vom Tode des Bat. 
Arztes Dr. Gerd Huck, Pirna beruht auf Irrtum. 


Korrespondenz. 

Zum Prozess Henkel. 

Herr Prof. L u b a r s c h - Berlin ersucht uns um Aufnahme ioi* 
gender Erklärung: 

„Zu den mich betreffenden Bemerkungen des Herrn Glese in 
Nr. 38 d. Wschr. (S. 1055 Abs. 5) bemerke ich folgendes: Die Behaup¬ 
tung, ich hätte ein Gutachten in dem Henkelprozess abgegeben „ohne 
Kenntnis der Akten“, widerspricht den Tatsachen. Ich bm zur Ab¬ 
gabe einer gutachtlichen Aeusserung über bestimmte Ausführungen 
des Herrn Bumm in seinem vom Gericht ein geforderten Gutachten 
über das Verhältnis des pathologischen Anatomen zum Kliniker auf¬ 
gefordert worden. Ganz allein darüber habe ich mich geäussert, 
nachdem ich das Einverständnis des Herrn Bumm dazu ein geh oft 
und sein Gutachten gründlich durchgesehen hatte. Auf irgendetwas 
anderes einzugehen, habe ich abgelehnt. Das der Tatbestand. Gegen 
wen ich daher kollegiale Rücksichten verletzt haben sollte, nachdem 
Herr Bumm mit der Abgabe meiner kurzen gutachtlichen Aeusse¬ 
rung sich einverstanden erklärt hatte, ist mir unerfindlich.“ 


Verlag voa J. P. Lehmann ln München S.W. 2, Paul Heyaeatr. 26. — Druck von E. M&hltluüer’s Buch- und Kunatdruckerei A.O., München, 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 







Mi der einzelnen Mumner 80 « Beiupprdi In Desbchlaiid 

• • • Knd Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • • 
IflNTStemehltns am Donnerstag einer jeden Woehs 


MÖNCHENER * 

' F ® r Anzeigen tma Beilagen: an Rudolf Mosse, TheatlnerstraMS 1 

Medizinische Wochenschrift. 

ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 41. 8 Oktober 1918. Sctarliüeltun«; Dr. B. Spats, ArnuUstrasse 26. 

Verlag: J. P. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag behüt sich die araddkaaUche Recht der Verrietuitiiping nd Verbreltaag der In dieser Zeltichrtn zun Abdrack geleagendee Originalbeitrtge mr. 


Originalien. 

Aus der medizinischen Klinik Strassburg i/Els. 

(Prof. Erich Meyer.) 

lieber das Wesen der Theocinwirkung. 

Von Privatdozent Dr. W. H. Veil, Oberarzt der Med. Klinik 
und Gand. med. Paul Spi ro, jetzt Ass.-Arzt am path. Institut. 

Unsere Kenntnisse über die diuretische Wirkung der Körper 
der Purmgruppe haben durch die Arbeiten von Schröder 1 ), Hel¬ 
lin und Spiro“), Gottlieb und Magnus 8 ), Spiro und 
Vogt’) und endlich L o e w i 5 ) eine Grundlage erhalten, die nur in 
wenigen Punkten der Ergänzung bedarf; wir sind über die pharma¬ 
kologischen Möglichkeiten, die aus der Anwendung der entsprechen¬ 
den Mittel entspringen, sehr gut orientiert. 

Dennoch aber sind im einzelnen manche Fragen ungeklärt ge¬ 
blieben, und zwar wie diese Arbeit zeigen wird, deshalb, weil 
unsere Vorstellungen vom Wesen der Theocinwir¬ 
kung bisher zu einseitig an dem scheinbar — im wesentlichen — 
rein renalen Angriffspunkt festhalten. 

Dass schon S c h m i e d e b e r g •) einen allgemeinen Standpunkt 
vertrat, wird dabei kaum berücksichtigt. 

Einer der Punkte, die eine zwanglose Unterordnung unter die 
renale Theorie nicht gefunden hat, ist die „nierenermüdende“ Wir¬ 
kung der Mittel dieser Gruppe, die aus Versuchen L oe w i s R ), Bar» 
er oft und Straubs 7 ) und schliesslich Schlayers 8 } hervor¬ 
geht. Gemeint ist damit die Tatsache, dass mehrfache aufeinander¬ 
folgende Koffeininjektionen am Versuchstier die Diurese zum Still¬ 
stand bringen, und dass dabei der Abnahme der Wasserausscheidung 
eine solche auch der Salze und, wie S c h 1 a y e r nachwics, des 
Nierenvolums parallel geht. Barer oft und Straub betrachten 
diese Erscheinung als Vergiftung, Loewi als Koffeingewöhnung 
bzw. Ermüdung. Der Benennung „Nierenermüdung“, die das eigen¬ 
artige Problem gefunden hat, Hegt eine Hypothese zugrunde, deren 
biologische Möglichkeit nicht so ohne weiteres glaubhaft erscheinen 
dürfte Vor allem wird ihre Richtigkeit dadurch in Frage gestellt, 
dass die Ansprechfähigkeit einer koffeinermüdeten Niere auf ganz 
andersartige Diuretika, wie z. B. auf Infusion von Salzlösungen völlig 
normal ist 

Es ist klar, dass auch der Praktiker wissen muss, um was es 
sich dabei eigentlich handelt und inwieweit er bei der Anwendung 
der Diuretika der Koffeingruppe auf die nierenermüdende Wirkung zu 
achten haben wird; kann es ihm doch durchaus nicht gleichgültig 
sein, wenn seinen diuretischen Arzneien eine Giftwirkuiig innewohnt, 
die unter Umständen der gewünschten Wirkung entgegenarbeitet. 
Umsomehr müssen derartige Ueberlegungen eine Rolle spielen, wenn 
diese Mittel zur Anregung der Tätigkeit kranker und insuffizienter 
Nieren dienen sollen. 

Emen gewissen Schritt vorwärts in dieser Richtung bedeuten 
schon die an der kranken Kamnchenniere angestellten Experimente 
S c h 1 a y e r s 8 ), die eine bemerkenswerte wechselseitige Beeinfluss- 
sung der Koffein- und der Salzdiurese dartun: bei Chromvergiftung 
der Niere konnte eine durch Salzinfusionen in regelmässigem Gang 
gehaltene Diurese durch Koffein zu sofortigem Stillstand gebracht 
werden; bei Uramvergiftung aber wurde eine bestehende Diurese 
durch Wiederholungen von Salzinfusionen angehalten, wogegen sie 
durch eine innerliche Kofieininjektion sofort wieder in Gang kam. 
Bemerkenswert ist also danach ein gewisser Antagonismus zwischen 
dem Koffein und seinen Verwandten einerseits, den Salzen, speziell 
dem Kochsalz, andererseits. 

Eine zweite wichtige Frage über die Wirkung der Diuretika 


1 ) Arch. f. exp. Path. und Pharm, 22. 39. 1886. 24. 85. 1887. 

*) Ibidem 38. 368. 1897. 

*) fbWem 45. 

*) Spiro und Vogt: Ergehn. Pbysiol. I. 1. Seite 436, 1902. 

*) Loewi: Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 1902 und 
Fletsch er: Ibidem 1905. 

•) Schmi edeber g: Grundriss der Pharm. 5. Aufl. 1906. 

7 ) Barcxoft und Straub: Journ. of Phystol. 41. 145. 

•) Rosen tha 1 und Schlayer: D. Arch. f. klin. Med. 111. 
1913. 

Nr. 41. ' J 

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aus der Purinreihe betrifft die, „ob sie allein von den Nieren aus die 
Flüssigkeitsverteilung im Organismus beeinflussen“. 

Gewisse Tierexperimente sprechen dafür, dass der Angriffspunkt 
nicht allein an den Nieren, sondern am intermediären Stoffwechsel 
liegt; es sind dies Beobachtungen Karl Spi ros*), der feststellte, 
dass Aenderungen im Trockengehalt des Blutes und in seiner Alkales- 
zenz unter der Koffeinwirkung auch bei nephrektomierten Tieren ern¬ 
teten, also nicht lediglich Folgeerscheinungen der primären Nieren¬ 
wirkung sein müssen. 

Auch klcnischerseits liegen Erfahrungen vor, die mit der alten 
v. S c h r öde r sehen 1 ) Hypothese über die Wirkungsweise des 
Koffeins nicht ohne weiteres erklärt sind. 

Auffällig muss es schon erscheinen* wenn wir z. B. sehen, wie 
der Anwendung eines Purinderivats (Euphyllin) bei schwerstem kar¬ 
dialen Hydrops eine die Diurese des Normalen (mit einer Urinmenge 
von 1200 ccm) kaum erreichende Diurese, dagegen ein Körper¬ 
gewichtsverlust, der sich auf 2 kg beläuft, folgt [Veil 8 )]. Dieses 
Verhalten erscheint immerhin noch durch die Annahme verständlich, 
dass die Purinwirkung, deren direkter diuretischer Effekt zwar 
relativ geringfügig ist, schon infolge dieses geringen, der gestörten 
Zirkulation gegebenen Anstosses grosse Wirkungen auf die Per¬ 
spiration her vor ruft, die nur indirekt als Theozinwirkungen anzusehen 
sind. 

Nun lässt sich aber zeigen, dass auch beim Normalen, nicht mit 
Wasser überschwemmtem menschlichen Organismus von ganz ge¬ 
sunder Zirkulation durch Theozim eine Steigerung der Perspiration 
zu erzielen ist, wie aus dem Vergleich der folgenden Versuchstabellen 
zu ersehen ist. 

Tabelle 1. 

Perspiration und Diurese bei einer normalen Versuchsperson während 
4 Stunden in nüchternem Zustand. 


Zeit 

Körper* 

gewicht 

Oesamtwasser* 
ausscheidung 
(nach dem 
Körpergewicht) 


Diurese 

Extrarenale 

Wasserabgabe 

7 Uhr 

9 Uhr 

69,363 

69,050 

310 

270 

= 87 Pro*. 

40 = 13 Proz. 

11 Uhr 

68,740 

310 

310 

= 100 Proz. 

- 0 

Summe 


620 

580 

= 93,5 Proz. 

40 = 6,5 Proz. 


Tabelle 2. 

Wiederholung des Versuches aus Tabelle 1 bei gleichzeitiger intra* 
venöser Injektion von 0,5 Euphyllin. 


Zeit 

Körper¬ 

gewicht 

Gesamt¬ 

wasser¬ 

verlust 

Diurese 

Extrarenale 

Wasserabgabe 

Bemerkungen 

8 « Uhr 
8 « Uhr 
9 15 Uhr 
10» Uhr 
12» Uhr 

70,020 

69,520 

69,150 

68,840 

68,500 

500 

370 

310 

340 

345 = 69 Proz. 
340 = 92 Proz. 
260 = 84 Proz. 
330 = 97 Proz. 

155 ss 31 Proz. 

30 =s 8 Proz. 

50 ss 16 Proz. 
IO« 3 Proz. 

Injektion 0,5 Eu¬ 
phyllin intraven. 

Summe 

1520 

1275 = 84 Proz. 

245 =s 16 Proz. 



Infolge der Theozhiapplikation nimmt also die durch Perspira¬ 
tion von Lunge und Haut ausgeschiedene Wassermenge innerhalb 
der ersten 4 Versuchsstunden von 6 auf 16 Proz. zu; die Zunahme 
nach der ersten Vs Stunde ist viel beträchtlicher; sie beträgt etwas über 
30 Proz. Gerade darin, dass keine Parallele zwischen dem diureti¬ 
schen und perspira torischen Effekt besteht, sondern dass der letztere 
dem ersteren zeitlich vorangehen kann, liegt der Beweis, dass die 
perspiratorische Wirkung auch wirklich unabhängig von der diureti¬ 
schen verläuft und nicht etwa die Folge der durch die spezifische 
Kochsalzdiurese hervorgerufene Sa*lzverarmung der Gewebe sein 
kann, so wie es z. B. die vermehrte Perspiration nach kochsalzarmer 
Ernährung höchst wahrscheinlich ist. 

Aber noch eine dritte Frage, die sich aus den täglichen Beob¬ 
achtungen der Klinik im Anschluss an die Theozindiuresie erhebt ist zu 
klären und zwar «die nach der Beeinflussung des Kochsalzwechsels durch 
die Präparate dieser Gruppe. Es ist eine nicht mehr neue Tatsache, 
dass die Theozindiurese nicht nur durch die Ausschwemmung an 
Wasser, sondern vor allem auch von Kochsalz ausgezeichnet ist. Für 
den echten Diabetes msipidus hat sich daraus die so interessante* 


8 ) Veil: D. Arch. f. klin. M. 113. S. 245. 

1 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





1120 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41 


Folgerung ergeben, dass nach der Theozindarreichung ein Zurüok- 
gehen der Durstbeschwerden und auch der Polyurie eintritt [Erich 
Meyer 10 )]. Ein Einsparen von Flüssigkeit und Kochsalz ist aber 
auch am Normalen in gleicher Weise wie am Diabetes-insipidus- 
Kranken zu beobachten. Daraus geht hervor, dass bei der Theo- 
zin Wirkung wichtige Veränderungen im inter¬ 
mediären Stoffwechsel vor sich gehen. Möglicher¬ 
weise sind sie als direkte Folge der Wasser- und Kochsalzdiurese 
aufzufassen [v. Monakow u )], oder kommt gerade ihnen eine 
führende Stellung zu, so dass sie für den Ausfall der Diurese von 
besonderer Bedeutung sind. 

Die hier kurz skizzierten Fragen, deren klinisch-physiologische 
Bedeutung evident zu sein scheint, haben uns veranlasst, neue Ver¬ 
suche über die Wirkungsweise des Theozins anzustellen. Diese Ver¬ 
suche mussten so angeordnet sein, dass der Austausch zwischen Blut 
und Geweben im Anschluss an die Theozindarreichung so klar wie 
möglich vor Augen lag. 

Als Indikatoren beim Studium dieser intermediären 
Austausch Vorgänge schienen uns die elementarsten 
Ge websbestandteile, Wasser und Kochsalz, besonders 
geeignet, da deren Verschiebungen durch fort¬ 
laufende Untersuchungen in Blut und Urin leicht 
festzustellen sind. 

Zunächst stellten wir diesbezügliche Untersuchungen an Ver¬ 
suchspersonen, sodann im Tierexperiment an Kaninchen an. Die ge¬ 
samten Versuche werden an anderer Stelle von dem einen von uns 
(Spiro) noch ausführlicher dargestelh werden. 

Als Paradigma des Versuchsergebnisses am Menschen sei hier 
der nachfolgende Versuch kurvenmässig zur Anschauung gebracht 
(Kurve 1). 



Kurve 1. Wirkung der peroralen Verabreichung von 0,3 g Theodnum natrioaceticum 
auf die Diurese und Koch&alz» und Eiweisskonzentration des Blutserums am Normalen; 
starker wasser- und kochsalzdiuretischer Effekt, kurzdauernder Wasser-, längerdauernder 
Kochsalzverlust des Blutes am Versuchstag, Einsparung von Wasser und Kochsalz und 
Regeneration der Kochsalzkonzentration im Blut am Nachtag. 

Aus diesen Vorsuchen am normalen Menschen geht also hervor, 
dass dem bedeutenden wasser- und kochsalzdiuretischen Effekt der 
einmaligen Theozingabe im Blut eine kurz dauernde, sehr erheb¬ 
liche Eindickung und eine mehrere Stunden länger 
dauernde Kochsalzverarmung parallel geht. Der 
Blutdruck blieb, was beiläufig erwähnt sei, dauernd konstant und 
normal, ebenso der osmotische Druck des Blutes. Die Einsparung 
am Nachtag war sehr beträchtlich; sie entsprach an Wasser und 
Kochsalz fast genau der am Versuchstag für den Organismus ver¬ 
lorenen Menge. 

Auf eine von vornherein nicht leicht verständliche, in unseren 
Versuchen aber stets wiederkehrende Tatsache muss noch besonders 
hingewiesen werden: die Wasser- und Kochsalzkonzentrationsver- 
hältnisse im Blute sind in keiner mathematischen Grösse umgekehrt 
proportional zu denen in der Bilanz; vielmehr haben gerade in der 
Zeit der auffälligen Einsparung und Verminderung von Wasser und 
Kochsalz im Urin die Blutverhältnisse wieder die ziemlich konstante 
Norm erreicht. Daraus ist zu schliessen, dass die Einsparung für den 
Organismus unabhängig von der Zusammensetzung des Blutes er¬ 
folgt, mithin durch besondere Faktoren hervorgerufen sein muss, 
die wir wohl in die Gewebe verlegen können. 


,0 ) Erich Meyer: D. Arch. f. klin. M. 83. 
ll ) v. Monakow: Habilitationsschrift 1917. D. Arch. f. klin. 
M. 122. S. 128. 


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In den besonderen zeitlichen Beziehungen, die sich nach Kurve 1 
für die Diurese einerseits, die Verschiebungen im Blut andrerseits 
ergeben, liegt schon e i n Moment, das die jüngst von v. Monakow 
ausgesprochene Hypothese, wonach die Verminderung des Blutes an 
Wasser und Kochsalz, die auch er beobachtete, einfach die Folge 
der vermehrten renalen Tätigkeit darstellen soll, fraglich erscheinen 
lässt. 

Demnach lautet die Frage nunmehr: Ist die Wirkung des 
Theozinsaufdie.Kochsalzverschiebungen im Blut¬ 
serum renal bedingt, also sekundär, oder ist sie in 
gewissem Sinne primär und damit von Einfluss auf 
die renale Tätigkeit. 

Das Tierexperiment musste bei besonderer Anordnung Antwort 
auf diese Frage geben: Es kam darauf an, die Wirkung des 
Theozins am normalen Tier mit derjenigen am 
entnierten Tiere zu vergleichen. 

Die äusseren Umstände, unter denen die Versuche am normalen 
Tiere angestellt wurden, waren die. dass eine beliebige Haferfütte¬ 
rung mit der künstlichen Tränkung (gleichmässig zusammengesetzte 
physiologische Kochsalzlösung) kombiniert wurde. Dadurch liess sich 
das Ziel eines Gleichgewichtszustandes der Bilanz leicht erreichen. 

Sodann wurde das betreffende Mittel — am wirksamsten erwjes 
sich das leicht lösliche Theodnum natrioaceticum (Coffeinum purum 
stand ihm jedoch nicht wesentlich nach) — der Tränkung in grosser 
Dosis (0,3 g) einmalig einverleibt. 

Die folgende Kurve 2 enthält das Versuchsergebnis am normalen 
Kaninchen, das von dem am Menschen kaum abweicht. 



Kurve 2. Wirkung der pcroraleu Verabreichung von 0,3 Theodnum natrio-acelicum 
auf Diurese und Blutzusammensetzung am Kaninchen: starker wasser- und kochsab- 
diuretischer Effekt, Wasser- und Kochsalzverlust Im Blute. Keine Einsparung am Nachtage. 


Kontrolluutersuchungen am selben Tier ergaben, dass die Tages¬ 
schwankungen der entsprechenden Blutzusammensetzung infolge der 
peroralen Fütterung mit physiologischer Kochsalzlösung denen im 
Theozinversuch gerade entgegengesetzt waren (Blutverdünnung unter 
Kochsalzvermehrung). 

Die Versuche am entnierten Tier wurden unter völlig denselben 
Vorbedingungen angestellt wie die am Normaltier. 

Während aber die Blutentnahmen am Normaler aus den Ohr¬ 
venen erfolgten, wurden sie am entnierten Tier aus der Karotis vor¬ 
genommen, was sehr einfach zu bewerkstelligen ist und zu besonders 
reinen Versuchsbedingungen führt. 

Wie die Vorversuche am Normaltier ergeben hatten, kamen ja 
nur die ersten Stunden direkt nach der Entnierung für die Theozin- 
wirkung in Betracht. Die am 2. Tage nach der Entnierung wieder¬ 
holten Versuche mittels Theozin blieben — das sei der Kürze halber 
hier vorausgeschickt — völlig ohne Ergebnis. 

Den Kontrollversuch skizziert Kurve 3 (Wirkung der peroralen 
Einverleibung von 50 ccm physiologischer Kochsalzlösung am ent¬ 
nierten Tier auf den Wasser- [Serumeiweiss] und Kochsalzgehalt des 
Blutes sowie auf das Körpergewicht). 

Es geht daraus hervor, dass auch das entnierte Tier zunächst 
noch über durchaus physiologische Möglichkeiten für die Verschie¬ 
bungen zwischen Blut und Gewebe verfügt, ja dass sogar auf peroralc 
Flüssigkeitszufuhr hin noch eine nennenswerte Wasserabgabe auf 
extrarenalem Wege erfolgt. Wie die Beachtung der zeitlichen Ver¬ 
hältnisse ergibt, geht der Wasserabgabe eine ziemlich beträchtliche 
Blutverdünnung und Kochsalzanreichcrung voraus. 

Original from * 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 














8. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1181 


Wirkung der pero¬ 
ralen Einverleibung 
von 50 ccm physio¬ 
logischer (0,83 %) 

NaCl-Lösung auf die 
Eiweiss- und Koch¬ 
salzkonzentration des 
Blutserums und auf 
das Körpergewicht 
am entnierten Kanin¬ 
chen: Wasser- und 
Koch*aizzun»hintr des 
Serums, oeiracnt- 
lictier allgemeiner 
Wasserverlust zwl- 
schen der i. und 
3. Stunde nach der 
Entnicrung und 
Tränkung. 

X Entnierung und 
Tränkung. 

Wenn mm den Tieren mit ihrer Tränkung gleichzeitig Theozin 
verabreicht wird, so erleiden diese Vorgänge eine Verkehrung ins 
Gegenteil» soweit sie die intermediären Verhältnisse betreffen, wo¬ 
gegen der Flüssigkeitsverlust noch bedeutend zunimmt. Die Kurve 4 
stellt einen entsprechenden Versuch dar. 



Kurve 4. Wiederholung des Versuches aus Kurve 3 unter gleichzeitiger Verabreichung 
von 0,3 Theocinum natrio-aceticum. 

Es zeigt sich also, dass das Theozin auch beim 
entnierten Tier noch eine beträchtliche Wirkung 
entfaltet. Es resultiert eine extrarenale Wasser¬ 
abgabe, die um ca. 65 Proz. grösser ist, und die früher eisnsetzt 
und länger vorhält als die am Konfrontier. (Kurve 3.) Die inter¬ 
mediären Verhältnisse aber verändern sich unter dem Theozin beim 
entnierten Tier genau ebenso wie beim normalen Tier und umgekehrt 
als beim entnierten Kontrollier: trotz der Zufuhr von 50ccm 
physiologischer Kochsalzlösung, in denen das 
Theocin gelöst ist, verlässt Wasser und Kochsalz 
das Blu t. 

Mehrere Versuche wiesen in mehrfacher Wiederholung und Varia¬ 
tion im Prinzip stets dasselbe Resultat auf. 

Damit aber hat nicht nur die Frage, die die v. Monakow sehe 
Erklärung der Theocinhypochlorämie als Folge der renalen Tätig¬ 
keit angeschnitten hat, sondern die Frage vom Wesen der Theocin- 
diurese überhaupt eine unerwartete Wendung erhalten. 

Zunächst das eine: die Kochsalz- und ebenso die 
Wasserverluste des Blutserums sind keineswegs 
sekundäre Folgender Nieren t ä tigke it; vielmehr sind 
sie intermediäre Verschiebungen, deren primäre Ursache in extra- 
renalen Angriffspunkten der Mittel der Puringruppe begründet ist, sei 
es, dass diese in den Gefässendothelien, sei es irgendwo jenseits der 
Gefässe, in den Lymphgefässen oder in den Geweben selbst liegen. 
Vieles spricht dafür, dass den Gefässendothelien die primäre Rolle 
zukommt; als besten Beweis möchten wir die vermehrte extrarenale 
Wasserabgabe ansehen, die beim normalen und entnierten Organis¬ 
mus gleichermassen als Tbeocinwirkung in die Erscheinung tritt. 

Die Versuche zeigen, dass in der Abwanderung von Kochsalz 
und Wasser aus dem Blut ebenso wie in ihrem Wiederansatz keine 
scharfe Parallele vorhanden ist. Spezifische, drüsenzellenähnliche 
Funktionen wären es demnach, die wir den Endothelien zuschreiben 
dürften, wenn sie in der Tat die wesentlichen Faktoren bei diesen 
Vorgängen sein sollten. 

Sie zeigen aber vor allem die elementare physiologische Be¬ 
deutung, die in der Kochsatediurese als Theocinwirkung liegt. Zum 

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Unterschied 1 von allen anderen bekannten Diuresen, in denen das 
Kochsalz mehr oder weniger als Trabant -des Wassers auftritt, spielt 
es gerade hier eine selbständige Rolle. Damit ist auch die vorzüg¬ 
liche Wirksamkeit der Mittel dieser Gruppe in allen den Fällen 
erklärt, in denen es sich um Kochsalzretentionen grösseren Stils 
handelt. 

Aberw eich es istnunüberhaupt das Bild, daswir 
uns auf Grund unserer Versuche von den Vorgängen 
bei der Th eocindiurese machen dürfen? Ohne Frage 
muss es als ein viel komplizierteres Ineinandergreifen der Gescheh¬ 
nisse erscheinen, als es nach der landläufigen Vorstellung von der 
Purindiurese auf Grund der alten v. S ch r oe d e r sehen, rein* 
epithelialrenalen Auffassung notwendig war. 

Die Kochsalz- und Wasserabgabe des Blutes unter der Wirkung 
des Theozins erfolgt zugunsten — unter allen Umständen — einer¬ 
seits der Gewebe, andererseits — wenn der Angriffspunkt des Mittels 
in den Endothelien selbst liegt — auch aller direkten Filtrate des 
Blutes, also in erster Linie des im Glomerulus abgeschiedenen Urins. 
An dem allgemeinen Gewinn der Gewebe an Kochsalz nehmen auch 
die Nierenzellen selbst möglicherweise auf dem von Schmiede¬ 
berg erwähnten Weg über dieLymphgefässe teilt; es ist anzunehmen. 
dass darin für sie ein Sekretionsreiz liegt, und dass auch sie sich 
dieses Ueberschusses in den Urin entledigen werden, dass also in 
dieser Form, die v. Schroedersehe Auffassung zutrifft. 

Nunmehr aber erfolgt der natürliche Rückschlag: das Blut ist an 
Kochsalz und Wasser verarmt; die Speisung der Gewebe mit diesen 
Stoffen leidet Not, umsomehr, als in erster Linie dafür gesorgt ist, dass 
die Störung der konstanten Zusammensetzung des Blutes wieder rück¬ 
gängig gemacht wird. Wie die zeitlichen Verhältnisse in unseren 
Versuchen ergeben haben, muss gerade diesem Moment für das Ver¬ 
ständnis des der Diurese folgenden Stadiums, des sog. Reparations- 
Stadiums, Beachtung geschenkt werden. Das Eiinsparen von Kochsalz 
und Wasser durch den Organismus und die Lieferung eines spärlichen 
kochsalzarmen Urins erklärt sich aus alledem zwanglos. 

Ebenso natürlich erscheint in diesem Zusammenhang auch das, 
Symptom der „Koffeinermüdung“. Eine Summation der Koffein¬ 
wirkung im Experiment versagt deshalb, weil die physiologisch-che¬ 
mischen Vorbedingungen dazu, d. h. ein gewisser Wasser- und Koch¬ 
salzüberschuss des Blutes unter normalen Verhältnissen nur im ersten 
Augenblick der Theocinwirkung erfüllt sind. Gegen ein weiteres Ab¬ 
sinken des Kochsalzspiegels im Blute, als wir ihn unter der Theocin¬ 
wirkung beobachten können, rst der Organismus offenbar wirksam 
genug geschützt; alle Hypochlorämien, die wir auch sonst unter 
pathologischen Verhältnissen finden, fallen nur ganz ausnahmsweise 
— bei schwersten Quecksilbervergiftungen — unter diesen Spiegel ab. 

Damit aber, dass die Hypochlorämie und ebenso die Blutein¬ 
dickung nicht weiterhin zu steigern ist, ist es auch der Kochsalz¬ 
gehalt der Nierenzellen nicht, die unter dem Zwange der Reparation 
vielmehr äusserst salzarm geworden sein mögen. 

Salzinfusionen aber, mit denen es Schlayer gelang, die ver¬ 
siegte Koffeindiurese wieder in Gang zu bringen, schaffen selbstver¬ 
ständlich eine völlig neue Grundlage und rufen intermediäre Verschie¬ 
bungen hervor, die alle Vorbedingungen zur erneuten Diurese ent¬ 
halten. 

Ganz ebenso zu verstehen ist es, wenn, wie wir in der prak¬ 
tischen Medizin täglich erfahren, z. B. bei schwerem Herzhydrops 
wiederholte Gaben von Theocin eine stets erneute Diurese bedingen. 
Hier wirkt der vorhandene Hydrops gleich den im Experiment vor¬ 
genommenen SaJzinfusionen, sofern er nicht durch entzündliche Ver¬ 
änderungen der Endothelien der serösen Häute (vielleicht auch der 
Lymphendothelien) in seiner Beweglichkeit gehemmt ist (wie bei 
manchen Formen von Aszites etc.). Wasser - und Salzüber¬ 
fluss des Körpers bedingt also eine entsprechend 
lange Wirksamkeit des Theocins. 

Demnach wäre der Begriff der Koffeinermüdung ebenso wie der 
der Koffeingewöhnung als unzutreffend zu bezeichnen. Wo die 
Mittel der K of f e i n g r u p p e keinen augenfälligen 
Effekt zu erzielen imstande sind, fehlen die che¬ 
misch-physiologischen bzw. die pathologisch-ana¬ 
tomischen Voraussetzungen für ihre Wirksamkeit. 


Zur voraus- oder nachgeschickten Unterbindung der 
A. hypogastrlca bei Blutungen aus den Glutäalgefässen. 

Von Prof. Wieting, beratender Chirurg. 

Es liegt ja durchaus im Gedankengange unserer chirurgischen 
Erwägungen, dass wir zur Stillung einer Blutung aus schwer zu¬ 
gänglichem oder schwer zu sicherndem Gefässe den Stamm der 
Arterie am Orte der Wahl auf suchen. Für die Glutäalarterien ist 
dieser Ort der Wahl die A. hypogastrica. Ich bin diesem Gedanken¬ 
gange bereits vor den Baikaukriegen gefolgt und habe bei einem 
durch Schrotschuss entstandenen mächtigen Aneurysma oder vielmehr 
kommunizierendem Hämatom der endgültigen Versorgung des Blut¬ 
sackes die Unterbindung der A. hypogastrica vorausgeschickt (s. Gül- 
hanebericht D.m.W. 1911?). Das haben dann nach mir Schloff er 
(Arch. f. klin. Chir. 1916), Strohmever (D. Zschr. f. Chir. 1917) 

1 * 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


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1122 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41. 


u. a. getan und haben andere — icli glaube Hunter war einer 
der ersten — schon vor mir getan. 

Die ungeheure Zahl der Geiässverletzungen, die in diesem Welt¬ 
krieg zur Beobachtung kamen, wird eine weitere Ausbeute an Er¬ 
fahrungen gebracht haben. Auch die meinigen haben sich um 4 ver¬ 
mehrt, in denen ich die A. hypogastrica aus einer bestimmten An¬ 
zeige unterbinden musste; sie werden demnächst von Dr. Rosellen 
im einzelnen mitgeteilt werden. Mir kommt es hier nur darauf an, den 
wenig aussich Hassenden Aeusserungen Königs entgegenzutreten, 
wie er sie in dem „Lehrbuch der Kriegschirurgie“ Borchard- 
Schmieden (I. Auflage) ausspricht, das doch grundlegend für 
die Kriegschirurgen sein soll: „Die Verletzung der Glutaea ist immer 
eine schwere, ich habe mehrere Fälle ohne und trotz Unterbindung 
zum Tode führen sehen.“ 

Ich meine, dass zwar die Verletzung der A. glutaea 
schwer ist, aber bei sachgemässer Behandlung als 
solche nicht oder nur ausnahmsweise zum Tode 
f ü h r e n s o 111 e. Sie kann als Komplikation eines Beckenschusses 
mit Bauchorganverletzung oder mit eitrig putrider Osteitis der 
Beckenknochen recht unangenehm werden, aber zum Tode führt 
dann nicht ihre Verletzung, sondern Peritonitis oder die Knochen¬ 
sepsis: mit anderen Worten, es sollte die Verblutungaus ihr 
doch in den allermeisten Fällen zu verhüten ge¬ 
lingen, sofern sachgemäss vorgegangen wird. Von meinen fünf*) 
die Operation heischenden Fällen starb einer, aber nicht an ihr, 
sondern an Sepsis. 

Die Eingriffe zur Blutstillung in jener Gegend sind je nach 
der besonderen Sachlage zu wählen unter Berücksichtigung der ana¬ 
tomischen Verhältnisse und der technischen Schwierigkeiten, auf die 
man gefasst sein muss. Aus den 5 Fällen, in denen ich zur Unter¬ 
bindung der A. hypogastrica schreiten musste, habe ich folgende 
Lehren gezogen: 

Falls bei der primären vorbeugenden Wundversorgung eine 
primäre Blutung aus einer der beiden grösseren Arterien fesk 
gestellt wird, so ist zu versuchen, das blutende Gefäss zu 
fassen und zu versorgen am Orte der Verletzung. Dabei ist zu 
bedenken, dass die grosse Mehrzahl dieser Verletzungen infiziert sein 
wird und dass darum die Gefahren der Spätblutung nach Abeiterung 
des Unterbindungsfadens in Rechnung zu ziehen sind Tritt eine 
solche Spätblutung ein, so ist die Unterbindung der A. hy¬ 
pogastrica als nachgeschickte Operation geraten bei 
gleichzeitiger erneuter Versorgung des blutenden Gefässes am Orte 
der Verletzung. 

Dasselbe Verfahren ist angezeigt bei- bestehender Blutung 
nach aussen, sofern der Blutverlust als solcher 
noch nicht bedenklich geworden ist. Ist er bedenklich 
geworden, muss auf äusserste Blutsparung Gewicht gelegt werden, 
dann ist die Unterbindung der A. hypogastrica als 
vorausgeschickte Operation angezeigt. Denn mit jeder 
Unterbindung am Orte der Verletzung ist eine Vermehrung des Blut¬ 
verlustes verbunden, die bei nicht ganz klaren Wundverhältnissen er¬ 
heblich sein kann. 

Die Unterbindung am Orte der Verletzung ist auch 
angezeigt bei älteren kommunizierenden Haema¬ 
tomen der Glutäalgegend, sofern die Träger solcher sich in gutem 
Allgemeinzustand befinden. 

In jedem Falle aber, in dem weiterer Blutver¬ 
lust zu bedenklichen Folgen führen kann, ist die 
Unterbindung der A. hypogastrica vorauszu¬ 
schicken. Wenn ihre Unterbindung auch nicht immer völMg in 
Blutleere zu arbeiten erlaubt, so vermindert sie doch die Blutung 
ganz erheblich und erleichtert den weiteren Eingriff am Orte der Ver¬ 
letzung. 

Aus eben dem Grunde ist die voraus- oder nachge¬ 
schickte Unterbindung der A. hypogastrica 
bei allen septischen Prozessen in dieser Gegend an¬ 
gezeigt, in denen die Blutstillung am Orte der Verletzung allein Ge¬ 
fahren in sich schliessen würde: also bei infizierten kommunizieren¬ 
den Hämatomen, bei Spätblutungen durch infektiöse Arteriitis etc. 

Die Unterbindung am Orte der Wahl ist ferner an- 
gezeagt bei allen solchen Hämatomen, auch aseptisch erscheinenden, 
bei denen das Geschoss nach dem Röntgenbilde innerhalb des 
knöchernen Beckenringes liegt, also die Arterie wahr¬ 
scheinlich tief am Abgänge aus der A. hypogastrica verletzt und 
darum am Orte der Verletzung schwer zu fassen sein würde. Sie ist 
ferner in gleichem Sinne angezeigt, wenn eine schnell zu¬ 
nehmende Blutung in die Weichteile jener Gegend, die 
an und für sich schon zu erheblichem Blutverluste geführt haben kann, 
den Verdacht auf eine ausnahmsweise grosse Arterie nahelegt oder 
grossen Blutverlust sicher erwarten lässt. 

Da der Stamm, namentlich der A. glutaea superior, zumeist recht 
kurz ist und man bei stärker ausgebildeten Muskeln oft in grossen 
Tiefen arbeiten muss, gelingt eine sichere Unterbindung 


*) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen operierte 
ich bei einer schweren septischen Spätblutung einen weiteren (6.) 
Fall mit gleich günstigem Ergebnis. 

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oder Umstechung nicht immer, trotz Schiefmauinadelhal- 
| ters. ln diesen Fällen und namentlich auch dann, wenn infektiöse 
! Prozesse die vorzeitige Lockerung etwa angelegter Unterbindungs¬ 
fäden befürchten lassen würden, ziehe ich die Methode des Lie- 
! genlassens der Gefässklemmen vor. Ich benutze dazu 
breite Köberleklemmen, die die Arterienwandungen besser und brei¬ 
ter aufeinanderpressen als die Unterbindungsfäden es je vermögen. 
Ich halte das Liegenlassen der Klemmen hier wie auch in manch* 
anderen Fällen durchaus nicht für die „schlechteste Methode der Ge- 
fässversorgung“, sondern für eine der besten, weil sie die besten Hei¬ 
lungsbedingungen im Innern der Gefässe schafft. Voraussetzung ist 
natürlich, dass das Fassen nicht planlos geschehen ist, unter Schädi¬ 
gung sonstiger funktionell wichtiger Gewebstedle. 

Die Technik der Hypogastricaunterbindung ist 
ja einfach. Sie geschieht nicht von einem schrägen Flankenschnitt 
aus, extraperitoneal, wie wir die A. iliaca angeben, sondern von 
einem medianen Bauch schnitt in steiler Becken- 
hoch 1 a g e r u n g. Dann sinken die möglichst vorher durch Abführ¬ 
mittel entleerten Gedärme gut ab und die Gefässe sind beiderseits gut 
zugänglich, links wegen des Mesosigmoideum etwas schlechter als 
rechts. Die A. hypogastrica ist durch Palpation leicht erkennbar, 
das rückwärtige Bauchfell auf ihr wird durch kleinen Längsschnitt 
geöffnet und nun die Arterie, unter eventuellem Abschieben des 
leicht erkenbaren Ureters, stumpf isoliert. Sie ist ja durch die Pul¬ 
sation am Lebenden immer viel leichter zu erkennen als an der 
Leiche. Die Unterbindung mittels Desc h am p s scher Nadel 
erfolgt nun am besten mit Zwirn oder Seide, nicht mit 
Kat gut. Man arbeitet da natürlich in keimfreiem Gebiete, braucht 
also die Fadeneiterung nicht zu fürchten. In einem Falle glaube ich 
eine Spätblutung aus der Glutäalwunde trotz lokaler Versorgung und 
vorausgeschickter Hypogastrikaunterbindung darauf zurückführen zu 
dürfen, dass die Unterbindung mit Katgut geschah und der Faden 
durchnagt wurde, somit die Zirkulation sich wieder herstellte, ehe 
die Gefässwandungen am Orte der Unterbindung fest verwachsen 
waren. Natürlich können auch die ja sehr reichlichen Kol- 
lateralen dieser Gegend die Ursache der Spätblutung durch rück¬ 
läufige Füllung gewesen sein, aber „sicher ist sicher“ und ich unter¬ 
binde in allen Fällen, wo sich gleiches bei Gefässversorgungen auf¬ 
drängt, mit Zwirn oder Seide. Das Vorhandensein jener reichlichen 
Kollateralen macht andererseits die Hypogastrikaunterbin¬ 
dung zu einer hinsichtlich der Ernährungsstö¬ 
rungen ganz ungefährlichen Operation. Dieser Ge¬ 
sichtspunkt kommt also gegenüber den grossen Vorteilen, die sie 
schafft, gar nicht in Betracht 

Ob mit der Arterie gleichzeitigdie Vene unter- 
bunden werden soll, ist von Fall zu Fall zu über- 
i e g e n. Wenn es sich um rein aseptische Fälle handelt wie bei den 
meisten alten kommunizierenden Hämatomen, dann würde ich davon 
absehen: wie ich überhaupt kein Freund bin von verstümmelnden Ge- 
fässoperationen, wo nicht bindende Anzeigen bestehen. Aus diesem 
Grunde z. B. unterbinde ich bei Aneurysmen der Karotis oder der 
Femoralis nicht grundsätzlich die zugehörige Vene, sondern richte 
mich nach dem örtlichen Befund. Denn ich traue dem regulatorischen 
System in unserem Organismus genug zu, dass es mit den neu- 
geschaffenen Zirkulationsverhältnissen fertig wird, wenn nur alles 
geschieht, es nicht mehr zu schädigen als unbedingt nötig ist — wo¬ 
zu auch die gänzlich ruhige, nicht belastende, sondern in jeder Weise 
entlastende Lagerung gehört 

' Aus ganz anderen Erwägungen heraus aber möchte ich die 
gleichzeitige Unterbindung mit Resektion der 
Vena hypogastrica befürworten, wenn im Wundgebiet 
der Glutäalgegend septische 'Prozesse bestehen, 
von denen aus eine Phlebitis mit infektiöser Thrombose sich ent¬ 
wickeln könnte oder gar schon entwickelt hat. Diese Dinge haben 
wir bei den gleichnamigen Prozessen der Femoralgefässe genügend 
beobachtet, um ihre Gefährlichkeit, aber auch günstige Beeiuflussbar- 
keit zu erkennen. 

Auffallend ist dass ich in keiner der fünf Hypogastrika- 
unterbindungen vom Bauche aus irgendwelche Spuren von Blu¬ 
tungen oder Eiterungen durch das Foramen supra- 
piriforme habe feststellen können, trotzdem doch ein 
mächtiger Druck von den Hämatomen ausging oder trotzdem in der 
Glutäalwunde schwer infektiöse Prozesse bestanden. Das soll natür¬ 
lich nicht besagen, dass namentlich Entzündungen auf diesem Wege 
nicht weiterkriechen, sondern nur dass die Einbettung der Vasa 
glutaealia doch gut gesichert sein muss, und es einer ziemlich be¬ 
trächtlichen Einwirkung bedarf, sie zu überschreiten. Ich sah jeden¬ 
falls kein Aneurysma sich nach dort weiterwühlen und nehme an, 
dass, wenn dies beobachtet wird, die Gefässverletzung sm Knochen¬ 
kanal selbst oder gar innerhalb des Beckenringes sitzen muss. In 
diesem Falle also wäre aus einem positiven Befunde vom 
Bauchschnitt aus auf eine tiefe Gefässverletzung 
zu schliessen, die wiederum nur durch Unterbindung vom 
Bauche aus angegangen werden kann. Die Laparotomie bat also in 
diesem Falle auch eine gewisse diagnostische Bedeutung. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



8. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1123 


Aus der Kgl. Chirurgischen Universitätsklinik zu Halle. 
(Direktor: Prof. Dr. v. Schmieden.) 

Ueber die Behandlung mit künstlicher Höhensonne*). 

Von Dr. med. Werner Budde, Assistenzarzt der Klinik. 

M. H.I Als einige Zeit vor dem Ausbruch des Krieges die unter 
dem Namen „Künstliche Höhensonne“ bekannte Quecksilberdampf¬ 
lampe von Bach in die medizinische Therapie eingeführt wurde, 
da fand diese Erfindung allgemein Anklang und schon nach kurzer 
Zeit legten eine Reihe von Publikationen Zeugnis davon ab, wie 
fleissig überall mit der Höhensonne gearbeitet wurde. Die grosse 
Zahl dieser Arbeiten war aber auoh ein Beweis dafür, dass dfe 
Quarzlampe einem dringenden Bedürfnis entgegenkam, dem Wunsche 
nämlich, den Aufenthalt in Gegenden mit intensiver natürlicher 
Sonnenstrahlung, Hochgebirge und Meeresküste, mit all seinen 
Kosten und Unbequemlichkeiten zu ersetzen durch die .unvergleich¬ 
lich billigere und bequemere Bestrahlungskur mit der künstlichen 
„Sonne“. 

Dann kam der Krieg, der uns die Erreichung der geeigneten Kur¬ 
orte unmöglich machte oder doch wesentlich erschwerte, und der 
damit der weiteren Anwendung der künstlichen Höhensonne noch 
erheblich Vorschub leistete, und der uns gleichzeitig mit der un¬ 
geheuren Zahl der Verletzungen ein grosses Material von Fällen an 
die Hand gab, bei denen die künstliche Höhensonne, analog der jetzt 
wieder vielfach angewandten offenen Wundbehandlung, den normalen 
Heilungsprozess verbessern und beschleunigen sollte. So kam es, 
dass eine grosse Menge der verschiedenartigsten Erkrankungen der 
Höhensonnenbehandlung zugeführt wurden, und dass besonders in 
Laienkreisen die Quecksfiberlampe sich bald den Ruf eines Universal¬ 
heilmittels errang. Heute, nach mehrjähriger Anwendung der Be¬ 
strahlung, sind wir in der Lage, das stattliche Material einer kri¬ 
tischen Sichtung zu unterziehen und damit zu prüfen, inwieweit die 
Höhensonne den gehegten Erwartungen entsprochen hat und wo sie 
versagt hat. 

Dabei sei zunächst der Hinweis gestattet, dass es sich bei dieser 
Kritik um rein empirisch gewonnene Urteile handeln muss, da wir 
bezüglich der biologischen Wirksamkeit der künstlichen Höhensonne 
wie überhaupt der strahlenden Energie noch ganz lm Anfang der 
Forschung stehen. 

Die allbekannten günstigen Resultate Bernhards, Rol- 
liers und ihrer Schüler bei der Behandlung der Tuberkulose 
durch Hochgebirgsaufenthalt bilden eine wesentliche Stütze der An¬ 
nahme, dass die durch atmosphärische Einflüsse nur wenig gehemmte 
Strahlenwirkung der Hochgebirgssonne einen Hauptanteil an den 
Heilerfolgen derartiger klimatischer Kuren hat. Bekannt ist uns, dass 
ein Teil der chemisch wirksamen Strahlen «des Sonnenspektrums, 
die sog. ultravioletten Strahlen, auch eine intensive Wirkung auf den 
menschlichen und tierischen Körper auslösen. Wie diese Wirkung 
zustande kommt, darüber bestehen vorläufig nur Vermutungen. Es 
handelt sich bei den ultravioletten Strahlen um Lichtwellen, deren 
Länge 436—289 Milliontel Millimeter beträgt. Die Strahlen von 
436 Milliontel Millimeter Wellengänge werden nach Hasselbalch 
in einer Hautschicht von 1 mm Tiefe bis auf 0,5 Proz. absorbiert, 
während diejenigen Strahlen, die eine Wellenlänge von 289 Milliontel 
Millimeter haben, bereits in einer Tiefe von 0,1 mm fast völlig ab¬ 
sorbiert sind. 

Da die Dicke der menschlichen Epidermis 0,2—0,05 mm im 
Mittel beträgt, so gelangt nur eine geringe Menge kurzwelliger Strah¬ 
len zur Einwirkung auf tieferliegende Gebilde. Der unmittelbare bio¬ 
logische Einfluss der ultravioletten Strahlen kann sich also nur auf 
die Basalschicht der Epädermte urid die oberste Schicht der Leder¬ 
haut — und damit auf das ausgedehnte Gefässnetz der Papillar¬ 
körper erstrecken. 

Auf die Wirkungsweise der Strahlen näher einzugehen ist hier 
nicht der Ort. Es sei nur darauf hingewiesen, dass zahlreiche Autoren 
sich mit diesem Gegenstände, befasst (haben, und dass von den einen 
der Effekt der Bestrahlung in einer Beschleunigung des Sauerstoff¬ 
umlaufs, von andern in Einwirkung auf die Eiweisskörper des Blut¬ 
serums, d. h. in der Steigerung oxydierender und reduzierender Vor¬ 
gänge, und wieder von anderen in der bekannten Pigmentierung der 
Haut gesehen wurde, ohne dass eine Einigung bisher erzielt ist. Ins¬ 
besondere isit die Pigmentierung der Haut von manchen Autoren 
positiv bewertet worden, während andere in ihr nur einen nega¬ 
tiv photokatalysatorischen Vorgang, also eine Schutzvorrichtung 
des Körpers gegen gewisse schädliche Einflüsse der Bestrahlung 
finden. 

Dass die Pigmentation der Haut in wesentlichem Zusammenhang 
mit der Wirksamkeit der ultravioletten Strahlen steht, ist eine Er¬ 
fahrungstatsache, für die wir eine sichere Erklärung noch nicht 
haben. Schon R o 11 i e r hat darauf hingewiesen, dass er das schnelle 
Auftreten der Pigmentierung bei seinen Patienten als prognostisch 
günstiges Zeichen auffasst. Für unsere künstliche Höhensonne kann 
ich diese Erfahrung im grossen und ganzen bestätigen. Andererseits 
weist z. B. Rost in einer Arbeit aus der Bonner Hautklinik darauf 
hin, dass mit zunehmender Pigmentierung die Wirksamkeit der Be- 


*) Vortrag, gehalten am 5. XI. 17 im Verein der Aerzte zu Halle. 

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Strahlung abzunehmen scheine; er schlägt deshalb vor. nach einer 
gewissen Länge der Bestrahlungsbehandlung Depigmentierungs¬ 
pausen eintreten zu lassen. Erfahrungsgemäss bildet sich das Pig¬ 
ment schnell zurück und die Empfänglichkeit der Patienten soll da¬ 
nach wieder erhöht sein. Bei unserem Material habe ich diese Be¬ 
obachtung nicht gemacht; vielmehr zeigt sich, dass gerade die ohne 
Unterbrechung lang fortgesetzte und in den Einzelsitzungen immer 
ausgedehntere Bestrahlung die besten Erfolge hatte. Das scheint 
mir mehr für R o 11 i e r s Anschauung zu sprechen, der dem Pigment 
die Fähigkeit zuschreibt, kurzwellige Strahlen in langwellige um- 
zuwansdteln; diese sollen dann, ohne die Haut zu schädigen, biologische 
Wirksamkeit zu entfalten vermögen. 

Zur Technik der Bestrahlung möchte ich folgendes bemerken: 
Im Anfang haben* wir die Bestrahlung hauptsächlich lokal angewandt; 
der Krankheitsherd wurde der noch mit besonderen Blendvorrich¬ 
tungen versehenen Quarzsonne auf V »—1 m Entfernung — bei beson¬ 
ders empfindlichen Patienten sogar bis auf 2 m Entferung genähert, 
die Umgebung mit Tüchern abgedeckt und dann die Bestrahlung in 
der Weise vorgenommen, dass in der ersten Sitzung die Strahlen 
3 Minuten, ein wirkten. Je nach dem Grade der eintretenden Re¬ 
aktion wurde die Bestrahlung in der Anfangsdauer wiederholt, bis 
geringere Reaktion ein Höhergehen mit der Strahlendosis erlaubte. 
In dieser Weise wurde die Bestrahlung bis zur Dauer von. IVa bis 
2 Stunden ausgedehnt. Später gestattete die zunehmende Frequenz 
der Höhensonnenabteilung nur eine Sitzungsdauer von maximal einer 
Stunde. Auf Grund eingehender Beobachtungen gingen wir dann 
mehr und mehr dazu über, die rein lokalen Bestrahlungen auf jene 
Fälle zu beschränken, bei denen umschriebene oberflächliche Krank¬ 
heitsprozesse, die auf den Gesamtorganismus keinen nennenswerten 
Einfluss ausübten, Gegenstand der Therapie waren, während alle 
übrigen Patienten einer Allgemeinbestrahlung der gesamten Körper¬ 
oberfläche unterzogen wurden. 

Diese Art des Vorgehens gründet sich auf unsere Erfahrungen, 
die uns gelehrt haben, in der Hohensonne in erster Linie ein Mittel 
zu sehen, das auf die gesamte Körperkonstitution gewisse günstige 
Wirkungen auszuüben imstande ist. Eine derartige Wirkung sehen 
wir in Besserung des Appetites und des Schlafes sowie einer An¬ 
regung der Blutzirkulation; das ist gewiss nicht übermässig viel, 
aber es kommt unserm Bestreben, nicht nur die einzelne Erkrankung, 
sondern den ganzen Menschen zu behandeln, entgegen und hat uns 
die künstliche Höhensonne deshalb als .ständigen Faktor in die Thera¬ 
pie insbesondere der konstitutionellen Erkrankungen auf nehmen 
lassen. Um es gleich Vorweg zu nehmen: die lokale Wirkung der 
Höhensonne ist so verschiedenartig und in recht zahlreichen Fällen 
so gering, dass wir diese Seite der Bestrahlungstherapie nicht so 
hoch bewerten können, wie das von anderer Seite geschehen ist. 
Ueber'haupt ist zunächst zu sagen, dass die Wirksamkeit der Höhen¬ 
sonne so starken individuellen Schwankungen unterliegt, dass die 
Prognose in jedem Fall eine vollkommen ungewisse ist; Fällen, die 
schnell und auffallend günstig reagieren, stehen andere gegenüber, 
die sich vollkommen refraktär verhalten. 

Ich gehe nun zu der Besprechung der einzelnen Krarikhedts- 
formen über, bei denen wir die künstliche Höhensonne therapeutisch 
anwandten und bemerke gleich, dass im folgenden ausschliesslich 
chirurgisches Material zur Besprechung kommen soll. 

Im grossen und ganzen lassen sich 2 Gruppen von Fällen unter¬ 
scheiden: die erste Gruppe umfasst die Wundbehandlung im weitesten 
Sinne und die 2. die Behandlung der Tuberkulosen und ähnlich ge¬ 
arteter konstitutioneller Erkrankungen. 

Das meiste Material zur ersten Gruppe stellten uns natürlich 
die Kriegsverletzungen. Betrachten wir zunächst die Bestrahlung 
einer reinen Weichteilverletzung, so erwarten wir nach unseren 
eigenen Erfahrungen und denen anderer Autoren, insbesondere auch 
in Anlehnung an die Resultate, die Bernhard, R o 11 i e r u. a. 
mit der Heliotherapie gehabt haben-, von der künstlichen Höhensonne, 
dass sie einmal eine beschleunigte Reinigung der Wundflächen her¬ 
vorruft. Es tritt eine Oedembildung ein, die Blutzirkulationsverhält¬ 
nisse bessern sich, die Demarkationsvorgänge gegenüber dem kran¬ 
ken Gewebe werden unterstützt, nekrotische Partien stossen sich ab 
und frische Granulationen füllen die Wundhöhle aus. Inwieweit eine 
bakterizide Wirkung der ultravioletten Strahlen statthat bzw. bis zu 
welcher Tiefe sie sidh in einer granulierenden Wunde erstreckt, ist 
noch nicht entschieden; eine solche wenigstens für oberflächlich 
sitzende Bakterienanhäufungen anzunehmen, liegt kein Hinderungs¬ 
grund vor. Dabei ist auch von anderer Seite als wesentlich hervor¬ 
gehoben worden, das die Einwirkung der Höhensonne nur dann Er¬ 
folg haben kann, wenn- die Wunde gut zugänglich, frei von gröberen 
Borkenbildungen, Sekretanhäufungen u. dergl. ist, da bei der ge¬ 
ringen Penetrationsfähigkeit der ultravioletten Strahlen nur unter 
dieser Bedingung eine Einwirkung auf die Wunde zu erwarten ist. 
Diese Beobachtung deckt sich auch mit unseren Erfahrungen und 
verlangt die Aufweichung solcher Borken 'durch feuchte Verbände. 

Eine andere zu begrüssende Eigenschaft der ultravioletten Strah¬ 
len ist das Nachlassen der Schmerzhaftigkeit. Zu erklären ist diese 
Erscheinung, analog den Vorgängen bei! der Bi er sehen Stauung 
(Ritter), durch Oedemisierung des Gewebes in der Umgebung der 
Nervenendigungen; dadurch wird deren Leitungsfähigkeit aufgehoben. 
Uebersetzen wir diese theoretischen Forderungen in die Praxis, so 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1124 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41. 


lässt sich im allgemeinen sagen, dass bei reinen Weichtellver- 
letzungen die Behandlung mit der künstlichen Höhensonne im Sinne 
der vorstehenden Angaben gute Erfolge gehabt hat. Allerdings sind 
unsere Erfahrungen auf diesem Gebiete nicht allzu gross, da wir bei 
dem Verwundetenmaterial in der hiesigen Klinik meist kompli¬ 
zierende, insbesondere Knochenverletzungen als Begleiterscheinung 
der Weichteilverletzung seihen. Diese Gruppe der komplizierten 
Verletzungen stellt das grösste Kontigent unseres Materiales dar und 
gerade hier haben »wir ausgedehnten Gebrauch von der künstliohen 
Höhensonne gemacht; dabei ist ganz prinzipiell eine Forderung von 
der allergrössteil Wichtigkeit, und sie ist auch gleichzeitig entschei¬ 
dend für die Beurteilung der Erfolge mit der künstliohen Höhen- 
sonnenbehandlunyj. 

Es sind nämlich, besonders in den ersten Kriegsjahren vielfach 
wahllos alle Fälle von Kriegsverletzungen bestrahlt worden, ohne 
Rücksicht auf die begleitenden Knochenverletzungen. Wir haben 
uns frühzeitig auf den Standpunkt der Friedenschirurgie gestellt, in¬ 
dem wir von vornherein Bedingungen zu schaffen versuchten, unter 
denen eine Ausheilung komplizierter Frakturen etc. allein möglich 
ist. Es erschien uns widersinnig, Heilung z. B. einer solchen Schuss¬ 
fraktur von der Bestrahlung mit künstlicher Höhensonne zu erwarten, 
wenn in der Tiefe Sequesterbildungen vorhanden waren. Dasschliesst 
natürlich nicht aus, dass bei frischen, schwer infizierten Schussfrak¬ 
turen, bei denen eine Demarkation zwischen gesundem und totem 
Knochen noch nicht eingetreten ist, oder bei denen andere Kontra¬ 
indikationen gegen radikalen Eingriff bestehen, die Bestrahlungs¬ 
behandlung eingeleitot werden kann und soll. 

Es kann aber nicht scharf genug betont werden, dass bei diesem 
Verfahren die Strahlentherapie uns nur die günstigen Vorbedingungen 
für die operative Therapie schaffen soll, und dass sie keineswegs im¬ 
stande ist, diese zu ersetzen. 

Von diesem Standpunkt aus betrachtet, sehen wir in der Tat oft 
eine günstige Beeinflussung derartiger Wunden, bestehend in Ver¬ 
minderung der Sekretion, Desodorisierung und Reinigung der Wun¬ 
den. Freilich ist die Wirkung nicht «sehr erheblich und nach urtseren 
Erfahrungen derjenigen anderer bewährter Behandlungsmethoden 
nicht wesentlich überlegen; denn auch bei der künstlichen Höhen¬ 
sonnenbehandlung kommt e® noch zu sekundären Eiterungen, Ab¬ 
szessbildungen etc. Theoretisch betrachtet liegen die Verhältnisse 
anders, wenn durch operatives Vorgehen die störenden Faktoren, 
Sequester, tiefe Knochenkohlen, Fisteln in schwieligen Geweben etc. 
beseitigt und glatte, unkomplizierte Wundverhältnisse geschaffen 
sind. Hier waren wir berechtigt, eine günstige Einwirkung der künst¬ 
lichen Höhensonne zu erwarten. Zuzugeben ist, dass in einem Teil 
der Fälle die Wundheilung durch Anwendung der Bestrahlung be¬ 
schleunigt zu sein scheint; auch ist die Narbenbildung im allgemeinen 
eine gute, insofern als das Narbengewebe besser durchblutet ist und 
die Narbe selbst zarter und leichter verschieblich erscheint. Anderer¬ 
seits haben wir doch eine Reihe von Fällen beobachtet die sich 
schon <vor Anwendung der Bestrahlungstherapie durch einen tor¬ 
piden, langwierigen Heihmgsverlauf auszeichneten, bei denen aus¬ 
gedehnte 'Narbenbildungen, schlaffe Granulationsbildung, lang¬ 
wierige und hartnäckige Fisteleiterungen auch dann noch zurück¬ 
blieben, wenn die Untersuchung mit allen modernen diagnostischen 
Hilfsmitteln eine Ursache für diese verlangsamte Wundheilung nicht 
mehr ergab. Es handelte sich dabei vielfach um Patienten mit tiefen 
Sequesterbildungen u. dergk, die der operativen Therapie erst sehr 
spät zugänglich gemacht wurden. In diesen Fällen hat die künstliche 
Höhensonne recht häufig versagt und nicht vermocht, den Heilungs- 
Prozess nennenswert zu beschleunigen, und auch bei denjenigen 
dieser Patienten, bei denen bei konsequenter Anwendung der Be¬ 
strahlung eine Heilung eantrat, haben wir im ganzen den Bindruok 
gewonnen, dass daran weniger die lokale Wirkung der ultravioletten 
Strahlen auf die Wunde, als vielmehr die allgemeine konstitutloroetie 
Besserung durch die Bestrahlungsbehandlung die Ursache war. So 
sehen wir bei diesen Fällen dasselbe Bild der Bestrahlungsbehand¬ 
lung, wie wir es später noch bei der Ausheilung tuberkulöser Pro¬ 
zesse zu besprechen haben werden. 

Zu der Gruppe der WeichteUwunden .gehört ferner das be¬ 
kannte und gefürchtete Krantoheitsfoild de® Ulcus cruris; unsere Er¬ 
fahrungen auf diesem Gebiete sind nicht sehr gross, doch hatte ich 
immer den Eindruck, dass di.e rein varikösen Ulzera durch kon¬ 
sequente Bestrahlung günstig beeinflusst werden. 

Das Verhalten der mehr oder weniger komplizierten Weichteil¬ 
wunden, wie wfir sie bei Friedensverletzungen, insbesondere bei 
Maschmenverletzungen sehen, bietet natürlich nichts prinzipiell 
anderes als das der schon besprochenen Kriegswunden. 

Eine besondere Abart von Wunden ist noch zu erwähnen, näm¬ 
lich die Operationswunden, deren Ränder durch Naht vereinigt 
wurden. Hier habe lioh besonders in der letzten Zeit zur Erzielung 
feinerer Narben bei plastischen Operationen des Gesichte von der 
künstlichen Höhensonne Gebrauch gemacht. Wie jedem Chirurgen 
bekannt Ast, handelt es sich hier vielfach um Eingriffe unter nicht 
ganz aseptischen Bedingungen, z. B. den plastischen Verschluss von 
Fisteln nach penetrierenden Verletzungen der Gesichtshöhlen. Im 
ganzen bin ich von der Wirksamkeit der künstlichen Höhensonne in 
diesen Fällen befriedigt, selbst auftretende Zeichen leichter Wund¬ 
infektion sohwinden bei frühzeitig einsetzender Bestrahlung, doch 

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muss andererseits die grösste Vorsicht bei der Anwendung der 
Quarzlampe beobachtet werden, da gerade unter solchen Bedin¬ 
gungen eine Verbrennung die beabsichtigte Wirkung in ihr Gegen¬ 
teil umzukehren vermag, indem sie mlit der reaktiven Dermatitis 
den Boden für Infektion, Stichkanaleiterung etc. vorbereitet. 

loh wende mich nun der 2. Hauptgruppe zu; sie «umfasst die 
Tuberkulosen und einige andere konstitutionelle Erkrankungen, die 
wir, wie z. B. dfic Anämie, häufig dm Gefolge chirurgischer Erkran¬ 
kungen auftreten sehen. Gegenstand der Behandlung sind bei uns 
natürlich nur chirurgisch Kranke, unter den Tuberkulosen also haupt¬ 
sächlich das grosse Heer der Knochen- und Gelenktuberkulosen, so¬ 
wie die Drüsen tuberkulöse. Erfahrungen über die Einwirkung der 
künstlichen Höhensonne bei Tuberkulosen aus dem Bereich der in¬ 
ternen Medizin stehen uns nur soweit zur Verfügung, als sie Grenz¬ 
gebiete beider Disziplinen betreffen. 

Gerade für die Gruppe der Tuberkulosen gilt das, was im An¬ 
fang über die biologische Wirksamkeit der künstlichen Höhensonne 
gesagt wurde; die lokale Einwirkung Ist vielfach eine geringe, nur 
bei ganz oberflächlich sitzenden Erkrankungen kann unseres Er¬ 
achtens von einer unmittelbaren Heilwirkung der Quarzlampe ge¬ 
sprochen werden. Als Beispiel nenne ich die überaus häufig als 
Nebenbefund bei der Drüsentuberkulose der Kinder vorhandenen 
skrofulösen Ekzeme. 

In allen anderen Fällen, wo wie bei der Knoohen- und Gelenk- 
tubcrkulose die Krankheitsherde tiefer Hegen, haben wir bei der 
rein lokalen Anwendungsform keine oder nur geringe Einwirkung 
gesehen, dagegen -Ist tin solchen Fällen -die allgemeine konstitutionell 
Wirkung der künstlichen Höhensonne vielfach eine recht günstige. 

Ich beginne mit der Bauchfelltuberkulose, von der bei uns bei 
konsequent über viele Monate hindurch fortgesetzter Bestrahlung 
eine ganze Anzahl Fälle zur Ausheilung oder wenigstens zu einer 
wesentlichen Besserung gelangt sind. Ich weiss wohl, dass hier die 
Beurteilung der Frage, inwieweit der künstlichen Höhensonne vor 
den übrigen Faktoren der Behandlung eine entscheidende Bedeutung 
zukommt, grosser Skepsis begegnen muss; da es sich jedoch bei 
unseren Fällen zum grossen Teil um ausschliesslich ambulant! 
behandelte Patienten handelt, bei denen die übrigen modernen thera¬ 
peutischen Massnahmen, Besserung der Ernährung und der hygie¬ 
nischen Lebensverhältnisse, aus kriegswirtschaftlichem Gründen nur 
in «sehr beschränktem Masse durchgeführt werden konnten, so *stehc 
ich nicht an, der künstlichen Höhensonne einen wesentlichen Anteil 
am Erfolge zu geben. 

Bei den übrigen chirurgischen Tuberkulosen, insbesondere bei 
Gelenk- und Knochen tubericulosen liegen die Verhältnisse ähnlich; sie 
zeigen einen Panallelismus mit den vorhin besprochenen, komplizier¬ 
ten Kriegsverletzungen auch darin, dass alle für notwendig erkann¬ 
ten chirurgischen Massnahmen selbstverständlich durch die Bestrah¬ 
lungsbehandlung nicht verdrängt werden dürfen. Von einer beson¬ 
ders günstigen örtlichen Einwirkung haben wir nicht viel gesehen, 
wenn auch in einzelnen Fällen augenfällige günstige Veränderungen 
von tuberkulösen Fisteln statthatten. Eine ganze Reihe von Kin¬ 
dern mit fistelnden Kolitiden etc. wurden dagegen (lange bestrahlt, 
ohne dass hennenswerte Veränderungen im Bereich des Krankheits¬ 
herdes auftraten. Erst dann, wenn durch (Anwendung der künst¬ 
lichen Höhensonne im Verein mit den allgemeinen hygiehrsch-diätc- 
tischen Massnahmen dde Oesamtkonstifution sich besserte, traten 
auch hier lokale Hefiungserschemunen auf, so dass unseres Erach¬ 
tens bei der überwiegenden Mehrzahl der schweren chirurgischen 
Tuberkulose nur von einer mittelbaren Wirkung der künstlichen 
Höhensonne gesprochen werden kann. Es sei noch hervorgehoben, 
dass gerade unter dieseh Patienten sich auch eine Anzahl fanden, 
die sich völlig refraktär verhielten, d. h. bei denen weder lokale 
noch allgemeine Wirkungen der utttravioletten Strahlen zu ver¬ 
zeichnen waren. Als -augenfälligstes Zeichen) dieser (negativ ver¬ 
laufenden Fälle ist das Ausbleiben der Pigmentierung anzusehen, 
und gerade derartige Erfahrungen lassen uns /der Anschauung 
Rollters zuneigen, dass (schnelles- Auftreten der Pigmentierung 
als prognostisch günstiges Zeichen aufzufassen ist, während Ahr Aus¬ 
bleiben keine gute Vorbedeutung hat. 

SohMesslich habe ich noch eine weitere grosse Ericrankungs- 
gruppe zu erwähnen, das sind die Drüsentuberkulosen und überhaupt 
alle entzündlichen Lymphome, wie wir sie in unserer Gegend be¬ 
sonders bei Kindern ausserordentlich häufig auftreten sehen; und die 
einen erheblichen Anteil der Gesamtfrequenz unserer Höhensonnen- 
abteilung dar stellen. 

Das Bild der iDrüseroerkrankungen ist bekanntlich ero ausser¬ 
ordentlich mannigfaltiges. Von den einfachsten isolierten, geschlos¬ 
senen, indolenten Lymphdrüsenschwelhingen bis zur schwersten käsi¬ 
gen, fistelnden Drüsen tuberkulöse finden wir alle Abstufungen und 
Uebergange; so verschieden wie das Krankheitsbdüd ist, Ast auch die 
Therapie, vom einfachen feuchten Umschlag bis /zur radikalen Ex¬ 
zision grosser regionärer Drüsenpakete. Alle Fälle aber haben aas 
gemein, dass wir auch hier die Allgemeinbehandlung .als wesentlichen 
Faktor neben, den lokalen Eingriff stellen und' damit bildet die Ge¬ 
samtheit dieser Patienten einen dankbaren Gegenstand für die Be- 
strahBungsbehandlung; ich sage dankbar, derin die Drüsenerkran¬ 
kungen sind dasjenige Gebiet, auf dem loh mät die meisten und un¬ 
mittelbarstem* günstigen Einwirkungen der ultravAalettein Strahlen 

Original frn-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



S. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1125 


gesehen habe. Schon frühe»!* als wir •derarttae Patienen noch mehr 
oder weniger rein lokal bestrahlten, war es überraschend, wie 
prompt die (Reaktion in vielen Fällen .auftrat; allerdings gab es 
manchmal auch hier vollkommen refraktäres Verhalten, und zwar 
auffallen-derweise bei wenig virulenten, sehr fchromiisch verlaufenden 
Driisenaffektionen. Seit w.ir derartige Patienten ebenfalls möglichst 
ausgedehnt bestrahlen, sind düe Erfolge eher noch besser geworden. 
Wir wenden selbstverständlich andere bewährte Behandlungsmetho¬ 
den neben der Quarzlampenbestrahlung an, doch ist in sehr vielen 
Fällen eine günstige Einwirkung der Bestrahlung unverkennbar. 
Das gleiche gilt auch für eine ganz oberflächlich liegende Erkran¬ 
kung. die wir bei tuberkulösen Kindern, überhaupt bei Kindern mit 
lymphatischer Konstitution ansserordentHoh häufig auftreten sehen. 
Ich meine das schon erwähnte skrofulöse Ekzem, dessen rasche 
Abheilung unter der künstlichen .Hohensonne oft gtanz erstaunlich 
ist. Von den übrigen Erkrankungen der Haut, wie Firrurikulose, 
Ekzem u. dergl. haben wir bisher zu wenig .mit der Quarzson.net be¬ 
handelt, um uns ein abschliessendes Urteil zu gestatten, das gleiche 
gilt für die tupösen Prozesse der Haut und der Schleimhäute. 

Damit möchte ich meine Besprechung schliessen. Zusammen- 
fasse**d lässt sich sagen, dass wir h e*<u t' e i n d e r k ii n s 11 i c h e n 
Höhensonne hauptsächlich ein Mittel sehen, die 
bewährten älteren Behandlungsmethoden der im 
vorstehenden erwähnten Krankheiten zu« (unter¬ 
stützen, nicht sie zu verdrängen; die Wirkung der 
Bestrahlungstherapie ist individuell ganz ver¬ 
schieden, s o d a s s e i n e >s i c >h e r e Prognose in keinem 
Fall zu stellen ist: dabei ziehen wir prinzipiell die 
Allgemeinhefetrahlung dc’r lokalen vor. 

Ich bin mir bewusst. Ihnen, in. H., «in meinem .kurzen Vortrag 
weder ein abschliessendes Urteil über dem Wert der Quecksilber¬ 
dampflampe in der chirurgischen Therapie, noch eine vollständige 
Aufstellung fall der Krankheitsbiilder gegeben zu haben, die der 
Strahfentherapie zugänglich sind. Dazu »i»st die ganze Sache noch zu 
neu «tmd unsere Erfahrungen auf einzelnen Gebieten zu gering. Ich 
wollte hauptsächlich einen Beitrag zur Indikationsstellumg geben und 
damit die ganze Frage zur 'Diskussion stellen. 


Aus der Medizinischen Universitätsklinik Halle a. S. 

(Qeheimrat Ad. Schmidt.) 

Ueber zentrale Pneumonie und ihre Bedeutung für die 
zentrale Entstehung der Pneumonie. 

Von Dr. Walter Hesse, Assistent der Klinik. 

Seit den Arbeiten Lichtheims 1 ) [1889], de la Camps 3 ) 
|1905] und Rieders 3 ) [1906], die das Krankheitsbild der zentralen 
Pneumonie erschlossen, fehlt es in der Literatur an neuen Beiträgen 
zu diesem Kapitel der Medizin. Die spärliche Zahl der bisher ver¬ 
öffentlichten Fälle von zentraler Pneumonie spiegelt sich wieder in 
den Worten S t a e h e 1 i n s, der im Handbuch der inneren Medizin 
von Mohr und Stach elin dieses Krankheitsbild als „ziemlich 
selten“ bezeichnet. Nach unseren Erfahrungen stellt die zentrale 
Pneumonie keineswegs eine seltene Verlaufsart der Pneumonie dar. 


unseren Auskultations- und Perkussionsmethoden der Nachweis pneu¬ 
monischer Infittrationsprozesse nur dann gelingt, wenn dieselben im 
äusseren Drittel der Lunge gelegen sind, versteht es sich von selbst, 
dass pneumonische Infiltrationsprozesse im inneren oder mittleren 
Drittel der Lunge unseren physikalischen Untersuchungsmethoden 
entgehen, denn die sie umgebende Schicht gesunden Lungengewebes 
steht der Fortleitung des krankhaft veränderten Atemgeräusches und 
dem perkutorischen Nachweis der pneumonischen Dämpfung hin¬ 
dernd im Wege. In der früheren Zeit, die das Röntgenbild als dia¬ 
gnostisches Hilfsmittel noch nicht kannte, baute sich die Diagnose der 
zentralen Pneumonie einzig und allein auf einen der lobären Pneu¬ 
monie ähnlichen klinischen Verlauf auf, wobei an der Vervollständi¬ 
gung des Bildes der lobären Pneumonie nur der charakteristische 
Lungenbefund fehlte. Es liegt demnach auf der Hand, dass eine Dia¬ 
gnose, die allein auf diesen Symptomen basierte, recht unsicher war. 
So war es der Röntgendiagnostik um die Wende des vorigen Jahr¬ 
hunderts Vorbehalten, die Diagnose der zentralen Pneumonie durch 
den Nachweis eines zentralen Lungenschattens zu erhärten. Ich darf 
hier als bekannt voraussetzen, dass das Charakteristikum der lobären 
Pneumonie im Röntgenbild die gleichmässig dichte, der Ausbreitung 
eines Lappens entsprechende Trübung ist, während sich die lobäre 
Pneumonie als eine der Grösse der hepatisierten Läppchengruppen 
entsprechend gross- und kleinfleckige Trübung darstellt. 

Seitdem wir dem Krankheitsbilde der zentralen Pneumonie 
unsere Aufmerksamkeit schenken und bei allen akuten 1 , mit Schüttel¬ 
frost, Bruststichen und hohem Fieber einhergehenden Erkrankungen 
bei unbefriedigendem physikalischen Lu n ge Hb ef und das Röntgenbild in 
den Kreis unserer diagnostischen Hilfsmittel ziehen, mehren sich 
unsere Beobachtungen von zentraler Pneumonie zusehends. 

Im Röntgenbilde präsentiert sich uns die zentrale Pneumonie in 
ihrer reinsten Form als eine dem Lungenhilus anliegende, Zweimark¬ 
stück- bis kleinhandtellergrosse, mehr oder weniger gleichmässig 
dichte Trübung von der Dichte des Herzschattens, die sich meist 
in das umliegende Lungengewebe ohne scharfe Grenze verliert 
(Fig. 1, 2 u. 4). Ein Beispiel hierfür bietet uns Fig. 1, die einen über 
fünfmarkstückgrossen dichten Schatten in den unteren Ausläufern des 
Hilusschattens der rechten Lunge darstellt, der in dieser Grösse 
während der ganzen Dauer der Erkrankung unverändert besteht. Es 
leuchtet ohne weiteres ein, dass diese Lokalisation der Pneumonie 
unserer Diagnose mit Hilfe der physikalischen Untersuchungsmethoden 
entgehen muss. 

In anderen Fällen sehen wir die pneumonische Trübung sich 
nicht auf die rein zentrale Lokalisation beschränken, sondern im Ver¬ 
laufe der Erkrankung vom zentralen Herd nach der Lungenperipherie, 
keilförmig sich verbreiternd, fortschreiten. Auf dem Wege zur Peri¬ 
pherie macht die Trübung entweder noch vor Erreichung der la¬ 
teralen Brustwand Halt, oder sie verläuft bis zur lateralen Brustwand, 
wobei sie sich in der Perphene der Lunge deutlich aufhellt. Ein 
Beispiel für den ersten Fall ist uns Fig. 3, die einen keilförmigen, 
nicht bis zur lateralen Brustwand reichenden Lungenschatten mit 
11 cm breiter Basis in der oberen Hälfte des linken Lungenfeldes 
darstellt. Fig. 2 a repräsentiert den Typus des keilförmigen, bis zur 
lateralen Brustwand reichenden, aber peripher sich aufhellenden 
Lungenschattens und zeigt, wie sich aus der in Fig. 2 wieder¬ 
gegebenen zweimarkstückgrossen, am rechten Hilus gelegenen Trü¬ 
bung und der einen Zwischenrippenraum höher gelegenen kleineren 
und weniger dichten Trübung im Laufe der Erkrankung zwei sektoren¬ 
förmige Trübungen durch peripheres Fortschreiten der beiden zen¬ 
tralen pneumonischen Prozesse lierausgebildet haben, die sich im 



Ihre geringe Beachtung liegt vor allem darin begründet, dass der 
Diagnosenstellung am Krankenbett erhebliche Schwierigkeiten be¬ 
gegnen, die sich mit den primitiven Hilfsmitteln 1 der Praxis nicht ohne 
weiteres beheben lassen. Diesem Umstande ist es zu zu sehr eiben, 
dass das Krankheitsbild der zentralen Pneumonie in der überwiegen¬ 
den Mehrzahl der Fälle unerkannt bleibt und vielfach unter der Ver¬ 
legenheitsdiagnose Influenza rubriziert wird. Die Schwierigkeiten in 
der Diagnosenstellung erklären sich aus der zentralen Lage des 
pneumonischen Prozesses in den Lungen. Da bekanntermassen 


*) Licht heim: Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. 3. S. 81—82. 

2 ) de la Camp: Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. 9. 1904. 

3 ) Rieder: M.m.W. 1906 S. 1945. 

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peripheren Drittel deutlich aufhellen. Im Röntgenbild kreuzen sich 
diese beiden Schattensektoren und fallen mit ihrer 8 cm breiten Basis 
zusammen, während sie in Wirklichkeit natürlich hintereinander ge¬ 
legen zu denken sind. In beiden Fällen von keilförmiger Schatten¬ 
bildung vermissen wir in der Regel die für Pneumonie charakteristi¬ 
schen Auskultationsphänomene. Entweder fehlt an der röntgeno¬ 
logisch als erkrankt festgestellten Lungenpartie jeder abnorme Aus¬ 
kultationsbefund oder die Erkrankung des Lungensektors gibt sich 
durch eine Abschwächung des Atemgeräusches zu erkennen, die dann 
meist über die Grenzen des befallenen Sektors hinausgeht und häufig 
über dem grössten Teil des betreffenden Lungenlappens wahrnehm¬ 
bar ist. In anderen Fällen finden sich im Bereich des röntgenologisch 
veränderten Lungensektors und dessen Umgebung die Zeichen einer 

Original from 

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1126 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41. 


Bronchitis in Gestalt klein- bis mittelgrossblasiger feuchter, nicht 
klingender oder giemender Geräusche bei normalem oder abge¬ 
schwächtem Vesikuläratmen. Eines der häufigsten Symptome ist das 
pleuritische Reiben auf der Seite der Erkrankung das auch bei dem 
röntgenologisch nicht bis zur Lun gen Peripherie reichenden keil¬ 
förmigen Lungenschatten zur Beobachtung kommt. Was nun den 
Klopfschall anbetrifft, so kann er vollkommen normal sein; häufiger 
ist er allerdings auch bei den bis zur Lungenperipherie reichenden 
Trübungen tympanitisch. Auffallend erscheint hier auf den ersten 
Blick der Widerspruch zwischen dem negativen oder fiir Pneumonie 
uncharakteristischen physikalischen Lungenbefund und der röntgeno¬ 
logisch sichergestellten, bis zur lateralen Brustwand reichenden 
Schattenbildung, eine Beobachtung, deren Richtigkeit mit Recht an- 
gezweifelt werden könnte, wenn sie nicht von uns wiederholt be¬ 
obachtet und von anderen Seiten (de 1 a Camp. Rosenf eld) be¬ 
stätigt worden wäre. Diesen scheinbaren Widerspruch glauben wir 
damit erklären zai können, dass es sich hierbei gar nicht um eine 
bis zur Lungenperipherie reichende Hepatisierung handelt, denn eine 
derartige Hepatisationstrübung müsste nahe der Brustwand, ent¬ 
sprechend dem hier grösser werdenden Durchmesser des schatten¬ 
gebenden Lungensektors an Intensität zunehmen, während der keil¬ 
förmige Schatten in unseren Fällen nahe der Peripherie an Dichte 
verliert. Auf Grund der bekannten Tatsache, dass atelektatisches 
Gewebe im Röntgenbilde einen weniger dichten Schatten gibt als 
hepatisiertes Gewebe, glauben wir -die Abnahme der Dichte des 
röntgenologischen Schattens nahe der Brustwand so erklären zu 
können, dass 'hier dem Sektor eine bis zur lateralen Brustwand 
reichende Zone atelektatisclien Gewebes aufsitzt, wie dies der patho¬ 
logische Anatom m der Umgebung jeder Pneumonie zu sehen ge¬ 
wohnt ist. Mit dieser Annahme stimmt auch die für Atelektase 
charakteristische tvmpanitische Veränderung des Klopfschalls überein, 
die wir hier über dem befallenen Lungensektor beobachteten. 


Für die Therapie gelten dieselben Giundsätze wie bei der lobären 
Pneumonie. 

Die Diagnose der zentralen Pneumonie kann sich somit im Be¬ 
ginn der Erkrankung, wenn, wie meist, rostfarbenes Sputum fehlt, 
bei dem negativen oder unzureichenden physikalischen Lungen¬ 
befund in der Aussenpraxis, wo kein Röntgenapoarat zur Verfügung 
steht, meist nur auf Vermutungen gründen. Vielfach wird sie erst 
nachträglich gestellt werden, wenn innerhalb lÖTageu eine kritische 
Entfieberung eingetreten ist, und wenn inzwischen durch die Be¬ 
obachtung Typhus, Sepsis, Miliartuberkulose und Influenza, mit der 
sie die meiste Ähnlichkeit hat, differentialdiagnostisch ausgeschlossen 
sind. Dem Arzt, der das Röntgenogramm in den Kreis seiner dia¬ 
gnostischen Hilfsmittel ziehen kann, ist hiermit ein diagnostisches 
Hilfsmittel von unschätzbarem Werte in die Hand gegeben, das ihm 
in vielen unklaren Fällen den gewünschten Aufschluss geben wird. 

Zusammenfassend lässt sich über den klinisch und röntgeno¬ 
logisch verfolgten Verlauf der zentralen Pneumonie sagen, dass die 
zentrale Pneumonie einerseits während der ganzen Dauer der Er¬ 
krankung zentral bleiben, dass sie andererseits zur Peripherie fort¬ 
schreiten kann. Dieses Fortschreiten der Pneumonie von einem 
am Lungenhilus gelegenen Infiltrationsherd zur Peripherie erfolgt nach 
den obigen Ausführungen keilförmig in den Grenzen eines ganzen 
Lungenlappens oder eines Lungenlappensegmentes unter strenger 
Innehaltung der Segmentgrenzen. Die periphere Ausbreitung einer 
Pneumonie von einem am Hilus gelegenen Pneumonieherd kann nach 
unseren Beobachtungen schnell und kontinuierlich im Verlaufe eines 
Tages seit dem initialen Schüttelfrost erfolgen. Es sind das die¬ 
jenigen Fälle, wo man schon 24 Stunden nach Ausbruch der Erkran¬ 
kung einen voll ausgeprägten physikalischen Pneumoniebefund er¬ 
heben kann. In anderen Fällen dehnt sich die zentrale Pneumonie 
schubweise im Verlaufe etlicher Tage zur Lungenperipherie aus. Die 
Frage, von welchen Bedingungen die Entstehung einer dauernd zen- 



Natürlich bleibt der Charakter dieser röntgenologisch als Keil¬ 
form sich darstellenden zentralen Pneumonie im Verlaufe der Er¬ 
krankung nicht immer gewahrt. Im Gegenteil finden wir recht häufig 
die Ausbreitung des zentralen pneumonischen Herdes zur Lungenperi¬ 
pherie, die sich perkutorisch durch Uebergang der ursprünglichen 
Tympanie in Dämpfung und auskultatorisch duroh Auftreten von 
Knisterrasseln und Bronchialatmen zu erkennen gibt. Das Fort¬ 
schreiten dieses zentralen pneumonischen Prozesses zur Lungen¬ 
peripheri'e geht aber nicht nur von der Keilform der Pneumonie aus, 
sondern ebenso oft von der umschriebenen Infiltration am Lungen¬ 
hilus aus, indem hier die Pneumonie anstatt in einem Lappensektor 
in einem ganzen Lappen gleichmässig zur Peripherie fortschreitet. 
Ein Beispiel für diese Verlaufsart stellen Fig. 4 und 4 a dar, wo sich 
aus einer kinderhandtellergrossen. der rechten Begrenzung des Herz¬ 
schattens aufsitzenden dichten Trübung im unteren Drittel des rechten 
Lungenfeldes am zweiten Krankheitstage (Fig. 4) im Verlaufe der 
nächsten Tage eine dem Unterlappen entsprechende (lobäre) gleich¬ 
mässig dichte Trübung entwickelt (Fig. 4 a). die, wie die Mehrzahl 
der lobären Pneumonien, an zwei Stellen lufthaltige Parenchyminseln 
auf weist, ohne natürlich hierdurch ihren Charakter als lobäre Pneu¬ 
monie einzirbüssen. 

Was nun den klinischen Verlauf der zentralen Pneumonie, die. 
soweit untersucht wurde, auf Pneumokokkeninfektion beruhte, an¬ 
belangt. so ist es von vornherein selbstverständlich, dass das Krank¬ 
heitsbild der zentralen Pneumonie mit dem der lobären Pneumonie 
sich in vielen Punkten decken wird, zumal wir für die früh in unsere 
Beobachtung gekommenen Fälle von lobärer Pneumonie den zentralen 
Beginn röntgenologisch festlegen konnten. Im grossen und ganzen 
kann man sagen, dass die zentrale Pneumonie eine mildere Verlaufs¬ 
form der lobären Pneumonie darstellt, was sich aus dem geringen 
Umfang der Hepatisation ohne weiteres erklärt. Fieber, initialer 
Schüttelfrost, Bruststiche und Husten vermissen wir hier eigentlich 
nie. Der Fieberverlauf, sowie die kritische oder lytische Entfiebe¬ 
rung bieten nichts grundsätzlich Abweichendes von dem bekannten 
Bilde der lobären Pneumonie. Schwere Beeinträchtigung des All¬ 
gemeinbefindens, sowie ernste Störungen von seiten des Respirations- 
und Zirkulationsapparates kommen hier selten zur Beobachtung. Rost¬ 
farbenes Sputum, wie auch weniger charakteristischen schleimig- 
eitrigen Auswurf vermissen wir in der Mehrzahl der Fälle. Die Pro¬ 
gnose ist durchaus gut._ Todesfälle hatten wir nicht zu verzeichnen. 

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tral bleibenden und einer zentral beginnenden und zur Peripherie fort- 
i schreitenden Pneumonie abhängt, dürfte sich im wesentlichen dahin 
: beantworten lassen, dass erstens der Virulenzgrad und die Art der 
! Entzündungserreger und zweitens die natürlichen Schutzkräfte des 
Körpers für die mehr oder weniger starke Ausbreitung eines pneu¬ 
monischen Prozesses bestimmend sind. 

Während wir so in allen daraufhin untersuchten Fällen die lobäre 
Pneumonie aus einem zentralen Herd entstehen sehen, konnten wir 
andererseits niemals die Beobachtung machen, dass sich eine lobäre 
Pneumonie in der Peripherie oder in der Mitte eines Lungenlappens 
zwischen Lungenhilus und Lungenperipherie entwickelt, um von dort 
aus nach dem Zentrum fortzuschreiten. Auch in der Literatur konnten 
wir keine Belege für das Wandern einer lobären Pneumonie von der 
Peripherie zum Lungenzentrum finden. Da wir ferner auch für die 
Wanderpneumonie -durch das Röntgenbild den Beweis erbringen 
konnten, dass sie sich durch Uebergreifen des Entzündungsprozesses 
von einem erkrankten Lappen auf das Zentrum des benachbarten 
Lungenlappens entwickelt, halten wir uns für berechtigt, unsere an 
einem grösseren Material gewonnenen Beobachtungen zu veralfge- 
meinern und den zentralen Ursprung als den gewöhnlichen Ent¬ 
stehungsmodus der lobären Pneumonie anzusprechen. Für diese unsere 
Anschauung von der zentralen Entstehung der Pneumonie und ihrem 
ev. Fortschreiten zur Lungenperipherie sprechen nicht nur unsere 
oben mitgeteilten Beobachtungen, sondern auch jene, jedem Arzt ge¬ 
läufige Tatsache, dass in vielen Pneumoniefällen am ersten oder 
zweiten Krankheitstage noch kein krankhafter physikalischer Lungen- 
befund zu erheben ist, und dass sich später eine Tympanie einstellt, 
die dann einer absoluten Dämpfung Platz macht. Der anfangs negative 
physikalische Befund und die spätere Tympanie wurde bisher mit 
dem Stadium der Anschoppung erklärt, die anfangs keine physikali¬ 
schen Symptome und später Tympanie machen sollte. Dieser An¬ 
schauung können wir nicht beipflichten. Auf Grund unserer obigen 
Darlegungen glauben wir diese Befunde mit der jeweiligen Aus¬ 
dehnung des pneumonischen Prozesses zwangloser erklären zu 
können, indem wir den anfänglichen negativen Befund auf die rein 
zentrale Lokalisation des pneumonischen. Prozesses, die Tympanie auf 
die Keilform der Pneumonie mit peripherer Atelektase und den voll 
ausgeprägten physikalischen Pneumoniebefund auf die bis zur Lungen¬ 
oberfläche fortgeschrittene Lungenentzündung zurückführen. Welchem 
von diesen drei Stadien in der Entwicklung der lobären Pneumonie 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




$. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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wir also am 1., 2. oder einem der späteren läge begegnen, hängt 
von der Schnelligkeit ab, mit der der pneumonische Infiltrationspro¬ 
zess vom Zentrum zur Peripherie der Lunge verläuft. 

Für die Pathogenese einer lobären Lungenentzündung 
kamen bisher 4 Infektionsmöglichkeiten in Frage: 1. die Infektion mit 
dein Luftstrom, womit man die Vorstellung einer Einschleppung der 
Enzünaungserreger mit der lnspirationsiuft in die Alveolen verbindet, 
2. die Infektion auf dem Bronchialwege, bei der man sich ein Ueber- 
wandern der Entzündung von den Bronchiolen auf die Alveolen vor¬ 
stellt, 3. die Infektion auf dem Blutwege in Form einer Bakterien- 
einbolie und 4. die Infektion auf dem Lymphwege, retrograd von 
den tracheobronchialen Lymphdrüsen erfolgend. 

Der Luftstrom als Infektionsquelle ist nicht geeignet, das von 
uns beobachtete periphere Fortschreiten der zentralen Pneumonie zu 
erklären, denn mit dieser Art der Injektion müssen wir logischer weise 
<ue Forderung verknüpfen, dass das ganze von dem infizierten Luft- 
strom durchflossene Lungensegment auf einmal und nicht, wie in 
unseren Fällen, in Schüben erkrankt. 

Der bronchogenen Infektion, die von T e n d e 1 o o *), W. M ü 1 - 
l e r a ), Bezzola 0 ) und Ribbert 7 ) vertreten wird, liegt die An¬ 
schauung zugrunde, dass die Pneumonie in einem Bronchioius beginnt 
und sich von dort auf dem Wege der Septen und Lymphspalten auf 
das Alveolarparenchym fortsetzt. 

Auch dieser Infektions weg würde unsere Anschauung über das 
Fortschreiten der Pneumonie vom Hilus zur Peripherie eines grossen 
Lungensegmentes nicht erklären. Dehnen wir aber den Begriff der 
bronchogenen Infektion auf den Hauptbronchus aus, und wollen wir 
unter einer bronchogenen Iniektion die deszendierende Infektion von 
einem Hauptbronchus auf die zugehörigen Bronchen, Bronchiolen und 
Alveolen verstanden wissen, so haben wir hier die gewünschte Er¬ 
klärung für die periphere Ausbreitung einer Pneumonie. 

Zur Erläuterung meiner Theorie nehme ich Bezug auf Figur 5. 
die einen Lungenkegel schematisch darstellt, wie er sich uns im 
Köntgenbikle als keilförmiger Schatten präsentiert. 

Das Bronchialsystem dieses Lungenkegels sammelt sich in einem 
Seitenbronchus, der sich in den Stammbronchus des linken Ober- 
Lappens ergiesst. Meine Theorie geht von der bekannten Tatsache 
aus, dass zum pathologisch-anatomischen Bilde der lobären Pneu¬ 
monie eine Bronchitis nicht nur der Bronchen des befallenen Lappens, 
sondern auch der grossen Bronchen der übrigen Lunge und gelegent¬ 
lich auch der Trachea gehört. Wenn nun ein Katarrh des Stamm¬ 
bronchus auf den Seitenbronchus übergeht und auf dem Wege zur 
Peripherie begriffen am Uebergang vom inneren zum mittleren Drittel 
des Lungenkegels Halt macht, weil die Entzündung der Bronchial¬ 
schleimhaut sich an den natürlichen Schutzkräften des Körpers er¬ 
schöpft, so wird sich der Entzündungsprozess vermutlich gleichzeitig 
auch auf die kleinen seitlichen Aeste des Seiteirbronchus etwa an¬ 
nähernd so weit wie in diesem fortsetzen und, da er hier bereits auf 
Alveolarparenchym stösst. eine Hepatisation hervorrufen. So wäre 
das Bild der zentralen Pneumonie (in unserer Figur schraffiert ge¬ 



halten) entstanden zu denken. Schreitet der Entzündungsprozess im 
Seitenbronchus peripher weiter, z. B. bis zur punktierten Linie in 
unserer Figur, so werden die seitlichen Aeste des Seitenbronchus 
analog von der Entzündung betroffen werden, und es wird hieraus das 
Bild der kegelförmigen, die Lungenperipherie noch nicht erreichenden 
Pneumonie resultieren, wie sie uns im Röntgenbilde als keilförmige. 


*) Tendeloo: Sudien über die Ursachen deT Lungenkrank¬ 
heiten. Bergmann, Wiesbaden 1902 

B ) W Müller: D. Arch. f. klm. Med. 74. 1902. 

•) Bezzola: Virch. Arch. 136. S. 345. 

7 ) Ribbert: Siel^ e z z o 1 a., 

Nr. 141. ' ized by 


ftrch. Arch. 136. S. 3 
iehe--£ e z z o 1 a. | 

Go, gle 


peripher sich aui hellende Trübung begegnet. Läuft schliesslich die Ent¬ 
zündung bis in die Endverzweigungen des Bronchialbaumes und deren 
Alveoiarparenchym aus, so ergibt sich das Bild der physikalisch voll 
ausgeprägten lobären Pneumonie. Das „Wandern“ einer Pneumonie 
von einem Lappen auf den anderen wäre, da, wie oben erwähnt, die 
Vvanderpneumonie im Zentrum des neuerkrankenden Lappens be¬ 
ginnt, so zu erklären, dass der Entzündungsprozess der '1 rachea oder 
des Hauptbronctius, der schon in einem Seitenbronchus zur Peripherie 
ais keiliörmige Pneumonie auslief, auch auf einen anderen Seiten¬ 
bronchus überwandert und dort in dessen Verzweigungen das eben 
beschriebene Bild der Pneumonie hervorruft. Dass neben dieser 
bronchogenen Ausbreitung der Pneumonie noch ein Weiterwandern 
der Entzündung von Alveole zu Alveole auf dem Wege der Gewebs- 
spaiten und Lymphbaiinen stattfinden kann, wenn der entzündliche 
Prozess in die Alveolen gelangt ist, wie dies von W. Müller als 
Typus der Ausbreitung einer Pneumonie angesehen wird, soll nicht 
bestritten werden. Voraussetzung aber ist, dass der entzündliche 
Prozess erst auf dem Bronchialwege in die Alveolen am LungenhUus 
gelangt. Die weitere Ausbreitung von Alveole zu Alveole auf dem 
Wege der Gewebsspalten und Lymphbaiinen erscheint daneben von 
untergeordneter Bedeutung. Aus der einfachen Ueberlegung, dass 
der entzündliche Prozess der Bronchialschleimhaut auf seinem Wege 
zur Peripherie in jedem Bronchus zum Stillstand kommen kann, 
würde sich die bekannte Erscheinung erklären, dass in einer nach 
klinischen Begrifien lobär hepatisierten Lunge häufig kleine und grosse 
Partien lufthaltigen Gewebes eingestreut sind. Breitet sich der Ent- 
zünüungsprozess nur in einer menr oder weniger beschränkten Zahl 
von Bronchen und Läppchen eines Seitenbronchus aus, so wird hieraus 
das Bild einer lobulären Pneumonie resultieren. Mit diesem unseren 
Lrklärungsversuch steht im Einklang die von Ribbert und Bez¬ 
zola vertretene und seitdem mehr und mehr durchdringende An¬ 
schauung, dass zwischen der lobären und lobulären Ausbreitung der 
Lungenentzündung kein qualitativer, sondern nur ein quantitativer 
Unterschied besteht. 

Für die Aspirationspneumonie vertrat bisher W. Müller die 
Anschauung, dass die aspirierten Infektionserreger direkt in die 
Alveoien aspiriert werden und eine auf interstitiellem Wege in den 
Saftbahnen und Septen sich ausbreitende Pneumonie hervorrufen. An 
der Hand einer nach einer in Lokalanästhesie ausgeführten Ton¬ 
sillektomie beobachteten Aspirationspneumonie, die analog Fig. 4 
zentral entstand und sich peripher ausbreitend lobären Charakter an¬ 
nahm, glauben wir die Entstellung dieser Aspirationspneumonie nur so 
deuten zu können, dass das aspirierte infektiöse Material eine In¬ 
fektion des Hauptbronchus gesetzt hat, die sekundär auf dem Bron¬ 
chialwege in eine Pneumonie ausklang. Wie weit diese Beobachtung 
über zentrale Entstehung der Aspirationspneumonie verallgemeinert 
werden kann, bleibt weiteren Untersuchungen Vorbehalten. 

Auch für die Fälle hämatogener und lymphogener Entstehung 
der Pneumonie, die in der Literatur wiederholt beschrieben sind, ist 
es ohne weiteres einleuchtend, dass die hämatogene und lymphogene 
Infektion eines grossen Lungensegmentes nur im Lungenhilus ent¬ 
setzen und sich auf dem Wege über die Lungenwurzel nach der Peri¬ 
pherie hin ausbreiten kann, eine weitere Stütze für die Richtigkeit 
meiner Theorie. 

Zusammenfassung. 

Die zentrale Pneumonie ist entgegen den Angaben der medi¬ 
zinischen Handbücher nach unseren Erfahrungen eine häufige Ver¬ 
laufsform der lobären Pneumonie. Die angebliche Seltenheit der zen¬ 
tralen Pneumonie ist nach unseren Beobachtungen auf die Schwierig¬ 
keit der Diagnosenstellung zurückzuführen. Die schwierige Erkennung 
der zentralen Pneumonie erklärt sich daraus, dass die Kardinal- 
symptoine der lobären Pneumonie, der spezifische physikalische 
Lungenbeiund und das rostiarbene Sputum, hier meist fehlen. Ent- 
‘ sprechend dem geringen Umfang der pneumonischen Infiltration ist 
aus Krankheitsbild der zentralen Pneumonie durch einen milderen Ver¬ 
lauf als die lobäre Pneumonie ausgezeichnet. Das wichtigste dia¬ 
gnostische niltsmittel ist das Kontge-nbild, das in den Frühstadien eine 
am Lungenhilus gelegene mehr ouer weniger rundliche 1 rübung dar- 
steilt. Diese roj-rn kann die zentrale Pneumonie während der ganzen 
Dauer der Erkrankung beibehalten. ln anderen Fällen sehen wir 
diese zentrale Hcpatisationstrubung im Röntgen bilde sich als keil- 
lörmige Trübung nach der Lungenperipherie iortsetzeu, ohne diese 
jedoch zu erreichen. Das weitere Fortsciireiten der Pneumonie aus 
Oiesem Stadium bis zur Lungenoberfläche macht aus einer zentralen 
Pneumonie eine typische lobäre Lungenentzündung. Diese von uns 
wiederholt beobachtete, schubweise verlaufende Ausbreitung der 
Pneumonie vom Zentrum zur Peripherie berechtigt uns zu der An¬ 
nahme, dass die lobäre Pneumonie sich gewöhnlich im Lungenhilus 
entwickelt, und dass es von dem Virulenzgrad und der Art der Ent¬ 
zündungserreger und von den natürlichen Schutzkräften der Lunge 
abhängt, ob eine Pneumonie zentral lokalisiert bleibt oder zur Peri¬ 
pherie fortschreitet, und ob diese periphere Ausbreitung sich am 
ersten Tage oder erst im Verlaufe der Erkrankung vollzieht. Was den 
Infektronsweg anbelangt, so kann der Wer beobachtete Ablauf der 
Pneumonie vom Zentrum zur Peripherie und insbesondere die rönt- 

Üriginalfrom ^ 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



MUENCHßNfiR MEDIZINISCHE WoChENSCHfttFf. 


Nr. 41. 


1128 


genologisch nach ge wiese ne keilförmige Ausbreitung derselben nur 
so erklärt werden, dass die Infektion entweder von dem Stamm- 
broaichirs auf einen oder mehrere Seitenbronchen übergeht und in 
deren bronchialer Verästelung zum respirierenden Parenchym ab¬ 
läuft. oder dass die Entstehung auf dem Blutwege oder auf dem 
Lymphwege (retrograd von den tracheobronchialen Lymphdrüsen) in 
das Hihrsgebiet der Lunge gelangt und hier auf dem interstitiellen 
Wege in den Lymphbahnen und Alveolarsepten von- Alveole zu 
Alveole zur Peripherie fortschreitet. In den von uns bisher beob¬ 
achteten Fällen handelte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine 
bronehogene Infektion. 

Aus dem Festungslazarett Germersheim. 

(Direktor: Oberstabsarzt Dr. Agöron.) 

Bemerkungen zum bakteriölogiechen und klinischen 
Charakter der diesjährigen Grippe-Epidemie. 

Von Prof. Dr. Heinrich v. Hoesslin, Stabsarzt d. R. 

Schon längere Zeit, ehe die Tagespresse über das Auf¬ 
treten der „Spanischen Krankheit“ in Deutschland berichtete, waren 
hier einzelne Krankheitsfälle unter dem Bilde eines kurzdauernden 
akuten fieberhaften Katarrhs der oberen Luftwege oder dem eines 
Ein- odier Zweitagefiebers unter mässig heftigen Allgemeinerschei¬ 
nungen aufgetreten; auch schwerere Bronchopneumonien wurden mit 
einem Male häufiger beobachtet, als in den vorangegangenn Mona¬ 
ten. Eine weitere Verbreiterung erfolgte von ihnen aus nicht, ob¬ 
wohl Witterung und andere Umstände die Vorbedingungen zu schaf¬ 
fen schienen. Das war ungefähr in der zweiten Hälfte des Monats 
Mai. 

Erst Anfang Juni erfolgte ein rasches Aufleben zuerst in klei¬ 
nerem Kreise, von einem bestimmten, aus dem Westen frisch ein¬ 
getroffenen Manne ausgehend. Innerhalb 24 Stunden war die Hälfte 
der Zimmergenossen unter den bekannten Erscheinungen erkrankt, 
schnell breitete sich -die Seuche auch auf Leute aus. die mit den Er¬ 
krankten nur in kurzdauernde Berührung kamen. Bald darauf wurde 
auch von anderen Stellen des gleichen Ortes über vereinzeltes 
Auftreten der Krankheit berichtet, dem im Laufe einiger Tage 
Massenerkrankungen folgten. Der Krankheitskeim war also ubiqui¬ 
tär, eine strenge Absonderung der Befallenen unmöglich, zumal viele 
Leichterkrankte den Arzt gar nicht aufsuchten. Man- wird wohl nicht 
fehlgehen, wenn man bei Hinzuziehung der leichtesten Erkrankungen 
amrimmt, dass der grösste Teil der Militär- und Zivilbevölkerung, 
besonders im Alter von 18—30 Jahren, aber auch noch darüber, im 
Laufe der nächsten Wochen erkrankte. 

Zunächst schien es sich ausschliesslich um leichtere Erkran¬ 
kungen der Atmungswege mit kurzdauernden Störungen des All¬ 
gemeinbefindens zu handeln. Doch blieben Erscheinungen, die als 
Influenza des Magendarmkanales — auch hier oft innerhalb 24 Stun¬ 
den ablaufend — gedeutet werden konnten, mit der Zeit nicht aus; 
ia man hatte entschieden den Eindruck, als ob sie ebenso wie die 
schwereren Komplikationen von seiten der Lungen und übrigen 
Organe im Laufe der Epidemie Zunahmen. 

Schon die ersten, von Herrn Oberarzt Dr. Weigl (Unter- 
sucbungsamt Landau) ausgeführten Untersuchungen mussten dazu 
fuhren, als Erreger der Erkrankung den Pfeifferschen In- 
fluenzabaziUus anzunehmen: im frühzeitig untersuchten Auswurf fand 
er sich häufig, zuweilen bei einer ganzen Reihe Neuerkrankter, zu¬ 
weilen auch im pneumonischen oder rein hämorrhagischen Auswurf; 
bei längerem Zuwarten wurde er sehr viel seltener, eine bekannte 
Tatsache. 

In 2 Fällen (von 10 untersuchten) konnte er auch im Blute ge¬ 
züchtet werden, worüber in den diesjährigen Mitteilungen meines 
Wissens noch nicht berichtet ist, einmal auch als alleiniges Lebe¬ 
wesen aus verschiedenen Organen. Bei der Seltenheit dieses Be¬ 
fundes sei die betreffende Krankengeschichte kurz angeführt. 

Der Patient erkrankte zunächst an einer heftigen Grippe mit 
Bronchitis, bald machten sich die Erscheinungen einer katarrha¬ 
lischen Lungenentzündung bemerkbar. Aus dem schleimig-eitrigen 
Auswurf wie aus dem Blut wurden Influenzabazillen gezüchtet. Das 
Fieber fiel zunächst wieder ab und man durfte -Heilung erwarten, 
doch bildete sich unter erneuten schweren Erscheinungen und einer 
profusen Lungenblutung ein weiterer, den ganzen rechten Oberlappen 
einnehmender Herd und die Erkrankung nahm rasch einen ungünsti¬ 
gen Verlauf. Die Sektion ergab neben einer ausgedehnten katarrha¬ 
lischen Entzündung im linken Unterlappen eine hämorrhagisch-krup¬ 
pöse des rechten Oberlappens in roter, stellenweise in grau gelbliche, 
zur Einschmelzung neigende, übergehende Hepatisation. Aus dem 
sofort entnommenen Material Hessen sich nur der Pfeiffersche 
Influenzabazillus, aber keine anderen Erreger züchten. Er fand sich 
massenhaft auch in der Leber; Nieren und» Milz waren hei davon. 

Bei dem anderen Patienten wurden im zweiten Anfälle, der 
8 Tage nach dem kurzdauernden ersten einsetzte und unter erheblich 
schwereren Allgemeinerscheinungen verlief, gleichfalls Influenza¬ 
bazillen aus dem Blut gezüchtet, ln den sonstigen Fällen wurden teils 
allein, teil mit Infhienzabazillen die bekannten übrigen Keime vor¬ 
gefunden. 

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Bemerkt sei besonders noch, dass es bei den als Influenza des 
Magendarmkanales ausgesprochenen Erkrankungen uns niemals ge¬ 
lang Influenzabazillen oder sonstige pathogene Keime im durchfälli¬ 
gen Stuhl nachzuweisen. Das Blut blieb steril, besass auch keine 
Agglutinatponskraft gegenüber Paratyphusbazillen, wie man bei der 
Aehnlichkeit des Krankheitsbikles vielleicht hätte erwarten können. 

Mit Erfüllung des Nachweises im Auswurf, Blut und Organen, 
hier als einziges pathogenes Lebewesen, war also zunächst keine 
Veranlassung gegeben, den Pfeiffer sehen InfluenzabaziMus nicht 
als Erreger der Erkrankung anzusehen, zum mindesten nicht in den 
erwähnten Fällen. Die negativen Ergebnisse anderer Fälle konnten 
ja durch zu späte Untersuchung und rasches Absterben der Iufluenza- 
bazillen bei Ueberwucherung durch andere Lebewesen erklärt wer¬ 
den. Nun gibt aber die unterdessen bekannt gewordene grosse Zahl 
von negativen Resultaten der verschiedensten Untersucher doch sehr 
zu denken und man kann sich der möglichen Richtigkeit der jetzt 
wiederholt geäusserten Ansicht, der Pfeiffer sehe Influenzabazillus 
sei nicht der Erreger der klinischen Influenza, sondern ebenso wie 
die anderen bisher festgestellten Bakterien als ein sekundär hinzu- 
gekommenes Lebewesen anzusehen, die Erkrankung aber durch einen 
uns noch unbekannten Keim hervorgerufen, nicht ganz verschliessen. 
In diesem Sinne scheinen ganz besonders auch die Selter sehen 
Versuche zu sprechen, bei denen Inhalation von filtriertem Rachen¬ 
abstrich bei 2 Personen anscheinend typische, wenn auch leichtere 
Krankheitserscbeimmgen auslösten. Man wird sich also bei dem er¬ 
neuten Auftreten der Seuche von neuem auf die Suche nach dem 
wirklichen Krankheitserreger zu stürzen haben und es wird sich, 
dann wohl zeigen, ob alte oder neue Ansicht zu Recht bestehen. 

Das alles ändert aber nichts daran, dass man klinisch die Er¬ 
krankungen nach wie vor als Influenza bezeichnet nachdem sie 
in ihren Verlaufsformen von den früheren nicht abweichen. Man wird 
aber vielleicht in der Benennung strenger unterscheiden zwischen der 
sporadischen und epidemischen Verlaufsform, die auch manche Ver¬ 
schiedenheiten aufweisen. Ganz besonders möchte ich hier neben 
den vielfach geschilderten Eigentümlichkeiten der epidemischen Er¬ 
krankungen auf die ausserordentlich häufige Schwellung der Milz 
hinweisen. -Diese war vielleicht in der Hälfte aller hier untersuchten 
Fälle vergrössert, meist bis zum Fühlbarwerden, auch dann, wenn 
von seiten der Lungen oder übrigen Organe keine besonders er¬ 
heblichen Erscheinungen bestanden, so dass man bei kurzdauerndem 
Fieber an Malaria denken konnte. Auffallender weise fehlte sie da¬ 
gegen gerade bei den Magendarmstörungen. Bei den sporadischen, 
als Influenza oder Grippe bezeichneten Erkrankungen- vermisst man 
sie dagegen, soweit meine Kenntnisse reichen, regelmässig. 'Man 
wird also künftig auch zu erforschen haben, ob diese Milzschwellung 
eine Folge gerade der Infektion mit dem Pfeiffer sehen Influenza¬ 
bazillus oder mit einem unbekannten Erreger -ist. ‘Die übrigen in Blut. 
und Organen gefundenen Keime, Pneumokokken, Streptobazillen, 
Streptokokken, Tetragenes, führen alle nicht zu einer derartig raschen 
und starken Vergrösserung dieses Organes, während jeder einzelne; 
für sich imstande ist, z. B. die vielseitigen und schweren Erschei¬ 
nungen von seiten der Lungen hervorzurufen. 

Aus der Grossherzogi. Meklenb. Univ.-Frauenklinik Rostock. 
(Direktor: Geheimrat Sarwey.) 

Vorläufige kurze Mitteilungen Uber unsere Versuche 
beim Dämmerschlaf. 

Von Dr. tned. Curt v.Qoetzen, Assistenzarzt der Klinik. 

'Dem von Kroenig eiugeführten, von Gauss und Siegel 
vervollkommneten Dämmerschlaf hafteten zwei grosse Nachteile an: 

1. Es bfreb die Wehentätigkeit — besonders in der Austreflwngs- 
zeit — nicht unbeeinflusst. 

2. Ein grosser Prozentsatz der Neugeborenen wurde oligo- 
pnoeisch. 

Gewissermassen als Prophylaktikum gegen die ‘längere Geburts¬ 
dauer gaben wir Chin. di'hydrochl. intraglutäal mit gutem Erfolg, ln 
der Münchener medizinischen Wochenschrift vom 13. August 1918 
teilt Siegel mit, dass durch die kombinierte Anwendung von Nar- 
kophin und Chinin im „Amnesin“ die Wehentätigkeit nicht beeinflusst 
werde. Unabhängig von Siegel waren wir zu dem gleichen Er¬ 
gebnis gelangt. Amnesin hat allerdings noch den grossen Vorteil 
dass Chinin und Narkophwi nicht getrennt injiziert zu werden 
brauchen. 

Im Anfang unserer Versuche haben wir — wie auch Siege! 
— 30 Proz. oMgopnoeische Kinder gesehen. Durch ein ganz einfaches 
Verfahren hoffe ich jedoch die Oligopnoe gänzlich verhüten zu können. 
Wir haben sofort nach der Geburt des Kindes an die Nabelschnur 
eine Klemme angelegt und somit unmittelbar post partum die 
Blutversorgung des Kindes von der Mutter aufgehoben. 

Während wir bisher bei 20 Fällen 7 oligopnoeische Kinder sahen, 
haben wir nach Anwendung der „Schnellabnabelung“ an wiederum 
20 Fällen keine OH-gopnoe mehr beobachten können. Nähere Aus¬ 
führungen über unsere Versuche sollen später veröffentlicht werden. 

Original frn-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



8. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEPKINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


1129 


Aus dem Festungslazarett Kiel. 

lieber die sogenannte Embolie der Arteria centralis retinae. 

Von Prof. Dr. Hans Oloff, Marine-Generaloberarzt und 
Chefarzt des Festungslazaretts Kiel. 

Unter den Augenspiegelbefunden, die als besonders typisch und 
als Fenrwirkung einer Herzerkrankuitg auch dem Nichtaugenarzt 
von der Universitätszeit her genauer in Erinnerung zu bleiben pflegen, 
steht die Embolie der Arteria centralis retinae mit an erster Stelle. 
Der Kranke wird durch die plötzlich auftretende einseitige Erblin¬ 
dung auf sein Leiden aufmerksam, und die infolge dieser alarmieren¬ 
den Entdeckung meist sofort veranlasste Augenspiegeluntersuchung 
ergibt in der Tat ein ausserordentlich charakteristisches Bild: Die 
grösseren Netzhautarterien sind zu dünnen Fäden verschmälert, die 
kleineren mehr oder weniger unsichtbar geworden. Die Netzhaut¬ 
venen dagegen erscheinen nur auf der Papille stärker verengt. Neben 
einer meist blassen Verfärbung der letzteren ist das auffallendste 
Symptom eine diffuse, milchigweisse Trübung der Netzhaut in der 
Umgebung der Papille und über die Macula lutea hinaus. Nur die 
Macula lutea selbst hebt sich von diesem gleichmässig getrübten 
Grunde als ein lebhafter, roter, fast kirschroter Fleck ab. Diese 
Rotfärbung erklärt sich dadurch, dass die Netzhaut ln der Macula 
lutea normalerweise gefässlos und erheblich verdünnt ist, so dass 
das Rot der dahinter liegenden Aderhaut infolge der Kontrastwirkung 
deutlicher hindurchschimmert. Ist nur ein Arterienast getroffen, so 
sieht man ihn allein fadendünn in getrübter Netzhaut. 

Die epochemachende Entdeckung Virchows von der EmboHe 
der arteriellen Gefässe feierte, um mit den Worten des jüngst ver¬ 
storbenen Leber zu reden, „einen grossen Triumph 44 , als es 
v. G r a e f e 1859 zum ersten Male gelang, am lebenden Auge mit 
dem Augenspiegel einen solchen Embolus in einem Netzhautarterien¬ 
ast zu diagnostizieren und damit für eine Reihe einseitiger plötzlicher 
Erblindungen die Erklärung abzugeben. 

Seitdem war zunächst lange Zeit hindurch die herrschende An¬ 
sicht, dass dieses Augenspiegelbild stets durch eine EmboHe der 
Zentralarterien der Netzhaut bedingt wird. Da nun Embolien die 
Folge von organischen Erkrankungen des Herzens zu sein pflegen, 
indem Thromben bzw. thrombotische 'Auflagerungen im linken Herz¬ 
ohr oder auf den Klappen des linken Herzens bei bestehender Endo¬ 
karditis losgelöst und in die peripheren Gefässe verschleppt werden, 
so hielt man sich bei der Diagnose einer solchen Augenhintergrunds¬ 
erkrankung ohne weiteres für berechtigt, als Grundursache eine 
Herzerkrankung organischer Natur anzunehmen. Tatsächlich sind 
denn auch oft einschlägige Fälle dieser letztgenannten Art beobach¬ 
tet worden. 

Nicht selten war die Herzerkrankung so gering, dass eine ein¬ 
seitige, unter dem Bilde des Verschlusses der Arteria centralis retinae 
einsetzende Erblindung überhaupt den ersten Anstoss gab, das Herz 
genauer z<u untersuchen. 

in sehr vielen anderen Fällen dagegen erwies sich das Herz als 
vollkommen gesund. Man ist denn auch sehr bald zu der Erkenntnis 
gelangt, dass genau in der gleichen Weise andere Ursachen, die nichts 
mH der Embolie zu tun haben, dasselbe Augenspiegelbild mit seinen 
für das Sehvermögen so verhängnisvollen Folgen hervorrufen können. 
Eine Hauptrolle spielen in dieser Beziehung lokal thrombotische Pro¬ 
zesse an Ort und Stelle in der Wand der Zentralarterie selbst in 
Form einer Endarteriitis proliferans, wie sie z. B. auf arteriosklero¬ 
tischer Basis vorkommt. Der Mechanismus der Entstehung des oph¬ 
thalmoskopischen Bildes ist hier leicht verständlich. Dr* Intbna- 
wnchenmg engt das Lumen des Gefässes mehr und mehr ein. Aller¬ 
dings wissen wir, dass der Blutdruck zunächst noch genügend Blut 
durch das verengte Lumen hindurchzupressen vermag, so dass vor¬ 
läufig noch keinerlei Funktionsstörungen der Netzhaut bemerkbar 
werden. Die elastische Kraft des Blutdruckes übertrifft offenbar die 
Arterienwandkontraktion. R ä h 1 m a n n beobachtete solche Fälle 
von hochgradiger arteriosklerotischer Wand verdickung der Retinal¬ 
arterien ohne jeglichen Gesichtsfeldausfall des versorgten Netzhaut¬ 
bezirkes und schllesst daraus, dass ein sehr geringer Blutzufluss 
genügt, um die Netzbautfunktion aufrecht zu erhalten. Sinkt dagegen 
der Blutdruck plötzlich, so legen sich die Gefässwände aufeinander. 
Die Bfutzufnhr zur Netzhaut erfährt damit eine vollständige Unter¬ 
brechung und das typische Spiegelbild ist da. . 

Das gleiche ophthalmoskopische Bild des Verschlusses der Netz- 
hautzentralarterie innerhalb des Sehnerven kann nun aber auch auf 
andere Weise entstehen: so durch Druck von aussen auf die Arterien¬ 
wand infolge von Tumoren, retrobulbärer Neuritis mit Exsudation, 
Blutungen in den Sehnerv oder profusen Orbitalhämorrhagien. 

Magnu s, der sich schon in den 70 er Jahren des vorigen Jahr¬ 
hunderts sehr eingehend mit dieser Frage beschäftigt hat, glaubt, dass 
ein grosser Teil der als Embolia arteriae centralis retinae auf gefassten 
Fälle ln Wirklichkeit durch eine Blutung in den Stamm oder in die 
Scheiden des Sehnervenstammes entstanden sei. Auch Schmidt- 
RJmpler schloss sich dieser Ansicht an. Nach seinen Erfah¬ 
rungen soll man -besonders dann an diese Möglichkeit denken, „wenn 
Herzaffektionen fehlen und durch Druck auf den Augapfel eine noch 
weitere Verdünnung der mässig engen Arterien nachweisbar ist 44 . 

Ein ScbulbUd von Verschluss der Zentralarterie der Netzhaut 
durch eine Blutung in das Gewebe des Sehnerven ist neuerdings von 
Velhagen bei einem Falle von Morbus Brightii einwandfrei kli¬ 


nisch und pathologisch-anatomisch beobachtet worden. Die Blutung 
war hier spontan durch eine Ruptur der erkrankten Arterienwand 
und ein dadurch sich bildendes Hämatom entstanden. Traumatisch 
kann das gleiche Augenspiegelbild dann zustande kommen, wenn der 
Sehnervenstamm zwischen Augapfel und Eintrittsstelle der Zentral- 
gefässe in den Sehnerven durchtrennt wird — eine schon lange be¬ 
kannte Tatsache, die in diesem Weltkriege auch bei, den Schussver¬ 
letzungen der Orbita öfters beobachtet worden ist. 

Aber auch ohne Kontinuitätstrennung des Sehnerven soll lediglich 
eine schwere Kontusion des Augapfels denselben Effekt in bezug auf 
den Augenhintergrundsbefund haben. Derartige Fälle werden von 
v. Michel und L u b o w s k i beschrieben und so erklärt, dass hier 
eine Ueberdehnung des Rohres der Zentralarterie mit Einreissung 
und Aufrolhmg der Gefässintima oder der Druck eines Blutergusses 
den Gefässverschluss hervorrufen. 

Dass grössere solide Tumorbildungen in der Orbita oder pro¬ 
fuse Orbitalhämorrhagien das Lumen der Zentralarterie bis zur Un¬ 
wegsamkeit verengen können, leuchtet ohne weiteres ein. Die be¬ 
gleitenden Nebenerscheinungen, Exophthalmus, Deviation des Aug¬ 
apfels und unter Umständen direkte Palpation des Tumors, bieten hier 
wichtige Fingerzeige für die nähere Art des Leidens. Immerhin sind 
solche Fälle, die im Augenspiegelbild als Folge der Druckwirkung 
lediglich einen Verschluss der Zentralarterie erkennen lassen, ausser¬ 
ordentlich selten. Sehr viel öfter sieht nur die Papille selbst früh¬ 
zeitig atrophisch aus, während die Netzhaut abgesehen von einer 
allgemeinen Verengerung der Arterien keinerlei Abweichungen von 
der Regel zeigt. 

Segge 1 beobachtete einen 49 jährigen heruntergekommenen 
Soldaten, der an einer Geschwürsbildung der Mundhöhle behandelt 
worden war und plötzlich auf dem linken Auge, das äusserlich voll¬ 
kommen normal erschien, unter dem Bilde der Embolie der Arteria 
centralis retinae erblindete. Der Kranke starb bald darauf an Lun¬ 
genentzündung. Die Autopsie ergab das Vorhandensein eines 
*/a Sehnervendurchmesser grossen Gliosarkoms unmittelbar neben 
der Zentralarterie und im Sehnerven eingebettet 

Nach der Statistik von Kern war in 66,3 Proz. von Verschluss 
der Arteria centraKs retinae keine Ursache für einen Embolus nach¬ 
zuweisen. Schon dadurch wird für den grössten Teil der Fälle eine 
Lokalerkrankung der Arterie oder ihrer Umgebung wahrscheinlich. 
Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte Harms an der Hand sehr ein¬ 
gehender eigener Untersuchungen. Nach seiner Ansicht darf eine 
wirkliche Embolie nur dann angenommen werden, wenn entweder 
eine primäre Wanderkrankung der Zentralarterie bzw. ein throm¬ 
botischer Verschluss der letzteren mit Sicherheit auszuschliessen ist 
oder wenn sich eine Endokarditis bzw. ein -Klappenfehler nachweisen 
lässt. 

In seiner klassischen Monographie über die Erkrankungen der 
Netzhaut sucht nun Leber wieder für die Mehrzahl der Fälle den 
alten v. Graefeschen Standpunkt über die Embolie aufrecht zu er¬ 
halten, empfiehlt aber, für das ophthalmoskopische Bild die Bezeich¬ 
nung „Ischämie der Netzhaut 44 einzuführen, „da eine Thrombose der 
Arteria centralis retinae als Ursache nicht Immer ausgeschlossen 
werden kann“. 

Vor nicht langer Zeit hatte ich nun selbst .Gelegenheit, einen 
typischen Fall von sog. Embolie der Arteria centralis retinae zu be¬ 
obachten, der mit grösster Wahrscheinlichkeit auf eine andere, in 
der Augenheilkunde sehr bedeutungsvolle Allgemeinursache hin¬ 
weist. Es sei deshalb etwas näher im folgenden darauf eingegangen: 
Der Fall betraf einen jungen, kräftig gebauten, 19 jährigen Fähnrich 
zur See. Eines Tages als er zum Infanteriedienst angetreten war, 
machte er plötzlich -die alarmierende Entdeckung, dass er auf dem 
Hnken, vorher stets normal sehenden Auge nichts mehr sehen konnte. 
Eine Ursache hierfür Hess sich nicht nachweisen, da Patient auch 
früher stets gesund gewesen war. Die gleich darauf vorgenommene 
Augenspiegeluntersuchung ergab das typische Bild des Verschlusses 
der Zentralarterie der Netzhaut, und 1 zwar einen Schulfall dieser Art. 
Dabei keinerlei Anzeichen einer Herzerkrankung; auch sonst nichts, 
was für eine lokale Wanderkrankung sprach. Die 2 Monate hindurch 
von namhafter, intern spezialistisc-her Seite vorgenommene Beobach¬ 
tung bestätigte immer wieder, dass Herz, Nieren und die übrigen 
inneren Organe durchaus gesund waren. Syphilis lag weder der 
Anamnese noch dem Ergebnis der Wassermannuntersuchung nach 
vor. Ein grösserer, retrobulbär gelegener Tumor oder eine Blutung 
in die Sehnervenscheiden bzw. in die Substanz des Sehnerven selbst 
kamen ebenfalls nicht in Betracht, da hierfür jegliche Anhaltspunkte 
fehlten. Der Vollständigkeit halber und mit Rücksicht darauf, dass 
bei manchen, bisher ätiologisch vollkommen dunklen Erkrankungen 
des inneren Auges neuerdings Tuberkulose als eigentliche Ursache 
festgesteüt worden ist, spritzte ich Drobatorisch Alttuberkulin unter 
die Haut. Beginn mit % mg Alttuberkulin. Auf 5 mg ausgesprochene 
Reaktion. Auffallenderweise bildeten sich mit der zweiten Tuber¬ 
kulineinspritzung (1 mg) die ophthalmoskopisch sichtbaren Verände¬ 
rungen unter erheblicher Besserung des Sehvermögens schnell zurück. 
Bel der Entlassung aus dem Lazarett, die etwa 2 Monate nach Be¬ 
ginn der Erkrankung als kriegsdienstfähig erfolgte, betrug das Seh¬ 
vermögen */ 7 . und abgesehen von einer mässlgen Atrophie der Pa¬ 
pille und deutlicher Verengerung der Netzhautarterien war am Augen- 
hintergrunde nichts Krankhaftes mehr zu sehen. 

Das Charakteristische im vorliegenden Falle von Verschluss 
der Zentralarterie der Netzhaut waren also lediglich der positive Aus- 


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Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1130 


MUBNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41. 


fall der Tuberkulinprobe und der auf den Krankheitsverlauf ent¬ 
schieden günstig einwirkende Einfluss der Tuberkulineinspritzungerc. 
Wie ist dieser Zusammenhang näher zu erklären? 

Durch die Untersuchungen von v. Michel, die in den ausge¬ 
zeichneten experimentellen Kaninchenversuchen Stocks eine volle 
Bestätigung gefunden haben, wissen wir bekanntlich schon seit län¬ 
gerer Zeit, dass das Auge sehr häufig tuberkulös erkrankt, und zwar 
mit Vorliebe primär ohne nachweisbare Beteiligung der JLungen oder 
anderer innerer Organe. Den LiebWngssitz bildet die Uvea, beson¬ 
ders bei Erwachsenen, ln selteneren Fällen können auch andere 
Teile des Auges selbständiger Sitz tuberkulöser Erkrankungen sein. 
Von der Conjunctivitis phlyctaenulosa hat sich z. B. neuerdings 
herausgestellt, dass sie sehr häufig tuberkulöser Natur ist und den 
Ausgangspunkt tuberkulöser Erkrankungen der Hornhaut bildet. In 
anderen seltenen Fällen lokalisiert sich die Tuberkulose in den Lidern, 
der Sklera, dem Tränensack, der Tränendrüse oder Orbita. Kurz, 
das Bild der Augentuberkulose zeichnet sich durch grosse Vielseitig¬ 
keit aus. Bemerkenswerterweise werden nicht selten auch solche 
Menschen befallen, die äusserlich gesund und kräftig aussehen, 
keineswegs immer den Habitus darbieten, wie man ihn sonst von der 
Lungentuberkulose aus gewöhnt ist. 

Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts war die Anschauung weit 
verbreitet dass von den hinteren Abschnitten des Auges die Netz¬ 
haut und der Sehnerv — wenn man von der Bildung grösserer tuber¬ 
kulöser Gramrtationsgeschwülste absieht, die öfters beschrieben sind 
(Sattler, Verderame, Gilbert u. a.) — gefeit gegen Tuber¬ 
kulose seien. Nur als Komplikation intrakranieller oder intraorbi¬ 
taler Prozesse Ist die Beteiligung des Sehnerven in Form einer mehr 
oder weniger ausgesprochenen Entzündung des Sehnervenkopfes 
schon länger bekannt. Beim Vorkommen eines primären Netzhaut¬ 
oder Sehnervenleidens glaubte man sich daher ohne weiteres be¬ 
rechtigt. Tuberkulose auszuschliessen und auf andere Angemein¬ 
erkrankungen, insbesondere die Syphilis zu fahnden. In Wirklichkeit 
stimmt das keineswegs. 

Im Jahre 1909 berichteten A x e n f e 1 d und Stock zuerst auf 
dem Internationalen Ophthalmologenkongress in Neapel über einen 
eigenartigen Erkrankungsprozess tuberkulöser Natur an den Netz¬ 
hautvenen, die sog. Periphlebitis retinae tuberculosa. Seitdem sind 
eine Reihe von Veröffentlichungen (Igersheimer. Cords. 
Schoeler, Fleischer, Gilbert, Fehr, Knapp, Oloffu. a.) 
erschienen, mehrere darunter auch in der Münch, med. Wochenschr., 
die durchaus dem Bilde der von A x e n f e I d und Stock entdeckten 
Netzhautvenentuberkulose entsprechen. Wie sich dabet heraus¬ 
gestellt hat, liegt hier eine ausserordentlich typische Gefässerkran- 
kund der Netzhautvenen, charakterisiert durch Blutungen vor. Die¬ 
selbe befällt mit Vorliebe jugendliche Personen und steht vielfach in 
ursächlichem Zusammenhang mit den in diesem Alter auftretenden 
Glaskörperblutungen, deren Herkunft früher vollkommen in Dunkel 
gehüllt war. Obgleich die Netzhautvenentuberkulose, wie viele 
andere Formen der Augentuberkulose, grosse Neigung hat, spontan 
auszuheilen bzw. zu vernarben, so ist es doch trotzdem bereits mehr¬ 
fach gelungen, auch pathologisch-anatomisch den Beweis für die 
tuberkulöse Natur zu bringen. Fleischer fand in einem der zur 
Enukleation gekommenen Fälle tvpische Fpithel üdtuberkel in den 
Netzhautvenenscheiden, während Gilbert und O t o r i direkt Tu¬ 
berkelbazillen in diesen periphlebitischen Herden nachgewiesen 
haben. 

Die pathologisch-anatomischen Untersuchungen von Flei¬ 
scher und Gilbert sind nun insofern besonders interessant, als 
sie bei ihren Fällen weiter festgesteTlt haben, dass der tuberkulöse 
Prozess sich nicht nur auf die Netzhautvenen beschränkt, sondern 
auch die Netzhautarterien selbst beteiligen kann. In einem Falle 
Fleischers hatte die tuberkulöse Infiltration auf die Wand der 
Zentralarterie übergegriffen: die Arterie war ebenfalls ringförmig 
von Epithelokteellen umgeben und erschien durch die letzteren kom¬ 
primiert und verengt. Bei 3 Fällen von Perinhfebitis retinae tuber¬ 
culosa aus dem Beobach tun gsmaterial von Gilbert war vor¬ 
wiegend der Stamm der Zentralvenen hinter der Lamina cribrosa des 
Sehnervenkopfes Sitz der Erkrankung. Es handelte sich hier überall 
ln der Hauptsache um eine zum Teil ziemlich tief nach hinten, d. h. 
nach dem Foramen opticum sich erstreckende Wardiufiltrafion der 
Wand der Zentralvene im Sehnerven bei 3 jüngeren Individuen. Bei 
2 Fällen hatte diese Infiltration, wenn auch in erheblich geringerem 
Grade, auf die benachbarte Wand der Arteria centralis retinae über¬ 
gegriffen. 

An der Hand ihrer Befunde sprechen sowohl Fleischer wie 
Gilbert die Vermutung aus, dass derartige tuberkulöse Wand- 
erkraukungen unter anderem auch das Gefässhrrhen der Zentralarterie 
im Sehnervenstamm ver9chli essen und damit das ophthalmoskopische 
Bild der sog. Embolie hervor rufen können. 

In einer ausführlichen 'Publikation in der Münch, med. Wschr. 
beschäftigte sich bereits über 10 Jahre vorher, im Jahre 1903, 
v. Michel eingehend mit der Frage der Tuberkulose des Seh- 
nervenstammes. Nach seinen Erfahrungen kommt der Tuberkulose, 
besonders im jugendlichen Alter, eine wichtige Rolle auch bei den 
nicht mit einer Gehimaffektion zusammenhängenden genuinen Seh¬ 
nervenerkrankungen zu. Pathologisch-anatomisch handele es sich da¬ 
bei in der Hauptsache um die Bildung kleinster miliarer Knötchen, die 
entweder in der Papille oder im Sehnervenstamm oder noch häufi- 

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ger in den Sehnervenscbeiden auftreten sollen. Danach ist auch das 
klinische Bild ein verschiedenes. 

Unter den von v. Michel in der genannten Publikation ge¬ 
lieferten Abbildungen ist die eine dadurch Interessant, dass hier ein 
kleines Tuberkelknötchen retrobulbär im Sehnervenstamm unmittel¬ 
bar den Zentralgefässen angelagert war. Eine andere Abbildung zeigt 
neben einem diffusen Granulationsgewebe auf der Papille und Netz¬ 
haut mehrere Tuberkelknötchen auf der letzteren und im Sehnerven¬ 
stamm selbst ziemlich weit hinter der Lamina cribrosa ein einzelnes 
Tuberkelknötchen, das in einigem Abstand von der Arteria centralis 
retinae in die Substanz des Sehnerven eingebettet ist. v. Michel 
führt dann weiter als Beispiel einer tuberkulösen Sehnervenerkran- 
kung an, dass „ein tuberkulöser Herd in dem die Zentralgefässe des 
Sehnerven umhüllenden Bindegewebszug entstehen und durch Druck 
das. sog. papillo-makuläre Bündel“ (d. h. diejenigen Sehnervenfasem. 
die den gelben Fleck versorgen und das zentrale Sehvermögen ver¬ 
mitteln) „schädigt“. Von der anderen sehr naheliegenden Möglich¬ 
keit, dass ein solcher Druck ebensogut auch das Lumen der Zetrtial- 
gefässe verschliessen und: damit die Ursache für das Zustande¬ 
kommen der hierdurch entstehenden Augenspiegelbilder („Throm¬ 
bose“ bzw. „Embolie“) bilden kann, wird überhaupt nichts erwähnt. 
Auch die wenigen sonst in der Literatur beschriebenen Fälle von 
Tuberkulose des Sehnerven (Schoeler. Igersheimer. Pur- 
t s c h e r) traten klinisch mehr als aRgemine Neuritis optica in 
Erscheinung. Nirgends finden sich Anhaltspunkte, die für eine Be¬ 
teiligung der Zentralgefässe des Sehnervenstammes sprechen. 

Als erster nimmt L u b o w s k i dieses letztere für 2 von fhm dm 
Jahre 1911 veröffentlichte Fälle an. In dem einen Falte handelte es 
sich um eine 43 jährige, kräftig aussehende Bergarbeiterfrau mit 
gesunden inneren Organen und frei von Syphilis. Eines Tages er¬ 
blindete sie plötzlich, ohne eine Ursache dafür angeben zu können, 
einseitig unter dem typischen Bild der Embolie der Zentralartarie. 
Während das Sehvermögen bald wieder besser wurde, gesellte sich 
nach einiger Zeit eine Iritis plastica hinzu. Ein Jahr später auf dem 
anderen Auge Neuroretinitis mit Zentralskotom. Tuberkulmprobe +: 
daher Einleitung einer Tuberkulinkur. Im Verlaufe dieser letzteren 
Auftreten einer frischen Iritis: die übrigen Entzündungserscheimmgen 
gingen unter dieser Behandlung auffallend schnell zurück. De* 
andere Fall war eine ebenfalls einseitig aufgetretene Zenttalvenen- 
thrombose bei einem 32 jährigen Mann. Wegen des guten Erfolges 
der Tuberkulintherapie, und da sonst keinerlei Anhaltspunkte für die 
Entstehung des Leidens vorhanden waren, nimmt L u b o w s k i auf 
Tuberkulose beruhende Veränderungen am Stamm der Zentralarterie 
bzw. Zentralvene im Sehnerven an. Eine sehr wesentliche Stütze 
hierfür liefern die einige Jahre später veröffentlichten pathologisch¬ 
anatomischen Untersuchungsbefunde von Fleischer und Gilbert 
Dass ganz allgemein die Netzhautvenen bei weitem öfter tuberkulös 
erkranken als die Arterien, erklärt sich nach Gilbert durch den 
schwächeren Bau der Venenwand und ihre leichtere Kompressibilität. 

Vergleicht man die Beobachtungen von v„ Michel, Lu- 
bowski, Fleischer, Gilbert miteinander und mit meinem 
Falle, so sind überall enge Beziehungen, die mit grösster Wahr¬ 
scheinlichkeit auf das Vorkommen eines isolierten Gefässverschlusses 
im Sehnerven auf der Basis der Tuberkulose hindeuten, unverkenn¬ 
bar. Sowohl der von mir wie der von Lubowski beobachtete 
Fall zeigten durchaus gesunde innere Organe, waren insbesondere 
frei von Herzerkrankung, Lues und Arteriosklerose. Auch eine lokale 
Augenverletzung, die vielleicht die Erklärung für das plötzliche Auf¬ 
treten dieses typischen Augenspiegelbi'ldes abgeben könnte, lag nicht 
vor. Das einzige krankhafte Symptom neben der Sehstörung und 
dem Augenspiegelbefund war jedesmal eine deutliche Reaktion auf die 
subkutanen Tuberkulineinsprrtzungen. In dem Falle Lubowskis 
gesellten sich später noch andere Symptome von Augentuberkulose 
(Iritis plastica usw.) hinzu, als deren Ausgangspunkt wohl sicherlich 
die unter dem Bilde der Embolie der Zentralarterie aufgetretene Seh- 
nerventuberkulose zu betrachten ist. Mein Fall lag für die von in¬ 
terner spezialistischer Seite vorgenommene Kontrolle insofern be¬ 
sonders günstig, als er monatelang im Lazarett sich aufhielt und 
laufend genau beobachtet werden konnte: das Ergebnis war stets ein 
negatives; es Hessen- sich stets nur Anhaltspunk e für eine lokale Er¬ 
krankung hn Sehnerven feststellen, die bei dem positiven Ausfall <ler 
Tuberkulinprobe naturgemäss den begründeten Verdacht auf Tuber¬ 
kulose erwecken musste. Ausserdem befand sich mein Patient m 
einem Alter, das, wie v. Michel hervorhebt, besonders zu tuber¬ 
kulöser Sehnervenerkrankung disponiert. , 

Trotz der sonst erfahrungsgemäss schlechten Prognose der Em¬ 
bolie der Zentralarterie endeten beide Fälle mit fast völliger Wieder¬ 
herstellung der Sehfunktion. Dasselbe trifft für den zweiten Fall 
Lubowskis, die Zentralvenenthrombose, zu. In meinem Falle 
schien ein günstiger Einfluss der Tuberkulinernspritzuirgen unverkenn¬ 
bar zu sein. In demselben Sinne äussert sich auch Lubowski. 

Ob als pathologisch-anatomische Grundlage für unsere Fälle ein 
den Zentralgefässen unmittelbar anliegendes Tuberkelknötchen nach 
Mich el oder mehr eine umschriebene Wandinfiltratkm entsprechend 
den Beobachtungen Fleischers und Gilberts anzunehmen ist, 
muss dahingestellt bleiben. 

Jedenfalls empfiehlt es sich, in allen Fällen von sog. Embolie der 
Zentralarterie der Netzhaut, die auf eine der sonst bekannten Ur¬ 
sachen nicht zurückgeführt werden können, auch an Tuberkulose zu 
denken und davon alle weiteren Massnahmen abhängig zu machen. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


8. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1131 


Vielleicht lässt sich dann durch eine sofort eingelertete Tuberkulin- 
befaandhing, wie es sowohl in meinem als auch in dem von Lu- 
bowski beobachteten Falle den Anschein erweckte, die an und 
für sich schlechte Prognose günstiger gestalten. 

Literatur. 

Axenfeld und Stock: Ueber die Bedeutung der Tuber¬ 
kulose . . ., besonders über die Periphlebitis retinatis bei Tuber¬ 
kulose. Klin. Mbl. f. Augenhlkde. 1909 S. 461 und 1911 S. 28. — 
Fleischer: Die juvenile Periphlebitis retin. mit ihren Folgeerschei¬ 
nungen. Klin. Mbl. f. Augenheilk. 1914 S. 774. — Gilbert: Ueber 
juvenile Gefässerkrankungen des Auges. Arcli. f. Augenheilkde. 1913 
H. 1. — Harms: Anatomische Untersuchungen über Gefässerkran¬ 
kungen im Gebiet der Art. u. Ven. centr. retin. v. Gnaefes Arch. 1905. 
— Lubo wski: Klinischer Beitrag zur Kenntnis neuer Erscheinungs¬ 
formen der Augentuberkulose. Med. Kl. 1911 Nr. 30. — v. M iche 1: 
Tuberkulose des Sehnervenstammes. M.m.W.* 1903 S. 7. — V e 1 - 
ha gen: Das Krankheitsbild der Embolie der Arteria centralis retinae, 
entstanden durch Ruptur derselben im Sehnervenstamm bei Morbus 
Brightii. Klin. Mbl. f. Augenheilkde. 1915 S. 676. — W i 1 b r a n d 
und Sa enger: Die Neuroiogie des Auges. Bd. III 2. 


Aus der Beobachtungsstation für innere Krankheiten von 
Oberstabsarzt d. L. Prof. Dr. Schlayer. 

lieber positiven Wassermann im Liquor bei nicht 
luetischer Meningitis. 

Von Dr. C. Kraemer II, Assistenzarzt d. R. 

In der letzten Zeit wurden auf der Isolierabteilung unserer Be¬ 
obachtungsstation 2 Fälle von positivem W assermann b e- 
iund im Liquor cerebrospinalis bei nichtluetisclier 
Meningitis beobachtet, und zwar in dem einen Fall nur in 
vorübergehender Weise. Nach allein, was ich in der Literatur 
finden konnte, scheint dies ein nicht häufiges Ereignis zu sein; 
da erhebliche diagnostische Irrtümer daraus entstehen können, seien 
die beiden Fälle kurz wiedergegeben. 

Der erste Fall betraf einen 41jährigen Mann, welcher Ende 
April 1917 an Genickstarre erkrankte. Er wurde am 4. V. 17 hier 
anfgenommen; die Untersuchung ergab Nackenstarre und positiven 
Kernig; Patient hatte hohes Fieber. Im ganzen wurden 8 Lumbal¬ 
punktionen vorgenommen; die 5. am 15. V. ergab die Anwesenheit 
von Meningokokken im Liquor und Wassermann I I l-H (Res.- 
Laz. I Bakt. Untersuchungsstation Stabsarzt Dr. Binde r). Im Blut 
war der Wassermann negativ. Die Temperatur betrug an diesem 
Tag über 39°. Unter intralumbaler Serumbehandlung genas der 
Mann; die letzte Lumbalpunktion am 29. V. 17, bei normaler Tem¬ 
peratur, ergab ganz klaren Liquor, vereinzelte Leuko- und Lympho¬ 
zyten, der Wassermann war jetzt negativ, sowohl im Liquor als im 
Blnt. — Zufällig, gelegentlich erneuter Einweisung wegen Verdachtes 
auf Lungentuberkulose, bekamen wir den Mann wieder zu Gesicht; 
das Ergebnis der Untersuchung war die Feststellung doppelseitiger 
aktiver Spitzentuberkulose und einer Hyperalgesie im Bereich des 
3 . und 4. Sakralsegments, in welcher wohl ein Rest der über¬ 
standenen Meningitis erblickt werden muss. Die zur Sicherung der 
Diagnose am 13. II. 18 noch einmal vorgenommene Lumbalpunktion 
ergab klaren Liquor, ohne Lymphozytose, Nonne-Apeit war negativ, 
Wassermann im Blut und Liquor negativ. Für Lues fanden sich gar 
keine Anhaltspunkte. 

Beim zweiten Fall handelte es sich um einen 19 jährigen Mann, 
welcher wegen Verdachts auf Genickstarre eingeliefert wurde. Aus 
der Vorgeschichte des früheren Krankenblattes wurde entnommen 

— der Mann selbst kam in bewusstlosem Zustande und konnte keine 
genauen Angaben mehr machen —, dass der Pat am 21. XII. 17 in 
Urlaub nach Hause kam und sich -da schon unwohl fühlte. Am 
nächsten Tag halb bewusstloser, fieberhafter Zustand (38,8°). An 
den inneren Organen nichts besonderes. Temperatur bis 39,8°. 
Kopfweh und Nacken schmerzen; am 14. I. 18 Aufnahme im Lazarett; 
Untersuchung auf Typhus fiel negativ aus, das Befinden verschlech¬ 
terte sich, «s kam ständiges Erbrechen hinzu, und am 4. II. 18 kam 
der Mann auf die Beobachtungsstation. 

Hier wurde folgender Befund erhoben: Sensorium fast voll¬ 
kommen getrübt. Rachen, Lungen, Herz o. B. Träge Pu¬ 
pillenreaktion. Ausgeprägte Nackenstarre, starkes 
Kernigsches Phänomen, Kahnbauch, Sehnenreflexe nicht aus¬ 
lösbar. Augenbewegungen frei, die Zunge wurde gerade heraus¬ 
gestreckt. — Die Vorgeschichte, der Verlauf bis dalun und das ganze 
klinische Bild Messen an der Diagnose „tuberkulöse Meningitis“ nicht 
zweifeln; die sofort vorgenommene 1. Lumbalpunktion schien 
dies zu bestätigen: Druck 200 mm, Liquor klar, Pleozytose 
mit Ueberwiegen der Lymphozyten, Nonne-Apeit -H - h nach 
Stehenlassen typisches Spinngewebgerinnsel; T.B. konnten 
allerdings nicht nachgewiesen werden, — Die Behandlung bestand 
in Ablassen von 30 ccm Liquor und in Darreichung von Urotropin. 

— Am 6. II. zu therapeutischen Zwecken 2. Lumbafpuiflction: Druck 
210 mm, übriger Befund wie das erstemal, keine Meningokokken. 
Auch diesmal typisches, noch stäriceres Gerinnsel, wieder ohne 

Nr. 4L —, 

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Nachweis von T.B. — Mehr um die Möglichkeit auszuschliessen. 
Kess ich die Wasserman sehe Reaktion mit dem Liquor an¬ 
stellen, welche zu unserer grössten Ueberraschung positiv ausfiel, 
und zwar H—H~b bis 0,2, ++-{- bis 0,1. Im Blut ergab die Reaktion 
ein schwach positives Resultat. Wir sahen uns dadurch veranlasst, 
bei dem Fehlen von T.B. im Liquor, zum mindesten die Möglich¬ 
keit einer akuten luetischen Basalmeningitis fit 
Betracht zu ziehen, obwohl sich sonst keinerlei Zeichen für Lues 
fanden, da wir vor kurzem 3 andere Fälle unter klinisch sehr aus¬ 
gesprochenen und akut einsetzenden meningitischen Erscheinungen 
beobachtet hatten. Bestärken konnte uns darin der bis hierher bei 
uns verhältnismässig fieberlose Verlauf (s. Abbild.). Die Behandlung 



wurde dementsprechend geändert, der Versuch einer entsprechenden 
Therapie wurde gemacht, der Patient erhielt Jodkali und 3 mal 
0,15 Neosalvarsan intravenös binnen 72 Stunden. Der Erfolg war ein 
durchaus negativer. Am Tage nach der letzten Injektion stieg die 
Temperatur an, fiel am nächsten Tage noch einmal, um am 3. Tag 
rapid zu steigen unter bedrohlichen Allgemeinerscheinungen. Die 
3. Lumbalpunktion ergab: Druck 310 mm* wiederum keine T.B. in 
dem Fibrinhäutchen, sonst wie früher. — Der Patient starb am fol¬ 
genden Tage. Die Sektion (Stabsarzt Dr. Binder) ergab fol¬ 
gendes (alles Nebensächliche weggelassen): Dura gespannt, Dura- 
innenfläche glatt, matt glänzend. Windungen an der Konvexität sehr 
stark abgeplattet. Beim Herausnehmen des Gehirns entleert sich 
aus dem Rückenmarkskanal reichlich ganz leicht getrübte, seröse 
rötlichgraue Flüssigkeit. Am Clivus sind graugelbliche, submiliare 
Knötchen in geringer Zahl erkennbar. An der Hirnbasis zeigen die 
weichen Häute ein mässig getrübtes, grauweisses, dünnflüssiges 
Exsudat. Häute selbst etwas undurchsichtig, besonders stark in der 
Umgebung des Cbiasmas und dahinter. Ebenso über Pons und 
Kleinhirn. An den Gefässen in der S y 1 v i sehen Grube einzelne 
graue, submiliare Knötchen. Ebenso an der Basis des Grosshirns 
einzelne kleine Gruppen miliarer Knötchen. In sämtlichen Ventrikeln 
reichlich seröse, leicht getrübte Flüssigkeit. Die Ventrikel ent¬ 
sprechend erweitert, besonders auch der 3. Ventrikel. Auf -den 
Plexus chorioidei zahlreiche submiliare graugelbliche Knötchen. Auch 
an der Konvexität der Grosshirnhemisphären einzelne submiliare 
Knötchengruppen. Hirnmantel stark feucht glänzend, mässig zahlreiche 
Blutpunkte. Stammganglien und verlängertes Mark o. B. Lunge: 
Links: guter Luftgehalt. Hilusdrüsen klein, weich und massig 
anthrakotisch. Nahe dem Rande des Unterlappens findet sich ein 
anthrakotisches, derbes, verkalktes Knötchen von nicht ganz Hanf¬ 
korngrösse. Rechte Lunge ganz o. B. Leber: Mässige Stau¬ 
ung. Im Parenchym zerstreut finden sich ganz vereinzelte, graugelb¬ 
liche submiliare Knötchen. Mesenterialdrüsen bis erbsengross, weich, 
mässig gerötet. Bohnengrosse lleozoekaldrüse mit z. T. 
verkreidetem, nicht ganz hanfkorngrossem Käseherd, ohne erkenn¬ 
bare Abkapselung. Das untere Ileum zeigt mässig starke Gefäss- 
injektion und Schwellung der Schleimhaut. Die Follikel sind steck- 
nadetkopf- bis hirsekorngross, grauweiss, etwas durchscheinend, nach 
der Klappe zu nimmt die Vergrösserung der einzelnen Follikel, und 
der in den Platten vereinigten, zu. Nach oben erstreckt sich die 
Follikelschwellung bis etwa 40 cm aufwärts von der Klappe. 

Pathologisch-Anatomische Diagnose: Lepto- 
meningitis tuberculosa, Hydrocephalus internus 
inflammatorius, Hirnödem, verkäste lleozoekal¬ 
drüse. Follikeltuberkulose im unteren Ileum, 
Miliartuberkel in der Leber. — Für Lues fand sich 
nicht der geringste Anhaltspunkt. 

Beim ersten Fall also konnten wir einen vorübergehenden 4 fach 
positiven Wassermann im Liquor finden bei einer Meningokokken¬ 
meningitis, ohne jeden Anhalt für Lues. Der Mann hat die Meningitis 
überstanden, mit einer Hyperalgesie im Gebiet des 3. und 4. Sakral- 
segments, wohl als Ueberrest der Genickstarre. Auch % Jahr spä¬ 
ter war der Wassermann wieder negativ in Blut und Liquor. 

In der Literatur, soweit mir hier erreichbar, fand ich einen sol¬ 
chen Fall niöht angegeben. 

Der zweite Fall bot den ebenfalls ungewöhnlichen Befund eines, 
und zwar sehr stark positiven Wassermanns im Liquor, neben 
schwach positivem Wassermann im Blut, bei einer tuberkulösen 
Meningitis, ebenfalls ohne sonstige Anzeichen für Lues (auch autop- 
tisch nicht). Auch hierfür finde ich in der Literatur keinen eindeutigen 
Beleg. Vincenzo Quarta berichtet über einen Fall von tuberku- 

3 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1132 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41 


loser Meningitis mit positivem Wassermann im Blut oline sonstigen 
Anhalt für Lues, bis auf eine Paraparesis spastica, also immerhin 
doch mit starkem Verdacht auf eine luetische Infektion. Quarta 
schwankt sogar in der Deutung dies autoptischen Befundes und er¬ 
innert an die 5 Fälle Deitzkes, welcher bei luetischer Hirnhaut¬ 
entzündung auch knötchenförmige Leptomeningitis fand, welche sehr 
an Tuberkulose erinnerte. Im Fall Quartas sprach die vorhandene 
tuberkulöse Salpingitis sehr für tuberkulöse Natur der Meningitis; 
in unserem Fall kann, bei dem Fehlen jedes anderen Symptomes für 
Lues, die vorhandene Tuberkulose des Darmes und. der Leber, mit 
dem autoptischen typischen Befund, keinen Zweifel an der tuberku¬ 
lösen Natur der Meningitis lassen. Auch Ciuffini berichtet über 
die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen meningomeduliären 
luetischen und tuberkulösen Erscheinungen. Bei Nonne finden sich 
die Angaben, es sei in ganz seltenen Ausnahmen im Endstadium von 
schwerer Tuberkulose, ohne luetische Vorgeschichte, schon positiver 
Wassermann im Blut gefunden worden, ferner werde von einigen 
Autoren von Fällen berichtet, welche bei nicht luetischer Meningitis 
und positivem Wassermann im Blut einen solchen auch im Liquor 
hatten. Bei Plaut, R e h m und S c h o 11 m ü 11 e r findet sich fer¬ 
ner noch die Angabe, dass auch bei Schlafkrankheit und Lepra schon 
positiver Wassermann im Liquor beobachtet wurde; mit Recht 
wird hinzugefügt, dass dies in unseren Zonen nicht zu differential¬ 
diagnostischen Schwierigkeiten führen wird, dagegen dürfte der Satz, 
„dass für unsere Zonen die Spezifität der WaR. für Syphilis (nament¬ 
lich im Liquor) fast absolut gesichert ist“, neben der in diesem Satz 
schon ausgesprochenen Einschränkung durch unsere Beobachtung 
noch eine weitere Einschränkung erfahren. Dass bei Frambösie, 
Schlafkrankheit, Malaria, Scharlach positiver Wassermann im Blut 
vorkommt, ist bekannt. Auffallend ist die Tatsache, dass der Wasser¬ 
mann in beiden Fällen 4 fach positiv war, und interessant ist, dass 
auch der Nonne-Apelt sehr stark positiv ausfiel, welcher sonst bei 
tuberkulöser Meningitis nur schwach positiv zu sein pflegt. 

Der zweite Fall bietet insofern praktisches Interesse, als wir 
vorübergehend durch den positiven Wassermann an unserer, wie sich 
zeigte, richtigen Diagnose zweifelhaft wurden, und vorsichtshalber 
eine antiluetische Behandlung anwandten. Es muss eben in solchen 
Fällen doch letzten Endes das klinische Bild den Ausschlag geben, 
das denn auch im Stadium der Verschlimmerung entscheidend lür 
Tuberkulose sprach; besonders hinweisen möchten wir auf die Wich¬ 
tigkeit des Auftretens des typischen Spinnwebsgerinnsels; weder 
bei der epidemischen Genickstarre,, noch bei organischen luetischen 
Erkrankungen konnten wir es nur annähernd so ausgeprägt be¬ 
obachten, wie gerade bei der tuberkulösen Meningitis. Plaut, 
R e h m .und Schottmüller fanden zwar das Fibrinnetz auch bei 
«anderen unter Entzündungserscheinungen einhergehenden Prozessen 
im Gehirn, sind aber auch der Ansicht, dass in der überwiegenden 
Anzahl der Fälle das Gerinnsel für Tuberkulose spricht. Vielleicht 
kann mittels einer einfachen Methode der Fibringehalt des Liquors 
quantitativ bestimmt werden, und als weiteres differentialdiagnosti¬ 
sches Merkmal in solchen Fällen zwischen luetischer und tuberku¬ 
löser Meningitis dienen. 

Zusammenfassung. 

Bei je einem Fall von Meningokokken- und tuberkulöser Menin¬ 
gitis wurde im Liquor positiver Wassermann beobachtet — im ersten 
vorübergehend —, für Lues ergab sich in beiden Fällen keinerlei An¬ 
halt, in dem einen auch autoptisch nicht. 

Literatur. 

V. Quarta: Ref. im Zbl. f. Tbk. 9. S. 453. — D e i t z k e: Eben¬ 
da. — Ciuffini: Ref. in der Zschr. f. Tbk. 20. S. 88. — Nonne: 
Syphilis und Nervensystem, 3. Aufl. — Plaut, Rehm, Schott¬ 
müller: Leitfaden zur Untersuchung der Zerebrospinalflüssigkeit. 
Jena 1913. 


Aus der K. II. Universitäts-Klinik für Frauenkrankheiten 
in München (Vorstand: Prof. Amann). 

Zum Bevölkerungsproblem *). 

Von Professor Dr. J. A. Amann. 

Die Zukunft des Staates hängt in erster Linie von dem dauernden 
Zuwachs einer gesunden Bevölkerung ab, bestehend in einem regel¬ 
mässigen namhaften Ueberschuss der Geburten über die Todesfälle. 
Die Bevölkerung Deutschlands hat sich trotz der entsetzlichsten Ver¬ 
hältnisse nach dem dreissrgjährigen Kriege in kurzer Zeit verdoppelt 
und verdreifacht. Auch nach 1870 gestaltete sich der Bevölkerungs¬ 
auftrieb noch sehr günstig. 

Doch in den letzten Jahrzehnten sehen wir trotz der besser 
gewordenen sozialen Verhältnisse eine geringere Volkszunahme als 
vorher. Seit dem Jahre 1876 ist ein Geburtenrückgang um 50 Proz. 
zu beobachten; wenn trotzdem die Bevölkerung Deutschlands bis 
vor diesem Kriege noch jährlich um 80 000. Menschen gewachsen ist, 
so ist dies auf die Verbesserung der Sterbefälle zurüekzuführen: auf 
10 000 Einwohner treffen 276 Geburten, aber nur .160 Todesfälle. 

*) Vortrag, gehalten in der Münchener gynäkologischen Gesell¬ 
schaft am 14. III. 1918. 


Aus der Beziehung der Geburtenzahl zur Zahl der Sterbefälle 
ergibt sich nun, dass, wenn es so weiter geht, in 10 Jahren Geburten 
und Todesfälle sich ausgleichen und der Bevölkerungsstilistand. wie 
wir ihn schon vor dem Kriege in Frankreich hatten, eintreten wird. 
Damit wäre die Gefahr herauf beschworen, der die antiken Kultur¬ 
völker erlegen sind: die Gefahr der Ueberflügelung und Ueberwuche- 
rung dwch die fortpflanzungstüchtigen Nachbarvölker. 

Bei Zugrundelegung unserer Geburtenzahl im Jahre 1870 lässt 
sich folgende Berechnung amstellen: 

Im Jahre 1870 trafen auf 10000 Einwohner 400 Ge¬ 
burten, es müssten demnach für die gegenwärtig 
68000 Millionen betragende Bevölkerung Deutsch¬ 
lands 2 720 000 Geburten treffen. Tatsächlich sind 
aber nur 1 818 596 Geburten eingetreten, es besteht 
daher ein jährliches Defizit von 900000 Geburten. 

Rn teil am Forrpf/anzungsaus fall gegen 

den Stand v. 1670 

-Künstf. Abort. 100 OOO 
(davon ärztf. indizt 16 OOO 


Es trafen 1670auf 10OOO Einw. 400 Geburten. 

Demnach wären für 1914 bei 66. OOO OOO Einw. zu erwarten 

2.720000Geburt, 

Tatsächlich trafen auf 19,14 nur 1- 616 OOO » 

Also ein Defizit von rund 900000 n 

Tafel 1. 

Wollen wir Wege finden, diesen Rückgang zu bekämpfen, so 
müssen wir in erster Line die Aetiologie dieser Krankheit zu 
erkennen suchen. Nur eine kausafeBehandlung kam» auf Er¬ 
folg rechnen, eine symptomatische kann nichts nützen. 

Gb das Sinken der Geburtenziffer unbedingt als eine Kalamität 
zu betrachten ist, darüber gehen die Ansichten auseinander, je nach¬ 
dem mehr vom sozialen privatwirtschaftHcheu oder vom natio¬ 
nalen volkswirtschaftlichen Standpunkte aus die Frage betrachtet 
wird. Das privatwirtschaftkiche Ideal, dem Einzelnen möglichst 
viel an wirtschaftlichen Gütern zur Verfügung zu stellen, lässt 
eine geringere Kmderzahl wünschenswert erscheinen. Vom natio¬ 
nalen Standpunkt aus wird eine grössere Mienschenzahl gefordert, 
die einer Nation erhöhte Geltung verschafft, ohne Rücksicht auf das 
Wohlergehen des Einzelnen. Das kteal scheint jedoch in einem ge¬ 
wissen Ausgleich von individuellen, und nationalen Motiven zu liegen 
(Wolf). 

Es fällt auf, dass der Geburtenrückgang eine allen modernen 
Kulturvölkern gemeinsame Erscheinung ist. Die Notlage, Sn welcher 
ein Staat durch den Bevölkerungsrückgang kommt, und 1 das ab¬ 
schreckende Beispiel der an mangelndem Nachwuchs zugrunde ge¬ 
gangenen antiken Kulturvölker, hat von jeher zu den eingehendsten 
Untersuchungen über die Ursachen des Rückganges geführt und eine 
Fülle von Vorschlägen, zum Teil recht phantastischer Art, gezeitigt 

Poncet de la grave hat z. B. im Jahre 1801 gefordert: 

Alle ledigen Personen im Alter von 25—60 Jahren sollen für 
alle Zukunft für unfähig erklärt werden, ein Staatsamt oder eine 
sonstige Stelle zu bekleiden, auch sollten diejenigen ledigen Personen, 
die eine solche Stelle bereits innehaben, diese sofort aufgeben, sofern 
sie nicht den Strafen, auf 10 Jahre in Ketten geschlagen zu werden 
oder der Konfiskation des Vermögens verfallen wollen, und weiter 
unten: Es wurde weiter vorgesehen, ein Institut von Zensoren zu 
schaffen, die die ledigen Personen zu beaufsichtigen hätten, ferner 
Schaffung von besonderen äusseren Merkmalen, um diese Personen 
leicht erkenntlich zu machen. Zu diesem Behüte sollten die Männer 
ehre gelbe Kokarde, die Mädchen einen gelben Schleier tragen. 

ln Deutschland ist noch ein Geburtenüberschuss gegenüber den 
Sterbefällen um 13 Prom. vorhanden; in Russland besteht ein Ge¬ 
burtenüberschuss gegen die Sterbefälle um 40 Prom.; in Frankreich 
werden dagegen um 13 000 Menschen weniger geboren als sterben. 

Wollen wir uns ein Bild machen über die Komponenten, durch 
welche dieser Entgang an Menschenleben zustandekommt, so werden 
wir zweckmässig drei Hauptgruppen unterscheiden: 1. der Nach¬ 
kommenschaftsausfall durch Momente, welche vor der Konzep¬ 
tion einwirken, 2. der Nachkommenschaftsausfall durch Schwan¬ 
gerschaftsunterbrechung und 3. der Nachkommenschafts- 
ausfall durch SäuglingssterblichkeitundKindersterb- 
1 i c h k e i t. 

ad 1. Dre Ursachen des Konzeptionsausfalles beruhen auf: 

a) Nichtzeugen wollen 

b) Nichtzeugen können und 

c) Nichtzeugen dürfen. 

'Für a), das Nichtzeugen wollen, kommen ideelle und 
materielle Motive in Betracht. 

Die sog. Rationalisierung des Sexuallebens (J. W o 1 f), die Unter¬ 
ordnung des Trieblebens unter den Verstand, ergibt sich zum Teil 
aus dem höheren Kulturniveau des modernen Lebens; die steigende 
Bildung der Menschen im allgemeinen bedingt einen erhöhten An¬ 
spruch auf eine einer besseren gesellschaftlichen Stellung entspre- 


I fneiwiH.Beschrkg. 60000Ö\ 


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Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





k. Oktober 191S. 


MUENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1133 


cbende Lebensführung. Es erscheint ein stärkerer Individualisie- 
rungsdrang, der Wunsch nach Frefheit, nach einein Leben ohne 
Störung, um Idealen wissenschaftlicher oder künstlerischer Art, oder 
auch den Freuden des Lebens, dem Luxus, dem materiellen Genuss 
oder der Bequemlichkeit sich hingeben zu können. Gleichzeitig tritt 
aber auch ein stärkeres Verantwortlichkeitsgefühl 
Mir eine entsprechende Erziehung der Kinder und 
die spätere gesellschaftliche Stellung derselben 
zutage. Befeömer zahlreichen Familie lässt sich dies kaum durch¬ 
führen. 


Kinderzahl und Wohlhabenheit (nach Oruöerj. 

Ruf1000Frauen im ßiter von 15-50Jahren kommenjahrl. Geburten: 

Pariser 



IhO 


Reiche: 



Sehr 

reiche: 



Tafel 2. 


fä&1886-98 H/P// 


In materieller Beziehung spielt natürlich das soziale 
Elend eine grosse Rolle; die Beschränkung der Kinderzahl ist ein 
Akt 4er Notwehr im wirtschaftlichen Kampfe. 

Bei diesen mehr minder egoistischen Motiven tritt natürlich das 
(ief ü h 1 f ti r d i e A 11 g e m e i n h e i t in den Hintergrund, ebenso die 
religiösen Vorschriften. 

Durch die Frauenbewegung, durch die Berufstätigkeit de* Frau, 
werden viele Frauen der ehelichen Bestimmung entzogen. 

Die freiwillige K o n z e p t i o n s v e r h i nder u n g ent¬ 
spricht nach B u m m einem jährlichen Ausfall von 800 000 Schwanger¬ 
schaften. Hiebei stellt die gesteigerte technische Möglichkeit der 
Konzeptionsverhütung eine äusserst bedeutsame Hilfsursache dar. 

b) Das Nichtzeugen k ö n n e *n wird am deutlichsten illustriert 
durch die grosse Zahl steriler Ehen (Deutschland 7—10 Proz., 
Berlin 11 Proz., Frankreich 12,5 Proz., Paris 16 Proz., Vereinigte 
Staaten 14 Proz.). Von den sterilen Ehen sind 70 Proz. durch ange¬ 
borene Fehler (Änfantilisnius) bedingt, 20 Proz. durch gonor¬ 
rhoische Infektion entstanden, die beim Manne in 5 Proz. Zeu- 
Kungsunfähigkeit und bei der Frau in 20 Proz. eine Schädigung der 
Empfängnisfähflgkeit bedingt (In den Gebäranstalten grosser Städte 
leiden 15—20 Proz. -der Schwangeren an Gonorrhöe, die Einkmder- 
sterilität beruht meist auf gonorrhoischer Infektion.) Ferner spielen 
Lues, Alkoholismus, Nierenkrankheiten etc. eine Rolle. 

Man hat den durch sterile Ehen bedingten jähr¬ 
lichen Geburtenausfall auf 66—100 000 Geburten aus¬ 
gerechnet. 

c) Für das Nichtzeugen dürfen kommen in Betracht das Zölibat, 
die geistlichen Orden, die Lehrerinnen. Beamtinnen, Krankenpflege- 
rinnnen, die Herratserschwerung für Offiziere, Staatsbeamte, Bauern, 
besonders jüngere Söhne derselben. Aus dem Ehekonsens für Offi¬ 
ziere usw. ergibt sich allerdings eine offizielle Anerkennung des 
Staates für die Notwendigkeit der Beschränkung der Kinderzahl 
aus finanziellen Gründen. Auch die Schwierigkeit der Ehescheidung 
soll hier erwähnt werden. Nicht zu vergessen sind hier die Be¬ 
strebungen der Eugenik, welche die Erzeugung und’ Fortpflanzung 
von konstitutionell Minderwertigen verhindern will. 

In unlösbarem Wiiderspruch zur Erschwerung der Heiratsmöglich¬ 
keit steht die Massenmoral, welche das schwerste Odium auf 
die uneheliche Mutterschaft und auf das uneheliche Kind 
wirft. 

Wir haben also ausser dem durch Krankheiten bedingten Ausfall 
von Konzeption eine enorme Gruppe v.on willkürlichen 
Konzeptionsverhinderungen. Die wirkliche Grösse des 
Entgangs zahlenmässig festzulegen, ist nicht möglich, doch steht 
fest, dass weitaus der grösste Teil durch Prohibitivverkehr zustande¬ 
kommt. 

ad 2. Die Schwangerschaftsunterbrechung. 

In Deutschland erreichen jährlich ca. 2 Millionen Schwanger¬ 
schaften ihr normales Ende. • In 250 000 Fällen kommt es zum 
Abortus (Siegel), also in 12—13 Proz.; hiervon sind 200 000 Aborte 
(also 10 Proz. aller Schwangerschaften) als spontane aufzufassen 
und 50000 (also 2—3 Proz. aller Schwangerschaften) als künst¬ 
liche. Von den letzteren dürften 32000 kriminell oder mangelhaft 

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indiziert (15 Proz. der Aborte) und 18 000 strengstens ärztlich indi¬ 
ziert sein, ln Grossstädten ist das Prozentverhältnis der Aborte höher: 
In Berlin 20 Proz., in München 15 Proz., in Freiburg 10 Proz. Bei 
der Landbevölkerung viel geringer. Siegel berechnet, nun unter 
Berücksichtigung des Verhältnisses des Grossstadtmaterrals zur Land¬ 
bevölkerung für ganz Deutschland 12—13 Proz.; es ergibt sich also, 
dass die neben den 10 Proz. spontanen Aborten vorhandenen 2 b i s 
3 P r o z. kriminellen und ev. vermeidbaren Aborte nur einen ganz 
winzigen Bruchteil der Ursachen des Geburten¬ 
rückganges darstellen. 

Die Zahl der rein kriminellen Aborte schwankt bei der Gross¬ 
stadt- und Landbevölkerung in -enormen Grenzen: 

Für Berlin sind 66—89 Proz., München 33 Proz., Freiburg 7 Proz., 
Königsberg 1,2—6,4 Proz. der Aborte kriminell. Für ganz 
Deutschland ist anzunehmen, dass höchstens 
15 Proz. aller Aborte kriminell sind. 

Die Schwierigkeit der zahlenmäßigen Berechnung ist eine sehr 
grosse. Je nach der Einschätzung der grossstädtischen und ländlichen 
Verhältnisse kommen die Autoren zu divergenten Ansichten. Für die 
Abschätzung, ob ein Abort spontan oder kriminell ist, hat man wohl 
mit Recht den fieberhaften Verlauf (Nürnberger) herangezogen. 
Die spontanen Aborte entstehen durch Lues (9 Proz., Sänger), 
Nephritis und 'besonders aus Schädigungen durch den Beruf der indu¬ 
striell arbeitenden Frau. 

Besonders schwierig ist es, ein Urteil abzugeben, ob von 
seiten der Aerzte eine zu weite Indikation zur 
Aborteinleitung gestellt wird. Die Tatsache, dass bei 
den zur Aborteinleitung in die Klinik eingewiesenen Patientinnen 
nur in der Hälfte bis ein Drittel der Fälle eine wirkliche Indikation 
gefunden wird, lässt meines Erachtens noch keineswegs den Schluss 
zu, dass in allen diesen Fällen der Arzt ohne unsere Zuziehung den 
Abortus ein ge leitet hätte; im Gegenteil, m diesen Fällen erscheint 
den Aerzten die Indikati-on sehr zweifelhaft, daher wünschen sie das 
Gutachten eines Klinikers. Auch wollen sie ev. auf diese Weise dem 
Drängen der Patientinnen entgehen. Ich halte es nicht für angängig, 
dass in den Besprechungen über diesen Punkt nicht selten von 
Aerzten ihren Kollegen unlautere Motive finanzieller oder anderer 
Art zugemutet werden. Entweder handelt es sich um einen ge¬ 
wissenhaften Arzt, der nur nach strenger ärztlicher IndUca-tion 
handelt, oder es handelt sich um einen gewissenlosen Arzt, 
der aus finanziellen Gründen oder sonst leichtfertig handelt, — dann 
ist er der ärztlichen Standesehre unwürdig und gehört zu der Gruppe 
der Abtreiber, gewisser Hebammen etc. und muss gerichtlich verfolgt 
werden; die ärztlichen Standesvereine müssen solche Aerzte ausfindig 
machen und energisch dagegen vorgehen. 

Die weitaus grösste Mehrzahl der kriminellen 
Aborte wird aber durch Nichtärzte oder durch die 
Patientinnen selbst (nach einer Berechnung eigenhändig in 
51,7 Proz.) vorgenommen. 

Auch eine sog. weitherzige Indikationsstellung 
seitens mancher Aerzte hat nach der Ansicht aller 
Autoren zahlenmässig so gut wie keinen Einfluss 
a u f d e n Geburtenrückgang. Ich möchte dies ausdrücklich 
betonen, da in manchen ärztlichen Diskussionen in sehr scharfer 
Weise gegen eine weitergebende Indikationsstellung vorgegangen 
wird; wenn ein Laie einen solchen Sitzungsbericht zu Gesicht 
bekommt, so könnte er glauben, dass die Aerzte am Geburten¬ 
rückgang schuld seien. 

Dass gerade beim künstlichen Abort von seiten des Arztes in 
denkbar gründlicher Weise nach peinlichsten wissenschaftlichen Er¬ 
wägungen nur unter Beiziehunganerkannter Spezia¬ 
listen verfahren werden darf, ist für einen gewissenhaften Arzt 
eine Selbstverständlichkeit, und daraus -ergibt sich von selbst, dass 
es eine ärztliche Ehrenpflicht ist, die Indikations- 
stellungnachMöglichkeiteinzuschränken. Aber der 
Arzt muss sich auch -bewusst sein, dass die Ablehnung eines 
Abortus ebenso verantwortungsvoll ist, wie die 
Einleitung, und dass die künstliche Unterbrechung einer Schwan¬ 
gerschaft zwar die Tötung eines Kindes darstellt, die Unterlassung 
der Unterbrechung aber unter Umständen die Tötung von Mutter und 
Kind bedeuten kann. (Ich erinnere hier z. B. an Fälle von Kehlkopf¬ 
tuberkulose.) Des öfteren -ist schon aus übertriebener sog. Gewissen¬ 
haftigkeit die Unterbrechung erst an der Sterbenden vorge¬ 
nommen worden. 

Auf die I n d i k a t i o n s s t e 11 u n g zur künstlichen Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft will ich hier im Einzelnen nicht 
emgehen, sondern nur auf einige Punkte hinweisen. Eine gynä¬ 
kologische Indikation ist nur äusserst selten gegeben, höchstens 
bei Retroflexio uteri gravidi, Placenta praevia, Blasenmole und bei 
Kombinationen von Gravidität mit Myom, Karzinom und sonstigen 
Tumoren — da werden wir auf Grund der eigenen spezialärztlichen 
Erfahrung zu entscheiden haben. Bei allen anderen Kom¬ 
plikationen werden wir nur nach Beratung mit an¬ 
erkannten Vertretern des betreffenden Spezial¬ 
faches handeln. 

Für -die Beurteilung des Schwangerschaftseinflusses auf die 
Tuberkulose möchte ich darauf hinweisen, dass es wichtig ist, 
die Erfahrungen über die späteren Schicksale der Mütter zu sammeln, 
denn die Schwangerschaft scheint in diesen Fällen weniger gefährlich 
zu sein, als das Wochenbett und die folgende Zeit. Die Sterblichkeit 


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1134 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41- 


der verheirateten tuberkulösen Frauen ist doppelt so 
gross wie die der unverheirateten gleichaltrigen Tuberkulösen, was 
nur auf den Einfluss der Gravidität zurückgeführt werden kann 
(Rode- Christiania). Auch bei anderen Erkrankungen, Herz, 
Niere, Nierenbecken etc. sollten mehr Beobachtungen über 
das spätere Verhalten der Frau durch öftere Beratungen mit Spezial¬ 
kollegen gesammelt werden. 

Dass eine soziale Indikation als solche zu verwerfen ist, 
ist klar. Doch kann die soziale Komponente beim Urteil über 
die Bedeutung einer Krankheit für einen speziellen Fall nicht ent¬ 
behrt werden. 

Die e u g e n i s c h e I n d i k a t i o n ist ebenfalls nach der allge¬ 
meinen Ansicht zu verneinen, doch möchte ich hier die Anregung 
geben, dass einmal gemeinsam mit Psychiatern und Juristen über die 
Bedeutung der hereditären Belastung bei Blinden, 
Taubstummen, Alkoholikern. Psychopathen, beraten wird. St ein - 
d o r f stellte in der Berliner Ophthalmologischen Gesellschaft zwei 
Schwestern von 9 und 6 Jahren mit doppelseitiger Optikusatrophie 
und cliorioiditischen Veränderungen in der Makula vor. Ein drittes 
Kind, 1 Jahr alt, zeigt die gleiche Erkrankung. Alle drei Nystagmus, 
die Mutter ist wieder gravid; die geforderte Schwangerschaftsunter¬ 
brechung wird abgelehnt. Ein ganz analoger Fall von familiärem 
Gliom ist eben im Zbl. f. Gyn. 1918 Nr. 10 vom Heine publiziert 
worden. In Deutschland sind 2—300 000 Schwachsinnige verheiratet 
und von den Geisteskranken ein Viertel, d. h. 30 000. Von 8600 taub¬ 
stummen Kindern haben mehr als die Hälfte ihr Leiden ererbt. Der 
Staat muss enorme Summen für die minderwertigen Elemente aus¬ 
geben. Jens berechnet für Hamburg 31,6 Millionen. Nach alledem 
gewinnt man den Eindruck, dass es doch zweckmässig sein dürfte, 
zunächst rein wissenschaftlich und statistisch diese Fragen nochmals 
durchzuprüfen. 

Die klinische und wissenschaftliche Durcharbeitung der Indi¬ 
kationsstellung zur Schwangerschaftsunterbre¬ 
chung überhaupt muss möglichst gefördert werden, hier können 
gerade auch die praktischen Aerzte mit Spezialkollegen zusammen 
sehr wichtige Beiträge liefern, da sie als Hausärzte die Möglichkeit 
jahrelang fortgesetzter Beobachtung haben. In umfassender Weise 
sollte von der DeutschenGesellschaft für Gynäkologie, 
wiedics schon mehrfach vorgeschlagen wurde, eine 
Sammelforschung durchgeführt und eine Zusam¬ 
menfassung der Ergebnisse den Aerzten möglichst 
zugängig gemacht werden. 

Warum wird nun so häufig von den Frauen die 
Abtreibung der Leibesfrucht verlangt? Die Gründe, 

warum sich die Natur des 
£$ /eben von 7000 Geborenen Weibes derart umwandelt. 

dass es sich vom Kinde 
abwendet und mit allen 
Mitteln trachtet, die 
Frucht los zu werden, 
sind der Hauptsache nach 
die gleichen, wie sie oben 
für die Konzeptionsbehhv- 
derung bereits angegeben 
wurden. Ledige und Ver¬ 
heiratete sind hier in glei¬ 
cher Weise beteiligt. Bei 
den Ledigen ist die 
Furcht vor der 
Schande und der 
gesellschaftlichen 
Erniederung, ver¬ 
bunden mit sozialem 
Elend und Not die 
Haupttriebfeder. Weder 
die Gefahr schwerer ge¬ 
sundheitlicher Schädi¬ 
gung, noch drohende ge¬ 
richtliche Verfolgung kann 
die Schwangere verhin¬ 
dern, von einer Stelle zur 
anderen zu wandern, bis 
sie Mittel und Wege ge¬ 
funden hat, das Schwan¬ 
gerschaftsprodukt los zu 
werden. Die Vorstellung 
von der Zukunft der un¬ 
ehelichen Mutter und 
des unehelichen Kindes schwebt ihr als schwarzes Gespenst in 
der entsetzlichsten Weise vor. Die psychische Alteration erklärt die 
fortgesetzten Abtreibungsversuche bzw. den Kindsmord, den Selbst¬ 
mord, die Kindsaussetzung, die Vernachlässigung bzw. absichtliche 
Schädigung des Neugeborenen und des heranwachsenden Kindes. 

ad 3. Säuglings- und Kindersterblichkeit bis 
zum 19. Lebensjahre. 

Unter den 2 Millionen Geburten sind 55 000 Totgeburten, 
hievon sind 9000 durch Lues bedingt, die übrigen durch Geburtsschä¬ 
digungen etc. Die Kindersterblichkeit bis zu einem Jahr ist 300 000 
von 2 Millionen. 


1000 



Tafel 3. Nach einer von Schauta zitierten öster¬ 
reichischen Statistik graphisch dargestellt. 


Eine von Schauta zitierte Statistik aus Oesterreich ergibt: 
von 1000 ehelichen Kindern erreichten das 1. Jahr 696, 

das 19. Jahr 512. 

von 1000 unehelichen Kindern erreichten das 1. Jahr 332.. 

das 19. Jahr 136. 

(Siehe nebenstehende Tafel 3.) 


Die Kindersterblichkeit ist im ersten Lebensjahr in den verschie¬ 
denen Staaten sehr verschieden. _ 


(1907) Deutschland 


17,6 Proz. Bayern: 

ehelich 16,8 Proz. 
unehelich 28,5 Proz. 
Niederbayem: 

ehelich 26,7 Proz. 
unehelich 33,5 Proz. 


Italien 

Belgien 

Schweiz 

England 

Niederlande 

Schottland 

Dänemark 

Irland 

Schweden 

Norwegen 


15,6 Proz. 
13,2 Proz. 

12.1 Proz. 

11.8 Proz. 

11.2 Proz 
11,0 Proz. 

10.8 Proz. 
9,2 Proz. 

7.7 Proz. 

6.7 Proz. 


Die Kindersterblichkeit bis zum 15. Jahre macht die Hälfte der 
ganzen Sterblichkeitsziffer aus, im ersten Lebensjahr fast ein Drittel. 


Nachkommenschaft - Ausfall 



Ich habe versucht, in den beigegebenen Kurven eine graphische 
Darstellung über die Höhe der einzelnen Zahlen zu machen. Die 
Zahlen sind keineswegs nur klinischem Material entnommen, sondern 
aus verschiedenen eingehenden Arbeiten entnommen. 

Bei der Tafel 1 habe ich die, wie mir scheint, wichtige, sebor 
eingangs erwähnte Berechnung des jährlichen Geburtenausfalls vor 
900 000 (aus dem Vergleich mit den Zahlen von 1870) zugrunde 
gelegt und die Beteiligung der Konzeptionsverhinderung und Schwan¬ 
gerschaftsunterbrechung eingetragen. 

Tafel 2 gibt eine graphische Darstellung der Beziehung von 
Kinderzahl zur Wohlhabenheit. 

Tafel 3 bezieht sich auf die von Schauta zitierte öster¬ 
reichische Statistik. 

In Tafel 4 wollte ich einen bildlichen Ueberbhck über den Nach- 
kommenschaftsausfall geben, wie er sich durch Konzeptionsbehinde¬ 
rung, durch Schwangerschaftsunterbrechung und durch Totgeburten 
und Kindersterblichkeit ergibt. Gleichzeitig habe ich versucht, an der 
Kurve unten die Zahlenverhältnisse der ev. erreichbaren Verbesse¬ 
rungen graphisch darzustellen. 

Die Vorschläge, 

welche wir zur Bekämpfung des Nachkommenschafts- 


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8. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1135 


ausfalles machen können, müssen sich naturgemäss in erster 
Linie gegen die Ursachen richten. 

ad 1. Konzeptionsverhinderung und sterile 
Ehen. 

a) Konzeptionsverhinderung. 

In oberen Kreisen -dürfte es zweckmässig sein, die Einsicht zu 
wecken, dass die kulturell wertvollsten Teile des Volkes durch Be¬ 
schränkung künstlich sich ihres Einflusses auf die Entwicklung des 
Volkes berauben und sich dem Aussterben aussetzen. 

Die obersten tmd oberen Kreise müssen vorangehen mit 
dem Beispiel, dass jedes seinen Stolz und Wert darin suchen muss, 
seine rein individuellen Genüsse und Bequemlichkeiten zurücktreten 
zu lassen, soweit das Gesamtwohl des Stammes dadurch schwer ge¬ 
troffen wird; diese Kreise müssen auch vorangehen mit der Einfach- 
beit .der Lebensweise in bezug auf Kleider, Schmuck, gesellschaft¬ 
lichen Aufwand usw., damit auch die weniger bemittelten Kreise er¬ 
kennen, dass ein stande$gemässes Leben ohne besonderen Ver¬ 
mögensaufwand möglich ist. 

In mittleren Kreisen käme besonders in Betracht die Er¬ 
le ichterungder Heirat, auch die Erleichterung der Scheidung 
bei Sterilität vor allem die Besserung der Gehaltsverhältnisse bei 
Verheirateten (75 Proz. der Beamten haben 0 bis 2 Kinder), die 
Unterstützung kinderreicher Familien und die Bevorzugung deren 
Väter bei Bewerbungen. 

In unteren Kreisen die Besserung sozialer Ver- 
h ä I tn is se, die Unterstützung der Mütter, und zwar schon 3 Monate 
vor der Geburt, Ausdehnung der Unterstützung auch auf Heimarbeite¬ 
rinnen, Vermehrung der Gebäranstalten auch auf dem Lande (Kreis- 
etrtbindungsanstaIten, die von grösster Bedeutung für -die Herabsetzung 
der Säugtä-ttgssterblichkeit auf dem Lande wären), Stillprämien und 
Vorbildung für den Mutterberuf in den Schulen. Wochenhiife, Familien- 
berhrlfen, Schaffung gesunder und billiger Wohnungen. 

Im ganzen müsste eine grosszügige staatliche Begünstigung der 
kinderreichen Ehen eintreten. Es müsste bei Besteuerung. Gehalts¬ 
und Lohnzahlung, Staatsanstellung die Kinderzahl in bevorzugende 
Rechnung gestellt werden. Kinderlose müssten für Kinderreiche ent¬ 
sprechend herangezogen werden. 'Die Frühehe müsste in jeder Weise 
ermöglicht und gefördert werden, endlich müsste sich die Boden- und 
Wohnungsreform in allererster Linie der 'kinderreichen Familie an- 
nehmen. 

Besonders wichtig erscheint die Sorge für die Neugeborenen 
durch Errichtung von Findelhäusern mit Geheimhaltung: der 
Fortfall der Meldung an Heimat gemeinde bei Unehelichen. Kinder- 
erzieh- und Bewahranstalten für gewerblich tätige Frauen. 

Die antikonzeptionellen. Mittel, soweit sie nicht die Uebertragung 
von Geschlechtskrankheiten verhüten, sollen verboten und nur auf 
ärzHche Verordnung abgegeben werden. 

Gegen die Konzeption sunfähigk eit, die sterilen 
Ehen, -ist vorzugehen durch Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten, Lues, Gonorrhöe, prinzipiell konservative Behand¬ 
lung der entzündlichen Adnexveränderungen, die Erleichterung der 
Ehescheidung bei Sterilität. Die Sterilisierung soll ebenso 
wie der künstliche Abortus nur nach Konzilien mit Spezialfachkollegen 
gemacht werden dürfen. Auch die Besserung der Wohnungs- und Er- 
werbsverhältnüsse dürfte einen gewissen Einfluss ausüben. 

Gegen die Gruppe des Konzeptrionsausfalles durch Nichtzeu- 
cendürfen käme besonders die Erleichterung der Heiratsmöglich- 
keit und dfe Gehaltsaufbesserung in Betracht. Die Anstellung im 
Reichs-, Staats- und Gemeindedienst, auch im Schuldienst, soll ver¬ 
heirateten Frauen nicht unbedingt unmöglich gemacht werden. 

ad 2 Schwangerschaftsunterbrechung. 

Beim spontanen Abortus käme die Bekämpfung der Ur¬ 
sachen desselben: die Geschlechtskrankheiten, besonders Lues, dann 
Nephritis, die gewerblichen Schädigungen der arbeitenden Frauen, 
vor allem in Betracht. 

Zur Bekämpfung des artifiziellen Abortus erscheint es 
mir vor allem wichtig, eine Sinnesänderung gegenüber der unehe¬ 
lichen Mutter und dem unehelichen Kinde zu erreichen. Für die 
uneheliche Mutter und das Kind muss künftighin 
ganz anders gesorgt werden. Die Grundsätze, auf denen 
ein norwegisches Gesetz von 1915 aufgebaut ist (siehe 
M.m.W. 1918 S. 281) scheinen mir beachtenswerte RrchtMmen zu geben: 
„Das uneheliche Kind hat dieselbe Rechtsteilung im Verhält¬ 
nis zum Vater wie zur Mutter, es hat Anspruch auf den 
Familiennamen des Vaters wie der Mutter und auf Unter¬ 
halt, Erziehung und Ausbildung, sowohl gegen den 
Vater wie gegen die Mutter. Die Höhe des Erziehungs¬ 
beitrages wird nicht einseitig nach dem Stande der Mutter geregelt, 
sondern nach der wirtschaftlichen Lage beider El¬ 
fter n. Jede Frau, die ein ausserehelicbes Kind erwartet, hat sich 
mindestens drei M'onate vor der Niederkunft an einen 
Arzt oder eine Hebamme zu wenden und anzugeben, wer ihrer An¬ 
sicht nach der Vater sei, so dass die Nachforschungen nach dem 
Vater schon vor der Geburt einsetzen können. Der Vater hat 
der Mutter schon 3 Monate vor der Geburt einen Bei¬ 
trag zu entrichten, so dass sie nicht gezwungen ist, bis kurz vor der 
Geburt zum Schaden des Kindes schwere Arbeit zu leisten. 

Nach der Anerkennung der Verwandtschaft zwi- 
schen Vater und Kind ist es selbstverständlich, dass dem Kinde 
ein Erbrecht entsprechend 1 dem der ehelichen KindeT eingeräumt 

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wird. Für den Fall der Auswanderung des Beitragspflichtigen muss 
derselbe, bevor er auswandert, für alles, was fällig ist, und später 
fällig wird, Sicherheit stellen.“ 

Sicher wird durch ein solches Gesetz die Legitimierung erleich¬ 
tert werden und wird auch eine Mehrung der Heiraten eintreten. 

Die Errichtung von Findelhäusern und Anstalten für 
Kinderfürsorge wie dies schon im vorigen Abschnitt erwähnt wurde, 
muss auch hier nochmal betont werden. 

Gegen die Personen, welche abtreiben, muss scharf 
vorgegangen werden. Anhaltspunkte, welche auf derartige Personen 
Hinweisen, sollen angezeigt werden. 

Für die Aerzte soll es eine Ehrenpflicht sein, 
den künstlichen Abortus nur mit Beiziehung an¬ 
erkannter Fachleute einzuleiten. Eine Anzeige- 
pflicht aller Aborte würde nichts nützen, nur die gewissenhaften 
Aerzte würden sie durchführen, nicht aber die gewissenlosen Abtrei¬ 
ber; auch würde es bei schweren Erkrankungen nach kriminellem 
Abortus noch mehr von den Patientinnen vermieden, in die Klinik 
zu gehen, wodurch noch mehr Patientinnen dieser Art zugrunde 
gehen würden. Auch die Beiziehung eines Amtsarztes kann 
nichts nützen. Er würde ohnedies nur von gewissenhaften Aerzten 
beigezogen, die gewissenlosen würden leicht ihr Vorgehen durch 
falsche Diagnosenangabe verschleiern können. 

Für eine peinliche ludikationsstellung von selten der Aerzte 
dürfte, wie ich schon oben erwähnte, eine von der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Gynäkologie ausgearbeitete Denkschrift, 
welche die Information über den gegenwärtigen Stand der wissen¬ 
schaftlichen Ansichten auf diesem Gebiete enthält, von grösster Wich¬ 
tigkeit sein. 

Es soll die Pflicht der ärztlichen Standesvereine 
sein, gegen leichtfertige und gewissenlose Aerzte, welche aus nicht 
ernstlich begründeten Motiven die Schwangerschaft unterbrechen, so¬ 
bald sich ein Anhaltspunkt für ein solches Vorgehen ergibt, energische 
Massregeln zu ergreifen. 

ad 3 Säuglings- und Kindersterblichkeit. 

Gegen den Kinderverlust bei der Geburt durch Geburtsschädi¬ 
gungen, kommt neben der besseren Ausbildung der Landärzte in der 
Geburtshilfe aiich die Errichtung von mehr Anstalten, 
Kreisentbindungsanstalten bzw. Krankenhäu¬ 
sern mit entsprechenden Operationsräumen und Säuglingsabtei¬ 
lungen, in denen auch eine Belehrung der Mütter stattfinden könnte, 
in Betracht. Für die so enorm wichtige Bekämpfung der Kindersterb¬ 
lichkeit ist wieder auf die Errichtung von Findelhäusern hin¬ 
zuweisen. Die Stellung der unehelichen Mutter und des unehelichen 
Kindes muss gebessert werden (siehe die Vorschläge rm vorigen Ka¬ 
pitel). Die Säuglingsfürsorge, welche bis jetzt schon so herrliche 
Resultate gezeitigt hat. muss immer mehr gefördert werden. Die 
Krankenkassen sollen mehr herangezogen werden für die Schonungs¬ 
möglichkeit der Mütter. 

Wenn es gelingt, die Säuglingssterblichkeit wie anderswo auf 
10 Proz. herunterzubringen, dann bekommt Deutschland jährlich 
100 000 Kinder geschenkt (Bum m). 

Im Anschluss an die Säuglingsfürsorge muss natürlich gegen die 
Verwahrlosung der her anwachsenden Jugend durch entsprechende 
Anstalten etc. und eine bessere Ernährung der Schulkinder, event. 
durch Speisung in der Schule selbst, Sorge getragen werden. 

Es war mir darum zu tun, im vorstehenden zu zeigen, auf wel¬ 
chen Momenten der Bevölkerungsrückgang beruht und an welchen 
Stellen wir event. einen bessernden Einfluss nehmen können. Die 
wichtigsten Momente Hegen in der freiwilligen Beschränknng der 
Konzeption und Sn der Kindersterblichkeit. Unter den Schwanger¬ 
schaftsunterbrechungen, die in ihrer Gesamtheit kernen allzu grossen 
Einfluss haben, spielen die spontanen und die kriminellen Aborte die 
Hauptrolle, welche beide nur schwer, letztere höchstens in der an¬ 
gegebenen Weise zu beeinflussen sind. Der Einfluss der event. auch 
mit weiter Indikation von den Aerzten gemachten Unter¬ 
brechungen kommt für den Bevölkerungsrück¬ 
gang so gut wienicht in Betracht trotzdem ist es unsere 
ernste Standespflicht, auch hier, wie bei allem unserem ärztlichen 
Handeln, nur auf Grund peinlichster und gewissenhaftester Erwägun¬ 
gen unter Heranziehung von Spezialkollegen vorzugehen. 


Aus der Universitäts-Frauenklinik Bonn a. Rh. 
(Direktor: Qeh. Med.-Rat Prof. Dr. v. Franque.) 

Ein Fall von Uterusperforation infolge Druckusur und 
Quetschung des Darmes nebst sekundärer Perforation 
mit tödlichem Ausgang bei Anlegung der hohen Zange. 

Von Dr. med. et phil. Friedrich Lönne, 
Assistenzarzt der Klinik. 

Folgender interessante Fall, der ausserhalb der Klinik zur opera¬ 
tiven Entbindung gelangte, kam am 5. XI. 17 zur Einlieferung in die 
Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Bonn; 

Frau M. K„ 30 Jahre alt, I.-para, ha?t am Donnerstag den 25. X. 17 
erstmaHg Wehen. Am 26. X. 17 nachmittags sprang die Blase. Die 
Wehen, die bis dahin sehr gut gewesen sind 1 , sollen nach dem Blasen¬ 
sprunge in ihrer Intensität nachgelassen haben. Am Samstag den 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41. 


27. X. 17 legte der hinzugerufene Arzt die Zange an, nach Angabe 
der die Patientin begleitenden Hebamme, „weil der Kopf noch zu hoch 
stünde“. Die Zangenoperation förderte ein lebendes Kind zutage. 
Nach der Geburt keine besonders starke Blutung, Verlauf der Nach¬ 
geburtsperiode gut. Urin sei stets spontan abgegangen. Am dritten 
Tage nach der Geburt hatte Patientin zum ersten Male Stuhlgang, 
von da ab regelmässig täglich Defäkationen. Am 30. X. 17 Fieber¬ 
anstieg auf 39°, an demselben Tage Schüttelfrost. Am 5. XI. 17 
veranlasst» der Arzt die Ueberführung der Patientin in die Klinik 
wegen Wochenbettfiebers. 

Bei der Einlieferung am 5. XI. 17 ergab sich folgender Befund: 
Pat. apathisch, Lippen trocken, borkig belegt, Zunge feucht, ebenfalls 
stark belegt. Puls 100, kräftig, Temperatur 38,4, Atmung etwas ober¬ 
flächlich. 

Abdomen stark aufgetrieben, aber eindrückbar, nicht besonders 
schmerzhaft. Exsudat nicht nachweisbar. Blase stark gefüllt, wölbt 
sich bis an den Nabel stark vor unter Vordrängen des vorderen 
Scheidengewölbes. Der eingeführte Katheter gleitet nach rechts ab, 
es werden ca. 2% Liter trüben Urins entleert Vulva stark gerötet; 
links findet sich ein ziemlich tiefer, grau belegter Einriss. Auch an 
der Innenfläche des rechten kleinen Labiums findet sich ein solcher 
Riss. Die hintere Scheadenwand rst ebenfalls eingerissen und stark 
belegt. Bei der inneren Untersuchung erweist sich der Uterus für 
2 Finger durchgängig. Corpus uteri stark nach rechts herunterge¬ 
zogen, aber leicht austastbar, leer. Grösseres Exsudat nicht fühlbar. 
Es besteht gelblich-weissldcher, ausserordentlich übelriechender 
Ausfluss. f 

Therapie: Ausspülung des Uterus und der Scheide mit Lysol 
und Alkohol. Eine Injektion konzentrierter Kollargollösung (Heyden), 
Eisblase, Ergotin. Kampfer. 

Zweiter Tag: Eiterhaltige Durchfälle. Abdomen noch stärker 
aufgetrieben. Puls gut. Temperatur 37,4. 

Dritter Tag: Weiterhin eiterhaltige Durchfälle. Abdomen weicher. 
Puls gut, keine Temperatur, Zunge belegt 

Vierter Tag: Langsam ansteigende Temperatur. Leib stärker 
aufgetrieben. Patientin fast vollkommen somnolent. 

Fünfter Tag: Per rectum fühlt man im Anschluss an die Zervix 
eine Resistenz, dfe bis an die rechte Beckenwand herangeht ebenso 
links. 

Sechster Tag: Durchfälle, mit Eiter vermischt bestehen weiter. 
Daher einprozentige Tanndneinläufe, die Patientin schlecht hält. 

Siebenter Tag: Zustand unverändert 

Achter Tag: Abendtemperatur 39,9. Puls steigt ebenfalls, aber 
langsamer, bteibt kräftig und voll. Leib auffallend dünner geworden, 
leicht eindrückbar, keine Schmerzen. Pat. vollkommen klar, ant¬ 
wortet auf Fragen. 

Zehnter Tag: Wechselnde Temperatur Allgemeinbefinden be¬ 
deutend gebessert Aussichten heute bedeutend günstiger. Leib 
dauernd weich, mintmat aufgetrieben. Puls kräftig und regelmässig, 
Nahrungsaufnahme gut 

Elfter Tag: Temperatur abends 38,1. Allgemeinbefinden heute 
schlechter. Atmung beschleunigt, oberflächlich. Lippen zyanotisch 
verfärbt Lunge o. B. Pat. apathischer, schläft beständig, Nahrungs¬ 
aufnahme gering. 

Zwölfter Tag: Temperatur fällt fast kritisch auf 36.3, ohne dass 
der Puls entsprechend sinkt: dieser bleibt kräftig, ist aber beschleu¬ 
nigt. Atmung ganz oberflächlich. Abends IT Uhr wird Puls kleiner 
und weicher. Trachealrasseln. Stühle sind immer noch von Eiter 
durchsetzt Stündlich Kampfer, 3 mal tägHch 15 Tropfen Digalen. 

Vierzehnter Tag: Somnolenz nimmt zu. Leib vollständig einge¬ 
fallen, weich, nicht druckempfindlich, Pat. vollkommen teilnahmslos. 

Sechzehnter Tag: Pufe 120, Tempera-tür 35,6. Unter zunehmender 
Herzschwäche erfolgt trotz Kochsalzinfusionen, Strophantin und 
Kampfer gegen 6 Uhr abends der Exitus. 

Die Autopsie wurde am 20. XI. 17 vom Obduzenten (Herrn 
Geheimrat Ribbert) vorgenommen. Die Dünndärme waren alle 
untereinander durch weiches, zerreissliches Bindegewebe verwachsen. 
Auch zwischen Bauchwand und den vorliegenden Darmschlingen 
mehrere leichtere Verwachsungen. Ueber den Beckenorganen findet 
rieh dn Stück schmierigen, gelblichen Kotes, der sich auch neben dem 
S romantrm etwas in die Höhe erstreckt Dieser Kot hat sich aus 
zwei grossen, dicht nebeneinander gelegenen Oeffnungen im Zoekum 
entleert Das Zoekum selbst liegt über der linken Hälfte des unteren 
Lendenwirbels auf dem Promontorium und ragt etwas ins Becken 
hinein. Das Peritoneum ist hier schwärzlich verfärbt ebenso die 
Aussenfläche des Zoekums. Die Schleimhaut des Zoekums ist bis 
an den Rand der Oeffnungen vollständig unverändert nur die Ränder 
der Oeffnungen sind gerötet und etwas zackig. Der Kot liegt auch Im 
Dourlas. Die Oberfläche des Uterus wie das ganze Peritoneum des 
Beckens ist schmutzig, schwärzlich-grünlich verfärbt mit etwas 
schmutzigem Fibrin bedeckt Harnblase unverändert. Schleimhaut 
der Vagina ist schmutzig, schwarz-grün verfärbt. Uterus kleinfaust¬ 
gross. weich, die Innenfläche in der Zervix und im unteren Segment 
schwärzlich verfärbt im Fundus mehr rötlich. In deT hinteren Fläche 
des Uterus, in dem schwärzlich verfärbten Abschnitt eine etwa 1 cm 
im Durchmesser haltende Oeffmmg mit zerfetztem Rand, die bis in 
den Douglas hineinführt. 

Vergleichen wir den kHm-schen Verlauf des Falles mit dem Er¬ 
gebnis der Autopsie, so sehen wir ohne weiteres, dass der Fall kom¬ 
pliziert Hegt. Man könnte zunächst an eine brüske Art des operativen 

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Vorgehens des Geburtshelfers denken, der bei Anlegen der Zange 
Uterus und Darmwand perforierte. Dem widersprechen aber — ab¬ 
gesehen davon, dass es unerklärlich wäre, wie bei Anlegung der hohen 
Zange im q u e r e n Durchmesser gerade an der Hinterseite des 
Uterus eine Perforation gesetzt werden sollte! — bei genauerem 
Hinsehen sowohl der klinische Verlauf selbst als auch der Befund 
des Pathologen, der eine nur knapp 1 cm grosse Perforation an der 
Hinter wand des Uterus feststellen konnte, die doch unmöglich der 
Grösse einer durch Perforation mit einem Zangenlöffei gesetzten 
Oeffnung, selbst bei denkbar stärkster Zusammenziehung und Schrum- 
fung des Utems, entspricht. 

Wesentlich zur Beurteilung des Falles ist der Bericht des Ge¬ 
burtshelfers, den wir uns von diesem erbaten. Hiernach hat sich 
die Geburt in der Hauptsache folgendermassen abgespielt: Am 
27. X. 17 wurde der Arzt zur Beendigung der Geburt wegen Wehen¬ 
schwäche und Erschöpfung gerufen. I. Schädellage. Muttermund 
vollständig verstrichen. Scheide eng, Köpfchen hochstehend, „sich 
gegen die Schambeinfuge stemmend“. “Da bei dem erschöpften Zu¬ 
stand der Patientin nach dem Bericht des Arztes keine stärkeren 
Wehen zu erwarten waren, entschloss sich der Arzt zur Beendigung 
der Geburt durch hohe Zange. Anlegen derselben ohne Schwierig¬ 
keit und Zug ohne besondere Kraftanstrengung. Entwicklung des 
Kindes soll leicht vor sich gegangen sein, die Operation sei in 20 Mi¬ 
nuten ausgeführt gewesen. Nach anderthalb Stunden verliess der 
Arzt die Patientin in gutem Zustand. Puls gut, keine Blutung, Uterus 
gut kontrahiert. 

Am nächsten Tage wurde der Arzt wiederum zur Wöchnerin 
gerufen, weil sie 4—5 Stunden nach der Entbindung plötzliche Herz¬ 
beklemmung und Luftbeschwerden bei kleinerem Puls gehabt habe. 
Beim Eintreffen des Arztes: Temperatur 38°, Puls 100. kräftig, Leib 
aufgetrieben, druckempfindlich, kein Schüttelfrost In den ersten 
Wochenbettstagen schwankten die Temperaturen zwischen 37 und 
38,5 °. Leib sei dauernd etwas aufgetrieben gewesen, Stuhlgang vom 
dritten Wochenbettstage ab regelmässig. Acht Tage nach der Geburt 
am 3. XI. 17 starke Dämpfung in der linken Inguinalgegend. Dies 
veranlasste den Arzt die Patientin der Klinik zu überweisen. 

Der ganze Fall in seiner Aetiologie und seipem Verlauf bat 
ausserordentlich viel Aehnlichkeit mit einem von meinem Chef, Herrn 
Geheämrat v. FranquS, in der Prager med. Wochenschrift 29. 
Nr. 48—49, im Jahre 1904 veröffentlichten Fall anlässlich einer Ab¬ 
handlung über pathologische Hinterscheitelbeineinstellung. Es 
handelte sich hierbei um eine Patientin, bei der am zweiten Wehen¬ 
tag ein Arzt zur Beendigung der Geburt gerufen wurde, der nach 
einem zweimaligen vergeblichen Zangenversueb die Patientin einige 
Stunden später der Prager Frauenklinik überwies. Mittlerer Grad 
von Beckenenge (Conj. diag. 10,0) Kopf in typischer Hinterscheitel- 
beineinstellung zweiten Grades, grosse Fontanelle gesenkt, auf dem 
Beckeneingang fixiert. Ab wartende Therapie. 4 Stunden nach der 
Einlieferung Piilsanschnellung auf 140, normale Temperatur, Leib 
stark aufgetrieben. Perforation des inzwischen abgestorbenen Kindes 
und Extraktion desselben. Uebe!riechendes Fruchtwasser. Patientin 
kollabierte zusehends. Austastung des Uterus wegen Verdachts der 
Uterusverietzung. Spülflüssigkeit lief nur in geringer Menge nach 
aussen ab. Trotz wiederholter sorgfältiger Austastung kein Riss 
fühlbar. Die Patientin starb ungefähr 12 Stunden nach der Ein¬ 
lieferung in die Klinik. Bei der Obduktion fand sich in der Tat eine 
7 mm lange Perforationsstelle an der Hinterwand des Uterus, an der 
Grenze zwischen ausgezogenem unteren Uterinsegment und Zervix. 
Es fand sich ferner eine ausgedehnte Peritonitis mit serösem, eitrig¬ 
jauchigem Exsudat, ausserdem fanden sich mit Eiter injizierte sub¬ 
pleurale Lymphgefässe, ferner ein fibrinöses Exsudat auf der Pleura 
dfaphragmatica und den angrenzenden Lungenpartien. Es war aus¬ 
geschlossen, dass diese weitgehenden Prozesse sich innerhalb der 
5 Stunden, die zwischen Entbindung und Tod oder etwa innerhalb 
der 15 Stunden, die zwischen Zangenversuch und Tod verlaufen 
waren, ausgebildet hatten, v. F r a n q u € nimmt an, dass die zur 
Peritonitis führende Perforation wahrscheinlich am Tage vor der 
Zangenentbindung spontan geschehen ist und zwar infolge einer 
Kombination von Druck und Ueberdehnung: also von starkem Druck 
des beim Tiefertreten an das Promontorium augepressten Schädels 
auf das durch die Hinterscheitelbeineinstellung stark überdehnte 
untere Uterinsegment. Diese plausible Erklärung leuchtet ohne 
weiteres ein. Besonders interessant ist, dass v. F r a n q u 6 in der 
zitierten Abhandlung hervorhebt, dass man seiner Ansicht nach „die 
gleiche Entstehung einer Uterusperforation auch dann annehmen 
müsse, wenn die Verletzung gelegentlich eines Entbindungsversuches 
entstanden wäre.“ Meines Erachtens stellt der von mir hier ausführ¬ 
lich beschriebene Fall eine derartige Uterusverietzung anlässlich einer 
Zangenentbindung dar: die Patientin hatte mehrere Tage gekreist, 
nach schriftlicher Angabe des Arztes stand das Köpfchen des Kindes 
bei Anlegung der Zange noch hoch und stemmte sich gegen die 
Schambcfnfuge. Mündlich wurde vor kurzem vom Arzt ergänzend 
mttgeteilt, dass die Pfeilnaht tatsächlich zur Zeit der Anlegung der 
Zange, als das Köpfchen im Beckeneingang stand 1 , im queren Durch¬ 
messer, aber der Symphyse genähert, verlief, obwohl phvsiologischer- 
weise ln diesem Zeitpunkt der Geburt die Pfeilnaht eher dem Pro¬ 
montorium etwas zugeneigt ist. Es handelte sich zweifellos um 
einen massigen Grad einer Hinterscheitelbeineinstellung. 

Mit der Indikation sekundärer Wehenschwäche suchte der Arzt 
sein aktives Vorgehen zu rechtfertigen. Er entschloss sich zur hohen 

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8. Oktober 1918. 


M-UENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1137 


Zange. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein relativ verengtes Becken 
vorlag, das die Hinterscheitelbeineinstellung verursachte und damit 
trotz guter Wehen den Fortgang der Geburt verzögerte. Zu unserem 
Bedauern ist es übersehen worden, genauere ‘Beckenmasse zu nehmen. 
Ein höherer Grad von Becken Verengerung hat sicherlich nicht Vor¬ 
gelegen, er würde bei der Autopsie während der genauen Betrachtung 
des Beckens zweifellos aufgefallen sein. Andererseits aber scheint 
auch kein höherer Grad von Missverhältnis zwischen normal grossem 
kindlichem Schädel und mütterlichem Becken Vorgelegen zu haben, 
denn sonst wäre die Zange nicht ohne besonders grosse Kranftan- 
strengung (der 'Kopf des Kindes zeigte normale Konfiguration) ge¬ 
lungen. Möglicherweise war auch bei dieser Hinterscheitelbemein- 
stelhing die hintere Uterus wand, insbesondere das untere Uterin¬ 
segment stärker ausgezogen. Durch Anlegung der hohen Zange und 
Zug nach unten drückte der kindliche Schädel, natürlich am stärksten 
am Promontorium, der engsten Stelle des Beckeneinganges, zu deren 
Ueberwindung die bisherigen Wehen bis jetzt nicht ganz genügt hatten, 
auf die verdünnte hintere Uteruswand und erfuhr, entsprechend den 
physikalischen Gesetzen durch das unnachgiebige Promontorium unter 
Dazwischenquetscben der hinteren Uteruswand denselben Gegendruck. 
Kurz eine bestimmte stark verdünnte Stelle der Uteruswand wurde 
usuriert, während der Kopf durch die engste Stelle des Becken¬ 
einganges vermittelst der Zange gewaltsam hindurchgeleitet wurde. 
Hiermit stimmt auch der klinische Verlauf überein, denn bereits 
4 Stunden nach der Geburt traten die ersten peritonealen Redzerschei- 
nungen auf: plözlicbe Herzbeklemmung und Luftbeschwerden bei 
kleinem Puls, Leib aufgetrieben, Temperatur 38°. Dass es bei der 
Entbindung doch schliesslich gewaltsam herging, beweisen die ausge¬ 
dehnten Rissverletzungen der Scheide. Es bleibt dahingestellt, ob in 
diesem konkreten Falle eine infantile Hypoplasie des Uterus mit 
Verdünnung der Wandung zur Zerreissung bzw. Zerquetschung dispo¬ 
nierte, oder ob vielleicht vorausgegangene entzündliche und degenera- 
tive Prozesse die Uterus wand weniger widerstandsfähig gemacht 
hatten. Hierüber war anamnestisch leider nichts Näheres zu erfahren. 

Aber noch eine zweite Komplikation, die meines Erachtens über¬ 
haupt erst den Tod verursachte! Unglückseliger weise hatte die Pa¬ 
tientin ein Coecum mobile, das über die linke Hälfte des unteren 
Lendenwirbels aufs Promontorium verlagert war und etwas ins kleine 
Becken hineinragte. Dieser Darmteil hatte sich, wie auch aus dem 
Situs bei der Autopsie deutlich zu sehen war, nicht über das Becken 
retrahiert, sondern - war ebenfalls beim Ein- bzw. Durchtritt des kind¬ 
lichen Schädels durchs Becken stark gequetscht worden. Aber die 
gequetschte Darmwand scheint widerstandsfähiger als die gequetschte 
SteHe des unteren Uterinsegmentes gewesen zu sein, denn die beiden 
an dieser Stelle bei der Autopsie gefundenen, direkt nebeneinander 
gelegenen Oeffnungen des Zoekums schienen, auch dem ganzen kli¬ 
nischen Verlauf nach zu urteilen, erst sekundär entstanden zu seüi. 
Erst ca. 10 Tage nach der Geburt stellten sich eiterhaltige Durchfälle 
em, die wohl von der gequetschten Darmschleimhaut herrührten; erst 
12 Tage nach Einlleferung der Patientin in die Klinik, also am unge¬ 
fähr 20. Wochenbettstage, trat bei der Patientin eine plötzliche 
Wendung zum Schlechteren auf. In den ersten Tagen ihres Auf¬ 
enthaltes m der Klinik war die Prognose wegen der Peritonitis etwas 
zweifelhaft, dann aber bei Eintritt der Abkapselungstendenz war sie 
günstiger und gerade in der Zeit vom 8.—10. Tage des Aufenthaltes 
in der Klinik, also des 16.—19. Wochenbettages, war das Befinden 
auffallend gut. Die Wendung zum Schlechteren, eingeleitet durch 
einen schweren, lange dauernden Kollaps und vollkommene Trübung 
des Sensoriums scheint in dem Augenblick aufgetreten zu sein, als 
das Zoekum an der durch die Druckusur gangränös gewordenen Stelle 
perforierte. Das klinische Bild, zunächst nicht ohne weiteres deut¬ 
bar, erfuhr durch die Autopsie die gewünschte Klärung. 

Es ist meines Erachtens sehr wohl möglich, dass die Patientin, 
wenn kein Coecum mobile Vorgelegen hätte, die durch die Druckusur 
veranlasst» Uterusperforation und konsekutive Peritonitis bzw. Pelveo- 
peritomtis überwunden hätte. In der Tat deutete ja das klinische 
Bild auf eine Abkapselung hin, das Ergebnis der Autopsie bestätigte 
später diese Annahme. Wir müssen annehmen, dass erst am un¬ 
gefähr 12. Tage nach EraHeferung in die Klinik die Perforation des 
Zoekums komplizierend hinzugetreten ist; diese erneute schwere In¬ 
fektion konnte der Organismus natürlich nicht mehr überwinden. 

Es ist durchaus denkbar, dass die Patientin 
ihrem Schicksal durch Vermeidung der Zangen ent- 
bindung, <L h. durch Spontangeburt, entgangen wäre, 
denn es ist sehr wohl möglich, dass der durch den 
Zug der Zange erfolgte Druck stärker war als zur 
Ueberwindung der engen Beckenstelle nötig ge¬ 
wesen wäre. Diese Regulierung der erforderlichen Austrerbungs- 
kräfte bleibt, wie auch dieser Fall deutlich zeigt, zweifellos am besten 
den Wehen überlassen. Auch hätte sich bei abwartender Therapie 
die Kopfeinstellung vielleicht physiologischer und damit vorteilhafter 
dem Geburtskanal adaptiert. 

Zur Wendung eignete sich der Fall nicht mehr, da der Arzt 
erst lange Zeit nach dem Blasensprung zur Patientin gerufen wurde 
und es sich ausserdem um eine Erstgebärende handelte. 

Ob überhaupt eine strenge Anzeige zur Geburtsbeendigung vor¬ 
lag, können wir nachträglich nicht entscheiden. Wehenschwäche 
allein kann Jedenfalls als solche für die Anlegung 
einer hohen, also schwierigen, und wie dieser Falt 
wieder zetgt, höchst^ef ährlichen Zange nicht 

Digitized by (jOOQIE 


gelten. Zum mindesten hätte ein Versuch der Hofmeier- 
schen Impression des Schädels in Narkose vorausgehen müssen. 
Versagte diese, und war ein längeres Abwarten wirklich nicht mehr 
möglich im Interesse der Mutter, dann erst war ein vorsichtiger 
Zangen versuch erlaubt, dessen Misslingen sich unmittelbar die Per¬ 
foration an sc bli essen musste. In der Klinik hätte man wohl den extra¬ 
peritonealen Kaiserschnitt gemacht, sobald die Unmöglichkeit spon¬ 
taner Geburtsbeendigung erwiesen war. 

Aus dem k. u. k. bakteriol. Feldlaboratorium Nr. 65. 
(Präs, der Solubritätskommission: Prof. Dr. H. Pfeiffer.) 

lieber eine extrem mitigierte Typhueendemie. 

Von Dr. Oskar Weltmann. 

Eine kleine Typhusepidemie, die wir Antang Februar 1918 in 
einem Knabenseminar in Südtirol an ungeimpftem Material 
beobachten konnten, weist vom klinischen und epidemiologischen 
Standpunkte einige so bemerkenswerte Züge auf,* dass sie einer Mit¬ 
teilung wert erscheint. 

ln der Zeit vom 26. Januar bis 8. Februar waren von ca. 120 Zög¬ 
lingen des Internates 22 Schüler unter wenig charakteristischen Er¬ 
scheinungen erkrankt. Die meisten fühlten sich schon 1—2 Tage vor 
Beginn der Erkrankung leicht unwohl. Die Erkrankung selbst setzte 
mit Kopfschmerzen und einem Gefühl der Abgeschlagenbeit ein, bei 
einem Teil der Zöglinge mit Frösteln. Die Mehrzahl hatte Fieber 
von 2—3 tägiger Dauer. Als längste Fieberdauer wurden 14 Tage 
beobachtet. Das Fieber erreichte in mehreren FäBen 40° und fiel 
„wasserfallartig“ ab. 

Nach Aussage des behandelnden Arztes bestanden in einem Teil 
der Fälle Meteorismus und Bauchschmerzen. Diarrhöen wurden nur 
in 2 Fällen im Beginn der Erkrankung beobachtet. Die Zunge erwies 
sich in allen Fällen feucht, war nie auffallend belegt, bronchitische 
Erscheinungen fehlten fast durchwegs; der Puls war der Temperatur 
entsprechend frequent, eine Milzvergrösserung nur in 2 Fällen nach¬ 
weisbar. Keine Roseolen. Kein Ileozoekalgurren. In 4 Fällen zu 
Beginn der Erkrankung Haisschmerzen und leichte Rötung der Ton¬ 
sillen. Die Knaben waren durchschnittlich 4 Tage lang bettlägerig, 
die Rekonvaleszenz erfolgte schnell und ungestört. Der zuletzt aufge¬ 
tretene Fall entwickelte sich zu einem schweren typisch typhösen 
Krankheitsbild. 

Im Folgenden seien in knapper Kürze Anamnese und Befund nach 
Angabe des behandelnden Arzes und auf Grund der eigenen Unter¬ 
suchung zusammengestellt. (Siehe nachstehende Tabelle.) 

Resümieren wir also, so müssen wir sagen, es bandelt sich 
um eine Massenerkrankung in einem Internat, die aller Wahrschein¬ 
lichkeit nach auf eine gemeinsame Noxe zurückzuführen; ist. Vom 
klinischen Standpunkte aus finden wir ein wenig charakteristisches 
Krankheitsbild, das von Kopfschmerzen, Fieber und Störung des All¬ 
gemeinbefindens beherrscht wird. Der fast durchwegs fehlende Milz¬ 
tumor, der Mangel von Roseolen, von bronchitischen Erscheinungen, 
das Aussehen der Zunge, das Verhalten des Pulses Hessen — von 
dem letzten Falle abgesehen — kaum an eiine typhöse Erkrankung, 
denken. Dieser Umstand ist schuld daran, dass wir erst zu einer 
Zeit die Fälle zu Gesicht bekamen, als nur mehr ein frischer fiebernder 
Fall vorhanden war und dass die bakteriologisch-serologische Unter¬ 
suchung sich nur mehr auf Residualerscheinungen der Infektion er¬ 
strecken konnte. 

Das Ergebnis der gleichzeitig vorgenommenen Blutuntersndnmg 
waren 3 positive Widalreakticnen bei Ungeimpften. die me vorher 
an Typhus erkrankt gewesen waren — der positive Widal «bei dem 
geimpften Falle scheidet als diagnostisch nicht verwertbar aus — und 
eine typhuspositive Blutkultur bei dem frisch erkrankten letzten Fatie. 
Bei zweien der Widal-positiven Fälle Hessen sich TyphusbaziUen im 
Stuhle nachweisen. Diese Fälle sind demnach unter Berücksichtigung 
ihres Verlaufes mit Sicherheit als Typhus levissimus anzusprechen. 
Der Fall 13 entspricht einem Abortivtyphus. Wenn es auch nicht 
bewiesen werden kann, so spricht die Koinzidenz der Erkrankungen, 
und die Kongruenz der Erscheinungen dafür, dass es sich in der 
Mehrzahl der Fälle um rudimentäre und mitigierte Typbusinfektionec* 
gehandelt habe, die einer Kombinationsform entsprechen würden, wel¬ 
che als Typhus levissimus abortivus zu bezeichnen wäre*). 

Als auffallend muss das Fehlen des Milztumors angesehen wer¬ 
den, der sich bei Typbus levissimus nach den Angaben Cursch- 
manns ebenso häufig findet wie bei den schweren Typbusformen. 
Da wir es aber mit abortiven Formen zu tun haben, da ausserdem 
zwei der sichergestelHen Fälle einen Milztumor vermissen Kessen, 
so können wir dem Fehlen dieses Symptoms nicht die Bedeutung eines 
stichhaltigen Gegenargumentes gegen unsere Annahme zusprechen. 
Auch der negative Ausfall der W i d a 1 sehen Reaktion besagt nicht zu 
viel, da wir bei einer derartig flüchtigen Passage eines mitigierten 
Virus die Bildung von Agghitimnen nicht unbedingt erwarten dürfen. 
Die Blutkultur im Fieberstadium wurde leider aus den bereits an¬ 
gegebenen Ursachen nicht vorgenommen. 

Problematischer Natur sind die fieberlosen Fälle. Es muss aller¬ 
dings bemerkt werden, dass die Temperaturmessungen nicht mit Spitals- 

•) AehnHche Formen des Typhus beobachtete — allerdings an 
typhusschutzgeimpftem Material — v. H ö ss Kn. M.m.W. 1917 Nr. 39. 

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1138 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41. 


Nr. 

Namen 

Alter 

Beginn 

Dauer 

Fieber 

Subjektive Beschwerde 

Objektive Symptome 

Milz 

Bakteriol.-serol. Befand 

1 

S.M. 

18 Jahre 

plötzlich 

3 Tage 

bis 39® 

Kopfschmerzen 




2 

T. Fr. 

17 „ 

allmihllg 

1 

— 

Magenschmerzen 

_ 

_ 

_ 

3 

RJ. 

»7 „ 

allm&h'.ig 

2 Taue 

_ 

Kopfschmerzen 

Halsschmerzen 

_ 

_ 

_ 

4 

H. A. 

18 

plötzlich 

2 Tage 

bis 37,4° 

leichte Angina 


_ 

5 

K. K. 

IJ „ 

allmahlig 

2 Tage 

— 

Kopfschmerzen 

_ 

_ 

_ 

6 

P. N. 

17 „ 

allmihllg 

2 Tage 

bis 38,6® 

Kopfschmerzen 

— 

— 

_ 

7 

K. F. 

18 „ 

plötzlich mit 
Schüttelfrost 

7 Tage 

bis 38,8» 

Halsschmerzen 

leichte Angina 

— 

_ 

8 

O. I. 

20 „ 

allmlhlig 

5 I** e 

bis 38,4® 

Hals- und Bauchschmerzen 

leichte Angina 

_ 

Widal 1 : 100 (geimpft)! 

9 

Z. A. 

17 „ 

plötzlich 

2 Tage 

— 

Hals*, Kopfschmerzen, Erbrechen 

leichte Angina 

_ 

10 

W. H. 

17 „ 

plötzlich 

1 Tag 

— 

Kopfschmerzen 


_ 

_ 

11 

A. R. 

!Z •' 

allmihllg 

8 Tage 

bis 38,5° 

Kopf* und Bauchschmerzen 

__ 

_ 

_ 

12 

P j. 

16 

plötzlich 

1 

— 

Kopfschmerzen 

_ 

_ 

_ 

13 

A. I. 

15 „ 

plötzlich 

5 Tage 

bis 40° 

Kopfschmerzen 

Kopf* und Gliederschmerzen 

_ 

_ 

Widal l : ioo 

14 

S. A. 

18 „ 

altmihlig 

2 Tage 

bis 37,5° 

_ 

_ 


15 

L. F. 

18 „ 


5 Tage 

bis 40° 

Kopf* und Bauchschmerzen 

_ 

-f 

_ 

16 

R. A. 

15 


3 I*« e 

bis 39° 

Kopfschmerzen 

_ 


_ 

17 

O. 

16 


8 Tage 

Continua um 39° 

Kopf- und Bauchschmerzen 

Abführen 

_ 

_ 

18 

K. H. 

16 


4 Tage 

bis 40,3® 

Kopfschmerzen 


_ 

_ 

10 

W. A. 

JZ ” 


4 Tage 

bis 40,5® 

Kopfschmerzen 

_ 

_ 

_ 

20 

R. J. 

16 „ 

,, 

11 

intermittier. 40,2® 

Kopfschmerzen 

— 

_ 

Widal 1 : 200. Im Stahl Ty.-Baz. 

21 

Ph. O. 

14 „ 


2 Tage 

bis 40® 

Kopfschmerzen 

Abführen 

_ 


22 

Ol. O. 

17 „ 

„ 

14 Tage 

Continua bis 40® 

Kopfschmerzen 

Bronchitis 

+t+ 

Widal 1:200. Im Stahl Ty.-Baz. 

23 

H. P. 

17 „ 



Continua bis 40® 

Kopfschmerzen 

Herpes labialis 
Typhuszunge 
Roseolen 
Bronchitis 
Ueozoekalguren 

Blntkultar positiv. 


»lässiger Genauigkeit und Regelmässigkeit vorgenommen wurde». 
Afebrile Typhen wurden von einigen älteren Autoren angenommen. 
Griesinger und Wunderlich vertreten dagegen den Stand¬ 
punkt: ohne Fieber kein Typhus. Wenn wir aber die fliessenden 
Uebergänge berücksichtigen, die vom Typhus gravds zürn Typbus 
ambulatorius, vom Typhus mit protrahiertem Verlauf zum Abortiv¬ 
typhus führen, so können wir uns der Möglichkeit einer fieberlosen 
Reaktion auf den Typhusinfekt nicht verschWessen. Derartige Grenz¬ 
fälle, die einer hypothetischen Randzone der Epidemie entsprechen, 
spielen in der deutschen Literatur unter dem Namen Tox-intyphen, 
in der französischen unter der Bezeichnung: le typhe en petite dose 
eine Rolle. C ursch mann bezieht sie auf die Wirksamkeit von 
Typhustoxinen, die eventuell beim Kochen infizierter Nabrungsmittel 
frei werden, eine Annahme, der Jürgens entgegentritt. 

Die Franzosen dagegen nehmen einen Infekt in refracta dosi 
an. Die Kumulierung an sich nicht wirksamer Dosen, die aber all¬ 
mählich eine gewisse Immunisierung bewirken, sollen uns das Zu¬ 
standekommen dieser frustrawen Infektionsformen erklären. 

Wir befinden uns hier auf noch wenig erforschtem Gebiete und 
können daher auch nur vermutungsweise die Ansicht aussprechen, 
dass auch unter den leichtesten im Rahmen der Endemie beobachteten 
Fälle ein Teil wenigstens als Reaktion des Kontaktes mit einer besonders 
mitigierten Form des Erregers aufzufassen sind. Für diese Annahme 
sind bei uns folgende Gründe massgebend: Die Gleichartigkeit der 
Erscheinungen, die nur graduelle Abstufungen erkennen Hess. Zwei¬ 
tens der Umstand, dass sich kein Anhaltspunkt für die Annahme einer 
zweiten Massennoxe finden Hess. Das Wasser erwies sich chemisch 
und bakteriologisch als einwandfrei. Gegen eine Nahrungsmittelver¬ 
giftung spricht das sukzessive Auftreten der Erkrankungen und das 
Verschontbleiben von 100 Zöglingen, die die gleiche Nahrung ge¬ 
nossen hatten, gegen eine grippeartige Erkrankung das Fehlen ka¬ 
tarrhalischer Erscheinungen und der Gliederschmerzen auch in den 
hochfiebernden Fällen. Der Befund einer Angina liess uns event. 
4 Fälle als nicht zur Typhusepidemie gehörig ausscheiden. Anderer¬ 
seits ist aber zu berücksichtigen, dass die Angina kein seltenes 
Initialsymptom des Typhus darstellt. Die Annahme einer suggestiven 
Infektion ist bei den fiebernden Fällen eo ipso unmöglich, aber auch 
bei den wenigen nicht fiebernden Fällen abzulehnen, da durch die 
Aussage des Präfekten die Knaben kaum ins Bett zu zwingen waren 
und der Schulbetrieb ohnedies sistiert war. 

Eine ganz besondere Stütze für unsere Auffassung, dass es sich 
um eine mitigierte Typhusendemie handelt, ergab die Eruierung der 
Infektionsquelle im Seminar, die in sinnfälliger Weise die Bedingungen 
der rapiden Ausbreitung der Seuche in sich schloss. Anlässlich der 
bakteriologischen Massenuntersuchung, die sich auf sämtliche In¬ 
wohner des Seminars erstreckte, entpuppte sich der Direktor des 
Seminars als Dauerausscheider. Dieser war, wie er später angab, 
Anfang Januar 1918 mit leichtem Unwohlsein, Schwächegefühl und 
Frösteln erkrankt. Er schenkte, seit Jahren schon leidend, der Er¬ 
krankung keine besondere Beachtung. Trotzdem wurde er nach 
etwa 8 Tagen bettlägerig, seine Beschwerden äusserten sich in 
starken Kopfschmerzen, rn Schlaflosigkeit und Abgeschlagenheit. An¬ 
fangs bestand Abführen, später Verstopfung und Erbrechen*. Nach 
14 Tagen verliess Patient das Bett, fühlte sich aber seitdem auffallend 
matt, litt an Gliederschmerzen und kaum bekämpfbarer Schlaflosigkeit. 

Da die nachträglich vorgenommene Blutuntersuchung einen 
Widal 1:100 kompl. positiv ergab und in wiederholten Unter¬ 
suchungen Typhusbazi 1 len im Stuhle nachweisbar waren, so unter¬ 
liegt es keinem Zweifel, dass es sich in diesem Falle um einen un¬ 
erkannt gebliebenen Typhus levissimus gehandelt hat. Die zeit¬ 
lichen Verhältnisse sowohl, als auch der Umstand, dass der Patient 
Dauerausscheider blieb, lassen die später zum Ausbruch gelangende 
Endemie mit Sicherheit auf diesen Ausgangsfall zurückführen. Dies 
um so eher, als der Falt eine verhängnisvolle Kombination darstellte: 
es war ein Dauerausscheider mit doppelter D a r m - 

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fiste 1, aus der beständig Stuhl abging. Der Patient 
hatte sich vor 10 Jahren einer schweren Darmoperation (scheinbar 
Resektion des Kolon) unterzogen, in deren Gefolge der erwähnte 
Defekt zurückgeblieben war. Es ist einleuchtend, dass durch diese 
besondere Kombination die Chancen der Uebertragung der patho¬ 
genen Keime vervielfacht waren. 

Wir haben es also mit einer sowohl in bezug auf die Genese 
als auch auf ihren Verlauf — wie wir glauben — einzigartigen 
Typhusepidemie zu tun. Hier erscheint die Annahme eines be¬ 
sonders mitigierten Virus, das erst im Verlaufe der Endemie allenfalls 
durch Passage an Virulenz zunahm, gerechtfertigt, da wir uns anders 
die Erscheinungen an einem ungeimpften Materiale nicht befriedigend 
erklären können. 

Korbinian Brodmann 

(gest. am 22 . August 1918). 

Als vor etwa 2 Jahren der Plan der Gründung einer „For¬ 
schungsanstalt für Psychiatrie“ seiner Verwirklichung nahegerückt 
war, stand es im Programm Kraepelins fest, dass eine der Ab¬ 
teilungen des neuen Instituts der topographischen Hirn¬ 
rindenhistologie gewidmet sein sollte, und selbstverständlich 
war Brodmann dafür ausersehen. Neben der Ermittlung des 
Wesens der Krankheitsprozesse und der Eigentümlichkeiten ihrer 
Ausbreitung über das Zentralnervensystem musste aucn die Er¬ 
forschung der Architektonik der Rindenorgane gepflegt, es musste 
deren Abgrenzung im menschlichen Gehirn und die Bedeutung der 
einzelnen Rindenfelder in der stammesgeschichtlichen Entwicklung 
festgestellt werden. Der erfolgreichste Forscher auf diesem Gebiete 
der histologischen Lokalisationslehre war Brodmann. 

Mit der Eröffnung unseres Forschungsinstitutes im April dieses 
Jahres übernahm Brodmann die für ihn geschaffene Abteilung. 
Mit all der Emsigkeit und Begeisterung, welche er immer hatte, wo 
sich ihm ein Arbeitsfeld erschloss, ging er an die Einrichtung seiner 
neuen Abteilung. Die Vorarbeiten für die Wideraufnahme seiner 
vergleichend anatomischen Untersuchungen an Gehirnen verschie¬ 
dener Wirbeltierklassen und seiner embryologischen Studien waren 
bald so weit gediehen, dass er seine in klinischer Tätigkeit und im 
Kriegsdienste liegen gebliebene Arbeit weiterführen konnte. Da 
erkrankte er am 17. August anscheinend an einer harmlosen Grippe. 
Wenige Tage später wurde eine schwere allgemeine Sepsis fest¬ 
gestellt; durch die fieberhafte Erkrankung war offenbar ein alter 
Herd von einer vor Jahresfrist überstandenen Infektion, die er sich 
in Ausübung seines Berufes bei einer Sektion zugezogen hatte, 
wieder aufgeflackert. Mit entsetzenerregender Räschheit verfiel 
der kräftige, immer gesunde Mann, der glückllcnerweise sein 
schweres Geschick nicht ahnte. Er hatte für die nächsten Tage 
schon allerhand neue Pläne und wollte die Zeit des Krankenlagers 
für seine Arbeit nützen. Als ihm schon der Tod ans Herz rührte, 
schrieb er noch lebhaft und geschäftig mit dem Finger au! sein Bett. 
Dann sank er zurück und war tot. 

Sein Geschick ergreift uns deshalb so sehr, weil der Tod ihn 
vom vollen Leben riss, als er die lang erhoffte freie und sichere 
Arbeitsstätte endlich gefunden hatte. Jetzt war er der Sorge ledig 
und nichts zog ihn von der Arbeit ab. die seine Lebensfreude 
war; nun wollte er sein Lebenswerk vollenden. „Es stürzt ihn 
mitten in der Bahn.“ Nicht ohne Schmerz blicken wir auf sein 
Leben zurück. Der Bedeutung Brodmanns und' der hoben An¬ 
erkennung, die seine Leistungen überall fanden, entsprach seine 
äussere Lebensstellung nicht. Bis zu seinem 47. Lebensjahre — drei 
Jahre vor seinem Tode — musste sich Brodmann in untergeord¬ 
neten oder doch unsicheren Stellungen durchschlagen. Pfeiffers 

Original frorn 

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8. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Verdienst ist es, ihm- (1916) in seiner Anstalt in Nietleben die Stellung 
und die Mittel geschaffen zu haben, die Ihm die Fortsetzung seiner 
Arbeit sicherten. Wenn irgend das Leben und Wirken eines Ge¬ 
lehrten die Notwendigkeit der Schaffung von Forscnungs- 
instituten beweist, so war es der Lebensgang Brodmanns. 

Den entscheidenden Antrieb zur anatomischen Forschungsrich¬ 
tung in der Psychiatrie erhielt Brodmann durch Alzheimer 
in Frankfurt (1900). Er selbst hat das oft dankbar betont. Während 
er früher (besonders in seiner Assistentenzeit bei Binswanger) 
sich mit klinischen, vorwiegend psychotherapeutischen Fragen be¬ 
schäftigte, entschied er sich in Frankfurt für die Anatomie, und als 
er im Jahre 1901 an das neurobiologische Instituts Vogts in Berlin 
übersiedelte, wurde sie sein eigentliches Arbeitsgebiet. „Im Rahmen 
des allgemeinen Arbeitsplanes dieses Instituts fiel mir die topo¬ 
graphische Erforschung des Hirnrindenbaues zu“, schreibt Brod¬ 
mann in seinem Lebenslauf. Die Hirnanatomie fing damals an, 
die Einzelabschnitte des Grosshirns nach den inneren Bauver¬ 
hältnissen der Rinde zu ordnen und sich nicht mehr wie früher vor¬ 
wiegend nach äusseren Merkmalen zu richten. Brodmann über¬ 
nahm es, den Zellaufbau der Hirnrinde zu erforschen. Hier hat 
er Grundlegendes geschaffen und die reichen Ergebnisse seiner For¬ 
schung sind in weitesten ärztlichen und naturwissenschaftlichen 
Kreisen bekannt geworden. Wo von der anatomischen Lokalisation 
im Grosshirn die Rede war, wurde Brodmanns Name genannt. 

Ihm erschlossen sich die komplizierten Strukturen des Rinden¬ 
baues mit ausserordentlicher Klarheit. Es gelang ihm, den Zell¬ 
aufbau der Grosshirnrinde (iin Neopallium) auf einen einheitlichen 
sechsschichtigen Grundtypus zurückzuführen, und Brodmanns 
Schichteneinteilung ist von fast allen hervorragenden Sachverstän¬ 
digen anerkannt worden. Die Abweichungen von diesem Grund¬ 
typus, die Schichtungsdifferenzierungen vollziehen sich nach Brod¬ 
mann in doppelter Richtung, nämlich erstens im Sinne einer 
Schichtenvermehrung und zweitens im Sinne der Schichtenverminde- 
nmg. Als charakteristische Beispiele für den ersten Typus beschrieb 
Brodmann die motorische Rinde, für den zweiten die Sehrinde. 
Entsprechend den lokalen Unterschieden in der Rindenarchitektonik 
kam er zu einer Feldereinteilung der Grosshirnoberfläche, zu einer 
anatomischen Lokalisation^ Dabei stellte sich heraus, dass die 
Typen mit extremer Differenzierung der Schichtungstektonik mehr 
oder weniger zusammenfallen mit den Rindenbezirken, denen auch 
physiologisch besondere Eigentümlichkeiten zukommen. Wie physio¬ 
logische und anatomische Forschung hier einander fördern und er¬ 
gänzen, sehen wir aus dem Abriss der Gehirnphysiologie, den 
Brodmann 1914 für die Bruns sehe „Hirnchirurgie“ geschrie¬ 
ben hat. 

Ihre hauptsächlichste Bedeutung erlangten Brodmanns 
lokalisatorische Untersuchungen durch die Ausdehnung seiner Unter¬ 
suchungen auf das vergleichend anatomische Gebiet. 
Darin liegt wohl das hervorragendste und eigenste Verdienst 
Brodmanns. Die Verfolgung bestimmt gebauter Rindenfelder 
durch die Säugetierreihe vermag natürlich eher Aufschluss über 
ihre Bedeutung im Gesamtapparat des Zentralorgans zu geben, als 
die Umgrenzung der Einzelzonen lediglich am Gehirn des Menschen. 
Das zeigen Brodmanns Feststellungen über die Aenderung von 
Lage ufid Ausdehnung z. B. des motorischen Feldes, der Sehrinde 
und des Riechhirns bei den verschiedenen Säugern. Die grösste 
und die weiteste Beachtung haben wohl Brodmanns Unter¬ 
suchungen über das Stirnhirn gefunden. Jeder weiss, wie umstritten 
die sogen. „Stirnhirntheorie“ war, nämlich die Lehre von den Be¬ 
ziehungen dieses Hirnteiles zur Höhe der psychischen Leistungen. 
Mit der rein äusserlichen vergleichend anatomischen Betrachtung 
kam man hier nicht weiter, und nur auf dem von Brodmann 
eingeschlagenen Wege liess sich Klärung erhoffen. Und Brod¬ 
mann hat sie gebracht. Er fand, dass der von der motorischen 
Präzentralregion zellarchitektonisch abgrenzbare Frontaltypus 
relativ und absolut seinen weitaus grössten Umfang beim Menschen 
besitzt. Während den niedrigsten Säugetieren eine Stirnhirnrinde 
überhaupt noch fehlt, entwickelt sich die Frontalgegend in der Tier¬ 
reihe aufsteigend in zunehmendem Masse, sowohl noch der Ober¬ 
flächengrösse wie nach der differenzierten Felderzahl. 

Die Untersuchungen über die Eigentümlichkeiten der Aus¬ 
dehnung und der Lage der verschiedenen Rindenfelder hat Brod¬ 
mann auch bei verschiedenen Menschenrassen weiter ge¬ 
führt Mit diesen zur Anthropologie in engster Beziehung 
stehenden Forschungen, insbesondere aueh mit dem Studium des 
Stirnliirns hat sich Brodmann in Tübingen beschäftigt, wo er 
nach seinem Austritt aus dem neurobiologischen Institut vom Jahre 
1910 bis 1916 an der Psychiatrischen und Nervenklinik tätig war. 
Bei diesen rassenanatomischen Untersuchungen ergaben sich wich¬ 
tige Unterschiede gegenüber dem durchschnittlichen Verhalten beim 
Europäergehirn, z. B. Eigentümlichkeiten in Lage und Ausdehnung 
des histologischen Sehfeldes, wie sie dem Verhalten bei Anthropoiden 
ähneln. Gewisse Variabilitäten bei Einzelindividuen und Abwei¬ 
chungen vom durchschnittlichen Typus des Europäergehirns wurden 
so erklärlich. Und wie solche Untersuchungen vergleichend ana¬ 
tomischer Art das Verständnis der Felderlökalisation fördern, so 
halfen sie natürlich auch die Frage klären, welches die Stellung des 
Menschen In der Natur ist. 

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Schon bei einem flüchtigen Blick auf Brodmanns Werk er¬ 
kennen wir mit Staunen, welch unendlich mühevolle Arbeit er ge¬ 
leistet hat und wie reich die Ergebnisse seiner Forschung sind. Nur 
dem ungetrübten Sinne des begnadeten Forschers enthüllen sich die 
Geheimnisse der Natur in diesem ungewöhnlichen Masse. Brod¬ 
manns Lebensarbeit geht in der Klärung der Rindenanatomie 
nicht auf; ihr Ziel reicht weit darüber hinaus und gewinnt ihre 
eigentliche Bedeutung erst durch ihre engen Beziehungen zur Anthro¬ 
pologie, Physiologie und Neurologie. Und ihr höchster und letzter 
Zweck gilt der Mitwirkung an der Lösung psychologischer und 
psychiatrischer Probleme, insbesondere der Förderung unserer 
Kenntnis von den anatomischen Grundlagen der Geisteskrank¬ 
heiten. 

Um die Hoffnungen, die wir auf Brodmanns Schaffen 
setzten, sind wir nun betrogen. Und mit der Trauer um den be¬ 
geisterten und begeisternden Arbeitsgenossen, den wir lieb hatten, 
verbindet sich die Klage um den heute unersetzlichen Verlust, welcher 
den Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis hemmt. Was Brod¬ 
mann uns gegeben hat und was unvergänglich ist an seinem 
Schaffen, davon wird zu Brodmanns Gedächtnis N i s s 1 be¬ 
richten. W. Spielmeyer -München. 


BQcheranzeigen und Referate. 

v. Saar: Aerztfiche Behelistechnlk. Berlin, Verlag Julius 
Springer, 1918. Preis 24 M. 

Nach Plan und Anlage soll dieses Buch dem angehenden Arzt 
zu Beginn seiner praktischen Arbeit eine Hilfe sein; es soll „die 
Theorie der Lehrjahre mit den praktischen Forderungen der wirk¬ 
lichen Ausübung des ärztlichen Berufes in Einklang bringen^*; es 
„soll ihm zeigen“, welche einfachen Methoden, Apparate, Hilfsmittel 
und Technizismen“ ihm für gewisse Aufgaben «zur Verfügung 
stehen“, wie „ihm einfache Handwerker“ dabei -helfen können, solche 
Hilfsmittel selbst herzustellen, wo er ohne den reichen Apparat der 
Klinik oder des modernen Krankenhauses sich selbst helfen muss. 
Jede Improvisation muss vonbereitet und vorgeübt sein. — Dieser 
Satz des Meisters und Begründers der chirurgischen Improvisations¬ 
technik, des Generalarztes Port, wird auch von dem Herausgeber 
dieses neuen, gross und breit angelegten Buohes afts Grundlage ge¬ 
nommen. Sein Werk, an welchem er auch der stärkste Mitarbeiter 
ist, .ist somit für die FriJetiensarbeät des Arztes von hoher Bedeutung; 
noch viel wichtiger ist cs aber jetzt für den Krieg; und es ist ein 
glücklicher Umstand, dass das Werk noch unseren *m Felde stehen¬ 
den Kollegen wird dienen können, in um so höherem Grade, je mehr 
der einzelne es für seine Aufgaben zu Rate zieht «und den Inhalt 
sich zu eigen madht. Auf diesem Boden gedeihen auch weitere Ein¬ 
fälle urid Verbesserungen, von welchen uns der Krieg schon so 
manches gebracht hat. 

Der Inhalt des Buches ist zunächst der Bebetfstechnik in der 
Chirurgie (v. Saar), dann in der Orthopädie (Spitzy) gewidmet. 
Dann folgen innere Medizin (v. d. Velde n), Kinderheilkunde (Po t- 
pesc hnigg), Augenheilkunde (H ( es<se), Ohr, Kehlkopf -und Nase 
(Mayer), Kiefer (Mayrhofer). Gynäkologie und Geburtshilfe 
(S t o‘1 z), Haut- und Geschlechtskrankheiten (H u eb n e r), Bak¬ 
teriologie und Hygiene (Fürst). 

Die Ausstattung ist vortrefflich; 402 gute Textbilder dienen zur 
Erläuterung. 

Möge das Buch in viele Hände kommen; es wird Segen stiften! 

H. Helfe rieh. 

Jertisalenu Von Sven H e d i n. Leipzig, Verlag von Brock- 
haus, 1918. Preis 1.50 M. 

Das 157 Seiten starke, mit vielen Illustrationen ausgestattetc 
Reisewerkdhen unseres, d. h. Deutschlands warmen Freundes Sven 
Hedin bringt viel mehr, als der knappe Titel in Aussicht stellt, 
wenn auch Jerusalem den natürlichen Mittelpunkt dieser Reise dar¬ 
stellt. Das „getobte Land“, gesehen mit dem liebevollen Auge des 
tausendfach erfahrenen Welt reisen den, erstellt vor uns, nicht nur das 
gegenwärtige mit seinem bunten Völkergewimmel, sondern in eigen¬ 
artiger, höchst anschaulicher Verwebung und Wiederbelebung das 
altbiblische, mit seinen Tempeln und Mauern, Brunnen und Hirten. 
Der See Genezareth, die Darstellung der Heuschreckenplage, ein 
Bad -im Toten Meier, der Ausflug an die Suezfront und viele andere 
Kapitel, das sind literarische Leckerbissen! Manche politische Schlag¬ 
lichter fallen ausserdem in »die lebendige Schilderung von Land und 
Leuten, so dass auch von diesem Gesichtspunkt aus die Lektüre 
sich ungemein lohnt. Gr.-München. 

Neueste Joumaüteratur, 

Zentralblatt für innere Medizin. 1918. Nr. 1—30. 

Nr. 1. F. Schilling: Ehrlichs Urobillnogennaehwels im 
Urin, ein Diagnostik um für gestörte Leberfunktion und Intesflnalkrebs, 
insbesondere des Magens. 

Urobilinurie und Urobilinogenurie sind evidente Zeichen von 
Leberstörungen und diagnostisch verwendbar. 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41. 


Nr. 2. Jessen: Zur Behandlung der Lungenschwindsucht. 

Wenn man aus den aus dem Sputum gezüchteten nichttuber- 
kulösen Mikroorganismen Vakzine herstellt und die Patienten mit 
Einreibungen dieser Vakzine in die Haut behandelt, so gelingt es 
in einem grossen Teil von Phthisen die Krankheitserscheinungen 
auf ein kleines Mass zurückzubringen. Die Behandlung der vor¬ 
geschrittenen Phthisiker setzt sich aus folgenden Stufen zusammen: 
1. Bekämpfung der Begleitinfektion, 2. spezifische Behandlung der 
Mischinfektion, 3. Bekämpfung der tuberkulösen Komponente. 

Nr. 3—10 ohne Originalartikel. 

Nr. 11. Bauermeister: Pankreattscher Symptomenkom- 
plex und Duodeualerweiterung. 

Mitteilung dreier Fälle von Erweiterung des Duodenums. Die 
klinischen Symptome der rezidivierenden Pankreatitis waren das den 
Fällen Gemeinsame. Als Ursache nimmt B. angeborene Disposition 
an, da nach Ulcus duodeni die Duodenalerweiterung nicht be¬ 
obachtet wird. 

Nr. 12 ohne Originalartikel. 

Nr. 13. Ingwersen: Kronberger oder Zlehl-Neelsen? 

Die Kronberger-Färbemethode ist die überlegene. 

Nr. 14. H i! f r i c li: Beiträge zu Fermocyltherapie bei Diabetes. 

Günstige Einwirkung der Fermocyltabletten in 5 Fällen von 
Diabetes. 

Nr. 15, 16 ohne Originalartikel. ^ 

Nr. 17. E. M ü 11 e r - Marburg: Malariafragen. 

Die vorbeugende Chinindarreichung ist keine echte Prophylaxe. 
Miscliinfektionen von Tropika und Tertiana sind in der Türkei häufig. 
Eine gewisse Chininfestfgkeit zeigt fast jede Malaria, deren Blutbild 
im Behandlungsbeginn schon reife Gameten zeigt. Die Feststellung 
der Malariaheilung ist nicht allein klinisch, sondern meist erst nach 
Provokation (kalte Duschen, Höhensonne etc.) zu sichern. Ob aber 
die Provokation der Anfälle für den Patienten mehr Vorteile als Nach¬ 
teile bietet, ist noch strittig. 

Nr. 18. H o c h h e i m: Fünftagefieber (Febris qulntana). 

Klinische Beschreibung der Krankheit. 

Nr. 19. H. Curschmann: Ueber das Verschwinden der Fuss- 
pulse bei Neuritis. 

Mitteilung von Fällen arteriosklerotischer Dysbasie mit Fehlen 
der Fusspulse und mit Symptomen von Neuritis. Auch bei Poly¬ 
neuritis postinfectiosa kann es zugleich mit dem Auftreten der ersten 
Neuritissymptome zu einem Verschwinden der Fusspulse kommen. 
Dies Symptom kann Zurückbleiben und zum typischen intermittieren¬ 
den Hinken führen oder mit der Heilung der Neuritis verschwinden. 
Das Verhalten der Gefässe bei peripheren Nervenerkrankungen ist 
mehr zu beachten. 

Nr. 20. F. P i c k: Ueber Erkrankungen durch Kampfgase. 

Es kommen nach Ueberwindung der akuten Erscheinungen des 
Respirationstraktus (besonders Pneumonien) Nachkrankheiten vor. 

P. beschreibt einen Fall von toxischer Neuritis, ferner einen 
tödlichen Fall von subakuter gelber Leberatrophie. 

Nr. 21. W i t z e 1: Eine humanitäre und wissenschaftliche Bitte 
an die Kollegen. 

W. bittet um Mitteilung von Erfahrungen über die Pathogenese 
des Gehirnschussabszesses. 

Nr. 22 ohne Originalartikel. 

Nr. 23. Grote: Muskeltätigkeit und Blutzucker. 

Die Blutzuckerkurve stoffwechselgesundcr Menschen verläuft 
während der Muskelarbeit horizontal, mit einer leioht sinkenden 
Tendenz; bei Diabetikern zeigt sich eine Steigerung der Blutzucker¬ 
werte. Die Muskelarbeit wirkt als Reiz und die Leber des Diabetikers 
antwortet mit einer Ueberproduktion von Blutzucker. 

Nr. 24. Luce und Fei gl: Ueber latente lndoxylldrosis. 

Auf Grund der mitgeteilten Untersuchung und Beobachtung 
stellten die Verfasser fest, dass durch die Schweissdrüsen unter be¬ 
sonderen Bedingungen Indoxyl zur Ausscheidung gelangen kann. 
Diese latente Indoxylidrosis kann als Indikan offensichtlich werden, 
wenn oxydative Einwirkungen auf den indoxylhaltigen Schweiss Zu¬ 
standekommen. (Fäibung der betreffenden Körperteile oder der 
Wäsche.) 

Nr. 25. W. Hesse: Malaria comatosa und Malariameningitis bei 
TertlanaQeber. 

Besclreibung zweier Fälle von Malaria tertiana mit schweren 
zerebralen Symptomen, von denen der eine als Malaria comatosa, 
der andere als Meningitis — beide tödlich — verlaufen sind. 

Nr. 26. I. v. Jaksch: Morbus Bant! und Mllztubericulose. 

Der als Banti bekannte Symptomenkomplex kann auch durch 
eine Tuberkulose der Milz hervorgerufen werden. Heilung des mit¬ 
geteilten Falles durch Milzexstirpation. 

II. Scliemensky: Eosinophilie und Scharlach. 

Es handelte sich um einen ohne Exanthem verlaufenden Schar- 
laciifali, der im Gegensatz zum typischen Scharlach keine Eosino¬ 
philie zeigte Wahrscheinlich spielt demnach das Exanthem für die 
Entstehung de. Eosinophilie die entscheidende Rolle. 

Nr. 27. I. Schrumpf: Die klinische Bedeutung der mit einer 
Störung des Herzmechanismus einhergehenden „wahren" Ar¬ 
rhythmien. 

Die Arbeit fusst auf 316 Fällen von Arrhythmien. Keine Form 
der wahren Arrhythmie gestattet durch ihr Bestehen allein die Dia- 

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gnose auf Veränderungen des Myokards. Ob solche bestehen, muss 
in jedem einzelnen Falle, unabhängig von dem Symptom der Arrhyth¬ 
mie, festgestellt werden. 

II. G s t r e i n und Singer: Polyglobulie mit dem Symptomen¬ 
komplex einer Erythromelalgie nebst Bemerkungen über die Benzol- 
theraple. 

Mitteilung einer eigenen Beobachtung mit günstiger Wirkung 
des Benzols auf die Polyglobulie. 

Nr. 28. E. M ii 1 le r - Marburg: Ueber eine praktisch wichtige 
psychische Störung nach typhösen Erkrankungen. 

Mitteilung mehrerer Fälle von vorübergehenden Wahnvor¬ 
stellungen nach schweren Typhen. Militärisch können dadurch Kon¬ 
flikte Vorkommen, wie an den mitgeteilten Fällen gezeigt wird. 

Nr. 29. Hess: Ueber die Physiologie der Magenverdauung des 
Säuglings. 

Bei der Kuhmilcfoernäihrung spielen sehr viele Momente mit, die 
an den Magen und an den Gesamtorganismus ganz andere Aufgaben 
stellen als die physiologische Ernährung. Die Kuhmilchernährung 
bleibt immer ein Experiment, dessen Ablauf sich von vornherein 
nicht bestimmen lässt. 

Nr. 30. S. v. Dziembowski: Ueber die Lokalisation von 
Ausfallserscheinungen von seiten der Drüsen mit Innerer Sekretion. 

In dem beschriebenen Falle handelt es sich um eine Unterfunk¬ 
tion mehrerer Drüsen mit innerer Sekretion, eine Insufficientia pluri- 
glandularis (Hypophyse, Schilddrüse, Keimdrüsen). 

W. Z i n n - Berlin : 

Zentralblatt für Chirurgie. Nr. 37, 1918. 

O. W i t z e 1 - Düsseldorf: Unser gegenwärtiger Standpunkt zur 
Frage zur Operation bei der Gehirnschussepilepsie (Menfingolyse 
und Enzephalolyse). 

Verf. macht jetzt bei der Gehirnschussepilepsie mit zunehmen¬ 
dem Erfolge die Meningolyse mit Auslösung der Narbe in der akzes¬ 
sorischen Arachnoideaschicht, deren Technik er kurz beschreibt. 
Sollte diese Operation nicht Erfolg haben, dann entschliesst sich Verl, 
zur Enzephalyse, die als gehirnverstümmelnde Operation gesunde 
und kranke Hirnteile im Bereiche der „erholungsfähigen" Zone weg¬ 
nimmt, von der Ansicht ausgehend, dass in der „erholungsfähigen" 
Zone selbst, welche in der Umgebung der primären Wundzone liegt, 
die anfallsauslösenden Wirkungen stattfinden. Mit 1 Skizze. 

H. Werner: Primärer Wundverschluss am 3. Tag. 

Verfs. Wundbehandlung ist folgende: Zuerst wird die frische 
Schusswunde ausgeschnitten, dann legt er für 2 Tage einen Jodo¬ 
formgazeschleier, der mit lockerer Gaze ausgefüllt wird, in die 
Wunde, welcher das Wundsekret aufsaugt und einen Reiz zur Zell¬ 
proliferation ausübt. Ist beim Verbandwechsel die Wunde am 
3. Tage trocken, dann folgt Hautverschluss durch Klammern oder 
durch Mullstreifen, die mit Hilfe von Mastisol die Wundränder an¬ 
einanderdrücken. Bei stärkerer Sekretion der Wunde behandelt er 
sie offen. Diese frühzeitige Sekundärnaht oder Primärnaht am 
3. Tage bietet eine erhöhte Sicherheit gegen Infektion, während 
sich die Heilung um 2—3 Tage verzögert. 

E. H e i m - z. Z. im Felde. 

BerOoer kliiische Wochenschrift Nr. 38, 1918. 

D o r c n d o r f - Berlin und Mader-Posen; Zur Diagnose der 
latenten Malaria und Salvarsantherapie der Tertiana. 

Vergl. Seite 332 der M.m.W. 1918. 

A. Besehe -Christiania: Konstitutionelle Ueberempündlichkelt 
und Asthma bronchiale. 

Angeregt durch interessante Beobachtungen an einem asthma- 
kranken Manne hat B. 31 Asthmatiker, sowie eine Anzahl Heu¬ 
schnupfenpatienten näher untersucht hinsichtlich gewisser äusserer 
Faktoren, welche auf das Einsetzen der Anfälle Einfluss ausübten. 
Er konnte eine Zahl von Fällen feststellen, wo ein unzweifelhafter 
Einfluss durch Pferde ausgeübt wurde. Es liess sich bei verschie¬ 
denen dieser Kranken eine deutliche Ueberempfindlichkeit gegen 
Pferdeserum konstatieren, was für die Frage anaphylaktischer Er¬ 
scheinungen bei der Einspritzung von DfphtheTieheilsennn sehr 
wichtig ist. 

C. v. Dziembowski -Posen: Die Pathogenese und Aetlo- 
logie des Asthma bronchiale). 

Zwischen den krankhaften Erscheinungen, welche die Körper¬ 
konstitution der Asthmatiker ausmachen und den Symptomen der 
Vagotonie besteht eine auffallende Gleichheit. Nach Verf. entsteht 
das Asthma bronchiale auf dem Boden der Vagotonie. Adrenalin- 
mangel ist wichtig für den Ausbruch des Asthmaanfalles. Letzterer 
kann auch durch gewisse Aequivalente ersetzt sein. Körperliche 
Ueberniiidung und psychische Alteration sind für das Auftreten des 
Anfalles von Wichtigkeit. Bei kleineren Kindern kann das Asthma 
bronchiale ganz ausheilen. 

P. B a b i t z k i - Kiew: Zur Frage der Faszientransplantatfon bei 
Mastdarmvorfall. 

Verf. bespricht unter Zugrundelegung der von ihm geübten Me¬ 
thode die Einzelheiten und das Indikationsgebiet der Operation, für 
welche er vor allem die sakrale Anästhesie bevorzugt. 

Original from 

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8. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


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K. Rochs-Posen: Ueber eine Pankreaserkrankung (mit Tod 
im Koma dlabeticum) als Folge ehter Granatsplltterverietzung der 
Gegend des Pankreasschwanzes. 

Mitteilung der Krankengeschichte. Betont wird besonders, dass 
lokale Verletzungen des Pankreas keinen Diabetes bewirken, falls 
nicht im Anschluss an das Trauma eine diffuse Erkrankung des 
ganzen Organs auftritt. Im vorliegenden Falle traf dies zu. 

A. Alexander - Berlin: Zur Symptomatologie der epidemi¬ 
schen Grippe. 

Prodromal ist eine zunehmende Rötung der Augen festzustellen. 
Im Verlaufe des ersten Tages tritt auch eine kirschrote Färbung des 
weichen Gaumens ein. Diese Rötung geht nur langsam zurück. 
Manchmal kommt es zur Bildung von Petechien. 

Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 38, 1918. 

C. Schiatter -Zürich: Die Behandlung der Wlrbelsäulen- 
und Beckenverletzungen. 

Es wird die Therapie der Brüche der Wirbelkörper, -Bogen, 
und -Fortsätze, bei verschiedener Lokalisation besprochen. Besonders 
wird die Frage der Operation bei Nachverletzung erörtert. Aehn- 
lich wird auch die Behandlung der einzelnen Beckenverletzungen 
behandelt. 

M. K a t ze ns t e i n-Berlin: Die nach Schussverletzung ent¬ 
stehende, nicht knöcherne Kniegelenksversteffung und Ihre operative 
Behandlung. 

Tritt nach einer Schussverletzung eine Versteifung des Knie¬ 
gelenkes ein, so muss das Gelenk eröffnet werden, damit die die 
Bewegung hindernden Gewebsmassen beseitigt werden können. 

K. Eichlam- Bielefeld: Zur Querschnlttsanästbesie. 

Die von Sievers angegebene Querschnittsanästhesie ist für 
Operation von der Mitte des Oberschenkels und des Vorderarms 
abwärts indiziert. Die Anästhesie tritt sicher ein und ist frei von 
Nebenerscheinungen. 

Hermann D i e d e n - Würzburg: Die Innervation der Schweiss- 
drüsen. 

Eine Schweisserregung kann von der Grosshirnrinde ausgehen, 
ohne dass man hier ein Zentrum anzunehmen hat. Diese Erregungen 
gehen zum vegetativen Zentrum im Zwischenhirn und von hier zu 
den segmentären Zentren im Seitenhorn vor, wo eine Reihe von 
pharmakologischen Körpern schweisstreibend angreifen. Für andere 
Gifte ist der periphere Verlauf der Angriffspunkt. 

Schelenz - Kowno: Ergebnisse bei kombinierter Serum- 
Vakzinetherapie der Ruhr. 

Die kombinierte Behandlung von Ruhrkranken mit multivalenten 
Ruhrvakzinen und antitoxischem Dysenterieserum hatte in 10 Fällen 
guten Erfolg. 

Erich Hoffmann -Bonn: Ueber weit verbreitete Hautxan- 
tbomatose bei hochgradiger diabetischer Lipämie. 

Ein Fall von enormer Xanthomatose, bei dem auch das Gesicht 
befallen war. Die lipoiden Einlagerungen waren nur zum Teil 
doppelbrechend. Im Blute werden neben Fett auch Cholesterinester 
gefunden. Vor dem Tode bildet sich eine Pleuritis mit fettreichem 
Exsudat. Die Lipämie verschwand fast ganz, wohl infolge des Fiebers. 

Ad. R e i n h a rd t - Leipzig: Zur Entstehung der Massenblutung 
im Nierenlager (Haematoma perirenale) Infolge Durchbruchs eines 
Aneurysmas der A. o riCa. 

Bei einer 30 jährigen Frau ergab die Sektion als Ursache einer 
Blutung ins Nierenlager eine Perforation eines Aneurysmas der 
A. ovarica an der Abgangsstelle der Aorta. 

G o c h t - Berlin: Die Papierbinde. 

Angabe aller Anwendungsgebiete der Papierbinde. 

Schaedel-Liegnitz: Billrothbattlst zur Bedeckung von Wund- 
flächeo. 

Es wird empfohlen, Wunden mit Billrothbattist zu bedecken, 
wobei 3 Seiten mit Mastisol befestigt werden können, falls die Mög¬ 
lichkeit des Verschlusses besteht. 

E. Schlesinger -Wiesbaden: Ein seltener Fremdkörper der 
Trachea mit schweren Stenoseerschefnungen. 

Die Steribse war bedingt durch einen derben fibrösen Tumor, 
der eine Rinne zeigte, in der ein Kragenstäbchen lag. 

Gerhartz -Bonn: Zum 70. Geburtstag Friedrich Schultzes. 

Boenheim- Rostock. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

Nr. 36. Gustav Hofer und Karl Kofi er-Wien: Ueber die 
äusseren Larynxoperatlonen wegen maligner Tumoren. 

An der Hand des von v. C h i a r i und den Verfassern während 
der letzten 4 Jahre bearbeiteten Materials geben die Verfasser so¬ 
wohl eine statistische Zusammenstellung, als auch ihre besonderen 
Erfahrungen auf diesem Gebiete bekannt. 

E. Weil und A. Felix: Ueber die Doppelnatur der Rezeptoren 
beim Paratypbus ß. 

Der in der Proteusgruppe vorkommende Doppeltypus der Re¬ 
zeptoren konnte auch beim Paratyphus ß festgestellt werden und 
wies dort genau dieselben Eigenschaften auf. Beim Paratyphus ß 

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sind im Krankenserum, sowie im künstlich erzeugten Immunserum 
scharf zwei verschiedenartige Agglutinine nachweisbar, welche den 
beiden Rezeptorenarten entsprechen. Diese letzteren weisen die von 
Sachs und Braun als charakteristisch für die 0- und H-Rezcp- 
toren gefundenen Eigenschaften auf. Sie wurden als stabile und 
labile Rezeptoren benannt, die auf die stabilen Rezeptoren wirken¬ 
den als kleinflockende, die auf die labilen Rezeptoren wirkenden 
Agglutinine als grossflockende bezeichnet. Diese Benennungen sind 
in den Eigenschaften der Rezeptoren und Agglutinine begründet. 

Artur Felix und Fanny Mitzenmacher: Weitere Unter¬ 
suchungen über den Nachweis der O- und H-Rezeptoren bei den 
Proteusstämmen. 

Der Nachweis der O- und H-Rezeptoren bei den Proteus¬ 
stämmen gelingt nach der von Sachs angegebenen Methode, mittels 
welcher durch Erhitzen auf 80° die H-Rezeptoren zerstört werden, 
während die O-Rezeptoren intakt bleiben. Im gleichen Sinne wirken 
die auf Karbolsäureagar gezüchteten Bakterien (Brau n). bei wel¬ 
chen es ebenfalls zu einem Verlust der H-Rezeptoren gekommen ist. 
Auf 80° erhitzte Proteusbazillen, bei welchen im Agglutinationsver¬ 
such keine H-Rezeptoren nachweisbar sind, geben im Immuni¬ 
sierungsversuch keine reinen O-Immunsera. Das gleiche gilt auch 
von den Karbolsäurebakterien. Dagegen erhält man oft reine O- 
Immunsera, wenn wan die Immunisierung mit auf 100° erhitzten 
Bazillen vornimmt. 

Emil Epstein- Wien: Zur Frage der Spezifität der X-Stämme 
und der W e 11 - F e 11 x sehe« Agglutination bei Fleckfieber. 

Die X-Stämme stehen mit der Aetiologie des Fleckfiebers in 
keinem Zusammenhang. Ihre Agglutinabilität mit Fleckfieberserum 
beruht auf einer durch Anpassung im Sinne von Variation erwor¬ 
benen, konstant vererbbaren Eigenschaft. 

Benno Stein und Karl Weissmann-Agram: Ueber Bak¬ 
terienbefunde und deren Bedeutung bei der letzt herrschenden fn- 
fluenzaepidemle. (Spanisches Fieber.) 

Die bei dem spanischen Fieber regelmässig auf den Schleim¬ 
häuten der Luftwege und des Rachens auffindbaren Diplostrepto- 
kokken haben eine hervorragende Bedeutung in der Klinik dieser 
Erkrankungen; sie sind zweifellos die Erreger septischer Komplika¬ 
tionen, aber ihre ätiologische Bedeutung für die klinisch als „Grippe“ 
anzusprechenden Erkrankungen ist damit keineswegs erwiesen, 
ebenso wenig ihre epidemische Rolle. 

Eugen Marcovici - Bad Bartfeld: Erfahrungen über eine neu¬ 
artige Grippe und deren abortive Behandlung. 

Die abortive Behandlung des Verfassers ‘besteht in der Dar¬ 
reichung von Kalomel (0,3 g bis 0,6 g) sofort nach Auftreten des 
Fiebers; 4 und 8 Stunden später je ein Aspirin^Koffeinpulver 
(0,5 :0,1). Alle derartig behandelten Fälle waren innerhalb 24 Stun¬ 
den fieberfrei und verliefen ohne Komplikationen. 

Nr. 37. G. S c h e r b e r - Wien: Ueber die Beziehungen der In 
den pseudotuberkulösen Geschwüren slve ufeus adutum vulvae sich 
findenden Bazillen zu den Sdheidenbazillen Döderlelns. 

Die im Scheidensekret besonders bei Virgines in der über¬ 
wiegenden Menge der Fälle fast in Reinkultur sich findenden Schei¬ 
denbazillen erfahren unter gewissen Umständen bestimmte Ver¬ 
änderungen, so dass sie aus dem saprophytisehen in den parasitischen 
Zustand übergehen und dann imstande sind, pathologische Prozesse 
wie die pseudotuberkulösen Geschwüre zu erzeugen. 

R. Köhler und A. L u g e r - Wien: Zur Melostagminreaktion 
mit Azeton-Lezithinextrakten. 

Nach den vorliegenden Untersuchungen bieten die Azeton- 
Lezithinextrakte eine Reihe von Vorteilen gegenüber den anderen 
Antigenen. Sie sind leichter herstellbar, haltbarer und Ihr Titer ist 
konstanter. Zu diesen technischen Vorzügen kommt noch die 
grössere Spezifität. Vielleicht gelingt es, auf diesem Wege die Emp¬ 
findlichkeit der Meiostagminreaktion so weit zu steigern, dass auch 
eine Frühreaktion bei Tumoren und Schwangerschaft möglich wird. 

P. M a t h e s - Innsbruck: Zur Heilung der Kraurosls vulvae. 

Verfasser konnte die Behandlung der Kraurosis mit dem Glüh¬ 
eisen in einem weiteren Falle erproben. 

G. J u r c e v: Beitrag zur puerperalen Uteruslnversion. 

Kasuistischen Beitrag. 

Ignatz Feldmann - Gyula (Ungarn): Paratyphus-B-Bazlllen 
in einem Einstockabszess. 

Im beschriebenen Falle wurde der Paratyphus-B-Bazillus bei 
einer Eierstockeiterung nachgewiesen. Die Frage, wo er in den 
Organismus eindrang und welchen Weg er bis in das Ovarium zu¬ 
rückgelegt hat, lässt sich nicht bestimmt beantworten. 

Walter Pervny: Ueber Darmspirochäten. 

Beschreibung eines Falles von Spirochätenbefund im Darm, 
welcher in bakteriologischer Hinsicht interessant ist. 

Josef Mayer: Einiges über „neuartige“ Erkrankungen. 

Wenn man bei jeder Krankheit in Betracht zieht, dass wir meist 
einen durch die Kriegsverhältnisse wesentlich alterierten Organis¬ 
mus vor. uns haben, der eben wesentlich anders reagiert, so wird 
uns manches „Neuartige“ klar werden. 

Anton Krokiewicz -Krakau: Zur Prognose bei Typhus ab¬ 
dominalis. 

Anhaltendes Fehlen von spezifischen Aggutininen im Blute 
verkündet stets einen schweren Verlauf mit oft letalem Ende. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1142 


MUENCHEMER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41. 


Alex. S k u t e t z k y und M. K1 a f t e n - Steyr: Zur Bewertung 
der neuen Farbenreaktion des Harnes. 

Aus den Beobachtungen des Verfassers geht die Unbrauchbar¬ 
keit der Russosehen Reaktion in prognostischer, wie auch dia¬ 
gnostischer Beziehung hervor. Die Farbenreaktion des Harnes ist 
daher als überflüssig zu bezeichnen und ihre Verwendung am Kran¬ 
kenbette abzulehnen. 

E. K1 a f t e n - Steyr: Zur Technik des BiUrublnnaohweises. 

Zu 5 ccm Harn werden 5 Tropfen einer 1 prom. wässerigen Me¬ 
thylenblaulösung hinzugefügt. Es entsteht eine smaragdgrüne Fär¬ 
bung. Fügt man 2—3 Tropfen einer 1 prom. Kaliumpermanganat¬ 
lösung hinzu, so verschwindet die Grünfärbung sofort und es tritt 
eine intensive Blaufärbung ein. Diese Reaktion ist für die Gallen¬ 
farbstoffe spezifisch und beruht auf der Eigenschaft derselben, dass 
sie durch Kaliumpermanganat zerstört werden, wodurch die gelbe 
Komponente für die Farbenmischung ausgeschaltet wird. 

Zell e r-München. 

Iaauguraldissertationea, 

Universität WUrzburg. Juli 1918. 

Gicsemann Kurt: Ueber Zwischenfälle und Komplikationen bei 
der Operation und den Nachfüllungen des künstlichen Pneumo¬ 
thorax. 

Vereins- und Kongressberichte. 

Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Vereinsamtliche Niederschrift) 

Sitzung vom 23. März 1918. 

Vorsitzender: Herr Lindner. 

Schriftführer: Herr Dünger, Herr H. Weber. 

Herr Dünger: Neuere Hämoglobinometer und ihre Eichung. 

Die Apparate, welche zur Bestimmung des Hb.-Gehaltes dienen, 
haben in den letzten 15 Jahren eine wesentliche Bereicherung er¬ 
fahren. Da ist zunächst der bekannte Sahli sehe Hämometer zu 
nennen, der infolge der grossen Vorzüge, die er gegenüber dem 
vorher meist benützten Apparat von öowers auf weist, in kurzer 
Zeit eine ausserordentlich grosse Verbreitung gewonnen hat. Und 
doch ist auch der Sahliapparat noch keineswegs frei von Mängeln. 
Zu diesen gehört in erster Linie der Umstand, dass die Vergleichs¬ 
lösung nicht unbeschränkt haltbar ist, sondern im Laufe der Zeit 
eine Abblassung ihrer Farbstärke erleidet, wodurch leicht ganz irre¬ 
führende Ergebnisse erhalten werden. Ein weiterer Nachteil ist die 
Tatsache, dass die Vergleichsröhrchen keine Lösung, sondern eine 
Suspension des Farbstoffes enthalten; von diesem setzt 
sich beim längeren Lagern stets ein Teil als schwarzbrauner Nieder¬ 
schlag entlang des Röhrchens ab und ist nachher trotz der Durch¬ 
mischung mit der eingeschmolzenen Glasperle unter Umständen doch 
nicht wieder vollständig in gleichmässige Verteilung zu bringen. 
Auch der Umstand, dass bei Sahlis Apparat nur eine einmalige 
Ablesung möglich ist und zudem der richtige Punkt durch zu 
reichlichen Wasserzusatz leicht überschritten wird, ist ungünstig. 

Seit der Einführung von Sahlis Hämometer sind mm 3 neue 
Apparate erschienen. Der erste, der Kontrast-Hämoglobino¬ 
meter von Schlesinger und Fuld, ist bald nach seinem 
Erscheinen von den Zeisswerken, die seine Ausführung übernommen 
hatten, wieder zurückgezogen worden und wird nicht mehr an¬ 
gefertigt. Ein weiterer Apparat ist der Kolbenkeilhämo¬ 
globinometer von P1 e sk: h. Er ist auf wissenschaftlich ein¬ 
wandfreier Grundlage konstruiert, nur ziemlich teuer (gegen 100 M.); 
seit Kriegsbeginn wird er nicht mehr hergestellt und ist gegenwärtig 
im Handel nicht zu haben. Da er überdies bisher keine weitere Ver¬ 
breitung gefunden hat, gehe ich auf ihn nicht näher ein. 

Der dritte neue Apparat ist der Kolorimeter von Auten- 
rieth und Königsberger, der von der Firma F. Heilige & Co. 
in Freiburg i. B. hergestellt wird. Dieser Apparat dient zu den ver¬ 
schiedensten kolorimetrischen Untersuchungen, es sind ausser für 
Hb. auch Methoden zur Bestimmung von Eiweiss, Zucker, Indikan, 
Kreatinin, Harnsäure und noch vielen anderen Stoffen angegeben 
worden. Hier interessiert uns nur die Verwendung des Apparates 
zur Blutfarbstoffbestimmung. Für diesen Zweck ist das 
Prinzip Sahlis übernommen worden, das Hb. durch Zusatz von 
Vio Normal-HCt ln salzsaures Hämatin zu verwandeln. Die technische 
Ausführung des Apparates Ist aber eine vollständig andere. Die Ver¬ 
gleichslösung befindet sich hier eingeschlossen in einem gläsernen 
Keil, der in aufrechter Stellung, die Spitze abwärts gerichtet, an der 
Hinterwand eines Holzkästchens befestigt ist und hier durch eine 
Triebvorrichtung senkrecht verschoben werden kann. Zur Aufnahme 
der Blutlösung dient ein kleiner viereckiger Glastrog, dessen Vorder- 
und Hinterwand genau denselben spitzen Winkel miteinander bilden 
wie die des Vergleichskeils. In der Vorderwand des Apparates be¬ 
findet sich ein Beobachttmgsfenster und dahinter eine H e 1 m h o 11 z - 
sehe Doppelplatte, welche bewirkt, dass die Bilder des Keils und 
des daneben befindlichen Glastroges dicht nebeneinander ohne jede 
Trennungslinie proliziert und so sehr leicht und genau miteinander 
verglichen werden können. Die kolorimetrische Bestimmung erfolgt 

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derart, dass der Vergleichskeil so lange verschoben wird, bis seine 
Farbe mit der im Trog befindlichen Blutlösung genau übereinstimmt; 
alsdann wird der Stand des Keiles an einem Zeiger auf einer seitlich 
angebrachten Skala in Millimetern abgelesen. Die Herstellung der 
Blutverdünnung geschieht in der bei der Blutkörperchenzählung üb- 
Jichen Weise durch einen besonderen Schüttelmischer, wodurch eine 
genaue Abmessung der Flüssigkeiten gewährleistet wird. 

Der Fortschritt, den dieser Kolorimeter gegenüber dem Sahli¬ 
apparat bedeutet, wird von allen Seiten anerkannt. Er liegt zunächst 
in der grossen Genauigkeit, mit der die F a r b e n v e r g 1 e i c h u n g 
vorgenommen werden kann, dann aber auch in der Möglichkeit, 
durch wiederholte Ablesungen sehr genaue Mittelwerte 
zu erhalten. Die abgelesene Zahl der Millimeterskala wird an der 
Hand einer beigegebenen Eichungstabelle in Hb.-Prozente umge¬ 
wandelt. Diese Eichungstabelle gibt nun Veranlassung, uns 
etwas näher mit ihr zu beschäftigen. 

Die Angabe des Hb.-Gehaltes kann in zweierlei Weise erfolgen. 
Einmal in absoluten Werten, also in Gewichtsprozenten, und 
dann in relativen Werten, das ist in Prozenten einer gewissen 
Norm. Die Bezeichnung nach Gewichtsprozenten würde grundsätz¬ 
lich den Vorzug verdienen, doch stehen ihrer allgemeinen Einführung 
verschiedene Hindernisse entgegen. Vor allem ist diese Art der 
Eichung technisch schwierig. Der nahe liegende Gedanke 
des kolorimetrischen Vergleichs mit künstlichen Hämoglobinlösungen 
bekannter Konzentration scheitert an der Schwierigkeit, das Hb. 
völlig rein darzustellen und zu erhalten. Man ist dadurch gezwungen, 
den Hb.-Gehalt auf indirekte Weise auszuwerten, entweder auf dem 
Wege der Spektrophotometrie nach Hüfner-Vierordt, wie es 
B ü r k e r für den Sahliapparat durchgeführt hat, oder vermittels 
der Blutgasanalyse, die P1 e s c h zur Eichung seines Kolbenkeil- 
hämoglobinometers verwendet hat. Beide Methoden setzen kom¬ 
plizierte Einrichtungen und grosse Vertrautheit mit ihrer Hand¬ 
habung voraus. Zu diesen äusseren Schwierigkeiten kommt noch 
der Umstand, dass die so gewonnenen Zahlen von beispielsweise 
14, 12 oder 10 Gew.-Proz. Hb. eine geringe Anschaulich¬ 
keit besitzen im Vergleich mit den allgemein üblichen Relativ¬ 
werten von 100, 80 oder 60 Proz. Auch für die Berechnung des 
Farbeindex sind die Gewichtsprozentzahlen unbequem. Tatsache ist 
jedenfalls, dass die Angabe des Blutfarbstoffgehaltes nach Grammen 
Hb. in 100 g Blut sich nicht eingebürgert hat und auch in der Literatur 
nur selten verwendet wird. 

Demgegenüber ist die Bezeichnung des Hb.-Gehaltes in Pro- 
zentenderNorm ganz allgemein verbreitet Hier erhebt sich nun 
zunächst die Frage, wie diese Norm denn eigentlich bestimmt 
ist. Der Hb.-Gehalt ist unter normalen Verhältnissen ausschliesslich 
von der Zahl der roten Blutkörper abhängig und diese Zahl schwankt, 
wie bekannt, selbst bei gesunden Erwachsenen desselben Geschlechts 
in recht weiten Grenzen; dazu kommen noch die physiologischen 
Geschlechtsunterschiede, sowie die Schwankungen, die von der See¬ 
höhe des jeweiligen Aufenthaltsortes bedingt werden. Sahli hat 
bei gesunden Männern Unterschiede von 20 Proz. Hb. gefunden. 
Bei meinen eigenen Untersuchungen an gesunden Soldaten fand ich 
Schwankungen zwischen 80 und 136 Proz., also einen Spielraum 
von vollen 56 Proz. Da gilt es also, einen bestimmten 
Punkt als Normalwert = 100 Proz. zu setzen, mit anderen 
Worten, einen Normalwert für die Eichung zu finden. 

Diese Eichung ist leider von den einzelnen Autoren nach ganz 
verschiedenen Gesichtspunkten durchgeführt worden. 
Die einen empfehlen — was noch verständlich erscheint — als Norm 
das arithmetische Mittel aus den Hb.-Zahlen von einer Reihe ge¬ 
sunder Männer; andere wieder setzen als 100 den höchsten der 
hierbei gefundenen Einzelwerte. Den letzteren Weg hat bekannt¬ 
lich Sahli für seinen Apparat gewählt; hier wird der Wert 100 
auch von gesunden kräftigen Männern nur selten erreicht; in der 
Regel beträgt bei ihnen der Hb.-Gehalt etwa 80.. Diese Art der 
Eichung hat etwas ausserordentlich willkürliches an sich; sie hat 
bei der grossen Verbreitung, die der Sahliaparat gefunden hat, ent¬ 
schieden Verwirrung gestiftet. Nehmen wir als Beispiel den Wert 
75 Hb., so ist es zurzeit unbedingt nötig, hinzuzusetzen, ob 75 den 
Apparatwert nach Sahli oder den Prozentwert der Norm be¬ 
zeichnen soll. Im ersten Fall handelt es sich um ein annähernd nor¬ 
males. im zweiten um ein deutlich anämisches Blut. 

Noch wichtiger sind diese Verhältnisse bei der Berechnung des 
Färbeindex. Der Färbeindex ist die Zahl, welche uns sagt, in 
welchem Verhältnis der wirklich vorhandene Hb.-Gehalt steht zu 
demjenigen Hb.-Gehalt, den das Blut haben würde, wenn jedes 
rote Blutkörperchen den normalen Farbstoffgehalt besässe, oder 
kürzer ausgedrückt: Der Färbeindex bezeichnet das Verhältnis des 
Hb.-Gehaltes zu den roten Blutkörperchen, beides in Prozenten der 
Norm ausgedrückt. Als Norm wird dabei der Wert von 100 Proz. Hb. 
bei 5 Millionen R. betrachtet. Beim blutgesunden Menschen ist der 
Färbeindex gleich 1,0. Er schwankt nur in ganz geringen Grenzen, 
die im äussersten Falle mit 1,1 und 0,9 angegeben werden, für ge¬ 
wöhnlich aber noch viel geringer sind; weitergehende Abweichungen 
deuten stets auf krankhafte Blutveränderungen hin und haben des¬ 
halb grosse diagnostische Bedeutung. 

Zur Berechnung der F. I. sind die Zahlen des Sahliapparates 
überhaupt nicht zu gebrauchen: Wir würden bei einem gesunden 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 

-_ _ . 




s. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1143 


Mann von 5 Mill. R. nach Sahli den Hb.-Wert von 80 erhalten; 
das ergäbe einen FI. von 0,80, also einen Wert, wie er unter nor¬ 
malen Verhältnissen gar niemals vorkommt. 

Man könnte die eine oder die andere Art der Eichung immer 
noch hinnehmen, wenn die Eichung wenigstens bei sämtlichen Appa¬ 
raten nach den gleichen Grundsätzen durchgeführt wäre. 
Das ist nun aber, wie schon erwähnt, durchaus nicht der Fall. Man' 
kann im Gegenteil sagen, dass von den verschiedenen jetzt ge¬ 
bräuchlichen Apparaten zur Hb.-Bestimmung jeder einzelne Apparat 
einen anderen Wert ergibt. Plesch hat hierüber eine interessante 
Zusammenstellung gegeben: Ein Blut mit einem Gehalt von 15 g Hb. 
auf 100 g Blut ergab mit P1 e s c h s Kolbenkeilhämoglobinometer 
den Wert 100, nach Fleischl-Miescher 108, nach Gowers 
110, nach Sahli 93, nach Talquist 120 . Wir sehen, kein Wert 
stimmt mit dem anderen überein, und der Unterschied zwischen dem 
kleinsten und dem grössten Wert beträgt 27 Proz. Solche Ab¬ 
weichungen findet man aber nicht nur bei verschiedenen Hämometer¬ 
typen: selbst mit den einzelnen Exemplaren desselben Apparates 
kann man häufig recht verschiedene Resultate erhalten. Das war am 
auffälligsten wieder bei den Sahliapparaten, die in der ersten Zeit 
auffällig schwach gefärbte Vergleichsröhrchen hatten. Da letztere 
im Lauf der Zeit auch noch abblassten, so konnte es geschehen, dass, 
wie Türk erzählt, von Originalhämometern nach Sahli der eine 
genau den doppelten Hb.-Gehalt anzeigte wie der andere. 

Derartige Tatsachen zeigen aufs eindringlichste, wie kritisch 
man sein muss, und wie nötig es ist, eine einheitliche 
Eichung derselben durchzuführen. Da ist es nun das 
grosse, meiner Ansicht nach noch viel zu wenig gewürdigte Ver¬ 
dienst von Türk, einen Weg gewiesen zu haben, auf dem man 
zu einer einheitlichen Eichung für alle Hämometer der verschieden¬ 
sten Konstruktionen gelangen kann. Türk geht von folgender Tat¬ 
sache aus: Das gegenseitige Verhältnis zwischen Hb. und Zahl der R. 
ist unter normalen Umständen ein ausserordentlich festes, mit 
anderen Worten, der Färbeindex der roten Blutkörper ist bei ge¬ 
sunden Erwachsenen stets 1,0 mit nur ganz geringen Schwankungen, 
wie sie schon erwähnt wurden. Finden wir beispielsweise bei einem 
gesunden Mann mit 5 Mill. R. einen Hb-Gehalt von 80 nach Sahli, 
so können wir gewiss sein, bei einem zweiten gesunden Erwachsenen 
mit 5,5 Mill. R. auch einen genau entsprechend höheren Hämoglobin¬ 
gehalt, also in diesem Falle 88 nach Sahli zu erhalten. Da mit¬ 
hin bei Gesunden stets einer bestimmten Zahl roter Blutkörperchen 
auch ein ganz bestimmter Hb.-Wert entspricht, so schlug Türk 
vor, denjenigen Wert als 100 Proz. Hb. zu bezeichnen, 
der bei genau 5 Mill. Roten gefunden wird." 

Hier handelt es sich also nicht um eine Norm, von der man 
ja bei den grossen physiologischen Schwankungen im eigentlichen 
Sinne überhaupt nicht sprechen kann, sondern um einen ganz genau 
bestimmten Mittelwert, der von der gesunden Frau nicht selten er¬ 
reicht, vom gesunden Mann aber noch häufiger überschritten wird 
und der, in absoluten Massen ausgedrückt, 14 g Hb. auf 100 g Blut 
entspricht. Türk schlug vor, die derartig berechneten Hb.-Zahlen 
durch den Zusatz „corr.“ zu bezeichnen. Um den Wert 100 Proz. 
corr. bei einem Hämometer, etwa dem Sahli sehen, zu finden, be¬ 
darf es nur einer kleiner Reihe von Untersuchungen an völlig ge¬ 
sunden Männern, bei denen Jedesmal nacheinander die roten Blut¬ 
körper sorgfältig gezählt und der Hb.-Gehalt genau bestimmt wird. 
Haben wir beispielsweise in einem solchen Falle 5,3 Mill. R. und 
85 Hb. nach Sahli gefunden, so ergibt uns eine einfache Regeldetri- 
rechnung, dass zu 5 Mill. R. der Wert von 80,18 Proz. corr. oder 
rund 80 Proz. gehört. Der grösseren Sicherheit halber führen wir 
eine derartige Untersuchung bei 5 —10 gesunden Leuten durch und 
nehmen das arithmetische Mittel aus allen für 5 Mill. R. gefundenen 
Werten. Wir brauchen dann bei späteren Hb.-Bestimmungen nur 

den gefundenen Wert mit der Zahl oder zu multiplizieren, 

ÖU o 

um den Wert in corr. Proz. zu erhalten. Der auf diese Weise in 
korrigierten Hb.-Zahlen ausgedrückte Wert ist auch zur Berech¬ 
nung des Färbeindex der einzig richtige. 

T ü r k s Vorschlag verdient die weitestgehende Beachtung. Ec 
gründet sich auf durchaus richtige Unterlagen und hat den Vorteil, 
dass die derart korrigierten Hb.-Zahlen ohne weiteres miteinander 
verglichen werden können, mögen sie auch mit den verschiedensten 
Apparaten gewonnen worden sein. Trotzdem hat es ziemlich lange 
gedauert, bis man sich nach diesem Vorschlag zu richten begann. 
Neuerdings scheint auch Sahli sich ihm angeschlossen zu haben, 
denn seit einigen Jahren wird dem Sahliapparat ein Kärtchen bei¬ 
gegeben mit dem Vermerk: „Norm beim Mann 80, bei der Frau 70, 
korrigierte Prozentzahlen gleich gefundener Hämometerzahl divi¬ 
diert durch normale Hämometerzahl.“ Das ist also die obenerwähnte 

Korrektur durch Multiplikation mit 80*^* 

Für den neuen Kolorimeter von Autenrieth und Königs- 
berger liegt bisher noch keine einheitliche Eichung 
vor. Bei der ersten Mitteilung über die Verwendung des Appa- 


*) Bei der Frau muss natürlich ebenfalls durch 80 dividiert wer¬ 
den — nicht durch 70, wie aus dem erwähnten Vermerk vielleicht 
herausgelesen werden könnte 1 

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rates zur Bhitfarbstoffbestimmung hatte Samuely in Freiburg 
für den Wert 100 Hb. den Skalenpunkt 23 mm angegeben, den er als 
Durchschnittswert bei einer grösseren Reihe gesunder Männer ge¬ 
funden hatte. Später sind aber für die Eichung offenbar andere Ge¬ 
sichtspunkte massgebend gewesen, denn die von der Firma jetzt bei¬ 
gegebene Eichungskurve zeigt für Punkt 100 Hb. den Skalenwert 

12.5 mm. Dieser Wert entspricht einem ungewöhnlich hohen Hb.- 
Gehalt, wie man ihn selbst bei sehr kräftigen Männern nur ausnahms¬ 
weise findet; es ist das eine Eichung, die ganz an die schon er¬ 
wähnte Sahli sehe erinnert. 

Bei dieser Sachlage schien es mir geboten, den 
Apparat nach den Türkschen Vorschlägen selbst 
genau zu eichen. Die hierzu nötigen Untersuchungen wurden 
an gesunden Soldaten des Reservelazaretts III und V vorgenommen. 
Es handelte sich dabei teils um Leute, die überhaupt nicht krank ge¬ 
wesen waren, teils um solche, die nach geringfügigen Katarrhen oder 
Verdauungsstörungen wieder dienstfähig zur Truppe entlassen wur¬ 
den, oder um Leute, die an leichten chirurgischen Erkrankungen: 
Verstauchungen, kleinen Verletzungen oder Furunkeln u. dergl. 
litten. Mit Absicht wurde hinsichtlich der Körperkonstitution keine 
Auslese getroffen, sondern wahllos gelangten sowohl sehr kräftige, 
vollblütige wie auch schwächliche blasse Männer zur Untersuchung. 
In jedem einzelnen Falle wurde die Zahl der R. auf Grund der Zählung 
von wenigstens 2000 roten Blutkörperchen in der Zählkammer er¬ 
mittelt und der Hb.-Gehalt aus 10 Einzelablesungen am Kolorimeter 
bestimmt. 

Bei der Verwendung des Apparates galt es, das Nachdun¬ 
keln der Hämatinlösung besonders zu beachten. Bekanntlich be¬ 
hält die Lösung, wie sie aus der Mischung von Blut und Vio-N-Salz- 
säure entsteht, ihren gelbbraunen Farbenton nicht unverändert bei, 
sondern wird im Laufe der nächsten Zeit sehr erheblich dunkler. Zur 
Beobachtung dieses Vorganges ist gerade der Kolorimeter besonders 
geeignet, und deshalb hat auch Stäubli, der zuerst diesen Vorgang 
eingehend studiert hat, sich hierbei desselben Apparates bedient. 
Vollständig beendet ist das Nachdunkeln erst nach einer Reihe von 
Stunden. Da man natürlich so lange bei der Hb.-Bestimmung nicht 
warten kann, ist man gezwungen, sich auf eine bestimmte Zeit zu 
einigen. Die dem Apparat beigegebene Gebrauchsanweisung emp¬ 
fiehlt 5 Minuten. Nun erfolgt aber nach 5 Minuten das Nachdunkeln 
der Lösung noch so rasch, dass der Farbenton sich in den 2 Minuten, 
die man für 10 sorgfältige Ablesungen braucht, bereits merklich ver¬ 
ändert. Deshalb halte ich es in voller Uebereinstimmung mit 
Stäubli für zweckmässiger, 10 Minuten zu warten. Meine 
Untersuchungen sind sämtlich mit 10 Minuten Wartezeit ausgeführt 
worden. 

Bei der Eichung wurde nun so vorgegangen, dass zunächst 
im Ordinatensystem auf Millimeterpapier eine Eichungskurve an¬ 
gelegt wurde. Nehmen wir zum Beispiel an, dass wir bei einem 
Gesunden 5,3 Mill. R. und für Hb. den Skalenwert 22 mm abgelesen 
haben. Dann entspricht dieser Punkt 22 mm einem Hb.-Gehalt von 
106 Proz. corr. Wir haben also einen Punkt im Ordinatensystem ein¬ 
zutragen senkrecht über dem Punkt 106 Proz. der Abszisse in Höhe 
der Linie, die 22 mm auf der Ordinate entspricht. Nun verdünnen 
wir die Blutlösung auf das Doppelte und bestimmen abermals den 
Apparatwert; er sei 60 mm. Wir haben diesen 2. Punkt senkrecht 

106 

über dem halben Wert des unverdünnten Blutes y = 53 Proz. 

corr., in Höhe von 60 mm einzutragen. Mit diesen 2 Punkten ist theo¬ 
retisch die Eichungslinie bestimmt. In Wirklichkeit genügt ein© 
einzige Bestimmung nicht; es sind wenigstens 5—10 solcher erforder¬ 
lich. Da zeigt sich nun, dass nicht alle Linien sich absolut decken, 
sondern dass sie im Abstand weniger Millimeter einander parallel 
laufen. Das erklärt sich aus den nie ganz zu vermeidenden Fehler¬ 
quellen, namentlich bei der Blutkörperzähluqg, die man für gewöhn¬ 
lich auf 3 Proz. annimmt. Um diese Fehlerquellen möglichst rest¬ 
los auszuschliessen, wurden die Untersuchungen auf mehr als 
110 Fälle ausgedehnt und die Eichungspunkte alsdann rechnerisch be¬ 
stimmt. Als Durchschnitt aus 112 Untersuchungen erhielt ich dabei 
für den Hb.- Gehalt von 5 Mill. gesunder roter Blut¬ 
körperchen den Skalenwert 26,5 mm, der gleich 100 Proz. 
corr. gesetzt wurde. Der halbe entsprechende Wert liegt alsdann 
bei 62,5 mm. Nach diesen beiden grundlegenden Punkten wurde 
nun die Eichungslinie ausgezogen. Sie weicht von der bisher dem 
Apparat beigegebenen erheblich ab. Dass aber die bisherige 
Eichungslinie nicht brauchbar ist, und zu ganz falschen Bildern 
führen muss, ergibt sich aus einigen praktischen Beispielen: 
Ein gesundes Blut von 5 Mill. R. und einem Apparatwert von 

26.5 mm hat nach unserer Eichung einen Hb.-Gehalt von 100 Proz. 
corr., nach der früheren Eichung aber einen solchen von 80 Proz.; 
das würde einem FI. von 0,8 entsprechen, wie er normalerweise nie 
vorkommt. Ein weiteres Beispiel ist eine perniziöse Anämie mit 

1.5 Mill. R. tmd einem Kolorimeter wert von 74 mm. Das würde 
nach früherer Eichung einen Hämoglobingehalt von 27,5 Proz. be- 

27 5 

deuten; dann erwielten wir einen F. I. von 2 x 15 = <W 6 . Das wäre 

also ein leicht herabgesetzter Index und ein Befund, der bei per¬ 
niziöser Anämie sehr auffallend wäre, da hierbei der Index fast aus¬ 
nahmslos erhöht ist. Nach unserer Eichung erhalten wir aber aus 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1144 


MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41. 


dem Skalawert 74 mm einen Hb-Gehalt von 34 Proz. eorr.; daraus 
34 

berechnet sich der F. I. auf ^ = 1,135, also ein deutlich erhöhter 

Wert, wie er dieser Anämieform zukommt. Gerade dieses Beispiel 
zeigt, welch grosse Bedeutung die Hämometereichung auch für prak¬ 
tische Zwecke hat; sie kann, fehlerhaft ausgeführt, direkt zu dia¬ 
gnostischen Irrtümern und damit auch zu therapeutischen Missgriffen 
führen. 

Da die Ablesung aus einer Eichungskurve für den praktischen 
Gebrauch nicht allzu bequem ist, habe ich die graphische Tabelle in 
eine Zahlentabelle umgearbeitet, aus der man ohne weiteres für 
jeden abgelesenen Millimeter die zugehörige Hb.-Zahl entnehmen 
kann. Diese Tabelle wird künftig von der Firma beigegeben 
werden. Die Frage, welche Werte denn nun für einen Mann oder 
eine Frau „normal“ seien, deckt sich mit der Frage nach der Zahl 
der roten Blutkörperchen. Darüber liegen seit langem zahllose 
Untersuchungen vor. Nach Reinert und v. Li mb eck gelten als 
physiologisch für den Mann Zahlen von 4,5 bis 7 Mill., für die Frau 
solche von 4—5 l A Mill. Demnach betrügen die korrigierten Hb.- 
Zahlen für den Mann 90—140 Proz., für die Frau 80—105 Proz. corr. 
Die Norm stellt also keineswegs eine scharf bestimmte Zahl dar, 
sondern schwankt in verhältnismässig weiten physiologischen Gren¬ 
zen. Als Mittelwert werden für den Mann 5 Mill. R. = 100 Proz. 
corr. angenommen. Mit zunehmender Höhe des Aufenthaltsortes 
über dem Meeresspiegel erfahren diese Werte eine gleichmässige 
Zunahme. 

Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen, die ich mit einer 
warmen Empfehlung des Kolorimeters von A. und K. schliessen 
möchte. Derselbe stellt bei richtiger Handhabung und zweckent¬ 
sprechender Eichung einen Apparat dar, der zur Blutfarbstoffbestim¬ 
mung allen anderen jetzt gebräuchlichen Hämometern überlegen ist 
und zum allgemeinen Gebrauch in Praxis und Klinik warm emp¬ 
fohlen werden kann. 

Herr Dienemann: Mitteilungen aus der Dresdener Lebens¬ 
mittelversorgung, 1917, " 

Vortragender gibt einige Einblicke in der Versorgung der Be¬ 
völkerung mit Nahrungsmitteln und ihre Folgen auf Grund statisti¬ 
scher Feststellungen. Einzelne Krankheiten lassen auffällige Ver¬ 
ringerung der Sterblichkeit (Diabetes, Appendizitis), andere (Magen- 
Darmerkrankungen, Tuberkulose) eine Zunahme erkennen. Eine er¬ 
hebliche Abnahme der Sterblichkeit, auf 1000 Lebende berechnet, 
zeigen die Altersklassen 0—5 Jahre, eine geringere 5—15 Jahre. Die 
Zunahme beginnt mit 15—20 Jahren, Ursache vor allem Tuberkulose, 
um ihren Höhepunkt im Alter jenseits der 70 er Jahre zu erreichen. 

Veröffentlichung erfolgt in „Oeffentl. Gesundheitspflege“, herausg. 
von Abel und Merkel. 

Herr H u e p p e betont die Wichtigkeit der Leibesübungen für 
die gute Ausnutzung der Nahrung; nur weil zu Beginn des Krieges 
sich die Kinder draussen in Uebung usw. betätigten, blieben sie auf¬ 
fallend frisch. 

Herr Faust dankt dem Vortragenden dafür, dass er wieder 
einmal dargelegt hat, welche Riesenarbeit für die Ernährung der 
Bevölkerung, insbesondere auch der Kranken, geleistet worden ist; 
welches Land hat uns das nachgemacht? Die Milchfrage ist für die 
Säuglinge jedoch nicht so glänzend gelöst, wie es scheint; die Kinder 
bekommen nicht die angegebene Kalorienmenge, einmal weil die 
Milch minderwertig ist und anderseits, weil namentlich bei den Zieh¬ 
kindern, sicher die Erwachsenen dem Kinde etwas wegnehmen. 
Das Mehl lässt sich für die Säuglinge schwer verwenden, da die 
Gärung im kindlichen Leibe sehr stark ist; es müsste für mehr 
Griess gesorgt werden. 

Herr Brückner schliesst sich den Ausführungen des Herrn 
Faust an und bringt Wünsche vor. 

Herr Dienemann sagt die Berücksichtigung der geäusserten 
Wünsche zu. 


Aerztlicher Verein zu Marburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 14. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Bielschowsky. 

Herr Wagener: Vorstellung einer Patientin mit 5 Jahre alter 
Rekurrenslähmung, bei der durch eine Paraffininjektion in das ge¬ 
lähmte Stimmband nach Brünings ein recht guter Erfolg er¬ 
zielt wurde. W. setzt die Paraffindepots möglichst lateral im Stimm¬ 
band, um auf diese Weise Einbuchtungen am Rande des Stimmbandes 
zu vermeiden. Kurze Besprechung und Wertung der übrigen Me¬ 
thoden, die von S e i f f e r t und Payr zur Behandlung der Re¬ 
kurrenslähmungen angegeben sind. 

Herr Ediiard Müller: Ueber eine praktisch wichtige psychische 
Störung nach typhösen Erkrankungen. 

Im Rekonvaleszenzbeginn nach schweren Typhen, auch Para- 
typhen, findet man relativ häufig vorübergehende Wahnvorstel¬ 
lungen, im Felde gewöhnlich in Form umschriebener krankhaf¬ 
ter Ueberschätzungsideen (hohe Auszeichnungen, ausser- 
gewöhniiche Heldentaten, ungewöhnliche Beförderungen usw.). Prak¬ 
tische Bedeutung gewinnen diese Zustandsbilder dadurch, dass solche 


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Kranke aus ihren Wahnvorstellungen äussere Konsequenzen ziehen 
(briefliche Mitteilungen an die Angehörigen über vermeintliche Aus¬ 
zeichnungen; spätere peinliche Aufgabe der Richtigstellung, schein¬ 
bare Disziplinwidrigkeiten, z. B. durch das Verlangen von Gemeinen 
und Unteroffizieren, als Offizier gegrüsst und behandelt zu werden 
u. dgl.). Hauptgründe dafür, dass Häufigkeit und praktische Bedeutung 
dieser seelischen Störungen weder Internisten noch Psychiatern zur 
Genüge bekannt sind: gewöhnlich.erreichen die geschilderten psychi¬ 
schen Anomalien keinen solchen Grad, dass die Kranken in Irren¬ 
anstalten verbracht oder Beratung mit dem Psychiater für erforder¬ 
lich gehalten wird. Auf Infektionsabteilungen wird ein so um¬ 
schriebener „Residualwahn“ leicht übersehen. Die Kranken rücken 
mit ihren Wahnvorstellungen dem Arzte gegenüber nicht gerne 
heraus. Sie erscheinen sonst „ganz vernünftig“; die meisten und alle 
leichteren Fälle sind fast nur bei besonders darauf gerichteter Auf¬ 
merksamkeit erkennbar. In der Deutung solcher pathologischen 
Ideen als Residualwahn ist Stertz (Typhus und Nerven¬ 
system; Karger; 1917) beizustimmen. Es liegen wohl auffällig zäh 
festgehaltene Reste infektiös-febriler Typhusdelirien vor. Die eigen¬ 
artige Färbung, die diese posttyphösen Wahnideen besitzen, ist eine 
Eigentümlichkeit des Kriegs- und Soldatenlebens. Eine inhaltliche 
Umgestaltung in Friedensfällen und bei Zivilisten ist anzunehmen. 
Mitunter kamen auch im Felde Eifersuchtswahn und Verfolgungs¬ 
ideen nach typhösen Erkrankungen vor. Vor Verwechslung dieses 
Residualwahns mit „Renommistereien“, anderweitigem „Pseudologis¬ 
mus“ schützen das unmittelbare Einsetzen im Anschluss an schwere 
typhöse Erkrankungen, ihre Flüchtigkeit und die unangenehmen 
Empfindungen, die die spätere Erinnerung daran auslöst. Ausführ¬ 
liche Mitteilung darüber erfolgt im Zbl. f. inn. M. 

2. Demonstrationen zum Vortrag „Malarlalragen“ in der vor¬ 
hergehenden Sitzung. 

a) Erster Tertianaanfall in Deutschland 4Va Mo¬ 
nate nach Verlassen der verseuchten Gegend. 
Früher Chininprophylaxe von täglich 0,3; ausgesetzt seit etwa 
4 Monaten. Anamnestisch keine vorangehenden larvierten Malaria¬ 
anfälle nachweisbar. Ausnahmsweise kommen solche Späterkran¬ 
kungen nach monatelang zurückliegenden Infektionen, die durch die 
verkappte Dauertherapie der sog. Chininprophylaxe zunächst ganz 
abortiv gestaltet werden, auch in Fällen ohne vorangehenden Chinin- 
schutz vor. b) Fälle, die illustrieren, dass unter den Kriegsverhält¬ 
nissen mit ihrer Erschwerung des mechanischen Schutzes und ihrer 
Unmöglichkeit genügender Geländeassanierung bei langem Aufent¬ 
halt in schwerverseuchten Gegenden trotz gewissenhaftester Durch¬ 
führung verschärfter Chininprophylaxe Malariaerkrankungen (infolge 
der Dauerdarreichung von Chinin glücklicherweise zunächst meist 
abortiver Art), fast die Regel sind, c) Fälle mit Tertianarezi- 
diven nach früheren Tropikaerkrankungen. Um¬ 
wandlung hinsichtlich Fiebertypus und Blutbefund; wohl von vorn¬ 
herein verkappte Mischinfektionen von Tropika und Tertiana, d) Fälle 
als Beweis für die merkwürdige Häufigkeit des vor¬ 
übergehenden oder längerda-uernden Quotidiana- 
typu-s bei Spätrezidiven von Malaria tertiana. In¬ 
fektionsquelle: Mazedonien. Gewöhnliche Ursache: allmählich sich 
herausbildende zeitliche Verschiedenheiten in der endogenen Weiter¬ 
entwicklung der Plasmodien. Innerhalb der „Quotidiana“ mitunter 
der Tertianatypus durch besondere Höhe der Fieberzacken an jedem 
dritten Tag erkennbar. Gelegentlich zunächst Tertiana-, kurz da¬ 
nach Quotidianatypus. e ) Spätrezidive mit Mischinfektionen 
von Quartana und Tertiana. In einem Fall bei Tertiana- 
fiebertypus zunächst nur Quartanablutbefund. Mischinfektionen mit 
Quartana waren nicht durch Fieberverlauf, nur durch Blutpräparat 
erkennbar, f) Fälle mit Provokation von Fieberanfäl- 
1 e n, vor allem durch Röntgen- und Höhensonnebestrahlungen der 
Milz. Nur der positive Ausfall ist entscheidend 
für noch mangelnde Malariaheilung. Wiederholt 
wurde negativer Ausfall der Provokation trotz 
bald darauf auftretender S p o n ta n r e z i d i v e be¬ 
obachtet. Hinweis auf die Schäden solcher Provo¬ 
kation, die oft grösser als der Nutzen sind, g) Hinweis auf die 
Wichtigkeit lange fortgesetzter, zweistündlicher 
Mastdarmmessungen zur Erkennung abortiver 
Malarianfälle bei chronischen Fällen. h) Ter- 
tianaspätrezidive, « kombiniert mit Chinin und 
intravenösen Salvarsandosen behandelt. Im gan¬ 
zen bessere Erfolge als bei reiner Chininbehandlung, selbst bei 
Chininbehandlung nach zeitweisem Aussetzen bei „Chiningewöhnten“ 
und selbst bei erheblicher Steigerung der Chinindosis. Trotzdem 
nicht selten rasche Rezidive, selbst nach häufigen hohen Salvarsan¬ 
dosen. i) 2 Fälle mit Kombination von Paratyphus B 
und Malaria tertiana. Fortsetzung der Chininbehandlung 
während des paratyphösen Fiebers; keine Beeinflussung desselben 
durch das Chinin, aber kein Dazwischentreten von Malariaanfällen. 

3. Eigenbeobachtung eines Falles von Paratyphus B vom Typus 
Glä&er-Volldagsen (Fall aus dem Etappenlazarett Konstantinopel; 
deutscher Soldat). Im Gegensatz zu der von P. Neukirch bei 
Türicen beobachteten hohen Mortalität — etwa 50 Proz. — leichter 
günstiger Verlauf unter nur vorübergehend hochfieberhaften gastro¬ 
intestinalen Störungen. Bazillennachweis im Blute; Stamm inaggluft- 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




8. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


114$ 


nabel durch Paratyphus-B-Sera, am 8. fieberfreien Tage hochaggluti- 
nabel (1:1600) durch Glässer-Volldagsen-Testserum. Hinweis auf 
die Arbeit von P. Neukirch: Menschliche Erkrankungen durch Ba¬ 
zillen der Glä ser-Voll da gen sehen Gruppe in der Türkei; 
Zschr. f. Hyg. u, Infektionskrkh. Bd. 85. 

4. Demonstration zweier Photographien von schwerer Extreml- 
tStengangrän nach Flecktyphus. Eigenbeobachtungen aus einem 
türkischen Lazarett in M. bei H.P. 

Diskussion: Herr Bonhoff. Herr Katsch, Herr Loeh- 
lein. 

Herr Eduard Müller (Schlusswort): Mit Malaria¬ 
bedrohung unserer Zivilbevölkerung durch die Tertianaerreger 
muss bei der Rückkehr massenhafter Plasmodien träger in die Heimat 
und bei der überraschenden Verbreitung von Anophelesarten ge¬ 
rechnet werden. Bei technisch richtiger Anwendung ist das Chinin 
zweifellos ein Spezifikum zur Beseitigung der augenblicklichen klini¬ 
schen Erscheinungen, kein vollwertiges Spezifikum aber in ätio¬ 
logischer Hinsicht. Schwarzwasserfieber wurde in der 
Türkei nur selten und meist in leichteren Formen beobachtet. Bei 
ganz frischer Malaria (echtes Erstlingsfieber) fehlt häufig ein pal- 
pabler M i 1 z t u m o r. Hinweis auf die raschen, häufigen Schwan¬ 
kungen der Milzgrösse bei Malaria, auf die grosse diagnostische Be¬ 
deutung der Milzschmerzen, auf den fehlenden Parallelismus zwischen 
Milzgrösse und Schwere der Erkrankung. Verzettelte Darreichung 
der Chinintagesdosis bei der Prophylaxe (zur Verhütung der Neben¬ 
wirkungen) empfiehlt sich im Hinblick auf die Notwendigkeit schärf¬ 
ster Kontrolle der Chinineinnahme bei Mannschaften nicht. 


Kleine Mitteilungen. 

Verkehr mit Verbandstoffen. 

Die Reichsbekleidungsstelle veröffentlicht in Nr. 33 ihrer Mit¬ 
teilungen vom 17. August 1918 eine Darstellung der Regelung des Ver¬ 
kehrs mit Verbandstoffen (einschliesslich Billrothbattist) und Verband¬ 
watte. Daraus ist hervorzuheben: 

Baumwollene Verbandstoffe und Verbandwatte sind für Ver¬ 
braucher nur noch unter Vorweisung einer ärztlichen Verordnung zu 
beziehen. Die Aerzte stellen mithin ärztliche Verordnungen auf 
baumwollene Verbandstoffe und Verbandwatte aus: 

1. für ihren eigenen Bedarf in der Praxis, 

2 . für Einzelpersonen 

3. für Betriebe, die weder als -Grossverbraucher ihre Verband¬ 
stoffe durch Vermittlung der Reichsbekleidungsstelle beziehen, noch 
eine Krankenkasse mit eigener Verbandstoffniederlage unterhalten. 

Solchen Betrieben kann eine ärztliche Verordnung auf einen 
angemessenen Vorrat, der für Unfallstationen, Verbandkästen oder 
dergleichen benötigt wird, für eine angemessene Zeit ausgestellt wer¬ 
den, vorausgesetzt, dass es sich nicht um grosse Mengen handelt. 
Selbstverständlich müssen sich die Aerzte die Versicherung geben 
lassen, dass der betreffende Betrieb nicht bereits von einem andern 
Arzt sich eine gleiche Verordnung für denselben Zeitraum und die¬ 
selben Verbandstoffe hat ausstellen lassen. Betriebe mit erheblichem 
Jahresbedarf haben sich an die Reichsbekleidungsstelle zu wenden. 
Ebenso darf der Arzt Krankenanstalten und solchen 
Krankenkassen, die eine eigene Verbandstoff¬ 
niederlage unterhalten, keine Verordnung über 
baumwollene Verbandstoffe und Verbandwatte 
a u s s t e 1! e n, da diese nur durch Vermittlung der Reichsbeklei¬ 
dungsstelle beliefert werden. 

Ausser approbierten Aerzten sind auch Zahnärzte und Tierärzte 
in den in Betracht kommenden Fällen zur Ausstellung von Verord¬ 
nungen auf baumwollene Verbandstoffe und Verbandwatte befugt. 

Niedere Medizinalpersonen (Zahntechniker Heilgehilfen, Heb¬ 
ammen u. dgl.) haben ihren Bedarf an baumwollenen Verbandstoffen 
und Verbandwatte gegen amtsärztliche Bescheinigung zu decken. 

Krankenkassen, die keine eigene Verbandstoffniederlage unter¬ 
halten, lassen ihre Mitglieder und Kassenärzte wie bisher sich mit 
Verbandstoffen und Verbandwatte gegen kassenärztliche Verordnung 
versorgen, und zwar in Apotheken und sonstigen besonders zu¬ 
gelassenen Drogen- und Kleinhandlungen. 

Der Bezug von Krepppapierbinden, Papiergarngewebebinden und 
Zellstoffwatte unterliegt keinen Beschränkungen. 

Gerichtliche Entscheidung. 

Zu Unrecht erfolgte Untersagung des Heil¬ 
gewerbebetriebs. 

Der Heilgewerbetreibende N. war wegen Abtreibung in einem 
Falle und tätlicher Beleidigung in zwei Fällen zu Zuchthausstrafe 
und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt worden, 
weil er bei Ausübung der Bauchmassage bei weiblichen Personen 
diesen unsittlich zu nahe getreten war, und der einen, bei der der Ver¬ 
kehr mit N. nicht ohne Folgen geblieben war, die Abtreibung vor¬ 
genommen hatte. Als er sich später neu niederliess, um das Ge¬ 
werbe als Heilkundiger wieder aufzunehmen und wieder Frauen 
durch Bauchmassage zu behandeln, untersagte ihm die Ortspolizei¬ 
behörde die Ausübung der Bauchmassage bei weiblichen Personen 
unter Androhung einer Verwaltungsgerichtsstrafe. Seine Be- 

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schwerde wies der Landrat, die weitere der Regierungspräsident 
ab. Der gegen den letzteren erhobenen Klage war stattzugeben. 
Die angefochtene Verfügung versagt dem Kläger die Zulassung zum 
Heilgewerbe in dem verbotenen Umfange. Die Ausübung des Heil¬ 
gewerbes ist aber seit Erlass der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 
grundsätzlich freigegeben und steht jedermann ohne Rücksicht auf 
Kenntnisse, Vorbildung, Verleihung usw. offen. Besondere Bestim¬ 
mungen im Sinne des § 6 der Reichsgewerbeordnung enthält dieses 
Gesetz nicht. Der Betrieb des Heilgewerbes kann also dem Kläger 
aus dem Grunde nicht untersagt werden, weil er sich hierfür als 
ungeeignet und unzuverlässig erwiesen habe. Es liegt auch nicht 
eine in naher Zukunft bevorstehende unmittelbare Gefahr, sondern 
nur die abstrakte Möglichkeit einer polizeiwidrigen Ausübung des 
Heilgewerbes vor und diese reicht zur Rechtfertigung des Verbotes 
nicht aus. Ob die Polizei sonst Mittel hat, um das Publikum vor 
dem Kläger, der sich offenbar als für die Ausübung des Heilgewerbes 
an weiblichen Personen als gänzlich ungeeignet erwiesen hat, zu 
schützen oder zu warnen, ist hier nicht zu erörtern. (Aktenzeichen: 
III. A. 26. 16; vgl. D. Strafrechtsztg. Jahrgg. 1917, Sp. 367/8.) 

Diese Entscheidung der höchsten Instanz beleuchtet grell 
einen imerhörten Mangel, der deutschen Gesetzgebung. Es 
ist also nach Lage des Gesetzes unmöglich, einem mit Zucht¬ 
haus bestraften Kurpfuscher, der sich als eine wahre Gefahr 
für die armen Frauen, die in seine Hand gefallen sind, erwiesen hat, 
das Handwerk zu legen! Man sollte glauben dass selbst Anhänger 
der freien Ausübung der Heilkunde durch einen derartig krassen Fall 
überzeugt werden müssten, dass hier Abhilfe dringend not tut. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 7. Oktober 1918. 

— Kriegschronik. Eine Woche bedeutungsvollster mili¬ 
tärischer und politischer Ereignisse. An der Westfront haben sich 
die feindlichen Angriffe auch auf Flandern ausgedehnt; unsere Linien 
wurden zurückgedrückt, haben aber den Zusammenhang nirgends 
verloren. In Frankreich ist das völlig zerstörte Cambrai noch in 
deutschem Besitz; St. Quentin wurde geräumt. In Syrien haben die 
Engländer Damaskus erreicht. Die Lage in Bulgarien bedeutet den 
völligen Zusammenbruch. Das Heer ist ge^hlagen und in Auf¬ 
lösung begriffen; die Regierung hat den Waffenstillstand, der das 
Land auf Gnade und Ungnade in die Hand der Entente gibt, ab¬ 
geschlossen; König Ferdinand hat zugunsten seines Sohnes Boris 
abgedankt. Ueber die angesichts dieser üblen Lage von der deutschen 
Heeresleitung getroffenen Gegenmassregeln ist nichts bekannt; zu¬ 
nächst haben deutsche Marinesoldaten im Einverständnis mit der 
Moskauer Regierung russische Kriegsschiffe besetzt. — Im Innern des 
Reichs hat der gesteigerte Druck der Mehrheitsparteien auf die Re¬ 
gierung einen völligen Umsturz unserer innerpolitischen Verhältnisse 
zur Folge gehabt. Graf Hertling ist als Kanzler zurückgetreten. In 
dem Erlass, in dem der Kaiser den Rücktritt annimmt, verkündet er 
mit den Worten: „Ich wünsche, dass mein Volk wirksamer als bis¬ 
her an der Bestimmung der Geschicke des Vaterlandes mitarbeitet. 
Es ist daher mein Wille, dass Männer, die vom Vertrauen des Vol¬ 
kes getragen sind, in weitem Umfang teilnehmen an den Rechten und 
Pflichten der Regierung“ den Parlamentarismus in Deutschland. Da¬ 
mit ist das heisserstrebte Ziel weiter Volkskreise erreicht; andere, 
und nicht die schlechtesten, stehen diesem Bruch mit der deutschen 
Tradition mit ernsten Bedenken gegenüber. Beide leitet der Wunsch, 
das Vaterland aus grösster Gefahr und Not glücklich herauszuführen. 
Darum schweigt der Sturm, den ein solcher Schritt zu anderen Zei¬ 
ten entfesselt hätte. Die Regierung der neuen Männer, die ver¬ 
sprochen hat, die ganze Volkskraft zusammenzufassen, um Deutsch¬ 
land einen ehrenvollen Frieden zu erkämpfen, kann daher der Unter¬ 
stützung aller Vaterlandsfreunde versichert sein. Zum Reichskanzler 
wurde ernannt: Prinz Max von Baden; Stellvertreter des Reichs¬ 
kanzlers bleibt Payer; Staatssekretäre werden u. a. Gröber und 
Erzberger (Ztr.) und Scheidemann (Soz.). 

— Das Kgl. bayer. Kriegsministerium gibt bekannt, dass zur 
Ernennung zu Feldhilfsärzten nunmehr sämtliche Feld¬ 
unterärzte ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Ablegung der 
ärztlichen Vorprüfung vorgeschlagen werden können, wenn sie die 
übrigen im V.B1. 1916 S. 358 vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt 
und 6 Monate als Feldunterärzte im Feldheere gestanden 
habeih (Nr. 242481 M.) 

— Die bayerischen Aerztekammern sind auf Dienstag 
den 5. November d. J. zu einer Sitzung einberufen worden. 

— Die Landesstelle der Reichsbank zur Förderung des bargeld- 
.osen Zahlungsverkehrs weist von neuem auf die Vorzüge des 
bargeldlosen Zahlungsverkehrs hin. Wie sehr dieser 
durch Einschränkung des Notenumlaufs im nationalen Interesse ge¬ 
legen ist, ist oft betont worden; er bringt aber auch, besonders der 
Postscheckverkehr, so viele persönliche Vorteile mit sich, 
dass es fast unbegreiflich ist, dass nicht jeder, der Zahlungen zu 
machen oder zu empfangen hat, im Besitz eines Postscheckkontos 
ist. Namentlich beim Arzte, der sein Einkommen in vielen kleineren 
Teilzahlungen erhält, kommen diese Vorteile zur Geltung. Es ist 
ausgeschlossen, dass eine Zahlung verloren geht, unterschlagen oder 

Original fram 

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1146 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41. 


zu buchen vergessen wird. Die vielfach noch üblichen Trinkgelder 
an die Ueberbringerinnen von Honoraren fallen weg. es sammeln 
sich keine grösseren Beträge von Bargeld im Hause an (sehr wichtig 
ln dieser Zeit vermehrter Unsicherheit), es wird keine Zeit am 
Postßchalter bei Erhebung oder Einzahlung von Postanweisungen 
verloren; die Gebühren sind wesentlich geringer als im Post¬ 
anweisungsverkehr. Nicht zuletzt ist man es seiner dem Post¬ 
scheckverkehr an geschlossenen Klientel schuldig, auch selbst ein Post¬ 
scheckkonto zu haben. Die vom Postscheckamt ausgegebenen Post¬ 
kreditbriefe schützen davor, auf Reisen je in Geldverlegenheit zu 
kommen. So gross sind die Vorteile und Bequemlichkeiten des bar¬ 
geldlosen Zahlungsverkehrs, dass jeder sich seiner bedienen würde, 
wenn nicht der alte Feind jeden Fortschritts, die Gleichgültigkeit, im 
Wege stünde. 

— Ein eigenartiges Museum, ein »Knopfmuseum“, also eine 
Sammlung, die die Geschichte des Knopfes und der Kleiderver¬ 
schlüsse veranschaulicht, ist am 29. September in Prag eröffnet 
worden. Das Museum hat dadurch einiges ärztliche Interesse, 
dass es die Kleiderverschlüsse, bzw. Kleidungsstücke für Armampu¬ 
tierte besonders berücksichtigt. Der Begründer des Museums, der 
Grossindustrielle H. Waldes, hat auch einen Geldpreis für prak¬ 
tische Kleiderverschlüsse für beidseitig Armamputierte gestiftet. 

— Einen ZyklusärztlicherFortbildungsvorträge 
veranstaltet in N ü r n b e r g im Oktober und November der Landes¬ 
verband für das ärztliche Fortbildungswesen in Bayern auf Veran¬ 
lassung der Medizinalabteilung des K. b. Kriegsministeriums gemein¬ 
sam mit der ärztlichen Fortbildungsvereinigung Erlangen, Nürnberg, 
Fürth unter Leitung der mittelfränkischen Aerztekainmer. Es werden 
folgende Vorträge gehalten: 1. 26. X. 18: Geheimrat Prof. Dr. 
v. M ü 11 e r - München: Ueber Körperkonstitution und ihre Be¬ 
ziehungen zu Krankheiten. 2. 2. XI. 18: Geheimrat Prof. Dr. Lexer- 
Jena: Ueber Wiederherstellungschirurgie Kriegs verletzter. 3. 9. XI. 18: 
Geheimrat Prof. Dr. S e i t z - Erlangen: Ueber Tiefenbestrahlungs¬ 
therapie. 4. 16. XI. 18: Geheimrat Prof. Dr. Wassermann -Berlin: 
Ueber die Ergebnisse der experimentellen Syphilisforschung für die 
Praxis. 5. 23. XI. 18: Prof. Dr. Zum b u s c h - München: Ueber 
Frühdiagnose und Therapie der Syphilis. 6. 30. XI. 18: Geheimrat 
Prof. v. Romberg-München: Ueber Nephritis. Zur Teilnahme 
an den Vorträgen ist jeder deutsche oder verbündete Arzt berechtigt. 
Die Vorträge sind unentgeltlich und finden in Nürnberg, Luitpoldhaus, 
abends 5 Uhr s. t. statt. 

— Ein 4wöchiger Lehrgang zur Ausbildung in der Tuber¬ 
kulosefürsorge für Damen, die* ihrer Vorbildung nach zur Be¬ 
tätigung in der sozialen Fürsorge geeignet sind, findet vom 21. Ok¬ 
tober bis 16. November in Berlin statt. Anmeldungen bei der Ge¬ 
schäftsstelle des Tuberkulose-Zentralkomitees, Berlin. Linkstr. 29. 

— Auf Anregung des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämp¬ 
fung der Tuberkulose hat der Kaiser unter dem 24. August 1918 
einer grösseren Anzahl von Aerzten im Reich in Anerkennung ihrer 
Verdienste um die Tuberkulosebekämpfung während des 
Krieges das Verdienstkreuz für Kriegshilfe verliehen. Unter den 
215 Beliehenen befinden söch aus Bayern: Hof rat Dr. Franken¬ 
bur g e r - Nürnberg, Geh. Sanitätsrat Hofrat Dr. May-München, 
Sanitätsrat Dr. Pi s chin ge r-Lohr a. M.: aus Württemberg: Prof. 
Dr. Ga st pa r-Stuttgart. 

— Je länger der Krieg dauert, um so unentbehrlicher wird ein 
Nachschlagewerk, das gründlich und übersichtlich über alle Fragen, 
die mit dem Krieg Zusammenhängen berichtet. In vortrefflicher 
Weise erfüllt diese Aufgabe das im Verlag des Bibliographischen In¬ 
stituts in Leipzig erscheinende Werk: D e r K r i e g 1914/18. Werden 
und Wesen des Weltkriegs, dargestellt in umfassenderen Abhand¬ 
lungen und kleineren Sonderartikeln. Unter Mitwirkung hervor¬ 
ragender Fachmänner herausgegeben von Dietrich Schäfer. Mit 
vielen Karten, Plänen, Kunstblättern, Textbildern und statistischen 
Beilagen. Der zweite Band dieser Enzyklopädie des Krieges ist, 
wie der erste, in die Gruppen Politik und Geschichte, Kriegs¬ 
geographie, Technik und Kriegsführung, Kultur und Geistesleben ge¬ 
ordnet. Eine grosse Zahl namhafter Männer aus Wissenschaft und 
Technik bearbeitet den gewaltigen Stoff. Auch die Medizin kommt 
dabei nicht zu kurz. So schildert Stabsarzt Dr. Haehner im 
pr. Kriegsministerium den derzeitigen Stand der Kriegschirurgie, 
Oberstabsarzt Dr. Hetsch die Seuchenbekämpfung. Auch eine 
Reihe von Aufsätzen über Jugenderziehung und soziale Fürsorge 
werden das besondere Interesse der Aerzte finden. Das Werk, das 
auch in künftigen Jahren seinen Wert behalten wird, sei darum 
bestens empfohlen. Der Preis des 2. Teils ist 16 M. 

— In B e r 1 i n sind am 21. September und den darauffolgenden 
Tagen eine Reihe von Cholerafällen festgestellt worden. Es 
handelt sich um 12 Kranke, 2 Verdächtige und 1 Bazillenträger. 
6 Fälle sind tödlich verlaufen. Die Nachforschungen nach der Ur¬ 
sache der Epidemie haben völlige Aufklärung erbracht. Es ergab 
sich nämlich, dass sämtliche Kranke ihr Fleisch aus derselben Ross¬ 
schlächterei bezogen, unter deren Angestellten sich ein Bazillen¬ 
träger befand. Dieser wurde isoliert und die Schlächterei geschlossen. 
Dass ausserdem alle nur möglichen Vorsichtsmassregeln getroffen 
sind, um eine weitere Ausbreitung zu verhüten, ist selbstverständlich. 
Man kann daher mit grösster Zuversicht erwarten, dass es gelingt, 
die Seuche im Keime zu ersticken. 


— Cholera. Deutsches Reich. In der Woche vom 22. bis 
28. September wurden in Berlin 7 Erkrankungen mit 6 Todesfällen 
festgestellt. — Deutsche Verwaltung in Kurland. In der Woche vom 
28. Juli bis 3. August 5 Erkrankungen und 3 Todesfälle; vom 25. bis 
31. August 12 Erkrankungen und 4 Todesfälle. — Deutsche Verwal¬ 
tung in Litauen, ln der Woche vom 28. Juli bis 3. August 1 Er¬ 
krankung; vom 4. bis 10. August 4 Erkrankungen und 2 Todesfälle. — 
Oesterreich. Zufolge Mitteilung vom 16. September wurde in Brody 
(Galizien) Cholera bei 2 aus Russland zurückgekehrten Personen 
bakteriologisch festgestellt. — Ukraine. Laut Mitteilung vom 9. Sep¬ 
tember sind in Odessa 3 weitere Erkrankungen auf dem Dampfer 
„Helena“ festgestellt worden. Ferner wurde in den Vororten von 
Odessa, Moldawanka und Slobodka-Ramänowka je 3 Erkrankungen 
ermittelt. 

— Fleckfieber. Kaiserlich Deutsches Generalgouverne¬ 
ment Warschau. In der Woche vom 8. bis 14. September wurden 
163 Erkrankungen und 13 Todesfälle gemeldet. — Deutsche Ver¬ 
waltung in Litauen. In der Woche vom 28. Juli bis 3. August 81 Er¬ 
krankungen und 3 Todesfälle; vom 4. bis 10. August 126 Erkrankungen 
und 10 Todesfälle; vom 11. bis 17. August 81 Erkrankungen und 
1 Todesfall; vom 18. bis 24. August 75 Erkrankungen und 3 Todes¬ 
fälle; vom 25. bis 31. August 65 Erkrankungen und 1 Todesfall. — 
Oestereich-Ungam. In Ungarn wurden in der Zeit vom 19. bis 
25. August 5 Erkrankungen und 1 Todesfall in der Stadt Pest ge¬ 
meldet; vom 26. August bis »1. September wurden 5 Erkrankungen 
und 1 Todesfall angezeigt. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 15. bis 21. September 
sind 1513 Erkrankungen und 180 Todesfälle gemeldet worden. Für 
die Woche vom 8. bis 14. September wurden 79 Erkrankungen und 
9 Todesfälle nachträglich gemeldet. Für die Woche vom 1. bis 
7. September wurden nachträglich gemeldet 3 Erkrankungen. 

— In der 38. Jahreswoche, vom 15. bis 21. September 1918, 
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste 
Sterblichkeit Gotha mit 39,2, die geringste Ulm mit 8,5 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Kiel. Dem Privatdozenten für Physiologie, Dr. Otto Meyer- 
h o f aus Hannover, ist das Prädikat Professor verliehen worden, (hk.) 

Marburg. Zum Nachfolger des Geheimrats König auf dem 
Lehrstuhl der Chirurgie in Marburg ist der a. o. Professor und Ober¬ 
arzt an der chirurgischen Klinik der Universität Strassburg, Dr. Nikolai 
G u 1 e k e, -berufen, (hk.) 

Münster i. W. Aerztliche Vorprüfung an der 
Universität. In dem vergangenen Prüfungsjahr (1. Oktober 1917 
bis 30. September 1918) haben an der Universität Münster i. W. im 
ganzen 164 ärztliche Vorprüfungen stattgefunden, das sind bedeutend 
mehr als im letzten Friedensjahr, in welchem 137 Vorprüfungen vor¬ 
genommen wurden. Diese hohe Zahl erklärt sich durch die beiden 
von aus dem Felde und Sanitätsdienst abkommandierten Medizinern 
zahlreich besuchten Vorbereitungskurse mit anschliessenden Prü¬ 
fungen, welche im vergangenen Jahre an der Universität Münster 
stattgefunden haben. Unter den 164 Vorprüfungen waren 20 erste 
und eine zweite Wiederholungsprüfung, die übrigen Vollprüfungen. 
Von den 164 Prüflingen bestanden 24 nicht. Von den 136, welche 
bestanden, erhielten 51 das Prädikat „sehr gut“, 65 das Prädikat 
„gut“, die übrigen „genügend“. Unter den Prüflingen befanden sich 
8 weibliche, welche sämtlich bestanden. — Zahnärztliche 
Vorprüfung an der Universität Münster. In dem ver¬ 
gangenen Prüfungsjahr (1. Oktober 1917 bis 30. September 1918) haben 
5 zahnärztliche Vorprüfungen stattgefunden, darunter 2 erste Wieder¬ 
holungsprüfungen. 4 Kandidaten bestanden und zwar einer mit dem 
Prädikate „sehr gut“, 2 mit dem Prädikate „gut“ und einer mit 
„genügend“. 

Würzburg. Der a. o. Professor für Nasen- und Kehlkopf¬ 
krankheiten Dr. Otto Seifert wurde zum ordentlichen Professor 
ernannt. 

Dorpat. Die Zahl der Studierenden an der Dorpater Uni¬ 
versität hat bereits 500 überschritten. Dazu kommen 100 Nicht- 
immatrikulierte, so dass bereits 600 Studierende die Universität be¬ 
suchen. 

Berichtigung. In meiner kleinen Mitteilung über Er¬ 
fahrungen an über 1000 Malariafällen in der Heimat, M.m.M. Nr. 38, 
S. 1047, fusst meine Bemerkung über eine eventuelle parasitotrope 
Wirkung des Arsazetins auf der irrtümlichen Annahme des Arsazetins 
als äthylisiertes Atoxyl. Das Arsazetin ist, wie ich nachträglich erfahre, 
das azethylisierte Atoxyl. Der Irrtum kam durch einen Druckfehler 
in einer Mitteilung über Arsazetin. — Die Wirkung des Arsazetins 
als Provokationsmittel der Malaria wird durch diese Feststellung 
nicht berührt, da diese auf der mächtigen Anregung der Blutneu¬ 
bildung 'beruht. Oberstabsarzt Dr. May. 


fladankat dar Münchner AarztUchan KriapfcHfakassa! 

Einzahlungen sind zu machen auf das Scheckonto Nr. 9263 der 
Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse bei der Bayer. Hypotheken- 
und Wechselbank, München, Theatinerstrasse 11. 


Vartag «w ]. F. Lehmann In Mtaehn 8.W. 2, Paul Hejaestr. 26. — Druck von E. Mttdthslcr'i Buch- und Kunstdrucken! A.Q., 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 








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MÜNCHENER 


Ünsendaaren sind za itcnfi 
Für die Schrfftleftuag: AinaUstr.26 

Für Bezog: an I. F. Lehmann’* '_ . _ 

Für Anzeigen and Beilagen: an Rudolf Mosse, 


> (Sprechstunden »H—l Ührl 
Verlag, Paul Heysestrasae 2k 
idolf Mosse, Theatinerstrasse A 


Medizinische Wochenschrift. 

OROAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 42. 15. Oktober 1918. 

Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 

65. Jahrgang. 

Der Verleg behilt sich du ausschliessliche Recht der Vervielfältigung and Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum 

i Abdruck gelangenden Originalbdtrige vor. 


Originalien. 

Aus der Heidelberger Kinderklinik. 

Das erste Trimenon 1 ). 

Von Prof. E. Moro. 


Aus der Periode des SäugHngsalters lässt sich neben der Neu- 
geborenenzeit ungezwungen noch ein weiterer klinisch und bio¬ 
logisch markanter Abschnitt herausheben -und gesondert betrachten: 
Die ersten drei Monate. 

Escherich hat einmal gesagt, die Entwicklung des Kindes 
gehe sprunghaft und ruckweise vor sich. Wer kleine Kinder zu be¬ 
obachten Gelegenheit hat, wird den Sinn dieser Behauptung verstehen 
und deren Richtigkeit bestätigen können. Ein derartiger und zwar 
sehr deutlicher Ruck nach vorwärts ereignet sich auch um die Wende 
des 1. Vierteljahres. Dem Laien ist er vielleicht weniger auffällig. 
Aber jeder Arzt, der mit den Besonderheiten des Säuglingsalters 
vertraut ist, weiss genau, dass zwischen einem Säugling von 2 oder 
3, und einem solchen von 4 oder 5 Monaten ein gewaltiger Unter¬ 
schied besteht; und jeder Arzt, der die künstliche Ernährung eines 
zarten Säuglings zu leiten hat, fühlt sich erleichtert, wenn er über 
das klippenreiche Stadium der ersten 3 Monate gut und ohne Zwischen¬ 
fall hinübergekommen ist. Denn nunmehr ist der Zeitpunkt zu er¬ 
warten, wo eine bis dahin auffallend stark ausgeprägte Labilität der 
Funktionen einer wesentlich grösseren Widerstandskraft auf allen 
Gebieten zu weichen beginnt. 

Die praktische Kinderheilkunde hat diesem Umstand bereits Rech¬ 
nung getragen und in der Indikationsstellung der einzelnen Milch- und 
Nährpräparaten spielen die ersten 3 Monate eine unverkennbare 
Rolle. Ich will davon absehen, dass fast in jedem Ernährungs- 
schema erst jenseits der ersten 3 Monate — anstatt wie bisher 
Schleim — Mehlabkochung als Verdürmungsflüssigkeit „erlaubt“ 
wird. Hingegen ist es interessant zu beobachten, wie bei gewissen- diä¬ 
tetischen Heilnahrungen ungünstige Erfahrungen sehr bald dazu ge¬ 
führt haben, einen anfangs weiter gefassten Indikationskreis einzu¬ 
engen und gerade die ersten 3 Lebensmoria te davon ausdrücklich 
auszuscheiden. So erging es der seinerzeit mehrfach verwendeten 
Ekzemsuppe Finkei Steins und ebenso verhielt es sich bis vor 
kurzem mit der ihr wesensverwandten Eiweissmilch. Auch die sonst 
so vortreffliche Malzsuppe wird in neueren Lehrbüchern „für Säug¬ 
linge unter 3 Monaten“ mit Recht als ungeeignet bezeichnet. Nun 
sind Eiweissmilch und Malzsuppe zwei Präparate von sehr verschie¬ 
dener Zusammensetzung und Wirkung; und dementsprechend ging 
auch die Mahnung zur Vorsicht in beiden Fällen von ganz verschieden 
gearteten Beobachtungen aus: 

Bei der Eiweissmilch — in ihrer ursprünglichen Form — die 
Gefahr einer langsam einsetzenden dystrophischen Störung; 
bei der Malzsuppe hingegen die Angst vor akuter Dyspepsie. 
Erst als man daran ging, den Kohlehydrat ge halt der Eiweissmilch 
beträchtlich zu erhöhen und jenen der Malzsuppe für junge Säuglinge 
entsprechend zu reduzieren, konnten auch diese Nährgemische der 
Eigenart des 1. Vierteljahres einigermassen angepasst werden. 

Im allgemeinen ist es ja geradezu merkwürdig, welch gewaltige 
Fehler in der Ernährung sich der menschliche Säugling gefallen 
lässt und wie lange er mit einer „Nahrung“ sein Dasein fristet, die 
jedes Tier entsprechenden Alters in kürzester Zeit zur Strecke 
bringen würde. Damit meine ich vor allem jenen auch heute noch so 
ausserordentlich beliebten diätetischen Ernährungsmodus, der am 
häufigsten dazu führt, was die Säuglingsernährungslehre als „par¬ 
tielle Inanition“ bezeichnet. Es vergeht fast keine Woche, wo man 
in der Ambulanz nirfit einen oder den anderen Säugling zu Gesicht 
bekommt, von dem man hört, dass er seit 2 oder 3 Wochen nichts 
weiter als Schleim erhielt. Mir sind Fäll-e bekannt, wo solche Hunger¬ 
kuren durch volle 6 Wochen d-urchgeführt wurden. Die betreffenden 
Säuglinge sahen zwar darnach aus — aber immerhin, sie sind am 
Leben geblieben und erwiesen sich in der Folge sogar als reparations¬ 
fähig. Solchen „Wundern“ begegnet man aber nur bei älteren Säug¬ 
lingen. Vor Ablauf der ersten 3 Monate bricht unter diesen Um¬ 
ständen die Katastrophe der Dekomposition früher herein. 


*) Vortrag, gehalten in der Sitzung vom 7. Mai 1918 des Natur- 
historisch-Medizinischen Vereins in Heidelberg. 


Nr 42. 

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Dazu bedarf es aber nicht immer so grober Verstösse gegen 
die Elemente der Ernähiungslehre. Auch kleinere Verschiebungen 
in der Zusammensetzung der Nahrung lösen in dieser ersten Lebens¬ 
periode oft bedrohliche Reaktionen aus. Vor allem relative Kohle¬ 
hydrat- und Salzarmut, die vom älteren Säugling längere Zeit hin¬ 
durch leidlich ertragen wird, pflegt hier von folgenschweren Gewichts¬ 
verlusten gefolgt zu sein; und darin eben lag der Grund der anfäng¬ 
lichen Misserfolge mit Eiweissmilch bei unter dreimönatigen Säug¬ 
lingen, von denen oben die Rede war. 

Fragen wir uns nach den Ursachen dieser gesteigerten 
Empfindlichkeit junger Säuglinge gegenüber der 
N ah rungs zusammen Setzung, so liegt die Antwort an¬ 
scheinend auf der Hand: Der Säugling ist eben- ein noch „unfertiger“ 
Organismus und je jünger sein Alter, um so ausgeprägter seine 
„Rückständigkeit“. Indes ist es nicht schwer, sich darüber klar zu 
werden, dass von -einer Rückständigkeit auch beim jungen Säugling 
nicht die Rede sein kann. Freilich, wenn der Begriff auf die art- 
widrige Ernährung mit Kuhmilch bezogen wird und ausserdem wo¬ 
möglich noch die Pflege zu wünschen übrig lässt, dann allerdings 
kann man den Eindruck gewinnen, dass der Säugling ein rück¬ 
ständiges Wesen ist. Da aber s«un Organismus unter den ihm von 
der Natur zugedachten Bedingungen im allgemeinen vorzüglich funk¬ 
tioniert, dürfen die vielgebrauchten Bezeichnungen „unfertig“ und 
„rückständig“ als verfehlt bezeichnet werden, v. Pfaundler und 
v. Jaschke leimen sie selbst für die Charakteristik des Neuge¬ 
borenen ab. Uebrigens wäre mit derartigen Redewendungen besten¬ 
falls nur eine Umschreibung der tatsächlichen Beobachtungen, keines¬ 
falls aber das erreicht, v/as man von einem Erklärungsversuch zu 
fordern berechtigt ist. 

Zu diesem Behüte wollen wir uns zunächst die Wachstumskurve 
des Säuglings vor Augen führen. Fig. 1 stellt die Gewichtskurve, 




Fig. 2 die Kurve des Längenwachstums dar, wie sie sich aus den 
von v. Pirquet zusammengestellten Durchschnittszahlen Cam¬ 
mer e r s für die ersten 6 Monate ergeben. Da sieht man auf den 
ersten Blick, dass die Kurven nach Ablauf der ersten 3 Monate um¬ 
biegen. Während beide -Kurven bisher steil in die Höhe gingen, wird 
nach 3 Monaten der Anstieg merklich flacher. Der Wachstumstrieb 
lässt jetzt mit einem Male nach — dieWachstumsintensität 
war in den -ersten 3 Lebensmonaten weitaus am 
grössten. Damit sind wir an einem wichtigen Punkt angelangt; 
denn es ist klar, je grösser die Wachstumsgeschwindigkeit, desto 
grösser auch die Forderungen, die der junge Säuger an die Nährstoff¬ 
lieferung stellen muss und zwar beziehen sich diese seine Ansprüche, 
nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität des pla¬ 
stischen Materials, wenn er mit dem Aufbau seiner Zellen und Ge¬ 
webe grosse Eile hat. Das geht sehr offenkundig aus älteren Unter¬ 
suchungen von Bunge und Abderhalden hervor, die bei rasch 
wachsenden Tieren (Kaninchen und Hunden) sogar eine nahezu 
völlige perzentuale Uebereinstimmung der Milchsalze mit der Gesamt¬ 
körperasche nachweisen konnten. Von solcher Kongruenz ist zwar 
beim Menschen, der von allen Säugetieren -die weitaus geringste 


Original from 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA 













1148 


MUENCHENEfc MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Wachstumstendenz zeigt (Verdopplung des Körpergewichtes beim 
Kaninchen nach 6, beim Hund nach 9, beim Menschen nach 180 Tagen), 
nichts mehr zu bemerken. Trotzdem glauben wir dieses Ergebnis im 
Prinzip verallgemeinern und*daraus die Annahme ableiten zu dürfen, 
dass auch beim Menschen — wie nicht anders zu erwarten — die 
Toleranz gegenüber Abweichungen von der natürlichen Norm in jener 
Zeit am geringsten sein muss, in der er am raschesten wächst. Die 
empfindliche Reaktion des jungen Säuglings auf anscheinend gering¬ 
fügige Fehler in der Nahrungszusammensetzung wird uns so, ohne 
Zuhilfenahme von Begriffen wie ..Rückständigkeit“ und „Unfertigkeit“ 
gut verständlich. 

Dazu kommt die leichte Lädierbarkeit der wasserbindenden 
Funktionen durch Ernährungsstörungen, die sich klinisch. einerseits 
in starken Gewichtsschwankungen, andererseits in der Neigung zu 
Oedemen äussert. Diese H y d r o 1 a b i 1 i t ä t ist in keinem Lebens¬ 
alter so ausgesprochen als innerhalb der ersten 3 Monate. Da aber 
brüske Schwankungen in den Wasserdepots, und zwar sowohl über¬ 
mässige Retentionen, als auch und ganz besonders rasche Abflutungen 
für den Säugling eine Gefahr bedeuten können, wird es begreiflich, 
dass dieser Zustand auch den Verlauf von Ernährungsstörungen 
gerade in dieser Entwicklungsperiode ungünstig beeinflusst. 

Was nun die Dyspepsie bei künstlicher Ernährung betrifft, so gilt 
dafür das gleiche, wie für die dystrophische Störung; das heisst, auch 
hier ist nicht das Krankheitsbild als solches charakteristisch für den 
jungen Säugling, sondern nur die Leichtigkeit mit der es zustande¬ 
kommt, und die Gefahr, dass es schon nach kurzem Bestände ernste 
Formen annehmen kann. 

Hingegen darf die Häufigkeit der Dyspepsie an der 
Brust in der Tat als eine Spezialität des 1. Vierteljahres betrachtet 
werden. An sich ist dieser Zustand nicht verwunderlich, weil die 
Frauenmilch infolge ihres Zucker- und Fettreichtums, dem nur sehr 
geringe Mengen der antidyspeptisch wirkenden Bestandteile (Eiweiss, 
Kalk) gegenüberstehen, bakterielle Gärungen in hohem Grade be¬ 
günstigt. Demgemäss gehören Gärungsprozesse im Dann von Brust¬ 
kindern, auch wenn sie gelegentlich einmal zu etwas zahlreicheren 
Entleerungen führen, durchaus in den Bereich der Norm. Der Vor¬ 
gang an sich ist also physiologisch. Pathologischen Charakter können 
indes die Reaktionen annehmen, die seitens des Säuglings erfolgen. 
Es gibt Säuglinge — und ihre Zahl ist nicht gering —, die bei Frauen¬ 
milch fortwährend Störungen aufweisen. Häufige, schleimig-zer¬ 
fahrene, sauer reagierende, grüngefärbte Stühle verbinden sich hier 
mit sichtlich schlechtem Befinden. Die Kinder sind unruhig, miss¬ 
launig, schreien fortwährend, haben offenbar Schmerzen und nehmen 
an Körpergewicht ab. Dazu kommt oft Erbrechen und Wundsein. 
Mit einem Wort, wir haben ein Krankheitsbild vor uns, das zwar 
nicht bedenklich ist, aber immerhin Beachtung verdient und in der 
Praxis eine grosse Rolle spielt Diesem Zustand, der als saure Dys¬ 
pepsie oder Kolik der Brustkinder bezeichnet wird, begegnet man 
fast ausnahmslos bei Säuglingen unter 3 Monaten. Später bekommt 
man solch primäre Dyspepsien bei natürlicher Ernährung kaum mehr 
zu sehen. Da aber Darmflora und Nahrungszusammensetzung auch 
bei älteren, Brustkindern gleichgeblieben sind, die Bedingungen für 
den Gärungsvorgang sich demnach nicht geändert haben, so ergibt 
sich folgerichtig der Schluss, dass die Ursache zur pathologischen 
Reaktion im jungen Säugling selbst gesucht werden müsse. Alle an¬ 
geführten Symptome sind Ausdruck einer über das normale Mass 
gesteigerten Peristaltik; und da dieser Mechanismus nervösen Ein¬ 
flüssen unterliegt, werden wir mit der Annahme kaum fehlgehen, dass 
das Nervensystem, das den Magendarmapparat 
versorgt und seine Funktionen leitet, in dieser 
frühen Lebensperiode eine erhöhte Reizbarkeit 
aufweist. 

Der Mindererfahrene sieht sich bei der Behandlung dieses Zu¬ 
standes in der Regel veranlasst, die Brustmahlzeiten zu reduzieren. 
Es ist ja in der Tat sehr naheliegend, zu meinen, dass Ueberfütterung 
dabei im Spiele sei. Damit kommt er aber häufig vom Regen in die 
Traufe; denn es ist wenig bekannt, dass auch Unterernährung an der 
Brust den gleichen Komplex von Erscheinungen auslösen kann. Legt 
man Frauenmilch zu, so wird der Zustand oft mit einem Schlage 
besser. Die Stühle werden seltener und homogener, das Kind be¬ 
ruhigt sich. Die „Unterernährungsdyspepsie an der 
Brust“ ist in ihrem Wesen noch wenig geklärt. Aber das eine 
steht fest, dass auch diese Form von Verdauungsstörung nur im 
1. Lebensquartal beobachtet wird. Zunächst denkt man vielleicht 
daran, dieses Zusammentreffen einfach damit erklären zu können, 
dass der Hypogalaktie wohl nur junge Säuglinge ausgesetzt sind. 
Später hat entweder die Milchmenge zugenommen oder man hat 
sich längst zur Beifütterung entschlossen. Indes scheint eine der¬ 
artige Täuschung nicht vorzuliegen. Ich habe vor einigen Jahren 
versucht, Unterernährungsdyspepsie mit abgedrückter Frauenmilch 
experimentell hervorzurufen. Erscheinungen von Dyspepsie waren 
aber nur bei ganz jungen Säuglingen erzielbar: etwas ältere Säug¬ 
linge zeigten das entgegengesetzte Verhalten — restlose Ausnützung 
und Pseudoobstipation. Wir haben es also offenbar mit einer nur 
der frühesten Altersstufe eigentümlichen Reaktionsweise zu tun, die 
wahrscheinlich auch mit der in den ersten Lebensmonaten vermehr¬ 
ten nervösen Erregbarkeit der Magendarmsphäre in Beziehung 
stehen dürfte. 

Auf gleicher Grundlage beruht das häufige S d e i e n und Er¬ 
breche n junger Brustkinder ohne Dyspepsie. Persistiert es län- 


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gere Zeit hindurch als isoliertes Symptom, daun sprechen wir von 
„habituellem“ Erbrechen; und kombiniert sich dieses mit äusserjjch 
wahrnehmbarer Versteifung und Peristaltik des Magens und mit 
Pyloruskrampf, so haben wir das bekannte Krankh-eitsbild des 
Gastro- bzw. P y I o r u s p a s m u s vor uns. Es liegt in der Natur 
der Sache, dass dieses Leiden, das den Säugling zu chronischem 
Hunger verurteilt, lebensbedrohenden Charakter annehmen kann. 
Aber das eine Gute hat es für sich, dass es nicht ewig dauert, viel¬ 
mehr bestimmt nach einiger Zeit zur spontanen Ausheilung gelangt. 
Das Bestreben der internen Behandlung ist also vor allem darauf 
gerichtet, das Leben des Säuglings bis dahin zu erhalten. Fragen 
wir uns nun, wann dieser kritische Wendepunkt zu gewärtigen ist. 
so erhalten wir darauf die Antwort: Etwa nach 3 Monaten. „Nach 
meiner Erfahrung scheint in den meisten (allerdings nicht in allen}, 
auch schweren Fällen die Wendung nach aufwärts, wenn auch nicht 
die Heilung, bis zum Ende des 3. Lebensmonates sich einzustellen“ 
(Heubner). „Der 3. Monat ist andererseits auch der Zeitpunkt, 
in welchem der Umschwung der Krankheitserscheinungen in Heilungs¬ 
fällen zu erfolgen pflegt“ (Ibrahim). Selbstverständlich ist dieser 
Zeitpunkt nur als ungefährer Termin anzusehen. Annähernd scheint 
er aber doch zu stimmen; auch unsere eigenen Erfahrungen führen 
zum gleichen Ergebnis. Von den 42 Pylorospasmusfällen. die in den 
letzten 7 Jahren an der Heidelberger Klinik in Behandlung Stauden 
und von denen 35 weiter beobachtet werden konnten, trat der Um¬ 
schwung zur Besserung und Ausheilung des Leidens nur 6 mal erst 
jenseits des 3. Lebensmonates ei-n. Und in der grossen Tabelle 
Ibrahims über die (bis 1908) operierten Fälle fanden sich unter 
136 nur 5, die älter waren als 12 W'ochen. 

Im Zusammenhang minder Dyspepsie stellt weiterhin eine ganze 
Reihe von Dermatosen, die für die erste Lebensperiode charak¬ 
teristisch sind. Zunächst die Intertrigo. Bei mangelhafter Pflege 
kann sich naturgemäss auch bei älteren Kindern Wunds ein- einstellen. 
Immerhin lehrt die Erfahrung, dass wir -der Intertrigo ad naies 
selbst bei längerdauerndeii Dyspepsien später nur mehr selten be¬ 
gegnen. Was aber vor allem auffällt ist die oft unheimlich rasche 
Ausbreitung dieses Hautausschlages bei jungen Säuglingen. Zunächst 
in der Glutealgegend lokalisiert beginnend, breitet sich die Dermatitis 
manchmal schon in wenigen Tagen nach oben bis zur Kreuzbein- mul 
Nabelgegend und nach unten über Ober- und Unterschenkel bis zu 
den Fersen und Fusssohlen aus. Die spezielle Dermatologie bezeich¬ 
net diese Form als Erythema gluteale. Das Integument ist hoch¬ 
rot, fühlt sich heiss an und glänzt zuweilen wie mit Firnis über¬ 
strichen. Sehr häufig kombiniert sich dieses Leiden mit übermässiger 
Talgabsonderung, vor allem mit starker Seborrhöe des Kopfes, die 
sich am Scheitel manchmal zu einem festen Krustenpanzer verdichtet. 
Man spricht dann von Erythema seborrhoicum. Ist aber die Ab¬ 
schuppung so intensiv, dass sich die Haut auch am Stamm und au 
den Extremitäten in breiten Lamellen ablöst, dann handelt cs sich 
um das, was Le ine r als Erythrodermia desquamativa beschrieben 
hat. Der Einfachheit halber fasse ich alle diese Sonderformen als 
Erythrodermie zusammen, da sie schliesslich doch nur graduelle 
Abstufungen ein und desselben Zustandes darstellen. Was uns aber 
hier am meisten interessiert, ist die Tatsache, dass die Erythrodermie 
jenseits des 3. Monates kaum mehr vorkommt. Unter 47 Fällen- der 
Heidelberger Klinik habe ich keinen einzigen gesehen, bei dem die 
Erythrodermie später auftrai; und nur 6 mal überdauerte die Derma¬ 
tose das erste Vierteljahr um wenige Wochen. Das hat einen dop¬ 
pelten Grund. Erstens spielt die dieser Lebensperi-ode eigentümliche 
saure Dyspepsie als ätiologisches Moment zweifellos eine bedeut¬ 
same Rolle; vor allem aber ist die Haut der jungen Säuglinge durch 
anatomische und funktionelle Besonderheiten ausgezeichnet, die als 
Voraussetzungen für das Zustandekommen .des eigenartigen Bildes 
aufzufassen sind. Die Zartheit der Epidermis, ihre unvollständige 
Verhornung und der Blutreichtum des Papillarkörpers bedingen eine 
ausserordentliche Empfindlichkeit der Haut und 
erklären ohne weiters das rasche Umsichgreifen der Entzündung. 
Dazu kommt die in den ersten Lebenswochen ausgesprochene Nei¬ 
gung zur Seborrhöe und die mangelhafte Entwicklung der 
Schweissdrüsen. beides Momente, die desquamative Prozesse der 
Haut in hohem Grade begünstigen. 

Dagegen ist die Neigung zu angioneurotischer Entzündung, die 
in. E. ein wesentliches Attribut der exsudativen Diafhese darstellt, 
in den ersen Lebensmonaten sehr gering. Das gilt sowohl für die 
Haut, wie für die Schleimhäute. Urtikaria und S t r o f u I u s 
z. B. habe ich in diesem Alter niemals beobachtet. Vielleicht hängt 
damit auch zusammen, dass man das typische Bild des 
Säuglingsekzems in dieser Zeit so selten zu Gesicht be¬ 
kommt. Unter 100 Fällen, bei denen ich in der Lage war die An¬ 
fänge des Ekzems genauer festzustelien, befanden sich nur 12, wo 
dieser Ausschlag in Form des trockenen ..Milchschorfs“ schon vor 
dem 3. Monat zum Vorschein kam. Bei allen anderen Kindern er¬ 
folgte die erste Eruption später, zumeist allerdings um die Wende 
des 1. Vierteljahres. Ueberhaupt scheint die vasomotorische Erreg¬ 
barkeit der Haut in den ersten Monaten keine sehr grosse zu sein. 

Mit diesen Feststellungen nähern wir uns bereits einer weiteren 
Frage, die uns im Rahmen unserer klinischen Betrachtungsweise nicht 
weniger interessiert: Gibt es Krankheiten, die im späteren Säuglings¬ 
alter häufig, bei Kindern unter 3 Monaten hingegen gar nicht oder 
nur vereinzelt auftreten? Die pathologische Physiognomie eines be¬ 
stimmten Lebensalters wird eben nicht allein durch das Vorkommen. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


15. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1149 


sondern auch durch das Fehlen markanter Krankheitsbilder bedingt. 
Wenn wir beispielsweise sehen, dass im Säuglingsalter Schmierinfek¬ 
tionen, wie Impetigo und Helminthen oder aber die sog. akuten 
Exantheme so selten und rheumatische Affektioneu gar nicht Vor¬ 
kommen. Krank heitsproz-esse, denen wir später im Spielalter resp. 
beim Schulkind sozusagen auf Schritt und Tritt begegnen, so hat 
solch ein negatives Ergebnis auf das Zustandekommen der klinischen 
Physiognomie der Säuglingszcit einen ähnlichen Effekt, wie etwa 
die Häufigkeit und Schwere von Ernährungs- und Verdauungsstö¬ 
rungen. Wie steht cs nun in dieser Hinsicht mit den ersten 
3 Monaten? 

Auch dies trifft zu, und zwar in sehr charakteristischer Weise. 
Rachitis und Spasmop hilie, die beide ausserordentlich häu¬ 
tige, ja gewissermassen spezifische Krankheitsformen der ersten 
Kindheit darstellen, fehlen dem 1. Lebensquartal fast 
vollkommen. Vereinzelte Ausnahmen von diesem Verhalten be¬ 
anspruchen auch heute noch kasuistisches Interesse (Wolf f). Die 
Kraniotabes z. B., ein als Frühsymptom florider Rachitis hoch- 
geschätztes Zeichen, sehen wir kaum jemals vor Abschluss des 
3. Monates erscheinen; ja man hat sich in der Praxis daran gewöhnt, 
Erweichungsstellen der Schädelknochen, die vor dieser Zeit zu kon¬ 
statieren sind, kurzerhand als „angeborenen Weichschädel“ anzu¬ 
sprechen, eine Wachstumsanomalie, die mit der Rachitis nichts zu 
tun haf. Und ähnliches gilt von der Spasmophilie. Treten Krämpfe 
vor dem 3. Monat auf, so wird man zwar die spasmophile Natur der¬ 
selben nicht mit apodiktischer Sicherheit ausschliessen, man wird 
aber gut daran tun, in solchen Fällen stets und in erster Linie an 
eine andere Grundlage zu denken. 

Dieses zeitliche Zusammentreffen von Rachitis und' Spasmophilie 
ist kein zufälliges. Zwischen beiden Krankheitsprozessen bestehen 
zweifellos engste Beziehungen mannigfacher Art. Zunächst einmal 
die klinische 'Beobachtung, dass sich bei Spasmophilie fast ausnahms¬ 
los Zeichen von Rachitis nachweisen lassen. Das ist eine seit langem 
bekannte Tatsache; und der Ausspruch von Kassowitz: „Kein 
Laryngospasmus ohne Rachitis“ ist viel älter als die klinisch eminent 
wuchtige Feststellung von Esch er ich und Loos: „Kein Laryngo¬ 
spasmus ohne Tetanie“. Zumindestens aber pflegt ein Symptom, 
sehr häufig sogar als isoliertes Zeichen, bei spasmophilen Säuglingen 
vorhanden zu sein: die Kraniotabes. Das ist mir schon immer auf¬ 
gefallen, und selbst in den seltenen Fällen, wo sich die Spasmophilie 
gelegentlich einmal bei einem ausschliesslich an der Brust genährten 
Säugling manifestiert, habe ich dieses Symptom bezeichnenderweise 
bisher niemals vermisst. Tritt Kraniotabes vorübergehend als iso¬ 
liertes Zeichen auf, dann bleibt es allerdings noch fraglich, ob wir 
das Recht haben, solche Fälle klinisch bereits als Rachitis aufzufassen. 
Sicher ist hingegen, dass, falls sich mit einem Male Erweichungs¬ 
stellen am Knoch-ensystern etablieren, der Betrieb des Kalkhaus- 
haltes offenbar nicht so beschaffen ist, wie er sein sollte. 

Damit kommen wir auf ein weiteres verbindendes Moment zu 
sprechen, nämlich auf die beiden Zuständen gemeinsame Störung 
des Kalkstoffwechsels, die einerseits mit der rachitischen Knochen¬ 
erkrankung, andererseits mit der spasmophilen Uebererregbarkeit 
des Gehirns und der Nerven im Zusammenhang steht. Das ist auch 
der Punkt, bei dem die Erwägungen einzusetzen haben, will man dar¬ 
über eine Vorstellung gewinnen, wieso Rachitis und Spasmophilie 
nicht vor dem Abschluss des 3. Lebensmonates, sondern eben erst 
jetzt oder gewöhnlich noch etwas später zur Beobachtung gelangen. 
Vieles spricht dafür, und ich bin geneigt dieser Annahme wesent¬ 
liche Bedeutung beizumessen, dass der junge Säugling über Kalk¬ 
reserven verfügt, die je nach der Grösse ihres anlagegemässen 
Bestandes früher oder später aufgebraucht werden. War nun 
dieses dem Neugeborenen auf seinen Lebensweg mitgegebenc 


| nicht angezeigt wäre, mit zweckentsprechenden Zulagen zur aus¬ 
schliesslichen Milchkost schon früher zu beginnen, als es zur Zeit 
zu geschehen pflegt. Damit meine ich nicht so sehr die Verordnung 
von Kalk und Eisen aus der Apotheke, als vielmehr die Beifütterung 
von Vegetabilien, die nicht allein durch ihren Reichtum an diesen 
Substanzen, sondern auch noch auf bisher unbekannte Weise, und 
zwar schon in geringen Mengen (Ergänzungsstoffe?) den Mineral- 
stoffwechsel günstig beeinflussen. 

Die Pädiatrie empfiehlt Gemüse und Fruchtsäfte als 
B e i k o s t erst nach dem ersten Halbjahr. Ange¬ 
sichts der eben erörterten Verhältnisse möchte 
ich es aber für richtiger halt eti, diesen willkürlich 
gewählten kalendarischen Termin um einige Mo¬ 
nate vorzuschieben, wenn wir sehen, dass in manchen Fäl¬ 
len die ausschliessliche Milchnahrung schon vor dieser Zeit insuffi¬ 
zient zu werden scheint und wenn wir in der Lage sind, diesem 
Manko durch zweckmässige Ergänzung abzühelfen. Gründe, die da¬ 
gegen sprechen w'ürden, existieren jedenfalls nicht; denn auch junge 
Säuglinge vertragen mässige Zulagen von Gemüse und Fruchtsäften 
sehr gut. Es handelt sich also lediglich darum, mit tiefeingewurzcl- 
ten Vorurteilen zu brechen. 

Freilich bin ich mir dessen bewusst, dass diese Schlussfolge¬ 
rungen vorläufig rein spekulativer Art sind. Aber wo in aller Welt 
sollen und können wir uns darüber Auskunft holen, wann beim 
menschlichen Säugling die Beifütterung einzusetzen hat? Wir wissen 
nicht einmal zu sagen, w'ie lange beim Menschen die ärtgemässe 
Säugungszeit dauert. Die Brutpflege des Menschen hat eben die 
Spuren natürlicher Urforderungen längst aus dem Auge verloren. 
Naheliegend wäre es vielleicht, sich über all diese Dinge bei Natur¬ 
völkern zu orientieren. Aber auch hier hat die Ueberlegung, -die 
an Stelle des Instinktes getreten ist, die von der Natur gezogenen 
Richtlinien offenbar schon ganz verwischt, wenn wir hören, dass 
man dort deshalb so lange stillt, um nicht so schnell wieder schwan¬ 
ger zu werden (P 1 o s s und Renz). Dazu kommt der Aberglaube, 
der nirgends so üppig gedeiht, wie gerade bei den Naturvölkern 
und der neben einer Fülle sonderlichster Ueberlieferungen auch auf 
die Pflege und Ernährung des Säuglings bestimmenden Einfluss nimmt. 

Neben diesem Schluss ergibt sich aber aus unserer Darstellung 
noch eine weitere Forderung von praktischer Bedeutung: D i e 
Säugung an der Brust, wenn irgend möglich, doch 
wenigstens 3 Monate lang durchzu führen. Wird über 
diese Zeit hinaus gestillt — um so besser: denn die mit der künst¬ 
lichen Ernährung verbundenen Gefahren sind auch dann noch mannig¬ 
faltig genug. Hamburger hat vor Jahren den Ausdruck „extra¬ 
uterine Abhängigkeit“ geprägt. Man versteht darunter jene 
Zeit, in der der Säugling naturgemäss auf die Ernährung an der 
Brust angewiesen ist. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, 
dass wir nicht wissen, wie lange diese Periode beim Menschen dauert. 
Wahrscheinlich erstreckt sie sich auf viele Monate. Vielleicht ist das 
Erscheinen der ersten Zähne ein Zeichen, dass sie mit diesem Zeit¬ 
punkt geringer zu werden beginnt. Aber dass sie mindestens d i e 
ersten 3 Monate eine vollkommene und strikte ist 
und dass ein Abstillen vor dieser Zeit eine der brutalsten Gewalttaten 
gegen die Natur bedeutet, darüber besteht m. E. kein Zweifel. 


Zum Schlüsse möchte ich Ihnen noch über eine kleine Beobach¬ 
tung berichten, die mir im Zusammenhang mit unseren heutigen Be¬ 
trachtungen beachtenswert erscheint. 

Legt man einen jungen Säugling auf den Wickeltisch und 
schlägt man zu beiden Seiten mit den Händen auf das Kissen, so er¬ 
folgt ein eigenartiger B e w c g u n g s r e f I e x, der ungefähr folgen- 


Depot knapp bemessen, dann ist es bald erschöpft — 
zuweilen schon nach ungefähr 3 Monaten — und es 
treten Störungen und Unregelmässigkeiten der Mineral¬ 
bilanz auf, die sich klinisch teils am Knochen, teils am 
Nervensystem zu erkennen geben. Ja, angesichts des 
charakteristischen Komplexes Spasmophilie und Kranio¬ 
tabes, die anatomisch nicht so sehr auf mangelhafter 
Verkalkung, als vielmehr auf Halisterese, auf Kalkabbau 
beruht, gewinnt man fast den Eindruck, als würde der 
Organismus in dieser Zeit vom Stützgewebe borgen, um 
das zu ungunsten des Kalkes verschobene Ionengleich¬ 
gewicht des Nervensystems möglichst wieder herzustellen. 

Die Annahme der Bildung von Kalkdepots, also von 
Kalkaufspeicherungen seitens dos Kindes über den 
momentanen Bedarf hinaus, hat um so mehr für sich, 
als man weiss, wie sehr einerseits der mütterliche Orga¬ 
nismus gerade in den letzten Wochen der Schwanger¬ 
schaft an Kalk verarmt und wie regelmässig anderer¬ 
seits gerade bei Frühgeburten, für die zum Sammeln 
solcher Reservevorräte offenbar nicht mehr genügend 
Gelegenheit bestand, Rachitis oder rachitisähnliche 



Fig. 3. Fig. 4. 


Symptome zutage treten. Dazu kommt die auffallende Kalk- ; dermassen verläuft: Beide Arme fahren symmetrisch auseinander, 
armut der Menschenmilch, die einzelne Autoren sogar zu 1 um sich hierauf unter leicht tonischen Bewegungen im Bogen wieder 


einer Art Anklage gegen die Natur veranlasst hat, dass der Kalk- 1 annähernd zu schliessen. Ein ähnliches motorisches Verhalten zeigen 
gehalt der Frauenmilch z u gering sei. Das ist zwar eine biologisch i gleichzeitig beide Beine (s. Fig. 3). 

unhaltbare.Vorstellung; aber alle diese Punkte zusammengeuommen Am schönsten ausgeprägt ist der Reflex in den ersten Lebens¬ 


geben doch zu denken — zumal bezüglich des Eisens ähnliche V-er- wochen. Nach einigen Monaten wird er undeutlicher und unsicherer, 
hältnisse vorzuliegen scheinen — und es ergibt sich die Frage, ob es uni endlich ganz zu erlöschen. J e n s e i t s d e s 1. V i e r t e 1 j a h r c s 



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115U 


MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 42. 


ist er kaum mehr auslösbar; nur bei Frühgeburten kann 
er etwas länger bestehen bleiben. 

Zur Auslösung des Reflexes bedarf es aber nicht immer der 
oben beschriebenen Manipulation. Die gleichen Bewegungen voll¬ 
ziehen sich zuweilen auch gelegentlich des Aufwickelns oder nach dem 
Erwachen. Zweifellos hängt das Phänomen mit dem Erschrecken des 
Säuglings zusammen. Unverständlich bleibt nur der eigenartige Be¬ 
wegungstypus, da er entgegen allen Abwehrreflexen zunächst jede 
Zweckmässigkeit vermissen lässt. 

Dieser Bewegungsreflex ist mir schon vor vielen Jahren aufge¬ 
fallen. Zu einer befriedigenden Deutung seines Wesens bin ich aber 
erst kürzlich gelegentlich der Lektüre von F. D o f l e i n s Tierbio¬ 
logie 2 ) geführt worden. 

Darin (S. 659) macht Dof lein den Versuch, diie Säuglinge des 
Tierreichs nach gewissen Besonderheiten ihrer Brutpflege in vier 
Gruppen einzuteWen; und zwar unterscheidet er: 1. Beutelsäuglinge, 
2. Lagersäuglinge, 3. Brustsäuglinge, 4. Laufsäuglinge. 

Die „Beutelsäuglinge“ bringen einen grossen Teil ihrer Säug¬ 
lingszeit im Beutel der Mutter zu (Beispiel: Beuteltier). 

Für die „Lagersäuglinge“ wird von der Mutter schon vor der 
Geburt ein Nest hergerichtet, in dem die hilflosen, anfangs vielfach 
noch blinden Jungen durch mehrere Wochen geborgen bleiben (Bei¬ 
spiel: Katze, Kaninchen). 

Die „Brustsäuglinge“ werden zwar in gut ausgebildetem Zu¬ 
stand geboren, sind aber bezüglich Ernährung und Pflege ebenfalls 
längere Zeit von der Mutter abhängig (Beispiel: Fledermaus, Affe, 
Mensch). 

Die „Laufsäuglinge“ sind völlig entwickelt, laufen schon gleich 
nach der Geburt dem Muttertier nach und nehmen neben der Brust, 
zuweilen schon am ersten Tage, Vegetabilien zu sich (Beispiel: Meer¬ 
schweinchen, Huftiere). 

Die Reihenfolge der Gruppen entspricht dem Grad der extra- 
uterinen Abhängigkeit und steht naturgemäss im Verhältnis zur Dauer 
der Tragzeit. Je kürzer die Tragzeit, desto primitiver die Entwick¬ 
lungsstufe der Jungen und umgekehrt. So kommt es, dass bei den 
Beutel- und Lager Säuglingen (Tragdauer des Kaninchens 30 Tage) 
die Sorgfalt der postnatalen Fürsorge am weitesten geht, während 
bei den Laufsäuglingen (Tragdauer des Meerschweinchens 62 Tage) 
von einer eigentlichen Brutpflege kaum mehr die Rede ist. 

Die Brustsäuglinge, zu denen der Mensch gehört, vermitteln ge- 
wissermassen zwischen den Lager- und Laufsäuglingen. Sie über¬ 
treffen zwar in der Entwicklung des Körpers und der Instinkte in 
mancher Beziehung die Lagersäuglinge, trotzdem sehen wir sie im 
hohen Grade von der Mutter abhängig. Ein Lager ist für sie nicht vor¬ 
gesehen, vielmehr nehmen die betreffenden Arten sehr bald ein be¬ 
wegliches Leben auf. Da aber die Bewegungsfähigkeit 
oer Jungen zunächst wenig ausgebildet ist, müssen 
sievonder Mutter getragen werden. Und hier setzt das 
Charakteristikum der Brustsäuglinge ein, die daher besser und zu¬ 
treffender als „T r a g s ä u g 1 i n g e 3 )“ zu bezeichnen wären. „S i e 
sind alle durch eigenartige Anklamnrerungsin¬ 
st in kte ausgezeichnet. Die jungen Fledermäuse kommen 
schon mit einem ausgebildeten Milchgebiss zur Welt, dessen hacken¬ 
förmige Schneidezähne ihnen dazu dienen, sich im Felle der Mutter 
zu verankern. Die Halbaffen und manche Affen verwenden dazu 
den Schwanz. Bei den Affen ist ein ausgesprochener Klammerreflex 
vorhanden, der die Jungen geradezu zwingt, sich sofort mit den 
Fingern an dem Fell der Mutter festzuhalten“ (D o f 1 e i n). 

Die Art und Weise, wie sich der Affensäugling an der Mutter 
festhält, ersieht man aus A'bb. 4, die ein Orang-Utan weibchen mit 
seinem Jungen darstellt. Wenn wir uns nun vor Augen halten, wie 
der Bewegungstypus beschaffen sein muss, der zu dieser Festhaltung 
führt und wenn wir uns weiterhin daran erinnern, dass das Tragen 
des jungen Säuglings in dieser oder in ähnlicher Form beim Natur¬ 
menschen auch heute noch üblich ist, so ist wohl kaum daran zu 
zweifeln, das wir Im charakteristischen Bewegungsreflex junger 
Säuglinge Andeutungen eines n a t ü r 1 i' c h en UmkUmme- 
rungsreflexes zu erblicken haben und dass das beschriebene 
Phänomen als atavistische Erscheinung aufzufassen sein dürfte 4 ). 

Trifft diese Deutung zu, dann muss es uns aber umsomehr inter¬ 
essieren, zu sehen, dass der Reflex gerade nach ungefähr 3 Monaten 
vorschwindet. Der junge Säugling bringt so ge wissermassen selbst, 
seine in dieser Zeit besonders stark ausgeprägte Abhängigkeit von 
der Mutter in sinnfälligster Weise zum Ausdruck. 


2 ) Hesse-Doflein: Tierbau und Tierleben. II. Bd.: Das Tier 
als Glied des Naturganzen. Teubners Verlag 1914. — Auch der 
Physiologe Pr eyer, in dessen Buch über „die Seele des Kindes“ 
ich den einzigen Angaben über derartige typische Reflexbewegungen 
bei Säuglingen nach Erschrecken (gleichzeitiges Erheben beider 
Arme und Schliessen beider Augen nach einem plötzlichen Eindruck 
S. 142) begegnete, findet dafür keine Erklärung: „Es muss von Anfang 
an dieser Reflexmechanismus, welcher die Motoren der Extremitäten 
mit den Sinnesorganen verknüpft, leicht ansprechen, obgleich kein 
unmittelbarer Vorteil für das Kind angebbar ist“. 

a ) Den Ausdruck verdanke ich Herrn Prof. R ö s s 1 e - Jena. 

4 ) Die bekannte Neigung junger Säuglinge, dargebotene Gegen¬ 
stände krampfhaft zu umgreifen, beruht, wie Do fl ein meint, wahr¬ 
scheinlich auf gleicher Grundlage. 


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Ruhrkomplikationen und ihre Behandlung. 

Von Dr. Scheraensky, Ass.-Arzt ander medizinischen Klinik 
Frankfurt a. M., zurzeit Ass.-Arzt d. L. an einem Knegs-Laz. 

Ein zahlreiches Ruhrmaterial, das ich in diesem Sommer be¬ 
handelte, gab mir Gelegenheit, besonders die Komplikationen, die im 
Verlaufe der Erkrankung auftraten, zu beobachten und mich mit 
ihrer Behandlung ziu beschäfigen. 

Das akute Ruhrstadium bot keine Besonderheiten im klinischen 
Bilde, auch die Behandlung bzw. ihre Erfolge unterschieden sich 
nicht von dem aus der Literatur Bekannten, weswegen ich mich da¬ 
mit nicht befassen will. 

Die im Verlauf der Ruhr bzw. in der Rekonvaleszenz beobachte¬ 
ten Komplikationen zeigten mir aber eine Reihe interessanter Einzel¬ 
heiten, lauf diie, bzw. auf die dabei eingesoMagene Therapie ich kurz 
eingehen will. 

Dorendorf [1] hat in jüngster Zeit übeT die bei -der Ruhr wohl 
häufigste Komplikation, den Ruhr-Gelenkrheumatismus, ausführlich 
berichtet. 

Auch ich habe ebenso wie er die Erfahrung gemacht, dass vor¬ 
wiegend die Extremitätengelenke befallen werden und unter ihnen 
wieder die grossen häufiger als die kleinen, die Beingelenke häufiger 
als die Armgelenke, rechts häufiger als links. Ausgenommen ist je¬ 
doch kein Gelenk von der Erkrankung, wie sich auch aus Doren¬ 
dorf s Beobachtung ergibt. 

Die Erkrankung. auftretend in meinen jsämtlichen Fällen in der 
Rekonvaleszenz, beginnt in den meisten Fälleu in einem oder höch¬ 
stens zwei Gelenken, wobei das Kniegelenk fast stets beteiligt ist, 
kann sich allmählich ausdehnen auf sämtliche Bein- und Armgelenke, 
im allgemeinen werden aber weniger Gelenke befallen wie beim 
akuten Gelenkrheumatismus, von dem der Ruhrrheumatismus sich 
ausserdem noch unterscheidet durch die viel grössere Hartnäckigkeit 
der 'Schwellungen sowohl wie der Schmerzen. Die Schwellung wird 
hervorgerufen meist durch Gelenkergüsse, seltener periartikuläre Er¬ 
güsse, die sehr stark sein können-; ihre Schmerzhaftigkeit fand ich 
nicht so gross wie die der akuten Gelenkrheumatismen, jedoch viel 
länger anhaltend, es fehlt das Flüchtige der Erscheinungen. Punktiert 
man die Ergüsse, so findet man eine trübseröse, ziemlich rasch ge¬ 
rinnende Flüssigkeit, im Sediment sind reichlich polynukleäre Leuko¬ 
zyten, zum Teil mit Kernzerfall, und wenig Lymphozyten. Entzünd¬ 
liche Rötung oder Schwellung sahen wir im Gegensatz zu Dören- 
'd o r f im keimem einzigen unserer Fälle. Reime Arthralgien ohne 
Schwellungen kamen nur vereinzelt vor, wurden jedoch auch sicher 
beobachtet. 

Ausser dieser gelenkrheumatischen Komplikation traten in 
2 Proz. meiner Fälle zum Teil sehr hartnäckige Muskelrheumatismen 
auf, die die Muskeln wahllos befallen können, mit Ausnahme der Arm¬ 
muskulatur, wo ich sie in keinem Falle sah. Vielfach wandert der 
Schmerz, tritt bald hier bald dort auf. die betr. Muskelpartien sind 
oft äusserst druckschmerzhaft, und ist die Nackenmuskulatur er¬ 
griffen^ so bleibt er namentlich im dieser sehr hartnäckig bestehen. 

Auch dieser Muskelrheumatismus tritt ebenso wie die Gelenk¬ 
affektion in der Rekonvaleszenz auf, meist allein, in wenigen Fällen 
in Verbindung mit Gelenkschwellungen. Auch die Sehnenscheiden, 
namentlich an der Beugeseite des Kniegelenks, waren öfter ergriffen 
und führten zu lästigen Gehbeschwerden. Rechnet man die Muskel¬ 
erkrankungen mit zum sog. Ruhrrheumatoid, so trat es in 4,4 Proz. 
meiner Fälle auf, eigentliche Gelenkrheumatismen sah ich in 2,4 Proz., 
eine Zahl die ungefähr übereinstimmt mit der von Jochniann in 
seinem „Lehrbuch der Infektionskrankheiten“ angegebenen. 

Die Temperatur war bei sämtlichen Gelenkrheumatismen mit 
einer Ausnahme erhöht, erreichte meist nur mittlere Höhe um 38, 
ging in einzelnen Fällen jedoch bis 39,5. Die Muskelrheumatismen 
verliefen im Gegensatz dazu afebril mit Ausnahme der Fälle mit Be¬ 
vorzugung der Nackenmuskulatur, die wochenlang subfebrile Tem¬ 
peraturen um 37,5 hatten. Dass es sich dabei nicht um andersartige, 
z. B. typhöse Erkrankungen handelte, wurde durch die entsprechen¬ 
den bakteriologischen Untersuchungen erwiesen. 

Die Therapie der rheumatischen Gelenk- und Muskelerkran¬ 
kungen wird als wenig dankbare von den meisten angesehen. Auch 
ich machte die Erfahrung, dass die üblichen Antipyretika keinen 
nennenswerten Einfluss auf die Erkrankung ausübten, wenn auch in 
einzelnen Fällen ein geringes, jedoch nur vorübergehendes Nach¬ 
lassen des Schmerzes eintrat. 

Audi von örtlicher Heissluftbehandlung, Schwitzprozeduren 
durch heisse Bäder sah ich keine durchgreifenden Erfolge. Zwar 
wirkten sie symptomatisch auf den Schmerz oft günstig ein, jedoch 
blieben die Ergüsse trotzdem wochenlang wie bei den andern Fällen 
bestehen, auch die Schmerzen wurden auf die Dauer nicht beseitigt, 
eine Einwirkung auf die meist starke Bewegungsbehinderung sah 
ich infolgedessen audi nicht. Günstig schienen mir jedoch oft 10 proz. 
Ichthyoleinwicklungen der Gelenke zu wirken, indem in einer Reihe 
von Fällen die Gelenkergüsse deutlich kleiner wurden, auch die 
Schmerzhaftigkeit nachliess und die Beweglichkeit der Gelenke 
freier wurde. 

Den eklatantesten Erfolg aber, der in keinem einzigen Falle ganz 
ausblieb, gab die Serum behänd Inn g, und wenn ich auch nicht so 
glänzende Erfolge hatfe, wie sie Rose [2] aus dem Festungslazarett 

Original fro-m 

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15. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1151 


Strassbur ff berichtet, so sah ich doch auch entschiedene Besserung 
danach eintreten. 

Ich benutzte ebenso wie Rose polyvalentes Ruhrserum, nur 
gab ich intramuskulär etwas grössere Dosen, 40 ccm, in ev. Abstän¬ 
den von 2—3 Tagen bis zu 4 mal. Das am meisten in die Augen 
Springende war ein schon am nächsten Tag nach der Einspritzung 
bedeutendes Nachlassen der Gelenkschmerzen und eine freiere Be¬ 
weglichkeit der Gelenke, so dass Patienten, die wochenlang zu Bett 
lagen und nicht auftreten konnten, bereits am dritten Tage das Bett 
verlassen und sich frei bewegen konnten. 

Keinen deublichen Einfluss sah ich auf die Gelenkergüsse, sie 
hießen sich in gleicher Stärke, schwanden auch nicht rascher unter 
der Serumbehandlung. Die besten Erfolge zeigten dementsprechend 
die Fälle, in denen die Schwellungen ganz oder fast geschwunden 
waren, die aber hauptsächlich infolge der Schmerzen noch eine 
starke Bewegungs- und Gehbehinderung hatten. Ich kann mit 
Dorendorf nicht * übereinstimmen, der sagt, dass ausgiebige 
Serumanwendung «das Ruhrrheumatoid in keiner Weise beeinflusste. 
Die Wirkung halte ich für eine spezifisch antitoxische, indem die 
Gelenkerkrankungen durch die Toxine bedingt sind, denen durch das 
Serum Antitoxin entgegengesetzt wird, wobei es mir darauf an¬ 
kommt die genügende Antitoxinmenge einzuverleiben, worauf dann 
der eventuelle Erfolg oder Misserfolg eintritt. So berühen die Miss¬ 
erfolge anderer vielleicht auf ungenügender Dosierung der gegebenen 
Serummenge, bedingt durch die Unmöglichkeit, die jeweils im Körper 
vorhandene Toxinmenge und damit die entgegenzusetzende Antitoxin¬ 
menge vorher zu bestimmen. 

Ein besonderes Augenmerk richtete ich bei den Ruhrkranken 
auf das Herz. Ich bin auf Grund meiner Beobachtung zu dem 
Schluss gekommen, dass eigentliche Herzerkrankungen im Verlauf 
der Ruhr nur äusserst selten Vorkommen, auch nicht bei Ruhrrheuma¬ 
toid irgendwie zu befürchten sind, ganz im Gegensatz zum Gelenk¬ 
rheumatismus. Nur in einem »einzigen Falle beobachtete ich bei einem 
älteren Soldaten in der Rekonvaleszenz eine leichte myokarditische 
Störung, die sich in einer etwa 3 Wochen anhaltenden leichten 
Irregularität der Herztätigkeit äusserte, ohne dass der Patient Be¬ 
schwerden angab. 

Subjektive Herzbeschwerden zeigten sich in der Rekonvales¬ 
zenz und auch auf der Höhe der Erkrankung bei einer Reihe von 
Kranken. Die Beschwerden bestanden in lästigem Herzklopfen und 
zeitweisem Herzstechen, Erscheinungen, die wir ia auch bei anderen 
Infektionskrankheiten in) der Rekonvaleszenz scheu, und die deswegen 
nichts für Ruhr irgendwie Charakteristisches darstellen, und die 
wir für leichte toxische Muskelschädigung bzw. Innervationsstörung 
anzusehen gewohnt sind. Objektiv fand ich in den Fällen ausser 
einer dauernden Pulsbeschleunigung bis zu 120, meist zwischen 100 
und 110, und vorübergehend einem ersten unreinen Spitzenton nichts 
Besonderes. Eine grössere Reihe von Patienten zeigte eine in der 
Rekonvaleszenz häufig auftretende sehr labile Herztätigkeit, eine 
starke Pulsbeschleunigung bei leichter Bewegung, ohne dass jedoch 
dabei Beschwerden geäussert wurden. All diese Erscheinungen 
gingen meist innerhalb einiger Wochen, längstens in 4 Wochen zu¬ 
rück, nur in wenigen Fällen sah ich sie länger andauern. Die mit 
subjektiven Beschwerden einhergehenden geringen Herzstörungen 
traten in 1,5 Proz. meiner Fälle auf, also in einem immerhin sehr 
geringen Prozentsatz. Als toxische Vagusreizung ist wohl die ver¬ 
einzelt beobachtete Pulsverlangsamung aufzufassen, die die Patien¬ 
ten nicht im geringsten belidinderfre und regelmässig «innerhalb von 
2—3 Wochen wieder verschwand. Am Herzen beobachtete ich da¬ 
bei nichts Besonderes, auch der Blutdruck hielt sich, wie überhaupt 
bei den Herzkomplikationen, in normaler Höhe, nur in wenigen Fäl¬ 
len sah ich ihn im Stadium der akuten klinischen Ruhrerscheinungen 
leicht 'erniedrigt, bis auf 105 systolisch. 

Therapeutisch wirkten bei den Herzerscheinungen Bettruhe, 
kühle Herzumschläge und Tct. Valeriana oft günstig, meist gingen sie 
auch ohne jede Medikation wieder zurück. 

Eine weitere Erscheinung, die mir in der Rekonvaleszenz auf¬ 
fiel, war die bei einem grossen Teil der Patienten vorhandene mehr 
oder weniger grosse Hämoglobinverminderung des Blutes. Von 50 
wahllos untersuchten Kranken hatten 40, also 80 Proz., eine Ver¬ 
minderung, wobei ich als unternormal einen Hämoglobingehalt unter 
80 annahm, von der Erfahrung ausgehend, dass bei den benutzten 
Sahli sehen Hämometern Werte von 80 etwa als normal anzusehen 
sind. Rechne ich einen Wert von 90 als normal, so bekam ich 
100 Pfoz. Hämoglobinverarmung. Leider war es nicht möglich, bei 
all den Fällen genaueren Blutstatus zu machen, doch gingen die 
Fälle, die ich daraufhin untersuchte, gleichzeitig einher mit einer 
mehr oder weniger grossen Verminderung der roten Blutkörperchen. 
So sah ich einmal bei einem Hämoglobingehalt von 54 Proz. 
2 820 000 rote Blutkörperchen, in einem andern 64 Proz. und 4 000 000, 
so dass ich den Schluss ziehen zu können glaube, dass auch in den 
andern Fällen diie Hämoglobinverarmung einherging mit einer Ver¬ 
minderung der roten Blutkörperchen. Aufzufassen sind diese Ver¬ 
änderungen des Blutbildes wohl als sekundäre Anämie, hervorgerufen 
durch die während des akuten Stadiums eingetretenen Blutverluste, 
wobei sehr auffiel, dass grössere Hämoglobinarmut auch in Fällen 
eintrat die während des akuten Stadiums keine makroskopisch be¬ 
sondere grossen oder langdauemiden Blutverluste haften. Auf diese 

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sekundäre Anämie sind auch eine Menge anderer Rekonvaleszenz¬ 
beschwerden zurückzuführen, wie wir sie auch bei der sekundären 
Anämie aus andern Ursachen finden, wie Müdigkeit und Schläfrig¬ 
keit, Flimmern vor den Augen, Ohrensausen, Schwindelgefühl. Auf 
die Anämie zuriickf(ihren möchte ich auch das Erbrechen als zen¬ 
trale Reizerscheinung; ich sah es in einigen Fällen durch lange 
Wochen beste'hejn und mit der Besserung dies Ailgeme-inzustamtes 
ohne besondere Therapie wieder verschwinden. Auch die in der 
Ruhrrekonvaleszenz vielfach auftretenden Magenbeschwerden halte 
ich für eine Folge der Anämie. Ich sah Magenbeschwerden, wie 
Druck in der Magengegend. Schmerzen nach dem Essen und auch 
unabhängig von den Mahlzeiten, zum Teil auch saures Aufstossen 
in 1,2 Proz. meiner Fälle; auch diese Patienten zeigten sämtlich 
herabgesetzten Hämoglobingehalt. Ebenso wie bei sonstigen An¬ 
ämien war in einem Teil der Fälle die Magensalzsäure, freie sowohl 
wie Gesamtsäure, vermehrt, in der Mehrzahl aber vermindert. 

Therapeutisch wurc^e in allen Fällen neben Salzsäure bzw. 
Natr.-bicarb.-Darreichung der Hauptwert auf entsprechende Diät 
gelegt, die bei Salzsäurevermehrung in Fleischentziehung, dagegen 
fett- und eiweissreicher Nahrung mit Gemüse, bei Salzsäureverminde¬ 
rung in häufigen kleinen, gut zerkauten Mahlzeiten mit wenig Ge¬ 
müse, magerem, feinem Fleisch und Vermeidung von Tohem Obst, 
Salat und Kommissbrot «in der Hauptsache bestand. 

Die interessanteste Komplikation «stellte eine Reihe von Oedemen 
dar, die sich zum Teil noch während der akuten Darmerscheinungen, 
meist jedoch nach Ablauf derselben zeigten und nur verhältnismässig 
kurze Zeit bestanden, in meinen Fällen 9—13 Tage. Die genaueste 
Untersuchung ergab in keinem Falle irgendwelche Anhaltspunkte für 
eine kardiale oder renale Ursache der. Oedeme, der Herzbefund eben¬ 
so wie der Blutdruck 'waren stets normal:, auch fast tägliche mikro¬ 
skopische Urin'kontrolle durch mehrere Wochen zieigte nie irgend¬ 
welche Abweichung von der Norm. Rumpf und Knack -haben 
Oedeme nach Ruhr beschrieben, über Oedeme in anderem Zu¬ 
sammenhang ist ausführlich im Laufe des Krieges von verschie¬ 
densten Seiten berichtet worden. . Ich erwähne nur die Haupt¬ 
arbeiten von Rumpel [3], Knack-Neumann [4], Hülse [5], 
Falta [6]. Die im Verlaufe der Ruhr beobachteten Oedeme sind 
wohl auf gleiche Stufe zu stellen mit den als selbständige „Kriegs¬ 
krankheit,, beschriebenen, indem sich auch bei ihnen eine Organ¬ 
veränderung, die von Oedemen gefolgt sein kann, nicht fand, und bei 
denen eine Infektionskrankheit, in unserem Falle die Ruhr, wohl 
als begünstigendes Moment anzusehen ist, die Oedeme aber nicht 
an das Vorausgehen einer solchen gebunden sind. Auch ich habe die 
als selbständige Krankheit auftretenden Oedeme im vergangenen 
Jahr in grosser Menge beobachtet und genau untersucht, an anderer 
Stelle werde ich darauf noch zurückkommen und in anderem Zu¬ 
sammenhänge auch auf die Ruhrödeme noch näher eingehen. Hier 
möchte ich nur meine wichtigsten Beobachtungen mitteilen, die ich 
bei den Ruhrödemen machte. Die Oedeme zeigten sich als Schwel¬ 
lung -im Bereich der Füsse und Unterschenkel, wobei die Knöchcl- 
gegend bevorzugt war, ferner als allgemeine Gesiohtsschwellung. 
jedoch nicht in allen Fällen; immer liess sich auch ein mehr oder 
weniger ausgesprochener Aszites feststellen. Irgendwelche Kno¬ 
chenschmerzhaftigkeit war nie vorhanden. Der Blutbefund ergab in 
allen Fällen neben einer Verminderung des Hämoglobins eine Herab¬ 
setzung der Zahl -der roten Blutkörperchen, die der weissen war 
normal. Dieser Befund ist wohl nur ein Ausdruck der durch die 
Ruhrdurchfälle hervorgerufenen Anämie. Im Blutausstrich fand sich 
mit Regelmässigkeit eine Lymphozytose bis zu 50 Proz., ein Befund, 
dem ich in diesem Zusammenhang keine weitere Bedeutung bei¬ 
messe, da ich gelegentlich ausgedehnter Blutuntersuchungen zu 
anderen Zwecket: hier im Osten die Erfahrung machte, dass ein 
grosser Teil unserer Soldaten, auch wenn sie keine besonderen 
Organveränderungen aufwiesen, eine mehr oder weniger ausge¬ 
sprochene Lymphozytose hatten. Ob hier nervöse Einflüsse eine 
Rolle spielten, möchte ich dahingestellt sein lassen, es scheint mir 
aber wahrscheinlich und muss man jedenfalls aus diesem Grunde 
mit der Verwertung einer Lymphozytose sehr vorsichtig sein. Aus¬ 
gesprochene Bradykardie sah ich in einzelnen Oedemfällen, jedoch 
war sie von den Oedemen unabhängig, indem sie bereits vor Auf¬ 
treten derselben vorhanden war. 

Bei der Beobachtung der Nierenfunktion fiel zunächst eine starke 
Wasserausscheidung auf, die rn einzelnen Fällen bis zu 5 Litern täglich 
ging und in keinem Verhältnis stand zu der aufgenommenen Flüssig¬ 
keitsmenge. Sie war sowohl während der Oedemperiode als auch 
noch wochenlang nach äusserlichem Schwinden der Oedeme vor¬ 
handen. Die Kochsalzausscheidung war während der Oedem¬ 
periode nicht bei allen Patienten erhöht* -sie überstieg in den Fällen 
nicht 10—15 g pro die. In den meisten Fällen jedooh war sie im 
Ausschwemmungsstadium sehr stark gesteigert, erreichte Werte bis 
zu 35 g pro die, und auch nach Schwinden der Oedeme wurden noch 
täglich grosse Kochsalzmengen, bis zu 49 g, ausgeschieden. In einem 
meiner Fälle betrug noch 6 Wochen, nachdem Oedeme nicht mehr 
festzustellen waren, die täglich ausgeschiedene Kochsalzmenge ca. 
21 g. Die Nierenfunktionsprüfung nach Standardkost durch einige 
Wochen zeigte im Stadium der vermehrten Kochsalzausscheidung 
eine Beschleunigung und Erhöhung der Wasseraussebeidung bei 
herabgesetzter Konzentrations- selten auch der Verdünnungsfählgkeit. 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 42 


Die Jodausscheidung im Urin war in allen Fällen * normal, indem 
1 ff Jodkali spätestens nach 50 Stunden aus>geschieden war. Für 
eine Folge der Kricgsernähnung, die ja entschieden mit einer das 
normale Mass übersteiffenden Flüssigkeitszufuhr einhergeht, möchte 
ich die Polyurie nicht anselien wie Schiff f?l es bei der Oedem- 
krankheit tut, da die Oedeme erst im Anschluss an die eigentliche 
Ruhr auftraten und die Lazarettkost auch nicht mit einer das ge¬ 
wöhnliche Mass überschreitenden Fliissigkeitszufuhr einherging. Die 
Ursache der Rührödeme sehe ich, ebenso wie die meisten Autoren die 
der als selbständige Krankheit auftretenden Oedeme, in Ernährungs¬ 
störungen infolge der veränderten Kriegskost. Diese Ernährungs¬ 
störungen führen* zu extrarenalen Oefässschädigungen, die eine er¬ 
höhte Durchlässigkeit der Oefässe zur Folge haben; dazu kommt 
eine Schädigung der Kontraktions- und Dilatationsfähigkeit ins¬ 
besondere auch der Nierengefässe, und beide Momente zusammen 
führen dann zur Bildung von Oedemen. Die später einsetzende 
Polyurie und vermehrte Kochsalzaussoheidung ist im Sinne von 
S c h 1 a y e r f8l lediglich der Ausdruck einer Reizerscheinung, der 
Uebcrempfindlichkcit der Nierengefässe, die meiner Annahme nach 
auch eintreten kann bei klinisch nicht nachgewiesenen entzündlichen 
Nierenerscheinungen als reine nervöse Störung. Zu diesem Er¬ 
klärungsversuch passt auch sehr gut der Ausfall der Nierenfunktions¬ 
prüfung (s. c.). 

Therapeutisch erwies sich Bettruhe als völlig genügend, um 
die Oedeme in kurzer Zeit zum Schwinden zu bringen; irgendwelche 
Auswahl in deT Ernährung ist nicht nötir\ die Oedeme gingen zu¬ 
rück bei der gewöhnlichen Lazarettkost bzw. Ruhrdiät. 

Anhangsweise möchte ich noch kurz auf die Bakteriologie der 
Ruhr ein gehen. Wie bekannt befriedigen den Klunker die Ergebnisse 
der bakteriologischem Untersuchung sehr wendig, indem nur in einem 
verschwindend kleinen Prozentsatz von klinisch einwandfreier Ruhr 
die bakteriologische Untersuchung unsere Diagnose bestätigt. Mit 
der Ursache dafür will ich mich nicht befassen, nur eine technische 
Frage will ich erörtern. Während meines diesjährigen Aufenthaltes 
in Galizien wurde mir in mündlicher Aussprache von Österreichischen 
Aerzten gesagt, sie hätten bedeutend bessere Resultate, seitdem 
sie die Kulturen unmittelbar am Krankenbett mit frisch gelassenem 
Stuhl anlegten. Um mir ein eigenes Urteil zu bilden, stellte ich 
eine Nachprüfung an; etwa 100 Stu'hlproben strich ich von eben¬ 
gelassenem Stuhl direkt am Krankenbett aus, die Platten kamen nach 
10 Minuten Transport sofort in den Brutschrank, doch auch da liess 
mich die bakteriologische Untersuchung völlig im Stich. Nur ein 
einziges positives Ergebnis hatte ich. trotzdem ich nur Entleerungen 
mit Schleimbcimemrungen bei den Untersuchungen verwandte, so 
dass bei meinem Material die Resultate mit den in Stuhlröhrchen 
eingesandten und erst dann ausgestrichenen Stuhlproben no«'h bessere 
waren (2 Proz. positiv) als mit dem unmittelbar nach der Defäkution 
angelegten Kulturen. 

Zusammenfassung. 

1. Der Ruhrgelenk- und Muskelrheumatismus ist eine wichtige 
Nachkrankheit der Ruhr und unterscheidet sicli vom gewöhnlichen 
Gelenkrheumatismus durch seine grössere Hartnäckigkeit, jedoch ge¬ 
ringere Schmerzhaftigkeriit. 

Therapeutisch bewährt sich bei Ruhrgelenkrheumatismus poly¬ 
valentes Serum in event. öfteren Dosen von ca. 40 ccm. 

2. Horzerk rank urigen kommen im Verlaufe der Ruhr nur äusserst 
selten vor und wenn, dann nur vorübergehend. 

3. Sekundäre Anämie zeigt sich als Folge der Blutverluste durch 
den Stuhl. Auf sie sind eine Menge von Erscheinungen, wie Mattig¬ 
keit, Schwindelgefühl, Ohrensausen, Erbrechen und Magen¬ 
beschwerden zurückzuführen, die man öfters als lang anhaltende 
Beschwerden nach Ruhr sieht. 

4. Die im Gefolge der Ruhr beobachteten Oedeme sind auf 
gleiche Stufe mit den während des Krieges als selbständige Krank¬ 
heit beobachteten Oedemen zu stellen, bei der es zu extrarenalen 
Oefässschädigungen und einer Schädigung der Kontraktions- und 
Dilatationsfähigkeit insbesondere der Nierengefässe kommt. Beide 
Momente führen zu Oedemen. 

5. Die Resultate der bakteriologischen Untersuchung sind keine 
besseren beim Ausstreichen des frisch gelassenen Stuhles auf Platten 
unmittelbar am Krankenbett. 

Literaturverzeichnis. 

1. Dorendorf: 1. Med. Klinik 1917 Nr. 19. — 2. Rose, nach 
Dorendorf; ibidem. — 3. Rumpel: M.m.W. 1915 Nr. 30. — ! 
4. Knack-Neumann: D.m.W. 1917 Nr. 29. — 5. Hülse: M.m.W. 
1917 Nr. 28. — 6. Falt a: Referat M.m.W. 1917 Nr. 47 S. 15—39. — 

7. Schiff: a) W.m.W. 1917 Nr. 21. b) Referat M.m.W. 1917 Nr. 47. 
— 8. S c h 1 a y e r: a) D. Arch. f. klin. M. 90 u. 102. b) Habilitations¬ 
schrift „Ueber Nephritisödeme“ 1907. 


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Ueber einen einheitlichen Symptomkomplex unter den 
Nachkrankheiten der Ruhr. 

Von Stabsarzt d. L. K- Sick, Chefarzt eines Feldlazaretts 
(Qeh. San.-Rat und Krankenhausdirektor in Stuttgart). 

Aus der Reihe der verschiedenen Ruhrkomplikationen hebt sich 
eine (truppe von Erscheinungen heraus, die sich mehr als die sonst 
bekannten Folgezustände der Ruhr zu einem eigenartigen, scheinbar 
selbständigen Krankbcitsbiid Zusammenschlüssen. Wiewohl zahl¬ 
reiche Berichte über Ruhrerkrank engen solche Zustände streifen, so 
ist es doch berechtigt und notwendig, die Einheitlichkeit dieser 
Ruhrnachkrankheit kurz darzulegen. 

Es handelt sich um eine T r i a s v o n E r s c h e i u u u g c n: 

1. Entzündung von serösen Häuten, 

2. Entzündung von Schleimhäute n, 

3. Entzündung von Drüsen. 

Die Kombination der ersten zwei Störungen ist vielfach aufge- 
fallen, die dritte neben ihnen aber zu wenig beachtet worden. 

Zu 1: Am häufigsten sind die bekannten Gelenkentzün¬ 
dungen der Ruhr, ausserdem aber finden sich Erkrankungen des 
Endokards, am seltensten der serösen Häute des Brust- und 
Bauchfells. 

Zu 2: Die Schleimhautentziindungen betreffen zumeist (gleich¬ 
zeitig oder nacheinander) die A u ge n bind eh a u t und die Harn¬ 
röhre. In schlimmeren Fällen war Hornhaut und Regenbogenhaut, 
andererseits Blase und Vorhaut der Eichel mitergriffen. 

Zu 3: Die Beteiligung der Drüsen wird am häufigsten 
durch massige, manchmal aber doch sehr erhebliche Schwellung 
der Speicheldrüsen bemerkbar, ausserdem der Tränen- 
d r ii s e n, der M e i b o m s c h e n D r ii s e n. Häufig werden uns 
solche Kranke unter der Diagnose ..Mumps“ vorgestellt. Daneben ist 
minder häufig das Gebiet der Geschlechtsdrüsen in Mitleiden¬ 
schaft gezogen: Hoden und, was besonders auffallend war: zweimal 
eine Schwellung und Schmerzhaftigkeit der männlichen Brust- 
d r ii s e. Ausserdem sei an die mehrfach erwiesene Hypofunktion der 
Drüsen des Verdauungskanals nach Ruhr x ) erinnert. Die endokrinen 
Drüsen, insonderheit die Schilddrüse, wurden nie beteiligt gefunden. 
Ein Ausfall an der Tätigkeit der Speicheldrüsen konnte nicht fest¬ 
gestellt werden. Schmerz und Spanmingsgefühl wurde in mehr oder 
weniger hohem Grade angegeben. Das Gesicht der Kranken mit 
Speicheklriiseiischwcllung war stets verändert, entweder hatte es ein 
Aussehen wie bei Parotitis epidemica oder mehr wie bei Mikulicz- 
scher Krankheit, endlich sah ich Fälle, deren Gesicht durch die 
Driisensc'hwellungen einen allgemein gedunsenen Eindruck machte, so 
dass der erste Verdacht sich in der Richtung der Nierenentzündung 
!; vw egte. 

Ueber die Einordnung der einzelnen Symptome und des ganzen 
Komplexes in das Gesamtbild der Infektionskrankheit geben am besten 
die im Anschluss an die Epidemie des Sommers 1917 hier beobachteten 
Fälle in ihren Umrissen Auskunft 2 ). 

Sch., Leutnant, 23 Jahre. Erkrankt mit Ruhrverdacht 21. VIII. 17. 
Am 23. VIII. Scuchenlazarett. Stuhl dickbrefig, bei 2 maliger Unter¬ 
suchung kein positiver bakteriologischer Befund. 3. IX. Bindchaut- 
und Harnrohrenkatarrh, letzterer ergreift auch die Blase, starker Harn¬ 
drang. 5. IX. Eitriger Katarrh des Vorhautsackes. Im Eiter der 
Bindehaut und der Harnröhre keine pathogenen Bakterien. 12. IX. 
Gelenkentzündung. Beteiligung der Beinhaut des Schienbeins. 20. IX. 
Harnwege gebessert. Augenentzündung schlimmer, kleine Geschwüre 
am Rande der Hornhaut. 28. IX. bis 7. X. Nachlassen der Augen¬ 
störungen. 24. IX. bis 7. X. Gesicht wird gedunsen. Umgebung der 
Augen und Wangen geschwollen. 17. X. Erneut heftige Gelenk¬ 
schmerzen und Schwellung. 20 ccm polyvalentes Ruhrserum. 23. X. 
Schleimhautentzündungen völlig verschwunden, au den Gelenken und 
der Knochenhaut des Schienbeins noch druckempfindliche Stellen, 
sonst ganz bedeutende Besserung. 24. X. mit Lazarettzug in ein 
Heimatlazarett abtransportiert. 

Landsturmmann K.. 42 Jalire alt. Am 13. VIII. Ruhrerkrankung 
mit blutigen Stühlen. 23. VIII. Seuchenlazarett, kein Blut mehr in 
den Stühlen. L. Kniegelenk leicht geschwollen. 27. VIII. unter 
Temperaturanstieg Verschlimmerung der Gelenkaffektion. 2. IX. 
Aufnahme im Feldlazarett. L. Handgelenk, beide Schulter- und Knie¬ 
gelenke stark geschwollen und schmerzhaft. 7. IX. Brennen in den 
Augen. Am 9. X. starker Bindeliautkatarrh, am 13. X. Geschwüre 
in der Hornhaut. Zur selben Zeit unter massiger Temperaturstciue- 
rung Erscheinungen einer Endokarditis, die sich bis Anfang No¬ 
vember hinzieht. Abtransport mit Lazarettzug 28. XI. 17. 

Musk. Sch., 28 Jahre. Aufnahme 21. VII. 17 wegen Kopfschmerz 
und Schwindel mit der Diagnose: Zur Beobachtung auf Blutarmut und 
Lungenerkrankung. 20. VII. tritt Fieber und blutig-schleimiger Stuhl auf. 
j Am 24. VII. ins Seuchenlazarett, daselbst im Stuhl Shiga-Kruse-Bazillen 
positiv. Am 25. u. 26 VII. je 20 ccm Ruhrserum (K r usc), Gelenkentzün¬ 
dung. 4. VIII. Bindehautkatarrh mit gelber, dünnflüssiger Absonderung, 

1 ) Schröder: D.m.W. 1917 Nr. 37. 

2 ) Anmerkung bei der Korrekt u r. Es entspricht auch 
sonstigen Erfahrungen, dass die Epidemien der einzelnen Jahre sehr 
verschieden verlaufen. So habe ich 1918 bisher abgesehen von sehr 
spärlichen Gelenkerkrankunigen bei Ruhr die Schleimhaut- und 
Driisenbeleiligung fast völlig vermisst. 

Original fro-m 

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15. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1153 


unregelmässiges Fieber bis nahe 39" abends in den folgenden 2 Wochen. 
Allmähliche Besserung des Gelenkergusses, Anfang September Ver¬ 
such mit Aufstehen, am 25. IX. zur Nachbehandlung der Gelenk¬ 
erkrankung in das Feldlazarett verlegt. Hier bei der Aufnahme 
Schwellung der Augenlider, der Ohr- und Unterkieferspeicheldrüse, 
der Tränendrüsen, was dem Gesicht einen gedunsenen Ausdruck ver¬ 
leiht. Auss-erdem besteht Schwellung des linken Hodens. Ehe die 
Reste der Gelenkentzündung und die Drüsenschwei hingen verschwun¬ 
den sind, wird am 23. X. der Kranke abiransportiert. 

Da in den vorliegenden Fällen nicht immer bakteriologisch sicher 
die Ruhr als erste Krankheit erwiesen werden konnte, wurden in der 
von Oberarzt Köhler geleiteten Untersuchungsstelle. die sich das 
Studium der Ruhragglutination zur besonderen Aufgabe gemacht hatte, 
in dankenswertester Weise durch Vermittlung von Prof. E. V e i e 1 
Blutseren von solchen Patienten untersucht, die den geschilderten 
Symptomen komplex in vollentwickelter oder in an gedeuteter Form 
zeigten. Es stellten sich verschiedene bemerkenswerte Anhalts¬ 
punkte heraus: 

1. Die Agglutination |mit den von Köhler *)l beschriebenen Kau- 
telen verwertet) Spricht für die Zugehörigkeit des Krankheitsbildes 
zur Ruhrinfektion. 

2. Dysenterie- und Pseudodysenteriestämme können gleicher- 
inassen diesen Symptomen komplex hervorrufen. 

3. Der Agglutinationstiter bleibt bei den fraglichen Krankheits¬ 
fällen viel länger in der Höhe als bei unkomplizierter Ruhr (3. bei 
einem leichten Falle sogar über 4 Monate nach der Infektion). 

4. Die Agglutination ist differentialdiagnostisch verwertbar. 

Folgende diesbezügliche Beobachtungen seien noch kurz mit¬ 
geteilt. Bei sämtlichen Kranken wurde die Agglutinationsprobe erst 
vorgenommen, als die Spätfolgen der Rührerkrankung schon sehr im 
Rückgang begriffen war. Die Blutentnahme erfolgte bei allen am 
21. XII. 17 kurz vor dem Abtransport. 

Luftschiffer F.. 28 Jahre alt. Vgl. Temperaturkurve Abb. 1. Am 
23. IX. 17 erkrankt mit den Erscheinungen der blutigen Ruhr. Nach 
der Aufnahme im Seuchenlazarett noch blutiger Stuhl, 2 malige Stuhl- 
untersiichung jedoch negativ. Am 12. X. Schmerzen im Kreuz und 
im linken Handgelenk, allmählich unter leichten Fiebersteigerungen 
multiple Gelenkentzündungen. Am 24. X. bei der Aufnahme ins 
Feldlazarett schleimiger Ausfluss aus der Harnröhre. Anfang No- 


15. IX. 17 bei einer Sanitätskompagnie wegen Beilhieb in die linke 
grosse Zehe; zur selben Zeit machte sich eine Schwellung des r. Knie¬ 
gelenks bemerklich. Die starke fortschreitende Entzündung und Rö¬ 
tung des Gelenkes erweckte den Verdacht einer eitrigen Entzündung 
desselben, weshalb am 15. und 28. IX. eine Punktion des Kniege¬ 
lenkes vorgenommen wurde, die das erstemal seröse, das zweite¬ 
mal serofibrinöse Ausschwitzung ohne Bakterien erwies. Als L. 
am 7. Oktober der chirurgischen Station des Lazaretts zugesandt 
wurde, ergab eine eingehendere Vernehmung des Kranken wichtige 
Ergänzungen zur Vorgeschichte: Er hatte Mitte August 1917 3 Wochen 
Durchfall gehabt — ob blutiger Stuhl auftrat kann er nicht sagen — 
und war deshalb 3 Tage lang in Revierbehandlung. Hernach, kurz 
| \°r der Krankmeldung, bestand Bindehautkatarrh, was auch der 
ein weisende Truppenarzt auf dem Täfelchen vermerkt hatte. Die 
i Kiiiegelenksentziindung war sehr hartnäckig und führte mehrmals 
i noch zu kleinen Rückfällen. Eine Entzündung im Bereich der Harn¬ 
wege trat jedoch nicht auf. Die am 21. XII. 17 mehr als 4 Monate 
nach der Erkrankung vorgenommene Agglutination mit dem Blut¬ 
serum der Kranken ergab ein positives Resultat mit Flexncrbazillen 
bis 1:320, während die anderen Stämme nicht reagierten. Am 11. I. 18 
konnte der Patient in Erholungsurlaub entlassen werden. 

Aus den geschilderten Krankengeschichten geht die Tatsache her¬ 
vor, dass die Trias der Krankheitserscheinungen meist nicht gleich- 
| mässig ausgebaut, sondern dass die eine oder die andere Lokalisation 
| bei dem einzelnen nur eben angedeutet war, oder gar überhaupt nicht 
| zutage trat. Die Gelenkerkrankung jedoch fehlte nie. Von den 
I Schleimhauterkraukungen war bei den 6 Fällen das Auge nur einmal 
i unbeteiligt. Das übrige zeigt am besten die tabellarische Zusammen- 
1 Stellung. 


1 

Seröse 

Häute 

| Schleimhäute 

Drüsen 

Name 

Gelenke 

Endokard 

Augen 

Harnwege 

Speichel undj 
ähnl. Drüsen 

Keimdrüsen 

1 Schä. . 

1 Kc. . . . 

*11 

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4* 

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4- 

Kei. . . 

1 LU. . . 

1-1- 


t 

• * 

4- i 




vember nur noch einzelne Temperaturspitzen, dabei endokarditisver¬ 
dächtige Erscheinungen, beschleunigter, manchmal unregelmässiger 
Puls. Die Mobilisiernng der schon etwas versteiften Gelenke konnte 
in befriedigendem Masse erzielt werden. Am 21. XII. Blutentnahme, 
Agglutination mit Flexner 1: 16b +, Shiga-Krusc 1: 160 +. 10. I. 18 
Abtransport in Reservelazarett. 

Gefr. K.. 22 Jahre, kommt am 6. X. im Feldlazarett wegen Ge¬ 
lenkrheumatismus zur Aufnahme. Aus der Vorgeschichte stellt es 
sich aber heraus, dass er seit Ende September Brennen und Ausfluss 
aus der Harnröhre hatte und 1 Woche vor dieser Erkrankung einen 
kurzdauernden Darmkatarrh, mit Blutabgang an 2 Tagen, ambulant 
durchgemacht habe. Die Gelenkerkrankungen waren sehr ausgedehnt 
und hartnäckig, besonders das r. Kniegelenk. 1. Schultergelenk und 
I. Ellbogengelcnk waren stark geschwollen, schmerzhaft und intensiv 
gerötet, so dass eine Beteiligung des periartikulären Gewebes vorge¬ 
täuscht wurde. In der Absonderung der Harnröhrenentzündung waren 
die Eiterzellen nicht viel zahlreicher als die Epithelien vertreten, 
Bakterien waren sehr spärlich. Gonokokken fanden sieh nie. ebenso 
keine eosinophilen Zellen. Der Harnröhrenkatarrh ging bald zurück, 
viel langsamer die Gelenkentzündungen. Als der Kranke schon 
mehrere Tage das Bett verlassen hatte, stellt sich Mitte Dezember 
1917 mit erneuten Gliederschmerzen Bindehaut- und Lidrandentzün¬ 
dung ein mit Schwellung des grössten Teiles der Meib ohmschen 
und der Tränendrüsen. Anfang JanXiar 1918 war einige Tage die 
Ohrspeicheldrüse beiderseits geschwollen und schmerzhaft. Die am 
21. XII. 17 erfolgte Blutentnahme ergab bei der Agglutinationsprobe 
eine positive Reaktion mit Flexnerstamm 1:40. ebenso mit Shiga- 
Kruse 1:40. Am 10. I. 18 Abtransport in Reservelazarett. 

Mnsk. L., 19* Jahre. Seine Aufnahme erfolgte zunächst am 


J ) M.rn.W. 1918. 

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Die Frage, ob rudimentäre, mono^ymptomatische Formen des 
Krankheitsbildes auftreten, wurde natürlich auch erwogen. Es leuchtet 
ein, dass fast jeder Soldat im Felde in seiner Vorgeschichte zur 
Sommerszeit die Angabe von Durchfällen macht, welche möglicher¬ 
weise die Aeusserung einer leichten Ruhrinfektion darstellen können. 
Gerade in solchen Fällen dürfte die Agglutination nützliche Dienste 
leisten, doch gelang es mir bisher nicht in dieser Richtung grössere 
Erfahrung zu sammeln. 

Das eigentümliche Bild der Entzündung der männlichen Brust¬ 
drüse habe ich nur im Westen (1916) zweimal gesehen: 

Jäger B., 24 Jahre. Erkrankt am 14. I. 16 mit blutig-schleimigem 
Durchfall. Kurzdauernde Temperatursteigerung bis 39,4. Am 31. I. 
nochmals Temperaturanstieg bis 38,5, darauf mehrere Tage subfebrile 
Temperatur. Gliederschmerzen. Herzpalpitation und Stechen in der 
Herzgegend, systolisches Geräusch an der Herzbasis, labiler Puls, 
ab und zu leichte Temperaturspitzen. Am 11. III. Entzündung der 
Brustdrüsen, Schwellung. Schmerzhaftigkeit spontan und bei Druck. 
Beim Abtransport am 28. III. 16 noch deutliche Veränderungen am 
Herzen. Nervenstämme des Ischiadikus druckempfindlich. 

Gefr. Sch., 20 Jahre. Aufgenommen 12. III. 16 mit rührartiger Er¬ 
krankung in der Vorgeschichte. Klagt über Gelenkschmerzen und 
starke Empfindlichkeit der Brust. Am 14. III. Temperaturanstieg bis 
39,2, in den folgenden Tagen häufig noch subfebrile Temperatur bis 
38,0. Schmerzen in der linken Schulter und der linken Hüfte. Am 
26. III. erneut starke Schmerzhaftigkeit der Brustdrüsen. Ihre Schwel¬ 
lung ist sehr deutlich, sie springen nach Art der virginellen Mamma 
eines erwachsenen Mädchens kegelförmig vor. Pat. klagt über starke 
Spannung und kann das Hemd auf der Brust nicht leiden. Watte¬ 
schutzverband. Anfang März am 1. und r. Auge Bindehautkatarrh 
, und starke Ziliarinjektion. Am 16. IV. bei der Entlassung in Er- 
i holungsurlaub Schwellung der Brustdrüse noch nachweisbar. 

Original fro-m 

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1154 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 42. 


Die Beschreibung des Krankfoeitsbildes wird in überzeugender 
Weise dargetan haben, dass dasselbe in einem -inneren Zusammen¬ 
hang mit den Ruhrerkrankungen des Krieges steht. Allein wir 
müssen noch die Frage erwägen, ob es sich dabei um eine Nach- 
krankheit der Ruhr im engeren Sinne handelt, oder ob 
es eine selbständige Krankheit ist, die sich mit be¬ 
sonderer Vorliebe auf dem Boden der Ruhr ent¬ 
wickelt. Die letztere Frage ist umsomehr berechtigt, als von 
Reiter bei einem solchen Kranken im Blute eine Spirochäte ge¬ 
funden wurde. 

Reiter hält dieselbe für den Erreger der Krankheit und spricht 
von einer Spirochaetosis arthritica. Diese Beobachtung 
ist Jedoch meines Wissens vereinzelt geblieben, und es ist daher 
abzuwarten, ob nicht ein Zufallsbefund den Untersucher irregeleitet 
hat. Auch andere Analogien Hessen sich zu einer solchen Erklärung 
heranziehen: So war es beim Fünftagefieber im Maasgebiet 1916 höchst 
auffallend, dass in einem grossen Teil der Erkrankungsfälle ein ruhr- 
ähnlicher Darmkatarrh kurz vorher vorausgegangen war. Im übrigen 
sprechen alle Gesichtspunkte, insbesondere die serologischen Befunde, 
für einen direkten ursächlichen Zusammenhang des Krankheitsbildes 
mit der Bazillenruhr, nicht nur fiir eine Beziehung zu ihr im Sinne 
der „zweiten Krankheit“. Vor allem das langdauerndeHochbleiben des 
Agglutinationstiters veranlasst zu diesem Schlüsse und zu weiteren 
Ueberlegungen. Gibt es Stellen im Körper, wo die Ruhrbazillen, auch 
wenn sie aus dem Stuhle verschwunden sind, Zurückbleiben, weiter 
wuchern, Gift bilden, neue Krankheitsbilder erzeugen und den Or¬ 
ganismus zur Bildung von Antikörpern anregen? Sind di*e ganz ver¬ 
einzelten Angaben 4 ) von Auftreten von Ruhrbazillen im Blute richtig 
und können sich Depots von ihnen ablagern, die sich in krankhaften 
Zuständen hemerklich machen? Und wo sind diese Körnerstellen? 

Eine Beantwortung dieser Fragen dürfte zur Zeit noch nicht 
möglich sein, sie würde aber wohl das Zustandekommen dieser Nach¬ 
krankheiten verständlicher machen. Praktisch wichtig ist die Kennt¬ 
nis derselben auch ausserhalb des Seuchenlazaretts für jeden Arzt 
im Felde: Der Chirurg hat bei scheinbar spontan entstandenen Ge¬ 
lenkergüssen die Ursache der Rührinfektion im Auge zu behalten, 
der Urologe muss bei nichtgonorrhoischer Entzündung der Hamwege 
jene Aetioiogie berücksichtigen und der Augenarzt wird bei Augen¬ 
entzündungen unklarer Entstehung die Möglichkeit einer vorherge- 
gangenen Ruhr nicht ausser acht lassen dürfen. 

Im Anfang des Krieges galt die Bazillenruhr als eine einförmige 
Erkrankung“). De weitere Beobachtung hat auch bei dieser Krank¬ 
heit unerwartete Mannigfaltigkeit der Erscheinungsformen aufgedeckt. 


Pathologisch-anatomische Erfahrungen Ober innere 
Krankheiten im Felde*). 

Von Stabsarzt a. K. Prof. Dr. Oberndorfer, München, 
früher Armeepathologe, jetzt Facharzt für pathologische 
Anatomie an der Militärärztlichen Akademie München. 

Das Hauptarbeitsfeld des Armeepathologen bieten die Schuss¬ 
verletzungen und iihre Folgen. Sie wissen, m. H., dass da besonders 
zu Anfang des Krieges vieles zur Beobachtung kam, was mit den bis¬ 
herigen Erfahrungen nicht übereinstimmte, und dass manche dieser 
Beobachtungen wieder Anregung zu therapeutischen Fortschritten 
gaben. Ich erinnere da nur an die Feststellung, dass in weiterer Um¬ 
gebung des Schusskanals das Gewebe nicht nur zertrümmert, sondern 
auch verbrannt sein kann, infolge der starken Erhitzung des Ge¬ 
schosses, und dass es gerade diese nekrotischen Teile sind, die eiter¬ 
erregenden und gasbildenden Bakterien den vorzüglichsten Nähr¬ 
boden abgeben. Die therapeutische Folgerung war die mehr un<l 
mehr ausgeübte primäre Exzision der Wundumgebung: ich erinnere 
an Beobachtungen, dass z. B. weit entfernt vom Schusskanal im 
Organ durch Kontusion und molekulare Verschiebungen überraschend 
ausgedehnte Schädigungen eintreten können, die z. B. im Gehirn zu 
den schwersten, diffusen Degenerationen führen können oder an Be¬ 
obachtungen, dass bei Streifschüssen der Konvexität des Schädels 
infolge Zertrümmerung dünnwandiger, basaler Schädelteile, wie des 
Siebbeins oder des Tegmen tympani Infektionen und damit eitrige 
Meningitiden weit entfernt von der Schussverletzung einsetzen 
können; ich erinnere weiter an Beobachtungen, dass gerade Knochen¬ 
trümmer und Sequester einen starken, formativen Reiz auf die Kno¬ 
chenneubildung und Konsolidierung bei Schussfrakturen ausüben 
können, und dass gerade der Wegfall dieses Reizes bei vollständiger 
Wegräumung alles Knochenschuttes die Knochenheilung oft stark 
beeinträchtigt und verlängert. Beispiele derart könnten noch viele 
angeführt werden. Gerade die vereinte Tätigkeit von Chirurgen und 
Pathologen hat hier viel erspriessliches geleistet. 

Neben der genauen Durchforschung der Schussverletzung war 
es nun selbstverständlich weitere Aufgabe des Pathologen. Umschau 
zu halten nach dem gesamten Körperzustand des der Schussver¬ 
letzung Erlegenen, um ein Bild über die Häufigkeit und das Vor- 

4 ) Frankel: M.m.W. 1915 Nr. 40. 

“) M a tth e s: M.m,W. 1915 Nr. 45. 

*) Vortrag, gehalten im „Zyklus ärztlicher Fortbildungsvorträge“, 
veranstaltet auf Veranlassung der Medizinalabtellung des Kgl. bayer. 
Kriegsministeriums, München, 24. IV. 18. 

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kommen von latenten Erkrankungen und KonstitutionsanomaHen zu 
bekommen. War es doch glücklicherweise vor diesem opfervollen 
Krieg nie möglich, den Körperzustand des blühendsten Mannesalters 
an Hunderten aus vollster Gesundheit plötzlich Gerissener zu er¬ 
forschen. Man durfte erwarten, hier Aufschluss über die wichtige 
Frage der Häufigkeit der latenten Tuberkulose, über die Häufigkeit 
und die Anfänge der luetischen Oefässerkrankungen, über den durch¬ 
schnittlichen Beginn und die Häufigkeit der Atherosklerose zu be¬ 
kommen. 

Waren das die Fragen, die an den gesunden, äusserer Gewalt¬ 
einwirkung erlegenen Körper zu richten waren, so war bei innern 
Erkrankungen die genaue anatomische Analyse weitere Hauptauf¬ 
gabe, die uns gestellt war. Die Obduktionen derartiger Fälle ge¬ 
wannen insofern an Bedeutung, als nahezu alle Todesfälle innerer 
Erkrankung in unserem Arbeitsbereich auch tatsächlich zut Sektion 
kamen. So wurde ein lückenloses Bild über die Todesfälle besonders 
an Infektionskrankheiten gewonnen. Man konnte Untersuchung an¬ 
stellen, von welchem Einfluss die Strapazen des Feldes, die prophy¬ 
laktischen Impfungen usw. auf den anatomischen Verlauf der Er¬ 
krankungen waren, welche Aenderungeji die Krankheiten durch diese 
Einwirkungen erleiden. 

Es liegt in der Natur der Sache, dass eingehend über das grosse 
Beobachtungsmaterial hier nicht gesprochen werden kann. Ich bitte 
deshalb, es mir zu erlauben, bei bekannteren Krankheiten gewisser- 
massen aphoristisch die Punkte erwähnen zu dürfen, die mir von dem 
gewohnten Bilde abzuweichen scheinen, und nur etwas eingehender 
jene Beobachtungen zu behandeln, die an weniger bekannten Krank¬ 
heiten gemacht wurden: darunter fallen das Kriegsödem, die Kriegs¬ 
nephritis, Weil sehe Krankheit, die Folgen der Kampfgasvergiftung. 
Vollständig übergehen muss ich die schweren Seuchen, wie Cholera, 
Flecktyphus, Variola, Malaria. Todesfälle an diesen Krankheiten 
kamen in meinem Arbeitsbereich (Artois und Flandern) nicht vor. 

Pneumonie. 

Ich beginne mit dem hauptsächlichsten Vertreter der schweren 
Erkältungskrankheiten, der L u n ge n e n t z ii n d u n g. Sie wurde 
30mal als Todesursache gefunden; die Zahl ist sehr gering, wenn 
man berücksichtigt, dass sie die weit überwiegende (Zahl aller 
Todesfälle an dieser Erkrankung umfasst, die im Bereich des Armee¬ 
teils vorkamen, also einer Bcvölkerungsgruppe, die mehrere Hundert¬ 
tausend beträgt. Als Todesursache bei ihr wird gewöhnlich die 
Herzinsuffizienz angesehen. Gerade dieses Moment spielt, wie ich 
nach meinen Beobachtungen glaube, im Felde nicht diese aarsschlag- 
gebende Rolle. Das Herz des Feldsoldaten ist anscheinend durch¬ 
schnittlich widerstandsfähiger. Gehört doch zu den auffallendsten 
Beobachtungen, die der aus der Heimat in die Feldtätigkeit versetzte 
Pathologe sofort macht, die durchschnittliche wesentliche Vergrösse- 
rung des Herzens, die auf einer Gewichts-, d. h. Muskelzunahme, so¬ 
wohl der rechten wie der linken Kammer beruht. Ausgedrückt in 
Zahlen: während im Frieden bei Gesunden, d. h. nicht Herz- und 
Nierenkranken, durchschnittliche Gewichte von 300—320 g zu er¬ 
heben sind, habe ich z. B. bei der systematischen Wiegung von 
72 Herzen an Schussverlctzung plötzlich zugrunde Gegangener nicht 
weniger als 50 Fälle mit Gewichten über 320 g; 28 die über 350 g 
wogen, gefunden. Diese Gewichtszahlen übertreffen die bisher gel¬ 
tenden Durchschnittszahlen. Ich fasse diese Hypertrophie fiieht als 
krankhafte, sondern als Arbeitshypertrophie auf, als Ausdruck der 
Herzkräftigung, da das Herz im Felde dauernd mehr in Anspruch ge¬ 
nommen wird. 

Dieses hypertrophische Herz leistet nun plötzlichen Uebcr- 
anstrengungen und Schädigungen, wie sie ^>ei der Pneumonie 
die Anschoppung der Lungen und die Schwere der Infektion mit sich 
bringt, grösseren Widerstand, das Herz ist leistungsfähiger, und da¬ 
mit auch die Ursache der geringen Mortalität bei Pneumonien über¬ 
haupt. An Stelle der Herzinsuffizienz rückt als tödliche Kompli¬ 
kation der Pneumonie der septische Prozess. Unter den 30 Pneu¬ 
monien wurde neben der nie fehlenden, zum Bilde gehörenden Pleu¬ 
ritis auffallend häufig, und zwar in einem Drittel der Fälle eitrige 
Perikarditis, 2mal frische, verruköse Endokarditis. 2 mal eitrige Peri¬ 
tonitis von der Pleura übergeleitet gefunden. Also die Hälfte der 
Todesfälle waren durch Ausbreitung der Infektion bedingt. 3 Fälle 
boten das für Pneumonien des krlesrsfähigen Alters seltene Bild der 
schlaffen Infiltration. In einigen Fälierff die ich hier nicht mitzäble. 
war neben schwerer Pneumonie noch Ikterus vorhanden: Nach dem 
Krankheitsverlauf und nach dem anatomischen Befund war d*e Pneu¬ 
monie hier Teilerscheinung infektiöser Gelbsucht, auf die wir später 
zu sprechen kommen werden. 

Tuberkulose. 

Gehen wir nun zu den tuberkulösen Erkrankungen 
im Felde über. Nach den bekannten Nä ge I i scheu Zahlen sollen 
bis 97 Proz. aller Leichen tuberkulöse Prozesse oder deren Aus¬ 
heilungsformen im Körper nachweisen lassen. Die Zahlen gründen 
sich, wie zu ihrer Beurteilung bemerkt werden muss, auf die Unter¬ 
suchung in Spitälern Gestorbener, die vielfach chronisch krank waren, 
zum grossen Teil den höheren Altersklassen angehören, sich weiter¬ 
hin zumeist aus der Stadtbevölkerung rekrutieren und im allgemeinen 
sicher nicht den gesündesten Volksschichten entstammen. 

Im Felde sinkt die Blüte des kräftigsten Mannesalters dahin. Der 
Hauptteil der Toten entstammt dem Lande, die Körper sind durch 

Original fro-m 

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mehrfach« ärztliche Untersuchung als vollständig gesunde, felddiienst- 
fähige ausgesucht. Wie steht es nun mit der Häufigkeit der tuber¬ 
kulösen Erkrankungen an solchem Beobachtungmaterial? Bisher 
lehlen Angaben über Häufigkeit der Tuberkulose in diesen Bevölke- 
rungs- und Altersklassen vollständig; denn in der allgemeinen Mor¬ 
talitätsskala spielt das Jünglings- und frühe Mannesalter die geringste 
Rolle. 

Bei den den Ausführungen zugrunde gelegten Sektionen, von 
denen ungefähr auf Schussverletzungen oaer andere akute Todes¬ 
fälle fallen, wurden in 10 Proz. der Fälle tuberkulöse Veränderungen 
gefunden. Dabei sind auch kleine Kalkherde, grössere Spitzennarben 
und ähnliche abgekapselte Herde mitgezähit worden. Kleine, ober¬ 
flächliche Spitzennarben, einfache Pleuraadhäsionen, kleine Lungen¬ 
fibrome wurden nicht mitgezähit, denn ihre tuberkulöse Natur ist 
mehr als fraglich, ln 55 Fällen war die Tuberkulose Todesursache. 
Berücksichtigen wir die Fehlerquellen, denn bei den F'eldsektionen 
kann bei den oft gegebenen ungünstigen äusseren Bedingungen man¬ 
chesmal nicht mit der wünschenswerten Genauigkeit die Unter¬ 
suchung der Organe vorgenommen werden, und rechnen wir die 
übersehenen Fälle gerade so hoch wie die beobachteten, so kommen 
wir doch zu einer wesentlich niedereren MorbKütätszahl, als sie bisher 
angenommen wurde. Die Zahlen, wie wir sie fanden, berechtigen, 
glaube ich, dazu, mit der alten Angabe, jeder erwachsene Mensch 
hätte tuberkulöse Herde im Körper, aufzuräumen Mag auch die 
Tuberkulinreaktion bei Erwachsenen nahezu 100 Proz. positive Aus¬ 
schläge geben, wir dürfen so lange nicht von latenter Tuberkulose als 
deren Ursache sprechen, als nicht die genauepost-mortem-Untersuchung 
des Körpers dafür Anhaltspunkte gibt; das ist, wie erwähnt, nicht der 
Fall; es bleibt nichts übrig, als anzunehmen, dass der positive Impf¬ 
versuch auch der Ausdruck einer überstandenen Invasion von Tu- 
berkel’bazillen, nicht der einer latenten Infektion durch dieselben sein 
kann. Dieselben Bedenken hat Orth vor kurzer Zeit geäussert. 

Die auffallende Verschiedenheit zwischen den Lungenbefunden 
in der Heimat und dm Felde zeigt sich auch an Pleuraadhäsionen 
und Lungenpigmentierung: Hier staubhaltige, schwärzliche Lungen 
die Regel, Pleuraverwachsungen häufig, draussen auffallend viel röt¬ 
liche, wenig pigmentierte Lungen; Pleuraadhäsionen die Ausnahme; 
ein weiterer Beweis, dass Statistiken, die nur eine Bevölkerungs¬ 
schicht betreffen, nicht als Dogma angesehen werden dürfen. 

Unter den 35 Fällen, in denen Tuberkulose Hauptbefund und 
Todesursache war, waren 9 Miliartuberkulosen, 4 tuberkulöse Meningi¬ 
tiden; in 3 Fällen war Todesursache käsige Pneumonie. Fast die 
Hälfte aller Fälle dieser Gruppe gehört also der blitzartig ver¬ 
laufenden Form der Tuberkulose an; die übrigen Fälle zeigten in der 
Mehrzahl akute Verschlimmerung einer früher nicht, oder nur in sehr 
geringem Masse in Erscheinung getretenen Erkrankung; Fälle, die 
früher als lungengesund gelten konnten und bei denen die Entstehung 
der progressiven Tendenz der Erkrankung wohl den erhöhten Stra¬ 
pazen im Felde zugeschrieben werden darf. Bei diesen Fällen war 
der Imimmisierungsprozess offenbar noch nicht weit genug vorge¬ 
schritten, m manchen Fällen musste man an eine Neuinfektion denken. 
Umgekehrt war bei den Fällen, in denen Tuberkulose Nebenbehmd, 
teils bei Schussverletzungen war, die akut fortschreitende Tuber¬ 
kulose nur selten vertreten. Die meisten Fälle waren abgekapselt 
oder zeigten Neigung zur Induration, ln den 12 Fällen, in denen 
zweifellos der Prozess im Fortschreiten war, war die Tuberkulose 
auch in ihren jüngsten Herden älter als die tödliche Schussverletzung. 
Auch derartige Beobachtungen sind nicht unwichtig. Nehmen wir an, 
die Schussverletzung dieser Fälle wäre zur Heilung gekommen und 
die Tuberkulose hätte, wie anzunehmen ist, weitere Fortschritte ge¬ 
macht: Es ist zweifellos, dass in solchen Fällen die Ausbreitung der 
Tuberkulose auf die Schussverletzung bezogen worden wäre. Unsere 
Beobachtungen mahnen also zur Vorsicht lim /Ziehen derartiger 
Schlüsse, 

Ich habe nid einen Fall gesehen, in dem einer Schussverletzung 
der Lunge oder eines anderen Organes wesentliche Bedeutung für 
die Progredienz der Tuberkulose hätte zugewiesen werden dürfen. 
Lungentraumen begünstigen jedenfalls nicht die Entstehung einer 
Tuberkulose. In den meisten Fällen war die zufällig gefundene tuber¬ 
kulöse Erkrankung solche in alter, chronischer Form; ein ungünstiger 
Einfluss, der im Felde wesentlich veränderten Lebensweise aui diese 
Form der Tuberkulose im anatomischen Bild, soweit ich aus unseren 
Fällen Schlüsse ziehen darf, war nicht zu beobachten. Im übrigen 
stimmen diese Schlüsse mit Erfahrungen der Kliniker überein, dass 
die chronische Tuberkulose im Felde im allgemeinen nicht ungünstig 
beeinflusst wird, manchmal sogar stille steht. 

Merkwürdig sind Beobachtungen anscheinend symptomlos ver¬ 
laufener schwerer Tuberkulose, deren* Träger bis zuletzt vollen 
Dienst taten; so fand ich bei einem 24 Jahre alten Infanteristen, 
der 2 Tage nach einer schweren Minensplitter Verletzung zugrunde 
gegangen war (306), eine ausgedehnte subakute Peritonealtuberkulose 
mit Uebersäung des ganzen Peritoneums mit hanfkorngrossen Knoten, 
ausgedehnten Verklebungen der DarmschLingen. Ein anderer (323) 
von der Front ins Lazarett gebrachter 37 jähriger Mann ging rasch 
an Perforationsperitoni-tis zugrunde, Ursache war Durchbruch eines 
ausgedehnten tuberkulösen Geschwüres neben subakuter Bauchfell¬ 
tuberkulose, ganz ähnlich wie im vorigen Fall; ebenso unbegreifbar 
ist ein Fall von schwerer Urogenitaltuberkulose (415), bei dem die 
eine Niere vollständig geschrumpft, ihr Nierenbecken durch voran- 
gegangene tuberkulöse Entzündung vollständig obliteriert war. 


Nr. 42. 

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währeixl die andere, stark vergrösserte Niere in ihrem Nieren¬ 
becken und stark erweitertem Urete-r, die Harnblase, die Urethra 
von dicken, kahmhautähnlichen, gelben, festan haftenden, käsigen 
Membranen ausge kleidet waren- und mit dickem Eiter gefüllt 
waren, der von Tuberkelbazillen wimmelte, also schwerste Form 
der Tuberkulose des uropoetischen Systems. Der Mann tat bis eine 
Woche vor seinem Tode Dienst, seine einzigen Beschwerden bezogen 
sich auf vermehrten Harndrang. In zwei anderen Fällen von tödlicher 
Schuss Verletzung sahen wir ; schwere, kavernöse Zerstörung der 
Lungen (135, 287); auch hier haben die Leute bis zuletzt Dienst 
getan. Derartige Fälle von Indolenz gegen schwere Erkrankungen 
gehören im Frieden zu den grossen Seltenheiten. 

Herz. 

Todesfälle an Herzerkrankungen fanden sich im gesamten Ma¬ 
terial nur 11 mal, darunter nicht weniger als 4, die durch torische 
Erkrankung verursacht waren. Auch bei diesen Zahlen ist zu be¬ 
denken, dass in unsere Beobachtung nur die ganz akut verlaufenden 
Fälle kommen konnten; alle längerdauernderr Herz erkrank ungen 
bleiben nicht in den Frontlazaretten. Im übrigen ist bei den Alters¬ 
klassen, die hier in -Betracht kommen, der Herztod immer etwas 
seltenes; denn die Koronarsklerose, die erst später eine grössere 
Rolle spielt, kommt hier noch nicht in Betracht. D^e 4 Fälle luischer 
Aortenerkrankung unserer Beobachtungen bestätigen die alte Erfah¬ 
rung, dass gerade der plötzliche Herztod im blühenden Mannesalter 
nahezu immer auf Lues zurückzuführen ist. So starb ein 38 jähriger 
Unteroffizier (894) plötzlich nach ganz kurzem Unwohlsein im 
Schützengraben; die Todesursache war vollständig dunkel; die Sek¬ 
tion zeigte eine schwere, schwielige Veränderung der ansteigenden 
Aorta mit Uebergreifen der Schwielen auf die Koronarostien. Ganz 
ähnlich verlief ein zweiter Fall (975): der 34 jähr. Armierungssoldat 
fällt bei der Arbeit plötzlich tot zusammen; dasselbe anatomische 
Bild wie vorhin, höchstgradige, narbige Umwandlung der Aorta, 
fast vollständige Verlegung der Koronarabgänge. Besonderes Inter¬ 
esse verdient der Fall eines 41 jährigen Mannes, der 8 Stunden nach 
einer Typhusschutzimpfung zugrunde- &ing; neben den typischen 
Aortenveränderungen waren schwielige Veränderungen des Myokards 
infolge der Koronarerkrankungen bereits eingetreten. Gerade der¬ 
artige Fälle weisen auf die grosse Wichtigkeit und Bedeutung der 
Autopsien bei ungeklärten Fällen hin; würden doch sonst leicht Le¬ 
gendenbildungen über die Schädlichkeit der Typhusschutzimpfung ent¬ 
stehen können. Im Anschluss an diesen Fall möchte ich die Frage 
streifen, ob hier eine Kriegsdienstbeschädigung angenommen werden 
dürfe; denn nach den anatomischen Veränderungen des Herzens hätte 
hier der Tod an* und für sich in kürzester Zeit eintreten müssen; 
andererseits ist aber anzunehmen, dass die gewöhnlich eintretende 
leichte Reaktion auf die Typhusschutzimpfung das dem Erschlafien 
nahe Herz noch zum endgültigen Versagen gebracht hat, dass also 
hier ein Zusammenhang zwischen Impfung und Tod nicht vollständig 
von der Hand gewiesen werden kann. 

Auffallend selten waren luische Veränderungen der Aorta als 
Nebenbefund; ich habe nur «2 oder 3 Fälle derart gesehen; diese 
Beobachtung steht im auffallenden Gegensatz zu der grossen Häufig¬ 
keit luischer Aortitis im 5. und 6. Dezennium; vergeht doch z. B. bei 
meinem hiesigen Sektionsmaterial kaum 1 Woche, in der nicht 1 odeT 
2 Todesfälle an lurscher Aortitis gesehen werden. Bei der allgemeinen 
Verbreitung der Lues müsste also auch bei den Heeresangehörigen 
diese Erkrankung häufiger sein; dass sie es tatsächlich nicht ist, be¬ 
weist meines Erachtens, dass die luische Gefässerkrankung an das 
mittlere Lebensalter gebunden ist, erst jenseits des 4. Dezenniums 
auftritt und dann verhältnismässig rasch Fortschritte macht, während 
die latente Lues bis dahin makroskopische Gefässveränderun-gen nicht 
aufweist. Es wäre nicht uninteressant, an grossem Material iuter- 
current Gestorbener besonders die Aortenadventitia histologisch zu 
untersuchen; Stichproben, die ich anstellte, haben vielfach bei solchen 
Aorten die auf Lues verdächtigen perivaskulären Rundzellenansamm¬ 
lungen gezeigt. Erwähnt muss noch werden, dass ganz zweifellos 
auch kongenitale Lues im mittleren Lebensalter zur luischen Aortitis 
führen kann. Die ganze Frage ist insofern von grösster Bedeutung, 
ais die luische Aortitis fortdauernd und in erschreckendem Masse 
zunimmt. 

Die anderen Todesfälle an Herzerkrankung waren Folgen von 
Myokarderkrankun-gen oder schwerer akuter Klappen entzündungen; 
einige Fälle sind auch hier durch ihren aussergewöhnlichen Verlauf 
bemerkenswert gewesen, so der plötzliche Tod eines 21 jährigen 
Frontsoldaten, der 1 Woche vor seinem Tode aus Revierbehandlung, 
in der er wegen Grippe stand, entlassen wurde und wieder vollen 
Dienst tat; die Sektion ergab schwerste Myokarderkrankuiig, ältere 
und neue, ausgedehnte, hämorrhagische Infarzierung der Muskelwand 
der linken Kammer, hervorgerufen durch eine autochthone Thrombose 
der vorderen Koronararterie (464). 

Ein anderer (693) kam aus der Stellung mit schwersten, plötz¬ 
lich auf getretenen Allgemeinerscheinungen, die den Verdacht auf 
Kampfgasvergiftung erweckten, ins Lazarett, wo er 4 Tage später in 
tiefem Koma starb. Ursache war eine ausgedehnte, verruköse Endo¬ 
karditis der Trikuspidalis, die zur ausgedehnten Embolisation und In- 
farktbi'ldung, sowie septisch-embolischer Herdnephritis geführt hat. 
Ganz ähnlich war der rapide Verlaut einer ulzeiierenden Endokarditis 
der Aortenklappen (528), bei <Her <dÄe Erkrankung <plötztich mit 
schwerem Fieber und rasch eintretender Bewusstlosigkeit einsetzte. Der 

2 

Original from 

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Nr. 42. 


Tod «/folgte 24 Stunden nach Beginn der Erkrankung. Man kann 
derartige Falle von Indolenz gegen die nach dem anatomischen Bild 
sohon längere Zeit -bestandene schwerste Erkrankung kaum erklären, 
jch erinnere mich nicht eines ähnlichen Falles aus d'er Friedensbe- 
obachtung. Beim letzten Falle ist vielleicht noch zu erwähnen, dass 
die Galle Paratyphusbazillen enthielt bei sonst fehlenden für Para- 
typhus sprechenden Befunden. Der Mann war also Bazillenträger; 
vielleicht hat eine vorangegangene Paratyphuserkrankung das rasche 
Versagen des Herzens veranlasst 

Eine grosse anatomische Seltenheit war ein Fall reiner, ulze- 
rierender Endokarditis (173) der Aorta ohne Klappenauflagerung bei 
einem 24 jährigen Mann, der nach 14 tägiger Erkrankung an pyämi¬ 
schen Erscheinungen zugrunde ging; embolische Abszesse und In- 
52* waren nahezu in allen Organen vorhanden; bei oberflächlicher 
Betrachtung schienen die Herzklappen unverändert zu sein, bis ge- 
naue Beobachtung an den Aortenklappen Arrosion des Endothel- 
oetages, Untermirherung und Perforation der verdünnten Klappenteile 
erkennen Mess. Klinisch sind derartige Fälle auch von Bedeutung 
weil' trotz schwerster Klappenveränderung Klappeninsuffizienz- 
geräusche mcht auftreten werden; doch ist es nicht ausgeschlossen, 
dass hier ursprünglich Klappenauflagerungen bestanden haben, die 
dann in toto abgestossen wurden. 

, häufiger Befund bei Schussverletzungen sind subendo¬ 

kardaale Blutaustritte; sie haben meist typischen Sitz, begleiten an 
der linken Septumwand das Reizleitungsbündel und können sich noch 
auf die Papillarmuskeln erstrecken; ihre Ausdehnung ist eine ver¬ 
schiedenartige; wir haben sie besonders häufig nach Hirnschüssen 
mit ventnkelyerletzungen gefunden, aber auch bei manchen Verbhi- 
tungsfällen; sie scheinen durch krampfhafte Herzkontraktionen, viel¬ 
leicht durch Vagusreizung zu entstehen; ihre Lokalisation scheint be¬ 
günstigt zu sein durch das lockere gefässreiche Bindegewebe, in 
dem das Reizbündei verläuft; besondere Bedeutung in klinischem 
autne kommt ihnen kaum zu; säe entstehen anscheinend erst in der 
Agone. Residuen derartiger Blutungen in Form von Pigmentablage- 
rungen habe ich bei älteren Fällen nie gesehen. 


Atherosklerose. 

Sehr gross sind die Beobachtungen über Zeit des Auftretens 
und Ausbreitung der Atherosklerose im jugendlichen Körper. Die bis¬ 
herige Erfahrung, dass atherosklerotische Prozesse, wie Flecken- 
biJdungen und Verdickungen, im Alter zwischen 20 und 30 Jahren 
kerne Ausnahme darstellen, wurde hier wieder in ausdruckvollster 
Weise vertieft; demnach ist auch der Schluss nicht gerechtfertigt, 
diese Gefässveränderungen als Folgen der Kriegsstrapazen, der An¬ 
strengungen anzusehen. Umgekehrt waren starke atherosklerotische 
Veränderungen wie ausgedehnte oder zusammenfliessende Flecken 
mit Geschwürsbildungen und Verkalkungen selbst im 4. Dezennium 
bei Kriegsteilnehmern sehr selten, die wenigen hochgradigen waren 
ausnahmslos mit luischen Veränderungen vergesellschaftet. Das 
Fehlen schwerer atherosklero tisch er Prozesse, das in einem ge¬ 
wissen Gegensatz zu der bei Friedenssektionen nicht so seltenen 
starken Gefässerkrankung im mittleren Mannesalter steht, ist wohl 
nur durch die Auslese bei der Musterung zu erklären, bei der kränk¬ 
liche Individuen ausgesehaltet werden. 

Eine Zusammenstellung über den bürgerlichen Beruf der Fälle, 
die starke Koronarfleckung aufwiesen, ergab überraschenderweise, 
dass es sich fest ausnahmslos um Angehörige im Freien tätiger Be¬ 
ruf sarten, wie Landwirte, Knechte, GärtneT, Kutscher, handelte. 

Magengeschwür. — Gallensteine. 

Von Erkrankungen im Bereich der Bauchhöhle will ich ganz 
kurz nur das runde Magengeschwür und die Gallensteine hervor¬ 
heben. Magen- und Duodenalgeschwüre waren auffallend selten; ich 
fand sie in weniger als 1 Proz., wesentlich weniger als sie bei Frie¬ 
denssektionen gefunden werden. Dies betone ich deshalb besonders, 
weil L. K ü 11 n e r (D.m.W. 1918 Nr. 20) vor kurzer Zeit eine fast 
vierfache Vermehrung der Zahl der Magengeschwüre gegen die 
Friedenszeit angab, eine Beobachtung, die übrigens auch nicht mit 
den Sektionsergebnisen in der Heimat in Uebereinstimmung zu brin¬ 
gen ist. Der Hauptgrund für die Seltenheit des Ulcus im Felde wird 
der sein, dass die Erkrankung bei konstitutionell gesunden Männern 
an und für sich sehr selten ist. Aus den wenigen Fällen unserer 
Beobachtung hebe ich hervor 2 Duodenalulcera, bei denen durch 
Arrosion kleiner Arterien der Verbiutungstod in den Magen und 
Darm berbedgeführt wurde. Beide Fälle fanden sich bei schweren 
ExtremitäteinKnocbenschüssen, deren einer wegen septischer Er¬ 
scheinungen zur Amputation kam, während bei dem anderen be¬ 
ginnende Gasinfektion vorhanden war, in dem einen Fall trat der 
Tod nach 13 (811), im andern (868) nach 7 Tagen ein; in beiden Fällen 
war die Ulceration sicher jünger als die Verletzung; das eine Ge¬ 
schwür war hellerstückgross, das andere zweimarkstückgross; ob 
die Geschwüre Folgen des Blutverlustes bei der schweren Ver¬ 
letzung oder der septischen Infektion waren, möchte ich hier nicht 
entscheiden; immerhin zeigen derartige Fälle, dass Magen- und Duo¬ 
denalgeschwüre nach solchen Verletzungen entstehen können, was 
für die Frage der Kriegsdäenstbeschädagung jedenfalls von einiger 
Bedeutung sein wird. 

Ebenso selten wie das runde Magengeschwür wurden Gallen¬ 
steine gefunden; einige Male salh ich gallertige oder zimtstangen¬ 
fragmentartige Stückchen ohne Cholesterin, anscheinend Vorstufen 


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Gck igle 


von Gallensteinen; auch hier darf ich die Bemerkung anschUessen, 
dass mir bei dem Sektionsmaterial im Krankenhaus däe Seltenheit der 
Ciallensteinbefunde im Gegensatz zu den letzten Friedensjahren auf¬ 
fällt. Vielleicht liegt auch hier eine Folge der Kriegsnahrung vor. 

(Schluss folgt.) 


Aus dem Licht- und Radiuminstitut der Kgl. Universitätsklinik 
für Hautkrankheiten zu Breslau. 

(Direktor: Qeh. Medizinalrat Prof. Dr. Jadassohn.) 

Ein praktischer Notbehelf zur Messung harter Rüntgen- 
strahlen. 

Von Dr. Erich Kuznitzky, Oberarzt der Klinik. 

Die Veröffentlichungen von Wintz und Itqn sowie von 
Küpferle und Lilienfeld, Des sauer u. a. führen uns deut¬ 
lich vor Augen, dass wir für die Dosierung der Röntgenstra'hlen bei 
Tiefen bes trahLungen heute noch kein allgemein verwendungsfähiges 
Mass besitzen. Alle bisherigen dosimetrischen Methoden sind so 
kompliziert, dass sie für den Praktiker vorläufig nicht brauchbar 
sind 

Während die Messung bei Oberflächenbestrahlungen bequem ist, 
besitzen wir eine gleichwertige Dosimetrie für die Tiefenbestrahlung 
leider noch nicht. Die einfache, gebräuchliche Messung mit den 
üblichen Dosimetern, der Sabouraud-Noire-Tablette resp. dem Kien¬ 
böckstreifen reicht bekanntlich nicht mehr aus. Da aber die The¬ 
rapie mit harter und härtester Strahlung so sehr Allgemeingut der 
praktischen Medizin geworden ist, dass man ihrer nur schwer ent- 
raten könnte, bestrahlt man meistens, rein empirisch, besonders 
bei den Schwerfiltern, nur nach der Zeit. Dass damit*irgendwelche 
Sicherheit im Betriebe und 1 auch, bei event. Schädigungen, ein 
forensischer Schutz nicht gewährt wird, liegt auf der Hand. 

Beides wird aber, wenn dieses Verfahren von vielen Praktikern 
weiter betrieben wird, recht bald notwendig sein. Die Veröffent¬ 
lichungen von Franz, v. Franquö, sowie H e i m a n n lehren, 
dass man auch nach Schwerfilterbestrahlungen unter solchen Voraus¬ 
setzungen recht erhebliche Nachteile befürchten muss. Die Darm¬ 
schädigungen und Röntgenulzerationen, die diese Autoren beschreiben, 
sind so schwer, wie man sie selbst in den ersten Anfängen der 
Röntgentechnik schlimmer nicht beobachten konnte. Besonders 
wegen der Ulzerationen müssen wir die schon immer sehr opti¬ 
mistische Auffassung von der „Radioepidermitis“ zum mindesten 
gründlich revidieren. 

Auf der anderen Seite besteht aber, wie gesagt, nach wie vor 
die dringende Notwendigkeit, bei Tiefenbestrahlungen stark gefilterte 
Strahlung anzuwenden, so dass wir auch in Zukunft auf Scbwerfilter 
dabei nicht werden verzichten können. Auf diese Weise ergibt sich 
für den praktischen Röntgentherapeuten ein Dilemma, aus dem er 
eigentlich vorderhand keinen Ausweg sieht. 

In der Breslauer Klinik haben wir uns schon seit langem mit 
dieser Frage befasst und, wie Wintz und 11 e n, zu dem Entschlösse 
kommen müssen, die Kombination zweier, heute im Gebrauch 
befindlicher Methoden, die uns einigermassen zuverlässig er¬ 
schienen, und die allerdings auch nur am „Erfolgsorgan“ gemessen 
werden, zu verwenden. Damit wurden bisher sehr gute Erfahrungen 
gemacht. Die Erfolge waren zufriedenstellend und Erytheme wurden 
noch in keinem Falle beobachtet. 

I. Wir stellen zunächst bei jeder einzelnen Röhre die 
Zeit fest, nach dier — wir benutzen Müller sehe Siexleröhren, 
selbsthärtende Röhren und Symmetrieapparat von Reiniger, Geb- 
bert & Schall, sowie das Coolidgeinstrumentarium von Siemens & 
Halske und bestrahlen immer in 30 cm Abstand bei einer Belastung 
von gewöhnlich 2 1 /* Milliampere — unter 3 mm Alumlniura- 
f i 11 e r diie Testfarbe B der Sabouraud-Noire-Tablette resp. 10 X nach 
Kienböck erreicht wird. Diese Aluminiumoberflächendosis (Al.O) 
ist empirisch durch viele Tausende von Bestrahlungen dahin erprobt, 
dass sie 

1. eine gute biologische Wirkung entfaltet,' d. h. zum Zerfall 
oberflächlich gelegener Tumor- oder z. B. Tbc.-LymplhomzeHen etc. 
sicher ausreicht und 

2. dass man diese Dosis mit grösster Sicherheit ver¬ 
doppeln kann, ohne ein Erythem auf der Haut zu 
verursachen. In sehr vielen Fällen kann man sie auch ver¬ 
dreifachen, jedoch nicht immer, da ab und zu hiernach Erytheme zu 
beobachten waren. 

II. Wir nehmen unter Benutzung eines Aluminiumphantoms nach 
Perthes und des Fii rs t e n au sehen Intensimeters bei der¬ 
selben Röhre ©ine Absorptionskurve auf, bei der die Ausbeute an 
Strahlen in der Tiefe zahlenmässig in die Weissenbergschen 
Raster eingetragen wird. Das Aluminiumphantom ist so modifiziert 
worden, dass eine Anzahl Aluminiumplatten von 2 mm Stärke in 
je 2 cm Entfernung voneinander parallel angebracht werden, 
so dass in den Zwischenräumen die Selenzelle des Intensi- 
meters bequem untergebracht werden kann. Behelfsmässig nehmen 
wir an, dass 1 mm Aluminium = etwa 1 cm menschlichen Gewebes 
(Haut, Unterhaut, Muskel) entspräche und' können auf diese 
Weise die Ausbeute in verschiedener Tiefe aus den 


Original frn-m 

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Tafeln ersehen. Das Intensimeter wird bis zur Ermüdung be¬ 
strahlt und am Ende jeder Messreihe durch Vornahme der Anfangs¬ 
messung kontrolliert. Erste und letzte Messung müssen Identisch 
sein, wenn das Gesamtresultat stimmen soll. Bei der Ablesung 
werden die einzelnen Intensimetergrade unterteilt und zwar Halbiert 
und gevierteilt. 

Die Kurvenaufnahme erfolgt einmal unter 3 mm Alu¬ 
miniumfilter, das zweite Mal unter V* mm Zink. 

III. Die praktische Anwendung ergibt sich jetzt eigentlich von 
selbst. Wir können aus einer solchen Rasterkurve bestimmen, wie¬ 
viel F. in einer ungefähr bestimmten Gewebstiefe (n) die betreffende 
Röhre unter 3mm Aluminium (AlT) zahlenmässig in der Minute 
leistet, und wir können sofort 2um Vergleich den Nutzeffekt ln F er¬ 
sehen. den dieselbe Röhre unter X A mm Zink in derselben Tiefe er¬ 
gibt (Zn T). Dieser wird natürlich geringer sein als der unter 
Aluminium erzielte. Um nun in derselben Tiefe die gleiche bio¬ 
logische Wirkung zu haben, müssen also diese beiden Werte gleich¬ 
gemacht werden. Das geschieht, indem wir A1T durch ZnT divi¬ 
dieren und den Quotienten mit dem für die Aluminiumoberflächen¬ 
dosis (AlO) gewonnenen Zeitmass multiplizieren. 

Wir können das unbesorgt tun, da man, wie oben erwähnt, Al 0 
wenigstens um das Zweifache erhöhen kann, ohne Schaden anzu¬ 
richten, und das sich ergebende Produkt immer innerhalb dieser 
Grenzdosis zu liegen kommt. Wir erhalten auf diese Weise eine 
praktisch brauchbare Zeitangabe für das — wenn ich mich so aus- 
drücken darf — (Oberflächen-)Zinkdosis-Minimum (Zn 0) bei gleicher 
ausreichender Tiefenwirkung. Allgemein ausgedrückt würde sich 
folgende Formel ergeben: (Al Tn) /AI 

(Zn0) = (ZiTTH) • (AI 0) 


Um einer missverständlichen Deutung vorzubeugen, sei folgen¬ 
des bemerkt: In Worten ausgedrückt, heisst diese Gleichung: „ZnO 
verhält sich zu AlO umgekehrt wieZnT zu AlT“, während man 
auf den ersten Blick vielleicht erwarten würde: (ZnO) verhält sich 
zu (AI O) d i r e k t wie (Zn T) zu (Al T)“. Das liegt aber nur daran, 
dass ZnO und AlO einerseits, ZnT und A1T andererseits ver¬ 
schieden definiert sind, entsprechend dem für 0 und T verschiedenen 
Messverfahren. 

Aber man wird die Zinkdosis (ZnO) ohne Nachteil auch ver¬ 
doppeln können, da dann immer noch die resultierende Zahl ungefähr 
in derselben Breite liegt wie 3 AlO, und weil dabei sicherlich 
weniger Strahlung an der Oberfläche zur Absorption gelangt als unter 
3 mm Aluminium. Allerdings wird in diesem Falle in der Tiefe 
unter Zn ein grösserer Nutzeffekt vorhanden sein als er dem 
zahlenmässig angegebenen bei Al entspricht, da bekanntlich die 
Ausbeute der Strahlung unter Zn nach der Tiefe zu besser wird. 
Dies kann aber für die therapeutische Wirkung doch nur nützlich 
sein. 

Mit dieser verhältnismässig einfachen Methode, bei der ZnO 
variabel ist, je nach der Tiefe, in der die zu bestrahlende Affek¬ 
tion sich befindet (n), wird erreicht 

1. eine biologisch wirksame Tiefendosis, 

2. der Ausschluss von Erythemen oder sonstigen schädigenden 
Nebenwirkungen. 

Ich bin mir natürlich wohl bewusst, daiss auch diese Methode 
noch unzulänglich ist und« verschiedenen Einwänden begegnen wird. 
Die einfache Umrechnung bei nicht homogener Strahlung, die Gleidh- 
setzung von 1 mm Aluminium = 1 cm Gewebe und noch manches 
andere dürfte auf den Widerspruch der exakt messenden Röntgen- 
fherapeuten an Kliniken und Instituten stossen. Wenn ich aber 
dieses Verfahren dennoch veröffenliche, so geschieht dies lediglich 
mit Rücksicht auf die Bedürsnisse des Praktikers, 
dem mit unserer Methode ein verhältnismässig einfaches Mess¬ 
verfahren an die Hand gegeben werden soll. Ferner scheint es 
nicht ausgeschlossen, dass diese Kombination bei weiterem Ausbau 
auch physikalisch exakte, einwandfreie Resultate ergeben kann, und 
dazu soll diese Mitteilung anregen. Das Verfahren dürfte sich wohl 
auch noch vereinfachen, indem das Al-Phantom durch einen massiven 
Holzblock ersetzt wird, da, wie man aus den Kurven ersieht, die 
Strahlung von einer gewissen Tiefe ab (ca. 6 cm) „homogenisiert" 
Ist. Auf diese Weise wird man mit ganz wenig Messungen aus- 
kommen. Versuche in dieser Richtung sind im Gauge. 

Es ist klar, dass diese Methode nur ein Notbehelf sein kann, 
und als solcher ist sie auch nur gedacht, bis wir ein brauch¬ 
bareres Massfür die Strahlenmessun-g in der Tiefe 
besitzen. Sie gibt aber unseres Erachtens einen Anhaltspunkt für 
den Praktiker, dem (grössere und komplizierte Instrumentarien nicht 
zur Verfügung stehen, und der zu langwierigen theoretischen Unter¬ 
suchungen keine Zeit findet. Ferner leistet sie eine gewisse Sicher¬ 
heit bei Vornahme von Tiefenbestrahtungen und, wie ich glauben 
möchte, neben der genügenden Tiefenwirkung, auch einen aus¬ 
reichenden forensischen Schutz. 


Beispiel. 

Müller-Siederöhre Nr. 154 878 am Symmetrieapparat. 
Belastung: 2,5 Milliampere. 

Fokus-Hautdistanz: 30 cm. 

Die Testfarbe B der Sabouraud-Noir6-Tablette unter 3 mm 
Aluminium wird in 10 Minuten erreicht (AlO). 


ZnT Al T 



Aus obiger Tabelle ergibt sich: 

fiir ca. 6 cm T i e f e ist Al T = 6,75, ZnT = 4,25. also 
675 

ZnO =425 ' 10 Min * — 15,9 Min* 

2 Zn O = 313 Min. 

für ca. 8 cm Tiefe ist AlT = 5,5, ZnT = 3,5, also 

Zn O = || • 10 Min. = 15,7 Min. 

2 Zn O = 31,4 Min. 


Viel-Operieren, künstlicher Abortus und Geburten¬ 
rückgang*). 

Von Prof. Dr. Qustav Klein, München. 

Schon vor dem Kriege zeigte sich ein beständiges Sinken der 
Geburtenzahl. Die Verminderung der Bevölkerungszahl wird durch 
den Krieg und nach ihm geradezu eine Gefahr. 

Kann man ihr Einhalt tun? 

Nicht in jeder, aber in mancher Hinsicht. Hier sollen einige 
Punkte besprochen werden, welche vor allem den Gynäkologen und 
sein Vorgehen betreffen. 

1. Die willkürliche Verminderung der Kinder za hl, der Neo- 
m a 11h u s i a n i s m u s, muss bekämpft werden; das ist ebenso eine 
wirtschaftliche wie eine sittliche Frage. Wir müssen geigen den 
Präventivverkehr mit allen Mitteln Vorgehen; aber reicht nur durch 
Aufklärung der Gatten, sondern auch der Aerzte, welche oft reur zu 
bereitwillig antikonzeptionelle Mittel bei ihren Pflegebefohlenen an¬ 
wenden. 

Die Kommission des Aerztl. Vereins München, zur Beratung von 
Fragen der Erhaltung und Meinung der Volkskraft 1 ) hat das durch 
Leitsätze getan, welche allgemeine Unterstützung und Befolgung ver¬ 
dienen, wenn es auch Ausnahmen gibt, in welchen (zeitweilige 
Schwangerschaftsverhütung geboten sein kann. 

Einige Beispiele für die Auffassung mancher Frauen und Aerzte 
vom Zwecke der Ehe: 

Eine junge Frau von 22 Jahren kam in mettve Sprechstunde 
und sagte: „Ich bin auf der Hochzeitsreise; mein Mann und ich 
wünschen keine Kinder. Welches ist der beste Mutterschutz?" Ich 
habe ihr hinreichend aufrichtig meine Meinung gesagt über diese 
sonderbare Auffassung des Begriffes Mutterschutz. Auf ihre Frage: 
„Was bin ich schuldig?“, habe ich gesagt: „Mir nichts, aber dem 
Staate Kinder". 

In jüngster Zeit kam eine blühende Frau zu mir mH dem 
Wunsche, ihr ein Intrauterinpessar zu entfernen, das von anderer 
Seite eingelegt worden war. Auf meine Frage, weshalb das ge¬ 
schehen sei, erwiderte sie zynisch: „Weil mein Mann und ich keine 
Kinder wollen; das tun alle meine Freundinnen Ihnen allen hat 
Dr. X. das Pessar eingelegt.“ 

2. Eine grosse Rolle spielt die T u b e n s t e r i 1 i s a t i 0 n. Es ist 
unglaublich, aus welchen Indikationen oder vielmehr Nichtindikationen 
dieser Eingriff oft gemacht wird. Dass die Frauen ihn vom Arzte 
verlangen, ist in den meisten Fällen zu verurteilen, weil unbegründet; 
dass er von manchen Aerzten ohne genügende Indikation 
vorgenommen wird, ist einfach standesunwürdig. 

Gelegentlich wird die Tubenunterbindung als .Nebenoperation“ 
(!) bei vaginaler Vaginae- oder Vesicaefixur oder abdominaler Ventri- 
fixur wegen Retroflexio uteri gemacht. Geschieht es ohne Wissen, und 
Zustimmung der Patientin und ihres Gatten, so ist der Eingriff nach 
meiner Anschauung unter Umständen strafbar. 

Es muss unbedingt verlangt werden, dass vorher die schrift¬ 
liche Ziistimmtin'g beider Gatten oder bei- Unverheirateten die 
der Patientin eingeholt wird. Nur aus dringender Indikation soll 
Tubenunterbindung gemacht werden. Notwendig kamt sie allerdings 
bei der Operation grosser Prolapse und von TotalinVersionen sein. 


*) Vortrag in der Münchener gynäkolog. Gesellschaft am 14. Fe¬ 
bruar 1918. 

l ) M.m.W. 1917 S. 875. 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 










1158 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 42. 


Ein wände lassen sich auch dagegen erheben, dass -bei Tuber¬ 
culosis pulmonum „grundsätzlich mit dem Abortus artifioiaHs die 
(Tuben-) Sterilisierung vorgenommen w:ird“, wie aus einer Klinik be¬ 
richtet wurde (Arch. f. Gyn. 107. H. 2). Wenn nun die Frau später 
gesund oder ihr Lungenleiden wenigstens erheblich gebessert wird 
— warum vorher sterilisieren? 

In anderen Fällen, in welchen es sich nicht um schwere Lungen¬ 
tuberkulose, grosse Prolapse u. a.. sondern um „soziale Indikationen“ 
(oft nur um einen Wunsch der Frau) und um andere ungenügende 
Indikationen handelt, können später ernste Schwierigkeiten ent¬ 
stehen; so, wenn der erste Mann stirbt und die sterilisierte Frau 
wieder heiraten wiH. Verschweigt sie dem Gatten die erfolgte Sterili¬ 
sation, so kann das ein Scheidungsgrund werden; sagt sie ihm vor 
der Heirat die Wahrheit, so kann er von der Heirat zurücktreten. 

3. Wegen „Entzündung der Eierstöcke oder Ei¬ 
leiter“ werden oft bei jungen Mädchen oder Frauen die Adnexe 
entfernt. Eine Frau kam zu mir und. erzählte: „Draussen sitzt mein 
Mädchen; sie ist 18 Jahre alt. Morgen sollen ihr von Dr. Y. beide 
Eierstöcke entfernt werden, weil sie entzündet sind. Bitte, unter¬ 
suchen Sie doch auch das Mädchen!“ Ich tat es und fand' einfach 
nichts Abnormes an den Adnexen, keine tastbare Schwellung, keine 
auffallende Empfindlichkei, nichts, als offenbar nur eine Darmatonie 
und Koprostase. 

In den letzten Jahren häufen sich die Fälle, in welchen von 
verschiedenen Kranken eine Nachuntersuchung gewünscht wird, weil 
diese oder jene Operation von anderer Seite als notwendig bezeichnet 
worden sei. Manche Frauen machen es klüger: Sie berichten über 
ihre Beschwerden und wenn sich nichts findet als Darmträgheit, Chlo¬ 
rose oder Aehnliehes, dann rücken sie erst mit der Wahrheit heraus: 
„Gott sei Dank, Dr. Z. wollte mir einen oder beide Eierstöcke oder 
die Gebärmutter entfernen.“ Im ersten Falle, wenn die Kranken 
gleich zu Beginn aufrichtig sagen, sie wünschten nur eine Nach¬ 
untersuchung, bevor sie von anderer Seite die als nötig bezeichnete 
Operation vornehmen Messen, lehne ich das jetzt regelmässig ab. Ich 
halte mich nicht für berechtigt, im Einzelfalle der Patientin gegenüber 
Schiedsrichter über diese Fragen zu sein. Es ist ausserdem mehr 
als unangenehm, entgegen dem Urteile des ersten Arztes sagen zu 
müssen: „Es findet sich kein Grund zu einer solchen Operation.“ Wenn 
man den Sachverhalt erst nach der Untersuchung und Beratung er¬ 
fährt. ist es leider nicht mehr möglich, auszuweichen. 

In solchen Fällen hört man immer wieder die gleichen Namen 
tatenlustiger Aerzte. 

4. Ein weiterer, und wohi der wichtigste Punkt ist die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft, die Einleitung des Abortus arti¬ 
ficial i s. 

Dass hier eine weitgehende Einschränkung nötig ist wird von 
allen Seiten anerkannt. In Aufsätzen und Vereinen wird seit Jahr 
und Tag darüber geschrieben und gesprochen. 

Ein Autor schätzt die Zahl der kriminellen Aborte auf 90 Proz. 
aller Aborte. Für München, und soweit meine Erfahrung reicht, auch 
für Bayern, ist die Zahl sicher geringer. B u m m rechnet auf 1,9 Mil¬ 
lionen Geburten im Jahre 1913 300 000 Fehlgeburten = 15 Proz. Die 
spontanen Abortus sollen nur 5 Proz. betragen. In Deutschland kämen 
also in einem Jahre 200.000 künstliche Abortus in Frage. 

Für Berlin schätzt Olshausen die Zahl der kriminellen Aborte 
auf 80 Proz. , Max Hirsch auf 78 Proz. aller Aborte: demnach 
enden 27 Proz. aller Schwangerschaften durch Abortus, 21 Proz. 
durch Abtreibung! 

Vorwiegend werden kriminelle Abtreibungen durch Nichtärzte 
ausgeführt. Aber von vielen Seiten wird zugegeben, dass die aner¬ 
kannten Indikationen teils einen zu weiten Spielraum selbst für ein 
ärztliches Eingreifen geben, teils von manchen Aerzten überschritten 
werden. 

Allerdings kann der Abortus ariificialis nicht ganz entbehrt 
werden. Das zeigen die jüngsten Veröffentlichungen vieler Gynäko¬ 
logen, die sicher nichts weniger als leicht und weitherzig den Ein¬ 
griff vornehmen. 

Einige Autoren haben ihre Zahlen veröffentlicht: ich füge meine 


Zahlen an. 

Krankenzahl 

Abort, artif. 

Proz. 

Franz 

55 000 

140 mal = 

0,25 

Heinsius 

9 000 

60 mal = 

0.6 

G. Winter 

Strassmann 

5 500 (klin. 

Pat.) 31 mal = 

0.56 

vor dem Kriege 

18 500 

118mal = 

0.6 

Im Kriege 

8 100 

12 mal« — 

0,15 

G. Klein 

30 900 

86 mal = 

0,3 


(nämlich 18 900 poliklinische Kranke und 12 000 private Kranke). 


Die Zahlen sind aber nicht ohne weiteres unter sich vergleichbar. 
So rechnet Winter nur die Zahl der klinisch aufgenommenen 
Frauen, andere, wie Heinsius, Strassmann und ich rechnen 


Nachtragbeider Korrektur: Inzwischen hat E. G i e s e- 
Jena in der M.m.W. 1918 Nr. 38 festgestellt, dass Henkel in 
4 V 2 Jahren 98mal (ü) den künstlichen Abortus eingeleifet hat. Leider 
lässt sich die Prozentzahl daraus nicht berechnen, weil eine Angabe 
über die Gesamtzahl der Geburten fehlt. Aber man vergleiche: 
Franz unter 55000 Kranken 140 mal. Klein in 24 Jahren unter 
30 900 Kranken 86mal, Henkel in 4% Jahren 98mal Abort, artif. 

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alle ambulatorisch und klinisch behandelten Frauen. Dadurch wird 
Winters Prozentzahl naturgemäss grösser als die der anderen. 
Die Zahl von Heinsius erklärt sich daraus, dass er gynäkologischer 
Berater einer Tuberkulosenfürsorgestelle ist. 

Ich berichte zunächst über die wichtigsten Indikationen m meinen 
Fällen von 1892 bis Ende 1917: 

Unter 30 900 Kranken 86mal Abortus artificialis. 


und zwar wegen 

Tuberc. pulm. 35 mal 

Hyperemesäs 10 mal 

chronischer Nephritis, PyeUtis 6 mal 

(darunter 2 mal nach Exstirpation einer Niere) 
psychischer Erkrankung, Tabes usw. 10 mal 

(darunter 1 mal Lues, Tabes, Morphinismus grav.) 
Osteomalacie 1 mal 

Amaurosis in früh. Grav., zunehmender Gesichtsfekleinengung 

-in dieser Gravidität 1 mal 

Karies der Lendenwirbelsäul-e 2 mal 

Dysent. Ulzera des Kolon 1 mal 

Myelitis (2 mal Abort, an derselben Patientin) 2 mal 

usw. 


Es ergibt sich daraus, dass auch hier, wie bei alten anderen 
Untersuchern, naturgemäss die Tuberkulose die grösste Rolle spielt 
Aber hier beginnen schon die Schwierigkeiten. Mau soll Abortus 
nur bei „progredienter, offener Tuberkulose“ einleiten. Die Indikation 
wird aber, wie ich wiederholt erlebt habe, oft viel weiter gestellt, 
ja. jede Spitzendämpfung schon als Indikation bezeichnet Wie kann 
man ferner von „progredienter Tuberkulose“ sprechen, wenn man die 
Kranke nur einmal untersucht hat? 

Es folgen dann Hyperemesis und Nephritis. Besonders 
auffällig erscheint mir meine relativ hohe Zahl der Fälle von psy¬ 
chischen Störungen und solchen des Zentralnervensystems. Ich 
möchte hier ausdrücklich betonen, dass selbstverständlich in jedem 
Falle entweder im vorhinein die Indikation von einem Facharzte 
gestellt und mir die Kranken von einem solchen zur Einleitung der 
künstlichen Fehlgeburt geschickt waren, odeT dass von mir selbst 
ein Facharzt beigezogen wurde. Es handelt sich in allen Fällen um 
Autoritäten, deren Urteil sicher von jedem von Ihnen anerkannt wird. 
In solchen Fällen stelle ich mich auf den Standpunkt, dass dfe Indi¬ 
kation vom Facharzte gestellt werden muss und der Gynäkologe nur 
das ausführende Organ ist. 

Ein Beispiel: Eine luetische Frau mit vorgeschrittener Tabes 
und schwerem Morphinismus wurde mir von einer Klinik zur Ein¬ 
leitung des Abortus geschickt. Ich habe ihn ausgeführt. 

Alzheimer hat im Münchener Aer ztlichen Verein die Indi¬ 
kation aus psychiatrischen Gründen überhaupt be¬ 
stritten. 

Ein Fall soll die Schwierigkeit erläutern, die hier dem Gynä¬ 
kologen erwächst: Eine psychotische und hereditär aufs schwerste 
belastete Frau war wegen Selbstmordversuches schon wiederholt in 
Anstalten. Eine grosse Anzahl ihrer Anverwandten hatte durch Selbst¬ 
mord geendet. Sie wurde mir von einem hervorragenden Nerven- 
spezialisten zur Einleitung des Abortus geschickt. Ich habe ihn aber 
nicht ausgeführt, sondern versucht, der Kranken vorzustellen, dass 
vielleicht später das Kind das Glück ihres Lebens werden könne. Ich 
bin überzeugt, dass der Abortus inzwischen längst von einem anderen 
Arzte ausgefiihrt worden ist — nach der Indikation des Nerven- 
spezialisten sicher mit vollem Rechte. 

Aber gibt es denn ,in scheinbar viel einfache r hegenden Fällen 
eine klare, sicher umschriebene Indikation, z. B. bei 
offener, progredienter Tuberkulose, schweren, nicht kompensierten 
Herzfehlern, chronischer Nephritis, septischer PyeÜtis? 

Nein, kerne einzige! 

Mit Recht wurde gesagt, der Münchener Gynäkologenkongress 
habe «durch seine Verhandlungen den Wirrwarr nur erhöht. 

Ja, manche Autoren gehen heute so weit, zu versichern, es gäbe 
überhaupt keine Indikation für den künstlichen Abortus mehr! 

Döderlein hat im Münchener AerztMchen Verein 1917 eine 
Reihe von Indikationen aufgestellt. Aber einerseits lassen sie für 
„weitherzige Aerzte“ noch immer einen zu weiten Spielraum, anderer¬ 
seits fehlen« naturgemäss so seltene Indikationen, wie sie in folgen¬ 
den Fällen sich darboten: 

Eine Patientin war in der ersten Schwangerschaft vollkommen 
erblindet, wurde wieder sehend, zeigte aber in der zweiten 
Schwangerschaft abermals eine zunehmende Gesichtsfeldeinengung. 
Ein bekannter Lehrer der Augenheilkunde hielt die Einleitung des 
Abortus für geboten. Ich habe ihn ausgeführt. 

Bei einer Patientin, die früher im Orient gelebt hatte, bestanden 
Darmblutungen durch* dysenterische Geschwüre des Kolon mit 
schwerer Anämie. Die Indikation zur Schwangerschaftsunterbrechung 
wurde durch ehren unserer führenden Kliniker gestellt. Ich habe sic 
ausgeführt. 

Die beiden Fälle, wie so mancher andere, gehen aus dem Rahmen 
dessen heraus,, was landläufig als Indikation für den künstlichen 
Abortus anerkannt wird. Man denke z. B. an Henkels Einleitung 
des Abortus wegen Varizen. 

Unter meinen Fällen befinden sich zwei von Myelitis und 
deshalb vorgenommener Schwangerschaftsunterbrechung be5 derselben 
Patientin, ein Fall von Osteomalazie und zwei von absolut verengtem 

Original frorri 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



15. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1159 


Becken (in beiden Fällen hatten die Gatten die Einleitung des Abortus 
wegen schwerer Komplikationen bei früheren Geburten verlangt); 
zwei von Karies der Lendenwirbelsäule usw. 

In allen diesen Fällen wurde die Indikation schriftlich durch 
Fachärzte von Ruf gestellt. 

Und dennoch glaube ich, dass meine Zahl hätte vermindert wer¬ 
den können, und zwar nach meiner heutigen Anschauung vor allem 
in mehreren Fällen von Hyperemesis. 

Bei Hyperemesis müssen wir es wohl mit unserem Gewissen als 
Gynäkologen abmachen, werden aber doch in jedem Falle einen zwei¬ 
ten Arzt beiziehen, am besten einen Internisten. 

Vor Einleitung des Abortus ist aber unbedingt zu verlangen, dass 
die von Kaltenbach und mir angegebene Behandlung der Hyper¬ 
emesis (Ruhekur in einer Anstalt) vorher hinreichend lange versucht 
wird. Seit ich das grundsätzlich tue, habe ich in keinem Falle 
mehr den Abortus wegen Hyperemesis einleiten müssen. 

Bei allen anderen Indikationen sind wir auf das Urteil von Fach¬ 
ärzten angewiesen. Dürfen wir die Ausführung des Abortus in sol¬ 
chen Fällen verweigern? Ich habe es wiederholt getan. Fest über¬ 
zeugt bin ich aber, und in mehreren Fällen weiss ich es bestin mt, dass 
der Eingriff dann doch von anderer Seite gemacht wurde. Für 
den praktischen Arzt, der die Einleitung des Abortus als nötig be¬ 
zeichnet hat, ist es ausserdem überaus peinlich, wenn sie dann vom 
Gynäkologen abgelehnt wird. 

M. H.! Für mich ergibt sich zweierlei daraus: 

1. Es gibt keine feststehenden, allgemein an¬ 
erkannten Indikationen und 

2. selbst das Urteil eines zweiten Arztes kann 
nicht in jedem Falle zwingend für unser Han¬ 
deln sein. Wir dürfen unter dieser Rückendeckung in 
solchen Fällen den Abortus einleiten, wir müssen cs aber 
nicht. 

Wenn für die gewissenhaften Aerzte die Entscheidung dadurch 
in hohem Masse erschwert wird, so wird sie für die von 
Rüge so genannten „bösartigen Aerzte“ um so leichter, ^elbst 
wenn wir statt „bösartig“ das mildere Wort „weitherzig“ wählen. 

Eine Indikation, ein wissenschaftlicher Deckmantel, findet sich 
immer. 

Mit vollem Rechte wurde von der „Symbiose zweier Aerzte“, 
von einem „par nobile fratrum“ gesprochen, die sich immer gegen¬ 
seitig decken und dann das Honorar, das oft eine ganz ansehnliche 
Höhe hat, zufrieden teilen. 

Der eine findet eine Spitzentuberkulose, der andere leitet die 
Fehlgeburt ein. Findet man kurze Zeit darnach auch nicht die Spur 
einer Lungenerkrankung. so heisst es triumphierend: „Ja, sehen Sie, 
das ist eben der Erfolg unseres Eingriffs!“ 

5. M. H.! Der bekannte, aufsehenerregende Fall, in welchem 
von Henkel der hochgravide Uterus wegen Lungentuberkulose ex- 
stirpiert wird, während sich später (im erwähnten Falle nach dem 
dadurch erfolgten Exitus) keine Tuberkulose findet, ist auch ander¬ 
wärts vorgekommen. Gegen die vielfach geübte Methode, bei Ge¬ 
legenheit und zum Zwecke einer Abortuseinleitung gleich den gan¬ 
zen Uterus zu entfernen, lassen sich gewichtige Gründe an¬ 
führen. 

Es gibt nur eine einzige allgemein gültige Indikation dafür: 
Gleichzeitiges Bestehen eines malignen Uterustumors. Jede andere 
Indikation muss von Fall zu Fall geprüft und wohl in den meisten 
Fällen abgelehnt werden. 

Selbst bei der Komplikation „Schwangerschaft und Myom“ ver¬ 
langt Hofmeier mit vollem Recht ein Abwarten bis zum nor¬ 
malen Geburtstermin. 

In jüngster Zeit wurde aus einer Klinik berichtet: „Von der Ex- 
stirpatio' uteri gravidi mit Adnexen, die 28 mal ausgeführt wurde (bei 
Tuberc. pulm.) ging die Klinik später wieder ab, da die Ausfalls¬ 
erscheinungen und der Kastrations-Fettansatz oft ungünstig auf den 
Verlauf und das Befinden der Patientin einzuwirken schienen.“ Wäre 
nicht die Erhaltung der Fortpflanzungsfähigkeit ein viel wichtigerer 
Grund gegen die Exstirpation des Uterus gewesen? Denn einige der 
Frauen hätten sich wohl auch ohne sie erholt; ist -es doch trotz des 
schweren Eingriffes der Fall gewesen! 

Wie ist den anerkannten Schwierigkeiten in der Indikationsstel- 
tung abzuhelfen? 

Man hat betont, dass die Indikation von zwei A e r z t e n 
gestellt und schriftlich nieder gelegt werden soll. 
Nach dem Gesagten halte ich diesen Weg für unzureichend. In vielen 
Vereinen und Gesellschaften, auch in München, ist die Anzeige- 
pflicht empfohlen worden, von den einen vor. von den andern 
nach dem Eingriffe. Die Anzeigepflicht nach erfolgtem Eingriffe 
kann dem Amtsärzte vielleicht, aber auch nur vielleicht, ein Bild 
geben von der Zähl der Eingriffe, welche die einzelnen Aerzte 
machen. Aber sogar die Anzergepflicht vor dem Eingriffe halte ich 
für völlig unzulänglich. Die „weitherzigen Aerzte“ werden dann ein¬ 
fach keinen Abortus artificialis mehr in ihren Büchern führen, sondern 
höchstens eine „Abrasio“. 

Ich konstruiere das nicht, ich denke hier und in allen andern ge¬ 
schilderten Fällen an ganz bestimmte Vorkommnisse. Oder sie fin¬ 
den einen „drohenden“ oder gar einen „inkompleten“ Abortus. Wer 
soll das später nachprüfen? Das vernichtend satirische Wort 
Czernys von den ^Finanzoperationen“ gilt heute un¬ 
vermindert für manche Schwangerschaftsunterbrechungen. 

Nr. 42 . 


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Ich sehe keinen andern durchgreifenden Ausweg als folgenden: 
Jeder Fall von Einleitungder Fehlgeburt muss vom 
Amtsärzte (Bezirksarzt. Kreisarzt) begutachtet werden. 
Der Amtsarzt hat nicht nur die Berechtigung, sondern die Verpflich¬ 
tung, in schwierigen Fällen einen Facharzt beizuziehen. Dieser Fach¬ 
arzt kann von einem Medizina laus Schuss gestellt oder genannt wer¬ 
den oder der Amtsarzt zieht ihn nach freier Wahl bei. In manchen 
Fällen muss der Amtsarzt das Recht haben, die Schwangere zur Be¬ 
obachtung oder zum Versuche einer konservativen Behandlung einer 
von der Regierung oder dem Medizinalausschuss bestimmten Anstalt 
zu überweisen. Man kann einwerfen, das sei eine Beeinträchtigung 
der persönlichen Freiheit. Ja, haben wir denn dein Staate gegen¬ 
über eine unbedingte persönliche Freiheit? Können wir sie dem Ge¬ 
mein wohie gegenüber beanspruchen? 

Wie schon heute vom Lande und von kleinen Städten die Kran¬ 
ken zu grösseren operativen Eingriffen den Fachärzten und Anstalten 
in grösseren Städten überwiesen werden, so kann es erst recht im 
Falle einer geplanten künstlichen Fehlgeburt geschehen. 

Döderlein hat bei einer früheren Gelegenheit gesagt, man 
könne nicht verlangen, dass ein Kliniker sich einem solchen Ober¬ 
gutachten unterwerfe. Schauta hat in jüngster Zeit den Einwand 
gemacht, dass sich ihm kein ernster Arzt unterwerfen werde. 

M. H.! Nach den bekannten Jenenser Erfahrungen wird sich 
vielleicht auch von klinischer Seite kein Einspruch mehr dagegen 
erheben. Ich für meinen Teil werde mich nicht nur einem solchen 
Obergutachten unterwerfen, sondern sogar sehr zufrieden sein, wenn 
mir diese Verantwortung abgenommen' wird. 

Das Thema ist so gross, dass nur auf einige Punkte hingewiesen 
werden konnte. Ich wollte nur meinen Standpunkt darlegen und be¬ 
gründen. 

Mit vollem Recht haben, um ein anderes Gebiet zu streifen, 
Nassauer, Schauta. Peters .u. a. die Wiedereinführung der 
Findel hä user verlangt. 

Von grösster Bedeutung ist hier unsere Gesetzgebung: 
nach deutschem Rechte ist z. B. das uneheliche Kind mit seinem Er¬ 
zeuger nicht einmal verwandt! In jüngster Zeit hat Norwegen einen 
überaus wichtigen Schritt zum Schutze des intrauterinen und beson¬ 
ders auch des unehelichen Kindes getan. 

Und unsere landläufige „Moral“! Bände könnten über die „Sitt¬ 
lichkeit" geschrieben werden, die oft-genug nichts als Heuchelei ist. 
Warum verweigert inan noch immer den Müttern, welche ihr un¬ 
eheliches Kind unter Sorgen und Kämpfen zu einem tüchtigen Men¬ 
schen erziehen, den Ehrennamen „Frau“? Und warum belastet man 
das uneheliche Kind noch immer mit dem Makel der unehelichen Ge¬ 
burt? 

Dass alle diese Dinge eingehender Beratung bedürfen, ist selbst¬ 
verständlich. Aber wir werden Heinsius recht geben, wenn er 
sagt: „Der Begriff der Heiligkeit der Mutterschaft scheint vielen 
Frauen verloren gegangen zu sein“. Ja, wir werden hinzufügen dür¬ 
fen: Er scheint sogar manchen Aerzten verloren gegangen zu sein. 
Mit vollem Rechte wurde betont, dass es sich oft um eine rein ethische 
Frage handle. 

Man hat den Grundsatz aufgestellt: Jede Frau ist Herrin über 
ihren Körper, also auch über ihre Leibesfrucht. Diesem Grundsätze 
muss auf das allerschärfste widersprochen werden. Ueber dem Be¬ 
hagen und Unbehagen des Einzelnen steht ein viel höheres Sitten¬ 
gesetz. Es lautet: „Das Gemeinwohl über alles“. 

Leitsätze 

zu der aut den Vortrag folgenden Besprechung. 

1. Die willkürliche Verminderung der Kinderzahl', der Neo-Malthu- 
sianismus, muss durch Aufklärung der Gatten und der Aerzte 
bekämpft werden („Präventivverkehr, Okklusivpessar, Intra¬ 
uterinpessar etc.“). 

•2. Tubensterilisation ohne genügende Indikation und besonders 
ohne schriftliche Zustimmung der beiden Gatten vorzunehmen, 
'ist ■unzulässig'. 

3. Die Entfernung der Adnexe wegen „Entzündung der Eierstöcke 
oder Eileiter“ ist in den meisten Fällen unnötig und aufs 
äusserste einzuschränken. 

4. Für die Einleitung des Abortus artificialis gibt es keine fest¬ 
stehenden, allgemein anerkannten Indikationen (siehe Herz¬ 
fehler, Hyperemesis etc.). 

5. Aus diesem Grunde kann das Urteil eines zweiten Arztes, der 
die Einleitung des Abortus für „wünschenswert“ oder selbst 
für notwendig bezeichnet, nicht in jedem Falle zwingend für 
unser Handeln sein. Wir dürfen unter dieser Rückendeckung 
in solchen Fällen den Abortus einleiten, wir müssen es aber 
nicht. 

6. Aus Satz 4 ergibt sich, dass für „weitherzige“ Aerzte fast immer 
eine Indikation gefunden wird. 

7. Die schriftliche Niederlegung der Indikation durch zwei- Aerzte 
gibt keine genügende Gewähr für strenge Indikationsstelhmg. 

8. Das gleiche gilt für die vielfach geforderte Anzeigepflicht voi 
oder nach Einleitung des Abortus. 

9. Es soll deshalb jeder Fall von Einleitung des Abortus durch 
einen Amtsarzt begutachtet werden. Er hat die Verpflichtung, 
in schwierigen Fällen einen Facharzt beizuziehen und die Be¬ 
rechtigung, nach eigenem Ermessen die Schwangere zur Be- 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



116U 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 42. 


obachtung oder zum Versuche einer konservativen Behandlung 
(z. B. bei Hyperemesis) einer bestimmten Anstalt zu über¬ 
weisen. 

10. Die Entfernung dts schwangeren Uterus ist nur bei gleich¬ 
zeitigem Bestehen eines Uterustumors, in der Hauptsache einer 
malignen Geschwulst, gerechtfertigt. 

11. Die Frage der Schwangerschaftsverhütung und -beseitigung ist 
teils eine ärztliche, teils — und in noch höherem Masse — 
eine ethische. 


Beitrag zur Behandlung von Verwundungen des Knie¬ 
gelenkes mit Vuzin (Klapp). 

Von Marinestabsarzt Dr. Chr. Stieda im Felde. 

Seit der Einführung des Phenolkampfers bei der Behandlung 
von üelenkverletzungen, insbesondere des Kniegelenkes, durch 
Payr ist von verschiedenen Seiten D meist nur Günstiges über 
seine Anwendungs- und Wirkungsweise berichtet worden. In den 
neueren Veröffentlichungen 2 ) wird manchmal die Anwendung des 
Vuzins erwähnt. Nachdem Payr 3 ) selbst die Verwendung des 
Phenolkampfers unter gewisse Voraussetzungen gestellt wissen will, 
mag es berechtigt erscheinen, über den klinischen Verlauf von Knie¬ 
gelenksverletzungen zu berichten, die im Kriegslazarett beobachtet 
werden konnten nach Verwendung von Phenolkainpter und ver¬ 
gleichsweise mit Vuzin. Abgesehen von einigen wenigen Fällen 
(Infanterieverletzungen), deren von Anfang an reaktionsloser Ver¬ 
lauf schliessen lässt, dass eine wesentliche Infektion des Gelenkes 
nicht stattgefunden hatte, hatte die primäre Installation von Phenol¬ 
kampfer in vorderen Sanitätsformationen die spätere Entwicklung 
eines schweren klinischen Verlaufes bei schwereren Verwundungen 
des Kniegelenkes nicht verhindern können. Selbst nach heutigen 
Grundsätzen möglichster Frühoperation mit Verschluss des Gelenkes 
oder nach Payr mit Ventildrainage behandelte Fälle, hatten dem 
Schicksale schwerer Vereiterungen nicht entgehen können. 

Da die Forderung einer ganz frühzeitigen Operation von Knie¬ 
gelenkssteckschüssen nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich 
ist, habe ich selbst eine ganze Reihe von schwereren Steckschüssen 
(Schrapnells, Granatsplitter) im Gelenk operieren können. Diesen 
war der Transport meist nicht zum besten ausgeschlagen und sie 
zeigten höhere Temperatursteigerungen. Hier wurde von mir am 
4.—7. Tage nach der Verwundung allgemein Phenolkampfer ange¬ 
wendet. Auch hier habe ich keinen günstigen Einfluss feststellen 
können, wenn ich auch in diesem Falle, was nach den erstgemachten 
Beobachtungen bei primärer Behandlung nahe liegen würde, die 
Versager nicht absolut der Methode zur Last legen will, da sie erst 
spät angewandt werden konnte. 

Wesentlich günstiger habe ich den weiteren Verlauf von pri¬ 
mär mit Vuzin behandelten Kniegelenksverletzungen gefunden. Die 
meist beim längeren Transporte aufgetretenen Fiebersteigerungen 
nur leichterer Art gingen in der Ruhe zurück, zu schweren Em¬ 
pyemen oder Kapseleiterungeil kam es nicht. 

Auch meine eigene Anw endung von Vuzin bei S p ä t Operationen 
wegen steckender Geschosse im Kniegelenk lassen mich für die 
Vuzinbehandlung das Wort ergreifen. Es waren hierunter schwere 
Fälle mit Verletzung der gelenkbildenden Knochenteile. Ich instal¬ 
lierte das Vuzin in der von Klapp angegebenen Weise, nach Ver¬ 
schluss des Gelenkes. Machten Temperatursteigerungen Absaugen 
des Exsudates notwendig, so war dieses zwar manchmal flockig 
und trübe, einen Uebergang in reine Eiterung habe ich nicht erlebt. 
Es wurden dann von neuem nach dem Absaugen 15—20 ccm in¬ 
stalliert. Dieselben günstigen Erfahrungen nach Einspritzen von 
15—20 ccm Vuzin machte ich bei sekundären Infektionen des Knie¬ 
gelenkes, die dadurch zustande gekommen waren, dass bei Eiterung 
in Weichteilverwundungen in nächster Nähe der Gelenkkapsel diese 
allmählich arrodiert wurde. Auch hier gingen nach mehrfachem 
Absaugen und Wiedereinspritzen von Vuzin die Entzündungs¬ 
erscheinungen im Gelenk zurück. 

Meine Beobachtungen über Vuzin stimmen überein mit denen 
Schönes und Klapps 4 ). Neu dürfte sein, dass auch bei se¬ 
kundärer Anwendung günstigere Erfolge zu erzielen sind, als 
mit Karbolkampfer. Jedenfalls dürfte nach meinen Beobachtungen 
die Vuzinbehandlung der Gelenke in den vorderen Sanitätsforma¬ 
tionen, schematisch durchgeführt, weniger Fehl¬ 
schläge aufweisen, als die jetzt zum Teil geübte schematische 
Karbol- oder Phenolkampfertherapie, die eine genauere und an¬ 
dauernde Ueberwachung voraussetzt. 


*) Gündel: D. Zschr. f. Ghir. 143. 1918. — Kreglinger: 
M.m.W. 1918 Nr. 6. 

a ) Federmann: D.m.W. 1918 Nr. 30. 
s ) Payr: Jahreskurse f. ärztl. Fortbldg., Dez. 1917. 

4 ) Verhandl. III. Kr.-Chir., Brüssel 1918, Bruns Kriegschir. 
Hefte 60. 


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lieber Verletzungen des Ligamentum ileofemorale. 

Von Stabsarzt Dr. Engel, Minden. 

Das Lig. ileof., das, als starker, breiter Bindegewebszug in die 
vordere Hüftgelenkskapsel eingefügt, zwischen Spina iliaca ant. inf. 
und Linea obliqua femoris ausgeb reitet ist, 'hat den Zweck, eine 
Ueberstreckung und übermässige Auswärtsrotation des Oberschenkels 
zu verhüten. Bei Rückenlage verhindert letztere der beiden Funk¬ 
tionen das Umfallen des Beines nach aussen. Deshalb sehen w'ir auch 
bei Oberschenkelbrüchen unterhalb der Linea obliqua, wo der Einfluss 
des Lig. ileof. auf das untere Bruchstück und damit auf das ganze 
Bein unterhalb der Bruchstelle ausgeschaltet ist, wie dieser Teil des 
Beines übermässig nach aussen rotiert ist, also mit der Aussenkante 
des Fusses, der Aussenfläche von Unterschenkel und Knie und des 
angrenzenden Oberschenkelabschnittes der Unterlage aufliegt. 

Dieses Symptom ist uns ja vom Frieden her schon wohlbekannt. 

In der mir, jetzt allerdings nur in beschränktem Masse zugänglichen 
Kriegs- und Friedensliteratur habe ich aber nichts darüber gefunden, 
dass auch eine andere Verletzung das gleiche Symptom her vorrufen 
kann, nämlich die Durchtrennung des Lig. ileof. selbst bzw. seines 
äusseren Teiles, dem ja die Behinderung der übermässigen Auswärts- 
rotation des Oberschenkels zufällt. 

Handelt es sich um eine gleichzeitige durchgehende Fraktur des 
Oberschenkels im Bereiche des Bandes oder eine schwere Zertrüm¬ 
merung des Hüftgelenkes, dann wird allerdings diese Schädigung des 
Bandes mehr zurücktreten. Es gibt aber, anscheinend nicht häufige 
Fälle, wo die anderen Verletzungen nicht so hochgradig sind, dafür 
die Schädigung des Bandes umsomehr hervortritt, und wo das Er- 
I kennen derselben von grosser diagnostischer, prognostischer und thera¬ 
peutischer Bedeutung ist. 

Als Beispiel will ich in Kürze folgenden Fall anführen: Es handelt 
sich um einen Infanteristen, den wir einige Zeit nach der Ver¬ 
wundung übernahmen. 

Im Aufnahmebefund war als Hauptsache vermerkt: Grosse Ein- 
schuiswunde etwas hinter- und oberhalb des Trochanter major, grosse 
Ausschusswunde dicht vor demselben und etwas tiefer als die Ein¬ 
schusswunde. Nach Durchtrennung der Weichteilbrücke zeigt sich 
die Spitze des Trochanter major zerschmettert, so dass sie vollständig 
fehlt. Entfernung der Splitter, Freilegen von Nischen und Taschen, 
Drainage, Verband. Eine Verletzung des Hüftgelenks wird nicht ge¬ 
funden. 

An dem Fall fiel mir auf, dass das ganze rechte Bein, nach 
aussen umgerollt, auf der Unterlage lag. Da die Distantia spino- 
malleolaris beiderseits gleich war, also eine Verkürzung des Beines 
nicht bestand^ und auch sonstige Anzeichen einer durchgehenden 
Fraktur fehlten, wurde als Ursache dieser Haltung des Beines eine 
Verletzung des Ligamentum ileofemorale angenommen. Das bestätigte 
sich auch bei genauerer Untersuchung der Wunde. Das Band war in 
seinem äusseren Teil, dicht oberhalb der Linea obliqua annähernd 
quer durchrissen, was sich nach Einwärtsziehen der auf der Ver- 
letzungsstelle gelegenen, ziemlich weit nach innen abgelösten Musku¬ 
latur feststellen liess. Vom Trochanter major fehlte die Spitze. Dte 
Linea obliqira war aber erhalten. 

Da, wie oben erwähnt, das Lig. ileof. fest mit der Hüftgelenk¬ 
kapsel verbunden ist, wurde auch eine Verletzung der letzteren, mit¬ 
hin auch eine Infektion des Gelenkes vermutet, auf die auch das 
remittierende Fieber bis zu 39° und der ziemlich schlechte Allge¬ 
meinzustand hinwiesen. Sie wurde auch bei genauerer Untersuchung 
gefunden, und.war, wie der Bandriss, durch Muskulatur verdeckt. Sie 
war nur klein, hatte aber das Gelenk eröffnet und lag hinter dem 
Bandriss im äusseren Teil der vorderen Gelenkkapsel. Das kleine 
Loch hatte aber genügt zur Entwicklung einer schweren eitrigen 
Koxitis. 

Das Gelenk wurde von hinten her freigelegt, die ganze hintere 
Kapsel exstirpi-ert. Die Luxation des Kopfes gelang leicht. Das Liga¬ 
mentum teres war zerstört, ebenso die Gelenkknorpel zum grossen 
Teil. Die ganze Gelenkhöhle war mit Eiter erfüllt. Zur besseren 
Ue'bersicht und Herstellung eines guten Abflusses wurde der Kopf rese¬ 
ziert und das Bein in nach hinten oben luxierter Stellung verbunden. 

Im weiteren Verlauf der Erkrankung hatte sich schleichend die 
Eiterung nach vorne verbreitet zwischen Rektus einerseits und Lig. 
ileof. und Femur andererseits. Ob das vom Gelenke oder der äusseren 
Wunde her geschah, war nicht zu entscheiden. Die Eiterung drang 
zwischen Rektus und Ileopsoas weiter nach vorne bis dicht unter 
die Haut am Innenrand des Sartorius und führte auch noch zu einer 
Arrosionsblutung aus einem grösseren Ast der Profunda femoris, so 
dass mehrere Einschnitte und eine doppelte Unterbindung des Ge- 
fässes nötig waren. 

Die Diagnose der Verletzung des Lig. ileof., wenigstens seiner 
queren oder schrägen Durchtrennung, bzw. der seines äusseren Teiles, 
kann, nicht schwer sein. Stets handelt es sich wohl um Schussver¬ 
letzungen. Ich habe wenigstens in der mir zugänglichen Literatur 
nichts von einer solchen Verletzung durch plötzliche übermässige 
Dehnung oder gewaltsame Auswärtsrotation gefunden. Immerhin 
wäre sie einmal möglich, ebenso wie Knochenabsprengungen der 
Linea obliqua, ähnlich denen der Tuberositas tibiae. 

Das wichtigste Symptom ist das Umfallen des Beines nach aussen. 
Eine Fraktur unterhalb der Linea obliqua können wir leicht afls- 
schliessen, wenn eine Verkürzung des Beines und auch sonstige 


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«5. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Zeichen einer durchgehenden Fraktur fehlen. Lage und Beschaffen¬ 
heit der Schusswunde, Richtung des Schusskanals geben wohl 
weitere Anhaltspunkte. Eine Knochenverletzung braucht wohl nicht 
immer mit vorzuliegen. Ist das Band in der Richtung seines Verlaufes 
durchtrennt, so ist natürlich das erwähnte Symptom nicht vorhanden. 
Von solchen Fällen soll auch hier nicht die Rede sein. 

Von grosser Wichtigkeit ist, dass bei einer Verletzung des Lig. 
ileof. auch die innig mit ihm verbundene Gelenkkapsel so gut wie 
immer mitverletzt sein muss und dass das Gelenk in grosser Gefahr 
ist, infiziert zu werden. Gerade das Erkennen kleinerer Eröffnungen 
von Gelenken im allgemeinen und des llüftgelnkes im besonderen 
bei Schusswunden ist nicht immer leicht Die nur spärlich aus- 
fliessende Synovia vermischt sich bei frischen Wunden mit dem Blut 
oder ist so durchsichtig und an Menge so gering, dass wir sie 
nicht sehen. Kleinere Kapselrisse entgehen leicht dem Auge, zu¬ 
mal in einer zerfetzten Schusswunde. Auf die Untersuchung mit In¬ 
strumenten ist kein Verlass. Umso willkommener müssen uns dann 
weitere, indirekte Symptome sein, wie in unserem Falle die starke 
Auswärtsrotation des Beines. Ist diese aber vorhanden, so werden 
wir die Verletzungsstelle des Bandes freilegen und uns über den 
.Zustand-der Gelenkkapsel vergewissern. Ist aber eine penetrierende 
Verletzung derselben festgestellt, dann ist gleich die Prognose viel 
ernster und der Therapie sind besondere Wege vorgezeichnet. 

Weiter ist wichtig, dass bei einer Vereiterung des Hüftgelenkes 
der Schutz, den das Lig. ileof. gewährt, bei einer Verletzung des 
Bandes verloren geht, dass also die Eiterung leicht sich nach vorne 
verbreitet und einen ähnlichen oder den gleichen Weg nimmt, wie es 
in diesem Falle beschrieben ist. Die Nähe grosser Gefässe erhöht nur 
noch die Gefahr. 

Im übrigen ist streng zu betonen, dass bei jeder Verletzung des 
Trochanter major, auch wenn sie nicht so ausgedehnt ist, auf eine 
Mitverletzung der vorne wie hinten ziemlich nahe an ihn heran- 
reichenden Gelenkkapsel zu fahnden ist. Das ist namentlich bei 
mehr sagittal verlaufenden. Schüssen zu beachten, die den Trochanter 
nur streifen und ihn vielleicht nicht so hochgradig zertrümmern. Hier 
kann gerade noch die Kapsel in geringem Umfang eröffnet sein, was 
dem Auge aber bei den unübersichtlichen Verhältnissen leicht ent¬ 
gehen mag. Das Symptom der übermässigen Auswärtsrotation 
braucht dabei gar nicht vorhanden zu sein und ist offenbar auch 
selten, weil das Band nicht oft so hochgradig zerstört ist, dass es 
custahde kommt. Einige Fasern seines äusseren Teiles können immer 
noch erhalten sein und so die übermässige Auswärtsrotation ver¬ 
hindern. 

Wäre es in dem hier beschriebenen! Fall rechtzeitig gelungen, 
die gewiss recht schwer zu findende Gelenkverletzung zu erkennen, 
so wäre es vielleicht nicht schwierig gewesen, eine Behandlung nach 
Payr durchzuführen. Er wäre vielleicht besonders dafür geeignet 
gewesen. Jedenfalls hätte wöhl mancher üble Zufall verhütet wer¬ 
den können. Mit der Payr sehen Behandlung hätte man auch die 
Naht des Lig. ileof. versuchen können, wenn die Verhältnisse danach 
lagen. 

Mit der Erwähnung der Naht ist auch die Therapie der queren 
Durchreisung des Lig. ileof. gestreift. Wir würden sie ausführem wo 
die Wund Verhältnisse es ermöglichen und gestatten, das 'Bein repo- 
nieren und mit nach innen rotiertem und flektiertem Oberschenkel 
fixieren. Wo diese Behandlung nicht sofort durchgeführt werden kann, 
werden wir wenigstens so bald als möglich durch die obenerwähnte 
Stellung und Fixation die Rissränder des Bandes einander zu nähern 
und miteinander zu verheilen suchen. 


lieber die Erkrankung mit weichem Schanker bei den 
Soldaten einer Armee im Westen und Vorschlag zur 
Bekämpfung des weichen Schankers. 

(Vorläufige Mitteilung.) 

Von Dr. A. Sommer, Oberarzt d. R., zurzeit im Felde. 

In seiner Arbeit: Die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten 
in Berlin (Derm. Zschr. 1918 H. 1) kommt Blaschko in einer 
Statistik, welche er über die Häufigkeit der einzelnen Geschlechts¬ 
krankheiten iif den deutschen Städten aufgestellt hat, zu dem Er¬ 
gebnis, dass 4,375 Proz. sämtlicher Neuinfektionen solche mit weichem 
Schanker sind. 

Auffallend ist, so schreibt Blaschko, die geringe Anzahl der 
Erkrankung mit weichem Schanker bei den Frauen im Verhältnis 
zu den Erkrankungen bei den Männern. Er berechnet das Verhältnis 
auf 1:5,2. 

Blaschko erklärt dieses Verhältnis daraus, dass Männer mit 
weichem Schanker durch die meist recht schmerzhafte Erkrankung 
sich in der Regel vom Geschlechtsverkehr abhalten lassen, auf der 
anderen Seite eine Prostituierte, wenn sie einmal erkrankt ist, un¬ 
fehlbar viele Männer mit weichem Schanker infiziert. 

Im besetzten Gebiete des Westens hat der weiche Schanker 
lange Zeit hindurch eine seltene Erkrankung dargestellt, während er 
Im besetzten Gebiete des Ostens, namentlich in Galizien, ziemlich 
häufig aufzutreten pflegt. 

So finden wir z. B. in den Monaten August, September und 


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Oktober 1917 bei den Geschlechtskranken einer Armee im Westen 
nur 2,5 Proz. Erkrankungen mit weichem Schanker. 

Die Erkrankungen mit weichem Schanker betragen dagegen im 
November 8 Proz. von sämtlichen frischen Erkrankungen an Ge¬ 
schlechtskrankheiten, Dezember 12 Proz., Januar 13,6 Proz. 

Wodurch im Westen ein Ansteigen der Infektionen mit weichem 
Schanker gerade in den letzten Monaten entstanden ist, brauche ich 
nicht erst zu erwähnen. 

Und zwar finden wir, dass die Infektionen mit weichem 
Schanker zu 6Ü Proz. bei öffentlicher Prostitution stattfinden, wäh¬ 
rend die Infektionen mit Geschlechtskrankheiten überhaupt bei den 
Soldaten dieser Armee nur in 35 Proz. bei der öffentlichen Pro¬ 
stitution stattfinden. 

Sollte dies mit einer ungenauen Untersuchung durch die Sitten¬ 
polizeiärzte Zusammenhängen? 

Meiner Meinung nach ist dies dadurch bedingt, dass bei der Frau 
gar keine klinischen Anzeichen eines weichen Schankers vorhanden 
zu sein brauchen, die Frau aber Trägerin von Streptobazillen ist, 
d. h. infektiös ist. 

Schon 1915 veröffentlichte Bruck in der M.m.W. Nr. 4 einen 
interessanten Befund bei zwei Fällen von Ulcus molle. In beiden 
Fällen konnte der Soldat die Infektionsquelle angeben. Bei der 
Untersuchung der beiden Mädchen boten sich keinerlei klinische 
Zeichen einer Erkrankung mit weichem Schanker. Im Vaginal- und 
Zervixsekret waren Streptobazillen nicht nachweisbar. Dagegen 
wimmelte das Urethral- und Vulvasekret von Du crey sehen 
Streptobazillen, welche beinahe in Reinkultur vorhanden waren. 

Dieselbe Beobachtung habe auch ich des öfteren machen können. 

Es können also Streptobazillen in Mengen vorhanden sein, ohne 
dass klinische Erscheinungen hervorgerufen zu werden brauchen, im 
Moment aber, wo die Krankheitserreger beim Geschlechtsakt in 
einen Hautriss des männlichen Gliedes eindringen. verursachen sie 
den weichen Schanker. 

Ich habe sogar Fälle gesehen, wo Soldaten an weichem 
Schanker erkrankt waren, ohne dass ich bei den Weibern, welche bei 
der Konfrontation mit den Soldaten den Geschlechtsverkehr Zugaben, 
hätte Streptobazillen nachweisen können. 

Aus diesen beiden Befunden: Vorhandensein von Streptobazillen 
ohne Vorhandensein von klinischen Erscheinungen und Infektiosität 
mit weichem Schanker, ohne dass Streptobazillen nachgewiesen 
werden können, müssen wir unsere Schlüsse für die Bekämpfung 
des weichen Schankers ziehen. 

Jedes Weib, welches als Infektionsquelle für weichen Schanker 
angesehen wird, ist ohne weiteres zunächst zu internieren. 

Das Fehlen klinischer Erscheinungen spricht nicht gegen weichen 
Schanker, bakteriologisch lassen sich nicht immer die Strepto¬ 
bazillen bei infektiösen Frauen nachweisen. 


Aus einer Station für arbeitsfähige Geschlechtskranke. 

Intravenöse Kollargolbehandlung der Gonorrhöe. 

Von Dr. M. Crohn, landsturmpflichtiger Arzt. 

Seit Februar d. J. wurde auf einer Station für Geschlechts¬ 
kranke eine Behandlung der Gonorrhöe mit intravenösen Kollargol- 
injektionen erprobt, die von M e n z i in Nr. 3 der M.m.W. 1918 
empfohlen war. 

M e n z i hatte über 82 Fälle von weiblicher Gonorrhöe aller Sta¬ 
dien berichtet und recht günstige Erfolge erzielt. Es wurden dort 
lieben lokaler Behandlung steigend 2—10 ccm einer 2 proz. Lösung 
alle 2 Tage bis zum Negativwerden des Sekretes gegeben. 

Von mir wurden 86 Fälle männlicher Gonorrhöe mit Kollargol 
behandelt. Neben den Injektionen wurde die Lokalbehandlung je 
nach Lage des Falles weitergeführt. Das Material der Station setzt 
sich zu ungefähr 85—90 Proz. aus älteren und ganz alten Fällen zu¬ 
sammen, nur 10—15 Proz. sind frische Ansteckungen. Fast alle 
hatten vor oder während der Behandlung Komplikationen, reine 
Anteriorgonorrhöen gehörten zu den Ausnahmen. Diese Punkte sind 
bei der Bewertung der Behandlungsresultate zu beachten. 

Von den 86 behandelten Fällen wurden: 

a) Nach einer Spritze dauernd negativ: 22. 

b) Nach zwei und mehr Spritzen dauernd negativ: 25. 

c) Nach Kollargol zunächst negativ, aber später wieder posi¬ 
tiv: 26. Von diesen wurden dann 15 durch andere Behandlungs¬ 
methoden geheilt. 

d) Trotz mehrerer Kollargolinjektionen blieben dauernd positiv: 
13 Mann. 

Fassen wir diese Resultate zusammen, so ergibt sich folgendes 

Bild: 

Von 86 mit Kollargol behandelten Fällen verhielten sich nur 
13 Fälle refraktär, 47 wurden dauernd geheilt, 26 vorübergehend 
negativ. 

Betreffs der Dosierung konnte ich feststellen, dass Gaben von 
weniger als 5 ccm der 2 proz. Lösung von wenig zuverlässiger Wir¬ 
kung sind. Ich gebe meist 5—8 ccm; höher ging ich nur selten. Die 
Injektionen werden verschieden vertragen. Manche Kranke fieberten 
schon nach 2 ccm, andere vertrugen 8 ccm fteberlos. 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


. Nr. 42*. 


In dem Auftreten von hohem Fieber sehe ich keine unange¬ 
nehme, vielmehr eine sehr erwünschte Reaktion. Wissen wir doch, 
dass Gonorrhöen gelegentlich mit einem Schlage ausheilen, wenn 
infolge einer akuten Nebenhodenentzündung oder einer anderen Er¬ 
krankung hohes Fieber auftritt. Dementsprechend sah ich gerade 
in solchen Fällen eklatante Erfolge, die mit starkem Temperatur¬ 
anstieg reagierten. Immerhin zwingen solche Reaktionen zu grösseren 
Pausen zwischen den Einspritzungen, als M e n z i vorschlägt, sonst 
kommt der Kranke herunter. 

Schädliche Wirkungen auf die Nieren wurden nicht beobachtet. 

Nach meinen bisher gemachten Erfahrungen stehe ich nicht an, 
das Kollargol als wertvolles Unterstützungsmittel bei der Bekämpfung 
der Gonorrhöe zu empfehlen. 


Eine einfache Armschiene. 

Von Oberstabsarzt Prof. Dr. Vulpius, beratendem Chirurgen 
bei einer Armeeabteilung. 


Für die Versorgung von Schussbrüchen der oberen Extremität 
wird in der Hauptsache wohl die C r a m e r sehe Schiene verwendet, 
deren vielseitige Brauchbarkeit erprobt ist. Für die Behandlung 
von Oberarmfrakturen insbesondere hat sich an Stelle der weniger 
zweckmässigen Triangelschiene eine Kombination von Cramer- 
schienen eingeführt, die ich schon 1915 angegeben und als Lyra¬ 
schiene veröffentlicht habe. Im Laufe der Zeit hat sich mir als 
Nachteil der Schiene fühlbar gemacht, dass der freie allseitige Zu¬ 
gang zur Wunde nicht ohne weiteres möglich ist. 

Während die Lyraschiene als Transportschiene, für einfache 
Brüche, für kleinere Wunden, für geschlossene Gelenkerkrankungen 
allen Anforderungen genügt, hat das neue Schienenmodell, das ich 
nach eingehender Prüfung in einem mir zugeteilten Frakturenlazarett 
veröffentliche, den grossen Vorzug, auch die offene Wundbehandlung 
wie jegliche Wundversorgung zu ermöglichen, ohne dass die Schiene 
entfernt werden müsste. 

Die Konstruktion der Schiene ist sehr einfach. Als Material 
dient ein ca. 5 mm starker Eisendraht, der als Rahmen zurecht- 
gebogen wird. Das grössere Modell (Abb. 1) eignet sich zur Be¬ 
handlung von Verlet¬ 
zung der Ellenbogen¬ 
gegend, des Oberarms, 
des Schultergelenks, 
des Schulterblattes. 
Das kleinere Modell 
(Abb. 2) stellt den Arm¬ 
teil der grossenSchiene 
a dar, es ist bestimmt 
zur Behandlung von 
Verletzungen der Hand 
und des Vorderarms. 

Der Rahmen der 
grossen Schiene legt 
sich der seitlichen 
Brustwand an, biegt 
in der Achselhöhle 
(c, d) im rechten 
oder spitzen Winkel 

seitwärts als Oberarmauflage, am Ellbogen (f, e) etwa im rechten 
Winkel seitwärts als Oberarmauflage ab. Die eine Schmal- 



Abb. 1. 




Seite des Rahmens a—b ist leicht konkav, um sich der seitlichen 
Thoraxwand anzuschmiegen, die vordere Schmalseite g—h ist gerade. 

Der Brustteil trägt zwischen oberem und mittlerem Drittel eine 
leicht konkave Querspange (i, k), an ihr wird ein 6—8 cm breiter, 
60 cm langer Pappestreifen, der entsprechend den Punkten i und k 
Bohrlöcher aufweist, befestigt. Er sichert die Verbindung der Schiene 
mit dem Rumpf ausserordentlich, darf also keinesfalls wegfallen. Der 
Stabilisierung des Armteiles dienen endlich die Stützstäbe 1 und m, 
der erstere trägt einen kurzen Stift p als Widerlager für eine be¬ 
stimmte Verbandtour (siehe Anwendung der Schiene). Die Masse 
der Schiene sind der Zeichnung beigefügt. 

Das kleinere Modell für die Fixation von Oberarm-Vorderarm- 
Hand ist in analoger Weise konstruiert. Die Schmalseite c—d ist 
ziemlich konvex gebogen, um Druck zu vermeiden, der Ellbogen¬ 


winkel ist rechtwinklig oder leicht stumpfwinklig. Je eine stark, 
konvexe Spange an Ober- und Vorderarm sichern die Stabilität, die 
vordere in—s) ist verschieblich, um der Wundgegend ausweichen 
zu kennen. Als Zusatzteil, der zu beiden Schienen passt, ist noch, 
ein Handgrifi zu nennen, der aus dem gleichen Eisendraht wie der 
Rahmen hergestellt und auf ein 2 mm starkes Blech aufgenietet ist. 
Letzteres lässt sich an beliebiger Stelle der Vorderarmauflage links, 
wie rechts einklemmen. Der Handgriff wird dann eingefügt, wenn 
der Vorderarm weder in Pronation noch in Supination, sondern in 
Mittelstellung fixiert werden soll. Die Handfläche wird durch sich 
kreuzende Bindentouren an dem etwas gepolsterten Handgriff be¬ 
festigt. Letzterer ist so geformt, dass bei möglichst grosser An¬ 
griffsfläche den Fingern die freie Beweglichkeit erhalten bleibt. 
Durch nachträgliche Verschiebung des Handgriffs lässt sich eine 
mässige Extensionswirkung erzielen. Ueber Form und Grösse orien¬ 
tiert Abb. 1 a. 

Die Anwendung der Schiene geschieht in folgender Weise: 
Der Rahmen für Ober- und Unterarm wird mit einer Gazebinde be¬ 
spannt unter Aussparung der Wundgegend. An dieser Stelle werden 
die freien Ränder der Bespannung durch wasserdichten Stoff vor 
Beschmutzung geschützt. Die grosse Schiene wird mit folgenden 
Touren und in folgender Reihenfolge an dem gepolsterten Brust¬ 
korb und am Arm befestigt: 

1. Zirkuläre Rumpftouren, 

2. Touren über beide Schultern, 

3. Touren von der gesundseitigen Schulter zu dem Stift airr 
langen vorderen Stützstab, 

4. zirkuläre Touren am Vorderarm, 

5. zirkuläre Touren am Oberarm. 

Die ohne weiteres einleuchtenden Vorzüge der neuen Schiene 
sind folgende: 

1. Einfache Herstellung aus billigem, leicht zu beschaffendem 
Material. 

2. Leichtigkeit bei grosser Haltbarkeit. 

3. Vielseitige Verwendbarkeit. 

4. Bequeme Lagerung des Armes in zweckmässiger Stellung: 
(Schulterabduktion) und guter Fixation sowie einer gewissen Ex¬ 
tension. 

5. Leichte Zugänglichkeit der Wunden für geschlossene und 
offene Wund Versorgung. 

6. Grosse Ersparnis an Verbandstoffen und Schienenmateriah 

7. Wegfall der Verletzungsmöglichkeit für Aerzte und Pflege¬ 
personal, die bei Anwendung der Cramerschiene vorliegt. 

Die Schienen können von dem Orthopädiemechaniker Franz 
Bin gl er, Heidelberg, Luisenstrasse 1 bezogen werden, ebenso ein 
zusammenlegbares, leicht transportables Modell. 


Aus der k. k. Chirurgischen Universitätsklinik Graz, derzeit 
k. u. k. klin. Reservespital, Vorstand Hofrat Prof. v. Hacker* 
k. u. k. Oberstabsarzt 1. Klasse. 

Zur Behandlung der Schlüsselbeinluxation mittelst eines- 
Extensionstriangels. 

Von Dr. Lu jo Kolin, Assistenten der Klinik. 

Die Verwendung eines Triangels mit Extension behufs konser¬ 
vativer und ambulatorischer Behandlung einer frischen Luxation des 
sternalen Endes der Klavikula und die damit erzielte vollständige 
Heilung gibt die Veranlassung zu dieser kurzen Mitteilung. 

Die Bekanntgabe eines diesbezüglichen zweckdienlichen Ver¬ 
fahrens erscheint umso gerechtfertigter, als bis jetzt nur in verein¬ 
zelten Fällen eine Reposition der laxierten Klavikula vollständig auf 
konservativem Wege gelang. So leicht auch im allgemeinen bei der 
Luxation am sternalen Ende — in. unserem Falle handelte es sich 
um eine Luxat. claviculae praesternalis — die Reposition des aus der 
Incisura clavicularis und der zerrissenen Gelenkkapsel ausgetretenen 
Endes der Klavikula, sei es durch direkten Druck auf -uas luxierte Ende 
oder durch Zug der Schulter nach hinten, der durch Einstemmen des 
Knies zwischen beide Schulterblätter gesteigert werden kann, gelingt, 
so schwer ist es, wegen der Beweglichkeit der Schulter und des 
ganzen Schultergürtels, den Verbleib des ausgerenkten Schlüssel¬ 
beines in der natürlichen Lage bis zum Zeitpunkte der Heilung zu 
erzielen. Nur so lange die Schulter in dieser Lage gehalten wird, so 
lange bleibt auch die Reposition. 

Die verschiedenen Verbände — es sind beinahe 70 ersonnen 
worden — nach der erfolgten Reposition können die Retention bds 
zur Heilung fast nie bewirken, da eben kein Verband die Schulter in 
dieser Lage zu fixieren vermag. Die hohe Zahl dieser Verbände ist der 
beste Beweis ihrer Unzulänglichkeit. Mangels eines zweckmässigen 
Verbandes wird heute noch immer nach Reposition gewöhnlich ein 
Velpeau oder Desaultscher Verband angelegt. Dass diese 
beiden Verbände die Schulter nicht für längere Zeit nach aussen, oben 
und rückwärts — die Hauptbedingung für die Erhaltung der Reposition 
— fixieren können, ist ohne weitere Auseinandersetzung einleuchtend. 
Diese beiden Verbände leisten dort mehr, wo es darauf ankommt, die 
obere Extremität zu immobilisieren, als wo eine Extensionswirkung 
zur Geltung kommen soll. Der ursprüngliche Zweck beider Ver- 


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15. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1163 


bände war die Retention der Klavikulafragmente durch die extensive 
Wirkung der genannten Verbände. 

N e 1 a t o n führte in die Behandlung der SchlüsselbeiiTluxation 
bruchbandartige Bandagen ein. die ebenfalls keine befriedigenden 
Erfolge zeitigten. 

Dasselbe kann gesagt werden von der B a r d en h e u e r sehen 
Federextensionsschiene. Würde sie den Arm in rechtwinkliger Ab¬ 
duktionsstellung statt in der Körperachse extendieren, so würde sic 
sicher mehr ihrem Zwecke entsprechen, denn wie wir gleich unten 
sehen werden, ist in rechter W'inkCtstellung die Retention am leich¬ 
testen zu bewirken. 

Die Bardenheue rsche Gewichtsextension bewirkt einen Zug 
nach oben aussen und hinten und dadurch wird der pathologischen 
Lage der Schulter entgegen gewirkt; es werden günstige Bedingungen 
zur Retention des luxierten Endes geschaffen, indem die beiden 
Spreizpunkte des Schlüsselbeines voneinander entfernt werden. Weiter 
trägt zu den guten Erfolgen die Ruhiglagerung der erkrankten Schul¬ 
ter viel bei. So erklärt sich auch, dass die einfachste Art der 
Behandlung, nämlich die Lagerung des Patienten aut ein weiches 
Kissen, -das zwischen die Schulterblätter zu liegen 'kommt, weit Bes¬ 
seres leistet als alle Verbände. Hier ist die Federextensionswirkung 
bzw. die Zugwirkung der Gewichtsextension durch die herabhängende 
Schulter ersetzt, nur mit dem Unterschiede — und auf dies kommt es 
eben an —, dass die FederextensionsWirkung der Bardenh euer- 
schen Schiene die Schulter und somit auch das akromiale Klavikula- 
ende in der Richtung der Körperachse zieht, die Schwerwirkung der 
herabhängenden Schulter hingegen mehr in der frontalen Richtung 
*ur Geltung kommt. Durch diesen Zug werden die beiden Spreiz¬ 
punkte voneinander entfernt und der Spreizpfeiler — Klavikula — 
findet und behält viel bequemer und leichter die richtige Lage. Die 
Zugwirkung «der Bardenheuer sohenFederextensionsschiene muss 
dem sternalen Ende der Klavikula in der Richtung nach oben über¬ 
mittelt werden, da das akromiale Ende samt dem Schulterblatte nach 
unten gezogen wird. Die Folge davon ist, diass der Relaxation Vor¬ 
schub geleistet wird. Ein frontaler Zug zieht dagegen die Klavikula 
vorwiegend nach aussen; die verlorengegangene Wirkung der Kla¬ 
vikula als Spreizpfeiler ist durch diesen Zug ersetzt; die nach unten, 
vorne uud innen gesunkene Schulter wird wiederum in normale Lage 
gebracht. 

Die direkte Folge eines solchen Zuges ist weiter ein Auseinander¬ 
weichen der beiden Klavikulargelenke. Ist eine Kontinuitätsunter¬ 
brechung im Bereiche des Schultergürtels vorhanden — gleichgültig 
ob durch eine Fraktur oder Luxation der Klavikula verursacht —, so 
werden die günstigsten Bedingungen für die Reposition und Retention 
geschaffen: bei Frakturen wird die Dislocatio ad longitudinem ausge¬ 
glichen und bei Luxationen eine Gegenüberstellung der beiden Ge- 
ienkflächen erreicht. 

Der S a y r e sehe Verband vermag am ehesten einen solchen Zug 
zu bewirken, der Zug ist aber hier kein permanenter und dann 
geht die anfangs vorhandene extentive Wirkung des Verbandes bald 
durch das Gleiten der Pflasterstreifen verloren. 

Bei der B a r d enh e u e r sehen Gewichtsextension ist der Pa¬ 
tient ans Bett gefesselt, so dass hier die guten Resultate um den 
Preis der Bettruhe erkauft werden müssen. 

Man sieht also, warum die konservative Behandlung der Kla- 
vikulaluxationien — man kann dasselbe auch von den Frakturen 
behaupten — so oft im Stiche lässt. Gelingt es aber, bei einem Ver¬ 
bände alle Bedingungen zur Retention der reponierten Klavikula zu 
erfüllen, so würde sicher ein solcher Verband zum Ziele führen. Diese 
Bedingungen bestehen einerseits in Anwendung eines Extensionszuges 
in geeigneter Richtung. Zurückbringung der pathologischen Schulter¬ 
lage in die normale, Immobilisation und Ausschaltung aller Einflüsse, 
welche der Retention entgegenwirken. 

Als weitere Forderungen wären Bequemlichkeit des Verbandes 
und Einfachheit in der Technik seiner Anlegung aufzustellen. 

Die Hauptbedingung bleibt aber die Retention des luxierten Köpf¬ 
chens bzw. Koaptation der Bruchstücke. Dies kann begreiflicherweise 
nur dann erreicht werden, wenn unsere Therapie nicht direkt die 
Klavikula, sondern die Schulter, durch deren Beweglichkeit eben die 
Reluxation resp. Verschiebung der Fragmente entsteht, in Angriff 
nimmt. 

Von diesen Gesichtspunkten und der Erfahrung ausgehend, wie 
wenig die verschiedenen Verbände Retention dauernd bewirken 
können, wurde Hofrat Prof. v. Hacker zur Erprobung der Anwen¬ 
dung und der Wirkung eines permanenten Zuges in der frontalen 
Richtung bei gleichzeitiger Immobilisation der nach oben und rück¬ 
wärts gebrachten Schulter veranlasst. 

Da gleichzeitig eine ambulatorische Behandlung wünschenswert 
erschien, wurde zu diesem Zwecke der Oberarm mittelst eines 
Triangels (Fig. 1) in horizontale Richtung gebracht und an diesem 
die Zugwirkung ausgeübt. 

Hier sei nebenbei erwähnt, dass an der hiesigen Klinik die An¬ 
wendung des v. Hack er sehen Triangels 1 ) mit seinen zahlreichen 
Modifikationen schon seit langer Zeit und besonders während des 
Krieges bei den verschiedensten Verletzungen der oberen F.xtremitäten 
sich bestens bewährt hat 2 ). 


DStrefssler: Bruns Beitr. 55. 

2 ) Schmerz: Bruus Beitr. 97. S. 195. 


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Gck igle 


Das Triangel wird aus einer etwa 4 Querfinger breiten Holz¬ 
leiste helgestellt. Die beiden Seiten A und B (Fig. 1) sind gelenkig 



mittelst eines gewöhnlichen Bandscharniers miteinander verbunden, so 
dass man durch die Verschiebung der dritten Seite C, die nur aus 
einer fingerdicken Holzspange hergestellt und mittelst einer Schraube 
in der Rinne R verschieblich ist, den Winkel a verändern kann. Diese 
Kombination ermöglicht es, dem Arme die bestmögliche erprobte 
Stellung zu geben und schon im Verlaufe der Behandlung Bewegungen, 
wenn auch in kleinen Exkursionen. im Schultergelenke auszuführen, 
indem der Winkel verkleinert bzw. vergrössert wird', um so einer 
Steifheit im Schultergelenke entgegenzusteuern. 

Ein weiterer Vorteil dieser gelenkigen Verbindung ist die Ver¬ 
wendungsmöglichkeit des Triangels für alle einschlägigen Fälle. 

An der Oberarmseite des Triangels (Fig. 1 A), die der Bequem¬ 
lichkeit halber etwas kürzer gemacht werden kann als unser Bild 
zeigt, ist ausser zwei Rollen, die für die Extension dienen, noch 
eine quere Holzleiste für den Vorderarm gelenkig angebracht. Diese 
gelenkige Verbindung hat einerseits den Zweck, den Vorderarm tim 
Ellbogengelenke zu strecken und zu beugen- und andererseits das 
Triangel für den linken und rechten Arm verwendbar zu machen. 
Weiters kann diese Holzleiste, die als Stütze des Vorderarmes dient, 
durch Einschraubung in verschiedene Löcher genau der Länge des 
Armes angepasst werden. 

Die Extensionsvorrichtung ist aus der Fig. 2. die das Triangel in 
Anwendung zeigt, deutlich ersichtlich. Um die Retention der repo¬ 
nierten Klavikula noch sicherer zu erhalten, wurde vom Rücken her 
über die Schulter und Klavikula bis zur Brust ein Heftpflasterstreifen 
angelegt (Fig. 2). 

Nach 4—5 Wochen am¬ 
bulatorischer Behandlung er¬ 
folgte die Abnahme des ganzen 
Verbandes. 

Bei allen aktiven und pas¬ 
siven Bewegungen des Armes 
im Schultergelenke zeigte das 
sternale Ende der Klavikula 
keine Veränderung seiner wie¬ 
dererhaltenen normalen Lage. 

Die anfänglich beschränkten 
aktiven Bewegungen des Ar¬ 
mes kehrten bald nach An¬ 
wendung von Heissluft und 
Gymnastik zurück. 

Bei der Anlegung des Tri¬ 
angels ist Sorge dafür zu tra¬ 
gen, dass es nicht unter dem 
Verbände im Laufe der Zeit 
nach vorne rutscht. Dies 
wird leicht erreicht, indem man 
einige Achtertouren mit rück¬ 
laufendem Bindenkopf an der 
Thoraxseite des Triangels (Fig. 

1 B) anbringt. 

Von Fall zu Fall kann es wünschenswert erscheinen, dem Zuge 
am Oberarme eine Richtung mehr nach vorne und mehr nach hinten 
zu geben. In diesem Falle wäre es möglich, dies dadurch zu er¬ 
zielen, dass die gelenkige Verbindung der beiden Seiten A und B 
in schräger Richtung erfolgt, indem die Seite A nicht quer, sondern 
schräg abgeschnitten wird. 

Alle Distanzveränderungen zwischen Brustbein und Akromion 
ins Pathologische, mögen sie durch Frakturen oder Luxationen des 
Schlüsselbeines zustande gekommen sein, führen zur gleichen ab¬ 
normen Schulterhaltung und aus eben diesem Grunde wird ein Schie¬ 
nenverband, der die durch die genannter Mechanismen nach vorne, 
unten und innen gesunkene und durch die Reposition in ihre normale 
Lage wieder gebrachte Schulter in dieser dauernd zu erhalten ver¬ 
mag, sowohl bei Brüchen als auch bei Verrenkungen des Schlüssel¬ 
beines Nutzen stiften. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 







1164 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 42 . 


Die Krankengeschichte des in Rede stehenden 1 Falles lautet: 

66 Jahre alter Patient P. M. stürzte am 8 . X. 17 von einem 
ca. 4 m hohen Heuboden herab auf die linke Brustseite. Er fühlte 
gleich starke, atembeklemmende Schmerzen im Brustbein und in der 
linken Brust wand. Die am 9. X. vorgenommene Untersuchung des 
Pat ergab: starke Druckempfindlichkeit der linken Brustseite, be¬ 
sonders über der 5. und 6 . Rippe in der linken hinteren Axillarlinie. 
Ueber der linken Articulatio sternoclavicularis eine nussgrosse Vor¬ 
wölbung, die sich beim Betasten als direkte Fortsetzung des Schlüssel¬ 
beins erweist. Die linke Schulter hängt stark nach unten und vorne. 
Die Armbewegungen im Schultergelenk aktiv nur in minimalen Ex¬ 
kursionen möglich, alle passiven Bewegungen möglich, doch schmerz¬ 
haft. Bei diesen Bewegungen sieht man das sternale Kkvikulaende 
sich unter der Haut verschieben. In liegender Stellung lässt sich die 
Vorwölbung mittelst einfachen Druckes in sagittaler Richtung auf das 
sternale Ende der Klavikula unter deutlich fühlbarem Rutschen zum 
Schwinden bringen. Die geringsten Bewegungen im Schultergelenk 
verursachen aber promptes Wiederkehren der Vorwölbung. 

Am 17. X. wurde nach nutzlosem Anlegen verschiedener Ver¬ 
bände ein Extensionstriangel angelegt. Den grössten Teil des Tages 
verbrachte Patient ausser Bett. 

19. XI. Entfernung des Verbandes. Das an seiner normalen Lage 
geheilte sternale Ende der Klavikula lässt sich weder durch aktive 
noch durch passive Bewegungen mehr reluxieren. 

10. XII. 17 geheilt entlassen. 


Ein künstlicher Fuss. 

Von Dr. med. Karl Lengfellner. Spezialarzt für Chirurgie 
u. Orthopädie (Berlin), zurzeit ord. Arzt der orthopäd. Chirurg. 
Abteilung am Reservelaz. I in Kolberg (Reservelaz.-Direktor: 
Oberstabsarzt Dr. Ko eh ler), z. Zt. Kriegsassistenzarzt beim 
Kriegslaz. 53. (Kriegslaz.-Dir.: Oberstabsarzt Dr. Mohr).- 

Wenn ich' heute erst das Modell eines künstlichen Fusses ver¬ 
öffentliche, dessen Konstruktionsbeginn bereits in die ersten Monate 
des Kriegsbeginns zurückgreift, so hat dies seinen berechtigten Grund 
darin, dass es bei der heutigen Ueberschwemmung mit unfertigen, 
unbrauchbaren und schlecht durchkonstruierten Modellen unbedingt 
am Platze ist, nur voll und ganz ausprobierte Erfindungen der Kritik 
der Oeffentlichkeit anzuvertrauen. Auf meinem künstlichen Fuss 
laufen mehrere Dutzende von Amputierten, von denen mancher 2 bis 
3 Jahre genau verfolgt und kontrolliert wurde. 

Das Wesentliche der Fusskonstruktion beruht in der Vereinigung 
der beiden üblichen Knöchelgelenkfedern in einer besonders geform¬ 
ten, doppelwirkenden Blattfeder, durch die der Fuss bei angchobener 
Stellung in Mittellage gehalten wird: die Blattfeder, deren Form noch 
genau erörtert werden soll, ist in dem Fusskörper zwischen Hacken 
und Vorderfusspartie eingeordnet, und zwar rasch ein- und atishak- 
bar, also jederzeit herausnehmbar und auswechselbar auf dem Ver¬ 
schlussblech der Fussaushöhlung. das m-ittels eines Scharnieres ohne 
weiteres zu öffnen und mittels eines aus- und einschiebbaren Stiftes 
gesichert wird. Erfindungsgemäss ist der mit der Feder in Eingriff 
kommende Teil des Beingerüstes als gabelförmiger Hebel ausgebildet 
und kommt an zwei Stellen, und zwar je einer vor und hinter der 
Knöchelgelenkachse mit dem Federrücken in Eingriff. Es wird da¬ 
durch erreicht, dass der Federdruck, der den Fuss in die Mittel¬ 
stellung zurückzuführen versucht, bei allen Stellungen des Fusses 
nahezu der gleiche bleibt, so dass ein gleidhmässiges Beugen des Unter¬ 
schenkels gegen den Fuss unter etwa gleichbleibendem Widerstand 
bis an den Anschlag stattfindet. Die gabelförmigen Enden des Hebels 
sind zur leichteren Gleitung mit Rollen versehen. Amputierte, die 
vordem mit einer doppelten Knöchelgelcnk-Spiral- oder -Gummipuffer¬ 
federung gingen, und nachher mit meiner Konstruktion, behaupten, 
offenbar durch den Hebel das Gefühl zu erhalten, dass sie sich der 
ganzen Abwicklung des Schrittes bewusst werden und gleichsam 
Gefühl beim Gehen haben. Beim Auftreten auf die Hacke senkt Sich 
diie Fussspitze, beim Auftreten auf die Spitze tritt bereits während 
der Belastung eine geringe Neigung des Fusses ein. in die M.rttel- 
lage zurückzukehren, wodurch die Aufrichtung im Oberschenkel 
wesentlich begünstigt wird. Die Konstruktion ist so einfach, dass 
jeder Amputierte dieselbe ohne weiteres begreift. 

Sind die Federn richtig hergestellt, so sind sie unter Jahr und 
Tag keiner Bruchgefahr ausgesetzt. Zur Sicherheit kann sich jeder, 
der einen solchen Fuss trägt, mehrere Federn für einige Groschen 
erwerben und innerhalb weniger Sekunden bei einem eventuellen 
Bruch selbst eine neue Feder eir.setzen. 

Gerade dieser Umstand kann nicht genügend gewürdigt werden. 

Der Amputierte, der z. B. weit entfernt von einer Stadt wohnt, 
wo er einen Ersatz für eine zerbrochene Spiralfeder erhalten kann, 
ist in dieser Beziehung unabhängig vom Bandagisten geworden. 

Hoch zu bewerten ist auch die Leichtigkeit der ReinHchhaltung 
und der Kontrolle durch den Amputierten selbst. 

Sollte die Feder einmal etwas Geräusch machen, so hilft Oelung 
oder das Auflegen, eines dünnen Lederstückchens sofort. 

Ein grosser Vorteil ist ferner noch darin zu suchen, dass die 
Federung dauernd die gleich gute bleibt und ein Nachlassen der 
Federung vollkommen ausgeschlossen ist. was wahrhaftig von allen 
andern Konstruktionen nicht behauptet werden kann. 

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Kompensationsbewegungen der gesunden Körperseite etwa 
beim Treppensteigen oder beim Gehen auf der schiefen Ebene waren 
durchwegs nicht nötig. 

Fig. 1 : Seitenansicht, teilweise im Schnitt. 

Der Fuss c, der in der bekannten Weise [%j | 

mit einem Zehengelenk ausgerüstet sein kann, 
besitzt ein Knöchelgelenk. Er ist zu diesem 
Zweck mittels eines Bolzens d an eine Stange 
angelenkt, letztere ist an einem Holzklotz be¬ 
festigt, welcher mit dem Beingerüst a ver¬ 
bunden ist. Die Stange e ist unten gegabelt 
und trägt zwei Rollen g, welche auf einer 
Blattfeder h laufen. Der Fuss ist entsprechend 
ausgehöhlt und besitzt eine Verschlussplatte i 
aus Blech, welche bei k an den Fuss ange¬ 
lenkt ist und durch eine beliebige Einrichtung, 3 - *_ 

z. B. durch einen seitlich durch die Oese m / L. . _J 

hindurchzusteckenden Stift k in der ge- 
schlossenen Stellung gehalten wird. Die Fe- ’-'f I 

der h, die in der Zeichnung als einfache Blatt- ! | 

feder gezeichnet ist, aber natürlich auch aus | — «J|j f| 

mehreren Lagen bestehen kann, ist bei n durch ” TT 

einen Stift an die Platte i angelenkt. Der Stift 3 I 

ist nur lose hindurchgesteckt, so dass eine 
leichte Auswechslung der Feder vorgenommen 3 ... 
werden kann. Auf der anderen Seite kann die B 

Feder eine Rolle 0 tragen, so dass sie beim H 

Zusammendriicken auf der Platte i vorwärts H # 

Zusammenfassend möchte ich die Worte % 1|i «Big 
des Gutachtens der Prüfstelle für Ersatzglieder Itl «fjp 
in Berlin anführen: 

„Der Vorteil des Fusses liegt in q 

der Einfachheit der Konstruktion, die '£ 
durch die Verwendung der Blattfeder 

erreicht wird, in der leichten Instand- f) j ft 

haltung und in der dauernd guten Cg 0 n 

Federung.“ Als weiteren Vorteil 

möchte ich noch das Gleichbleiben des Federdruckes in allen 
Fussstellungen anführen, ferner die Beurteilungsfähigkeit des Schrittes 
durch die Hebelwirkung, endlich noch die Möglichkeit der Anmon¬ 
tierung des Fusses an jegliche Beinprothese, sei es Unter- oder Ober¬ 
schenkelprothese. 


Zur praktischen Dosimetrie der RBntgenstrahlen. 

Von L. Küpferle und J. E. Lilienfeld. 

In einem „Zur praktischen Dosimetrie der Röntgenstrahlen“ be¬ 
titelten Aufsatz in Nr. 27 dieser Wochenschrift versucht Christen 
Kritik zu üben an einer unsererseits mitgeteilten Publikation des¬ 
selben Titels in Nr. 16 dieser Wochenschrift. Er geht zunächst von 
der jedem mit dem Gebiete der Röntgentherapie sich befassenden 
Arzte höchst eigenartig anmutenden Ansicht aus, dass in der Do- 
sierungsfragc leidlich geklärte Verhältnisse bestünden. 

Wer die zahlreichen Arbeiten — besonders der letzten Jahre — 
aufmerksam verfolgt hat, kann sich des Eindruckes nicht erwehren, 
dass die Allgemeinheit gerade durch die Verfolgung einer grossen 
Zahl von Einzelfragen seitens der einzelnen Autoren und durch die 
Zersplitterung, die das Dosierungsproblem dadurch erfahren hat 
niemals weiter von einer praktisch brauchbaren und einfachen Do¬ 
sierungsmethode entfernt war, als gerade in der letzten Zeit. So 
verdienstvoll die vielen Arbeiten auf diesem Gebiete auch sein 
mögen, insoferne sie uns über die wichtigsten Grundbegriffe eine 
klare Vorstellung brachten, von der Möglichkeit einer praktisch ein¬ 
fachen Dosierungsmethode haben sie uns immer weiter entfernt. 

Zunächst stellt Christen fest, dass der von uns gegebene 
Dosisbegriff keinen Widerspruch darstelle zu der von ihm selbst 
gegebenen Definition. Demgemäss würde sich seine diesbezügliche 
kritische Ueberlegung als überflüssig erwiesen haben. Die Begriffs¬ 
vorstellung der Dosis wird aber dadurch wieder unklar, dass 
Christen den Ausdruck „Dosis“ nicht für einen bestimmten Be¬ 
griff festhält, sondern eine „reine Dosis“ und eine „rohe Dosis“ ein¬ 
zuführen bestrebt ist. Der Dosisbegriff ist aber ein so wichtiger, 
dass er unbedingt nur für eine Begriffsvorstellung angewendet 
werden sollte. 

Wenn wir uns also, nachdem wir die Definition der Dosis fest¬ 
gelegt hatten — die sich, wie Christen feststellt, mit der seinigen 
deckt — einer einfachen Ueberlegungsweise folgend, uns zur Aufgabe 
stellten, eine nicht abstrakt ideologisch aufgebaute, sondern prak¬ 
tisch brauchbare Dosierungsmethode vorzuschlagen, so war dieses 
Bestreben in der bisher vorhandenen, von den meisten Röntgen¬ 
therapeuten auch lebhaft empfundenen Unklarheit begründet, die 
Christen als „leidlich geklärte Verhältnisse“ bezeichnen möchte. 
Christen hat den in unserer Arbeit gegebenen einfachen und 
klaren Gedankengang jedoch sehr entstellt, indem er in seiner Dar¬ 
stellung Einzelheiten aus dem Zusammenhang herausnahm, und sie 
nach seiner eigenen Ueberlegungsweise umdeutete. 

Original fmm 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





15. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1165 


Wenn wir von einer Analogie der Auffassung des Dosisbegriffes 
der Röntgendosis zum pharmakologischen Sprachgebrauch reden, so 
liegt darin für jeden, der keine Missdeutung in die Vorstellung 
hineintragen will, die Ueberlegung, auch die Röntgenenergie, ähn¬ 
lich wie das Pharmakon zunächst exakt qualitativ und dann erst 
quantitativ zu definieren und zwar meinen wir damit, wie ausdrück¬ 
lich betont ist, die quantitative Erfassung der qualitativ zu definieren¬ 
den Primärstrahlung. 

Der Pharmakologe verfolgt im Tierexperimente die einzelnen in¬ 
einander greifenden Wirkungen eines seiner Beschaffenheit nach 
bestimmten Pharmakons, analysiert die einzelnen Wirkungen und 
stellt so die Heildosis und Qiftdosis fest. Der Praktiker verwendet 
dann diese Heildosis, ohne sich um die quantitative Erfassung von 
Teil- und Nebenwirkungen zu kümmern. Diese Ueberlegung lässt 
sich zweifellos auch auf die Dosierungsweise der Röntgenenergie 
übertragen. Auch hier ist das Bestreben, die Umwandlungsform der 
Primärstrahlung im Gewebe zu verfolgen und insbesondere auch die 
Wirkung der Sekundärstrahlen quantitativ zu erfassen, zweifellos 
von grösster Wichtigkeit. Denn es ist gewiss von grossem Werte, 
diese Vorgänge im einzelnen zu kennen, für eine praktische 
Dosierungsmethode kann aber die quantitative Erfassung 
dieser Einzelvorgänge nicht in jedem einzelnen Fall berücksichtigt 
werden. 

Wenn wir in unserer Ueberlegung also die quantitative Er¬ 
fassung der Primär Strahlung als Grundlage für die Dosierung vor¬ 
schlugen, so taten wir das in der Einsicht, dass die quantitative 
Erfassung aller sekundären Vorgänge in jedem praktischen Falle 
sowohl physikalisch wie biologisch undurchführbar ist, dass man sich 
also in der Praxis von ihrer Betrachtung frei machen muss. Also 
gerade weil wir den enormen Einfluss der Streustrahlen usw. 
kennen, und gerade weil wir eine Möglichkeit, ihn in jedem Einzel¬ 
falle numerisch zu bewerten nicht sehen, geben wir uns die grösste 
Mühe, ein System auszubauen, in welchem sich ihre Wirkung von 
Fall zu Fall tunlichst heraushebt. Dass wir dabei auch von der 
Ueberlegung geleitet werden, die Röntgenenergie ähnlich wie das 
Pharmakon zunächst exakt qualitativ, und dann, erst quantitativ zu 
definieren, erlaubt uns, unseren Gedankenkreis zwanglos über den 
der Pharmakologie angepassten Dosisbegriff zu schliessen. (Wir 
wiederholen es: es heisst nicht eine Grösse vernachlässigen, wenn 
man sich auf einem logischen Wege von ihrer zahlenmässigen Be¬ 
stimmung freimacht, und das bleibt wahr, auch wenn Christen 
etwas anderes dem klaren Wortlaute unserer Arbeit zu unterstellen 
versucht.) 

Christen macht uns weiterhin zum Vorwurf dass wir die 
Art der Einheit von der Grösse der Einheit nicht begrifflich richtig 
scheiden. Für unvoreingenommene Leser geht aber aus dem Wort¬ 
laut unserer Darstellung hervor, dass wir erst den Dosis begriff 
festsetzen, dann die Einheit bestimmen und schliesslich, unter der 
Voraussetzung einer einwandfreien Messmethode, die Messung ein¬ 
zelner Dosen ermöglichen wollen. 

Wenn auch prinzipiell aus unserer Dosisdefinition sich ergibt, 
dass rein grundsätzliche Begriffe wie Ovariakiosis. Darmdosis, Kar¬ 
zinomdosis usw. gebildet werden können, so ist damit zweierlei 
noch lange nicht gesagt. 

Erstens nicht, dass diese Begriffe — ein jeder für sich — 
als Analoga zueinander ohne weiteres aufgestellt werden dürfen. So 
sind z. B. die Akten darüber noch lange nicht geschlossen, ob der 
Begriff der Karzinomdosis nicht derartig von Fall zu Fall wechselnde 
verschiedenartige biologische Faktoren enthält, dass ihm möglicher¬ 
weise ein fester Inhalt gar nicht beizumessen sei. 

Zweitens aber ist es für die Praxis in keiner Weise er¬ 
forderlich — selbst im Falle der Zulässigkeit einer jeden einzelnen 
dieser Begriffsbildungen —, die ihnen zu Grunde liegende Grösse 
quantitativ miteinander zu vergleichen. Wir sehen dabei ausdrück¬ 
lich von einem möglichen rein biologischen Interesse ab. 

Auf ein-em anderen Blatte steht es, dass aus rein praktisch¬ 
klinischen Gründen die einer jeden Strahlenqualität eigene Grösse 
der Erythemdosis bekannt sein muss und in Vergleich zu setzen 
ist mit jeder einzelnen vorkommenden Erfolgdosis. Das haben wir an 
einer Stelle ganz besonders hervorgehoben. Der Vorwurf aber, dass 
wir an den bedeutsamen Arbeiten von K r ö n i g und Friedrich, 
S e i t z und W i n t z achtlos vorübergegangen seien, ist schon des¬ 
halb unberechtigt, weil der eine von uns seit langer Zeit mit einigen 
dieser Autoren im lebhaftesten Gedankenaustausch stand und jetzt 
noch steht. Im übrigen lässt Christen bei der Gelegenheit der 
Erwähnung der obigen vier Forscher die Sorgfalt vermissen, die 
unbedingt erforderlich ist, wenn Ergebnisse anderer Autoren angeführt 
werden. Eine LJebereinstimmung in der Festlegung der Dosen ist 
natürlich bei diesen Autoren deshalb ausgeschlossen, weil die ersten 
beiden mit technisch anders gearteten Hilfsmitteln gearbeitet haben, 
als die beiden letzteren, und weil die beiden verschiedenen Mess- 
vorrichungen einen Vergleich ihrer Ergebnisse überhaupt nicht zu¬ 
lassen. 

Sinnentstellend ist, wenn Christen die Tatsache, dass eine 
elementare Betrachtung ausdrücklich davon abhängig gemacht wird, 
es werde mit konstanter Oeffnung des Strahlenkegels gearbeitet, über¬ 
sieht und daraus Widersprüche ableitet. Sinnentstellend ist, wenn er 
sagt, dass wir eine Messung am Orte des Erfolgsorganes ablehnen 

Digitized by Google 


Man vergleiche den Verhandlungsbericht, wo wir zwar die Unvoll¬ 
kommenheit der für die Messung konstruierten Apparate erörtern 
und die praktische Undurchführbarkeit in manchen Fällen betonen, 
dann aber sagen: „Es ist jedoch hervorzuheben, dass insbesondere 
für wissenschaftliche Zwecke auch die Messung am Erfolgsorgane er¬ 
forderlich sein kann. Die zu diesem Zwecke konstruierten Apparate 
und die hierfür angegebenen Methoden haben infolgedessen ihre be¬ 
sondere, nicht zu gering zu bewertende Bedeutung.“ 

Sinnentstellend ist noch, was Christen in unsere Arbeit 
hineinlegt, um uns die Lehre erteilen zu können, was man unter „pro¬ 
portional“ verstünde. Es wird auch vielen unverständlich bleiben, 
wem Christen die andere Lehre erteilt, dass man das Pharma¬ 
kon nach Gewichtsteilen und die Röntgenstrahlen nach Energien zu 
messen hätte. Derartige Belehrungen ausstreuend, versteigt sich 
Christen zu der Auslassung, es stünden „üble Dinge“ in unserem 
Aufsatze. Diese den Boden der Sachlichkeit verlassende formale Ent¬ 
gleisung müssen wir aufs entschiedenste zurückweisen. 

Tatsächlich ist es gar nicht möglich, auf einem beschränkten 
Raume alle die Verwicklungen zu entwirren, die Christen in 
unsere einfachen Gedankengänge hineinzubringen sich bemüht. Den 
für Einzelfragen sich interessierenden Leserkreis verweisen wir auf 
unsere durch Drucklegungsschwierigkeiten verzögerte, demnächst 
aber in der „Strahlentherapie“ erscheinende eingehende Darstellung. 
Im übrigen ist es nach unserer Auffassung für die Allgemeinheit wenig 
erspriesslich, im Rahmen einer Wochenschrift, die der Publikation 
praktisch wichtiger Fortschritte dienen soll, über rein subjektive 
Missverständnisse zu diskutieren. 


Bücheranzeigen und Referate. 

Valentin Häcker: Entwijcklungsflesclilciitticiie Eigenschafts- 
analyse (Phänogenetik.) Gemeinsame Aufgaben der Entwicklungs¬ 
geschichte, Vererb-ungs- und Rassenlehre. Jena, Gustav Fischer. 
344 S. 12 M. 

Dieses Buch verhält sich z,u den Lehrbüchern der Vererbungs¬ 
lehre wie etwa ein Profilbild zu einer Aufnahme von vorn. Es setzt 
sich zur Hauptaufgabe, den Zusammenhängen zwischen Entwicklung 
und Vererbung nachzugehen; es betrachtet dieses Problem von der 
Seite der entwicklungsgeschichtlichen Analyse. Häcker be¬ 
zeichnet mit Recht als eines der grössten Hemmnisse für die Fort¬ 
entwicklung der Vererbungsforschung das Fehlen einer Brücke 
zwischen den sichtbaren Ausseneigenschaften und den meist noch 
hinter ihnen steckenden Anlagen. Um in das Verhältnis beider ein¬ 
zudringen, scheint ihm der Weg aussichtsvoll, eine möglichst weit¬ 
gehende rückläufige entwicklungsgeschichtliche Analyse der ein¬ 
zelnen Ausseneigenschaften vorzunehmen. Das Ziel solcher „Phaeno- 
genefcik“ ist also das, bis zu den „Faktoren“ oder wenigstens bis zu 
den „Gabelpunkten“ (zur „Phänokrise“) vorzudringen, wo sich zwei 
differente Entwicklungen, z. B. Albinos von normal pigmentierten 
Individuen scheiden. Mit dem ersten Auftreten eines äusserlichen 
Merkmals in der Ontogenese ist aber häufig nichts weiter erreicht, 
als dass der eingeschlagene Forschungsweg, z. B. die morphologische 
Betrachtungsweise am Ende angelangt ist. Hier ist dann der 
springende Punkt, wo wir vor der Aufgabe stehen, die Entstehung 
der neuen örganeigenschaft aus anderen Organen oder aus dem 
„Ganzen“ zu erklären. An dieser Aufgabe scheitert vorläufig Jede 
Darstellung; auch das Werk Häckers ist kaum mehr als ein ver¬ 
dienstvoller Versuch, den ersten Schritt auf diesem schwierigen 
Weg zu gehen und ihn überhaupt zu beleuchten, anzusehem Im 
letzten Hintergrund! liegt die entwioklungsgeschichtliche Analyse 
der Keimzellenvariationen als die Grundlage aller rassemässigen 
und individuellen Unterschiede und an dieses unendlich ferne Ziel 
knüpfen sich auch die Beziehungen der vorliegenden Probleme zur 
wissenchaftlichen Medizin, vor allem zur Konstitutionsforschung. 

Im einzelnen bildet die Erörterung der Phänogenetik einzelner 
Ausseneigenschaften des Körpers den Hauptinhalt des Häcker sehen 
Buches, so der des Wesens der Grössenunterschiede, der Asymme¬ 
trien, der verschiedensten Ektodermeigenschaften (wie der Pig¬ 
mentierung und ihrer Verteilung, Abhängigkeit der Zeichnung vom 
Hautwachstum, der Kämme, Geweihe und Hörner), der Schädel- und 
Gesichtsbildung; von pathologischen Gegenständen werden be¬ 
sprochen die Anomalien des Wachstums, der Pigmentbildung, der 
Extremitätenentwicklung. 

Hinsichtlich des allgemeinen Verhältnisses zwischen Entwicklung 
und Vererbung gelangt Häcker zu der von ihm folgendennassen 
gefassten „entwicklungsgeschichtlichen Vererbungsregel“: Es gibt 
Merkmale mit einfach verursachter, frühzeitig autonomer Entwick¬ 
lung ,und Merkmale mit komplex verursachter und durch mannigfache 
Korrelationen gebundener Entwicklung. Die ersteren weisen klare 
Spaltungsverhältnisse auf, die letztem sind im Vererbungsschema 
Mendels nicht ohne weiteres unterzubringen und zeigen häufig die 
Erscheinungen unregelmässiger Dominanz, ungewöhnlicher Zahlen¬ 
verhältnisse und von Kreuzungsvariabilität. 

Auf die Krankheitslehre übertragen lautet die entwicklungs¬ 
geschichtliche .Vererbungsregel Häckers: „Eine Krankheit zeigt 
eine regelmässige Vererbungsweise, wenn sie auf ein Organ von 
stark ausgeprägter Minderwertigkeit lokalisiert ist und wenn die 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1166 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 42. 


Organanomalie ihrerseits infolge einer einfach verursachten, früh¬ 
zeitig autonomen Entwicklung einem regelmäsigen Vererbungsmodus 
folgt,,. Sieht man von der Unklarheit über die Beziehung von Miss¬ 
bildung („Anomalie“, „Minderwertigkeit“) zu Krankheit ab, so könnte 
wirklich in der Hack ersehen Regel ein richtiger Kern stecken. 

R. R ö s s 1 e - Jena. 

Th. Hausmann: Die methodische Gastrointestinalpalpation 
und Ihre Ergebnisse. Mit 80 Abbildungen im Text und 10 Tafeln. 
368 S. Berlin 1918. Verlag S. Karger. Preis geh. 16 M. 

Seit dem ersten Erscheinen des Buches hat H. durch Vorträge 
und Kurse seiner Methode Eingang und Anerkennung verschafft und 
durch Meinungsaustausch wie auch durch Vertiefung seiner Er¬ 
fahrung an ihrem Ausbau gearbeitet. So wird die wesentlich er¬ 
weiterte Neuauflage, deren Herausgabe in Abwesenheit des Verf. 
F. F u 1 d - Berlin besorgt hat, gute Aufnahme finden. Besonderes 
Interesse beanspruchen die Abschnitte über die Palpation des Wurm¬ 
fortsatzes und die palpatorische Differentialdiagnose der Appendizitis 
sowie die mit zahlreichen Krankengeschichten, Operationsbefunden 
und Skizzen belegten Ausführungen über die Lokalisation von Tu¬ 
moren mit Hilfe dieses Verfahrens. Sie zeigen, dass es sehr wohl 
neben der im Vordergrund stehenden Röntgenuntersuchung bei der 
Diagnosenstellung das Feld behaupten kann. Durch reiches kasuisti¬ 
sches Material und gründliche Berücksichtigung der Literatur ver¬ 
mittelt das Werk ausserdem viel Wissenswertes über die Erkran¬ 
kungen der Bauchorgane. E. P e r u t z - München (i. Felde). 

Neueste Journaülteratur. 

Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie. 
1918, Heft 8 u. 9. 

Festschrift für A. Goldscheider. 

L. B r i e g e r : Einige hydrotherapeutische Winke lür die Praxis. 

H. Guggenheimer: Zur Röntgentherapie des malignen 
Granuloms und der Polyzythämie. 

Zwei Fälle von Granulom und ein Fall von Polyzythämie 
reagierten gut auf Röntgenbestrahlung. 

H. Hi rschfeld: Zur Prognose und Röntgentherapie der lym¬ 
phatischen Lejukämie. 

Beschreibung eines sehr günstig reagiierenden Falles mit leu¬ 
kämischer Hautinfiltration des Gesichtes. 

A. Laqueur: Praktische Beimerkungen zur Diattiermifcbehand- 

lung. 

Verf. empfiehlt bei Fällen mit Störungen der Hautsensibilität der 
Extremitäten die Längsdurchwärmung. Ueberlegcn ist die Dia¬ 
thermie anderen Methoden bei subakuten und vor allem chronischen 
Neuralgien, Erfrierungen, Gelenkrheumatismus mit objektiven Ver¬ 
änderungen und besonders Ruhrrheumatismus, chronischer Gallen- 
biasenentzündung, Sklerose der Koronararterien mit Angina pectoris. 

E. Schlesinger: Zur Radfumbehandlung dös Krebses, ins¬ 
besondere dies Rektumkarzinoms. 

Verf. empfiehlt für die ersten Bestrahlungen möglichst grosse 
Mengen, dann allmähliche Herabsetzung derselben. Drei sehr gut 
reagierende Fälle werden angeführt, davon ist der eine seit 5 Jahren 
rezidivfrei. 

W. Alexander: Ueber Polyneuritte (ambuiatoria) mit Di- 
ptegta facialis. 

J. Kretzschmer: Zwei neurologische Fälle. 

Embolie mit Halbseitenlähmung und Poliomyelitis anterior. 

K. K r o n e r: Zur Frage der Kriegsneurosen auf Grund von Be¬ 
obachtungen an der Front. 

Es sei auf diese Arbeit besonders hingewiesen, denn gerade die 
Erfahrungen der Truppenärzte kommen bisher in der Kriegsliteratur 
viel zu wenig zum Ausdruck. Verf. wendet sich gegen den Miss¬ 
brauch, der in den Lazaretten von Kranken und unkritischen Aerzten 
so vielfach mit dem angeblichen Kausalzusammenhang von „Granat¬ 
explosion“ und „Verschüttung“ und nervösen Krampf- etc. Zuständen 
getrieben wird. Schwere Erkrankungsformen sieht man nur bei 
einem von vornherein minderwertigen Nervensystem, sonst nur das 
bekannte Bild der Neurasthenie infolge Erschöpfung. 

K. Singer: Prinzipien und Erfolge der aktlvien Therapie bei 
Neurosen. 

E. Tobias: Ueber Brachialgien und ihre Behandlung nebst Be. 
tradhtungen zur „Neuralgüe^-Diagnoäe. 

E. Wolff: Beitrag zu den Verletzungen des Conus medullarijs 
und der Cauda equina. 

Zwei Fälle werden beschrieben. 

v. Golz: Zur Begutachtung der Erwerbsfähigkeit bei der chro¬ 
nischen Lungentuberkulose im Invalidenrenten verf ah reu. 

E. Herzfeld: Ueber Puls- und Blutdruckuntersuchungeu bei 
Kriegsteilnehmern. 

Verf. fand relativ oft bei gesunden Leuten Pulsverlangsamung 
(50—60) und geringe Blutdruckwerte (98—112 Hg nach Riva- 
Rocci). 

S c h i r o k a u e r: Die klinische Bewertung der Plethysmo¬ 
graphie bei Herzkrankheiten. 

Schrumpf: Die Syphilis des Herzens und der Gefässe (Häufig¬ 
keit, Diagnose, Behandlung). 

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Mässige Herzinsuffizienz ist keine Kontraindiiloation für eme 
spezifische Behandlung, die in möglichst allen Fällen als energische 
kombinierte Kur (Jod-Quecksilber und Neosalvarsan) durchgeführt 
werden soll, bis die WaR. dauernd negativ und sicherer Stillstand 
oder Rückgang des Leidens erkennbar ist. 

Ehrcnreich: Die Heilung der habituellen Stuhlträgtaeit durch 
Trinkkuren an Kurorten. 

Verf. gibt die Obstipationsdiät nicht während der Trinkkur, 
sondern nachher und legt grössten Wert auf die Erziehung des 
Darmes. 

Ehrmann: Ueber Akromegaloidisnius und zur Theorie der 
inneren Sekretion. 

Qerhartz: Ueber die Beziehungen zwischen Wasser- und 
Kochsalzretention, Zur Theorie der OedembRdnng durch Salzzufuhr. 

Versuche am arbeitenden Hund zeigten, dass schon unter physio¬ 
logischen Verhältnissen Natrium und Wasser sich parallel verschie¬ 
ben. Kochsalzretention führt zur Wasserretention, verminderte 
Wasserabgabe zur Kochsalzretention. 

E. S t e i n i t z: Ueber den Einfluss therapeutischer Massnahmen 
auf den Harnsäuregehalt des Blutes Und d|e Verwerfung der Be¬ 
obachtungen für die Gicfrttherapie. 

Die Blutuntersuchungen zeigten, dass die Verbindung von purin- 
freier Diät möglichst monatelang mit reichlicher Durchspülung sehr 
empfehlenswert ist. Als Ersatz für langdauernde Diät erwies sich 
gut ein Wechsel von Atophan- und Diättagen. Bei schweren Fällen 
ist die Kombination von Atophan und Radium zu versuchen. 

Friedemann: Ueber zwei eigenartige Fälle von Infektion 
der Oesophagus, und Magenschleimhaut. 

Diphtherie des Oesophagus und Maileus des Magens (Infektion 
durch Verspritzen einer Kultur!), vergeblich behandelt mit Kupfer- 
salvarsan. 

Hoef er: Serumtherapie bei Fleckfieber. 

Von 4 schwersten Fällen wurden 2 geheilt, die 1400 ccm und 
121 ü ccm Rekonvateszentenserum erhielten. 

E. Mosler: Die Beziehungen des Wolhynischen Fiebers zu 
anderen Krankheiten. 

Strasser: Malarlariezidlv und Heftung. 

Verf. sah die besten Erfolge bei Abkürzung der Latenz durch 
heisse Bäder mit folgender kalter Milzdusche, die mehrere Tage lort- 
gesetzt wurden bis zum Auftreten von typischen Anläüen. Dann 
hohe Dosen Chinin (5 Tage 2,5 g, 10 Tage 1,0 g). 

Walte nhöfer: Ueber infektiöse Lebererkrankungen. 

Ausführliche Beschreibung eines interessanten Falles von Leber¬ 
zirrhose mit unbekannter Infektion (vielleicht doch Wei Ische Krank¬ 
heit?), die zum Tode führte und berichtet über epidemisch auf¬ 
tretende fieberhafte Ikterusfä'lle unklarer Aetiologie. L. Jacob. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 145. Bd. 5.-6. Heft. 

J. Go erber: Ueber Meniskusverletzungen. (Aus der Univer¬ 
sitätsklinik Zürich.) 

Erfahrungen an 36 Fällen, 34 mal war der mediale, 2 mal der 
laterale Meniskus verletzt; die weitaus häufigste Verletzungsform 
ist die totale Abreissung des Vorderhorns, kombiniert mit einer 
mehr oder weniger weitgehenden Ablösung des vorderen Meniskus¬ 
randes von der Kapsel. Das Röntgenbild zeigt nichts Charakte¬ 
ristisches. Die Operation der Wahl, vor allem in älteren Fällen, 
ist die Exstirpation des Meniskus mittels seitlichen Bogenschnittes. 
Die Resultate sind in mehr als 80 Proz. der naohuntersuchten 
Fälle sehr gut. 'Ir* 

N. F. O. Haberland: Erfahrungen über 80 Bluttransfusionen 
beim Menschen. (Aus einem Kriegslazarett.) 

Die Transfusion wurde entweder direkt durch Verbindung der 
A. radialis des Spenders mit der V. mediana cubiti des Empfängers 
mittels Glasröhrchens oder indirekt — Infusion einer Natrium- 
ciiricum-O proz.)-Blutmischung zu gleichen Teilen — ausgeführt. Die 
direkte Transfusion ist vorzuziehen. Die Transfusion ist ein wichtiges 
Mittel, den Pat. über das kritische Stadium einiger Erkrankungen 
hinwegzuheifen. (Mit günstigen Erfolgen bei der Sepsis steht H. 
wohl vereinzelt da, bei Bluterkrankungen (z. B. Perniziosa) hat die 
einmalige Transfusion grösserer Mengen nur einen sehr geringen 
Wert. Vgl. u. a. Payr 1912 und Ref. 1912 ds». Wschr. Rei.). 

v. Saar und Hirschmann: Zur Symptomatologie and The¬ 
rapie der Pachymeningltis haemorrhagica interna. (Aus dem k. u. k. 
Garnisonspital Laibach.) 

3 Fälle^ sicher 2 mal nach Trauma. Im Vordergründe standen 
stets Hirndruckerscheinungen, daneben verschiedene andere flüchtige 
zentrale Symptome, der Verlauf war remittierend, gleichzeitig mit 
dem Eintritt der Hirndruckerscheinungen stieg jedesmal die Tem¬ 
peratur an. In einem Falle wmrde mit Erfolg die Resektion der er¬ 
krankten Dura und Ersatz durch freitransplantierte Faszie mit gleich¬ 
zeitiger Unterbindung der A. meningca media zur Verhütung weiterer 
Blutungen ausgeführt. 

H. Rogge: Zur Frakturbehandlung mit Spiralverbänden. 

Der Spiralverband ermöglicht sowohl Freilassung grösserer 
Wundflächen als auch Bewegungstherapie der Nachbargelenke. 

Walther Schmie dt: Beitrag zur Daumenplastlk. 

Ersatz des Daumens durch den gleichzeitig verletzten Ringfinger 
derselben Hand. H. F1 ö r ck e n - Paderborn. 


Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



IS. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1167 


Zeatralblatt für Chirurgie. Nr. 38, 1918. 

E. Pay r -Leipzig: Die Bedeutung „fixierter Koloptose“ für die 
hintere Gastroenterostomie. 

In klarer Arbeit spricht Verf. über die Verwachsungen des 
grossen Netzes an den verschiedenen Stellen der Bauchwand mit 
Eingeweiden in und unterhalb Nabelhöhe. Je nach Sitz und Aus¬ 
dehnung können diese Adhäsionen die Anlegung der hinteren Gastro¬ 
enterostomie mehr oder weniger stark behindern. Verf. bespricht dann 
kritisch die einzelnen Operationsmöglichkeiten und empfiehlt bei aus¬ 
gedehnten Fernadhäsionen des Netzes den Bauchschnitt bei steiler 
Beckenhochlagerung nach abwärts etwas zu erweitern, um das ganze 
Adhäsionsgebiet des Netzes übersehen zu können; genügt dies nicht, 
dann fügt er noch an der Netzverklebungsstelle einen zweiten kleinen 
Bauchschnitt an und führt dann 1 unter Kontrolle des Auges die Netz¬ 
lösung vom Darme durch, wobei er die blutenden Peritonealwund¬ 
flächen mit feinster Seide exakt peritonisiert und die Netzligaturen 
versenkt, um spätere Verwachsungen zu verhüten. Mit 1 Abbildung. 

H. v. Haberer -Innsbruck: Die Einleitung der gesamten Duo- 
denalsälte in den Magen (Innere Apotheke). Zur Arbeit von Schmi- 
linsky in Nr. 25, 1918. 

Verf. hält es für zweifelhaft, ob durch die „innere Apotheke*“ 
eine Dauerneutralisierung des Magensaftes zu erreichen ist. und emp¬ 
fiehlt auf Grund eigener Erfahrung von 12 Fällen die radikale Re¬ 
sektion bei Ulcus pept. jejuni möglichst frühzeitig, womöglich vor 
der Perforation in die freie Bauchhöhle, und bei der Fistula gastro- 
bzw. jejunocolica; er beginnt die Resektion stets an der Stelle, wo 
der Zugang am leichtesten ist. 

Carl Bayer- Prag: Essigsäure Tonerde. 

Verf. sieht die Hauptvorteile der essigsauren Tonerde in der 
kontinuierlichen kapillären Ansaugung und Ableitung der Sekrete, 
weniger in der Verflüssigung der zähen Sekrete (wie Pels-Leusden). 
Er verbindet alle nicht ganz aseptischen Wunden damit und tam¬ 
ponierte tiefe Inzisionen. Ekzeme verhütet vorherige Waschung mit 
Alkohol. E. Heim, zurzeit im Felde. 

Gynäkologische Rundschau. Jahrg. XI, Heft 23 u. 24. 

(Das Erscheinen der Zeitschrift wird vorläufig eingestellt!) 

G. Mönch- Tübingen: Ein weiterer Fall von tuberkulösem 
Ovarialtumor. (Aus dem Laboratorium der Frauenklinik der Uni¬ 
versität Tübingen.) 

Mitteilung eines selbst beobachteten Falles; es handelt sich um 
eine Kombination von benignem Fibroadenom und typischer tuberku¬ 
löser Entzündung, das Peritoneum war nicht erkrankt. Makro¬ 
skopische und mikroskopische Beschreibung des Präparats, Kasuistik 
und Literatur. 

G. M ön c h - Tübingen: Ueber die pathologisch-anatomischen 
Veränderungen an den Ovarien bei der Osteomalazie. (Aus dem La¬ 
boratorium der Universitäts-Frauenklinik Tübingen.) 

Bericht über die Untersuchung von Ovarien bei Osteomalazie. 
Verf. sieht die Veränderungen an den Ovarien (Gefässveränderungen) 
als sekundärer Natur an. Als Grund, warum die Osteomalazie so 
überwiegend beim weiblichen Geschlecht vorkommt, glaubt Verf. 
die mit der Gravidität notgedrungen einhergehenden Stoffwechsel- 
vorgänge anführen zu müssen, jedenfalls unter Mitbeteiligung der 
Thyreoidea. Die fast konstante Besserung der Erkrankung durch die 
Kastration erklärt Verf. durch die Besserung des allgemeinen Er¬ 
nährungszustandes der Patientin nach der Operation. Weiter ist der 
Verf. der Meinung, dass Frauen mit Osteomalazie nicht aus diesem 
Grunde häufiger gebären als andere; sondern weil sie eben so frucht¬ 
bar sind, so bekommen sie, wenn eine Prädisposition bei ihnen be¬ 
steht, durch die vermehrte Gestations- und Laktationsarbeit eine 
Osteomalazie. 

M. Vaerting -Berlin: Der Männermangel nach dem Kriege. 
Die hygienischen und eugenischen Gefahren des Mämtermangels. 

Verf. befürchtet einmal eine Zunahme der Mehrsterblichkeit des 
männlichen Geschlechts nach dem Kriege, ausserdem eine Abnahme 
der Knabengeburten und zwar letztere wegen der durch den grossen 
Frauenüberschuss bedingten Polygamie des Mannes. Weiter wird 
ein Männermangel zu erwarten sein als Folge des Geburtenrück¬ 
ganges überhaupt und als Folge der starken Vermehrung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten. 

D. Pulvermacher -Berlin: Ueber die Sekundärnaht bei 
Dammrissen. 

Verf. empfiehlt bei nicht geheilten Dammrissen die Sekundär¬ 
naht am Ende der ersten Woche, Querschnitt, kräftiget Vorgehen in 
die Tiefe, Anlegen versenkter Nähte. Die Erfolge waren gut. 

A. Rieländer - Marburg. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1918. 
87. Band, 1. Heft. 

Hellmuth Simons-Düsseldorf: Beiträge zur Kenntnis der 
experimentellen Nagaua. 

R. von den Velden und H. C. R. S i m o n s - Düsseldorf: 

Zur Klinik der experimentellen Nagana bei Hunden nebst einigen 
strahlentherapeutiscbeni Versuchen. 

J. G. Mönckeberg und H. C. R. Simons-Düsseldorf: 
Zur pathologischen Anatomie der experimentellen Nagana bei Hunden. 

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Die drei Arbeiten bringen im wesentlichen Nachuntersuchurtgen 
der bisher festgestellten Tatsachen über Morphologie, Physiologie. 
Klinik und Pathologie des T r y p. b r u c e i bez. der durch das 
Trypanosomen bedingten Tiererkrankungen. Die bei den Unter- 
suchungen ermittelten neuen Beobachtungen werden an der Hand 
von Protokollen u. dgl. mitgeteilt, sie können hier aber im ein¬ 
zelnen nicht aufgeführt werden. In der ersten Arbeit finden sich 
auch einige Angaben über die Wirkung einiger Kationen und Anionen 
auf Trypanosomen. 

Schlegel: Zur Epidemiologie der Malaria. 

Die Beobachtungen, die Verf. 1917 im Osten bei einer grossen 
Reihe Malariakranker epidemiologisch machen konnte, haben er¬ 
geben, dass eine lange Latenz bei Malaria vorkommt und sogar 
nicht sehen ist. Er hat auch die bisher veröffentlichten Kurven 
und Berichte aus früherer und neuester Zeit, sowohl aus Deutsch¬ 
land wie aus südlicheren Ländern untersucht und gefunden, dass 
tatsächlich viele Angaben, die bisher ganz anders erklärt wurden, 
mit der langen Latenz bei Malaria in Verbindung zu bringen sind. 

R. O. Neumann -Bonn. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 39, 1918. 

E. Blumenf eldt- Berlin: Zur Frage der Funktlonsprüfung 
der Milz beim Menschen. 

Verf. macht aufmerksam, dass die Frey sehe Adrenalinprobe 
nicht ausschliesslich auf die Funktion der Milz schliessen lässt, son¬ 
dern des lymphatischen Gewebes überhaupt, wie die Anstellung der 
Probe an einer splenektomierten Patientin bewies. Die Milzfunk¬ 
tionen werden nach Entfernung des Organs in weitgehendem Masse 
von Lymphdrüsen und Knochenmark übernommen. 

Carly S e y f a r t h - Leipzig: Merkpunkte und Ratschläge für 
die Diagnose der Malaria. 

Zusammenstellung der hauptsächlichsten Methoden für die Blut¬ 
untersuchung bei Malariafällen und der wichtigsten klinischen Sym¬ 
ptome. 

W. Angene t e -Göttingen: Ein Fall von vorübergehender 
Blausucht ohne Herzklappenfehler. 

Mitteilung der Krankengeschichte eines Kindes, bei dem die 
Blausucht am 15. Lebenstage auftrat. Ein Vitium war auszuschliessen, 
die Blausucht verschwand völlig, nachdem der Zustand auffallende 
Schwankungen dargeboten hatte. Therapeutisch erschien Strophan- 
thus nützlich. 

E. Kutznitzky und F. Schäfer -Breslau: Die Röntgen¬ 
behandlung oberflächlicher Dermatosen mit dem 0,5 mm Aluminium¬ 
filter. i 

Nach den Erfahrungen der Verfasser ist die biologische Differen¬ 
zierung von harter und weicher Strahlung nicht sehr weitgehend. Es 
gibt unzweifelhaft Dermatosen, die auf weiche Strahlung besser 
reagieren wie auf harte. 

E. Gast und E. Z u r 'h e 11 e: Eine seltene», operativ entfernte 
Gesdhwulstblldung (xanthomatöses Riesenzellensarkom) am Unter¬ 
schenkel einer Frau. 

Kasuistische Mitteilung. Grassmann-München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift 1918. Nr. 39. 

A. B 1 a s c h k o: Zur Theorie und Praxis der Gonorrhöebehand- 

lung. 

Die Abortivbehandlung besteht in einer Injektion von 10—12 ccm 
einer 2 proz. Albarginlösung, die man für 3—4 Minuten in der Urethra 
lässt. Angabe der Indikation. 

M ü h l e n s : Ueber Schwarzwasserfieber. 

Angabe der klinischen Symptome, der Prognose und Therapie. 

Georg Rosenow-Königsberg: Ueber die Beziehung der Ma¬ 
laria zur Leukämie. 

Mitteilung eines Falles von Malaria und Leukämie. Nach jedem 
Malariaafifall ging die Zahl der weissen Blutkörperchen stark zurück, 
und das Blutbild näherte sich der Norm. Der Milztumor wurde 
kleiner. 

Walterhöfer - Nürnberg: Veränderungen am infizierten 
Erythrozyten bei Malaria tertiana und tropica. 

Tertiana und Tropika rufen charakteristische Veränderungen im 
roten Blutkörperchen hervor. Bei der Tertiana findet man stets eine 
Schüffnertüpfelung, die bei der Tropika fehlt, und auch eine 
Fleckung. Mitteilung eines Verfahrens zur Darstellung der Unter¬ 
schiede. 

F. Sachs-Leipzig: Einige Symptome der latenten Malaria 
tropica. 

Wenn Anämie und Milztumor fehlen, verleiten oft anhaltende 
Kopfschmerzen, rheumatische und neuralgische Schmerzen, ferner 
Bronchitis, Ikterus und Darmkatarrh zu falscher Diagnose. 

Fritz V e r z ä r-Debrezin: Mischinfektion mit Tropika und Ter¬ 
tiana? 

Unter 13 000 Fällen sah Verf. nur 6 Mischformen. Möglicher¬ 
weise ist die Tertiana und Quartana nur eine Entwicklungsform der 
Tropika. 

J. Boas- Berlin: Zur diagnostischen Bewertung des okkulten 
Blutnachweises. 

Polemik gegen Baumstark. Es wird der Wert der Unter¬ 
suchung auf okkulte Blutungen betont. 

Original from 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr.g 


II os 


Hess u 11 g er- Elberfeld: Ein neuer Weg zur Lupusbehandlung. 

Die Krusten und Borken werden mit Salizylvaseline aufgeweicht. 
Dann bekommt der Patient 2 mal 2 g Jodolyt. Am nächsten Tage 
wird die erkrankte Stelle mit Jothion oder Jodolytester-Azeton- 
Lanepsöl massiert und dann bestrahlt. 

Julius Freund-Pest: Ueber die Hlrschfeld-Kllnger- 
sclie Gerinnungsreaktion bei Lues. 

Diese Reaktion, die spezifisch ist, fällt häufiger positiv aus als 
die W a s s e r m a n n sehe. Auch ist sie billiger und leichter aus- 
zufiihren. 

Philipp F i s e n b e r g - Tarnöw: lieber Gram-elektive Züch¬ 
tung. Bemerkungen zur Arbeit von (iassne r. 

Hoffman n- Quierschied: Ein VA Jahr nach Schussverletzung 
in die Erscheinung tretendes Aneurysma der A. und V. femoralis im 
Adduktorenkanal. 

Mitteilung eines Falles, in dem ein Soldat A Jahr (iarnisondienst 
und 2 Jahre Grubenarbeit verrichtete, bis durch eine Zerrung der 
Adduktoren ein schnell wachsendes Aneurysma entstand. 

Walter Koerting: Gipsverbände mit Papierbinden. 

Fs wird fiir die jetzigen Verhältnisse der Gebrauch von Papier- 
hindeu fiir Gipsverbände empfohlen. 

H. Quincke-Kiel (Frankfurt a. M.): Ueber ansteckende 
Krankheiten und die Strafbarkeit der Uebertragung. 

Friedrich Kiel: Die Bedeutung der Kehlkopftuberkulose bei der 
Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit und die Notwendig¬ 
keit ihrer Behandlung in Tuberkulosekrankenhäusern. 

Patienten mit Kehlkopftuberkulose müssen isoliert werden, da 
sie überaus ansteckungsfähig sind. Die heilbaren oder besserungs¬ 
fähigen sind in geeigneten Anstalten unterzubringen. 

A. Dworetzky- Moskau: Der methodologische Unterschied 
zwischen theoretischer und praktischer Medizin. (Schluss folgt.) 

W c s k i - Berlin: Praktische Winke zur Ausführung einer ge¬ 
nauen röntgenologischen Fremdkörperlokalisation. 

Bemerkungen zur Arbeit von P a y s e n und Walter. 

B o e n h e i in - Nürnberg 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

Nr. 38. N. v. Jagic und J. L i p i n e r - Wien: Zur Sympto¬ 
matologie der Pilzvergiftungen. 

Die Schwere der Erscheinungen im gastrointestinalen Stadium 
lässt keinen Schluss auf den Ausgang der Erkrankung zu. Auch bei 
leichteren Vergiftungen sind die 'Erscheinungen des ersten Stadiums 
ebenso schwer und stürmisch wie bei den tödlichen. Fine wenn 
auch reservierte Prognoscnstellung ist aus dem Verhalten der auf¬ 
gezählten Symptome wohl möglich, allerdings erst im 2. Stadium 
der Erkrankung. 

Hans H. H e i d 1 e r - Wien: Perforationsperitonitis bei Para¬ 
typhus. 

Der beschriebene Fall ist wegen seines günstigen Ausfalles 
chirurgisch bemerkenswert. Bei einem 24 jährigen Mann erfolgte die 
Perforation eines Geschwüres bei Typhus abdominalis zu Beginn der 
4. Woche. Erst nach 40 Stunden kommt er zur Operation. Es er¬ 
folgte trotz verschiedener Komplikationen des Krankheitsverlaufes 
Heilung. 

B6ki Mol na r jun.-Miskolcz: Ergebnisse bakteriologischer Unter¬ 
suchungen bei Paratyphus-A-Rekonvaleszenten. 

Bei den Untersuchungen der Paratyphus-A-Rekonvaleszenten er¬ 
geben die Stuhluntersuchungen ein sehr schlechtes Resultat. Gute 
Resultate ergeben hier die bakteriologischen Urinuntersuchungen; 
durch diese können die Dauerausscheider entdeckt werden. Der 
Paratyphus A wird durch Kontaktinfektion übertragen. 

D. Hör v ä t h: Beitrag zur Xio-Frage. 

Nach den Auseinandersetzungen des Verfassers wäre es viel¬ 
leicht möglich, dass die O-Form des Xm-Stainines der am reich¬ 
lichsten beladene Träger des bisher noch nicht endgültig festgestellten 
Fleckfiebervirus wäre. Anaerobe Kulturversuche vom Xi»-Stamm 
event. mit dem Baehr-Plotz sehen Nährboden — könnten viel¬ 
leicht Aufschluss geben. 

Fugen Csernel: Ueber Proteusagglutination bei Fleckfieber. 

Die'Proteusbazillen gehen unter dem Einflüsse säureerzeugender 
Mikroben in einen fleckfieberagglutinablen Biotypus über. Diese Um- 
ziiehtiuig lässt sich nicht mir mit Proteus, sondern auch mit anderen 
Hakte nenarten durchführen. Diese Agglutinabilität gegen Fleckfieber¬ 
krankenserum beruht auf einer Aenderung des Stottwcchselmechanis- 
rniis. Die W e i 1 - F e 1 i x sehe Reaktion lässt sieh weder in die Gruppe 
der Immunagglutination, noch der Mitagglutination, noch der Para¬ 
agglutination einreihen. Am besten kann man sie noch als eine „auto¬ 
katalytische“ Agglutination auffassen. Mit dieser Auffassung ist auch 
die strenge Spezifität, aber auch die „polyagglutiiiatorische“ Wirkung 
des Fleckfieberserums gut zu erklären. Als ätiologisches Moment bei 
Flecktiebcrkrankheit kommt dem von Weil und Felix gezüchteten 
..X“ keine Rolle zu. 

Hugo G r ii u b a ti m - Prag: Ein handlicher Taschenapparat zur 
Eiweissuntersuchung. 

Der von der Firma Alois K r e i d 1 in Prag angefertigte kleine 
Apparat besteht aus 2 Glasröhrchen, deren eines zur Hälfte mit 

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dem Harn gefüllt wird; das andere enthält das Reagens (lüproz. 
Ferrozyankalilösung mit einigen Tropfen konzentrierter Essigsäure), 
welches durch den äusseren Luftdruck im Röhrchen gehalten wird 
und bei Drehung des durchbohrten Glasstöpsels durch die untere sehr 
enge Geffnuug in den Harn abtropft. Nach 2—3 Tropfen kann man 
den Ausfall der Reaktion ablesen. 

J. M a t k o: Zur Therapie des Schwarz Wasserfiebers. 
Bemerkungen zu dem gleichnamigen Artikel in Nr. 31 der 
W.kl.W. 1918 von Stephan Rusznyäk und Artur Weil. 

Hermann v. Sch r ö t t er: Notiz zur Geschichte unserer Kennt¬ 
nis der Orientbeule. 

Historischer Beitrag. Z e 11 c r - München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Freiburg I. Br. März 1918. 

Jacobs Johanna: Zur D a r i e r sehen Dermatose. 

Körner Otto: Neuere Bestrebungen zur Schmerzlinderung be* 
normalen Geburten. 

P ö h 1 in a n n Otto: Beitrag zur medikamentösen Therapie des Fie¬ 
bers bei Lungenkranken. 

Universität Leipzig. Juli—September 1918. 
a) medizinische: 

Jacob Johannes: Ein Beitrag zur Frage nach psychischen Rassen- 
miterscliieden. 

Schm oeger Woligang Hermann Viktor Fritz: Die Verhütung des 
Fleckfiebers durch Bekämpfung der Läuse. 

Palitzsch Friedrich Martin: Roger Bacons zweite (astrologische) 
Schrift über die kritischen Tage. 

Cieeierski Anton: Verpflanzung von Keimdrüsen auf Individuen 
des anderen Geschlechtes. 

Niebuhr Carl Emil August: Erfahrungen mit der Nagelextension. 
Matthias Kurt Gerhard: Die Entstehung und Behandlung der 
Appendizitis im Kindesalter. 

Matt li a c s Gurt Julius Carl: Der Salernitaner Arzt Urso im Ende 
des 12. Jahrhunderts und seine beiden Schriften „De effectibus 
qualitatum“ und „De effectibus medicinarum“. 

Wirth Kurt Max: Ueber einen Fall von isolierter Amyloidose des 
Darmes und der mesenterialen Lymphdrüsen. 

M e h ii e r Moritz Arndt: Johannes von Parma und seine Practicella. 
Laase r Rudolf Julius Ernst: Ueber freie Autoosteoplastik unter 
besonderer Berücksichtigung des Unterkiefers. 

b) veterinärmedizinische. 

Müller Alexander: Beiträge zur Räudebehandlung. 

Sjöberg Agnes Hildegard: Klinische und chemisch-mikroskopische 
Untersuchungen des Augensekretes der Pferde. 

Universität München. September 1918. • 

Fy Eduard: Bericht über die Krankenbewegung der Kgl. Medizini¬ 
schen Universitütspoliklinik in München im Jahre 1913. 

Zeiscr Marie-Luise: Ein Fall von angeborener Hornhauttrübung 
bei drei Mitgliedern derselben Familie. Ein Beitrag zur Literatur 
angeborener Hornhautanomalien. 

Vereins- und Kongressberichte. 

Aerztlicher Verein in Hamburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 1. Oktober 1918. 

Vorsitzender: Herr E. Fraenkel. 

Herr Werner zeigt an einer grösseren Anzahl von Kindern 
den günstigen Erfolg der Trypaflavinbehandlung bei den derzeit gras¬ 
sierenden kokkogenen Pyodermien (Impetigo, Ekzem, Furunkulosis 
etc.). Der Vorzug besteht vor allem in dem Verzicht auf Verband¬ 
stoff und Salbenbehandlung. Die an den erkrankten Partien gut ge¬ 
reinigte Haut w ird mehrmals täglich mit einer 0,1—1 proz. Spiri¬ 
tuosen oder wässerigen Lösung betupft. Unter der dann entstehen¬ 
den intensiv gelben Trypaflavinschicht heilt die Affektion auffallend 
rasch. 

W. zeigt ferner einen Fall von schwerstem hyperkeratotlschen 
psorlatiformen Ekzem bei einem 7 jährigen, seit vielen Jahren in ver¬ 
schiedensten Hautkliniken intensiv behandelten Mädchen, das unter 
Präzipitatsalbe und einer Wasserstoffsuperoxyd-Lanepssalbe jetzt seit 
längerer Zeit völlig geheilt ist. Demonstration von Photogrammeii 
und eines Bildes. 

Herr Fahr: Leberschädigung und Chloroformtod. 

Vortr. berichtet über 3 Fälle von eigenartigen Stoffw echsel- 
stöiiingcn bei Kindern. Sie verlaufen unter sichtbarster Beteiligung 
der Leber (Verfettung, geringe Degeneration) und Lipäniie (Fdt- 
speichertmg in der Niere) und führen ganz überraschend zum Tode. 
Das Krankheitsbild ist klinisch und anatomisch das gleiche, wie es 
bei den Spättodesfällen nach C h 1 o r o f o r m anwendung beschrie¬ 
ben wird, doch war in dem einen der mitgeteilten Fälle das Chloro- 
form nur in ganz geringen Dosen angewendut worden, iin 2. Fall 

Original frorri 

UMIVERSITY OF CALIFORNIA ■ 



15. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1169 


war eine ursächliche Wirkung des Chloroforms mit grösster Wahr¬ 
scheinlichkeit. im 3. mit aller Bestimmtheit auszuschliessen. In allen 
3 Fällen bestanden leichte Darmstörungen. Die anatomischen Leber¬ 
veränderungen erinnern sehr an das Bild der Fettleber beim chroni¬ 
schen Alkoholismus. 

Herr Fraenkel demonstriert den Harn eines Falles, der durch 
Infektion mit dem Bac. phlegm. emphysem. (Fraenkel) tödlich 
verlaufen, Methämoglobin, Hämatin und Bilirubin enthält. Dieser 
Befund, der auch im Blutserum zu erheben ist, scheint nur bei Infek¬ 
tionen mit dem genannten Bazillus vorzukommen und ist besonders 
häufig bei Puerperalinfektionen beobachtet. In weiteren Ausführungen 
wenden sich die Herren Fraenkel, Schottmiiller und Zeis- 
ler gegen irrige Angaben in der letzten Publikation von Ko Ile, 
der u. a. den Fraenkel sehen Gasbazillus einen „toxigenen Sapro- 
pliyten“ nennt und ihn nicht als echten pathogenen Infektionserreger 
anerkennt. Sowohl die klinischen Beobachtungen, wie die bio¬ 
logischen Eigenschaften beweisen das Gegenteil. 

Herr Hess: Ueber Arcus senilis, virills und Juvenilis. 

Nach einleitenden Bemerkungen über die Anatomie des Geron- 
doxon berichtet Vortr. ausführlich über seine an mehr als 3700 Sol¬ 
daten angestellten Beobachtungen. 39 mal fand er die Affektion, die 
sowohl bei Jünglingen, wie bei Männern vorkommt, an Häufigkeit 
mit dem Alter zunimmt. Zwischen dem frühzeitigen Vorkommen des 
Arcus und den Neurosen scheint ein Zusammenhang zu bestehen. 
Fine besondere praktische Bedeutung kommt dein Gerontoxon nicht 
zu. wenn es auch als ein wahrscheinlich auf Erschöpfung und Ab¬ 
nützung beruhendes Symptom vielleicht ein objektives Zeichen 
der Neurose darstellt. Werner. 

Der Senat hat zu Professoren des hamburgischen Staates er¬ 
nannt die Herren Ringel. P 1 a t e. F ranke, H a h n. Oberärzte an 
den Staatskrankenhäusern, und die Physici S i e v e k i n g, Otto. 
Reuter. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Nachtrag zur Sitzung vom 27. Juni 1918. 

Herr Berbiinger: Eingehender schildert der Vortr. an Hand 
von projizierten mikroskopischen Präparaten die anatomischen Be¬ 
funde am Nervensystem in einem Falle von F r i e d r e i c h scher 
Krankheit (hereditärer Ataxie). Die kombinierte Systemerkrankung 
fand B. bei der Sektion eines 14 jährigen Mädchens. Dasselbe bot 
klinisch eine Lähmung beider Beine ohne Atrophie mit Reflexverlust, 
einschliesslich der Bauchdeckenreflexe. Hypertonie fehlte. Ausser¬ 
dem bestand eine Blasen- und Mastdarmlähmung, gering waren die 
sensiblen Ausfallserscheinungen; nur am linken Fuss war die Sensi¬ 
bilität vollständig aufgehoben. Bulbäre wie zerebrale Symptome 
fehlten, festgestellt wurde dagegen eine einfache beidseitige Optikus¬ 
atrophie (Prof. G r ü t e r - Marburg). Genauere Angaben über be¬ 
stehende Ataxie stehen nicht zur Verfügung des Vortr. Nach diesem 
klinischen Verhalten ist der Fall unter eine der beiden von Oppen- 
!i c i m fiir die Friedreich sehe Krankheit aufgestellten Unter¬ 
arten nicht einzureihen. Symptome aus diesen beiden treten zu¬ 
sammen und überdecken sich, was sich auf Grund der anatomischen 
Untersuchung wohl erklären lässt. 

Im Sakral- und Lumbalmark findet sich ein totaler Markscheiden- 
sdiwund in den Hintersträngen mit.Ausnahme des ventralen Hinter- 
strangfeldes. der Dorsomedialbiindel und der hinteren, eintretenden 
Wurzeln. Blasen-Mastdarmlähmung (2. und 3. Sakralsegment) wie 
Störungen der Hautsensibilität sind danach verständlich. Gering ist 
der Markscheidenschwund im dorsalen Anteil der Kleinhirnseiten¬ 
strangbahn, stark dagegen in den Pyramidenseitensträngen. Die Nach¬ 
prüfung an Nachbarschnitten mit elektiver Darstellung der Achsen¬ 
zylinder ergibt, dass der Ausfall an solchen geringer ist, als man 
nach dem Markscheidenbild zunächst vermutet, dass aber gerade 
in den kernfernen Abschnitten dieser Bahn auch der völlige Faser- 
sdiwund erheblicher ist. Das Fehlen spastischer Lähmungen wie der 
Hypertonie könnte zunächst auf eine nur geringe Alteration der Pyra- 
niidenseitenstränge wie der Intermediärbündel zurückgeführt werden, 
oder eine infolge der Hinterstrangsdegeneration zustandegekommene 
Hypotonie könnte die Hypertonie verdecken. Tieferen Einblick gibt 
die anatomische Untersuchung der kurzen Reflexbahn. Diese ist 
nämlich nicht nur in ihrem sensiblen intramedullären Anteil ge¬ 
schädigt. An den motorischen Vorderhornganglienzellen sind be¬ 
sonders im Lumbal- und Sakralmark schwere degenerative Verände¬ 
rungen vorhanden. Es finden sich ausser einer staubförmigen Um¬ 
wandlung der Nisslkörne'r, Wanderung derselben an die Zellperi- 
pherie — Vorgänge, die gerade bei der motorischen Ganglienzelle 
weder als Ausdruck dauernder noch auch nur vorübergehender Funk- 
lionsbeeinträchtigung gelten dürfen —, alle Grade homogener Schwel¬ 
lung des Ganglicnzellenleibes mit völligem Kernverlust. Andere 
Tinktionsmethoden lassen auch Formabweichungen des intrazellu¬ 
lären Primitivfibrillengitters erkennen. Das Fehlen des Patellar- 
wie Achillessehnenreflexes, der Bauchdeckenreflexe (9—12 D.S.) kann 
durch die festgestellten Veränderungen der genannten Ganglienzellen 
erklärt werden. Die nicht vorhandene Hypertonie, trotz Degeiiera- 

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tion der Pyramidenbaimen ist wohl so zu verstehen, dass zu an¬ 
fänglich rein spastischen Lähmungen nukleäre hinzugetreten sind. Da¬ 
zu würde auch passen, dass im vorliegenden Falle das Babinski- 
sche Zeichen fehlte, das sonst trotz verdeckter Hypertonie und vor¬ 
handener Arefiexie noch auf einen Degenerationsprozess in den 
Pyramidenseitensträiigen hinweist (E. Mülle r). Die Miterkrankmig 
auch des motorischen, intramedullären Abschnittes der kurzen Re¬ 
flexbahn erklärt den abweichenden klinischen Befund. 

Hervorzuheben ist weiter, dass die Gliawucherung keineswegs 
Hand in Hand geht mit dem Untergang der Markscheiden, dem Aus¬ 
fall au Fasern. Sie ist vielmehr stärker im Bereich der Hinterstränge 
dort, wo der Schwund von Nervenfasern ein geringer ist. Die 
Gliawucherung kann nicht die Ursache der Entmarkung oder des 
Unterganges von Fasern sein, ebensowenig w ie man etwa eine reine 
Ersatzwuclicrung von seiten der Neuroglia hier annehmen kann. 

Die gewucherte Glia bildet Faserwirliel und ist ausserordent¬ 
lich dicht. Darin liegt ein Unterschied gegenüber der Sklerose bei 
der Tabes dorsalis, auf den schon von französischen Autoren hin¬ 
gewiesen worden ist. 

Faserschwund und Gliawucherung fasst der Vortr. als einander 
gleichgeordnete Vorgänge auf, als die Folgen ein und derselben 
ihrem Wesen nach allerdings noch unbekannten endogenen Noxe. 
Jegliche entzündliche Prozesse fehlen. In kausal-pathogenetischer 
Hinsicht führte den Vortr. die anatomische Untersuchung seiner -Be¬ 
obachtung nicht weiter als die früheren Untersucher. Aber bemer¬ 
kenswert bleibt, dass es sich um einen Fall von F r i e d r e i c h scher 
Krankheit von verhältnismässig recht kurzer Dauer handelt — max. 
2. Jahre —, wobei in der Zwischenzeit ein Rückgang der Störungen 
festzustellen war. Zu dieser Auffassung als relatives Frühstadiuin 
hereditärer Ataxie passt auch klinisch, dass die sensiblen Störungen 
wesentlich hinter die motorischen zurücktraten. 

Vorwiegend von dem Degenerationsprozess betroffen sind aber 
die nukleodistalcn Abschnitte, und zwar nicht allein der motorischen 
Bahnen, wie in E. Müllers Fällen, sondern auch der aufsteigenden 
sensiblen. Und schon in diesem Frühstadium greift die Erkrankung 
über auf die Ganglienzellen der angrenzenden Neurone; denn auch 
an denen des Nucleus gracilis fanden sich ähnliche Veränderungen, 
wie sie an den Vorderhornganglien geschildert wurden. 

Herr Berbiinger zeigt im Anschluss daran eine infizierte 
Myelomeningozele bei einem 14 Tage alt gewordenen Mädchen mit 
Uebergreifen der Eiterung auf den Zentralkanal und die Hirnventrikel. 
Pyomyelon und Py ozephalus. Vortr. weist auf die seltenen 
Fälle hin. bei denen es von einem Pyomyelon aus zur Abszess¬ 
bildung im Rückenmark kommt. 

Die im Präparat demonstrierte Missbildung benützte Vortr. als 
Ueberleitung zur kurzen Besprechung einer seltenen Missbildung 
am Lumbalmarke einer 44 jährigen Frau, welche keine klinischen Er¬ 
scheinungen von seiten der Medulla spinalis bot. Der Wirbelkanal 
war auch dorsal vollständig geschlossen. Das Lendenmark ist in 
seinen oberen zwei Dritteln verdoppelt. Die Dura durchsetzt als 
sagittal gestellte Lamelle den Spalt. Im Kaliber bleiben die doppelten 
Stücke nicht viel hinter dem des einfachen zurück. Wie das Rücken¬ 
mark teilt sich auch die vordere Spinalarterie und die Aeste ver¬ 
einigen sich wieder wie die Doppelstücke des Lendenmarks zum 
unteren Lumbalmarke. Mikroskopisch finden sich hier aber noch 
zwei Zentralkanäle. Nur einige dürftige Nervenfäserchen gehen 
nach der Richtung des Spaltes zu. Die nach aussen gerichteten 
Wurzeln sind wie am vereinigten Abschnitt auch im Bereiche der 
Spaltung ausgebildet. Die Beobachtung des Vortr. muss als 
Dlplomyelia partialis lumbalis bezeichnet werden. B. 
bespricht die formale Genese dieser Missbildung und ihre Beziehung 
zu abnormen Gestaltungen des Canalis neurentericus. Totale Spal¬ 
tung des Rückenmarks kommt auch zusammen vor mit unvoll¬ 
ständigem Schlüsse desselben. Vortr. zeigt zum Schlüsse noch mikro¬ 
skopische Präparate von Myelomen ingocele subcutanea 
mit Diastematomyelie und lumbaler Hypertrichose, w’elch 
letztere bei der partiellen Diplomyelie nicht vorhanden w r ar. 


Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 16. Juli 1918. 

Vorsitzender: Herr B a h r d t. 

Schriftführer: Herr K r e t s c h m a n n. 

Herr Rösler: Ueber Wanderleber im Röntgenbild. (Erscheint 
als Originalartikel.) 

Herr v. Strümpell stellt folgende Fälle vor: 

1. Einen 13 jährigen Knaben P. M. mit familiärer Friedreich- 
scher Ataxie. Auffallend ist der körperliche Infantilismus des Knaben. 
Er ist nur 127 cm gross und hat noch völlige infantile kleine Geni¬ 
talien. Geistig ist er sehr intelligent. Seit 4 -5 Jahren leidet er an 
ausgesprochener Gehstörimg. Doch reichen die ersten Anfänge der 
Krankheit wohl noch weiter zurück. Jetzt ist der Gang ausgesprochen 
ataktisch und zwar schwankend „zerebellar-ataktisch“. Statische 
Rumpfataxie beim Stehen mit geschlossenen Füssen. Doch besteht 
auch in den Armen und Beinen deutliche Ataxie. Die Sehnenreflexe 

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1170 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 42. 


fehlen. Keine Spur von Schmerzen. Blase normal. Kein Nystagmus, 
keine Sprachstörung. Bemerkenswert ist das völlige Fehlen 
nachweisbarer Sensibilitätsstörungen. Auch die 
genaue Untersuchung der Tiefensensibilität ergab keine nach¬ 
weisbare Abweichung. Ein jüngerer Bruder zeigt ebenfalls schon 
ganz -deutliche Ataxie beim Gehen und fehlende Patellarreflexe. 

2. Einen 55 jährigen Kranken E. G. mit schwerer multipler 
Sklerose. Die Erscheinungen haben sich erst seit 2 Jahren in raschem 
Fortschreiten entwickelt. Besonders stark ist die charakteristische 
Sprachstörung. Str. erwähnt die neueren Angaben über die infektiöse 
Natur der multiplen Sklerose (Spirochätenbefund). Die Wieder¬ 
holung der betreffenden Versuche an der hiesigen Klinik hat bisher 
noch kein Ergebnis gehabt. 

3. Eine 49 jährige Patientin J. M. mit schwerer chronischer 
Chorea. Beständige stärkste choreatische Unruhe im Gesicht (Gri- 
massieren), in der Zunge, im Kopf, Rumpf und den Extremitäten. Die 
Krankheit begann ca. im 38. Lebensjahr. Hochgradige Abnahme der 
Intelligenz. Familiarität ist in diesem Fall nicht nachweisbar. 

Ueber Influenza. (Erschien als Originalartikel in Nr. 40, S. 1096 
dieser Wochenschrift.) 

Diskussion in der folgenden Sitzung. 

Herr Gg. Herzog: Demonstration eines Falles von akutem iRotz 
beim Menschen. 

M. H.! Der 63 jährige Fleischergehilfe hat sich am 20. Mai beim 
Schlachten eines rotzkranken Pferdes am linken kleinen Finger ver¬ 
letzt, woran sich zunächst eine Sehnenscheidcnphlegmonc des Hand¬ 
rückens anschloss, die vom Arzt indiziert und dann mit Pcndelmassage 
behandelt wurde. Am 18. Juni trat eine auffallende Verschlechterung 
des Allgemeinbefindens, am 5. Juli der Tod ein. Die Aufnahme ins 
Krankenhaus erfolgte mit der Diagnose Gesichtserysipel; die Dia¬ 
gnose Rotz wurde im Krankenhaus von Dr. Otter gestellt. — Bei 
der am 6. VII. vofi mir ausgeführten Sektion (L. N. 799/18) zeigte 
die Hautdecke besonders in der oberen Körperhälfte, an Brust, 
Armen, Hals, im Gesicht und auch an der behaarten Kopfhaut, sehr 
zahlreiche linsen- bis kleinkirschgrosse gelbliche Pusteln mit auf¬ 
fallend zähflüssigem Inhalt. Mehrfach waren die Pusteln zu Ge¬ 
schwüren mit wallartigen bläulichen Rändern umgewandelt. Die 
linken Augenlider waren erysipelartig geschwollen, ebenso die rechte 
Wange in der Umgebung der Pusteln. Die ursprüngliche Ver¬ 
letzung am 1. kleinen Finger war verheilt, am 1. Handrücken fand 
sich eine längere Narbe mit einem 2,5 cm langen chronischen Ge¬ 
schwür. Ferner waren im subkutanen Bindegewebe und vor 
allem in der Muskulatur, gleichfalls hauptsächlich in der oberen 
Körperhälfte, linsen- bis pflaumengrosse, knotenförmige, durch einen 
zähflüssigen, gelblichen oder mehr bräunlichen Inhalt ausgezeichnete 
Abszesse entwickelt; solche fanden sich auch in der Kopf¬ 
schwarte und subperiostal am Schädeldach. Entlang den 
grossen Ly mph wegen an Hals und Armen war das Gewebe 
sulzig-ödematös durchtränkt; einzelne Lymphdriiscn in den Achsel¬ 
höhlen waren kirschgross geschwollen. Das recht: 1 Talokr ural¬ 
gelenk war vereitert. — An den Präparaten der Nase ist die 
Schleimhaut des Septums beiderseits in eine gelblich-rötliche Ge¬ 
schwürsfläche umgewandelt, an der 1. mittleren Nasenmuschcl können 
Sie zahlreiche kleinere umschriebene Geschwüre erkennen. Einen 
weiteren hervorzuhebenden Befund bietet der innere Kehlkopf, 
dessen Schleimhaut im Bereich der falschen Stimmbänder und des 
Kehldeckels zusammenhängend verdickt und gelb-rötlich ulzeriert ist. 
An beiden Lungen sind in den Oberlappen, namentlich in deren 
vorderen Abschnitten, reichlich durchschnittlich erbsengrosse um¬ 
schriebene Knoten entstanden. -- Die Milz ist vergrössert 
(14,5:9 cm), ihre Pulpa bräunlich-graurot und derbelastisch. 

In den Pusteln und Knoten sind färberisch reichlich Rotz¬ 
bazillen in Reinkultur nachweisbar. Histologisch bestehen die 
genannten Veränderungen in der Hauptsache aus nekrotischem, von 
Kerntrümmern dicht durchsetztem Gewebe; wo die Zellen besser 
erhalten sind, sind es vor allem mononukleäre Formen. 

An dem intra peritoneal von mir mit Muskelabszessinhalt 
infizierten, nach 16 Tagen verendeten M e e e r s c h w e i n c h e n 
sehen Sie eine typische sogen. S t r a u s sehe Reaktion: jedSkrotal- 
hälfte ist über pflaumengross, der Penis dazwischen verschwunden; 
auf Einschnitten umgeben unter Einschmelzung der Hodenhüllen gelb¬ 
liche schmierige Massen in einer 1—2 cm dicken Schicht jeden Hoden, 
hängen fest mit der Skrotalhaut zusammen und sind linkerseits mehr¬ 
fach durch die letztere durchgebrochen; sonst fand sich noch ein 
linsengrosser Knoten im subkutanen Gewebe am Bauch. Das sub¬ 
kutan am Oberschenkel geimpfte Tier starb nach 14 Tagen und 
zeigt umfangreiche Geschwürsbildungen an der Impfstelle. 

Im vorliegenden Fall entwickelte sich das klinische Bild des 
akuten Rotzes 2—3 Wochen a. m. Zwischen dem Beginn desselben 
und der ursprünglichen Verletzung liegen 4 Wochen. Ob die Sehnen¬ 
scheidenphlegmone bereits und ausschliesslich durch Rotzbazillcn be¬ 
dingt war, müssen wir dahingestellt sein lassen. Zeitlich nach der 
Pendelmassagebehandlung, möglicherweise auch ursächlich infolge 
davon, setzte die akute Rotzerkrankung ein. 


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Gynäkologische Gesellschaft Manchen. 

(Eigener Bericht) 

Sitzungen vom 14. Februar, 28. Februar und 
14. März 1918. 

Herr Klein: Viel-Operleren, künstlicher Abortus und Geburten¬ 
rückgang. (Siehe unter den Originalien dieser Nummer.) 

Herr Hecker: Geburtenrückgang und Kindererbaltung. 

Der Volksbestand im Deutschen Reiche war bis vor dem Kriege 
noch im Steigen. Wir hatten im Jahre 1913 einen Geburtenüber¬ 
schuss von 800 000 pro Jahr. Die Natalität sank zwar mehr und 
mehr, parallel mit ihr aber auch die Mortalität. Dadurch, dass die 
letztere langsamer sinkt als die erstere, muss der Moment kommen, 
wo die Bevölkerung stille steht und dann unaufhaltsam abnimmt. 
Diese schon vor dem Kriege drohende Gefahr ist durch die Verluste 
des Krieges greifbar nahe gerückt. Um ihr zu begegnen, muss man 
die Ursachen kennen, die hier mitspielen. 

Die Ursachen der Ge bürten minderung sind: 

a) ungewollte: sicher keine degenerative Abnahme der 
Fruchtbarkeit, sondern immer aufs neue wirkende Beschädigungen 
von Keim, Mutter und Fötus, durch Alkoholismus, Geschlechtskrank¬ 
heiten und andere kulturelle Momente. 

b) gewollte: sie bilden das Hauptkontingent und beruhen in 
der Hauptsache auf dem Bestreben des eigenen Ichs, sich und seinem 
Stamme ein möglichst bequemes und sorgenfreies Dasein zu er¬ 
wirken. Nach E. Bii mm haben wir unter Zugrundelegung der 
früheren Geburtenrate (40 pro tausend Lebende) ein Defizit von 
900 000 nicht geborenen Kindern. Von diesen sind ungefähr 800 000 
durch absichtliche Konzeptionsverhinderung nicht gezeugt und 
100 000 zw ar gezeugt, aber durch künstlichen Abortus wieder zerstört 
worden. 

Die Bekämpfung des Geburtenrückganges hat 
sich also in erster Linie gegen die willkürliche Beschränkung der 
Zeugung, erst in zweiter Linie gegen den kriminellen Abortus zu 
richten. Erstere verspricht nur Erfolg durch Umwandlung des 
(iesamtvolkswillcns. Die Wege hiezu sind: Rekonstruktion 
der patriarchalischen Familie, in der das Kind einen willkommenen 
Wert repräsentiert. Da dies am ehesten in ländlichen Verhältnissen 
möglich ist, zielen die Bestrebungen auf Verläiidlichung der Gross¬ 
stadtbevölkerung durch Siedelungspolitiik, Wohnungsreform, Arbeiter¬ 
kolonien, gesetzlichen und gewerblichen Schutz kinderreicher 
Familien etc. 

Die Minderung der S t e r b e f ä 11 c ist daneben notwendig 
und möglich: die allgemeine Sterblichkeit ist in stetiger Abnahme. 
Ihr integrierender Bestandteil ist die Säuglingssterblichkeit und diese 
kann zweifellos durch entsprechende Massnahmen weiter herunter¬ 
gedrückt werden. Da die Ursachen der Säuglingssterblichkeit be¬ 
kannt sind und hauptsächlich in der unnatürlichen Ernährung liegen, 
muss es möglich sein, Verhältnisse herzustellen, wie sie in Ländern 
mit allgemeiner Stillsitte (Norwegen, Schottland etc.) herrschen, also 
eine „normale“ Säuglingssterblichkeit von 6—10 Proz. der lebend 
Geborenen zu erzielen. 

Durch Herabsetzung der Säuglingssterblichkeit von 15 Proz. auf 
10 Proz. im Deutschen Reiche können jährlich 100 000 Kinder gespart 
w erden. Diese Idealziffer w'urde im Krieg durch planmässige Für¬ 
sorge vielfach erreicht. 

Die Mittel zur Bekämpfung der Säuglings¬ 
sterblichkeit sind: 

1. Zielbewusste Stillpropaganda und organisierte Aufklärung in 
allen Kreisen der Bevölkerung. 

2. Ermöglichung des Selbststillens und der mütterlichen Pflege 
durch gesetzlichen und hygienischen Schutz der Mütter, der 
verwaisten, verwahrlosten und kranken Kinder. 

Die Bedeutung des Säuglingsscbutzes liegt neben der Kinder¬ 
erhaltung noch in der damit untrennbar verknüpften Besserung der 
Lebensverhältnisse der gesamten Kinderschaft, ferner in der dabei 
erstrebten besseren Wertung des gesundheitlichen Lebens überhaupt 
und schliesslich in dem Ersatz eines vollkommen unökonomischeu. 
verschwenderischen Bevölkerungsbetriebes durch ein rationelles, 
ökonomisches Verfahren. Durch die umsonst geborenen Kinder wird 
wertvolles Menschenmaterial, Kraft und Gesundheit der Frauen und 
viele Millionen Mark an Geldesw^ert vergeudet. (Autoreferat.) 

Herr G. Böhm: Einfluss der Schwangerschaft auf Lungen-, 
Herz- und Nierenerkrankungen. 

Vortr. beleuchtete die Frage der Indikationsstellung zum künst¬ 
lichen Abort bei Lungentuberkulose, Herz- und Nierenkrankheiten 
vom Standpunkt des inneren Mediziners. 

Die Indikation zur Unterbrechung der Gravidität ist bei 
aktiver Tuberkulose der Lungen gegeben. 

Bei der Feststellung der Aktivität eines tuberkulösen Prozesses 
wird in erster Linie die Temperatursteigerung verwertet. 
Die Temperaturen sind mehrmals täglich rektal und am besten 
während der Anstaltsbeobachtung zu messen. 

Mit Perkussion und Auskultation feststellbarer Lokal¬ 
befund ist eine wesentliche Unterstützung bei der Frage nach der 
Aktivität. Bei Fehlen physikalischer Symptome kann die Indikation 
nicht ohne weiteres negiert werden (tiefliegende Herde, Hilusdrüsen- 
tuberkulose). 


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15. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1171 


Das Röntgenbild ist niemals allein ausschlaggebend, 
sondern dient nur als unterstützendes diagnostisches Hilfsmittel. 

Der Nachweis der Tuberkelbazillen im Auswurf wird 
in den meisten Fällen die Indikation zur Unterbrechung geben. Der 
negative Ausfall dieser Untersuchung spricht nicht gegen die Aktivität 
eines tuberkulösen Herdes. 

Bluthusten und Gewichtsabnahme sind nur mit Vor¬ 
behalt zur Entscheidung bei der Indikationsstellung zu verwerten. 

Offene aber fieberlose Formen der Lungentuberkulose 
können unter Umständen die Berechtigung zum Eingriff geben. 

Der beste Zeitpunkt zur Unterbrechung ist der zweite und dritte, 
spätestens der vierte Schwangerschaftsmonat. 

Grosser Wert ist darauf zu legen, dass die Patientinnen sich nach 
der Unterbrechung der Gravidität einer gründlichen Kur unterziehen. 
Fs soll damit angestrebt werden, die Mutter soweit zu bessern, dass 
sie eine spätere Gravidität ohne Schaden für sich und die Frucht 
iiberstehen kann. 

Bei Komplikationen der Gravidität durch Herzleiden ist be¬ 
züglich Indikation zur Schwangerschaftsunterbrechung die grösste 
Zurückhaltung geboten. Nur schwere Insuffizienz kann einen Eingriff 
rechtfertigen. 

Noch seltener werden Niere nkrankheiten eine künst¬ 
liche Unterbrechung der Gravidität nötig machen. Die Ueber- 
schwemmung des Blutes mit harnfähigen Stoffen wird für den kind¬ 
lichen Organismus gewöhnlich früher gefährlich als für den mütter¬ 
lichen. Es tritt infolgedessen häufig Absterben der Frucht und 
spontaner Abort ein. Nur deutliche Anzeichen von Urämie dürfen 
als Indikation für die Unterbrechung anerkannt werden. (Autoreferat.) 

Herr H. Neumayer: Kehlkopftuberkulose und Gravidität. 

Unter den Erkrankungen, die durch die Gravidität besonders 
ungünstig beeinflusst werden, ist vor allem die Kehlkopftuberkulose 
hervorzuheben. Dieser Auffassung, die zuerst von K u 11 n e r ver¬ 
treten wurde, haben sich die meisten Beobachter angeschlossen. In 
verhältnismässig nur wenigen Fällen lauten die Angaben über den 
Verlauf der durch Gravidität komplizierten Larynxtuberkulose 
günstiger. Es waren dies Frauen, die sich unter sehr günstigen 
äusseren Verhältnissen befanden oder Fälle, die eine wenig pro¬ 
grediente Form der Larynxtuberkulose (tuberkulösen Tumor) auf¬ 
wiesen. Von den angeblich günstig verlaufenen Fällen ist sicher auch 
noch eine Anzahl in Abrechnung zu bringen, wo die Richtigkeit der 
Diagnose angezweifelt werden muss. In der grossen Mehrzahl der 
Fälle jedoch zeigt die Kehlkopferkrankung unter dem Einflüsse der 
Schwangerschaftsbeschwerden einen ungemein progredienten Cha¬ 
rakter, der gegenüber unsere sonst so erfolgreiche Therapie voll¬ 
kommen versagt und sich nur auf palliative Massnahmen, wie Be¬ 
seitigung von Schluckschmerzen, von Atemnot, die durch Steno- 
sierung des Kehlkopfes verursacht ist, beschränken muss. 

Nach den statistischen Angaben, die über diese glücklicherweise 
seltene Komplikation vorliegen, sterben über 90 Proz. der an Larynx¬ 
tuberkulose erkrankten Frauen. Sie gehen im Verlaufe der Geburt 
oder bald nach derselben an Entkräftung und an der begleitenden 
Lungentuberkulose zugrunde. 

Nicht viel weniger ungünstig sind, wenn wir von den wohl¬ 
habenden Kreisen absehen, die Aussichten, die für die Erhaltung des 
Lebens der Kinder bestehen. Dieselben sind durch die schwere Er¬ 
krankung der Mutter in ihrer Entwicklung geschädigt, werden meist 
vorzeitig geboren und gehen in 60—70 Proz. der Fälle an Lebens¬ 
schwäche um) infolge des Mangels einer richtigen Ernährung, die 
die schwerkranke Mutter nicht bieten kann, zugrunde. 

Bei dieser für Mutter und Kind so ungünstigen Prognose ist die 
von seiten der Laryngologen gestellte Forderung, das Leben der 
Mutter durch Unterbrechung der Gravidität zu retten, wohl als be¬ 
rechtigt ansmerkennen. Und dieses um so mehr, als der günstige 
Einfluss der Schwangerschaftsunterbrechung auf den Kehlkopf¬ 
prozess, wie wir selbst beobachten konnten, ein unverkennbarer ist. 
Der Prozess kommt zum Stillstand und wird für die Behandlung 
zugänglich, vorausgesetzt, dass die Gravidität nicht zu weit fort¬ 
geschritten ist. Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, dass eine Unter¬ 
brechung nach dem 4.—5. Monate, also eine Frühgeburt, den guten 
Erfolg vollkommen vermissen lässt, den wir beim künstlichen Abort 
beobachten können. Der grössere Blutverlust und Kräfteverbrauch, 
die die künstliche Frühgeburt begleiten, bedeuten für die Kranke eine 
ebenso schwere Schädigung, wie eine spontan verlaufende Geburt, 
ln diesem Stadium der Gravidität, wo durch eine Unterbrechung die 
Gefahr für das Leben der Mutter nicht mehr beseitigt werden kann, 
wird man den natürlichen Ablauf der Schwangerschaft abwarten 
und damit das Leben des Kindes zu erhalten suchen. 

In Hinsicht auf die grosse Gefahr, die einer tuberkulösen Frau 
durch die Gravidität droht, ist es Pflicht eines Arztes, auf die ernsten 
Folgen einer Konzeption hinzuweisen und im Falle, dass eine solche 
erfolgt ist dieser Erkrankung und namentlich dem Kehlkopfe, auch 
wenn derselbe noch keine Veränderungen aufweist, fortwährend 
volle Aufmerksamkeit zu widmen. Es wird dann möglich sein, die 
ersten Anfänge einer Erkrankung des Kehlkopfes festzustellen und 
sich ein Urteil zu bilden, ob ein rasch fortschreitender Prozess vor¬ 
liegt, der das Leben der Mutter gefährdet und somit eine Unter¬ 
brechung der Gravidität gerechtfertig erscheinen lässt. 

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Um eine Fehldfagnose zu vermeiden, sind alle zu Gebote stehen¬ 
den diagnostischen Hilfsmittel zu verwenden. Die Diagnose ist zu 
stellen auf Grund einer allgemeinen Untersuchung des Körpers, auf 
Grund einer spezialärztlichen Untersuchung des Kehlkopfes, die auch 
eine Probeinzision zur histologischen Untersuchung heranzieht. Die 
Unterbrechung der Gravidität, der künstliche Abort, muss im ge¬ 
gebenen Falle möglichst bald eingeleitet werden, denn jede Ver¬ 
zögerung beeinträchtigt den Erfolg, den wir von diesem Eingriffe er¬ 
warten dürfen. (Autoreferat.) 

Herr F. Plaut: Psychiatrie und Schwangerschaftsunter¬ 
brechung. (Erschien unter den Originalien in Nr. 40, S. 1108 d. Wschr.) 

Herr Nassauer: Wandlungen ln der Frage des künstlichen 
Abortes. Die Bekämpfung desselben durch Findelhäuser. 

Leitsätze: 

L Die Ausdehnung der künstlichen Frühgeburt ist bei der Mehr¬ 
heit der Aerzte, wie bei den sonstigen massgebenden Stellen des 
Reiches viel zu wenig bekannt. 

2. Für die Indikationsstellung zu dem künstlichen Abort ist keine 
allgemein gültige wissenschaftliche Formel gefunden und wird sich 
niemals finden lassen. 

3. Die Indikationen wechseln je nach den Zeitläuften, sozialen 
Verhältnissen und volkswirtschaftlichen Zuständen. 

4. Die Indikationen wechseln auch je nach dem Bedürfnisse des 
Staates für eine raschere oder weniger rasche Vermehrung der Be¬ 
völkerung. 

5. Die gegenwärtige Zeit erfordert eine Massenvermehrung des 
Volkes. Diese kann nur durch eine möglichste Einschränkung des 
künstlichen Abortes erzielt werden. Diese ist nur zu erzielen, wenn 
die gegenwärtig als Norm bestehenden wissenschaftlichen Indika¬ 
tionen für eine Uebergangszeit einer absoluten Ablehnung jedweden 
künstlichen Abortes Platz machen. 

7. Die medizinische Wissenschaft lehnt jedwede Einmischung 
oder obrigkeitliche Ueberwachung in der Indikationsstellung ent¬ 
schieden ab. Der ärztliche Stand verwahrt sich mit allen Kräften 
gegen eine solche Ueberwachung: er will nicht zum Totengräber 
der Wissenschaft, des eigenen Ansehens sich hergeben. Eine polizei¬ 
liche Ueberwachung würde vor allem dem Publikum den grössten 
Schaden bringen. Die Hilfesuchenden würden den lichtscheuen 
Pfuschern in die Arme getrieben werden. 

8. Die unleugbaren Nachteile der absoluten Ablehnung des künst¬ 
lichen Abortes müssen und werden ausgeglichen werden durch eine 
grosszügige volkswirtschaftliche Bewegung: Verbesserung der 
sozialen Verhältnisse, Wohnungsverbesserung, weitgehende Fürsorge 
für die unverheirateten Mütter, der unehelichen Kinder durch den 
Staat. 

9. An uns Aerzten liegt es, dem Staate von der Notwendigkeit 
zu erstehender Findelhäuser die Ueberzeugung beizubringen, um dem 
Staate die dem Tode verfallenen Kinder im Mutterleibe zu erhalten. 

Herr v. Not t hat ft: Lues und Gravidität. 

Vortragender weist an der Hand von Tabellen auf den un¬ 
geheuren Einfluss, welchen die Syphilis auf die Schwangerschaft aus¬ 
übt, hin. Die Frauen syphilitischer Ehen gebären viel häufiger als 
die Frauen in gesunden Ehen; aber sie gebären Fehlgeburten, Tot¬ 
geburten, syphilitische oder durch Syphilis elende Kinder. Die 
Schwere der syphilitischen Erkrankung hängt nicht von der Schwere 
der Erkrankung der Plazenta, sondern vom Alter der mütterlichen 
Syphilis ab. Eine „syphilitische“ Schwangerschaft muss als den 
syphilitischen Rückfällen gleichbedeutend erachtet werden. Rück¬ 
fälle der Syphilis kommen viel häufiger vor, als Haut- und Schleim¬ 
hautrezidive beobachtet werden. Daher sehen wir viel häufiger 
syphilitische Kinder als Syphilismanifestationen der Mütter. Wie 
die Rückfälle der Syphilis in den einzelnen Krankheitsfällen immer 
seltener und harmloser werden, so muss auch allmählich an die Stelle 
der Fehlgeburten die Totgeburt, an die Stelle dieser die Geburt 
kranker und zuletzt gesunder Kinder treten. Die bekannten Aus¬ 
nahmen von dieser Reihenfolge entsprechen den Unregelmässigkeiten 
aller Syphilisrückfälle. Syphilis beider Erzeuger ist deshalb beson¬ 
ders verhängnisvoll, weil in diesen Fällen die elterliche Syphilis 
noch frisch zu sein pflegt. Eine Ansteckung der Mutter zur Zeit der 
Zeugung oder kurz vor derselben oder in der ersten Zeit der Schwan¬ 
gerschaft garantiert Syphilis der Frucht. In den letzten Schwanger- 
schaftsmonatcn erworbene Syphilis braucht nicht mehr auf das Kind 
überzugehen. Da der Erkrankung des Kindes eine Erkrankung 
der Plazenta, wie es scheint, vorhergehen muss, kann selbst eine 
mit Sekundärsyphilis behaftete Frau dann noch ein gesundes Kind 
gebären. Die Syphilis der Mutter ist länger übertragbar als die des 
Vaters, weil dort auch die Spirochäten, die lediglich im Blutstrom 
kreisen, infizierend wirken können. Da i. A. die Syphilisierung 
der Frucht erst nach Entwicklung des Plazentarkreislaufes erfolgt, 
ist die Frühgeburt für die Syphilis ebenso charakteristisch wie die 
Fehlgeburt für die gonorrhoische Endometritis. Die Frucht erkrankt 
an Spirochätensepsis. Am stärksten ist diese Mitte der Schwanger¬ 
schaft ausgeprägt. Aeltere Früchte werden spirochätenärmer ge¬ 
funden. Syphilitische Mütter abortieren infolge der Syphilis. Aber 
diese Früchte sind dann noch nicht syphilitisch. Die Mazeration ist 
um so stärker, je früher die Infektion der Mutter und damit die 
Spirochätensepsis des Kindes entsteht. Die elterliche Syphilis wird 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1172 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


nur von der Mutter aut das Kind übertragen. Eine spermatische In¬ 
fektion gibt es nicht, ebensowenig daher eine ovuläre. Das Beils- 
Baumes sehe Gesetz hat durch den Wassermann die richtige Deu¬ 
tung erfahren. Das P r o f e t a sehe Gesetz ist falsch. Sollten von 
der Mutter auf das Kind nur Immunstoffe, aber keine Spirochäten 
übergehen, so könnte die erzeugte Immunität des Kindes gegenüber 
der kranken Mutter nur eine ganz vorübergehende sein. Die Syphi¬ 
lis einer Frucht wirkt vielleicht heilend und immunisierend auf die 
Syphilis der Mutter. Der Choc en retour erklärt sich aus der leich¬ 
ten Möglichkeit, den mütterlichen Primäraffekt zu übersehen. Ge¬ 
lungene Tierimpfungen mit syphilitischem Sperma beweisen nicht die 
Möglichkeit der Entwicklung einer syphilitisch infizierten Keimzelle. 
Da die Milch syphilitischer Frauen auch infizierend wirkt, darf eine 
m den letzten Monaten der Schwangerschaft infizierte Frau ihr der 
Syphilis entronnenes Neugeborene nicht stillen. Selbst bei sonst ge¬ 
sunden Kindern mit positivem Wassermann ist Vorsicht am Platze, 
weil es sich ja um Kinder handeln könne, bei welchen nur die Schutz¬ 
stoffe übergegangen sind. Die väterliche Syphilis wirkt beim Kind 
nur in der Erzeugung von Dystrophien und Missbildungen; solche 
Kinder sind also für Syphilis noch empfänglich. Vortragender be¬ 
spricht weiterhin die Neigung-der syphilitischen Frauen zu Zwillings¬ 
schwangerschaften, Syphilis und Potenzstörung, Geburtshindernisse 
durch syphilitische Narben und Tabes und Paralyse i. V. zur 
Schwangerschaft und deutet kurz die verschiedenen Aufgaben der 
Prophylaxe an. Der Heiratskonsens ist, wenn nie Sekundaria und 
nie positiver Wassermann da waren, zu geben, jedoch nicht vor dem 
Schluss des 2. Jahres. Wenn Syphilis II oder Wassermann -f vor¬ 
handen waren, ist der Konsens nicht vor 5 Jahren zu geben, wenn 
2 Jahre hindurch behandelt worden ist, 2—3 Jahre keine Symptome da 
waren und der Wassermann mindestens VA Jahr negativ war. . War 
die Behandlung schlecht oder waren Rückfälle da, dann ist wie bei 
frischer Syphilis zu handeln. So wünschenswert ein Negativwerden 
des Wassermann w'äre, so w’cnig darf lediglich eines zurückbleiben¬ 
den positiven Wassermanns wegen eine Eheverbot erlassen werden. 
Das gilt für die Männer. Bei Frauen ist ein positiver Wassermann 
ein Ehehindernis, wenn nicht die intermittierende Behandlung inner¬ 
halb einer Schwangerschaft zugesagt wird. Syphilitische Sclnvan- 
gere sollten während ihrer Schwangerschaft drei Kuren unterworfen 
werden. Bei vorhandenen Syphilissymptomen muss hierbei trotz 
der Gefahr für das Kind auch das Salvarsan verwendet werden. Die 
meisten Autoren sprechen sich für gemischte Behandlung aus. Die 
angegebenen Erfolge sind z. T. 100 Proz. (lebend geborene Kinder). 
In der Zwischenzeit zwischen den Kuren kämen Roborautien in Be¬ 
tracht. Vortragender empfiehlt hierfür die von ihm als Spezifikum 
bei Syphilis gefundenen intravenösen Kollargolinjcktionen. Der Vater 
wird um seiner selbst w'illen, aber auch um die Keimdrüsen günstig 
zu beeinflussen, zu behandeln sein. Die Syphilis bietet nur dann 
Grund zur künstlichen Frühgeburt, wenn es gilt, eine tote Frucht zu 
entierneu. Lebende Früchte sind auf dem Wege über die Mutter zu 
behandeln. Denn man weiss in keinem Falle, ob und in welchem Grade 
das Kind krank ist. (Autoreferat.) 

Herr Amann: Zum Bevölkerungsproblem. (Erschien als Ori¬ 
ginalartikel in Nr. 41, S. 1132 dieser Wochenschrift.) 

G Klein: M. H.! Ich möchte meiner Freude darüber Ausdruck 
geben, dass sich an meinen Vortrag die von mir vorgeschlagene Aus¬ 
sprache in so reichem Masse angeschlossen hat. Es wurden Be¬ 
denken geltend gemacht gegen die Beiziehung von Amtsärzten bei 
Stellung der Abortusindikationen; man solle nicht auch diesen Punkt 
unter Polizeiaufsicht stellen. Ich verkenne die Berechtigung dieser 
Bedenken nicht. Aber wie soll man mit Erfolg gegen weitherzige 
Indikationsstellung ankämpfen, wenn nicht von irgendeiner Seite 
auch rechtliche Mittel zur Bekämpfung gegeben sind? Was soll mit 
Aerzten geschehen, die keinem Standesvereine angehören? Döder- 
1 e i n s Vorschlag, zwei vom betreffenden Arzt unabhängige Gutachter 
in allen Fällen vorher zwangsweise beizuziehen, erscheint auch mir 
als eine annehmbare Lösung der schwierigen Frage. 

Herr Wiener hat berichtet, dass seit Aufstellung einer Kom¬ 
mission des ärztlichen Bezirksvereins die Zahl der Abortus um 
70 Proz. abgenommen habe. Die bemerkenswerte Feststellung zeigt, 
wie viele Abortus früher ohne vollkommen ausreichende Indikation 
eingeleitet wurden. Man könnte aber auch fragen: Hat die Zahl der 
eingeleiteten Fehlgeburten um so viel abgenommen oder — die Zahl 
der Anmeldungen? 

Herr D öder lein schätzt die Zahl der Schwangerschaften, die 
durch strenge Indikationsstellung zu retten gewesen wären, auf etw ? a 
5000. Auf Grund der oben mitgeteilten Statistiken und meiner lang¬ 
jährigen Erfahrung in der Praxis halte ich diese Zahl für viel zu 
niedrig. 

Ganz besonders betonen möchte ich aber nochmals die grosse 
Wichtigkeit der damit eng zusammenhängenden ethischen Auf¬ 
gaben: Schutz des unehelichen Kindes. Verleihung des Ehren¬ 
namens „Frau“ an w'ürdige uneheliche Mütter, Einführung von Findel¬ 
häusern und gründliche Umwertung unserer „Sittlichkeit“, die oft 
genug nur darin besteht, dass man verurteilt, statt zu helfen. Die 
Mutterschaft ist die höchste sittliche Aufgabe des Weibes, die Ge¬ 
burt und Erziehung gesunder Kinder eine der w ichtigsten Grundlagen 
des Staates. 

G. W jener- München. 


Aerztlicher Verein zu Marburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 19. Juni 1918. 

Vorsitzender: Herr Bielschowsky. 

Herr Zangemeister: lieber den Hydrops gravidarum und 
seine Beziehungen zur Nephropathie und Eklampsie. (Erschien aus¬ 
führlich als Originalartikel in Nr. 38, S. 1044 dieser Wochenschrift.) 

Diskussion: Herr L ö h 1 e i n: Beziehungen zwischen patho¬ 
logisch-histologischem Befund der Niere von Eklamptischen wie der 
„Schw angerschaitsniere“ einerseits und den Oedemen der Schwan¬ 
geren sowie dem Symptomenbild der Eklampsie andererseits lierzu- 
stellen, ist bei dem heutigen Stande unseres Wissens von der Funk¬ 
tion der (gesunden und kranken) Niere sehr schwierig. 

Herr Zangemeister (Schlusswort): Es ist ganz zweifellos, 
dass die Oedembereitschaft beim Hydrops gravidarum ohne ursäch¬ 
liche Rolle der Niere entsteht; die Funktionsfähigkeit der Niere er¬ 
weist sicli im ganzen ersten Stadium als ungestört; erst im zweiten 
Stadium tritt eine Verzögerung der Wasser- und Kochsalzausschei¬ 
dung ein. Ausserdem enthält der Urin im ersten Stadium in der Re¬ 
gel kein Eiweiss Man könnte zwar trotz dieser Umstande aniühren, 
dass sich zwar mit unseren heutigen klinischen Prüfungsmethoden 
keine Erkrankung der Niere nachweisen lässt, dass aber doch Funk¬ 
tionsstörungen des Organs vorliegen könne n, welche die Ursache 
der Wasserverhaltung abgeben. Hiergegen ist zu erwidern, dass 
unserer Argumentation naturgemäss gewisse Grenzen gesetzt sind, 
dass aber gerade bezüglich der Niere die Funktionsprüfungsmethoden 
so grosse Fortschritte gemacht haben, dass kein Grund vorliegt, 
ihnen zu misstrauen und die Ursache der Erkrankung in ein Organ 
zu verlegen, das keinerlei Störungen seiner Funktion erkennen lässt. 
Auf der anderen Seite liegen aber triftige Gründe vor, die Ursache 
des Leidens als extrarenal zu betrachten; einmal lehrt die Er¬ 
fahrung, dass eine tatsächliche Wasserverlialtung durch die Niere 
keineswegs sehr leicht zu Oedemen führt, und ferner steht die Tat¬ 
sache fest, dass schon v o r Eintritt einer nennenswerten Wasser¬ 
verhaltung (Körpergewicht!) die Neigung zu Oedemen bei den be¬ 
treffenden Schwangeren besteht. Das spricht entschieden nicht nur 
gegen eine renale Ursache der Erkrankung, sondern unmittelbar 
für eine ursächlich in Betracht kommende Insuffizienz des Kapillar¬ 
systems. 

Dass grössere Kochsalzgaben den Hydrops vermehren können, 
besonders im iiephropathischen Stadium, beweist keineswegs, dass 
eine Chloridverhaltung die Urache der Oedeme ist. Selbstverständ¬ 
lich werden bei grösseren Wassergaben entsprechende Kochsalz¬ 
mengen rctiniert und bei grösseren Kochsalzgaben entsprechende 
Wassermengen. Somit lassen sich diese beiden Bestandteile in der 
Beurteilung ihres Einflusses auf den Organismus nur sehr schwer 
trennen. Jedoch zeigen die Analysen von Blut, Oedemflüssigkeit 
u. a„ dass es sich nicht um eine abnorme Chloridreteution handelt, 
sondern dass die Chloride eben nur um so viel retiniert werden, als 
sie notwendig sind, um das retinierte Wasser isotonisch zu emalten. 

Ob die Nierenschädigung lediglich durch eine Anämie der Niere 
oder durch fermentative Schädigungen -der Endothelien und Epi- 
thelien der Niere zustande kommt, muss ich offen lassen. Der erste 
Vorgang ist nachweislich vorhanden. Der zweite* ist zurzeit noch 
rein hypothetisch. 

Herr Magnus: Demonstration zur Radiumbehandlung aes 
Karzinoms. 

Die 62 jährige Frau kam im November 1917 zur Behandlung 
mit einem Karzinom der rechten Mamma, das seit 12 Monaten oe- 
stand. Es fand sich damals ein harter, stark schrumpfender Tumor 
mit kleinen Drüsen, aber umfangreichen Hautmetastasen, die bis zur 
Axillar- und Sternallinie reichten. An eine Radikaloperation war 
nicht zu denken, und es wurde die Bestrahlungstherapie mit Radium 
eingeleitct. Von dieser Behandlung glaubte man sich um so mehr 
Erfolg versprechen zu dürfen, als der Hauptteil der zu bekämpfenden 
Massen in der Haut selbst gelegen war; auch die Kontrolle des Falles 
erschien auf diese Weise gesichert. 

Es wurde mit einer Radiummenge von 60 mg bestrahlt, und zwar 
im ganzen 500 Stunden; es wurden somit 30 000 Radiummilligranun- 
stunden appliziert. Es wurde zum Teil der Tumor selbst behandelt, 
in der Hauptsache jedoch die Krebsstränge und Knoten in der Haut. 
Das Präparat wurde unmittelbar auf der Haut befestigt. Bei der 
ungeheuren Dosis kam es mehrfach zu Verbrennungen, aui die ab¬ 
sichtlich keine Rücksicht genommen wurde. Das Resultat Ist, dass 
der Zustand der Frau jetzt als hoffnungslos bezeichnet werden muss. 
Die Kachexie nahm unter der Behandlung rapid zu, während der Tu¬ 
mor in der Mamma etw'as zurückging. Das wichtigste an der Be¬ 
obachtung jedoch war, dass die Hautmetastasen ungestört weiter- 
wuchsen, über die Stellen stärkster Strahlenwirkung hinaus, bis am 
die linke Körperscite hinüber und bis auf den Rücken. Stellenweise 
sprossen die Krebsstränge direkt aus den Brandstätten der Bc- 
strahlungsherde heraus. Von einer „elektiven“ Wirkung des Radiums 
auf die Karzinomzellen war jedenfalls nichts festzustellen. 

Herr Hagemann: Demonstration zur Gehirn- und Rücken¬ 
markschirurgie. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


15. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE W0CHENSCHR1PT. 


1173 


Akademie der Wiseenschaften In Paris. 

Zur Prophylaxe und Serotherapie des Gasbrandes in der französischen 
Militärsanität. 

In den letzten Sitzungen der Pariser Akademie der Wissen¬ 
schaften wurde wiederholt über die günstigen Erfolge berichtet, 
welche man in prophylaktischer und kurativer Hinsicht mit der In¬ 
jektion eines Immunserums gegen den Gasbrand erzielt hätte. Aetio- 
logisch kämen neben dem Bazillus perfringens jedenfalls noch andere 
Anaeroben in Betracht, so dass sich ein polyvalentes Serum emp¬ 
fehle, welches auch den anderen Mikroben gegenüber antitoxisch 
wirksam wäre. Ausser dem Bac. perfringens werden noch als Er¬ 
reger des Gasbrandes genannt: B. oedematicus (Weinberg und 
Seguiti), B. sporogenes, B. putrificus. B. tallax, B. aerofoetidus 
und B. bellonensis (Sacquepee). 

Es könnte der Gasbrand jedenfalls durch zahlreiche verschiedene 
Mikroben verursacht werden, welche mit Erde, Schmutz, Strassen- 
staub, Kleiderfetzen etc. in die Wunde gelangten und eine septische 
Infektion hervorriefen, da sie im zertrümmerten Gewebe einen 
guten Nährboden fänden. 

H. Vincent und G. S t o d e 1 berichten über die prophylak¬ 
tischen Eigenschaften und die Heilwirkungen eines Serums gegen 
Gasbrand (Sur un serum preventit et curatif de la gangr£ne gazeuse, 
C. R. T. 166 Nr. 3, Juli 1918.) 

Die Inkubationszeit betrage 8—15 Stunden nach der Verwun¬ 
dung; der Verlauf sei so rasch, dass man von der nachträglichen 
Injektion eines Heilserums nichts mehr erwarten könnte, so dass 
man auf die Erreichung einer passiven Immunität hingewiesen wäre. 
Das an geimpften Pferden gewonnene Heilserum würde vor seiner 
Verwendung sorgfältig geprüft, indem geimpfte Meerschweinchen 
mit nicht geimpften Kontrolltieren verglichen würden. Man injizierte 
in die Fleischwunde eines anästhesierten Meerschweinchens nach 
Zerquetschung der Muskelfasern. Der Ausbruch des Gasbrandes 
erfolgte nach 18 Stunden; 89 Tiere wurden benutzt. Konfrontiere und 
geimpfte Tiere in gleicher Zahl. Infiziert wurde mit verschiedenen 
Stämmen eines sehr virulenten B. refringens, allein oder in Ver¬ 
bindung mit anaeroben Mikroben als mutmasslichen Erregern des 
Gasbrandes. Von den 43 Kontrolltieren erkrankten 43, also 100 Proz., 
davon überlebten 9 (20,93 Proz.),-tot 34 (79,07 Proz.). Von 
46 vor 24 Stunden geimpften Tieren erkrankten an Gasbrand 3 
(6,52 Proz.), davon überlebten 44 (95,65 Proz.), tot 2 
(4,35 Proz.). Daraus ergäbe sich der grosse Wert der Schutz¬ 
impfung in prophylaktischer Hinsicht. Alle nicht geimpften Tiere 
erkrankten, und die überlebenden genasen erst nach schwerster Er¬ 
krankung. Die Symptome waren: Grosse Defekte. Absterben der 
Bauchwand und Abfallen ganzer Glieder. 

Die gleichzeitige Injektion von Erregern des Gasbrands, B. per¬ 
fringens. Vibrio septicus etc. wäre sehr pathogen, und die Infektion 
erfolgte auch ohne Muskelzerreissung. Fünf Meerschweinchen 
gingen nach Mischinfektion mit 1 ccm nach 10—26 Stunden ein, 
tiefgehende septische Infektion der Wunde, enorme Anschwellung 
der Glieder. Abheben der Haut, stinkender Ausfluss und Ausfallen 
der Haare. 

Die 24 Stunden vorher geimpften Tiere blieben gesund. Nach 
72 Stunden wurden die inokulierten Glieder untersucht; die Blutung 
war rasch resorbiert worden, keinerlei Zeichen einer Infektion war 
vorhanden. Die Tiere selbst blieben munter, fresslustig und gesund. 
Bei abermaliger Infektion der Injektionsstelle nach zwei Tagen 
traten gleichfalls keinerlei Krankheitssymptqme auf. 50 Leute, 
deren tiefe Flcischwundcn mit Erde beschmutzt waren, Kleider¬ 
fetzen enthielten, mit Gefässzerreissungen etc. konnten nach der 
Serumbehandlung in Lazarette überführt werden; auch nach der 
chirurgischen Operation trat kein Gasbrand mehr auf. Bei schon 
mehr oder weniger vorgeschrittenem Gasbrand wirkte die Sero- 
therapie kurativ, auch in vier vom Chirurgen schon aufgegebenen 
Fällen; zwei Leute mit schon ergriffener Bauchwand genasen. Auf 
13 Kranke kam 1 Toter. Die allgemeinen und lokalen Krankheits¬ 
symptome gingen nach der Injektion rasch zurück, so dass man ein 
Schutz- und Heilmittel gegen die furchtbare Krankheit in der Serum¬ 
behandlung sehen dürfte. 

In der Sitzung vom 10. Juli 1918 sprach über den gleichen 
Gegenstand E. Leclainche (Sur la serotherapie des gangrönes 
gazeuses, C. R. T. 166 Nr. 4, Juli-1918). 

Bisher hätte man den Gasbrand vergeblich zu bekämpfen ge¬ 
sucht, doch dürfte man hoffen, dass darin nunmehr eine Aenderung 
eintrete, nachdem die allgemeine Aufmerksamkeit auf diesen Punkt 
gelenkt worden wäre. Schon lange kenne man die Gasgangrän als 
menschliche Affektion, die namentlich als Komplikation von Kriegs¬ 
wunden vork-äme. 

Erstmalig wurde der Gasbrand beim Tier von Renault 
d'Alfort (1833) beschrieben. 1881 erkannten Pasteur und Koch 
gleichzeitig in einein in der freien Natur häufigen Saprophyten, Vibrio 
septicus, den Erreger der furchtbaren Krankheit, die in Frankreich und 
Deutschland häufig sei. 1895 erforschte Besson die Entwicklungs- 
bedingungen und die Art der Uebertragung im Anschluss an die 
Untersuchungen von Vaillard, Vincent und R o u g e t über den 
Tetanus. 1898 hätte er ein antiseptisches Serum gefunden. Für 
Pferd und Mensch gelte bezüglich des Gasbrands das Gleiche und 

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man könnte die Verwundeten gleichzeitig gegen Tetanus und Gas¬ 
brand immunisieren. Aus seinen Arbeiten und denen von Morel 
ergebe sich, dass in Bezug auf die Serotherapie für Mensch, Pferd 
und kleine Versuchstiere das Gleiche gelte. Auch beim Tier bräche 
der Gasbrand in mit Erde. Mist und Strassenstaub verunreinigten 
Wunden im Bindegewebe aus. Der Vibrio septicus wäre weniger 
pathogen als der B. perfringens. Im Anfang des Krieges wären 
schwere Fälle von Gasbrand vorgekommen, begünstigt durch die 
Transport Verhältnisse, zu späte chirurgische Behandlung u. dgl. Zu¬ 
nächst hätte er versuchsweise 6 Pferde mit einem Serumgerniscli 
geimpft. E r und V a 11 6 c hätten ein antipyogenes, auch gegen 
anaerobe Bakerien wirksames Serum gefunden, das gegenwärtig 
in den Krankenhäusern von Paris benützt würde. Die Ergebnisse, 
wären ausgezeichnet; auf 41 Fälle wären 31 Heilungen gekommen, 
trotz weit klaffender, in der Tiefe infizierter Wunden. Am 22. August 
1915 hätte der Generaldirektor des Gesundheitsdienstes (Directeur ge¬ 
neral du Service de saute) auf das Serum von ihm und V a 116 e 
hingewiesen. Als wertvoll in prophylaktischer Hinsicht sei es 1915 
den Militärärzten empfohlen worden. Dem Medikament würde ein 
erläuterndes Begleitschreiben beigegeben. Leider würden die Vor¬ 
schriften nicht immer genau befolgt, worauf die Misserfolge zurück¬ 
zuführen wären. Dasselbe gelte auch für alle anderen bisherigen 
Versuche. Dr. Louis Bazy hätte vor der chirurgischen 
Gesellschaft in Paris kürzlich gesagt, dass nach 
Aussagen gefangener deutscher Militärärzte die 
systematisch angewandte Serotherapie gegen 
Gasbrand wie jene gegen Tetanus sich in der 
deutschen Armee vollauf bewährt hätte. In der Tat 
spreche auch alles für die Wirksamkeit und Unschädlichkeit einer 
Schutzimpfung gegen Gasbrand. Dr. L. Kat har io er. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

M ü n ch e n,-den 14. Oktober 1918. 

— Kriegschronik. Der neue Reichskanzler, Prinz Max 
von Baden, hat am 5. Oktober im Reichstag die Grundsätze dargelegt, 
nach denen er die Politik des Reiches zu führen gedenkt und Mit¬ 
teilung gemacht von einem Friedensangebot, das die neue deutsche 
Regierung an den Präsidenten Wilson gerichtet hat. In der durch 
die Schweizer Regierung nach Washington übermittelten Note wird 
das von Wilson in der Kongressbotschaft vom 8. Januar 1918 und 
in seiner Rede vom 27. September d. J. auigestellte Programm für 
die Friedensverhandlungen angenommen und zur Vermeidung weiteren 
Blutvergießens um sofortige Herbeiführung’eines allgemeinen Waffen¬ 
stillstandes ersucht. Die in Wilsons Antwort gestellte Forderung 
der Räumung der von Deutschland besetzten Gebiete, bevor ein 
Waffenstillstand vorgeschlagen werden könne, wurde von Deutsch¬ 
land in einer zweiten Note angenommen. Mit diesem schwerwiegen¬ 
den Zugeständnis gibt Deutschland zu erkennen, dass es auf jeden 
weiteren Widerstand verzichtet und sich den Bedingungen, die seine 
Feinde stellen werden, unterwirft. Das ist also das Ende vierjährigen 
ruhmvollen Ringens und ungeheuerer Opfer an Gut und Blut! Dabei 
halten die deutschen Heere unbesiegt die Front in Feindesland und 
haben auch in dieser Woche feindliche Durchbruchsversuche zum 
Scheitern gebracht. Der Grund für die Aufgabe des Kampfes liegt 
für Deutschland also weniger in der militärischen Lage, die ernst, 
aber nicht aussichtslos ist, als in dem Versagen der Stimmung des 
Volkes. Es ist mit Recht gesagt worden, den Krieg werde das¬ 
jenige Volk gewinnen, das die besseren Nerven habe. Leider zeigt es 
sich, dass in der entscheidenden Stunde die Nervenkraft des deutschen 
Volkes zusammengebrochen ist. 

— Durch e>ne:i Erlass des Kaisers vom 4. ds. wird die Errichtung 
einer neuen, dem Reichskanzler unmittelbar unterstellten Zentral¬ 
behörde angeordnet, von der die sozialpolitischen Angelegenheiten 
des Reiches, die bisher zum Geschäftskreis des Reichswirtschatts- 
arnts gehört haben, zu bearbeiten s-ind. Sie führt den Namen 
„R e i c h s a r b e i t s a m t“. Zum Staatssekretär des neuen Reichs¬ 
amtes wurde der sozialdemokratische Rcichstagsabgeordnete Bauer 
ernannt. Exzellenz Bauer gehörte zu den Führern der Kranken¬ 
kassen in ihrem Kampf mit den Aerzten. 

— Die chemische Grossindustrie hat für die Beschaffung von 
Lehrmitteln für die Hochschullaboratorien 10 Mil¬ 
lionen Mark gestiftet. Weitere 10 Millionen sollen in Aussicht stehen. 

— Der Beginn des zum 1. Oktober d. Js. geplanten halbjährigen 
Lehrganges zur Ausbildung kommunaler Fürsorge¬ 
rinnen (d. Wschr. Nr. 28 S. 776) ist auf den 1. November 1918 
verschoben worden. Meldungen, schriftlich oder mündlich, nimmt 
die Geschäftsstelle der Preussischen Landeszentrale für Säuglings¬ 
schutz, Charlottenburg 5, Mollwdtz-Privatstr., täglich von 9—3 Uhr 
entgegen. Es können nur solche Personen zu dem Lehrgang zu- 
gelasen werden, die die staatliche Anerkennung als Säuglingspflegerin 
besitzen, oder sich über die Absolvierung eines etw'a gleichwertigen 
Lehrganges in der modernen Säuglingspflege ausweisen können. 

— Cholera. Deutsches Reich. In Berlin sind bis zum 5. Ok¬ 
tober insgesamt 16 Erkrankungen mit 11 Todesfällen festgestellr 
worden. Die Ansteckung ist nach den bisherigen Ermittlungen auf 
eine Schlächterei zurückzufiihren, in der ein Bazillenträger beschäftigt 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





1174 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 41 


war. Ferner ist auf einem Kahne in dem Kaiser-Wilhelm-Kanal bei 
Marienwerder (Kreis Niederbarnim, Reg.-Bez. Potsdam) 1 Erkrankung 
vorgekommen. Ueber ihren Ursprung sind Ermittelungen noch im 
Gange. Die zur Verhütung der Weiterverbreitung der Krankheit er¬ 
forderlichen Massnahmen sind im vollen Umfang getroffen. — Kais. 
Deutsches Generalgouvernement Warschau. In der Woche vom 
29. September bis 5. Oktober in Warschau 2 Choleraerkrankungen. 
— Russland. In Petersburg schwankten laut Mitteilung der Stadt¬ 
verwaltung in der Zeit vom 24. August bis 13. September die Zahlen 
der täglich gemeldeten Choleraerkrankungen zwischen 32 (am 
27. August) und 5. (am 4. bis 13. September). In die Krankenhäuser 
der Stadt, ausschliesslich der Militärlazarette, sind vom 22. August 
bis 11. September 495 Cholerakranke auf genommen worden; gestor¬ 
ben sind dort 215. Den Militärlazaretten gingen in der Zeit vom 
22. August bis 4. September 41 Cholerakranke zu; der Krankheit er¬ 
lagen 23. — Ukraine. In Odessa sind vom 1. bis 20. September 
25 Erkrankungen festgestellt worden; ausserdem wurden auf dem 
Dampfer „Helena“ 11 Cholerafälle ermittelt. Von den Erkrankten 
sind 16 gestorben. 

— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 
29. September bis 5. Oktober 2 Erkrankungen unter wolhynischen 
Arbeiterinnen in Breslau. — Kaiserlich Deutsches Generalgouverne¬ 
ment Warschau. In der Woche vom 15. bis 21. September wurden 
132 Erkrankungen (und 9 Todesfälle) festgestellt. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 22. bis 28. September 
sind 935 Erkrankungen (und 152 Todesfälle) gemeldet worden. 

— Pest. Niederländisch Indien. Im August wurden auf Java 
37 tödlich verlaufene Erkrankungen gemeldet. 

— In -der 39. Jahreswoche, vom 22. bis 28. September 1918, 
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste 
Sterblichkeit Münster i. W. mit 50,9, die geringste Rüstringen mit 
7,6 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel 
aller Gestorbenen starb an Unterleibstyphus in Beuthen. 

Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Breslau. Professor Dr. Oswald B u m k e, Direktor der 
psychiatrischen und Nervenklinik, ist zum Geheimen Medizinalrat 
ernannt worden. 

Düsseldorf. Dem ordenlichen Miitgliede de* Akademie für 
praktische Medizin kl Düsseldorf, Direktor der Kinderklinik Prof. Dr. 
Arthur Schlossmann wurde der Charakter als Geheimer Medi- 
ziroalnat verliehen, (hk.) 

Erlangen. Hofrat Prof. F. Hermann, bisher Prosektor am 
anatomischen Institut, wurde zum ordentlichen Professor ernannt und 
ihm die topographische Anatomie und Histologie als Lehrfach über¬ 
tragen. 

Halle. Der Privatdoz. für Augenheilkunde Prof. Dr. Braun¬ 
schweig ist zum Geheimen Sanitätsrat ernannt worden. 

Marburg. Prof. Dr. G u 1 e k e in Strassburg hat den Ruf 
als Nachfolger von Geh. Rat König angenommen und wird die 
Leitung der chirurgischen Klinik in den nächsten Tagen über¬ 
nehmen. (bk.) 

Strassburg. Prof. Dr. Oswald Schmiedeberg, Direktor 
des pharmakologischen Instituts, beging am 11. Oktober seinen 
80. Geburtstag, (bk.) 

Würzburg. Ernannt wurde der Geh. Medizinalrat 'Prof. Dr. 
Fritz K ö n i g in Marburg vom 1. Oktober d. J. an zum etatsmässigen 
Ordinarius und Vorstande der chirurgischen Klinik der Universität 
Würzburg als Nachfolger Enderlens, (hk.) 

Graz. Dr. Hermann Schmerz wurde als Privatdozent für 
Chirurgie an der Grazer Universität zugelassen, (hk.) 

Berichtigung. Im Bericht über den Kongress für Kriegs¬ 
beschädigtenfürsorge in Nr. 40, S. 1115 ist in Sp. 1, Z. 53 v. o. statt 
Quessel zu lesen: Quetsch. 


Aufruf! 

Die klinischen Anstalten der Universität Dorpat sind von den 
abziehenden Russen ihrer Handbüchereien beraubt, die Universitäts¬ 
bücherei ist fast ganz nach dem Innern Russlands überführt worden. 
Die Leiter der klinischen Anstalten bitten daher ihre reichsdeutschen 
Berufsgenossen, namentlich die Fachärzte, ihnen bei der Auffüllung 
der Handbüchereien behilflich zu sein: Schenkung von Lehr- und 
Handbüchern, Nachschlagewerken und Einzeldarstellungen. Gewiss 
haben viele deutsche Aerzte sich auch neuere medizinische Werke 
angeschafft, die sie heute nicht mehr gebrauchen, oder die sie gar 
doppelt besitzen. Namentlich aus den Nachlässen verstorbener oder 
gefallener Aerzte erbitten wir uns solche Zuwendungen; wir werden 
das Andenken an die Stifter und früheren Besitzer durch besondere 
Eintragung ihrer Stiftung an unserer Universität in die betreffenden 
Bücher ehren und dauernd erhalten. 

Alle deutschen Aerzte bitten wir, der alten Hochburg wissen¬ 
schaftlichen Lebens im Baltenlande, die unserer Wissenschaft eine 
lange Reihe glänzender Aerzte und Forscher geschenkt hat, zu 
neuem frischem Aufstieg behilflich zu sein. 

Den Handbüchereien der klinischen Anstalten zugedachte 
Büchersendungen bitten wir mit folgender Aufschrift zu versehen: 


An die Universitätsverwaltung Dorpat 
bei Armee-Ober-Kommando 8 

für die.Klinik. 

Privatgut der Heeresverwaltung. 

Die Leiter der klinischen Anstalten der Universität Dorpat für die 
chirurgische, medizinische, Frauen-, Augen-, Ohren-, Kinder- und 
Hautklinik, das pathologische, hygienische und pharmakologische 
Institut 

Zoege von Manteuffel, Grober, Meyer, Löhlein, 
Brügge mann, Rothberg, Paldrock, Gross, Korff- 
Petersen, Trendelenburg. 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben: 
Feldhilfsarzt Ahois Abt, Hendorf. 

Oberarzt d. Ldw. Max Baumgarten, Dülmen. 
Feldhilfsarzt Franz Berlin, Stettin. 

Assistenzarzt Rudolf B1 p p a r t h. Amelith. 

Feldhilfsarzt Erich Bremer, Halle. 

Marinestabsarzt Johannes Burmeister, Danzig. 
Feldunterarzt Adolf Daube, Heilbronn. 

Stabsarzt d. Res. D u f e 1 d t, Dresden. 

Landsturmpfl. Arzt Gerhard Eggers, Rostock. 
Assistenzarzt d. Res. Bruno Esser, Krefeld. 
Landsturmpfl. Arzt Anton Gappisch, Wunschwitz. 
Oberstabsarzt d. R. Hans G e i t n e r, Schneeberg i. S. 
Oberstabsarzt d. R. Rieh. Grossmann, Dresden. 
Assistenzarzt Max G r ü n a u. Rottweil. 

Oberarzt d. R. Wilhelm Heilhecker, Wiesbaden. 
Oberarzt d. L. Edmund Heinz, Meiningen. 
Feldunterarzt Max Huber, Markgröningen. 
Feldunterarzt Otto J a e s c h e, Gr. Chelm. 

Feldhilfsarzt August Koch, Wolfstein. 

Feldhilfsarzt d. R. Ulrich Koch, Nordenburg. 

Oberarzt d. R. Rob. Kurt Kötter, Elberfeld. 
Oberstabsarzt d. R. a. D. Wilhelm Kühne, Neerensett. 
Oberarzt Kurt Leon, Strassburg. 

Feldunterarzt Hermann Martin. Magdeburg. 

Oberarzt d. R. Walter Muff, Neuffen. 

Feldhilfsarzt Arthur N a*s t, Pr.-Stargard. 

Landsturmpfl. Arzt Julius Oechsle, Schwäb. Gmiind. 
St.-A. d. L. Rudolf Plaut, Bodenteich. 

O.-A. d. R. Hermann Pfäffle, München. 

Oberarzt d. R. Ernst Pohl, Salur. 

Stabsarzt d. L. Paul Pott, Wien. 

Stabsarzt Joh. Riemer, Badeleben. 

F.-U.-A. Josef Rosenbaum, Rheinbach, 
stud. med. Hans Rosenhagen, Dresden. 

Stabsarzt Erwin Sauer, Reutlingen. 

Ldstpfl. A. Leopold Schlösser, Ahaus. 

Oberarzt Max S c h i e d a t, Schaudienen. 

Oberstabsarzt Karl S c h i e p a n, Bruchhagen. 

Oberarzt d. R. Eduard Schlund, Karlsruhe. 

F.-H.-A. Paul Schöppner, Bövinghausen. 

Oberarzt d. R. Rudolf Schramm, Daun. 

Feldunterarzt Wilhelm Schultz, Usedom. 

Stabsarzt d. L. a. D. Georg Siemon, Melsungen. 
Assistenzarzt Roderich S p o h r, Engers. 

O.-St.-A. Johannes Staden, Verden. 

Oberarzt d. R. Chr. S t r o h m, Friesenhausen. 

F.-U.-A. Emil T a -b k e n, Dötlingen. 

Stabsarzt d. R. Prof. Anton Thies, Friedeburg. 
Oberarzt d. R. Karl Weck, Bonn. 

Feldhilfsarzt Hans W e s t p h a 1, Bant. 

Oberarzt d. R. Josef Wisbaum, Bonn. 


Korrespondenz. 

Bemerkung zu dem Aufsatz von Sommer über Kollargol bei Gonor¬ 
rhöe in Nr. 40 dieser Wochenschrift 
Von Prof. Leo v. Zumbusch, Direktor der Klinik für Haut- und 
Geschlechtskrankheiten in München. 

Auch Sommer hat sich nicht abhalten lassen, die Kollargol- 
behandlung der weiblichen Gonorrhöe ohne Lokalbehandlung zu ver¬ 
suchen, obwohl in der von ihm zitierten vorläufigen Mitteilung yoo 
M e n z i und in der ausführlicheren Publikation derselben Autorin 
in der medizinischen Klinik 1918 Nr. 38 ausdrücklich gesagt ist, was 
ich schon in einer Notiz in der Derm. Zschr. 67. Nr. 37 zu erklären 
versuchte. 

Seine Erfahrung deckt sich also genau mit den an meiner Klinik 
von M e n z i gemachten, allerdings ist sein Material sehr klein. 


Vertag 

Difitized by 


, F. Lehmann In Manchen S.W. 2, Pani Hejaeetr. 26b — Dreck von E. MAhHhaler'a Buch- 

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I Knnatdrackerd A.O., München. 

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Medizinische Wochenschrift. 


ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 43. 22. Oktober 1915 


Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasi-e 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag behüt sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Orlginalbeitrlge vor. 


Originalien. 

Die Lösung der Streitfrage, ob das lebende Netzhaut¬ 
zentrum eine gelbe Farbe besitzt oder nicht. 

Vorläufige Mitteilung*). 

Von Privatdozent Dr. Leonhard Koeppe in Halle a S. 

Im folgenden möchte ich der ärztlichen Welt von einer neuen 
Feststellung Mitteilung machen, die uns vermittels der an dieser 
Stelle vor einem halben Jahre veröffentlichten stereomikroskopischen 
Untersüchungsmethode des lebenden Augenhintergrundes mit starken 
Vergrösserungen im fokalen Lichte der G u 11 s t r a n d sehen Nernst¬ 
spaltlampe als eine der ersten Früchte dieses gelösten Problemes 
gelungen ist. 

Bisher war nämlich noch keinem Forscher möglich gewesen, die 
alte Streitfrage, ob im lebenden Auge der Bezirk des schärfsten 
Seitens oder die Makula centralis der Netzhaut eine gelbe Farbe be¬ 
sitzt oder nicht, einwandfrei und unbestritten zu entscheiden. Zwar 
sah Vogt 1 ) im rotfreien Lichte orphthalmoskopisch die Makula leuch¬ 
tend gelb gefärbt, doch bestritt Gu.llstrand*) die Deutung 
Vogts, dass bei dieser Untersuchung das gesehene Gelb von einer 
Eigenfärbung der Makula herrühre, mit dem Hinweise darauf, dass 
es sich hier nur um das durch -die im Bereiche der Makula hoch¬ 
gradig verdünnte Netzhaut von den tieferen AugenhLntergrunds- 
teilen reflektierte und durch den doppelten Durchgang durch das 
Pigmentepithel und die Aderhaut gelb gefärbte Licht der betreffen¬ 
den Lichtquelle handeln könne, zumal bei herabgesetzter Beleuch¬ 
tung die Gelbfärbung der Makula regelmässig verschwand. 

Während nun im natürlichen Lichte bei normalem Augenhinter- 
grunde die Frage deswegen nicht endgültig zu entscheiden war, weil 
hier im Bezirke des schärfsten Sehens die Eigenfarbe des Epithel¬ 
pigmentes resp. der tieferen Augenhintergrundsteile die Erkennung 
einer Eigenfarbe der durchsichtigen und in der Makula so verdünn¬ 
ten Netzhaut nicht gestattete, bot diejenige Netzhautveränderung, 
die mit einer weisslichen Verfärbung der vorderen Netzhautschichten 
unter Freibleiben der nur den hinteren Netzhautschichten angehören¬ 
den Makulamitte einnerzugehen pflegte, die Möglichkeit einer Ent¬ 
scheidung -des vorliegenden Theorems. Und Veränderung ist die 
infolge einer Verstopfung der Zentralarterie des Sehnerven zu be¬ 
obachtende weisse Trübung der vorderen Netzhautschichten. Hier 
sind durch Abblendung des von den tieferen Augenhintergrundsteilen . 
zurückgestrahlten Lichtes die Faktoren gegeben, eine gelbe Eigen¬ 
farbe der Netzhautmitte einwandfrei festzustellen, wenn be¬ 
stimmte Untersuchungsbedingungen beobachtet wer¬ 
den. 

Die erste dieser Bedingungen erfüllt uns die Anwendung des 
mit unserer neuen Methode erreichbaren und exakt dirigierbaren 
engstumschriebenen fokalen Lichtkegels der Spaltlampe, welcher 
unter Ausschluss und völliger Abdunkelung der von der Verfärbung 
freigebliebenen Makulamitte oder der sogenannten zentralen 
Fovea die Untersuchung der unmittelbar dieser Fovea benach¬ 
barten Makulapartien gestattet und den Untersuchungsfehler aus¬ 
schaltet, dass durch das in und neben der Fovea vom Augengrund 
zurückgestrahlte mehr oder minder gelbrote Licht eine Gelbfärbung 
der die Fovea umgebenden Makulapartien vorgetäuscht wird. 

Zweitens können wir mit unserer neuen Untersuchungs¬ 
methode sowohl im direkten wie auch im indirekten Lichte resp. im 
Dunkelfelde die betreffende Umgebung der von der Verfärbung freien 
Foveamitte untersuchen und damit die Tiefe und Ausdehnung eines 
in der übrigen Makula vorhandenen gelben Farbstoffes unmittelbar 
feststellen. 

Drittens steht uns bei unserer Methode der Augenhinter¬ 
grundsmikroskopie eine Vergrösserungsmöglichkeit bis zu etwa 
70 fach linear zur Verfügung, die uns im fokalen Lichte der Spalt- 

*) Die ausführliche Arbeit über den Gegenstand erscheint dem¬ 
nächst in v. Graefes Archiv. 

DA. Vogt: Arch. f. Ophth. 84. 1913.; Klin. Mbl. f. Aughlk. 
58. 1917. Heidelb. Ber. 1913. 

*) A. Gullstrand: Klin. Mbl. f. Aughlk., März 1918. 

Nr. 43. E 

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lampe bei der Verwendung natürlichen Lichtes die feinsten Struktur¬ 
veränderungen und -Verfärbungen des Netzhautgewebes zu erkennen 
gestattet. 

So gelang uns denn, was Dimmer 3 ) sowohl als v. d. H o e v e 4 ) 
und Lottrup-Andersen 5 ) bei ihren Fällen von Verstopfung 
der Zentralarterie des Sehnerven zwar schon angedeutet sahen, aber 
mit Sicherheit noch nicht entscheiden und, wie die Erwiderungen 
Gullstrands 8 ) zeigten, auch nicht allgemein gültiger gestalten 
konnten, an 2 Fällen von Verstopfung der Zentralarterie des Seh¬ 
nerven unter Vorschaltung des Auflageglases auf die lebende Horn¬ 
haut im fokal beleuchteten Bilde unter Ausschluss der eigentlichen 
zentralen Fovea der Nachweis einer Gelbfärbung des perifovealen, 
also um die Fovea herum gelegenen Makulabezirkes. 

Bei beiden Patienten — etwa Mitte der Dreissiger alt — sah 
man mit prachtvoller Deutlichkeit und Plastik in den von der schnee- 
weissen Verfärbung ergriffenen ausserhalb der eigentlichen Fovea ge¬ 
legenen Makulapartien allenthalben eine allerfeinst chagriniert 'hervor¬ 
tretende goldgelbe bis ocker- oder goldgrüne Farbe, die im Bereiche 
der Makulagrenze sich allmählich in der umliegenden Netzhaut verlor, 
während sie an der Grenze zur Fovea ihre grösste Intensität er¬ 
reichte. Diese selbst zeigte bei der Einstellung des Spaltlichtes auf 
ihren Bezirk die rotgelbe bis rote an der Spaltlampe typische Farbe 
des Pigmentepithels und erschien gegenüber den ziemlich über sie 
hervorragenden, übrigen Makulapartien trichterförmig eingesenkt. 
Dass diese gelbe Farbe sich viele Tage hielt und mit Aufhellung der 
Verfärbung allmählich verschwand, sei hier nur kurz hervor¬ 
gehoben*. 

Der Einwurf, dass das von hinten 'her neben der Fovea durch die 
hier erst allmählich trüber werdenden vorderen Netzhautpartien 
durchscheinende rote Liebt der tieferen Augenhintergrundspartien 
die gelbliche Farbe bedingen könne, ist deshalb -hinfällig, weil die 
perifoveale Makulafarbe dann entschieden rötlicher sein musste, zu¬ 
mal ja bei der Untersuchung natürliches und annähernd weisses Licht 
angewendet wurde. 

Da, wie die genauere mikroskopische Untersuchung an der 
Spaltlampe des weiteren lehrte, Blutungen und ähnliches im Bereiche 
der gelben Partie zu vermissen waren, ferner auch vor die Licht¬ 
quelle vorgeschaltete Gelb- und Blauscheiben an der gesehenen 
Gelbfärbung der Makula nichts änderten, war der Verdacht einer hier 
an der Spaltlampe direkt festgestellten Gelbfärbung der lebenden 
Netzhautmakula schon äusserst dringend geworden. 

Beweisend dafür aber wurde folgender Umstand: 

Wenn man nämlich die Intensität des angewendeten Lichtes 
entweder durch weitere Spaltverengerung oder durch Vorschaltung 
schwarzgrauer Gläser immer weiter herabsetzte, bis das rote Bild 
der eigentlichen Fovea verschwand, war die gelbe Farbe in der 
Foveaumgebung immer noch zu erkennen, also auch trotz unter der 
Erkennbarkeitsschwelle des vom Pigmentepifhel diffus reflek¬ 
tierten Lichtes liegender Beleuchtungsintensität des angewende- 
ten Lidhtes. 

Wenn wir daher an unserer Apparatur auch noch nicht ein¬ 
wandfrei beweisen konnten, dass auch die Fovea centralis selber 
eine im Leben vorhandene gelbe Farbe zeigt, so ist doch bei unserer 
zuletzt geschilderten Beobachtung die Forderung Gull¬ 
strands für den Nachweis einer gelben Makula¬ 
farbe/ im lebenden Auge wenigstens für die un¬ 
mittelbar um die zentrale Fovea herum gelegenen 
vorderen Netzhautpartien eindeutig erfüllt und 
damit der Beweis erbracht, dass zum mindesten 
dieser Bezirk des lebenden Netzhautzentrums 
tatsächlich eine gelbe Farbe besitzt. 


s ) F. Dimmer: Arch. f. Öphth. 65. 

•) v. d. Hoeve: Ebenda 80. 1911. 

5 ) Ch. Lottrup-Andersen, zit. nach 8 ). 

6 ) A. Gull Strand: Arch. f. Ophth. 62. u. 66. Klin. Mbl. f. 
Aughlk., März 1918. 

1 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





1176 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 43. 


Aus der Medizinischen Universitäts-Klinik zu Königsberg. 
(Direktor: Qeheimrat Matthes.) 

lieber Melanurie und die Beeinflussung dee Melano- 
sarkoms durch Röntgenbestrahlung. 

Von Privatdozent Dr. A. Böttner, 1. Assistent der Klinik. 

Vor kurzem 'haben F e i g 1 und Querner die bisherigen For¬ 
schungen über die Klinik und Pathologie der Melanurie kritisch zu¬ 
sammengestellt und dabei mehrere neue Gesichtspunkte gebracht. 
Sie bestätigen und betonen u. a. vor allem die Bedeutung der Thor- 
mahlen sehen Reaktion (L 6 g a 1 sehe Probe) für den Melanogen- 
nachweis, sie geben technische Verfeinerungen derselben an, sie be¬ 
rücksichtigen sehr ausführlich alle Harnsubstanzen, die für die Farb¬ 
reaktion differentialdiagnostisch Bedeutung haben und ‘schaffen bei 
unklarem Reaktion sausfall zur Klarstellung eine Belastungsprobe mit 
Tryptophan. Den Autoren gelang es ferner die Thormählen sehe 
Reaktion auch im Blutserum nachzuweisen. 

Wir konnten nun in letzter Zeit bereits vor der Publikation der 
eben zitierten Arbeit einen einschlägigen Fall beobachten, bei dem 
wir im weiteren Verlauf die oben ausgeföhrten Untersuchungen er¬ 
proben und ausserdem andere bemerkenswerte Feststellungen er¬ 
heben konnten. Zudem haben wir bei dem Patienten mit multipler 
Metastasembildung einen guten Erfolg durch Röntgenbestrahlung er¬ 
zielt. 

Auszug aus der Krankengeschichte: Am 9. I. 1918 sucht der 
33 Jahre alte Ingenieur wegen ischiadischer Schmerzen und ge¬ 
schwollener Leistendrüsen die Klinik auf. Er stammt aus gesunder 
Familie und ist, abgesehen von einer Brustfellentzündung rm Alter 
von 15 Jahren nie wesentlich krank gewesen. Im Jahre 1910 erfolgte 
angeblich wegen eines Geschwürs in der Netzhaut Enukleation des 
linken Auges in Leipzig durch Prof. Bielschowski (nach brief¬ 
licher Mitteilung an Prof. Birch-Hirschfeld handelt es sich 
um ein Chorioidealmelanosarkom). Die Drüsenanschwellungen hat der 
Patient seit Yxf—% Jahren bemerkt, und in def letzten Zeit wurde er 
von immer sich verstärkenden ziehenden Schmerzen in beiden Beinen 
und beiden Oberschenkeln heimgesucht, die ihm zuletzt das Gehen un¬ 
möglich machten. Ueber besondere Kurzatmigkeit gibt der Patient 
keine Klagen an. 

Untersuchungsbefund: Mittelgrosser Mann in leidlich gutem Er¬ 
nährungszustände. Gewicht 55,7 kg. Ziemlich blasse Gesichtsfarbe. 
Kein Ikterus. Hb. 75 Proz. nach Sahir. 4 300000 Erythrozyten, 
7500 Leukozyten^ Das Ausstrichpräparat hat normale Zusammen¬ 
setzung. Temperatur 37,2. Linkes Auge fehlt; Glasauge. Am Augen¬ 
hintergrund des rechten Auges sind nasal unterhalb der PapiMe einige 
kleine rundliche Herdchen (Metastasen?) sichtbar (Prof. Birch- 
Hirschfeld). Mund- und Halsorgane o. B. Bei’ der Atmung bleibt 
die linke Lungenhälfte zurück. 

Links vorn massige, in die Herzdämpfung übergehende Schall¬ 
verkürzung, links hinten ebenfalls allerdings weniger intensiv. Atem¬ 
geräusch abgeschwächt. Stfmmfremitus erhalten. Traubescher 
Raum frei. Herztöne rein. Die Röntgendurchleuchtung zeigt eine 
intensive Abschattung fast der gesamten linken Lungenhälfte mit 
scharfer Begrenzung. Die linke Lungenspitze und der Pleurasinus 
rst frei, das Zwerchfell verschieblich, allerdings links etwas schlechter 

als rechts. Das Herz ist in der 
Verschattung nur durch seine 
Pulsation zu erkennen. Das 
Mittelfeld ist frei, das rechte 
Lungenfeld ist normal (cf. 
Abb.) 

Die Leher schliesst mit 
dem Rippenbogen ab und ist 
nicht druckempfindlich. Milz 
nicht fühlbar. Abdomen weich. 
Beiderseits in der Inguinal¬ 
gegend Drüsenpakete palpabel; 
dieselben sind druckempfind¬ 
lich. Lasöque beiderseits +. 
Nervensystem o. B. Auf der 
Brust in der Höhe der linken 
. . ,. Mamilla und zwischen Schwert- 

Tumor bei Beginn den Bestrahlung. f or tsatz und Nabel sind zwei 

- Tumor nach der Bestrahlung. haselnussgrosse, lipomartige 

Geschwülstchen unter der Haut 
sichtbar, gleichfalls auch auf dem Rücken, auf der Mitte der linken 
Skapula und zwischen den Schulterblättern; dieselben schimmern 
sämtlich bei genauerem Zusehen bläulich durch die Haut durch. 

Der Urin ist frei von ELweiss und Zucker; das Sediment o. B. 
Die Urinmenge beträgt 800—2400 ccm bei einem spezifischen Gewicht 
von 1031—1015. Urobilinogen deutlich positiv. Urobilin negativ. Die 
einige Tage nach der Aufnahme angestellte Eisenchloridreaktion er¬ 
gibt nach kurzer Zeit Schwarzfärbung des Urins, und die Thor¬ 
mählen sehe Reaktion eine blaugrüne Farbe im sauren Endstadium. 
Diazo negativ, Indikanprobe nach J a f f 6 schwach rosa Färbung. 

Wegen der starken ischiadischen Schmerzen erhäh der Patient 
Salizyl 1 ), Morphium und Schwitzprozeduren. Da hierdurch keine 
Besserung erzielt wird, so erfolgt wegen der starken Druckempfind- 
li^hkeit Röntgenbestrahlung der Leistendrüsen und des Ischiacfikus am 

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* 

Beckenaustritt. Nach 3 Bestrahlungen von insgesamt 126 X bekommt 
der Paient bei schwerem Krankheitsgefühl (Mattigkeit und Hinfällig¬ 
keit) eine Temperatursteigerung bis 40,6 (staffelförmiges Ansteigen), 
ferner Schmerzen in der linken Brustseite und Dyspnoe. Der physi¬ 
kalische Lungenbefund ist gegen früher nicht verändert, nur ist das 
Atemgeräusch etwas schwächer als früher. Das spärliche Sputum ist 
serös-schleimig und weiss gefärbt. Es enthält keine Pneumokokken 
und Tuberkelbazillen. Halsorgane o. B. Abdomen nur am linken 
Oberbauch druckempfindlich. 

Blutbild: 17 000 Leukozyten; davon 92 Proz. polynukl. Leukp- 
zyten, 5 Proz. Lymphozyten, 1 Proz. eosinoph. Leukozyten, 1)4 Proz. 
Uebergangsformen, 1 Proz. mononukleäre Zellen, Diazo negativ. 
Das Fieber hält insgesamt 9 Tage an, die Entfieberung geht allmählich 
vor sich unter Inter- und Remissionen. Die Leistendrüsen sind ver¬ 
schwunden. Auf die nun einsetzende Röntgenbestrahlung der Lunge 
erfolgt eine nochmalige zweitägige Temperatursteigerung mit Beein¬ 
trächtigung des Allgemeinbefindens, dann aber bleibt trotz weiterer 
Röntgenbestrahlung die Temperatur normal. Das Allgemeinbefinden 
ist nur wenig 'gestört. 

Nach AppEkation von 973 X, 195 Min., Fokushautdistanz 15 cm, 
3 mm Al.-Filter (Müller sehe Siederöhre) vom 2. II. bis 23. II. auf 
Brust und Rücken der linken Brustseite ist der fast das ganze Unke 
Lungenfeld einnehmende Tumor sehr erheblich verkleinert (s. Abb.). 

Ich bemerke, dass während der Röntgenbestrahlung die häufig 
angestellte Eisenchloridreaktion im Urin eine viel intensivere war als 
vor der Bestrahlung. Das Nachdunkeln des Urins war ebenfalls viel 
augenfälliger als vorher. Die Eisenchloridreaktion im Blutserum er¬ 
gab eine graubraune Farbe, Bilirubinprobe im Blut negativ, gleichfalls 
die Wassermann sehe Reaktion. Die hin und wieder im Urin 
angestellte Thormählen sehe Reaktion Kess ebenfalls eine Zu¬ 
nahme der Farbintensität erkennen, es fand sich im sauren End¬ 
stadium eine tiefdunkelblaue Farbe 2 ). 

Ein auf dem Rücken exzidiertes Geschwülstchen im Unterhaut¬ 
zellgewebe war tintenschwarz gefärbt und ergab bei der histologi¬ 
schen Untersuchung folgenden Befund: Typisches Melanom, dessen 
sehr starker Zellreichtum eine grosse Wachstumstendenz und emön 
malignen Charakter annehmen lässt. Die Zellen haben vorwiegend 
spindeligen Typ. Das Stroma tritt vollständig zurück, so dass ejn 
sarkomähnliches Bild entsteht (Privatdozent Dr. C h r i s t e 11 e r). 
Die Metastasen im Unterhautzellgewebe konnten durch Röntgenbe¬ 
strahlung (je 44—64 X) vollständig zum Schwinden gebracht werden. 
Während der Bestrahlungszeit hat der Patient an Körpergewicht 
ca. 5 Pfund verloren. Die im März täglich angestellte Thormätl- 
lensche Reaktion war im Urin immer positiv. Bei? Untersuchung 
einer frisch gelassenen Urinportion und bei Anstellung der Probe 
der Tagesurinmenge bestand kaum ein Unterschied fn der Farb¬ 
intensität. Eine grünliche Nuance war ein konstanter Befund. Die¬ 
selbe konnte auch nicht mit der von Feigl und Querner ange¬ 
gebenen Vorklärung des Urins mit Taloum resp. Bolus-alba-Eisessjg 
beseitigt werden, obwohl ich das Gemisch im vorgeschriebenen 
Mengenverhältnis bis zu 25 Minuten in den Schüttelapparat gebracht 
habe. Auf eine Tryptophanbelastung (3 g) am 8. März trat entschieden 
eine Verstärkung des Reaktionsausfalles ein. der Patient fieberte 
aber gleichzeitig infolge einer Angina. Auf eine nochmalige Trypto¬ 
phanbelastung (3 g) am 18. März fand sich keine Farbverstärkung 
der Thormählen sehen Reaktion. Im Serum war die Thor¬ 
mählen sehe Reaktion gleichfalls negativ. Der Reststickstoff betrug 
60 mg. 

Eine Leberfunktionsprüfung mit 100g Lävulose ergab eine ge¬ 
ringe Herabsetzung der Toleranz {die Resorzinprobe war in de« 
ersten beiden Harnproben schwach positiv). Am 18. März verliess 
der Patient fast beschwerdefrei die Klinik mit einer Körpergewichts¬ 
zunahme von 3)4 kg. Nach kurzer Erholung trat er seinen Dienst 
wieder an und konnte, abgesehen von gelegentlichen ischiadischen 
Beschwerden ungehindert beruflich tätig sein. 

Mitte Juli suchte der Patient wegen starker Schmerzen hn 
rechten Bein die Klinik wieder auf. Er kam mit den Worten: „Ich 
habe wieder eine ordentliche Ischias und es ist mir oft so, als wenn 
ich einen richtigen Rheumatismus hätte". 

Befund: Gleicher Ernährungszustand wie früher. In der rechten 
Leiste sind einige Drüsenknoten zu fühlen. Auf der Körperhaut (Brust 
und Rücken) sind 19 blau durchschimmernde Hautmetastasen von 
Pfennig- bis Markstück grosse verstreut sichtbar. Die Röntgenauf¬ 
nahme und Durchleuchtung lässt eine geringe Zunahme des restieren- 
den Tumorschattens erkennen. Die Thormählensche Reaktion war 
m derselben Farbstärke wie früher positiv. Es fand sich immer wieder 
der grünlichblaue Farbton im sauren Endstadium trotz Vorkläru.ig 
des Urins. Eine Tryptophanbelastung mit 3 g verlief ergebnislos. 
Auf Verabreichung von 100 g Lävulose zeigte sich eine etwas stärkere 
Herabsetzung der Toleranz (die ersten drei Harnportionen — 2 stündl. 
Abstand — hatten eine schwach positive Resorzinprobe, polarime¬ 
trisch fand sich 0,3—0,1 Proz. Sacch.). Während der Röntgenbestrah¬ 
lung vom 20. VII. bis 1. VIII. 18 (es wurden zunächst die Leisten¬ 
drüsen, der Ischiadikus wie früher und zuletzt die Lunge von 

*) Während’ der Medikamentverabreichung wurde selbstver¬ 
ständlich von einer Bewertung der Melanogenreaktionen hn Urin 
abgesehen. , „ , - . . 4 

*) Die Jaf lösche Indikanprobe wurde zu der Zeit leider nicht 
angestellt 


Original from 

UMIVERSITY OF CALIFORNIA 


22 . Oktober 1018. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1177 


3 Seiten bestrahlt) trat keine bemerkenswerte Verstärkung: der 
Thor mählen sehen Reaktion auf. Die Hautmetastasen und die 
Leistendrüsen verschwanden vollständig, die ischiadischen Beschwer¬ 
den wurden ebenfalls behoben. Am 4. VIII. fieberte der Patient wieder 
an einer Angina. Hierauf trat am 5. VIII. eine deutlich wahrnehmbare 
Verstärkung der Thormählensehen Reaktion auf. die nach Ab¬ 
sinken des Fiebers wieder nachliess. Blut zur Untersuchung konnte 
ich leider nicht erhalten. 

Am 8. VIII. 1918 verliess der Patient wieder erheblich gebessert 
die Klinik. 

Nach Beendigung der Röntgenbestrahlung betrugen die Leuko¬ 
zyten 2800 im Kubikmillimeter, nach Verlauf von einigen Tagen 
fanden sich wieder normale Leukozyten werte. Da» übrige Blutbild 
war gegen früher nicht verändert. Wiederholte Untersuchungen an 
frischen Blutausstrichen Hessen* nie einen Pigmentgehalt der Blut- 
zellen erkennen. 

Auffällig ist bei unserem Fall der Ausbruch der melanotischen 
Systemerkrankung ca. 6 Jahre nach der Enukleation des linken Auges, 
des wahrscheinlichen Primärtumors. Ob nun in Wirklichkeit eine 
ca. 6 jährige Latenz der doch allgemein als bösartig bekannten Neu¬ 
bildung vorliegt, oder ob es sich um eine Neuer krankung handelt, 
muss dahingestellt bleiben. In der Literatur finden sich über späte 
Metastasenbildung unter anderem folgende Angaben: Schomburg 
und C a m m a c sahen „2 Jahre“ nach Exstirpation eines melanotischen 
Augentumors ein autoptisch bestätigtes Lebermelanosarkom auftreten. 
Fei gl und Querner sprechen bei ihrem Fall 2, dass vor 
„mehreren“ Jahren das rechte Auge entfernt wurde. Quttmann 
beobachtete einen Fall, bei dem „30 Jahre“ nach einer nicht näher 
geklärten Augenerkrankung unter Auftreten positiver Meluitinbefunde 
mit der Oxydationsreaktion schwere allgemeine Krankheitserschei- 
mmgen auftraten. Durch die Sektion wurde in dem geschrumpften 
Auge ein kleines Melanosarkam entdeckt, das zu ausgedehnter Meta¬ 
stasenbildung in Herz, Lunge, Leber und Nieren geführt hatte. 

Die Diagnose konnte im vorliegenden Falle bald durch den 
Melanogennachweis im Urin (Eisenchloridprobe, Thormählen sehe 
Reaktion), die Anamnese, die Systemerkrankung und das bläuliche 
Durchschimmern der Geschwülstchen unter der Haut gestellt und 
durch die histologische Untersuchung erhärtet werden. Während der 
ganzen Beobachtungszert war die T h o r m ä h l e n sehe Reaktion, wie 
auch die Eisenchloridprobe immer positiv. Die Thormähle fi¬ 
sche Reaktion zeigte — abgesehen während der ersten Röntgenbe¬ 
strahlung und des vorausgegangenen Fiebers — stets eine grünliche 
Nuance. Die von Fe i g 1 und* 0 uer ner angegebene Methode zur 
Adsorption der Harnchromogene und des Melanins vermochte die 
grüne Nuance nicht zum Schwinden zu bringen, obwohl das Bolus 
resp. Talkum-Eisessig-Uringemisch in vorgeschriebenem Mengenver¬ 
hältnis bis zu 25 Minuten im Schüttelapparat gebracht wurde. 

Die Indikanreaktion nach J a f f 6 war im frisch gelassenen Urin 
negativ oder leicht positiv (rosa Färbung). Die Diazoreaktion nega¬ 
tiv*). Der Urin enthielt aber immer reichlich Chromogene. Die 
Urinfarbe war dunkelrotbräunlich. 

Im Serum habd ich während; des Optimums der Melanogenaus- 
scheidung nur die Eisenchloridieaktion angestellt. Die erhaltene 
graubraune Verfärbung ist ja nach Teig! und 0 u e r n. e r„ für die 
Anwesenheit von Melanogen charakteristisch. 

Später habe ich wiederholt das Serum mit gleichen Teilen 
25^roz. Trichioressigsäure versetzt und in der scharf auszentri- 
fugierten Flüssigkeit -die Th o r m ä h I e n sehe Reaktion angestellt, 
ohne jemals eine positive Reaktion zu erhalten. Die Thormählen- 
sche Reaktion im Blutserum wurde auch nach Tryptophanbelastung 
nicht positiv. 

»Bei den 3 Belastungen mit Tryptophan von je 3 g zeigte der 
Urin auch mir nach der ersten Tryptopbanverabreichung eine gewisse 
Reaktionsverstäricung; der Patient fieberte aber zu dieser Zelt Morge 
einer Angina. Der negative Ausfall der Belastungsprobe erklärt sich 
vielleicht durch das Fehlen von* grösseren Lebermetastasen, resp. in 
der normalen, Funktionstüchtigkeit der Leber. 

Der Fall II von F e i g 1 und Querner, der eine positive Trypto- 
phanbelastung aufwies, und der hauptsächlich zur Aufstellung der 
Tryptophanbelastungsprobe bei unklarem Reaktionsausfall der T hor- 
m äh len sehen Reaktion führte, hatte autoptisch reichlich Leber¬ 
metastasen. Bei unserem Fall können jedenfalls wesentliche Meta¬ 
stasen in der Leber nicht vorliegen, da die Leber nicht vergrössert 
und nicht druckempfindlich ist, und auch sonst keinerlei; Störungen 
der Leberfunktion mit Ausnahme erner gewissen Herabsetzung der 
Toleranz für Lävulose vorliegen. Es muss also auf Grund unseres 
Falles eine offene Frage bleiben, ob die Tryptophanbelastung nur für 
Lebermetastasierung und zwar ev. für ausgedehnte Metastasierung bei 
Melanosarkom verwertbar ist (wenn eben die Lebergeachwülste eine 
Funktionsstörung der Leber verursachen 4 ). Beim gesunden Men- 


*) Fei g 1 und Querner beobachteten bei einem Fall von Me- 
lanurve eine positive Diazoreaktion, ohne ihr aber vorläufig eine 
diagnostische Bedeutung beizumessen, zumal das von E p p i n g e r 
isolierte Melanogen keine Diazoreaktion ergab. 

•) Eiselt. Bolze; Dresslen Ganghofner und Pri- 
bram (zit. nach Senator), Garrod und Moor he ad u. a. 
halten übrigens dafür, dass das Auftreten der Melaninreaktion an das 
Ergriffenseki der inneren-Organe von der melanotischen Geschwulst- 
bildung an der MJtbeteiHgung der Leber gebunden sei, während 

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sehen fanden Feig 1 und Querner keine Beeinflussung der Trypto¬ 
phanbelastung und unser Fall zeigt, dass auch bei ausgedehnten 
Melanosarkommetastasen ohne wesentliche resp. fehlende Leberbe- 
teiiigung die Tryptophanbelastungsprobe negativ ausfällt. Ich beab¬ 
sichtigte bei anderweitig schwer geschädigten* Lebererkrankungen 
(Zirrhosen und Karzinommetastasen) mit gestörter Funktionsprüfung 
die Tryptophanbelastung zu prüfen, bisher konnte ich aber kein 
Tryptophan erhalten. 

Von Interesse ist entschieden die Verstärkung der Melanogen- 
reaktionen im Urin lEisenchloridprobe (3proz. Lösung) und Thor¬ 
mählen sehe Reaktion (im sauren Endstadium tiefdunkelblaue Fär¬ 
bung)], ferner das stärkere Nachdunkeln des Urins zur Zeit der Ein¬ 
schmelzung des Tumors der linken Lunge (eines wahrscheinlichen 
Pleuratumors) unter der Röntgenbestrahlung. Theoretisch Hesse sich 
ja dieser Vorgang nach den Darlegungen von Ganghofner und 
Pribram u. a. -und den Experimenten von Miura, Senator, 
W ad sack und Kob er t durch eine intermediäre Reduktion des 
resorbierten Melanins ganz zwanglos erklären, wenn nicht etwa die 
starke Fiebersteigerung während der Vorreaktion daran Anteil hat. 
Es ist jedenfalls bei unserem Falle bemerkenswert, dass immer bei 
Fiebersteigerung (Angina, Vorreaktion) eine Verstärkung des Reak¬ 
tionsausfalles der Melanogenproben und auch das intensivere Nach¬ 
dunkeln des Urins auftrat. Bolze beobachtete früher bei einem 
Falle ebenso immer nur zur Zeit einer Fieberbewegung das Auftreten 
von Melanogen im Urin, während Stiller ein periodisches Vor¬ 
kommen der Melaninausscheidung beobachtete, ohne dafür irgend¬ 
welche Erklärung zu finden. Senator sieht hingegen in der An¬ 
wesenheit reichficher Indikanmengem die Ursache lim (der Nach- 
dunkehmg des Urins 5 ). 

Die therapeutische Röntgenbestrahlung der Melanosarkome und 
ihre günstige Beeinflussung ist schon seit längerer Zeit bekannt. 
Beck konnte als erster im Jahre 1901 ein inoperables Melanosarkom 
der Unterschenkelhaut mit Metastasen in den Leistendrüsen zum 
Schwund bringen, Welborn später ein Melanosarkom des Ge¬ 
sichtes (Rundzellensarkom). G o c h t sah nach Enukleation eines 
Auges mit unvollständiger Entfernung des Tumors bei nachfolgender 
Röntgenbestrahlung noch nach 4 Jahren kein Rezidiv auftreten und 
Kienböck beobachtete bei einem Fall von Melanosarkom in der 
linken Kniekehle mit Metastasierung in den Leistendrüsen eine weit¬ 
gehende Besserung. In allen diesen Fällen ist eine starke Radiosensi- 
bilität der Tümoren für Röntgenbestrahlung bemerkenswert. In 
unserem Falle wurde dieselbe aufs neue bestätigt. Bei der ersten 
Bestrahlung deT Drüsenpakete in der Inguinalgegend trat eine ausser¬ 
ordentlich starke Vorreaktion mit schwerem beängstigenden Allge¬ 
meinbefinden mit fast 9 tägiger sehr hoher Fiebersteigerung auf. Man 
muss auf Grund dieser Erfahrung bei der Bestrahlung eines Melano- 
sarkoms besonders bei ausgedehnter Erkrankung sehr vorsichtig zu 
Werke gehen. Die Verkleinerung des grossen, absolut inoperablen 
Tumors und aller sichtbaren Metastase» ist entschieden* ein schöner 
Erfolg der Strahlentherapie, Der bettlägerige, sichere Todeskandidat 
wurde wieder, wenn ütuch nur für vorübergehend, voll arbeitsfähig. 
Dass wir durch die Röntgenbestrahlung bei der ausgedehnten Meta¬ 
stasierung eine Rezidivierung nicht verhindern konnten, steht in 
Analogie zu den Erfahrungen bei anderen durch Röntgenstrahlen 
günstig zu beeinflussenden Neubildungen. Man kann eben leider mir 
die äusserlich wahrnehmbaren und die in den inneren Organen 
diagnostizierbaren Metastasen der Bestrahlung unterwerfen. 

Dass wir ev. mit der Probeexzision die weitere Metastasierung 
begünstigt haben, ist wohl möglich, aber bei -der bald nachfolgenden 
Bestrahlung der Probe exzisionsstelle nach den Erfahrungen* von 
Beck, Gocht und Kienböck nicht sehr wahrscheinlich. Cha- 
1 i e r und B o n n e t warnen allerdings auf Grund einer operierten 
Rektumgeschwulst vor der Operation, da sie bald nach derselben eine 
ausgedehnte Metastasierung auftreten sahen. 

Die den Patienten sehr erheblich belästigenden ischiadischen 
Schmerzen, für deren Ursache klinisch kein direkter Anhaltspunkt ge¬ 
funden wurde, und die auf Antipyretika, Schwitzprozeduren und 
Morphium nur vorübergehend gelindert werden konnten, wurden 
durch Röntgenbestrahlung des Austrittsgebietes des Ischladikus und 
der Leistendrüsen immer für längere Zeit beseitigt. Ob nun eine 
direkte Röntgenwirkung auch auf den schmerzenden Nerven stattge- 


Molnar erst vor kurzem die Melaninreaktion bei ausgedehnter 
Systemerkramkung ohne Lebermetastasen beobachtete. 

5 ) Nach längerem Stehen (1—2 Tage) fand sich auch im Urin 
unseres Falles eine positive Indikanprobe. Die smaragdgrünblaue 
Farblösung des saueren Endstadiums der Thormählen sehen Re¬ 
aktion entfärbte sich meist beim Stehenlassen unter Sedimentierung 
eines feinflockrgen blauen Niederschlages, der in unterster Schicht 
eine körnige Masse (rhombische Kriställchen) von tieferem Blau 
enthielt. Nach Dekantierung der überstehenden Flüssigkeit löste sich 
dfer Niederschlag bei Verdünnung teilweise mit schöner blauer Farbe 
auf, teils aber blieb er ungelöst. Der gelöste Farbbestan-dteil setzte 
sich nach längerem Stehen meist wieder ab. Die beim frischen Urin 
erhaltene Farblösung der Thormählen sehen Reaktion zeigte hin¬ 
gegen bei stundenlangem Zentrifugieren mit hoher Tourenzahl keine 
Andeutung einer Sedimentbildung des Farbstoffes. 

Der Harn unseres Falles muss demnach wohl* reich an tryptophan¬ 
haltigen Produkten sein, die bei längerem Stehen durch bakterielle 
Zersetzung Indol abspalten. 

J* 

Original from 

UN1VERSITY OF CALIFORNIA 



U7S 


Muenchener medizinische wochenschript. 


Nr. 43. 


fimden hat, oder ob etwa ein metastatischer M'ekimosarkomknoten, 
der direkt oder indirekt einen Druck auf den Nerven ausgeübt hat, 
durch die Bestrahlung zum Schwinden gebracht wurde, entzieht sich 
unserer Beurteilung. Die analgetische Wirkung der Röntgenbestrah¬ 
lung bei Nervenschmerzen ist schon seit längerer Zeit bekannt (K i e n- 
b ö c k) und neuerdings wieder durch W i 1 m s für die Trigeminus¬ 
neuralgie empfohlen worden. 

Die beim vorliegenden Falle gemachten Beobachtungen über 
Melanurie, Tryptophanbelastung etc. glaubte ich auch ohne patho¬ 
logisch-anatomische Aufklärung publizieren zu sollen. Besonders 
mitteilenswert schien mir die günstige Einwirkung der Röntgenbe¬ 
strahlung bei dem hoffnungslosen Fall zu sein, zumal grössere mela- 
notische Tumoren innerer Organe mit ausgedehnter Metastasenbildung 
bis jetzt der Strahlentherapie nicht unterzogen worden sind. 

Literatur. 

1. Fei gl und Qu er ne r: D. Arch. f. kl. Med. 123. S. 107. — 
*2. S c h o m b u r g und C a m a c: New York med. journ. 12. Jan. 1907. 
Ref. Zbl. f. inn. Med. 1907. - *3. Outtmann: D.m.W. 1888 Nr. 52. 
Ref. Zbl. f. inn. Med. X. Jhrg. — *4. Eppinger: Biochem. Zschr. 
25. 1910. S. 181. — *5. Garrod: Saint Bartholomews Hospital Re¬ 
ports 38. 1902. — *6. Moor he ad: Dublin Journal of Medical 
Science. 120. 1905. — 7. Molnar: Zschr. f. klin. Med. 78. 1913. 
S. 454. — 8. Ganghüfner und P r i b r a m: Vjschr. f. prakt. Heilk. 
130. 1876. S. 77. — 9. Miura: Virch. Arch. 106. 1887. S. 250. — 
10. Senator: Chariteeannalen 15. 1890. S. 261. — *11. Wad¬ 
sack: Chariteeannalen 30. 1906. S. 127. — *12. Kobert: Wien. 
Kl. 27. 1901. — 13. B o 1 z e: Prager Vjschr. 2. 1860. S. 140. — 14. Stil¬ 
ler: D. Arch. f. kl. Med. 16. 1875. — *15. Chalier und Bon¬ 
net: Revue de Chirurgie 46 und 47. 1912/13. — 16. Beck: M.m.W. 
1901 Nr. 32 S. 1287. — 17. Weib or n: Zit. bei Kienböck: Fortschr. 
d. Röntgenstr. 9. 1906. — 18. Kienböck: Strahlentherapie H. 12. 
Orig. (Bd. 5 H. 2) 1915. — 19. G o c h t: Zit. bei P e t e r s e n: Strahlen¬ 
therapie 3. 1913. S. 498. 

* Nach der Literaturzusammenstellung von Fei gl und Quer- 
n e r (1. c.). _ .. 


Aus dem Vereinsreservespital Nr. 1 in Wien. 

(Kommandant: Generalstabsarzt Cernovicky.) 

Funktionsprüfung der Nervenstümpfe. 

Von Dr. Ludwig Moszkowicz. 

Es braucht wohl keines Beweises, dass bei vollständiger Lei¬ 
tungsunterbrechung eines Nerven durch eine Narbe das Narben¬ 
gewebe ausgiebig ausgeschnitten werden muss und dass ein Erfolg 
nur dann erzielt werden kann, wenn sicher regenerationsfähige Ner¬ 
venteile durch die Naht miteinander vereinigt werden. Ich kam da¬ 
her in einer früheren Arbeit zu dem Schlüsse, dass ein Fortschritt 
in der operativen Behandlung der Kriegsverletzungen der Nerven 
zunächst von einer Methode zu erwarten ist, die uns lehrt, den Ner- 
venquerschnitt auf seine Regenerationsfähigkeit zu beurteilen (im 
zentralen sowohl wie im peripheren Nervenstumpf). Sind doch ge¬ 
rade bei der. Kriegsverletzungen die Nerven oft in viel grösserer Aus¬ 
dehnung entzündlich verändert, als man bei makroskopischer Be¬ 
trachtung annehmen möchte. Ich legte mir die Frage vor, ob nicht 
eine Funktionsprüfung Aufschluss über die Regenerationsfähigkeit 
geben könnte. Eine solche kam zunächst nur für den zentralen 
Stumpf in Betracht, ln diesem sind, wie unsere histologischen Be¬ 
funde lehren, schon eine kurze Strecke oberhalb der Verletzungs¬ 
stelle normale markhaltige Nervenfasern zu sehen. Ihre Funktions¬ 
tüchtigkeit durch eine geänderte Untersuchungsmethode zu erweisen, 
lag immerhin im Bereiche der Möglichkeit. 

Die Untersuchung der operativ blossgelegten Nerven mit dem 
faradischen Strom wird wohl viel geübt, ihr Ergebnis aber nicht 
hoch gewertet. In den meisten Arbeiten sind dieser Untersuchungs¬ 
methode nur wenige Zeilen gewidmet, in der Regel wird mitgeteilt, 
dass man sich ihrer bedient hat, um die Identität der Nerven fest¬ 
zustellen oder um zu ermitteln, ob gewisse Muskeläste bereits ab¬ 
gezweigt wurden oder nicht (Höhendiagnose) [Heile und H e z e 1 *), 
Simons 2 ) u. a.]. 

Marburg und R a n z i *) entscheiden je nach dem Erfolg 
der faradischen Reizung, ob Neurolyse oder Resektion des Nerven 
indiziert ist. Bei der Neurolyse lassen sich viele Chirurgen von 
der faradischen Untersuchungselektrode leiten, unter fortwährender 
Kontrolle mit dem elektrischen Strom werden die funktionstüchtigen 
Fasern aus der Nervennarbe herausgeschält [Hofmeister 1 ), 
Borchardt 5 ) u. a.]. Vielfach herrscht zwar die Ansicht vor, dass 
wie sich Salomon 0 ) ausdrückt, die elektrische Untersuchung mit 
der Reizelektrode nur die vom Kliniker vorher erhobenen Befunde 
bestätigt und keine weitere Klarheit bringt, dagegen finden sehr 


*) Bruns Beitr. z. klin. Chir. 96. S. 304. 
*’) D.m.W. 1916 S. 244. 

3 ) W.kl.W. 1915 S. 611. 

*) Beitr. z. klin. Chir. 96. 

*) Beitr. z. klin. Chir. 97. 
ffl ) Arch. f. klin. Chir. 109. 

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gründliche Untersuchcr wie C a s s i r e r 7 ), dass die elektrische 
Untersuchung des blossgelegten Nerven oft zu anderen Ergebnissen 
führt als die perkutane Untersuchung. Besonders ausführlich be¬ 
richtet über die intraoperative Prüfung des freigelegten Nerven 
R a n s c h b u r g *), der auch die wichtige Tatsache feststellt, dass in 
manchen Fällen, wenn von der zentralen Partie des Nerven durch 
stärkste Ström? weder durch die Nervenhülle noch (nach der Neuro¬ 
lyse) an den blossgelegten Nervenfasern eine Kontraktion im zu¬ 
gehörigen Muskelgebiet auszulösen war, doch eine Reizung der peri¬ 
pher von der Narbe gelegenen Nervenpartien eine Muskelkontraktion 
auslösen kann, nach erfolgter Neurolyse sogar mit relativ schwachen 
Strömen. 

Allen diesen Ergebnissen der Untersuchung blossgelegter Nerven 
mit Induktionsströmen ist das eine gemeinsam, dass nur der positive 
Ausfall der Untersuchung verwertet wird. Fehlt jede faradische 
Erregbarkeit der zugehörigen Muskelgruppe vom Nerven aus, dann 
lässt sich nach allgemeiner Ansicht über die Funktionstüchtigkeit 
der Nervenstümpfe nichts aussagen. 

Und doch kann bei der Untersuchung des zentralen Stumpfes 
eines Nerven, bei dem totale Leitungsunterbrechung in der Richtung 
gegen die peripher gelegenen motorischen Erfolgsorgane festgestellt 
wurde, manchmal einiges über die Fähigkeit des Nerven, in ent¬ 
gegengesetzter Richtung, gegen das Zentrum, zu leiten, aus¬ 
gesagt werden. Bekanntlich leiten die Nerven, wie durch scharf¬ 
sinnig erdachte Versuche von Kühne, Babuchin u. a. und in 
jüngster Zeit von A. Beck nachgewiesen wurde, nach beiden Rich¬ 
tungen. Da wir gewöhnlich an gemischten Nerven operieren, muss 
es möglich sein, sowohl von den im zentralen Nervenstumpf ent¬ 
haltenen sensiblen, als auch von den motorischen Nerven aus Wir¬ 
kungen auszulösen, wenn eine Leitung zu zentral gelegenen Erfolgs¬ 
organen vorhanden ist. Auch T h ö 1 e “) hatte denselben Gedanken, 
hat ihn aber offenbar nicht verwertet. 

Die Reizung eines sensiblen Nerven veranlasst bekanntlich 
allgemeine Abwehrbewegungen, Krämpfe. Es ist mir aufgefallen, 
wie verhältnismässig selten dieser Reflex bei den Operationen der 
Kriegsverletzungen zu beobachten ist, obwohl ich in der Regel die 
Operationen in oberflächlicher Narkose ausführe. Am öftesten be¬ 
obachtete ich diese Abwehrbewegungen bei Reizung von Nerven, 
die schon vor der Operation sehr schmerzhaft waren oder richtige 
Neuralgien erzeugten. Bei diesen sind schon mit ganz schwachen 
Induktionsströmen allgemeine Zuckungen auszulösen. Anderseits 
sah ich mitunter Nerven, die nicht narbig verändert waren, sich 
leicht aus den Narben ausschälen Hessen und prompte Leitung zu 
ihrem peripheren Muskelgebiet zeigten, deren Reizung aber allgemeine 
Zuckungen nicht auslöste. Vielleicht hängt das damit zusammen, 
dass uns die Patienten so oft sehr spät nach der Verletzung zur 
Operation überwiesen werden. Es könnte sein, dass die Reaktions¬ 
fähigkeit der sensiblen Nerven mit der Zeit schwindet und zwar 
schon zu einer Zeit, in der die motorischen Fasern noch zur Peri¬ 
pherie leitend gefunden werden. 

Eine zentripetale Leitung der motorischen Fasern können 
wir in den seltenen Fällen beobachten, in denen nicht allzu weit 
oberhalb^ des zentralen Stumpfendes ein Muskelast abgeht. Dann 
konnte ich wiederholt bei Reizung des zentralen Stumpfendes eine 
Zuckung in dem Muskel auslösen, der von diesem höher oben ab¬ 
gehenden Nervenast versorgt wird (paradoxe Zuckung). 

Ich glaube wohl, dass wir eine solche zentripetale Leitung, ob 
sie nun auf sensiblen oder motorischen Bahnen erfolgt, als Zeichen 
normaler Leitungsfähigkeit des Nervenstumpfes ansehen und daraus 
auf Funktions- und Regenerationsfähigkeit schliessen können. Leider 
ist aber eine solche zentripetale Leitung nur in seltenen Fällen nach¬ 
weisbar, es blieb also die Aufgabe, nach einer Methode zu suchen, 
die in jedem Falle anwendbar wäre. 

Einen Fortschritt brachte folgende Beobachtung: Ich bemerkte 
in seltenen Fällen, dass bei vollständiger Leitungsunterbrechung eines 
Nerven durch eine Narbe bei faradischer Reizung zwar keine 
Zuckung im zugehörigen Muskelgebiet, wohl aber eine Zuckung 
in den der Nervennarbe benachbarten Muskeln, die 
von einem ganz anderen Nerven innerviert werden, ausgelöst werden 
konnte. Dass es sich nicht um eine zufällige Reizung durch Strom- 
Schleifen handeln -konnte, ging schon daraus hervor, dass diese Be¬ 
obachtung bei Anwendung derselben sehr schwachen Ströme, wie 
sie sonst zur Anwendung kamen, erfolgte und dass sie eben nur in 
sehr seltenen Fällen möglich war. Ich konnte mir das Vorkommnis 
anfangs nicht deuten. Es wurde mir erst später klar, als ich zur 
Ueberbrückung von Nervendefekten gestieltes Muskelgewebe ver¬ 
wendet hatte und im Tierversuch nachweisen konnte, dass die aus¬ 
wachsenden Nervenfasern leicht im Muskelgewebe eindringen und 
darin weiterwachsen 10 ). Eine solche Ueberbrückung durch Muskel¬ 
gewebe scheint nur in günstigen Fällen spontan zustande zu 
kommen. Man kann sich leicht vorstellen, dass bei gleichzeitiger 
Verletzung von Muskel und Nerv durch dasselbe Geschoss, wenn 
sich Muskelwunde und Nervenwunde gegenüberstehen, die Be- 


7 ) D.m.W. 1916 S. 209. 

H ) Beitr. z. klin. Chir. 101. 

”) Beitr. z. klin. Chir. 97. S.243. 

10 ) M.m.W. 1917 S. 755. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



22. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1179 


dingungen gegeben sind, dass der Nerv in den Muskel einwächst. 
Unter besonders günstigen Verhältnissen, besonders bei fehlender 
oder milder Infektion könnte in solchen Fällen auch wirklich eine 
spontane Heilung eines Nervendefektes durch Muskelüberbrückung 
zustande kommen, wenn sowohl der zentrale wie der periphere 
Nervenstumpf einen Anschluss an einen benachbarten Muskel ge¬ 
funden haben. 

Bei einem Defekt des Nervus ulnaris am Vorderarm hatte ich 
einen benachbarten Muskelbauch des Flexor digitorum sublimis 
Zur Ueberbrückung des Nervendefektes verwendet, indem ich den 
zentralen und peripheren Nervenstumpf an einen angefrischten 
Muskeleinschnitt nähte. Diese abnorme Verbindung konnte nicht 
dauernd bestehen bleiben, da bei jeder Fingerbeugung Zerrungen 
des Nerven eintreten mosten. So erwuchs mir nach 7 Monaten 
die Aufgabe, diese Verbindung zu lösen, indem ein Teil des Muskels 
vom übrigen Muskel getrennt wurde und nur als Brücke mit den 
Nervenstümpfen in Zusammenhang blieb. Bei dieser Gelegenheit 
konnte ich nun feststellen, dass nicht nur beide Stümpfe mit dem 
Muskel fest verwachsen waren, sondern dass auch vom zentralen 
Stumpf des Ulnaris durch faradische Reizung der mitvernähte 
Muskelbauch des Flexor digitorum sublimis zur Kontraktion gebracht 
werden konnte. Ich will hier nicht auf die Frage eingehen, ob 
unter solchen Umständen ein Nerv in dem ihm fremden Muskel 
Endorgane bildet, hier genügt die Feststellung, dass von dem ein¬ 
wachsenden Nerven aus eine faradische Reizung des angewachsenen 
Muskels möglich ist. So erklärt es sich denn, dass auch bei den 
spontan entstandenen Verwachsungen zwischen Nervenstümpfen und 
benachbartem Muskel eine faradische Reizung des zentralen Nerven¬ 
stumpfes, eine Zuckung des angewachsenen und durchwachsenen 
Muskels zustande kommt. Am öftesten kommt eine solche Ver¬ 
bindung im Sulcus bicipitalis internus zwischen Nervus ulnaris und 
MusculUs triceps zustande, und es ist ein sehr merkwürdiger Anblick, 
wenn nach fast vollkommener Ausschälung des Nerven, wenn nur 
noch die Anheftungssstelle des Nerven am Muskel die einzige Ver¬ 
bindung zwischen beiden darstellt, bei faradischer Reizung des zen¬ 
tralen Stumpfes des Nervus ulnaris eine kräftige Kontraktion des 
Trizeps ausgelöst wird, der vom Nervus radialis innerviert ist. 

In zwei Fällen wurde das in den Muskel einstrahlende Nerven¬ 
ende in Zusammenhang mit dem Muskel reseziert und der histologi¬ 
schen Untersuchung unterzogen. In den nach Weigert gefärbten 
Schnitten fand sich der Muskel von dichten Nervenbündeln durch¬ 
wachsen, was die Uebertragung der elektrischen Erregung vom 
Nervenstumpf auf den durchwachsenen Muskel erklärt. 

Diese Beobachtung war es, die mich auf den Gedanken brachte, 
die Verbindung zwischen dem zentralen Nervenstumpf und Muskel 
während der Operation einfach durch die Naht herzustellen und zu 
untersuchen, ob nicht nach dieser Verbindungsart vom Nerven 
aus eine faradische Reizung des Muskels möglich wäre. 

Ich habe nun seitdem in jedem Falle (bisher an 20 gemischten 
Nerven) den angefrischten Nervenquerschnitt an irgend einem im 
Operationsfelde blossgelegten Muskel durch eine Katgutnaht fixiert 
und untersucht, ob durch faradische Reizung des Nervenstumpfes 
eine Kontraktion des Muskels ausgelöst werden könne. Ich ver¬ 
wendete zur Reizung den Induktionsstrom und zwar den „echten 
faradischen Strom“ eines Dubois-Reymond sehen Schlitten¬ 
apparates, da nach den Mitteilungen B o r u 11 a u s die sinusoidalen 
Wechselströme der Anschlussapparate das Herz schädigen können. 
Der Strom wurde so schwach genommen, dass eben eine Muskel¬ 
zuckung bei direkter Berührung des Muskels mit den beiden Elek¬ 
troden ausgelöst wurde. Das war bei meinem Apparat bei einem 
Rollenabstand von 10—12 cm der Fall, d. h. die Rollen waren noch 
gar nicht übereinander geschoben und der Strom war bei direkter 
Berührung der Ableitungsklemmen an der Sekundärspule eben fühlbar. 
Als Elektroden verwende ich zwei knopfsondenartige Neusilber¬ 
drähte, die an dem einen Ende eine Klemmschraube tragen, an 
welcher die Leitungsschnüre, die zur Sekundärrolle führen, befestigt 
werden. Die Elektroden werden mit den Instrumenten sterilisiert, 
mit den Leitungsschnüren armiert, das Ganze wird mit einem sterilen 
Tuch umwickelt, so dass, nur die Enden der Elektroden vorragen. 
Ich ziehe es vor, jede der Elektroden in- einer Hand zu halten, weil 
auf diese Weise die Distanz der Elektroden bei der Reizung variiert 
werden kann, während sonst meist die beiden Elektroden in einem 
Griff aus Elfenbein vereinigt verwendet werden. Stets wurden beide 
Pole auf den Nerven aufgesetzt. Der Nerv selbst wurde allseitig 
auf eine Strecke von mindestens 4—5 cm frei gemacht und durch 
trockene Gaze von der Umgebung isoliert, in letzter Zeit verwende 
ich als Isoliermaterial Platten aus Zelluloid. Immer wieder muss 
zur Kontrolle festgestellt werden, dass bei Berührung der isolieren¬ 
den Schichten (Gaze, Zelluloid) keine Zuckung im Muskel sichtbar 
wird, womit bewiesen ist, dass nur die den Nerven passierenden 
Ströme und nicht Stromschleifen, die auf anderen Wegen zum 
Muskel gelangen, die Zuckung auslösen. 

Der Muskel hat, wie ersichtlich, die Aufgabe eines Galvano¬ 
meters in ähnlicher Weise wie bei einem bekannten Versuch der 
Physiologen, die ein Nerveiimuskelpräparat durch den Aktionsstrom 
eines anderen Nervenmuskelpräparates reizen lassen (sekundäre 
Zuckung nach M a 11 e u c c i). Kühne 11 ) konnte zeigen, dass ex¬ 
perimentell auch eine Uebertragung der Erregung von Muskel zu 

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Muskel möglich ist. Es gelang ihm, sechs Froschsartorien mit Hilfe 
kleiner Pressen zu einer Kette zu verbinden, in der jeder Reiz sich 
vom ersten zum letzten Sartorius fortpflanzte und auch zurück vom 
letzten zum ersten. In allen Versuchen, die sich mit der sogen, se¬ 
kundären Zuckung befassen, spielt der Muskel die Rolle eines sogen, 
tierischen Rheonoms, dem besondere Empfindlichkeit nachgerühmt 
wird. Dabei erfolgte die Uebertragung der schwachen Aktions¬ 
ströme durch blosse Berührung; in den Versuchen Kühnes wurden 
die Muskeln durch Pressung zur Weiterleitung empfindlich gemacht 
und Kühne hält auch die Umschnürung durch einen Faden für 
genügend, um eine ähnliche Wirkung auf den Muskel zu üben wie 
durch seine kleinen Kompressorien, die den Uebergang der Aktions¬ 
ströme von Muskel zu Muskel vermitteln. 

Meine Untersuchungsmethode hat mit diesen Versuchen zu¬ 
nächst nur das gemein, dass der Muskel als auf den elektrischen 
Strom leicht reagierendes Organ zum Nachweis der stromleitenden 
Fähigkeit des Nervenstumpfes verwendet wird. Er ersetzt also auch 
bei meiner Untersuchungsmethode ein Galvanometer. Die Verbin¬ 
dung zwischen Nervenstumpf und Muskel stelle ich mittels einer 
Katgutnaht her, welche einerseits den Nerven in der Längsrichtung 
fasst, um ihn möglichst wenig zu schädigen, anderseits den Muskel 
quer fasst und dadurch ein wenig einschnürt. Nach Ansicht 
Kühnes wirkt die Pressung auf den' Muskel so ein, dass er für 
elektrische Ströme besonders empfindlich wird. Es ist also viel¬ 
leicht nicht ohne Bedeutung, dass der Muskel durch die Naht leicht 
eingeschnürt wird. 

Es zeigte sich schon bei den ersten Versuchen, dass die neue 
Untersuchungsmethode nicht vom Zufall abhänge, denn die Zuckung 
des mit dem Nervenstumpf vernähten Muskels kam nur unter ge¬ 
wissen Bedingungen zustande. Vor allem zeigte sich, dass die 
Nervennarbe für die Stromleitung ein Hindernis ist. Wenn ein nar¬ 
biger Nervenquerschnitt mit dem Muskel vernäht wird, lässt sich 
vom Nerven aus keine Muskelzuckung auslösen. In vielen Fällen 
konnte erst durch mehrfache Anfrischung des zentralen Nerven¬ 
stumpfes ein Nervenende hergestellt werden, welches den elek¬ 
trischen Strom auf den Muskel übertragen konnte. Zweimal konnte 
ich trotz ausgiebiger Resektion des zentralen Nervenstumpfes nicht 
bis zu reizleitendem Nervengewebe gelangen. Ferner fiel es auf, 
dass ein wesentlicher Unterschied zwischen dem zentralen und peri¬ 
pheren Nervenstumpf besteht, was ja auch zu erwarten war, da der 
zentrale Nervenstumpf oft schon eine ganz kurze Strecke oberhalb 
der Stelle der Verletzung markhaltige Fasern enthält, während der 
periphere Stumpf schon wenige Tage nach der Verletzung degene¬ 
riert ist. Es konnte daher nicht wundernehmen, dass in einer grossen 
Reihe von Fällen vom peripheren Nervenstumpf aus selbst nach 
ausgiebiger Anfrischung und selbst wenn sein Querschnitt deutlichste 
Fasernstruktur zeigte, der angenähte Muskel nicht zur Zuckung 
gebracht werden konnte. Später fand ich, dass in einer kleinen 
Zahl von Fällen der periphere Stumpf gute Leitungsfähigkeit be¬ 
sitzen kann. Dass in diesen Fällen im peripheren Stumpf eine auto¬ 
gene Regeneration von Nervenfasern stattgefunden haben könnte, 
wage ich nicht zu behaupten. Die Fähigkeit zur Leitung des elek¬ 
trischen Stromes könnte ja auch dem peripheren Stumpf eines Nerven 
unter gewissen Umständen erhalten bleiben, selbst wenn er keine 
markhaltigen Nervenfasern enthält. Dagegen konnte ich feststellen, 
dass mit den gleichen Strömen, wie ich sie bei meinen Versuchen 
benützte, von anderen Geweben aus eine Muskelzuckung nicht aus¬ 
gelöst werden konnte. Ich nähte einen Fettlappen, einen Faszien¬ 
lappen an einen Muskel und konnte feststellen, dass keines dieser 
Gewebe den faradischen Strom auf den Muskel überträgt. Ja, auch 
wenn ich zwei Muskelläppchen mit einander vernähte, so konnte 
ich bei der Reizung des einen keine Zuckung des anderen beob¬ 
achten. Besonders wichtig aber ist folgendes: Wenn man einen 
normalen Nerven seitlich an einen neben ihm liegenden Muskel 
näht, so zuckt bei Reizung des Nerven nur sein zugehöriges Muskel¬ 
gebiet, aber nie der mit ihm vernähte Muskel. Das Perineurium 
ist also ein Hindernis, das, wie nicht anders zu erwarten war, nicht 
überwunden wird. Es muss, soll unser neue Untersuchungsmethode 
gelingen, der Nervenquerschnitt mit dem -Muskel vernäht werden. 

Es drängte sich nun die Frage auf, welcher Art der Vorgang 
der Uebertragung der elektrischen Erregung vom Nervenstumpf auf 
den Muskel sei, ob der Nerv einfach als Leiter von Stromschleifen 
fungiere oder ob ein im Nerven selbst erregter Aktionsstrom eine 
Zuckung des Muskels verursache, ob also ein rein physikalisches 
oder ein biologisch-physiologisches Phänomen vorliege. Ich fand 
irr der physiologischen Literatur nichts, was meinem Versuch ähnlich 
wäre. Sind doch die Versuche der Physiologen meist Versuche am 
ausgeschnittenen Kaltblüterpräparat. Versuche am Warmblüter und 
am blossgelegten, im Zusammenhang mit dem Tierkörper gelassenen 
Nerven sind sehr spärlich beschrieben, wohl auch wegen der ausser¬ 
ordentlichen Schwierigkeiten einer einwandfreien Versuchsanordnung. 
Durch alle Arbeiten der Nervenphysiologie zieht sich der immer 
wiederkehrende Einwand, dass Stromschleifen der angewendeten 
Stromquelle und nicht die tierische Elektrizität die beobachteten 
Phänomene ausgelöst haben könnten. Der ganze Apparat der un- 
polarisierbaren. tripolaren Elektroden usw. wurde erfunden, um 


ll ) Zschr. f. Biol. 24. 

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1180 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


HE’43. 


Stromschleifen auszuschalten. Ich musste daher von vornherein den 
Versuch aufgeben, am Kranken zu entscheiden, welcher Art der 
von mir beobachtete Vorgang sei. Immerhin möchte ich noch einige 
zu weiterer Klärung angestellte Versuche mitteilen. 

Ich benützte jede Gelegenheit, auch rein sensible Nerven, Haut¬ 
nerven, wenn sie verletzt waren, auf ihre Leitungsfähigkeit zu unter¬ 
suchen. In der Regel fand ich, dass durch Vermittlung eines sen¬ 
siblen Nervenstumpfes in dem angenähten Muskel gar nichts oder 
kaum ein leichtes Flimmern zu erzielen war. Sehr selten wird eine 
stärkere Zuckung ausgelöst. Doch ist die Zahl der Beobachtungen 
zu gering, als dass ich daraus irgend welche Schlüsse ziehen könnte. 
Es wäre möglich, dass der geringe Querschnitt der Hautnerven eine 
Rolle spielt. 

Bei Gelegenheit von Amputationen wurde das Experiment am 
amputierten Stumpf kurze Zeit nach der Absetzung gemacht. Ich 
konnte nun die' bemerkenswerte Tatsache fesstellen, dass, während 
der Muskel selbst noch lange Zeit durch ganz schwache faradische 
Ströme erregbar bleibt, eine indirekte Erregung von zugehörigen 
Muskel-Nerven aus auch durch starke Ströme nicht möglich ist. 
Auch der Versuch vom quer durchschnittenen Nerven, z. B. vom 
Stumpf eines Ischiadikus aus, der mit einem gut erregbaren Muskel 
vernäht wurde, durch faradische Reizung eine Muskelzuckung aus¬ 
zulösen, misslingt regelmässig. 

Als Ergebnis meiner Versuche möchte ich daher feststellen, 
dass es am Lebenden gelingt, von dem angefrischten zentralen Stumpf 
eines durchschossenen Nerven aus eine sekundäre Zuckung eines 
damit vernähten, normalen Muskels auszulösen. Ich würde raten, 
stets zuerst den narbigen Teil des Nerven mit dem Muskel zu ver¬ 
nähen und bei negativem Ausfall des Versuches allmählich Stücke 
des Nerven zu resezieren, bis eine gut leitungsfähige Partie erreicht 
ist. Es ist mir aufgefallen, dass gute Leitfähigkeit sich mitunter an 
einem Nervenquerschnitt vorfand, der durch sein glasiges Aussehen 
von der normalen Struktur des Nervenquerschnittes erheblich abwich. 

Zur Erklärung des Phänomens genügt die Annahme, dass Strom¬ 
schleifen auf der Bahn des Nerven den Muskel erreichen und zur 
Kontraktion veranlassen. Narben und der degenerierte periphere 
Nerventeil leiten weniger gut, wirken als Widerstand der von den 
angewendeten schwachen Strömen nicht überwunden werden kann. 
Es wäre nun zu untersuchen, ob nicht einfach durch Widerstands¬ 
prüfung die Zone der normalen Leitfähigkeit des Nerven festgestellt 
werden könnte. Namentlich für den peripheren Nervenstumpf käme 
diese 1 Methode in Betracht, während für den zentralen die Anwen¬ 
dung des Muskels als Galvanometer namentlich für den Chirurgen 
das einfachere Verfahren darstellen wird. 

Da die Zahl meiner eigenen Operationen an verletzten Nerven 
nicht gross genug ist, um manche noch unklare Momente aufzuhellen, 
dürfte die Mitteilung der bisherigen, immerhin interessanten Ergeb¬ 
nisse berechtigt sein. 


Aus dem pathologischen Institut des städt. Krankenhauses 
München-Schwabing (Professor Dr. Oberndorfer). 

Zur Syphilisdiagnostik mit Hilfe der Fällungsreaktion 
nach Sachs und Georg!. 

Von Dr. M. Mandelbaum. 

Das Bestreben, die Wassermann sehe Reaktion zu verein¬ 
fachen, hat in letzter Zeit zu bemerkenswerten Resultaten geführt. 
Zwei Verfahren sind es, die Anspruch darauf erheben können, auf 
ihre Brauchbarkeit zur Syphilisdiagnose geprüft zu werden. Es sind 
die Verfahren von M e i n i c k e und von Sachs und G e o r g i. 
Beide Verfahren beruhen auf dem nämlichen Prinzip und zwar suchen 
beffde die Bindung zwischen Globulin und Organextrakt durch Fäl¬ 
lungsmethoden sichtbar zu machen. Me in icke fällt durch destil¬ 
liertes Wasser und löst die unspezifischen Globuilinfällungen durch 
Zusatz von Kochsalzlösung; Sachs und Geor ei dagegen benützen 
die von anderen Autoren bereits festgestellte, die Fällung von Glo¬ 
bulinen begünstigende Kraft von Cholesterin. Die letztere Methode 
ist zweifellos die einfachere. Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn 
Dr. Georg i kam ich in den Besitz von cholesteriniertem Rinder¬ 
herzextrakt, wie er im Frankfurter Institut verwendet wird. Mit 
diesem Extrakte führte ich die Fällungsreaktion bei den mir zur 
Verfügung stehenden Seren durch. In der Versuchsanordnung folgte 
ich genau den Vorschriften von Sachs und Georgi. Gleichzeitig 
setzte ich eine Parallelreihe nach eigener abgeänderter Versuchs¬ 
anordnung an. Da nach meinen Untersuchungen die Fällungsreaktion 
abhängig ist von denselben Globulinen, die die Wassermann- 
sche Reaktion bedingen und da die letztere durch eine von mir an¬ 
gegebene Versuchsanordnung *) wesentlich verfeinert wird, so lag 
für mich der Gedanke nahe, dieselbe Versuchsanordnung auch bei der 
Fällungsreaktion anzuwenden. Ich inaktiviere, wie ich seinerzeit an¬ 
gegeben habe, nicht das VolIseTum. sondern das in- entsprechender 
Weise mit physiologischer 'Kochsalzlösung verdünnte Serum. Meine 
Technik war daher folgende: 

3 Tropfen eines frischen, nicht inaktivierten Serums werden 
mit 1 ccm K ochsalzlösung versetzt und inaktiviert, d. h. % Stunde 

*) M.m.W. 1918 Nr. 11. 


bei 56° im Wasserbad gehalten. Hierzu kommt 0^5 ccm des 6 fach 
verdünnten cholesterinierten Rmderherzextraktes. Die Mischung 
wird sodann, in den Brutofen gestellt, da 2 Stunden stehen lassen 
und dann über Nacht bei Zimmertemperatur gehalten. Parallel zu 
diesen Versuchen wurde jedesmai die von Sachs und Georgi 
angegebene Reaktion nach deren Versuchsanordnung angestellt. Das 
Resultat ist aus beifolgender Tabelle ersichtlich. 


Einlauf 

Nr. 


W.-R. 


S. u. O. 


Elfe. 

Modif. 


Bemerkungen 


1802 

1812 

1813 

1817 

1819 

1821 

1827 

1823 


tm 

++++ 

++++ 


1829 

1838 

1839 
1842 

1851 

1852 
1867 



+ 

t 

+ 

+ 



ti 


Rippenkariet, vor 1 Jahr wegen Lues behandelt. 
Lues latens. 

Luet. Erscheinungen. 

Behandelte Luea. 

Luea II. 

Oo. 

Lues III. 3 Monate nach beendeter Kur. 

Vor 4 Jahren wegen Luea behandelt Am 8. VUI. 

18 W.R. ++-H-. Seither behandelt 
Lues 

Aort tis luica. 

Lues latens. 

Tabes. 

Behandelte progressive Paralyse. 

Mutter e nea Kindes mit f:or(der Lues. 

Seit 1 Jahr mehrfach wegen Lnes behandelt. 


Ich habe in der Tabelle nur die positiven Fälle angeführt, zur 
Untersuchung kamen bisher 102 Seren. Für den Grad der Fällung 
habe ich die Bezeichnung 4- bzw. H—{- gewählt, -f-h bedeutet voll¬ 
kommene Ausflockung nach 24 Stunden- mit vollkommen klarer, 
darüber stehender Flüssigkeit. Diese Reaktion, ist natürlich ohne 
weiteres mit blossem Auge ablesbar. 4- -bedeutet geringere oder 
grössere Ausflockung, ganz gleich, ob -die Flöckchen mit blossem 
Auge oder mit der Lupe, oder i*m hängenden Tropfer mit dem Mikro¬ 
skop wahrnehmbar sind. Ein Agglutinoskop stand mir nicht zur Ver¬ 
fügung; ich benütze zum Anschauen das gewöhnliche Okular 4, das 
man umkehrt und direkt ans Rea-genzrohr anlegt. Hinter das Re¬ 
agenzröhrchen bringt man einen' Finger, den man als Blende be¬ 
nützen kann, so dass die feinen Flöckchen ebenfalls weiss auf dunk¬ 
lem Grunde erscheinen. In irgendwie zweifelhaften Fällen wurde ein 
hängender Tropfen angefertigt und im Mikroskop betrachtet. 

Wie aus der Tabelle ersichtlich, ist die von mir angegebene 
Versuchsanordnung der Originaltechnik weit überlegen. Dies zeigt 
sich schon nach 15—30 Minuten nach dem Ansetzen der Reaktion. 
Stark positive Seren können nach dieser Zeit schon mit blossem 
Auge an der auftretenden Trübung erkannt werden. Ebenso wie die 
Trübung rascher auf tritt, erfolgt auch die Ausflockung in schnellerem 
Tempo und in höherem Grade, so zwar, dass es nach 20 ständigem 
Stehen der Reaktion fast immer möglich ist, das Resultat mit 
blossem Auge abzulesen. Durch meine Versuchsanordmmg sind, wie 
aus der Tabelle hervorgeht, eine Anzahl vofi Seren ohne weiteres 
als positiv zu erkennen, die nach der Originalmethode von Sachs 
und Georgi als negativ zu bezeichnen sind. 

Es erübrigt sich bei der geringen Anzahl der von mir bisher 
untersuchten Seren auf Vergleich zwischen Wassermann und Fäl¬ 
lungsreaktion sowie auf ihre praktische- Verwendungsfähigkeit jetzt 
schon einzugehen. Dies soll später, wenn eine grössere Anzahl von 
Menschenseren untersucht sind, geschehen. 

Hervorheben möchte ich lediglich, dass die positiven Aus¬ 
flockungsreaktionen nach der Methode von Sachs und Georgi 
in 64 Proz., nach meiner Versuchsanordnung in 91 Proz. der Fälle 
mit der positiven Wa s s e r m a naschen Reaktion übereinsfHnmen. 

Durch vorheriges Verdünnen und nachträgliches Inaktivieren 
von Menschenserum wird die für Syphilis charakteristische erhöhte 
Affinität einer bestimmten Globulingruppe zu lipoidhaltigen Extrakten 
besser erhalten als durch Inaktivieren von Vollserum. Dies tritt bei 
der Wa ss e r m a n n sehen Reaktion, in sinnfälligster Weise aber 
gerade bei der Ausflockungsreaktion zutage. Der Vorzug dieser 
meiner Versuchsanordnung besieht bei der Ausflockungsreaktion 
darin, dass das Resultat fast immer mit blassem Auge abgelesen 
werden kann und die positiven Ausschläge häufiger sind, ohne an 
Spezifität einzubüssen. 


Aus der L medizinischen Universitätsklinik der Kgl. Charitee 
(Direktor: Geh. Rat His). 

Das Myxödemherz. 

Von Priv.-Doz. Dr. Hermann Zondek, Assistent der Klinik. 

Ueber den kardiiovaskulären Symptomenkomplex bei Myxödem¬ 
kranken ist in der Literatur nur wenig bekannt. Hinweise auf die 
träge Zirkulation, die leicht auftreterkle Dyspnoe, den kleinen, weichen 
und werrig frequenten Puls, der bis zu 60 und 50 Schlägen in der 
Minute hinuntergehen kann, finden sich unter anderen bei F a 1 t a (Die 
Erkrankungen der Blutdrüsen, 1913). 

Dieser Mangel an ausführlicherer Darstellung ist besonders auf¬ 
fallend in Anbetracht der genauen Kenntnis, die wir vom Basedow- 
und dem sogen, thyreotoxischen Kropjherzen besitzen, dessen 
Beschreibung wir in erster Reihe Fr. Kraus verdanken. 

In letzter Zeit hatte ich Gelegenheit 4 Männer im Alter zwischen 
45 und 55 Jahren mit echtem Myxödem eine Reibe von Monaten zu 
beobachten. Die Kranken gehörten alle ‘dem ArbeitersCande an. 


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w„ 


Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Das Myxödem war unbekannter Aetiologie. Symptomatisch war alles 
vorhanden, was zum klassischen Bilde der Erkrankung gehört: Das 
charakteristische Oedem an Lidern und unteren Extremitäten, 
die verengten Lidspalten, die tatzenförmige Auftreibung der Hände, 
die rauhe, verlangsamte Sprache, der Haarausfall, die trockene, 
schuppige Haut, der teilnahmslose Gesichtsausdruck usw. 

Abgesehen von den oben beschriebenen charakteristischen Puls¬ 
verhältnissen fanden sich nun bei unseren Kranken auch hochgradige 
Veränderungen an den Herzen selbst. Während bei einem der 
Kranken (Röntgenbild 1) nur eine Erweiterung des linken Ven- 
_ trikels mässigen Gra¬ 
des auffiel, nahm diese 
bei den übrigen ganz 
enormen Umfang an. 
Speziell bei A. (Rönt¬ 
genbild 2) war auch 
| das rechte Herz in 
gleichem Sinne ver¬ 
ändert. 

Die Messung der 
Herzgrössen geschah 
nach eigener Me¬ 
thode, die unter be¬ 
sonderer Berücksich¬ 
tigung der konstitutio¬ 
nellen Verhältnisse 
die Beziehungen der 
Herzgrösse zum Tho- 

'• K. Xb i a 918 fe Nr?‘ll 1 )- (M - 

So gemessen betrug bei dem Patienten W. der Thoraxindex 
= 31,4 cm, Transversaldurchmesser des Herzens = 13,4 cm, die Nor¬ 
malmasse für Tr. schwankten bei dem genannten Thoraxindex zwi¬ 
schen 12,1 und 12,8 cm, die Herzlänge betrug 15 cm. 

Bei dem Patienten H.: Thoraxindex = 34,0 cm, Transversal- 
duTchmesser = 16,0, Normalmasse für Tr. zwischen 12,6 cm und 
13,5 cm, Herzlänge = 17 cm. 

Bei dem Patienten A (Röntgenbild 2) Thoraxindex 
= 32,1, Transversaldurchmesser = 19,7 cm, Normalmasse für Tr. 
zwischen 12,1 und 12,9 cm, Herzlänge = 19 cm. 

Die Masse sind Fernaufnahmen entnommen, die stets unter 
der gleichen Bedingung (genaue Zentrierung auf den Dornfortsatz 
des 3. Brustwirbels) hergestellt waren. Dabei stellte, vor dem 
Schirm betrachtet, das Herz im ganzen eine ausdrucks- und leblose 
Masse dar mit verwaschenen Konturen und auffallend geringer Aus¬ 
giebigkeit der Aktion. 

Da es zweifelhaft schien, ob diese hochgradigen Erweiterungen 
in Wirklichkeit als Ausdruck der myxödematösen Erkrankung auf¬ 
zufassen seien, war es von Interesse, den etwaigen Einfluss der 
Thyreoidindarreichung auf das Herz zu verfolgen. In der Tat trat der 
Erfolg derTherapie gerade am Herzen in höchst eklatanterWeise zutage. 


E 

\ 


Die Frage, wie dieser höchst merkwürdige Einfluss des Thyreoi¬ 
ditis zustande kommt, ist schwer zu beantworten. Zunächst muss an¬ 
genommen werden, dass am Herzen von vornherein eine Dilatation 
und keine Hypertrophie vorlag. Ehe Herzverkleinerung ist kaum 
anders als auf dem Weg einer Tonussteigerung zu denken. Aller¬ 
dings kann dies nicht durch eine stärkere Tonisierung des N. vagus 
geschehen sein, denn die Pulsfrequenz nahm unter dem Einfluss des 
Thyreoidins nicht ab, sondern zu. Am wahrscheinlichsten ist mir, 
dass der Angriffspunkt des Thyreoidins im Herzmuskel selbst liegt. 
Dieses Verhalten würde eine Analogie zur Skelettmuskulatur dar¬ 
stellen. Konnte doch Kramer bei den gleichen Fällen nachweisen. 
dass die Aenderung in dem eigenartig verlangsamten Reflexablauf 
unter der Thyreoidindarreichung nicht durch Beeinflussung der Ner¬ 
ven sondern des Muskels zustande komme. 

Der Blutdruck bewegte sich bei allen 4 Kranken vor und wäh¬ 
rend der Behandlung immer auf normaler Höhe (100—120 mm Hg 
Maximaldruck). 

Nun das Elektrokardiogramm 1 ): In der Literatur ist dar¬ 
über nichts bekannt. Bei unseren 4 Kranken war es übereinstimmend 
in eigenartiger Weise verändert. Die Vorhofszacke fehlte ganz, die 
Terminalschwankung war nur eben* angedeutet: Kurve 1. 


Dieses Verhalten ist wohl als Ausdruck dafür zu verstehen, dass 
weder Vorhöfe noch Ventrikel genug Stosskraft besitzen, damit ihr 
Aktionsstrom den normalen, graphischen Ausdruck findet. Schon bei 
der Durchleuchtung ist ja der Eindruck der wenig ausgiebigen Herz¬ 
kontraktion — wie bereits oben gesagt — sehr in die Augen fallend. 
Dies vor der Behandlung. 4 Wochen nach Beginn derselben: Kurve 2. 


Die Vorhofserhebung beginnt sich eben wieder zu zeigen, die 
Terminalschwankung ist ebenfalls deutlicher geworden, wobei die 
negative Phase derselben stärker hervortritt. Dieser leztere Umstand 
soll erfahrungsgemäss auf ein zeitliches oder dynamisches Ueber- 
wiegen des rechten Ventrikels zurückzuführen sein. 

Nach 8 Wochen: Kurve 3. 


Das Kardiogramm entspricht wieder ganz der Norm, und 
dies zu der gleichen Zeit, da — wie oben erwähnt — das Herz selbst 
die normale Grösse erlangt hat. 









Röntgenbild 2. Vor der Behandlung. 


Röntgenbild 3. 4 Wochen nach Beginn der Behandlung 


Röntgenbild 4. 8 Wochen.nach.Beglnn der Behandle 


4 Wochen nach Beginn derselben ist bei allen 4 Kranken eine 
deutliche Verkleinerung der Herzsilhouette feststellbar. 

Am meisten sinnfällig liegen die Verhältnisse bei dem Kran¬ 
ke n A (Röntgenbild 2) mit dem am stärksten vergrösserten Herzen. 
Hier beträgt die Verkleinerung, die sich etwa gleichmässig auf alle 
Herzteile bezieht, nach 4 Wochen im Transversaldurchm>esser an der 
Fernaufnahme gemessen bereits 2 cm (von 19,7 auf 17,8), die Herz¬ 
länge ging von 19 auf 18 cm zurück. Dabei tritt eine deutliche Zeich¬ 
nung der Konturen und eine lebhaftere Aktion zutage. 

8 Wochen nach Beginn der Therapie finden wir eine weitere 
Verkleinerung etwa um ein Drittel der ursprünglichen Grösse (Tr. 
von 19,7 auf 14,0), so dass die Silhouette fast dem Normalmass 
gleichkommt, das den individuellen Verhältnissen bei dem Kranken 
entspricht. (Siehe Röntgenbild 2, 3 u. 4 des Pat. A.) Zugleich hatte 
auch die Lebhaftigkeit des Aktionstyps weiter zugenommen. Wie der 
Gesichtsausdruck des Kranken, so hatte auch das Herz gewisser- 
inassen Physiognomie erhalten. 

Die entsprechenden Veränderungen waren auch an den Herzen 
der drei anderen Kranken vorsichgegangen. 


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In einem Falle von typischem Myxödem bei einem 10 jährigen 
Kinde verhielt sich die kardiographische Kurve: 

vor der Behandlung: 


nach zweimonatlicher Behandlung: 


l ) Die Aufnahmen sind sämtlich in Abteilung I vorgenommen. 

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1182 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 43. 


Besonders die auffallend hohe T-Zacke erinnert in diesem Falle 
an die Herzen der Basedowkranken, bei welchen A. Hoff mann 
gerade auf diesen Umstand hinweist. 

Diese Verhältnisse dürften meines Erachtens ein besonderes Inter¬ 
esse bieten, und zwar nicht nur ein spezielles, sondern darüber hinaus 
auch ein allgemeines. Ein spezielles insofern, als sie auf recht eigen¬ 
artige und merkwürdige -Beziehungen deuten, die zwischen dem 
Athyi eöidismus einerseits und dem Herzmechanrsmus andererseits 
besteben und weiterer Klärung bedürfen. 

Darüber hinaus ein Allgemeines: Die Frage der Rückbildungs- 
fähigkeit eines dilatierten Herzens dürfte zurzeit durchaus noch nicht 
für alle Fälle geklärt sein. Bei den erweiterten Infanteristenh'erzen 
der Kriegsteilnehmer beispielsweise gehören Verkleinerungen der 
Herzsilhouette — wie ich glaube — zu den grössten Seltenheiten. 
Nur Sn Fällen von paroxysmaler Tachykardie mit Herzvergrösserung 
habe ich in anfalisfreien Zeiten ein stärkeres Zurückgehen der Herz- 
dilatation, besonders des rechten Vorhofs, gesehen, wenn auch nicht 
annähernd in dem Grade wie bei den geschilderten Myxödemherzen. 
Die hochgradige Verkleinerung der Myxödemherzen nach Thyreoidin- 
darreichun-g scheint etwas durchaus Spezifisches zu sein, be¬ 
sonders da das Thyreoidin bei einer Reihe durch Muskelaffekt km 
Klappenfehler stark erweiterter Herzen ohne jeden Einfluss auf 
die Herzgrösse blieb. 

Zusammenfassend lässt sich sagen: 

Das Myxödemherz charakterisiert sich: 

Vor der Behandlung der Kranken mit Thyreoidin: 

1. Durch eine Dilatation des linken und auch des rechten Herzens, 
die sehr hochgradig sein kann. 

2. Durch träge Herzaktion, Puls Verlangsamung, normalen Blut¬ 
druck. 

3. Durch Fehlen* von Vorhofszacke und Terminalschwankung im 
Elektrokardiogramm. 

Nach der Behandlung mit Thyreoidin: 

1. Durch Zurückgehen der hochgradigen Herzvergrösserung bis 
zu etwa normalen Verhältnissen. 

2. Durch lebhaftere Herzaktion, mässige Steigerung der Puls¬ 
zahl. Keine Aenderung in der Höhe des Blutdruckes. 

3. Durch allmähliches W-iedererscheinen von Vorhofs- und Ter¬ 
minalzacke im Elektrokardiogramm in der Art, dass zunächst die 
negative Phase der Terminalschwankung stärker hervortritt als 
Zeichen eines zeitlichen oder dynamischen Uebcrwiegens des rechten 
Ventrikels. Dabei kann es allmählich zu einem abnorm hohen Anstieg 
von P- und T-Zacke kommen. 


Aus dem Festungslazarett XIV Köln. 

Zur Behandlung von Typhusbazillenträgern mit Cystin¬ 
quecksilber und Cystinal nach Stüber. 

(Vorläufige Mitteilung.) 

Von Prof. Dr. E. Küster und H. Wolff, Assistent am 
Hygienischen Institut der Akademie Köln. 

Auf die Mitteilung Stübers in der Freiburger medizinischen 
Gesellschaft vom 13. II. 17, dass Cystinquecksilber -eine besondere 
Heilwirkung bei Typhusbazillenträgern entfalte, unterzogen wir an 
dem Bazillenträgerlazarett des VIII. Armeekorps verschiedene Queck¬ 
silberpräparate einer eingehenden bakteriologischen und physio¬ 
logischen Prüfung bezüglich ihrer Einwirkung auf die Bazillenherde 
bei Dauerausscheidern. Die ausführliche Veröffentlichung hierüber 
mit Angabe der quantitativen Quecksilberbefunde in Galle und Harn 
soll an anderer Stelle erscheinen. Hier seien nur die bakteriologi¬ 
schen Ergebnisse der Cystin- und Cystinalbehandlung nach Stüber 
vorläufig mitgeteilt, da das Stüber sehe Heilverfahren offenbar be¬ 
sondere Beachtung gefunden hat. 

Im Januar 1918 hatte Herr Stüber die Liebenswürdigkeit, uns 
Cystinquecksiilbertabletten zur Verfügung zu stellen, die bei guter 
Mundpflege in ununterbrochener Kur 3 Wochen lang je eine Tablette 
morgens, mittags und abends kürzere Zeit nach dem Essen, auf den 
vollen Magen gegeben werden sollen. Die Anzahl der gesandten 
Tabletten reichte für 2 Kuren. Es wurden deswegen 2 Bazllleiv- 
träger und zwar 1 Typhusbazillenausscheider und 1 Paratyphus-A- 
Bazillenausscheider in.Kur genommen. 

Pat. 1044, an Typh. abd. vom 28. VII. bis 10. IX. 15 erkrankt; 
im Anschluss chronischer Typhusbazillenausscheider; im Stuhle selten 
(etwa 5. oder 6. Abgabe pos.) Galle (Duodenalsondierung), ziemlich 
regelmässig pos.; gelegentlich Gallenkoliken; Ei weissreaktion der 
Mucin-befreiten Duodenalgalle gering bis mittelstark; goldgelb, 
alkalisch; im Sediment wenig Leukozyten und Epithelien; Agglutina¬ 
tion der Galle gegen Typhus bis 1:20 pos., meist neg. Pat. erhielt 
nach Stübers Vorschrift ab 4.1.18 täglich 3 Zystintabletten bis 

1. II. 18; an diesem Tage ausgesetzt, da stärkere Magenbeschwerden. 
Galle bei Beginn der Kur Spur Ei weissreaktion; am Schlüsse Eiweiss 

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pos. Letzte bakteriologische Untersuchung vor der Kur am 29. XI. 17: 
Stuhl und Duodenalgalle: Typbusbazillen pos. In der Kur: 17.1.18 
Stuhl neg.; 18. I. Galle Typh. pos.; 29. I. Stuhl: Typh. pos. Nach 
der Kur: 2. II. Galle pos.; 4. II. neg.; 7. II. Stuhl pos.; 25. II. Stuhl pos.; 
19. IV. Stuhl und Galle pos.; Erfolg nicht zu verzeichnen. 

Nr. 3555 vom 7. III. 17 bis 17. IV. 17 paratyphus-A-krank; im 
Anschluss Paratyphus-A-Stuhldauerausscheider: ziemlich regelmässig 
in Duodenalgalle und* Stuhl pos. Galle: grüngelb, klar, mittelstarke 
Ei weissreaktion; wenige PlattenepitbeMen und Leukozyten; Aggluti¬ 
nation gegen Tyyhazeen neg. Vor der Kur untersucht und pos.: in 
Galle am 13. XII. 17; im Stuhl am 17. XII. 17; vom 4. I. 18 bis 
7. II. 18 tägl. 3 Zystintabletten; wegen Gingivitis, trotz Zahnpflege, 
vom 14. bis 20. I. unterbrochen: 28 Einnahmetage mit 84 Tabletten. 
In- Kur am 18. I. Stuhl neg.; am 20. I. Galle pos.; 7. II. Stuhl pos. 
Am 9. II. Galle pos.; 10. II. Stuhl pos.; Kut ohne Erfolg. 

Auf die Mitteilung dieses Ergebnisses teilte Herr Stüber mit, 
dass das zugesandte Hg-Präparat Zystein-Hg gewesen sei und einen 
4 mal geringeren Hg-Gehalt hätte als das von ihm früher verwandte 
Zystin-Hg. Er stellte dann in liebenswürdiger Weise im April 1918 
Zystin-Hg-Tabletten zur Verfügung, die wiederum 3 Tabletten täglich 
nach dem Essen, 3 Wochen genommen werden sollten, während 
Mercks Zysti-n-Hg-Ghlorid-Chlornatrium in 5 Tabletten pro Tag, 
4 Wochen Anwendung finden sollte. Das von Stüber nunmehr ge¬ 
sandte Zystin-Hg wurde bei 2 Paratyphus-B-Bazifienträgern, Nr. 4288 
und 4356 gegeben. 

Pat. 4288 machte vom 7. XI. 17 bis 15. II. 18 Paratyphus B durch; 
im Anschluss Paratyphus-B-Bazillenausscheider. Galle bei wieder¬ 
holter Sondierung alkalisch, goldgelb, klar; nach Beseitigung des 
Muzins starke Eiweissreaktion; m Sediment viele Plattenepithelien, 
Leukozyten, Gallenzylinder; keine Cholezystitisanfälle; Agglutination 
der Galle gegen Paratyphus B bis 1:20 pos.: gegenüber den übrigen 
Typhazeen neg. Zuletzt untersucht und pos. im Stuhl am 16. IV.; 
in der Galle am 18. IV. 18. 

Zystinkur vom 3. V. ohne Unterbrechung bis 6. VI. 5 Wochen 
durchgehalten. Pat. erhielt vorschriftsmässig 3 Tabletten, nur an den 
3 Tagen mit Duodenalsondierung, musste die 1. Tablette wegfallen. 
In der Kur Stuhl am 14. und 24.V. neg.; nach der Kur im Stuhl 
kulturell am 6. VI. Paratyphus B, inagglutinabel, ebenso am 13. VI.; 
wohingegen die Galle am 14. V. während der Kur und am 13. VI. nach 
der Kur Paratyphus-B-Bazillen enthielt. Erfolg der Kur neg. 

Pat. 4356 vom 17. XII. 17 bis 10. I. 18 paratyphus-B-krank; im 
Anschluss Paratyphus-B-Stuhlausscheider. Galle stets alkalisch, gold¬ 
gelb, klar, nach Entfernung des Muzins kräftige E-iweissreaktion; Sedi¬ 
ment reichlich Plattenepithelien, einzelne Leukozyten und gelegentlich 
Fettseifennadeln. Agglutination: gegen Paratyphus B wiederholt 
1:10 pos.; gegen die übrigen Typhazeen neg. Die letzten Unter¬ 
suchungen und positiven Befunde in der Galle am 13. IV. 18; hn Stuhl 
am 29. IV. 18. Kur ebenso wie bei 4288. Während der Kur Stuhl am 
14. V. und 24. V. sowie 6. VI. neg.; nach der Kur 13. VI. wieder pos. 
Galle während der Kur: 14. V. und 5. VI. pos.; nach der Kur: 14. VI. 
positiv. 

Nachdem wir von E. Merck Zystinaltabletten (Cystein-Hg- 
chloridchlornatrium) ä 0,5 g erhalten, begannen wir mit einem Typhus-, 
einem Paratyphus-A- und einem Paratyphus-B-Bazillenausschelder 
eine neue Kur. 

Der Typhusbazillenausscheider 1044, hatte bereits vom 4. I. bis 

2. II. 18 eine Zysteinkur ohne Erfolg durchgemacht. Er wurde noch¬ 
mals genommen, weil er die Kur gern mit gemacht hat und ein nach¬ 
teiliger Einfluss der ersten Hg-Kur auf eine zweite energischere Kur 
nicht zu befürchten war. Pat. erhielt vom 11. bis 16. IV. täglich 
3 Tabletten, vom 17. bis 28. IV. täglich 5 Tabletten; vom 29. IV. bis 

3. V. täglich 3 Tabletten. Wir mussten in diesen Tagen mit Tabletten 
sparen, da die neue Sendung noch nicht angekommen war und ein 
vollständiges Unterbrechen der Kur vermieden werden sollte; vom 

4. V. bis 6. VI. täglich wiederum 5 Tabletten. Pat. war während der 
Kur im Stuhl: 19. IV. und 8. V. pos.; nach der Kur: 18. VI. pos.: Galle 
typhusbazillenhaltig während der Kur am 19. und 30. IV. und 23. V. 18. 

Pat. 3817 im Stuhl Paratyphus-A-Bazillen nur ausserordentlich 
selten, ausserdem Malaria tertiana; vom 25. X. bis 28. XI. 17 Para¬ 
typhus A durchgemacht, im Anschluss Bazillenausscheider. Januar 
1918 Choloformkur. Nach dieser in Galle keine Paratyphus-A-Ba¬ 
zillen, während der Stuhl noch weiterhin, vor der Zystinalkur zuletzt 
am 23. III. 18, positiv war. Beginn und Verlauf der Zystinalkur genau 
wie bei 1044 und 4281. Agglutination der Galle für alle Typhazeen 
negativ. Galle stets goldgelb, klar, enthielt eine mässige Anzahl 
Leukozyten und Epithelien, einmal zwei hyalin erscheinende Zylinder: 
Eiweissreaktion nach Entfernung des Muzins mittelstark (Albumin und 
Globulin, keine Albumosen). Während und nach der Kur zunächst 
Stuhl und Galle wiederholt negativ; am 12. IX. 18 Galle wieder 
Paratyphus A positiv. 

Pat. 4281 vom 16. IX. bis 9. X. paratypbus-B-k'ank. Eintritt ins 
Lazarett XIV. 25.111.18; ziemlich regelmässig in Stuhl und Galle 
positiv. Im Sediment der Galle neben Leukozyten, Plattenepithelien 
und gelbliche Körndien von Leuzin und Tyrosin. Nach Beseitigung 
des Muzins Eitveissreaktion stets sehr deutlich; Agglutination gegen 
Paratyphus B 1:20 Grenze, gegenüber anderen Typhazeen negativ. 
Zystinalkur wie bei Nr. 3817 und 1044, Stuhl und Galle vor. in und 
nach der Kur unverändert paratyphus-B-positiv. 

Nach unseren Versuchen versagte demnach das Zystein-Hg in 
2 Fällen (3555 und 1044); doch kam hier ohne unser Verschulden eine 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



22. Oktober 1918. 


MUENcHfiNfift MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1183 


Tagesdosis in Anwendung, die nach Stübers heutiger Stellung¬ 
nahme als zu klein erachtet werden muss. Ferner versagte das 
Zystin-Hg in 2 Fällen (4288 und 4356) bei ausreichender Dosierung; 
die Zystinalkur wirkte in 3 Fällen (1044, 3817 und 4281) nicht. Weitere 
Kuren konnten aus Mangel an Medikamenten nicht gestellt werden. 

Wenn die Zahl unserer Versuche auch klein ist, so gestattet 
doch der Misserfolg den Schluss, dass die grossen Heilerfolge Stü¬ 
bers eine Ausnahme darstetlen. Der Einwand, den Stüber gegen 
die Geiger sehen Versuchspersonen erhoben .hat, nämlich, dass es 
sich um sehr alte Bazillenträger handle, fällt für unsere Patienten 
weg, die wie die Fälle Stübers Militärpersonen sind. Die Eifr- 
nähme der Tabletten fand stets unter Aufsicht statt und wurde ausser¬ 
dem durch fortlaufende quantitative Hg-Bestimmungen in Duodenal¬ 
galle und Harn, wie die spätere Veröffentlichung zeigen wird, sicher- 
gesteHt. 

Wenn wir naturgemäss auch nicht in gleichem Umfange wie bei 
den hier durchgeführten Kuren, über diejenigen Zystdnkuren Bescheid 
geben 'können, die bei uns eintretende Patienten in früheren- Lazaretten 
durchgemacht haben, da sie uns in ihren Einzelheiten nur aus dem 
Krankenblatt bekannt sind, so dürfte ihre Erwähnung an dieser Stelle 
für die Bewertung der Zystin-Hg-Präparate doch wohl von Bedeutung 
sein. 


Zystinquecksilberkuren in auswärtigen La 
z a r e 11 e n. 


Pat. 4880: vom 1.—21. X. 17 paratyphus-B-krank, wurde Para- 
typhus-B-Bazillenausscheider, erhielt Zysteintabletten, täglich 3 Stück, 
vom 1. bas 21. 111. 18; dann nochmals vom 4. bis 16. I-V. 18 Ba¬ 
zillenausscheidung nicht beeinflusst. Kur ausgesetzt wegen Entzün¬ 
dung am Zahnfleisch. 

Pat. 4915: Baratyphus-B-Bazillenausscheider. Er erhielt Zystein¬ 
tabletten, täglich 3 Stück, vom 22. I. bis 14. II. 18. Erfolg wurde 
nicht beobachtet. 

Rat 4906: krank an Paratyphus B vom 10. X. bis 17. XI. 17; 
dann Paratyphus-'B-Stuhlausscheäder, erhielt täglich 3 Zystemtabletten 
vom 1.—11. III. 18; vom 15. V. bis 6. VI. 18 6 Stück. Kur ohne Erfolg. 

Pat. 4879: an Paratyphus B erkrankt vom 29. IX. bis 12. X.; 
hierauf Bazillendaüerausscheider, 3 Zystinaltabletten täglich vom 
1. bis 21. HI. und vom 23. IV. bis 11. V. 18; vom 15. V. -bis 4. VI. täglich 
6 Tabletten. Kur Ohne Erfolg. 

Pat 4870: paratyphus-B-krank im Oktober 1917. Im Anschluss 
Paratyphus-B-Stuhlausscheider; erhielt täglich 6 Zystinaltabletten 
vom 16. V. bis 3. VI. 18. Kur ohne Erfolg. 

Pat. 4877: Paratyphus-B-Erkrankung vom 29. VII. bis 17. IX. 17; 
regelmässiger Ausscheider; erhielt Zystinaltabletten, täglich 3 Stück, 
vom 4. bis 24. XL 17; dann täglich 3 Zysteintabletten vom 22. 1. 
bis 14. 11. 18 ohne Einfluss auf die Baziltenausscheidung. 

Pat. 4884: paratyphus-B-krank vom 17. VIII. bis 17. IX. 17; 
dann Bazillendauerausscheider; erhielt Zystintabletten täglich vom 

1. bis 21. 111. 18 ohne Erfolg. 

Pat. 4885: vom 3. X. bis 9. XI. 17 paratyphus-B-krank; wurde 
Bazillenträger mit regelmässiger Ausscheidung im Stuhl; erhielt vom 

2. bis 26. 111. 18 mit elf tägiger Unterbrechung wegen Zahnfleisch¬ 
entzündung täglich 3 Zystemtabletten; vom 15. V. bis 6. VI. 18 
täglich 6 Zystemtabletten. Erfolg negativ. 

Pat. 4878: krank vom 1. X. bis 10. 'XI. 17 an Paratyphus B; dann 
ziemlich regelmässige Ausscheidung im Stuhl; erhielt vom 15. V. 
bis 25. VI. 18 täglich 3mal 2 Tabletten; wurde wegen beginnender 
Zahnfleischentzündüng ausgesetzt; Kur war auf die Bazillenausschei¬ 


dung ohne Einfluss. 

Pat. 4874: paratyphus-B-krank vom 16. X. bis 9. XI. 17; dann 
Paratyp , hus j B-BaziHenausscheider, in Zystinalkur täglich 3 Tabletten 
vom 1. bis 21. III. 18; in der Kur Aufhören der Bazillenausscheidung; 
nach der Kur wieder regelmässige Ausscheidung. 

Pat. 4873: paratyphus-B-krank vom 18. IX. bis 5. X. 17. Hierauf 
regelmässiger Stuhlausscheider, erhielt täglich 3 Zystinaltabletten 
vom 1. bis 21 111. 18 ohne Einfluss auf die Bazillenausscheidung. 

Pat. 4909: lm September paratyphus-B-krank. Vom 1. bis 
21. III. 18 täglich 3 Zysteimabletten; vom 15. V. bis 7. VI. 18 täglich 
3 mal 2 Zystinaltabletten; ohne Erfolg. 

Pat. 4903: Im September 1917 paratyphus-B-krank; dann regel¬ 
mässiger Stuhlausscheider, vom 1. III. bis 1-IV. 18 mit 11 tägiger 
Unterbrechung täglich 3 Zysteintabletten; weiterhin vom 15. bis 
29. V. 18 täglich 6 Zysteintabletten; ohne Ersolg. 

Pat. 4904: krank vom 24. bis 29. X. 17 an Paratyphus B; dann 
sehr starke regelmässige Ausscheidung; erhielt vom 2. bis 21.111. 
tägHoh 3 Zysteintabtetten, dann vom 4. bis 24. IV. 18 ebeigo und 
vom 15. V. bis 7. VI. 18 täglich 6 Zystinaltabletten; ohne Einfluss 
auf -die Baziltena usscheidung. , _ 

Pat. 4905: krank vom 10. bis 17. IX. 17 an Paratyphus B. Ziem¬ 
lich regelmässiger Stuhlausschedder; vom 4. bis 24. XL 17 täglich 
3 Zystinaltabletten vom 22. bis 31. 1. und vom 4. bis 14. II. 18 täghöh 
3 Zysteintabletten; vom 15. bis 18. V. 18 endlich noch täglich 
6 Zystinalafbletten. Kein Aufhören der Bazillenausscheidung; wenn 
auch eine gewisse Verringerung. 

•Pat 4907: paratyphus-B-krank im Oktober 1917; erhielt vom 
15 V. bis 7. VI. 18 täglich 6 Zystinaltabletten. Ohne Erfolg. 

Pat 4910: paratyphus-B-krank im Juli 1917, dann regelmässiger 
Panatyphus-B- Ausscheider; täglich 3 Zystemtabletten (mit 11 tägiger 


^Digitized by CjC^ 


Unterbrechung wegen Kopfschmerz, Appetitlosigkeit und Zahnfleisch¬ 
entzündung) vom 1. III. bis 1. IV. 18. Ohne Erfolg. 

Nach dem oben gesagten erübrigt es sich, auf diese 17 erfolglos 
behandelten Pat. näher einzugehen, zumal vielleicht an anderer Stelle 
eine ausführliche Veröffentlichung darüber erscheint und sich meiner 
Kenntnis entzieht, wieviele andere Dauerausscheider in diesen Kuren 
gleichzeitig mitbehandelt und ausgeheilt wurden. 

Auf Grund der regelmässigen quantitativ-chemischen Unter¬ 
suchungen von Duodenalgalle und Harn unserer eigenen Patienten 
möchten wir vorläufig folgende Schlussfolgerung ziehen: 

Von den Stüber sehen Zystin-Hg-Präparaten geht die Füh¬ 
rungs-Substanz, das Zystin, fast quantitativ in die Galle über und be¬ 
wirkt eine Anreicherung der Taurocholsäure. Die wirksame Sub¬ 
stanz, das Quecksilber, geht nicht in quantitativ entsprechendem Masse 
in die Galle, sondern wird offenbar als Schwermetall, wie wir auch 
bei Kupfer beobachten konnten, in der Leber. zurückgehalten und 
von dort naoh und nach durch die Galle usw. ausgeschieden. Der 
Quecksilbergehalt der Galle steigt zwar im Laufe der Kuren all¬ 
mählich an (0,4—0,5 mg pro 100) erreicht aber damit keine in Reagenz¬ 
glas oder in vivo bakterizid wirkenden Werte. Zur Erzielung von 
Quecksilbergehalt der Galle bot das teure Zystinquecksiliber gegen¬ 
über anderen billigen, intern anwendbaren Quecksilberpräparaten 
praktisch keinen Vorteil. Die Vermehrung des Gallenflusses, wie sie 
das Zystin in den Zystinquecksilberpräparaten hervorruft, kann man 
ebenfalls billiger bewirken. Wir können unser Urteil dahingehend 
zusammen!assen: die entkeimende Wirkung der Zystinquecksilber¬ 
präparate auf das Gallensystem erscheint noch nicht genügend sicher¬ 
gestellt. Sollte sie durch grössere Dosen oder länger fortgesetzte 
Kuren als wir bei unseren Patienten vorsebriftsgemäss in An¬ 
wendung brachten, zu erreichen sein, so wäre derselbe Erfolg auch 
mit einer Reihe anderer intern bekömmlicher Quecksilberpräparate 
auf billigerem Wege zu erzielen. 


lieber das MallebreYn*). 

Von R. Robert-Rostock. 

Unter MallebreTn versteht man eine von Geh. Regierungs¬ 
rat M a 11 e b r e i n in Karlsruhe eingeführte, mit Namenschutz ver¬ 
sehene 25 proz. Lösung von chlorsaurem Aluminium, dem die Formel 
Al(Oa Cl)a -h 9 Ha O zukommt, das aber in fester Form nicht existenz¬ 
fähig ist. Die Lösung wird von der Firma Krewel & Comp, in Köln 
hergestellt. Auf der Aufschrift jeder Flasche sowie in den Prospekten 
garantiert die Firma ausdrücklich für die chemi¬ 
sche Reinheit des Präparates. In einer Einführungsschrift 
M a l le b r ei n s, die 1912 in der Zeitschrift für Tuberkulose erschien, 
wird behauptet, dass eine wässerige Lösung von chlorsaurem Alu¬ 
minium sich ohne jede Veränderung jahrelang hält. Die Zahl der mir 
unter die Augen gekommenen Veröffentlichungen über dieses Mittel 
beträgt mehr als 20; -fast alle sind durchaus anerkennend 

Die in diesen Schriften aufgestellten Indikationen betreffen 
Krankheiten der Tiere und der Menschen vom Säuglingsalter ab. 
Diese Krankheiten sind -innerliche und äusserliche, bakterielle und 
nichtbakterielle. Auch für gesunde Menschen wird das 
Mallebrel nein dringlich zum täglichen Gebrauche 
in Form von Gur gelungen und Mundausspülungen 
als Prophylaktikum empfohlen. In der Kriegschirurgie 
wird das Mittel bei allen Wunden, besonders bei zerfetzten und in¬ 
fizierten (durch Pyozyaneus, Tetanus, Gasbrand etc.) nicht nur 
zum Wund verband, sondern auch zur Injektion ins 
Gewebewarmempfohlen. 

Auch in einem nichtmedizinischen Blatte, nämlich in der sehr 
verbreiteten Ghemi'kerzeitung, sollte 1917 ein Arti-kei (eines Nicht¬ 
mediziners) erscheinen, der darauf hinauslief, dass jedermann von jetzt 
ab Mallebrein als alltägliches Mundwasser benutzen möge. Die 
Schriftleitung, die Bedenken trug, dies anzuerkennen, wandte sich an 
mich als alten Mitarbeiter dieses Blattes, ich möchte meine Meinung 
über diese Angelegenheit darunter setzen. Ich wies darauf hin, dass 
der Theorie nach dieses Mittel nach der Resorption für das Blut ge¬ 
fährlicher sein müsse als das chlorsaure Kali, da das Atomgewicht 
des Aluminiums kleiner sei als das des Kaliums, und da auf je 
1 Atom Kalium nur 1 CI, auf 1 Atom Al aber 3 CI kommen. Ebenso 
sei die disponible Sauerstoffmenge beim Alunriniumchlorat dreimal 
grösser als beim Kaliumchlorat. Ich sei überhaupt a priori gegen 
die Anwendung aller Chlorate; ich könne diesen meinen Widerspruch 
erst dann fallen lassen, wenn bei eigenen Versuchen an Blut sieh das 
chlorsaure Aluminium als bei den in Betracht kommenden Dosen 
ungiftig herausgestellt haben werde. So wurde ich veranlasst, ver¬ 
gleichende Versuche zwischen chlorsaurem Kali und chlorsaurem 
Aluminium durch einen aus dem Felde beurlaubten jungen Kollegen, 
Herrn Egbert Caesar 1 ), machen zu lassen und habe diese Ver¬ 
suche hinterher teils fortgesetzt, teils nochmals wiederholt, so dass ich 
für das Nachfolgende einstehen kann. 


*) Gekürzt nach einem- in der Rostocker Naturforschergesell¬ 
schaft gehaltenen Vortrage. p J .. 

i) Ueber die Wirkung der Chlorate auf das Blut des Menschen 
und einiger Tierarten. Dissertation. Rostock 1918. Stark verkürzt 
a'bgedruckt in Biochem. Zschr. 89. 1918. S. 1. 

2 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1184 


MÜENCHEMER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 



Die zuerst von J a c o b i - New York betonte Giftigkeit des chlor¬ 
sauren Kalium wurde auf meine Anregung von v. M e r i n g studiert. 
Er hat seine Ergebnisse 1884 in einer vortrefflichen Monographie 
zusammengefasst Das uns hier interessierende Erlgebnis dieser 
Schrift ist, dass bei niederer Temperatur die Einwirkung des chlor- 
sauren Kaliums auf Blut nur sehr schwächest. Bei 37° ist sie schon 
stärker und bei Fiebertemperatur noch viel stärker, namentlich falls 
gleichzeitig Atemnot besteht und Mineralsäurelimonade getrunken 
wird. Diese drei Umstände, Fieber, Atemnot und Mi¬ 
neral säure Hmonaden setzen nämlich die Blut- 
alkaleszenz herab; je mehr diese aber herabge¬ 
setzt wird, desto stärker ist die Methämoglobin- 
bildung. Umgekehrt setzt Darreichung von Alkalien, im Notfälle 
alkalische Kochsalztransfusion, die Gefahr der Metbämoglobinbildung 
herab. Die Grenze der Verdünnung, bei der noch eben Methämo- 
globinbildung durch chlorsaures Kali bewirkt wird, hat v. Mering 
nicht festgestellt. Diese Lücke der Untersuchung füllte ich mit 
Caesar aus, und zwar durch Versuche an verschiedenen Blutarten, 
teils nach Entfernung des Serums ourch Zentrifugieren und Waschen, 
teils nach Auflösung der Blutkörperchen durch Zusatz von destilliertem 
Wasser. Wie zu erwarten war, wirkt die Erhaltung der Blut¬ 
körperchen und die Anwesenheit des Serums schützend auf das 
Hämoglobin. Bei Anwesenheit des Serums und Erhaltung der Blut¬ 
körperchen wirkt chlorsaures Kali ibei Körpertemperatur auf Men¬ 
schenblut (je 2 Tropfen auf 5 ccm isotonische Kochsalzlösung) bei 
1:25000 noch gerade merklich m e th ämo g 1 o b inb il - 
dend, bei Fiebertemperatur aber bet noch stärkerer Verdünnung. 

Auf Grund meiner Erfahrungen und meiner Ver¬ 
suchsergebnisse mit Caesar muss ich mich dahin 
aussprechen, dassdasKalium chloricum viel zu ge¬ 
fährlich ist, als dass es allgemein als Gurgelmittel 
oder als Mittel zum alltäglichen Zähneputzen an¬ 
empfohlen werden könnte. Es kann «in allen Fällen 
durch viel harmlosere Mittel ersetzt werden. Ich 
bin daher ein Gegner der Unnaschen Pebecozahnpaste mit 50 Proz. 
chlorsaurem Kali und der Konkurrenzpaste Kal'iklora. 

Vom chlorsauren Kali unterscheidet sich das chlorsaure 
Aluminium prinzipiell dadurch, dass das Kali bei der Wirkung 
rnässiger Dosen überhaupt nicht in 'Betracht kommt, bei der des 
Mallebrei’ns das Aluminium aber wohl Ich 2 ) habe vor 3 Jahren 
gefunden, dass alle pflanzlichen und mineralischen Gerbstoffe sich 
bei Zusatz zu Blutkörperchen auf der Oberfläche die¬ 
ser Gebilde niedersch lagen, deren Oberfläche dadurch 
klebrig machen und eine Zusammenballung verursachen. Diese Blut¬ 
körperchenballen fallen als siegellackartige rote Klümpchen rasch zu 
Boden und können abfiltriert werden. Das Filtrat ist eine farblose 
Flüssigkeit, während verdünntes Blut ohne Adstringentien unverändert 
durch das Filter geht. Sämtliche Aiuminiumsaize zeigen diese Wir¬ 
kung. Sie erfolgt, berechnet auf Al» Oa bei serumfreien Hammelblut¬ 
körperchen (je 1 Tropfen auf 5 ccm isotonischer Flüssigkeit) noch 
quantitativ 

bei einer Verdünnung von 1: 25 000 für Kalialaun, 

„ „ „ „ 1:100 000 „ Ahrminiumsulfat, 

„ „ „ „ 1:166 667 „ Chromalaun, 

„ „ „ „ 1:166 667 „ chlorsaures Aluminium, 

„ „ „ „ 1:200000 ,. Liquor AluminH aeetici. 

Diese Wirkung wird bei lokaler Applikation des Mall ehre ins 
auf Schleimhäute, z. B. des Halses oder der Vagina, in ganz analoger 
Weise ausgeübt, nur dass hier nicht Blutkörperchen, sondern Schleim¬ 
hautzellen angegerbt werden. So erklärt sich die nützliche Wirkung 
unseres Mittels auf Schleimhäute z. T. schon 'hinreichend, auch wenn 
wir von der Wirkung des Chlors und Sauerstoffs ganz absehen. 
Aber stärker als die der essigsauren Tonerde ist 
die Gerbwirkung der chlorsauren keineswegs. In 
dieser Beziehung gebührt also dem viel billigeren 
essigsauren Salze der Vorzug. 

Es musste jetzt weiter meine Aufgabe sein, die Einwirkung des 
chlorsauren Aluminiums auf das Hämoglobin teils gelöster, teils 
nicht gelöster Blutkörperchen zu studieren. Dies geschah ganz analog 
den Versuchen mit dem chlorsauren Kalium. »Das Serum war teils 
vorhanden, teils entfernt worden. Die Temperatur betrug teils 20 bis 
25 ü , teils 37°. Ais auffallender Unterschied gegenüber den Ver¬ 
suchen mit chlorsaurem Kalium ergab sich, dass die Umwand¬ 
lung von sechs beliebig herausgegriffenen Blut¬ 
arten stets über die Stufe des Methämoglobin 
h i n a u s g i n g, nämlich (bis zur tei’lweisen Bildung von saurem 
Hämatin, d. h. eines tiefgreifenden Spaltungsproduktes des Blut¬ 
farbstoffes, der keine Zurückverwandlung in Hämoglobin verstattet. 
Selbstverständlich war die Wirkung geringer, falls die Suspension 
des Blutes in physiologischer Kochsalzlösung stattfand, als wenn 
durch destilliertes Wasser die Blutkörperchen zerstört worden waren. 
Bei 37° erfolgte noch bei 1:25 000 eine völlige Umwandlung von in 
physiologischer Kochsalzlösung suspendiertem Schweine-, Hunde- und 
Menschenblut. Bei Anwendung von destilliertem Wasser ging die 
Umwandlung des Hämoglobins bei den genannten drei Blutarten noch 
bei einer Verdünnung des Mittels von 1:50 000 völlig vor sich; bei 

*) R. Kobert: Ueber das Verhalten der Adstringentien zu 
roten Blutkörperchen. Nach einem in der Naturforschergesellschaft 
zu Rostock gehaltenen Vorträge. Rostock 1915, Warkentiens Verlag. 


serumfreien gelösten Blutkörperchen des Rindes und des Hammels 
sogar noch bei 1:100 000. Die partielle Umwandlung erfolgte noch 
bei 1:200 000 und darüber hinaus. Das Ma llebrein steht 
also in bezug auf seine Gefährlichkeit für Blut dem 
Chlorsäuren Kalium keineswegs nach, sondern über¬ 
trifft es dadurch, dass die Umwandlung auch bei grosser Verdünnung 
des Giftes über die Stufe des Methämoglobins hinaus bis zur Hämatin- 
bildung geht. Innerliches Eingeben oder gar Einspritzung ins Ge¬ 
webe dürfte also kaum ohne Blutschädigung bleiben können, wofern 
die Dosen nicht minimal gewählt werden. Dass selbst das chlor- 
saure Kali nach innerlichem Eingeben bei Menschen neben Methämo¬ 
globin bi ld ung auch Hämatinbildung im Blute veranlassen kann, hat 
zuerst Fei gl 3 ) in einwandfreier Weise dargetan. 

Zugunsten des Mal leb rein s schien nun zu sprechen, dass seine 
bakterienwidrige Wirkung von mehreren Autoren sehr in den Vorder¬ 
grund gerückt wird. Dass Tonerdesalze an sich nicht antiseptisch 
wirken, wurde durch Versuche mit neutralem, milchsaurem Aluminium 
dargetan, dessen Zusatz zur Milch die Schwärzung des Bleipapiers 
nicht iin mindesten zu hindern vermochte. Versuche mit Mallebreln 
und Milch ergaben «dagegen bei einer Konzentration des chlorsauren 
Aluminiums von 1:44 bis zu 1:550 hinab stets völlige Lahmlegung 
der schwefelwasserstoffbildenden Bakterien, d. h. das Bleipapier blieb 
dauernd weiss. Da aber das Mallebrein ausserordentlich stark lack¬ 
mussauer reagiert, musste der Verdacht auf steigen, dass diese anti¬ 
septische Wirkung schon lediglich durch die saure Reaktion, die schon 
beim Zusatz des Präparates sofort völliges Gerinnen der Milch her¬ 
vorrief, zustande kommen könnte. Tatsächlich ist das Malle¬ 
brein stark verunreinigt durch Anwesenheit freier 
Säuren. Als solche Hessen sich neben freiem Chlor mit aller 
Schärfe Salzsäure und Schwefelsäure nachweisen. 

Wurde die Azidität abgeschwächt, so verlor das Präparat auch 
seine hemmende Einwirkung auf die Entwicklung der Milchbakterien, 
selbst wenn in 10 ccm Miichflüssigkeit 40—50 mg chlorsaures Alu¬ 
minium vorhanden war. Analoge negative Ergebnisse mit anderen 
Mikroben erzielte Wein holzer 1 ) im Kossel sehen hygienischen 
Institute zu Heidelberg. Das Mallebrei'n Iiess bei Versuchen mit 
Bacillus pyocyaneus, mit Streptokokken, Staphylokokken und Diph¬ 
theriebazillen selbst in der Konzentration 1:100 jede entwicklungs¬ 
hemmende, geschweige denn abtötende Wirkung vermissen. Wir 
kommen also zu dem Ergebnis, dass wie chlorsaures Kalium 
und milchsaures Aluminium, so auch chlorsaures 
Aluminium Milchbakterien gegenüber kein Anti¬ 
septikum ist. Die vom Mallebrein vorgetäuschte antiseptische 
Wirkung beruht lediglich auf seiner grossen Azidität. Die Anwesen¬ 
heit freier Säuren erklärt auch die starke Hämatinbildung, welche 
bei den oben besprochenen Blutversuchen wahrzunehmen war. 
Schwächten wir die Azidität ab, so erfolgte wohl reichlich Methämo- 
globinbildung, aber Hämatin trat nur in Spuren auf. 

Ich fühlte mich veranlasst, auf Grund« unserer Versuche Herrn 
Geheimrat Mallebrein, der gar kein Mediziner ist, darauf auf¬ 
merksam zu machen, dass sein Präparat für Verwendung an Menschen 
nicht einwandfrei sei. ln seiner Antwort bezieht sich Herr M. auf 
eine Arbeit des Veterinärs EIJinger, der das Mittel zur Heilung 
und Verhütung von Sepsis angewendet hat. Wenn man bei 10 bis 
15 Zentnern schweren Tieren bis 50 g Mallebrei'n täglich infizierte, 
so werde man proportional beim menschlichen Or¬ 
ganismus bis 5—7 g ebenso unbedenklich zu inji- 
zieren imstande seinunddadurchin gleicher Weise 
Sepsis und Septi'kämie verhüten und heilen können. 

Natürlich habe ich daraufhin die Mitteilung Eli Ingers genau 
studiert, finde darin aber von alledem, was Herr Mallebrein 
hineinlegt, nichts Beweisendes, sondern nur die Angabe, dass El- 
1 i n g e r bei der Vulvitis infectiosa der Rinder post partum in <tie 
stark geschwollenen, blauroten Schamlippen an 5—6 Stellen bis zu 
50 ccm Mallebreln einspritzt. Weiter heisst es dann: „Am nächsten 
und übernächsten Tage wird die Injektion wiederholt und nadh 
weiteren 4 Tagen kann gespalten und die Entfernung der scholl 
vor der Injektion zur Nekrose bestimmten GewebS- 
teile vorgenommen werden.“ Das Mittel bedingt also keine lokale 
Ausheilung, sondern ein Absterben der erkrankten Vulva. Und darauf¬ 
hin soll man unseren verwundeten Kriegern Mallebrein einspritzen! 
Da Herr Mallebrein, wie ich schon betonte, Laie ist, und da er 
ausdrücklich am Schlüsse seines Briefes erklärt, dass er für jede Be¬ 
lehrung und Nachricht, falls er sich irren sollte, von Herzen dankbar 
sein wird, wollen wir ihm seine optimistischen Schlussfolgerungen 
nicht verübeln, aber recht heissen können wir sie nicht. Unsere 
Schlussfolgerung muss vielmehr lauten: Das mit freier Salzsäure 
und Schwefelsäure verunreinigte Handelspräparat Mallebreln darf 
vom Standpunkte der Zahnheilkunde aus nicht nur nicht zum 
alltäglichen Zähneputzen und Mundreinigen verwendet werden, son¬ 
dern es muss geradezu davor gewarnt werden. Vom 
Standpunkte der Kriegschirurgie aus muss es als E i n s p r i t z- 
mittel in der Umgebung von Wunden ebenfalls völ¬ 
lig ab «gelehnt werden: auch zum Wundverband sind säure¬ 
freie Verbandmittel vorzuziehen, ganz abgesehen davon, dass die 
meisten auch viel billiger sind. In diesem Sinne habe ich mich auch 

s ) Joh. Feigl: Biochem. Zschr. 74. 1916. S. 394. 

4 ) Georg Weinholzer: Untersuchungen über das Prophy- 
laktikum Mallebrein. Dissertation. Heidelberg 1914, 


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22. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1185 




Aus der Chirurgischen Klinik der Universität Zürich. 
(Direktor: Prof. Dr. F. Sauerbruch.) 

Das Radioskop. 

Ein neuer Apparat für Röntgendurchleuchtungen und Aufnahmen. 
Von Dr. H. Chaoul, Leiter des Röntgeninstitutes. 


wie ich das sonst prinzipiell tue (s. Plastische Operationen bei Ampu- 
tationsstümpfen und typischen Erfrierungsdefekten in Bruns’ Beitr. 
108. S. 514), so blieb doch der Grundsatz, niemals in solchen Fällen 
zu reamputieren, auf recht erhalten. 

Durch einen besonderen Umstand bot mir 'hier die Mamma die 
gewünschte Hilfe. Die Patientin bekam im Krankenhaus einige 
Monate nach dem Unfall ein gesundes Kind. Infolgedessen waren 
die Mammae, die reichlich Milch absonderten, stark hypertrophiert 
und luden durch ihre starke Prominenz gewissermassen dazu ein, sie 
für den Amputationsstumpf zu benützen. Anstatt einen Lappen zur 
Ueberdeckung zu schneiden, verfolgte ich hier ein anderes Verfahren, 
das ich in der letzten Zeit öfters verwendete und das ich an anderer 
Stelle ausführlich beschreiben werde. Der Stumpf wurde am 
30. März, nachdem die äussere Schichte mit Knochenmesser 
abgeschält und die Hautnarbe fortgeschnitten war, einfach in 
einen grossen tiefen Einschnitt der Mamma hineingesteckt und 
die angefrischten Stumpfhautränder ringsum mit der Schnittwunde 
vernäht, so dass alles geschlossen war, denn der ausgeführte Schnitt 
war in seiner Länge genau dafür berechnet. Abb. 2 zeigt die Patien¬ 
tin mit dem Stumpfe in der Mamma, nachdem der Gipsverband ent¬ 
fernt und die Wunde primär verheilt war. Die 
Haut der Mamma samt etwas Mammagewebe war 
fest an dem Knochen ringsum angewachsen. Kurz 
nach stattgefundener erster Operation hat die Pa¬ 
tientin eine leichte Mastitis durchgemacht, die 
dadurch entstanden war, dass sie ihr Kind nur 
spärlich an jener Seite gestillt hatte, weil es durch 
das Anfassen an den in der Mamma befindlichen 
Knochenstumpf ihr Unbequemlichkeiten bereitete. 
Nachdem ihr der hohe Wert der regelmässigen 
Entleerung der Mamma klargemacht worden war, 
und ausserdem durch künstliche Aussaugung nach¬ 
geholfen wurde, schwanden die Erscheinungen, 
ohne dass sich ein Abszess bildete. Späterhin be¬ 
kam Patientin noch ein Erysipel, wodurch die 
Durchtrennung noch einige Wochen verschoben 
wurde. Schliesslich fand die zweite Operation am 
6. Mai 1918, 37 Tave nach der ersten statt und 
wurde dabei die Haut von ungefähr der ganzen 
unteren Mammahälfte zusammen mit einer dickeren 
Schicht Drüsengewebe mit dem Amputationsstumpf 
weggenommen. Die Vernähung dieses fortge¬ 
führten Lappens reichte aus zur völligen Ueber¬ 
deckung des Knochenstückes. Die in der Mamma 
g.'bliebene Wunde, die Warze lag knapp am 
Wundrande, wurde durch eine Plastik, die ich 
hier nicht ausführlich entwickeln will, derartig 
geschlossen, dass die Testierende Mammahaut und 
der Drüsenrest gleichmässig verteilt wurde über 
die neue kleine Mamma, und zwar derartig, dass 
die Mammilla sich fast wieder in der Mitte auf der 
Spitze befand. Das ästhetische Resultat war in¬ 
sofern befriedigend, als die operierte Mamma viel 
schöner war als die viel zu grosse und schlaffe der 
anderen Seite. Andererseits war natürlich die Ungleichheit doch eine 
wesentliche Störung, welcher aber eventuell später auf Wunsch der 
Patientin, abgeholfen werden kann mittels Verkleinerung der anderen 
Mamma. 

Es sei poch her vor gehoben, dass die Lage, obwohl nicht als 
angenehm zu bezeichnen, doch nicht so unnatürlich und gespannt ist, 
wie man es sich vorstellt. und obwohl die Patientin froh war, als 
sie schLieslich davon erlöst wurde, kann -nur gesagt werden, dass sic 
die Lage sehr geduldig während so langer Zeit ertragen hat. Man 
sieht auch auf dem Bilde, auf welchem der Gipsverband abgenommen 
ist, und kein Druck auf das Bein ausgeübt zu werden braucht, um 
es in der Lage zu halten, dass die Spannung gänzlich' nach¬ 
gelassen hat. 

Die Sache erklärt sich daraus, dass das Hüftgelenk nur einen Teil 
der benötigten Biegung liefert, da die Lendenwirbel, die sich mit 
Leichtigkeit biegen, einen grossen Anteil daran haben. 

Ich will noch erwähnen, dass das auf den Stumpf -transplan¬ 
tierte Driisengewebe noch während ein paar Wochen nach der Durch¬ 
trennung deutlich Milch aus der klaffenden Nahtlinie absonderte. 


der Medizinalabteilung und der Veterinärabteilung des Kriegsmini¬ 
steriums gegenüber ausgesprochen und bei diesen volles Verständnis 
gefunden. 


Verwendung der Mamma für Deckung von Amputations¬ 
stümpfen. 

Von Dr. J. F. S. Esser, Spezialchirurg für plastische Opera¬ 
tionen an der kgl. Chirurg. Klinik von Geheimrat Prof. Bier 
und Augenklinik von Geheimrat Prof. Krückmann. Fach- 
ärztlicher Beirat für plastische Chirurgie beim Gardekorps. 

Patientin Sch., 20 Jahre alt, wurde durch Ueberfahren 
beider Beine beraubt. Die Amputationen fanden beiderseits 
oberhalb des Kniegelenkes statt und die Haut konnte beim rechten 
Stumpfe nicht geschlossen werden, so dass das Resultat nach weiterer 
Verheilung war, dass der rechte Stumpf konisch vernarbte, während 
ausserdem ein 5 enr langer Knochenstumpf herausragte. 


Abb. 1. Abb. 3. 

Ich wurde zu diesem Fall hinzugezogen von der II. chirurgischen 
Abteilung des Virchow-Krankenhauses. und ich danke hierbei vielmals 
dem Chirurgen Herrn Geheimrat Prof. Borchardt für die weitere 
Ueberlassung der Operation und Behandlung. Es ist klar, dass in 


Abb. 2 . 

diesem besonderen Falle es für die Patientin von grosser Wichtigkeit 
war, die ganze Länge beider Stümpfe zu behalten, da eine Reampu- 
tation mit Verkürzung unzweifelhaft wesentlich die zweckent¬ 
sprechende Beherrschung der Prothesen und das Balancieren beim 
Gehen beeinträchtigt hätte. Wenn auch in diesem Falle keine Ge¬ 
legenheit war, die benötigte Haut dem anderen Bein zu entnehmen, 


Zur radiologischen Untersuchung des Duodenums wird in der 
chirurgischen Universitätsklinik zu Zürich seit zirka 1 Jahre eine neue 
Lagerungsvorrichtung verwendet. Dieselbe wurde in der M.mAV. 
beschrieben*). 

*) Chaoul: Die radiologische Untersuchung des Duodenums 
unter Verwendung einer neuen Lagerungsvorrichtung für Aufnahmen 
und Durchleuchtung. M.m.W. Nr. 16 S. 426/428. 


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1186 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 43. 



Es Ist selbstverständlich, dass sich auf die beschriebene Weise 
nicht nur Duodenaluntersuchungen, sondern auch andere Durchleuch¬ 
tungen und Aufnahmen durchführen lassen. Um dieselben in einfacher 
und präziser Weise machen zu können, habe ich den Apparat um¬ 
konstruieren lassen, so dass er nicht nur für Duodenaluntersuchungen, 
sondern auch für alle anderen Manipulationen verwendet werden kann. 
Da in meiner ersten Publikation nur die Lagerungsvorrichtung erster 
Ausführung beschrieben wurde und die gemachten Verbesserungen 
einschneidender Natur sind, gestatte ich mir. das neue Modell in seiner 
heutigen Ausführung nachstehend kurz zu beschreiben. 

Das Radioskop (Fig. 1), das auf den Autfnaihmetisch gelegt wird 
und auf letzterem beliebig verschiebbar ist, besteht aus einer horizon- 


FJg. 2. 


Lagerstatt umgeklappt und bei Horizontallage hochgestellt wird. Auf 
der Grundplatte ist ein auf Achsen (A) von aussen drehbarer Spiegel, 
welcher je nach Stellung der Lagerstatt und Röhre resp. Lage des zu 
durchleuchtenden Körperteiles in die gewünschte Steilung gebracht 
werden kann. Das auf dem Leuchtschirm erzeugte Bild wird in diesem 
Spiegel reflektiert und durch ein in die vordere Stütze eingelassenes 
Guckloch mit einem den Kopfformen gut angepassten Kryptoskop (K) 
betrachtet. Um das Bild auch von weitem betrachten zu können, ist 
das Kryptoskop umklappbar angeordnet. Mit geeigneten Verdunk- 
lungsschiebern kann der Raum zwischen Lagerstatt. Grundplatte und 
Stützen, gleichgültig, ob die Lagerstatt in halbrechter Seitenlage odte 
in Horizontallage verwendet wird, verdunkelt werden, so dass sich 
sämtliche Durchleuchtungen 'im unverdunkelten Röntgenzimmer vor¬ 
nehmen lassen. Der Patient kann nötigenfalls durch zwei Halte- 
gurten (G) mit automatischen Spannschlössern fixiert werden. Um 
den Kopf des Untersuchers vor den hauptsächlich bei Uebersichts- 
durcbleuchtungen mit grosser Blende auftretenden Strahlen zu 
schützen, ist ein geeigneter, auf das Radioskop aufsteckbaier kleiner 
Schutzschirm (Sch) vorgesehen. Der Apparat ist für grösstes Kas¬ 
settenformat 30/40 cm konstruiert. Mit Hilfe eines Einlegerrahmens (R) 
können aber auch kleinere Schirme resp. Kassetten verwendet werden. 


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Durchleuchtung: Aus dem eben Geschilderten geht her¬ 
vor, dass man mit dem Radioskop alle Durchleuchtungen vornehmen 
und sogar auch die üblichen Einrichtungen zur Untertischdurchleuch- 
tung entbehren kann. Bei einem Teil (Extremitäten, Magen in Bauch¬ 
lage, Duodenaluntersuchungen in halbrechter Seitenlage [Fig. 3l) 


Fig 3. 

wird der zu durchleuchtende Körperteil einiach auf das Radioskop 
gelegt. Für andere Durchleuchtungen am liegenden Patienten wird 
eine beliebige Tragbahre mit' Segeltuch Überzug über das Radio- 


Fig. 4. 

skop gestellt (Fig. 4) und letzteres wird unter den zu durchleuchten¬ 
den Körperteil gebracht. Die zuletzt genannte Anordnung ist vor¬ 
zugsweise bei schwer zu transportierenden Patienten 


Fig. 5. 

anzu wenden und eignet sich vorzüglich für Frakturen Unter¬ 
suchungen ev. Repositionen unter Kontrolle im 
Leuchtschirm. Auch Fremdkörperextraktionen un- 

Original fra-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


Fig. 1. 

taten Grundplatte, auf welcher sich vorne eine schrägstehende fixe 
Stütze S befindet. An dieser ist eine in Scharnieren drehbare Vor¬ 
richtung (V) zur Lagerung des Patienten mit entsprechendem Tun¬ 
nel (T) zur Aufnahme des Leuchtschirmes oder der Kassette ange¬ 
bracht. Auf der Rückseite befindet sich ein ebenfalls mittels Schar¬ 
nieren befestigtes Stützbrett (B, Fig. 2), welches bei Schräglage der 

















22. Oktober 191S. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1187 


tcr Leuchtschirm kontrolle können mit dem Radioskop in 
einfacher Weise ausgeiührt werden, and zwar je nach Notwendigkeit 
mit oder ohne Tragbahre. Grosse Vorteile bietet die Möglichkeit, 
dass man in einem hellen Raum operiert. Man orientiert sich 
zuerst genau über den Sitz des Fremdkörpers, dann klappt man das 
Kryptoskop um, stellt den Spiegel in hinten geneigte Schräglage, 
worauf das Bild vom stehenden Operateur, also aus grösserer 
Entfernung, kontrolliert werden kann (Fig. 5). Natürlich wird der 
Raum bei umgeklapptem Kryptoskop durch das ev. durch das Guck¬ 
loch einfallende Tageslicht nicht mehr absolut dunkel sein, wodurch 
das Bild nicht so scharf erscheint, wie wenn man es durch das 
Kryptoskop betrachtet. Es genügt aber zur Orientierung vollständig. 
Wünscht der Operateur ein schärferes Bild, so braucht er nur das 
Kryptoskop hochzuklappen und das Bild zeitweise durch dieses zu 
betrachten. 

Verwendung des Radioskopes für Aufnahmen: 
Für diese Anwendungsweise leistet das Radioskop ähnliche Dienste 
wie der Sucher bei einer photographischen Kamera, 
d. h. jedes im Leuchtschirm fest ge stellte Bild kann 
sofort auigenommen werden, und zwar nimmt man die 
Lagerung des betreffenden Körperteiles und die 
Zentrierung unter Kontrolle im Leuchtschirm im 
vollen Tageslicht vor, ersetzt den Schirm, ohne den Patienten 
oder die Röhre zu bewegen, durch eine Kassette und macht 
sofort die Aufnahme. Wertvolle Dienste leistet diese Methode auch 
dort, wo eine Zentrierung für Tubusaufnahmen 
Schwierigkeiten bereitet, oder wenn man nicht genau 
weiss. wo ein pathologischer Prozess sitzt. 

Die Bestimmung des Härtegrades kann ebenfalls sehr 
einfach vorgenommen werden. Man durchleuchtet den betr. Körper¬ 
teil kurz und überzeugt sich über die Durchdringungsfähigkeit der 
Strahlen. Hier sei bemerkt, dass ein schönes Durchleuchtungsbild 
keineswegs eine schöne Aufnahme bedeutet. Man muss stets darauf 
achten, dass eine photographische Platte bedeutend empfindlicher ist, 
als der Leuchtschirm. und dass somit für Aufnahmen weichere Strahlen 
verwendet werden müssen, als für Durchleuchtung. Aus diesem 
Grunde müssen z. B. Knochen im Leuchtschirm nicht durchsichtig er¬ 
scheinen. sondern schwarze Schatten erzeugen! Bei einiger Uebung 
gelingt es in allen Fällen das Gewünschte zu erreichen! Nötigen¬ 
falls überzeugt man sich, indem man eine der gebräuchlichsten Härte¬ 
skalen auf die Lagerstatt legt, von der Härte der Röhre. 

Zusammenfassung. 

1. Das Radioskop 2 ) ist ein Apparat, welcher erlaubt, Durch¬ 
leuchtungen von jedem Körperteil, sowie auch am liegenden Patienten 
ohne Verwendung einer Untertischröhreneinrichtung in einfacher 
Weise vorzunehmen. Man benötigt kein spezielles Stativ kein ver¬ 
dunkeltes Zimmer und vor allem keine speziellen Schutzmittel, da 
sich der Operateur stets seitlich vom Strahlenkegel 
befindet und ausserdem vor den cv. noch auftretenden Strahlen durch 
einen Bleischiirm geschützt ist. 

2. Dadurch, dass man. nachdem man die Durchdringungs¬ 
fähigkeit der Strahlen im Leuchtschirm festge¬ 
stellt hat und ohne den Patienten oder die Röhre 
zu bewegen, de n Leucht schirm durch e i n e K a sTs e 11 e 
ersetzen kann, ist es möglich, den betreffenden Körperteil in der 
durch die Durchleuchtung erwiesenen günstigsten Lage oder Zen¬ 
trierung auf der Platte zu fixieren. Dadurch fallen Versuchs- und 
Uebersichtsaufnahmen weg, was naturgemäss eine grosse Platten¬ 
ersparnis bedeutet. Auf die gleiche Weise werden auch die Duo¬ 
denaldurchleuchtungen und Aufnahmen in halbrechter 
Seitenlage vorgenommen. 


Aus dem Reservelazarett Städtisches Krankenhaus Offenburg. 

Ueber vereinfachtes Extensionsverfahren der Ober¬ 
schenkelbrüche und Oberschenkelschussbrüche. 

Von Dr. Arthur Hofmann, Facharzt für Chirurgie. 

Vor etwa 10 Jahren gab ich eine Methode an, die Längsextension 
in Querextension umzusetzen. Das Verfahren eignete sich für alle 
Extensionsarten der unteren Extremitäten und gestattet mit ein¬ 
fachstem Material, bestehend aus Schnüren, Fadenrollen sowie Heft¬ 
pflasterrollen und behelfsmässig hergestellten Holzteilen genügende 
Extension zu erzielen. 

Seitdem nun Zuppjnger auf die Wichtigkeit der Halbbeuge¬ 
stellung der Gelenke aufmerksam gemacht hat, entstand eine Reihe 
Extensionsverfahren für den Oberschenkel, bei welchen das Knie 
nicht mehr gestreckt extendiert wurde. 


2 ) Die technische Ausführung des Modells wurde nach meinen 
Angaben von Herrn Ingenieur Reif der Firma Reiniger, Gebbert & 
Schall A.-G. besorgt. Genannte Firma bat auch die Fabrikation des 
Apparates übernommen. 

Nr. 4L 

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Eine weitere Vervollkommnung bedeutete das Ansin rische 
Verfahren, welches dem Kniegelenk freie Beweglichkeit während der 
Extension sicherte. 

Während nun das von mir ursprünglich angegebene Verfahren 
die alte Extensionsart bei gestrecktem Kniegelenk betraf, so habe ich 
eine Modifikation ausgearbeitet, welche den Zuppinger sehen 
und Ansin n sehen Forderungen gerecht zu werden sucht und sich 
an das ursprüngliche von mir angegebene Verfahren anlehnt. Es 
betrifft den Extensionsverband bei Oberschenkelfrakturen und Ober¬ 
schenkelschussfrakturen. 

Die Methode ist durch das beigegebene Bild veranschaulicht. 

Die am unteren Bettende angebrachten Schnüre a laufen durch 
die Ringschrauben b des Spreizbrettes c nach beiden Seiten des Bett¬ 
randes zu über die Fadenrollen d. Diese laufen in einer gedoppelten 
Schnur e, welche durch ein eingestecktes Holzstück f nach Art* der 
Spannvorrichtung einer Säge straff gespannt ist. 



Der so nach beiden entgegengesetzten Seiten durch das ange¬ 
hängte Gewicht g ausgeübte Zug hat eine nach abwärts gerichtete 
Extension zur Folge. 

Ich verwende nun meistens bei Oberschenkelfrakturen den 
Steinmann sehen Nagel oder T a v e I sehen Schraubenbügel. 

Von letzterem geht nun ein Draht m um das Spreizbrett herum 
und vermittelt so den Zug nach abwärts. Der Oberschenkel ruht 
auf einem Keilkissen k, der Unterschenkel liegt in einer Volkmann¬ 
schiene. Auf diese Art wird die Entspannungslage durch ein Planum 
inclinatum duplex gewährleistet. 

Das Kniegelenk kann nun gestreckt werden durch eine Zug- 
vorrichtung, die der Verletzte selbst bedient. 

An einer Galgenvorrichtung ist eine feste Rolle h angebracht, 
von der eine Schnur nach Art des Flaschenzuges nach der beweg¬ 
lichen Rolle i führt, die am Sohlenteil der Volkmannschiene durch 
eine Schnur angebracht ist. Zieht nun der Verletzte an der Schnur, 
so kann er mit ziemlich geringer Kraftanstrengung seinen Fuss heben 
und das Knie strecken. Als Rollen für diesen Flaschenzug verwendet 
man am besten Heftpflasterrollen (Leukoplastrollen), welche ver¬ 
möge ihrer hohen Seitenteile ein Abgleiten der Schnur nach der 
Seite verhindern. 

Das vorstehende Verfahren wende ich vornehmlich verbunden 
mit der Nagelextension an. Man kann jedoch damit auch die Heft¬ 
pflasterextension oder die Methode nach Hennequin verbinden. 

Eine Extension des Unterschenkels vermeide ich, einmal wegen 
der damit verbundenen Dehnung der Bänder und Gelenkkapsel, dann 
aber auch deshalb, weil der Zug bei der Nagelextension am Ober¬ 
schenkel allein völlig genügt. Auch hat der Verletzte beim Strecken 
des Knies leichtere Arbeit. 

Die vorliegende Methode gestattet also freie selbsttätige Beweg¬ 
lichkeit des Kniegelenks bei wirksamer Extension des Oberschenkels. 
Auf die Bewegung des Hüftgelenkes lege ich. solange noch keine 
Konsolidation erfolgt ist, keinen grossen Wert. 

Die Methode ist mit einfachen Hilfsmitteln durchzuführen; ich 
empfehle sie zur Nachprüfung. 

Literatur. 

Beitr. z. klin. Chir. 59. H. 2. — M.mAV. 1906 Nr. 6 u. 1907 Nr. 34. 


Original frorri 

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ms 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 43. 


Oie Sehrtsche Klemme auf dem Hauptverbandplatz. 

Von Oberarzt d. L. Dr. W. Pohl, 
leitender Arzt des Johanniter-Krankenhauses in Dirschau. 

Wieviel Unmut und Aerger, wieviel Zeitverlust und nicht zum 
wenigsten wieviel unnötiges Herumhantieren, Schmerzbereiten und 
leider auch Schädigungen am Patienten erlebt der Chirurg beim 
Anlegen der elastischen Binde, wenn dies von ungeübten Händen 
geschieht! 

Seit einiger Zeit benutzen wir aut unserem Hauptverbandplatz 
die Sehrtsche Klemme. Wir sind damit so zufrieden, dass wir 
es für angezeigt halten, mal wieder auf die Vorzüge dieser Klemme 
im Operationsbetrieb hinzuweisen. Difc 
Sehrt sehe Klemme zur Blutleere der 
Extremitäten hat ihren Vorläufer in der 
Q a u s s sehen Pelottenklemme zur Kom¬ 
pression der Aorta nach Momburg. Es 
gibt eine Klemme für den Arm und eine 
für das Bein. Sie unterscheiden sich durch 
ihre Grösse. Beide bestehen aus zwei 
gebogenen Armen aus Eisen, mit Gummi 
überzogen, die um das betreffende Glied 
geschoben und nun durch eine Flügel- 
schraube fest angezogen werden. Vorher, 
nach der Sehrtschen Vorschrift, soll 
die betreffende Körperstelle gepolstert werden. Die Klemmen sind 
durch das Sanitätsdepot zu erhalten. 

Wir haben die Klemme jetzt bei über 150 Operationen (Ampu¬ 
tation, Unterbindung, Gefässnaht, Sehnennaht usw.) ausprobiert und 
waren stets mit ihrer Wirkung zufrieden. Schädigungen (Druck der 
Nerven oder der Gefässwand) haben wir nicht beobachtet, trotzdem 
die Klemme in letzter Zeit ohne die Polsterung angelegt wurde. 
Wird eine Polsterung vorgenommen, benutzt man dazu am besten 
eine schon vorher bereit gehaltene „Wurst“ aus grauer Watte, in 
eine breite Binde eingenäht. Diese wird um die Extremität ge¬ 
schoben, darüber die Klemme gelegt und jetzt diese angezogen. Aber 
auch ohne Polsterung kommt man gut aus, was sehr wichtig und 
angenehm ist, wenn die Operationsstellc nahe am Rumpf gelegen ist 
und die sterilisierte Klemme innerhalb des aseptischen Operations¬ 
bezirkes liegt. 

Die Vorzüge der Klemme gegenüber der elastischen Binde sind 
nach unseren Erfahrungen folgende: 

1. Die Klemme kann auch ein „n i c h t geübter 
Assistent“ unter etwas Aufsicht schonend, schnell 
und sicher wirkend an legen. Und jetzt im Kriege muss 
man bei stärkerem Andrang von Verwundeten, und wenn dazu gerade 
Abkommandierungen, Wechsel der Sanitätsoffiziere und Mannschaften 
kommt, oft von nicht „Geübten“ diese Hilfsleistung verlangen. 

2. Das Hinund herbe wegen und Zerren am ver¬ 
letzten Glied, das beim Anlegen der elastischen 
Binde nötig ist, fällt fort. Die Klemme wird um die Ex¬ 
tremität geschoben, ohne dieselbe in ihrer augenblicklichen Lage zu 
verändern. Dieses Verfahren ist gegenüber der elastischen Binde 
ausserordentlich schonend. Und gerade mit Rücksicht auf dieses 
schnelle und schonende Anlegen haben wir in letzter Zeit auf die 
vorherige Polsterung verzichtet. Wie schon gesagt, haben wir nie¬ 
mals einen Nachteil davon gesehen. 

3. Ist die B 1 u 11 e err e n ii c li t sofort v o 11 k o m m e n, 
so genügt ein einfaches weiteres Anziehen der 
Schraube, um vollkommene Anämie zu erreichen. 
Wenn eine Binde nicht fest genug liegt, muss sie erst abgcwickelt 
werden und die ganzen Manipulationen müssen von vorne beginnen. 
Wie unangenehm das ist, wenn vielleicht schon das Operationsfeld 
abgedeckt und das Glied richtig gelagert ist, wenn vielleicht schon 
der erste Schnitt gemacht worden ist. weiss Jeder, der gezwungen 
ist. mit wechselndem Assistenten- bzw. Wärtcrpersonal zu arbeiten. 

4. A m Schluss der Operation, bei Prüfung der 
Blutstillung, istdas Lösen der fixierenden Schrau¬ 
be an der Klemme, die selbst ruhig in ihrer Lage 
bleibt, bedeutend einfacher, alsdas Los w icke Inder 
Binde unter den sterilen Tüchern, wobei sich der „Assistent“ viel¬ 
leicht gar, verheddert und gegebenenfalls die Binde nicht prompt 
genug wieder anziehen kann. 

5. Die Klemme kann sterilisiert werden unddes- 
h a 1 b auch bei hohen Amputationen angewendet wer¬ 
den, da sie wenig Platz beansprucht. Sie kann mit den Instrumenten 
ausgekocht bzw. steril aufbewahrt werden, um sofort gebrauchsfertig 
zu sein. Die Angst, dass der „Ungeübte“ mit dem Bindenzipfel mal 
in die Wunde fährt, fällt fort. 

Wie schon hervorgehoben, haben wir Schädigungen niemals be¬ 
obachtet. Freilich hatten wir die Klemme immer nur “kurze Zei-t 
(Vorbereitung und Dauer der Operation) liegen. Die Verwundeten 
kamen mit der üblichen elastischen oder H e n 1 e sehen Binde zu uns. 
Ich glaube aber, dass die Klemme auch für den Truppenverbandplatz 
zu empfehlen ist. Denn wirkliche Blutleere ist mit der 
Klemme sicher technisch viel leichter zu erreichen 
alsmitderBinde. Und in den Fällen, wo aus äusseren Gründen 
(Gefechtslage) die Binde lange liegen bleiben muss, wird wohl die 
Schädigung bei der festsitzenden Binde und der, vielleicht in diesen 

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Fällen besser gepolsterten Klemme gleich sein. Wenn aber in solchen. 
Fällen die übliche zeitweise Lösung der Umschnürung vorgenommen 
wird, ist dieselbe bei der Klemme leichter und für den Verwundeten 
schonender vorzunehmen als mit der Binde. Man denke nur daran, 
wieviel Schmerzen bei einer Oberschenkelschussfraktur das Anlegen 
der elastischen Binde mit den unvermeidlichen Bewegungen am Ober¬ 
schenkel bereitet. 

Schon im Frieden war es für den erfahrenen Assistenten oder ge¬ 
übten Wärter oft die bange Frage: Liegt die Binde auch fest 
genug, dass wirkliche Blutleere vorhanden ist? Da ist es selbst¬ 
verständlich (und deshalb kann es auch gar nicht ein Vorwurf 
sein), dass der vielleicht erst während des Krieges im Sanitätsdienst 
ausgebildete Soldat mit dem richtigen Anlegen der Binde oft grosse 
Schwierigkeiten hat. In diesem Kriege werden auch an das Sanitäts¬ 
unterpersonal so hohe Anforderungen gestellt, dass man ein In¬ 
strument, welches eine wichtige Hilfsleistung so vereinfacht, freudig 
begrüssen muss. Durch das zuverlässige Arbeiten wird die Tätig¬ 
keit des Arztes sehr erleichtert und das alles kommt schliesslich dem 
Verwundeten zugute. Ich glaube aber: Wer jetzt im Kriege mit 
dieser Klemme gearbeitet hat, wird sie gern im Frieden w r eiter 
benützen, auch wenn ihm dann eingearbeitete Hilfskräfte zur Ver¬ 
fügung stehen. 


Speichelsauger. 

Von Dr. Kurt E. Neumann, Assistenzarzt d. R. t 
zurzeit im Felde. 

Während meiner Tätigkeit an einem Reservelazarett wurde ich 
des Nachts einmal zu einem Kranken gerufen, der 2 Tage vorher 
wegen einer Apoplexia cerebri eingelicfert worden w r ar; die Nacht¬ 
schwester berichtete, dass seit mehreren Stunden andauerndes star¬ 
kes Husten bestände, z. T. unter bläulicher Verfärbung des Gesichtes, 
so dass der Patient zu ersticken drohte. Ich konnte eine Lähmung der 
Schlimdinuskulatur feststellen, die am Tage vorher noch nicht be¬ 
standen hatte: der starke Hustenreiz beruhte also auf Einfliessen von 
Speichel in die Atemwege. 

Da bei dem Patienten, der Arteriosklerotiker war, die Geiahr 
bestand, dass er sich erstens durch das angestrengte Husten wei¬ 
teren Blutungen aussetzte, oder dass er zweitens durch Einfliessen 
von Mundflüssigkeit an einer Schluckpneumonie zugrunde ginge, war 
sofortige und anhaltende Hilfe erforderlich. Zu diesem Zwecke 
nahm ich 3 kleinfingerdicke, 4 cm lange Bäusche entfetteter Watte 
— Watte ist besser als Zellstoff, da dieser zu schnell zusammen¬ 
backt —, legte eine Lage Mull herum, den ich mit starkem Zwirn 
befestigte, so dass aber noch die beiden Enden des Fadens in un¬ 
gefähr 15 cm Länge stehen blieben; die Enden aller 3 Doppelfäden 
knüpfte ich zusammen und befestigte sie mittels Sicherheitsnadel am 
Krankenhemd; diese Befestigung genügt bei nicht benommenen Pa¬ 
tienten vollkommen. Zwei Wattepfropfen legte ich mittels Pinzette 
beiderseits in den Raum zwischen 2. oberen Mahlzahn und Wangen¬ 
schleimhaut (Ausführungsgänge der Ohrspeicheldrüsen) und einen 
Wattebausch unter die Zunge, so dass die Ausführungsöffnungen der 
Unterkieferdrüsen und Unterzungendrüse bedeckt waren. Nach 2 bis 
3 Stunden, wenn die Watte sich vollgesogen hatte, wurde sie er¬ 
neuert. In dieser Weise wurde der Patient so lange behandelt, bis 
das Schlucken wieder möglich war. 


| Fleckfieber ohne Exanthem. 

I Bemerkungen zu der Arbeit von Christian Schöne 
in Nr. 36 der Münch, nied. Wochenschr. 

! Von Oberarzt d. Res. Brohn. 

i Dass gerade unter den Kindern Fälle von Exanthematicus sine 
I exanthemate Vorkommen, erscheint mir zweifellos: Seit fast 3 Jahren 
! unter einer Bevölkerung lebend, in der Fleckfiebcr endemisch ist. 
j hatte ich gerade in diesem Jahre Gelegenheit, mehrere Hausepi- 
| demien zu beobachten, bei denen nacheinander sämtliche Familien¬ 
mitglieder bis zum einjährigen Kinde an Fleckfieber erkrankten. Bei 
den älteren Familienmitgliedern konnte die Diagnose Fleckfieber 
nicht nur durch die klassischen klinischen Merkmale, sondern auch 
durch den positiven Ausfall der W e i 1 - F e 1 i x sehen Reaktion als 
gesichert gelten; ausserhalb dieses Zusammenhanges aber aui die 
Vermutung zu kommen, dass es sich bei der Erkrankung der Kinder 
um Fleckfieber handeln könnte, wäre schwer gewesen. 

Trotz sorgfältiger Beobachtung konnte kein Exanthem kon¬ 
statiert werden, meistens fehlten auch andere der bekannten Sym¬ 
ptome wie Konjunktivitis. Bronchitis und die Erscheinungen seitens 
des Zentralnervensystems. Nur der erwähnte Zusammenhang mit 
den Erkrankungen der übrigen Hausinsassen, die Fieberkurve und 
der positive Ausfall der We i 1 - Fe 1 i x sehen Reaktion, die in ein¬ 
zelnen Fällen zur Sicherung der Diagnose angestellt worden war 
(Bakteriol. Untersuchungsstelle Wilna), konnte die Diagnose Fleck¬ 
fieber ermöglichen. Alle Fälle verliefen leicht und gelangten zu 
einer schnellen Rekonvaleszenz. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




22 . Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1189 


Pathologisch-anatomische Erfahrungen Uber innere 
Krankheiten im Felde. 

Von Stabsarzt a. K. Prof. Dr. Oberndorfer, München, 
früher Armeepathologe, jetzt Facharzt für pathologische 
Anatomie an der Militärärztlichen Akademie München. 

(Schluss.) 

Missbildunsen. Geschwülste. 

Missbildungen und Geschwülste sind ebenfalls sehr seltene Be¬ 
funde bei unseren Feldsektionen gewesen. Die Hauptzahl der ge¬ 
fundenen Anomalien liefert das Meckel sehe Divertikel, der Rest 
des Ductus omphalo-mesentericus. Ich habe es unter 1000 Auto¬ 
psien 7 mal gesehen. Leistenhoden fand ich 3 mal, I mal eine Huf- 
«eiseuniere, 1 mal eine sog. Verdoppelung der unteren Hohlvene (106); 
nicht als Missbildung zu deuten ist das häufige Vorkommen von 
Nebenmil'zen, die sicher in jedem 4. bis 5. Fall vorhanden sind und 
manchmal beträchtliche Grösse haben. Ich habe den Eindruck, dass 
sie bei älteren Menschen viel seltener sind, was wiederum darauf 
•schliessen- Hesse, dass sie leicht atrophieren, vielleicht völlig ver¬ 
schwinden können. 

Dass Geschwülste bei Kriegsteilnehmern sehr selten sein werden, 
lag bei den Altersklassen, die in Betracht kommen, auf der Hand; 
immerhin hat man vermuten körmen, dass häufiger beginnende Ge¬ 
schwülste als Nebenbefunde gesehen werden: auch wäre es nicht 
ganz unmöglich gewesen, dass infolge der häufigen Traumen, die 
der Krieg mit sich bringt, Geschwülste gehäufter auftreten. Unsere 
^Beobachtungen sind allerdings zur Entscheidung dieser Fragen nicht 
geeignet; denn die Geschwülste wachsen langsam, die Heimatlaza¬ 
rette müssten also für die Beantwortung der Frage grössere Aus¬ 
beute liefern. Wir haben jedenfalls nie einen Tumor gesehen, bei 
■dem man auch nur entfernt an die Wahrscheinlichkeit hätte denken 
-dürfen, seine Entstehung wäre durch ein Trauma im Felde veranlasst 
worden. Im ganzen fand ich 13 Geschwülste, darunter 2 mal maligne 
Tumoren als Nebenbefunde, die bisher niemals bedrohliche Erschei¬ 
nungen gemacht hatten, sicher aber lebensgefährdend im weiteren 
Verlauf geworden wären; in dem einen Fall handelte es sich um 
■eine Kund rat sehe Lymphosarkomatose des Colon transversum 
(844); der noch nicht ulzerierte Tumor war zweimarkstückgross, 
.^ein Träger, ein 18 jähriger Mann, ging an hämorrhagischer Myelitis 
akut zugrunde; In dem zweiten Fall fand ich in einer durch Granat¬ 
splitter verletzten, teilweise zertrümmerten Niere ein über apfel- 
grosses Hypernephrom, das vor dem Einbruch ins Nierenbecken 
stand und in kürzester Zeit schwere Störungen ausgelöst hätte (866). 

Alle anderen gefundenen Tumoren waren Todesursachen; die 
überwiegende Mehrzahl von ihnen zeichnete sich durch rapiden Ver¬ 
laut aus, die Leute taten meist Dienst bis wenige Tage oder Wochen 
vor dem Tod. Das ist 'bei den im Felde gestorbenen Fällen selbst¬ 
verständlich; denn alle Fälle mit längerem Verlauf kommen in die 
Heimatlazarette. 

3 mal war die Lunge Sitz bösartiger Geschwülste, ihre Träger 
standen im 40. Lebensjahre, 3 mal wurden Gliome des Gehirns ge¬ 
sehen, die besonders rapiden Verlaut nahmen; einer von ihnen galt 
bei dem Mangel objektiv nachweisbarer Störungen als Simulant, bis 
er plötzlich unter Krämpfen starb. Auch bei den Gliomen war von 
vorausgegangenen Traumen nichts bekannt; dies betone ich deshalb, 
weil gerade bei ihnen Traumen als auslösende Ursache eine Rolle 
spielen können. Von den übrigen Geschwülsten erwähne ich weiter 
«ein walnussgrosses Fibroneurom des linken Kleinhirnbrückenwinkels 
(408); der Mann tat bis 24 Stunden vor seinem Tode Dienst und 
ging rasch nach Halbseitenlähimmg zugrunde. Die Ursache des Todes 
war nicht der Tumor, sondern eine Thrombose der Arteria basilaris. 
die durch luetische Endarteriitis hochgradig verengert war. Einen 
seltenen Befund stellte ein ausgedehntes Karzinom der Schädelbasis 
vorn Hypophysengang (600) ausgehend dar. Unter den verhältnis¬ 
mässig wenigen zur mikroskopischen Untersuchung eingesandten ope¬ 
rativ entfernten Geschwülsten führe ich vor allem 3 Fälle bösartiger 
Hodentumoren, darunter 2 maligne Teratome an; ferner verdient 
Erwähnung ein über faustgrosses, retroperitoneales, vom Bauchsvm- 
pathikus ausgehendes Fibroneurom, das bei einem wegen Krätze in 
Behandlung stehenden Soldaten entdeckt und entfernt wurde. Der 
Patient gab an, dass es sich in der Zeit von 4 Jahren langsam ent¬ 
wickelt habe. Erwähnenswert sind weiter 2 Fälle von beginnendem 
Lippenkarzinom; der Träger des einen war 28 Jahre alt. 

Zerebrospinalmeningitis. 

Die nächste Gruppe von KrankTieiten, auf die wir zu sprechen 
•kommen, hat im allgemeinen während der Kriegszeit grössere Opfer 
gekostet und zu viel grösseren Erkran'kungszahlen geführt, als es 
im Frieden der Fall war. So war z. B. besonders zu Anfang des 
Krieges die Morbiditäts- und Mortalitätszahl der Zerebrospi¬ 
nalmeningitis in der Heimat eine hohe, auffallend gering hin¬ 
gegen war sie in unserem Arbeitsgebiet des Kriegsschauplatzes. Be¬ 
sonderes pathologisch-anatomisches Interesse oder Abweichung von 
dem gewohnten Bild boten die Fälle nicht. In der Hälfte der Fälle 
trat der Tod im Stadium der Rekonvaleszenz, in manchen Fällen in 
dem des völligen Wohlbefindens und wiedererlangter Dienstfähigkeit 
auf. Ursache des plötzlichen Todes ist hier immer ein oft recht be¬ 
trächtlicher Hydrocephalus internus, der ohne Prodromalerschei- 

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nungen plötzlich den Tod herbeiführeu kann. Nicht allgemein bekannt 
und deshalb erwähnenswert ist, dass bei epidemischer Genickstarre 
multiple Gelenkeiterungen im Knie, im Ellbogengelenk oft mit recht 
grossen Ergüssen, die klinisch meist sehr wenig Erscheinungen 
machen, Vorkommen. 

Typhus, Paratypbus. 

Typhusinfektionen waren in den ersten Kriegsjahren in Flandern 
und im Artois nicht selten; dass sich das Bild gründlich geändert hat, 
ist auch aus unseren Beobachtungen, die den Zeitraum vom Frühjahr 
1916 bis zum Herbst 1917 umfassen, gut zu entnehmen. Unter meinen 
zahlreichen Autopsien habe ich nur 3 mal Typhus abdominalis ge¬ 
sehen, und dabei sei wiederholt, dass nahezu alle Todesfälle an In¬ 
fektionskrankheiten in unserem Arbeitsbereich auch talsächlich zur 
Sektion kamen. Die Typhusmortalität im Felde zu der angegebenen 
Zeit war also eher kleiner als in unseren hygienisch einwandfreiesten 
Grossstädten. Im Frühjahr 1916 herrschte zudem unter der französi¬ 
scher Zivilbevölkerung eine grössere Typhusepidemie mit verhält¬ 
nismässig grosser Mortalität. 

Nichts beweist mehr als diese einfache Gegenüberstellung den 
Wert der prophylaktischen Massnahmen, das heisst vor allem den 
der Typhusschutzimpfung. 

Von den 3 Fällen waren 2 durch ihre Genese bemerkenswert; der 
1. Fall, ein Mann, der VA Jahre vorher die letzte Typhusschutz- 
impfungsserie durchgemacht hatte, infizierte sich zweifellos in einem 
Lazarett, m dem er wegen einer Hämorrhoidenoperation lag (524). 
Die Erkrankung verlief unter dem Bild der Sepsis und endete am 
Schluss der 3. Woche tödlich. Anatomisch wich das Bild ebenfalls 
von dem Gewohnten ab, zwar war starke Milzschwellung vorhanden, 
die Mesenterialdrüsen aber waren wenig geschwollen, nur stark ge¬ 
rötet, im unteren Dünndarm fand sich wohl leichte markige Schwel¬ 
lung der Follikel, aber keine Geschwüre, nur im Zoekum war ein 
hanfkorngrosses Geschwürchen zu sehen; der Darmbefund war also 
ein fast negativer und die Diagnose wäre anatomisch kaum ge¬ 
stellt worden, wenn nicht Galle und Stuhl reichlich Typhusbazillen 
enthalten hätten. Beim 2. Fall (286) war die Infektion sicher nicht 
im Felde, sondern in der Heimat erfolgt; denn der betreffende Rekrut 
kam erst wenige Tage vor seiner Erkrankung ins Feld; die Typlius- 
schutzimpfung soll hier 5 Monate vor der Erkrankung stattgefunden 
haben; hier war der anatomische Befund ein typischer; es bestanden 
grosse, gereinigte Geschwüre in Dünn- und Dickdarm, markige 
Schwellung der Mesenterialdrüsen, Milzti.mor; der Tod war Folge 
der Perforation eines Geschwüres; seltener Nebenbefund waren 
kleine, embolische Lungenabszesse; hier war der bakteriologische 
Befund des Stuhles negativ, was bei geimpften nicht so sehr selten 
ist. Beim 3. Fall lag die letzte Schutzimpfung 2 Jahre zurück. 

Paratyphusfälle, die an anderen Fronten gehäuft auftraten, waren 
bei uns grösste Seltenheit; ich kann nur über 2 Fälle berichten: der 
eine (407) verlief klinisch wie echter Typhus mit Kontinua, Leuko¬ 
penie; die bakteriologische Untersuchung ergab negative Resultate, 
der Tod trat Anfang der 4. Woche an Lungenembolie ein. Ana¬ 
tomisch fand sich im untern Dünndarm nur starke Schwellung, Hyper¬ 
ämie und Blutung der Follikel, auch der Plaques, ganz oberflächliche 
Geschwürchen waren vereinzelt im Dünndarm zu sehen, im Zoekum 
war ein etwas typischeres Geschwür mit markigem Rande und ge¬ 
reinigtem Grunde. Die mesenterialen Lymphdriisen, besonders die 
des Ileozoekums waren stark vergrössert, geschwollen, auch von 
kleinen Blutungen durchsetzt, die Milz nicht vergrössert; ich er¬ 
wähne diesen anatomischen Befund deshalb ausführlicher, weil die 
bakteriologische Untersuchung in Blut und Galle nach dem Tode 
Paratyphus B nachweisen konnte. Der Darmbefund war hier zwei¬ 
fellos typhusähnlich, und das ist insofern von Bedeutung, als früher 
das Vorkommen echter typhöser Veränderungen bei Paratyphus ge¬ 
leugnet wurde. 

Der Paratyphus-A-Fall (527). über dessen Infektionsmodus ich 
nichts eruieren konnte, verlief klinisch unter dem Bild einer Sepsis 
tödlich innerhalb 12 Tagen: auch hier war der anatomische Befund 
wenn auch nicht identisch, so doch dem Typhus abdominalis ähnlich; 
zwar fehlten hier geschweige Prozesse der Darmschleimhaut völlig, 
die Schleimhaut aber war hier stark gerötet, die Follikel überall 
leicht geschwollen, kleine Blutaustritte waren vorhanden, die mesen¬ 
terialen Lymphdriisen hingegen waren ausserordentlich stark markig 
geschwollen, weiss, z. T. auch gerötet, die Milz stark geschwollen, 
in Stuhl und Galle fand sich der Krankheitserreger. 

Diese Fälle vcranlassten uns. in einer grösseren Anzahl von 
tödlich endenden Schussverletzungen die Galle einer bakteriologischen 
Untersuchung zu unterziehen. Herr Oberstabsarzt Dr. Otto Maier 
beim beratenden Hypieniker hatte die Liebenswürdigkeit, die Unter¬ 
suchung vorzunehmen. Tatsächlich wurden 5 mal unter 100 Fällen 
positive Befunde erhoben, merkwürdigerweise niemals der E b e r t h - 
sehe Typhusbazillus, dagegen 1 mal Paratyphus A. 3 mal Para¬ 
typhus B. Die Zahl von 4 zur Typhusgruppe gehörigen Bazillen¬ 
trägern bei dem kleinen Untersuchungsmaterial stellt im auffallenden 
Gegensatz zu der Seltenheit schw.erer Darmerkrankungen in unserem 
Arbeitsbereich. 

Im Anschluss daran teile ich noch als bemerkenswert einige Be¬ 
funde mit, bei denen die Sektion typische, dysenterische Verände¬ 
rungen im Dickdarm, die bakteriologische Untersuchung des Darm¬ 
inhaltes z. T. auch der Galle dagegen Paratyphus B ergab. Es ist 
in solchen Fällen, die auch von anderer Seite beobachtet worden sind, 
die Vermutung ausgesprochen worden, der Paratyphus-B-Bazillus 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 43 


könne typische, dysenterische Veränderungen des Darmes auslösen. 
Nach meiner Ansicht handelt es sich hier trotz des negativen Dys- 
enteriebazillenbefundes, der aber bei dem häufigen Versagen der 
bakteriologischen Untersuchung der Dysenterie nichts beweist, um 
echte Ruhrfälle bei Paratyphusbazillenträgern. Zur anatomischen 
Diagnose des Paratyphus gehört, wie wir ausgeführt haben, die 
follikuläre Erkrankung des Dünndarms, die markige Schwellung der 
Mesenterialdrüsen. Beides fehlte hier. 

Noch ein Wort über -die Milzgrösse. In mindestens U) Proz. 
aller plötzlich an Schussverletzungen Erlegenen, fanden sich Milz- 
tnmoren von z. T. sehr beträchtlicher Grösse. Milzgewichte von 
300—400 g — das normale Milzgewicht beträgt 150 g — waren nicht 
selten. Status lymphaticus fehlte in der Mehrzahl dieser Fälle. 
Im 2. Beobachtungsjahr nahmen die grossen Milzen an Zahl zweifel¬ 
los ab; ich glaube, dass sie Folgen der ersten Typhusschutzimpfungen 
sind, die Schwellungen nehmen offenbar allmählich ab und werden 
durch folgende Impfungen nicht mehr im gleichen Masse hervor¬ 
gerufen Immerhin ist das häufige Vorkommen der Milztumoren bei 
sonst völlig Gesunden beachtenswert und nicht in dem Masse dia¬ 
gnostisch zu verwerten, wie wir es in der Heimat zu tun gewöhnt 
sind. 

Dysenterie. 

Gehäufterc Fälle von Dysenterie wurden vor allem im ver¬ 
gangenen Sommer gesehen; auf den anatomischen Befund hierüber 
gehe ich nicht ein, da Neues darüber nicht mitzuteilen ist. 

Nephritis. 

Ich wende mich nun zu den Nierenerkrankungen. von denen 
ich im ganzen 35 Fülle gesehen habe, darunter nicht weniger als 
25 Fälle, die als reine Kriegsnephritiden bezeichnet werden müssen. 
Auch hierüber will ich mich kurz fassen und nur die Fälle berück¬ 
sichtigen, die sich durch besonders rapiden Verlauf ausgezeichnet 
haben, Fälle, die ohne stärkeres Krankheitsbewusstsein bis zuletzt 
Dienst an der Front taten, plözlich zusammenbrachen und kurz dar¬ 
nach verschieden. Diese Fälle, die ganz dunkel erschienen, manch¬ 
mal als Vergiftung angesprochen wurden, konnten erst durch die 
Autopsie, manchmal bei fehlendem makroskopischen Befund, erst 
durch die mikroskopische Untersuchung aufgeklärt werden. Neben 
derartigen Fällen, sollen noch solche besprochen werden, die in den 
ersten 2 Wochen nach dem Auftreten der Krankheitserscheinungen 
starben. Auch hier waren die klinischen Erscheinungen harmlos aus¬ 
sehend. Kopfschmerzen, Husten, leichte Atembeschwerden beherrsch¬ 
ten das Bild und manchesmal vcrankissten erst plötzlich auftretende 
Krampfanfälle, hinter der diagnostizierten Bronchitis eine schwere 
Erkrankung zu vermuten. In anderen Fällen waren das erste und 
hauptsächlichste Symptom plötzlich auftretende Oedeme. 

Wie erwähnt, kann iil ganz akuten Fällen der makroskopische Be¬ 
fund ein völlig negativer sein, auch Oedeme, die immer die Auf¬ 
merksamkeit auf die Nieren lenkten, fehlen hier vielfach. Die Nieren 
können wie gewöhnlich aussehen. Verbreiterungen der Nierenrinde 
fehlen in diesem Stadium noch vollkommen, erst die mikroskopische 
Untersuchung zeigt hier, aber auch da erst bei genauer Betrachtung, 
eingreifende Veränderungen. Die Glomeruli, die normalerweise ziem¬ 
lich zellarm sind, deren Kapillarschlingen immer deutlich zu sehen 
sind, mögen sie leer oder blutgefiillt sein — die Zellen entstammen 
zum grössten Teil den Zeilen der B a u m a n n sehen Kapsel, die Zahl 
der Endothclien tritt gegen sie ganz zurück —, sind äusserst zellreich, 
unter den Zellen sind viele gelapptkernige, die Kapillaren scheinen 
wie ausgefüllt von diesen Zellen, rote Blutkörperchen sind kaum 
zu sehen, auch die zuiiihrenden Gefässe des Nierenknäuels sind viel¬ 
fach deutlich von vermehrten Rundzellen umgeben. Durch die Zell- 
anhäufung erscheinen die Glomeruli grösser als sonst. Behandeln 
w ir einen solchen Schnitt mit Stoffen, welche oxydierende Granula 
enthaltende Zellen blau färben, so sehen wir die Knäuel übersät von 
dunkelblauen Flecken, also von Leukozyten, die im normalen Bild des 
Knäuels fast vollständig fehlen. Die Kanälchen sind in diesen ersten 
Stadien der Erkrankung noch nicht verändert, nur manchmal finden 
sich in ihnen, wie auch in der 13 a u m a n n sehen Kapsel rote Blut¬ 
körperchen. Offenbar bedingt die entzündliche Infiltration der Glo¬ 
meruli eine Sperrung der Schlingen seines Wundernetzes. Bald 
ändert sich das Bild. Neben der Leu-kozytenansammhing in den 
Kapillaren finden sich jetzt stärkere Blutaustritte in die GlmneruluS- 
kapseln, z. T. fliesst das Blut durch die Kanälchen ab, z. T. gerinnt 
es und bildet halbmondförmige Schichten um die Knäuel, di.se 
wiederum komprimierend. Dem BluUiustr/E felgen entzündliche und 
proliferative Vorgänge in der B a u m a r, n schon Kapsel oder setzen 
auch bei fehlendem Blutaustritt ein, es tritt eine starke Desquamation 
des Kapselepithels auf, Leukozyten mischen sich mit ihm. ebenso 
etwas Fibrin, einige jugendliche Bindegcw'ebszellen beteiligen sich an 
der Zcllansammlung; die Glomerulusschlingen, d'ie in diesem Stadium 
meist schon wieder Abnahme der Leukozyten zeigen, kollabieren 
infolge der Gefässsperrc oder w erden durch die Exsudatmassen stark 
zusammengepresst. Einzelne Schlingen des Glomerulus verkleben mit 
dem sichelförmigen Exsudat, die Verklebungen w’erden festere, die 
Organisation und die Verödung des Glomerulus wie auch der Exsudat- 
massen der Kapsel ist in die Wege geleitet. In diesem Stadium tritt 
nun zur Glomerulusveränderung die Veränderung der Harnkanälchen 
hinzu und schiebt sich in den Vordergrund, die Niere vergrössert sich, 
w ird geiblich-weiss, die Rinde quillt über. Die Ursache dieser makro- 

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skopischen Veränderung ist Erweiterung der Kanälchen, vakuolür- 
hyaline Degeneration ihres Epithels. Die starke Zylinderbildung führt 
zu Verstopfungen im Kariälchensystem, schliesslich bei andauernder 
Erkrankung wird das Epithel nieder, das Zw'ischengewebe, das schon 
in früheren Stadien kleine Rundzellinfiltrate meist perivaskulären 
Sitzes zeigen kann, vermehrt sich und das Bild der sekundären 
Schrumpfniere formt sich. 

Diese Kriegsnephritis ist nichts anderes als das Bild der alt¬ 
bekannten Glomerulonephritis, deren Ursache infektiös-toxische Pro¬ 
zesse, wahrscheinlich Streptokokkeniniektioneu sind. Wahrschein¬ 
lich liegen auch der Kriegsnephritis Kokkeninfektionen zugrunde, die 
möglicherweise von den Rachenorganen ausgehen: allerdings ge¬ 
häufte anatomische Veränderungen der Rachenorgane habe ich bei 
den sezierten Kriegsnephritiden nicht naenweisen können. Von man¬ 
chen wird eine Spirocliätcniiifcktion als Ursache angenommen, 
sichere Anhaltspunkte für diese Annahme fehlen bisher. 

Da sich bei der Kriegsnephritis ziemlich genau der Beginn der 
Erkrankung feststellen lässt, haben wir hier auch eine Basis, um 
die Zeit des Beginnes der Herzhypertrophie, die notwendige Folge 
der Glomerulonephritiden ist, festzustellen. Diese wird allerdings 
erschwert durch die obenerwähnte häufig sich findende Vergrösse- 
rung des Herzens bei Gesunden. Immerhin fiel mir bei 4—6 Wochen 
alten Nierenentzündungen schon eine z. T. ganz beträchtliche Ver¬ 
dickung der linken Herzkammerwand auf, auch die graubraune Farbe 
des Herzens, die so charakteristisch für seine renale Hypertrophie 
ist, fehlte in keinem der älteren Fälle Die Herzhypertrophie ist also 
eine Friihfolge der Nierenentzündung, in den ersten Wochen schon 
angedeutet. 

Die akute Glomerulonephritis kann vollständig und ohne Er¬ 
scheinungen zu hinterlassen, ausheileri. Ich habe einige Fälle seziert» 
die nach den klinischen Erscheinungen zweifellos eine akute Nephri¬ 
tis durchgemacht haben, später an interkurrenten Erkrankungen zu¬ 
grunde gegangen sind, die mikroskopisch \öllig normale Verhält¬ 
nisse im Nierenbild zeigten. 

Icterus infectiosus (Weil sehe Krankheit). 

Von der ansteckenden Gelbsucht, der Weil sehen Erkrankung, 
die im Frieden sehr selten ist, im Felde an manchen Stellen gehäufter 
vorkam, habe ich 6 Fälle gesehen, 3 Fälle waren sporadisch auf- 
getreten,_ die anderen 3 Fälle entstammten einer kleinen Endemie, 
die 40 50 Leute ergriff, aber mit sehr geringer Mortalität einhergiug. 
Bei den zur Autopsie gekommenen Fällen trat der Ikterus gegen 
Ende der ersten oder anfangs der 2. W'oche der Erkrankung ein. der 

1 od erfolgte in 4 Fällen am Ende der 2. Woche, in einem Falle Ende 
der 1., in einem Falle Mitte der 3. Woche. Mit dem schwer fieber¬ 
haften Beginn, der häufig ganz plötzlich mit schwersten Allgemein¬ 
erscheinungen. Schüttelfrost, starken Muskelschmcrzen, besonders ir? 
den Waden, Bruststechen, Erbrechen einsetzte — in einem Fall stürzte 
der bis dahin gesunde Mann plötzlich zusammen — und den schweren 
Allgemeinerscheinungen, die die Erkrankung besonders in der ersten 
Woche bietet, stehder anatomische Befund nicht in Proportion, 
Wolil wird in allen Fällen starke ikte rische Verfärbung aller Gewebe 
und Organe gefunden. Die Leber aber kann makroskopisch normale 
Grösse, normale Zeichnung, normale Konsistenz zeigen, jedenfalls 
habe ich keinen Fall ähnlich dem Bilde gesehen, das wir als akute 
gelbe Leberatrophie bezeichnen; das makroskopisch am stärksten 
veränderte Organ war stets die Niere, die stark vergrössert, gelb¬ 
grün war, überquellende Schwellung der Rinde zeigte. Die Gallen¬ 
gänge waren immer frei, bis auf grössere Schleimpfropfen, die ich 

2 mal am Ende des Choledochus. die Galle etwas anstauend. trai. 
Fast allgemein» herrschte grosse Neigung zu Blutung, intra vitam 
fehlte Nasenbluten fast nie, bei der Sektion waren kleine Blutaus- 
tritte der Pleura, des Perikards, des Nierenbeckens, der Pachy- 
meningen, der Lungen gewöhnliche Befunde. Die übrigen makro¬ 
skopischen Befunde schwankten. Die Milz war bald normal gross, 
bald vergrössert und weich; erwähnenswert sind die häufigen 
Lungenkomplikation-en, wie kruppös-pneumonische Herde, beginnende 
fibrinöse Pleuritis und Perikarditis. Die Rachenorgane, auf die als 
Eingangspforten der Infektionserreger hingewiesen wurde, zeigten in 
keinem der Fälle, abgesehen von kleinen Tonsillarpfröpfen, die an 
und für sich sehr häufig sind, besondere Veränderungen. Auch der 
mikroskopische Befund, besonders der Leber, war sehr beschränkt, 
meist findet sich abgesehen von Ablagerung feinsten staubförmigen.. 
gelbbraunen Pigmentes in den Zellen des zentralen Läppchenschnittes 
nichts Besonderes; in anderen Fällen tritt eine Dissoziation der 
Leberzellen auf, sie schwellen an und runden sich ab. die Be¬ 
rührungsflächen der Zellbalken verkleinern sich, in uiesen Fällen sind 
die Sternzellen öfters mit Fettkörnchen beladen und auch manchesmal 
bräunlich pigmentiert. In einem Falle, es war einer von denen, die 
im Choledochus einen Schleimpfropf sehen liessen, war Gallenstauung 
in den Gallenkapillaren in Form kleinster dunkelgrüner Stränge 
und Tropfen zwischen den Leberzellen vorhanden; ich hebe das des¬ 
wegen hervor, weil Beitzke z. B. jede Gallenstauinig bei Weil- 
scher Krankheit ablehnt, den Ikterus nur aui toxischer Schädigung 
des Lebergewtbes entstanden denkt. 

Selten sind schwerere Schädigungen der Leber; in einem 13 Tage 
alten Fall sah ich die Leberläppchenzentren von frisch gewuchertem 
Bindegewebe ersetzt, das kleine, galleführende Zellen. Reste der 
Leberzellen oder Kupfferzellen mit reichlicher Pigmcntablagcrung. noch 

Original fro-m 

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22. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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einschloss und vielfach auch noch stärkere Rundzelleriinfiltrationen 
bot. Auch parenchyme Regenerationen als Ausdruck der Folgen 
schwerer Schädigungen von Leberzellen fehlen nicht, kenntlich an 
zahlreichen Mitosen in den Leberzellen, die manchmal zu wahren 
Riesenzellbildungen aus Leberzellen führte. So sind doch zweifellos 
Uebergänge zum Bilde d'er akuten, gelben Leberatrophie und ihren 
Ausheilungsformen vorhanden, Uebergänge auch zur stärkeren Binde- 
gewebsent wick 1»ing, die später schliesslich wohl auch zu Zirrhosen 
führen können. Auf diese Genese bei späteren Zirrhosen von Kriegs¬ 
teilnehmern ist zu achten. 

Die Nterenveränderungen bestehen im Auftreten kleiner Rund- 
zellinfiltrate, besonders in der Umgebung kleiner Gefässe und der 
Glomeruli, ganz vereinzelt beteiligen sich auch die Glomeruli selbst 
in Form geringer Kapseiepitheldesquamation. Daneben besteht das 
Bild der Nephrose, stärkste trübe Schwellung des Parenchyms der 
Hauptstücke, Epithelnekrosen, starke Ablagerungen von gallig ge¬ 
färbten Zylindern. 

Wie Sie wissen, wird als Erreger der infektiösen Gelbsucht die 
Spirochaete nodosa oder ictero-haemorrhagica angesprochen; es ge¬ 
lingt leicht, mit Blut oder Harn des Kranken Meerschweinchen zu 
infizieren und in dessen Organen, besonders in Leber und Milz, 
massenhaft die Spirochäten nachzuweisen. Bei Menschen ist der 
Nachweis der Spirochäte in den Organen nur ganz ausnahmsweise 
geglückt. 

Noch auf einen konstanten Befund, der bei der mikroskopischen 
Untersuchung der Organe bei Weil scher Krankheit erhoben wird, 
sei hingewiesen, das sind hyaline, wachsartige Degenerationen der 
quergestreiften Muskulatur, besonders der der Waden. Die Degenera¬ 
tion tritt fleck weise auf, ergreift oft nur Bruchstücke eines Muskel¬ 
schlauches.' die Ouerstreifung schwindet, die Muskelsubstanz zerfällt 
in kleine Trümmer. Aehniiche Degenerationen der quergestreiften 
Muskulatur der geraden Bauchmuskeln bei Typhus abdominalis sind 
schon seit langem, des M. ileopsoas bei Tetanus seit kurzem be¬ 
kannt, nur die Lokalisation der Erkrankung in der Wadenmuskulatur 
scheint der W ei Ischen Erkrankung eigentümlich zu sein. Der Be¬ 
fund ist differential diagnostisch wichtig, er steht zweifellos im Zu¬ 
sammenhang mit den schweren Muskelschmerzen, die besonders in 
der ersten Zeit der Krankheit bestehen. 

Oedemkrankheit. 

Im Frühjahr des Jahres 1917 beobachteten wir ein bis 
dahin uns unbekanntes Krankheitsbild; es handelte sicli durch¬ 
wegs um jüngere Individuen, die in stärkster Abmagerung 
und äusserster Körperschwäche in Lazarettbehandlung traten; 
die Leute hatten fahle, graue Gesichtsfarbe, konnten sich 
kaum auf den Füssen halten und zeigten ausnahmslos starke 
Oedeme an den unteren Extremitäten, seltener an den oberen 
Extremitäten und am Kopf. Der schwere Zustand soll ziemlich rasch 
eingetreten sein. Auffallend war bei allen die ausgesprochene Brady¬ 
kardie (bis 40 Pulsschläge in der Minute), fast alle litten unter 
starken Durchfällen, Fieber bestand meist nicht. Die Erkundung 
ergab, dass die Ernährung der Leute anscheinend genügend war, 
sich von der Feklküchenkost nicht wesentlich unterschieden 
haben soll, es wurde weiter mitgeteilt, dass die Leute vielfach ausser¬ 
ordentlich grosse Mengen von Kochsalz zu sich nahmen und über¬ 
reichlich Wasser tranken. 

Der Befund bei der Autopsie war von einigen akzi¬ 
dentellen Erkrankungen abgesehen, fast durchwees der gleiche; 
keine Spur von Fett, auch nicht am Herzen, stärkster 
Schwund der Muskulatur; besonders auffallend war die Schlaffheit 
des toten Körpers, in dem es fast nie zur ausgesprochenenTotenstarre 
kam. Die Oedeme bevorzugten die unteren Extremitäten und das 
Skrotum; nahezu ausnahmslos war ein Flüssigkeitsergnss von 1 bis 
2 Litern in der Bauchhöhle festzustellen, kleinere Ergüsse waren in 
Pleura und Perikard, die Meningen waren wässerig durchtränkt. 
Sämtliche Organe waren stark verkleinert; es wurden Herzgewichte 
bis herunter zu 180 g beobachtet, kaum eines erreichte das Gewicht 
von 250 g, während das normale Herzgewicht beim Manne zwischen 
250 und 320 g schwanken soll. Entsprechend der Verkleinerung des 
Herzens waren die Kranzgefässe stark geschlängelt und traten bei 
dem Mangel an epikardralem Fett stark hervor.* Das Nicrcngewicht 
stand auch hier in Relation zu Herzgewicht, beide Nieren wogen zu¬ 
sammen so viel wie das Herz. Dieser Befund ist insoferne auffallend, 
als die Harnausscheidung bei den Kranken offenbar infolge der reich¬ 
lichen Wasserairfnahme, meist über die Norm gesteigert war, die 
Nieren also vermehrte Arbeit leisteten. Ganz wesentlich war bei 
einzelnen Fällen der Schwund der Milz. Es wurden Milzen von 50 g 
gesehen, während das normale Gewicht 150—180g betragen soll; 
die kleinen Milzen waren derb, dunkelbraunrot. blutarm, ihr Gerüst 
war stark ausgeprägt, die Pulpa atrophisch, die Follikel klein aber 
deutlich. Ebenfalls braune Atrophie zeigte die Leber, die bis auf 950 g 
Gewicht reduziert war. Extreme Atrophie wies oft die Schilddrüse 
auf, die in einem Falle nur mehr 12 g wog. Ihr Kolloid war zweifel¬ 
los stark eingedickt. Das Körperbindegewebe war grösstenteils 
ödematös durchtränkt, das fettlose Mesenterium besonders gequollen, 
die Serosa des unteren Dickdarms hing in grossen, schlaffen Falten 
vom Darm ab. 

In den meisten Fällen waren noch weitere, krankhafte Befunde 
zu erheben, so wenig ausgedehnte, frischere tuberkulöse Herde in 

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den Lungen oder kleine pneumonische Infiltrate. Einmal ein grösseres, 
Magenulcus, nahezu in allen Fällen schwere Diekdarraentzündungen, 
vom gewohnten Bild der Dysenterie, von der Rötung und beginnenden 
Schorfbildung der Schleimhaut an bis zur schwersten, brandigen Zer¬ 
störung fast der ganzen üarmwand, der bakteriologische Darmbefund 
war ein wechselnder; neben Pseudodysenterie Kruse H wurden Para¬ 
typhus, Proteus und andere gefunden; ich habe oben schon erwähnt, 
dass der bakteriologische Befund bei Dysenterie nicht immer das 
erwartete Bild gibt, Jedenfalls war in keinem der Fälle die Dysenterie 
das Wesentliche, das ganze Krankheitsbild restlos erklärende. 

Bei der Häufung der Fälle wurde anfänglich an eire besonders 
schwer und eigenartig verlaufende dysenterieähnliche Darmerkran¬ 
kung gedacht; damit stimmte die vorangehende starke Abmag-critng 
und das nie fehlende Gedern nicht. Der Sektionsoefund erinnerte 
vielmehr an Bilder, wie sie bei der tropischen Beriberi beschrieben 
wurden, wenn auch bei unseren Beobachtungen die bei jener oft 
vorkommenden Neuritiden nicht gesehen wurden Wir kamen damals 
zu dem Schluss, dass hier eine Ernährungsstörung schwerwiegendster 
Art, vielleicht eine, die zur Gruppe der Avitamtnosen gehört, vor¬ 
liegen würde und dass die besonderen Krankheitsveränderungen, die 
wir bei den Sektionen fanden, wie Tuberkulosen und Darm Verände¬ 
rungen, die die Krankheitserscheinungen auslösenden; aber nicht ver¬ 
ursachenden Faktoren wären. 

Die Literatur über diese Oedemerkrankung ist nun in 
der letzten Zeit eine recht reichliche geworden. Die Autoren 
stehen ausnahmslos auf dem Standpunkt, dass die Ursache des rapiden 
Verfalls die Zufuhr dauernd ungenügender Kalorienmengen ist. die 
sich natürlich umso stärker bemerkbar machen wird, Je mehr an¬ 
strengende Arbeit dabei geleistet wird, vor allem, wenn dabei äussere 
Kälteeinwirkung mitbesteht. Bekanntlich war Winter und Frühjahr 
1917 sehr kalt. 

Bei nicht genügender Kalorienzufuhr schmilzt der Körper all¬ 
mählich auch Körpereiweiss ein. de/en Ausdruck der enorme Muskel- 
und Organschwund in unseren Fällen, es kommt zur Oedembereit- 
schaft, die scheinbar erst dann zur Oedembildung führt, wenn In¬ 
fektion eintritt, denn wir fanden kaum einen Fall ohne Begleitung 
irgend eines Infektiösen Prozesses im Körper. Die Infektion kann 
eine geringe sein und doch dabei im geschwächten Körper die letzte 
Todesursache sein. 

Ein besonderer Vitaminmangel wird von den Autoren im all¬ 
gemeinen nicht als Ursache deT Erkrankung angenommen. Ich glaube 
trotzdem, dass seine Rolle keine ganz kleine ist. Zu dieser An¬ 
schauung veranlasst mich vor allem die Wirkung der auf 
Grund der Autopsiebefunde durchgeführten Äenderung der Er¬ 
nährung, die im Zusatz reichlich frischen Gemüses in Form 
der überall leicht zu sammelnden jungen Löwenzahnblätter be¬ 
stand. Die Erkrankungen hörten nahezu plötzlich bei diesem Nah- 
rungszusatz auf. Ob allerdings nicht dabei die iin Frühjahr dann 
plötzlich einsetzende beträchtliche Erhöhung der \ussentemperatur, 
die den Kalorienbedarf herabsetzte, wesentlich mitwirkte, möchte 
ich nicht von vorneherein bestreiten. 

M. H., ich bin am Schluss meiner Mitteilung. Wenn Sie die Emp¬ 
findung haben, dass der alte Spruch der Anatomen; „Hc locus ost 
ubi mors gaudet succurrere vitae“ auch für unsere Tätigkeit im 
Felde gilt, dass es unser letztes und höchstes Ziel ist. mitzuhclfen, 
den Gesunden besser zu schützen, den Kranken der raschen Genesung 
zuzuführen — dass also unsere Arbeit auch im Feld voll und ganz 
dem Lebendigen geweiht ist, ist der Zweck meiner Ausführungen 
erreicht. 

Georg 6affky. 

Geboren 17. Februar 1850, gestorben 23. September 1918 

Mit Georg Gaffky verliert die medizinische Wissenschaft 
einen Mann, dessen Name in der Geschichte der Bakteriologie und 
der Seuchenbekämpfung stets einen ehrenvollen Platz einnehmen 
w r ird. 

Am 17. Februar 1850 zu Hannover geboren, gehörte er nach 
Vollendung seiner medizinischen Ausbildung dem preussischen Sani¬ 
tätsoffizierkorps an und wurde 1880 zum Kaiserlichen Gesundheitsamt 
kommandiert, wo er Mitarbeiter Robert Kochs wurde. Seit dieser 
Zeit ist sein Lebenslauf eng mit dem seines grossen Meisters ver¬ 
knüpft, zu dem er in Verehrung aufblickte und dessen unbeschränktes 
Vertrauen er genoss. 

Die Forschung in dem bakteriologischen Laboratorium des Ge¬ 
sundheitsamts führte damals Robert Koch und seine Mitarbeiter 
dank der von ihm ausgearbeiteten neuen Untersuchungsverfahren 
von Erfolg zu Erfolg. G a f f k y fiel die Aufgabe zu, die von E b e r t h 
und Koch unabhängig voneinander durch die mikroskopische 
Untersuchung in Milz und Drüsen von Typhusleichen gefundenen 
und als Erreger des Typhus angesprochenen Bazillen näher zu er¬ 
forschen und ihre Beziehungen zu der Krankheitsentstehung zu er¬ 
gründen. Diese Aufgabe wurde von Gaffky glänzend gelöst. Es 
gelang ihm nicht nur, die Bazillen mit grosser Regelmässigkeit in 
der Milz von Typhusleichen durch geeignete Färbungsverfahren 

Original fforn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1192 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 43. 


nachzuweisen, sondern sie auch in Kulturen ausserhalb des Körpers 
rein zu züchten und Eigenschaften zu ermitteln, durch die sie aus¬ 
reichend gekennzeichnet waren, um sie von anderen in der Leiche 
vorkommenden Bakterien zu unterscheiden. Die im Februar 1883 
abgeschlossene und 1884 in dem 2. Bande der Mitteilungen aus dem 
Kaiserlichen Qesundheitsamt veröffentlichte Arbeit zur Aetiologie des 
A bdomina 1typhus ist grundlegend geworden für die späteren For¬ 
schungen auf diesem Gebiet. 

Im Jahre 1883 ging Gaffky als Mitglied der von’ 
Koch geleiteten Kommission zur Erforschung der Cholera nach 
Aegypten und Indien; die Forschungsreise führte bekanntlich zur Ent¬ 
deckung des Choleravibrio. Die Ergebnisse wurden von G a f f k y 
nachträglich in einem umfassenden Bericht unter Mitwirkung Kochs 
bearbeitet und als Band III der Arbeiten aus dem Kaiserlichen Ge¬ 
sundheitsamt 1887 herausgegeben. In diese Zeit fallen noch Versuche 
über die Verwertbarkeit heisser Wasserdämpfe zu Desinfektions¬ 
zwecken (zusammen mit Koch und Löffler 1881), über experi¬ 
mentell erzeugte Septikämie mit Rücksicht auf progressive Virulenz 
und akkommodative Züchtung (1881), Experimentelle Studien über die 
künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen und Milzbrandinfek¬ 
tion durch Fütterung (zusammen mit Koch und Löffler, 1884), 
Die Cholera in- Gonsenheim und Finthen (1886), Versuche über die 
Desinfektion des Kiel und Bilgeraums der Schiffe (mit Koch, 1886). 

Inzwischen (1885) war Gaffky zum Regierungsrat und Mit¬ 
glied des Kaiserlichen Gesundheitsamtes ernannt worden, als Nach¬ 
folger Kochs, der die Professur für Hygiene an der Universität 
Berlin übernommen hatte. In dieser Stellung blieb er, bis er 1888 
einem Rufe als Professor der Hygiene an die Universität Giessen folgte, 
wo -er -bis 1904 erfolgreich als Lehrer wirkte. Als 1892 die Cholera in 
Hamburg ausbrach, wurde ihm Gelegenheit gegeben, als hygienischer 
Berater der Hamburger Behörden seine hervorragende Befähigung 
zur Organisation und Durchführung praktischer Massnahmen der 
Seuchenbekämpfung zu beweisen. Der im 10. Bande der Arbeiten 
aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt niedergelegte Bericht über die 
Cholera in Hamburg im Herbst 1892 und Winter 1892/93 legt Zeugnis 
ab für die von ihm und seinen Mitarbeitern geleistete Arbeit und 
von der ihm eigenen Gründlichkeit der Beobachtungen. In die neun¬ 
ziger Jahre fallen auch noch kleinere Abhandlungen über Infektionen 
durch Nahrungsmittel und die Beschreibung eines Falles von chro¬ 
nischer Arsenikvergiftung infolge des Gebrauchs farbiger Zeichen¬ 
kreide, durch dessen Feststellung er die Heilung eines Universitäts¬ 
kollegen von schwerem, bis dahin unerklärten Siechtum ermöglichte. 

Das Vertrauen, das Gaffky bei den Reichsbehörden genoss, führte 
zu seiner Berufung an die Spitze der 1897 zur Erforschung der Pest 
nach Indien entsandten Reichskommission, die er leitete, bis Robert 
Koch, der damals zum Studium der Rinderpest in Südafrika weilte, 
die Führung übernehmen konnte. Der zusammen mit R. Pfeiffer, 
Sticke r und Dieudonne erstattete Bericht über die Forschungs¬ 
ergebnisse wurde im 16. Bande der Arbeiten aus dem Kaiserlichen 
Gesundheitsamte niedergelegt. Seine reiche Erfahrung wurde ferner 
verwertet durch seine wiederholte Entsendung zu den internationalen 
Sanitätskonferenzen in Paris. Weitere Verdienste erwarb er sich 
um das Gesundheitswesen des Grossherzogtums Hessen namentlich 
auch durch Ausbildung und Fortbildung der hessischen Medizinal¬ 
beamten, und um die Stadt Giessen, die ihn 1904 zum Ehrenbürger 
ernannte. Seine zahlreichen Verehrer in der Bevölkerung sahen ihn 
ungern scheiden, als er 1904 nach Berlin berufen wurde, um die 
Leitung des Instituts für Infektionskrankheiten zu übernehmen. Neben 
seiner sachlichen Befähigung liessen persönliche Vorzüge ihn wie 
keinen zweiten geeignet erscheinen, dieses schwierige Amt zu be¬ 
kleiden, das eilt so hervorragender Forscher, wie Koch, bis dahin 
geführt hatte. Nicht Ehrgeiz, sondern in erster Linie das Pflicht¬ 
gefühl gegen den verehrten Lehrer und Freund bewogen Gaffky, 
das ihm liebgewordene akademische Lehramt aufzugeben. Mit Hint¬ 
ansetzung der eigenen Persönlichkeit war er bestrebt, Robert Koch, 
der gewünscht hatte, frei von der Bürde des Amtes sich seinen 
Forschungen an der gewohnten Stätte widmen zu können, die Wege 
zu ebnen. Wenige Jahre nach dessen Tode legte Gaffky 1913 sein 
Amt nieder und zog sich in seine Vaterstadt Hannover zurück. Er 
sollte nicht lange die ersehnte Behaglichkeit des Ruhestandes ge¬ 
messen, denn der Weltkrieg riss auch ihn wieder in den Strudel an¬ 
strengender Tätigkeit hinein. Aber die Kräfte waren dem nicht mehr 
gewachsen und so sahen seine Freunde und Verehrer mit Betrübnis, 
dass seine Gesundheit den Anforderungen nicht standhielt. Im 
69. Lebensjahr ist er nunmehr dahingeschieden 

Was wir an Georg Gaffky verloren haben, wird durch sdue 
hervorragenden Leistungen in der Bakteriologie und Seuchcnlehre 
nicht erschöpft. Seine Persönlichkeit w'ar es, die jeden zur Be¬ 
wunderung zwang, der ihm nähertreten durfte. Eine liebenswürdige, 
heitere Natur, gepaart mit feinem Taktgefühl und von Grund aus 
vornehmer Gesinnung waren die Kennzeichen seines Wesens. Mit 
Dankbarkeit werden wir stets seiner gedenken. 

H. K o s s e 1 - Heidelberg. 


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Zum Prozess Henkel. 

Erwiderung auf den gleichnamigen Aufsatz von Ernst Giese, 
Bezirksarzt in Jena und a.o. Professor an der Universität. 
Von Prof. Dr. M. Henkel, Jena. 

Der Güesesche» Aufsatz in d>er M.m.W. 'Nr. '38, der erst 
10 Tage nach seinem Erscheinen zu meiner Kenntnis gelangt ist. 
gibt mir die Möglichkeit in der ärztlichen Geffentlichkeat zu dem 
Prozess und zu den falschen Presseauslegungen Stellung zu nehmen. 

Giese hat naturgemäss ein ebenso persönliches Interesse an 
dem schliesslichen Endergebnis des Prozesses wie ich: denn er selbst 
ist derjenige Bezirksarzt gewesen, der im Verein mit Rosste hinter 
meinem Rücken im Februar 1915 die Anzeige bei der Staatsanwalt¬ 
schaft erstattet und damit den Stein ms Rollen gebracht hat, der 
sich schliesslich in einem 3 X A Jahre dauernden Rechtskampf zu einer 
schweren Schädigung des ganzen ärztlichen Standes ausgewachsen 
hat. Das ist unter allen Umständen bedauerlich. 

In meiner Widerlegung des Gieseschen Aufsatzes kann ich 
mich an dieser Stelle aus Raumbeschränkung nur auf eine kurze 
Richtigstellung tatsächlicher Unrichtigkeiten resp. auf das Gerade¬ 
rücken schiefer Darstellungen beschränken, da ja beides zu einer 
falschen Vorstellung über die tatsächlichen Verhältnisse und das Er¬ 
gebnis der Verhandlung führen muss. 

Dass die beiden Todesfälle nach Lumbalinjektion bei Rössle 
(Path. Anatom in Jena) „das Fass zum Ueberlaufen“ gebracht haben 
sollen, muss deswegen umsomehr überraschen, weil einmal diese 
beiden rasch nacheinander aufgetretenen Unglücksfälle unter einer 
sehr grossen Anzahl von Lumbalanästhesien die einzigen gewesen 
sind, und zweitens muss es auch verwundern, dass, wenn tatsächlich 
Rössle so ungeheuerliche Feststellungen schon seit Jahren bei 
meinen Sektionen gemacht haben will, warum er mir mit keinem 
Worte davon Mitteilung gemacht hat. Im Urteil heisst es: „Es ist 
ihm aber weder von seiner Vorgesetzten Stelle noch von der Fakultät 
jemals auch nur an gedeutet worden, dass Bedenken gegen seine 
dienstlich betätigten Auffassungen bestünden.“ Es ist festgestellt wor¬ 
den, dass Rössle bewusst wichtige Sektionsergebnisse in seinen 
Mitteilungen an die Frauenklinik dieser vorenthalten hat, um dann 
aber nach Jahren mit diesem Material zum Staatsanwalt zu gehen. 
Der Bezirksamt Giese ist seinerseits in der Voruntersuchung zu 
einein amtlichen Bericht über seine eigenen Erfahrungen aufgefordert 
worden. Aus eigener Kenntnis wusste Giese darin nichts mitzu¬ 
teilen. Er brachte nur Verdächtigungen. 

Die beiden Fälle von Lumbalinj-ektion sind nach allen Richtungen 
hin von seiten der Staatsanwaltschaft aufgeklärt und erörtert wor¬ 
den. . In seinem Gutachten ist Bier den Rössle sehen Ausführungen, 
-die das Gegenteil bekundeten, scharf ent gegengetreten. 

Giese schreibt, die Voruntersuchung seitens der Staatsanwalt¬ 
schaft sei nur auf die'beiden genannten Fälle beschränkt gewesen. 
Das ist nicht richtig, vielmehr hatte Rössle damals schon sein 
Material der Staatsanwaltschaft vollständig unterbreitet: auch das 
D ü r c k sehe war eingefordert worden; ebenso stand der Fall 
Frenzel etc. zur Diskussion. Die Staatsanwaltschaft schreibt, nach¬ 
dem die Untersuchung vom Februar bis Juni gedauert hatte, zur Be¬ 
gründung der Einstellung unter dem 19. VI. 15 Bl. 177b: „Sichere 
Grundlagen für eine Straffälligkeit des Angeschuldigten in anderer 
Richtung (als die beiden Fälle von Lumbalanästhesie) haben sich nicht 
ergeben.“ Der Fall Frenzel wird in diesem Schreiben ebenfalls er¬ 
örtert und vieles andere auch noch. Das sind doch genügend* Be¬ 
weise, dass die Voruntersuchung sich nicht wie Giese schreibt, 
nur auf die beiden erwähnten Fälle von Lumbalanästhesie seitens 
der Staatsanwaltschaft beschränkt hat. 

Das Disziplinarverfahren hatte ich selbst schon gegen mich be¬ 
antragt, ehe die Verfügung des Ministeriums in meine Hände gelangte. 
Das geschah erst mehrere Tage danach. 

Dass die lange Dauer des Disziplinarverfahrens — dieses allein 
nahm volle 3 Jahre in Anspruch — sehr zu bedauern ist, wird 
jedem cin-Ieuchten. Was aber Giese über Gedächtnisfehler, die 
daraus zu erklären seien, schreibt, ist nicht richtig; denn die Hauotbe- 
lastungszeugen Busse und Theilhaber sind schon sehr bald ver¬ 
nommen worden. Aber gerade ihre ersten Aussagen, wo noch das 
Gedächtnis hätte frisch sein sollen, haben sich als falsch erwiesen. 
Und erst später, als ihnen die Unrichtigkeit ihrer früheren eidlichen 
Bekundungen nachgewiesen war, da gestanden sie eine Täuschung 
ihres „frischen“ Gedächtnisses zu. Im Urteil heisst es wörtlich; „Denn 
Prof. Busse hat sich in dieser Angelegenheit (Prinzenoperation) zu¬ 
nächst insofern in Widersprüche verwickelt, als er zuerst glaubte be¬ 
haupten zu können, dass Frau Reichenbach infolge einer, mangelhaften 
Unterbindung verblutet sei, während er sich später überzeugen musste, 
dass sie an Skopolaminvergiftung gestorben ist und Dr. Th eil- 
habers Bekundung über Dr. Bleys belastende Aeussenwrg hat 
sich nach dessen eidlicher Gegenäusserung durchaus nicht als zuver¬ 
lässig erwiesen. Beide haben sich ferner gerade in dem, w-as bei 
diesem Falle den Beschuldigten am schwersten belastete, geirrt näm¬ 
lich darin, dass der Beschuldigte Frau ReichenbaCh oder irgeixl eine 
andere Kranke als Schaustück für den Prinzen unvorbereitet operiert 
und dadurch ihren Tod verschuldet habe.“ Um mit Giese zu reden, 
haben also gerade die Kriegsverhältnisse und die lange Dauer zu 
einer Besserung des Gedächtnisses beigetragen. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


22 . Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1193 


„Disziplinarstrafeverfahren“ ist wohl nicht die rechte Bezeichnung. 
Entweder heisst es: „Disziplinarverfahren“ oder „Dienststrafver¬ 
fahren“. Die Argumentation, die Giese hieran knüpft, nämlich, dass 
das gerichtliche Strafverfahren nur „scheinbar“ demselben vorange¬ 
gangen sei, ist unrichtig, wie sich ohne weiteres aus meinen obigen 
aktenmässigen Ausführungen ergibt. Der gewiss berechtigte Wunsch 
Gieses hatte also seine Erfüllung bereits gefunden; diese Tatsache 
selbst war Giese nur beim Studium der Akten entgangen. 

Unrichtig und ebenso irreführend ist es auch, was Giese über 
die Stellung der Sachverständigen in dem Verfahren I. und II. Instanz 
schreibt Die Gutachten sämtlicher Sachverständigen, auch die 
der I. Instanz, sind in der Begründung des Urteils berücksichtigt 
worden. Besonders ausführlich das B i n s w a n g e r s. Bins- 
w a n ger — der Psychiater — 'hatte sich selbst als Sachverständigen 
angeboten mit der Begründung, dass besonders die Einleitung von 
Frühgeburten seiner Beurteilung unterliege (Ministerialschreiöcn 1006 
vom 26. Mai 1916). 

In der Urteilsbegründung werden nun gerade diesem Sachver¬ 
ständigen, der zu einer ungewöhnlich scharfen Ablehnung meiner 
Indikationsstelhmg gekommen war, erhebliche lrrtümer und Versehen 
itachgew lesen *). Inder zweiten Verhandlung hatte die Staatsanwalt¬ 
schaft selbst gar nicht den Antrag auf Vernehmung und Zuziehung 
sachverständiger Gynäkologen etc. gestellt. Ihr lag so gut wie aus¬ 
schliesslich mir an der Zuziehung B i n s w a n g e r s als Sachver¬ 
ständigen über Ethik und Moral. Gehört wurde in der Verhandlung 
Bins w an ger als Sachverständiger gelegentlich eines Falles von 
Schwangerschaftsunterbrechung aus psychiatrischen Gründen. Auch 
Lexer trat in dieser Verhandlung als Sachverständiger auf. Dass 
Binswanger als Spezialsachverständiger für Ethik und Moral 
vom Gericht abgelChnt wurde, ist dadurch zu erklären, dass sich das 
Gericht eben selbst für kompetent genug erachtete, über Ethik und 
Moral zu entscheidet, ausserdem lagen gerade hierüber besonders 
ausführliche Gutachten von H o f m e i e r und Fehling, Beumer 
und Bumm vor. Es ist also nicht richtig, wenn Giese schreibt, 
„dass Henkel als Angeklagter und einziger Sachverständiger im 
Verhandlungssaale erschien.“ Als Angeschuldigter befand ich mich 
lediglich in der Rolle eines sich Verteidigenden und in keiner anderen. 
Für alle ärztlichen Fragen, die zur Verhandlung standen, waren die 
Gutachten der Sachverständigen und diese selbst, wo sie sich als not¬ 
wendig erwiesen, zur Stelle. 

Was nun die Krankengeschichten betrifft, so habe ich selbst zu¬ 
gegeben, dass sie vielfach hätten besser geführt sein können. Es hat 
sich aber herausgestellt, dass auch die Krankengeschichten 
anderer Anstalten, die vergleichsweise und zu besonderen Zwecken 
zugezogen waren, nicht diejenige Genauigkeit aufwiesen, die Giese 
fordert. 

Ueber die Führung von Krankengeschichten sagt Beumer in 
seinem Gutachten: „Wer die Führung der Krankengeschichten in den 
KHnfken kennt, werss, dass diese Art der Tätigkeit den Assistenten 
im Gegensatz zu der weit wichtigeren Behandlung der Kranken 
nebensächlich, wenig zusagend ist.“ Damit decken sich auch die 
Ausführungen Bum ms und wohl auch zahlreicher anderer Kliniker. 
Denn es ist tatsächlich so, dass der klinische Direktor sein besonderes 
Augenmerk nur der Führung derjenigen Krankengeschichten zu wenden 
wird, «die besonders wichtige Krankheitsfälle besprechen. Schliesslich 
werden wohl alle Bumm darin recht geben, wenn er in seinem 
Gutachten sagt, die Krankengeschichten werden nur als ärztliche 
Merkblätter angelegt, nicht aber als Beweismittel für spätere gericht¬ 
liche Verhandlungen. 

Wenn Giese in seinem Aufsatz schreibt, ich hätte in der Ver¬ 
handlung von den Krankengeschichten nur Angabe der Behandlung 
und Tag der Entlassung gefordert, so entspricht das nicht den Tat¬ 
sachen. 

Da Giese bezüglich der Krankengeschichten bei Schwanger¬ 
schaftsunterbrechungen Bumm zitiert, so will ich es auch tun, aber 
vollständig mit dem Wortlaut: „In Jena haben nachweislich in 44 
von 47 Fällen Beratungen von Sachverständigen stattgefunden, 17 mal 
wurden zwei Sachverständige, zweimal drei und einmal vier herbei¬ 
gezogen. Mehr kann man nicht verlangen. Wie schon in dem Gut¬ 
achten von Beumer ausführlich dargelegt wurde, entsprechen die 
Angaben in dem Bericht des stellvertretenden Direktors der Jenaer 
Frauenklinik (Engelhorn), welche die Unterlassung einer sach¬ 
verständigen Beratung in 21 Fällen behaupten, nicht den Tatsachen.“ 
Giese schreibt im Anschluss an einen aus dem Zusammenhang 
herausgerissenen Satz aus dem Bumm sehen Gutachten: „ich glaube 
iridht, dass sich viele Aerzte finden werden, die diese (die Bumm- 
sehe) Auffassung zur ihrigen machen werden. Ich glaube, die 
Entscheidung hierüber kann man den Kollegen ruhigen Herzens über¬ 
lassen.“ 

In dem Prozess ist die Urteilsfähigkeit der praktischen Aerzte 
von einer gewissen Seite und aus naheliegenden Gründen sehr herab¬ 
gesetzt worden. Ich selbst habe von vornherein dagegen Einspruch 
erhoben und mich im Interesse d i es Aerztestandes gefreut, dass dieser 
Auffassung sich die gynäkologischen Sachverständigen und das Ge¬ 
richt durchaus angeschlossen haben. Beumer begründet das aus¬ 
führlich und ebenso Bumm. der schreibt: „den Hausarzt als Sach- 


l ) Vergl. Dr. Paul Weissgerber: Unhaltbare Reohtszustände 
— darf Prof. Binswanger in Jena noch weiter Gutachten ab- 
geben? Leipzig 1914. 


verständigen airsschliessen, geht nicht an. Der Hausarzt, welcher 
seine Kranken meist schon lange kennt, sie seit dem Beginn der neuen 
Beschwerden beobachtet, und Heilungsversuche vorgenemmen hat, 
muss zweifellos als kompetenter Berater betrachtet werden und ist 
über die Tragweite der Erscheinungen oft besser unterrichtet als eine 
konsultierte Klinik, welche die Kranken nur einmal sieht oder für 
kurze Zeit beobachtet.“ 

Giese fährt dann fort, meine angeblich in der Verhandlung vor¬ 
gebrachte Ansicht, dass es unmöglich sei, ein Protokoll über 
Schwangerschaftsunterbrechung so abzufassen, dass eine Nachprüfung 
möglich sei, zu kritisieren. Auch das habe ich in dieser Form nidht 
gesagt. Der Sinn war ein anderer, nämlich der, dass auch die schönste 
schriftliche Begründung kein Beweis für die absolute Richtigkeit der 
Indikation ist. Bumm sagt hierzu: „Ich habe wiederholt Gelegen¬ 
heit gehabt, die Krankenblätter anderer Aerzte in solchen Fällen zu 
lesen, wo ich den Abortus abgelehnt hatte, die Unterbrechung dann 
aber von anderer Seite, wie ich glaube, unnötig, ausgeführt worden 
ist, und ich war erstaunt zu sehen, wie geringfügige lokale Befunde 
und Beschwerden auf dem Papier vergrössert und in einer Weise dar- 
gestellt waren, dass jeder die Indikation aufs beste begründet er¬ 
achten musste.“ Ebenso spricht sich Schäfer (D.m.W. 1918 Nr. 18: 
Die ärztliche Anzeigepilicht der künstlichen Schwangerschaftsunter¬ 
brechung) aus, wenn er sagt: „es dürfte nicht schwer sein, gegen 
jedes derartige Protokoll pflichtgemäss Einwendungen zu erheben.“ 
Und man muss Schäfer ganz gewiss recht geben, wenn er sich 
in seinem Aufsatz gegen das Kontrollrecht des Bezirksarztes hinsicht¬ 
lich der Indikation zur Schwangerschaftsunterbrechung wendet. 

Im materiellen Teil seiner Ausführungen gibt Giese eine schiefe 
Darstellung der Verhandlung io Weimar, wenn er schreibt: „Solche 
groben Verstösse gegen die Asepsis hat nun die Zeugenvernehmung 
nicht ergeben, abgesehen von einem Falle, in welchem Aussage gegen 
Aussage stand.“ Richtig ist vielmehr, dass von keiner Seite Ent¬ 
wände gegen die Asepsis erhoben worden sind, vielmehr gerade be¬ 
sonders betont wurde, wie exakt dieselbe gehandhabt wurde, und 
was alles zur ihrer fortgesetzten Verbesserung geschehen ist. Der 
„eine Fall“ betrifft die Behauptung eines Studenten, der einmal ge¬ 
sehen haben wild, dass ich während einer Lurnbalinjektion ein Stück 
Kreide angefasst haben soll. Diese Aussage konnte durch mehrfache 
Zeugenbekundungen einwandfrei widerlegt werden.. 

Die Behauptungen von Rössle und Dürck bezüglich des 
Obduktionsmaterials schildert Giese richtig als auf Eindrücken be¬ 
ruhend, die aber beide nicht beweisen konnten. Insbesondere gilt das 
von den Rössle sehen Tupfern, verletzten Darmschiingen etc. Hier 
ergab die Nachprüfung wesentlich anderes als behauptet war. Es 
handelte sich um Operationen am Darm, die notwendig wurden bei 
chronischen Eiterungsprozessen im Bauch. Im ganzen konnte Rössle 
unter mehreren tausend Operationen drei Fälle angeblicher Darm¬ 
verletzung konstatieren. Die schweren (tödlichen) Nachblutungen 
ergaben bei der Nachprüfung ein anderes Bild, als wie es Rössle 
in seinem Gutachten dargestellt hatte. Ein paaT Beispiele mögen ge¬ 
nügen: 

Sekt.-Protokoll 95/14. Vaginale Totalexstirpation eines myo- 
matösen Uterus. Die Frau starb am 8. Tage nach der Operation. 
Sie bekam, als am Tage nach der Operation der in die Scheide 
eingeführte Tampon herausgenommen werden sollte, eine Nach¬ 
blutung, die aber auf erneute Tamponade sofort stand und sich 
auch in den nächsten 7 Tagen nicht wiederholte. 

Gestorben ist die Frau laut Sektionsdiagnose des Pathol. In¬ 
stitutes an einer fibrinösen Peritonitis. Daneben fand sich eine Blut¬ 
ansammlung in der Bauchhöhle, deren Menge nicht näher bezeichnet 
ist, „wahrscheinlich“ — sic! — ausgehend von einer Vene des rechten 
Adnexstumpfes. 

Ein anderer Verblutungstod: Sekt.-Prot. 22/12. Die Sektions¬ 
diagnose dieses Falles lautet: beginnende hypostatische Pneumonde 
beider Unterlappen; sie enthält das Wort Blutung, Nachblutung, Ver¬ 
blutung überhaupt nicht. 'Der Fall wird aber in dem Rössle sehen 
Gutachten als schwere Nachblutung mit dem Vorwurf fahrlässiger 
Handlung angeführt! 

Derartige tödliche oder schwere Nachblutungen hat Rössle 
im ganzen 10 Fälle zusammengebracht; sie fanden in der Vorunter¬ 
suchung und in der Weimarer Verhandlung ihre Erörterung. 

Die von Giese angeführten „in der Bauchhöhle zurückgelassenen 
Tupfer müssen auf den Leser den Eindruck her vorrufen, als handle es 
sich um eine grosse Zahl derartiger Beobachtungen. In Wirklichkeit 
konnte Rössle nur zwei Fälle ausfindig machen, ln dem einen 
handelte es sich um eine sehr fettleibige Person, bei der eine grosse, 
allseitig verwachsene Zyste zu entfernen war. Die Narkose war sehr 
unruhig, die Frau presst viel, so dass zum Zurückhalten der Darm¬ 
schlingen viel Tücher gebraucht wurden. Die Bauchhöhle war nach¬ 
her selbstverständlich revidiert worden; ein Tupfer war der Kontrolle 
entgangen. 

Der zweite Fall ist identisch mit der vorher unter Sekt.-Prot. 
95/14 tödlichen resp. schweren Nachblutung. Hiei^hat Rössle ein¬ 
fach den von der Skiheide aus absichtlich emgeführten Tampon 
als „in der Bauchhöhle vergessenen Tupfer“ registriert und zur An¬ 
zeige gebracht. Es handelte sich überhaupt nicht um eine Laparo¬ 
tomie, sondern um eine vaginale Totalexstirpation. 

Das sind die sämtlichen Fälle von „in der Bauchhöhle zurückge¬ 
lassenen Tupfern und schweren Nachblutungen und verletzten 


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Gck igle 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr, 43. 


Därmen“. Es mag sich nach: dieser sachlichen Erörterung jeder 
selbst sein Urteil bilden. 

Auch das will ich aufklären, was Giese über die 27 Todesfälle 
eines Assistenten schreibt, worin er den Vorwurf mangelhafter Be¬ 
aufsichtigung erhebt. Diese Todesfälle, etwa die Hälfte der in dem 
Bericht in Frage kommenden, kommen auf das Konto von Prof. 
Busse, der schon nnter Krönig und Franz erster Assistent 
gewesen war und von« mir übernommen wurde. D ; e Todesfälle sind 
meist während meiner Beurlaubung passieTt. Giese kann doch 
Prof. Busse nicht als einen ungeübten Operateur bezeichnen wollen. 
Diese grosse Anzahl von Todesfällen lässt sich doch nur so erklären, 
dass es sich um sehr schwierige Fälle gehandelt hat. 

Wenn Giese schreibt: Henkel ging weder selbst zu den 
Sektionen, noch hielt er seine Assistenten dazu an, so ist das eine 
Unwahrhett. Die Richtigstellung dieser lediglich Rössleschen Be¬ 
hauptung ist in der Jenaer Verhandlung in Gegenwart von Herrn 
Giese erfolgt Er hätte es also besser wissen können. Das Urteil 
bringt darüber folgendes: „Tatsächlich ist der Beschuldigte selbst zu¬ 
nächst nur selten und' schliesslich gar nicht mehr zu den Sektionen 
gekommen. Aber das hat, wie auch von Prof. Rössle zugegeben 
wird, zunächst daran gelegen, dass sich die Leiter der Frauenklinik 
und des Pafhol.-Anatom. Institutes über den Zeitpunkt der Sektionen 
nicht einigen konnten, und dann hat sich zwischen dem Beschuldigten 
und Prof. Rössle, wie von beiden Seiten zugegeben wird, ein so 
gespanntes Verhältnis entwickelt, dass keinerlei persönlicher Ver¬ 
kehr mehr stattfand. Wie die Dinge lagen, ist es erklärlich, dass 
der Beschuldigte es vermieden hat, Prof. Rössle bei den Sektionen 
zu begegnen und daraus kann Ihm kein Vorwurf gemacht wer¬ 
den etc.“ 

„Das Oberverwaltungsgericht hat sich ausserdem auch nicht 
davon überzeugen können, dass sich der Beschuldigte gegenüber den 
Sektionen wesentlich anders verhalten hat, wie de anderen Klinik¬ 
vorstände. Wie Prof. Rössle bekundet hat, (kommt nur der 
Direktor der medizinischen Klinik regelmässig oder doch häufiger 
zu den Sektionen. Dagegen kommt auch der Vorstand der chirurgi¬ 
schen Klinik nur selten- einmal persönlich.“ 

Nach Möglichkeit habe ich immer den betreffenden Stationsarzt 
veranlasst, zur Sektion seiner Stationskranken ins Pathol. Institut zu 
gehen. Da die Sektionen, trotz meiner wiederholten Bemühungen, 
es zu ändern, so gut wie regelmässig zeitlich mit den Operationen 
zusammentrafen', so Hess sich beim besten Willen meinerseits auch 
nicht einmail immer die Anwesenheit eines Assistenten bei den Sek¬ 
tionen ermöglichen, denn der wurde bei der Operation gebraucht; 
und in einer Klinik geht die Behandlung der Lebenden den Toten vor. 

Giese redet von einem erdrückenden Rössle sehen Sek¬ 
tionsmaterial. Das mag er behaupten, aber der Nachprüfung hält es 
nicht stand. Wiederholt konnte nachgewiesen werden, dass die von 
Rössle behaupteten Operationsverletzungen erst dem Obduzenten 
auf dem Leichentisch passiert sind, resp. überhaupt keine Operations- 
Verletzungen gewesen sind, wie z. B. ein als Blasenverletzung regi¬ 
strierter Fall, bei dem es sich um eine Operation zur Beseitigung 
einer Blasenfistel handelte, entstanden Jahre zuvor gelegentlich einer 
Totalexstirpation wegen Krebs der Gebärmutter. 

Den Antrag aus Zuziehung eines pathologischen Anatomen als 
Sachverständigen- zu den Rössl-eschen Sektionsprotokollen habe 
-ich gestellt, nicht Rössle, wie Giese schreibt. Rössle hat 
nur keinen Einspruch dagegen erhoben, wohl aber den gerichtlichen 
Mediziner als kompetenteren Gutachter bezeichnet und auch gleich 
Pu p p e in Vorschlag gebracht. 

Den Ausführungen Gieses hierzu entnehme ich, dass er selbst 
als gerichtlicher Mediziner auch der Ansicht ist, dass der patho¬ 
logische Anatom der zuständigere Sachverständige gewesen wäre. 
Schliesslich hat man dann aber den gerichtlichen Mediziner Puppe 
zum Sachverständigen bez. der Schwangerschaftsunterbrechungen 
und operativ technischen Fragen in Sachen angeblicher Grenzgebiets- 
Überschreitungen bestellt. 

Wenn Giese „das Gutachten“ Lu bar sch’ abfällig kritisiert, 
so ist das von seinem Standpunkt aus zu verstehen. Aber L u - 
barsch 'hat ja gar kein „Gutachten“ abgegeben, sondern nur die 
Aufgaben und' Pflichten des pathologischen Anatomen ohne jede per¬ 
sönliche Kritik und in Anlehnung an seine Berliner Antrittsvorlesung 
auseinandergesetzt. Braucht er dazu Akten? 

An verschiedenen Stellen nimmt Giese auf die ungünstigen 
Se-ktionsergebniss-e resp. diie grosse Sterblichkeit in der Frauen¬ 
klinik Bezug. Zum Vergleich gebe ich folgende Zahlen: in den beiden 
letzten Jahren seiner Jenaer Tätigkeit 1908 -und 1909 hatte Franz 
2404 Aufnahmen mit 60 Todesfällen; Henkel in den beiden letzten 
Jahren seiner Tätigkeit 1913 und 1914 3248 Aufnahmen mit 71 Todes¬ 
fällen. In Prozent berechnet sind das bei Franz 2,4 Proz. und bei 
mir knapp 2,2 Proz. Diese Zahlen enthalten, um Missverständnisse 
zu vermeiden, sämtliche Todesfälle Erwachsener. 

Was nun die Operationen „ohne genügend* wissenschaftliche 
Indikation“ betrifft, so erübrigt es sich, auf die ganz allgemein ge¬ 
haltenen Ausführung^i ese s einzugehen. Lassen wir auch hier die 
Tatsachen sprechen. Gies e sagt und erhebt den Vorwurf, 41 Total- 
exstLrpatkmen (28 klinische und 13 private) wegen Metrit-is, Endo¬ 
metritis und ähnlicher Krankheitszustände sei zuviel. Demgegenüber 
brauche ich nur die Tatsache anzuführen, dass Franz im gleichen 
Zeitraum (1. Apriil 1909 bis 31. März 1910) und mir auf der klinischen 
Abteilung 24 mal die gleiche Operation ausgeführt hat. 'Dazu kommen 


bei Franz dann noch 22 Totalexstirpationen wegen Deszensus und 
Prolaps, aus welcher Indikation ich überhaupt nicht die Totalexstir- 
pation vorgenommen habe. Darin soll selbstverständlich keine Kritik 
gegenüber Franz liegen, ich will vielmehr damit nur beweisen, 
wie unterschiedlich die 1 ndi-kationsstedlung zu operativen Eingriffen 
ist. Jeder von uns handelt nach seiner besten Ueberzeugung auf 
Grund der in jahrelanger Arbeit erworbenen Fachkenntnisse. Des¬ 
halb muss aber auch jede Kritik von nicht fachmännischer Seite 
über Ind'ikationsstellung (Giese und Rössle) als einseitig und 
unberechtigt zurückgewiesen werden. Bezeichnend ist auch, dass 
Giese den Totalexstirpationen wegen Metritis gegenüber die 
Röhrenbestrahlung als die Behandlungsmethode bezeichnet. 

Er hat vergessen, dass -damals die Röntgenbestrahlung als Be¬ 
handlungsmethode bei Blutungen noch in der Entwicklung war, und 
es ist ihm nicht mehr gegenwärtig, dass Metritis und- „ähnliche Krank- 
heitszustände“ eben nicht ausnahmslos das Symptom der Blutung 
haben wegen der er ja doch die Röntgenbehandlung in Vorschlag 
bringt. 

Die Zahl der Kaiserschnitte kann- natürlich in bezug auf ihre 
Indikation nicht an der Hand statistischer Zahlen kritisiert werden. 
Dazu müsste Giese den Nachweis bringen, dass in irgendeinem 
Fall die Indikation nicht zulässig gewesen ist. Aber selbst wenn man 
schon Vergleiche anstellen will, so kann das natürlich nur so ge¬ 
schehen, dass man das Jenaer geburtshilfliche Material vor und 
nach meiner Zeit heranzieht. Diesen Antrag hatte ich wiederholt 
gestellt, aber vom Untersuchungsricher den Bescheid bekommen, 
dass gegen meinen Vorgänger kein Disziplinarverfahren schwebe, 
und als ich einmal das Kreisssaaljournal einsehen wollte, um über 
einen Fall meiner Tätigkeit mich zu orientieren, war der Abschnitt 
des Buches, der die E ngeih o r nsche Zeit betraf, abgeschlossen 
und versiegelt, damit ich nur ja keinen Blick hineinwerfen konnte. 

So Hess sich auch für andere geburts'hlHHche Operationen (Zange 
etc.) aus dem Jenaer Material vor und nach mir nichts vergleichs¬ 
weise heranziehen. Zangenentbindungen sind zu meiner Zeit auf der 
klinischen Abteilung in noch nicht 3 Proz. der Fälle vorgenommen' 
worden. Das ist in der Verhandlung zur Sprache gekommen. In 
meiner Privatpraxis war die Materialfrage begreiflicherweise «ine 
ganz andere. Da handelt es sich meist von vornherein um kompli¬ 
zierte Fälle, die mir von anderen Aerzten zur Entbindung über¬ 
wiesen waren. Aber auch abgesehen davon sind meine privaten 
Zangenentbindungen, zumal ja Giese selbst betont -hat, dass nach¬ 
weislich keine der Frauen einen Schaden davon gehabt hat, nicht 
Gegenstand einer öffentlichen Kritik. Diese Dinge unterliegen- ebenso¬ 
wenig der Jurisdiktion eines anderen, namentlich eines Nichtfach¬ 
mannes wie die Entbindungen kn Dämmerschlaf -etc. Es geht weiter 
nicht an, dass Giese mein privates Material mit dem kl in i- 
schen anderer Fachkollegeu vergleicht; das ist gar nicht ver¬ 
gleichbar. Und so sind auch alle Schlüsse, die "G i e s e aus dieser 
falschen Gegenüberstellung zieht, falsch. 

Giese geht dann dazu über, eine Tabelle der Gesamtzahl der 
von mir angeführten Operationen abzudrucken, von der er behauptet, 
idi habe sie in der öffentlichen Verhandlung als absolut zuverlässig 
bezeichnet. Auch das ist nicht richtig; richtig ist vielmehr, dass 
ich mich sehr energisch gegen die Richtigkeit der Rössle sehen 
Tabellen ausgesprochen und sie ausführlich schriftlich (Akten) und 
mündlich wied erlegt habe. 

Nachdem die G i e s e - R ö s s 1 e sehe Anzeige bei der Staats¬ 
anwaltschaft nicht den erwarteten Erfolg gehabt hatte, verfügte das 
Ministerium die Beschlagnahme aller meiner Bücher und- Kranken¬ 
geschichten — und, trotz meines besonderen Einspruches, auch der 
privaten — für Rössle, damit dieser daraus neues Material ge¬ 
wönne. So ist es gekommen, dass ein Nichtfachirann Tabellen und 
Statistiken und Kritiken über geburtshilflich-gynäkologische Indika- 
tionssfcelluug, Behandlung etc. aufstellen' konnte So ist diese Statistik 
entstanden, und es ist nicht weiter verwunderlich, wenn Giese In 
derselben Spalte seines Aufsatzes S. 1055 von 72 abdominalen und 
64 sogen, vaginalen Kaiserschnitten spricht, es in der Tabelle aber 
zusammen 169 sind (eine Differenz von 33!). 

Es ist auch nicht richtig, wenn Giese schreibt: „Hofmeier 
und Fehling sprechen ausdrücklich aus, dass H. bez. der Indikation 
in einzelnen Punkten die übliche Grenze nicht unerheblich über¬ 
schritten h a t“. Weiter oben zitiert er die beiden Autoren richtig, 
wenn er schreibt: „überschritten zu haben scheint.“ Das Hof- 
m e i e r - F -e h 1 i n ig sehe Gutachten hätte nach Gieses Ansicht dem 
Gericht erläutert werden müssen. Diese Forderung muss man doch 
wohl als ungewöhnlich bezeichnen, denn das Gutachten des Sach¬ 
verständigen soll dodi gerade dem Richter den betreffenden Fall 
erläutern, ihm das eigene Urteiil ermöglichen. Dass nun aber auch 
die Erläuterung des Sachverständigen noch eine weitere Erläuterung 
notwendig machen soll, ist doch wohl zu viel verlangt. Ich glaube auch 
nicht, dass die Autoren Hofmeier-Fehling in ihrem Gutachten 
sich unklar und undeutlich ausgedrückt haben; ausserdem war ja das 
Gericht beim leisesten Zweifel in der Lage, Hofmeier persönlich 
um Auskunft zu ersuchen, der ja bei der Verhandlung m Weimar 
zugegen gewesen ist. 

Ueber Totalexstirpation wegen Metritis und Endometritis, die 
den besonderen Groll Gieses erweckt hat, kann ich nur nochmals 
auf die Franz sehen Zahlen dieser Operation hinweisen. 

Nun die Schwangerschaftsunterbrechungen. Zunächst betont 
Giese, dass namentlich die Zahl der privaten Schwangerschaft^ 


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12 . Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1195 


Unterbrechungen eine besonders hohe sei. Auch das ist nicht richtig, 
da der Prozentsatz zu -dem in Frage kommenden Krankenmaterial 
ungefähr der gleiche ist, wie bei dem klinischen. Dass die Er¬ 
hebungen, Ermittelungen, kritischen Erörterungen etc. bei dem An¬ 
lauf, den die Gegenpartei gerade wegen der Schwangerschaftsunter¬ 
brechungen unternommen hat, besonders eingehende gewesen sind, 
wird sich wohl jeder selbst sagen. So sind denn auch im Urteil 
alle von B i n s w a n g e r und Puppe und sonstwie irgend bean¬ 
standeten Fälle einzeln erörtert worden. Es wäre der Sache dien¬ 
licher gewesen, wenn Giese, dem das Ergebnis der Verhandlungen 
etc. anscheinend nicht bei- der Abfassung seines Artikels gegenwärtig 
gewesen sind, bis zur Veröffentlichung des Urteils mit seiner summa¬ 
rischen Kritik gewartet hätte. Mit allgemeinen Redensarten lassen 
sich die Dinge nicht vor der Aerzteschaft erörtern. Giese ist nicht 
damit einverstanden, dass ich die Indikation zur Schwangerschafts¬ 
unterbrechung genau ebenso wie für jede Operation stelle! Ich 
operiere bei Lebensgefahr oder, wenn ein Leiden besteht, das eine 
schwere Gesundheitsschädigung bedeutet, die anders nicht zu be¬ 
seitigen ist. Inwiefern durch diese Auffassung die strafrechtliche Seite 
der Schwangerschaftsunterbrechung bei Seite geschoben wird, ist 
nicht recht ersichtlich. 

Giese fährt dann fort, dass er mangels Kenntnis der ausführ¬ 
lichen Urteilsbegründung zu seinem Bedauern keine eingehende Kritik 
des Urteils in sachlicher Beziehung vornehmen kann, findet es 
aber lohnend, siich mit dem Sachverständigen Bumm, dem die ge¬ 
naue Kenntnis der Einzelfälie zur Verfügung steht, auseinander- 
rusefzen. Mir ist es nicht recht verständlich, wie man den Bumm- 
schen allgemeinen Ausführungen eine Auslegung geben kann, derart, 
wie es Giese tut. Das weiss doch jeder, der sich in KHniken mit 
der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung beschäftigt hat, dass 
die Indikation aus rein sachlichen Gründen gestellt wird. Denn 
welches persönliche Interesse sollte der Klinikleiter daran haben, 
irgend einer Frau die Schwangerschaft aus anderen als ärztlichen 
Gründen zu beseitigen’?! Die technische Seite kann ihn- nicht reizen, 
denn meist nimmt er den Eingriff nicht einmal selbst vor; besonderes 
klinisches Interesse kommt nur ganz selten in Frage. 

K r ö n i g (Siegel) sterilisierte in 10 Jahren 217 mal aus medi¬ 
zinischen, 258 mal aus sozialen Gründen (Gewollte und ungewollte 
Schwankungen der weiblichen Frucl^arkeit. Berlin 1917). Gegen¬ 
über diesen Prozentsätzen kommen meine Zahlen überhaupt nicht 
in Frage. Will Giese seinen Vorwurf auch gegen Krönig er¬ 
heben? 

Nun ist aber durch das grosse Sterben im Kriege die Frage akut 
geworden, wie wir der Bevölkerungsabnahme entgegenwirken können, 
und da ist man mit neuer Kritik an die Indikation zur Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung aus ärztlichen Gründen heran gegangen. Man • 
hofft durch Einengung der bis dahin allgemein anerkannten Grundsätze 
erfolgreich an dem grossen Problem mitzuwirken. Da nun die Frage 
neu aufgetaucht ist. so muss jeder Kliniker neu dazu Stellung nehmen. 

Der gerichtliche Mediziner Puppe, der wie gesagt, über die 
Indikation zur Schwangerschaftsunterbrechung ein Gutachten abge¬ 
geben hat, vertritt die Ansicht, bei vorgeschrittenen Tuberkulosen die 
Schwangerschaft nicht vorzeitig zu unterbrechen, sondern im Interesse 
des Kindes möglichst lange zu< warten, um dann den Kaiserschnitt 
an der Sterbenden auszuführen. Von diesem Standpunkte aus be¬ 
urteilt Puppe Schwangerschaftsunterbrechungen, die eine Reihe 
von Jahren zurückliegen! Ich habe bisher immer das Interesse der 
Mutter im Auge gehabt, wenn ich mich mit der Frage einer etwa 
notwendig werdenden Schwangerschaftsunterbrechung zu beschäf¬ 
tigen hatte. Zurzeit scheint bei manchen lediglich das Interesse des 
Kindes das überwiegende zu sein. Wir müssen doch prüfen, ob die 
jetzige Auffassung richtig ist, und dazu brauchen wir möglichst genaue 
Unterlagen. Das hat und* das wellte Bumm zum Ausdruck 
bringen. Mit dem Paragraphen des Strafgesetzes haben diese rein 
wissenschaftlichen Fragen nichts' zu tun. Die KHniken sind auch 
nicht auf eine schiefe Ebene geraten, wie G i ese fürchtet. 

Das Recht, meinen auf Grund jahrelanger ernster Arbeit in der 
Tuberkulosefrage gewonnenen Standpunkt zu kritisieren, wie es ge¬ 
schieht. kann ich Giese mangels der bei ihm vorhandenen Sach¬ 
kenntnis nicht zusprechen. Er bringt auch nichts sachliches, nur 
allgemeine Redewendungen, obwohl er sich doch ausdrücklich an ein 
ärztliches Publikum wendet, das doch nur durch Gründe und Tat¬ 
sachen zu einem Urteil gelangen kann. 

Auf die einzelnen Fälle von Schwangerschaftsunterbrechung 
dnzugehen, erübrigt sich. Sie sind im Urteil ausführlich behandelt. 
Oie Giese sehe Tabelle entspricht nicht den Tatsachen. Wie diese 
Tabellen zustande gekommen sind, darüber habe ich ia weiter oben 
das Notwendige gesagt. Sie mussten notwendig ein einseitiges Bild 
obre Sachkenntnis erceben. 

Was den einen Fall betrifft, bei dem aus eugenischer Indikation 
die Schwangerschaftsunterbrechung vorgenommen ist, so hat Giese 
vergessen anzufiihren. dass dieser Fall der Frauenklinik durch die 
medizinische Universitätsooliklinik mit der schriftlichen Aufforderung 
zur Schwangerschaftsunterbrechung überwiesen worden ist. Winter 
sagt zu diesem Fall: „Im Fall Frbach waren bereits zwei idiotische 
K'nder zur Welt gekommen, und es handelte sich nun darum, dass die 
Mutter nicht ein drittes idiotisches Kind erhielte. Die medizinische 
Poliklinik hatte s r ch für die Schwangerschaftsunterbrechung ausee- 
SDrochen.“ Nach eingehenden Erörterungen über diese Indikat^rn 
fährt Winter fort: „ich kann also auch einen Gynäkologen, der 

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auf einem Standpunkt wie Prof. Henkel steht aus dieser seiner 
Anschauung keinen Vorwurf machen. Ich selbst habe früher auch so 
gehandelt. Vor etwa 4 Jahren hatte ich einen Fall, bei dem es sich 
um eine Frau mit schwerer Epilepsie handelte. Damals habe ich 
auch unterbrochen, heute würde ich es allerdings nicht mehr tun.“ 

Und was weiter die vier Fälle betrifft, auf die Giese be¬ 
sonders exemplifiziert, so heisst es in dem Urteil wörtlich: „auch in 
vier weiteren Fällen ist zwar nicht mehr nachweisbar, dass deT Ein¬ 
griff objektiv berechtigt war. aber wie die Verhältnisse in diesen 
Fällen lagen, muss angenommen werden, dass der Beschuldigte auch 
hier bei der Anzeigestellung die gebotene Sorgfalt beobachtet hat und 
gewissenhaft verfahren ist“. Es 'handelt sich um vier klinische Fälle; 
bei dem ersten wurde die Schwangerschaftsunterbrechung wegen 
Lungentuberkulose vorgenommen, im zweiten Falle handelte es sich 
um eine Patientin, die von dem Arzt wegen* eines Herzleidens zur 
Schwangerschaftsunterbrechung geschickt war, die von mir zunächst 
der medizinischen Poliklinik überwiesen wurde, welche zuerst die 
Unterbrechung ablehnte, ihr aber bei einer nochmaligen Konsultation 
zustimmte; im dritten Falle handelte es sich um eine Hysteroepilepsie. 
die wir zur Begutachtung der psychiatrischen Klinik überwiesen 
hatten: diese empfahl die Unterbrechung, falls sich die Anfälle wieder 
steigern sollten; nach einer danach noch neuntägigen Beobachtung in 
deT Frauenklinik w'urde die Schwangerschaft unterbrochen, und im 
vierten Falle handelte es sich um eine schwere Epilepsie, wegen der 
auch die psychiatrische Klinik bemüht war. Auch hier wurde die 
Schwangerschaft unterbrochen; dass es sich um einen schweren Fall 
handelte, geht daraus hervor, dass die Kranke nachher wieder Auf¬ 
nahme zunächst in der psychiatrischen Klinik, dann Im Jahre 1916 in 
einer Anstalt für unheilbar Blöde fand. Diesem Tatbestand halte 
man das gegenüber, was Giese darüber berichtet. Eine sachliche 
Kritik ist das nicht. 

Zum Fall W. berichtet der Arzt, der die Patientin zur Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung nach langer Beobachung der Klinik zugeschickt 
hatte, wörtlich folgendes: „Am «30. Dezember 1912 erlaubte ich mir. 
Ihnen eine Frau C. W., Hebamme in R. mit der Bitte um Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung zu schicken. Da möglicherweise auch dieser 
Fall zu Angriffen gegen Sie benutzt werden könnte, gestatte ich mir, 
Ihnen aus meinen Notizen und meiner Erinnerung die Gründe anzu¬ 
geben, die mich zwangen, damals Ihre Hilfe im obigen Sinne in An¬ 
spruch zu nehmen. Die Frau war mit starken Varizen am rechten 
Bein und an den äusseren Geschlechtsteilen behaftet, die die Loko¬ 
motion der Frau ganz wesentlich behinderten; sie hatte Herzbe¬ 
schwerden und ein Unterleibsleiden. Der Zustand der Frau war 
damals derart, dass ohne Schwangerschaftsunterbrechung sie grösster 
Gefahr entgegenging. gez. Dr. A.“ 

Hierzu vergleiche man, was Giese darüber berichtet. 

Der Fall F. (Giese S. 1057 unten) ist eingehend erörtert 
worden. Auch hier wieder gibt Giese eine Darstellung, die den 
tatsächlichen Verhältnissen nicht Rechnung trägt. Was Giese über 
die angebliche Vielzahl und Verschiedenartigkeit meiner Entschuldi¬ 
gungsgründe sagt, entspricht nicht den Tatsachen. Ich habe me 
behauptet, dass hier eine Schwangerschaft im 6. Monat Vorgelegen 
hat. Diese Angabe stammt von meinem damaligen Assistenten, Prof. 
Busse, der unmittelbar nach der Sektion Prof. Duerck zu Pro¬ 
tokoll gegeben hat, dass eine Schwangerschaft im 6. Monat Vorgelegen 
habe; ich selbst habe nur behauptet, dass das Kind m. E. nicht 
lebensfähig sei und nicht lebend hätte geboren werden können. Bei 
dieser Sachlage habe ich mein ganzes ärztliches Handeln lediglich 
von dem Gesichtspunkt leiten fassen, der schwerkranken Mutter 
nach Möglichkeit zn helfen. 'Dieser Fall iist Von TI oftmeier, 
Winter, Beutner, Puppe, B u m m, die dazu aufgefordert waren, 
begutachtet worden. Freiwillig haben ihn noch Rössle, Maurer 
und Engel horn in Angriff genommen. Die Sachverständigen sind 
bezüglich der Indikationsstellung und der technischen Ausführung der 
Operation mit mir der gleichen Ansicht gewesen. Bezüglich der 
Tatsache, dass der abgesetzte Uterus auf eine Schale gelegt und 
vor. mir -nicht aufgeschnitten worden ist, sind die Sachverständigen 
Winter und Bumm der Ansicht, dass es Pflicht der Assistenten 
gewesen wäre, ihren Ghef. der voll und ganz mit der schwierigen 
Operation beschäftigt gewesen ist, darauf aufmerksam zu machen, 
wenn ihnen irgend etwas aufgefallen wäre. Winter sagt, er würde 
in diesem Falle den* Assistenten sogar mehr Schuld geben als dem 
Operateur. Bumm schreibt: „bedauerlich ist, dass zwei Assistenz¬ 
ärzte dem Operateur von ihren Wahrnehmungen keine Mitteilung ge¬ 
macht haben: sie hätten dadurch den versehentlichen Fehler leicht 
verhindern können und haben sich durch die Unterlassung einer 
Pflichtverletzung schuldig gemacht. Wer bei einer Operation assi¬ 
stiert. ist verpflichtet, dem Operateur auf etwaige Versehen oder 
auf Zufälle, die ihm entgehen, hinzuweisen. Man muss einen Opera¬ 
teur bedauern, der gezwungen ist, mit Assistenten zu arbeiten, die 
ein Versehen oder einen Fehler zwar bemerken, sich -darüber ent¬ 
rüsten, .aber ihm nichts davon sagen und ihm nachträglich alle Ver¬ 
antwortung aufbürden.“ Be uin e r hebt hervor, dass Henkel doch 
gar kein Interesse gehabt haben könne, bei dieser klinischen Operation 
das Kind absichtlich nicht lebend zu entwickeln, wenn es gelebt hätte. 
Hat er doch in einem gleichen Fall (K.) das Kind lebend entwickelt. 

Giese schreibt werter, dass Henkel eine Schwerkranke nach¬ 
lässig behandelt habe, sowie einzelnen Handlungen bei den Opera¬ 
tionen nicht sorgfältig ausgeführt habe, und es an genügender Pflege 
der Kranken habe fehlen lassen, will er nicht cingchen. Es wäre 

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1196 


M'UENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Htm. 


im Interesse der Wahrheit wünschenswert gewesen, dass Giesc 
das getan hätte; er hätte dann berichten müssen, dass alle diese 
Beschuldigungen restlos widerlegt worden sind. Im Urteil 1 heisst es: 
„es geht nicht an, hier eine dem Beschuldigten ungünstige Fest¬ 
stellung zu treffen, zumal auch sonst kein Fall hervorgetreten ist. in 
dem der Beschuldigte sich einer Säumnis in der Versorgung seiner 
Kranken mit ärztlicher Hilfe schuldig gemacht hat, sondern ihm im 
Gegenteil von vielen Schwestern und' Assistenten bezeugt worden 
ist, dass er sich seinen Kranken immer mH besonderem Eifer und 
besonderer Sorgfalt gewidmet hat.“ 

Zum PrinzenfaH schreibt Giese: „Trotz Unsicherheit eines 
Zeugen bleibt die eidliche Aussage mehrerer anderer Zeugen be¬ 
stehen, dass an einer unvorbereiteten Patientin eine Schauoperation 
ausgeführt worden ist.“ Das ist eine grobe Unwahrheit *), die das 
Gegenteil von dem, was gerichtlich festgesteüt worden ist, dem 
ärztlichen Leserkreis zu unterbreiten wagt. 

Und was nun die Zuziehung eines Laien zu einer Operation be¬ 
trifft, so haben- nach dem Wortlaut des Urteils die Sachverständigen 
H of me i e r und Fehling erklärt, dass sie in der Zulassung eines 
gebildeten Laien, bei welchem persönliches Interesse und Verständnis 
für die Sache vorausgesetzt werden könne, nichts -erblicken können, 
was gegen die ethische Auffassung des ärztlichen Berufes verstiesse. 
Dasselbe hat Bumm ausgesprochen und hinzugefügt, dass die Zu¬ 
lassung von Laien zum Operationssaal in allen Kliniken gelegentlich 
einmal vorkomme. Auch der Sachverständige Winter hat erklärt, 
dass das ziemlich häufig geschehe. Und 1 schliesslich ist im Verfahren 
zur Sprache gekommen, dass auch der Leiter der chirurgischen 
Klinik, Prof. Dr. Le xe r, nicht nur dem betreffenden Prinzen, sondern 
auch anderen Laien die Anwesenheit bei Operationen gestattet hat. 

Punkt 5 der Anklage, mangelhafte Säuglingsfürsorge betreffend. 
Seiner Besprechung zugrunde legt Giese die Rössle sehe Tabelle. 

Die wegwerfende Bemerkung Grieses über die geburtshilf¬ 
lichen Krankengeschichten entbehrt jeder Begründung; sie haben 
ebensowenig Anlass zur Beanstandung geboten, wie es richtig ist, 
dass das Fra n zsche Säuglingsmaterial zum Vergleich herangezogen 
wurde. Im Gegenteil, meine Bestrebungen, dies zu erreichen, sind 
vergeblich gewesen. Als Vergleichsmaterlal stand nur das Engel- 
horns zur Verfügung. Es erstreckt sich auf nicht ganz ein Jahr 
und wird von Engelhorn selbst dem meinen, das sich über 4 Jahre 
erstreckt, kritisch gegenübergestellt. In der Verhandlung in Weimar 
wurde ausdrücklich festgestellt, dass die Engelhorn sehen Kinder¬ 
gewichte, die als vorbildlich hringestelilt worden waren, deswegen nicht 
richtig sein konnten-, weil nachweislich die benutzte- Wage unrichtig 
wog. Zudem wurde seine Statistik als frisiert bezeichnet. 

Wie unrichtig es ist, aus einer kurzen Beobachtungsperiode 
Schlüsse zum Vergleich zu ziehen, davon musste sich Engelhorn 
überzeugen lassen. Es ist ihm nach gewiesen worden, dass im 
Jahre 1917 er unter 297 Geburten eine Gesamtmortalität der Kinder 
von 10,2 Proz. gehabt hat. 18 Kinder wurden tot geboren und 18 
starben nach der Geburt. Im Jahre 1918 starben von den bis zum 
21. Februar geborenen 45 Kindern 7. darunter zwei an Nabelsepsis. 
Kommentare hierzu erübrigen sich. 

Es ist zu bedauern, dass Giese, bevor er sich öffentlich vor 
einer Korona von Aerzten zum Richter über mich setzte, sich nicht 
ausgiebig mit den vorhandenen Unterlagen vertraut gemacht hat. 
Jede nicht auf Tatsachen fassende Erörterung muss notgedrungen zu 
Verwirrungen führen, und das umsomehr, wenn der Referent rächt 
Sachverständiger ist. Es wäre sonaoh besser gewesen, dass Giese 
selbst einmal erst die Akten- gründlich studiert hätte, ehe er sich zu 
seiner absprechenden Kriik bereit finden liess, die nur als Stimmungs¬ 
mache aufgefasst werden kann. 

Die Schwierigkeit der Beurteilung all dieser Dinge, namentlich 
der Säuglingssterblichkeit, ist tatsächlich eine sehT grosse. Allein die 
Tatsache, dass sämtliche Sachverständige, auch der von der Fakultät 
vorgesohlagene Czerny, sich auf meine Seite gestellt haben, hätte 
Giese stutzig machen und zur Vorsicht mahnen müssen. 

Um dem ärztlichen Leserkreis einen Einblick in die Schwierig¬ 
keiten zu geben, die hier zu überwinden sind, gebe ich aus den Akten 
in bezug auf die von Rössle zum Vergleich gestellte Franqud- 
sche Statistik folgendes: 

Nach Weingeroff (F r a n q u 6) starben in der Giessener 
Frauenklinik 1,84 Proz. (nicht 1,7 Proz. nach Giese-Rössle) aller 
lebend geborenen Säuglinge innerhalb der ersten 10 Tage. Als aus¬ 
getragene Kinder bezeichnet die Giessener Frauenklinik solche, die 
mindestens eine Länge von 28 cm und' ein Gewicht von 2800 g haben. 

Von den 81 gestorbenen Giessener Säuglingen waren 29 Frühge¬ 
burten = 35,8 Proz. 52 waren rechtzeitige Geburten = 64,2 Proz. 

Die Gesamtsumme der in der Jenaer Frauenklinik geborenen und 
innerhalb der ersten 10 Tage gestorbenen Säuglinge betrug 
1913/14 52. 

Davon Frühgeburten 34 = 65,4 Proz. 

Davon rechtzeitige Geburten 18 = 34,6 Proz. 

Daraus ergibt sich der fundamentale Gegensatz zwischen dem 
Giessener und dem Jenaer Säuglingsmaterial. Das Verhältnis ist mehr 
als umgekehrt! 

Leider sind nun in der Gfassener Statistik keine näheren Angaben 
darüber enthalten, wieviel von den Frühgeburten innerhalb der ersten 


*) Vergleiche Urteilszitat in Zeile 69 ff. dieser Erwiderung. 

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24 Stunden gestorben sind. Es steht nur da. dass 6 Fälle an Früh¬ 
geburt und Lebensschwäche zugrunde gegangen sind. 

Für das Jenaer Material lässt sich das genau bestimmen. 

Allein schon bei diesen Frühgeburten, die innerhalb der 
ersten 24 Stunden nach der Geburt gestorben sind,^betrug 
die Zahl 17; das sind 33 Proz. der Gesamtzahl der gestorbenen 
Säuglinge (52). 

Dabei sind noch nicht die Fälle berücksichtigt, die am 2. oder 
3. Tage oder sonst innerhalb der 10 Tage an offenkundiger Lebens¬ 
schwäche zugrunde gegangen sind. Darunter sind bei dem Jenaer 
Material Kinder mit Gewichten von 1850 g, 1450 g, 1680 g usw. 

In der Giessener Klinik sind von den 81 Säuglingen 6 an Früh¬ 
geburt und Lebensschwäche zugrunde gegangen. Das sind 7,4 Proz. 
der gestorbenen Säuglinge. Demgegenüber stehen lebensunfähige 
Frühgeburten in Jena und zwar ausschliesslich solche, die innerhalb 
der ersten 24 Stunden gestorben sind. 33 Proz. 

Drastischer kann der Unterschied im Material wohl kaum be¬ 
wiesen werden. 

Ich bin überzeugt, dass aus dem hier vorgebrachten Tatsachen¬ 
material jeder Arzt sich selbst ein Urteil darüber bilden wird, ob die 
Giese sehen Angriffe berechtigt waien oder nicht. 

Auf die G i e s e sehen Erörterungen über Ethik näher einzugehen, 
dürfte sich erübrigen, da übereinstimmend sämtliche Gutachter, die 
ausdrücklich aufgefoidert waren, sich gerade hierzu zu äussern (H o f- 
mei e r, Fehling, Beumer, Bumm) mir nach der Richtung hm 
nicht den leisesten Vorwurf gemacht haben. Ihnen stand das Akten¬ 
material zu Gebote, während die Giese sehe Kenntnis des Tatsäch¬ 
lichen eine offenbar nur sehr lückenhafte ist. 

Giese beruft sich ausdrücklich im Eingang seines Aufsatzes 
darauf, dass derselbe vor seiner Veröffentlkhung der Mehrzahl der 
Mitglieder der Jenaer medizinischen Fakultät Vorgelegen und deren 
Zustimmung gefunden habe. Hierzu gibt es nur zwei Erklärungen: 
entweder haben diese Mitglieder der medizinischen Fakultät den 
Giese sehen Aufsatz nicht gelesen, oder sie verfügen nicht über die 
notwendige Akt-enkenntnis. Demi wenn das der Fall gewesen wäre, 
hätten sie unmöglich ihre Zustimmung zur .Veröffentlichung der un¬ 
wahren Gieseschen 'Behauptungen geben können, zu einer Hand¬ 
lung, die ihr wissenschaftliches und kollegiales Verhalten hr ein 
eigenartiges Lieht rückt. 

In einer Fussnote versieht-G ie se in klar erkennbarer Absicht 
die Jahreszahl 1918 des Erscheinens des Sammelwerkes von Ptac- 
zek, an dem ich mitgearbeitet habe, mit einem Ausrufungszeichen. 
Um auch hier irrigen Auffassungen, die daraus gezogen werden 
könnten, entgegenzuarbeiten, erkläre ich, dass der betreffende Beitrag 
im Frühfahr 1916 von mir geschrieben und im Sommer desselben 
Jahres bereits an den Herausgeber abgeliefert worden ist. 

Idh kann es Giese nachempfinden, dass er jetzt, nachdem die 
Angelegenheit einen anderen Ausgang genommen bat, wie er es bei 
seiner Anzeige erwartet hatte, bestrebt ist, sich der Aerzteschaft 
gegenüber zu rechfertigen. Dazu gehören aber Tatsachen, nicht allge¬ 
meine Eindrücke und Empfindungen. Durch unwahre Beschuldigungen 
wird der Schaden, der der ganzen Aerzteschaft und auch den Uni¬ 
versitäten aus diesem Prozess erwachsen ist, nur grösser. 

Zum Schlüsse möchte ich noch folgendes ganz nachdrücklich 
betonen: Es handelt sich bei dem Ausgang meines Prozesses nicht 
um einen „Freispruch mangels Beweisen“, wie meine Gegner es hinzu¬ 
stellen versuchen, sondern das Urteil sagt ausdrücklich, dass in einer 
mehrjährigen ausserordentlich gründlichen Untersuchung die gesamte 
Tätigkeit des Beschuldigten nach jeder Richtung hin einer peinlichen 
kritischen Durchleuchtung unterzogen worden ist. 

Meine Freisprechung bedeutet gleichzeitig die Verurteilung 
meiner Gegner. 'Deshalb verstehe ich sehr wohl, dass sie auf alle 
Weise versuchen werden, den durch den unerwarteten Ausgang des 
Prozesses hervorgerufenen Eindruck zu verwischen. 


Schlusswort. 

Dem Entgegenkommen der Schriftleitung verdanke ich es, dass 
mir der vorstehende Aufsatz Henkels vor der Drucklegung vor¬ 
gelegt wurde. Wenn ich es unterlasse, die von Herrn Prof. Henkel 
gegebene Darstellung im einzelnen ausführlich zu widerlegen, so 
geschieht dies hauptsächlich deshalb, weil bei zwei einander diame¬ 
tral entgegengesetzten Auffassungen der Leser doch nicht entscheiden 
kann, welches die richtige ist. Für die Beurteilung des Falles 
Henkel dürfte eine genaue Kenntnis der Akten und weiterhin viel¬ 
leicht- auch die Kenntnis der Persönlichkeit des Beschuldigten er¬ 
forderlich sein. Ich halte nach wie vor an meiner Darstellung fest. 
Herr Henkel stützt sich im wesentlichen auf die Ausführungen des 
Gerichtes, deren medizinische Berechtigung ich ja gerade an- 
gezweifelt habe. Wo Henkel sonst sich auf Akten beruft, stehen 
diesen seinen Behauptungen andere unter Eid bekräftigte gegenüber. 
Nur auf einen Punkt muss ich eingehen, auf den beleidigenden Vor¬ 
wurf einer groben Unwahrheit. Meine Behauptung, dass trotz Un¬ 
sicherheit eines Zeugen die eidliche Aussage mehrerer anderer 
Zeugen bestehen bleibt, dass an einer unvorbereiteten Patientin eine 
Schauoperation ausgeführt worden ist, wird durch die inzwischen 
erschienene ausführliche Urteilsbegründung des Oberverwaltungs¬ 
gerichts nicht erschüttert. Meine Angaben werden dadurch bestätigt, 
dass der Vertreter der Anklage in seinem Plaidoyer folgendes ans- 

Qriginal ftom 

■ UNIVERSITY OF CALIFORNIA ^ 



>ber 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1197 


geführt hat: „Meiner Ansicht nach ist kein Beweis dafür geführt, 
dass die betreffende Patientin gestorben ist, aber es ist durch drei 
Zeugen bewiesen, dass, nachdem das Operationsmaterial erschöpft 
war, noch eine Frau, die nicht vorbereitet war, zur Operation vor¬ 
bereitet wurde und dem Prinzen voroperiert wurde; nur ist nicht 
festgestellt, dass diese Frau gestorben ist. Ein schlimmer Teil fällt 
weg, aber das Vorführen und Operieren eines unvorbereiteten 
Patienten und überhaupt in Gegenwart des Prinzen bleibt bestehen, 
und das ist strafbar.** Für mich bleibt auch nach der Erwiderung 
des Herrn Henkel und nach Kenntnisnahme der ausführlichen 
Urteilsbegründung des Oberverwaltungsgerichtes mein Schlusssatz 
bestehen: „Der Freispruch im Henkelprozess ist für den Arzt ein 
Fehlspruch.“ Mit dieser Ansicht stehe ich nicht allein. G i e s e. 


Bücheranzeigen und Referate. 

Rieder und Rosenthal; Lehrbuch der Röntgenkunde. 

(3 Bände.) II. Band. Mit 344 Abbildungen im Text und 5 Tafeln. 
1918. Verlag J. A. Barth, Leipzig. Preis 31.50 M. 

Auf den im März 1913 erschienenen 1. Band ist endlich der lang 
erwartete 2. Band erschienen. Er enthält die Röntgenuntersuchungen 
in der Riwno-Laryrrgo»k>gie von Ne um # a y e r - München, des Ohres 
von H ei n e - München, in der Augenheilkunde von Salz er-Mün¬ 
chen, in der Neurologie von Fürnrohr - Nürnberg, in der Gynäko¬ 
logie und Geburtshilfe von Reifferscheid - Bonn, in der Kinder¬ 
heilkunde von Goett - München, in der Anatomie von Hassel¬ 
wan d e r - München, sowie „Ueber die Fehlerquellen bei der Deu¬ 
tung von RöntgeribiWern im allgemeinen“ von B a e r - Zürich, „Rönt¬ 
gentechnik“ von R ose nt ha> i-München und „Fremdkörperbestim¬ 
mung“ von Griashey -München. 

Die Bearbeitung aller Kapitel ist eine ganz vorzügliche; für den 
Faohröntgenologen besonders lehrreich sind die von Nichtfachrönt- 
genölogen geschriebenen Abschnitte, wenn man auch dabei iwer 
und da auf kleine physikalische Fehler stösst und z. B. erfährt, ein 
häufig geübtes Verfahren sei, nur eine Aufnahme anzutertogen und 
daraus die Diagnose zu stellen, ein Standpunkt, den man, wenn er 
überhaupt jemals vorhanden war, seit mehr als 20 Jahren überwun¬ 
den glaubte. Das ist aber auch das einzige, was auszusetzen wäre. 
Ganz neu in seiner Art ist ein Kapitel über Röntgenstnahien ln der 
normalen Anatomie aus der Meisterhand Hasselwanders (vom 
Ref. um so wärmer begrüsst, als Ref. bereits vor 15 Jahren Ana¬ 
tomen zu veranlassen suchte, wertvolle Röntgenbilder in die ana¬ 
tomischen Atlanten ernzufügen). 

Wegen des inzwischen bedeutend erweiterten Anwendung^ 
gehietes der Röntgenstnahien soll ,ein dritter, und zwar therapeu¬ 
tischer Band erscheinen, und zwar baldmöglich nach Friedens¬ 
schluss. Beiden (d. h. dem Bande und dem Friedensschluss) wird 
mit gleicher Spannung und dem Wunsche recht baldigen Erscheinens 
entgegengesehen. Alban Köhler- Wiesbaden. 

Paul Jeiisen: Physiologische Anleitung zu einer zweok- 
mässlgen Ernährung. Berlin, Julius Springer, 1918. 71 Seiten. 
9 Figuren im Text. Preis 2.80 M. 

Die kleine Broschüre verdankt fhre Entstehung zwei Vorträgen, 
die Verf. im Hausfrauenverein in Göttingen gehalten hat. Es kam 
ihm, neben der Unterweisung in den ernährungsphysiologischen 
Tatsachen besonders darauf an, darzustellen, wie eine Nahrung be¬ 
schaffen sein muss, wenn sie zweckmässig sein soll. Nach 
diesem Hauptgesichtspunkt gliedert sich das Ganze in verschiedene 
kleine Abschnitte, in denen wohl fast alle modernen Fragen der Er¬ 
nährung, wenn auch kurz, berücksichtigt und praktische Vorschläge 
gemacht sind. Im Hinblick auf die gegenwärtige Lage, bei der die 
Beschaffung einer zweckmässigen (Friedens-) Nahrung Schwierig¬ 
keiten darbietet, ist zum Schluss noch ein Kapitel über „unsere 
Ernährung im Kriege“ hinzugefügt, weiches die Frage der Ratio¬ 
nierung und der Zusatznahrung erörtert. Wie nicht anders zu er¬ 
warten, kommt Verf. auch zu dem Schluss, dass die rationierte 
Nahrung nicht ausreicht und auch die Zusatznahrung nur eine 
hypothetische Zahl darstellt, mit der nicht mit Sicherheit gerechnet 
werden kann. Der letzte Abschnitt enthält ebenfalls Ratschläge, um 
auch unter den schwierigen Verhältnissen die Ernährung möglichst 
rationell zu gestalten. R. 0. Neumann -Bonn. 

Neueste JoumaUkeratur. 

Bruns’ Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von Garrö, 
Küttner, v. Brunn. 112. Band. 4. Heft. (58. kriegschir. 
Heft.) Tübingen, Lau pp, 1918. 

Berichtigung: Das in Nr. 39 referierte Heft war Br. 112, 
Heft 3, nicht Heft 2. 

H. v. B a r d e le b e n: Pathologie und Therapie der Dannschüsse. 

Während sich v. B. eine zusammenhängende Schilderung seines 
Gesamtmaterials für eine spätere Arbeit vorbehält, gibt er eine Er¬ 
örterung einzelner praktisch-technischer Fragen unter Mitteilung ent¬ 
sprechende Kasuistik im' Hinblick auf eine grosse Reihe von Fällen, 
die von ihm im Verlauf von Jahren an allen Teilen der West- 


Di gitized by Gougle 


front (aber ausschliesslich am Hauptverbandplatz und vorgeschobenen 
Operationsstellen) operiert wurden und die er in 4 Gruppen (die erste mit 
12 Proz., die letzte — nach Einführung gewisser allgemeiner Mass¬ 
nahmen bei Operation der Bauchschüsse — mit 60 Proz. Erfolgen) 
gliedert. B. hebt hervor, dass es bei den Bauchschüssen erheblich 
weniger auf die Schnelligkeit, als auf das Schonende des Transports 
zur Operationsstelle ankommt und dass in dem Wagen- und Auto¬ 
transport meist eine Schädigung der Bauchschussverletzten gegeben, 
während die lediglich mit Tragen zugebrachten Pat. wesentlich gün¬ 
stigere Chancen boten. B. geht auf die Technik der Behandlung der 
Bauchschüsse näher ein, betont die nach Vernähung der Darmlöcher 
vorzunehmende Spülung mit isotonischer körperwarmer Kochsalz¬ 
lösung, wodurch am schonendsten Verunreinigungen, Fremdkörper 
(Geschosse und Tuchfetzen, mit Fäkalien verquickte Blutmassen) 
herausgespült wurden, indem die Wundränder des ausgedehnten 
Bauchschnittes weit nach oben und auseinandergehalten werden, so 
dass die Eingeweide unter der Irrigation in der breiten Mulde schwim¬ 
men, der Rest der Flüssigkeit mit weichen Mullkompressen dann leicht 
ausgetupft werden kann. Ein Bedürfnis nach Drainage des kleinen 
Beckens hat sich v. B. nie aufgedrängt. Für wichtig hält er eine 
absolute Ruhestellung des Darmes durch Vermeidung jeglicher Flüs- 
sigkeits- und Nahrungszufuhr, während er durch ausgiebige subkutane 
Infusion isotonischer Kochsalzlösung ev. mit Adrenalinzusatz (täglich 
3—4 Liter, im ganzen, in 2 regelmässigen Dosen), dem Bedürfnis des 
Körpers an Flüssigkeit genügt. 

Bei engerer Lokalisation, Beschränkung der Darmwunden und 
Folgeerscheinungen auf ein abgrenzbares Gebiet (der weitaus ge¬ 
ringeren Zahl der Fälle — am häufigsten noch bei dorsoventralen 
oder ventrodorsalen Durch- oder Steckschüssen in den Weichen) 
würde eine allgemeine Spülung wegen Verschleppungsgefahr kontra¬ 
indiziert sein und wird mit sterilen Tupfern abgestopft, ev. die vor¬ 
gezogene Schlinge mit feuchten Mullkompressen unter Berieselung 
gereinigt. 

In der Blutung ist eine der grössten typischen Gefahren des 
Bauchschusses zu sehen, diese führt viel häufiger zum Tod als an¬ 
genommen wird, im Verein mit dem Schock entsteht die am schwer¬ 
sten zu bekämpfende Lebensgefahr. Intravenöse Kochsalzinjektion 
mit 8—10 Tropfen 1 prom. Suprareninlösung, Sauerstoffinhalationen, 
ev. künstliche Atmung, Kampfer in hohen Dosen, ev. Strychnin 
müssen hier herangezogen werden, v. B. hebt die geringere Re¬ 
generationsfähigkeit bei Männern, besonders nach dem 30 —35. Jahr 
hervor, 2Va Liter Blut in der Bauchhöhle sei hier fast unbedingt 
tödlich. 

Die häufigste Todesursache ergeben Kombination mit Verletzung 
des Lungenraumes oder auch mit Knochen- und Gelenkzertrümme- 
i ungen, die Bedeutung dieser Komplikation kommt im Material v. B.s 
in überzeugender Weise zum Ausdruck. Besonders bei den mit 
Zwerchfellverletzung kombinierten Fällen ist der Verschluss des 
durchlöcherten Zwerchfells nötig, der Flankenschnitt ist hiebei der 
gebotene Laparotomieschnitt. Wird das Zwerchfell an seinem kostalen 
Ansatz breit abgerissen, so muss es weiter oben hin an den Brust¬ 
korb von innen her wieder angenäht werden. Lungen- und Leber¬ 
schüsse, aber auch letztere allein (Steck- und Durchschüsse) geben 
nur dann operative Indikation, wenn stärkere Blutung zu stillen ist. 
Bei befriedigendem Puls und Allgemeinbefinden lässt man solche 
Fälle besser unoperiert. 

H. Hilgenreiner -Prag bespricht die Knochenatrophie nach 
Schussverletzungen der Extremitätenknochen und Ihre diagnostische, 
prognostische und funktionelle Bedeutung. Unter Beigabe einer 
grossen Reihe von Röntgenbildern schildert er eine grössere Zahl 
von Knochenatrop'hien nach Schussverletzungen der Hand. Schuss¬ 
frakturen des Vorderarms und einige des Oberarms, des Unter- und 
Oberschenkels, geht auf die in einer Anzahl der Fälle beobachtete 
Atrophie des peripheren Bauchschnittes und die peripher gelegenen 
Teile ein und auf die verschiedenen veranlassenden Faktoren, von 
denen vor allem die Inaktivität und Ischämie hervorzuheben sind. 
Im Anschluss bespricht'H. auch die Ursache der Pseudarthrosen nach 
Schussfrakturen und die Fragilität der Knochen nach solchen. 

Fritz G e i g e s bespricht aus dem Freiburger Diakonissenhaus 
die chirurgische Behandlung der Pseudarthrosen nach Schussver¬ 
letzung und die Osteosynthese subkutaner Frakturen. G. geht unter 
Bezugnahme auf das betr. reiche Material der Hotz sehen Abteilung 
auf die verschiedenen Methoden der Pseudarthrosenoperationen ein, 
von denen er speziell die L a n e sehe Plattenmethode als die exak¬ 
teste Reposition und festeste Aneinanderlagerung der Bruchenden 
ermöglichende Methode bevorzugt, die auch baldige Funktionsauf¬ 
nahme, d. h. wesentliche Abkürzung der Heilungsdauer gewährleistet 
und führt solche Fälle in kurzen krankengeschichtlichen Bemerkungen 
unter Beigabe der Röntgenbiider (vor und nach der Operation) vor. 
Für die plastischen Operationen, die sich in vielen Fällen nicht ver¬ 
meiden lassen, empfiehlt G. eine entsprechende Voroperation vor der 
(ausschliesslich autoplastisches Material benützenden) plastischen 
Operation. Einfache Pseudarthrosenfälle kann man operieren, ohne 
die endgültige Heilung der Fisteln abzuwarten, wenn man mit model¬ 
lierender Trennung der Knochenenden und Adaptierung der Bruch¬ 
enden mit Draht oder nach L a n e auskomint. 

Ed. Re h n gibt eine Arbeit zur Gefässchirurgle Im Felde speziell 
bei Schussverletzungen der Hals- und Schlüsselbeingelässe. R. teilt 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1198 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 43. 


eine Reihe seltener Fälle von Gefässnaht — u. a. einen Fall, in dem 
durch Resektion des sternalen Teils des Schlüsselbeins und An¬ 
drücken der Schulter erst die Naht der zerrissenen Subklavia er¬ 
möglicht wurde — mit und sieht in der in der Regel primären 
schweren Blutung, dem Versagen der Koliateralen, der Möglichkeit 
zur Anwendung der primären Gefässnaht mit ihren unbestrittenen 
Vorteilen und den Gefahren der sekundären Nachblutung — die Ver¬ 
anlassung, die primäre Operation der die Hals- und Schlüsselbein- 
gefässe betreffenden Schussverletzungen zur bedingten prinzipiellen 
Methode zu erheben und beweist durch seine Fälle, dass sich die 
Schwierigkeiten des primären Eingriffes und der primären Gefässnaht 
überwinden lassen. 

Georg Wolfsohn gibt einen Bericht über 100 Fälle von 
Gasödem, bespricht seine Behandlung und deren Resultate, geht aber 
auch auf die biologischen Vorgänge, den Bakterienbefund und die 
Mischinfektionen entsprechend ein. Sehr. 

Zeotralblatt für Chirurgie. Nr. 39, 1918. 

Wilh. Manninger -Pest: Schnelldesinfektion der Hand. 

Verf. empfiehlt die Desinfektion der Hände mit „Magnosterin“, 
einer Verbindung von Hypochloriten mit Magnesia. Reinigen der 
Hände 10 Min. lang genügt, um eine Sterilität von 90—100 Proz. zu 
erzielen. Der Chlorgeruch wird durch eine verseiftes Stearin und 
Cadogel enthaltende Handpaste sicher entfernt. Schädigungen der 
Haut traten nicht auf. 

v. Haberer - Innsbruck: Ausgedehnte Magenresektion bei 
Ulcus duod. etc.. Zum Aufsatz von Finsterer in Nr. 26. 

Verf. legt seinen Standpunkt über ausgedehnte Magenresektion 
bei Ulcus duod. eingehend dar; über die Ausdehnung des zu rese¬ 
zierenden Magenteiles entscheidet er von Fall zu Fall, wenn 
er auch seither in den meisten Fällen ausgedehnte Resektionen ge¬ 
macht hat; Form und Grösse des Magens, Anzahl der Ulcera, peri- 
gastrale Veränderungen diktieren ihm die Grösse der Resekion. 

L. Kirchmayr - Wien: Zur Technik des Verschlusses eines 
Anus praeternaturalis. 

Verf. reseziert von einem paramedianen Längsschnitt aus den 
Darm und stellt die Anastomose her. Hart am Darme wird das 
Mesenterium abgetragen; nach Anastomosenbildung geht ein Assi¬ 
stent mit der Kornzange in die wurstzipfelförmig geschlossenen und 
durch Zirkulärnaht eingestülpten Darmteile durch den Anus praeter¬ 
naturalis ein und zieht beide Darmstücke durch den Anus heraus; 
jetzt werden dann die Darmenden etwas hochgezogen und das Peri¬ 
toneum ohne Mühe verschlossen; nach Bauchschluss wird das Darm¬ 
stück entfernt. Mit 2 Skizzen. 

J. J. Stutzin: Zur Anlegung einer „Ventllflster als Blasen¬ 
dauerfistel. 

Verf. schildert an der Hand von 3 Abbildungen seine neue Me¬ 
thode der Bildung einer Ventilfistel bei der durch Anlegen einer 
Klappe ein innerer Verschluss erzielt werden soll. Die Einzelheiten 
der Technik sind in der Originalarbeit selbst nachzulesen. 

E. He im-zurzeit im Felde. 

Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 59. Bd., 1.—6. H. 

Protokoll der 9. Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher 
Nervenärzte in Bonn am 28. und 29. September 1917. 

5.— 6. H. Ad. Wallenberg - Danzig: Ludwig E d 1 n g e r t. 

Nachruf. 

O. Maas-Berlin: Bemerkenswerter Krankheitsverlauf bei Ge¬ 
schwülsten des Zentralnervensystems. 

M. teilt 5 Fälle von Geschwülsten des Zentralnervensystems 
mit, deren Krankheitsverlauf teils durch abnorm lange Dauer, teils 
durch auffallende Besserung von einzelnen 'Symptomen gekenn¬ 
zeichnet war, und die dadurch der Diagnose besondere Schwierig¬ 
keiten boten. ,So zogen sich die Erscheinungen eines Rückenmarks¬ 
tumors 6 Jahre hin unter verschiedentlicheiT Remissionen, so dass 
man eher an das Vorliegen einer multiplen Sklerose zu denken ge¬ 
neigt war. Bei einem Fall kam nach operativer Entfernung einer 
Geschwulst an der Aussenseite der Dura ein gleichbeschaffener Tu¬ 
mor au derselben Stelle der Innenseite zur Entwicklung. Während 
der 15 jährigen Krankheitsdauer bei einer komprimierenden Rücken¬ 
marksgeschwulst fehlten merkwürdigerweise Störungen des Be- 
rührungs-, Schmerz- und Lagegefühls. Ein Gliom des Kleinhirns 
wurde durch 5 Jahre hindurch beobachtet, während ein Tumor 
cerebri nachweislich 34 Jahre bestand, ehe er zur Autopsie gelangte. 

G. F 1 a t a u - Berlin. Ueber psychische Infektion. 

Schiitteltremor wurde in 2 Fällen von 2 Neurotikern auf 2 dazu 
disponierte Stubengenossen übertragen 

H ü b o 11 e r - Berlin: Ein Nervenfall aus der Praxis eines 
chinesischen Arztes vor mehr als 2000 Jahren. 

Krankengeschichte eines Falles, der mit Lähmungen und Heiser¬ 
keit einherging und vielleicht als bulbäre Affektion, Paralyse oder 
arteriosklerotischer Prozess zu deuten ist. beschrieben von 
Tshiur jü i. 

A. Simons- im Felde: Kriegsbeobachtungen. I. Hodgkins 
Krankheit als Tumor der Dura spkialis verlaufend. 

Querschnittslähmung im obersten Brustmark, die sich schmerz¬ 
los entwickelt. Bei Operation, inoperabler weicher Duratumor leu- 

□ igitized by Gouole 


kämischer oder pseudoleukämischer Natur. Anfangs Besserung, Be¬ 
strahlung mit Röntgenstrahlen, schwere Kachexie mit hohem wech¬ 
selndem Fieber. Sektion ergibt Lymphogranulomatose. Bemerkens¬ 
wert ist, dass der bei der Operation gefundene Tumor durch Röntgen¬ 
bestrahlung fast ganz geschwunden war, wie die Obduktion dar¬ 
legte, was einen Hinweis zur Therapie in solchen Fällen bietet. 

II. Familiäre Trommelschlegelbildung und Knochenhypertrophie. 
Kasuistik. 

III. Gefühlsprüfung am freigelegten Nerven. 

Das Ergebnis der Untersuchungen war: Leichte Berührung, 
geringer Druck, schwacher Stich, Wärme und Kälte wurde auch vom 
unermüdeten, gesunden oder sehr gering geschädigten Nerven über¬ 
haupt nicht oder nicht spezifisch empfunden. Der elektrische Strom 
von einiger Stärke und grobe Reize lösten regelmässig gewisse 
Empfindungen, wie Kribbeln aus. Stammreizung der Einzelbündel 
eines gemischten Nerven löste bestimmte Empfindungen, wie kalt 
z. B., nicht aus und ermöglichte nur grobe Lokalisation. 

P1 a c z e k - Berlin: Die Bekämpfung vererbbarer Nervenkrank¬ 
heiten. 

Verf. fordert die mit allen Mitteln durchgeführte Verhinderung 
der Fortzeugung zur Ausmerzung vererbbarer Nervenerkrankungen. 

• O. Renner - Augsburg. 

Vlerteliahrscbrift für gerichtliche Medizin und öffentliche« 
Sanitätswesen. 55. Band, 1. Heft. 

Der Mechanismus des Todes durch elektrischen Starkstrom und 
die Rettungsfrage. Von Prof. Dr. H. Boruttau -Berlin. (Mit 
2 Abbildungen und 5 Kurven im Text.) 

Da noch in den neuesten medizinischen Veröffentlichungen Über¬ 
wiegend unzutreffende Anschauungen über den Mechanismus des 
Todes durch elektrischen Starkstrom und die Rettung durch ihn 
verunglückter Menschen sich finden, erörtert Verf. zur Richtigste^ 
lung dieser Irrtiimer in einer sehr ausführlichen Arbeit auf Grund 
eines ärztlichen Materials von 1190 elektrischen Unfällen diese Frage 
und kommt dabei zu dem Ergebnisse, dass die Anschauungen von 
Prevost und Battelli, der auch Alvensleben und Bo¬ 
de n w a 1 d gefolgt sind, völlig zu Recht bestehen, nämlich dass in 
der überwiegenden Mehrzahl der Todesfälle durch Starkstrom dieser 
durch irreparables Herzkammerflimmern und das dadurch 
gesetzte Aufhöre n des Blutkreislaufes zustande komme, 
dass dagegen die Annahme der „W iener Schul e“, die Jel- 
1 i n e k verficht, durchaus abzulehnen sei, wonach Atemhemmung 
und nervöse Läsionen eine Hauptrolle spielen, im übrigen der Mecha¬ 
nismus des Starkstromtodes individuell durchaus verschieden und 
der Tod durch Elektrizität allgemein nur ein Scheintod sein sollte. 

Bei Rettungsversuchen dürfe man sich daher nicht allein aui 
die künstliche Atmung beschränken, sondern müsse versuchen, mit 
geeigneten Mitteln — subdiaphragmatische Herzmassage, interkar¬ 
diale Injektion entsprechender Lösungen, Anwendung des elektrischen 
Stromes — die normale Herztätigkeit wieder in Gang zu bringen. 

Die Giftigkeit des Arsen Wasserstoffes für den Menschen. Von 
A. H e f f t e r. (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität 
Berlin.) 

Der Arsenwasserstoff habe in Laboratorien und chemischen Fa¬ 
briken, bei Luftschiffen und bei Füllung von Kinderluftballons schon 
eine ganze Reihe von Vergiftungen herbeigeführt, teils bei Herstel¬ 
lung des Gases selbst, teils dadurch, dass Wasserstoff aus arsen¬ 
haltigem Material bereitet werde. Die hauptsächlichste Schädigung, 
die der Arsenwasserstoff im Körper hervorrufe, sei die Blut- 
körperchen auflös ung. Die Vergiftungsersc'heinungen be¬ 
stehen in der Hauptsache in Schwindel, Ohnmacht, heftigem, an¬ 
dauernden Erbrechen und ausserordentlicher Hinfälligkeit. Ueber 
die Höhe der tödlichen Giftdosis für den Menschen sei bis jetzt 
Sicheres noch nicht bekannt,' nach einigen Versuchen wird 0,1 bis 
0,15 g AsHs im Blute als tödlich angenommen, nach anderen 
0,3 g AsHs. 

Zur Vergiftung durch gasförmige Blausäure. Von Prof. Dr. 
Algot Key- Aber g. 

Nähere Beschreibung eines Falles von Blausäurevergiftung, die 
durch eine zwecks Vertilgung von Wanzen während mehrerer Stun¬ 
den vorgeiiommene Entwicklung von Zyanwasserstoffgas ver¬ 
ursacht wurde — es wurden etwa 80 g Zyankalium nebst '/« Liter 
Schwefelsäure und 500 g in einer offenen Schüssel vergast —. in 
welchem Raum, ehe dieser nach vorgenommener Desinfektion gründ¬ 
lich gelüftet worden war. eine Person übernachtet hatte. 

Der Fall Speichert, aktenmässig dargestellt und mit epikritischen 
Bemerkungen versehen. Von Dr. L e s s e r - Breslau. 

Es handelt sich um einen Vergiftungsfall in Bomst (Provinz 
Posen) aus dem Jahre 1876, bei welchem der Täter (ein Apotheker) 
vom Schwurgerichte zum Tode verurteilt und nach Abweisung des 
Wiederaufnahmeverfahrens zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe be¬ 
gnadigt wurde. Es bestand Meinungsverschiedenheit unter den 
Sachverständigen, Aerzten sowohl als Chemikern, über die wirkliche 
Todesursache, so dass es zu wiederholten Ausgrabungen der Leiche 
kam. Als erstobduzierender Gerichtsarzt wirkte Robert Koch mit, 
damals Kreisarzt in Wollstein. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


22. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1199 


Untersuchungen über Treberbrot. (Nach Stoffwechselver¬ 
suchen am Menschen.) Von Prof. Dr. 0. Neumann -Bonn.) 

Das Ergebnis dieser Untersuchung war, dass das sog. Treber¬ 
brot — „Treber", bekanntlich der Rückstand des für die Bier¬ 
bereitung geschroteten Malzes — noch ungünstiger hinsichtlich 
seiner Ausnützung sich verhält, als das reine, aus einem zu 94 Proz. 
ausgemahlenem Mehle hergestellte Roggenbrot. Treberbrot 
ist Roggenkriegsbrot mit Zusatz von 5—10 Proz. Zervesinmehl 
(Trebermehl) hergestellt. Der Verlust an Eiweiss beträgt 
34,49 Proz. bis 40,56 Proz. Es sei daher fraglich, ob es sich im 
Hinblicke auf Zeit, Arbeitskraft, Kosten und Opfer lohne, Brotstreck¬ 
mittel von der Art des Zervesinmehls hersteilen zu lassen. Wegen 
des Geschmackes des Brotes hätten sich allerdings keine Bean¬ 
standungen ergeben, auch lasse es sich gut verbacken und verursache 
keine Beschwerden, jedoch wäre, wenn die Verhältnisse die 
Streckung mit Zervesinmehl einmal wirklich erfordern sollten, ein 
Zusatz von nicht mehr als 5 Proz. Zervesinmehl als zweckmässig 
zu erachten. Spa et-Fürth. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 40. 1918. 

W. P f e i f f e r - Frankfurt a. M.: Zur Behandlung von Diph¬ 
theriekeimträgern mit Morgenroths Chinaalkaloiden. 

45 Fälle, in welchen Verf die Entkeimung von Diphtheriebazillen 
vorgenommen hat, sind tabellarisch dargestellt, die Methode dieser 
eingehenden Lokalbehandlung, z B. mittels Auswischungen und In¬ 
jektionen von Vn —1 proz. Eukupinotoxin oder Eukupin wird — bei 
Abbildung der dazu nötigen Instrumente — genau angegeben. Die 
spezielle Behandlung von komplizierenden Affektionen der Nase, der 
Mandeln etc. ist sehr wichtig. Verf. tritt auch dafür ein, dass die 
prinzipiell mit Serum zu behandelnden Diphtheriekranken nach Ab¬ 
fall des Fiebers lokal zu behandeln sind. 

A. Alexander -Berlin: Das Auftreten äusserer hetero¬ 
sexueller Geschlechtsmerkmale bei Hypogenitalismus. 

Mitteilung eines Falles, wo sich bei einer Patientin, welche ur¬ 
sprünglich keine Abweichung vom weiblichen Typus gezeigt hatte, 
im Anschluss an Aufregungen und das Einsetzen der Menopause 
verschiedene männliche Geschlechtsmerkmale entwickelten (männ¬ 
liche Stimme, Bartwuchs etc.). 

F. Chotzen - Breslau: Ueber Vorkommen und Bedeutung der 
Scapula scapholdea. 

Die Abweichung besteht darin, dass der vertebrale Schulter¬ 
blattrand konkav, statt konvex verläuft. Verf. fand diese Ab¬ 
weichung uner 400 Kindern Breslauer Hilfsschulen in 59 Proz. Am 
häufigsten besteht Verbindung mit Rachitis, ausserdem vielleicht mit 
hereditärer Lues. Degenerationszeichen fanden sich häufig bei den 
betreffenden Kindern. 

E. Melchior- Breslau: Zur Frage der Kälteempfindung des 
Magens. 

Durch Selbstversuche und weitere Beobachtungen konnte sich 
Verf. überzeugen, dass die epigastrale Kälteempfindung ihre Ursache 
in einer direkten Fortleitung der Abkühlung vom Magen her auf die 
Bauchwand hat. Ein Kältereflex kommt also nicht in Frage. 

K. Reiser- Diedenhofen: Herstellung von Schienen aus Flecht¬ 
werk von Efeuranken. 

Verbandtechnische Notiz. Grassmann -München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 40, 1918. 

A. Blaschko -Berlin: Zur Theorie und Praxis der Gonorrhöe- 
behandlung. 

Der Erfolg der Behandlung auf der Höbe der Erkrankung liegt 
in einer Milderung der bestehenden Entzündung. Geht die Krank¬ 
heit nur mit geringfügigen Reaktionen einher, so ist allerdings eine 
„reizende Injektion“ vorzunehmen. 

F. Kalberlah und H. S c h 1 o s s b e r g e r - Frankfurt a. M.: 
Chemotherapeutische Studien bei chronischer Malaria. 

Die bei Trypanosomen als wirksam erkannten Farbstoffe haben 
weder allein, noch in Verbindung mit Chinin oder Arsenobenzolen 
bei chronischer Malaria Erfolg. 

R. Grote- Halle: Magensaftabsonderung und Krieg. 

Bei der Kriegssuperazidität ist die gesteigerte Erregbarkeit der 
sensiblen Magennerven von ausschlaggebender Bedeutung. Es er¬ 
krankten hieran Leute, die konstitutionell stigmatisiert sind. 

P. Sudeck -Hamburg-Barmbeck: Ueber die Behandlung des 
Morbus Basedow! und der Struma maligna mit Röntgenstrahlen. 

Heilung von Basedow erreicht man besser durch Operation als 
durch Bestrahlung. Dagegen leistet diese Vorzügliches bei der Be¬ 
handlung der Struma maligna. 

E. Krohmayer: Beziehungen zwischen Schutzimpfung und 
spezifischen Serumstoffen bei Typhus. 

Im Gegensatz zu Seiffert fand Verf., dass Serum von Ge¬ 
impften das Wachstum von Typhusbazillen hemmt. 

Kurt Beckmann -Stuttgart: Ueber Darmblutungen nach epi¬ 
demischer Grippe. 

Darmblutungen traten auffällig gehäuft nach Grippe auf. 

P e 1 z - Königsberg i. Ostpr.: Truppenärztliche Beobachtungen 
über die sogen, spanische Grippe. 

Mitteilung des Alters der Erkrankten, cjer Dauer des Fiebers, 

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der subjektiven und objektiven Symptome und des Verlaufs und der 
Prognose. 

M. Haedke - Hirschberg: Darmverschluss mit ungewöhnlichem 
anatomischen Befund. 

In einem Falle trat Darmverschluss durch den Wurmfortsatz ein. 
während in einem zweiten Falle die seltene Beobachtung gemacht 
wurde, dass es bei einem 54 jährigen Manne zu einer Intussuszeption 
kam. 

H. B o r u't t a u - Berlin: Ueber hypnagoge Bäldrlanwirkung. 

Eine Kombination von Baldrian mit diäthylbarbitursaurem Na¬ 
trium setzt die Reflexerregbarkeit des Frosches herab. Beim Men¬ 
schen wirkt es schlafbefördernd, weil es die äussere Erregbarkeit 
herabsetzt. B oe n h e i m - Nürnberg. 

Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1918. Nr. 34 
und 35. 

A. Glaus und R. Fritsche -Basel: Ueber den Sektionsbefund 
bei der gegenwärtigen Grippeepidemie. 

Im ganzen erhoben die Verf. die gleichen Befunde, wie sie auch 
in der deutschen Literatur beschrieben sind. Bakteriologisch fanden 
sich meist Pneumokokken, Streptokokken und Staphylokokken, keine 
Influenzabazillen. 

A. Schönemann -Bern: Zur Prophylaxe der Influenza. 

Empfehlung von Vioformeinblasungen in die Nase. 

C. W a e g e 1 i - Genf: Relatlons entre les affectlons gynöco- 
logiques et rappendice. 

Bericht über 896 Laparotomien der Genfer Klinik. 

de Re y n i e r - Herisau: Beitrag zum Studium der Symphyseo- 
tomie. Bericht über 2 Fälle. 

0. Steiner: Ueber Dlnitrobenzolvergiftungen. 

Bericht über 7 Fälle. Therapeutisch waren Sauerstoff, Aderlass 
und subkutane Infusion von 3 proz. Natriumbikarbonatlösung und 
reichlich Exzitantien nützlich. Da das Gift durch die Haut und 
Atmung aufgenommen wird, sind die Kleider zu entfernen und die 
Haut sorgfältig zu reinigen. 

Nr. 35. W i 1 d b o 1 z - Bern: Ueber traumatische Nephritis. 

Zusammenfassendes Referat und 2 eigene Fälle. 

R e i n b o 1 d - Lausanne : La nöphrectomle du rein traumatisö. 

Verf. beschreibt einen Fall und bespricht die Indikationsstei¬ 
lung etc. 

A. v. B e u s t - Zürich: Ein Fall von Ileus vermlnosus. 

R. Staehelin - Basel: Ueber Pavor. 

E. W y s s - Bern: Ueber ein neues Vollpräparat aus Opium: 
Pavon „Ciba“. 

Beide Verf. empfehlen das neue Präparat, das volle Opium¬ 
wirkung hat, ohne wesentliche Nebenwirkungen. L. Jacob. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M. 

(Offizielles Protokoll.) 

1757. ordentliche Sitzung, Montag den 17. Juni 1918, 
abends 7 Uhr. 

Vorsitzender: Herr Vohsen. 

Schriftführer: Herr Seckbach. 

Herr Goldschmid: Demonstrationen. 

Herr Braun: Ist die Grub er-Wida Ische Reaktion bei 
Schutzgeimpften unverwertbar? 

Herr Braun kommt zu folgendem Schluss: 

„In mehr als der Hälfte der Fälle tritt bei Typhuskranken, gleich¬ 
gültig ob sie schutzgeimpft sind oder nicht, eine Mitagglutination von 
Paratyphus-A-Bakterien auf. Diese fehlt bei mit Typhusimpfstoff 
Schutzgeimpften, die nicht an Typhus oder Paratyphus krank sind, 
wenn die Schutzimpfung mehrere Wochen (8) zurückliegt. Die 
Mitagglutination von Paratyphus A gestattet uns also unter diesen 
Umständen trotz Schutzimpfung den Verdacht auf be¬ 
stehende typhöse Erkrankung auszusprechen. Für die 
Verwendbarkeit dieser Mitagglutination ist die angewandte Methodik 
von Bedeutung. Geeignet für diesen Zweck sind nur weniger emp¬ 
findliche Methoden vor allem die Methode von N e i s s e r und 
Proescher mit Formol-Bouillon-Kulturen." 

Aussprache: Die Herren Reis und Dreyfus. Schluss¬ 
wort: Herr Braun. 

Herr David Rothschild: Ueber Lungensyphttis Im II. Sta¬ 
dium der Lues. 

Während die syphilitischen Erkrankungen der Lunge im III. Sta¬ 
dium der Syphilis ausgezeichnet studiert sind, begegnen wir im 
II. Stadium nur flüchtigen Beobachtungen auf diesem Gebiete. 

Infolge einer Reihe von Einzelbeobachtungen, die Vortragender 
bei erkrankten Militärpersonen machen konnte, wandte er seine Auf¬ 
merksamkeit auf frühsyphilitische Veränderungen der Lunge. 

Das Ergebnis war überraschend. Bei 20 Syphilitikern konnten 
gleichzeitig mit oder bald nach dem Entstehen des Primäraffek‘i s 
deutliche Lungenveränderungen nachgewiesen werden. Es hiudcltc 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1200 


MUENCBEMEft MBDfcffflsCHB WOCHENSCHRIFT. 


Hr.l 


sich fast stets um bronchitische Katarrhe, vorwiegend in der Hilus- 
gegend rechts sowie über beiden Unterlappen der Lunge, vorwiegend 
dem rechten. Die Katarrhe sind meist grobblasig selten feinblasig, 
führen allmählich zu gröberen Veränderungen, zu Dämpfungsgebieten 
und können sich in unbehandelten Fällen schliesslich über die ganze 
Lunge ausdehnen. 

Charakteristisch ist jedoch der fast regelmässige Beginn im 
rechten liilus und Unterlappen. 

Häufig treten frühzeitige Veränderungen am Rippenfell auf, be¬ 
sonders wieder rechts hinten unten. 

Meist zeigen sich vereinzelte trockene Reibegeräusche, die sich 
später längs des ganzen unteren Lungenrandes, vorwiegend rechts, 
ausbreiten können. 

A-uf Befragen erklären fast alle Syphilitiker, dass sie gelegentlich 
husten und häufig über ‘PleuraschTnerzen zu klagen 'haben. 

Auswurf besteht morgens in vielen Fällen. Derselbe hat schlei¬ 
miges, häufig körniges, froschlaichähnliches Aussehen. 

Im Röntgenbilde finden wir frühzeitig — gewöhnlich schon in der 
4. Woche nach der Infektion — geschwollene, undeutlich umgrenzte 
Hilusdrüsen. Auch finden sich besonders im rechten, seltener im 
linken Unterlappen, später in unbehandelten Fällen über der ganzen 
Länge strangförmige Zeichnungen, die ebenso dem peribronchitischen 
wie perivaskulären Bindegewebe angehören können. Charakteristisch 
sind kleine hirsekorn- bis bohnengrosse Knötchen, die diese Stränge 
begleiten. Die antisyphilitische Behandlung bessert die Lungen¬ 
erscheinungen und bildet die Erscheinungen im Röntgenbilde zurück, 
wenngleich offenbar eine gewisse Vergrösserung der Hilusdrüsen- 
schatten persistiert 

Im Sputum sah Vortragender in einzelnen Fällen Spirochäten, 
die er nach der Giemsafärbung als Spirochaete pallida ansah. Zum 
exakten Beiweis, dass es sich um Pallida handelt, gehört jedoch nicht 
allein die Vermeidung der Verwechselung mit anderen Spirochäten¬ 
arten, besonders mit der polymorphen Spirochaeta bronchialis, der 
buccalis, refringens u. a., sondern auch der Nachweis, dass die 
Spirochäten wirklich aus den Bronchien stammen, und nicht im 
Munde, von den Mandeln, oder aus Plaques dem Sputum beigemengt 
sind. 

Eine Verwechslung der syphilitischen Lungenveränderungen 
mit tuberkulösen ist möglich, jedoch muss in jedem Falle durch die 
spezifisch serologischen und bakteriologischen Proben die Differen¬ 
tialdiagnose gestellt werden. Klinisch ist wichtig, dass syphilitische 
Veränderungen im Gegensatz zu tuberkulösen meist in den Unter¬ 
lappen der Lunge nachweisbar sind, fieberlosen oder subfebrilen 
Verlauf nehmen und in ihrem Auftreten von den übrigen syphiliti¬ 
schen Erscheinungen abhängig sind, während bei aktiver Tuber¬ 
kulose Fieber so gut wie nie fehlt und Tuberkelbazillen im Auswurf 
bei genauer Prüfung mit den Anreicherungsmethoden nur selten ver¬ 
misst werden. 

Militärisch wichtig ist die Diagnose mit Rücksicht auf die Dienst¬ 
beschädigungsfrage, die bei Syphilis regelmässig zu verneinen ist. 
Kombinationen von Syphilis und Tuberkulose kommen auch im 
sekundären Stadium der Lues zur Beobachtung. 

Bei Rezidiven von Sekundärerscheinungen der Syphilis sind 
Manifestationen an der Lunge so gut wie regelmässig zu beobachten. 

Die tertiärsyphilitischen Veränderungen der Lunge zeigen die¬ 
selben Prädilektionsstellen, wie die sekundären, sind jedoch klinisch 
von diesen zu trennen. 

Aussprache: Die Herren: Goldschmidt, Schön¬ 
te 1 d, Braun und D. Rothschild. 

Die Aussprache soll in einer der nächsten Sitzungen weiter 
fortgesetzt werden. 

Herr Goldschmidt verweist auf den diametralen Gegen¬ 
satz zwischen den klinischen Befunden des Vortragenden und der 
allgemeinen Erfahrung des pathologischen Anatomen. Pathologisch¬ 
anatomisch nachweisbare Syphilis der Lungen ist extrem selten. 
Sie findet sich in Form von Gummen und Veränderungen des inter¬ 
stitiellen Bindegewebes. Ihr Lieblingssitz wäre Hilusgegend und 
Mittellappen, wie schon Vi r c h o w betont hat. Die Differential¬ 
diagnose gegenüber der Tuberkulose ist selbst am Sektionstisch 
enorm schwierig. Auch bei dem zurzeit reichlichen Material jugend¬ 
licher Leichen, das doch wohl dem Material des Vortragenden ent¬ 
spricht, hat sich keineswegs ein häufigeres Vorkommen von Viszeral¬ 
syphilis gezeigt; nicht einmal syphilisverdächtige Lungenaffektionen 
sind vorgekommen bzw. gefunden worden, geschweige denn sichere 
Lungensyphilis. 

Herr Rothschild 1 : Die Ausführungen' von Herrn 0 o 1 d - 
Schmidt sind von neueren Forschungen überholt. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

r (Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 18. Juli 1918 

Herr F a I c k bespricht — im Anschluss an den Vortrag des 
Herrn Prof. Frey (Sitzung vom 25. April 1918) — die physikalisch¬ 
chemischen Eigenschaften des Chinin-Chinidin und anderer Basen und 
die Unterschiede der Wirkung. 

Diskussion: Herr Frey. 

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Herr Käppis: Ueber die Sensibilität und die lokale Anästhesie 
im chirurgischen Gebiet der Bauchhöhle. 

Es wird zunächst auf die experimentell und klinisch fest¬ 
begründete Tatsache hingewiesen, dass die viszerale Sensi¬ 
bilität auf dem Wege über den Nervus splanchnicus bzw. die Rami 
communicantes lumbales 1—3 in die Bauchhöhle gelangt Daher 
erscheint es folgerichtig, zwecks Anästhesierung für Bauchoperationen 
den Nervus splanchnicus bzw. die Rami communicantes lumbales 
1—3 und das entsprechende Gebiet der Bauchwand zu anästhesieren. 
Auf diese Weise gelingt auch tatsächlich die Anästhesierung, wie an 
der Hand von rund 200 Splanchnikusanästhesien geschildert wird. 
Der Weg zum Splanchnikus führt von hinten her unter der 12. Rippe 
weg. Die Technik ist dieselbe, wie sie schon auf dem Chirurgenkon¬ 
gress 1914 kurz geschildert wurde. Für eine Anzahl Operationen 
im unteren Teil des Abdomens ist die Lumbal- oder auch hohe Sakral¬ 
anästhesie geeignet. Es werden die Einspritzungsmethoden für die 
Operationen an den verschiedenen Bauchorganen im einzelnen be¬ 
schrieben und der Schluss gezogen, dass es jetzt brauchbare örtliche 
Anästhesierungsmethoden für fast alle oder alle Bauchoperationen 
gibt. 

Diskussion: Herren Stöckel, Anschütz, Hoeber. 
Käppis. 

Herr Runge: Ueber die Behandlung der Kriegsneurosen. 

Nachdem Vortr. näher auf die Ursachen der Neurosen nach 
Kriegsereignissen eingegangen ist und die Gründe für die Misserfolge 
bei ihrer Behandlung im Anfang des Krieges besprochen hat, schil¬ 
dert er die Entwicklung der „aktiven“ Behandlung und die zahl¬ 
reichen Behandlungsmethoden, die zurzeit zur Anwendung kommen. 
Nicht die Methode, sondern die Persönlichkeit des Arztes, der mit Ein¬ 
setzen seiner ganzen Energie und Willenskraft den Erfolg erzwingen 
muss, ist das Wichtige und für die Grösse der Erfolge Massgebende. 
Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes und ausgiebiger Indivi¬ 
dualisierung und Variierung in den einzelnen Fällen hat Vortr. bei 
84 Fällen von Kriegsneurosen durch folgende, in 3 Phasen einzu¬ 
teilende Behandlungsweise gute Erfolge erzielt: 

1 Phase: Suggestive Vorbereitung unter Anwen¬ 
dung von Bettruhe auf der Wachabteilung, Fernhaltung von Besuchen, 
Urlaubsverbot, Trennung und Verlegung von antitherapeutisch wir¬ 
kenden negativistischen Elementen auf andere Abteilungen. Etwa 
vorhandene Wunsch- und Begehrungsvorstellungen sollen durch diese 
Massnahmen zurückgedrängt, in andere Bahnen gelenkt, der fehlende 
Gesundheitswille geweckt werden, das Gesund- und nicht das Krank¬ 
sein begehrenswert erscheinen. 

2. Phase: Anwendung suggestiv stärker wirken¬ 
der Mittel, die für den Kranken ein affektives Erlebnis darstellen 
soll. Vortr. sucht in geeigneten schweren Fällen möglichst gleich¬ 
zeitig durch mehrere Sinnesfunktionen auf die Psyche des Kranken 
einzuwirken (Verbinden der Augen, suggestive Injektionen, Inbetrieb¬ 
setzen einer lärmenden Influenzmaschine, Anwendung des faradischen 
Pinsels, Exerzierübungen, Verbalsuggestion). Meist gelang es, die 
Symptome in einer Sitzung zum Schwinden zu bringen oder wenig¬ 
stens sie erheblich zu bessern. Zuweilen wurden einige weitere 
Sitzungen notwendig. 

3. Phase: Nachbehandlung, die mindestens ebenso wich¬ 
tig wie die beiden andern Phasen ist. Nach Beseitigung der Sym¬ 
ptome erfolgt Verlegung auf die offene Abteilung, werden Besuche ge¬ 
stattet, Stadturlaub gewährt. Die Kranken müssen an Exerzier¬ 
übungen unter Leitung eines Unteroffiziers teilnehmen, in der Klinik, 
später in Kriegsbetrieben, Werften unter Ausnutzung ihrer beruflichen 
Kenntnisse arbeiten. Durch die Nachbehandlung soll die Gesundung 
fixiert, sollen Rückfälle, die vielfach drohen, verhütet werden. 

In 76 Proz. der vielfach veralteten, schwer belasteten und dis¬ 
ponierten Fälle wurden auf diese Weise die Symptome beseitigt, in 
24 Proz. eine erhebliche Besserung erzielt, 84 wurden voll erwerbs¬ 
fähig, 8 waren bei der Entlassung nur noch in geringem Grade und 
meist ebenso wie vor der Einstellung erwerbsbeeinträchtigt. Der 
Rest der Fälle befindet sich noch in Behandlung. Vortr. geht dann 
näher auf die Behandlung und die Erfolge bei den einzelnen Krank- 
keitsformen ein. Zu erwähnen sind im einzelnen ein Fall, bei dem 
die Beseitigung eines Schütteltremors der rechten Hand nach 14 jäfiri- 
gem Bestehen (erworben in der aktiven Dienstzeit), sowie 3 Fälle, 
bei denen die Beseitigung von Lähmungen nach 1—3 Jahren gelang. 
Besonders häufig waren psychogene Ueberlagerungen organischer 
Nerven-/ Muskel- oder Sehnenschädigungen. 

Die guten Heilungsaussichten werden durch die erhebliche Ge¬ 
fahr der Rückfälle beeinträchtigt. Wegen dieser ist die Verwendung 
im Feld ziemlich zwecklos und war in den Fällen des Vortragenden 
eigentlich nur bei den Erschöpfungsneurasthenien angebracht. Dem¬ 
entsprechend wurden 29 Proz. als d. u., 49 Proz. als a. v., 11 Proz. 
als g. v. und 3 Proz. als k. v. entlassen. Durchweg gute Erfolge wur¬ 
den bei den zur Behandlung wieder eingezogenen Fällen erzielt. 
Vortr. warnt davor, die Erfahrungen bei den Kriegsteilnehmer]! wahl¬ 
los auf die Zivilpraxis und vor allem auf die Unfallneurptiker zu 
übertragen; Enttäuschungen sind dann zu entarten. ‘ r 

Diskussion: Herren Köhler. A n s c h ü t z, .ft u n g e, 
Birk. 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



22 . Oktober 1918. 


MUENCBENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


1201 


Kleine Mitteilungen. 

Vorrichtung zur Händereinigung im Felde. 

BeSm Eintreten der wärmeren Jahreszeit und auch im 
Herbst («beim Auftreten von Ruhr) hat der Sanitätsoffizier 
wieder mehr sein Augenmerk auf die Verhütung von Seuchenkrank¬ 
heiten zu lenken. Bei der Verbreitung der Seuchenerreger spielt 
eine grosse Rolle die Uebertragung durch die Hände. Es ist daher 
wichtig, dass insbesondere nach jeder Stuhl- und Harnentleerung die 
Hände gereinigt werden. Hierfür wurden vielfach Waschschüsseln 
mit Kresolseifenlösung und anderen desinfizierenden Flüssigkeiten auf¬ 
gestellt. Von Prof. Dr. v. Wasiliewski wurde eine Kippflasche 
mit Seifenalkohol empfohlen. Abgesehen davon, dass letztere Flüssig¬ 
keit für den allgemeinen Gebrauch jetzt nicht mehr in Betracht kom¬ 
men kann, erscheint mir die nachstehend beschriebene Vorrichtung 
zweckmässiger, die in den Latrinen aufgehängt werden soll. Not¬ 
wendig sind eine Blechkanne zu etwa 5—10 Liter und ein Glas¬ 
ventil; letzteres kann mit Leichtigkeit von jedem Glasbläser an¬ 
gefertigt werden. Die Länge beträgt etwa 15 cm, die lichte Weite 
der Glasröhre etwa 10 bis 11 mm; der Ventilstab ist ungefähr 7 cm 
lang. Weiteres ergeben die Abbildungen 4 und 5. Anstatt der 
Gummischeibe (z. B. für Saugschablonen) als Abdichtung kann eine 
solche aus Kork, Leder oder ähnlichem Material Verwendung finden. 
Weiterhin kann, falls kein Korkstopfen zum Einsetzen des Ventils 
vorhanden ist, ein Stopfen aus weichem Holz geschnitzt werden, der 
gegebenenfalls mit etwas Papier zu umwickeln ist. Zum Aufhängen 



Bild 1. Waschvorrichtung auf* 
gehängt mit geschlossenem 

BUd 2. Waschvorrichtung auf* 
gehingt mit geöffnetem 
Ventil. 

Bild 3. Befestigung des Sto¬ 
pfens, in dem das Ventil ein¬ 
gesetzt ist. Von oben ge¬ 
sehen. 

Bild 4. Ventil geschlossen. 

Bild 5. Ventil geöffnet. 


der Kanne i^t ein Bügel am unteren Rande (Bild 1 u. 2), zum Fest¬ 
halten des Stopfens 2 Oesen an den Seiten des Kannenhalses (Abb. 2 
u. 3) durch die Instrumentenmacher des Etappensanitätsdepots an¬ 
bringen zu lassen. 

Nachdem die Kanne mit der Desinfektionsflüssigkeit gefüllt und 
das Ventil aufgesetzt ist. kann die Kanne unbesorgt umgekehrt wer¬ 
den; zweckmässig zieht man dabei mit der Hand den Glassiab des 
Ventils heraus. Durch gelindes Nachobendrücken des heraushängen¬ 
den Glasstabes wird das Ventil geöffnet und die Flüssigkeit ergiesst 
sich über die Hände. 

Vorteile sind: 

1. man braucht nur wenig Flüssigkeit, 

2. Jede Person hat stets frische Flüssigkeit zum Waschen, 

3. die Ausflussöffnung bleibt stets steril. 

Zweckmässig erscheint es, ausserdem Ersatzseife bereitzustellen. 

Als Desinfektfonsflüssigkeit käme 2proz. Kresolseifenlösung bzw. 
Kresotinkresollösung in Betracht. 

Ein stärkeres Herausfliessen der Desinfektionsflüssigkeit lässt 
sich dadurch erreichen, dass am unteren Rande der Kanne ein kleines 

Loch angebracht wird, um das 
Nachströmen der Luft zu er¬ 
leichtern. Beim Füllen der Blech¬ 
flasche verschliesst man dieses 
mit einem kleinen Holzzapfen. 

Soll als Desinfektionsflüssig- 
keitSublimat verwendet werden, 
welches in letzter Zeit wieder 
besonders empfohlen wird, so 
müsste statt der Blechkanne 
eine Glasflasche verwendet wer- 
für die man eine Auf¬ 
hängevorrichtung aus Draht 
herrichtet oder ein Gestell aus 
Holz anfertigt (Bild 6). Um hier 
das NaChstrdmen der Luft zu erleichtern, müsste durch den Kork eine 
Glasröhre bis zum Boden der Flasche führen (Bild 7). 

Dr. Sttiwe, Korpsstabsapotheker. 



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Therapeutische Notizen. 

Behandlung der Grippepneumonie. Wie seit vielen 
Jahren bei der Pneumoniebehandlung, so hat sich mir auch bei der 
gegenwärtig so häufigen und oft mit schweren pneumonischen Pro¬ 
zessen einhergehenden Grippeepidemie als bestes Mittel das alt¬ 
bekannte Guajacolum carbonicum bewährt, das leider etwas in 
Vergessenheit geraten zu sein scheint. — Ich gebe je 1 g alle 
3 Stunden und lasse V* Stunde nach jedem 2. Gramm % g Aspirin 


nehmen. Die Erfolge sind derartig in die Augen springend, dass ich 
davon überzeugt bin, dass jeder, der das Mittel einmal bei der er¬ 
wähnten Erkrankung angewandt hat, nicht mehr davon abgehen wird. 

San.-Rat Dr. Althen- Wiesbaden. 

Ueber die Formalinbehandlung der Furunkulose 
berichtet S. Hirsch' sehr günstiges. H. behandelte in den letzten 
Wochen 30 Fälle von Furunkulose mit Formalin und erzielte auf¬ 
fallend rasche und gute Heilerfolge: Ausgebreitete Herde gingen in 
2—3 Tagen zurück und selbst schwerere Fälle heilten in 8 Tagen 
ab. H. ging folgendermassen vor: Im Entstehen begriffene Furunkel 
wurden durch Jodpinselung und feuchte Verbände zur Reifung ge¬ 
bracht. Darnach Eröffnung des Furunkels und Pinselung des Furun¬ 
kels und seiner Umgebung mit lOproz. Formalinlösung, 1—2 mal 
täglich. Zur Vermeidung einer Dermatitis bedeckte H. in der 
Zwischenzeit zwischen den Pinselungen die Haut mit Borsalbe- oder 
Lanepsläppchen. — Hauptsächlich für die Furunkulosebehandlung der 
Soldaten empfiehlt H. dieses äusserst einfache und sichere Verfahren. 
(Ther. Mh. 1918. 6.) H. T h i e r r y. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 21. Oktober 1918. 

— Kriegschronik. Die Bereitwilligkeitserklärung der 
deutschen Regierung, die besetzten Gebiete zu räumen, ist vom 
Präsidenten Wilson mit einer Verschärfung seiner Forderungen be¬ 
antwortet worden; er verlangt jetzt Sicherheiten dafür, dass die 
derzeitige deutsche Ueberlegenheit der amerikanischen und alliierten 
Streitkräfte im Felde aufrecht erhalten bleibt. Unter solchen 
Sicherheiten kann, wie auch aus den feindlichen Pressstimmen her¬ 
vorgeht, nur die völlige Uebergabe der deutschen Armee und Flotte 
verstanden werden. Diese Forderungen verband Wilson mit 
schweren Angriffen auf die Ehre der deutschen Streitkräfte. Die 
deutsche Anwort darauf ist noch nicht veröffentlicht. Es wird 
schwer sein, eine Fassung zu finden, die die Möglichkeit weiteren 
Verhandelns offen lässt, ohne die nationale Ehre preiszugeben. Dass 
aber das deutsche Volk nicht gewillt ist, die Demütigung einer 
Kapitulation und damit die Vernichtung seiner Zukunft kampflos 
über sich ergehen zu lassen, beweisen zahlreiche vaterländische 
Kundgebungen aus allen Teilen des Reiches, die zur Organisation 
der nationalen Verteidigung amfrufen. Unerfreuliche Nachrichten 
brachte die Woche aus Oesterreich-Ungarn. Die alte Habsburgische 
Monarch! ist in völliger Auflösung begriffen. Ungarn hat seine 
Verbindung mit Oesterreich gelöst und bleibt mit diesem nur durch 
Personalunion verbunden. Oesterreich selbst soll nach einer vom 
Kaiser Karl erlassenen Kundmachung in einen Bundesstaat ver¬ 
wandelt werden, der sich aus den nach dem Selbstbestimmungsrecht 
gebildeten Nationalstaaten zusammensetzen soll. Es steht dahin, 
ob auch nur dieser Rest der einstigen österreichischen Monarchie 
erhalten bleiben wird. — An der Westfront haben wir umfangreiche 
Räumungen flandrischer und französischer Gebiete vorgenommen; 
u. a. sind die Städte Ostende, Brügge, Kortryk, Lille aufgegeben. 

— Es ist bisher ein Grundsatz unserer Organisation gewesen, 
dass die ärztliche Behandlung des Mittelstandes das Feld 
freier ärtlicher Betätigung bleiben müsse, Verträge mit Mittelstands¬ 
kassen also nach Möglichkeit zu vermeiden seien. Auch darin scheint 
der Krieg eine Wandlung herbeizuführen. In einer vor kurzem 
stattgehabten Sitzung des Beirats des Leipziger Verbands (Aerztl. 
Mitt. Nr. 39) wurde anerkannt, dass der Aerztestand an der mehr und 
mehr zutage tretenden Notlage des sogen. Mittelstandes und an den 
Bestrebungen, zur Erleichterung der wirtschaftlichen Folgen von 
Krankheit die ärztliche Fürsorge durch vertragliche Bindung sicher¬ 
zustellen, nicht länger Vorbeigehen könne. Es wird also die Ver¬ 
tragsschliessung mit Mittelstandskassen im Sinne des Aerztetags- 
beschlusses von Halle 1906 ins Auge gefasst. Dieser Beschluss 
lehnte das Bestreben der Vereinigungen- nichtversicherungspflichtiger 
Personen, sich verbilligte ärztliche Hilfe zu verschaffen, ab und 
verbot die Vertragsschliessung mit solchen; ausgenommen wurden 
nur solche Versicherungsorganisationen, die keine Mitglieder mit 
mehr als 2000 M. Gesamtjahreseinkommen aufnehmen. Es wird sich 
also um Verträge handeln, die nicht durch Verbilligung der ärzt¬ 
lichen Hilfe, sondern dadurch, dass die Kosten der Krankheit von 
vielen Schultern gemeinsam getragen werden, segensreich wirken. 
Zunächst hat der Beirat des LV. beschlossen, Erhebungen darüber 
anzustellen, inwieweit im Reiche Verträge zwischen Mittelstands¬ 
kassen und ärztlichen Vereinigungen und einzelnen Aerzten bestehen. 
Darüber soll dem nächsten Aerztetag berichtet werden. 

— Die Zahl der im Prüfungsjahre 1916/17 erteilten Appro¬ 
bationen für Aerzte betrug 1098; davon treffen auf Preussen 
488, Bayern 210, Sachsen 54, Württemberg 44, Baden 126, Hessen 18, 
Mecklenburg-Schwerin 67, Grossherzogtum Sachsen und sächsische 
Herzogtümer 39, Elsass-Lothringen 52. Die Zahl der approbierten 
Zahnärzte betrug 81. 

— Der Magistrat München hat eine Erhöhung der bisher 
25 M. betragenden monatlichen K r i e g s z u 1 a g e für Assistenz¬ 
ärzte und -ärztinnen an den städtischen Krankenhäusern beschlossen, 


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1202 


MUBNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 43. 


Die Aerzte erhalten nunmehr im ganzen 10t) M., die Aerztinncn 75 M. 
Kriegszulage monatlich. 

— Der Jahresbericht der Versicherungskasse fiir die 
Aerzte De utschlands a. G. zu Berlin (Liitzow Strasse 55) 
über das Jahr 1917 zeigt bei reichlichen Rückstellungen von beson¬ 
deren Reserven auch für die Übergangswirtschaft einen Ueberschuss 
von M. 49 237.87, von dein der grösste Ted in den Kriegsfonds floss, 
um den Feklzugsteilnehmer n in oer Invaliden-,'Witwen- und Waisen¬ 
kasse unter allen Umständen ihre vollen Ansprüche zu sichern. Die 
Abgeordnetenversammlung, welche im Berichtsjahre stattfand, legte 
aut die Stärkung des Kriegsfonds ganz besonderen Wert und bewilligte 
ferner auf Anlass der Verwaltung den am Kriegsdienst teilnehmenden 
Mitgliedern der Krankenkasse weitgehende Vergünstigungen. Bei 
Rückkehr aus dem beide brauchen die Kollegen zur Wiederherstellung 
ihrer Versicherungsrechte nur die Hälfte der bisher aufgelaufeneii 
Prämien zu entrichten, die andere Hälfte wird aus Fonds von der 
Kasse selbst übernommen. Auch in diesem Jahre gewährten die 
Wohlfahrtsfonds der Kasse in mehr als 30 Fällen Sonder bei hilfen für 
Hinterbliebene von Mitgliedern, ferner Kurunterstütziingeii, Prärnien- 
erlasse etc. mit M. 6477.80. Das Kassen- und Stiitimgsvermögen be¬ 
trug am 31. XII. 1917 M. 6 842 022.60. Die Gesamtsumme aller bisher 
znr Auszahlung gelangten Invaliden-, Alters-. Witwen- und Waisen¬ 
renten und Sterbegelder beläuft sich auf M. 2 444 3-40.79. Zahlreiche 
Aerztekammern, Korporationen und Einzelmitglieder bewilligten auch 
diesmal als stiftende Mitglieder namhafte Beträge und erkannten da¬ 
durch die segensreichen Bestrebungen der Kasse an. Die Zahl der 
Mitglieder betrug 2394; sie hat sich also seit 1913 (2376) nicht mehr 
wesentlich vermehrt. Diese Zahl ist in Anbetracht der Gesamtzahl 
der deutschen Aerzte viel zu gering und beweist eine geradezu 
rätselhafte Teilnahmslosigkeit der Kollegen gegenüber dem segens¬ 
reichen und wohliundierten Wohlfahrtsunternehmen. Man macht hier 
dieselbe Erfahrung wie bei dem bayerischen Pensionsverein für 
Aerztewitwen und -waisen. Die Lebensversicheruitgsgesellsdiaften 
lassen keinen anderen Wettbewerb aufkommen; und doch zeigt eine 
einfache Ueberlegung, dass die auf Gewinn berechneten Gesellschaften 
nicht annähernd so günstige Bedingungen stellen können, wie die 
nur für die Sache arbeitenden, durch reiche Legate und Schenkungen 
unterstützten Standesunternehmungen. Da es fast aussichtslos zu 
sein scheint, die Kollegen in genügender Zahl zu Einzelversicherungen 
zu gewinnen, strebt die V.-K. mit Recht Kollektivversicherung grosser 
Aerztegruppen an und hat bereits in Gemeinschaft mit der Berlin- 
Brandenburger Aerzekammer erfolgverheissende Schritte getan zur 
Versorgung sämtlicher Kassenärzte des Bezirks Gross-Berlin. Aus¬ 
kunft über alle das Versicherungsgebiet betreffenden Fragen erteilt: 
Die Geschäftsstelle der Versicherungskasse für die Aerzte Deutsch¬ 
lands a. G. zu Berlin W. 35, Lützowstrasse 55. 

— Die Versicherungskasse für die Aerzte 
Deutschlands a. G. zu Berlin, Lützowstr. 55 zeichnete für die 
9. Kriegsanleihe 350000 M. Sie hat sich an den gesamten 
Kriegsanleihen mit einer Summe von 2 819 300 M. beteiligt. 

— Die Heilstätte „Deutsches Haus“ in Agra (Kanton 
Tessin, Schweiz) hat die allgemeine Ermächtigung zur Annahme 
eines Medizinalpraktikanten erhalten. Die dort abge¬ 
leistete Praktikantentätigkeit kann bis zur Dauer von 6 Monaten 
auf das Praktische Jahr angerechnet werden. Kandidaten der Me¬ 
dizin, die nach Ablegung der ärztlichen Prüfung als Praktikanten in 
die Heilstätte eintreten wojlen, haben zuvor die Zustimmung der für 
die Erteilung der Approbation als Arzt zuständigen Landeszentral¬ 
behörde einzuholen. , 

— Die Kriegstagung des Vereins Deutscher Laryngo- 
logen findet nicht statt. 

— Am 17. November, nachmittags um 3Vs Uhr findet in Dort¬ 
mund eine Versammlung der Niederrheinisch-Westfälischen Gesell¬ 
schaft für Kinderheilkunde statt. Anmeldungen werden erbeten an 
Prof. Dr. Engel, Dortmund, Weissenburgerstr. 50. 

— Die Influenza, die nadi ihrem grossen Ausbruch im 
Sommer nahezu wieder verschwunden war, tritt in den letzten 
Wochen neuerdings in heftigster Weise auf. Aus allen Teilen Deutsch¬ 
lands werden zahlreiche Neuerkrankungen gemeldet, auch viele Todes¬ 
fälle. In München schätzt man die Zahl der Erkrankungen auf weit 
über 20 000; besonders ist hier die Schuljugend betroffen, so dass die 
Schliessung sämtlicher Volksschulen und auch vieler Mittel- und 
Pri.vatsdiulen angeordnet werden musste. 

— Zum Leiter der städtischen Krankenanstalten in Mannheim 
ist als Nachfolger von Prof. V o 1 h a r d Dr. med. Karl K i s s 1 i n g, 
Oberarzt einer medizinischen Abteilung am Krankenhause in Ham¬ 
burg-Eppendorf berufen worden, (hk.) 

— Cholera. Deutsches Reich. In der Woche vom 6. bis 
12. Oktober wurden unter den Insassen des in vor. Nr. erwähnten 
Kahnes in dem Kaiser-Wilhelm-Kanal bei Marienwerder (Kreis 
Niederbarnim, Reg.-Bez. Potsdam) bei 3 anderen Personen Cholera¬ 
bazillen festgestellt. Für die Vorwoche wurde noch 1 Erkrankung 
in Berlin nachträglich gemeldet. — Ukraine. In Jekaterinoslaw ist 
bei 3 Personen, die am 2. und 4. Oktober in das Krankenhaus ein¬ 
geliefert waren, durch bakteriologische Untersuchung Cholera fest¬ 
gestellt worden; alle 3 sind gestorben. 

— Fleck fieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 
6. bis 12. Oktober 7 Erkrankungen und 2 Todesfälle in Mostolten 
(Kreis Lyck, Reg.-Bez. Allenstein). — Kaiserlich Deutsches General¬ 


gouvernement Warschau. In der Woche vom 22. bis 28. September 
wurden 144 Erkrankungen und 15 Todesfälle festgestellt, darunter in 
W arschau 39 (7). 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 29. September bis 
5. Oktober sind 618 Erkrankungen und 103 Todesfälle gemeldet 
worden. 

— In der 40. Jahreswoche, vom 29. September bis 5. Oktober 
1918, hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste 
Sterblichkeit Worms mit 65,3, die geringste Lehe mit 7,1 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestor¬ 
benen- starb an Diphtherie und Krupp in Feuerbach, Wismar. 

Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

B o n n. Der Direktor der Ohrenklinik, Geh.-Rat Prof. Dr. W a 1 b, 
beging am 17. Oktober seinen 70. Geburtstag. 

Marburg. An Stelle des nach Würzburg berufenen Geheim¬ 
rats König wurde Prof. G ü r b e r, Direktor des pharmakologischen 
Instituts zum Rektor der Universität ernannt. 

Strassburg. Dem Pharmakologen Universitätsprofessor 
Dr. S c li m i e d e b e r g in Strassburg ist anlässlich seines 80. Ge¬ 
burtstages der Charakter als Wirklicher Geheimer Rat mit dem 
Prädikat Exzellenz verliehen worden, (hk.) 

Tübingen. Der Physiologe Prof. Trendelenburg, hat 
einen nach Strassburg erhaltenen Ruf abgelehnt. 

Innsbruck. Im Alter von 67 Jahren starb der Ordinarius 
der allgemeinen und experimentellen Pathologie an der Innsbrucker 
Universität Hofrat Prof. Dr. Moritz L o e w i t,‘ ein- hervorragender 
Forscher auf dem Gebiete der Hämatologie, (hk.) 

Zürich. Als Nachfolger des Professors Dr. Ernst Sommer 
ist der Privatdozent für Neurologie Dr. Otto Veraguth zum a. o. 
Professor für physikalische Therapie und zum Direktor der Poliklinik 
für physikalische Heilmethoden an der Universität Zürich ernannt 
worden, (hk.) 

To d e s f ä 11 e. 

Im Alter von 35 Jahren verschied Dr. med. Hans Hoessly, 
Privatdozent für Orthopädie an der Universität Zürich und Direktor 
der Schweizerischen Anstalt für krüppelhafte Kinder in Balgrist. An 
letzterer Anstalt war er Nachfolger des 1917 verstorbenen Ortho¬ 
päden Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Schulthess. 1912 
begleitete er die Schweizerische ürönlandexpedition auf ihrer Durch¬ 
querung Grönlands als Arzt, (hk.) 

Im Alter von 58 Jahren starb der a. o. Professor für Otologie 
und Rhinologie an der deutschen Universität in Prag Dr. Wilhelm 
Anton (gebürtig aus Gablonz in Böhmen), (hk.) 


Ehr eo tatet. 

Fürs Vaterland starben: 
Ldstpfl. A. Oskar Berger, Seieren. 

Dr. Gustav BTeser, Bayreuth. 

F.-H.-A. Adolf Cordes, Witten. 

O.-A. Erich H o 1 k e, Potsdam. 

F.-H.-A. Adolf Keller, Friedberg. 

O.-St.-A. Gotthard K e y 1, Zobten. 

F.-H.-A. Emil K o t u 11 a, Oetershofen. 

Ö.-A. Ludw. Kreuzer, Konstanz. 

O.-A. d. R. Friedr. Meyer, Biebrich. 
O.-St.-A. Paul Mosberg, Hagen. 

St.-A. Max P e i s e r, Ostrowo. 

Ass.-A. Renatus S c h a a 1, Bernhardsweiler, 
stud. med. Rudolf S e i t z, Regensburg. 

O.-A. Werner. 

F.-H.-A. Karl Zobel, München. 


Korrespondenz. 

Die Klagen der auf Kriegsdauer ungeteilten Aerzte. 

Man schreibt uns: 

Zu den fortgesetzten Klagen der auf Kriegsdauer angestellten und 
vertraglich verpflichteten Aerzte sei auch einmal ein Wort von der 
anderen Seite gestattet. 

Einsender dieses hat nur sein erstes halbes Jahr seinerzeit ge¬ 
dient, konnte und durfte das zweite halbe Jahr wegen einer in¬ 
zwischen erlittenen Verletzung nicht ableisten. Bei der Mobil¬ 
machung wurde ich — mit 33 Jahren — als Unterarzt eingestellt und 
bin heute Oberarzt mit Leutnantsgehalt im Alter von» über 37 Jahren. 

Die vertraglich verpflichteten Aerzte in meinem Alter beziehen 
seit über 2 Jahren Stabsarztgehalt, sind in Stabsarztstellen und 
in der Mehrzahl in ruhigen, angenehmen, medizinisch interessanten 
Stellungen, in der Minderzahl als Truppenärzte untergebracht. 

Was für mich gilt, gilt für eine grosse Zahl von Kollegen. 

Es besteht also die Tatsache, dass Aerzte, die ein halbes Jahr 
gedient, oder auch eine Uebung nicht gemacht haben, schlechter 
daran sind, als diejenigen, die überhaupt nicht gedient haben. 


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München S.W. 2, Pani Heyeestr. 26. — Drude von E. Mfihlthaler’a Bnch- and KoHCtettaii A.Q., 1 

UNIVERSUM OF CALIFORNIA 





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MÜNCHENER 


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Nr die Sckrlftidtunf: AmÜMr.36 (Sprechatndee SH—1 (ün 
Für Bene: an I. r. Lehmann*a Verlaf, Pani Heyaestraaae 2k 
Pftr Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Moste, Theatinerrtri*»« t 


Medizinische Wochenschrift. 


OROAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 44. 29. Oktober 1918. 


Schriftleitung: Dr. B. Spatz» Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 


65. Jahrgang. 

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Der Verlag behält alch daa ansachUeaallche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der ln dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden OHgiftelbeltrig* vor. 


Originalien. 

Aus der medizin. Universitäts-Klinik Leipzig. 
(Direktor Geheimrat v. Strümpell.) 

Kritische Studien zum Influenza-Problem. 

Von Hans Oeiler. 


Die Beobachtungen bei typhösen Erkrankungen Ungeimpfter und 
Geimpfter ermöglichen, wie wir an anderer Stelle 1 ) ausgeführt 
haben, vom Standpunkte der Immunitätslehre aus eine Erklärung der 
Verschiedenartigkeit des Krankheitsbildes des Typhus. Je nach der 
Wertigkeit des normaler Weise nur in geringem Grade vorhandenen 
oder des durch die Schutzimpfungen individuell gesteigerten Immuni¬ 
tätsgrades haben wir mit dem Auftreten klinisch und z. T. wohl 
auch pathologisch-anatomisch verschiedenartiger Krankheitsäusse¬ 
rungen bei Infektionen zu rechnen, wobei Unterschiede im Virulenz¬ 
grad des Erregers und seiner Lokalisation zu berücksichtigen 
sind. So resultiert bei einem Menschen, der nie eine Typhuserkran¬ 
kung oder eine prophylaktische Typhusimmunisierung durchgemacht 
hat, für gewöhnlich das bekannte, allmählich erst zum Höhepunkt 
kommende Krankheitsbild des klassischen Typhus, während bei Ge¬ 
impften unter der Einwirkung hochwertiger Schutzstoffe, die ent¬ 
weder zur Zeit der Infektion schon zur Stelle sind oder unter dem 
Einfluss dieser überstürzt neugebildet werden, in besonderen Fällen 
durch die beschleunigten Verhältnisse der Bakterienvernichtung 
akute Krankheitsbilder entstehen können, die nur wenig 
Grundzüge mehr mit der als typisch bezeichneten Krankheitsform ge¬ 
meinsam haben. Wenngleich die überstürzte Art der Bakteriolyse, 
mithin die beschleunigte Giftproduktion, das ausschlaggebende Mo¬ 
ment für den klinischen Ausfall der Erkrankung sein dürfte, so finden 
sich namentlich in Analogien des Tierexperimentes genügend Anhalts¬ 
punkte für die Annahme, dass unter der Einwirkung besonderer 
Immunstoffe nicht immer dieselbe Giftkomponente aus den ver¬ 
nichteten Bakterien entsteht. Der unvorbehandelte typhuserkrankte 
Mensch mit seinem ursprünglich insuffizienten Abwehrmechanismus 
bildet aus den infizierenden Typhusbakterien eine Giftkomponente, die 
in chemisch-biologischem Sinne als noch relativ hochwertig, daher 
artspezifisch zu betrachten ist, so dass es bei diesen Fällen zu dem 
krankheitsspezifischem Zustandsbild des Status typhosus kommt. Da¬ 
gegen scheinen bei der in biologischem Sinne suffizienteren schnel¬ 
leren Krankheitsabwehr manches Schutzgeimpften Giftkomponenten 
zu entstehen, die infolge tieferer Spaltung artspezifische Eigenschaften 
verloren haben und daher relativ unspezifische Krankheitsbilder aus- 
lösen. 

Die akuten, durch die Giftüberschwemmung des Organismus be¬ 
dingten Zustandsbilder manches klinisch erwiesenen Typhusialles 
eines Schutzgeimpften zeigen so ausserordentlich nahe verwandt¬ 
schaftliche Zusammenhänge und Uebergänge zu dem klinischen Bild 
des typischen unkomplizierten Influenzaanfalles, dass ein Vergleich 
naheliegt. Zweifellos finden sich bei den einzelnen Jnfluenzakranken 
typische Symptome, die zusammen mit dem Krankheitsverlauf, 
namentlich in der Epidemiezeit, die Diagnose ermöglichen, doch sind 
die Influenzasymptome an sich zu wechselnd und bei genauerem 
Vergleich mit Symptomen anderer Erkrankungen nicht spezifisch ge¬ 
nug, um die Diagnose auch ausserhalb der Epidemiezeit oder bei 
Vermischung verschiedener epidemieartig verlaufender Krankheiten 
in jedem Falle annähernd zu sichern. 

Ein Vergleich all dieser in weiterem klinischen Sinne influenza¬ 
artig verlaufender Krankheiten untereinander, den wir in einer 
früheren Mitteilung 1 ) anzubahnen versucht haben, muss daher zu einer 
schärferen Präzisierung des Wesens eines Influenzafalles führen. 

Die schon von Bäumler, Leichtenstern, später von 
Wassermann, Jürgens u. a. vertretene Auffassung, dass bei 
der Inffluenzaerkrankumg weniger das Bild der lokal-bakteriellen als 
vielmehr das der allgemein-toxischen Schädigung im Vordergrund 
stehe, kann man heute nach den Fortschritten der Immunitäts¬ 
forschung noch begründeter vertreten, da uns die Giftentstehung aus 
einer bestimmten Bakteriengruppe seit Pfeiffers grundlegenden 
Cholera- und Typhusforschungen weit mehr verständlich wurde. 
Wenngleich auch nach unseren jetzigen eigenen Untersuchungen 


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D. Arch. f klin. Med. 127. 1918. H. 5—6. S. 363 ff. 

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manches für die ätiologische Bedeutung des Pfeiffer sehen In¬ 
fluenzabazillus zu sprechen scheint, so können wir doch seine Er¬ 
regernatur noch nicht einwandfrei beweisen. Aus den klinischen Be¬ 
obachtungen, die uns die Fernwirkung des krankmachenden Agens 
zeigen, können wir aber Rückschlüsse auf dessen Natur ziehen. Auf 
Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden; es genüge der 
Hinweis, dass wir nach der Art des Krankheitsbeginnes und -Ver¬ 
laufes, nach der Art des Zustandsbildes und nach manchen Eigen¬ 
arten der typischen Temperaturkurven unkomplizierter Influenza¬ 
fälle den Iniiuenzaerreger unbedingt in der Gruppe der reinen 
Endotoxinbakterien zu suchen, haben. Bekanntlich entsteht 
die Giftbildung bei der Infektion mit Bakterien dieser Gruppe erst 
bei Prozessen, die zu ihrer Vernichtung führen. Je energischer daher 
die bakterienfeindlichen Kräfte wirken, umso rascher wird die Gift¬ 
bildung aus ihnen erfolgen. Aber gerade bei der Influenza ist der 
akuteste Beginn und der rasche Krankheitsverlauf der meisten 
Fälle typisch, und bei dem im wesentlichen klinisch negativen Organ¬ 
befund ist das Bild der plötzlichen Giftüberschwemmung des Or¬ 
ganismus besonders markant. Diese äussert sich meist in der plötz¬ 
lichen Allgemeinbeteiligung der verschiedenen Systeme: infolge toxi¬ 
scher Reizung Erscheinungen des Zentralnervensystems (Kopf-, 
Muskelschmerzen und sonstige Parästhesien), des Respirations- und 
häufig auch des Digestionstraktus. Die typischen, akut verlaufenden 
Fälle vereinen die klinischen Erscheinungen der katarrhalischen, 
gastrointestinalen und nervösen Influenzaform mit Ueberwiegen oder 
Zurücktreten der einen oder andern Komponente. 

Für die Entstehung derartiger akuter Toxikämien ist 
Grundbedingung die erhöhte Abwehrbereitschaft und 
- f ä h i g k e i t des Organismus zur Zeit der Infektion. Sie 
ist normalerweise bei der menschlichen Typhusinfektion nur in ge¬ 
ringem Grade vorhanden; funktionstüchtige und energisch wirkende 
Abwehrkräfte müssen im Verlauf der Infektion erst neugebildet wer¬ 
den. Die allmählich zunehmende Steigerung der Typhusschutzkörper 
mit der allmählich steigenden Giftproduktion und -konzentration be¬ 
dingt auch das subakut sich hinziehende Krankheitsbild des klassi¬ 
schen Typhus. Eine akut einsetzende Toxikämie, die wir besonders 
vom Typhus der Schutzgeimpften her kennen, hat daher das Vor¬ 
handensein relativ hochwertiger und reichlicher Antikörper schon 
zurZeit der Infektion zur Voraussetzung, die nach Ueberschreitung 
einer noch hypothetischen Reizschwelle durch die eingedrungenen 
Bakterien die plötzliche Vernichtung derselben gewährleisten. Unter 
derartigen. Voraussetzungen beobachten wir dann klinisch das Zu¬ 
standsbild der akuten Toxikämien, die im wesentlichen bereits eihen 
relativen Endeffekt der parenteralen Bakterienvernichtung und sehr 
häufig, aber nicht immer, den Abschluss der Erkrankung darstellen. 

Von diesen Gesichtspunkten aus rechtfertigt sich in Anlehnung 
an die Beobachtungen beim Typhus eine durch die Klinik der 
Influenza begründete Einteilung nach Erschei¬ 
nungsform und Krankheitsdauer in typische und 
atypische, akut oder subakut verlaufende Fälle. 
Während wir aber beim Typhus gewohnt sind, die subakut sich hin¬ 
ziehende Krankheitsform als typisch, die akuteren Typhoidformen als 
atypisch zu bezeichnen, erblicken wir umgekehrt, aber völlig folge¬ 
richtig, gerade in den akuten, sich nur über wenige Tage hinziehen¬ 
den Influenzafällen den typischen Zustand, während wir die länger 
dauernden, durch das Auftreten von Komplikationen in ihrer Be¬ 
urteilung allerdings sehr erschwerten Fälle, als atypisch bezeichnen. 
Man wird gerade bei dem gut fundierten Krankheitsbild des Typhus 
versuchen müssen, weitere Beweise für die naheliegende Erklärung 
zu erbringen, dass die akuteren* paroxysmalen Formen- biologisch be¬ 
urteilt die relative Ueberlegenheit des Organismus den Infektions¬ 
erregern gegenüber anzeigen, während die subakuten und chro¬ 
nischen Fälle die relative Insuffizienz des Makroorganismus ver¬ 
körpern. Gerade für die Influenza würde der Versuch, an einer der¬ 
artigen Auffassung und Einteilung festzuhalten, vielleicht manche 
Differenzen in den bakteriologischen Ergebnissen erklären können. 

Wir halten fürs Erste den Hinweis auf.diese Gesichtspunkte für 
wesentlich, da sie bisher in der Lehre der Infektionskrankheiten nur 
ungenügend berücksichtigt sind. Und doch erscheinen gerade sie 
geeignet, manches beizutragen zur Erklärung der wechselnd häufigen 
Möglichkeit, den Erreger der Infektion nachzuweisen. Unter Zu¬ 
rückstellung auf Hinweise rein theoretischer Natur genügt zur Er¬ 
läuterung ein konkretes Beispiel, aus dem zu ersehen ist, wie sehr das 
3? | 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 








1204 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


Nr. 44. 


Gelingen des Baklcriennachweises von dem Abwehrmechanismus ab¬ 
hängig ist, nach dom die Infektion erledigt wird. So wissen wir, 
namentlich aus einer Zusammenstellung von Rolly, dass es in der 
ersten Woche bei klassischen Typhusfällen, für die wir einen insuf¬ 
fizienten Abwehrmechanismus angenommen haben, in über 90 Proz. 
gelingt, den Erreger im Blut nachzuweisen. Bei den akuteren 
„atypischen“ Typhoidformen sinkt diese Möglichkeit auf weit unter 
die Hälfte, obwohl es als erwiesen anzusehen ist, dass der Erreger, 
wenn auch nur ganz vorübergehend, im Blute angetroffen werden 
kann. In den meisten derartigen Fällen haben wir also damit zu 
rechnen, dass eine sehr rasche, intensive Schädigung der Keime, 
die den kulturellen Nachweis im Blute verhindert, eingetreten ist. 
Noch deutlicher werden die Verhältnisse, wenn man diejenigen Ty¬ 
phusfälle Schutzgeimpfter berücksichtigt, die noch annähernd 
der klassischen Form in Kurve, Roseolennachweis und Zustandsbild 
klinisch entsprechen, bei denen aber auch die Nachweismöglichkeit 
des Erregers aus dem Blute erfahrungsgemäss auf 30 Proz. und 
noch tiefer sinkt. Bewertet man endlich in dieser Richtung gesondert 
ausschliesslich die akuteren, atypischen, paroxysmale- 
ren Formen der Typhen Schutzgeimpfter, so findet 
man, dass es dabei nur mehr in einem sehr kleinen 
Prozentsatz (3—10 Proz.) der Fälle gelingt, den Er¬ 
reger festzustellen. Zweifellos dürfte sich die Häufigkeit des 
Nachweises bei Einhaltung bestimmter zeitlicher Verhältnisse ver¬ 
bessern lassen; zurzeit stehen wir aber unter dem Eindrücke, dass es 
unter dem Einfluss der Typhusschutzimpfungen ausserordentlich 
schwierig geworden ist, den Typhusbazillus aus Blut, Stuhl oder Urin 
nachzweisen. 

Man kann nun die Verhältnisse des Typhus nicht einfach auf die 
Influenzainfektion übertragen, denn wir haben es dort mit einer 
wohl hauptsächlich hämatogenen Infektion der lymphatischen Appa* 
rate, hier dagegen wahrscheinlich mit einer Oberflächeninfektion des 
Respirationstraktus zu tun. Doch ergeben sich bei der Abwehr dieser 
verschieden lokalisierten Infektionen in letzter Linie gleichartige bio¬ 
logische Probleme, die den Prinzipien der parenteralen Verdauung 
entsprechen, so dass ein Vergleich beider Erkrankungen von diesen 
Gesichtspunkten aus zulässig sein muss. Jedenfalls erscheint es nach 
den bisherigen bakteriologischen Ergebnissen der Influenzaforschung 
und nach unseren eigenen jetzigen Untersuchungen durchaus wahr¬ 
scheinlich, dass man bei Verschiedenartigkeiten des Untersuchungs¬ 
ausfalles einzelner Fälle daran denken muss, dass dasFe'hlenoder 
Vorhandensein von pathogenen Bakterien in be¬ 
sonderen Immunitätszuständen bedingt sein kann. 
Man wird daher namentlich bei den subakut sich hinziehenden In¬ 
fluenzafällen den Erreger noch am häufigsten am Ort der Siedlung, 
also im Respirationstraktus, seltener oder überhaupt nicht mehr im 
Blute erwarten dürfen, während bei den akuten, nach einem suffi- 
zienterem Abwehrmechanismus verlaufenden Fällen der Erreger sehr 
bald wohl auch aus dem Respirationstraktus verschwunden sein 
dürfte. 

Der oben gegebene Hinweis auf die biologischen Probleme er¬ 
scheint aber auch wichtig, um vielleicht in der Erklärung des 
Wesens der Influenza und influenzaähnlichen Erkrankungen 
weiterzukommen. Seit Beginn der bakteriologischen Aera fordern 
wir — rein klinisch betrachtet vielleicht zu Unrecht — für jede 
Infektionskrankheit den Erregernachweis und haben für den grössten 
Teil der allmählich gefundenen menschenpathogenen Keime spe¬ 
zifische Organveränderungen kennen gelernt. Nun wissen wir von 
Tierexperimenten her, dass es eine grosse Reihe von Mikroorganis¬ 
men gibt, die in einem besonderen Tierkörper nicht die für den 
Menschen spezifischen Organveränderungen auslösen, sondern nur 
zu Intoxikationserscheinungen führen, die aus der meist sehr raschen 
Bakterienvernichtung resultieren. Die Gründe hierfür suchen wir 
in der mitunter deutlich erweisbaren „Normalimmunität“ der be¬ 
treffenden Tierspezies; auf weitere Erklärungjsmöglichkeiten rein 
physikalisch-chemischer Natur sei zu dieser Frage nicht eingegangen. 
Jedenfalls vermag z. B. der Typhusbazillus im Meerschweinchen¬ 
organismus nicht zu „haften“, während er im menschlichen Or¬ 
ganismus für gewöhnlich wenigstens*) die Bedingungen erfüllt 
findet, die seine plötzliche tiefere Schädigung verhindern, so 
dass er die lokalen Krankheitserscheinungen auszulösen ver¬ 
mag. Es findet sich fürs Erste kein zwingender Gegen¬ 
beweis gegen die Annahme, dass sich der menschliche Or¬ 
ganismus einer Refhe von Bakterienarten („apathogener“ Arten) 
gegenüber nicht ähnlich verhalten sollte, wie z. B. das Meer¬ 
schweinchen gegenüber Typhus und Cholera. Namentlich bei be¬ 
sonderer Lokalisation mancher Virusart erscheint es durchaus mög¬ 
lich, dass — unter dem Einfluss eines besonderen histiogenen oder 
allgemein erhöhten Schutzes — ein Krankheitsbild entsteht, dem 
lokale bakterienspezifische Veränderungen fehlen, während es klinisch 
die unter toxischem Einfluss entstehende Beteiligung des Gesamt¬ 
organismus zeigt. Somit könnte auch ein unter gewöhnlichen Ver¬ 
hältnissen völlig „apathogener“ Keim unter bestimmten Voraus- 


*) Wir haben a. a. O. (1. c.) darauf hingewiesen, unter welchen Be¬ 
dingungen es möglich erscheint, dass auch die Typhusinfek¬ 
tion des Menschen nicht zum Typhus, sondern nur 
zur Typhusgifterkrankung führen könnte. 

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Setzungen (Lokalisierung, Individualität, Immunität und Disposition) zu 
akuten Krankheitsbildern führen, wie wiT sie vom Experiment und von 
der menschlichen Pathologie her kennen: Allgemeinerscheinungen bei 
fehlenden spezifischen Organveränderungen. Erst bei Insuffizienz 
der Schutzkräfte kommt es zum Haften und mithin zum Auftreten 
der spezifischen subakuten Krankheit mit den gewohnten organi¬ 
schen Veränderungen. 

Inwieweit die gegebenen Voraussetzungen z. B. für die mensch¬ 
liche Infektion mit Influenzabazillen zutreffen, kann heute noch nicht 
entschieden werden. Bekannt ist nur, dass ihre parenterale Einver¬ 
leibung in den Tierkörper — von den wenigen vorliegenden Ver¬ 
suchen beim Affen, die aber wohl gleichsinnig zu deuten sind, ab¬ 
gesehen — ein Krankheitsbild erzeugt, das im wesentlichen z. B. mit 
der Typhusvergiftung des Meerschweinchens übereinstimmt. Unter 
der Annahme, dass der Pfeiffersche Bazillus tatsächlich der 
Influenzaerreger sei, muss es auffaHen, dass wir wenigstens bei 
typischen Influenzatällen ebenfalls keine bakterien¬ 
spezifischen Organveränderungen finden und dass auch das gesamte 
Zustandsbild dem der experimentellen akuten Hypertoxikose 
entspricht, wobei bei der Influenza zum Teil noch eine gewisse 
Spezifität des entstehenden Giftes, das besonders stark auf den 
Respirationstraktus einwirkt, zu berücksichtigen ist. Auch bei den 
weniger typischen, subakut verlaufenden Fällen, bei 
denen man weit mehr die direkte bakterielle Schädigung erwarten 
kann, sind uns influenzaspezifische Veränderungen mit Sicherheit 
nicht bekannt. Wenngleich, namentlich nach den neueren schönen 
Untersuchungen Huebschmanns 1 ), bei den schweren im Gefolge 
der Influenzaerkrankung auftretenden Lungenkomplikationen die 
direkte lokale Mitwirkung des Influenzabazillus sehr wahr¬ 
scheinlich erscheint (die bei diesen sich länger 'hinziehende» 
Fällen auoh durchaus möglich ist), so muss man doch umgekehrt 
auch berücksichtigen, dass gerade bei diesen Veränderungen immer 
auch Begleitbakterien gefunden werden, von denen wir bisher aller¬ 
dings nicht sicher wissen, ob sie nicht schon allein zu ähnlichen 
organischen Veränderungen befähigt sind. Unter besonderen Ver¬ 
hältnissen, deren Erfüllung allerdings zu den grössten Seltenheiten 
zu gehören scheint, ist der Influenzabazillus aber endlich als ab¬ 
solut pathogener Keim im engeren Sinne nachweislich zu 
betrachten, wie uns die Fälle eitriger Meningitis und 
Otitis zeigen, bei denen der Influenzabazillus ohne Be¬ 
gleitbakterien gefunden werden kann. 

Somit Hessen sich gerade durch die kritische Bewertung der 
kurz angedeuteten zwei bzw. drei Krankheitsgruppen für die mensch¬ 
lichen Infektionen mit Influenzabazillen durch die klinische Beob¬ 
achtung gestützte Krankheitsbilder ableiten, deren Effekt ähnlich wie 
beim Typhus von der individuell wechselnden Abwehrfähigkeit und 
-bereitschaft des Makroorganismus und zum Teil auch von der Viru¬ 
lenz und Lokalisation des Mikroorganismus abhängig ist. Die Ab¬ 
grenzung der einzelnen Formen der Influenza wird dabei allerdings 
wesentlich erschwert durch die grosse Zahl von Komplikationen, 
deren Entstehung auf dem Boden der primärtoxischen Gewebe 
Schädigung erleichtert scheint. Die skizzierte Betrachtungsweise 
des wechselvollen Bildes der Influenza würde der namentlich von 
Jürgens geforderten Einheit der Beurteilung Rechnung tragen 
und vermitteln auch nach der Seite der rein klinischen Auffassung 
Leichtensterns hin, der bekanntlich eine rein toxische und 
toxisch-entzündliche Influenzaform aufstelite. Durch eine derartige 
Fassung des Infiuenzaproblems, die mehr den kausalen Forderungen 
gerecht wird, verliert auch die immer wieder hervorgehobene Viel¬ 
gestaltigkeit des Krankheitsbildes viel von dem Unverständlichen; 
das ihm anzuhaften scheint Denn dieser Vielgestaltigkeit begegnen 
wir auch bei Erkrankungen, die experimentell bereits besser durch¬ 
gearbeitet und mithin unserem Verständnis näher gerückt werden 
konnten. Auch hier sei wieder an die verschiedenartigsten patho¬ 
logischen Reaktionen erinnert, die, in hohem Grade abhängig von 
individuellen Momenten, auf eine Typhusinfektion hin erfolgen. Von 
der am genauesten bekannten-, häufigsten Ausdrucksform, dem 
klassischen Typhus, finden wir nach beiden Seiten hin die 
wechselvollsten Uebergänge: Nach der einen Seite die völlige 
Unmöglichkeit des Organismus, mit der Infektion fertig zu 
werden, also das Bild der schwersten zum Tode führenden Gift¬ 
häufung; nach der anderen Seite die Typhoid- und Abortivformen; 
endlich die rudimentären Formen des Typhus amb-ulatorkis, die uns 
— geht man in der individuellen Abwehrfähigkeit des Organismus 
noch eine Stufe höher — an die Grenze der Erkennbarkeit bringen 
können. Darüber hinaus gibt es sicher noch leichteste Formen der 
Typhuserkrankungen, die kurzdauernd, influenzaartig verlaufen 
können, die wir aber mit unseren heutigen Nachweismethoden ätio¬ 
logisch nicht mehr zu erfassen vermögen. Berücksichtigt man dazu 
endlich noch die ausserordentliche Vielgestaltigkeit des Krankheits¬ 
bildes bei Infektionen Schutzgeimpfter, das eine kontinuierliche Reihe 
von der Einhaltung des Physiologischen über die unspezifischen, 
paroxysmalen, tQxischen Zustände hinweg zu dem voll ausgeprägten 
pathologischen Bilde ergibt, so findet man, dass das Bild des Typbus 
weit vielgestaltiger ist, als das der Influenza. Auch bei ihr begegnen 
wir prinzipiell gleichwertigen Krankheitsbildern: von leichtem Un- 


•) Zieglers Beitr. 63. H. 1. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





29 . Oktober 1918. 


MÜENCHENEK MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


tm 


Wohlsein» von geringfügigen katarrhalischen Zuständen über die 
paroxysmal toxische Form zu den eigentlichen bazillären, lokalen 
Erkrankungen. Auch aus diesen Analogien kann man die nahe Ver¬ 
wandtschaft des biologischen Geschehens bei der Abwehr beider 
Infektionen erkennen. Sie weisen uns aber aufs neue den Wog, dass 
nicht die Bakteriologie allein ausschlaggebend ist bei der Beurteilung 
einer Infektionskrankheit, m. a. W. dass nicht allein der Infekt, 
sondern weit mehr die Reaktionsfähigkeit bzw. relative-Unfähigkeit 
des menschlichen Organismus zu berücksichtigen ist. Die schärfere 
Betonung dieser pathologisch-physiologischen. Forderung dürfte ge¬ 
rade bei dem zu sehr rein bakteriologisch beurteilten Influenza¬ 
problem nicht unwesentlich sein. 

Das Wesen der akuten typischen Influenza und influenzaartiger 
Erkrankungen scheint also in einem besonders hochwertigen, zur 
Entstehung einer akuten Giftüberschwemmung des Organismus 
führenden Abwehrmechanismus begründet zu sein, während die 
atypischen, subakut sich hinziehenden Fälle ähnlich wie die klassische 
Form des Typhus, biologisch beurteilt, die relative Unterlegenheit 
des Makroorganismus anzeigen würde. 

Die Auffassung des typischen Influenzaanfalles als akute Toxi¬ 
kose erklärt auch die nahen verwandtschaftlichen Zusammenhänge 
und Uebergänge zu anderen Krankheiten. Man braucht keineswegs 
so weit zu gehen, wie Friedberger, der auf Grund seiner 
Fiebertheorie annimmt, dass bei Infektionen mit verschiedenen Bak¬ 
terien (durch die parenterale Verdauung derselben) stets die gleiche 
Giftsorte, das Anaphylatoxin, entsteht. Der gegenteiligen Ansicht 
anderer Autoren wären unschwer klinische Beobachtungen anzu¬ 
reiben, die entschieden für einen- Unterschied zwischen -den Bakterien- 
endotoxinen* und dem Anaphylatoxin sprechen. Für das lnfhienza- 
endotoxin lässt sich jedenfalls eine exquisite Bevorzugung der 
Schleimhäute feststellen. Und doch scheinen die biologischen Unter¬ 
schiede zwischen manchen Endotoxinen nicht allzu erheblich zu sein; 
denn aus ätiologisch verschiedenartigen Infektionen entstehen kli¬ 
nisch ziemlich gleichwertige, inflnenzaartrge Krankheitsbilder. Ein 
Krankheitsbild — das Wolhynische Fieber —, das wir im Felde an 
einer grossen Zahl von Fällen zu studieren Gelegenheit hatten, er¬ 
innert in seiner typisch 5 tägig paroxysmalen Form wenigstens, rein 
nach dem Zustandsbride beurteilt, ganz unbedingt an die typische 
Influenza und auch der Laienmund hat für diese Krankheit, die auch 
sonst in ihrem Wesen und Verlauf ausserordentlich nahe Beziehungen 
zur Influenza zeigt, den Namen „polnische Influenza“ geprägt. Wie wir 
an anderer Stelle (I. c.) aus geführt haben, liegt für diese Erkrankung 
die Vermutung nahe, dass sie in die Reihe der typhösen Erkrankungen 
zu rechnen ist, und dass diese besondere Krankheitsform der Schutz¬ 
geimpften einem besonderen immunitäts- und Gift- 
biidungsmechanismus ihre Entstehung verdanken könnte. 

Die Uebereinstimmung, die sich in biologischer Beziehung zwi¬ 
schen den einzelnen Formen des Typhus und der Influenza ergibt, 
ist noch weitgehender, als es anfänglich erscheinen kann. So zeigt 
die Kurve eines klassischen Typhus in der Prodrome, die man meist 
nur bei Hausinfektionen erfassen kann, sehr häufig schon kleinere, 
unbeachtet bleibende Temperaturerhebungen, die dadurch charak¬ 
terisiert 1 sind, dass sie sich meist nur über 1—2 Tage erstrecken 
und durch eine fieberfreie Periode von etwa 4—5 Tagen von einander 
getrennt sind. Meist finden sich in der Prodrome des Typhus 2 bis 
3 derartiger kleiner, allmählich an Höhe zunehmender Temperatur- 
paroxysmen, die mit Perioden normaler Temperaturen wechseln, 
ehe die treppenförmig ansteigenden Temperaturen des „eigentlichen“ 
Typhus einsetzen. Unter Verwertung eines an anderer Stelle ge¬ 
gebenen Erklärungsversuches kann man auch diese prodromalen 
Erscheinungen beim Typhus aus dem Aqfbrauch und der Neu¬ 
regeneration von Antikörpern herleiten. Ganz ähnliche Beob¬ 
achtenden finden sich auch bei der Influenza insofern, als bei Haus¬ 
infektionen gezeigt werden kann, dass dem eigentlichen Influenza- 
anfali mitunter schon 1—2 kleinere Fieberparoxysmen voraus¬ 
gegangen. waren, die dem Patienten völlig unbemerkt blieben. Sie 
sind meist durch eine- nur 3—4 tägige fieberfreie Periode von 
einander getrennt* Die erste Zacke ist mitunter noch sehr niedrig, 
während die nach ca. 3 Tagen* folgende zweite schon etwa 38,5° er¬ 
reicht. Auf einer vorliegenden, besonders typischen Kurve setzt 
dann nach einer weiteren 3 tägigen fieberfreien Periode eine 3. hohe 
Temperatursteigerung ein, die dem eigentlichen Influenzaanfall auch 
klinisch entsprach. Auch diese Beobachtungen bei Influenza kann 
man derartig erklären, dass zur Zeit der Infektion nur ungenügende 
Mengen von Antikörpern vorhanden waren, die nur eine teilweise 
Abtötung der eingedrungenen, sich allmählich vermehrenden Keime 
und mithin nur eine geringe Giftproduktion auslösen konnte. Wäh¬ 
rend der dem erstmaligen Aufbrauch der Antikörper folgenden 
negativen Phase kann es aus Antikörpermangel trotz An¬ 
wesenheit von Bakterien nicht zur Giftbildung kommen, woraus sich 
die fieberfreien Perioden zwischen den einzelnen Paroxysmen er¬ 
klären können. Auf jeden derartigen parenteralen Reiz hin erfolgt 
aber die Ueberproduktion von Antikörpern, deren Höhepunkt er- 
fahrungsgemäss nach etwa 4—5 Tagen erreicht ist, so dass schliess¬ 
lich die restlose, plötzliche Abtötung der Keime gelingt, die zu dem 
Zustandsbflde der akuten Toxtfkose führt. Airffallenderweise finden 
sich derartige, praktischbereitsden Rezidiven gleich - 
znsetzende Kurren bei der diesjährigen Epidemie nur ganz 
vereinzelt und dann meist bei älteren Leuten, während sie in dem 

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Kurvenmaterial der Epidemie der 90 er Jahre relativ häufig ver¬ 
treten sind. Auf die daraus sich ergebenden, vielleicht 
zulässigen Schlüsse epidemiologischer Art soll nicht 
eingegangen werden. 

Wenn wir uns somit unter Verwertung von Klinik. Pathologie 
und Immunitätslehre eine präzisere Vorstellung von dem Wesen 
einer Influenzaerkrankung bilden und auch über die Natur des Er¬ 
regers bestimmtere Vermutungen aussprechen können, so scheint 
man doch umgekehrt über seine speziellere Art auch durch die 
Untersuchungen der diesjährigen Epidemie vorerst abermals zu 
keinem abschliessenden Urteil gelangen zu können. Wenn auch von 
den Anhängern der Pfeifferschen Theorie der manchen Orts 
anscheinend sehr häufig gelingende Nachweis des Influenzabazillus 
erneut als Beweis verwertet werden kann, so stehen doch der 
definitiven Anerkennung heute noch dieselben Bedenken wie früher 
entgegen. Ueber unsere eigenen Befunde wird später zu be¬ 
richten sein*). 

Nach dem heutigen Stand der Influenzaforschung erscheint es 
fraglich, ob wir auf rein bakteriologischem Wege je zu einer Ent¬ 
scheidung werden gelangen können. Mit Recht könnte man daher 
an die von Levinthal 4 ) angebahnte Durchführung serologischer 
Reaktionen grosse Erwartungen knüpfen, die man aber bei der 
Massendurchseuchung, ähnlich wie bei anderen Infektionen mit iubtqiri- 
tären Keimen, nicht allzu hochstellen darf. Ueberdies ist das Auf¬ 
treten namentlich von Agglutininen gerade bei den als einzig be¬ 
weisend anzusehenden akuten, unkomplizierten Fällen nicht unbedingt 
zu erwarten. Bei der grossen Bedeutung dieser Frage haben wir 
derartige Versuche aufgenommen, die namentlich bei Führung zahl¬ 
reicher Normalkontrollen bisher noch keinerlei eindeutiges Resultat 
ergeben. 


Ueber die derzeitige Influenza und ihre Komplikation 1 ). 

Von Professor Dr. Paul Huebschmann, zurzeit Kriegs¬ 
assistenzarzt und Vorstand der bakt. Unteräuchungsst. XlX. 

Dass wir es bei der derzeitigen Grippe oder „spanischen Krank¬ 
heit“ mit der echten pandemisdhen Influenza zu tun -haben, kann als 
eine durch die klinischen und epidemiologischen Beobachtungen fest¬ 
gelegte Tatsache angesehen werden, nicht zum mindesten auch durch 
die Mitteilungen -Strümpells, Bittorfs, Kruses u. a. in 
der Leipz. Med. Gesellschaft. Neben der klinischen und epidemio¬ 
logischen Seite interessiert uns vor allen Dingen die Frage nach 
der Aetiologie der Erkrankung, und diese Frage -kann zunächst dahin 
zugespitzt werden, ob der Pfeiffer sehe Bazillus der Erreger dieser 
Pandemie und der pandemischen Influenza überhaupt ist oder nicht. 
Ueber diese Frage liegen einige Aeusserungen vor, auf die ich weiter 
unten zurückkommen werde. Ich selbst bin noch nicht in der Lage, 
über systematische Untersuchungen berichten zu können, und behalte 
mir das für später vor. Ich verfüge )edoch schon über eine Anzahl 
von Beobachtungen am Lebenden und an der Leiche, die ich hier 
erwähnen möchte. Zunächst muss man zugestehen, dass man bei der 
Untersuchung des Auswurfes von Schwerkranken oder von Bronchial¬ 
inhalt von an den Folgen der Grippe Gestorbeneii keine oder last 
keine positiven Resultate zu erzielen imstande ist. Eine Ausnahme 
machen jene Todesfälle, bei denen Befunde erhoben werden, die 
sich mit den Veränderungen decken, welche ich früher als charak¬ 
teristisch für die Infektion mit dem Pfeifferschen Bazillus be¬ 
schrieben habe (s. u.). Ferner habe ich eine Anzahl von Sputen 
untersucht, die von noch Leichtkranken stammten und die auch dem 
Aussehen nach als influenzaverdächtig zu betrachten waren. Dann 
gelingt es mit einiger Sicherheit, wenigstens in einem Teil der Fälle 
InfluenzabazHlen nachzuweisen. Ich verzichte hier auf jede Zahlen¬ 
angabe, weil zunächst mit solchen Angaben nicht viel gewonnen wird 
und die ganze Frage viel komplizierter ist und- von verschiedenen 
Seiten betraobtet werden muss. Ein enges Zusammenarbeiten nicht 
nur des Klinikers, sondern auch des praktischen Arztes mit dem 
Bakteriologen wäre hier am Platze. 

Ich möchte jedenfalls davor warnen, auf Grund von einer Anzahl 
negativer Befunde ohne weitere Ueberlegung zu einer Ablehnung des 
Pfeifferschen Bazillus als des Erregers d ! er Erkrankung zu 
kommen. Die Züchtung des Pfeiffer sehen Bazillus ist durchaus 
nicht einfach und kann durch mannigfache Faktoren ungünstig beein¬ 
flusst werden. Sodann wird an der Wahl des richtigen Materials 
alles gelegen sein. Wird Sputum untersucht, so carf es dazu nur 
frisch, und in sterilen Gefässen aufgefangen, verwandt werden. Ist es 
einmal- in Wasser aufgefangen und einige Stunden stehen geblieben, 
oder ist es mit Speichel verunreinigt, so wird man positive Resultate 
in der Kultur kaum mehr erwarten können, weil dann die Influenza¬ 
bazillen einfach durch andere Keime überwuchert sind. Handelt es 
sich aber um jene schweren Fälle, die in dieser Epidemie so häufig 
sind, und die, wie wir nunmehr wissen, durch schwere sekundäre 
Infektionen kompliziert sind, so wird man ebenfalls positive Befunde 
von InfluenzabazHlen nicht mehr erwarten können, weil dort wiederum 


*) Diese Mitteilung wird zur gleichen Zeit in der Med. Klin. 
veröffentlicht. 

4 ) Zschr. f. Hyg. u. Inlektionskr. 86. H. t. 

*) Erweiterte Diskussionsbemerkung aus der Sitzung der Mediz. 
Gesellsch. zu Leipzig vom 23. VII. 18. 

Original from ** 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1206 


MUENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 44. 


die Erreger der sekundären Infektionen ganz in den Vordergrund 
treten. Dasselbe gilt für die Untersuchung an der Leiche, wobei 
ja meist die sekundären Infektionen das eigentliche Bild der Urippe 
ganz verdrängt haben. Es ist darum auch gar nicht zu verwundern, 
dass Oberndorfer 2 ) und Mandelbaum 2 ) bei ihren Leichen¬ 
untersuchungen keine Influenzabazillenbefunde erhoben haben. Auf 
Grund solcher negativen Befunde den Pfeiffer sehen Bazillus als 
den Erreger abzulehnen, ist ungerechtfertigt. Auch andere negative 
Resultate werden in ähnlicher Weise beurteilt werden müssen. Alle 
Untersuchungen, die an ungeeignetem Material vorgenommen werden, 
werden bei der Lösung der ganzen Frage nicht mitsprechen dürfen. 
Aber auch dort, wo geeignetes Material verwandt wird und die Be¬ 
funde trotzdem nicht einheitlich sind, d. h. der Pfeiffer sehe Ba¬ 
zillus nicht in jedem verdächtigen Fall gefunden wird, wird man die 
negativen Befunde nicht ohne weiteres als einen Gegenbeweis gegen 
die Rolle des Pfeiffer sehen Bazillus anfUhren dürfen. Wir können 
bei der Influenza keinen strengeren Massstab anlegen, als wir es bei 
manchen anderen Infektionskrankheiten gewöhnt sind. Ich verweise 
nur auf die Ruhr und den Typhus. Ein grosser Fortschritt wäre es, 
wenn wir imstande wären, auch mit Immiunitätsreaktionen an die 
strittige Frage heranzugehen. In dieser Beziehung sind die neuer¬ 
lichen Mitteilungen Lewint hals 3 ) von Bedeutung. 

Ich möchte nun bei dieser Gelegenheit auch meine eigenen 
früheren Untersuchungen über den Pfeifferschen Bazillus er¬ 
wähnen und möchte vor allen Dingen betonen, dass ich, allerdings 
nunmehr schon vor drei Jahren, auf Grund von bakteriologischen und 
anatomischen Untersuchungen die Vermutung äusserte, dass wir uns 
im Beginne oder vor einer Influenzaepidemie befinden 4 ). Die In¬ 
fluenzaepidemie haben wir jetzt. Man kann nun natürlich sagen, 
dass es sich um einen Zufall handelt, aber man muss sich doch auch 
fragen, ob zwischen diesen früheren Befurden und der jetzigen Epi¬ 
demie nicht Zusammenhänge bestehen. Man könnte natürlich auch 
sagen (wie es Herr Geheimrat Kruse mir gegenüber in einem 
Gespräch äusserte), dass die früheren Befunde von Influenzabazillen 
gegen ihre Rolle als Erreger der jetzigen Epidemie sprechen. Aber 
andererseits haben sich doch in der letzten Zeit unsere Anschauungen 
über die epidemiologischen Gesetze in vieler Hinsicht stark gewandelt. 
Wir können sagen, dass mit dem Vorhandensein der Influenzaerreger 
einerseits und der influenzaempfänglichen Menschenmasse andererseits 
die Tatsache einer Epidemie noch nicht gegeben ist, sondern dass 
dabei noch mannigfache Faktoren im Spiele sind, die wir noch nicht 
restlos beurteilen können und die eben schliesslich dahin führen, 
dass die Influenzaerreger eine hohe Virulenz und die Infektions¬ 
empfänger eine geringe Widerstandsfähigkeit erlangen. Wir wissen, 
dass auch bei anderen Infektionskrankheiten'den Epidemien eine grosse 
Verbreitung der Infektionserreger vorausgehen oder folgen kann. Die 
Tatsache, dass die jetzige Epidemie anscheinend ihren Ausgangspunkt 
in Spanien hatte und von dort über die anderen Länder sich aus¬ 
breitete, kann solche Ueberlegungen nicht ohne weiteres umstossen. 
Jedenfalls werden- wir heute noch nicht den ganzen Komplex der 
epidemiologischen Vorkommnisse dieser Pandemie vollkommen richtig 
beurteilen können. Es liegt dazu noch viel zu wenig einwandfrei 
wissenschaftlich bearbeitetes Material vor. Es ist 1. der Fall denkbar, 
dass die Influenzabazillen auch in anderen Ländern vor Auftreten der 
Epidemie vorhanden waren und dass sie dann durch die noch unbe¬ 
kannten Einflüsse bald hier, bald dort die hohe Virulenz erlangten, wie 
sie für die Entstehung einer Epidemie notwendig ist. Dann wäre die 
Vorstellung, die wir uns jetzt von dem Gange der Epidemie machen, 
eine Selbsttäuschung. Es ist 2. aber auch denkbar, dass tatsächlich 
zunächst nur in Spanien die Bazillen die nötige Virulenz erreichten, 
und nun- in derselben Weise, wie wir es von anderen Epidemien 
kennen, sich über die Weit ausbreiteten. Bei uns fanden sie dann eine 
Bevölkerung vor, die schon längere Zeit, wenn auch mit weniger 
virulenten Influenzabazillen in Berührung gekommen war. Ein ge¬ 
wisser Immunisierungszustand müsste dann aber bei uns bestanden 
haben. Manche klinische Beobachtungen- Hessen sich damit in Ein¬ 
klang bringen. Es braucht sich dabei nicht um eine Immunität im 
Sinne einer erhöhten Widerstandsfähigkeit gehandelt zu haben, son¬ 
dern es kommt auch ein Zustand der Ueberempfmdlichkeit infolge 
bakteriologischer Immunität in Betracht, wie er bei Krankheiten mit 
Endotoxin Wirkung vorstellbar ist. Erinnert sei an die Pfeiffer¬ 
schen Versuche mit cholera-immunisierten Tieren. Die Ausführungen 
0 e 11 e r s sind mir deswegen von grossem Interesse gewesen. Die 
sehr akut, in wenigen Stunden oder Tagen, mit höchstem Fieber ver¬ 
laufenden Erkrankungen Hessen sich in diesem Sinne deuten. Neben¬ 
bei bemerkt würde eine solche Vorstellung auch eine Erklärung da¬ 
für abgeben können, dass oft Influenzabazillen nicht gefunden werden, 
weil sie tatsächlich in solchen Fällen nur in den ersten Stadien der 
Krankheit vorhanden sein können. 

Auf weitere Einwendungen gegen den Pfeifferschen Bazillus 
behalte ich mir vor, später zurückzukommen. 

Ich bin zusammenfassend der Meinung, dass alles, was bisher 
überhaupt gegen den Pfeifferschen Bazillus vorgebracht ist, und 
insbesondere das, was bei der jetzigen Epidemie gegen ihn ins Feld 
geführt wurde, nicht so ausschlaggebend ist, dass man; daraus zu 
einer Ablehnung seiner ätiologischen Bedeutung gelangen müsste. Die 


2 ) M.m.W. 1918 Nr. 30. 

3 ) Zschr. f. Hyg. 86. 1. 

4 ) M.m.W. 1916. 


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Gougle 


bisher erhobenen positiven Befunde von G o t s c h li ch ®), Schür- 
mann®), U h 1 e n h u t h ®>, meine eigenen, ferner die Beobachtungen 
Oellers, die er hier mitteilte, und andere, von denen er mir priva¬ 
tim berichtete, darunter auch Blutbefunde bei frischen Fällen, alles 
dies fällt viel schwerer ins Gewicht, wie ja überhaupt nicht genug be¬ 
tont werden kann, dass stets alle positiven Befunde höher zu be¬ 
werten sind als negative. Ein abschliessendes Urteil möchte ich heute 
nicht abgeben. Es ist vorauszusehen, dass noch eine grössere An¬ 
zahl von Untersuchungen veröffentlicht werden wird. Erst nach 
Kenntnis aller Befunde und Meinungen wird die Frage endgültig 
spruchreif werden. 

Neben den bakteriologischen Untersuchungen verfüge ich über 
eine grössere Reihe von Sektionsfällen. Schon aus den kHnischen Be¬ 
obachtungen, ganz besonders aber auf Grund der anatomischen und 
bakteriologischen Leichenuntersuchungen, lässt sich nun sagen, dass 
der jetzigen- Epidemie ein ganz besonders schweres Gepräge durch 
die äusserst ernsten Sekundärinfektionen gegeben wird. In der Tat 
lässt sich an der Leiche kaum noch irgendwann das gewöhnliche Bild 
einer Grippeerkrankung auffinden-, sondern die sekundären Verände¬ 
rungen herrschen durchaus vor. Man kann darum auch nicht eigent¬ 
lich, wie z. B. Oberndorfer es tun möchte, auf Grund solcher 
Sektionsbefunde von dem anatomischen Charakter der derzeitigen 
Grippeepidemie sprechen. Dass es sich trotzdem zweifellos um Fälle 
handelt, die der Grippeepidemie zur Last fallen, unterliegt keiner 
Erörterung mehr. Die Häufung der Fälle, die anatomischen Angaben, 
die Besonderheiten des anatomischen Bildes sprechen hier eine deut¬ 
liche Sprache. 

Der einzige Befund, der sich bei jeder Leiche erheben lässt, und 
der vielleicht auf das Konto der primären Grippe zu setzen ist, ist die 
nie fehlende Tracheitis. Aber auch hier sind die sekundären In¬ 
fektionen meist schon so weit beteiligt, dass Iniluenzabazill-en — 
vorausgesetzt, dass sie die primären Erreger sind — nicht mehr zu 
finden sind. Immerhin verfüge ich auch über einige Fälle, die sich mit 
dem von mir früher als charakteristisch für die frische Infektion mit 
Influenzabazillen beschriebenen Bilde®) decken: schwerste, eitrige 
Bronchitis und Bronchiolitis mit Lungenblähung, mit Erweiterung der 
kleinen Bronchien, und hier und da mit azinösen Pneumonien. In 
diesen Fällen werden, wie schon erwähnt, im Eiter der kleinen Bron¬ 
chien regelmässig Influenzabazillen nachgewiesen. Diese Fälle sind 
aber selten und müssen es auch sein, da eben die einfache Influenza- 
infektion gewöhnlich nicht zum Tode führt. Was aber die eigent¬ 
lichen Komplikationen betrifft, so kommen zunächst durch Pneumo¬ 
kokken erzeugte kruppöse, lobäre Pneumonien vor. Schon diese 
Pneumonien zeichnen sich durch eine gewisse Ungleichmässigkeit der 
Exsudatbeschaüenbeit und der örtlichen Ausbreitung aus und dadurch, 
dass sie zuweilen, auch anscheinend ohne weitere Mischinfektionen, 
zur Abszedierung neigen. Diese Fälle treten aber ganz zurück gegen 
die Infektionen mit Streptokokken und Staphylokokken, beide etwa 
gleich häufig, aber in ihrem anatomischen Bilde ganz verschieden. Die 
Streptokokkeninfektionen — es handelt sich fast ausschliesslich um 
hämolytische, lange Streptokokken — zeichnen sich -dadurch aus, dass 
sie entweder ganz ungleichmässig verbreitete oder auch gleichmässig 
ganze Lappen einnehmende, saftige, meist etwas hämorrhagische In¬ 
filtrationen erzeugen, die man auch kurz als hämorrhagisches Oedem 
bezeichnen könnte und die mutatis mutandis durchaus an gewisse 
durch Streptokokken erzeugte Zellgewebsentzündungen von serös- 
hämorrhagischer Beschaffenheit erinnern. Diese Veränderungen er¬ 
wecken oft zunächst gar nicht den Eindruck, dass es sich um schwere 
Infektionen bzw. Entzündungen handeln könnte. Besonders war das 
bei meinem Material dann der Fall, wenn die Leichen- schon einen 
gewissen- Fäulnisgrad erreicht hatten. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung rückte dann aber sofort die Fälle in die richtige Beleuchtung, 
denn man findet in der Oedemflüssigkeit die Streptokokken meist in 
ungeheurer Menge. Oft, aber nicht immer, findet man bei diesen 
Fällen Empyeme mit sehr dünnflüssigem, bräunlichen Eiter, in dem 
ebenfalls Streptokokken massenhaft nachweisbar sind. Eigentümlich 
ist, dass trotz der reichlichen Eiteransammlungen FibrmaufLagerungen 
auf den Pleurablättern gänzlich fehlen können. 

Stellen- die Streptokokkeninfektionen, abgesehen von dem immer¬ 
hin etwas eigentümlichen anatomischen Bilde, doch im allgemeinen 
nichts Aussergewöhnliches dar, so steht das anders mit den durch 
Staphylokokken bedingten Infektionen. Es handelt sich dabei aus¬ 
schliesslich um den Staphylococcus aureus. Wenn wir auch gewohnt 
sind, diesen Eitererreger bei hämatogenen Lungenabszessen mit eini¬ 
ger Regelmässigkeit zu finden, so dürften die jetzigen Beobachtungen 
von sicher aerogenen, bzw. in den Luftwegen absteigenden Infek¬ 
tionen etwas Besonderes darstellen. Zum mindesten gilt dies für die 
Häufung dieser Fälle, so dass man direkt den Eindruck gewinnt, es 
handele sich um eine besondere, der primären Epidemie auf gepfropfte 
Epidemie mit diesem Eitererreger. Das anatomische Bild ist ein 
ganz anderes wie bei den Streptokokkeninfektionen. Es handelt sich 
um ganz unregelmässig in den verschiedenen Lungenab schnitten ver¬ 
teilte lobuläre, trockenfrbrinöse, oft auch hämorrhagische Entzündungs¬ 
herde, die schnell zu Abszedierung führen. In ganz frischen Fällen 
sieht man dann nur kleine, sich oft an die Bronchiolen anschliessende 


®) D.m.W. 1918 Nr. 28, 30. Weitere Befunde wurden während der 
Drucklegung veröffentlicht. 

•) Zieglers Beitr. Bd. 62. — Eine weitere Arbeit mit anatomischen 
Befunden ist in der Frankfurter Zschr. f. Pathol. im Druck. 

Original frarn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


29. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1207 


Eiterpfröpfchen, in vorgeschrittenen Fällen aber dichte Gruppen von 
erbsen- bis bohnengrossen Abszesshöhlen, die oft so ausgebreitet sind, 
dass grössere Lungeirteile wie durchlöchert aussehen können. 'Die 
Fälle stimmen durchaus mit den von V e r s 6 erwähnten überein. 
Eine nekrotisierende Tracbeitis habe ich dabei nur einmal gesehen. 
Influenzabazillen werden in allen Fällen vermisst. Die Staphylokokken 
sind aber in sehr grosser Menge im Eiter und im Bronchialbaum 
vorhanden. Ausgebreitete Empyeme sind selten, fibrinöse Pleuritiden 
in der Umgebung von nekrotischen Pleuraherden (genau wie bei den 
hämatogenen Abszessen) sind stets vorhanden. Diese scheinen aber 
schnell zur Verklebung zu führen, so dass nur kleinere, flache, ab¬ 
gesackte Pleuraempyeme zustande kommen. W*e schon betont, 
können diese Abszesse, entgegen Oberndorfer, nicht als hämato¬ 
gen gedeutet werden, und das geht auch aus der Tatsache hervor, 
dass bei allen Untersuchungen Staphylokokken weder im Blut noch 
in der Milz nachweisbar sind, während doch bei, hämatogenen Sta¬ 
phylokokken Erkrankungen sowohl im Leichenblut als auch in der 
Milz die Keime nie vermisst werden. 

Was das sonstige anatomische Bild betrifft, so ist es sehr ein¬ 
förmig. Perrkarditiden werden in einem Teil der Fälle beobachtet. 
Schwerere Degenerationen oder Entzündungen der anderen Organe, 
insbesondere der Nieren, kommen nicht vor, was auch mit den Be¬ 
obachtungen v. Strümpells, Bittorfs etc. übereinstimmt. Auf¬ 
fallend ist die geringe Reaktion der Milz, die fast in sämtlichen Fällen 
ohne jede Schwellung bleibt, ein Zeichen übrigens für die mangelhafte 
Reaktionsfähigkeit des Körpers überhaupt, die wohl irgendwie mit 
der primären Schädigung des Körpers durch die Influenzaerreger im 
Zusammenhang stehen muss. 


Aus der medizinischen Klinik Marburg (Direktor: Professor 
Q. v. Bergmann). 

Homogentislnsäure als Chromogen. 

Von Privatdozent Dr. Q, Katsch, Oberarzt der m ed. Klinik 

Vor mehr als Jahresfrist wurde unserer Klinik ein schwer 
rachitischer 3 Jähriger Knabe Fritz G. zugewiesen, mit der Bemerkung, 
sein Harn werde an der Luft dunkelrot. Ich konnte sofort feststellen, 
dass es sich um einen Alkaptonurfker handelte. Im allgemeinen 
zeigt sein Ham die Verfärbung, wie sie gewöhnlich geschildert wird. 
Es tritt nach Berührung mit der Luft Braun- bis Schwarzbraun¬ 
färbung auf, bei ruhigem Stehen allmählich von der Oberfläche her. 
Indessen wurde nicht ganz selten im Laufe der langen Beobachtung 
auch }ene Rotfärbung gefunden, die dem ein weisenden Herrn Kollegen 
aufgefallen war. Es handelte sich um eine sehr schöne intensive 
bordeauxrote oder rubim-ote Farbe des Harns, die freilich nach einiger 
Zeit stets in das bekanntere Braunschwarz überging. Während an¬ 
fangs vorwiegend Stoffwechselfragen uns an dem neuen Alkapton- 
urfker interessierten, worüber hn Deutschen Archiv für klinische 
Medizin 1918 berichtet ist, regten jene Farbenbeobachtungen neuer¬ 
dings dazu an, den chromogenen Eigenschaften des Alkaptonharnes 
bzw. der Homogentisinsäure nachzugehen. Einiges Vorläufige sei 
hierüber mitgeteilt, da erneute Einberufung ins Feld einstweilen die 
Vervollständigung der Untersuchungen hindert. 

In der umfangreichen Alkaptonliteratur ist nur selten darauf 
hingewfesen, das Alkaptonharn auch eine Rotfärbung gelegentlich 
zeigte. Derartige Angaben finden sich bei Ebstein und Mül¬ 
ler 1 ), Fleischer*), Garrod*). Besonders interessant schreibt 
Fromherz 4 ) über seinen Fall II. Dessen Harn nahm bei dauernd 
saurer Reaktion sehr langsam bräunliche, oft rotbraune Farbe an, 
jedoch so schwach, dass der Harn viele Tage durchsichtig blieb. 
„Macht man einen derartigen sauer gebliebenen, aber rotbraun ge¬ 
wordenen Harn alkalisch, dann verschwindet zunächst die Farbe 
bis zu einem gelben Ton, und nun erst beginnt von der Oberfläche 
her die vielfach beschriebene schwarzbraune Verfärbung. Säuert man 
den alkalisch gemachten, noch gelben Harn an. dann stellt sich die 
ursprüngliche rotbraune Färbung wieder her.“ 

Durch eine Arbeit von M 6 r n e r B ) wurde Näheres über Be¬ 
dingungen bekannt, unter denen Rotfärbung — Morn er nennt sie 
Alkaptochromreaktion — zustande kommt. M ö r n e r fand bei 
Untersuchung dreier schwedischer Alkäptonuriker, dass dieselben 
Faktoren — Homogentisinsäure. Ammoniak und Luftsauerstoff — 
wie an der allgemein beobachteten Braunfärbung so auch an der 
Alkaptochromreaktion beteiligt sind. Damit Jedoch die Alkantochrom- 
reaktion zustande kam. war eine bestimmte Homogeotteinsäurc- 
konzentration nötig (am besten K—2 Proz.). Die Ammoniakkonzen¬ 
tration musste zwischen 1 und 4 Proz. Hegen. Und endlich erwies 
sich als „eine höchst wesentliche Bedingung“, dass ..die Menge des 
absorbierten Sauerstoffes nro Zeiteinheit nicht ein bestimmtes Mass 
überschreiten darf“. In weithalsigen Flaschen gab derselbe Harn nur 
Braunfärbung, während er In Flaschen mit engem Halse eine Alkapto- 
chromteaktion aufwfes. 


*) Virch. Arch. 62. 1875. S. 554. 

*) B.kl.W. 12. 1875. S. 529 u. 547. 

*) Medico-chirurgical transactions $2. 1899. S. 367. 
4 ) Diss. Freiburg 1908. 

8 ) Zschr. f. physktf. Chemie. 69. 1910 S. 320. 

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Ich habe nun versucht, die Sauerstoffzufuhr bei diesem Oxy¬ 
dationsvorgang. der bald zu roter, bald zu brauner Farbe führt, 
dadurch zu dosieren, dass verschiedene Mengen von Wasserstoff¬ 
superoxyd zu fe gleichen Mengen des Alkaptonharnes zugefügt wur¬ 
den. Durch solchen Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd entstand — 
besonders wenn ausserdem etwas Ammoniak zugefügt wurde — 
sehr schnell die Schwarzfärbung oder Braunfärbung des Harnes. Je 
nach der Intensität der OxydationsWirkung kamen aber auch schöne 
Rotfärbungen zustande, die vielleicht verwandt sind mit Mörners 
Alkaptochromreaktion. Freilich war zur Erzielung der roten Farbe 
ein stärkerer Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd erforderlich, als 
um Schwarzfärbung zu erwirken. Nach Mörners Erfahrungen 
wäre gerade ein umgekehrtes Verhalten zu erwarten gewesen. Der 
Versuch ergab aber noch ein weiteres Resultat: Bei stärkerer Ein¬ 
wirkung von Wasserstoffsuperoxyd trat nach anfänglicher Rot- oder 
Braunfärbung allmählich ein Abblassen ein. Der Harn wurde dunkel-, 
hellgelb, schliesslich farblos-wasserklar. Dann ist die Homogentisin¬ 
säure daraus verschwunden, er reduziert nicht mehr und gibt keine 
der für die Alkaptonsubstanz charakteristischen Reaktionen: auch 
mit Aether lässt sich keine Homogentisinsäure mehr extrahieren. 
Durch Erwärmen oder Aufkochen lässt sich die geschilderte Blei¬ 
chung beschleunigen. Bei sehr intensiver Einwirkung von Waserstoff- 
superoxyd kommt es überhaupt nicht zu einer anfänglichen Rot- oder 
Dunkelfärbung: es setzt unter starkem Perlen sofort die Entfärbung 
des Harnes ein. Fügt man zu bereits gedunkeltem schwarzen Alkap¬ 
tonharn Wasserstoffsuperoxyd hinzu, so tritt allmählich Entfärbung 
bis zur Wasserklarheit auf, gleichviel ob die Reaktion alkalisch ist 
oder sauer. 

Einmat wurde tiefschwarzer Harn in einer grossen flachen Schale 
mit Wasserstoffsuperoxyd versetzt. Der zunächst reichlich ent¬ 
stehende Schaum hatte rote Farbe. Ueberhaupt erscheinen rote 
Farbennuancen bei manchen Gelegenheiten. Wenn man frischen, noch 
hellen Alkaptonharn durch ein Filter giesst, zeigt das Filter manch¬ 
mal eine schöne Rotviolett- oder Rosafärbung; erst später wird es 
braun und braunschwarz. Vermutlich berühren sich all diese Vor¬ 
gänge, die zu Rotfärbungen führen, mit dem. was Mörner „Alkap- 
tonchromre-aktion“ genannt hat. 

Die interessanten Wirkungen des Wasserstoffsuperoxyds Hessen 
sich noch deutlicher demonstrieren, wenn als Ausgangsmaterial statt 
des Harnes reine Alkaptonlösung gewählt wurde. Sehr augenfällig 
ist folgender Reihenversuch mit einer 1 proz. Lösung des nach dem 
Verfahren von Schümm 8 ) rein dargesteiften Homogentisinsäure¬ 
esters: 

Es wurden 20 Proberöhrchen und 1 Kontrollröhichen 
mit je 2 ccm einer 1 proz. Lösung des reinen mehr¬ 
fach umkristallisierten Homogen tisinsäureesters (Schmelzpunkt 
117°) beschickt. Hinzu kamen steigende Mengen einer frisch be¬ 
reiteten 3 proz. Lösung von Hydrogenium peroxydatum Merck, das 
den üblichen ganz schwachen Salzsäuregehalt zeigte. Und zwar 
wurden in Röhrchen 1—10 von der Wasserstoffsuperoxydlösung 
0,1—2,0 ccm zugefügt. Von Röhrchen 11 ab stieg die Menge um je 
0,2 bis auf 3 ccm in Röhrchen. Nr. 20. Zum Schluss kamen in jedes 
Röhrchen 2 Tropfen einer 3 proz. Ammoniaklösung. Schon vor Zusatz 
des Ammoniaks begannen die zuerst beschickten Röhrchen sich rosa 
zu färben. Nachdem das Ammoniak zugefügt ist, färben sich die 
ersten Röhrchen (1—4, mit wenig HsOs) braunschwarz. Röhrchen 7 
bis 10 erscheinen bald bordeauxrot, 10—15 rot gelb, 16—20 hellbraun. 
Allmählich wird auch noch Röhrchen 5 tiefschwarz. Und es be¬ 
steht nun eine Skala von Schwarz über Schwarzbraun, Braunrot, Rot, 
Rotgelb zu Gelb. Die Skala verändert sich dann allmählich, indem 
der dunkle Anteil der Reihe zusammenschrumpft, aber noch dunkler 
wird, der helle sich immer weiter aufhellt. Erst nach 48 Stunden ist 
die Reaktion etwa beendet. Nun ist nur noch Röhrchen 1 und 2 tief¬ 
schwarz, Röhrchen Nr. 20 ist fast farblos geworden. Die roten Far¬ 
bentöne sind fast ganz aus der Skala verschwunden, in den mitt¬ 
leren Röhrchen herrschten Hellbraun und Gelb. Alle Röhrchen sind 
völlig klar, während das Kontrollröhrchen sich allmählich trübt. Die 
endgültige Farbenskala kann man wochenlang weiter beobachten; 
sie verändert sich dann nicht mehr. 

Es tritt also je nach Stärke der Wasserstoff- 
superoxydeinwirkung Schwarzbraun-, Rot-, Rot¬ 
gelb-, Gelbfärbung auf. Bei noch etwas reicherem 
Zusatz an H*0* kommt es zu völliger Entfärbung 
der Lösung, die sich dann als frei von Alkapton- 
substanz erweist. 

Der Versuch wurde in der Form wiederholt, dass ein grösseres 
Quantum von Homogentisinsäurelösung mit Wasserstoffsuperoxyd¬ 
lösung destilHert wurde. Um ein Eindampfen zu hindern, Hessen 
wir meist durch einen Tropftrichter noch mehrfach H»Os-Lösung nach¬ 
tropfen. Dies Gemisch wird — bei alkalischer Reaktion — sehr 
schnell tiefschwarz. Dann aber tritt nach und nach eine vollständige 
Aufhellung ein. Verhältnismässig lange bleibt eine strohgelbe Fa-rbe 
bestehen oder eine Farbe, die an normalen Urin erinnert. Endgültig 
tritt Wasserklarheit ein, und Homogentisinsäure ist nicht mehr nach¬ 
weisbar. . 

Bei dieser Destillation entweicht eine flüch¬ 
tige Jod bindende Substanz. Es lag nahe in Ihr Azeton 
zu vermuten, da im normalen Stoffwechsel Homogentisinsäure unter 

•) M.m.W. 1904 S. 1539. 

Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1208 


MUENCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 44. 


Abspaltung: von Azetonkörpern verbrannt wird (verjd. Katsch, 
Alkapton und Azeton, D. Aich. f. klin. M. 1918). Indessen Hess sich 
der flüchtige Körper nicht mit Azeton identifizieren: 
Ausser der Lieb en sehen Probe waren alle Azetonproben negativ. 

Auch wenn man von sauer reagierendem Alkaptonharn oder . 
saurer Afkaptonlösung ausgeht, lässt sich diese Bleichung durch 
H*0* erzielen. In einer Mitteilung von Rona und Riesser 7 ) 
findet sich eine ähnliche Angabe über das Hippomelanin, das Pigment 
aus den Melanomen der Schimmel. Es löst sich auf dem Wasserbad 
mit goldgelber Farbe in H?Oa: eine wässrige oder alkalische Vorlage 
gab deutliche Jodoformreaktion, ohne dass Azeton nachweisbar ge¬ 
wesen wäre. Es braucht kaum daran erinnert zu werden, dass auch 
das Melanin der menschlichen Haare durch Wasserstoffsuneroxyd- 
lösung in ein Gold-blond übergeführt wird und dass in der Kosmetik 
die als Leberflecken bekannten Naevi pigmentosi mit Wasserstoff¬ 
superoxyd gebleicht werden können. 

Die Wirkungen des Wasserstoffsuperoxyds auf- die Homogentisin¬ 
säure werden noch interessanter, weil analoge Oxydationsvorgänge 
im Körper unter der Einwirkung oxydativer Fermente sehr wohl 
denkbar sind. Dass Homogentisinsäure fermentativ angegriffen wird, 
zeigten Abderhalden und Guggenheim 8 ) in einem Versuch 
mit der aus Russula delica gewonnenen Tyrosinase. Und leicht kann 
man sich davon überzeugen, dass Eiterzusatz zu Homogentisinsäure¬ 
lösung sehr schnell eine Schwarzfärbung herbeiführt. Freilich lässt 
sich auch mit reichlichen Eitermengen nicht jene Entfärbung und Spal¬ 
tung des Alkaptonmelanins erzielen, wie -der Versuch mit Wasser¬ 
stoffsuperoxyd ergibt. Ebenso entsteht durch einen Tropfen Blut 
oder verschiedene Gewebsteiie, die unter sterilen Kautelen in eine 
1 proz. Homogentisinsäurelösung verbracht und im Brutschrank einige 
Zeit belassen werden, mehr oder weniger schnell eine Schwarzfär¬ 
bung. Eine Sonderstellung scheint hierbei das Lebergewebe einzu- 
nehmen, insofern die in ihm enthaltenen Fermente vorübergehend 
auch Rotfärbung bewirken. Dieses von anderen Geweben ab¬ 
weichende Verhalten des Leberparenchyms ist nicht überraschend im 
Hinblick auf die Tatsache, dass die überlebende Leber Homogentisin¬ 
säure unter Entwicklung von Azeton zu spalten vermag, wie aus den 
Versuchen von Embden, Salomon und Schmidt 9 ) bekannt 
ist. Eine weitere Verfolgung dieser Fragen war vorerst nicht mög¬ 
lich. Wir halten aber fest, dass durch verschiedene 
Grade der Oxydation mittels Wasserstoffsuper¬ 
oxyd aus der Homogentisinsäure eine Reihe von 
Farben entstehen können — Schwarz, Braun, Rot, 
Rosa, Strohgelb; und es besteht die Möglichkeit, 
dass ähnlich verschiedene Farben durch Tyro- 
sinasen der Gewebe physiologisch im Körper aus 
der Homogentisinsäure entstehen. Im Rahmen der 
v. Fürth sehen Theorie von den zyklischen Chromogenen des Ei- 
weiss, gewinnen so die Muttersubstanzen der Homogentisinsäure 
(Phenylalanin und Tyrosin) neben dem Tryptophan eine Bedeutung 
als Farbstoffbildner, auf die erneut hingewiesen werden darf. 

Es gibt nun eine pathologische Melaninbildung — die Ochro¬ 
nose — die bei älteren Alkaptonurikern beobachtet ist. Mindestens 
für einen Teil der Fälle von Ochronose ist der Zusammenhang mit der 
Alkaptonurie 'erwiesen. In diesen Fällen findet sich eine Ablagerung 
schwarzen Pigmentes in „gefäss- und nervenlosen Teilen“, besonders 
In den Knorpeln, das offenbar der Homogentisinsäure entstammt. Es 
ist zu erklären, warum die Ochronose nie bei jugendlichen Alkap- 
tonurikern gefunden wird und warum das Pigment sich elektiv nur 
in gewissen Geweben anhäirft. A11 a r d und Gross 10 ) legten Knor¬ 
pelstückchen in schwachsaure Lösungen von Homogentisinsäure und 
bemerkten, wie bei längerem Stehen in der Zimmerwärme eine leicht 
graue Verfärbung der Oberfläche eintrat. Diese nahm an Intensität 
zu, drang mehr in die Tiefe und wurde schließlich tiefschwarz. 
Wegen der Langsamkeit des Vorganges bei dieser Versuchsanordnung 
lehnen die Autoren eine Fermentwirkung ab und glauben eher an 
rein chemische Vorgänge. Wie ich mich überzeugt habe, ist die 
Affinität des Knorpels zur Homogentisinsäure nur gegenüber anderen 
Geweben relativ gesteigert. Wenn man steril aus einem Kanin¬ 
chen entnommene Gewebsteiie der verschiedensten Organe im 
Brutschrank mit z. B. Iproz. Homogentisinsäure- 
lösung zusammenbringt, so zeigen alle Gewebsteiie 
ziemlich schnell vonderO'berflächehereineGrau-, 
Braun- und Schwarzfärbung. Dieser Versuch 
spTicht doch sehr dafür, dass es sich um fermen¬ 
tative Vorgänge handelt. Auch dass Blut und noch 
mehr Eiter die Sch warzfärhung ganz besonders 
schnell und intensiv herbelf u h rt, macht die An¬ 
nahme einer Oxydasewirkung nur wahrschein¬ 
licher. Allerdings, aber zeigt unter den Geweben gerade der 
Knorpel und sehniges Bindegewebe besonders lebhaft die Fähigkeit 
der Melaninbrldumr. wobei die verschiedenen Knorpelarten sich etwa 
gleich verhalten. Trotzdem wir also annehmen, dass die Melanin- 
bildung aus Homogentisinsäure im Körper fermentativ vor sich geht, 
sind doch irgendwelche besonderen Beziehungendes 


*) Zschr. f. physiol. Chem. 57. 1908. S. 143 und 61. 1909. S. 12. 
8 ) Zschr. f. physiol. Chem. 54. 1908. S. 331. 

•) Hofmeisters Beitr. z. chem. Phvsiol. 8. 1906. S. 129. 

,0 ) Arch. f. exp. Piith. u. Pharm. 59. 1908. S. 384. 

Digitized by GOOCMe 


Knorpel- und Bindegewebes zur Homogentisin- 
säure vorausziisetzen. Hierdurch erklärt sich vielleicht, dass 
gerade nur in diesem Gewebe das ochronotfsche Pigment abgelagert 
wird. Freilich könnte man bei solcher Erklärung in anderen Geweben 
wenigstens geringe Melaninbildung erwarten. 

Durch die oben mrtgeteilte Tatsache, dass Alkaptoumelanin 
durch Oxydation gebleicht werden kann. Hegt für uns eine zweite 
Hypothese nahe. Es könne eine mangelnde Oxydationsfähigkeit ge¬ 
rade in den gefässlosen, mit Sauerstoff schlecht gespeisten Knorpeln 
zu einer Ansammlung des Melanins führen, während in anderen Ge¬ 
weben allenfalls nieder gelegte kleine Melaninmengen alsbald durch 
Oxydation gespalten und beseitigt würden. Auch dass gerade das 
höbe Alter ein Danriederliegen der Oxydationen im Knorpelgewebe 
besonders begünstigt, ist eine Annahme, die keine Schwierigkeiten 
macht. Fraglich ist eben nur, ob ein Körperferment so wie das 
Wasserstoffsuperoxyd die Bleichung des Melanins zustandebringt. 

Prof. v. B e r g m a n n macht noch einen weiteren Gedankengang: 
Das Knorpelgewebe enthält bekanntlich nur sehr geringe Mengen von 
aromatischen Aminosäuren. Von den allen Geweben gleidimässig 
zugeführten Ersatzstoffen werden also gerade die zyklischen Bau¬ 
steine des Eiweiss im Knorpel nicht verwendet. Es Hegt nahe, dass 
diese nicht verwendbaren Bruchstücke gerade hier liegen bleiben, 
und der Umwandlung in Melanin verfallen. Wenn P i n c u s s o h n tt ) 
eine Schwierigkeit darin findet, die ochronotfsche Melaninbildung ge¬ 
rade im Knorpel zu erklären, weil der Knorpel kein Tyrosin ent¬ 
hält, und sie daher dem Phenylalanin des Knornels entstammen lässt, 
sö kann man im Gegensatz zu ihm sagen, auf Grund der angeführten 
Ilpberlegung, dass die Thvrosinarmut des Knorpels gerade eine Ein¬ 
lagerung nicht verwendeten Thvrosms (oder seiner Derivate) kn 
Knorpelgewebe verständlich macht. Wir hätten somit zur Erklärung 
der eigentümlichen Lokalisation, weiche dte Melaumanhäufimgen bei 
der Ochronose zeigen, hypothetisch folgende Koeffizienten: Ver¬ 
mehrte Ansammlung zyklischer Bausteine in den¬ 
jenigen Gewesen, in den ensfe n rc ht ve rwendet wer¬ 
den können. Ferner: Reichliche Melaninbildung rm 
Knornel - und Bindegewebe. Dieser zweite Koeffizient ge¬ 
nügt allein nicht zur Erklärung, da ja in vitro auch das Blut ebenso 
reichlich Melanin bildet wie der Knorpel. Schliesslich kann an die 
Mitwirkung eines dritten- Koeffizienten gedacht werden: Das Aus¬ 
bleiben oxydativen Abbaues etwa a nge s a mm eiten 
Melanins in eben diesen Geweben, die durch ihre 
Ge f ä s sl o s i gkei t wenig Sauerstoff zugefnhrt be¬ 
kommen. 


Aus der medizinischen Klinik in Jena. 

Ueber die Vorzüge der kombinierten Se nimbebandlu ng 
bei Diphtherie. 

Von Fritz v. Delbrück. 


Schon zu wiederholten Malen ist teils in medizinischen Zeit¬ 
schriften, teils in anderen wissenschaftlichen Werken auf den Wert 
der intravenösen Injektionen des Diphtherieserums bei Diphtherie 
hingewiesen worden. C r u v e i 1h i e r und Berghaus [2J gaben 
nach Tierversuchen 1904 zuerst die Richtung dieser Art der Serum- 
therapie am die Gagnoni, Cairus, in grösserem Massstabe 
Bdsson [2] und zuletzt Kausch [3] und Alber ll] an Kranken 
mit Erfolg erprobten und darüber berichteten. Ferner wurden Unter¬ 
suchungen über den praktischen Erfolg dieser Methode Anlass, zu 
mehreren Dissertationen; so bringt uns 1915 die MüncheneT medi¬ 
zinische Wochenschrift ehre Arbeit von Seidel f8l, die den Wert 
dieser Serumapplikation von theoretischen und praktischen Gesichts¬ 
punkten aus beleuchtet 

Leider aber hat die intravenöse oder kombinierte (d. h. intra¬ 
venöse und zugleich intramuskuläre) Inlektionsmethode ihren Weg in 
die Praxis nicht gefunden, obwohl diese Modifikationen doch keine 
eigentliche Aenderung der Diphtherietherapie bedeutet, und die 
Technik der intravenösen Injektionen auf Grund der überall geübten 
Salvarsantherapie Gemeingut vieler praktischer Aerzte ist. 

Worin besteht denn nun der Wert der intravenösen Injektion? 

Es ist eine feststehende Tatsache, dass ein Hauptfaktor der 
Serum Wirkung die frühzeitige Anwendung derselben ist, und dass 
der Erfolg der Serumtherapie immer davon abhängt, wann, d. h. wie 
früh injiziert wird. Das im Serum enthaltene Antitoxin hat die Auf¬ 
gabe, das im Blute kreisende Toxin des Diphtheriebazillus zu binden. 
Es erfüllt diese Aufgabe in geradezu idealer Weise, aber es ist nicht 
imstande, das einmal in den Geweben verankerte Toxin zu paraly¬ 
sieren, d. h. unsere Serumtherapie kann zwar einer weiteren Schä¬ 
digung des Körpers durch die Diphtherietoxine Vorbeugen, aber eine 
bereits stattgehabte Schädigung nicht mehr ausgleiehen und so kommt 
es, dass der Arzt verschleppten Diphtheriefäl'len oft therapeutisch 
machtlos gegenübersteht. Wie kann nun der Arzt bei einem Pa¬ 
tienten den Anforderungen der Serumtherapie genügen? 

1. Durch eine möglichst frühzeitig gestellte Diagnose, 

2. durch rascheste Einverleibung des Antitoxins, 

die nach der Forschung von Morgen roth und L e v y [5] nur durch 
die intravenöse Applikation des Serums erreicht ward. 


a ) Ergehn, f. inn. Med. u. Kinderheilkde. 8. 1912. S. 474. 

Original frnm 


UNiVERSITY OF CALIFORNIA 




29. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1209 


Die genannten Autoren weisen nach, dass eine im Blut kreisende 
Toximnenge umso rascher gebunden wird, je grösser der U-eberschuss 
an Antitoxin' ist. Durch die intravenöse Injektion ist das Blut mit 
Antitoxin förmlich überschwemmt. Es steht also bereits im Augen¬ 
blick der Einverleibung auf der Höhe seiner Konzentration und 1 Lei¬ 
stungsfähigkeit, während bei der intramuskulären Injektion der Höhe¬ 
punkt für den maximalen Gehalt an Antitoxin erst nach 24—48 Stun¬ 
den, bei der subkutanen dagegen erst nach 3 Tagen erreicht wird. 

Nun nimmt nach der intravenösen Injektion die Konzentration des 
Antitoxins rasch ab und die Gefahr, dass Toxine an die Körperzellen 
gebunden werden, und die bekannten Schädigungen hervorrufen 
können, beginnt wieder einzutreten. Diese könnten durch abermalige 
intravenöse Injektionen behoben werden. Allein erscheint dieses Ver¬ 
fahren — abgesehen von den Schwierigkeiten seitens der Patienten, 
besonders Kindern — umständlich, da wir in der kombinierten Serum- 
applrkation, d. h. in einer gleichzeitig ausgeführten »intravenösen und 
intramuskulären Injektion eine Methode besitzen, die weitere intra¬ 
venöse Injektionen überflüssig macht! Denn durch die intramusku¬ 
läre Injektion legen wir im Körper ein Serumdepot an, das sein Serum 
abzugeben beginnt, wenn die Wirkung des intravenös eingeführten 
Serums zu Ende geht. Nach den Untersuchungen von Schick f7] 
zeigte sich, „dass bereits 8 Stunden nach der intramuskulären Ein¬ 
verleibung die Konzentration des Antitoxins im Blute annähernd die 
gleiche ist. wie 8 Stunden nach der intravenösen Injektion derselben 
Serummenge. Weiterhin ergab sich, dass nach diesen 8 Stunden die 
Konzentration noch ständig steigt, so dass der Höhepunkt für den 
maximalen Gehalt an Antitoxin erst nach 24—48 Stunden erreicht 
ist“ [8], Diese Ausführungen legen den Wert der kombinierten In¬ 
jektionsmethode klar, deren Bedeutung in* der Praxis leider noch nicht 
genügend Rechnung getragen wird. 

Was die Technik der kombinierten Serumtherapie anbetrifft, so 
wird sie an der medizinischen Klinik in Jena folgendermassen geübt: 
Oberschenkel und Arm derselben Seite werden von Kleidungsstücken 
befreit; um den Oberarm wird ein Gummischlauch gelegt, der soweit 
zugezogen wird, bis sich die Venen deutlich abheben, dann wird nach 
gewissenhafter Desinfektion der Injektionsstel len mit Seifen Spiritus 
(Ellenbeuge und Streckseite des Oberschenkels) die Nadel, die einer 
Rekordspritze aufsitzt, und eine möglichst kurze Spitze haben soll, 
um eine Verletzung der gegenüberliegenden Venenwand zu vermeiden, 
in die Vena mediana cubiti eingestossen. Ein leichtes Zurückbewegen 
des Spritzenstempels zeigt an, ob man sich wirklich im Lumen der 
Vene befindet: in diesem Falle tritt Blut in die Spritze. Dann wird 
der Gummischlauch abgenommen, die Hälfte der zu verabreichenden 
Serummenge sehr langsam injiziert, mit einem sterilen Tupfer die In¬ 
jektionsstelle komprimiert und die Nadel herausgezogen. Die andere 
• Hälfte des Serums wird möglichst rasch, unter fast senkrechter Hal¬ 
tung der Spritze, in den Qua-drizeps injiziert und die Injektionsstelle 
mrt einem Tupfer bedeckt. 

Es ist anzuraten, zur Intramuskulären Injektion nicht die Glutäal- 
muskuJatur zu verwenden, da diese auf Grund ihrer lockeren Be¬ 
schaffenheit ungünstigere Verhältnisse für die Resorption bietet als 
die straffe Exteusorengruppe des Femur (Seide 1). Ganz abgesehen 
davon, dass iusbesonders bei unruhigen Kindern sich leicht Infektionen 
an der Stichstelle einstellen, da ja die Gesässgegend mechanischen 
Insulten viel mehr ausgesetzt ist, als die Streckseite des Ober¬ 
schenkels. Ist dre Kubitalvene aus Gründen zu mangelhafter Aus¬ 
bildung für die intravenöse Injektion ungeeignet, so kann man im Not¬ 
fälle auch in die Halsvenen injizieren, die bei Zyanose ja meist sehr 
deutlich hervortreten. 

Bezüglich der Senrmmenge richten wir uns nach dem Alter der 
Patienten und der Schwere der Erkrankung, und zwar geben wir: 
bei Kindern unter 5 Jahren bis zu 4000 I.-E., hei Kindern unter 
10 Jahren bis zu 6000 I.-E., bei Patienten über 10 Jahren bis zu 

ateo i.-e. 

Gewöhnlich überschreiten wir bei der intravenösen Injektion bei 
Patienten über 10 Jahren nicht 3000 I.-E.. hei Kindern unter 10 Jahren 
nicht 2000 I.-E. Bei Fällen von septischer Diphtherie — in denen 
die intravenöse Injektion das einzige Mittet ist, 
diePatientenzu retten, verabreichen wir die höchsten Dosen 
von Inrmimiitätseiniheiten, die in manchen Fällen auch 8000 (komb.) 
übersteigen. 

Auf Grund des grossen Krankenmaterials der medizinischen Klinik 
in Jena ist es mir möglich, auf statistischem Weve die Erfolge der 
subkutanen und intramuskulären Iniektionsmethode mit den^n der 
kombinierten zu vergleichen, deren Ueberlegenheit ich im folgenden 
deutlich werde zeigen können. 

Nach den grossen Statistiken des letzten Jahrzehnts in Preussen 
ist festgestellf, dass die Zahl der Diohth^riekranken zu. die der Sterbe¬ 
fälle dagegen abnimmt. Ähnliche Resultate ergeben die Beob¬ 
achtungen an der hiesigen Klinik. 

Während’ in den Jahren 1909—12 die Zahl der Diphtheriekranken 
eine geringe ist, steigt sie in den nächstfolgenden Jahren an. und er¬ 
reicht 1917 ihren Höhepunkt Im letzten Jahre betrug die Zahl der 
Diphtheriekranken, die in die Klinik kamen, 309. 

Die beiliegende Kurve gibt dieser Erscheinung in graphischer 
Darstellung Ausdruck. Während die fette Linie der Diphtheriefälle 
(pro Jahr) stark ansteigt, sinkt die punktierte der Sterblichkeit, 
die in Prozenten berechnet 1909 ihren Höhepunkt hat und in den 
Jahren 1915—17, in denen zuerst die kombinierte Methode angewandt 
wurde, Ihr Minimum errektfrt. Von 25*8 Proz. sinkt die SteTbÜchkeits- 

Digitized by CjQOQIC 


ziüer auf 9,7 Proz. Dies ist umso bedeutungsvoller, als ich glaube 
diese Erscheinung als eine Folge der verbesserten Serumtherapie be¬ 
zeichnen zu können, da die Schwere der Epidemien der letzten Jahre 
keineswegs hinter denen der vergangenen zu¬ 
rücksteht. Erscheint die Sterblichkeitsziffer 
dennoch verhältnismässig hoch, so weise ich 
darauf hin, dass immer nur schwere 
Fälle unserem Krankenhause überwiesen 
wurden. Es darf daher unsere Mortalität mit 
der der bekannten Diphtheriestatistiken, in 
welche die zahlreichen leichteren Fälle roit- 
einbezogen sind, nicht verglichen werden. 

Haben wir denn einen Anhaltspunkt, 
nach dem wir die einzelnen Epidemien der 

Schwere nach vergleichen können? Am 

meisten kann man sich nach dem Prozent¬ 
sätze derjenigen Fälle, 
die zur Tracheotomie 
kamen, über die 

Schwere einer Epi¬ 

demie ein Urteil bil¬ 
den. So bringt denn 
die Kurve 2 ein Bild 
der Tracheotomiefälle 
in Prozenten berech¬ 
net, das klarlegt, dass 
der Prozentsatz der 

tracheotomierten Fälle 



mr 


Ktmre 1. Frequenz nnd Mor- 

. der Dt-Fälle In den 

Jahren 1909-17. 


B-55T . _ 

Karre 2. Die Tracheotomie- • . , . , . , 

fälle der Jahre no9 17 in in den letzten Jahren, 
Prozenten berechnet. in denen die guten Re- 
* sultate erzielt wurden, 

keineswegs kleiner ist als in denen, in weicher die Sterblichkeit 
grösser war. 

Es wurde rm Isblierhaus der medizinischen Klinik von 1909—11 
mit subkutanen, von 1912—14 mit intramuskulären, von 1915—17 mit 
intramuskulären, hauptsächlich aber mit kombinierten Injektionen be¬ 
handelt. In der Aera der kombinierten Methode ist die Sterblichkeit 
am kleinsten (s. Fig. 1). Diese Tatsache weist deutlich darauf hin, 
dass sie den anderen überlegen ist. 

Folgende Tabelle, die einen ausführlichen Vergleich zwischen den 
Resultaten bringt, die sich bei denselben Epidemien der letzten Jahre 
bei intramuskulärer und kombinierter Behandlung ergaben, soll meine 
Behauptung weiterhin erhärten. 


i 

a 

Anzahl 

der 

Di-FUle 

Oesamt- 

Morta¬ 

lität 

Nicht 

tracheo- 

tomierte 

Fälle 

Davon 
bei In- 
tramusk. 
Behand¬ 
lung 

starben 

bei 

kotnbln. 

Behand¬ 

lung 

Tracheo- 

tomierte 

Fälle 

Davon 
bei in- 
tratnusk. 
Behand¬ 
lung 

starben 

bei 

karobin. 

Behand¬ 

lung 

1915 

1916 

1917 

126 

291 

309 

11,5 Proz. 
12,0 Proz. 
9,7 Proz. 

*2,4 Proz 
79.4 Proz 
86,7 Proz. 

10,4 Proz 
16,0 Proz.l 
12,1 Proz | 

6,1 Proz. 

5.3 Proz. 

5.4 Proz. 

17.6 Proz 

10.6 Proz 
13,3 Proz. 

»6,7 Proz. 
S6.7 Proz. 
50,0 Proz 

12,5 Proz. 
15,0 Proz. 
14,8 Proz. 


Während die Durchschnittssterblichkeit ber den nichttracheo- 
tomierten Fällen sich in diesen 3 Jahren bei intramuskulärer Be¬ 
handlung auf 19,5 Proz. beläuft, beträgt sie bei der kombinierten 
Behandlung nur 5,6 Proz.!! 

Der Unterschied zwischen der Durchschnittssterblichkeit der 
tracheotomierten Fälle ist noch grösser. Bei der intramuskulären 
Behandlung beträgt sie 41,1 Proz., bei der kombinierten 14,1 Proz. 
Darnach ist also die kombinierte Injektionsmethode eine Vervoll¬ 
kommnung der Diphtherietherapie, auf deren Anwendung man als ge¬ 
wissenhafter Arzt nicht mehr verzichten kann! 

An Hand einiger Kurven möchte ich den Einfluss der kombinierten 
Injektion auf die Temperatur veranschaulichen, dre wir für leichte 
und mittelschwere Fälle als typisch bezeichnen können. 'Bei diesen 
sinkt oft schon nach mehreren Stunden, spätestens aber am 2. Tage 
nach der Injektion, die Temperatur zur Norm, das Allgemeinbefinden 
der Patienten bessert sich auffallend, während die Heilung der lokalen 
Prozesse nachfolgt und die Membranen sich erst nach mehreren 
Tagen abstossen. Bei schweren Fällen da¬ 
gegen erreicht die Temperatur am 4. oder 
5. Tage post inj. die Norm und die Kurven 
zeigen bisweilen lytischen Abfall. Hier sieht 
man nicht so selten, dass die Belage einige 
Stunden nach der Injektion sogar noch etwas 
zunehmen. 

I. K., 23 Jahre (Kurve 3). Tonsillen 
gerötet und fast ganz von grossen», salber- 
weissen Membranen bedeckt, welche durch 
eine über die Uvula ziehende Brücke mit¬ 
einander verbunden sind. Pat. wird am 
1. Krankheitstage mit 6000 I.-E. (2000 intra¬ 
venös, 2000 intramuskulär und 2000 sub¬ 
kutan) gespritzt. Nach komplikationslosem 
Verlauf entlassen. 

S. K., 23 Jahre (Kurve 4). Ausgedehnter grauweisser Belag 
auf den geschwollenen Tonsillen. Kieferwinkeldrüsen schmerzhaft. 



2. 

3. 

V. 

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6. 







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Kurve 3. 


Wird am 2. Krankheitstag mit 6000 I.-E. kombiniert gespritzt, 
normalem Verlauf entlassen. 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


Nach 







1210 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 44. 


Otto Sch., 5 Jahre (Kurve 5). Seit 2 Tagen krank, wird am 
3. Tag eingeliefert. Haselmissgrosse weissbelegte Tonsillen, Gaumen¬ 
segel gerötet. Pat. wird mit 4000 I.-E. gespritzt. Nach komplikations¬ 
losem Verlauf entlassen. 


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37° 




.. : 






36° 





3 


Kurve 4. 




Herta K., 6Vz Jahre (Kurve 6). Bei der Aufnahme schwach und 
hinfällig, hat starke Atemnot mit Stridor und Einziehungen des 
Thorax. Zyanose der Lippen, sehr kleiner, weicher und frequenter 
Puls. Es wird sofort Tracheotomie vorgenommen und 6000 I.-E. kom¬ 
biniert injiziert. Nach komplikationslosem Verlauf entlassen. 

Während bei der kombinierten Einverleibung des Serums, bei 
der nach zahlreichen Kurven fast ausnahmslos ein Sinken der Tem¬ 
peratur zur Norm am 1. bzw. spätestens am 2. Tage nach der Injektion 
prompt erfolgte (s. S ed d e 1 [8]) und nie ein Patient 2 Tage 
nach der beigebrachtenHeildosisnochzurTracheo- 
t o m i e k a m, müssen wir im Gegensatz hierzu bei der intramusku¬ 
lären und subkutanen, selbst nach Absinken der Temperatur noch 
mit einem Deszendieren der Diphtherie und der dadurch notwendig 
gemachten Tracheotomie auch noch am 3. und 4. Tage nach Einsetzen 
der ärztlichen Behandlung rechnen. So genügt der Arzt mit der 
kombinierten Behandlung nicht nur den obengenannten Anforderungen 
der modernen Diphtherietherapie, sondern er ist. wenn der zweite 
Tag nach seinem Eingreifen verstrichen ist, praktisch die Sorge 
los, dass die gefürchtete Komplikation seitens der 
Trachea eintreten könnte. Häufig hatte ich Gelegenheit, zu 
beobachten, wie der Zustand von Patienten, die von Aerzen direkt 
zur Tracheotomie eingewiesen wurden, sich in den nächsten 6 Stun¬ 
den nach der Injektion so auffallend besserte, dass ein chirurgischer 
Eingriff nicht mehr nötig wurde. 

Folgende Zahlen aus den Jahren 1904—10 und 1915—17 geben 
an, wie oft es vorkam, dass später als 2'Tage nach eingesetzter Be¬ 
handlung noch die Tracheotomie notwendig wurde. 

1904 tracheot. Fälle: 1, davon kam 1 Fall 4 Tage post mj z. Tracheot. 


1905 

1 , 

„ 1 „ 

1906 

„ 6, 

„ „ 1 „ 

1907 

„ 0 


1908 

„ 6, 

„ 0 „ 

1909 

„ 9, 

„ „ 1 „ 

1910 

» 3, 

,. „ 1 „ 

1915 

1916 

„ 20 
„ 50 } 

Kam kein Fall » 

1917 

„ 41 J 

zur 


2 Tage post. inj. 


Was die Anwendung der Intubation anbetrifft, die in manchen 
Kliniken als ein Ersatz der Tracheotomie angesehen wird, so mussten 
wir durch folgende Beobachtungen zu dem Resultat kommen, die 
Intubation der allgemeinen ärztlichen Praxis nicht bedingungslos emp¬ 
fehlen zu können, da wir in der Intubation ein keineswegs sicheres 
Mittel sehen, das auf die Dauer eine Stenose von seiten des Larynx 
bzw. der Trachea beheben könnte. Wir sahen, dass, nachdem nach 
lege artis ausgeführten und' wohlgelungenen Intubationen scheinbare 
Besserung und Behebung der Atemnot eintrat, trotzdem nach wenigen 
Tagen eine Tracheotomie notwendig wurde, die dann natürlich unter 
prognostisch viel ungünstigeren Bedingungen ausgeführt werden 
musste. In den letzten Jahren kamen von 31 Intubationen 9 zur 
Tracheotomie, also 29 Proz. 

Da die Technik der Intubation nicht einfach, die Entscheidung, 
ob Tracheotomie oder Intubation ausgeführt werden sollen, oft recht 
schwer ist ferner die intubierten Patienten unter ständiger Kontrolle 
geschulten Personals und jederzeit sofortiger ärztlicher Hilfe zu¬ 
gänglich sein müssen, so ist dem praktischen Arzt unbedingt anzu¬ 
raten, der Tracheotomie den Vorzug zu geben. Allerdings ist in der 
Landpraxis die Anwendung der Intubation nicht ganz zu entraten, 
da die Patienten bis zu ihrer Unterbringung in ein Krankenhaus oft 
einem längeren Transport ausgesetzt sind. In diesen Fällen ist die 
Intubation wohl imstande, die drohende Erstickung bis zur Ausführung 
der Tracheotomie hinauszuschieben. Dass aber ihre Leistungsfähig¬ 
keit der Tracheotomie gegenüber bei weitem zurücksteht, beweist 
nichts deutlicher, als dass fast in allen Kliniken in den letzten Jahren 
die Intubation zugunsten der Tracheotomie immer weniger ausgeführt 
wurde. Bei uns ist ohne Zweifel die Intubation dadurch in den 
Hintergrund getreten, dass sich ihre Indikation durch die kombinierte 
Behandlung nur noch selten ergab. Wir möchten nochmals betonen, 
dass leichte Fälle überhaupt nicht, und auch mittelschwere in ge¬ 
ringerer Zahl zu uns in Behandlung kamen: wie unsere Statistik schon 
andeutet, hatten wir im Jahre 1916 und 1917 schwere Epidemien zu 


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bestehen, so dass so gut wie nur schwere septische Fälle und solche, 
dre wahrscheinlich der Tracheotomie bedurften, aufgenommen wurden. 

Wenn ich an dieser Stelle keine Statistik über das Verhalten 
■der Nachkrankheiten bei den beiden Methoden bringe, um auch von 
diesem Punkte aus die Souveränität der kombinierten Behandlung 
ins richtige Licht zu rücken, so geschieht das deshalb, weil man über 
die Nachkrankheiten kaum eine solche bringen kann, die verdiente 
ernst genommen zu werden. Denn wieviele Leute müssen auf ihren 
ausdrücklichen Wunsch entlassen werden, bevor sich die Anzeichen 
einer Nachkrankheit, z. B. einer leichteren Lähmung, bemerkbar 
machen und entziehen sich dadurch der Kontrolle. 

Zum Schlüsse möchte ich einige Worte den anaphylaktischen Er¬ 
scheinungen widmen. Es ist bekannt, dass bei Remjekt-i oiren- von 
Di-Serum derselben Tierart sich unter Temperaturanstieg ein urti¬ 
kariaartiges Exanthem über den Körper verbreitet, dem sich Zyanose, 
klonisch-tonische Krämpfe, Oedem, Gelenkschmerzen, Albuminurie 
anschliessen können. Diese Symptome, die von dem Gegner der 
Serumtherapie als Schreckgespenst hingestellt werden, sind leider 
auch heute noch für manchen praktischen Arzt ein Grund unverant¬ 
wortlichen Zuwartens. 

Wenn man bedenkt, dass die Anaphylaxie fast nur bei Remjek- 
tionen von Di-Serum derselben Tierart auftritt und diese Gefahr, 
durch Einverleibung von Serum anderer Tierart, vermieden werden 
kann, so ist der Verzicht auf die Serumtherapie in schweren wie 
in leichten Fällen als Unterlassung schwerster Art zu bezeichnen. 
Ferner besitzen wir in der Methode Besredkas, der sog. Anti¬ 
anaphylaxie, ein Mittel, die Gefahr der Anaphylaxie zu umgehen. In¬ 
jiziert man eine geringe Menge derselben. Serumart subkutan oder 
intramuskulär, kann man nach etwa 2 Stunden die eigentliche Hefl- 
dosis verabfolgen, ohne dass anaphylaktische Symptome in Erschei¬ 
nung treten. 

Friedberger und Mita wiesen an Tierversuchen nach, dass 
Anaphylaxie bei Reinfektionen derselben SerumaTt ausbleibt wenn 
man die Reinfektion in ganz langsamem Tempo ausführt l8l. 

Bei Reinfektionen, die 1—7 T?"e nach der ersten Infektion er¬ 
folgen, braucht die Anaphylaxie nicht befürchtet zu werden, ebenso 
nicht für die meisten Menschen, wenn mindestens Y% Jahr seit der 
letzten Injektion vergangen ist. 

Werden die oben angegebenen Methoden, die Anaphylaxie zu 
umgehen, verabsäumt, so sind die auftretenden anaphylaktischen Er¬ 
scheinungen meist so gering, dass sie in keiner Weise der Serum- 
behandlung Abbruch tun können. Ich will zur Stütze des Gesagten 
hier nur auf die Statistik Kol 1 es Ul hinweisen, der bei 200 000 
mit Serum behandelten Patienten einen Todesfall infolge Anaohvtaxic 
zu verzeichnen hatte. In Anbetracht der grossen Zahl von Kranken, 
denen durch das Serum das Leben gerettet wurde, ist diese Zahl 
verschwindend klein, die Furcht von Anaphylaxie demnach unbe¬ 
gründet. Wir haben bisher keinen Todesfall von Anaphylaxie zu 
verzeichnen gehabt. 

Was nun das Auftreten von Serumkrankheit bei erstmalig Ge¬ 
impften anbetrifft, so ist sie in einer Ueberemofindlichkeit gegen art¬ 
fremdes Biweiss begründet. Sie äussert sich nach 5—10 Tagen In¬ 
kubationszeit (die allerdings auch kürzer sein, kann) meist in starkem 
Temperaturanstieg und urtikariaartigen Exanthemen, selten kommen 
Oedeme dazu. Zuweilen lässt sich beobachten', dass nach ganz nor¬ 
malem Krankheitsverlauf am 7. oder 8. Tag post inj. ein Temperatur¬ 
anstieg erfolgte, der von keinem Exanthem begleitet war und ohne 
dass sich die geringsten organischen Störungen nachweisen liessen. 
Es ist diese Erscheinung als eine gapz leichte Form der Serumkrank¬ 
heit aufzufassen, die der Kliniker kennen muss. 

Das Auftreten der Serumkrankheit ist nach unseren Erfahrungen 
unregelmässig. Während es Monate eab, in denen überhaupt kein 
Serumexanthem zu beobachten war, kamen Zeiten, in denen sie 
relativ häufig auftrat. Das lässt einen daran denken, ob nicht auch 
die Herstellung des Di-Serums für ihre Entstehung von Bedeutung ist. 
Ferner machte die Schwester der Diphtherieabteiiung, die seit vielen 
Jahren bei uns ist, schon längst eine Beobachtung, die auf einen Zu¬ 
sammenhang mit der Ernährung der Patienten hindeutete. So wurde 
das Entstehen des Exanthems durch enterale Eiweisszufuhr schein¬ 
bar begünstigt, denn sie beobachtete, dass sich an die Verabreichung 
von rohen, oder gekochten Eiern oft ein Serumexanthem anschloss. 

Nach den vorliegenden Ausführungen und Statistiken wird* da¬ 
rüber kein Zweifel bestehen, dass die kombinierte Behandlung der ein¬ 
fachen intramuskulären weit überlegen ist, es ist daher Pflicht eines 
jeden Arztes, sie in jedem Falle •auszuführen, wo immer nur dfe 
Beschaffenheit der Venen sie zulässt. Als ein Kunstfehler müsste es 
eigentlich erachtet werden, wenn man heute noch die absolut unge¬ 
nügende und erst nach mehreren Tagen wirkende subkutane Tnjek- 
tionsmethode an wendete. 

Literatur. 

1. Alber: Zur Behandlung der Diphtherie mittels intravenöser 
Seruminjektion. Zbl. f. Kindhlk. 80. 1914. S. 313. — 2. Conradi: 
Vorarbeiten zur Bekämpfung der Diphtherie. — 3. Kausch: Ueber 
die Behandlung der Diphtherie mit intravenösen Seruminjektionen. 
D.m.W. 1913 Nr. 48 S. 2343. — 4. Ko Ile: Zbl. f. Bakt. 57. Beih. 
S. 157. — 5. Morgenrot-h und Levy: Ueber Resorption des 
Diphtherieantitoxins. Zscli. f. Hyg. 70. 1912. S. 70. — 6. Raindohr: 
Ueber intravenöse pnd subkutane Anwendung des DiphtherieheÜ- 
serums. (Inauguraldissertation.) — 7. Schick: Zbl. f. Bakt. I. Abt. 

Original ftom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 










29. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


ilii 


Referate 57. Beih. S. 30. — 8. Seidel: Zur Behandlung der Diph¬ 
therie. M.m.W. Bd. 2. 1915. 

An dieser Stelle möchte ich nicht verfehlen-, Herrn Prof. Dr. 
Reichmann, dem stellvertretenden Direktor der med. Klinik in 
Jena, für sein weitgehendes Entgegenkommen und seine gütigen An¬ 
regungen meinen wärmsten Dank auszusprechen. 


Aus der chirurgischen Universitätsklinik Erlangen. 
(Direktor: Prof. Dr. Q ras er.) 

Die Leitungsanästhesie bei der Strumektomie. 

Von Dr. Julius Geiger, Stabsarzt d. R. 

Nur eine kleine Anzahl von Kropfleidenden sucht lediglich aus 
kosmetischen Gründen den Chirurgen auf. Die grosse Zahl aller 
übrigen mit einer Struma Behafteten kann man grob schematisch in 
zwei Gruppen teilen: 

Bei der einen wirkt die Struma rein mechanisch und verursacht 
durch Druck auf Luft-, Speiseröhre und Gefässe mit der Zeit unter¬ 
schiedlich schwere Erscheinungen von seiten des Herzens und der 
Gefässe, Neigung zu Katarrhen' und Entzündungen der Luftwege, so¬ 
wie Schluckbehinderung. 

Die zweite Gruppe ist die der Thyreotoxikosen aller Grade und 
Schattierungen, mit oder ohne Basedowsyndrom. Leider stehen bei 
diesen Erkrankungen die Herzschädigungen, was Häufigkeit und Be¬ 
deutung anlangt, im Vordergrund. 

Von diesen Gesichtspunkten aus betrachtet, bedeutet die Narkose 
bei der Strumektomie oftmals eine Gefährdung des Lebens. Die 
Narkosestörungen sind an der Tagesordnung und nicht weniger zu 
fürchten als die späteren Herz- und Lungenkomplikationen. Was 
Wunder, dass eine Reihe von Operateuren schon zu einer Zeit lieber 
zur Lokalanästhesie gegriffen hat, wo deren Effekt noch sehr zu 
wünschen übrig Hess. Heute liegen die Dinge anders. Man kann 
verlangen und erwarten, dass die Anästhesie in allen Operations¬ 
phasen eine absolute ist. Wo dies nicht zutrifft, hat der, der sie 
ausgeführt, die Schuld bei seiner unzureichenden Technik zu 
suchen. Die Narkose hat hier jedenfalls ihre Berechtigung verloren. 

In klarer Weise behandelt Fritz Haertel 1 ) in anatomischer 
und technischer Hinsicht die Kropfanästhesie. Er empfiehlt eine Lei¬ 
tungsanästhesie des Plexus cervicalis von je zwei Einstichpunkten 
über dem dritten und vierten Halswirbelquerfortsatz, mit nachfolgen¬ 
der Umspritzung des subkutanen und subfaszialen Gewebes von ge¬ 
eigneten Punkten aus. Hiezu bedarf er 20 ccm 1 proz. und 40 bis 
60 ccm Vs proz. Novokain-Suprarenin-Lösung. 

Ein ausserordentlich grosses, täglich zunehmendes Kropfmaterial 
verhütt uns zu ausgedehnten Erfahrungen auf diesem Gebiete. 

Im Folgenden möchte ich nun der reinen L-eit-ungsan- 
ä s t h e s i e ans mehrfachen Gründen das Wort reden und die Art 
der Ausführung, wie sie sich bei uns herausgebildet hat,’ empfehlen. 



Anatomische Erwägungen und Tee h n i k. 

Die Ausschaltung der vorderen Aeste des Plexus cervicalis auf 
den Querfortsätzen des 3. und 4. Halswirbels beiderseits genügt 

vollkommen, um eine Strumektomie 
auch bei gröberen Manipulationen 
schmerzlos zu gestalten. 

Die aufmerksame Betrachtung 
der Halswirbelsäule lehrt, dass ge¬ 
rade vom 3. Halswirbel an, an 
den Querfortsätzen deutlicheTuber- 
cula anteriora (a) und posteriora (b) 
auf treten. Zwischen ihnen verläuft 
der Sulcus nervi spinalis. Bei den 
ersten beiden Halswirbeln sind 
diese Tubercula nicht vorhanden; 
bei den tieferen nehmen sie an 
Grösse zu. 

Man fühlt nun tatsächlich auch 
am Lebenden diese Tubercula ganz 
deutlich, wenn man in Höhe des 
Pomum Adami den Sternokleido 
etwas medial verdrängt. (Der Pat. 
liegt flach auf dom Tisch und wen¬ 
det den leicht erhöhten Kopf etwas 
zur Seite.) Man lässt am besten 
den tastenden Finger in situ und 
führt eine feine, nicht zu spitze 
Nadel durch den Sternokleido oder 
von aussen seitlich her dem late¬ 
ralen Sternokleidoraude entlang in 
die Tiefe, bis man den Querfortsatz 
fühlt (es ist der des 4. Halswirbels) 
und injiziert 5 ccm 1 proz. N.S.L. 
Dann nimmt man die Nadel etwas zurück und leitet sie, ohne neu 
e inzusteche n, gegen den Processus transversus des 3. Hals¬ 
wirbels, den man mit der Nadelspitze auoh deutlich fühlen muss, und 


*) Fritz Haertel: Die Lokalanästhesie. Enke 1916. 

Nr. 44. 

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injiziert wiederum 5 ccm 1 proz. Lösung. Den richtigen Winkel, den 
die neue Nadelrichtung zur alten einzunehmen hat, verfehlt man 
nicht, wenn man sich vor Augen hält, dass die Tuberc. ant. III und IV 
nur VA cm auseinandergelegen sind. Diese Injektion wird beiderseits 
ausgeführt, wenn sich der Eingriff über die Medianlinie er¬ 
streckt. 

Die totale Anästhesie tritt schon nach wenigen Minuten ein, 
sowohl oberflächlich wie in der Tiefe, und hält VA —2 Stunden an. 

Was spricht für die Umspritzung? 

Der einzige Grund, der für die Umspritzung ins 
Feld geführt werden kann, ist, dass hiedurch eine bessere 
Blutleere erzielt wird. Tatsächlich ist dies nur für den Hautschnitt 
von Belang und kommt daher m. E. praktisch wenig-in-Frage. 

Die Unterbindung der grossen Venen und der paar Gefässe nach 
Durchtrennung der kleinen Halsmuskeln bleibt einem so und so nicht 
erspart. Alle weiteren Manipulationen vollziehen sich bei subtiler 
Technik und wenn man sich in der rechten Schicht hält an und für 
sich unblutig. 

Eine Ausnahme bilden einige wenige Fälle, die schwere Ver¬ 
wachsungen darbieten. Die bluten aber auch trotz subfaszialer Um¬ 
spritzung. Ferner seltene Fälle mit hochgradig verzögerter Ge- 
r/nnungsfähigkeit. Auch da nützt die Umspritzung wenig. Es handelt 
sich meist um Thyreotoxikosen höheren' Grades mit gleichzeitig sehr 
labilen Vasomotoren. Diese Fälle treffen einen aber nicht über¬ 
raschend, da uns eine exakte Untersuchung schon vorher darüber Auf¬ 
schluss gegeben hat. Es wird dann unsere Aufgabe sein, solche Fälle 
erst entsprechend mit Röntgenlicht vor zu bereiten, und wenn es sich 
um Frauen handelt (in der Mehrzahl sind es Frauen) empfiehlt es 
sich dringend, einige Tage post menstruationem zu operieren. Auf 
diese zuletzt berührten Fragen möchte ich in anderem Zusammenhang 
ausführlicher eingehen. 

Was spricht für die Leitungsanästhesie? 

1. Bei der Umspritzung lassen sich trotz geübtester Nadelführung 
Hämatome nicht vermeiden. Man hat immer wieder Gelegenheit, 
sich bei der Anästhesie und ein- zweites Mal bei der Operation darüber 
zu ärgern. Sie erhöhen die Infektionsgefahr wesentüch. 

2. Die reine Leitungsanästhesie gestattet uns 
die Zahl der Einst ich punkte bis auf einen einzigen 
auf jeder Halsseite zu reduzieren. Sie liegen noch oben¬ 
drein ausserhalb des Operationsbereiches. Dies erscheint aus mehr¬ 
fachen Gründen von weittragender Bedeutung: 

I. Einmal reagieren die Patienten erfahrungsgemäss sehr ver¬ 
schieden auf die bei der Anästhesie notwendigen Manipulationen. Nur 
wenige Kranke mit ganz unkomplizierten Strumen nehmen sie mit 
Gleichmut hin. die Mehrzahl aber ist infolge ihres mehr oder weniger 
labilen Nervensystems doch bis zu einem gewissen Grade beun¬ 
ruhigt. Dies ist im HmbÜck auf den kommenden Eingriff sehr uner¬ 
wünscht. Wir müssen dem entgegenarbeitent, vornehmlich dadurch, 
dass wir die Zahl der Einstiche schonaus psychischen Grün¬ 
den auf das Mindestmass beschränken. 

II. Bei jedem Einstich besteht die Möglichkeit dass Epi- 
dermiszellen nach der Tiefe verschleppt werden. 
Trotzdem plagt uns diese Sorge am wenigsten, weil die Erfahrung 
lehrt, dass nach Vorbereitung des Operationsfeldes mit Jodtinktur eine 
Infektion wenig zu fürchten ist. 

Nun haben aber zwei gewichtige Gründe eine ganze Anzahl von 
Chirurgen veranlasst, sich bei der Vorbereitung des Halses zur 
Operation auf eine gründliche Reinigung mit Benzin und dann mit 
Alkohol zu beschränken. Erstens verträgt die bei manchen Men¬ 
schen sehr empfindliche Halshaut das Jod besonders schlecht. Die 
Jodekzeme stören bei der Nachbehandlung doch sehr. Zweitens ist 
für eine Reihe von Kröpfen, wie wir wissen, die Verwendung von 
Jod überhaupt nicht statthaft, da schon die geringsten Mengen toxisch 
wirken, insoferne sie eine sehr unerwünschte Mehrausscheidnng von 
Jodthyreoglobulin heraufbeschwören. Kurzum auch die we¬ 
niger zuverlässige Vorbereitungsmöglichkeit der 
Halshaut lässt uns die Einschränkung der Zahl der 
Einstichpunkte wünschenswert erscheinen. 

3. Bei Anwendung reiner Leitungsanästhesie können wir die 
Menge des Novokain-Suprarenin wesentlich ein¬ 
schränken, was auf das Befinden des Patienten von 
unverkennbar günstigem Einfluss ist. So reizlos und 
ungiftig das Novokain an sich auch sein mag, die Ausschaltung aller 
unangenehmen Wirkungen ist unmöglich, schon wegen der not¬ 
wendigen Kombination mit dein Suprarenin. Beobachten wir doch, 
dass bei Verwendung der zur kombinierten Anästhesie unerlässlichen 
Dosis des Anästhetikums die Mehrzahl der Kranken, wenn auch nur 
vorübergehend, über Herzklopfen, Bangigkeit, Trockenheit im Munde 
mit Durstgefühl klagt; gleichzeitig ist eine gewisse Unruhe, frequente 
Atmung und gelegentlich Brechneigung objektiv festzustellen. 

Ausser der Kombinaion des Novokain mit dem Suprarenin 
müssen wir für diese Reaktionen auch den Status nervosus unserer 
Kranken mitverantwortlich machen. Daher geht das allgemeine Be¬ 
streben dahin, die Patienten mit einem geeigneten Narkotikum vorzu¬ 
bereiten, ehe man sie zur Anästhesierung in einen unverfänglichen 
Vorbereitungsraum verbringt. Und da hat sich denn gezeigt, dass 
bei unglücklicher Wahl und zweckwidriger Dosie¬ 
rung dieses Narkotikums die ungünstige Wirkung 

2 

Original ffom 

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MUENCHENfifc MEDIZINISCHE WOCHENSCHKIPT. 


Nr. 44 . 


einer grösseren Menge Novokain-Suprarenins nur 
potenziert wird. 

Die Forderung muss daher lauten: Ein geeignetes Narkotikum, 
zweckmässige Dosis. Applikation zur rechten Zeit. 

Wir empfehlen 0,5 ccm Pantopori subkutan, oder in sehr schweren 
Fällen 15—20 Tropfen Tinct. Opii A—% Stunden ante Operationen! 
aus dein Grunde, weil diese Medikamente neben der schmerzherab¬ 
setzenden Wirkung (die bei der absoluten Anästhesie ganz überflüssig 
ist) ausgesprochene Euphorie erzeugen; darauf kommt 
es doch nur an. Vielleicht ist es nicht unzweckmässig, die Er¬ 
fahrung einzuflechten, das bei jugendlichen Kranken und bei solchen, 
die kein Narkotikum (insbesondere auch keinen' Alkohol) gewähnt 
sind, die Gaben möglichst gering gewählt werden sollen. Bekannt 
ist, dass sich die Vorbereitung mit Morphium am wenigsten empfiehlt, 
da sie Neigung zu Erbrechen hervorruft. 

4. Fraglos ist auch darin eine Ueberlegenheit der reinen Leitungs¬ 
anästhesie zu erblicken, dass sie in ganz kurzer Zeit aus¬ 
geführt w erden kan n. Bei nervösen Patienten empfinden 
das Kranker und Arzt gleich wohltuend. Ein selbstverständliches 
Erfordernis ist die Kurzzeitigkeit der Anästhesie bei dringlichen 
Operationen, z. B. bei Erstickungsgefahr. 

5. Endlich hat uns die Praxis gelehrt, dass es seltene Fälle gibt, 
bei denen die Zunahme des mechanische »Druckes am 
Halse, wie sie die Injektion grösserer Flüssigkeitsmengen infolge 
mehrfacherUmspritzungmit sich bringt, nichtmehrge¬ 
wagt werden darf, da sie Erstickungsanfälle auslöst. 

Ich möchte meine Ausführungen wie folrt zusammenfassen: Bei 
uns ist die reine Leitungsanästhesie des Plexus cervicalis von je 
einem Einstichpunkte aus bei Strumektomien die Methode der Wahl 
geworden. Sie ist rasch ausgeführt, technisch einfach, sicher, die 
Patienten kommen in bester Stimmung auf den Operationstisch und 
der Operateur ist erfreut, dass er weder einen Klagelaut hört, noch 
durch die sonst nicht seltenen Aeussertmgen körperlichen und psychi¬ 
schen Unbehagens gestört wird. 


Aus der Röntgenabteilung (Prof. Dr. Rieder) des Reserve¬ 
lazaretts München A (Chefarzt Generalarzt Dr. Patin). 

Die röntgenologischen Methoden der Herzgrössen¬ 
bestimmung (nebst Aufstellung von „Normalzahlen“ für 
das Orthodiagramm und die Fern-Aufnahme). 

Von Oberarzt d. Res. Dr. Gerhard Hammer. 

Da die verschiedenen Perkussionsmethoden bei der Herzgrössen¬ 
bestimmung häufig nicht zum Ziele führen, wie z. B. bei Emphysem, 
bei adipösen Personen, bei starker Thoraxwölbung und bei erheblich 
vergrösserten Herzen, wurden wir oft vor die Aufgaoe gestellt, die 
Herzgrösse röntgenologisch zu bestimmen. Die Wichtigkeit dieser 
Aufgabe — oft entscheidet ja die Herzgrössenbestimmung über die 
Dienstfähigkeit des Soldaten— veranlasste uns, eine möglichst ge¬ 
naue Grössenbestimmung vorzunehmen und eine möglichst eindeutige 
und zuverlässige Methode dabei in Anwendung zu bringen. Es stehen 
uns an röntgenologischen Methoden zur Herzgrössenbestimmung zur 
Verfügung: 

I. Die Fernmethoden: a) Die Ferndurchleuchtung, b) die Fern¬ 
aufnahme. 

II. Die orthodiagraphischen Methoden: a) Die Orthodiagraphie 
i. e. S.; b) die Orthoröntgenographie. 

Wir können mit den genannten Methoden, da sie ja Projektions¬ 
methoden sind, das Herz räumlich nicht darstellen oder gar aus¬ 
messen, sondern nur die Grösse der Herzsilhouette, die wir mit ihrer 
Hilfe erhalten, bestimmen. Hieraus müssen wir erst auf die volu¬ 
metrische Grösse des Herzens schliessen unter der Voraus¬ 
setzung, dass Grössenveränderungen des Herzens auch in der rönt¬ 
genologisch darstellbaren Projektionsfläche zum 
Ausdruck kommen, so dass auch diese entsprechend vergrössert, zum 
mindesten aber in ihrer Form verändert erscheint. Um diese Pro- 
jektionsfläche möglichst exakt darzustellen, müssen wir bemüht sein, 
den Herzschatten möglichst vollständig, möglichst u n - 
vergrössert und möglichst objektiv festzuhalten. Dabei 
dürfen wir es aber auch nicht unterlassen, die physiologischen Fehler¬ 
quellen, die in den aktiven und passiven Bewegungen des Herzens 
begründet sind, nach Möglichkeit auszuschalten. Die Frage, welcher 
der 4 röntgenologischen Methoden bei der Erfüllung der aufgestellten 
Forderungen der Vorzug zu geben ist, habe ich auf experimentellem 
Wege zu behandeln versucht, indem ich eine grössere Reihe 
herzgesunder Soldaten nacheinander mit der Ferndurch¬ 
leuchtung, der Fernaufnahme -und der Orthodiagraphie unter den¬ 
selben physiologischen Bedingungen (gleicher Zwerchfellstand, gleich¬ 
grosse Magenblase) untersuchte. Die Orthoröntgenographie konnte 
ich mangels einer entsprechenden Apparatur zu den vergleichenden 
Untersuchungen nicht heranziehen. Die mit ihr erhaltenen Resultate 
decken sich ja nach Albers-Schönberg, Lepper-Immel- 
mann und Rieder mit denen der Orthodiagraphie. 

Was zunächst die Vollständigkeit der dargestell¬ 
ten Herzsilhouette betrifft, so müssen wir uns, da die Aus- 

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messung der Fläche wegen der mangelhaften Abgrenzbarkeit de.r- 
I selben vom Leber- bzw. Gefässbandsdiatten nicht zuverlässig ist, 
mit der Darstellung und Bestimmung der einzelnen allgemein be¬ 
kannten Messlinien des Herzschattens begnügen. Je mehr 
dieser Linien bestimmbar sind, um 
so vollkommener ist natürlich die 
Grössenbestimmung des Herzens. 

Von den angeführten Messlinien 
sind aber nur der Medianabstand 
rechts (MR), der Medianabstand 
links (ML), der Transversal- (Tr 
= MR 4- ML) und d-er Längs- 
(L) -durchnresser, wie sie in der 
Textfigur dargestellt sind, als zu¬ 
verlässig zu bezeichnen. Es waren, 
nun von diesen zu bestimmen: 

MR bei allen- der vier oben an¬ 
geführten Methoden immer, ML: 
nur bei einigen Fernaufnahmen 
nicht, L: fast nie bei Fernau-f- 
nahrnen und Durchleuchtungen, oft 
beim Orthodiagramm. 

Es steht also bezüglich der Vollkommenheit der 
darzustellenden Silhouette das Orthodiagramm 
an erster Stelle. 

Beim Vergleich der Grösse der mit den einzelnen Methoden 
erhaltenen Herzsilhouetten ergab sich, dass der durchschnitt¬ 
liche Fehler bei den Ferndurchleucbtungen verglichen mit den 
Ergebnissen des entsprechenden Orthodiagramms 
bei 1 m stehend 4 * 1,0 cm, 

bei 1 m sitzend -f 0,6 cm, 

bei 2 m stehend 4 * 0,4 cm, 

bei 2 m sitzend 4 0,2 cm 

für den Transversaldurchmesser (Tr.) betrug. Es ist also das bei 
der Fernzeichnung erhaltene Herzbild durchschnittlich grösser als 
das entsprechende Orthodiagramm. Diese Vergrösserung beträgt 
aber mit Ausnahme der Durchleuchtung bei 1 m Fokusdistanz im 
Stehen nicht mehr als man gemeinhin bei der Orthodiagraphie und 
Fernaufnahme als zulässigen Fehler (0,5 cm) rechnet. 

Von grosser Wichtigkeit ist aber die F e h 1 e r b r e i t e, d. h. 
die Differenz der maximalen Abweichungen nach oben bzw. unten 
von den Orthodiagrammwerten bei den einzelnen Untersuchungen. 
Sic bctriiKt: bei 1 m stehend: 2,3 cm, 

bei 1 m sitzend: 1,8 cm, 
bei 2 m stehend: 4,1 cm, 
bei 2 m sitzend: 2,0 cm, 

d. h. man muss bei dieser Methode bei einmaliger Untersuchung 
und Zeichnung damit rechnen, dass man entsprechend den maximalen 
Abweichungen Fehler von 1,7 bis 2,4 cm nach unten bzw. oben von 
den orthodiagraphischen Werten macht. Diese grosse Fehlerbreite 
charakterisiert das Verfahren tls unsicher und unzuverlässig. Als 
einigermassen zuverlässig könnte man höchstens die Fernzeichming 
in sitzender Stellung des Patienten bei 2 m Fokusdistanz (durch¬ 
schnittlicher Fehler 0,2, Fehlerbreite 2,0) bezeichnen. 

Bei den im Stehen aufgenommenen Fernaufiuüuneo i n 2 m 
Fokusdistanz war ohne Ausnahme der Transver¬ 
saldurchmesser grösser als beim entsprechenden 
Orthodiagramm und zwar betrug die Vergrösserung 
bis zu 2,3 cm, durchschnittlich 1,2 cm; die geringste Differenz 
war 4 0,2 cm, so dass eine Fehlerbreite von 2,1 cm resultiert. 

Bei den im Sitzen aufgenommenen Fernaufnahmen, die eben¬ 
falls durchweg grösser waren als die entsprechen¬ 
den Orthodiagramm e, betrug der durchschnittliche Fehler 
4 1,0 cm, die Fehlerbreite 1,4 cm. 

Die Fernaufnahmen wurden angefertigt, indem zunächst auf 
dem Rücken des Patienten bei zentrierter Röhre die Höhe des Huken 
Vorhofventrikelbogenwinkels röntgenoskopisch bestimmt und an¬ 
gezeichnet wurde. Die Medianlinie wurde durch dicke Bleimarken 
gekennzeichnet. Die im Aufnahmestativ zentrierte Röhre wurde mit 
engster Blende auf einen Punkt 3 cm links der Wirbelsäule in der 
angemerkten Höhe eingestellt und unter Verschiebung auf Schienen, 
die in den Fussboden eingelassen sind, auf 2 m Entfernung eingestellt. 
Die scharfkonturierten Fernaufnahmen wurden wie die Orthodia- 
gramme ausgemessen. Während der ca. 0,1 Sekunden dauernden 
Exposition hielt der Patient in mittlerer Atemstellung den Atem an, 
während die Orthodiagramme bei fortlaufender Atmung in Exspira¬ 
tionsstellung des Zwerchfells und in Diastole gezeichnet wurden. 

Dafür, dass bei den Fernaufnahmen im Sitzen sowohl durch¬ 
schnittlicher Fehler als Fehlerbreite kleiner waren, als bei den im 
Stehen angefertigten, ist die im Sitzen besser durchgeführte Fixierung 
des Patienten bei der Herstellung des Vergleichsorthodiagrarams 
verantwortlich zu machen. Aus den Untersuchungen ergibt sich also, 
dass der Tr der HerzsiLhouette bei der Fernauf¬ 
nahme ca. 1 cm grösser ist, als der des Orthodia¬ 
gramms, im Gegensatz zu den mathematischen, in der Literatur 
niedergelegten Berechnungen, nach denen die Differenz nur 2—3 mm 
ausmachen soll. Dieses Resultat stützt sich auf 77 Fälle, in denen 

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29. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1213 


sowohl ein Orfhodiagramm, als auch eine Fernanfnabme ange¬ 
fertigt wurden. 

Bezüglich der Objektivität der beiden Methoden — der 
Fernaufnahme und der Orthodiagraphie — erscheint mir als sicherstes 
Mass derselben die Konstanz. Wenn ein Messverfahren bei 
wiederholten Untersuchungen ceteris paribus dieselben Resultate 
liefert, können wir es objektiv nennen. Ich habe nun zur Feststellung 
der Objektivität von 21 bzw. 20 Soldaten, zweimal hintereinander 
Orthodiagramme bzw. Fernaufnahmen angefertigt. Es ergab sich 
bei den Orthodiagrammen eine durchschnittliche Differenz von 0,2 cm 
(Maximum 0,4 cm) für den Transversaldurchmesser, ln der Literatur 
wird dieser mit 0,3 bis 0,5 cm angegeben. Bei den Fernaufnahmen 
fand sich eine durchschnittliche Differenz von 0,3 cm (Maximum 
0,8 cm). Dafür, dass die Differenzen hier etwas grösser sind als 
bei den Orthodiagrammen, möchte ich die unkontrollierte Atem- 
und Kontraktionsphase des Herzens verantwortlich machen, ein 
Fehler, der bei der Orthodiagraphie nahezu wegfäUt. Diese durch 
die physiologischen Bewegungen des Herzens bedingte Ungenauig¬ 
keit darf man aber nicht dem Verfahren-an sich vorwerfen. Ich 
möchte behaupten, dass sich beide Methoden in ihrer Objektivität, 
wenigstens was die Grössenbestimmung anlangt, nichts nachgeben. 

Ein anderes Resultat erhalten wir allerdings, wenn wir die 
Kontrolhintersuchungen nicht anschliessend, sondern an verschie¬ 
denen Tagen und zu verschiedenen Stunden vornehmen, d. h. bei 
verändertem Füllungszustand des Abdomens und veränderter Magen¬ 
blase. Dann beträgt der durchschnittliche Fehler beim Orthoüia- 
gramm 0,3 cm' (Maximum 1,1 cm), bei der Fernaufnahme 0,6 cm 
(Maximum 1,3 cm). 

Zusammenfassend kommen wir also zu dem Schluss, 
dass die Ferndurchleuchtung in sitzender Stellung bei 2 m Fokus¬ 
distanz unter den genannten Kautelen nur als approximative Me¬ 
thode einen bedingten Wert für die Herzgrössenbestimmung hat. 
Fernaufnahme und Orthodiagramm sind als gleich 
objektiv anzusehen, vorausgesetzt, dass der Untersucher in 
der orthodiagraphischen Untersuchungsmethode gut geschult ist. 
Dabei lassen sich die physikalischen Fehlerquellen bei der Ortho¬ 
diagraphie leichter ausschalten; bei dör Fernaufnahme Ist dies nur 
mit besonderen Apparaten möglich. Letztere ist aber leichter und 
schneller anzufertigen als ein Orthodiagramm. Zur Herstellung eines 
zuverlässigen Orthodiagramms gehört neben der erforderlichen 
Uebung mehr Zeit und 'Mühe, die aber durch die vollkommenere 
Darstellungsmöglichkeit der Herzsilhouette reichlich belohnt wird. 
Dabei sind die Resultate der Fernaufnahme und des Orthodiagramms 
nicht identisch. Entsprechend den physikalisch verschiedenen 
Strahlungs- und Projektionsverhältnissen liefern die beiden Me¬ 
thoden verschiedene Ergebnisse, ohne dass man daraus für die eine 
od-er andere Methode einen Nachteil ableiten könnte. Man darf mir 
nicht die Fernaufnahme nach den für das Orthodiagramm 
aufgestellten Normalwerten beurteilen, sondern muss tn 
diesem Falle von den Ergebnissen der Fernaufnahmen 
ca. 1 cm subtrahieren. 

Bei der ärztlichen Beurteilung des Herzens 
dürfen wir uns aber nicht auf die Darstellung und Bestimmung seiner 
Grösse beschränken, sondern wir müssen auch seine Aktion und 
seine Form berücksichtigen. Erstere können wir am besten hei 
der gewöhnlichen Durchleuchtung beobachten oder durch Aufnahme 
in Systole und Diastole nach Huismans beurteilen. Auch über 
die Form des Herzens erhalten wir am Leuchtschirm, event. unter 
Drehung des Patienten, am besten Klarheit. Bei ihrer graphischen 
Wiedergabe aber ist eine scharfkonturierte, kontrastreiche Aufnahme 
dem Orthodiagramm vorzuziehen, da letzteres hier tatsächlich der 
subjektiven Auffassung des Untersuchers bei der Abgrenzung 
und Betonung der einzelnen Bogen grossen Spielraum lässt. 

Diese vergleichenden Untersuchungen habe ich nun gleichzeitig 
benützt, um die schon von früheren Untersuchern aufgestellten „Nor¬ 
malzahlen“ noch zu erweitern. Dabei kamen mir 236 Flieger, bei 
denen zur Beurteilung der Flugdienstfähigkeit ein Orthodiagramm 
angefertigt werden musste, zu statten, so dass meinen ermittelten 
Normalwerten im ganzen 501 Fälle zugrunde liegen. Es wurden 
natürlich nur herzgesunde Leute berücksichtigt, die zum weitaus 
grössten Teil beschwerdelos den Dienst im Felde ausgeübt hatten. 
Ihre Herzen sind also als normal leistungsfähig zu betrachten. Ein 
Vergleich der von mir ermittelten Durchschnittswerte mit denen der 
früheren Untersucher (siehe Tabelle) zeigt, dass die G r o e d el sehen 
Untersuchungen die grössten, die v. T e u b e r n sehen durchweg 
die kleinsten Durchschnittswerte ergeben, während die von Offen 
und von mir erhaltenen Werte nahezu übereinstimmen und den 
Mittelwerten entsprechen, die aus den Zahlen aller 4 Untersucher 
gewonnen sind. Zum Vergleich konnten nur die nach Körpergrösse 
geordneten Tabellen herangezogen werden, da nur hiefür einheit¬ 
liche Tabellen von allen Untersuchern vorliegen. 

Ich habe nun, wie auch die früheren Untersucher, mein ge¬ 
samtes Material nach Körpergrösse, Körpergewicht, Lebensalter und 
Brustumfang geordnet und in einzelne Gruppen eingeteilt. Danach 
ergibt sich auch bei meinen Untersuchungen eine Abhängigkeit der 
Herzgrösse von den genannten 4 Faktoren. 

Besondere Bedeutung möchte ich dem Brustumfang zu¬ 
sprechen, hier ist die Grössenzunahme in den einzelnen Klassen am 

□ igitized by Google 


Durchschnittsmasse des Vertikalort hodiagram ms 
im Sitzen, geordnet nach Körpergrösse. 


Gruppe 

MR 

ML 

TR 

L 


155 - 164 cm 

4,5 

8,7 

13,0 

13 9 

Oroedel 


4,2 

8 6 4 

12,6 

13,6 

Olten 


— 

— 

12,2 

13,2 

v. Teubem 


4 5 

8,2 

12,7 

13,3 

Hammer 


4,4 

8,2 

12,6 

13,5 

Durchschnitt 

165-174 cm 

4,5 

8,7 

13,2 

14,0 

Groedel 


4,1 

8,6 

12,7 

13,6 

Otten 



— 

12.5 

13,5 

v. Teubem 


4,5 

8,3 

12,9 

13,8 

Hammer 


4,3 

8,5 

12,8 

13,7 

Durchschnitt 

175-185 cm 

4.7 

8,5 

13,2 

14,2 

Oroedel 


4,3 

8,6 

12,9 

14,3 

Otten 


— 

— 

12,1 

14,0 

v. Teubern 


4,6 | 

8f 3 

12,9 

14,5 

Hammer 


4,5 | 

8,5 

12,8 

14,3 

Durchschnitt 


deutlichsten. Der Brustumfang wird ja bis zu einem gewissen 
Grade durch die im Sagittalorthodiagramm dargestellte Thoraxbreite 
ausgedrückt. Dass aber zwischen dieser und der Herzgrösse kon¬ 
stante Beziehungen bestehen, ist schon von Franke, üroedel, 
Kreuzfuchs nachgewiesen und von G r o e d e 1 wiederholt aus¬ 
drücklich betont worden. Ich fand bei 459 Fällen ein durchschnitt¬ 
liches Verhältnis des Transversaldurchmessers des Herzens (Tr) 
zu der Transversaldimension der Lungen (TDL) wie 1: 1,92. Dieses 
Verhältnis ist nahezu konstant; es schwankt in normalen Fällen 
nur zwischen 1:1,70 und 1:2,20. Bei vergrösserten Herzen liegt es 
fast immer unter 1 :1,70. Seine Bestimmung kann dort ein wert¬ 
volles Hilfsmittel sein, wo die Beurteilung der Herzgrösse nach den 
„Normalzahlen“ bei der grossen Differenz zwischen den Maximal- 
und Minimahverten schwierig wird. 

Da sich zwischen dem Orthodiagramm und der Fernaufnahme 
ein nicht unbeträchtlicher Grössenunterschied ergeben hat, habe 
ich auch die Werte der Fernaufnahmen zu Tabellen zusammengestellt 
und die Durchschnittsmasse ermittelt. Ein direkter Vergleich mit 
den Orthodiagrammtabellen ist nicht statthaft, da die Fernaufnahmen 
im Stehen, die Orthodiagramme im Sitzen angefertigt wurden. 
Trotzdem sind die Werte der Fernaufnahmc durchschnittlich ca. 
0,5 cm grösser. Rechnet man dazu eine Zunahme des Tr beim 
Uebergang vom Stehen zum Sitzen (an 50 orthodiagraphierten Fällen 
ergab sich eine durchschnittliche Zunahme des Tr beim Uebergang 
vom Stehen zum Sitzen und weiter zum Liegen von je 0,5 cm), so 
ergibt sich auch hier, dass die mittelst der Fernauf¬ 
nahme gewonnenen Werte für den Transversal¬ 
durchmesser durchschnittlich 1 cm grösser sind 
als die des entsprechenden Orthodiagramms. 


Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses Bethesda 
in Duisburg. (Prof. Hohlweg.) 

Zur kombinierten Behandlung der Leukämie mit 
Röntgenbestrahlung und Benzol. 

Von H. Hohlweg. 

Die Einführung der Röntgenstrahlen und des Benzols in die Be¬ 
handlung der Leukämie hat uns eine wertvolle Bereicherung unseres 
therapeutischen Rüstzeuges gebracht. Im Vergleich zur früheren 
Behandlungsweise ist der Einfluss dieser Methoden auf die Kardinal¬ 
erscheinungen der Leukämie — den Milztumor und das Blutbild — 
ein ganz besonders sinnfälliger. Freilich konnte bisher weder mit der 
Röntgenbestrahlung noch mit Benzol allein eine vollständige Hei¬ 
lung der Leukämie erzielt werden. 

Bezüglich des Benzols befinden- wir uns vorerst überhaupt noch 
in einem Versuchsstadium. Die ersten Beobachtungen über seine 
Wirkung wurden von Selling [lj gemacht, der bei 3 Benzolver¬ 
gifteten schwerste Schädigung der blutbildenden Organe und ein fast 
vollständiges Verschwinden der weissen Blutkörperchen aus dem 
zirkulierenden Blut konstatieren konnte. Auch seine an Kaninchen 
angestellten Versuche ergaben als Wirkung des Benzols eine voll¬ 
ständige Aplasie des hämatopoetischen Systems und eine Zerstörung 
der weissen Zellen im kreisenden Blute. Koranyi [2] bzw. seine 
Schule hat dann zuerst das Benzol zur Behandlung der Leukämie 
systematisch angewendet. In einer grösseren Anzahl von Fällen 
sanken dabei die Leukozytenwerte von 2 oder 300 000 auf normale 
Werte. Meist konnte neben dem Rückgang der weissen Blutkörper¬ 
chen gleichzeitig eine bedeutende Abnahme des Milztumors und eine 
ganz wesentliche Besserung des Allgemeinbefindens festgestellt wer¬ 
den. Auch auf bestehende Fiebersteigerungen zeigte das Benzol einen 
günstigen Einfluss. 

Der Erfolg war freilich nicht immer ein dauernder. Einige Fälle 
verhielten sich dem Benzol gegenüber auch fast vollkommen refrak¬ 
tär. Vor allem aber mussten wir im Benzol ein Mittel kennen lernen, 

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1214 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 44. 


dessen zerstörende Wirkung auf die weissen Blutkörperchen' mit dem 
Aussetzen des Medikamentes keineswegs sofort aufhörte. So konnte 
N e u m a n n [3] aus der Qiessener medizinischen Klinik über einen 
Fall berichten, in welchem zunächst die Leukozytenzahl von 56 000 
auf 5300 und die Milzschwellung auf etwa die Hälfte ihres ursprüng¬ 
lichen Volumens zurückgegangen war. Trotzdem das Benzol nun 
ausgesetzt wurde, sank die Zahl der Leukozyten immer weiter und 
betrug schliesslich nur mehr 200 im Kubikmillimeter. Daneben ging 
das Allgemeinbefinden stark zurück; es traten Fieberanfälle, Durch¬ 
fälle, zuletzt eine fibrinöse, dann hämorrhagische Stomatitis und Rhi¬ 
nitis auf; 39 Tage nach Beendigung der Kur trat der Exitus ein. 
Aus der grossen Aehnlichkeit des Sektionsbefundes mit den Befunden 
von Selling an benzolvergifteten Kaninchen musste zweifellos ge¬ 
schlossen werden, dass der Tod in diesem Falle nicht an der 
Leukämie, sondern infolge einer Benzolvergiftung eingetreten war. 
Ueber eine ganz ähnliche Beobachtung hat dann auch K i r a - 
lyfi [4] berichtet. 

Diese Erfahrungen müssen bei der Anwendung des Benzols 
naturgemäss zur grössten Vorsicht mahnen und uns davor warnen, 
das Mittel etwa so lange anzuwenden, bis die Leukozytenzahl auf 
normale Werte gesunken ist. 

Weitere Beobachtungen von Klein T5l und Böhm [6] wiesen 
dann darauf hin, dass offenbar die gleichzeitige Behandlung der 
Leukämie mit Röntgenbestrahlung und Benzol noch günstigere Er¬ 
folge zeitigt. So war in dem Falle von Böhm, der eine chronische 
lymphatische Leukämie betraf, die Zahl der weissen Blutkörperchen 
von 350 000 auf 1Ö660 zurückgegangen. Qualitativ war der Blutbe¬ 
fund allerdings nicht normal geworden; denn prozentual betrug die 
Lymphozytenzahl immer noch 61. 

Ich hatte in einem kürzlich beobachteten Fall bei der kombi¬ 
nierten Behandlung mit Benzol und Röntgenstrahlen einen noch 
günstigeren Erfolg insofern, als zum Schlüsse der Behandlung auch 
ein qualitativ normales Blutbild bestand. 

Krankengeschichte; Herr F., 55 Jahre alt, seit Fe¬ 
bruar 1917 starke Abmagerung. 

Befund: Blasses, fast kachektisches Aussehen. Herz und 
Lungen ohne Befuhd. Milz überragt den Rippenbogenrand um mehr 
als Handbreite. Milzmasse: 28X12cm. Blut: Hämoglobin 60 Proz., 
rote Blutkörperchen 3 340 000, weisse Blutkörperchen 148 750. Aus¬ 
zählung: neutrophile polynukleäre Leukozyten 76 Proz., eosinophile 
2 Proz., Myelozyten 14 Proz., Mastzellen 2 Proz., kleine Lympho¬ 
zyten 3 Proz., grosse Lymphozyten 2 Proz., kernhaltige rote Blut¬ 
körperchen 1 Proz. 

Behandlung: Erst 2mal, dann 3mal bzw. 4mal täglich 
Je 2 Geloduratkapseln ä 0,5 g Benzol und 0.5 g Oleum olivarum, und 
1 mal wöchentlich Röntgenbestrahlung (25 Minuten Dauer; 3mm- 
Aluminiumfilter; 3 cm Abstand; jedesmalige verabreichte Dosis 
= 5 Holzknecht). 


Datum 

Bestrahlung 

Zahl der 
weissen Blut¬ 
körperchen 

Benzol 

Milzmasse 

Körper¬ 

gewicht 

27. X. 


148 750 


28 x 12 cm 

124 Pfd. 

8. Xt. 

1. Bestrahlung 

— 

ab 12. XI. 2x2 Kapseln 

— 

— 

15. XI. 

2. „ 

134 500 

ab 21. XI. 3x2 Kapseln 
vom 24. XI.-6. XII. Pause 

— 

— 

22. XI. 

3. „ 

1I7M0 

— 

— 

30. XI. 

4. 

165 200 

— 

— 

— 

6. XII. 

5. 

106 300 

ab 6. Xil. 4x2 Kapseln 

— 

— 



ab 8. XII. 3x2 Kapseln 

— 

— 




ab 11. XI1. Pause 

— 

— 

13. XII. 

6. „ 

76 500 

ab 16 XH. 2X2 Kapseln 

— 

— 

21. XII. 

7. 

37 100 

22. XII. Benzol ausgesetzt 

— 

— 

27. XII. 

8. 

27 200 


— 

— 

3. I. 

keine Bestrah¬ 

12100 

— 

12 X 7 cm 

— 


lung mehr 





10. I. 

— 

8 700 

— 

— 

— 

21. I. 

_ 

5 400 

_ 

— 

— 

29. I. 

- 

4 600 

— 

— 

»3. FI. 132 Pfd. 
20.11. 137 Pfd. 

- 





4. UI. 140 Pfd. 

4. III. 

_ 

6200 

— 

bei tiefster 

— 





Inspiration 
der untere 
Milzpol noch 
palpabel 


3. IV. 


7100 





4. III. Blutuntersuchung: Hämoglobin 82 Proz., rote Blutkörper¬ 
chen 3 968 000, weisse Blutkörperchen 6200. Auszählung: poly¬ 
nukleäre Leukozyten 70 Proz., eosinophile Leukozyten 1 Proz., grosse 
Lymphozyten 4 Proz., kleine Lymphozyten 18 Proz., mononukleäre 
Leukozyten 3 Proz., Mastzellen 2 Proz., Uebergangsformen 2 Proz. 

Die Benzolbehandlung wurde also am 22. XII. abgebrochen, als 
die Zahl der weissen Blutkörperchen auf 37 100 gesunken war. Mit 
der Röntgenbestrahlung wurde am 3. I. ausgesetzt, als die Milz¬ 
masse 12X7 cm betrugen. Die weissen Blutkörperchen ebenso wie 
die Milzmasse zeigten aber in den nachfolgenden Wochen einen 
weiteren Rückgang bis zur Norm. 

Es ist also im vorstehenden Falle gelungen, durch die kombi¬ 
nierte Behandlung mit Benzol und Röntgenbestrahlung einen Zustand 
herbeizuführen, der wenigstens für den Augenblick einer voll¬ 
kommenen Heilung gleichkommt. Von der Milz ist nur bei tiefster 
Inspiration eben noch der untere Pol zu fühlen. Die Zahl der weissen 

□ igltlzed by Google 


Blutkörperchen ist bis auf 6200 zurückgegangen; auch qualitativ zeigt 
das Blutbild so gut wie normale Verhältnisse. Der Allgemeinzustand 
des Patienten hat sich ausserordentlich gehoben. Das früher fast 
kachektische Aussehen ist jetzt nach einem 4 wöchentlichen Auf¬ 
enthalt in der Schweiz einer frischen Gesichtsfarbe gewichen, das 
Körpergewicht von 124 auf 140 Pfund gestiegen, die Leistungsfähig¬ 
keit des Patienten nach seiner eigenen Aussage fast die gleiche wie 
früher; er geht heute seinem Beruf in vollem Umfang wieder nach. 

Inwieweit der Erfolg, der am besten durch die Tatsache charak¬ 
terisiert wird, dass zurzeit die Diagnose der Leukämie bei dem 
Patienten überhaupt nicht mehr zu stellen ist, dem Benzol oder den 
Röntgenstrahlen zugeschrieben werden muss, ist schwierig zu ent¬ 
scheiden. Mir scheint er in der Kombination der beiden 
Mittel zu liegen. Zu beachten bleibt dabei, dass man mit der 
Verabreichung des Benzols frühzeitig genug aussetzen muss* um 
Schädigungen der Kranken zu vermeiden. Ob es sich bei unserem 
Falle um einen Dauererfolg handelt, muss selbstverständlich abge¬ 
wartet werden. 

.Literatur. 

1. Selling: Zit. nach W. W i r t h: Inauguraldissertation, 
Giessen 1913. — 2. Koranyi: B.kl.W. 1912 Nr. 29 und Kiralyfl: 
W.kl.W. 1912 Nr. 35. — 3. Neumann: Ther. d. Gegenw. 1913 H. 2. 
— 4. Kiralyfi: W.kl.W. 1913 Nr. 5$. — 5. Klein: W.kl.W. 1913 
Nr. 10. — 6. Böhm: Med. Klin. 1914 S. 847. 


Weitere Mitteilungen Uber mazedonische Malariamücken. 

Von Prof. Dr. Franz Doflein (Freiburg i/Br.), Mitglied der 
mazedonischen landeskundl. Komm, beim O.-K- Sc holt z. 

Ausser den früher festgestellten Anophelesarten [A. ma- 
culipennis und superpictus 1 )] konnte ich im Süden und Osten Maze¬ 
doniens in diesem Frühjahr Anophelesbifurcatus nachwefeen. 
Von dieser Form ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, dass auch in 
Mazedonien ihre Larven zur Überwinterung gelangen können. Ich 
erhielt schon in den ersten Märztagen grosse, nahezu erwachsene 
Larven und Puppen, die bald fertige Insekten lieferten, aus Svetivrac. 
Auch im unteren Wardartal kommt diese Art vor, die auch in Bul¬ 
garien mehrfach beobachtet wurde. 

Von den anderen Anophelesarten überwintern die Larven in 
Mazedonien normalerweise offenbar nicht. Ich konnte wenigstens 
im Winter keine solchen entdecken. Bei A. maculipennis und 
superpictus sind es die befruchteten Weibchen, weiche in Schlupf¬ 
winkeln, Kellern, Häusern, Ställen überwintern- und so als einzige 
Vertreter der Art diese über den Winter erhalten. Das ist ja im 
Insektenreich eine häufige Erscheinung; ich erinnere nur an die 
Wespen und Hummeln. 

An dieser Stelle sei eingefügt, dass ich die vierte der europäischen 
Anophelesarten, A. pseudopictus, bisher auf dem Balkan nur 
rn Rumänien fand, wo sie vorwiegend im unteren Donaugebiet vor¬ 
kommt. Auch in Bulgarien scheint sie ausschliesslich im Donaugebiet 
gefunden zu werden. In Mazedonien wurde die Art bisher nicht 
beobachtet und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie in diesem Lande 
fehlt. So Ist es auch bemerkenswert, dass A. superpictus in Bul¬ 
garien noch nicht gefunden wurde, obwohl sich dort mehrere 
tüchtige Forscher mit der Mückenfauna eingehend abgegeben haben. 
Dagegen ist diese für Mazedonien so wichtige Art in Griechen¬ 
land sehr häufig, wo sie auch schon als Bewohner der Schlucht- 
bäche erkannt wurde. 

Meine Beobachtungen über die Entwicklung von Anopheles 
superpictus in den Schluchtbächen konnte ich bestätigen und 
erweitern. In den Schluchten bei Ueskfib, Veles, Dedeli, Hudova, am 
Doiransee, bei Negorcr, bet Monastir usw. ist A. superpictus die 
typische Form, meist häufiger als A. maculipennis. 'Das Vorkommen 
im fliessenden Wasser ist durch eine Eigentümlichkeit der Larven 
bedingt, welche bei allen Anopheleslarven sich findet, bei denen von 
superpictus aber besonders deutlich ausgebildet ist. 

Es ist die Neigung, sich mit dem Hinterende an die feste Be¬ 
grenzung des Wasserbeckens anzulegen. In den Felsentümpeln der 
Schluchten findet man die Superpictuslarven stets mit dem Hinter¬ 
ende dem Felsrand angeschrmegt. Sie ragen mit ihrem Kopfende 
ins freie Wasser hinein, das sich vielfach in relativ starker Strömung 
befindet. Schreckt man sie auf. so werden sie leicht von der Strö¬ 
mung mitgerissen, legen sich aber möglichst rasch einem Rand des 
Baches wieder an. Hält man die Larven in Kulturgefässen. so sitzen 
sie auch da an der Glaswand mit dem Hinterende fest. Es ist ein 
eigenartiger Anblick, die Larven im runden Glaseefäss alle an der 
Wand radiär angeordnet zu sehen. Auch in der freien Natur ist die 
regelmässige parallele Anordnung der Suoerpictuslarven an den 
Rändern der Wasserbecken sehr auffällig. Zum Teil handelt es sich 
um eine reflektorische Reaktion der Larven, aber soweit meine Ex¬ 
perimente mich bisher erkennen lassen, spielen dabei Oberflächen¬ 
kräfte des Wassers eine nicht geringe Rolle. 

Es ist klar, dass LaTven von der Lebensweise des A. super- 
pictus nicht mit den- üblichen Methoden bekämpft werden können. 


*) Vergl. hiezu J. Doflein: Ueber mazedonische AnoobeHnen 
und ihre Bedeutung für die Verbreitung der Malaria. M.m.W. 1918 
Nr. 1 S. 17 und 18. 

Original from 

UNIVERSiTY OF CALIFORNIA 


MüENCHENER ME: 


;f CHE WOCH-NSCHRIFT. 


Dra-inrerimg und Trockenlegung der BalkanschJuchten kommt nicht 
in Frage. Ebensowenig 'kann in den Sdhluchtbächen Uebergiessen mit 
Petroleum, Saprol und ähnlichen Mitteln von Nutzen sein. Das 
strömende Wasser nimmt die Oelschicht mit sich, ehe sie ihre Wir¬ 
kung ausüben kann. 

Gegen die Larven der anderen Anophelesarten haben sich diese 
Methoden auch ln Mazedonien sehr bewährt. In der Nähe von 
Lagern, Lazaretten, Quartieren hat sich durch ihre Anwendung eine 
starke Verringerung der Zähl von Malariamücken erzielen lassen. 

Dabei möchte ich allerdings noch eine Beobachtung erwähnen, 
welche auf gewisse Schwierigkeiten bei der Larven-bekämpfung hin¬ 
weist. Ich konnte nämlich an besonderen- Stellen feststellen, dass 
Anopheleslarven sich lange unter Wasser halten können, ohne an 
der Oberfläche zu atmen, wenn am Boden des Gewässers sich dichte 
Algenpolster fanden, in denen sie sich festhefteten. Waren solche 
flachen Tümpel dem Sonnenlicht stark ausgesetzt, so entwickelten 
sich in ihnen reichliche Sauerstoff blasen-, welche den Larven zur 
Atmung dienten, so dass sie oft viele Stunden unter Wasser blieben. 
Doch findet solche Sauerstoffausscheiduu-g der grünen Pflanzen nur 
im Licht statt, und wenn die Anopheleslarven auch noch am Abend 
längere Zeit im Algenpolster in der Wassertiefe sich halten können, 
im Laufe der Nacht müssen sie wohl immer wieder an die Oberfläche 
emporsteigen, um direkt Luft zu atmen. In Versuchsgefässen waren 
diese Vorgänge sehr deutlich zu beobachten. 

Versagen nun in Mazedonien die üblichen Bekämpfungsmethoden 
gegen die Anopheleslarven bei den Schluchtmückenlarven, so gilt es 
hier neue Bekämpfungsmittel ausfindig zu machen. Ich habe nun eine 
speziell gegen die Larven von Anopheles superpictus gerichtete Be- 
kämpfungsmetHode angegeben, welche noch dazu den Vorteil hat, 
«eben der sanitären eine wirtschaftliche Bedeutung zu haben. 

Es erfordert relativ wenig Arbeit, im oberen Teil der Schluchten 
Stauwehre in Gestalt von primitiven Steinwällen zu errichten. 
Mit diesen lässt sich ein Staubecken schaffen, in welchem eine 
gewisse Anzahl von- Kubikmetern Wasser angesammelt wird. Wer 
die Beschaffenheit der Felsschluchten der Balkangebirge kennt, wird 
verstehen, dass es wenig Aufwand an Arbeitskräften kostet, ein 
solches Wasserbecken entstehen zu lassen. Diese angestaute Wasser- 
menge genügt, um die Schlucht zu durchspülen und damit die Ano¬ 
pheleslarven, deren Anklammerung an die Beckenränder ja sehr 
wenig fest ist, in den unteren Teil der Schlucht oder in die an¬ 
grenzende Talebene hinauszuschwemmen. Raum und Wasserdnhalt 
der für das Gedeihen von Anopheles superpictus in Betracht kom¬ 
menden Schluchtbäche ist so gering, dass nicht allzugrosse Stau¬ 
becken genügen, um den Strom zu erzeugen, der die Larven hinaus¬ 
fegt. Notwendig ist natürlich ein plötzliches Oeffnen des Stau¬ 
beckens, so dass das Wasser in seiner Gesamtheit auf einmal mit 
Wucht die Schlucht durchströmt. Das ist bei dem Bau der Schluchten 
meist leicht zu erzielen. Das Durchspülen müsste mit Berücksichti¬ 
gung der Entwicklungsgeschichte der Stechmücken in Abständen 
mehrmals wiederholt werden. 

Den meisten dieser Schluchten ist, wo sie in den flachen Tal¬ 
boden übergehen, eine mächtige Geröll- und Sandfläche vorgelagert. 
In breiten Tälern, wie im unteren Wardartal, erstreckt sie sich, wie ein 
Delta aussehend, weit in -den Talgrund hinaus. Selbst nach heftigen 
Regengüssen versickert die oft gewaltige Wassermasse, welche die 
Schlucht hinabrauscht, in wenig Stunden in diesem Schotterfeld 
vollkommen. Noch schneller -ist dies in den kleineren Schluchten 
der Fall, deren Bach schon im Unterlauf durch Versickerung wassei- 
Jos ist, während im oberen Teil ein munter rauschender Bach vor¬ 
handen ist. Natürlich ist di-e Reihenfolge der Erscheinungen um so 
eindrucksvoller, je weiter die Trockenheit des Sommers vor¬ 
geschritten ist. 

Um so ausgesprochener ist dann das Versiegen des Wassers im 
unteren Teil der Schluchten; im mittleren Teil bildet sich dann eine 
Reihe mehr oder weniger von einander getfennter stehender Tümpel. 
Bas ist die Zeit, in der die Schluchten zu gefährlichen Brutstätten 
werden, in denen nicht nur die Larven von A. superpictus, sondern 
auch der anderen Malariamücken gedeihen. 

Dann kann man auch bei der Mückenvertilgung die besten 
Erfolge durch das Durchspülen der Schluchten erzielen Das 
Wasser aus dem Staubecken muss genügen, um durch alle Erweite¬ 
rungen des Bachlaufes und die anschliessenden Tümpel einen ge¬ 
nügenden Strom zu erzielen, der die Mückenlarven und -puppen nut- 
schwemmt Es wird sie dann im unteren Teil der Schlucht oder 
auf den Geröllhalden vor ihr liegen- lassen, wo sie nach wenig Stunden 
durch die Austrocknung zugrunde gehen. 

Die bulgarischen MHitärsanitätsbehörden haben meine Ratschläge 
mit grossem Interesse beachtet. An einigen Stellen der Front wurden 
schon erfolgreiche Versuche durch geführt. Ich habe von vornherein 
darauf hingewiesen, dass die Bekämpfung der Malariamücken in den 
Schluchten sich mit wirtschaftlichen Vorteilen wird ver¬ 
knüpfen lassen, für die ohnehin Wasserbauten in den Schluchten 
sich als nötig erweisen werden. Auch in* Deutschland haben sich in 
■Gebirgsgegenden vielfach Wildbachverbauungen zum Schutz von 
Strassen, Brücken, Anpflanzungen als nützlich erwiesen. In noch viel 
grösserem Massstab wird das bei einer ausgiebigen Kultivierung des 
bulgarischen Zukunftslandes Mazedonien sich als nötig erweisen. 
Sicherung von Ackerland, ja von ganzen Dörfern und ihren Häusern, 
von Eisenbahnen, Strassen, Brücken und allerhand Kunstbauten wer- 
xfen von einer Regulierung der Schluchten abhängen. Von ihnen 

Nr ‘ ^‘igitized by QoO^lC 


wird die Aufforstung und der Anbau der fetzt so kahlen, dürren Berg¬ 
hänge ausgehen müssen. Hier harren der Bulgaren grosse Aufgaben. 

Indem sie die Schluchten- mit ihrer kolossalen Gesteinsbewegung 
sichern, können sie -gleichzeitig Wasservorräte für die Bewässerung 
des zu bebauenden Neulandes schaffen. Auch für Kraftanlagen, 
Mühlen und andere Betriebe können solche Staubecken ausgenützt 
werden, wofür jetzt sohon im Lande an zahlreichen Orten Ansätze 
zu beobachten sind. 

Die gleiche Arbeit, die an vielen Stellen nicht allzu gross ist 
Und nicht allzu viel Menschenkräfte erfordern ward, kann sie zur 
selben Zeit von der gefährlichen Mückenplage befreien, die in schein¬ 
bar so schwer zu bekämpfender Form wie ein Fluch auf dem schönen, 
fruchtbaren Lande lastet. Dass die Durchspülung der Schluchten und 
damit die Beseitigung der Anopheleslarven möglich ist, daiür lieferte 
mir öfter die Natur selbst den Beweis. So beobachtete ich z. B. 
Anfang Mai in einer Seitenschlucht des unteren Wardartals in unge¬ 
heuren Massen jüngste Larvenstadien von Anopheles an den typischen 
Stellen. Einige Zeit später suchte ich die gleiche Schlucht auf, um 
die älteren Stadien und Puppen zu holen. Es war kein Stück mehr zu 
finden, obwohl an anderen Stellen die Entwicklung bei weitem- noch 
nicht abgeschlossen war. Es war bei einem starken Frühlings- 
r-egen die Schlucht gründlich durchspült worden und alle Anopheles¬ 
larven waren auf das schnellaustrocknende Schotterbett des Schlucht¬ 
endes geschwemmt worden und da schnell zugrunde gegangen. 

So stellt sich denn tatsächlich die Durchschwemmung der 
Schluchten als ein gutes Bekämpfungsmittel gegen die Malaria¬ 
mücken dar. 

Sowohl für die Larvenbekämpfung als auch für die Malariapro- 
phylaxe sind die Entwicklungszeiten der Anophelen von Be¬ 
deutung. Sie wechseln in Mazedonien- selbstverständlich wie in 
anderen Ländern gemässigter Zonen nach den Witterungsverhält¬ 
nissen der einzelnen Jahre; bei kaltem Wetter dauert die Entwick¬ 
lung länger, bei warmem kürzer. Im grossen- und ganzen bleibt sie 
aber innerhalb gewisser Daten-. 

Dabei ist noch hervorzuheben, dass ein gar nicht unwesentlicher 
Unterschied zwischen dem Norden und Süden Mazedoniens und den 
verschiedenen Höhenlagen in Betracht kommt-. Im Wardartal ist 
etwa bei Demirkapu eine interessante Grenze in Pflanzen- und 
Tierwelt. Die spricht sich auch in der Anoph-elesentwicklung aus, 
indem sie im Süden um 10—14 Tage vorangeht. Eme Verzögerung 
dagegen von mindestens einer Woche ist in der Gegend von Prilep 
bei einer Meereshöhe von etwa 600 m zu bemerken. Und -das wird 
mit steigender Meereshöhe noch ausgesprochener. Zum Glück sind 
in Mazedonien manche unserer Truppenunterkünfte in M-eereshöhen, 
welche ein Gedeihen der Anopheles nicht mehr zulassen. 

Bei Anopheles macuHpennis und superpictus sind es die Weib¬ 
chen der letzten Herbstgeneration, welche in befruchtetem Zustand 
überwintern, während alle Männchen dem ‘beginnenden Winter er¬ 
liegen. Die Stechmücken überwintern in Mazedonien m Häusern, 
Baracken, Kellern,* in Felshöhlen und -spalten, sehr vielfach auch in 
Ställen, so in solchen von Hühnern, Tauben, Schweinen, Rindern und 
Pferden. In Pferdeställen habe ich sie ganz regelmässig angetroffen, 
was besonders betont sei, da manchmal angegeben wird, sie mieden 
Pferdeställe. 

In diesen Winterquartieren sitzen sie vielfach senkrecht an d-cn 
Wänden, meist mit dem Kopf nach oben. Es ist eine Art von Winter- 
•starre, in der sie dort den Winter verbringen. Aus ihr sind sie aber 
nicht schwer zu erwecken; es kommt vor, dass sie vor allem im 
warmen Raum, also z. B. im Viehstall, zu fliegen beginnen- und dort 
auch mitten im Winter stechen. Vor allem gegen das Frühjahr hin 
sieht man sie im warmen Zimmer fliegen. Dann kann es auch Vor¬ 
kommen, dass sie sogar zur Tageszeit, im schattigen Zimmer fliegen 
■und selbst saugen. Man sieht, es gibt keine Regel ohne Ausnahme. 
Sidher ist es aber die Regel, dass die Weibchen im Winter an 
schattigen, geschützten Stellen ruhen und nicht stechen. 

Wenn es auch nicht ausgeschlossen ist, dass malariainfizierte 
Anophelesweibchen den Winter überdauern und im Frühling sofort 
infektionstüchtig sind, so ist es doch noch nie mit Sicherheit nach¬ 
gewiesen worden. In Mazedonien ist das sicher zum mindesten sehr 
selten der Falt. Ich habe gemeinsam mit Sanitätsunteroffizier Dr. Wül- 
ker mehrere Hundert überwinterte Weibchen von A. maculipennis 
und superpictus untersucht, ohne bei einem einzigen Zeichen von 
Infektion zu entdecken. Die Tiere stammten aus 9 uartieren in n0 ~ 
torisch malariaverseuchten Orten. Wenn somit die Erhaltung der 
Infektion über den Winter nicht mit Sicherheit wiederlegt ist, so 
muss sie doch sehr selten sein. Es muss allerdings hinzugefugt 
werden, dass die Infektion der Speicheldrüsen viel schwerer nach¬ 
zuweisen ist, als diejenige der Mägen. Sichere Speicheldrüsenunter¬ 
suchungen lagen uns daher viel weniger vor, als Magenunter¬ 
suchungen. Man sollte aber doch annehmen, dass wenn Speichel¬ 
infektion vorläge, -die Spuren von Oozy-sten an den Magenwätiden 
noch nachz-uwelsen gewesen wäien. 

Für die Seltenheit der Ueberwinterung der Malariaparasiten in 
den infizierten Anoph-elesweibchen spricht auch die Beobachtung, 
dass im Frühjahr verhältnismässig spät Neuinfektionen mit Malana 
auftreten. Die meisten Malariaanfälle im frühen Frühjahr lassen sich 
ziemlich sicher als Rezidiv früherer Erkrankungen- nachweisen. Erst 
Ende Mai mehren sich die Fälle, die man mit Recht als Neumfek- 
tiotien auffassen kann. Diese lassen sich zeitlich auch ohne Zwang 

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1216 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 44- 


auf die Entwicklung der ersten Frühjahrsgeneration des Anopheles 
zurückfuhren. 

In Mazedonien treten als erste frisch entwickelte Anopheles- 
Imagines diejenigen von A. bifurcatus auf,* von deren Larvenilber- 
winterung wir ja oben sprachen. Sie spielen allerdings in West¬ 
mazedonien, soweit ich bisher feststeilen konnte, keine wesentliche 
Rolle. Ich glaube allerdings annehmen zu dürfen, dass sie in Bul¬ 
garien und wohl auch in der Strumaniederung häufiger sind-. Von 
dieser Art habe tioh in Mazedonien keine überwinternden Weibchen 
gefunden, was ja vielleicht auf einem Zufall beruht. Trotz des 
lieberwimterns im Larvenzustand wird' wohl ihr erstes Auftreten in 
geflügeltem Zustand sich bei kalten Friihlingen wie in diesem Jahre 
bis in den April hinausziehen. Doch können sie bei einer Reihe 
warmer Tage auch viel früher erscheinen. 

Sicherlich wird Anopheles macuMpeiuris in Mazedonien selten vor 
Mai in neu entwickelten Individuen auftreten. Die überwinterten 
Weibchen verschwinden sehr bald, nachdem sie die Winterquartiere 
verlassen haben. Offenbar sterben sie bald nach der Eiablage. Die 
aus den Eiern ausschlüpfenden Larven entwickeln sich je nach der 
Temperatur rascher oder langsamer. Im Frühling dauert die Entwick¬ 
lung erheblich länger als im Sommer. Im Jahre 1918-sind in den 
meisten Gebieten Mazedoniens frische Exemplare von A. maculi- 
pennis in den beiden ersten Wochen- des Mai auf getreten. Grössere 
Mengen zeigten sich vor allem im Norden erst Ende Mai und Anfang 
Juni. Dabei erschienen, wie das ja bei vielen Insektenarten der Fall 
ist, die Männchen vorden Weibchen. Es waren schon zahl¬ 
reiche Männchen vorhanden, ehe die ersten Weibchen ausschlüpften. 
Manche Männchen erschienen sogar um Wochen verfrüht. 

Bis die Weibchen befruchtet zur Eiablage schreiten, vergeht 
eine Zeit, die verschieden fang sein 'kann, in welcher man in den 
Tümpeln und sonstigen Brutstätten Anopheleslarven vollkommen ver¬ 
misst. Mitte Juni waren z. B. bei Uesküb Anopheleslarven nicht zu 
finden. Nach einigen Woohen, noch im Juni, treten neue Larven 
auf. -Die Zahl der im Laufe des Sommers sich entwickelnden Genera¬ 
tionen ist noch mioht genau festgestellt. Immerhin werden mehrere 
Generationen je nach Wasserverhältnissen und Temperatur möglich 
sein. 

Ich konnte ausser einer starken Entwicklung im Frühjahr, also 
Mai und Anfang Juni im Jahre 1917 eine zweite Kulmination der 
Anophelesent wickhmg im August nach weisen. .Die beiden Kurven¬ 
gipfel der Anophelesentwicklung zeigten eine charakteristische Be¬ 
ziehung zu den entsprechenden Gipfeln der Kurve der Malariaerkran- 
kungen im Gebiet der deutschen und bulgarischen Truppen in Maze¬ 
donien. 

Die gleiche Entwicklungsweise wie bei A. maculipennis tritt uns 
auch bei A. superpictus entgegen. Nur dass hier die Entwicklung 
etwa in einem Abstand von etwa 14 Tagen derjenigen der ersteren 
Art nachfolgt. 

Ob auf die reichliche Herbstgeneration noch weitere Generationen 
folgen, ist noch nicht ganz klar. Es ist oft sehr schwer, genau 
festzustellen, ob in der freien Natur eine grössere Anzahl von Genera¬ 
tionen aufeinanderfolgen, oder ob es sich um die verschieden rasch 
sich entwickelnden Individuen einer Generation handelt. Gerade bei 
Culex und Anopheles ist zu beobachten, dass Temperatur- und Nah¬ 
rungsmenge die Dauer der Entwicklung stark beeinflussen. Ich hatte 
Kulturen im Hochsommer, welche die ganze Entwicklung vom Ei zum 
Imago in weniger als 20 Tagen durchliefen (14—15 Tage), während 
im Frühjahr manchmal 6—8 Wochen dazu nötig waren. Die auf-' 
fälligste Bestätigung dieser Gesetzmässigkeiten stellen ja die über¬ 
winternden Larven von Anopheles bifurcatus dar, von denen wir in 
diesem Aufsaz ausgingen, die Monate zu ihrer Entwicklung brauchen. 

Nach meinen bisherigen Erfahrungen scheint es mir am wahr¬ 
scheinlichsten, dass normalerweise eine Frühlingsgeneration und eine 
Sommergeneration aufeinander folgen, denen sich die überwinternde 
Herbstgeneration anschliesst; das wären 3 Generationen im Jahr. 
Möglicherweise kommt eine Verdoppelung oder noch stärkere Meh¬ 
rung der Frühlings- und Sommergeneration unter besonders günstigen 
Verhältnissen vor; das ist aber noch nicht sicher bewiesen. 


Aus dem Physiolog. Institut der Kgl. Tierärztl. Hochschule, 
Berlin. (Direktor; Prof. M. Cremer.) 

Die Ausnutzung synthetischer Fettsäureglykolester beim 
Hunde und beim Menschen. 

(Vorläufige Mitteilung.) 

Von H. Heinrich Franck, Assistent am Institut. 

In der M.m.W. 1917 Nr. 1 S. 9 habe ich über die Ausnützung 
von Fettsäureäthylestem beim Hunde und beim Menschen berichtet. 
Die ernährungswirtschaftliche Bedeutung dieses von uns wissenschaft¬ 
lich und technisch erfolgreich bearbeiteten Problems kann auch heute 
noch nicht fn erweitertem Masse öffentlich behandelt werden. Es sei 
daher auf die Beiträge zur Kriegswirtschaft der volkswirtschaftlichen 
Abteilung des Kriegsernährungsamtes, Heft 30, „Branntweinwirtschaft 
und Volksemährung“ *) Berlin 1918 S. 41 und auf die Bundesratsver¬ 
ordnung betreffend die Herstellung von Fettsäureestem für Kunst¬ 
speisefette vom 28. VI. 17 (R.G.B1. S. 568) verwiesen. 

*) Von Prof. A. Ska-kwe it, Giessen. 

Digitized by 


Die Erfahrungen, die sich bei der technischen Bearbeitung der 
Speisefettherstellung aus 'Aethylestern ergeben haben, veranlassten. 
uns, auch die Glykolester der höheren Fettsäure in den Kreis unserer 
Untersuchungen zu ziehen. Diese lagen uns auch physiologisch in 
gewisser Weise noch näher als die Aethylester, da schon Do- 
b rin dt 2 ) auf V eranlassung von Crem er im hiesigen Institut Glykol- 
az-etat und Propionat im Phlorizindiabetes verfüttert hatte. Eine Be¬ 
nutzung derselben als Speisefett war ebenso wie die des Glykol- 
butyrats wegen- ihres brennend aromatischen Geschmackes ausge¬ 
schlossen. 

Die Glykolester der höheren Fettsäuren dagegen, die in der che¬ 
mischen Literatur noch nicht beschrieben sind, sind je nach der 
Provenienz des Ausgangsmaterials flüssige bis schmalzartiige Fette* 
Wir haben auf die Herstellung bestimmter chemischer Individuen, 
verzichten müssen, da es uns unter den heutigen Kriegsverhältnissen 
nicht möglich war, chemisch reime Oelsäure, Palmitihsäure und 
Stearinsäure in grösserer Menge zu erhalten; wir möchten uns aber 
die Bearbeitung dieses Gebietes Vorbehalten. Für die technische Dar¬ 
stellung und für die Verwendung als Nahrungsmittei kommen ja 
vorläufig nur die gemischten Fettsäuren, wie sie sich bei der Spal¬ 
tung der natürlichen Fette ergeben, in Betracht. Die Darstellung 
der Glykolester erfolgte nach einem der Fettsäure-Aethylester- 
Fabrikation analogen Verfahren. Physikalisch, wie auch in ihrem 
Geruch und Geschmack, haben die ülykolester viel mehr Aehn- 
lichkeit mit den natürlichen Fetten und Oelen als die Aethylester. 
Jedoch sind die Glykolester von 'höherer Viskosität als die Glyzerm- 
ester der gleichen Fettsäurebasis, auch schmelzen sie höher, z. B. 
Glykoldistearat bei 76° gegenüber 71,5° Schmelzpunkt des Tri¬ 
stearins. 

Im Zusammenhang mit der Ernährungskommission des Kriegsaus¬ 
schusses für Oele und Fette haben wir die Ausnützung der Fett¬ 
säureglykolester am Hunde und Menschen geprüft, wir benutzten als 
Ausgangsmaterial Fettsäuren, die durch Verseifung von Margarine¬ 
schmalz aus verdorbener Margarine hergestellt waren. Die Aus¬ 
nutzungsergebnisse der Stoff Wechsel versuche waren wie folgt: 

Bei 4 tägiger Verfütterung von- täglich 40 g Glykolfett und 200 g 
Fleisch nutzte ein 13 kg schwerer Hund 91 Proz. des Fettes aus. Bei 
3 tägiger Verfütterung am Menschen von 50 g Gemisch aus 50 Proz. 
des gleichen Glykolfettes wie beim Hund ~h 50 Proz. Olivenöl und 
ausserdem Brot und Kartoffeln nach Belieben wurden 88 Proz. des 
Fettes ausgenutzt (Selbstversuch). 

Bei diesen Ausnutzungszahlen ist angenommen, dass Glykolfett 
und in der Nahrung enthaltenes Glyzerinfett (Hund) resp. Beifett 
(Olivenöl beim Menschen) gleich ausgenutzt werden. Nimmt man 
aber die bekannte Ausnutzung der natürlichen Fette (97 Rroz.) resp. 
die totale Resorption der beigefütterten Glyzerinfette an, so erniedrigt 
sich die Ausnutzung der Glykolester beim Hund auf 90, beim 
Menschen auf 77—80 Proz. 

Sind diese Zahlen also auch etwas ungünstiger, als die seiner¬ 
zeitigen Ergebnisse bei d-em Aethylester, so kann doch nach den 
allgemeinen Erfahrungen bei Verfütterung kleinerer Mengen gesagt 
werden, dass die Glykolester, wenn sie einen gewissen Prozentsatz 
des Nahrungsfettes nicht überschreiten, mit ca. 90 Proz. ausgenutzt 
werden und man kann sie daher als Streckungsmittel unserer natür¬ 
lichen Nahrungsmittel ähnlich wie die Aethylester benutzen* Irgend¬ 
welche Beschwerden oder sonstige Störungen wurden weder während 
der Stoffwechselversuche, noch nachher beobachtet. 


Aus dem König Ludwig-Haus in Würzburg. 

Operative Behandlung von nicht reponierbaren ange¬ 
borenen Hüftverenkungen. 

Von Prof. v. Baeyer. 

Die blutige Reposition des laxierten ObeTschenkelkopfes birgt so¬ 
viel Gefahren in sich, dass man sich zu dieser Operation wohl nur in 
den seltensten- Fällen noch entschliesseu wird. Die übrigen blutigen 
Verfahren (intertrochantere Osteotomie zwecks Beseitigung der Ad¬ 
duktion, Pseudarthrosenbildung zwischen Schenkelkopf und Becken, 
Bildung einer Pfanne an der Darm-beinschaufel und weitere) ver¬ 
mochten sich nicht einzubürgern, weil die damit erzielten Besserungen 
meist nicht den Erwartungen entsprachen. 

Die schweren Bewegungsstörungen infolge von Hüftverrenkung 
fordern aber dringend, nicht tatenlos die Kranken ihrem Schicksal zu 
überlassen^ 

Die auffälligste und wohl schwerste Funktionsstörung bei einer 
Hüftluxation esteht in dem watschelnden Gang der durch die Längen¬ 
insuffizienz der Ghitaei med. und min. bedingt wird. Diese Muskeln sind 
durch Höherrücken des Trochanters relativ zu lang und vermögen 
nicht das Becken vor dem seitlich medialen Umkippen beim Belasten 
des luxierten Beines zu bewahren. Die Anforderungen, die schon 
normalerweise an diese Muskeln gestellt werden, sind sehr gross und 
werden bei eitler Luxation noch -dadurch vermehrt, dass der la¬ 
xierte Kopf von der Medianebene weiter entfernt ist, als es bei 
seiner normalen Stellung der Fall wäre. 

Will man also diese Kippbewegung des Beckens verringern, so 
hat man eine dem Gesunden entsprechende Spannung der beiden 


*) Dissertation aus -dem Physiol. Institut der Tierärztl. Hoch¬ 
schule 1914. 

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29. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1217 


seitlichen Glutäen anzustreben und ferner das Becken an einer me- 
<ßaler gelegenen Stelle zu stützen. 

Diese 'beiden Forderungen lassen sich bis zu einem gewissen 
Grad zugleich erfüllen, wenn man den krankseitigen Oberschenkel 
unterhalb des Trochanter minor osteotomiert und* die beiden Femur¬ 
teile nun so aneinander wachsen lässt, dass sie einen nach aussen 
und hinten offenen Winkel (Fig. 1) bilden. Bringt man nun nach 


Die Erfahrungen von Bade und mir Hessen es wünschenswert 
erscheinen, dass die Luxationskinder, bei denen sich eine Fraktur er¬ 
eignete, nachkontrolliert und dass eingehend über sie berichtet würde. 
Vielleicht geben gerade sie uns einen weiteren Fingerzeig, wie wir 
bei nicht repoiiierbaren Hüften zu verfahren haben. 

Ruhigeren Zeiten wird es Vorbehalten bleiben, sich näher mit 
dem hier mitgeteilten Operationsplan zu befassen. 




Fig. 2. 

erfolgter Konsolidierung das operierte Bein parallel 
zur Körperachse, so senkt sich der Trochanter be¬ 
trächtlich und spannt damit die seitlichen Glutäen. 
Das obere Ende des distalen Femurstückes kommt bei 
diesem Stellungswechsel in den Bereich der alten 
Pfanne und kann somit das Becken medial vom lu¬ 
xierten Kopf stützen. Die Osteotomie muss schräg 

Fig. i. * gemacht werden, um oberhalb der Osteotomiestelle 
am distalen Femurstück einen medialen Fortsatz zu 
erhalten, der sich in die alte Pfanne einsenkt. Die Abknickungsstelle 
soll etwa am unteren Ende des proximalen Femurstückes liegen, um 
einem späteren Durchstechen der unteren Spitze des Kopfteiles durch 
die Haut vorzubeugen. Diese Gefahr droht, weil dies obere Femur¬ 
stück in Beugestellung gebracht werden muss, damit das untere 
Femurstück nicht hinter die Pfannengegend zu liegen kommt; steht 
doch der Kopf auf der luxierten Seite meist hinter der Pfannenmitte. 

Eine Verkürzung des Beines braucht durch diese Abknickung 
nicht zu erfolgen. Im Gegenteil lässt sich dadurch unter Umständen 
eine geringe Verlängerung erreichen, weil der vor der Operation 
mehr horizontal gerichtete Schenkelhals in vertikale Lage (am stehen¬ 
den Patienten) kommt. 

Wenn das distale Femurstück einen Halt in der alten- Pfanne fin¬ 
det, ergibt sich ein weiterer Vorteil. Die bei Luxationen besonders 
derben oberen und vorderen Hüftgelenkbänder werden nun, weil der 
Drehpunkt zwischen Becken und Oberschenkel unterhalb des Kopfes 
Hegt, mehr auf Zug nach der Seite beansprucht, sie halten dadurch das 
Becken i-n-ähnlicher Weise wie die seitlichen Glutäen, nehmen diesen 
somit einen Teil der Arbeit ab und wirken dem Trendelenburg- 
schen Phänomen entgegen. 

Die Operation machte »ich an einer 45 jährigen Patientin, die ihren 
Oberkörper bei jeder Belastung des luxierten Beines so stark über¬ 
legte, dass ein blutiger Eingriff berechtigt erschien. Der Erfolg trat 
in gewünschter Weise ein. Der Gang des Mädchens wurde objektiv 
und subjektiv wesentlich besser; das operierte Hiifgelenk kann bis 90° 
gebeugt, vollkommen gestreckt, bis 130° abduziert und bis 90° zur 
Interspinallinie adduziert werden. Schmerzen fehlen beim Gehen, 
Stehen und Sitzen völlig. Das T rende 1 enb ur gsche Phänomen 
ist verschwunden und die seitlichen Glutäen vermögen das Bein kräf¬ 
tig seitwärts zu heben. 

Eine Bestätigung für die Riohtigkeit der Ueberlegung erhielt ich 
bei einer Patientin, bei der schon von anderer Seite vergeblich die 
Einrenkung versucht war. Bei einer Wiederholung des Versuches 
brach das Femur unterhalb des Trochanter ab und wurde in starker 
Abduktion eingegipst. Das Röutgenbild (Fig. 2) zeigt die jetzigen 
Verhältnisse des rechten Beines, die sehr denjenigen der bhitig-ope- 
rierten Patientin ähneln. 

Das funktionelle Resultat dieser unbeabsichtigten Fraktur ist sehr 
gut. Das Kind hat auf dieser Seite einen festen Halt, das Trende- 
1 enb ur gsche Phänomen fehlt, der Oberschenkel ist gegen das 
Becken nicht mehr verschieblich. Das Bein ist beim Stehen- gegen¬ 
über dem andern, das noch luxiert ist, um V» cm länger. Die Be¬ 
weglichkeit an der eingeknickten Seite beträgt: Beugung frei, Ueber- 
streckimg etwas geringer wie auf der linken Seite. Abduktion be¬ 
deutend kräftiger rechts. 

Dieser Fall erinnert an einen von Bade 1 ). Er schreibt: 

„Ich selbst verfüge über einen Fall, bei dem mir eine Schenkel¬ 
halsfraktur eintrat und bei der ich das periphere Ende in die Pfannen- 
gegend hirieinpresste. Sieht man das Kind auf der Strasse gehen, 
so bemerkt man durchaus nichts Auffallendes. Die Eltern waren mit 
dem Resultate dieser Behandlung, dessen inneren Grund sie gar nicht 
kannten, so zufrieden, dass sie imr nach einigen Jahren auch ihre 
zweite Tochter, die dasselbe Leiden hatte, zur Behandlung übergaben.“ 


*) Bade: Die angeborene Hüffcgelenksverrenkung; Enke 1907; 
S. 299. 


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Aus der Universitäts-Frauenklinik Erlangen. 
(Direktor: Geheimer Hofrat Prof. Dr. L. Seitz.) 

Unsere Erfahrungen mit Choleval. 

Von Dr. L. Gustafsson. 

lieber die Tripperbehandlung beim Weibe, über alte und neue 
Präparate, welche die Gonokokken töten oder in der Entwicklung 
hemmen, ist in der medizinischen Literatur vielleicht mehr als über 
andere Fragen geschrieben worden. Und wenn bis heute immer neue 
und neue Präparate 'hergestellt und gepriesen werden, so bedeutet das, 
dass bis jetzt noch keine richtigen Mittel zur erfolgreichen Bekämp¬ 
fung der Gonorrhöe gefunden sind. Demnach halte ich es für berech¬ 
tigt, über unsere Erfahrungen mit dem neuen Präparat Choleval 
(kolloidales Silberpräparat mit gallensaurem Natrium als Schutzkoi- 
loid) zu berichten. 

Jede Gonorrhöebeliandlung bei der Frau geht in erster Linie auf 
die Beseitigung der lokalen Symptome, d. h. des Ausflusses und Vor¬ 
handenseins der Gonokokken in den Geschlechtsteilen zurück. Es ist 
auch möglich, wenn die Patientin bald nach der Ansteckung in ärzt¬ 
liche Behandlung kommt, die Erkrankung zu beseitigen und zur voll¬ 
ständigen Heilung zu bringen. Aber das fordert erstens viel Geduld 
und Verständnis seitens der Patientin, zweitens viel Mühe seitens 
des Arztes. 

Es ist eine bekannte Tatsache, dass für erfolgreiche Behandlung 
der weiblichen Gonorrhöe absolute Bettruhe nötig ist. Nur solche 
Fälle können durch lokale Behandlung ziemlich rasch und sicher in 
der Ausheilung beeinflusst werden. Aber die Ruhe als solche heilt 
nicht, sie verhindert höchstens das Einnisten und Weiterschreiten des 
gonorrhoischen Prozesses in -die höheren Partien der inneren weib¬ 
lichen Genitalien. Die übliche Behandlung mit Spülungen und Bolus 
mit verschiedenen arzneiHchen Beimischungen genügt nicht, um die 
Gonokokken, welche in den- tieferen Partien der Genitalschleimhaut 
liegen, zu vernichten. Die Gonokokken gehen bei hoher Temperatur, 
ungefähr 40°, bekanntlich zugrunde. Deswegen wurde schon seit 
langem vorgeschlagen, Wärmeanwendung in der Gonorrhöebehand¬ 
lung einzuführen. Es ist auch bekannt, dass nach hochfieberhaften 
Erkrankungen, wie Typhus abdom. etc., manchmal der Tripper ver¬ 
schwindet, was durch die dauernde Wirkung der hohen Temperatur 
auf die Gonokokken erklärt wird. 

Solange wir die übliche Therapie bei Gonorrhöe angewendet 
haben, konnten wir keine besonderen Erfolge verzeichnen! Nur die 
moderne Vakzinentherapie scheint uns etwas wirksamer zu sein. 
Dabei muss ich bemerken, dass wir die besten Erfolge mit Vakzine 
„Gonorrhoea phylacogen“ (Parke, Davis & Co.) erzielt haben. Durch 
den Krieg- waren wir nicht imstande, weitere Mengen von diesem 
Präparat zu erhalten und unsere Erfahrungen weiterhin zu verfolgen. 
Wir mussten- deswegen- wieder zu den alten Präparaten, wie Pro- 
targol, Albargin etc., zurückgreifen. 

Auf Anregung der Firma E. Merck haben wir beschlossen, das 
neue Präparat „Choleval“ in unseren Arzneischatz aufzunehmen und 
bei der Behandlung der weiblichen Gonorrhöe auszuprobieren. Mit 
den Resultaten dieser Behandlung sind wir ganz zufrieden und können 
offen behaupten, dass wir mit Choleval viel bessere Erfolge erreicht 
haben, als mit allen anderen Silberpräparaten. 

Da es aber bei der weiblichen Gonorrhöe sehr oft und meist schon 
kurze Zeit nach der Infektion zu Komplikationen, w»e Salpingitis etc.. 
kommt, halten wir es für nötig, uns nicht bloss mit der lokalen Thera¬ 
pie des Ausflusses zu begnügen, sondern auch durch die Verabreichung 
der resorptiven Mittel die Verbreitung der gonorrhoischen und ent¬ 
zündlichen Prozesse zu vermeiden. Als das beste resorptive Mittel in 
der Gynäkologie sind seit langer Zeit schon- Ichthyol und seine Ver¬ 
bindungen bekannt. Wir haben in unserer Klinik schon längere Zeit 
sog. Thvoparametrontabletten in Anwendung gebracht, welche nach 
Angaben von Dr. Wintz aus Ichthyol und Jothion zusammen¬ 
gesetzt sind. Wir verwenden dieses Präparat mit Erfolg und können 
sagen, dass es besonders jetzt, wo Glyzerinmangel die Verwendung 
von Ichthyolglyzerintampons erschwert, uns ausgezeichnete Dienste 
leistet Ausserdem ist dieses in der ganzen Handhabung viel be¬ 
quemer als Tampons, weil erstens die kleinen Tabletten im Gegensatz 
zu viel grösseren Tampons mit Leichtigkeit in jede Scheide eingeführt 
werden können, zweitens weil durch die feste Form der Tabletten die 
Wäsche mehr geschont wird. 

Wir behandeln zurzeit die weibliche Gonorrhöe auf folgende 
Werse: Jeden Tag bekommt die Patientin eine Spülung mit A proz. 
Cholevallösung. Aus Sparsamkeitsrücksichten wird die Spülung mit 
Cusco- oder ähnlichem Spekulum vorgenommen, dazu verbrauchen 
wir gewöhnlich 10 ccm der Lösung. Nachdem das Spekulum 5—6 mal 
■in die Scheide ein- und ausgeführt ist so dass die innere Scheiden¬ 
wand auf ihrer ganzen Oberfläche mit der Lösung in Berührung 
kommt, wird die Scheide mit 3 proz., später mit \A proz. Choleval- 

Qritjinal fro-m 

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bolus eingepudert. Abends werden abwechselnd eine Cholevalvagi- 
naltablette (Zusammensetzung von unserer Klinik angegeben) oder 
eine Thyopararoetrontablette in die Scheide, oder Cholevalstäbchen 
(fertig geliefert von Fa. E. Merck) in Zervix und Urethra 
eingeführt. Ausserdem Bettruhe und jeden zweiten Tag Heizung des 
Unterleibs mit Lichtbogen, wobei trockene Wärme bis 90° C an¬ 
gewendet wird. Dazu kommen noch 2 mal in der Woche heisse 
Sitzbäder bis 45 0 C von 10—15 Minuten Dauer. Die Resultate waren 
sehr gut und ich möchte hier nur einige kurze Krankengeschichten 
zur Bestätigung des Erfolges beifügen. 

Journal-Nr. 139. B. Aufnahme 19. I. 18. Diagnose: Akute 
Gonorrhöe mit Adnexerkrankung, Gonokokken im Abstrich positiv. 
Zuerst allgemeine Behandlung. Am 15. II. Beginn der Choleval¬ 
behandlung. 25. II. 18: Gonokokken positiv, Fluor mässig. 20. III. 18: 
Abstrich gleich nach der Periode — keine Gonokokken. 29. V. 18: 
Entlassung. Adnexe frei, kein Ausfluss, ln letzten 10 Abstrichen, 
welche im Laufe von 2 Monaten gemacht sind, keine Gonokokken. 

Jounal-Nr. 350. Sp. Aufnahme 28. II. 18. Diagnose: Akute 
Gonorrhöe mit Bartholinitis. Zuerst antiphlogistische und allgemeine 
Behandlung. 18. III. 18: Die Entzündung der Bartholinitisdrüsen ver¬ 
schwand, Beginn mit Cholevalbehandlung. Gonokokken positiv. 
5. IV. 18: Mässiger Ausfluss, Gonokokken noch positiv. 29. IV.: Fast 
gar kein Ausfluss mehr, nur spärliche Gonokokken, meist extra- 
zellulär. 15. VI. 18: Entlassung. In den letzten 10 Abstrichen wäh¬ 
rend VA Monaten keine Gonokokken mehr zu finden. 

Journal-Nr. 400. W. Aufnahme 9. III. 18. Diagnose: Bar¬ 
tholinitis, Gonorrhöe, Gonokokken positiv. Cholevalbehandlung so¬ 
fort angefangen. 17. III. 18: Gonokokken noch positiv, Fluor ver¬ 
schwunden. 30. IV. 18: Keine Gonokokken mehr (Abstrich gleich nach 
der Periode). 15. VI. 18: Entlassung. Keine Gonokokken während 
1A Monaten gefunden worden. 

Journal-Nr. 430. M. Aufnahme 14. III. 18. Diagnose: Akute 
Gonorrhöe. Gonokokken positiv. Beginn der Cholevalbehandlung. 
5. IV. 18: Ausfluss noch vorhanden, Abstrich negativ. 22. V. 18: In 
heutigem Abstrich keine Gonokokken mehr, Ausfluss fast verschwun¬ 
den. 27. VI. 18: Entlassung, in den letzten 10 Abstrichen keine Gono¬ 
kokken mehr. 

Journal-Nr. 643. G. Aufnahme 2. V. 18. Diagnose: Chro¬ 
nische Gonorrhöe. Gonokokken spärlich positiv. Cholevalbehand- 
lung. 7. V. 18: Gonokokken positiv. 22. V. 18: Kein Ausfluss mehr, 
Abstrich frei von Gonokokken, sofort nach der Periode. 28. VI. 18: 
Entlassung, in den letzten 10 Abstrichen keine Gonokokken mehr zu 
finden. 

Zum Schluss können wir mit Sicherheit behaupten, dass die Re¬ 
sultate der Cholevalbehandlung bei der Gonorrhöe im Vergleich mit 
den anderen Silberpräparaten wesentlich besser sind und dass ein 
bedeutend höherer Prozentsatz der Patientinnen als geheilt entlassen 
werden kann. 

In der letzten Zeit kombinieren wir die Cholevalbehandlung der 
Gonorrhöe mit der Wirkung der Lichtsonden nach Christen- 
Gau ss. Wir werden hierüber in einem weiteren Aufsatz Näheres 
berichten. _ 

Aus der Chirurg. Abteilung des städt. Krankenhauses Worms. 

Wundbehandlung mit flüssigem Pech. 

Von Prof. Dr. L. Heidenhain. 

Duschkoff-Kesslakoff teilte 1915 in der M.m.W. Nr. 31 
mit, dass sich Pix liquida der Pharmakopoe ganz ausserordentlich zur 
Wundbehandlung als Ersatz des Perubalsams eigne. 

Nach einigen tastenden Vorversuchen haben wir seit jener Zeit 
alle frischen Wunden, welche bei uns in Behandlung kamen, also vor 
allem die zahlreichen schweren und leichten Maschinenverletzungen 
an Hand und Fingern, aber auch komplizierte Frakturen, hier nament¬ 
lich auch Durchstechungsbrüche mit grösserer Wunde, mit Pix 
liquida behandelt und sind mit den Ergebnissen ganz ausserordent¬ 
lich zufrieden. Wundeiterung tritt fast nie ein. Die Funktion der 
Finger bleibt auch bei schweren Verletzungen in weitem Umfange 
erhalten, sehr häufig ganz vollständig. Die Wunden sind nach Ab¬ 
lauf der ersten 2—3 Tage auffallend schmerzlos, so dass die Hände 
frühzeitig in Gebrauch genommen werden können. 

Der praktisch und theoretisch interessanteste Punkt ist der, dass 
wir die gequetschten Wundränder, wenn nicht ausgebreitete und 
schwere Verunreinigung vorliegt, nie exzidieren und doch kaum je 
Abstossung der gequetschten Wundränder unter Eiterung sehen. Die 
Wunden heilen unter einer oder zwei Nähten, welch® die Lage der 
Lappen sichern, prima intentione, der stärkste Beweis dafür, dass die 
gequetschten Wuradränder im allgemeinen lebensfähig isind 1 , dass 
Nekrose und Abstossungseiterung nur Folge der Infektion 
sind. Ich möchte hier nicht missverstanden werden. Dass Teile von 
gequetschten Lappen, namentlich kleine Teile der Lappenränder, 
nekrotisch werden, ereignet sich natürlich hier und da. Aber die 
Heilung geht durch erste Verklebung der Wundränder, des Lappens 
mit der Wunde, vor sich; die Nekrose, welche etwa eintritt, ist 
trocken und. wenn man nicht an sie rührt, so stösst sie sich 
im Laufe von Wochen trocken, ohne jede Sekretion ab. Die Ver¬ 
narbung tritt unter dem Schorfe ein. 

Ich gehe in mediasj^, damit deivLeser sich ein Bild der Wund- 

Di gitized by Google 


behandlung machen und seine Versuche danach einrichten kann. Das 
Beispiel einer schweren Maschinen Verletzung mehrerer Finger ge¬ 
nügt. Handelt es sich um leidlich saubere Finger und Hände, so 
Teinigen wir die Haut gar nicht. Bei schwerer Verunreinigung der 
Haut narkotisieren wir und reiben mit Mulltupfern und 75 proz. Spiri¬ 
tus die Haut ab, bis die Haut „leidlich rein aussieht“. Darnach wer¬ 
den die Wunden mit kleinen Häkchen auseinandergehalten, die Blut- 
koagula herausgewischt, etwa spritzende Gefässe unterbunden. Ich 
nehme an, es seien Beugesehnen in grösserem Umfange freigelegt, 
Phalangen gebrochen, Gelenke luxiert. Wir giessen aus einer Tropf¬ 
flasche so viel Pix. liq. in die Wunde, dass diese eben bedeckt ist, 
reponieren Knochen und Gelenke, berühren nicht die gequetschten 
Wundränder, schneiden allein abgelöste Epidermisfetzen, welche sich 
in die Wunde legen wollen, fort, ziehen dann durch 1, 2 oder 3 Nähte, 
je nach der Grösse der Wunde, die Wundränder so weit aneinander, 
dass für Abfluss der Wundsekrete ein Zwischenraum von ca. 2 mm 
bleibt. Ueber Hautabschürfungen, welche sich vorfinden, wird eben¬ 
falls Teer gegossen. Damit ist die Wund Versorgung beendet. Han¬ 
delt es sich um grob verunreinigte Wunden mit fester Einpressung 
von Schmutz, so werden natürlich die Verunreinigungen so weit wie 
möglich exzidiert. Im übrigen Verfahren wie oben. Wundver¬ 
band: steriler MuH; der 2. bis 5. Finger werden grundsätzlich mit¬ 
einander in den Verband genommen, auch wenn gesunde Finger dar¬ 
unter sind. Die gesunden Finger geben einige Schienung für die 
schwer verletzten ab. Zwischen je 2 benachbarte Finger kommt ein 
steriler Tupfer oder etwas Zellstoff, um Schweissmazerationen der 
Haut zu verhüten. Ist der Daumen mitverletzt, so wird er gesondert 
verbunden. Finger in leichte Beugestellung. Im allgemeinen keine 
Schiene. Nur bei schwersten Verletzungen einen Schusterspan in 
den Verband, welcher Hand und 2. bis 5. Finger im ganzen etwas 
feststellt. 

Die ersten 2 Tage wird meist noch über Wundschmerz geklagt, 
dann nicht mehr. Nach Ablauf einer Woche entfernen wir die Binde, 
den Zellstoff und mit Pinzette und Schere die obersten Lagen des 
Mulls so weit, dass einige Bewegung der Finger, im Sinne der Beu¬ 
gung und Streckung, möglich ist, befehlen dem Verletzten an, die 
Hand zum An- und Auskleiden, sowie zum Essen zu gebrauchen. 
Da die Wunden um diese Zeit schon völlig schmerzlos sind, so haben 
wir damit nie Schwierigkeiten gehabt. Im Gegenteil, die Leute freuen 
sich, das sie so früh zum Gebrauch der Hand kommen und zeigen 
Verständnis dafür, dass die Hand nicht versteifen darf. Die Mull- 
stücke sind um diese Zeit so fest mit der Wunde verbacken, dass 
man bei kleinen Verletzungen und einzelnen Fingern kaum wieder 
eine Binde darüber zu legen braucht. Bei schwerer Verletzung oder 
Beteiligung mehrerer Finger legen wir ganz lose eine Mullbinde 
oder w e i ch e Papierbinde über die festgeklebtcn Mullstücke, so, 
dass grösstmöglicher Bewegungsumfang gewährleistet ist. Die Binde 
soll nur verhüten, dass die Mulistücke durch Zufall losgelöst werden. 
Wichtig ist, dass wiederum 2. bis 5. Finger gemeinsam in die Binde 
genommen werden, nicht jeder Finger einzeln umwickelt. Die Binde 
soll so lose liegen, dass ausgedehnte Bewegungen der Finger, nament¬ 
lich Beugung, durchaus nicht behindert sind. 

Im Laufe der 2. Woche werden die Bewegungen der Finger 
meist schon leidlich. Ist die Hand, wie so oft, geschwollen, so lässt 
man sie etwa vom 12. Tage an vorsichtig massieren. 

Nach 12 bis 14 Tagen lüftet man vorsichtig die Ecken der Mull¬ 
stücke, um die Wunden zu inspizieren, kann sie auch, wenn sie sich 
sehr leicht ablösen, ganz entfernen, aber nicht mit Flüssig¬ 
keit ablösen. Man sieht dann, dass eine Wundsekretion nicht 
stattgefunden hat. Soweit nicht schon volle Vernarbung unter dem 
Schorfe stattgefunden hat, sind die schmalen Wundspalten rötlich 
und bedeckt mit Spuren seröser Flüssigkeit. Kleine Randnekrosen 
sind dunkel und trocken, verklebt mit der lebenden Umgebung. Es 
ist von höchster Wichtigkeit, die eingeleitete 
Vernarbung unter trockenem Schorf weiter zu 
fördern. Deshalb keine Flüssigkeit an die Wunde, auch nicht 
„die Umgebung reinigen“, keine Salbe, kein Höllenstein, sondern 
einfach einen sterilen Tupfer auf die Wunde und ihn mit einer lose 
liegenden Mullbinde befestigen, so dass er nicht abgestreift werden 
kann. Luft muss zutreten, Eintrocknung stattfinden können. Lehr¬ 
reich ist das Beispiel eines jungen Schlossers, der vor einigen 
Wochen in eine Stanze kam. 2. und 3. Finger waren samt den 
Köpfchen der zugehörigen Mittelhandknochen vollkommen zertrüm¬ 
mert, mussten entfernt werden, die Stümpfe der Mittelhandknochen 
geglättet. Adduktorenmuskulatur des Daumens zum Teil sehr ver¬ 
unreinigt, oberflächlich exzidiert; Haut der Vola anscheinend lebens¬ 
fähig, mit 3 Nähten nach dem Handrücken über den Defekt geklappt, 
ohne die Hautränder „zu glätten“; an der Radialseite des Grundgliedes 
des 4. Fingers ziemlich erheblicher Hautverlust, wird mit einer Naht 
zusammen gezogen, so weit das möglich. Spitze des 4. Fingers 
zerquetscht, wird amputiert; volarer Lappen mit einer Naht befestigt, 
so, dass an den Seiten breiter Abfluss. Nach einer VVoche Hand zur 
Bewegung freigegeben. Nach 2 Wochen Wunden grösstenteils p. pr- 
vernarbt; die schmalen Wundspalten mit Spuren, serösen Sekrets 
bedeckt Nach 3 Wochen fast alles vernarbt; noch immer nur 
Spuren serösen Sekretes, keine Eiterung; einige Millimeter breite 
Randnekrose am Lappen trocken, fest mit dem lebenden Gewebe der 
Umgebung verklebt, hat im weiteren Verlauf zur Vernarbung unter 
trockenem Schorf geführt. Wurde seit dem 10. Tage massiert (Hand¬ 
rücken), machte seit dem 15. Tage Uebungen im Mechanikum. vor- 

Original fro-rri 

UNIVERSITtf OF CALIFORNIA 



29. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1219 


sichtig allerdings. Heilung mit idealer Gebrauchsfählgkeit der Hand 
eingetreten. 

Ich kann nicht genug betonen: die Wunden sind 
unter Teerbehandlung fast immer aseptisch, hei¬ 
len unter trockenem Schor : f, wenn man nicht an 
ihnen- rührt, sehr selten Verbände wechselt, der Luft Zutritt ge¬ 
stattet. Charakteristisch ist zweierlei: einmal haben wir nie eine 
Sehnennekrose gesehen, auch wenn die Sehne noch so weit freigelcgt 
war, und <3ie Funktion freigelegter Beugesehnen war fast immer be¬ 
friedigend, in vielen Fällen vollkommen. Bei schweren Verletzungen 
geht häufig die Beugung des Fingerendgliedes verloren. Wenn die 
Behandlung im Mechanikum noch während der Wundbehandlung ein¬ 
setzt, so wird die Funktion meist überraschehml gut. Zürn zweiten 
ist charakteristisch das Verhalten der gequetschten Hautränder. Uns 
allen ist gelehrt worden, Exzision der gequetschten Hautränder sei 
nötig, wenn man glatte Heilung erzielen wolle, und wir haben danach 
gehandelt. Die Teerbehandhmg zeigt, dass diese zerfaserten, wie 
mit einem feinen Wurzelwerk überdeckten Wtindrander durchaus 
lebensfähig sind und glatt miteinander verkleben, wenn Infektion 
ferngehalten wird. Volle Hei hing unter dem Schorf in der gesamten 
Ausdehnung, z. B. einer schwer verletzten Hand, ist ein I-dealergehnis, 
welches bei dem beschriebenen vorsichtigen Vorgehen recht häufig 
ekitritt, vielleicht sogar in der Mehrzahl der Fälle, ln einer Reihe 
von Fällen fangen die Wunden im Laufe der 3. Woche zu granulieren 
an, und sondern dann etwas Eiter ab. wie bei gewöhnlichem Verlauf' 
werden dann etwa jeden 2. Tag frisch versorgt. Interessant ist, dass 
hier und da auch Hautverluste von Quadratzentimctererösse völlig 
unter dem Schorf heilen können, wobei sich dann eine glatte, weiche, 
nicht geschrumpfte Narbe bilden kann. 

Wundinfektionen unter T e e r b e li a n d 1 u n g sind un¬ 
gemein selten. Wir haben in unserem grossen Material rur 3 ge¬ 
sehen, eine örtliche Eiterung bei Lappennekrose an Fingerstümpfen, 
einen sekundären Abszess am Vorderarm und Han r ’nH<en bn euer 
tiefen, sehr verunreinigten Wunde an der Beug-eseit-e des Hand gelen¬ 
kes mit Eröffnung des Gelenkes: hier vereiterte das Gelenk mchf. 
aber es versteifte, während die Funktion der Finger mit Ausnahme 
des 5. Fingers normal wurde, und schliesslich einen Todesfall an 
Erysipelsepsis nach einer schw°ren Verletzung des '.mnz-n A^mes 
durch eine Lumpenzerreissmascbine. Hier war der Verlauf 10 Tage 
etwa glatt, dann Erysipel und Eiterung. 

Zum Schluss eine Bemerkung über kurze Finger- 
stümpfe. Seit etwa 20 Jahren lehre ich treimm Assistenten, bei 
Fiugeramputationen in jedem Falle die Beiigesehuen mit der Streck¬ 
sehne zu vernähen, um eine gute Funktion zu gewährleisten. Ver¬ 
näht man die Beuge- und Strecksehne rieht !mte)fr n 'Lr. so ist es 
ein Zufall, wenn die Beugefunktion erhalten bhiht. Früher 'habe ich 
nun bei FingerzerouetscTmneen. wenn der distale Teil der Ornnd- 
glted-es noch zertrümmert war. stets den Finger exarFkuliert. well 
ich der Meinung war. dass so kurze Stümnfe doch kernen Nutzen 
gewähren könnten. Die Erfahrung hat mich anders beV'-rt Es 
lohnt, solche Stümpfe zu erhalten, selbst wenn nur die Hälfte des 
Grundgliedes ührig bleibt, also der volare Hnnflarmen seine Basis 
an der queren Falte auf der Beugeseite hat. Vernäht man Bcugc- 
mit StreCksehne. so wird der Stimmt psenFsrhe FL Our" voraus¬ 
gesetzt. normal beweglich und erhöht, gerade für grobe Arbeit, die 
Kraft der Hand in erheb liebem Umfange gegenüber den Fällen von 
Exartikulation. Vielleicht handeln andere ebenso. Ich weiss es 
nicht. In der Literatur hat meines Wissen« rinn Erörterung dieses 
Punktes nicht stattgefunden. Deshalb wollte ich ihn erwähnt haben. 


Zur Prognose der Bauchschüsse. 

Von Dr. F. Feder Schmidt, Assistent an der chir. Klinik 
Göttingen, zurzeit Oberarzt d. L. 

In der Münch, med. Wochenschr. 1918 Nr. 8 habe ich in einer 
Abhandlung „über die Prognose der Bauchschüsse im Felde“ dar¬ 
gelegt dass die Mortalität der Bauchschüsse trotz operativer Be¬ 
handlung eine recht hohe ist, wenn die Gesamtzahl der in den vor¬ 
dersten Sanitätsformationen eingelieferten Bauchschussverletzungen 
in Berechnung gezogen wird und auch jene schwersten Fälle Berück¬ 
sichtigung finden, bei denen von vornherein ein operativer Eingriff 
nicht mehr in Frage kommt 

Unserer Berechnung lagen zugrunde 179 echte Bauchschüsse 
(Schussverlezungen des intraperitoneal gelegenen Magendarm¬ 
kanals). die wir bei der Sanitätskompagnie unter günstigen äusseren 
Bedingungen zu behandeln Gelegenheit hatten. Von diesen waren 
63 Fälle als inoperabel exspektativ behandelt mit einer Mortalität von 
100 Proz., 116 Fälle waren laparotomiert mit einem Hcilungserfolg 
von 45,7 Proz. , 

Bei Berücksichtigung der Gesamtzahl der eingeliefcrtcn Bauch¬ 
schüsse ergab sich eine Mortalität von 69.8 Proz. 

Es ist uns nun mehrmals der Einwurf gemacht worden, dass bei 
absolut exspektafiver Behandlung der Bauchschüsse sich die Mor¬ 
talität derselben nicht wesentlich ungünstiger gestalten würde. 

Unsere letzten Erfahrungen sind geeignet, diesen Einwurf ohne 
weiteres zu entkräften. 

Während etn-er Grosskampf Periode war es uns aus äusseren 
Gründen nicht möglich, die eingelieferten Bauchschussverletzten 

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einer operativen Behandlung zu unterziehen, sondern wir mussten 
uns notgedrungen ihnen gegenüber exspeküativ verhalten. 

In dieser Periode kamen 30 Bauchschussverletzte zur Ein¬ 
lieferung. Alle 30 starben. 

Dabei lagen keinesfalls in allen Fällen sehr schwere Bauch¬ 
verletzungen vor. Besonders unter den 12 Fällen von Infanterie¬ 
geschossverletzungen waren mehrere mit anscheinend leidhterer Ver¬ 
letzung des Magen-Darmkanals, bei denen der günstige Verlauf in den 
ersten Tagen nach der Verwundung eine Spontanheilung erhoffen 
Tiess, bis die sich ausbreitende Peritonitis ihr Opfer forderte. 

Von den Bauchschussverletzten starben 13 am Tage der Eiu- 
Iieferung, 3 am 2., 6 am 3.. 3 am 4. und je einer am 5. und 6. Tage 
nach der Einlieferung. 

Diese trostlose Erfahrung, die uns durch die Ungunst der Ver¬ 
hältnisse aufgezwungen wurde, zeigt klar d-ie Haltlosigkeit des prin¬ 
zipiell exspektativen Standpunktes den Bauchschüssen gegenüber 
und erweist die Richtigkeit der Behauptung, dass allein die opera¬ 
tive Behandlung das Schicksal der Bauchsdiussveiietzten zum 
Günstigen zu wenden vermag. 

Mit ganz besonderem Nachdruck macht die Forderung einer 
operativen Behandlung der Bauchschüsse die Tatsache geltend, dass 
— wenigstens im Bewegungskrieg — diese Schussverletzung die 
meisten unmittelbaren Opfer fordert. 

In der betreffenden Arbeitsperiode ereigneten sich in unserem 
Lazarett 68 Todesfälle. Von diesen waren allein 30 durch Bauch¬ 
schuss bedingt. An zweiter Stelle standen die Lungenschüsse mit 
16 Todesfällen, 10 Todesfälle waren durch Extremitäten-, 9 durch 
Kopfverletzung bedingt, in 2 Fällen lagen anderweitige Ver¬ 
letzungen vor. 


Aus dem Hygieneinstitut der Universität Greifswald. 

Ueber die Schaffung einer staatlichen Zentralstelle 
zur Züchtung von Versuchstieren. 

Von E. Friedberger. 

Im Jahre 1909 wies ich an anderer Stelle 1 ) auf die Notwendigkeit 
der Errichtung einer staatlichen Zentralanstalt zur Züchtung von 
Versuchstieren hin. loh schrieb damals: 

„Seit einer Reihe von Jahren wird die experimentelle Forschung 
durch einen grossen Mangel an Versuchstieren unnötig erschwert. 
Auch ist allmählich dadurch eine solche Teuerung für die gebräuch¬ 
lichsten Laboratoriumstiere wie Kaninchen, Meerschweinchen. 
Mäuse etc. gegenüber früheren Jahren eingetreten, dass Institute 
mit beschränktem Etat mehr und mehr iu der Ausführung von Ver¬ 
suchen, die ein grösseres Tiermaterial erfordern, behindert sind. 
Dabei wird der Verbrauch an Versuchstieren immer grösser. Schon 
Jetzt vermag offenbar das Angebot mit der Nachfrage nicht mehr 
Schritt zu halten, weitere Pr esst ei gerungen sind die nötige Folge. 

Die Züchtung der nötigen Versuchstiere durch die einzelnen 
Institute selbst stösst in der Regel auf grösste Schwierigkeiten. Aus¬ 
reichende Ställe sind meist nicht vorhanden: auch fehlt es a-n Hilfs¬ 
personal. und endlich ist es selbst bei einer grösser angelegten Zucht 
nicht immer möglich, im augenblicklichen Bedarfsfälle genügend Tiere 
von entsprechender Beschaffenheit zur Verfügung zu haben. 

Wenn unter diesen Umständen die experimentelle Forschung nicht 
erschwert und teilweise ganz unterbunden werden soll, so ist liier 
Abhilfe dringend geboten. 

Es wäre wohl das zweckmässieste, dass von Staats wegen eine 
Spezialanstalt zur Züchtung von Versuchstieren geschaffen würde, 
die zum Selbstkostenpreis die Lieferung an die einzelnen wissen¬ 
schaftlichen Institute ausführen könnte.“ 

Leider ist seinerzeit diese Anregung unbeachtet gebPeben. Aber 
die jetzige Zeit erfordert es noch gebieterischer, auf die Schwierig¬ 
keiten hinzuweisen, die sich hier allmählich herausgebildet haben und 
die noch in stetem Wachsen begriffen sind. 

Als ich im Jahre 1999 zum ersten Male über diese Frage schrieb, 
kosteten Meerschweinchen 1 Mark. Kaninchen 2—3 Mark, Mäuse 
20 Pfennig: heute sind alle diese T ; ere selbst für den zehn- b\s 
fünfzehnfachen Preis kaum zu haben. Ein Sinken der Preise im freien 
Handel ist angesichts der sicher vermehrten Nachfrage auch im 
Frieden zunächst nicht zu erwarten, eher noch eine weitere Preis- 
st ehr er urig. So wird, wenn nichts gegen diese hohen Preise ge¬ 
schieht. nach dem Krieg das experimentelle Arbeiten mit Tieren bald 
nur das Privileg einiger besonders reich dotierter Institute oder mit 
reichen Privatmitteln versehener Forscher sein: und selbst für den 
medizinischen Unterricht wird es schwer fallen die didaktisch so 
wichtigen Tierversuche in genügender Zahl zu demonstrieren. 

Der Mangel ist natürlich in «erster Linie durch d ? e Kricgsverhäll- 
nisse bedingt. Zahlreiche kleine Züchter, namentlich von Meer¬ 
schweinchen und Mäusm. haben wegen des Futtermangels d e Zucht 
aufeehen müssen. Kaninchen werden zur menschlichen Ernährung heran- 
gezogen und sind seihst für die notwendigsten- medizinischen- Zwecke 
(Herstellung von diagnostischen Seris usw.) kaum noch zu erlangen. 
Hundt. Katzen, abgesehen von wertvollen Rns«pt!oren. sind längst 
abgeschafft. Andererseits ist die Nachfrage nach Versuchstieren s^hmi 
in den letzten Jahren vor dem Kriege ganz kolossal gestiegen. Nicht 


’) D.m.W. 1909 Nr. 44. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1220 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 44. 


nur der Unterricht und die experimentelle wissenschaftliche For¬ 
schung bedürfen dieses Materials, sondern auch die Praxis, da gerade 
vielfache Ergebnisse der Forschung die Grundlage (geliefert haben für 
praktisch wichtige biologische Reaktionen im Dienst der öffentlichen Hy¬ 
giene und Seuchenbekämpfung. Es sei nur an die forensische Methode 
von Uhlenhuth und Wassermann zum Nachweis von Menschen¬ 
blut und von Nahrungsmittelverfälschungen, an die Syphilisreaktion 
nach Wassermann, an den Tuberkelbazillennachweis durch den 
Meerschweinchen versuch und viele andere biologische Proben, ferner 
an die Gewinnung serodiagnostischer (agglutinierender) Sera von Ka¬ 
ninchen u. a. erinnert, die alle einen grossen, immer steigenden 
Ti er verbrauch bedingen. 

Die Wichtigkeit eines ausreichenden Tiermaterials für die unbe¬ 
schränkte Durchführung derartiger, für unsere Volksgesundheif wich¬ 
tigen Untersuchungsmethocen liegt auf der Hand. Aber nicht nur 
werden hier die bisherigen Methoden, die den Tierversuch er¬ 
fordern, in erfreulicherweise immer weiterer Ausdehnung angewandt, 
sondern es kommen immer wieder neue Methoden hinzu, die des 
Tiermaterials nicht entbehren können, und fortwährend machen auch 
neue Gebiete der Medizin und Veterinärmedizin sich das biologische 
Experiment für praktische Bedürfnisse zunutze. Es sei in 
dieser Richung nur an den jüngst von Straub und Fübner 1 *) 
gemachten, höchst beachtenswerten Vorschlag erinnert, an Pharma¬ 
kologische Institute besondere Abteilungen zur Prüfung der bio¬ 
logischen Wirkung von Arzneimitteln im Tierversuch anzugliedern. 

Aber auch die rein wissenschaftliche theoretische Forschung be¬ 
darf dringend eines uneingeschränkten Materials an Versuchstieren. 
Ist es doch auch gerade in dem Gebiete der experimentellen Medizin 
häufig der Fall gewesen, dass die Ergebnisse einer zunächst rein 
abstrakten theoretischen Fragestellung wichtige Methoden für die 
praktische Medizin ergeben haben. 

Sollen auf die Dauer die im Interesse der Gesundhaltung unseres 
Volkes und mit Rücksicht auf die Seuchenverhütung — und Be¬ 
kämpfung notwendigen Tierversuche überhaupt noch ermöglicht sein, 
soll Deutschland auch seine hervorragende Stelle in der biologischen 
Wissenschaft behaupten, so ist Abhilfe dringend erforderlich. 

Es würde bei den Schwierigkeiten der Futterbeschaffung und 
anderen Umständen noch jahrelang dauern, bis die privaten Klein¬ 
züchter wieder imstande wären, eine der Nachfrage und dem noch 
ständig wachsenden 'Bedürfnis entsprechende Zahl von Tieren zu 
liefern. Aber auch dann wird es schwer sein, Produktion und Nach¬ 
frage immer gegenseitig aufeinander einzustellen. Hier kann nur eine 
( staatliche Zentralstelle Abhilfe' schaffen, die auch gegen¬ 
über den Preistreibereien auf dem Versuchsfiermarkt ausgleichend zu 
wirken vermag*). 

Daneben würde e’he solche Anstalt, wie ich schon in meinem 
früheren Aufsätze hervorgehoben habe, noch die Sicherheit bieten, 
dass stets neire, nicht schon zu anderen Zwecken gebrauchte Tiere 
den Instituten geliefert würden, dass für Versuche, die an verschie¬ 
denen Orten über die gleiche Frage ausgeführt werden, jeweils Tiere 
der gleichen Rasse und Abstammung benutzt werden könnten usw. 

Ich habe auch schon früher darauf hingewiesen, dass es mit dem 
reichen Material und den Erfahrungen, wie sie ein derartiges Institut 
bald gewinnen würde, ferner möglich wäre, im allgemeinen die zur 
bald gewinnen würde, die bei Versuchstieren spontan vorkommenden 
Seuchen und andere Krankheiten näher zu studieren, ferner im allge¬ 
meinen die zur meinen di* zur Zucht günstigen Bedingungen festzu¬ 
stellen, die für gewisse Versuchszwecke geeignetsten Rassen ausfindig 
zu machen und deren Züchtung besonders zu betreiben. Auch das er¬ 
scheint unbedingt erforderlich. Das kurzhaarige, kurzohrige deutsche 
Landkaninchen z. B., das wegen seiner Widerstandsfähigkeit für 
Tierversuche, speziell für Immunisierungen, besonders geeignet ist. st 
mit der immer weiteren Einführung der mH Rücksicht auf die Fleisch- 
und Fellgewinnumg hochgezüchteten Rassen bei uns schon so gut wie 
ausgstorben. 

Jene Edelrassen aber eignen sich wegen ihrer geringen Wider¬ 
standskraft bei weitem nicht in gleicher Weise für Tierversuche. Die 
für diese Zwecke geeigneten Rassen zu erhalten und auch die 
Züchtung neuer, speziell für Versuchszwecke geeigneter. Kreuzungen 
und Spielarten vorzunebmen, dazu ist der kleine Einzdzächtet natür¬ 
lich nicht imstande. Auch das vermag nur eine staatliche Zentral¬ 
stelle. 

Wenn an einer solchen Steile genügende Mengen von Tieren 
stets vorrätig sind, so haben es die einzelnen Institute nioht mehr 
nötig, selbst e : nen grösseren Vorrat von Tieren für den Bedarfsfall 
zu halten und durebzufüttern, sondern können immer die gewünschte 
Menge von der Zentralstelle beziehen. Das bedeutet aber zugleich 
eine erhebliche Ersparnis an Räumen, Futter, Bedienung usw. für 
diese Institute. 

Neben der geplanten Zentralstelle wird natürlich auch wie bisher 
die Kleinzüchterei bestehen und namentlich für kleine Grundeigen¬ 
tümer. für Invalide usw. nach dem Kriege eine sichere und bequeme 
Einnahmequelle bieten können. Dann könnte die Belieferung der¬ 
artiger Leute mH geeigneten Zuchttieren und die Uebernahme 
bzw. Weiterleitung des Nachwuchses an die Abnehmer wiederum 

J *) Ebenda 1918 Nr. 37. 

2 ) Tatsächlich liegen dOe Verhältnisse heute vielfach so. dass 
einzelne Grosshändler die spärlichen Bestände bei den Kleinzüchtern 
aufkaufen' und dadurch die Preise vollkommen beherrschen. 


durch Vermittlung der Zentrale erfolgen, die so in gleicher Weise 
regelnd auf die Produktion wie auf die Preisbildung wirken kann. 

Endlich aber möchte ich auch noch anregen, dass grössere 
Grundbesitzer als Mäzene der Wissenschaft mit Rücksicht auf das 
erhebliche öffentliche Interesse sich der Kleintierzucht annehmen und 
das Tiermaterial den Instituten zur Verfügung stellen. So hat 
z. B. die berühmte französische Schauspielerin J udic auf ihrem Gut 
eine grosse Mäusezucht eingerichtet und überlässt diese T^ere dann 
kostenlos einer Reihe von medizinischen Instituten, die so ihren ge¬ 
samten Bedarf decken. Dieses Beispiel sollte auch bei uns Nach¬ 
ahmung finden. 

Damit über den annähernden Jahresverbrauch an Versuchstieren 
zablenmässige Unterlagen gewonnen werden können, bitte ich zum 
Schluss die wissenschaftlichen Institute, Untersuchungsämter usw. 
höflichst um Mitteilung ihres ungefähren Jahresbedarfes an den ver¬ 
schiedenen Arten von Versuchstieren unter Friedensverhältnissen. 

Die „elastische Blutsperre“, ein neues Gerät zur 
Erzeugung der Es mar ch sehen Blutleere. 

Von Dr. M. Haedke, leitendem Arzt des städt. Kranken¬ 
hauses in Hirschberg i. Schles., zurzeit landsturmpfl. Arzt in 
einem Feldlazarett. 

Zur Erzielung der Blutleere stehen uns ausser den beiden klas¬ 
sischen Mitteln des genialen Erfinders, dem Gummischlauch und der 
Gummibinde, verschiedene neuere Geräte zur Verfügung: das aus¬ 
gezeichnete Perthes sehe Kompressorium, die Heule sehe Binde, 
die Sehrt sehe Klammer. Alle haben ihre Vorzüge und ihre Nach¬ 
teile, so dass, zumal in der jetzigen Zeit grösster Gummiknappheit, 
das Suchen nach einem die Mängel der verschiedenen erwähnten 
Muster vermeidenden Gerät berechtigt scheint. Seit länger als 
Jahresfrist habe ich im Felde, wie im Krankenhausc, ein Instrument 
verwendet, das, in anderer Weise als die bisher gebräuchlichen 
gebaut, sich so bewährt hat, dass ich es den Fachgenossen zur 
Nachprüfung empfehlen kann. 

Das Gerät wirkt durch elastischen Druck. Dieser wird erzeugt 
durch zwei federnde, 2 cm breite Stahlbänder, welche um den be¬ 
treffenden Gliedabschnitt herumgelegt und in zweckmässiger Weise 
aneinander befestigt werden. Entsprechend dem bedeutenden Unter¬ 
schiede an Umfang und dem zu überwindenden Widerstande der 
zusammenzudrückenden Muskelmassen werden für Arm und Bein 
zwei verschiedene Muster benutzt (wie bei der S e h r t sehen Klam¬ 
mer), die sich durch Verschiedenheit der Länge, Stärke und des 
Verschlusses unterscheiden. 

Die „elastische Blut¬ 
sperre“ für den Ober¬ 
arm besteht aus zwei 
je 2 cm breiten und 
30 cm langen, elasti¬ 
schen, federnden Stahl¬ 
bändern (Schienen). An 
dem einen Ende der 
einen Stahlschiene sind 
sowohl am Querrande, 
wie an den Seiten¬ 
rändern, im ganzen 
drei schmale, haken¬ 
förmig über die Fläche 
greifende, laschenarti¬ 
ge Vorsprünge ange¬ 
bracht. In diese hinein 
kann das eine Ende der 
2. Schiene, Fläche auf 
Fläche, gestellt werden, 
so dass das min zum 
anr.immt. 

Soll das Gerät am Oberarm angelegt werden, so biegt man 
die Stahlbänder etwas auseinander, legt den Arm tief in den von 
den beiden Schienen gebildeten Winkel hinein und biegt die elasti¬ 
schen Bänder über dem Gliedumfang gegeneinander, bis zur Be¬ 
rührung. Eine von der Kante her über beide Stahlbänder geschobene 
Klammer mit verstellbarer Tellerschraube hält diese in der ge¬ 
wünschten Lage fest. Der auf die Masse des Gliedes ausgeübte 
Druck ist vermöge der Federkrait der Stahlbänder ein elastischer und 
seine Stärke kann dadurch noch geregelt w r erden, dass man die fest¬ 
stellende Klammer näher oder w eiter vom Gliede festschraubt. Diese 
Regulierung des eben nötigen Druckes ist ausserordentlich bequem, 
da sich hierdurch Schädigungen der Nervenstämme unter allen 
Umständen vermeiden lassen, die übrigens an sich schon durch die 
Breite der Druckfläche unwahrscheinlich sind. Es ist wünschens¬ 
wert, das Gerät derart an den Oberarm anzulegen, dass die grossen 
Gefässe von dem vollen Druck der elastischen Schienen erfasst wer¬ 
den, d. h. man wird also zweckmässig die Anlegung so vornehmen, 
dass das Gerät den Arm von beiden Seiten her in der Pfeilrichtung 
umfasst. 

Die elastische Blutsperre für den Oberschenkel ist grundsätzlich 
ebenso gebaut wie die für den Oberarm, nur ist die Vereinigung der 



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29. Oktober 1918. 


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beiden Schienen eine andere. Statt der Vorrichtung zum Ineinander- 
stccken tragen die elastischen Stahlbänder, die im übrigen kräftiger 
sind, als für das Oberarmgerät, eine Einrichtung zum Verhaken. 
Dieselbe besteht in einer an je einem Ende jeder Schiene angebrach- 
brachten rechtwinkligen Abknickung. Von den 2 cm langen Winkel¬ 
enden trägt das eine einen Schlitz, das andere einen Haken. Beide 
Schienen werden auf diese Weise ineinandergehakt und im übrigen 
bei der Anlegung behandelt wie am Oberarm. Durch diese Einrich¬ 
tung wird eine Störung in der Lagerung des auf dem Operations¬ 
tische ruhenden Beines durch die vorspringende Schienenvereinigung 
vermieden. Bei der Anlegung ist auch hier darauf zu achten, dass, 
entsprechend dem Verlauf der grossen Oefässe der Druck der Stahl¬ 
bänder von innen oben erfolgt. 



Um die elastische Blutsperre auch für die Zwecke der Stauung 
des Blutes nutzbar machen zu können, befindet sich an dem zweiten 
Ende der einen Stahlschiene eine Kette, an dem entsprechenden Ende 
der zweiten Schiene ein Haken. Mit Hilfe dieser Sperrvorrich¬ 
tung ist es möglich, jede gewünschte Form der venösen Stauung 
zu erzeugen, indem man den elastischen Druck nur in leichtem Aus- 
mass wirken lässt und ihn durch die Feststellung der Schienen in 
der entsprechenden Lage mit Hilfe des Kettchens zu einem dauernden 
macht. 

Es ist also mit dem Gerät sowohl die volle Aufhebung des Blut¬ 
stroms für chirurgische Eingriffe zu erreichen, als auch eine Stau¬ 
ung, wie man sie zur Venenpunktion oder zur Hyperämiebehandlung 
haben will. Zu allen diesen Zwecken hat das einfache und hand¬ 
liche Gerät mir und meinen Mitarbeitern im Felde und in der Heimat 
wertvolle Dienste geleistet. Ausserordenlich angenehm ist die Mög¬ 
lichkeit, sehr schnell und ohne die bei Gummischlauch und Gummi¬ 
binde so lästige Störung in der aseptischen Abdeckung des Opera¬ 
tionsfeldes während eines operativen Eingriffs die Blutzufuhr ein¬ 
schalten und ev. wieder unterbrechen zu können. Auch ungeübte 
Hilfskräfte, wie sie im Felde oft nur zur Verfügung stehen, sind 
schnell mit der Bedienung während der Operation vertraut. Der 
Druck des Geräts wurde infolge seiner breiten Angriffsfläche nie als 
lästig empfunden, was ganz besonders gegenüber der Sehrtschen 
Klammer und den neuen Spiralschläuchen auffiel, die beide häufig 
zu erheblichen Klagen Veranlassung geben. Eine Nervenschädigung 
ist daher auch niemals vorgekommen. 

Als ein wesentlicher Vorzug des neuen Geräts muss hervor¬ 
gehoben werden, dass es in allen seinen Teilen keimfrei zu machen 
ist. Infolgedessen kann es mit Bequemlichkeit auch bei hohen Ampu¬ 
tationen verwendet werden, wo die Schnittführung bis an die Blut¬ 
sperre herangeführt werden kann. Ich habe die Anwendung des Ge¬ 
räts in solchen Fällen mehrfach als grosse Annehmlichkeit empfun¬ 
den. In dieser Beziehung ist es ausser der Henlebinde allen andern 
Blutstromunterbrechern überlegen. 

Für die Aufbewahrung wird das Gerät auseinandergenommen 
und die beiden Schienen werden, parallel gelagert, durch die Klam¬ 
mer zusammengehalten. In dieser Weise verpackt, beansprucht es 
wenig Raum und kann in jeder Instrumententasche, Sanitätskolonnen¬ 
kasten u. dgl. untergebracht werden. Dass es nicht wie Gummi¬ 
binden mit der Zeit dem Verderben auch bei Nichtgebrauch aus¬ 
gesetzt ist, dürfte es auch für den allgemeinen Gebrauch in der 
Praxis und in Sanitätsausrüstungen nur empfehlen. 

Die elastische Blutsperre ist gesetzlich geschützt und wird von 
der Firma Hermann Härtel, Breslau, Weidenstrasse, angefertigt. 

Zusatz bei der Korrektur: Die inzwischen von Bran¬ 
denstein in dieser Wochenschrift bekanntgegebene Klammer ent¬ 
spricht ziemlich genau dem Instrument von Sehrt. Ein wesent¬ 
licher elastischer Druck kann durch sie auch kaum erreicht 
werden. 


Aderpresse als Ersatz der Esmarchsehen Binde. 

Von Dr. Brandenstein, Berlin-Schöneberg, zurzeit Chirurg 
an einem Reservelazarett. 

In Nr. 21 der M.m.W. 1918 machte ich auf eine Aderpresse auf¬ 
merksam, welche sich mir im Laufe der Zeit ausserordentlich be¬ 
währt hat. Ich deutete jedoch an, dass einige Aenderungen noch 
wünschenswert seien. 

In letzter Zeit habe ich mich weiterhin mit dem Prinzip der 
Abschnürung von Extremitäten durch entsprechende Apparate be¬ 
schäftigt und u. a. eine Aderpresse konstruiert, die ich sehr empfehlen 
zu können glaube. 

Es handelt sich, wie aus der Abbildung leicht ersichtlich, ledig¬ 
lich darum, einen an einem Bügel befestigten Gurt, welcher der be¬ 
treffenden Extremität in querer Richtung aufliegt, um das Glied herum¬ 
zulegen, unter der Gabel des Bügels herumzuführen und an einem mit 
dem Bügel gelenkig verbundenen Hebel nach festem Anziehen an¬ 
zuhaken. Durch Drehen des Hebels erfolgt dann ein weiteres An¬ 
ziehen des Gurtes und damit die Abschnürung. Eine Sperrvorrichtung 
ermöglicht jederzeit eine Arretierung des Hebels, desgleichen kann 
die Sperrung leicht wieder gelöst werden 

Ich habe versucht, den Gurt durch einen elastischen zu er¬ 
setzen, bzw. mittels Spirale die Elastizität herzustellen, habe mich je¬ 
doch von einem besonderen Vorteil nicht überzeugen können. 



Auch bei Anlegen dieser Aderpresse wird das betr. Glied keinen 
Augenblick aus der Lage gebracht. Der Operateur wird bei festerem 
Anziehen oder Lösen der Aderpresse nicht belästigt. Auch hier hat 
man es vollkommen in der Hand, den Blutzufluss nach Belieben zu 
rcgulieien. Irgendwelche Schädigungen sind auch durch den Ge¬ 
brauch dieser Aderpresse nicht beobachtet worden. 

Der Vorte : l gegenüber der in der früheren Wochenschrift an¬ 
gegebenen Klemme besteht hauptsächlich darin, dass man mit eine m 
Instrument sowohl bei ganz dicken, als auch bei dünnen Extremitäten 
auskommt und dass man nicht genötigt ist, es schon vor der Operation 
anzulegen, ferner in der überaus einfachen Herstellungsmöglichkeit, 
sowie* in der geringen Grösse, die es gegebenenfalls gestattet, das 
Instrument bequem in der Tasche zu tragen. 

Zu beziehen durch: Medizin. Warenhaus, Berlin, Karlstr. 31. 


Aus dem Reservelazarett Zweibrücken 
(Chefarzt: Oberstabsarzt Dr. Fab er). 

Simulation bei der Nierenfunktionsprüfung. 

Von Ldstrm.-Arzt Dr. Bamberger-Kissingen, ord. Arzt 
der Beobachtungsstation. 

Verschiedene Veröffentlichungen der letzten Zeit zeigen, dass 
auch auf dem Gebiete der Simulation neue Methoden entdeckt 
werden. So gab z. B. ein österreichischer Autor an, dass Fälle be¬ 
obachtet wurden, bei denen Gelenkschwellungem durch subkutan ein¬ 
gespritztes Petroleum hervorgerufen wurden! 

Als Novum auf dem Gebiete der Simulation darf wohl eine 
Beobachtung gelten, die ich jüngst bei- einer Nierenfunktionsprüfung 
machte; sie mahnt uns, das Resultat des Wasserversuches mit einer 
gewissen Vorsicht zu bewerten, um keine falschen Schlüsse zu ziehen. 

In der Sache selbst handelt es sich um einen Rentenfall, der 
wegen zweifelhafter Nephritis der Station überwiesen wurde. Es 
erschien befremdlich, dass die ersten drei halbstündigen Portionen 
vollkommen ausgefallen waren, mit Beginn der vierten halben Stunde 
aber als erste Portion 650 ccm ausgeschieden wurden. Ich liess den 
Versuch am nächsten Tage wiederholen. Da abermals die ersten 
drei Portionen ausfielen, Hess -ich einen schon vorher ausgekochten 
Katheter bringen und holte aus der Blase 550 ccm Urin. Der Patient 
bekam angesichts dieses überraschenden Resultates einen roten Kopf 
und entschuldigte sich auf meine Vorwürfe damit, dass es ihm un- 


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möglich gewesen sei, den Urin zu lassen. Das Gegenteil davon konnte 
ihm natürlich nicht bewiesen werden; aber die Angabe dürfte wohl 
kaum glaubhaft erscheinen, da er nie über Miktionsbeschwerden ge¬ 
klagt hatte. 

Die Simulation könnte auch in der Weise vor sich gehen, dass 
der Prüiling bei Abgabe der einzelnen Portionen nur einen Teil des 
gebildeten Harns entleert und am Schluss eine grössere Menge 
„Residualharn“ in der Blase zurückbChält. 

Nachtrag. Bei einer Funktionsprüfung der letzten Tage er¬ 
lebte ich wieder denselben Fall: Der Wasser versuch begann um 
f§8 Uhr. Als um 9 Uhr noch immer kein Urin entleert worden war, 
wurde der Katheter eingeführt, der 950 ccm Urin entleerte. Wenn 
solche Dinge Vorkommen, muss die These ausgesprochen werden, 
dass die modernen Funktionsprüfungen für militärische Zwecke voll¬ 
kommen unbrauchbar sind. Bei allen Funktionsprüfungen ist das 
Hauptgewicht zu legen 1. auf die Eiweissausscheidung in der Ruhe, 
nach Belastung der Niere durch Bewegung, Diät und Einwirkung 
kalter Prozeduren. 2. auf die Mikroskopie des Sediments. 

Selbstverständlich sind auch die Versuche der Konzentrations- 
erhöhung nach 36 ständiger Trockenkost mit demselben Misstrauen 
zu verwerten, wenn sie nicht unter strengster Klausur bei absolut 
vertrauenswürdigem Pflegepersonal ausgeführt werden können. 

Aus einem bayerischen Lazarettzug. 

Wundverbände für den Transport. 

Von Dr. Neger, Oberstabsarzt d. R. 

Durch die Art der derzeit zur Verfügung stehenden Verband- 
mittel (Papierbinden, Zellstoff) wird häufig der sichere Sitz der 
Verbände, zumal am Rumpf und in der Nähe grosser Gelenke, vor 
allem aber beim Transport gestört. 

So findet man.nach Beladung der Lazarettzüge, dass viele Ver¬ 
bände sich verschoben haben, die Wunden liegen unbedeckt oder 
nur von nichtsterilen Teilen des Verbandes bedeckt da; ein wenig 
erfreulicher und doch durchaus vermeidbarer Anblick. 

Trotz des gleichen Verbandmaterials halten aus manchen La¬ 
zaretten stammende Verbände genau so fest wie früher und während 
im Lazarettzug gleich nach Zugang aus bestimmten Lazaretten 
stammende Verbände fast ausnahmslos zu erneuern sind, braucht 
man sich um aus anderen Lazaretten stammende Verbände gar nicht 
zu kümmern. 

Das sind diejenigen Lazarette, welche sich genau an die Vor¬ 
schriften v. Oettingens halten und die die Wunden direkt be¬ 
deckenden Gazelagen durch Mastisolanstrich fixieren. Dann kann 
auch einmal die Papierbinde nachgeben oder reissen, die Wunde 
selbst bleibt ruhig und die Sekretion bleibt gering, die Verwundeten 
haben keine Beschwerden. Also im Interesse dieser und auch der 
Materialersparnis bei bevorstehenden Transporten: Fixierung 
der der Wunde direkt a u f 1 i e g e n d e n Gaze streifen 
durch Mastisolanstrich ev. mittelst eines Oettingen- 
schen Gazeschleiers. 

Auch die Papierbinden halten viel besser, wenn sie über Haut¬ 
steilen, die mit Mastisol leicht überstrichen sind, gelegt werden. 

Voraussetzung allerdings ist, dass das Mastisol oder sein Ersatz 
wirklich gut klebt. _ 

lieber den Einfluss klimatischer Elemente auf die 
Psyche des Soldaten im Orient 

Von Dr. Hans v. Hentig, München. 

Wie die atmosphärischen und tellurischen Verhältnisse über¬ 
seeischer Kriegsschauplätze auf die Psyche des Einzelnen wie den 
moralischen Status des ganzen Heeres wirken, ist in Deutschland 
niemals zum Gegenstand einer näheren Betrachtung gemacht worden; 
ein solcher Versuch konnte auch schwerlich unternommen werden, 
da eigenes Erfahrungsmaterial etwa aus dem China„feldzug“ oder 
dem Hereroaufstand zu spärlich war. Auch jetzt noch muss die 
Fortdauer des Krieges unseren Ueberlegungen eine gewisse Ein¬ 
schränkung auferlegen. 

Das Gebiet der geopsychischen Erscheinungen ist immer noch 
wenig betretenes Land. Lombroso, Aschaffenburg und 
ich haben die Konnexe zwischen Kriminalität und Wetter wie Klima 
untersucht, Dexter und Berliner sind den allgemeinen Zu¬ 
sammenhängen nachgegangen, Hellpach hat dem Gesamtkomplex 
der Fragen einen entscheidenden und glücklichen Anstoss gegeben. 
Das ist ungefähr alles. 

Der Einfluss des Klimas auf das Seelenleben des Soldaten ver¬ 
spricht auch für eine naturgemässe flüchtige Untersuchung deshalb 
besondere Ergebnisse, weil stark verflachte psychische Phänomene 
sich in der Vergrösserung der Menge leichter bemerkbar machen. 
Die Menge wirkt hier wie ein Katalysator. Weiter aber bilden die 
strengen Verhältnisse der militärischen Disziplin ein besonders 
scharfes Reagens, das der Analyse psychischer Veränderungen 
zugute kommen muss; schliesslich muss der durch militärische Gründe 


gebotene brüske Uebergang von Europa in eine andere klimatische 
Zone die Akklimatisationserscheinungen verstärken. • 

Die germanische Rasse reagiert am sensitivsten auf klimatische 
Einwirkungen; man sieht den Unterschied sehr deutlich, wenn man 
Soldaten aus der europäischen Türkei, etwa Griechen oder Albaner, 
ja wenn man deutsche Soldaten oder Offiziere mit semitischem Blut¬ 
einschlag in subtropischen Tiefebenen, wie dem Jordantal mit Leuten 
germanischer Abstammung vergleicht. Sowohl die groben körper¬ 
lichen Störungen erscheinen abgeschwächt, das psychische Bild ist 
ein anderes, die Akklimatisationsperiode ist abgekürzt. Aber diese 
Unterschiede müssen einer ausführlichen späteren Untersuchung Vor¬ 
behalten bleiben; nur die Veränderungen der Psyche des deutschen 
Soldaten können hier angedeutet werden. 

Sowie die landschaftlichen und ethnographischen neuen Reize 
ihre Wirkung verloren haben, bemerkt der aufmerksame Beobachter 
schon auf der Reise bei der Truppe eine gewisse unruhige Erregung. 
Sexuelle Ausschreitungen machen sich breit, wenn der Führer die 
Leute nicht gründlich beschäftigt und ermüdet. Die Leute werden 
streitsüchtig, die Vorgesetzten überraschen sich selbst bei Anwand¬ 
lungen ungewohnter „Knalligkeit“. Das Selbstgefühl ist erheblich 
gesteigert, iiir den Eingeborenen, selbst wenn es Rassen alter Kultur 
sind, bürgern sich Spitznamen überhebender Art ein, die sich nicht 
ausrotten lassen. Das Schlafbedürfnis ist gesteigert, das Bewegungs¬ 
bedürfnis herabgesetzt. Das Traumleben ist mit bizarren Gestal¬ 
tungen angereichert; Polyurie stört den schon an sich unruhigen 
Schlaf, allerdings nicht in so ausserordentlich lästigem Masse wie 
beim osmanischen Soldaten. 

Verpflegungsfragen machen sich überwertig geltend, als hätten 
Verarinungs- und Verhungerungsideen von ihnen Besitz ergriffen; 
so sieht man bei nicht wenigen Deutschen die geradezu religiöse 
Andacht, mit der der türkische Soldat an sein Mittagsmahl geht. 

Dagegen ist cs auffällig, wie leicht in Haltung und Kleidung, 
manchmal auch in Reinlichkeit eine erhebliche Vernachlässigung ein- 
tritt. Der ganze militärische „Tonus“ schwächt sich schnell ab, 
wenn der Vorgesetzte nur im geringsten in den Ansprüchen an sein 
Aeusseres und die Strammheit der Untergebenen nachlässt. 

Leute mit Andeutungen von Pseudologia phantastica beginnen 
in ganz unwahrscheinlicher und unnötiger Weise die Unwahrheit zu 
sagen. Die erregte Phantasietätigkeit spielt mit häufig unmöglichen 
Vorstellungen von Beförderungen und Auszeichnungen; herbe Ent¬ 
täuschungen sind die Folge. Bei manchen Soldaten macht sich, wohl 
auf Grund des gesteigerten Selbstgefühls, ein ungewöhnlich lebhaftes 
Gefühl des Neides und der Gekränktheit bei Auszeichnungen Dritter 
bemerkbar. 

Der Fatalismus des orientalischen Milieus greift leicht auf 
moralische Dinge über. Die Charakterveränderung, die an Alexander 
dem Grossen schon von Babylon an beobachtet wurde, die Ver¬ 
schiebungen in Denkweise, Sitten und Tracht, die den Kreuzrittern 
schon nach wenigen Jahrzehnten an ihren in Palästina gebliebenen 
Landsleuten, den poulains, auffiel, kommt bisweilen zur Beobachtung. 
Leute, die Anlage zur Selbstzucht haben, sehen ihren Egoismus nicht 
so selten in unerträglicher Weise wachsen. Während die Schlaf¬ 
störungen sich meist ausgleichen, die motorischen, vor allem die 
erotischen Erregungszustände häufig nach einigen Monaten ab- 
klingen, sind es diese ungünstigen Charakterveränderungen, die sich 
immer mehr konsolidieren, zwar in ihren Erscheinungsformen wech¬ 
seln, vorsichtiger, raffinierter werden, aber nicht verschwinden, ja 
sich in einzelnen Fällen in das Gebiet der Kriminalität hinein- 
erstrecken. 

Jede unnötige muskuläre Anstrengung auf dem Marsche oder 
im Gefecht ist eine gefahrvolle Mehrbelastung für den wärme¬ 
regulatorischen Apparat des Einzelnen. So mag sich die instinktive 
Neigung der Truppe für alle die Führer erklären, die für Verpflegung, 
Schlaf, Unterkunft und Hygiene der Leute mehr als für die eigenen 
Bedürfnisse sorgen und gleichzeitig durch sachgemässe Verwendung 
tierischer und maschineller Transportmittel den Mann von jeder 
nicht unbedingt notwendigen Muskelarbeit entlasten. Diese Zu¬ 
neigung geht weit über das hinaus, was wii* als das erfreuliche Ver¬ 
hältnis zwischen einer braven Truppe und einem ordentlichen Führer 
von europäischen Fronten kennen. Alle Taten der grossen orien¬ 
talischen Herrscher werden verständlich, wenn man sieht, welch ein 
Uebcrmass von Vertrauen draussen die Truppe dem Führer ent¬ 
gegenbringt, auf dessen Erfahrung, Integrität und Entschlossenheit 
sic sich verlässt. 

Ganz junge ülfizierc, ebenso wie ganz jugendliche Mannschaften 
sind für den Krieg im Orient nicht geeignet. Sie pflegen mit einem 
Uebcrmass von Illusionen anzutreten und sind allzu schnell enttäuscht. 
Aber auch zu alt darf kein Offizier oder Unteroffizier sein, wenn 
man sieht, wie leichte senile Erscheinungen in wenigen Tropenjahren 
zu bedrohlicher Stärke anschwellen, und wenn man weiss, wie leicnt 
die militärische Unterordnung an solchen schweren Störungen vorbei 
sieht oder sie für „Launen“ hält. Es kommt dann leicht zu eigen¬ 
artigen Formen des „Paschaismus“. Vielleicht ist es möglich, später 
etwas näher diese Form der geistigen Umbildung zu beschreiben. 
Die Grundstimmung einer Truppe im Orient ist eine leicht euphori¬ 
sche; unbewusster Erinnerung an diesen leichten Rauschzustand 
mag es zuzuschreiben sein, wenn so viele Deutsche trotz aller Er¬ 
fahrungen sich immer wieder nach dem Orient hinaussehnen. De- 


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Pressionen gehen rasch vorüber oder entladen sich in einer mehr 
oder weniger zweckmässigen impulsiven Handlung. Einmal habe 
ich nach einem dreitägigen schweren Marsch bei zwei besonders 
tüchtigen, nicht belasteten Gefreiten eine Art von Dämmerzustand 
gesehen; es bestand schwere Benommenheit, Schläfrigkeit und 
eine gewisse Weinerlichkeit. Ein Granatschock kam nicht in Frage, 
da wir nur am ersten Tag stärkeres Artilleriefeuer bekommen hatten 
und kein Volltreffer in die Stellung gekommen war. Dagegen mag 
ein vollkommen unerwarteter Ueberfall durch Kavallerie dem Granat¬ 
schock ähnliche Wirkungen entfalten können, wozu noch die Wirkung 
forcierter Gebirgsmärsche, mangelnder Nachtruhe und starker Durch- 
nässung kamen. Der Zustand löste sich in etwa 10 Tagen. 

Es sind hier nur wenige Eindrücke systemlos niedergelegt. Der 
Arzt hat diesen Dingen bisher weder genügend Interesse geschenkt, 
noch auf ihre rationelle Gestaltung ausreichend Einfluss gewonnen. 
Wird diese Unterlassung nachgeholt — Fragen, die teils zur Tropen¬ 
hygiene, teils zur Technik des Ueberseekriegs gehören —, so darf 
man hoffen, dass auch der deutsche Krieg im Orient die erfolg¬ 
reichen Ausmasse seines grossen westlichen Bruders annimmt und 
bewahrt. 

Das schwedische Gesetz vom 20. Juni 1918, betr. 
Massnahmen gegen die Verbreitung von Geschlechts¬ 
krankheiten. 

Nach der Uebersetzung in Veröffentlichungen des Kais. Gesundheits¬ 
amtes vom 2. X. 18. 

Das Gesetz betrachtet als ansteckende Geschlechtskrankheiten 
Tripper, Ulcus molle und Syphilis, solange, als entweder Erschei¬ 
nungen von Ansteckungsfälligkeit vorhanden sind, oder ein erneutes 
Hervortreten solcher Erscheinungen zu befürchten ist. 

Die Bekämpfungsmassnalimen unterstehen der Gesundheitsbe¬ 
hörde: In Städten mit einem Stadtarzt dem Ortsgesundheitsamt, an 
anderen Orten der Provinzialregierung. Der (erste) Stadtarzt resp. 
der erste Provinzialarzt haben die Massnahmen auszuführen, in 
grösseren Städten kann für den Zweck ein eigener Arzt aufgestellt 
werden. 

Die Vorschriften sind folgende: Jeder Geschlechtskranke ist 
verpflichtet, sich ärztlich behandeln zu lassen und den 
Weisungen seines Arztes zu gehorchen. Dabei steht jedem Ge¬ 
schlechtskranken und auch dem, der nur fürchtet, geschlechtskrank zu 
sein, freie ärztliche Behandlung einschliesslich Medikamente und Heil¬ 
mittel zu, ebenso freie Krankeiihausbehandlung. Der Arzt muss es 
auch kostenlos bescheinigen, wenn jemand bei ihm in Behandlung 
steht 

Die Pflicht zu behandeln obliegt den beamteten Aerzten bis herab 
zum Arzt eines Fleckens, grössere Städte können einen oder mehrere 
Aerzte eigens dafür anstellen Unter mehreren soll mindestens eine 
Aerztin sein. 

Städte von 20 000 Einwohnern an müssen eine eigene Poliklinik 
errichten, deren Sprechstunde und Unterbringung so sein muss, dass 
die Art der Krankheit, deren Behandlung gewünscht wird, nicht zu 
erkennen ist 

Die Kosten dieser Polikliniken hat die Stadt zu tragen, die 
Arzneimittel, Heilbehelfe, serologischen, bakteriologischen und anderen 
wissenschaftlichen Untersuchungen übernimmt der Staat. 

Der König kann einzelne Städte (offenbar wenn kein Bedürfnis 
vorliegt. Ref.) von der Errichtung einer Poliklinik dispensieren („bis 
auf weiteres“); die Leiter der Polikliniken sollen spezialistisch aus¬ 
gebildet sein. 

Besteht der Verdacht, dass in einem abgelegenen Orte sich eine 
Geschlechtskrankheit besonders verbreitet hat, so ist ein eigener 
Arzt zur Behebung des Uebels dorthin abzuordnen. Der Staat über¬ 
nimmt alle erwachsenden Kosten. 

Findet ein Arzt jemanden als geschlechtskrank so hat er ihn 
eingehend über die Art des Leidens und dessen Ansteckungsgefahr zu 
belehren und ihn auf das Unstatthafte einer Heirat, sowie auf die 
Strafbarkeit der Ansteckung anderer aufmerksam zu machen. 

Bei Personen unter 15 Jahren sind die Eltern (Vormünder) zu 
belehren, in besonderen Fällen kann von der Belehrung Abstand ge¬ 
nommen werden (um dem Kranken nicht zu schaden). Für die 
Belehrung wird ein Vordruck hergestellt. 

Ist der Arzt der Ansicht, dass der Kranke seine Vorschriften nicht 
befolgen wird oder bleibt der Kranke aus der Behandlung, ohne 
nachzuweisen, dass er zu einem anderen Arzt gegangen ist, so muss 
der Arzt dies dem Gesundheitsinspektor melden; ebenso, wenn er 
hört, dass der Kranke, noch ansteckend, beabsichtigt, zu heiraten. 

Der Arzt muss, wenn es nicht ein anderer Arzt schon früher 
gefan hat, bei jedem Geschlechtskranken nach der Infektionsquelle 
forschen. Er meldet dann den Kranken (Personalien, aber ohne 
Namen) und den, der ihn infiziert ‘hat mit Namen dem Gesundheits¬ 
inspektor (Formblatt). 

Der als Infektionsquelle Angezeigte wird von dem für seinen 
Wohnort zuständigen Gesundhertsinspektor kurzfristig vorge¬ 
laden, um sich untersuchen zu lassen oder ein Gesundheitszeugnis 
beizubringen. Ist der Vorgeladene krank, so wird er zum Arzt 
verwiesen und muss daim dem Inspektor eine Bescheinigung bringen, 
dass er behandelt wird. Gegebenenfalls kann er auch ins Kranken- 

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haus eingewiesen werden; auch über die erfolgte Aufnahme hat er 
eine Bescheinigung einzusenden. 

Ebenso wird mit Geschlechtskranken verfahren, die vom Arzt 
(s. o.) wegen Unfolgsamkeit oder Ausbleiben angezeigt sind. 

Will ein noch ansteckend Kranker heiraten (s. o.), so wird es 
sofort dem zuständigen Pfarrer mitgeteilt, der dann das Nötige ver¬ 
anlasst, um es zu verhindern. 

Beweist der Betreffende, dass er schon in ärztlicher Behandlung 
ist, so wird sein Arzt von der Sachlage durch den Gesundheits¬ 
inspektor in Kenntnis gesetzt. 

Befolgt jemand die Aufforderung des Gesundheitsinspektors nicht, 
so wird es der Gesundheitsbehörde gemeldet. Diese verfügt dann, 
wenn nötig mit Assistenz der Polizei. In dringenden Fällen verfügt 
der Inspektor, vorbehaltlich der Genehmigung der Behörde. Ein¬ 
spruch kann bis zum König erhoben werden, er hat aber keine auf¬ 
schiebende Wirkung. 

Besonders scharf ist für Geheimhaltung aller Massnahmen und 
der Akten vorgesorgt, nur dem Staatsanwalt wird, wenn nötig, Aus¬ 
kunft gegeben. 

Zum Schlüsse kommen Vorschriften über Leute, die den Wohnsitz 
ändern, zum oder vom Militär, ins oder aus dem Gefängnis kommen. 
Strafbestimmungen für Aerzte und Kranke, endlich ein Verzeichnis 
der Vorschriften, welche durch das Gesetz ausser Kraft treten. 
Zum Schlüsse wird die Rechtswirksamkeit ab 1. Januar 1919 erklärt. 
Sobald das Gesetz im Druck in der schwedischen Gesetzessamm¬ 
lung erschienen- ist, endet auch d-ie Lrstenführung der eingetragenen 
Dirnen. Durch das Gesetz werden alle Vorschriften über die Ueber- 
wachung des Dirnentums abgeschafft. 

Wir sehen in diesem Gesetz das meiste was zur wirksamen Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten notwendig scheint, verwirk¬ 
licht: 

1. Aufstellung einer Gesundheitsbehörde, unabhängig von der 
Polizei. 

2. Die Pflicht, sich behandeln zu lassen, dafür das Recht auf 
kostenlose Behandlung; Vorsorge für sachgemässe Behandlung (Poli¬ 
kliniken usw.). 

3. Verpflichtung der Aerzte, die Kranken über die Gefahr der 
Geschlechtskrankheit zu belehren, nach der Infektionsquelle zu 
forschen. * 

4. Eheverbot. 

5. Anzeigepflicht für solche, die jemanden angesteckt haben und 
solche, die dem Arzt nicht Folge leisten oder vorzeitig aus der 
Behandlung treten oder dieser Handlung verdächtig sind. 

6. Behandlungszwang mit eventueller Einweisung ins Spital. 

7. Vorsorge für die Geheimhaltung. 

8. Strafe für Nichtbefolgen der ärztlichen Vorschriften, besonders 
wenn Schaden entsteht. 

Aufhebung der Prostituiertenreglementierung. 

Die den Aerzten auferlegte Pflicht, nach der Infektionsquelle 
zu forschen, zeigt, dass man in Schweden auch vor gewissen, un¬ 
streitig sich ergebenden Schwierigkeiten nicht zurückschreckt; denn 
es ist zweifellos, dass, wenn die Kranken nach der Person, vor. der 
sie krank wurden, gefragt werden, absichtlich oder leichtfertig falsche 
Angaben gemacht werden können, wodurch dann unschuldigen Leuten 
Unannehmlichkeiten bereitet würden. Allerdings wird das Auffinden 
der Infektionsquelle bei frischen Fällen oft möglich sein und so man¬ 
ches Unheil verhütet werden können, was besonders ins Gewicht 
fällt, weil auch die Prostituiertenkontrolle wegfällt. 

Allen anderen Punkten ist restlos zuzustimmen, ohne das ge¬ 
ringste Bedenken. Ref. würde nur wünschen, dass auch in Deutsch¬ 
land derartige Vorschriften eingeführt würden. Allerdings müsste 
dazu auch die freie Ausübung des Heilgewerbes verboten werden, da 
sonst Missbräuche übelster Art von Seite der Kurpfuscher zu fürchten 
wären. Schweden scheint nicht mit solchen, als anerkannten Ge¬ 
werbetreibenden, gesegnet zu sein. Zumbusch. 


Bücheranzeigen und Referate. 

Karl WI11 m a a ck - Jena: Ueber die normale und die patho¬ 
logische Pneumatisation des Schläfenbeins einschliesslich ihrer Be¬ 
ziehungen zu den Mittelohrerkrankungen. Mit 111 Abbildungen auf 
55 Tafeln in einem Atlas, Jena, Gustav Fischer, 1918. Preis 
60 Mark. 

W i 11 m a a c k sucht in dem vorliegenden Werke die entzünd¬ 
lichen Mittelohrerkrankungen auf eine neue Basis zu steljen. Man 
kann seine Arbeit in drei Abschnitte teilen. Im ersten Teil erörtert 
er die normale Pneumatisation des Schläfenbeins. Seine histologi¬ 
schen Untersuchungen füllen hier eine Lücke aus, da das Gebiet 
seither in der Hauptsache nur makroskopisch durchforscht war. Neu 
und überraschend ist, dass ein Teil der pneumatischen Zellen im 
Warzenfortsatz nicht vom Antrum mast., sondern von der Pauken¬ 
höhle aus entstehen soll. Die feineren Vorgänge bei der normalen 
Pneumatisation konnte Wittmaack nur mit Hilfe des Tierohres 
genauer feststellen, da beim Menschen die normale Pneumatisation 
eine Ausnahme ist. Ueber den Anstoss zur Pneumatisation kann auch 
W. nichts aussagen. 

Im zweiten Teil geht W. auf den Grund ein, warum bei fast 
allen Menschen die Pneumatisation gestört ist. Es ist das die Säug¬ 
te rigi na I from 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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lingsotitis und, was übrigens W. nicht erwähnt, auch die überaus 
häufige Mittelohrentzündung bei Masern, Scharlach und den anderen 
akuten Infektionskrankheiten, wenn sie in den ersten Lebensjahren, 
d. h. vor Ausbildung der peripheren Zellen, auftreten. Die Säuglings¬ 
otitis wird bekanntlich auf das Eindringen von Fruchtwasserbestand¬ 
teilen durch die Tuba zurückgeführt, verdankt also ihre Entstehung 
mehr einem Fremdkörperreiz, als einer bakteriellen Infektion. Sie 
nimmt schon dadurch eine Sonderstellung ein, ausserdem aber auch 
dadurch, dass sie ein Mittelohr befällt, das noch mit embryonaler 
Schleimhaut ausgekleidet ist. Durch diese beiden Momente muss der 
klinische Verlauf beeinflusst werden. Die Entzündung ist weniger 
stürmisch und die Dauer des Ausflusses im ersten Lebensjahr ist, 
wie Ref. in dieser Wochenschrift 1906 Nr. 21 statistisch gezeigt hat, 
länger nicht nur als im späteren Kindesalter, sondern sogar als bei 
Erwachsenen. Andererseits liegt es nahe, anzunehmen, dass durch 
die Säuglingsotitis die normale Pneumatisation; welche bekanntlich 
in der Hauptsache in die ersten vier Lebensjahre fällt, gestört wer¬ 
den muss. W. ist der erste, der diese Pneumatisationshemmungen 
eingehend und zielbewusst untersucht. Er teilt dabei die Störungen 
in leichte, mittelschwere und schwere ein. Infolge der Entzündung 
bildet sich die Schleimhaut nicht ganz zurück. Sie wird oder bleibt 
„hyperplastisch“, was auf die Pneumatisation eine Rückwirkung 
ausübt. Diese ist meist eine hemmende, nach W. aber merkwürdiger¬ 
weise in Ausnahmsfällen auch eine fördernde (S. 93 und 95). In¬ 
folge der Entzündung breitet sich ferner die Flimmerepitheldecke 
weiter aus als normal, während bisher allgemein das Qegenteil ange¬ 
nommen wurde. Ausserdem bilden sich Gewebssprossen und 
-brücken. Die Säuglingsotitis, die bekanntlich in den meisten Fällen 
latent verläuft, soll sich latent bis in das Greisenalter erhalten 
können. Dabei soll Exsudation und, wie aus einzelnen Kranken¬ 
geschichten hervorgeht, auch Vorwölbung des Trommelfelles bis in 
das Greisenalter bestehen bleiben können. Derartige Befunde 
widerstreiten aber vollständig der klinischen Erfahrung. Jahr¬ 
zehntelang bestehende Katarrhe, bei denen man mit dem Katheter 
Rasselgeräusche hört, und jahrzehntelang bestehende Vorwölbung des 
Trommelfelles sind klinisch nicht bekannt. Hier sind die Unter¬ 
suchungen W i 11 m a a c k s nicht überzeugend. Er hat zwar die 
grosse Zahl von 300 Schläfenbeinen histologisch untersucht, aber 
nur wenige sind klinisch beobachtet. Bei den wenigen ist überdies 
die Anamnese, was die Ursache und die Dauer sowie voraus¬ 
gegangene Ohrenkrankheiten betrifft, meist nicht angegeben. Auch 
der otoskopische Befund und vor allem die Hörprüfung ist wenig 
berücksichtigt. Es wird nötig sein — und das trifft, wie wir sehen 
werden, noch mehr für den dritten Teil der Arbeit zu —, noch die 
Untersuchung einer grösseren Anzahl speziell schon im Leben genau 
beobachteter Fälle abzuwarten. 

Zu erwähnen ist noch die „Schleimhautfibrose“, die aus bak¬ 
teriell-infektiösen Prozessen hervorgeht. Sie wirkt ähnlich pneumati¬ 
sationshemmend wie die hyperplastische Schleimhaut. 

Der dritte Teil ist für den Praktiker der wichtigste. In ihm 
setzt. W. die sämtlichen Mittelohrerkrankungen in Beziehung zur 
gestörten Pneumatisation. Nur bei der Otosklerose, dem Tuben¬ 
abschluss und den Neubildungen findet er keinen Einfluss, dagegen bei 
sämtlichen übrigen Mittelohrerkrankungen, insbesondere bei der 
akuten und chronischen Mittelohreiterung mit und ohne Cholesteatom. 
Bis ins einzelne gehend, was den Befund am Trommelfell, den Ueber¬ 
gang in die chronische Form, die Komplikation mit Otitis und das 
Zurückbleiben von Schwerhörigkeit anbetrifft, sucht er den Einfluss 
der Säuglingsotitis bis ins Greisenalter nac'hzuweisen. Da die kli¬ 
nische Beobachtung, wie gesagt, meist fehlt, ist er genötigt, viel 
weifgehende Schlussfolgerungen zu ziehen und vielfach vom ana¬ 
tomischen Befund auf den klinischen Verlauf zurückzuschliessen, 
während das umgekehrte Verfahren wohl das sicherere wäre. Alles 
wird dem einen Gedanken der Pneumatisationshemmung unter¬ 
geordnet, sogar die klinische Erfahrung, besonders anderer Autoren. 
Er konstruiert so Zusammenhänge, die, wie er selbst sagt, in der 
gesamten Pathologie kein zweites Beispiel finden. Widerspruch 
wird deshalb wohl nicht ausbleiben. 

Es würde zu weit führen, in dieser Wochenschrift auf die zahl¬ 
reichen Einzelheiten des dritten Teiles einzugehen Hier soll nur 
aus der Fülle des Materials als einer der wichtigsten Punkte her¬ 
vorgehoben werden, dass die Osteosklerose des Warzenteiles nicht 
die Folge, sondern die Ursache der chronischen Mittelohreiterung 
sein soll. W. würde es pathologisch-anatomisch für ein Unikum 
halten, wenn knöcherne Hohlräume mitsamt dem Epithel infolge 
Entzündung restlos obliterieren würden, aber im Labyrinth können 
wir dies nach abgelaufener Otitis interna häufig genug beobachten. 
Auch bei der Einsenkung der Membrana Schrapnelli (S. 133) geht 
Epithel zugrunde. Auffallend ist allerdings, dass W. niemals über¬ 
zeugende Uebergangsstadien aufgefunden hat. Das ist um so merk¬ 
würdiger. als er auf S. 75 selbst einen Fall von akuter Mittelohr¬ 
eiterung besoricht, bei dem pneumatische Zellen schon nach 14 Tagen 
eine Verengerung durch Knochenapposition zeigten. Auch die Tat¬ 
sache. dass der Warzenteil bei der chronischen Eiterung gewöhnlich 
kleiner ist als bei der akuten — Einengung durch den vorwerten 
Sinus — könnte für die Ansicht des Verfassers sprechen, doch muss 
erst noch untersucht werden, ob die Form des Warzenteiles bei der 
chronischen Eiterung^auch der des Säuglings gleicht. Es könnte ja 

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auch sein, dass der sklerosierte Knochen dem Eindringen des Sinus 
weniger Widerstand entgegensetzt als der pneumatisierte. 

Im übrigen aber widerspricht die schon von Mouret aus¬ 
gesprochene Ansicht W i 11 m a a c k s, dass es nur auf Grund der 
Osteosklerose zur Entwicklung einer chronischen Eiterung kommen 
könne, so sehr der klinischen Erfahrung, dass es gut sein wird, noch 
weitere histologische Untersuchungen von im Leben beobachteten 
Fällen abzuwarten. 

Auch die nekrotisierende Form der Scharlacheiterung, die die 
häufigste Ursache der Chronizität ist, soll nach W. in erster Linie 
von dem hyperplastischen Charakter der Schleimhaut abhängen, 
während doch die klinische Erfahrung lehrt, dass in erster Linie die 
Schwere der Scharlachinfektion die Ursache ist. Die hyperplastische 
Schleimhaut soll ebenso die Disposition zur Entstehung der tuberku¬ 
lösen Mittelohreiterung abgeben. W. ist überhaupt der Ansicht, dass 
die Disposition zu Erkrankungsprozessen im späteren Leben viel mehr 
von dem im Säuglingsalter erworbenen Schleimhautcharakter und der 
Pneumatisationshemmung abhängig ist, als von allgemeinen kon¬ 
stitutionellen Ursachen. Das Schicksal der Mittelohreiterung wird 
also dem Menschen gleichsam in die Wiege gelegt. Dieser Stand¬ 
punkt macht sich natürlich auch bei der Behandlung geltend. W. 
wird fatalistisch und sagt, dass die Behandlung einer akuten Otitis 
im ganzen nur eine „herzlich indifferente“ sein könne, und dass wir 
relativ häufig nicht imstande seien, den Uebergang einer akuten tubo- 
tympanalen Otitis ins chronische Stadium zu verhüten. Auch die 
Annahme einer „falschen Behandlung“ als Ursache der Chronizität 
sei durchaus unberechtigt, da der Verlauf schon im Voraus bestimmt 
sei. Diese Behauptungen widersprechen vollständig den klinischen 
Tatsachen. Speziell die Borsäurcbehandlung ist imstande, indem 
sie die Ansiedlung von Fäulnispilzen verhindert, fast ausnahmslos 
den Uebergang in die chronische Form zu verhüten. Wie Referent 
in der oben angegebenen Nummer dieser Wochenschrift statistisch 
zeigen konnte, wird bei dieser Behandlungsmethode von den akuten 
Eiterungen nach Allgemeinkrankheiten bei frühzeitiger Behandlung 
nur 1 Proz. chronisch, von den genuinen aber überhaupt kein Fall. 
Dies Resultat ist zu erreichen, obgleich doch fast alle Menschen 
eine Säuglingsotitis durch gemacht haben. Nach W.. der <Ue 
Fäulnispilze überhaupt nicht berücksichtigt, müsste die Prophylaxe 
der chronischen Eiterung bei der Säuglingsotitis einsetzen, aber wie, 
kann er selbst nicht sagen. Auch bezüglich der konservativen Be¬ 
handlung des Cholesteatoms kann er nach seiner Erklärung der Ent¬ 
stehung sich keiner allzugrossen Hoffnung hingeben, den Prozess 
noch aufhalten zu können. Die Erfahrung zeigt aber, dass dies für 
die Behandlung mit dem Antrumröhrchen durchaus nicht zutrifft. Der 
praktische Arzt und der Anfänger in der Ohrenheilkunde wird des¬ 
halb dem dritten Teil der W i 11 m a a c k sehen- Arbeit etwas vor¬ 
sichtig gegenübertreten müssen; aber für den fortgeschrittenen Oto- 
logen bietet gerade dieser Teil die allermeisten Anregungen, und es 
kann kein Zweifel sein, dass das nicht nur an Schlüssen, sondern 
auch an neuen Tatsachen reiche Werk in den nächsten Jahren im 
Mittelpunkt des otologischen Interesses stehen wird. 

Scheibe- Erlangen. 

Hermann Gocht: Handbuch der Röntgenlehre zum Gebrauche 
für Mediziner. 5. umgearbeitete und vermehrte Auflage. Stuttgart 
1918. Verlag Enke. 565 Seiten. 320 Abbildungen. Preis geh. 22 M. 

Das beliebte, als Lehr- wie als Nachschlagewerk gleich vorzüg¬ 
liche Buch hat im Krieg schon zwei Auflagen erlebt, infolge des 
„immer zunehmenden Gebrauchs der Röntgenstrahlen“, wie der Ver¬ 
fasser im Vorwort bescheiden meint. Man darf aber hinzufügen: 
Weil es den Stoff so klar und flüssig behandelt, technische Dinge in 
leicht verständlicher Form bringt. Unwichtiges beiseite lässt und 
aus einer vieljährigen gründlichen Erfahrung heraus geschrieben ist. 
Mehrere Abschnitte wurden erweitert, so über Fremdkörperlokali¬ 
sation und Tiefentheraoie. Die gasfreien Röhren werden geschildert: 
etwa 70 neue Abbildungen sind hinzugekommen, teils technischer, 
teils diagnostischer Art, namentlich Magendarm- und Thoraxbilder 
(Pneumonie. Tuberkulose. Herzfehler, Wurmfortsatz, Ulcusnische 
u. a.). R. Grashey (im Felde). 

Neueste Journalllteratur. 

Zeitschrift für Inununitätsforschung und experimentelle 
Therapie. 26. Band, 5 Heft. (Auswahl.) 

H. S a c h s-Frankfurt: Ueber den Einfluss der Cholesterinierang 
auf die Empfindlichkeit der Organextrakte bei der Wassernam- 
sehen Reaktion. 

Da die früheren Versuche des Verfassers, den Organextrakt 
bei der WaR. durch ein künstliches Gemisch von Lipoiden vollwertig 
zu ersetzen, nicht zum Ziele geführt haben, so hat er neuerdings, 
um eine grössere Feinheit des Ausschlages der Reaktion zu erzielen, 
dem Extrakt Cholesterin hinzugefügt und dadurch erreicht, dass die 
WaR. nicht nur beim Arbeiten mit absteigenden Extraktmengen, son¬ 
dern auch beim Arbeiten mit absteigenden Serummengen eine Ver¬ 
stärkung erfährt. Der optimale Zusatz ist aber nicht immer gleich, 
sondern muss durch genaue Versuche ausgewertet werden, so dass 
er die Reaktionsbreitc pathologischer Seren nicht überschreitet. 
Original from 

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29. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Unter Umständen kann der rohe Extrakt bereits den günstigsten 
Bedingungen entsprechen. 

H. Sachs und K. Alt mann-Frankfurt: Ueber den Einfluss 
von Temperatur und Reaktion des Mediums auf die Serodiagnostik 
der Syphilis. 

Die WaR. kann sowohl durch verschiedene Reaktion des Me¬ 
diums als auch durch Kälte und Wärme erheblich beeinflusst werden. 
Die Aufhebung der Reaktion durch Säure gelingt in der Kälte leichter 
als in der Wärme. In geeigneten Fällen lässt sich durch verschieden 
kombinierte Veränderung der 4 Faktoren der Ausfall der Reaktion 
willkürlich darstellen. In dieser Hinsicht sieht der Verf. eine Analogie 
zur Inaktivierung des Komplementes im salzarmen Medium. Auch für 
das Zustandekommen der WaR. dürfte daher ein bestimmter Grad 
der Globulinveränderung massgebend sein. 

H. Ritz und H. S a c h s - Frankfurt: Ueber Komplementinakti- 
vienmg durch Bakterien. 

Die Verf. haben die von v. Düngern schon im Jahre 1900 
aufgedeckte Tatsache, dass Aufschwemmungen von Bakterien oder 
Gewebezellen Komplement inaktivieren, zum Gegenstände weiterer 
Untersuchungen gemacht und sie mit der antikomplementären Wir¬ 
kung des Kobragiftes in Parallele zu setzen versucht. Vom Kobragift 
ist bekannt, dass die Komplememtinaktivierung mit der Serumkonzen¬ 
tration zunimmt und dass sie nur bei höherer Temperatur, nicht bei 
0 Grad stattfindet. Dasselbe Verhalten fanden sie in der Tat bei 
Einwirkung von Prodigiosusaufschwemmungen auf Meerschweinchen¬ 
serum. Auch hier keine Einwirkung bei 0 Grad und umso stärkere, 
je grösser die Serummengen waren. Ferner wurde die Inaktivier- 
barkeit durch Einwirkung von Säure und Alkali aufgehoben. Sie 
schliessen daraus, dass die Inaktivierung des Meerschweinchenserums 
durch Prodigiosusbazillen, ebenso wie diejenige im salzarmen Medium 
und durch Kobragift, auf indirekte Weise zustandekommt und zwar 
durch eine Globulinveränderung, die an einen durch Labilität charak¬ 
terisierten Zustand des Serums gebunden ist. 

L. S a a t h o f f - Oberstdorf. 


Deatscbe Zeitschrift für Chirurgie. 146. Bd. 1.—2 . Heft. 

Th. Gümbel: Gefässnaht im Felde. 

Jede nahtfähige Gefässwunde sollte mit Naht und nicht mit 
Unterbindung versorgt werden. Die Gefässnaht ist keine selb¬ 
ständige Operation, sondern nur ein Teil der primären Wundver- 
sorgung. Indikation und Technik. 

A. T. v. B e u s t : Ueber die TotaHuxation des Schlüsselbeins. 
(Aus der chir. Universitätsklinik Zürich. Dir.: Prof. Dr. F. Sauer¬ 
bruch.) 

Die seltene — 12 Fälle in der Literatur — Verletzung wurde 
wegen beginnenden Druckes auf den Plexus brachialis mit Exstir¬ 
pation der luxierten Klavikula behandelt, gutes funktionelles Resultat. 

Moser: Der Dtihrssensche Flankenschnitt zur Wurmfort- 
satzentfernung. 

Der Dührssen sehe Flankenschnitt von der Mitte dicht ober¬ 
halb der Symphyse nach rechts mit Eröffnung des Peritoneums 
lateral vom rechten Rektus gibt nicht nur guten Zugang zum Wurm 
auch in komplizierten Fällen, sondern ist auch zur Kontrolle des 
Uterus und seiner Adnexe und zu entsprechenden Operationen sehr 
geeignet. 

G. K e 11 i n g: Ueber die Wahl einer falschen DUnndarmschÜnge 
bei der Gastroenterostomie. 

Zweimal war eine tiefe Dünndarmschlinge gewählt worden und 
antiperistaltisch angenäht, einmal war eine richtige Schlinge falsch 
angenäht worden. 

Der Grund des Fehlers kann eine Lageanomalie des Duodenums 
sein oder Ueberlagerung der richtigen durch eine tiefere Schlinge. 
In jedem Fall schützt Freilegung des Gebietes für das Auge vor dem 
Fehler. Das Schliessen des Mesenterialspalts zwischen der ange¬ 
nähten Jejunalschlinge und der Rückenwand des Bauches bietet ab¬ 
gesehen von dem Schutze gegen Einklemmung die Gewähr, dass man 
keine verkehrte Schlinge oder eine richtige verkehrt angenäht hat, 
da sonst eine Darmschlinge in diesem Spalt verlaufen würde. 

J. J. S t u t z i n: Experimentelle und klinische Beiträge zu den 
Verletzungen der Harnblase. 

Als unmittelbare Folge der Blasenverletzung ergeben sich 
Schock und Blutung — Frühtodesfälle — später kommt die Harn¬ 
phlegmone und für die intraperitoneale Blasenverletzung die urino¬ 
gene Peritonitis hinzu, die wohl infolge einer gleichzeitigen Uro- 
toxinämie durch Harnstoffresorption in der Regel sehr schwer ver¬ 
läuft. 

Spontane Heilung von Bl äsen wunden — Kleinheit und Grad Innig¬ 
keit der Verletzung vor allem bei gefüllter Blase — kommt vor. 
Zur Verhütung eines fortschreitenden Prozesses ist die exakte Urin¬ 
ableitung zu erstreben, die durch die Heberdrainage sicher bewirkt 
wird. Wo zur Ausführung der Blasennaht ausgedehnte Ablösungen 
nötig sind, ist sie zu unterlassen, hier aber Heberdrainage. Die An¬ 
sicht Rosts (M.m.W. 1917 Nr. 1), dass die Patienten mit intra¬ 
peritonealen Blasentumoren an Urämie starben, kann Verfasser nicht 
teilen. 


H. Schüssler: Zur Radikaloperation der kongenitalen Blasen- 
dhrertlkeL (Aus der Kgl. chir. Klinik Kiel. Direktor: Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. A n s c h Ü t z.) _ ■, 


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Bei der Divertikulitis kann das Spülsymptom — bei Spülungen 
zunächst klarer Urin, der bei La ge Veränderung des Patienten wieder 
trüb wird — den Verdacht auf das Bestehen einer Tasche lenken. 
Das souveräne diagnostische Hilfsmittel ist die Zystoskopie. Operation 
einmal mittels Sectio alta und einmal von hinten mit dem ischio- 
rektalen Schnitt Volkers. 

H. E i n e m a n n: Ein gehellter Fall von Atresia an! et rectl. Bei¬ 
trag zur Kenntnis und operativen Behandlung ano-rektaler Darmver- 
schlüsse. 

Anlegung einer Kotfistel am S romanum bei einem sehr elenden 
Kinde, nach 4 Wochen Eröffnung. Präparation und Oeffnung des 
Darmblindsacks und Herausnähen nach L e j a r s, später Verschluss 
der Iliakalfistel durch Resektion. Technische Einzelheiten. 

H. F1 ö r c k e n - Paderborn. 

Zentralblatt für Chirurgie, Nr. 40, 1918. 

M. Käppis- Kiel: Die Anästhesierung des Nervus splanchnlcus. 

Verf. schildert kurz die Technik der Anästhesierung des Nervus 
splanchnicus, die ziemlich einfach und ungefährlich ist und bei Bauch¬ 
operationen sich ihm bereits sehr gut bewährt hat. 

Fr. Schede- München: Zur Behandlung des Genu recurvatum. 

Da eine Kniestreckung des belasteten Beins stets mit einer 
Plantarflexion des Fusses bzw. Rückwärtsneigung des Unterschenkels 
verbunden ist, so lässt sich diese Ueberstreckung im Knie durch 
ein Paar vom Verf. konstruierte Schienenschuhe verhindern, welche 
so gebaut sind, dass sie die Plantarflexion des Fusses unmöglich 
machen. Aus einer Abbildung ist der Bau des Apparates leicht er¬ 
sichtlich, der bequem und leicht ist und zur schnellen Kräftigung der 
Muskulatur und Festigung des Kniegelenkes führt. 

M. Behren d - Frauendorf-Stettin : Zur Behandlung des Hlm- 
vorfalles. 

Die einfache Behandlungsmethode des Verf. besteht in der Be¬ 
strahlung des Vorfalles mittels der elektrischen Heissluftdusche Fön; 
alle 2 Tage 10 Minuten lange Bestrahlung führt in kurzer Zeit zur 
Schrumpfung und Ueberhäutung ohne jede Beschwerden für den 
Kranken; sie ist noch einfacher als die von Derganc in Nr. 21 
angegebene. 

Fr. Brüning-Konstantinopel: Amputatlonsaeurom am Unter¬ 
kiefer. 

Verf. beschreibt kurz einen Fall von Amputationsneurom am 
Unterkiefer, ausgehend vom Nerv, mandibularis, das starke Schmer¬ 
zen machte. Entfernung des Nerven durch Ausdrehen aus dem 
Knochenkanal brachte völlige Heilung. Da die zerrissenen Nerven¬ 
enden in dem langen Knochenkanal mit ihren auswachsenden Achsen¬ 
zylindern erst später auf Narbengewebe stossen. verwachsen sie 
knäuelförmig zusammen und bilden so leicht ein Neurom. 

Alf. Semper- Agram: Ueber das Befestigen des Verwell- 
katheters. 

Aus 2 Skizzen wird die einfadie Methode leicht verständlich. 

E. Heim- zurzeit im Felde. 

Archiv für Hygiene. 87. Band, 5. u. 6 Heft. 1918. 

J. D. Ru ys-Haag: Ueber die Wasserversorgung mittels 
Zisternen. 

Bemerkungen zur Arbeit von F. Nikolai (Arch. f. Hyg. 86. 
S. 318). 

Ernst Weber-Berlin: Bemerkung zu den „Arbeitshygienischen 
Untersuchungen** W. Weiohardts und H. Lindners. 

Hermann Ilzhöfer-München: Beiträge zur Glftwirknng aro¬ 
matischer Nitroverbindungen. 

Die Untersuchungen erstreckten sich auf Trinitroxylol, 
Trinitrophenol und Trinitroanisol. Das N i t r o x y 1 o 1 
mit seinen Verbindungen ist praktisch als völlig ungiftig zu be¬ 
zeichnen. Von der Haut aus und im Tierexperiment per os war es 
ganz wirkungslos. Das Trinitrophenol (Pikrinsäure) hat bis¬ 
her schwere Gesundheitsschädigungen beim Menschen noch nicht 
gezeitigt. Es können aber durch Dosen, die bei Nitroxylolen, Nitro- 
toluolen und Nitronaphthalinen völlig unschädlich sind, akute und 
chronische Vergiftungserscheinungen ausgelöst werden. Das Tri¬ 
nitroanisol. der Methyläther der Pikrinsäure ist auch für den 
Menschen weniger harmlos als die Pikrinsäure, besonders machen 
sich starke Hautreizungen bemerkbar, welche beim Arbeiten Vor- 
sichtsmassregeln bedingen. • 

Karl S ü p f 1 e -. München: Weitere Untersuchungen über optimale 
Nährböden zur Nachkultur bei Prüfung von Desinfektionsverfahren. 

Früher hatte Verf. bereits festgestellt dass der optimale Nähr¬ 
boden zur Nachkultur für Staphylokokken 3proz. Trauben¬ 
zuckerbouillon, für Milzbrand 3proz. Traubenzuckerbouillon mit 
5 proz. Serum sei. Neuerdings teilt er nun mit, dass für Strepto¬ 
kokken 1 proz. Traubenzuckerbouillon mit Zusatz von 5 Proz. 
Serum, für Diphtherie dieselbe Flüssigkeit und für Koli 1 proz. 
Traubenzuckerbouillon am empfehlenswertesten ist. 

Karl S ü p f I e - München: Ueber die Wirksamkeit der Formal- 
dehydraumdeslnfektion. 

Auf Grund seiner Beobachtungen, dass viele Bakterienarten eine 
wesentlich längere Lebensdauer haben nach Einwirkung von Desinfek¬ 
tionsmitteln, wie bisher angenommen wurde, hat er Milzbrandsporen, 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Diphtheriebazillen und Staphylokokken im Formaldehydraumdesinfek¬ 
tionsverfahren geprüft. Er fand, dass zur Vernichtung von Milzbrand¬ 
sporen dreimal so viel Formalin anzuwenden ist, wie von Flügge 
bisher vorgeschrieben war und dass die Einwirkung 7 Stunden dauern 
muss. Bei der Diphtheriebazillenabtötung muss unter Beibehaltung 
der bisherigen Mengen Formalin die Zeitdauer der Desinfektion auf 
6 Stunden verlängert werden oder die 1 Vt fache Menge Formalin be¬ 
nützt werden. 

Heinz Z e i s s - Hamburg: Die Züchtung des spezifischen Proteus¬ 
stammes X 19 bei Fleckfieber. 

Verf. gibt eine ausführliche Beschreibung über die in Smyrna 
an türkischen und deutschen Soldaten ausgeführte Isolierung und 
Züchtung des Proteusstammes X 19. Er wurde in 301 Blutproben 
von Fleckfieberkranken 18 mal gefunden. Auch einmal nach über¬ 
standenem Fleckfieber aus einem Abszess. Aus 4 Liquorproben 
liess sich kein Proteus züchten. Aufmerksam wird gemacht auf die 
grosse Empfindlichkeit der X-Stämme gegenüber jedem Medium¬ 
wechsel. Die Frage nach der Bedeutung der Proteusstämme für das 
Fleckfieber lässt Ze i s s offen. 

Fürst- Bulgarien: Variationserscheinungen bei Paratyphus A. 

Es werden Veränderungen geschildert in der Säureproduktion, 
im Wachstum auf den Platten und in der Farbstoffbildung auf Dri- 
galskiplatten. 

Alfred T r a w i n s k i und Paul György-im Felde: Zur Kennt¬ 
nis der Bakterien der FaecaÜs-alcaligenes-Qruppe. 

Bei Stuhluntersuchungen wurden 163 Stämme von F a e c a 1 i s 
alcaligenes isoliert, von denen 100 aufs Genaueste morphologisch, 
biologisch und serologisch geprüft werden. Aus dem strömendem 
Blute gelang es niemals, ebenso nicht aus Urin, das Bakterium zu 
züchten. Die Verf. schliessen aus ihren Untersuchungen, dass Bact. 
faecal. alcaligenes neben dem Bact. coli commune ein fast ständiger 
Darmbewohner ist, dass er jedoch keine direkte Ursache zu Darm¬ 
störungen gibt. R. 0. Neumann -Bonn. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 41, 1918. 

W. Kruse-Leipzig: Erfahrungen über die Friedmann sehe 
Schutzimpfung von Säuglingen gegen Tuberkulose. 

Fr. hat nach seinem Verfahren vor mehreren Jahren 319 Kinder 
schutzgeimpft, von denen er nur einen kleineren Teil hinsichtlich ihres 
späteren Gesundheitszustandes kontrollieren konnte. Verf. hat die 
weitere Kontrolle übernommen und berichtet in statistischer Analyse 
über die Ergebnisse, als deren Resultat sich ergab, dass ein erheb¬ 
licher Unterschied in der allgemeinen, wie in der Tuberkulosesterb¬ 
lichkeit zugunsten der Impflinge besteht. Die Schutzimpfung der 
Neugeborenen stellt daher ein unschädliches und aussichtsreiches 
Mittel zur Bekämpfung der Tuberkulose dar. 

E. F r ä n k e 1 und H. Much: Ueber Lymphogranulomatose. 

Verfasser nehmen gegenüber Diskussionsausführungen in der 
Berl. med. Gesellsch. über Arbeiten der Verfasser zu dieser Frage 
Bezug auf frühere Veröffentlichungen von ihrer Seite und geben zum 
Schluss eincZusammensteilung über die von ihnen 1911—1918 obdu¬ 
zierten Fälle von Lymphogranulomatose. 

J. Scheresche wsky - Berlin: Massenkulturen auf festen 
Nährböden. 

.Bezüglich der Beschreibung des Apparates und der Methode 
verweisen wir auf das Original. 

v. Falkenhausen: Klinische Diagnose des Paratyphus B. 

Verf. hebt hervor, dass bei genannter Erkrankung die schweren 
nervösen Erscheinungen zu fehlen pflegen, ebenso ist der Charakter 
des Fiebers weniger oft der einer Kontinua, endlich spielt die Bron¬ 
chitis zusammen mit heftigen Muskelschmerzen bereits als Prodrom 
die Hauptrolle. Eine völlige Abtrennung vom Typhus will Verf. 
damit nicht befürworten. Verwechslungen mit 5-Tage-Fieber sind 
auch in Betracht zu ziehen. 

E. Liebmann -Zürich: Zur Methodik der mikroskopischen 
Untersuchung des Auswurfs. 

Verf. hat eine Methode ausgearbeitet, welcher das Prinzip der 
Feuchtfixation zugrunde liegt. Wegen der Einzelheiten vergl. das 
Original. 

Hel. Fr. Stelzner: Zur Kenntnis der Gift- und Nutzpilze. 

Verf. hat an sich selbst und an einer Katze Versuche mit Pilz¬ 
gerichten gemacht. Sie fand z. B. den Perlpilz als Ganzes und be¬ 
züglich seiner Häute ungiftig, den Pantherschwamm aber hochgiftig. 
Betr. des Fliegenschwammes erwies es sich, dass die Giftwirkung 
nicht ausschliesslich, wie dies behauptet wird, an die Oberfläche ge¬ 
bunden ist. Das gilt für die Pilze mit Giftwirkung überhaupt. Zum 
Teil wird die Gastroenteritis bei den Vergiftungen auch durch Teile 
der Pilze hervorgerufen, die nicht eigentlich giftig sind, aber infolge 
ihrer chemischen Eigenschaften sonst sehr schlecht verdaulich. Der 
spezielle Geruch der verschiedenen Pilzarten sollte mehr beachtet 
werden. Grassmann - München. 


Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 41, 1918. 


August Bier-Berlin: Beobachtungen über Regeneration beim 
Menschen. XVI. Die Regeneration der Haut. 

A. Blaschko-Berlin: Zur Theorie und Praxis der Gonorrhöe- 
behanfflung. III. Die Feststellung der Heilung. 


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Eine sichere Methode zur Feststellung einer Heilung von Gonor¬ 
rhöe gibt es nicht; am meisten hat sich bewährt, nach Arthigoninjek- 
tion eine auf das vierfache verdünnte LugoIsche Lösung zu in¬ 
jizieren. Diese Injektion kann wiederholt werden. Man hat 4 bis 
5 Tage lang darauf täglich auf Gonokokken zu untersuchen. 

K. E. F. Schmitz: Ist der Bacillus dysenterlae Schmitz ein 
Ruhrerreger? 

Gehrmann bezweifelt die Erregernatur des Bacillus dysen- 
teriae Schmitz, aber mit Unrecht. 

A. Gottstein-Charlottenburg: Zur Grippeepidemie. 

Statistische Angaben über Dauer und Mortalität. 

L. Roemheld -Horneck: Kriegskost und Magenchemismus. 

R. fand 1917 bei 21 Proz. Anazidität und 5 Proz. Superazidität. 

Die Anaziden beruhen zum Teil auf vorhergegangener Ruhr¬ 
erkrankung. 

Adolf Edelmann und Hildegard L a z a u s k y - Wien: Ueber 
eosinophile Zellen in Harnsedimenten. Zugleich ein Beitrag zur 
Kenntnis der Urethritis membranacea. 

Eosinophile Zellen werden nicht selten in grosser Zahl im Sedi¬ 
ment gefunden. Sie bilden ein günstiges Prognostikum. 

Albert Bl au-Bonn: Die Behandlung der Schussverletzungen 
der Nebenhöhlen der Nase. 

Angabe der Therapie bei Verletzung der Kiefer-, Stirn-, Siebbein- 
und Keilbeinhöhle. 

D r ü n e r - Quierschied: Die Desinfektion des Geschossbettes. 

D. wendet bei jeder Geschossentfernung das Vuzin an. Ist die 
Anwendung nicht möglich, so ist die Gefahr der schlummernden In¬ 
fektion ein Moment, das gegen die Entfernung spricht. 

A. Mosenthal -Berlin: Lähmung durch Einschuss eines Uni¬ 
formstückes. 

Ein von einer Kugel mitgerissenes Stück Draht von den Achsel¬ 
stücken drang in den Wirbelkanal ein und machte eine Lähmung 
spastischer Natur. 

Paul Cohn- Mannheim: Ein eigenartiger Fall von akuter Arsen- 
Intoxikation des Auges. 

Nach etwas mehr als 4 mg Arsen, die Patient in Form von 
Sol. Fowleri nahm, trat Mydriasis und Sehunfähigkeit auf. Am 
Sehnerv keine Veränderung. Die Störungen gingen vorüber. 

Ernst Meyp r-Berlin-: Ueber die Verwendbarkeit des Calcl- 
brams. 

Calcibram ist bei fieberhaften Erkrankungen der oberen Luft¬ 
wege und bei Grippe indiziert und bewährt sich hier oft besser als 
Aspirin. Reizerscheinungen von seiten der Niere und des Magens 
wurden nicht beobachtet. 

Albers^Schönberg -Hamburg: Zur neuen Lilienfeld- 
Koch sehen Röntgenröhre. 

Es bedarf erst noch weiterer Untersuchungen, um festzustellen, 
ob die neue Röhre für die Behandlung des Krebses einen Fortschritt 
bedeutet. 

Fritz M. Meyer-Berlin: Die Behandlung des Haarausfalls mit 
Quarzlicht. 

Quarzlichtbehandlung zeigt gute Erfolge bei der Alopecia areata 
und bei Diffluvium capillitii. Bei Alopecia totalis ist der Erfolg meist 
geringer. 4 

Karl Kassel- Posen: Die ersten deutschen Schriftwerke ln der 
Chirurgie. 

Blau- Bonn: Heinrich W a I b zum 70. Geburtstag. 

G. G a s s n e r - Braunschweig: Ueber Gram-elektive Züchtung. 

Erkennt die Priorität von Eisenberg an. 

Boenheim - Nürnberg. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Zusammenkunft der Krtegsneurotiker-Aerztn 

zu Berlin am 9. Oktober 1918. 

Referent: Dr. Erwin L o e w y - Berlin-Steglitz, zurzeit Alknstein. 

Auf Wunsch der Heeressanitätsverwaltung waren am 9. Oktober 
im preuss. Abgeordnetenhause fast alle Aerzte, die in Kriegsneurosen¬ 
stationen arbeiten, eine grosse Zahl von Nervenfachärzten der Armee¬ 
korps und die Kriegssanitätsinspekteure und stellvertretenden Korps¬ 
ärzte erschienen. Generalarzt Schultzen leitete die Versammlung 
mit dem Hinweis auf die Angriffe ein, die die sogen, aktive Therapie 
der Kriegsneurosen in der Oeffentlichkeit erfahren habe und auf die 
Wichtigkeit einer Klärung der Frage, ob diese Methode beizubehalten, 
zu wechseln oder zu variieren sei. Aus der völlig freien und sehr 
erspriesslichen Diskussion verdienen folgende Punkte hervorgeboben 
zu werden: Dass eine „aktive“ Methode angebracht sei, darüber 
herrschte eigentlich von Anfang an Uebereinstimmung. Wohl wurde 
von verschiedenen Rednern, nicht nur von psychoanalytischer Seite 
(Simmel, Abraham) betont, dass nicht nur das Symptom, 
sondern der ganze kranke Mensch zu behandeln sei, aber eine ener¬ 
gische ärztliche Behandlung und nicht „Mitleid“ sollen im Vorder¬ 
grund des ärztlichen Denkens stehen (Singer). Nach der anderen 
Seite brachte die Diskussion das Ergebnis, dass die Fachärzte und 
die Heeressanitätsverwaltung einig sind, dass in Wort und Tat der 

Original frem-- 

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29. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1227 


„Zwangs“begriff schwinden muss, sofern er — besonders im Wort — 
noch sein Wesen trieb. Auf das richtige Wort kommt es ja über¬ 
haupt sehr viel an: So wurde mit Recht darauf hingewiesen, dass 
trotz oder vielleicht gerade durch den Erlass über das Verbot von 
sinusoidalen Strömen im Volk der Glaube herrscht, dass Starkstrom¬ 
behandlung stattfindet, da oft schon das Surren des elektrischen 
Apparates ohne Strom als solcher aufgefasst wird. Der Arzt soll 
frei sein in seiner Methode, das betonen auch die der Versammlung 
vorgelegten Richtlinien, aber man konnte sich des Eindruckes nicht 
erwehren, dass „die Methode der Wahr* nicht mehr das Suggestiv- 
faradisieren ist, sondern die Hypnose. Neben den Ausführungen 
N o n n e s wirkten hier vor allem die Worte Kaufmanns, der 
betonte, dass viele Kollegen „kaufmännischer“ seien als er selbst 
und der im letzten Jahre nur noch hypnotisierte, ebenso wie 
Wagne j; - Giessen, der ebenfalls hiermit allein glänzende Erfolge 
berichten konnte. Wesentlich hierbei ist auch, wie u. a. Langen 
betonte, dass die Hypnose als ungefährlich und schmerzlos der 
Rechtslage nach dem Kriege Rechnung trägt, wenn es sich dann um 
Behandlung von Rentenempfängern handeln wird; denn diese 
brauchen sich dann nur mit ihrem Einverständnis dieser Behandlung 
zu unterziehen. Wiedereinziehung ist nach dem Kriege gesetzlich 
nicht zulässig. Dass bei der Auswahl der Behandlung und der Pro¬ 
gnose die Bevölkerungsverschiedenheit eine grosse Rolle spielt, be¬ 
tonten für den Osten L o e w y, für die Westgrenze W i 1 m a n s. 
Einig war man sich darüber, dass die Gesamtprognose der Neurosen 
getrübt wird durch die Uneinheitlichkeit des Materials. Wenn auch 
Gau pp erklärte, dass die Neurose ein Sammelbegriff heterogener 
Elemente sei, so wurde doch von vielen Seiten eine möglichst rein¬ 
liche Scheidung in den Lazaretten und in den von verschiedenen 
Seiten sehr warm empfohlenen „Neuotikerkompagnien“ gewünscht 
und von Generalarzt S c h u 11 z e n zugesagt. Ob sie so weit gehen 
kann, dass man auch die funktionellen Ueberlagerungen organischer 
Fälle für sich allein legen kann, wie Ref. vorschlug, blieb unklar, 
sicher aber ist, dass man erregte und übelwollende Psychopathen 
nicht mehr auf die Neurosenstationen legen, sondern in ge¬ 
schlossene Irrenanstalten einweisen soll. Hierüber waren sich die 
anwesenden Psychiater, wie Alt, Emanuel. Levinstein 
einig, nur schien Weiler einen etwas anderen Standpunkt ein¬ 
zunehmen, indem er die sehr gute Anregung gab, derartige Kranke 
möglichst nur poliklinisch zu beurteilen, nicht zu behandeln. Die 
poliklinische Behandlung zumal der rückfälligen Neurosen empfahl 
übrigens Kalmus in geeigneten Fällen. 

Besondere Stationen für Refraktäre, besetzt mit hervorragenden 
Fachärzten, wie sie nach einem Bericht von S t i e r in Frankreich ein¬ 
gerichtet sind, empfahl Roth mann, der — im Gegensatz zu dem 
etwas stark zur Schau getragenen Optimismus der badischen Herren 
— in geeigneten Fällen rasche Verlegung empfahl. Auch hier wurde 
in dankenswerter Weise eine technische Erleichterung durch die 
Zentralinstanz zugesagt. Für das grössere ärztliche Publikum von 
grösstem Interesse waren die ehrlichen und vorzüglichen Worte über 
das Simulantentum. Dass in einem Heere, das einen so grossen 
Volksteil darstellt, wie das deutsche heute, Simulation vorkommt 
wie im Frieden auch, wurde von allen Seiten zugegeben. F ried¬ 
länder wies auf die Friedenserfahrungen in Prozessen der Ver¬ 
sicherungsgesellschaften hin. Und doch wurde man einig darüber, 
dass reine Simulation selten sei. Und vor allem: „Die Jagd nach 
Simulanten ist nutzlos..* (Alt.) Daher soll man den auch noch 
so Verdächtigen nur rein ärztlich gegenübertreten! Pas so w 
wies ebenso wie K ü m m e 11 hier auf die so schwere Differential¬ 
diagnose simulierter, psychogener und organischer Hörschädigungen 
hin. Liebermeister empfahl zur Klärung die Anwendung des 
psychogalvanischen Reflexes. Er war es auch, der sich am schärf¬ 
sten dagegen wandte, alle Neurotiker ohne Unterschied d. u. zu er¬ 
klären. Hierdurch würden nur Neurosen gezüchtet. Leichtere Fälle 
sollen nach vielfacher Anregung an oder dicht hinter die Front, fort 
von der Heimat (Schütz, R e t z 1 a f f u. a. m.). 

Verstümmelungszulage darf psychogenen Störungen nicht ge¬ 
geben werden, in unklaren Fällen soll die Zentralinstanz entscheiden. 

Vom Ministerium sorgfältig ausgearbeitete Leitsätze wurden 
Absatz für Absatz von der Versammlung durchgeprüft. Sie gehen 
nach ihrer Umarbeitung allen beteiligten Stellen zu. Es wurde so 
ein einheitliches Vorgehen aller zuständigen Verwaltungsbehörden 
und Sachverständigen erreicht, das nicht verfehlen wird, auf Aerzte 
und Patienten, Parlament und Presse günstig zu wirken. Aufklärung 
all dieser Stellen — wie Merkblätter Wagners — werden weiter 
Hilfe leisten, Missverständnisse aus dem Wege zu räumen. 


- Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 23. Juli 1918. 

Vorsitzender: Herr Bahr dt. 

Schriftführer: Herr Hübschmann. 

Diskussion über den Vortrag des Herrn v. Strümpell: 
Ueber Influenza. (Vergl. d. W. Nr. 40.) 

Herr O e 11 e r berichtet über Komplikationen bei 
Influenza, besonders üb£r^die serös-eitrigen Pleura- 

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und Perikarderkrankungen, die die verschiedenen 
Formen von Pneumonien begleiten. Sehr gute therapeutische 
Erfolge wurden durch die (wiederholten) einfachen Punk¬ 
tionen der Ergüsse gesehen, denen der unbedingte Vorzug vor 
der Entleerung durch Rippenresektion zu geben ist. Auch bei den 
wenigen Fällen, die später doch noch operiert werden mussten, wird 
durch die Punktionen zum mindesten Zeit gewonnen, so dass die 
Operation zu einem Zeitpunkt ausgeführt werden kann, zu dem die 
ursprünglich das Bild beherrschenden Lungenerscheinungen im Ab¬ 
klingen begriffen sind. 

Namentlich zu Beginn der Epidemie wurden mehrere Fälle be¬ 
obachtet, bei denen gastrointestinale Symptome im 
Vordergrund standen. Die klinisch dysenterieähnlichen 
Erscheinungen sind aber nur in einer toxisch bedingten ka¬ 
tarrhalischen Entzündung der (Magen-) Darmschleimhaut 
begründet. 

Herr B a h r d t macht einige historische Bemerkungen 
über frühere Epidemien, besonders über die letzte grosse 
Influenzapandemie von 1889/90. Dieselbe folgte ganz den grossen 
Verkehrswegen: Moskau, Petersburg, dann Paris, Berlin, Wien, von 
da in die grossen und kleinen Städte und auf das Land. Bei der 
jetzigen Epidemie zeigten sich Anginen mit starker livider Verfärbung 
von Uvula und weichem Gaumen, Erbrechen, Diarrhöen, mehrmals 
bei Influenza rezidiven mit ruhrartigem Charakter, auch Ex¬ 
antheme, einmal ganz masernähnlich, stark, 3 Tage dauernd, ferner 
Nasenbluten. Als schlimmste Komplikation erscheint das höhere 
Alter der Patienten, welches besonders die Gefahr der Pneumonien 
erhöht. Dies zeigte sich auch bei der alten Leipziger Lebens¬ 
versicherung, sowohl während der grossen Epidemie, als in den 
Jahren dazwischen, in denen auch — aber erst seit 1889 —die Influenza 
als Todesursache häufiger erscheint: seit 1889 : 730 Todesfälle bis 
Ende 1917, im Jahre 1917: 25 Influenzatodesfälie (gegenüber 68 Todes¬ 
fälle an Schwindsucht, 101 an Lungenentzündung, 144 an Krebs). In 
wieweit diese Fälle mit der pandemischen Form zu identifizieren sind, 
muss natürlich dahingestellt bleiben, besonders da selbst die Bak¬ 
teriologen über die Erreger der Krankheit noch nicht einig sind, und 
andererseits klinisch diese Formen von denen in den grossen Epi¬ 
demien nicht leicht unterschieden werden können. 

Herr B i 11 o r f (a. G.) beobachtete bereits Monate vor Aus¬ 
bruch der jetzigen Epidemie vereinzelte typische Influenzaerkran¬ 
kungen. 

In der Symptomatologie betont er, dass jede Epidemie 
gewisse Eigenheiten zeige: So tritt der Schnupfen ganz zurück, um¬ 
gekehrt ist diesmal der initiale Bindehautkatarrh mit 
Druckempfindliclikeit der Augäpfel recht charak¬ 
teristisch. Fast regelmässig findet sich Rachenkatarrh mit 
Schwellung und blauroter Verfärbung des weichen Gaumens, 
starker Sekretion im Rachenraum, gewöhnlich ohne Angina und Hals- 
lymphdrüsenschwellung. Stärkere Laryngitis ist selten. Nur einmal 
trat schwere Stomatitis und Glossitis auf. 

Wichtig ist die initiale Leukopenie (mit Zahlen von 2000 bis 
7000 Leukozyten), die allerdings bei jeder Michinfektion und Kom¬ 
plikation in Leukozytose übergeht. 

Initialerscheinung ist auffallende Rötung und Schwellung der 
Haut (erythemartig), besonders Gesicht und Rumpf. Eigentliche 
Exantheme (einmal an Meningokokkenexanthem erinnernd) sind 
selten, ebenso ausgedehnter Herpes (einmal Herpes zoster cervicalis) 
und Miliaria cristallina. Neigung zu Schweissen ist nicht so 
ausgesprochen, wie in früheren Epidemien. 

Die Fieberkurven entsprechen den bei Influenza bekannten 
3 Formen: 1. Schneller Aufstieg bis über 40° und schneller Abfall 
(1—2 Tage). 2. Die rekurrierende Form mit 2—3 maligen, dann meist 
niedrigeren Rückfällen. 3. Die stark remittierende, mitunter durch 
Schüttelfröste charakterisierte, gewöhnlich etwas protrahiertere Form 
(3—6 Tage). Andere Fieberverläufe weisen auf Komplikationen, 
besonders von seiten der Lunge, hin. 

Stets vorhanden Weichheit des meist beschleunigten, mit¬ 
unter verlangsamten Pulses. 

Häufig zerebral-nervöse Störungen, zum Teil heftigste 
Kopfschmerzen, Stupor, hysterische Dämmerzustände, Meningismus, 
Meningitis wurde nicht beobachtet. 

Die Lumbalpunktion in einer Reihe von Fällen (auch 
ohne stärkere zerbrale Erscheinungen) ergab erhöhten Liquor¬ 
druck (150—200 mm), erhöhte Liquormengen, leicht er¬ 
höhten Eiweissgehalt, zytolytisch und bakteriologisch negativen Be¬ 
fund. Neuritiden fehlten bisher, einmal schwere Neuralgie im Trige¬ 
minus. 

Bei Komplikationen mit Mischinfektionspneumonien fanden sich 
oft schwere psychische Störungen: Verwirrtheit, Delirien, Unruhe 
während des Fiebers, einmal Grössenideen. Auch Erschöpfungs¬ 
delirien nach Entfieberung. 

Leichte Albuminurie wurde häufig beobachtet, gutartige 
Nephritis nur einmal und bei einer Reihe fast geheilter hämorrhagischer 
Nephritiden kurzdauernde hämorrhagische Nachschübe. Urobilinurie, 
selbst Bilirubinurie leichten Grades, waren bei komplizierender Pneu¬ 
monie häufig. 

Original fro-m 

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1228 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4L 


Die gastro-intestinale Form (Durchfälle vom Typus des 
Dünndarmkatarrhs) waren relativ selten. Geringe Milzschwel¬ 
lungen wurden mehrfach gefunden. 

Sehr häufig war die katarrhalische Form mit mehr oder 
weniger ausgedehnter, oft kapillärer Bronchitis, mehrfach schwerste 
diffuse kapilläre Bronchitis mit stärkster Zyanose (Stauungspoly¬ 
zythämie einmal 7 000 000), hochgradigster Dyspnoe, ungünstiger 
Prognose. 

Der A u s w u r f ist in diesen Fällen schleimig-eitrig, oft reichlich, 
auffallend grobgeballt, doch setzen sich die gröberen Ballen aus 
mehreren feinsten Bällchen zusammen. 

Uebergänge zu reinen Bronchopneumonien. 

Dazu traten zwei Typen von Pneumonien, die durch 
Mischinfektionen mit Streptokokken und Staphylo- 
coccus aureus (die bakteriologischen Untersuchungen verdanke 
ich Herrn Professor Hübschmann) — neben Pneumokokken — 
entstehen. 

1. Solche mit starkem Befallensein der Bronchien 
und reichlich schleimig-eitrigem, oft himbeergeleeartigem 
Auswurf (eitrige Bronchitis und Bronchiolitis und akute 
Bronchiektasie); gewöhnlich fanden sich Staphylokokken. 

2. Massive Pneumonien mit stark haemorrhagi- 
s c h e m oder braunrot-ödematösem, pflaumbrühartigem, 
seltener rostfarbenem Auswurf mitunter reine Hämoptysen, oft 
Lungenödeme (Streptokokken). Natürlich traten auch Misch¬ 
formen auf. 

Besonders bei der zweiten Form roch der A u s w u r f öfters 
stark aromatisch, äpfelartig (ohne Azidose!). 

Die Prognose dieser Pneumonien ist sehr ernst. Die günstigsten 
Fälle entfiebern meist lytisch. 

Sehr häufige Komplikationen (mitunter scheinbar primär) 
waren Streptokokken- oder Streptokokken-Staphylokokkenexsudate 
bzw. Empyeme, bei denen die Frühbehandlung mit öfters 
wiederholten Punktionen — trotz eitriger Beschaffenheit 
und Bakteriennachweis — sehr günstig wirkte, so dass 
Rippenresektion nur in solchen Fällen gemacht werden 
sollte, wo nach mehrmaliger Punktion der Allgemeinzustand sich 
verschlechtert. 

Metastatische eitrige Parotitis, primär eitrige Peri¬ 
karditis (behandelt mit Perikarderöffnung) wurden je einmal, 
sonstige metastatische Eiterungen (Abszesse am Gesäss 
ohne Dekubitus) zweimal beobachtet. Ohrkomplikationen 
fehlten. 

Herr Thiersch -Dresden a. G. berichtet aus seiner bezirks¬ 
ärztlichen Praxis über explosionsartiges Auftreten von 
Influenza in einer nahe Dresden gelegenen grossen Munitions¬ 
fabrik Mitte Juni. Dort traten innerhalb 24 Stunden gegen 100 Er¬ 
krankungen auf, davon 70 allein während einiger Vormittagsstunden. 
Sie betrafen meist junge, kräftige Mädchen, aber auch Frauen und 
MänneT. Die mannigfaltigsten Erscheinungen wurden vom Fabrikarzt 
und der Roten Kreuz-Schwester beobachtet: plötzliches Umfallen, 
krampfartige, stark beschleunigte Atmung, Wadenkrämpfe, Kopf¬ 
schmerzen, Schweissausbruch usw. Die Krankenstube der Fabrik 
konnte sehr bald die Masse der zuströmenden Kranken nicht mehr 
fassen. Nach einigen Stunden verloren sich die akuten Erscheinungen 
bei sämtlichen Kranken, sie konnten ohne Hilfe den Betrieb ver¬ 
lassen und nach Hause gehen, um in grosser Zahl bereits am Nach¬ 
mittag und am folgenden Tage wieder bei der Arbeit zu erscheinen. 
Ein Rundgang durch die Fabrik erwies von den 30—40 Arbeitssälen 
nur 6—8 betroffen. In diesen gab es aber regelmässig gehäufte Er¬ 
krankungen. In einem Saale waren sämtliche 30 Arbeiterinnen, meist 
junge Mädchen, krank geworden, aber im Nebensaal, wo über 
100 Personen arbeiteten, merkwürdigerweise niemand. In der Folge 
gab es keine derartige Massenerkrankung mehr; die noch auf tretende 
Influenza war in Zahl und Charakter den sonstigen im Bezirk ge¬ 
meldeten Fällen gleich. Nach Art des Auftretens und der näheren 
Umstände handelte es sich bei dem „explosionsartigen“ Auftreten 
offenbar um eine hysterische Uebertragung gewisser 
Krankheitserscheinungen im Anschluss an einige echte Influenza¬ 
erkrankungen. Die allgemeine Spannung und Angst vor der zu er¬ 
wartenden gefährlichen „spanischen Krankheit“, genährt durch ge¬ 
fährlich klingende Zeitungsnotizen der damaligen politischen Presse, 
mag zu dieser Vorstellungsepidemie bpigetragen haben. Wie diese 
kleine, gut beobachtete Epidemie mögen aber zwanglos viele Berichte 
über sog. explosionsartiges Auftreten der Influenza ihre natürliche 
Erklärung finden. 

Herr Vers i: Bei den im pathologischen Institut zur Obduk¬ 
tion gelangten Fällen, die von der Klinik mit der Influenzaepidemie in 
Verbindung gebracht wurden, handelte es sich durchweg um schwere 
Erkrankungen des Respirationstraktus. Eine kleine Gruppe (etwa ein 
Drittel) umfasste gewöhnliche kruppöse Pneumonien (darunter eine 
Friedländerbazillenpneumonie), die in den ersten 3 Juliwochen sich 
stärker häuften und vorzugsweise Leute im 4. Dezennium (durch¬ 
schnittlich 47 Jahre) betrafen. Die zweite grössere Gruppe setzte 
sich dagegen aus lauter jugendlichen, kräftigen Individuen, meist aus 
dem Arbeiterstande, im Alter von 16—32 Jahren zusammen. Klinisch 
boten diese Fälle das Bild einer schweren Toxikose; pathologisch¬ 
anatomisch waren sie meist durch das Auftreten ausgedehnter oder 

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mehr umschriebener, auffallend hämorrhagischer Lobulärpneumonien 
gekennzeichnet, die gewöhnlich im Anschluss an schwere eitrige 
Bronchitiden entstanden und vielfach abszediert waren. An mikro¬ 
skopischen Präparaten waren um einen kleinen, durch die Ausbreitung 
auf die Nachbaralveolen oft rosettenförmig gestalteten Eiterherd die 
Lungenbläschen in der Umgebung weithin mit Erythrozyten ange¬ 
füllt. Oft fanden sich in Bronchien und Trachea reichlich blutig¬ 
schleimige Massen. In einem Fall (25 jähr. Arbeiterin), der in schwer 
komatösem Zustand in das Krankenhaus eingeliefert worden war, 
bildete eine septische Staphylokokkentracheitis den einzigen Befund. 
Als Erreger der obengenannten Lungenveränderungen kamen vor¬ 
wiegend Staphylococcus aureus und Streptokokken in Betracht. Sie 
verteilten sich so, dass die Staphylokokken hauptsächlich die mehr 
umschriebenen Abszesse der Lungen hervorriefen, während beim 
Vorhandensein von Streptokokken sich mehr die Tendenz zur weiteren 
Verbreitung geltend machte, zweimal in Form einer ausgedehnten 
Lymphangitis pulmonalis, sowie peribronchialer und peritrachealer 
Phlegmone, in sämtlichen Fällen in einer mehr oder weniger hoch¬ 
gradigen Empyembildung teilweise aller thorakalen Höhlen. Dabei 
war die Fibrinausscheidung an den serösen Häuten trotz der reich¬ 
lichen Bildung von ziemlich dünnem Eiter meist sehr gering. Ein Fall 
unterschied sich gegen die anderen durch das Fehlen der Hämor- 
rhagien. Hier waren reichlich Diplokokken in den lobulärpneumoni¬ 
schen Herden nachzuweisen, Strepto- und Staphylokokken nur ver¬ 
einzelt. Der Tod war schon am zweiten Tage infolge Herzschwäche 
eingetreten (21 jähr. Kellnerin). Ein weiterer Fall, der mit Schüttel¬ 
frost und pneumonischem Auswurf ganz typisch begann und nach 
8 Tagen letal endete, zeigte eine ausgedehnte akute, verkäsende 
L >buiärpneumonie, die von einem kleinen, zerfallenen, käsigen Knoten 
des rechten Oberlappens ausging (23jähr. kräftiges Mädchen). Offen¬ 
bar wird durch die primäre Influenzaerkrankung,* über deren eigent¬ 
lichen Erreger die vorgenommenen Untersuchungen keinen Aufschluss 
gaben, sekundären Infektionen aller Art durch weitgehende Herab¬ 
setzung der Widerstandsfähigkeit des Organismus Tür und Tor ge¬ 
öffnet. Die Neigung zu Blutungen in den Lungen ist wohl meist auf 
eine toxische Gefässschädigung zurückzuführen, die natürlich am 
stärksten in den entzündeten Teilen zum Ausdruck kommt. In einem 
Falle waren auch septische Hautblutungen (Streptokokken) aufge¬ 
treten, cei drei anderen hämorrhagische Erosionen des Magens. Ab¬ 
gesehen von meist nur geringen Milzschwellungen in einigen Fällen 
un j Hyperämien des Gehirns fehlten an den übrigen Organen stärkere 
Verändeiungen. 

Herr Huebschmann berichtet über bakteriologische und 
pathologisch-anatomische Untersuchungen. 

Erscheint unter den Originalien dieser Nummer. 

Herr Kruse: Kein Zweifel kann darüber bestehen, dass wir 
es jetzt wieder zum ersten Male seit fast 30 Jahren mit einer wirk¬ 
lichen Pandemie der Influenza zu tun haben. Eine solche ist nur 
erklärlich durch Ausbreitung eines bestimmten Ansteckungskeimes 
von Land zu Land, nicht durch annähernd gleichzeitiges Wieder¬ 
aufleben eines schon vorher überall vorhandenen Krankheitserregers. 
Schon damit fällt die Möglichkeit weg, dass der Pfeiffer sehe sog- 
Influenzabazillus die Ursache der jetzigen Epidemie ist. Dass er 
auch die Pandemie von 1889/90 und viele daran sich anschliessende 
kleinere Grippeepidemien nicht veranlasst haben kann, folgt daraus, 
dass man ihn erst 1891 aufgefunden und seit dem Ende der 90 er 
Jahre bei klinischer Influenza meist nicht wiedergefunden hat Auch 
in dieser Epidemie fehlt er fast überall, während er z. B. in der von 
mir * in einem Bonner Krankenhaus studierten Epidemie von 1895 
fast stets leicht nachzuweisen war. Gegen seine Bedeutung spricht 
auch die Tatsache, dass er sehr regelmässig bei Keuchhusten und 
Masern nachgewiesen wurde und auch später oft genug, so z. B. 
in Leipzig gerade bei solchen Fällen (Meningitis) eine Rolle spielte* 
die mit Influenza nichts zu tun hatten. Von anderen bakteriologischen 
Befunden, die in dieser Epidemie gemacht wurden, sind die durch 
eine gewisse Veränderlichkeit ausgezeichneten, lanzettförmigen 
Diplo- und Streptokokken alte Bekannte aus der Epidemie von 1889/90 
(vergl K r u s e, P a n s i n i und P a s q u a 1 e, Zbl. f. Bakt.). Natürlich 
sind sie nicht die eigentlichen Influenzaerreger; dagegen sprechen 
auch erfolglose Ansteckungsversuche, die ich jetzt an einigen Stu¬ 
denten mit einer frisch gezüchteten Kultur angestellt habe. Schon 
bei Gelegenheit der Entdeckung des Aphanozoum coryzae kurz vor 
Beginn des Krieges (vergl. diese Wochenschr. 1914) sprach ich die 
Vermutung aus, auch der Influenzakeim gehöre zu den sog. filtrier- 
bären oder unsichtbaren Erregern (Aphanozoen). Diesmal versuchte 
ich die Probe darauf zu machen. Freilich gelang es mir mit filtrierter 
Nasenspülflüssigkeit aus einem Influenzafall nicht, an einigen meiner 
Zuhörer diese Krankheit hervorzurufen. Derartige Versuche müssten 
aber in weit grösserem Massstabe und in mannigfach veränderter 
Form wiederholt werden. Es wäre auch möglich, dass der Erreger 
der Influenza, wie der des Fleckfiebers ein Aphanazoum wäre, das 
zwar nicht filtr.ierbar, aber doch unsichtbar ist. 

He/r Lange. 

Herr v. Strümpell stellt eine 37jährige Kranke mit schwerer 
Osteomalazie vor. Bald nach der zweiten Geburt im 20. Jahre traten 
allgemeine unbestimmte Schmerzen im Rücken, in den Armen 
und Beinen auf. Gleichzeitig entwickelte sich bei nicht ungewöto* 
lieber Nahrungsaufnahme eine starke Fettleibigkeit. Das 

Original frn-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



29. Oktober 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1229 


Körpergewicht stieg bis auf 197 Pfund. Allmählich wurde das Gehen 
immer schwieriger und schmerzhafter. Die Krankheit wurde, wie so 
häufig, lange Zeit verkannt. Oft wurde die Pat., bis in die letzte Zeit, 
für „hysterisch“ gehalten. Vor einigen Jahren trat nach einem 
ziemlich leichten Fall eine Fraktur des rechten Schenkelhalses und 
des rechten Humerus auf. Die erstere heilte nicht, der Schenkelbein¬ 
kopf musste künstlich befestigt werden. 

Bei der Aufnahme in die med. Klinik konnte Pat. sich kaum und 
nur mit den grössten Schmerzen etwas im Bette aufrichten. Stehen 
ganz unmöglich. Charakteristische kyphotische Verkrümmung der 
Wirbelsäule, Abknickung des Brustbeins. Charakteristisch osteo¬ 
malazisches Becken. An den langen Röhrenknochen der Extremitäten 
keine deutlichen Verkrümmungen, aber starker Druckschmerz. Nur 
die Kopiknochen und die kleinen Hand- und Fingerknochen scheinen 
gesund zu sein. 

Die Pat. wurde mit Phosphorlebertran behandelt und 
der therapeutische Einfluss des Phosphors war — wie dies Str. schon 
früher wiederholt festgestellt hat — auffallend günstig. Nach 
ca. V 2 jähriger Behandlung kann Pat. jetzt ohne besondere Schmerzen 
wieder mit Hilfe eines Stockes gehen. Der Gang geschieht mit den 
für Osteomalazie so sehr charakteristischen kleinen humpelnden 
Schritten. Pat. ist im ganzen durch die Krankheit ca. 40 cm kleiner 
geworden. 


Aerztlicher Verein in Hamburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 15. Oktober 1918. 

Vorsitzender: Herr Fraenkel. 

Herr Troemner: 1. Zwei Fälle von Areflexle bei anscheinend 
Gesunden: Fehlen der Patellar- und Achillesreflexe ohne irgend 
welchen organischen Befund, die als kongenitale Schwäche des 
spinalen Reilexbogens aufzufassen ist. 

2. Fall von intermittierendem Hinken bei einem 44jähr. Manne. 
Abusus tabaci et alcoholi. Neuritische Symptome in den Beinen, 
fehlende Achiilesreflexe. Parästhesien. 

Herr Simmonds: Lieber Rückenmarkstuberkulose. 

Vortr. hat mehrfach, besonders bei Kindern, Tuberkeln und 
kleine Käseknoten des Rückenmarks gesehen, nie machten sie indes 
klinische Erscheinungen, in dem demonstrierten Falle hatte ein 
erbsengrosser Käseknoten des Brustmarks zu Paraplegie und Blasen¬ 
mastdarmlähmung geführt und durch Pyelonephritis den Tod ver¬ 
anlasst. Der Käseknoten hatte fast den ganzen Querschnitt des Marks 
betroffen, auf- und absteigende Degeneration der Hinter- und Seiten¬ 
stränge hatten sich angeschlossen. Tuberkulöse Veränderungen 
fanden sich bei dem 20 jährigen Manne noch im Peritoneum, in Leber, 
Bronchial- und Mesenterialdrüsen. 

Herr Röper: 1. Fraktur des XL und XII. Brustwirbels durch 
Prellung und Erschütterung. 

2. Rlppenscbuss mit Lähmung der Beine: Schienenhülsenapparate. 

3. Myelitis nach Gonorrhöe. 

Herr Fahr berichtet über einen Fall von Rheumatismus nodosus 
bei einem 7 jährigen Mädchen. Er gibt eine genauere histo¬ 
logische Beschreibung der an den Sehnenansätzen sich ent¬ 
wickelnden Knötchen. Bezüglich der Natur der Knoten vermutet 
Vortr., dass hier trotz der Grössenunterschiede und gewisser histo¬ 
logischer Differenzen prinzipielle Analogien bestehen zu den 
von A s c h o f f entdeckten — nur mikroskopisch nachweisbaren — 
rheumatischen Knötchen im Myokard, die auch im vorliegenden Fall 
in grosser Zahl vorhanden waren. ( 

Herr M a j e r n s berichtet über das neue Schlafmittel Nirvanol, 
das sich anfangs ausgezeichnet bewährte und besonders bei Er¬ 
regungszuständen ausgezeichnete Dienste leistete. Unter 80 Fällen 
hatten aber 6 Nebenwirkungen, die zum Teil in einem Katzenjammer 
bestanden, zum Teil Exantheme aufwiesen. Bei Arteriosklerotikem 
war eine deutlich kumulierende Wirkung erkennbar. Bei einem 
27 jährigen Manne mit Empyem entwickelte sich nach 11 maliger 
Dosis ä 0,5 ein skarlatiniformes Exanthem, das als Sublimatexanthem 
aufgefasst wurde; nach einiger Pause bekam der Kranke noch 8 mal 
03. Es entwickelte sich dann eine hämorrhagische Nephritis, der 
der Patient erlag. 

Herr Oehlecker: Partielle Bauchdeckenlähmung nach Schuss¬ 
verletzung mehrerer Interkostalnerven. 

Herr W o h 1 w 111: Pathologisch-anatomische Veränderungen 
des Zentralnervensystems bei angeborener und erworbener Syphilis. 

W. demonstriert an einer Reihe von Diapositiven die Verände¬ 
rungen, welche er im Gehirn und Rückenmark in Fällen gefunden 
hat, die intra vitam keinerlei Symptome eines syphilogenen Nerven¬ 
systems geboten hatten, bei der Sektion aber spezifische Verände¬ 
rungen an anderen Organen aufgewiesen hatten. 

Bei der erworbenen Syphilis der Erwachsenen handelt es sich 
erstens um Gefässveränderungen, welche der von N i s s i und Alz¬ 
heimer beschriebenen Endarteriitis der kleinen Rindengefässe ent¬ 
sprechen, aber ganz umschrieben auftreten, zweitens um chronische, 
meningitische Prozesse (Infiltrate mit Lymphozyten und Plasma¬ 
zeilen, drittens um ein kleines Granulom, das an ein Gummi erinnert. 
Besprechung der Beziehungen zwischen den Befunden chronischer 

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Meningitis in einem Fall von Tabes und in einem solchen ohne 
tabische Veränderungen. 

Bei der angeborenen Syphilis treten entzündliche Erscheinungen 
in den Hintergrund, Hier werden vor allem starke Wucherungsvor¬ 
gänge an den normalerweise dem Piagewebe angehörenden Gewebs- 
elementen — grossen Rundzellen und Fibroblasten — beobachtet; 
ferner Entwicklungsstörungen, von welchen demonstriert werden 
persistierende, vaskuläre und ventrikuläre Keimzentren. 

Vortr. spricht die Vermutung aus, dass die von ihm gefundenen 
pathologischen Prozesse im zentralen Nervensystem der Syphilitiker 
die Brücke bilden zwischen der so häufigen durch Liquorverände¬ 
rungen nachweisbaren Affektion der Meningen im sekundären Sta¬ 
dium und zwischen Tabes und Paralyse. 


Akademie der Wissenschaften in Paris. 

Zur Prophylaxe und Serotherapie des Gasbrandes ln der französischen 
Militärsanität. 

In einer weiteren Sitzung machten Vincent und Stodel 
Mitteilung über die Herstellung eines polyvalenten Immunserums 
(Sur la serothörapie antigangröneuse par un sörum multivalent 
C. R. T. 166 Nr. 6 August 1918). 

Zuerst würde eine Kultur angelegt mit Material aus dem Krank¬ 
heitsherd des Gasbrands einer ziemlich gleichartigen Wunde. Als 
Krankheitserreger kämen verschiedene anaerobe Bakterien in Be¬ 
fracht, von denen die wichtigsten schon früher genannt worden 
'wären. Da keine einheitliche Ursache vorläge, müssten bei der 
Herstellung des Serums alle Mikroben berücksichtigt werden, welche 
ätiologisch für den Gasbrand in Frage kommen könnten; wenn dies 
nicht geschehe, sei das Ergebnis unbefriedigend oder gleich Null. 
Man könne zwei Phasen unterscheiden: 1. Eindringen und Ausbreitung 
der Mikroben im Gewebe. 2. Zersetzung des Eiweiss und Giftwirkung 
auf die lebende Zelle (Muskel-, Zell- und Blutgewebe) und auf das 
Nervengewebe durch von den Mikroben abgeschiedene Toxine. Ein 
wirksames Serum müsste also zugleich sterilisieren und entgiften. 
Sie hätten schon früher auf die Wichtigkeit des Zusammenvorkommens 
verschiedener anaerober Bakterien hingewiesen *). Die Unter¬ 
suchungen von Besson, Weinberg und ihnen hätten gezeigt, 
dass eine Mischinfektion viel deletärer wäre und leichter letal 
endigte, als die Infektion mit einer isolierten Bakterienart. V 10 ccm 
einer Kultur von B. perfringens, Vibrio septicus und B. sporogenes 
intramuskulär in die Blutbahn eingespritzt, tötete ein Meerschwein¬ 
chen von 400 g in 10—18 Stunden. Man könnte also nicht das vom 
Pferd gewonnene Schutzserum gegen jede einzelne Bakterienart be¬ 
nützen, wenn man ein Serum haben wolle, das in prophylaktischer 
und kurativer Hinsicht maximal wirksam wäre. Man verimpfe auf 
das Pferd alle drei Arten zugleich und erhalte so eine maximale 
Virulenz des Serums. Gegenwärtig benütze man 14 Arten oder 
Rassen von Mikroben. Von ihrer Pathogenität überzeuge man sich 
vorher durch Verimpfung auf das Meerschweinchen. Man gewinne 
ein für Pferd und Mensch äusserst wirksames Schutzserum; zugleich 
hätten sie auch das Pferd für Tetanus immunisiert. Von dem Antigen 
wisse man bisher nur, dass man die ganze oder zentrifugierte Kultur 
auf Bouillon oder Zuckerbouillon in 2:1000 nimmt. 

Da die Einspritzung in die Gefässe des Pferdes als Einführung 
einer fremden Substanz schwere Folgen nach sich zöge, würde folgen¬ 
des Verfahren angewendet: Jede einzelne Mikrobe wird auf Agar-Agar 
kultiviert, in physiologischer Kochsalzlösung auf geschwemmt, in 
•einem Behälter unter Oel in den Wärmeschrank von 38° ge¬ 
bracht und 2—4 Tage stehen gelassen, indessen vegetiert die Kultur, 
reichert sich an und sondert Gas ab. Die Kulturflüssigkeit ist reich 
an Endo- und Exotoxinen. Nun injiziere man in die Blutbahn des 
Pferdes in steigender Dosis 10 ccm. Das Tier könnte vom 3. Monat 
ab ein Immunserum liefern. Bei der Prüfung erwies sich das Serum 
als immunisierend für den Gasbrand und antitoxisch. 

Man hätte damit Erfolge gehabt, die alle Erwartungen über¬ 
troffen hätten. Man könne konservativ Vorgehen und ganze Glieder 
ohne Abtragung oder Exartikulation erhalten. 

Dr. L. K a t h a r i n e r. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 25. Oktober 1918. t) 

— Kriegschronik. Die neue deutsche Note an den Präsi¬ 
denten Wilson hat mit der Preisgabe des U-Bootskrieges der Friedens¬ 
sehnsucht ein weiteres Opfer gebracht. Trotzdem läuft Wilsons sehr 
rasch erfolgte Antwort bei scheinbarem Entgegenkommen abermals 
auf die Forderung der Wehrlosmachung Deutschlands als einer 
Voraussetzung für den Frieden hinaus. Mit banger Sorge erwartet 


*) Vaillard et H. Vincent: Recherches experimentales 
sur le tetanos C. R. T. 112 1891 p. 239, et Annales de l’institut Pasteur. 
25. Oktober 1896. 

t) Wegen eines sächsischen Buss- und Bettages musste diese' 
Nummer früher fertiggestellt werden. 

Original from , 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1230 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 44. 


man, wie unsere Regierung sich zu dieser demütigenden Forderung 
stellen wird. Der Auflösungsprozess in Oesterreich schreitet fort. 
Tschechen, Polen und Südslaven haben ihr Ausscheiden aus dem 
österreichischen Staatsverband endgültig erklärt; Ungarn ist nur 
noch durch Personalunion mit ihm verbunden; auch die Deutsch- 
Oesterreicher haben in einer von sämtlichen deutschen Parteien be¬ 
suchten Nationalversammlung am 21. ds. beschlossen, einen selb¬ 
ständigen deutsch-österreichischen Staat zu bilden. Damit ist der 
Zerfall des ehemaligen Kaiserstaats in seine Teile vollendet. In 
Ungarn ist das Ministerium Wekerle zurückgetreten; die entente- 
freundlichen Strömungen erhalten damit Oberwasser. — An der 
Westfront hat sich der deutsche Widerstand verstärkt. In Serbien 
haben französische Truppen die Donau erreicht. Die U-Bootsbeute 
des Monats September betrug 440 000 Tonnen. 

— Amtlich wird uns geschrieben: Nach den Erfahrungen der 
Reichsbekleidungsstelle werden trotz der wiederholten Aufforde¬ 
rungen zu sparsamster Verwendung baumwollene 
Verbandstoffe in der ärztlichen Privatpraxis noch 
in einem Masse verbraucht, das den notwendigen Bedarf weit über¬ 
steigt und in keinem Verhältnis zu dem Verbrauch in den Kranken¬ 
anstalten steht. Während z. B. sämtliche Krankenanstalten Deutsch¬ 
lands an Baumwollwatte für ein Halbjahr nur 4000 kg anforderten, 
wurde für den Verbrauch ausserhalb der Krankenanstalten nahezu 
das Zehnfache verlangt. Die Rohstofflage fordert dringend, dass auch 
in der ärztlichen Privatpraxis Zellstoffwatte, Papierbinden und 
Papiergarnbinden an Stelle der bisher gebrauchten Baumwollerzeug- 
nisse herangezogen werden und dass der Gebrauch und die Ver¬ 
ordnung von Verbandstoffen aus Baumwollfaser auf Verwendungen 
beschränkt werden, für die Ersatzstoffe völlig ungeeignet sind. Von 
dem Gebrauch von Papierbinden in der Privatpraxis darf zurzeit 
auch nicht mehr zu weitgehende Rücksicht auf die Kostenfrage ab¬ 
halten. Hierbei wird auch auf die Veröffentlichung des Direktors 
des Universitätsinstituts für Orthopädie in Berlin, Prof. Dr. G o c h t, 
über die vielseitige Verwendungsmöglichkeit der Papierbinde, 
D.m.W. 1918 Nr. 38, hingewiesen. Die Reichsbekleidungsstelle er¬ 
sucht die Aerzte dringend, dass sie auch in der Privatpraxis jede 
vermeidbare Verwendung und Verordnung von Verbandstoffen aus 
Baumwollfaser, auch von Baumwollwatte, unterlassen. Sollte diese 
Anregung bei den Aerzten nicht hinreichende Beachtung finden, so 
könnte die Reichsbekleidungsstelle von Zwangsmassregeln nicht wohl 
absehen. 

— Auf Ersuchen der österreichischen Regierung hat das Deutsche 
Reich, um dem dort bestehenden Mangel an Arzneimitteln abzuhelfen, 
1000 kg Aspirin nach Wien überwiesen. Die freie Abgabe des 
Aspirin im Handverkauf hat in Oesterreich zu umfangreichem Ham¬ 
stern und zum Schleichhandel mit diesem Mittel geführt. In Zukunft 
darf es nur noch in ganz beschränkter Menge in Apotheken im Hand¬ 
verkauf abgegeben werden. 

— Die Preise für Spiritus und spiritushaltige 
Arzneimittel haben, veranlasst durch die höhere Besteuerung 
des Branntweins, eine beträchtliche Erhöhung erfahren. Tinkturen, 
Fluidextrakte und die meisten spiritushaltigen Präparate werden um 
15 Pf. für je 10 g und um 1 M. für je 100 g teurer. 

— Die politische Entwicklung in Oesterreich scheint das Fort¬ 
bestehen der deutschen Universität in Prag unmöglich zu 
machen. Das Professorenkollegium hat über die Verlegung bereits 
Beratung gepflogen; als künftiger Sitz der bisherigen Prager deut¬ 
schen Universität soll Aussig in Betracht kommen. 

— Der Dresdener Orthopäde Sanitätsrat Dr. Alfred S c h a n z, 
ist von der Deutschen Orthopädischen Gesellschaft für 1919 zum Vor¬ 
sitzenden gewählt worden. 

— Das englische Fachblatt „Lance t“ bringt seit kurzem eine 
französische Beilage, die unter Redaktion von Prof. Ch. A c h a r d 
und Dr. Ch. F 1 a n d i n in Paris Beiträge französischer Verfasser in 
englischer Uebersetzung enthält. 

— In zweiter Auflage erschien „S e r o d i a g n o s t i k. Kurze 
Zusammenstellung der biologischen Reaktionen nebst einem Anhang 
über die wichtigsten Protozoen“ von Dr. M. P i o r k o w s k i in 
Berlin. Mit 11 Abbildungen. Berlin bei Rieh. Schoetz, 1918. (Preis 
M. 2.50.) In der nur 61 Seiten kleinen Formats umfassenden Schrift 
werden in äusserster Kürze die Grundzüge der Immunitätslehre und 
der Serodiagnostik dargestellt und insbesondere die Wassermann- 
sche und die Abderhalden sehe Reaktion erläutert. 

— Den Milzbrand und seine sozialhygienische Bedeutung 
für Landwirtschaft und Industrie schildert in einer kurzen gemein¬ 
verständlichen Schrift der bayer. Landesgewerbearzt Med.-Rat 
Dr. Koelsch. (Verlag Natur und Kultur Dr. Frz. Jos. Völler, 
München 1918. Preis M. 1.20.) Ursache, klinischer Verlauf und die 
Bekämpfungsmassregeln in den verschiedenen Industrien (Lederindu¬ 
strie, Haar- und Borstenverarbeitung, Wollindustrie, Hadern- und 
Lumpensortiererei) werden besprochen. Die Broschüre zeigt die 
grosse Bedeutung, die der Milzbrand für Arbeiterschutz und Volks¬ 
wirtschaft besitzt. 

— Die Influenzaepidemie dauert in allen Ländern 
Europas an, doch scheint bei uns wenigstens der Höhepunkt über¬ 
schritten zu sein. In München waren bis zum 22. ds. 117 Todesfälle 
gemeldet. 


Hochschulnachrichten. 

Berlin. In der Medizinischen Fakultät habilitierten sich 
Dr. Kohlrausch für Physiologie, Dr. Köhler, Dr. Leschke, 
Dr. Munk und Dr. Zondek für innere Medizin. 

Breslau. Dem Privatdozenten für Augenheilkunde, Prof. Dr. 
Groenouw, ebenso dem Augenarzt Dr. Wo 1 ffberg ist der 
Titel Geheimer Sanitätsrat verliehen worden. 

Erlangen. Zum ordentlichen Professor der Anatomie und 
Direktor der anatomischen Anstalt dahier wurde der bisherige ausser¬ 
ordentliche Professor und Prosektor der Münchener Universität 
Dr. Albert Hasselwander ernannt. Gleichzeitig wurde dem 
Vorschlag entsprechend der hiesige ausserordentliche Professor 
Dr. F. Hermann zum Ordinarius befördert und ihm mit der Lehr¬ 
aufgabe der Histologie und topographischen Anatomie die Leitung 
der histologischen Abteilung der anatomischen Anstalt übertragen. 
Die Vorschläge der Fakultät hatten gelautet: H e i d e r i c h - Bonn 
primo loco, Hasselwander - München und V o i t - Göttingen 
secundo et aequo loco; nebenher ging noch der oben schon genannte 
Vorschlag bezüglich Prof. Hermanns. 

Jena. Das Ordinariat der Pharmazie und Nahrungschemie an 
der Universität Jena und die Leitung des Nahrungsmittelunter¬ 
suchungsamtes ist dem Professor Dr. Oscar Keller aus Marburg 
übertragen worden. 

Münster i. W. Medizinerfrequenz. Am Schlüsse der Imma¬ 
trikulation am 5. Oktober d. J. sind an der Universität 3260 immatri¬ 
kulierte Studierende eingeschrieben, darunter 325 Frauen. Hierzu 
kommen noch 103 Gasthörer, so dass die Gesamtzahl der zum Hören 
der Vorlesungen Berechtigten 3363 beträgt. Im Vergleich zum 
Wintersemester 1917/18 ist ein Zugang von 397 und zum letzten 
Sommersemester ein solcher von 193 Studierenden zu verzeichnen. 
Von der Gesamtzahl gehören der medizinisch-propädeutischen Ab¬ 
teilung (medizinisches Studium in den ersten 5 Semestern bis zur 
ärztlichen und zahnärztlichen Vorprüfung einschliesslich) 686 männ¬ 
liche und 30 weibliche, im ganzen also 716 immatrikulierte Stu¬ 
dierende der Medizin an. Neu immatrikuliert sind davon zu Anfang 
dieses Wintersemesters 73 Mediziner. 

Debreczin. An der neugegründeten medizinischen Fakultät 
In Debreczin wurden zu ordentlichen Professoren ernannt: Franz 
Orsos (Pathologische Anatomie), Fritz Verzar (Allgemeine Patho¬ 
logie) und Julius V e s z i (Physiologie). Die neuen Institute und 
Kliniken sind während dem Krieg erbaut und werden demnächst er¬ 
öffnet. 

Todesfall. 

In Prag starb Obersanitätsrat Dr. Theodor A11 s c h u 1, 68 Jahre 
alt, verdient um das städtische Gesundheitswesen und um die deut¬ 
schen gemeinnützigen Unternehmungen in Prag. 


Korrespondenz. 

Zur Grippe. 

Von Bezirksarzt Dr. Victor L. Neumayer, Kljuö, Bosnien. 

Gelegentlich der jetzt auch hier in sehr heftiger und bösartiger, 
toxischer Form auftretenden Grippe (spanischen Krankheit) möchte 
ich in folgendem kurz auf eine Beobachtung hinweisen, welche sich 
mir immer wieder aufdrängt. 

Seit mehr als Jahresfrist betreibe ich hier in einem stets zu¬ 
nehmenden Kreise Tuberkulinbehandlung. Es geschieht dies im Auf¬ 
trag und auf Kosten der Landesregierung. Nun fiel es mir auf, dass 
von meinen Tuberkulinfällen, seien sie bereits zu Ende behandelt, 
seien sie es nicht, kaum einer oder der andere, und dann auch 
nur allerleichtest, an Grippe erkrankte! Und das auch in Häusern, 
in welchen alle anderen Personen darniederlagen. 

Selbstredend fällt es mir nicht ein, auf dieser Beobachtung, die 
eben lediglich eine Beobachtung ist, ein schwindelndes Gebäude 
schwanker und kühner Schlüsse errichten zu wollen. Sollte es sich 
um mehr als ein bloss zufälliges Zusammentreffen handeln, und sollte 
vielleicht doch noch ein bisher unbekannter, ja nicht einmal ge¬ 
ahnter Zusammenhang zwischen Influenzabazillus und Tuberkel¬ 
bazillus bestehen, dann freilich käme dieser meiner Beobachtung 
eine ganz gewaltige Tragweite zu. Vielleicht haben wir doch noch 
andere Zusammenhänge zwischen beiden Feinden der Menschheit 
anzunehmen als bloss den bisher festgestellten, dass der Influenza¬ 
erreger von einer Seuche zur anderen meist als Gast des Koch sehen 
Bazillus in den Höhlungen kranker Lungen überlebt. Es wäre nichts 
als nur logisch, wenn ein solches jahrelanges Beisammensein auch 
gegenseitige Beeinflussung erzeugte; falls es nicht schon an sich Ver¬ 
wandtschaftsfolge wäre. 

Ich möchte daher, tunlichst so lange die jetzige Seuche noch 
währt, meine Beobachtung zur Besprechung stellen, damit Berufenere 
der Sache nachgehen können. Dies der Zweck vorliegender Zeilen. 


((•denket der Münchener Aerztlichen Krlegchltfskeesel 

Einzahlungen sind zu machen auf das Scheckonto Nr. 9263 der 
Münchener AerztUchen Kriegshilfskasse bei der Bayer. Hypothekeo- 
und Wechselbank, München. Theatinerstrasse 11. 


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VefUftvoal. F. LehSteni 

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enn in München S-W. 3 , Pul Heyeeetr. 36 . — Drude von E. Mühltheler’» Buch- und Konetdruckerd A.O., München. 

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fall der efauetnea ftnmner #Ö 4 . • ietoftprUfe fft ttaritdilül 
• • • and Ausland siche unten unter Becufsbedtagungen. • • • 
l—crwtcnschlaue an Donnerstag einer Jeden Wocha 


MÜNCHENER 


lisdndaitfen «iäd in r&cntöfe 

rftr die Sdirtftlettungz Arnulfstr 26 (Sprechstunden •*/«—1 Uni 
PAr Bezug: an 1. F. Lehmann’* Verlag, Paul Heysestrass« 2a 
Fflr Anzeigen und Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatinerstrasae 1» 


Medizinische Wochenschrift. 


ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Nr. 45. 5. November 1918. 


Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Amulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag behüt sich das ausschliessliche Recht der Vervielflhlgung und Ver b r ei t un g der in dieser Zeitschrift zun Abdruck gelangenden Originalbdtrlge vor. 


Originaljen. 

(Aus dem Vereinslazarett Oskar-Helene-Heim, Berlin-Zehlen- 
dorf; leitender Arzt: Prof. Biesalski). 

Muskelphysiologie des Oberschenkelstumpfes und ihre 
Beziehung zum Prothesenbau. 

Von Dr. Mommsen, Oberarzt d. Res. 

Suchen wir uns zunächst klarzumachen, worin der Unterschied 
zwischen einem langen, mittellangen oder kurzen Oberschenkeistumpf 
besteht, so müssen wir zwei Hauptpunkte aufs teilen, die die Eigen¬ 
schaften des Stumpfes im Verhältnis zu seiner Länge beeinflussen. 

Das erste Moment liegt klar auf der Hand und ist jedem Pro¬ 
thesenbauer geläufig. Es ist die wechselnde Hebellänge, mit der der 
Stumpf die Prothese bewegt. Nun würde an und für sich ein kürzerer 
Hebelarm gegenüber einem längeren Stumpf mit längerem Hebelarm 
keine wesentlichen Nachteile haben, wenn es gelingen würde, den 
Oberschenkelknochen in eine starre, feste Verbindung mit der Hülse 
und damit mit dem ganzen Kunstbein zu bringen. 

Dieses Ziel Ist aber praktisch nicht zu erreiohen, da die Weich¬ 
teile des Stumpfes immer einen ziemlich erheblichen toten Oang des 
Oberschenkelknochens im Verhältnis zur Hülse verursachen, selbst 
dann, wenn man die Hülse an gewissen Punkten durch Druck auf die 
Weichteile in engere Verbindung mit dem knöchernen Gerüst des 
Stumpfes zu bringen sucht, wie z. B. S p i t z y es zum Zwecke der 
Suspension mit seiner Schnürfurche oder Hanau sek mit seinen 
Druckgipsabgüssen erreichen will. Die bekannte Methode, die kür¬ 
zeren Oberschenkelstümpfe durch eine schnürbare Hülse fester zu 
fassen, versagt aber leider gerade am allermeisten bei den ganz 
kurzen Stümpfen, da erfahrungsgemäss hier bei der Hüftbeugung, z. B. 
beim Sitzen, der Stumpf sehr leicht aus der Hülse herausgezogen 
wird und dann beim Aufstehen nicht genügend fest und tief wieder 
in die Hülse hineingebracht werden kann. 

Das zweite Moment, das sich bei abnehmender Länge des 
Stumpfes bemerkbar macht, bezieht sich auf die veränderten Ver¬ 
hältnisse der Muskulatur und spielt nach meinem Dafürhalten eine 
mindestens gleichwertige Rolle. 

Je höher wir nämlich den Oberschenkelknochen ab setzen, desto 
mehr zerstören wir an Musk'elansätzen durch den Eingriff der Am¬ 
putation. Die ihres distalen Ansatzpunktes 'beraubten, teils ein- 
getenkitgen, teils zweigelenkigen über das Hüftgelenk ziehenden Mus¬ 
keln verfallen der Inaktivitätsatrophie und verlieren ihre Wirkung auf 
das Hüftgelenk. Ich halte es aber auch nicht für unwahrscheinlich, 
dass bestimmte Muskelabschnitte durch den direkten Druck der Pro¬ 
these in ihrer Rückbildung noch beschleunigt werden können (Druck¬ 
atrophie). 

Diie Folge der Oberschenkelamputation ist also unter allen Um¬ 
ständen eine bedeutende Schwächung der Kraft, mit der der Ober¬ 
schenkelknochen im Hüftgelenk bewegt werden kann, eine Folge, 
die im Wesen der Amputation begründet liegt. Diesen Fehler teil¬ 
weise im Stumpf selbst auszugleichen, ist schon von verschiedenen 
Seiten dadurch versucht worden, dass man wenigstens einem Teil 
des distalen Endes der durch trennten Muskelmasse einen neuen In¬ 
sertionspunkt am Knochen zu verschaffen versucht hat. 

So dürfte auch der alte Vorschlag Neubers, die durch¬ 
schnittenen Muskeln und Sehnen über dem Knochenende miteinander 
zu verbinden, abgesehen von der Schaffung einer besseren Welchteil- 
bedeckung für -das untere Stumpfende seine günstige Wirkung im 
Sinne der Erhaltung von Muskelkraft für das Hüftgelenk nicht ver¬ 
fehlen (bzw. im Unterschenkel für das Kniegelenk). Auch der Vor¬ 
schlag ^L u d 1 of f s bei der Amputationsmethode nach Gritti, die 
zweigelenkigen Muskeln an der Rückseite des Oberschenkels an das 
Ligamentum pateltae anzunähen, dürfte neben der Sicherheit für den 
guten Halt der Kniescheibe bedeutende Vorteile für die Erhaltung 
von wichtiger Muskelkraft in sich tragen. Es ist durchaus wahr¬ 
scheinlich, dass die langen Unterschenkelbeuger, die für die Streckung 
des Hüftgelenkes, besonders beim normalen Gang, eine bedeutende 
Rolle spielen, sich bald an ihre veränderte Funktion gewöhnen und 
sich den Bedingungen der eingelenkigen Hüftgelenksmusku 1 atur durch 
Aenderung ihrer Faserlänge anpassen. 

Ich habe nun versucht, den Einfluss der Amputationshöhe auf 
die Zerstörung der Muskelansätze und damit auf die den Stumpf 
bewegenden Kräfte näher zu analysieren und habe dabei die physio- 
Nr. 4". 

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logischen Wirkungen der einzelnen Hüftmuskeln nach den exakten 
Untersuchungen beurteilt, die Roith 1 ) unter Berücksichtigung der 
verschiedenen Insertionshöhe der einzelnen. Mfinskelabsehmtte an- 
gestellt hat. 

Ich habe dann die Muskeln für die Beugung und Streckung. Ab- 
und Adduktion je auf eine Tafel gezeichnet, auf der die Höhe der 
Insertion genau eingetragen ist (s. Abb. 1 u. 2). Die ausge- 


Distale 

Muskel¬ 

ansätze 



für 

Hu ftstreck ur, g 


für 

hüftbeugung 


•Mt- 


Giutaeus 

maximus 


ßdductor 


■!T : i 

-i f!i% r 


Giutaeus med. 

vord fasern 


J/eopsoas 


ftdduct. longus 

hinye fasern 


I , 
' I 



I 



iSemin 


. | ß/ceps 
üemitpndwosos 




Tensor fasern tatae 
Rectus femoris 
Sartorius 


Distale 
Muskel - 
an sätze 



Abb. 1. 


für 

Hüftabduktion 


für 

Hüftaöduktion 


Qu ad ratus 
fern. 

\ftdduet.minirr\ 
Pektineus 
Rdduct. beend 


fkfducUongu, 

Rddutimagnu 


. UGraciHsu. | 1 


I ] (Hutaeusmedius 
. [ btutaeusmirvmus 


Giutaeus maximus 


Tensor fasoae/atae 
Rectus femons 
Sartorius 


Abb. 2. 


zogenen Linien stellen die distalen Insertionen dar, die unter 
mechanisoh günstigen Verhältnissen auf das Hüftgelenk wirken. Die 
punktierten Linien zeigen die Insertionen derjenigen Muskel¬ 
partien an, die nach den Roi th sehen Untersuchungen unter relativ 
ungünstigen mechanischen Verhältnissen auf das Hüftgelenk ein¬ 
wirken. 

Betrachten wir nun die distalen Insertionsverhältnisse derjenigen 
Muskeln, welche auf die Hüftbeugung und -Streckung 
einen Einfluss haben (s. Abb. 1), so sehen wir, dass für die Beugung 
und Streckung je diei zweigelenkige Muskeln in Betracht kommen, 
die an der Tibia inserieren. Diese Muskeln halten sich scheinbar 
annähernd das Gleichgewicht. Auf der Beugeseite sind es der 
Rectus femoris, der Sartorius und der Tensor fasciae latae, auf der 
Streckseite der Bizeps, Semimenibranosus und Semitendinosus. Von 
den wditer proximal inserierenden Muskeln wirken der Adductor lon¬ 
gus (lange Fasern), der Adductor brevis (kurze Fasern) sowie 
die vorderen Fasern des Giutaeus medius unter relativ ungünstigen 


I 1 ) Roith: Die Bedeutung der Adduktoren für das Hüftgelenk 
mit Berücksichtigung der übrigen auf dieses Gelenk wirkenden Mus¬ 
keln. Aus: Arch. f. Orthop., Mechanother. u. Unfallchir. Bd. 6. 

Bv l 

Original frn-m 

UNIVER3ITY OF CALIFORNIA 











1 232 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


mechanischen Bedingungen auf das Hüftgelenk ein, und es bleibt als 
wesentlicher Hüftbeuger nur der lleopsoas, der am Trochanter minor. 
also etwa in der Mitte des oberen Femurdrittels, inseriert. 

Auf der Abbildung 1 ist der ülutaeus maximus zwar als Hüft¬ 
strecker eingetragen, aber, wie unten näher ausgeführt werden soH, 
hat er beim normalen, ruhigen Gang auf ebener Erde keinerlei Ein¬ 
wirkung auf die-Streckung im Hüftgelenk. Es bleibt also für die Hüft¬ 
streckung, abgesehen von den zweigelenkigen Muskeln, nur der 
Adductor niagnus mit seinen hinteren Fasern, aie in der Nähe des 
Tuber ischii entspringen (s. Abb 4). 

Vergleichen wir mm die Insertionsverhältnisse der Beuge- und 
Streckmuskeln miteinander, so erkennen wir, dass die Beugemuskeln 
des Hüftgelenks relativ höher ihren Ansatzpunkt finden als die Streck¬ 
muskeln, wobei wir den Olutaeus maximus wieder als für den ge¬ 
wöhnlichen (lang nicht in Betracht kommend unbeachtet lassen. 

Nehmen wir fetzt eine Exartikulation im Kniegelenk an, so wird 
zwar sowohl die Beugung wie die Streckung durch den Ausfall der 
zweigelenkigen Muskeln erheblich geschwächt, aber es bleibt doch 
das Gleichgewicht zwischen Beugern und Streckern annähernd er¬ 
halten. Amputieren wir aber zwischen dem unteren und mittleren 
oder gar zwischen dem mittleren und oberen Drittel des Femur, so 
sehen wir, dass die Hüftbeuger relativ wenig geschwächt werden, 
da nur die langen Fasern des Adductor lotigus ausgesdialtet 'werden 
mit ihrer an und für sich nur sehr geringen Beugewirkung auf das 
Hüftgelenk. Dagegen wird der für die Hüftstrecku-ng in Betracht 
kommende Adductor rnagnus gerade durch die Ausschaltung des 
unteren bzw. mittleren Femurdrittels tun so mehr ausgeschaltet, je 
höher ich amputiere, d£mi seine distalen Muskelinsertionen befinden 
sich fast ausschliesslich in diesen unteren zwei Dritteln des Femur. 

In den Tabellen ist für die Streckwirkung der Hüfte der Glu- 
taeus maximus als Hüftstreckmuskel eingetragen. Nun dürfen wir 
aber nicht vergessen, dass beim normalen, nicht beschleunigten Gang 
des Gesunden auf ebenem Boden der Olutaeus maximus nicht in 
Tätigkeit tritt. Es ist dies eine Tatsache, auf die meines Wissens 
zuerst D uc h e n n e hingewiesen hat und die uns veranlassen soll, 
uns etwas eingehender mit der Physiologie dieses Muskels zu be¬ 
schäftigen’. 

Gehen 1 wir von der Funktion der Hüftstreckung aus, so ge¬ 
schieht dieselbe nach allem, was ich am Lebenden durch Betasten der 
Muskulatur untersuchen konnte, unter physiologischen Verhältnissen 
beim Geben und Stehen auf zwei verschiedene Arten. Bel der ersten 
Art wird die Hüftstreckung ausgelöst von dem hinteren Teil der 
Adduktoren (s. Abb. 1) und von den langen Kniebeugern (Senritendi- 
iiosus, Semimembranosus, Bizeps und Adductor rnagnus). Die zweite 
Art der Hüftstreckung erfolgt aber durch die gemeinsame Wirkung 
der Adduktoren und des Olutaeus maximus. Die gewöhnliche Art 
der Hüftstreckung beim aufrechten Stand und beim ge¬ 
wöhnlichen Gang auf ebenem Boden erfolgt nach dem ersten 
Modus, nämlich durch die Adduktoren und die langen Kniebeuger. 
Aus dieser starken Beanspruchung der Adduktoren beim gewöhn¬ 
lichen Stehen und 1 Gehen erhellt ohne weiteres ihre ausserordentliche 
Massenentwicklung, die gar nicht zu verstehen wäre, wenn ihre Funk¬ 
tion lediglich auf die reine Adduktion beschränkt bliebe. 

Die zweite Art der Hüftstreckung erfolgt nun nach meinen 
Untersuchungen nur dann, wenn gleichzeitig folgende drei 
Bedingungen erfüllt sind: 

1. Wenn das Kniegelenk etwas gebeugt ist, d. h. wenn die An¬ 
spannung der langen Unterschenkelbeuger unter Bedingungen vor sich 
gehen würde, die der Kniestreckung in erheblich unzweckmässiger 
Weise entgegenwirken könnten. Dies ist der Fall bei zunehmender 
Krciebeirgung, bei der durch Verlängerung des Hebelarmes das 
Drelrongsmoment im Sinne der Beugung im Kniegelenk wächst. 

2. Die zweite Bedingung ist die, dass der suprafemorale Schwer¬ 
punkt des Körpers erheblich vor die gemeinsame Hüftgelenksachse 
fällt. 

3. Die dritte Bedingung erfordert, dass Knie- und Hüftgelenk 
gleichzeitig gestreckt, bzw. gegen weitere Beugung geschützt wer¬ 
den sollen. 

Diese drei Bedingungen sind z. B. erfüllt unter folgenden physio¬ 
logischen Umständen: 

Stehen mit gebeugten Knien bei erheblich vorwärts geneigtem 
Oberkörper. Man fühlt dabei deutlich, wie die Sehnen der langen 
Unterschenkelbeuger in der Kniekehle erschlafft sind. Dann bei 
Rumpfbeugung und -Streckung mit gebeugten Knien, ferner bei be¬ 
schleunigtem Gang. Dieser ist charakterisiert durch starke Beugung 
der Knie beim Belasten und durch erhöhtes Vorschieben des supra- 
femoralen Schwerpunktes vor die gemeinsame Hüftgelenksachse zum 
Zwecke der starken Vorwärtsbewegung. Endlich sind! sie auch er¬ 
füllt beim Treppensteigen. Erheben aus sitzender Stellung, ebenso 
beim Springen, also bei Bewegungen, die mit einer starken Vor- und 
Aufwärtsbewegung des Oberkörpers verbunden sind. 

Aber diese drei für die Wirksamkeit des G'utaeus -maximus er¬ 
forderlichen Vorbedingungen treten z. B. nicht ein beim Stehen mit 
gestreckten Knien, nicht bei militärischer Haltung des Oberkörpers, 
auch nicht beim Beugen und Strecken des Rumpfes in den Hüften mit 
gestreckten Knien. Ausserdem sind sie unerfüllt beim aufrechten 
Treppensteigen rückwärts, denn hierbei werden zwaT zwei Bedin¬ 
gungen erreicht, aber die dritte, nämlich die, dass der suprafemorale 
Schwerpunkt vor die gemeinsame Hüftgelenksachse fällt, trifft nicht 
zu, weil derselbe im Gegenteil zum Zwecke der Rückwärts-Aufwärts- 

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bewegung hinter die gemeinsame Hüftgelenksachse gelegt werden 
muss. Der wichtigste Fall aber, der hier für uns besonders in Be¬ 
tracht kommt, ist der gewöhnliche, nicht angestrengte Gang auf 
ebener Erde. Hierbei werden die Knie in fast vollkommener Strek- 
kung auf den Boden gesetzt und der suprafemorale Schwerpunkt nie¬ 
mals e r h e b 1 i ch vor die gemeinsame Hüftgelenksachse gelegt, ln 
einer grossen Anzahl von Fällen von Oberschenkelamputationen habe 
ich nun durch äussere Betastung der Muskulatur feststellen können, 
dass auch schon beim gewöhnlichen, nicht beschleunigten Gang auf 
der amputierten Seite sich der Olutaeus maximus deutlich anspannt, 
während er auf der gesunden Seite ausser Tätigkeit bleibt.. Dieses 
Phänomen fand ich Bisher nicht nur bei höheren Oberschenkelampu- 
tationen, sondern auch bei Grittistümpfen und den Kniegelenks¬ 
exartikulationen. Ich halte es nicht für unmöglich, dass das Phäno¬ 
men ausfällt, wenn die Sehnen der langen Unterschenkelbeuger bei 
den Kniegelenksexartikulationeu oder beim Gritti mit dem unteren 
Stumpfende vernäht worden sind, habe bisher allerdings noch keine 
Gelegenheit gehabt, diese Fragen klinisch nachzuprüfen. 

Eine Ausnahme von dieser Gesetzmässigkeit konnte ich nur in 
Fällen feststellen, in denen der unzweckmässige Sitz und Bau der 
Prothese, insbesondere zu starke Spitzfussstellung des Fusses, einen 
Gang bedingte, der nicht mehr dem normalen Gang des Oberscheitkel- 
amputierten zuzurechnen war. In diesen Ausnahmefällen spannte 
sich der grosse Hüftstrecker nicht nur deutlich auf der amputierten, 
sondern mehr oder weniger kräftig auch auf der gesunden Seite 
an. Wir stehen also vor der Tatsache, dass ein Muskel, der beim 
gesunden Menschen für den gewöhnlichen Gang nicht in Betracht 
kommt, beim Oberschenkelamputierten vikariierend eintritt und die 
Funktion für die normalerweise als Hüftstrecker in Betracht kom¬ 
menden Muskeln teilweise übernimmt, da diese durch die muskel¬ 
verstümmelnde Amputation sehr stark geschwächt worden sind. Im 
allgemeinen scheint schon der Verlust der langen Kniebeuger (Bi¬ 
zeps, Semimembranosus, Semitendinosus) zu genügen, um das Phäno¬ 
men auszulösen. 

Wie oben bereits ausgeführt und wie aus Abbildung 1 deutlich 
hervorgeht, nimmt ausserdem die Kraft der Hüftstreckung mit zu¬ 
nehmender Höhe der Amputation absolut ab, da immer mehr Muskel- 
ansätze des Adductor magnus zerstört werden und gleichzeitig das 
Missverhältnis zwischen Hiiftbeugern und -Streckern zu ungunsten 
der letzteren stets vergrössert wird. Aus dieser letzten Tatsache 
erklärt sich zwanglos die ausserordentliche Neigung kurzer Ober- 
schenkelstümpfe zur Beugekontraktur. 

Diesen mit der Höhe der Amputation wachsenden Missverhält¬ 
nissen müssen wir bei unsemi Prothesenbau gerecht werden. Ins¬ 
besondere müssen wir berücksichtigen, dass die Streckkraft in der 
Hüfte für die Streckung des Kniescharniers der Prothese von ausser¬ 
ordentlicher Bedeuturig ist. Je mehr nun diese Streckkraft in der 
Hüfte geschwächt wird, desto leichter knickt der Amputierte im 
Kniegelenk ein und wir müssen deshalb dafür sorgen, dass günstigere, 
statische Verhältnisse, nämMch eine stärkere Rückverlagerung des 
Kniescharniers das Einknicken im Kniegelenk der Prothese verhin¬ 
dert. Damit soll nun nicht etwa behauptet werden, dass die Ober¬ 
schenkelschiene in der Gegend des Kniegelenks besonders stark nach 
hinten gekröpft" sein müsse, sondern für die statischen Verhältnisse 
ist das Verhältnis von Hauptbelastungspunkt der Oberschenkelhülse 
in der Gegend des Tuber ischii zum Kmescharmer und Fussscharnier 
einzig massgebend. Ich habe eine Anzahl Prothesen von diesem 
Gesichtspfnukt aus untersucht und festgestellt, welchen Winkel Fuss- 
scharmcr, Kniescharnier, und Betastun-gspunkt des Tuber ischii mit¬ 
einander bilden, indem ich als den massgebenden Winkel denjeni¬ 
gen betrachte, den die Linien Tuberbelastungspunkt—Kniescharnier 
und Kniescharnier—Fussscharnier bei seitlicher Betrachtung mit¬ 
einander bilden. 

Zur Feststellung dieses Winkels legte ich die Prothese mit voll¬ 
ständig gestrecktem Kniegelenk auf einen ebenen Tisch und mass die 
mittleren Entfernungen des Knie- und Fussgelenkscharniers von der 
Unterlage aus. Auf dieselbe Weise mass ich dann die Entfernung des 
Punktes des Oberschenkelhülsenrandes, der beim Belasten am direk¬ 
testen mit dem. Tuber ischii in Berührung kam. Wenn ich dann die 
Entfernungen zwischen den drei besprochenen Punkten noch aus¬ 
gemessen hatte, so erhielt ich in bezug auf die der Unterlage ent¬ 
sprechende Grundlinie drei fest orientierende Punkte, die nach Ver¬ 
bindung untereinander einen bestimmten Winkel bildeten (s. Abb. 3). 
Den Winkel, den die beiden Schenkel nach vorne miteinander bilden, 
bezeichnete ich als den vorderen Oeffnungswinkel des Kniescharniers. 
Nach meiner bisheri¬ 
gen Beobachtung hat 
sich nun herausgestellt, 
dass dieser vordere 
Oeffnungswinkel des 
Kniescharniers (Win¬ 
kel a Abb, 3) bei lan¬ 
gen Oberschenkel¬ 
stümpfen am besten Abb. 3. 

etwa 180—181° beträgt, 

während er mit zunehmender Amputationshöhe sich zweckmässig ver¬ 
kleinert. Um bei kurzen Stümpfemtfas Einknicken im Kniegelenk zu 
verhindern, erwies sich ein Winkel von 177—178° als zweckmässig. Ich 
muss allerdings darauf aufmerksam machen, dass diese meine Angaben 
nur für den Fall gelten, dass wir es mit einem richtigen Fusstfelenk- 

Ürigiraal from 

UNIVERSIT7 OF CALIFORNIA 




>. November lyii>. 


MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Scharnier zu tun haben mit doppelter Pufferfederung nach beiden 
Seilen. Ein vorderer Anschlag am Fusstgelenk dürfte allerdings die¬ 
selben Ergebnisse zeigen, während zu erwarten ist, dass bei festem 
Fuss ohne eigentliches Fussgelenk sich die Verhältnisse erheblich 
ändern würden. Bei einem ausserordentlich kurzen Stumpf konnten 
wir ausserdem den Gang dadurch" bedeutend verbessern, dass wir 
zur Unterstützung der Hiiftstreckung einen starken Gummizug vom 
Beckenkorb zum Hinterteil der Oberschenkelhülse gehen liessen. 
Wir sehen also, dass unser Prothesenbau den sich mit der Ampu¬ 
tationshöhe ändernden Muskelverhältnissen anzupassen hat. 

Wenden wir uns nun den Insertionsverhältnissen derjenigen Mus¬ 
keln zu, die für Adduktion und Abduktion in Betracht kom¬ 
men, so zeigt hier ein Blick auf Abb. 2, dass die Muskelinsertionen 
der zweigelenkigen Muskeln alle in etwa gleicher Höhe, nämlich an 
der Tibia sich befinden, dass aber für die eingelenkigen Muskeln auf¬ 
fallende Unterschiede in der durchschnittlichen Höhe der Insertion 
bestehen. Letztere befinden sich bei den Abduktoren der Hüfte ledig¬ 
lich im oberen Drittel des Femur, ja die mechanisch am günstigsten 
wirkenden Muskeln, Glutaeus minimus und Glutaeus medius, inse¬ 
rieren sogar nur im allerobersten Abschnitt des Femur. Im Gegen¬ 
satz hierzu zeigt sich, dass diejenigen Muskeln, welche hüftaddu- 
zierend wirken, ihre Insertion hauptsächlich im mittleren Drittel des 
Oberschenkelknochens finden. Es sind dies 'hauptsächlich die kurzen 
Fasern des Adductor magnus und der Adductor longus in seiner 
ganzen Ausbreitung sowie die unteren Fasern des Adductor brevis. 
Dagegen haben die Fasern des Adductor magnus, die im unteren Drit¬ 
tel des Femur inserieren, ferner die oberen Fasern des Adductor bre¬ 
vis, der Pectineus, Adductor minimus sowie der Quadratus femoris 
nach den Roith sehen Untersuchungen nur eine geringe addu- 
zierende Wirkung (auf der Abb. 2 nur punktiert). Es ergibt sich nun, 
dass mit dem Wegfall der langen Kniegelenksmuskeln sowohl die 
Abduktion als die Adduktion im Hüftgelenk leicht geschwächt wird, 
eine wesentliche Gleichgewichtsstörung .aber nicht zu erwarten ist. 
Dagegen werden mit zunehmender Hohe der Amputation fast aus¬ 
schliesslich die Adduktoren ihres Ansatzpunktes beraubt und damit 
für die Funktion ausgeschlossen, während auch bei ganz kurzen 
Stümpfen die Abduktoren fast gar nicht geschädigt werden infolge 
der relativ hohen Ansätze am Knochen. Die Folge davon ist also, 
dass mit zunehmender Höhe der Amputation fast ausschliesslich die 
Adduktionskraft des Oberschenkels geschädigt wird und wir es mit 
einer Gleichgewichtsstörung zu tun haben, die besonders im mitt¬ 
leren Drittel des Oberschenkels rapide wächst. Die Neigung beson¬ 
ders der kurzen Oberschenkelstümpfe zur Abduktionskontraktur 
leuchtet ohne weiteres ein, da die Gleichgewichtsstörung hier am be¬ 
deutendsten ist. 

Für den Prothesenbau ergibt sich nun die auch praktisch seit 
langem bestätigte Forderung, bei kürzeren Stümpfen eine mechanische, 
im Sinne der Adduktion wirkende Ersatzkraft anzubringen. Hierzu 
dient nach unserer Erfahrung der bei kurzen Stümpfen geradezu 
unersetzliche innere Rollriemen, den wir bei ganz kurzen Stumpfen 
möglichst weit nach der gesunden Seite zu am Beckenring oder -korb 
befestigen müssen, um sein im Sinne der Adduktion auf das Hüft¬ 
gelenk wirkendes Drehungsmoment möglichst zu verstÄken. Die Sus¬ 
pension wird dann bei den ganz kurzen Stümpfen nach un-seren Er¬ 
fahrungen am besten durch einen breiten Gurt hergestellt, der von 
der gesundseitigen Schulter über eine breite Rolle geführt wird, die 
innerhalb der Oberschenkelhülse dicht unterhalb des Stumpfes mit 
frontaler Achse angebracht ist. Durch die Führung über die gesund¬ 
seitige Schulter kommt dann zwar noch eine geringe adduzierende 
Komponente zustande; diese genügt aber im Verhältnis zu der hoch¬ 




gradigen Schwächung der addüzierenden Kraft in keiner Weis^ 
sondern muss noch durch den eben beschriebenen inneren Roll¬ 
riemen verstärkt werden. 

Haben wir im vorangehenden Betrachtungen angestellt über die 
Kraft, mit der der Oberschenkel im Hüftgelenk bewegt wird, so wen¬ 
den wir uns nun den anatomischen Verhältnissen der dem Stumpf 
verbliebenen Muskelkulissen zu und wollen hier insbesondere die 
Formveränderung analysieret}, die je nadi der Höhe der Amputation 

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1233 


des Stumpfes eintritt. Diese Formveränderungen erwecken unser 
besonderes Interesse, weil sie eine wichtige Folge haben für das Ver¬ 
hältnis des Tuber ischii, das bekanntlich beim Bau der Oberschenkel¬ 
hülse die wichtigste Rolle spielt. Auf der dem Toldt sehen Atlas 
entnommenen Abb. 4 a und b sind die Ansätze der ein- und zwei- 
gelenkigen Oberschenkelmuskeln eingezeichnet und wir sehen, oass 
die am weitesten nach hinten am Tuber ischii ansetzenden Muskeln 
die Sehnen des Semitendinosus und Bizeps sowie des Semimembra- 
nosus sind und dass dicht dahinter der Adductor magnus seinen An¬ 
satzpunkt findet. 

Bei jeder Oberschenkelamputation, bei der fast regelmässig die 
distalen Ansätze der zweigelenkigen Hüftstrecker (Bizeps, Semimem- 
branosus und Semitendinosus) ausser Spannung gesetzt werden, wird 
also das Tuber ischii von aussen leichter abtastbar, während z. B. 
bei der Unterschenkelamputation die Sehnen der obengenannten Mus¬ 
keln das Tuber ischii ausserordentlich schwer fassbar machen, indem 
sie, besonders bei der Belastung, bei- der sich ja die genannten Mus¬ 
keln stark anspannen, jede unter das Tuber ischii fassende Kraft nach 
hinten und innen abdrängen. Je höher wdT nun den Oberschenkel 
amputieren, desto mehr wird auch das Feld, das am Tuber ischii und 
vor demselben dem Adductor magnus als Ursprung dient, dadurch 
fassbar gestaltet, dass immer mehr Partien des Muskelursprungsfeldes 
ausfallen, dadurch, dass sie ihrer distalen Insertion beraubt werden 
und sekundärer Atrophie verfallen. 

Die sich daraus ergebenden Folgen für den Prothesenbau in der 
Gegend des Tuber ischii gestalten sich nun dermassen, dass wir 
entsprechend den eben beschriebenen anatomischen Verhältnissen, 
das Tuber ischii um so besser direkt fassen können, je höher wir 
amputiert haben. 

Wir können nun der Einfachheit wegen zwei extreme Haupttypen 
für die Hülsenbauart in der Gegend des Reitsitzes aufstellen und dann 
die dazwischen liegenden Uebergänge besprechen. 

Als ersten Typus möchte ich bezeichnen den eingreifenden 
Reitsitz, der nach innen in die Weichteile eiligreift zur zirkum¬ 
skripten Aufnahme der Körperlast durch das Tuber ischii (s. Abb. 5). 



Fig. 5. Flg 6. 


Er muss eine horizontale, ziemlich breite Fläche darstellen. Diese 
Fläche muss bei diesem extremen Typus ziemlioh breit in der Rich¬ 
tung von innen nach aussen gebaut sein, da sonst erfahrungsgemäss 
bei ganz kurzen Oberschenkelstümpfen das Tuber isch-ii direkt über 
den Hülsenrand hinausrutscht. Diese Art der Entlastung ist, wenn 
irgend möglich, bei der Oberschcnkelamputation anzubringen. Die 
Vorteile dieser besten Entiastungsmethode bestehen- einmal darin, 
dass das Tuber ischii mit seiner ganzen unteren Fläche die Körperlast 
direkt auf die Prothese überträgt. Ferner verhindert diese Art der 
Entlastung eine störende Rotation der Prothese um den Stumpf, da 
der Reitsitz wüe ein Zahn in die Raste tief in die durch den Ausfall 
von Muskelkulissen entstandene Lücke eingreift. 

Ein weiterer Vorteil ist der, dass der entlastende Druck nicht 
in schädlicher Weise auf den Glutaeus maximus wirkt, der bei der 
Oberschenkelamputation — wie oben erörtert — als Ersatz für die 
stark geschwächte Streckmuskulatur eine besonders wichtige Rolle 
spielt. Als letzten Vorteil dieser Methode sehen wir es an, dass die 
Körperlast soweit als irgend möglich nach innen aufgefangen w'ird. 
Dadurch wird der Schwerpunkt des Körpers möglichst nahe über die 
Unterstützungsfläche gebracht und der im Sinne der Adduktion der 
Prothese wirkende tote Gang des Oberschenkelknochens innerhalb 
seiner Weichteile (scheinbares Trend elenburg sches Phänomen) 
möglichst verringert und wir sind imstande, auch bei noch verhältnis¬ 
mässig kurzen Oberschenkelstümpfen ohne Beckenkorb auszu¬ 
kommen. 

Der Vorteil der soweit als möglich nach innen verlegten Be¬ 
lastung tritt besonders dann zutage, w’enn der Oberschenkelampu¬ 
tierte ohne Stock geht, da ich in dem auf der gesunden Seite geführ¬ 
ten Stock ein wesentliches Hilfsmittel sehe, dessen sich der Ampu¬ 
tierte bedient, um die scheinbare Insuffizienz des Glutaeus medius 

Origiralfrom l* 

UNIVERSUM OF CALIFORNIA 




MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


\26A 


(scheinbarer Trendelenburg) auszusohalten, die durch den toten* Gans: 
des Oberschenkelknochens im Verhältnis zur Prothese zustande 
kommt. 

Als zweiten Typus der Entlastung, der zugleich das andere Ex¬ 
trem darstellt, möchte ich bezeichnen den ausladenden Sitz¬ 
ring (s. Afcb. 6). Er besteht in einer flach sich nach aussen wölben¬ 
den Unterstützungsfläche, die über die Hälfte des inneren Randes 
der Oberschenkelprothese und fast den ganzen hinteren Rand um¬ 
fasst und ihre stärkste Ausladung an der Stelle des Sitzknorrens zeigt 
(s. Abb. 6). Der Sitzknorren wird hier nur schräg von innen hinten 
belastet und die Weichteile und Muskeln (Adduktoren und Glutaeus 
maximus) nehmen einen nicht unerheblichen Teil der Körperlast auf. 
Der ausladende Sitzring stellt die normale Entlastungsmethode für 
Unterschenkelstümpfe dar, die keine Belastung des Stumpfendes 
oder der Tibiaausladung wegen Erkrankung des Kniegelenkes oder 
des Stumpfes vertragen. Die voll erhaltenen zweigelenkigen Muskeln 
und Adduktoren machen die Ausführung eines eingreifenden Reitsitzes 
unmöglich. Diese Art der Entlastung empfiehlt sich ferner für alle 
Sohieirenhülsenapparate mit Entlastungsvorrichtung, es sei denn, dass 
z. B. Lähmung der langen Unterschenkelbeuger usw. eine bessere 
Fassbarkeit des Tuber ischii ermöglichen. 

Zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich mm alle nur 
denkbaren Uebergänge, die im wesentlichen durch die Lange des 
Stumpfes, aber auch durch das Verhalten des Fettpolsters beein¬ 
flusst werden. So vertragen z. B. Grittistümpfe oder Exartikulationen 
im Kniegelenk, bisweilen auch lange Oberschenkelstümpfe, keinen 
tief eingreifenden! Reitsitz, denn hier sind noch fast alle Fasern des 
Adductor magnus erhalten, so dass der Reitsitz keinen so guten Halt 
findet wie bei höherer Oberschenkelamputation. Auch bei fettleibigen 
Personen, insbesondere Frauen, kann trotz verhältnismässig geringer 
Länge des Stumpfes ein echter Reitsitz oft nicht angewendet wer¬ 
den. Riedel vertrug, soweit-aus seiner Abhandlung*) hervorgeht, 
keinen eigentlichen Reitsitz, sondern musste den/ Hauptteil seiner 
indirekten Belastung auf die Adduktoren verlegen. Da er einen 
Gritti hatte, bei dem ja der Adductor magnus noch fast vollständig 
erhalten bleibt, liegt dies durchaus im Bereiche der Möglichkeit. 
Aber er hat wohl andererseits nicht genügend gewürdigt, dass seine 
Erfahrungen nicht ohne weiteres auf alle Qberschenkelstümpfe zu 
übertragen sind, da die technische Ausführung der Entlastung sich 
mit der Amputationshöhe und den* Wieichteil Verhältnissen durch¬ 
greifend ändert. 

Ueber die technische Ausführung des eingreifenden 
Reitsitzes möchte ich noch bemerken, dass wir hier nach zwei 
gleich guten Methoden arbeiten können. 

Bei der ersten Methode wird der Gipsabguss bis zur Glutaealfialte 
geführt und an der Stelle des Reitsitzes keinerlei Eindruck ange¬ 
bracht. Ueber dem Positiv, das man entweder aus Gips oder Holz 
herstellt, wird die Lederhülse gewalkt und nun bei der Anprobe der 
Reitsitz innerhalb der Lederhülse durch Anbringung eines geeigneten 
Filzklotzes mit horizontaler Oberfläche angebracht. 

Bei der zweiten Methode wird die Gegend des Reitsitzes gleich im 
Gipsabguss bei stehendem Amputierten eingedrückt, wie ich es seiner¬ 
zeit in* meiner Arbeit über das Kombinationsbein 3 ) beschrieben habe. 
Das nach dem Gipsabguss hergestellte Positiv enthält dann an der 
Stelle des Reitsitzes eine Grube. In diese Grube wird nun entweder 
das Leder der Oberschenkelhülse direkt eingewalkt und am Positiv 
mit Nägeln befestigt, oder man füllt die Grube mit einem ent¬ 
sprechend geformten Stück Blockfilz derartig aus. dass das über dem 
Positiv gewalkte Leder nunmehr dem ganzen Umfange des Positivs 
überall gut anliegt. Die letztere Methode, meines Wissens noch 
nicht andernorts gebraucht, habe ich besonders bei kurzen Ober- 
sobenkelstümpfen angewandt. Sie bietet die beste Garantie für einen 
absolut exakten Reitsitz, da das Gefühl von Arzt und Patient während 
des Gipsabgusses die genaue Begrenzung des Reitsitzes und 1 sein 
Verhältnis zum Stumpf bestimmt haben. 


Aus dem pathologischen Institut der Universität München 
(Vorstand: Prof. Dr. Borst). 

Gibt es eine Spontanruptur der gesunden Aorta und 
wie kommt sie zustande? 

Von Dr. Franz Oppenheim, Assistent am Institut. 

Die Ruptur der menschlichen Aorta ist kein so seltenes Ereignis 
wie die in der Praxis stehenden Aerzte wohl meistens annehmen. So 
werden z. B. im Münchener Pathoh Institut in jedem Jahr bei einem 
Sektionsmaterial von- über 1000 Fällen auch ein paar Fälle von Aorten¬ 
ruptur beobachtet. Dass dieses Vorkommnis sich der richtigen dia¬ 
gnostischen Deutung so häufig entzieht, hängt wohl damit zusammen, 
dass die Aortenruptur nur in den seltensten Fällen die eigentliche 
Hauptkrankheit darstellt, meist kommt sie vielmehr als letzte Todes¬ 
ursache in Betracht bei Patienten, die an einer schweren Athero¬ 
sklerose oder an einem Aneurysma der Aorta le»den. Auch Oeso¬ 
phagus- und Trachealkrebse, Mediastinatabszesse und Wirbelerkran- 


*) Riedel: Ueber Prothesen nach Amputatio femoris incl. Gritti. 
M.m.W. 1911 Nr. 30. 

0 Mommsen: Unser Kombinationsbein. M.m.W. 1917 Nr. 8. 

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kungen können bekanntlich auf die Aortenwand übergreifen und' dann 
gelegentlich zu Rupturen Veranlassung geben. Dann sterben solche 
Patienten, die ohnedies Todeskandidaten waren, eines plötzlichen 
Todes und man ist erstaunt, bei der Sektion eine Ruptur der Aorta 
zu finden. 

Neben diesen Fällen von sekundären Aortenrupturen gibt es aber 
auch noch andere, allerdings ziemlich seltene Fälle, welche ein viel 
grösseres theoretisches und praktisches Interesse besitzen. Ich meine 
die Fälle von primärer Aortenruptur, in welchen ein relativ gesundes 
und arbeitsfähiges Individuum bei der Defäkatkm oder bei einer 
Starken Muskelanstrengung eine Zerreissumg seiner Aorta erleidet. 
Es reissen dabei zumeist nicht alle Schichten der Aortdnwand auf 
einmal, sondern nur die inneren Schichten werden durohtreimt. Der 
Blutstrom wühlt sich in der Media in Form eines Aneurysma dissecans 
sein Bett, indem er die inneren Schichten von der Unterlage gleich¬ 
sam lospräpariert (intramurales Hämatom). Erst einige Stunden 
oder Tage darauf erfolgt die völlige Ruptur, und der Tod tritt dann 
infolge innerer Verblutung ein. Man spricht in solchen Fällen be¬ 
kanntlich von Spontanrupturen der Aorta. Ob es eine derartige 
Spontanruptur bei gesunder Wand überhaupt gibt, oder ob nicht 
doch immer eine Erkrankung der Aorten wand, wenn auch nur ge¬ 
ringen Grades, im Spiel ist, das ist z. Z. noch eine offene Streitfrage, 
deren Entscheidung auch ein gewisses praktisches Interesse, nament¬ 
lich für die UnfaUbegutachtung besitzt. Auf dem 10. Pathologen¬ 
kongress in Stuttgart 1906 ist u. a. auch diese Frage erörtert worden, 
und die Mehrzahl der Redner [1] hat damals die Spontanruptur als 
unwahrscheinlich oder unmöglich bezeichnet. Auch ich neigte a priori 
zu dieser Auffassung, bevor ich durch die nachstehend mitgeteilten 
Fälle und die anschliessenden Experimente eine abweichende Ansicht 
gewann. Bevor ich aber zu einer Erörterung di^er Ansicht und einer 
Darlegung des Beweismaterials übergehe, sei es gestattet, in Kürze 
3 Fälle von Aortenruptur anzuführen. Beim ersten Fall handelt es 
sich zwar nicht um eine Spontanruptur, jedoch scheint er in anderer 
Hinsicht gleichfalls zur Klärung der Frage beitragen zu können. 

Fall 1. Ein 13jähriges Mädchen kam mit der Diagnose Menin¬ 
gitis zur Sektion. Es stellte sich dabei heraus, dass die Meningitis 
nur die Teilerscheinung einer allgemeinen Pyäniie war, die mit absze- 
dierenden Infarkten und emboliseben Abszessen in Milz, Leber und 
Niere einherging. Auch im Gehirn fanden sich Abszesse, die auf die 
weichen Hirnhäute übergegriffen hatten. Die infizierten Embolien 
gingen von einer schweren ulzerösen Thrombendokarditis der Aorten¬ 
klappe aus. Am Ostium aorticum waren nur 2 Halbmondklappen an¬ 
statt der normalen Dreizahl vorhanden*, und auf beiden Klappen sassen 
dicke, wärzchenförmige Exkreszenzen; sonst war die ganze Aorten¬ 
intima glatt und ohne Veränderung. Nur etwa daumenbreit über dem 
Klappensaum fand sich auf der Hinterwand der Hauptschlagader eine 
grosse thrombotische Exkreszenz, welche ganz denjenigen auf den 
Klappen glich. An dieser Stelle war die Aortenwand perforiert und 
der Tod war durch Verblutung in die Herzbeutelhöhle erfolgt. 

Fall 2. Der zweite Fall von Aortenruptur wurde von meinem 
verehrten Chef, Herrn Prof. Borst, im Felde seziert und ist in 
der Inauguraldissertation von Roese [2] genauer beschrieben. Es 
handelt sich ulh einen felddienstfähigen Soldaten, welcher durch den 
Luftdruck einer platzenden Granate zu Boden geworfen wurde, aber 
sonst anscheinend keine Verletzungen davongetragen hatte. Er erhob 
sich alsbald, lief seiner Kolonne nach und tat noch Dienst, bis er 
am anderen Tage plötzlich verstarb. Die Sektion ergab einen an¬ 
geborenen* Verschluss der Aorta ^m Isthmus 1 ). Das Aortenrohr ver¬ 
jüngte sich im Bereich des Arcus aortae zunehmend, bis es etwa 
2% cm unterhalb des Abgangs der linken A. subclavia vollkommen 
blindsackförmig verschlossen war. Das linke Herz war stark hyper¬ 
trophisch, die kollateralen Gefässe waren mächtig erweitert. AM cm 
über dem Sehliessungsrand der Aortenklappe waren die inneren 
Wandschichten durch einen 5,4 cm langen Querriss durchtrennt. Es 
hatte sich ein Aneurysma dissecans ausgebildet, welches erst am 
folgenden Tage in den Herzbeutel durchgebi oeben war und den Tod 
durch Herztamponade zur Folge hatte. Die makroskopische und 
mikroskopische Untersuchung der Aortenwand zeigte keine nennens¬ 
werten pathologischen Veränderungen. 

Fall 3. Der dritte Fall betrifft einen 53jährigen Zimmermann. 
Durch Mitteilung der Angehörigen konnten* wir in Erfahrung bringen, 
dass er in den letzten 2—3 Monaten vor seinem Tode über ödematöse 
Schwellung der Unterextremitäten und der Augenlider zu klagen hatte, 
welch letzteres der Verstorbene auf eine zu starke Brille zurück¬ 
führte; in seiner Arbeitsfähigkeit soll er dadurch nicht wesentlich be¬ 
hindert gewesen sein. Es soll hier gleich bemerkt werden, dass die 
Sektion eine Glomerulonephritis ergab, und dass die Oedeme wohl da¬ 
durch ihre Erklärung finden. 5 Tage ante exiturn stürzte er bei der 
Defäkation plötzlich zusammen, wurde bewusstlos und klagte alsbald 
über Schmerzen in der Brust. Er-blieb, 4 Tage lang zuhause und 
suchte am 5. Tage das Krankenhaus auf,'wo er bald nach der Auf¬ 
nahme plötzlich verschied. Bei der Sektion fand ich auch in diesem 
Fall den Herzbeutel mit fast % Liter Blut prall ausgefüllt. Die auf¬ 
geschnittene Aorta zeigte an Ihrer Hinterwand, etwa daumenbreit über 
der Klappe, einen winkeligen Riss. Hier war das Blut ln die Wand 


A ) Unter dem Isthmus aortae versteht man bekanntlich das zwi¬ 
schen den Abgangsstellen der A. subclavia sin. und des Ductus Botalli 
gelegene Stück der Aorta, welches im intrauterinen Leben mehr oder 
minder hmktionslos. ist. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1235 


eingedrungen und hatte die Intima und die ip-neren zwei Drittel deT 
Media von der Unterlage abgehoben, während die äussersten Lagen 
der Media, durch die Adventitia gestützt, dem Blutstrom Widerstand 
leisten konnten. Das Blut hatte sich darauf in der Wand der ganzen 
Brust- und Bauchaorta in Form eines Rohres mit halbmondförmigem 
Ouerschnitt seinen Weg gebahnt und war im Bereich der Aorta ab¬ 
dominalis und linken A. iliaca wiederholt in die eigentliche Gefässbahn 
zurückperforiert. Diese Rückperforationen stellten' sich als quer¬ 
gestellte, linienförmige Spalten dar. Eine weitere Rupturstelle fand 
sich in der Höhe des Ductus Botalli. Sie klaffte aber ziemlich stark 
und glich in ihrem ganzen Aussehen mehr der primären Rupturstelle 
in der aufs teigenden Aorta. Erst 5 Tage nach der ersten Ruptur, die 
offenbar anlässlich der Defäkation aufgetreten war, ist dann das 
Aneurysma dissecans in den Herzbeutel durch geh rochen und hat so 
den Tod verursacht. Dass die Ruptur bereits so lange zurückliegt, 
lässt sich auch anatomisch beweisen, denn die mikroskopische Unter¬ 
suchung der Rupturstelle in der Aorta ascendens zeigte bereits das 
Bild einer beginnenden Wundheilung mit Entwicklung von jungem, 
zelligem Bindegewebe. Sonst liess sich bei genauer mikroskopischer 
Untersuchung von- Schnitten aus allen Abschnitten der Aorta keine 
krankhafte Veränderung auffinden. Auf eine Darlegung dieser Unter¬ 
suchungen soll hier nicht eingegangen werden: sie werden in der 
Inauguraldissertation von H. Müller ausführlich mitgeteilt werden. 
Die übrige Sektion bot, abgesehen von einer subakuten Glomerulo¬ 
nephritis und einer recht erheblichen Struma substernalis nichts Be¬ 
sonderes. 

Wenn wir uns nunmehr fragen, warum in den angeführten Fällen 
die Aortenwand geborsten ist, so ist es ohne weiteres klar, dass ein 
Rohrbruch — und als solcher muss ja, rein technisch betrachtet, die 
Aortenruptur aufgefasst werden — immer nur auf zweierlei Art Zu¬ 
standekommen kann. Entweder handelt es sich um eine Schadhaftig¬ 
keit der Rohrwandung (wie in unserem Fall 1) oder um einen Ueber- 
druck im Rohrinnern. Im ersteren Fall erfolgt d : e Ruptur an der 
schadhaften, d. h. an der erkrankten Stelle; im letzteren Falle erfolgt 
die Ruptur an der schwächsten Stelle. 

Bei Anwendung dieser allgemeinen Gesichtspunkte auf unseren 
speziellen Fall wäre zunächst hervorzuh^ben, dass eine Er¬ 
krankung der Aortenwand, welche die Ruptur erklären könnte, im 
Falle 3 durch eine sehr eingehende histologische Untersuchung aus¬ 
geschlossen worden ist. Auch im Falle 2 waren keine nennenswerten 
Veränderungen feststellbar, obwohl hier die mikroskopische Unter¬ 
suchung nicht so eingehend gestaltet werden konnte, weil das schöne 
Sammlungspräparat nicht zerstört werden durfte. Es scheint mir 
aber überhaupt wenig aussichtsreich, nach kleinsten Verfettungen, 
Verdickungen oder Auflockerungen der Gefässwand zu suchen- und 
in ihnen dann die Ursache der Ruptur sehen zu wollen, weil ia in 
diesem Falle bei der Häufigkeit solcher Befunde viel mehr ältere Men¬ 
schen an einer Ruptur ihrer Aorta zugrunde gehen müssten. 

Wenn also eine Erkrankung der Aortenwand als ursächliches 
Moment nicht in Frage kommt, so wäre an eine Ruptur durch über¬ 
mässige Steigerung des Binnendruckes zu denken. Für diese An¬ 
nahme spricht in erster Linie, dass die Aortenrupturen meist an einer 
und derselben Stelle aufzutreten pflegen, nämlich dicht oberhalb der 
Aortenklappe, an welcher Stelle ia auch in unseren Fällen die Ruptur 
erfolgte. Es bleibt also noch die Frage offen, ob die Rupturstelle 
bei einer Erhöhung des Binnendrucks wirklich die am stärksten be¬ 
anspruchte Stelle ist. Die Beantwortung dieser Fragen habe ich 
zunächst auf experimentellem We ff e versucht. Es wurden bei einer 
Anzahl menschlicher Aorten alle vom Stamm der *orta abgehenden 
Gefässe abgeklemmt oder abgebunden und alsdann das Gefäss unter 
den Druck der Münchener Wasserleitung (ca. 4 Atm.) gesetzt. Zu¬ 
nächst wirrd-e versucht, dies durch Einführung des Wasserschlauches 
in den linken Vorhof zu erreichen. Es trat dabei aber stets eine 
Ruptur des linken Vorhofs oder der linken Herzkammer auf. bevor der 
Druck in der Aorta die nötige Höhe erreicht hatte. Infolgedessen 
wurde der Schlauch direkt in. den linken Ventrikel* in die Ausflussbahn 
der Aorta, dicht unterhalb der Klappen, eingefiibrt: in einem Falle 
erfolgte -die Einleitung des Schlauches auch in die abgeschnittene 
Aorta abdominalis. Es zeigte sich nun in allen Fällen, bei welchen die 
Unterbindungen und Abklemmungen genügend dicht und widerstands¬ 
fähig waren, dass die Ruptur an der tvpischen Stelle erfolgte, an 
welcher sie auch beim lebenden Menschen aufzutreten pflegt. Nur 
in einem Fall, bei einer massig atherosklerotischeu Aorta einer 
62 jährigen Frau erfolgte die Ruptur im obersten Teil der Brustaorta 
an der Stelle emer eingetagerten Kalknlatte, und zwar bei einem 
Druck von ca. 790 mm Ouecksilber. Häufig gingen die experimen¬ 
tellen Rupturen mit Bildung eines Aneurysma dissecans einher, wel¬ 
ches manchmal.nur die nächste Umgebung der Berstungsstelle betraf, 
mitunter sich auch über das ganze Aortenrohr erstreckte. Die Per¬ 
foration der abgehobenen Lage erfolgte meist an mehreren Stehen. 
Auch bei einer völlig gesunden Aorta wurde in einem Fall der Ber- 
stunesdruck bestimmt. Es handelte sich um die Aorta einer 39 jähri¬ 
gen Frau, dfe an einer Peritonitis infolge Kindsabtreibung in wenigen 
Tagen verstorben war. Der Berstungsdruck betrug ca. 2070 mm Hg. 
In diesem Fall trat gleichzeitig noch eine zweite Ruptur der Aorta 
auf. welche nur die Intima durchsetzte und am Orte der Narbe des 
fötalen Ductus Botalli lokalisiert war. Es ist dies die gleiche Stelle, 
an der auch ln dem vorerwähnten Fall 3 eme zweite Berstung statt¬ 
gefunden hatte. Beide Präparate, das natürliche und das experimentell 
erzeugte, zeigen mithin eme^uffällige Übereinstimmung. Sie sind 

□ igitized by (^OOQlC 


nachstehend nebeneinander abgebildet. Ein von Rindfleisch in 
Virch. Aroh. Bd. 131 ab gebildetes Präparat von Aortenruptur stimmt 
mit meinem experimentell erzeugten, was Gestalt und Ort der Rup¬ 
tur betrifft, noch genauer überein, so dass man Rindfleischs 
Figur fast für eine Abbildung meines Präparates halten könnte. 



Ein weiteres Argument für meine Ansicht, dass die Spontanrup¬ 
tur der Aorta nicht auf eine Erkrankung der Aortenwand, sondern auf 
eine plötzliche Steigerung des Aortendruckes zurückzuführen ist, ent¬ 
nehme ich einer persönlichen Mitteilung von Herrn Dr. Herbert 
Si gm und Dieser hatte Gelegenheit, im Felde zwei aus 30 m Höhe 
abgestürzte Flieger zu sezieren. Beide wiesen eine Ruptur der Aorta 
an der geschilderten typischen Stelle dicht oberhalb der Klappen 
auf. Bei dem einen soll sich eine weitere Ruptur in der Gegend des 
Ductus Botalli gefunden haben. Es wäre gezwungen, wenn man an¬ 
nehmen wollte, dass diese beiden Piloten eine Erkrankung ihrer 
Aorta an dieser Stelle gehabt hätten. Auch die Erklärung, dass es 
sich hier um eine direkte traumatische Ruptur an der Stelle der 
Gewälteinwiikung handeln sollte, scheint wenig wahrscheinlich. 
Schöppler [2l betont in einer Arbeit über den Fliegertod, dass die 
schweren Skelettzertrümmerungen der abgestürzten Flieger merk¬ 
würdigerweise" eine auffallende Aehnlichkeit untereinander aufweisen, 
weil die zahlreichen Frakturen stets an den gleichen Stellen auf¬ 
zutreten pflegen, nämlich an denjenigen, welche Triepel [3l ex¬ 
perimentell und rechnerisch als die schwächsten Stellen ermittelt hat. 
Das gleiche Verhalten dürfte auch für die Aorta zutreffen. 

Nach all dem scheint es also sehr wahrscheinlich, dass die 
typische Rupturstelle der Aorta zugleich ihre schwächste Stelle ist. 
Es ist dies nicht etwa so aufzufassen, als ob d : e Aortenwand an dieser 
Stelle besonders dünn wäre, im Gegenteil, die normale Aorta hat an 
dieser Stelle ihre grösste Dicke, aber trotzdem ist der Berstungsquer- 
schnitt der am meisten beanspruchte. Warum dem so ist, das ist 
eine reine Frage aus der Festigkeitslehre, deren Erörterung für den 
Mediziner weniger Interesse haben dürfte. Es wird ihm genügen, zu 
erfahren, dass ich einen Aufriss des linken Herzens und der Aorta 
an einen mir bekannten Berliner Techniker mit Angabe aller Masse 
und des Elastizitätskoeffizienten der Aorta gesandt habe, und dass er 
daraufhin die Berstungsstelle richtig ermittelt hat. ohne dass er 
wissen konnte, an welcher Stelle im Leben sowohl wie im Experi¬ 
mente tatsächlich die Rupturen aufzutreten pflegen 2 ). Es ist die Run- 
turstelle nämlich die Stelle der grössten Wandsoannung, die Stelle 
des höchsten Drucks und die Stelle der grössten elastischen Dehnung. 

Aber nicht nur der Techniker kanrr zu diesem Schlüsse kommen, 
auch der sorgfältig beobachtende Obduzent kann Befunde erheben, 
welche im gleichen Sinne gedeutet werden müssen. Zunächst ist es 
jedem Pathologen geläufig, dass die kleinen punkt- und snntzerförmi- 
gen Intimaverfettungen, welche sich so gern an den Stellen erhöhter 
mechanischer Beanspruchung, so z. B. an den Tcilungsstellen 1 und Ab¬ 
zweigungsstellen der Gefässe lokalisieren, gerade an unserer Stelle, 
dicht oberhalb der Aortenklappe besonders häufig getroffen werder. 
und namentlich bei älteren Personen fast niemals vermisst werden. 
Ferner erscheint es uns sehr auffällig, dass in d^rn vorstehenden 
Fall 1 die thrombotische Exkreszenz bei einem 1? : ährieen Mädchen 
sich ausgerechnet an dieser Stelle etabhert hat. während die ganze 
übrige Aorta unversehrt geblieben ist. Wir möch^u zur Erklärung 
dieser Tatsache auf eine Bemerkung des Orth sehen Lehrbuchs ver¬ 
weisen, welche davon handelt, dass ..gerade solche Stellen, welche 
einem u n ge v'öhn liehen Anprall des Blutes und abnormem Druck aus- 
gesetzt sind“, die Lieblingsstellen der thrombotischen Wärzchen ab¬ 
geben. Ihre Bevorzugung des besonders stark beansnruchten Klappeii- 
g^webes ist ia allgemein bekannt. Schliesslich rmiss b ! er noch eine 
sehr sorgfältige Beobachtung R 1 n d f I e i s c h’ |4l erwähnt werden. 

2 ) Herrn Diol.-Ing. Wacker möchte ich für seine diesbezüg¬ 
lichen Bemühungen auch an dieser Stelle herzlichen Dank sagen. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1236 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


Er hatte nämlich wa'hrgenommen, -dass an der besagten Stelle der 
Aortenwand sehr häufig, namentlich bei älteren Leuten, byidegewe- 
bige Züge und streifige Verdickungen in der Adveirtitia der Aorta 
und in dem bedeckenden Perikard auftreten, die er als Retinacula 
oder, wie er sie nennt, als Vincula aortae auffasst. Rindfleisch 
hat, von dieser Beobachtung ausgehend, eine geistreiche Theorie ent¬ 
wickelt, wonach diese Verdickungen mit der 'Entstehung der Spon¬ 
tanruptur etwas zu tan haben sollen. Er selbst hat diese Verd-ik- 
kimgen sehr treffend mit den „Milchflecken des Epikards“ verglichen 
und es liegt nahe, auch ihre Entstehung in der gleichen Weise wie 
diejenige der epikardialen Schnenflecke zu deuten, nämlich als Folge 
und nicht als Ursache einer erhöhten Inanspruchnahme der betreffen¬ 
den Wandsteile. Rindfleisch betrachtet die Berstung der Aorta 
als reine Ruptur durch Längsdehmmg, während sie in Wirklichkeit 
wohl mehr eine Pbtzungsruptur darstellt. Er sagt selbst, dass er 
von der Querschnittserweiterung der Aorta bei Steigerung des 
Binnendrucks ganz absieht und nur die Verlängerung in der Richtung 
der Achse ins Auge fasst. Es lässt sich aber rechnerisch leicht nacli- 
weisen. dass die tangentiale Spannung der Aorta gegenüber der 
axialen- nicht nur nicht vernachlässigt werden darf, sondern dass sie 
sogar das Doppelte derselben beträgt. • 

'Durch die vorstehenden Ausführungen ist cs wahrscheinlich ge¬ 
macht, dass die Spontanruptur der Hauptschlagader an der typischen 
Stelle auf eine Blutdrucksteigcrung zuriickzuführcn ist. Es taucht 
damit ganz von selbst die Frage auf, ob denn in der Aorta tatsächlich 
solche Drucke auftreten können, wie-sie zur Zersprengung der Wand 
notw-eiKlig sind. Votr mehreren Autoren ist diese Frage ohne weiteres 
verneint worden. Es erscheint dies um so sonderbarer, als der Ber¬ 
stungsdruck der menschlichen Aorta meines Wissens bisher niemals 
bestimmt worden ist. Es ist nur der Berstungsdruck der mensch¬ 
lichen Kurotis bekannt, welcher wiederholt bestimmt wurde und von 
G r e h a n t und Quinquaud [5] bei einem 20 jährigen Mann mit ge¬ 
sunden Gefässen zu rund 520 cm Hg links und 320 cm Hg rechts 
gefunden wurde. Auf den ersten Blick ist man nun sehr geneigt anzu¬ 
nehmen, dass der Berstungsdruck der Aorta noch höher liegen müsste, 
als derjenige der 'Karotis, weil ja die Wand der Aorta stärker ist als 
diejenige der Karotis. Man vergisst dabei aber, dass das Lumen der 
Aorta auch wesentlich weiter ist wie dasjenige der Karotis. Da aber 
die Wandspaimung mit dem Radius des Gefässes proportional geht, 
so ist die Beanspruchung der Aortenwand trotz ihrer stärkeren Wand¬ 
dicke eine viel grössere. Wie'-erwähnt, betrug in dem von mir unter¬ 
suchten Fall bei einer 39 jährigen Frau der Berstungsdruck 207 cm Hg. 
während z. ö. die Aorta eines von C r 6 h a n t und Quinquaud 
untersuchten' Hundes, trotz ihrer viel dünneren Wandung, eben in¬ 
folge ihres geringeren Kalibers erst bei 313 cm Hg zur Ruptur kam 
und die A. carotis des gleichen Tieres sogar einen Druck von 
732 cm Hg aushielt. Man sieht also, dass ein Gefäss desto leichter 
zu zersprengen ist, je grösser sein Querschnitt ist. Auf diese Weise 
wird es ferner ohne weiteres einleuchtend, dass diejenigen Aorten 
am leichtesten platzen werden, welche an dieser Stelle am weitesten 
sind, eine Feststellung, auf die wir nochmals zurückkommen müssen. 

Zuvor soll noch die Frage erörtert werden, wie hoch äussersten 
Falles der Druck in deT aufsteigenden Aorta anzuwachsen' vermag. 
Unter normalen Verhältnissen beträgt er nach Dubois-Reymon d 
180, nach V i e r o r d t 200 mm. Hg. Eine Drucksteigerung kann immer 
nur dadurch zustande kommen, dass das Herz in der Zeiteinheit mehr 
Blut in die Aorta pumpt, als nach der Peripherie abfliessen kann. 
Das Abflusshindernis kann z. B. darin bestehen, dass zahlreiche Mus¬ 
keln des Körpers sich im Zustande der Kontraktion befinden. Denn 
wir wissen, dass dirrch die Muskelkontraktion benachbarte Gefässe 
komprimiert werden. Was die Blutdrucksteigerung bei der Defäkation 
anlangt, so sind auch bei diesem Akte bekanntlich zahlreiche Muskeln 
kontrahiert: ferner ist es nicht unwahrscheinlich, dass durch die 
Steigerung des intraabdominellen Druckes die Bauchaorta wie durch 
einen M o m b u r g sehen Schlauch abgedrückt wird. Dabei dürfte 
die Plötzlichkeit der Abklemmung noch eine besondere Rolle spielen. 
Denn es ist eine bekannte Tatsache, dass bei unvermittelter Absper¬ 
rung einet strömenden Flüssigkeit der Druck in dem betreffenden 
Röhrensystem sehr erheblich ansteigt. Aus diesem Grunde sind ja bei 
unseren Wasserleitungen nur solche Hähne zulässig, welche eine 
langsame“ Abdrossclung gewährleisten. Tatsächlich gelingt es im 
Tierversuch durch Kompression der Aorta erhebliche Blutdrucksteige¬ 
rungen zu erzeugen, worauf mich Herr Geheimrat O. Frank auf¬ 
merksam gemacht hat. Man kann sich von der Steigerung, welche 
der intraabdominelle Druck durch die Wirkung der Bauchpresse er¬ 
fährt. eine Vorstellung machen, wenn man bedenkt, dass der Druck 
im Innern des schwangeren Uterus, welcher bei einer gewöhnlichen 
Wehe ca. 100 nun Hg beträgt, durch die Anstrengung der Bauchpresse, 
bei den sog. Presswehen, bis zu 400 mm Hg und' noch höher ansteigen 
kann. Unter solchen Umständen wird auch in der freien Bauchhöhle 
der Druck gewaltig ansteigen und sicherlich höher werden, wie der 
in der Aorta abdominalis. Dementsprechend ist auch tatsächlich der 
Blutdruck während der Wehen gesteigert, und zwar soll er nach der 
Angabe von C h a p o n 220—230 mm Hg betragen. Auch Fellner 
[6l hat durch vergleichende Blutdruckmessungen an Gebärenden vor 
der Geburt und während der Presswehe ein Ansteigendes Blutdruckes 
um 60—100 mm Hg feststellen können. Derartige Blutdrucksteige¬ 
rungen können aber selbstverständlich einen gewissen Grad nie über¬ 
steigen, weil ja der Druck in der Aorta schliesslich so hoch würde, 
dass sich das linke Hei^ dagegen nicht mehr entleeren könnte. Man 

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nimmt die absolute Kraft des Herzens zu 300 mm Hg an. Sie mag 
für 'hypertrophische linke Ventrikel, deren Muskelmasse das Doppelte 
und Dreifache, ja sogar das Vierfache der Norm betragen kann, er¬ 
heblich höher liegen, immerhin erscheint es unmöglich, -dass solche 
Drucke, wie sie zur Ruptur der Leidi-enaorta gebraucht werden, im 
Leben selbst unter höchst pathologischen Verhältnissen zustande 
kommen können. Der Berstungsdruck an der Leiche dürfte vielmehr 
den höchsten im Leben vorstellbaren Druck noch um das 3—4 tache 
tibertreffen. 

Wenn wir trotzdem die Spontanruptur der Aorta an typischer 
Stelle auf eine Blutdrucksteigerimg zurückgeführt haben, so ist das 
in der Annahme geschehen, dass die Ruptur der lebenden Aorta be¬ 
reits bei viel niedereren Drucken zustande kommt als diejenige der Lei¬ 
chenaorta. Denn die Festigkeit eines Materials ist natürlich in hohem 
Masse von seiner Konsistenz abhängig. Im Leben haben aber alle 
Gewebe infolge der Körperwärme und der Saftdurchströmung eine 
viel geringere Konsistenz als bei den Versuchen an der Leiche. Es 
ist mir z. B. aufgefallen, als ich mehrmals wenige Minuten nach dem 
Tode eine Niere aus der Leiche entnommen habe, dass die Entnahme 
ohne Zuhilfenahme des Messers mit -der blossen Hand leicht zu be¬ 
werkstelligen war und dass die A. renalis dabei spielend durchrissen 
wurde, während die gleiche Manipulation bei der abgekühlten Leiche 
eine ganz erhebliche Gewaltanwendung erfordert und ohne Messer 
kaum zu verrichten ist. 

Schliesslich muss noch auf einen weiteren Punkt hingew-iesen 
werden, welcher die Spontanruptur der gesunden Aorteuwaiid zwei¬ 
fellos wesentlich begünstigt, und dies ist eine abnorme Weite der 
aufsteigenden Aorta. Ich habe bereits oben dargelegt, dass die 
Wandspanmmg dem Radius direkt proportional ist, und dass infolge¬ 
dessen die engkalibrigen Gefässe viel höhere Drucke aushalten können 
wie die Gefässe mit grossem Querschnitt. Es ist mir z. B. bei meinen 
Versuchen nicht gelungen, eine hypoplastische, ziemlich enge Aorta 
einer älteren Frau zur Berstung zu bringen. Auch iglaube ich be¬ 
merkt 'zu ha-ben. dass die männliche Aorta leichter berstet als die 
weibliche, was offenbar auch auf ihren grösseren Querschnitt zurück¬ 
zuführen ist. Man darf - nun aber nicht etwa glauben, dass die¬ 
jenigen Aorten, welclie bei öer Sektion besonders ausgeweitet er¬ 
scheinen, im Leben auch besonders zur Ruptur disponiert gewesen 
seien. Denn die abnorme Weite der Aorta in der Leiche kann eine 
doppelte Ursache haben. Entweder kann das Gefäss bereits im Leben 
über die Elastizitätsgrenze gedehnt gewesen sein (diffuses oder sack¬ 
förmiges Aneurysma) oder aber die Ausweitung beruht nur auf einem 
mehr oder minder hochgradigen Verlust der normalen Elastizität. Im 
Leben sind solche unelastische Aorten der alten Leute genau so 
weit wie die elastischen Aorten junger Individuen. Erst wenn nach 
dem Tode die dehnende Wirkung des I3iutdruckes wcgfällt, dann 
ziehen sich die jungen Gefässe eben infolge ihrer Elastizität zu¬ 
sammen. Fuchs hat z. B. ermittelt, dass die postmortale Ver¬ 
kürzung der normalen Aorta 37 Proz. beträgt, während die unelasti¬ 
schen Gefässe der Greise ihr Lumen beibehalten oder nur eine gering¬ 
fügige Zusammenziehung erfahren (2—3 Proz.). Es ist nun eine 
immer wiederkehrendc pathologisch-anatomische Erfahrung, dass die 
stärksten Dilatierungeiv sich oberhalb von Stenosen finden. Infolge¬ 
dessen dürfen wir erwarten, auch in der aufsteigenden Aorta die 
grösste Weite bei der Isthmusstenose der Aorta zu treffen, selbst 
dann, wenn die Aorta ascendcus bei der Sektion infolge der post¬ 
mortalen elastischen Zusammenziehung nicht als besonders weit ausge¬ 
fallen ist. Tatsächlich treten mm auch bei Istlmmsstenose besonders 
gern Aortenrupturen auf, wie dj es auch in unserem Falle 2 der Fall 
gewesen ist. Auch in unserem Falle 3* ist die Aorta am Isthmus wenig 
aber deutlich verengt: vielleicht hat hier eine grosse substernalc 
Struma noch zu einer weiteren Verengerung beigetragen. Sella Fs] 
hat unter ca. 100 Fällen von Isthmusstenose 12 mal eine typische 
Aortenruptur beobachtet. Interessanter Weise sind unter diesen 12 
Fällen 10 Männer und 2 Weiber, was offenbar mit der an und für 
sich grösseren Weite der ™ ärmlichen Aorta zusammenhängt. Die 
Rupturen sind bei allen diesen Fällen im Alter von 17—35 Jahren 
aufgetreten, wahrscheinlich deshalb, weil bis dahin das Lumen der 
Aorta so weit geworden war, dass eine besonders starke Blutdruck¬ 
steigerung die Ruptur an typischer Stelle herbeiführen konnte. 

Dass diese Rupturen häufig nur die innersten Wandschicliten be¬ 
treffen und daher zur Bildung eines Aneurysma dissecans führen, hängt 
vielleicht damit zusammen, dass aus mechanischen Gründen der Druck 
an der inneren Zirkumferenz einer Rohrwandung immer wesentlich 
grösser ist als an der äusseren. So pflegen z. B. auch die Kanonen¬ 
rohre zunächst in ihren inneren Wandschichten zu bersten. Man sucht 
diesem Uebelstande bekanntlich dadurch- zu begegnen, dass man das 
Kanonenrohr aus einem Intimazylinder verfertigt, auf welchem in 
erhitztem Zustand ein Mediazylinder aufgesetzt wird. Infolge der 
Verengerung, welche bei der Abkühlung eintritt, übt dann das äussere 
Rohr auf das innere einen entsprechenden Gegendruck aus. 

'Zum Schluss soll noch mit ein paar Worten auf die Nomen¬ 
klatur eingegangen werden. Der Ausdruck ..SnontanruDtur der Aorta” 
ist offenbar von der „Spontanfraktur des Knochens“ übernommen. 
Während aber beim Knochen die traumatischen Frakturen die Regel 
und 1 die Spontanfrakturen die Ausnahme bilden, ist bei der .Aorta das 
Häufigkeitsverhältnis gerade umgekehrt. Die spontanen, nichttfau- 
matischen Rupturen der Aorta zerfallen ihrerseits wieder in zwei 
Gruppen. Die eine Gruppe betrifft Aorten mit erkrankter Wand, 
bei welchen die Ruptur an einer kranken Stelle auftritt. Man könnte 

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5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1237 


sie als sekundäre Rupturen bezeichnen. In anderen Fällen dagegen 
treten die Rupturen bei gesunder Aortenwand an typischer Stelle auf. 
Ich möchte sie als primäre Aortenruoturen bezeichnen. Manche 
Autoren verwenden den Ausdruck ..Spontanrunturen“ nur für diese 
letzte Gruppe, wodurch eine gewisse Unklarheit entsteht. Ferner 
spielt auch* bei sog. Spontarrrupturen ein geringfügiges Trauma, welches 
an und für sich keine Ruptur bewirken könnte, •häufte eine gewisse 
Rotte* wie z. B. in unserem Falle 2. Dadurch wird die Unterscheidung 
noch weiter erschwert. 

Fasse ich das Ergebnis meiner Darlegungen kurz zusammen, 
so wäre zu sagen, dass es Fälle gibt, wie z. B. mein Fall 3. in denen 
eine Aortenruptur auftritt, während histologische Veränderungen der 
AoTtenwand trotz sehr eingehender Untersuchung nicht nachgewiesen 
werden konnten. Andererseits erfolgten auch bei denjenigen Aorten, 
welche mehr oder minder stark atherosklerotisCh verändert sind, die 
Rupturen in der Regel nicht an den besonders stark veränderten 
Stellen, sondern an der typischen Rupturstelle, dicht oberhalb der 
Klappen. Diese beiden Tatsachen weisen darauf hin, dass in all diesen 
Fällen die Ursache der Aortenruptur nicht in einer lokalen Erkran¬ 
kung der Aorteowand bestehen kann. Dagegen ist es sehr wohl 
möglich, diese Fälle von Spontanruptur der Aorta rein physikalisch 
zu erklären durch eine abnorme Steigerung des Blutdrucks im 
Aort-eninnern und durch eine abnorme Weite des Aortenlumens. 
Diese Erklärung glaube ich durch meine Leichen versuche auch ex¬ 
perimentell bewiesen zu haben. Denn bei künstlicher Erzeugung von 
Berstungsrupturcn der Aorta traten die Zerreissungen gleichfalls an 
der typischen Ruptifrstelle auf. Theoretisch ist dies leicht verständ¬ 
lich. Die typische Ruoturstelle ist nämlich die am meisten be¬ 
anspruchte Stelle: als Stelle des höchsten Blutdruckes, als Stelle der 
grössten Wandspannung und als Stelle der grössten elastischen Deh¬ 
nung. Da eine abnorme Weite der Aorta ascendens besonders ober¬ 
halb von Isthmusstenosen gefunden wird — deren geringe Grade 
keineswegs besonders selten sind, aber selbst bei der Sektion leicht 
übersehen werden —, so bedingt die Isthmusstenose eine ganz be¬ 
sondere Begünstigung der Aortenruptur. In zweiter Linie spielen 
natürlich die blutdruckerhöhenden Ursachen, wie Nephritis, Herz¬ 
hypertrophie usw\, ferner akute blutdrucksteigernde Momente, wie 
z. B. psychische Erregung, starke Muskelanstrengu nff a n » W irkung der 
Bauchpresse 3 ), eine wichtige Rolle. 

Zitierte Literatur: 

1. Vh. d. Path. Ges. X. — 2. Schöppler: Der Fliegertod. 
Miiitär-ärztl. Zschr. 1916. — 3. Triepel: Physikalische Anatomie. 
Wiesbaden 1902. — 4. Rindfleisch: Virch. Arch. Bd. 97 und 131. 
— 5. G r ä h a n t und Quinquaud: Mesure de la pression ne- 
cössaire pour däterminer la rupture des vaisseaux sanguins. Journ. 
de l’anat. et de la physiol. — 6. Fellner: Herz und Schwanger¬ 
schaft. Mschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 14. — 7. R. F. Fuchs: Zur 
Physiologie und Wachstumsmechanik des Blutgefässsystems. Arch. 
f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abt., 1900. — 8. Sella: 12 Fälle von 
Aneurysma dissec. bei Stenosis aortäe. Zieglers Beitr. Bd. 49 (1910). 


Aus der II. medizinischen Abteilung des Krankenhauses 
München-Schwabing. (Prof. Dr. Brasch.) 

Per Wert der Sublimatreaktion (Weichbrodt) 
für die Liquordiagnostik. 

Von Dr. Karl Eskuchen. 

Im vorigen Jahr hat Weichbrodt (Mschr. f. Psych. u. Neurol. 
Bd. 40, 1917) eine neue Liquorreaktion angegeben, die durchaus die 
Aufmerksamkeit weiterer Kreise verdient. 

Das Reagens ist eine 1 proin. Sublimatlösung: Man stellt 
sie her, indem man 1,0 g Hydrarg. bichlor. puriss. Merck in 1 Liter 
Aq. dest. löst. Unbegrenzte Haltbarkeit Zur Anstellung der Re¬ 
aktion fügt man zu 7 Teilen Liquor 3 Teile der Sublimatlösung (am 
besten also 0,7 ccm und 0,3 ccm). Bei normalem Liquor bleibt die 
Mischung nach Umschütteln unverändert klar = negativer Ausfall 
der Reaktion; bei krankhaft verändertem Liquor kann eine mehr oder 
minder starke Trübung auftreten = positiver Ausfall der Reaktion. 

Man liest das endgültige Resultat erst nach einigen Minuten ab, 
da eine zuerst schwache Trübung noch intensiver und sogar ein an¬ 
fänglich negativer Ausfall noch positiv werden kann. Jedoch ist 
eine Trübung, die erst innerhalb von 24 Stunden auftritt, nicht mehr 
als pathologisch anzusprechen; sie kommt auch bei ganz normalem 
Liquor vor. Es ist völlig ausreichend, wenn man 5—10 Minuten nach 
der Mischung abliest. Zwecks genauer Einhaltung des Mengenver¬ 
hältnisses benützt man 1-ccm-Auslaufpipetten, die auf Vioo graduiert 
sind. 

Am besten stellt man die Sublimat-R natürlich — wie auch die 

3 ) Anmerkung beider Korrektur: Inzwischen hatte ich 
' Gelegenheit, einen weiteren Fall von Aortenruptur zu sehen. Auch 
in diesem Falle erfolgte die Ruptur während der Defäkation. 

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andern Liquorreaktionen — mit frischem Liquor an; doch ist auch 
älterer Liquor noch zur Reaktion brauchbar, wenn er steril auf¬ 
bewahrt und nicht getrübt ist. 

Ebenso wie bei andern Fälluiigsreaktionen (Phase-l-R., Pändy-R.) 
unterscheidet man bei der Sublimat-R. mehrere Grade der Trü¬ 
bung: Opaleszenz = (-f), leichte Trübung = +, mittlere Trübung 
= -f"F, starke Trübung — -f M . stftpfcsie Trübung (Niederschlag) 
== H—I—!—h Man betrachtet das Resultat am besten im auffallenden 
Licht gegen einen dunklen Hintergrund. Bei der leichten und mitt¬ 
leren Trübung zeigt sich oft ein etwas ins Bläuliche schimmern¬ 
des Weiss; die Trübung ist ausser bei dem stärksten Grad immer 
ganz gleichmässig. Bei der stärksten Trübung dagegen findet eine 
gröbere Flockenbildung statt; die Flocken setzen sich bei ruhigem 
Stehenlassen als ein mehr oder minder voluminöser Niederschlag zu 
Boden und können leicht wieder aufgcschiittelt werden. 

Durch eine Unklarheit in der Darstellung kam es zu der missver¬ 
ständlichen Auffassung, dass Weichbrodt die Sublimat-R. für eine 
spezifische Reaktion hielt, die ausschliesslich bei 1 u i s c h e n 
Affektionen des Zentralnervensystems vorkäme. Dieser Annahme trat 
Hupe in einer Arbeit entgegen (Zschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. 
Bd. 36, 1917). Bei der Untersuchung von 100 nervenkranken Patien¬ 
ten fand sie, dass die Sublimat-R. in 75 Fällen zusammen mit der 
Phase-I-R. bei luischen Erkrankungen des Zentralnervensystems posi¬ 
tiv war, dass sie aber in 4 Fällen von sicherer Lues negativ aus¬ 
fiel (Phase-I-R. positiv) und andrerseits in 15 Fällen von nichtluischen 
Erkrankungen positiv wai; (dabei 7 mal auch Phase-I-R. positiv). 
Schliesslich war die Sublimat-R. bei einer sicheren Paralyse positiv, 
wo die Phase-I-R. versagte. Abgesehen von der durch die irrtüm¬ 
liche Annahme des angeblich spezifischen Charakters der Sublimat-R. 
bedingten Stellungnahme kommt Hupe jedoch auch sonst zu ganz 
schiefen Schlussfolgerungen, die Weichbrodt selbst inzwischen 
bereits eingehend widerlegt hat (Zschr. f. d. ges. Neurol. ti. Psych. 
Bd. 39, 1918). Es erübrigt sich daher ein nochmaliges Eingehen auf 
die einzelnen Fälle. Der positive Ausfall der Sublimat-R. war überall 
begründet bis auf einen Fall von Neurasthenie; demnach ist das Er¬ 
gebnis: 4 Versager und I Fehlresultat frei 100 Untersuchungen. 

Eine nähere Erörterung erfordert aber der Schlusssatz der 
H u p e sehen Arbeit: die Sublimat-R. sei also nichts anderes als „eine 
einfache Reaktion auf Eiweisskörper“ Hupe will die Sublimat-R. 
nicht als eine Bereicherung der Liquordiagnostik anerkennen und tut 
sie als überflüssig neben den andern Eiw r eiss-Giobulin-Reaktionen ab. 
Demgegenüber führt das. Ergebnis unserer Unter¬ 
suchungen zu einer ganz anderen Bewertung der 
Sublimat-R.. 

Bisher wurden ca. 280 Spinalpunktate mit der Sublimat-R. geprüft. 
Daneben wurden natürlich sämtliche anderen Reaktionen angestelit 
.(insbesondere die Ross-Jones-R., die Phase I-R., die Pändy-R. usw.) 
Es zeigte sich nun, dass die Sublimat-R gewisse Eigentümlichkeiten 
aufweist, die ihre Anstellung unter Umständen besonders wertvoll 
erscheinen lässt, so dass es bedauerlich wäre, wenn die neue Re¬ 
aktion nicht die gebührende Beachtung fände. 

Wie schon bemerkt, kann von einer Spezifität der Sublimat-R. 
für luische Affektionen des Zentralnervensystems keine Rede sein. 
Auch die Angabe Weichbrodts, dass bei luischen Erkrankungen 
die Trübung einen mehr bläulichen Schimmer habe, ist nicht 
stichhaltig, da auch bei nichtluischen Erkrankungen dieser bläuliche 
Schimmer oft zu beobachten war. 

Eine wertvolle Eigenschaft der Sublimat-R. ist dagegen ihre 
hohe Empfindlichkeit. Im allgemeinen kommt sie darin der 
Pändy-R. nahe, mit der sie überhaupt eine grosse Aehnlichkeit auf¬ 
weist; nur hat -die Pändy-R. den grossen Vorteil -des minimalen 
Liquorverbrauchs. Bei positiver Phase I-R. war auch die Sublimat-R. 
niemals negativ; sic fehlte nur in wenigen Fällen, wo die 
Pändy-R. noch schwach positiv war. ln bezug auf den Empfindlich¬ 
keitsgrad steht die Sublimat-R. demnach zw ischen der Pändy-R. und 
der Phase I-R. 

Aehnlich der Pändy-R.. aber in noch ausgesprochenerer Weise,' 
zeigt die Sublimat-R. weiterhin ein bedeutsames Verhalten. Schon 
Weichbrodt hatte darauf hingewiesen, dass die Sublimat-R. bei 
nichtluischen Meningitiden (Meningitis puruienta, Meningitis 
tuberculosa usw.) meist negativ sei. Einen völlig negativen Aus¬ 
fall der Sublimat-R. konnten wir allerdings in solchen Fällen nicht 
feststellen, wohl aber ergab die Sublimat-R. im Verhältnis zu der 
sehr starken Phase I-R. immer ein auffallend schwaches 
Resultat. Andererseits fiel die Sublimat-R. bei luischen Erkran¬ 
kungen des Zentralnervensystems meist sehr stark aus, auch 
wenn • im übrigen die Liqtiorveränderungen nur geringgradig 
waren. Offenbar kommen durch die Sublimat-R. andere Eiweiss¬ 
körper zur Ausfällung wie durch die Phase I-R.: w^enn dieses Ver¬ 
halten auch nicht zu einer streng gesetzmässigep Formulierung ge¬ 
nügt, so kann seine Beachtung doch oft genug die Klärung der 
Differentialdiagnose erleichtern. In der Regel ergab sich also 
folgendes Verhalten von Sublimat-R. und Phase I-R.: 

1. bei n i c h 11 u i s c h e r Meningitis starke Phase I-R. neben 
schwacher oder minimaler Sublimat-R.; 

2. bei luischen Affektionen des Zentralnervensystems ver¬ 
hältnismässig sehr starke Sublimat-R. neben weniger starker oder 
auch schwacher Phase I-R. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1238 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


Bei den sonstigen nichtluischen Erkrankungen des 
Zentralnervensystems war das Verhalten der Sublimat-R. ganz ver¬ 
schiedenartig; sie erreichte hier niemals die Stärke wie bei den 
luischen Affektionen, war aber andererseits auch nur selten negativ. 
Es bestand ein weitgehender Parallelismus mit der Phase I-R. und 
der Pändy-R.; ebenso wie diese beiden Reaktionen war auch die 
Sublimat-R. bei der multiplenSklerose bald mehr oder minder 
stark positiv, bald negativ. Auf die mannigfachen übrigen Erkran¬ 
kungen braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. 

Trotz der hohen Empfindlichkeit fiel die Sublimat-R. niemals 
bei funktionellen Leiden positiv aus. Nach unserer Erfahrung kann 
man ihr daher den Vorwurf zu grosser Empfindlichkeit nicht 
machen. 

Zusammenfassend ist folgendes zu sagen: 

1. Wenn die Sublimat-R. an und für sich auch nur eine ziemlich 
empfindliche Eiweiss-Globulin-Reaktion darstellt, so bedeutet ihre 
Einführung doch nicht allein eine einfache Vermehrung der 
Eiweiss-Globulin-Reaktionen. 

2. Der Wert der Sublimat-R. -hängt nicht so sehr von dem 
negativen oder positiven Resultat der Untersuchung ab, vielmehr 
beruht der besondere Wert -der Sublimat-R. auf dem Verhalten 
der Reaktionsstärke und weiterhin auf deren Verhältnis 
zur Phase I-R. Das Syndrom: starke Phase I-R. -f schwache 
Sublimat-R. ist für -n i c h 11 u i s c h e Meningitis charakteristisch, 
umgekehrt spricht starke Sublimat-R. 4* schwächere Phase I-R. eher 
für eine 1 u i s c h e Affektion des Zentralnervensystems. 

3. Die Sublimat-R. ist also an sich keine spezifische 
Reaktion; ferner ist das Verhalten zur Phase I-R. nicht immer 
zu verwerten. Aber auch dann noch ist ihre Anstellung wegen der 
hohen Dignität (Einfachheit der Technik, grosse Empfindlich¬ 
keit, völlige Zuverlässigkeit) neben den anderen Reaktionen unbedingt 
zu empfehlen, zumal als Kontrolle bei unsicheren Fällen. 

4. Nach der Pändy-R. und der Phase I-R. ist die r egel¬ 
mäs s i g e- Anstellung der Sublimat-R. dringend anzuraten; denn 
trotz des Parallelgehens im allgemeinen zeigt jede der drei Reak¬ 
tionen im einzelnen oft wertvolle Besonderheiten. Der Leistungs¬ 
fähigkeit der Sublimat-R. gegenüber sind übertriebene Er¬ 
wartungen nicht angebracht; ebensowenig Berechtigung hat aber 
auch die glatte Ablehnung der Reaktion. Derjenige Unter¬ 
sucher wird die besten Erfolge erzielen, der es versteht, jede Re¬ 
aktion an rechter Stelle anzuwenden, das Ergebnis der ver¬ 
schiedenen Reaktionen richtig zu deuten und in fruchtbringende Be¬ 
ziehung zu einander zu setzen. 


Aus dem Reservelazarett 3 Hanau (Chefarzt : Marine-Ober¬ 
stabsarzt a. D. Dr. Op per). Abt. Landkrankenhaus, Mediz. 
Abteilung (Direktor: Dr. Zuschlag). 

Ueber Bazillenruhr. 

Von Dr. Erich Ball mann, Kriegsassistenzarzt, 
Assistent der Abteilung. 

Ende Juli 1917 trat in Hanau und Umgebung eine Ruhrepidemie 
auf, die bis Mitte Oktober anhielt und einen ziemlich schweren Ver¬ 
lauf zeigte. Ich hatte Gelegenheit, dieselbe im hiesigen Landkranken¬ 
hause- eingehend zu beobachten, da fast alle Fälle diesem zugeführt 
wurden und nur wenige zu Hause behandelt wurden. 

Die Epidemie ging aus von der 5 jährigen Tochter eines Eisen¬ 
bahnschaffners in Hanau, welche unter Ruhrerscheinungen erkrankte, 
nachdem sie am Tage vorher von einer Schwester der Mutter, die 
im Nachbardorfe Gr. Auheim wohnt, nach kurzem Besuche wieder 
zurückgeholt worden war. Bis dahin waren in beiden Orten keinerlei 
verdächtige Krankheitszeichen beobachtet worden; es konnte auch 
keine Berührung mit einem ruhrverdächtigen Kranken oder einem 
beurlaubten Soldaten nachgewiesen werden. Es traten dann, am 
Tage nach der Erkrankung, sowohl in Hanau im Hause des Eisen¬ 
bahnschaffners, wie in Gr. Auheim in der Familie, in der das Kind 
gewesen war, gleichzeitig mehrere typische Ruhrfäile auf, so dass 
nicht mit Sicherheit entschieden werden konnte, ob das am Tage 
vorher erkrankte Kind die Infektion sich in Gr. Auheim zugezogen 
hatte oder ob es sie dort eingeschleppt hatte. 

Es liefen nun, von diesen beiden Familien ausgehend, zwei Epi¬ 
demien nebeneinander her, die eine in Hanau selbst, die andere in 
Gr. Auheim. 

Betrachten wir nun zunächst den Verlauf der letzteren. Es 
erkrankten zunächst in der Gr. Auheimer Familie zwei Kinder und 
starben ganz plötzlich nach 2 Tagen. Erst jetzt wurde sowohl in 
Gr. Auheim wie hier in Hanau die Diagnose Ruhr gestellt und es 
erfolgte die Einlieferung sämtlicher Patienten ins Landkrankenhaus. 
Es waren von Hanau das obenerwähnte, zuerst erkrankte Kind, sein 
Brüderchen und seine Mutter, sowie ein Kind einer anderen Familie 
aus dem gleichen Hause^das schon am nächsten Tage starb. Aus 

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Gr. Auheim wurden, nachdem die beiden obenerwähnten Kinder ge¬ 
storben waren, deren Mutter, die Schwester der eingangs erwähnten 
Eisenbahnschaffnersfrau, sowie eine Schwägerin derselben, ^ie Im 
gleichen Hause wohnte, eingeliefert. Es Hess sich nun genau verfolgen, 
wie die Ruhr zunächst in den Häusern von Hanau und Gr. Auheim, in 
denen die beiden Familien wohnten, auf andere Familien derselben 
Häuser sich ausbreitete, dann wurden Ruhrfälle aus den Nachbar¬ 
häusern eingeliefert, dann sprang die 'Ruhr auf gegenüberliegende 
Häuser über. Erst darnach trat in dem weiter entfernt liegenden 
elterlichen Haushalt der beiden vorerwähnten Frauen Ruhr bei zwei 
Brüdern und einer Haushälterin auf. Dann folgten die Krankheitsfälle 
immer häufiger, wobei zunächst noch ein Haften der Krankheit an 
gewissen Häusern und Strassen beobachtet werden konnte, bis dann 
schliesslich die Krankheit ganz regellos in den verschiedensten 
Strassen in immer häufigeren Fällen auftrat und eine Verfolgung des 
Infektionsweges nicht mehr möglich war. Bisher war, soweit die 
bakteriologische Diagnose möglich gewesen war, stets der Shiga- 
Kruse sehe Bazillus als Erreger der Ruhr festgestellt worden, 
jetzt wurden aber auch in einer Reihe von Fällen, bei denen ein 
Kontakt mit den bisher beschriebenen Erkrankungen sicher nicht 
vorlag, Y- und Flexnerbazillen als Erreger nachgewiesen, wenn auch 
in einer wesentlich geringeren Zahl von Fällen. Wenige Tage nach 
Ausbruch dieser Epidemie unter der Zivilbevölkerung traten dann 
auch in der Garnison Ruhrfälle auf. Ausser bei einem Kommando, 
bei dem in 3 FäHen Shiga-Kruse-Ruhr festgestellt wurde, handelte 
es sich, soweit die Diagnose bakteriologisch gestellt werden konnte, 
fast stets um Y-Ruhr, was sich auch in einem wesentlich leichteren 
Verlauf der Ruhr bei den Soldaten zeigte. 

Nachdem die bisher beschriebenen Epidemien einige Wochen 
gedauert hatten, trat dann plötzlich in dem etwas weiter ent¬ 
fernt liegenden, aber durch Kleinbahn und starken Verkehr ver¬ 
bundenen Langenselbold eine weitere Epidemie auf. Hier konnte sehr 
bald bei einer grossen Reihe von Fällen die bakteriologische Dia¬ 
gnose auf Shiga-Kruse-Ruhr gestellt werden. Noch ausgesprochener 
wie in Hanau und Gr.-Auheim haftete hier die Seuche an gewissen 
Strassen in der Nähe der Kirche, bis sie sich dann ebenfalls später 
regellos über die ganze Gemeinde ausbreitete. Auch hier war der 
ursprüngliche Krankheitsherd nicht mit Bestimmtheit nachzuweisen. 

Ganz gegen Ende dieser Epidemie wurde dann noch eine kleine 
Reihe allerschwerster Fälle aus einem noch entfernter liegenden 
Dorfe (WeilcTS, Kreis Gelnhausen) eingeliefert, tm ganzen 5, da¬ 
von stammten 4 aus einer Familie, bei dem 5. handelte es sich 
um deren Nachbarsfrau. Woher die ursprüngliche Infektion in diesen 
Fällen stammt, konnte ebenfalls nicht nachgewiesen werden; in 
diesen Fällen war die bakteriologische Diagnose nicht zu stellen. 

Vom Kreisarzt wurden ausserdem noch 2 Fälle aus anderen 
Orten gemeldet, die hier nicht zur Einlieferung kamen. 

Die bakteriologische Untersuchung hat sich bei Ruhr hier als 
sehr unzuverlässig erwiesen. 

Es kamen hier im ganzen 217 Zivil- und 103 Militärpersonen zur 
Behandlung, bei denen in 150 (49) Fällen Ruhr festgestellt wurde, 
und zwar meist auf Grund des klinischen Befundes und wegen des 
Kontaktes mit bakteriologisch festgestellten Fällen. Der Bazillen¬ 
nachweis im Stuhl gelang nur bei 22 Zivilisten und 11 Soldaten, und 
zwar wurde nachgewiesen: 

Typus Shiga-Kruse in 17 Fällen und in einem Militärfall, 

„ Flexner je 1 Fall bei Militär und Zivil, 

„ Y bei 4 Zivil- und 9 Militärpersonen. 

Es wurde jeder Stuhl durch besondere Boten nach dem hier 
zuständigen Untersuchungsamt in Frankfurt a. M. gebracht. Die 
Weiterverarbeitung des Materials konnte so meist nach 3—4 Stun¬ 
den begonnen werden, trotzdem war das Resultat von 33 positiven 
Fällen bei 199 klinisch sicheren Ruhrfällen so schlecht. Diese Er¬ 
fahrung ist auch sonst überall gemacht worden, selbst Institute, die 
das Material direkt nach der Entleerung verarbeiten konnten, sahen 
immer noch*40—50 Proz. Versager. Es ist also die bakteriologische 
Diagnose nur in den wenigsten Fällen möglich, der Praktiker wird 
sich noch in der Hauptsache auf die klinische Diagnose verlassen 
müssen. 

In einer Reihe von Fällen zogen wir die Agglutinationsprobe zu 
Hilfe, deren Beweiskraft uns erwiesen scheint. Aus äusseren Grün¬ 
den konnte jedoch diese Untersuchungsmethode nicht generell durch¬ 
geführt werden, sie wurde deshalb nur in zweifelhaften Fällen vor¬ 
genommen. Sie erübrigte sich auch meist, da in fast allen Fällen die 
Diagnose der Art des Erregers aus dem Zusammenhang mit änderen 
bakteriologisch festgestellten Fällen entnommen werden konnte. 

Fast alle unsere Kranken wurden am 1. Krankheitstage, meist 
sogar in den ersten Krankheitsstunden eingeliefert. Entgegen der 
Angabe von Jochmann in seinem „Lehrbuch der Infektionskrank¬ 
heiten“, dass die Ruhr anfange mit allmählich sich steigernden Darm¬ 
erscheinungen, bis dann nach längerer oder kürzerer Zeit die typi¬ 
schen Ruhrstühle auftreten, gaben fast alle unsere Patienten genau 
die Stunde an, in der sie plötzlich von heftigem Leibschneiden aus 
bestem Wohlbefinden heraus überfallen wurden, dem dann nach ganz 
kürzer Zeit, meist nach einer bis höchstens 2 Stunden der typische, 
Schleim und Blut führende Stuhl folgte. Fast alle Patienten boten 
bei der Aufnahme ein ziemlich schweres Krankheitsbild, die meisten 

üngiral Frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1239 


hatten Fieber, das manchmal Werte bis 40V2° erreichte, meist aber 
in niedrigeren Grenzen bis etwa 38‘/3° sich hielt. Die Zunge war 
weisslich belegt, nicht sehr trocken, die Patienten waren im Hin¬ 
blick auf den meist erst kurz dauernden Krankheitszustand sehr ver¬ 
fallen. Die Herztätigkeit gewöhnlich etwas beschleunigt, anderer¬ 
seits sahen wir in einigen Fällen deutliche Pulsveriangsamung. Der 
Leib war fast stets eingezogen und besonders in der linken Fossa 
iliaca auf Druck sehr schmerzempfindlich. In nicht sehr seltenen 
Fällen fand sich auch eine diffuse Schmerzhaftigkeit des ganzen 
Unterleibes. Die Zahl der Stühle wechselte, gewöhnlich erfolgte 
etwa alle Ya —1 Stunde eine Entleerung unter sehr heftigen Schmer¬ 
zen, auch zwischendurch klagten die Patienten sehr oft über an¬ 
dauernden Stuhldrang. Manchmal waren jedoch die Stühle so zahl¬ 
reich, der Tenesmus so intensiv, dass die Patienten das Stechbecken 
überhaupt nicht mehr verliessen. 

Ich möchte jedoch bemerken, dass der Tenesmus, der von vielen 
Autoren als charakteristisch für Ruhr bezeichnet wird, in einer gan¬ 
zen Reihe von auch bakteriologisch sichergestellten Fällen fehlte und 
die Patienten sich zwischen den einzelnen Stuhlentleerungen ver¬ 
hältnismässig wohl fühlten. 

Das Fieber erschien uns ganz unregelmässig, meist bestand, wie 
oben erwähnt, bei der Aufnahme ein nicht sehr hohes Fieber, das 
jedoch nach 1—2 Tagen zur Norm abfiel und in den Fällen, in denen 
Heilung erfolgte, meist nicht wieder auftrat. Hin und wieder hielt 
sich jedoch das Fieber längere Zeit mit nicht sehr hohen abendlichen 
Zacken. Gerade diese Fälle zeigten später eine gewisse Herz¬ 
schwäche und verzögerte Rekonvaleszenz, selbst wenn die eigent¬ 
lichen Ruhrerscheinungen recht bald zurückgegangen waren. Es 
scheint, als ob hier eine grössere Resorption von Toxinen statt¬ 
gefunden hätte als in den übrigen Fällen, vielleicht handelt es sich 
auch um Infektion der Darmgeschwüre mit anderen Erregern. Der 
Puls zeigte in den ersten Tagen meist keine Besonderheiten, doch 
trat später in nicht sehr wenig Fällen eine ziemlich starke Puls¬ 
beschleunigung auf, verbunden mit den sonstigen Zeichen der Herz¬ 
schwäche, so dass wir uns veranlasst sahen, mit Herzmitteln ein¬ 
zugreifen. Uns hat sich vor allem das Koffein gut bewährt, auch 
von Digitalis wurde recht häufig mitgattm Erfolg Gebrauch gemacht. 

Die Therapie der Ruhr ^»fde hier, wie folgt, durchgeführt: 

Sogleich nach der Aujrfahme wurde der Patient zu Bett ge¬ 
bracht, erhielt einen Thejsmophor auf den Bauch, der stets sehr an¬ 
genehm empfunden wqrae. Sofort, nachdem die Diagnose Ruhr aus 
dem Stuhl gesichert erschien, d. h. wenn sich die typischen Schleim¬ 
und Blutbeimengungen fanden, erhielt der Patient einen hohen Ein¬ 
lauf. Benutzt wurde eine 1 proz. Tanninlösung, etwa.D/s—2 Liter. 
Der Patient erhielt dann die Weisung, den Einlauf möglichst lange 
zu halten. In einer Reihe von Fällen war das den Patienten nicht 
möglich; im allgemeinen befolgten jedoch die Patienten den Auftrag 
prompt und hielten den Einlauf meist 20—30 Minuten, dann erfolgte 
die Entleerung der eingelaufenen Tanninlösung meist in mehreren 
kurz aufeinanderfolgenden Portionen, denen meist grosse Massen 
von durch Tannin schwarzgefärbtem Blut und Schleim beigemengt 
waren. 

Es war überraschend, wie prompt diese Einläufe meist wirkten. 
Gewöhnlich hörte nach kurz andauernden Schmerzen während des 
Einlaufs der quälende Tenesmus schon nach 5—10 Minuten auf, die 
Stühle wurden viel seltener; Leute, die am Vormittag etwa 
20 Stühle gehabt hatten, hatten am Nachmittag deren nur noch 
3—4. Am nächsten Tage war der Stuhl häufig schon frei von Schleim 
und Blut, nicht mehr gärend, nur in verhältnismässig wenig Fällen 
war ein 2. oder gar 3. Einlauf nötig. 

Neben diesen Tannalbineinläufen ging eine intensive Verabrei¬ 
chung von Tannin per os. Es wurde den Patienten meist in der Suppe 
oder im Brei verrührt, gereicht und im ganzen gern genommen. 
Diese Medikation wurde auch nach Abklingen der eigentlichen Ruhr¬ 
erscheinungen noch einige Zeit fortgesetzt. Gegen Ende der Epi¬ 
demie konnte das Tannalbin in nicht mehr genügenden Mengen be¬ 
zogen werden. Es hat sich uns dann das Optannin der Firma Knoll, 
Ludwigshafen als guter Ersatz bewährt. 

In einzelnen Fällen blieb, nachdem der Stuhl schon blutfrei war, 
noch leichter Durchfall mit dünnbreiigen Stühlen zurück. Hier er¬ 
wies sich eine Mischung von gleichen Teilen 1 proz. Kodein und 
1 proz. Morphinlösung zu 10—15 Tropfen per os verabreicht, als 
sehr wohltuend. Häufiger jedoch als diese Durchfälle folgten den 
eigentlichen Ruhrerscheinungen eine reaktive Verstopfung, die meist 
2—3 Tage anhielt und im allgemeinen weiter keine besondere Be¬ 
handlung erforderte. In den wenigen Fällen, in denen auf Tannin¬ 
einlauf der Tenesmus nicht aufhörte, wurde wiederholt Atropin 
0,0005 g subkutan gegeben. Einen ausgesprochenen Erfolg konnten 
wir nicht beobachten. 


In all den Fällen bei denen neben den eigentlichen Ruhrerschei¬ 
nungen toxische Erscheinungen im Vordergründe standen, wurde 
neben der. obenbeschriebenen Behandlung die Serumbehandlung 
durchgeführt. Benutzt wurde, wenn die Bazillenart der vorliegenden 
Ruhr festgestellt war, das gegen den betreffenden Stamm gerichtete 
Antidysenterieserum der Höchster Farbwerke. In bakteriologisch 
unklaren Fällen wurde das polyvalente Antidysenterieserum der¬ 
selben Fabrik oder auch das der Behringwerke, Marburg benutzt. 


Nr. 


45. 

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Ein Unterschied zwischen den beiden Seren konnte nicht festgestellt 
werden. 

Nachdem in einigen wenigen ersten Fällen entsprechend der der 
Höchster-Farbwerke-Packung beigegebenen Vorschrift nur 20 ccm 
gegeben und kein wesentlicher Erfolg gesehen worden war, wurde 
diese Dosis später auf 80—100 ccm pro Tag, meist 2--3 Tage hinter¬ 
einander, gesteigert, bei diesen grösseren Gaben wurde in einer gan¬ 
zen Reihe von Fällen eine ganz auffällige Besserung gesehen. 

Die Patienten, die vorher das Bild der schwersten Intoxikation 
geboten hatten, die ganz teilnahmslos waren, erholten sich schnell, 
wurden klar und munterer, der vorher schwache und unregelmässige 
Puls wurde ruhig und kräftig, die Stühle seltener. In anderen Fällen 
jedoch war ein solcher Erfolg nicht so offensichtlich. Im ganzen 
haben wir den Eindruck gehabt, dass die Einführung der Serum¬ 
therapie eine wesentliche Bereicherung unserer Kampfmittel gegen 
die Ruhr darstellt. Leider konnte diese Therapie nicht in allen Fällen 
durchgeführt werden aus Mangel an Serum; denn da zur selben 
Zeit an vielen Orten Deutschlands Ruhr aufgetreten war, waren 
die Werke nicht immer imstande, die gewünschten Mengen von 
Serum zu liefern. «■ 

Im ganzen wurde die Serumtherapie in 56 Fällen durchgeführt. 
Bei den grossen Mengen von Serum, die den Patienten bei der ver¬ 
hältnismässig geringen Wertigkeit der bisher dargestellten Seren zu¬ 
geführt werden mussten, war naturgemäss mit dem Auftreten von 
Serumerkrankungen zu rechnen, die dann auch bei einer kleinen 
Anzahl von Fällen beobachtet wurden. In leichteren Fällen kam es 
nach wenigen Tagen zu einer Rötung an der Injektionsstelle, meist 
mit einer kleinen Fiebersteigerung bis zu 38°. Am nächsten Tage 
waren dann die Erscheinungen gewöhnlich schon geschwunden, nur 
in 3 Fällen trat jedesmal am 11. Tage nach der Injektion eine Fieber¬ 
steigerung bis 40° auf, die mehrere Tage anhielt. Gleichzeitig trat 
eine über den ganzen Körper verbreitete Urtikaria mit heftigem Juck¬ 
reiz auf. Die Gelenke schwollen etwas an, die Patienten fühlten 
sich ziemlich schwer krank. Ohne besondere Behandlung ver¬ 
schwand der ganze Symptomenkomplex nach 3—4 Tagen. Das 
Serum wurde sowohl intramuskulär wie subkutan gegeben. Im 
ganzen wurde bei den über 700 Einzelinjektionen zu 10—20 ccm 
2 mal an der Injektionsstelle Abszessbildung gesehen, die eine In¬ 
zision nötig machte. 

In 4 Fällen wurde ein von Prof. Gräfin v. Linden angegebenes 
Kupfer-Kohle-Präparat versucht. __ Die Erfolge waren wenig ermuti¬ 
gend und wurden deshalb nicht weiter fortgesetzt. Bei einem Pa¬ 
tienten von 50 Jahren, der 2 Tage lang 3 mal täglich einen Teelöffel 
voll nahm, wurde keinerlei Erfolg gesehen, die 3 übrigen Fälle re¬ 
agierten mit sofortigem Erbrechen und Zunahme der Leibschmerzen, 
so dass sie sich weigerten, das Präparat weiterzunehmen. 

Bei einzelnen, schon im Jahre 1916 hier beobachteten Ruhrfällen 
waren Versuche mit dem von Prof. E11 i n g e r-Frankfurt a. M. 
angegebenen Thymol-Palmitinsäureester gemacht worden. Die Re¬ 
sultate erschienen uns damals als zu neuen Versuchen ermutigend. 
Dieses Mittel soll durch Abspaltung des Thymols die Bakterien im 
Darm abtöten, es soll also gleichsam eine Darmdesinfektion statt¬ 
finden. Irgend eine Beeinflussung des eigentlichen Krankheitsver- 
- lautes durch das Mittel war nicht beabsichtigt. Es wurde deshalb 
nur bei solchen Fällen gegeben, bei denen die Bakterien im Stuhl 
sicher nachgewiesen waren. 

Bei der Epidemie 1917 wurde es in 15 Fällen gegeben und zwar 
jedesmal an 5 aufeinanderfolgenden Tagen je dreimal einen Kaffee¬ 
löffel voll, das Mittel wurde gut vertragen. Wenn es auch keinen 
allzu guten Geschmack hat, so wurde doch die Einnahme von den 
Patienten nie verweigert. Irgendwelche unangenehme Neben¬ 
wirkungen hatte das Präparat nicht. Sofort nach Abschluss der Be¬ 
handlung wurde der Stuhl durch besonderen Boten der Untersuchungs¬ 
stelle übersandt und in 14 Fällen war dann der Stuhl auch frei von 
Ruhrbazillen. Nur in einem einzigen Falle hatten wir hier einen 
Versager. Allerdings muss angegeben werden, dass ein Patient, 
bei dem bei einer Untersuchung Bazillen gefunden worden waren 
und der, als dieses Resultat nach 3 Tagen hier bekannt wurde, 
Thymolpalmitinsäureester bekam, in einer vor Beginn der Kur ein¬ 
gesandten Stuhlprobe ebenfalls keine Bazillen hatte. Da der Ba¬ 
zillennachweis so äusserst'selten gelingt und die Bazillen im allge¬ 
meinen auch scheinbar ohne besondere dahingehende Behandlung 
meist recht schnell aus dem Stuhl verschwanden, möchten wir uns 
ein definitives Urteil über den Wert des Mittels nicht erlauben, bis 
weitere Resultate von anderen Epidemien vorliegen, bei denen der 
Nachweis der Bakterien durch eine am Ort anwesende Unter¬ 
suchungsstelle und eventuelle neue Untersuchungsmethoden ein 
sicherer ist. Zurzeit wird das Mittel übrigens auch wegen seines 
ausserordentlich hohen Preises sich in den meisten Anstalten von 
selbst verbieten, vielleicht wird es aber gelingen, nach Rückkehr 
geordneter Verhältnisse das Mittel billig'herzustellen und dann er¬ 
scheinen uns weitere Versuche, auf diese Weise den Darm zu des¬ 
infizieren, sehr angebracht. ' 

Im ganzen waren wir mit der angegebenen Behandlungsweise 
und ihren Resultaten recht zufrieden; es wurden keinerlei Nach¬ 
krankheiten oder Uebergänge in ein chronisches Stadium beobachtet. 
Gewöhnlich waren die Patienten nach etwa 3—4 Tagen beschwerde- 
frei und konnten nach etwa 14 Tagen entlassen werden, nur in 

2 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1240 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


wenigen Fällen verzögerte sich die Entlassung wegen der oben schon 
erwähnten Herzschwäche. 

Von den für die Ruhr typischen Komplikationen sahen wir 5 mal 
leichte rheumatische Affektionen, die sich in multiplen Gelenkschwel- 
lungen und Schmerzhaftigkeit der befallenen Gelenke äusserten, mit 
geringer Fiebersteigerung einhergingen und bis auf zwei Fälle, die 
zur Heilung zwei Wochen brauchten, nach wenigen Tagen wieder 
abklangen. Nur in einem Falle wurde eine leichte Konjunktivitis 
beobachtet. Eine Iridozyklitis sahen wir nicht. 

Gar nicht so selten klagten die Patienten am l. oder 2. Tage 
über leichten Slngultus, der jedoch auf wenige Tropfen 1 proz. Kodein¬ 
lösung meist bald verschwand, andererseits sahen wir diesen 
Singultus in ganz ausserordentlicher Heftigkeit und Hartnäckigkeit 
bei den tödlich ausgehenden Fällen auftreten, so dass dieser länger 
dauernde Singultus uns stets ein prognostisch ungünstiges Zeichen 
war. 

Leider war ein ziemlich hoher Prozentsatz von Sterbefällen 
zu verzeichnen. Es handelte sich hierbei meist um solche Fälle, 
die schon etwas länger zu Hause gelegen hatten oder die durch 
irgendwelche Einflüsse, insbesondere Tuberkulose — 3 Fälle — ge¬ 
schwächt waren. Diese Patienten boten meist bei der Aufnahme ein 
sehr schweres Bild. Die einzelnen Stuhlentleerungen waren meist 
überhaupt nicht mehr zu zählen, die Patienten waren bewusstlos und 
Hessen den Stuhl dauernd unter sich. Der Pul$ war meist klein, fast 
nicht zu fühlen und äusserst beschleunigt. Die üblichen Herzmittel 
vermochten ihn nicht zu bessern; es bestand heftiger Singultus und 
Erbrechen. Die Patienten sahen verfallen aus, die Augen lagen 
tief in den Höhlen, die Haut war trocken und runzelig, hier und da 
bestanden heftige Wadenkrämpfe; in einigen Fällen traten Delirien 
auf, die Nahrungsaufnahme wurde meist verweigert. Trotz aller 
Bemühung trat meist am 1. oder 2. Tag der Tod ein. Eine besonders 
grosse Sterblichkeit zeigten die Kinder und die Greise, wie aus 
untenstehender Tabelle hervorgeht. Die Tabelle zeigt ferner einen 
grossen Unterschied in der Sterblichkeit zwischen Zivilpersonen und 
Soldaten. Wir führen die besseren Resultate bei den Militärpersonen 
auf die schnellere Einlieferung durch die Militärverwaltung und das 
Vor wiegen der durch Y-Stämme bewirkten Erkrankungen zurück. 


Alter der Zivilpersonen 

Zahl der 
Erkran¬ 
kungen 

Hei¬ 

lung 

Hei¬ 
lung in 
Pr. z. 

Todes- 

fftile 

Todes- 
fille in 
Proz. 

\ 

1—15 Jahre .. . 

16-49 fahre . 

V. 

62 

48 

77 

11 

23 

60 

55 

91,6 

5 

8,4 

50 und mehr Jahre. ... 

28 

20 

71.4 

8 

29,6 

Summe der Zivilkranken . . . 

150 

123 

82 

27 

18 

Zahl der Militftrpersonen ... 

49 

45 j 

92 

4 

8 

Gesamtzahl. . 

199 

168 | 

84,5 

1 31 

15,5 


Es zeigte sich also eine grosse Verschiedenheit in der Sterblich¬ 
keit sowohl in bezug auf das Alter, wie auch die Herkunft der 
Patienten. Wie schon oben erwähnt, handelt es sich nicht um eine 
einzige Epidemie, sondern es waren verschiedene Herde nach¬ 
zuweisen, die sowohl in der Art der Erreger, wie in der Virulenz 
derselben Abweichungen zeigte. Am häufigsten trat die Shiga-Kruse- * 
Ruhr auf. 

Diese zeigte auch die grösste Sterblichkeit und Ansteckungs¬ 
gefahr. Es zeigte sich, dass bei diesem Erreger stets ganze Familien 
und Strassen gleichzeitig oder kurz hintereinander erkrankten, wäh¬ 
rend die sogen. Pseudoruhrstämme stets nur in einzelnen wenigen, 
mit anderen nicht zusammenhängenden Ruhrfällen auftraten. 

Auch für das Pflegepersonal war die Shiga-Kruse-Ruhr am ge¬ 
fährlichsten. Es erkrankten zwei Schwestern, ein Zivil- und ein 
Militärwärter und in drei von diesen Fällen wurden im Stuhl Shiga- 
Kruse-Bazillen nachgewiesen. 

Die Mannigfaltigkeit der Fälle drängt uns die Frage auf, dass 
es sich um Infektionen handelt, die von verschiedenen Bazillenträgern 
ausgegangen sind. Wir erklären uns deshalb das gehäufte Auftreten 
von Ruhr im vergangenen Sommer in verschiedenen Orten Deutsch¬ 
lands so, dass im Gegensatz zu früheren Jahren jetzt viel mehr 
reklamierte und entlassene ehemalige Heeresangehörige im Heimat¬ 
gebiet weilten, die früher im Felde vielleicht ohne ihr Wissen eine 
Ruhr überstanden und Bazillenträger geblieben waren, und die wäh¬ 
rend der heissen Jahreszeit bei der in dieser Zeit regelmässig be¬ 
stehenden grösseren N-eigung zu Affektionen des Darmkanals Rezidive 
bekamen und so Anlass zu neuen Infektionen der Zivilbevölkerung 
gaben. 

Wenn diese Erklärung richtig ist, so isi anzunehmen, dass im 
kommenden Sommer, wenn zu diesen Im vergangenen Jahre schon 
gefährlich gewordenen Bazillenträgern noch die durch die jetzige 
Epidemie zurückgebliebenen Ruhrträger kommen, und deren Zahl 
vielleicht noch durch die aus dem Feld zurückgekehrten Soldaten 
vermehrt wird, für unsere Bevölkerung eine erhöhte Gefahr der 
Ruhrerkrankung gegeben ist. Es wäre also ratsam, im kommenden 
Sommer jedem Darmkatarrh mit der grössten Vorsicht gegenüber¬ 
zutreten und jeden verdächtigen Fall, insbesondere die leichteren 
chronischen Darmkatarrhe, auf Ruhrbazillenausscheidung zu unter¬ 
suchen. 


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Gck igle 


Ersatz des gelähmten Biceps brach» durch den 
Pectoralis major. 

Von Privatdozent Dr. Q. Hohmann-München. 

Die Operation der. Muskelverpflanzung hat bisher am Oberarm 
weit geringere Anwendung und Erfolge gehabt als am Vorderarm 
oder an der unteren Extremität. Während der operative Ersatz des 
gelähmten Musculus deltoideus iunktionell noch recht zu wünschen 
übrig lässt, ist auch der vorgeschlagene Ersatz des Bizeps und Bra¬ 
chialis durch eine Abspaltung aus dem Trizeps eine zwar im Bilde 
ganz schön aussehende, aber in der Praxis doch mehr problematische 
Sache. Zumal in vielen Fällen bei der Kinderlähmung sowohl wie 
bei den Schussverletzungen des Plexus ausser den Beugern auch 
noch der Strecker, der Trizeps, von der Lähmung mitbefallen ist und 
zum Ersatz nicht herangezogen werden kann. Ein Arm mit einem 
gelähmten Bizeps und Brachialis ist ein ausserordentlich schwer ge¬ 
schädigtes Glied, zumal wenn, wie nicht selten, eine Lähmung des 
Deltoideus mit dem unausbleiblichen Schlottergelenk der Schulter 
vorhanden ist. Der ganze Arm wird dadurch so gut wie unbrauch¬ 
bar, hängt schlaff herab, kann nicht gehoben werden, das Schulter¬ 
gelenk luxiert immer wieder, während die Hand- und Fingermuskeln 
bei diesem Lähmungstypus völlig, intakt sein können und kräftig 
funktionieren, so dass der Wunsch nahe liegt, die Greiffähigkeit der 
Hand durch einen Eingriff am Arm besser auszunutzen. 

Zu diesem Zwecke steht uns eine Kraftquelle am Arm zur Ver¬ 
fügung, die bisher nicht ausgenutzt wurde. Zu gleicher Zeit wie 
Schulze-Berge (D.m.W. 1917 Nr. 14) kam ich bei einem Pa¬ 
tienten mit Lähmung des Bizeps und Brachialis infolge Schussver¬ 
letzung des Plexus auf den Gedanken, den ausserordentlich kräftigen 
Zug des Pektoralis major für die Beugung des 
Armes im Ellenbogen nutzbar zu machen. Zumal der 
Pektoralis durch seine Lage an der Vorderseite des Armes sowohl 
als auch durch seine günstige Zugsrichtung, die sich unschwer in 
die Zugsrichtung des Bizeps bringen lassen müsste, förmlich dazu 
einlud, ihn für diesen Zweck heranzuziehen. Bei jenem ersten Patien¬ 
ten aber kam es nicht zur Operation, da in der aus äusseren Grün¬ 
den etwas länger dauernden Zwischenzeit bis zur Ausführung der 
Operation sich die gelähmten Beuger-durch Selbstheilung der Ner¬ 
venverletzung wieder von selbst hersteHten. So hatte ich erst im 
September 1917 Gelegenheit an einem geebneten Fall die seinerzeit 
geplante Operation auszuführen. ^ 

Es handelte sich um einen 6 jährigen Knaben mit einer vor länger 
als 1 Jahr durchgemachten Poliomyelitis, bei dem ausser einer Ti- 
bialis-anticus-Lähmung des linken Unterschenkels mit leichter Valgus- 
stellung und einer Schwäche des linken Quadrizeps der rechte Arm 
eine sehr erhebliche Beschädigung aufwies. Es bestand eine totale 
Lähmung des Deltoideus, der Arm hing schlaff am Körper 
herab und konnte im Schultergeleuk weder nach vorn noch seitlich 
gehoben werden. Der Humeruskopf prominierte sichtbar nach vorn, 
vom Deltoideus waren kaum Fasern fühlbar. Ausser dem Humerus¬ 
kopf waren auch Korakoid und Akromion von aussen sichtbar. Es 
bestand ein hochgradiges Schulter-Schlottergelenk, das 
oft luxierte. Der Finger konnte zwischen Akromion und Humerus¬ 
kopf mühelos tief ein dringen. Trapezius und Latissimus waren er¬ 
halten, ebenso der Pektoralis. Gänzlich gelähmt waren ferner 
Bizeps, Brachialis internus und auch der Trizeps. In¬ 
folgedessen bestand eine erhebliche Atrophie des Oberarms, der 
4 cm dünner als der linke war. Im Ellenbogen war weder eine aktive 
Beugung, noch Streckung möglich. Die Vorderarm- und Handmuskeln 
waren vollständig erhalten. Der Patient hatte einen guten und kräf¬ 
tigen Faustschluss. Der Arm befand sich im ganzen in der typi¬ 
schen Innenrotationshaltung. 

Es musste also zweierlei erreicht werden, einmal die Be¬ 
seitigung des Schlottergelenks und die Ermöglichung 
einer Hebung des Armes im Schultergelenk und zwei¬ 
tens die Wiederherstellung der Beugung des Armes 
im Ellenbogengelenk. Beides suchte ich in einer Operation zu 
erreichen. Ich legte am 15. IX. 17 in Narkose mit einem 20 cm langen 
Schnitt vom Akromion bis zur Mitte des Oberarms an der Vorder¬ 
seite das Schultergelenk frei, ging durch den atrophischen, gelb ver¬ 
färbten Deltoideus durch aut die Kapsel, die .ich eröffnete nach Heraus¬ 
hebung der langen Bizepssehne.' Dieselbe schnitt ich am oberen 
Kopf pol ab und trennte auch die kurze Bizepssehne zusammen mit 
dem Korakobrachialis vom Korakoid ab. Mit demselben Schnitt 
wurde auch der Bizeps in seiner oberen Hälfte freigelegt. Er war 
ebenfalls gelblich verfärbt und stark atrophisch. Hierauf erfolgte 
Abtrennung des Pektoralisansatzes am Humerus und die Mobili¬ 
sierung des Muskels. Nun wurde zuerst die Arthrodese des 
Schultergelenks in der üblichen Weise ausgeführt nach Ent¬ 
fernung des Knorpelüberzuges des Humeruskopfes und der Gelenk¬ 
pfanne mit Meissei und Messer, sowie Anfrischung des Korakoids 
und Akromions und Fixierung von Pfanne und Kopf mit einem Bronze¬ 
draht in einer Abduktion von 110°. Darauf erfolgte die Muskel¬ 
plastik. Hier ging ich anders als Schulze-Berge, dessen 
Arbeit mir erst später bekannt wurde, vor. Schulze-Berge 
verlängerte in seinem Fall den sehnigen Teil des* Pektoralis durch 
Herunterklappung der einen Hälfte der Sehne und Hinaufklappung 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 






5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1241 


der einen Hälfte der Bizepssehne, indem er die beiden Enden von 
Pektoralis und Bizeps miteinander bei starker Beugung des Vorder¬ 
arms vernähte. Ich ging anders vor. Ich bildete durch Z u - 
s am mennähen der Sehnen des langen Bizepskopfes 
mit den gemeinsamen Sehnen des kurzen Bizepskopies und 
Korakobrachialis eine Schlinge, hierauf verkürzte 
ich den Muskelbauch des Bizeps mit mehreren starken 
Raffnähten und vereinigte sodann die Sehne des mobilisier¬ 
ten Pektoralis mit der Sehnen schlinge des Bizeps 
in mittlerer Spannung. Naht des Deltoideusrestes über dem Hume¬ 
ruskopf. Naht des Fettes, Naht der Haut. Gipsverband in nicht ganz 
rechtwinkliger Abduktion im Schultergelenk und rechtwinkliger Beu¬ 
gung im Ellenbogen. Nach reizloser Wundheilung begann ich schon 
nach 14 .Tagen, während am Gipsverband des Armes der vordere 
Teil entfernt wurde, so dass er als Gipsschiene wirkte und Be¬ 
wegungen im Ellenbogen ermöglichte, mit aktiven Beugeversuchen 
im Ellenbogen, Elektrisieren des Pektoralis, der alsbald seine neue 
Funktion übernahm. Den Schultergipsverband entfernte ich nach 
2 Monaten, nachdem eine zwar nicht knöcherne, aber feste fibröse 
Arthrodese entstanden war. 



Fig 3. Fig. 4. 


Die heutige Untersuchung am 15. III. 18 ergibt folgenden Be¬ 
fund: Der Knabe kann durch Drehung des Schulterblattes den Arm 
im Schultergelenk nach vorn und seitlich etwa bis 120° heben und 
kann den Ellenbogen aktiv mit inzwischen erheblich 
gesteigerterKraft admaximum beugen. Hierbei spannt 
sich der Pektoralis kräftig an und man fühlt die Verschiebung des 
zu einer langen Endsehne gewordenen etwa fingerdicken ehemaligen 
Bizepsbaüches. Infolge der erwähnten Innenrotationskontraktur des 
Vorderarms geschieht die Beugung nicht bei Supination, sondern 
bei Pronation des Vorderarms. Der Patient kann seinen Arm jetzt 
zum Essen und zu leichteren Hantierungen benutzen. (Fig. 1 zeigt 
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den schlaff am Körper herabhängenden gelähmten Arm, Fig. 2 die 
durch Arthrodese erzielte seitliche Hebung, Fig. 3 und 4 die durch 
Pektoralisbizepsplastik ermöglichte aktive Beugung des Ellenbogens.) 

Diese Muskelverpflanzung dürfte nach Biesalski- 
Mayer zu den physiologischen zu rechnen sein, da keine 
Abspaltung, wie bei Trizeps-Bizepsersatz notwendig ist und da, 
wie schon oben bemerkt, der Pektoralis zwanglos in die Zugsrichtung 
des Bizeps gebracht werden kann und auch das Umlernen der Funk¬ 
tion ohne grosse Mühe möglich ist. In gleicher Weise kann der 
Latissimus dorsi als Ersatz des gelähmten Tri¬ 
zeps heraiigezogen werden, da auch er sich leicht in die Zugs¬ 
richtung dieses Muskels bringen lässt. Hierzu kommt noch der Um¬ 
stand, dass Pektoralis wie Bizeps zu der gleichen Gruppe der 
von Murk Jansen so genannten Proximatoren gehören. 
Der durch die Plastik neugebildete Muskel hat allerdings eine von 
dem Jansen sehen Typus der Proximatoren etwas abweichende 
Beschaffenheit. Während die Proximatoren wenig aber lange 
Muskelbündel und wenig Sehnengewebe auiweisen im Gegensatz zu 
den kräftiger wirkenden Distatoren. die viele kurze Bündel und viel 
Sehnengewebe haben, hat der neue Pektoralis-Bizeps die 
langen Muskelbündel und eine lange Sehne. Wie 
sich der Muskel durch Anpassung an seine Funktion im Laufe der 
Zeit in seinem Typus ändert, bleibt abzuwarten. Diese Muskelüber¬ 
pflanzung dürfte durch das mit ihr zu erreichende Resultat eine Er¬ 
weiterung des Anwendungsgebietes der Muskelüberpflanzung be¬ 
deuten und geeignet sein, das Los der Armgelähmten zu verbessern. 


Die „prophylaktische Blutuntersuchung“, ein neues 
Hilfsmittel der Malaria-Vorbeugung*). 

Von Dr. med. et phil. Carly Seyfarth, Leipzig, 

Kgl. Sächs. Oberarzt der Res., Chefarzt der Abt. G. 
der Deutschen Sanitätsmission tiir Bulgarien. 

1. Für grössere Menschenmengen (Truppen, Arbeiterkolonien) 
ist in Mala nagegenden eine ordnungsgemäss und lückenlos durch¬ 
geführte gute Chininprophylaxe (Mittwochs und Sonntags je 1,2 g 
Chinin möglichst in fraktionierten Dosen) die beste Malariavorbeu¬ 
gung. Daneben muss der grösste Wert auf peinlich genauen mecha¬ 
nischen Mückenschutz gelegt werden. Durch dauerndes Clunin- 
einnehmen wird die Entwicklung der im Blut des Menschen kreisen¬ 
den Malariaparasiten beeinträchtigt Der Ausbruch der Ma¬ 
laria wird verhindert. Die Gefechts- bzw. Arbeitsfähigkeit bleibt 
möglichst lange erhalten. 

Bezüglich des völligen Verhüte ns der Malariainfektion 
versagen jedoch vor allem in Gegenden mit sehr grosser täglicher In¬ 
fektionsgefahr alle Chininprophylaxemethoden. Die Erfahrung zeigt 
fortdauernd, dass mau bei der Ghiiiinprophylaxe allein vor'un¬ 
angenehmen Ueberraschungen nie sicher ist. Die prophylak¬ 
tische Blutuntersuchung in Verbindung mit der 
Chininprophylaxe schützt vor ihnen. Eine ständige, 
in regelmässigen Abständen wiederholte Blutuntersuchung lässt die 
Frühdiagnose der Malaria stellen, noch bevor sich diese durch irgend¬ 
welche Erscheinungen bemerkbar macht. Alle 14 Tage, in der Mitte 
und am Ende jeden Monats, wird vor einem Ghinintag ein Biut- 
präparat (dicker Tropfen) zur Untersuchung auf Malariaparasiten ge¬ 
macht. Am besten wird es nach Anstrengungen (Märschen, schweren 
Arbeiten usw.) angefertigt. Ist wirklich eine Infektion erfolgt, so 
kann die sofortige vollkommene Ausheilung der Malaria in Angriff ge¬ 
nommen werden, ohne dass die Gefechts- bzw. Arbeitsfähigkeit im 
wesentlichen beeinträchtigt wiid. 

2. Ein kleiner Kreis intelligenter Menschen oder einzelne mit der 
Malarialehre vertraute Personen können in Malariagegenden auf die 
Chininprophylaxe ganz verzichten, wenn es uie Umstände er¬ 
möglichen, dass der mechanische persönliche Mückenschutz wirk¬ 
lich gut durchgeführt werden kann (richtiger Moskitonetzschutz, 
wirklich mückensichere Wohnräume, vernünftige Lebens¬ 
weise, allgemein-hygienische Massnahmen gegen die Mücken und 
ihre Brut). Neben diesen Schutzvorkehrungen muss 
eine genau e Ungehaltene, prophylaktische Blut¬ 
untersuchung regelmässig durch geführt werden. 
Am 1. und 15. jeden Monats wird ein dickes Tropfenpräparat zur 
Untersuchung auf Malaria Parasiten gemacht. 

Wir machten hier mit diesem Malari-aschutz die besten Erfah¬ 
rungen. Die prophylaktische Blutuntersuchung sichert die recht¬ 
zeitige Erkennung der Malariainfektion, falls eine solche wirklich 
erfolgen sollte, noch bevor diese irgendwelche Erscheinungen macht. 
Leicht und r e zid i v f r e i fassen sich solche frischen Malariainfek¬ 
tionen bei sofortiger energischer Chininbehandlung ausheilen. Ein 
Chininversagen ist ausgeschlossen. 

Bei Prophylaktikern tritt infolge mehrmals wöchentlichen, vor 
allem aber bei täglichem Nehmen von Chinin während einer langen 
Zeit oft eine Gewöhnung des Organismus an das Alkalokl ein mit 
dem Endergebnis des Chininversagens bei systematischer Behand¬ 
lung. (Vergl. Seyfarth: B.kl.W. 1918 Nr. 23 S. 545.) 


•) Ausführliche Mitteilung über unsere Erfahrungen an anderer 

' Original from 2* 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


3. Viele Veröffentlichungen (M ü IfLe ns, Z i e in a n n, Wer¬ 
ner, Kirschbaum, B i 1 k e, Stadelmann. M o's s e, Keller) 
beschäftigen sich in -letzter Zeit mit dem abnorm langen, primären 
Latenzstadium der Malaria, d. h. dem Zeitraum zwiscnen der Infektion 
und dem Ausbruch der eigentlichen Krankheit. Dieses häufig auf viele 
Monate verlängerte Inkubationsstadium wird auch in Südostbulgarien 
recht oft beobachtet. Es ist abhängig von der Resistenz des betr. 
Individuums und der vielleicht geübten Chininprophylaxe. Durch 
regelmässige prophylaktische Blutuntersuchungen 
konnten nach unseren Erfahrungen in vielen Fällen 
solche unbemerkten Malariainfektionen zur gröss¬ 
ten Ueberraschung der Betreffenden entdeckt und 
diese so vor schwerer Erkrankung geschützt wer¬ 
den. 


Aus dem St. Josephskrankenhau.se Potsdam. 

Eine Methode der vertikalen Naht mit seitlicher Lappen¬ 
bildung für die Stumpfbedeckung nach Amputationen 
und ihre Bedeutung für die Ableitung der Wundsekrete. 

(Vorläufige Mitteilung.) 

Von Dr. Konrad Pochhammer, Oberstabsaizt, 
leitender Arzt der chirurgischen Abteilung. 

Bei allen Amputationen, bei denen wir einer Infektionsgefahr zu 
begegnen haben, stehen sich zwei Erfordernisse gegenüber. Das 
eine ist die Forderimg des ungehemmten Abflusses der 
Wundsekrete, um die Infektion zu bekämpfen, das zweite ist 
die Forderung einer genügenden Stumpfbedeckung, um 
die Entstehung eines Granulationsstumpfes und die Notwendigkeit 
einer Reamputation und Stumpfverkürzung zu vermeiden. 

Beide Forderungen sind bei den bisher üblichen Amputations¬ 
methoden oft gar nicht oder doch nur in unvollkommenem Masse 
zu vereinigen. In den meisten Fällen sehen wir uns zu Gunsten 
eines freien Sekretabflusses gezwungen, auf die Erfüllung der zweiten 
Forderung einer primären Stumpfbedeckung infolge der 
Infektionsgefahr zu verzichten. Es entstehen infolgedessen 
Granulationsstümpfe, die einer nachträglichen Stumpfbedeckung be¬ 
dürfen, auch wenn von vornherein auf die Bildung von Weichteil¬ 
lappen Bedacht genommen ist. 

Ohne Naht ist die Entstehung eines Granu¬ 
lationsstumpfes und eines Ulcus prominens in den 
meisten Fällen nicht zu verhüten. Die Naht ander¬ 
seits bedingt die Gefahr der Sekretverhaltung 
und des Fortschreitens der Infektion. 

Bei jeder Amputation 
drängt sich daher von 
neuem die Frage auf: 
Können wir aus diesem 
Dilemma der Sekretver¬ 
haltung einerseits und der 
Granulationsstumpfbildung 
andererseits einen Aus¬ 
weg finden? Diese Frage 
muss bei sachgemässer 
Ueberlegung aller in Be¬ 
tracht kommenden Ver¬ 
hältnisse bejaht werden. 

Der Sekretabfluss er¬ 
folgt nach rein mecha¬ 
nischen Gesetzen 
der Bewegung der Flüs¬ 
sigkeiten. Der Eiter senkt 
sich der Schwere nach 
abwärts. Infolgedessen 
muss jede Lappenbildung, 
die zur Stumpfbedeckung 
einen oberen und unteren, 
bzw. anatomisch aus- 
gedrückt, vorderen und 
hinteren Lappen herstellt, 
zur Stauung der 
Wundsekrete führen, 
sofern die Lappen nicht 
frei nach aussen umge¬ 
schlagen sind. Die Bildung 
eines grossen über¬ 
hängenden vorderen Lappens aber birgt nicht nur die 
Gefahr der Randnekrose in sich, sondern begünstigt auch die 
Entstehung von Druckgeschwüren an Stellen, wo der kantige 
Knochen unmittelbar gegen die überhängende Haut anstösst. Beide 
Verfahren vermögen meist trotz aller Mühen nicht die Bildung 
eines Granulationsstumpfes oder eines Ulcus 
prominenszuverhüten. 

Es ergibt sich demnach die Forderung, die Lappenbildung von 
vornherein so einzurichten, dass der freie Abfluss der Wundsekrete 
gesichert bleibt, zugleich aber auch der eigentliche Knochenstumpf 

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von normaler Haut so bedeckt wird, dass ein Ulcus prominens auch 
nachträglich nicht mehr zustande kommen kann. Um dies zu er¬ 
reichen, brauchen wir nur einen kleinen technischen 
Kunstgriff anzuwenden, der an und für sich sehr naheliegt 
und vor allem auch sehr einfach ist. Ich kann mich jedoch nicht 
erinnern, trotz meiner nun 4 jährigen kriegschirurgischen Erfahrung 
in Feld und Heimat, ihn jemals in bewusster Weise ange¬ 
wendet gesehen zu haben. Ich glaube daher allen denen, die vor 
die Frage einer Amputation oder Reamputation gestellt sind, einen 
Dienst zu erweisen, wenn ich den einfachen Kunstgriff, der mir bis¬ 
her in allen solchen Fällen nie versagt hat, für eine allgemeine 
Verwendung empfehle. 

Das einfache Verfahren besteht darin, dass an Stelle eines 
oberen und unteren, bzw. vorderen und hinteren Lappens bei der 
üblichen Amputationsmethode mit Lappendeckung zwei seit¬ 
liche Weichteillappen für die Bedeckung des 
Knoche n stumpfes gebildet werden und nunmehr statt 
der wegen der Infektionsgefahr aufgegebenen wagerechten Lappen¬ 
naht eine senkrechte Vereinigung der seitlich ge¬ 
bildeten Hautlappen durch einige Situationsnähte zwecks 
Stumpfbedeckung erfolgt. Diese Situationsnähte werden jedoch 
nicht so angelegt, dass ein absoluter Nahtverschluss entsteht, •son¬ 
dern in der Weise angeordnet, dass der über und vor den Knochen¬ 
stumpf fallende Teil der Naht möglichst eng gelegt und einen regel¬ 
rechten Hautverschluss abgibt; je weiter nach abwärts, desto weiter 
voneinander werden auch die Situationsnähte gelegt. Der unterste, 
bzw. nach hinten gelegene Teil der Lappenwunde bleibt aber voll¬ 
ständig offen, ohne jede Naht. Dieser offen bleibende 
Teil dient dem Abfluss der Wundsekrete. 

Durch diese Art des vertikalen Nahtverschlusses 
wird zwischen den beiden seitlichen Lappen und der von ihnen be¬ 
deckten Stumpffläche eine senkrechte Rinne gebildet, in der 
alle sich ansammelnde Wundflüssigkeit entsprechend den Gesetzen 
der Schwere ungehemmt abfli essen kann. Es bedarf nicht 
des Einlegens eines Drainrohres; die auf natürlichem Wege gebildete 
Weichteilrinne versieht diesen Dienst der Drainage besser, als jedes 
als Fremdkörper wirkende Rohr. An den vertikal gerichteten Seit^n- 
wünden der Weichteillappen und der vertikal gelagerten Stumpf¬ 
fläche mit den herabhängenden Weichteilen tropft und rinnt das 
Wundsekret ständig herab, ebenso wie in einer Tropfsteinhöhle an 
den steilen Kuppelwänden, die aus dem glitzernden Gestein hervor¬ 
quellende Feuchtigkeit unaufhaltsam herabrinnt und niedertropft. 

Wir brauchen nur eine Schale unter das Ende des im übrigen 
horizontal gelagerten Gliedstumpfes zu setzen, um die abtrop¬ 
fende Wundilüssigkeit aufzufangen und uns von der 
Wirksamkeit des ständigen Abflusses der Wundsekrete aus dem 
Innern der entstandenen Stumpfhöhle zu überzeugen. Ein Verband 
ist an und für sich nicht erforderlich, ein komprimierender Wickel¬ 
verband sogar eher schädlich'. Es kann bei sauberen Verhält¬ 
nissen eine vollkommen offene Wundbehandlung durch¬ 
geführt werden. Bei Stümpfen der unteren Gliedmassen ist nur ein 
rahmenartiges Gestell über das Stumpfende zu setzen, um ein Be¬ 
rühren und Auffallen der Bettdecke zu verhüten. Bei Stümpfen der 
oberen Gliedmassen empfiehlt es sich, das Stumpfende m i t e i n e r 
leichten Kompresse zu bedecken, die von Zeit zu Zeit 
mit einem Desodorans oder Desinfiziens — wir benutzten meist essig¬ 
saure Tonerdelösung — angefeuchtet wird. Im übrigen wird der 
Stumpf auf Zellstoffwattepolster mit wasserdichter Unterlage ge¬ 
lagert, das die abtropfende Wundflüssigkeit gierig aufsaugt, und von 
Zeit zu Zeit erneuert wird, oder der Stumpf, wird leicht aufgehängt 
in möglichst horizontaler La.ge und eine Schale zum Auffangen der 
abtropfenden Sekrete daruntergestellt. Es führen auch in dieser 
Beziehung verschiedene Wege nach Rom. Einzelheiten müssen der 
Gewohnheit und persönlichen Liebhaberei überlassen bleiben. Nur 
das Prinzip der Methode soll hier angedeutet werden, damit 
es gewahrt werde und keine Verkehrtheiten entstehen. 

Natürlich kann auch vorübergehend zum Zwecke des Transports 
oder während des Aufstehens ein lockerer Wickelverband 
angelegt werden. Im allgemeinen aber bevorzugen wir für diese 
Art der Stumpfbedeckung die offene Wundbehandlung und legen nur 
eine lockere Hülle über das Stumpfende zum Schutz 
gegen Staub und Schmutz, Fliegen u. dgl. 

Diese Methode der vertikalen Lappenbildung mit senkrechtem 
Teilnahtverschluss ist indes nicht nur anwendbar, wenn von vorn¬ 
herein zwei seitliche Weichteillappen gebildet sind oder das er¬ 
forderliche Material an Hautbedeckung dafür vorhanden ist, sondern 
sie lässt sich auch bei zirkulärer Manschettenbildung 
unschwer ausführen und selbst in Fällen Iineärer Glied¬ 
absetzung, die zunächst offen behandelt wurden, lässt sie sich 
noch nachträglich mit gutem Erfolg zur Anwendung bringen, wie ich 
erst kürzlich in einem Fall zu erproben Gelegenheit hatte. Es 
kommt bei allen Modifikationen der Methode, die sich 
nach Lage und Beschaffenheit der vorhandenen Weichteile, ins¬ 
besondere der Hautbedeckung am Stumpf richten müssen, darauf an, 
dass der N a h t v e r s c h 1 u s s möglichst in vertikaler 
Richtung erfolgt und nur der obere Teil der Stumpf¬ 
fläche mit dem Knochenstumpf von Haut bedeckt 
w i r d. während die nach unten hängenden Weichteil- 

Original from 

UNIVERSUM OF CALIFORNIA 



5. Nov-ember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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abschnitte möglichst offen und unbedeckt blei¬ 
ben und mehr oder weniger eine senkrechte Rinne für den 
freien Abfluss der Wundsekrete bilden. 

Die beigefügte Abbildung veranschaulicht den Erfolg einer 
nachträglichen Stumpfbedeckung mit seitlicher Lappen¬ 
bildung und vertikaler Naht bei einem Armstumpf, der infolge 
lineärer Absetzung mit freiliegendem Knochenstumpf und aus 
dem zurückgesunkenen Hautschlauch hervorquellenden Muskel- 
Wülsten völlig ungedeckt in die Behandlung des Heimat¬ 
lazaretts gelangte. 

Durch geeignete Vor- und Nachbehandlung mit der noch immer 
viel zu wenig geübten Hautextension lässt sich auch bei 
veralteten Granulationsstümpfen von oft erheblicher 
Länge noch eine Stumpfbedeckung erzielen. Es bedarf dabei in der 
Mehrzahl der Fälle einer operativen Ablösung der narbig ver¬ 
wachsenen Haut am Stumpfe, die dann schliesslich so weit gelockert 
und vorgezogen wird, dass eine seitliche Lappendeckung 
des Stumpfes unter Anwendung der vertikalen 
Naht möglich wird, ohne auch nur ein Knochenscheibchen abzu¬ 
sägen und zu opfern. Der Stumpf wird auf diese Weise wieder von 
widerstandsfähiger Haut gedeckt, ohne Jede Rearaputatlon und 
Transplantation! 

In sehr ungünstig gelegenen Fällen empfiehlt es sich, zur Ver¬ 
längerung der Stumpf haut oberhalb' des Extensiönsverbandes im 
Bereiche der gesunden elastischen Haut halbringförmige 
Entspannungsschnitte anzulegen, um auf diese Weise 
die Wirkung der Hautextension zu unterstützen und die völlige 
Stumpfbedeckung mit der noch vorhandenen Haut des Gliedstumpfes 
zu erzwingen. Wir werden über dies Verfahren noch an anderer 
Stelle berichten und unsere Erfahrungen mitteilen. 

Vorläufig lag mir daran, auf die Methode der seitlichen 
Lappenbildung und der primären oder sekundären 
vertikalen Hautvereinigung hinzuweisen, damit auch 
andere ihre Vorteile bei den Amputationen und Reamputationen im 
Felde und in der Heimat erproben können. 


Steckschuss des Herzens, zweimalige Operation, Heilung. 

Von Prof. Dr. Jenckel in Altona. 

Der 22 jährige Schütze M. V. aus B. in Holstein hatte am 9. I. 17 
in den Karpathenkämpfen gegen die Russen einen Gewehrschuss in 
die rechte Brustseite bekommen. Es war sofort zusammengebrochen 
und am Tag darauf noch in bewusstlosem Zustande in das Feldlazarett 
gebracht, wo man in Höhe der rechten 3. Rippe neben der vorderen 
rechten Achselfalte einen grossen Einschuss feststellte, in welchen 
man die Kuppe des Mittelfingers einführen konnte. Ein Ausschuss 
war nicht vorhanden. Die rechte Lunge war offenbar stark verletzt, 
es bestand neben Hämoptoe rechts hinten unten bis drei Querfinger 
oberhalb des rechten unteren Schulterblattwinkels ausgesprochene 
Dämpfung und aufgehobenes Atemgeräusch. Die Stimme war heiser, 
Patient klagt über starke Schluckbeschwerden, so dass man annahm, 
dass die Kugel entweder die Speiseröhre und den N. vagus direkt 
verletzt habe, oder aber in der Nähe dieser Organe sitze und einen 
Druck auf dieselben ausübe. Am 14. II. 17 kam Patient in ein Kriegs¬ 
lazarett und Von dort am 1. III. 17 in das Vereinslazarett Berlin- 
Pankow, wo von der Grenze zwischen oberem und mittlerem Drittel 
des Schulterblattes abwärts rechts hinten völlige Dämpfung mit auf¬ 
gehobenem Atem festgestellt wurde. Im Sputum war noch immer 
Blut vorhanden. Auch links hinten unten war leichter abgeschwächter 
Klopfschall, sowie zahlreiches gross- und kleinblasiges Rasseln, das 
Herz war etwas nach links verdrängt, Spitzenstoss eben ausserhalb 
der Brustwarzenlinie. Herztöne rem. Diagnose: Lungensteckschuss 
mit Verdichtung der rechten Lunge und Bronchopneumonie links 
unten. Ein Grund, für die Heiserkeit konnte nicht gefunden werden. 
Bei der am 17. III. 17 ausgeführten Röntgenaufnahme war das Ge¬ 
schoss nicht zu entdecken; erst am 12. V. 17 wurde bei erneuter 
Röntgenuntersuchung festgestellt, dass die Kugel nicht, wie erwartet 
war, in der rechten Lunge, sondern in der Rückwand des Herzens 
gelegen war und zwar auffälligerweise mit der Spitze nach rechts, 
d. h. nach dem Einschuss hin. 

Am 10. VII. 17 erfolgte die Aufnahme des Mannes in das Reserve¬ 
lazarett Helenenstift Altona. Der Einschuss rechts vorn, dicht unter¬ 
halb der vorderen Achselfalte war vernarbt. Die Haut hier dellen¬ 
artig eingezogen. Von seiten der Lunge bestanden keinerlei Stö¬ 
rungen mehr, keine Dämpfung, Atmung überall frei, vesikulär. Nach 
den Röntgenaufnahmen (Albers-Schönberg) lag die Kugel in 
der Hinterwand des rechten Ventrikels und zwar mit der Spitze nach 
rechts und blieb beim Lagewechsel stets an der gleichen Stelle, lag 
demnach nicht frei innerhalb der Herzkammer. 

Da Patient hin und wieder bedrohliche Herzattacken hatte — 
aussetzenden, kleinen, flatternden Puls, mit Angstzuständen und 
Atemnot, sowie Druckgefühl in der Herzgegend — so wurde ihm die 
operative «Enfernung der Kugel empfohlen, 'und am 13. VII. 17 zur 
Herzfreilegung geschritten unter Benutzung des D r ä g e r sehen 
Mischnarkosen-Ueberdruckapparates. Bogenschnitt an dem linken 
Rande des Sternum von der 3. Rippe abwärts bis zum 5. Interkostal- 
raum, dann nach aussen umbiegend bis 2 Querfinger ausserhalb der 

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Mamillarlinie. Durchtrennung der 3.-5. Rippe, Entfernung eines 
4 cm langen Stückes der 5. Rippe, Umschlagen des Brustwandlappens 
nach aussen. Eröffnung der Pleura, Ueberdruck. Eröffnung des 
Herzbeutels. Lösung des Herzens aus den allerseits bestehenden 
perikardialen Verwachsungen, die besonders an der Rückwand sehr 
stark waren. Hier fühlte man rechts in der Höhe des Sulcus coro- 
narius eine quergerichtete, feste Verwachsung des Herzens mit dem 
Herzbeutel, die erst nach längerem Bemühen zu trennen war, eine 
entzündliche Verdickung an der Hinterwand des rechten Ventrikels 
liess an dieser, offenbar das Geschoss enthaltenden Stelle, nichts von 
einem Fremdkörper durchtasten, auch im übrigen Teil des Herzens 
konnte von der Gewehrkugel nichts durchgefühlt werden. Da das 
Herz sich nur wenig vorziehen und die Hinterwand sich nur unge¬ 
nügend übersehen liess, eine Inzision in die hintere schwielige Partie 
dicht unter dem rechten Vorhof mit nachfolgender Naht technisch 
nicht ausführbar war, so wurde von weiterem Vorgehen Abstand 
genommen, die Naht des Herzbeutels und der Pleura ausgeführt, die 
Brustwand vernäht. Reaktionloser Verlauf, Patient war nach 
3 Wochen wieder soweit hergestellt, dass er wieder an den Unter¬ 
richtsstunden der Fürsorgestelle für verletzte Krieger teilnehmen 
konnte. Ich wartete dann über ein halbes Jahr in der Annahme, 
dass sich dann die entzündlichen Veränderungen im Bereich des 
Herzens zurückgebildet und damit sich technisch einfachere Verhält¬ 
nisse eingestellt haben würden, und führte am 8. III. 18 nochmals die 
Freilegung des Herzens unter Benutzung des D r ä g e r sehen Ueber- 
druckapparates aus, zumal die zeitweise einsetzenden Herzstörungen 
nach wie vor bestanden. Eine Verlagerung der Gewehrkugel war, 
wie die Röntgenaufnahme ergab, nicht eingetreten. Schnitt in der 
alten Narbe. Durchschneidung der Knorpel der 3.-5. Rippe. Zu¬ 
rückschlagen des Lappens. Starke Verwachsungen zwischen Peri¬ 
kard und Pleura. Letztere wurde beim vorsichtigen Lösen der Ver¬ 
wachsungen an einer Stelle eröffnet. Während vorher das Herz leb¬ 
haft und regelmässig arbeitete, trat plötzlich mit dem Entstehen des 
Pneumothorax eine starke Verlangsamung der Herzaktion ein, die 
sich sofort wieder besserte, sobald der Ueberdruck einsetzte. Er¬ 
öffnung des Perikards. Manuelle Lösung der überall bestehenden 
leichten perikardialen Verwachsungen. Besonders an der Hinterseite 
wurde das Herz bis zu den Vorhöfen hinauf gelöst, was diesmal ohne 
Schwierigkeit gelang. Hierbei fühlte jetzt die Hand in Höhe der 
früheren Schwiele, dicht unterhalb des Sulcus coronarius deutlich die 
Gewehrkugel, und zwar die Basis neben dem Septum ventriculorum, 
die Spitze nach rechts gerichtet. Das Herz wurde darauf mittels 
Kompresse an der Herzspitze vom Assistenten umfasst, nach oben und 
aussen vorgezogen, so dass man bequem an der Rückwand des 
Herzens bis über die Vorhöfe hinauf mit der eingeführten linken 
Hand kommen konnte. Das Geschoss lag etwa in einer Tiefe von 
3 mm in der hinteren Wand. Mir kam nun der Gedanke, überhaupt 
keinen Einschnitt mit dem Messer in der Hinterwand des Herzens 
auszuführen, wie ich es ursprünglich beabsichtigt hatte, sondern die 
Spitze des Geschosses selbst zum Durchbohren der Herzhinterwand 
zu benutzen, und so umfasste ich die Kugel zwischen Zeigefinger und 
Daumen und drückte dieselbe durch die Herzwand schräg hindurch, 
fasste dann das Geschoss mit der anatomischen Pinzette, zog es 
vollends heraus und drückte einen Tampon gegen die Herzwunde, 
aus der sich nur wenig dickflüssiges Blut entleerte, das sorgsamst 
aufgefangen und entfernt wurde. Eine weitere' Blutung erfolgte nicht, 
die Oeffnung hatte sich vielmehr, da das Projektil schräg durch die 
Wand hinausgedrückt war, ventilartig wieder verschlossen. Eine 
Naht des Herzens, an der Hinterseite hoch oben, die technisch bei der 
starken Pulsation wohl schwierig, aber doch möglich gewesen wäre, 
wurde nicht ausgeführt, da, wie gesagt, kein weiterer Austritt von 
Blut erfolgte. Naht des Perikards und der Pleura, Zurückschlagen 
des Lappens, Naht der Rippenknorpel mittels feinen Drahtes, der 
Muskulatur mittels Katgut, der Haut mit Zwirn. Auch diesmal er¬ 
folgte reaktionslose Heilung, so dass Patient nach 4 Wochen-im ärzt¬ 
lichen Verein zu Hamburg vorgestellt werden konnte. Die Nach¬ 
untersuchung des Herzens ergab noch eine geringe Verbreiterung 
nach rechts und links, die Herztöne waren rein und regelmässig. 
Die Herzattacken sind seit der Entfernung des Geschosses völlig ver¬ 
schwunden. 

Wie kam es nun, dass die Kugel sich ohne nennenswerte Blutung 
aus der hinteren Herzwand entfernen liess? Offenbar war dieselbe, 
die ursprünglich mit einem grossen Teil frei in den rechten Ventrikel, 
dicht unterhalb der rechten Atrioventrikularklappe hineinragte, all¬ 
mählich völlig umwachsen und eingebettet worden, so dass sie nach¬ 
her wie in einer Lade sich, befand. Es war ein 2,8 cm langes russi¬ 
sches Vollmantelgeschoss, völlig rot von Blutfarbstoff gefärbt, Ka¬ 
liber 7,4 mm, Gewicht 9,650 g. An der Grenze zwischen oberem und 
mittlerem Drittel war die Kugel seitwärts etwas eingebeult, wahr¬ 
scheinlich war sie, ehe sie mit der Basis vorauf durch die rechte 
Lunge ln das Herz gelangte, vorher auf irgend einen festen Gegen¬ 
stand aufgeschlagen, hatte sich gedreht und dann mit der Basis vorauf 
die Brust durchschlagen. Daher die relativ grosse Einschussöffnung, 
in die man bequem die Kuppe eines Mittelfingers hineinlegen konnte, 
und dann die Lage des Geschosses im Herzen mit der Spitze nach 
rechts, d. h. nach dem Einschuss hin. 

Der Mann ist soweit hergestellt, dass er seit Mitte April herum¬ 
gehen und täglich an seinen Unterrichtskursen wieder teilnehmen 

Original frn-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1244 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRITT. 


Nr. 45. 


kann. Die Herzbeschwerden haben völlig aufgehört, Patient fühlt 
sich wieder ganz gesund. Auf dem Röntgenschirm lässt sich noch 
eine geringe Verbreiterung des Herzschattens nachweisen. 

In der Literatur fand ich nur einen Fall von Steckschuss der 
Hinterwand des Herzens angegeben, der im Jahre 1905 von Z o e g e 
v. Manteuffel-Dorpat 4 ) direkt nach der Verletzung — Suizid, 
Einschuss Vorderwand des rechten Ventrikels, Revolverkugel sass 
in der Rückwand und wurde durch Inzision entfernt — mit Erfolg 
operiert worden war. Bei unserem Soldaten war das Geschoss mit 
der Zeit völlig abgekapselt worden, so dass eine Nachblutung nach 
der Extraktion nicht entstand, und eine Naht der Hinterwand des 
Herzens nicht nötig war. Eine ähnliche Beobachtung machte 
Dieterich*) 1915; bei seinem Kranken handelte es sich um einen 
völlig abgekapselten Steckschuss in der Vorderwand des Herzens, 
zum Teil noch von Eiter umgeben. 


Aus der k. k. deutschen Universitftts-Augenklinik in Prag. 
(Vorstand: Prof. E1 s c h n i g.) 

lieber einen Fall von metastatischer Streptokokken* 
eiterung Im Auge nach spanischer Grippe. 

Von Privatdozent Dr. Arnold Löwenstein, 

I. Assistenten der Klinik. 

Die Aetiologie der influenzaähnlichen Erkrankung, welche im 
Sommer 1918 nahezu ganz Europa ergriff und Erkrankung« Ziffern 
bot, wie sie sonst nur bei Pest- und Gholeraepidemien vorzukommen 
pflegen, ist nicht mit Sicherheit erklärt. Die eine Gruppe von Autoren 
nimmt den Pfeiffer sehen Influenzabazillus als Erreger an, 
die grössere Mehrzahl hingegen hat Streptokokken in den Luft¬ 
wegen gefunden und als Erreger angesprochen. Schliesslich wäre noch 
die besonders von Selter 1 ) vertretene Ansicht Kruses* zu er¬ 
wähnen, nach welcher die Influenza von einem noch unbekannten Er¬ 
reger aus der Gruppe der filtrierbaren Virusformen verursacht wird. 
Nun ist bei allen derartigen, gewöhnlich bei der Obduktion vor¬ 
genommenen Untersuchungen der grossen Schwierigkeit zu begegnen, 
die in den Schleimhäuten der Trachea und der Bronchien vorliegende 
reiche Flora zu differenzieren. Wenn auch bakteriologische Erfahrung 
und der Tierversuch die Möglichkeiten sehr erheblich ernschränken, 
bleibt doch die Entscheidung sehr oft eine schwierige. 

Ich berichte nun über einen Fall von metastatischer Irido- 
chorioiditis des linken Auges nach einer Grippe. Der in Reinkultur 
nn Eiter der Metastase gefundene Streptokokkus scheint mit einiger 
Wahrscheinlichkeit auch als Erreger der primären Erkrankung auf¬ 
gefasst werden zu müssen. 

H. Josef, 36 Jahre alt, Geschäftsdiener, erkrankte am 26. VI. 1918 
unter heftigen Kopfschmerzen und plötzlich einsetzendem hohen 
Fieber (bis 40°). Der Arzt konstatierte Grippe, die zu teuer Zeit auf 
dem Höhepunkte der Verbreitung in Prag stand. Das Fieber dauerte 
3 Tage, doch litt der Patient seither weiter an starken Muskel¬ 
schmerzen, besonders an beiden Füssen und im Nacken. Am 17. VII. 
empfand Pat. heftiges Stechen im linken Auge; gleichzeitig begann 
eine Schwellung der Lider des gleichen Auges. 

Vor 18 Jahren Lues, vierwöchentliche Schmierkur. Wasser¬ 
mann positiv. Rhinologischer Befund negativ. Intern: Rasseln über 
beiden Lungenspitzen. Hemia inguinalis bilaterafis. 

Schwächliches, schlecht genährtes Individuum. Temperatur 37,5 °. 
Linke Gesichtshälfte, besonders die Lider, teigig weich geschwollen. 
Keine Drüsen tastbar. Linker Bulbus sehr stark nach vorn, etwas 
nach oben und aussen verdrängt. Beweglichkeit nach allen Rich¬ 
tungen hin nahezu aufgehoben. Retropulsion sehr schmerzhaft. Pralle 
Chemose der Bulbusbindehaut. Hornhaut matt, gestichelt. Kammer- 
wasser trüb, kein Hypopyon. Iriszeichnung verwaschen, Gewebe 
geschwollen, grün verfärbt. Pupille (auf Atropin) 6 mm. Im 
Pupillarbereich kreisförmiges, gelblichgraues Exsudat von 4 mm 
Durchmesser, übriges Pupillarbereich durch zartgrauen Schleier 
bedeckt. Kein rotes Licht, Tension —. Kerze 2 m, Pro¬ 
jektion nach aussen fehlend. Therapie: warme Umschläge, 2g Aspirin, 
Schmierkur. 22. VII. 10 ccm Milch intramuskulär. Fieber bis 39,4®. 
Am Auge keine Reaktion. Chemose und Schmerzhaftigkeit nimmt zu, 
Exsudat vermehrt sich. 24. VII. Exenteratio bulbi in Ganglien¬ 
anästhesie schmerzlos. Glaskörper gelblichgrün infiltriert, in der 
Ziliarkörpergegend speckiges Infiltrat. Nach der Exenteration Tem¬ 
peratur immer normal. Glatte Heilung. 30. VII. Entlassung in ambu¬ 
latorische Behandlung. 

Im Aufstrich fanden sich zahlreiche kleine Diplokokken Gram¬ 
positiv, grösstenteils extraleukozytär, einzeln Hegend; doch auch 
mehrfach im Plasma von degenerierten Leukozyten ohne Zeichen von 
Phagozytose, mehrere kurze Ketten, 4—8 Doppel gl ieder. 

In Serumbouillonreinkultur Gram-positive Kettenkokken, Ketten 
sehr lang. Eine Bestimmung der Tierpathogenität sowie eine exakte 
Prüfung des Stammes auf verschiedenen Spezalnährböden konnte 
leider aus äusseren Gründen nicht vorgenommen werden. Doch geht 


*) v. Manteuffel: Zentral«. f. Chir. 1905 Nr. 41. 

*) Dietrich: M.m.W. 1915 Nr. 43, Feldärztl. Beilage. 

*) Selter: Zur Aetiologie der Influenza. Djn.W. 1918 Nr. 34. 

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aus der bakteriologischen Untersuchung hervor, dass es sich um den 
von den verschiedensten Stellen als Erreger der Grippe ange¬ 
sprochenen Oiplostreptokokkus handelt. Der Einwand, dass es sich, 
wie Mandelbaum*) meint, bei der pandemischen Influenza 1918 
um einen unbekannten Erreger handelt, der eine Disposition setzt, 
auf Grund deren eine sekundäre Infektion mit Streptokokken. 1 Sta¬ 
phylokokken und Pneumokokken erfolgt, lässt sich, wenn auch nur. 
schwer, doch auch in unserem Falle anwenden 

Uebrigens hat auch schon W Hesse*) Streptokokken bei 
spanischer Grippe zweimal aus dem Blute gezüchtet. 

Die Diagnose der primären Erkrankung ist durch das epidemie- 
artige Auftreten und den klinischen Verlauf als ziemlich sichergestellt 
zu betrachten. Das siebzehntägige Intervall zwischen der fieberhaften 
Erkrankung und dem Manifest werden der Metastase hat nichts Ausser¬ 
ge wöhnliches. wenn man bedenkt, dass einerseits die Etablierung 
des Herdes im'Auge eine gewisse Zeit zur Entwicklung des klini¬ 
schen Bildes notwendig hat. dass aber andererseits die während der 
ganzen Zeit andauernden Gliederschmerzen dafür sprechen, dass die 
Muskeln des ganzen Körners mit Wahrscheinlichkeit von dem Virus 
durchseucht waren, welches dort nicht gleich günstige Wachstums¬ 
bedingungen gefunden hat wie im Auge. Es dürfte wohl der Erreger 
auch nach dem Abklingen der Temperatursteigerung im Blute gekreist 
haben. Die Tempera turst ei gerung auf 37.5® bei der Aufnahme scheint 
ebenfalls darauf hinzuweisen. wenn wir auch berücksichtigen, dass 
geringe Fieberanstiege auch dmch die Eiterung im Auge verursacht 
sein können. 

Der mitgeteilte Fall scheint dafür zu sprechen, dass der in Rein¬ 
kultur in der Augenmetastase Vorgefundene Diplostreptokokkus mit 
Wahrscheinlichkeit als der Erreger der Grippe in unserem Falle anzu¬ 
sprechen ist. 


Ein Im Feldlazarett beobachteter und operierter Fall 
von Hirechsprung’echer Krankheit 

Von Dr. Lach mann, Landeck i. Schl., Stationsarzt an einem 
Feldlazarett. 

Unter den mannigfachen Anregungen, die die verschiedensten 
Zweige der medizinischen Wissenschaft durch den Krieg erfahren 
haben, dürften die für die reine Friedenschirurgie eine der letzten 
Stellen einnehmen. Es erscheint deshalb berechtigt, bemerkenswerte 
Fälle aus diesem Gebiete zu veröffentlichen, zumal die Bedingungen 
des Lebens im Felde sowöhl in diagnostischer als auch in therapeu¬ 
tischer Beziehung nicht unerheblich verschieden sind von den ent¬ 
sprechenden Zuständen im- heimatlichen Friedensbetrieb. 

Ende August 1917 wurde auf meine Station in einem Feldlazarett 
ein Infanterist wegen hartnäckiger Verstopfung und zunehmender Be¬ 
schwerden im Leibe aufgenommen. Es -handelte sich um einen 
grossen, kräftig gebauten und ziemlich gut genährten Mann mit guter 
Muskulatur und etwas blasser Hautfarbe. Er war 26 Jahre alt. 
Arbeiter, hatte nicht aktiv gedient und war Dezember 14 zunächst 
als Armierungssoldat ins. Feld gekommen. Im Sommer 15 wurde er 
als Infanterist ausgebildet und stand seit Juli 15 wieder im Felde. 
Er war mehrmals wegen geringfügiger Erkrankungen und Verwun¬ 
dungen fm Lazarett. 

Zur Vorgeschichte seines jetzigen Leidens gibt er an, schon 
früher oft „magenleidend“ gewesen zu sein. Er habe Stuhl immer 
nur mit Nachhilfe gehabt: im Zivilleben habe er oft Einläufe gemacht, 
seit seiner Dienstzeit hole er sich einmal wöchentlich im Revier Ta¬ 
bletten, der Beschreibung nach Kalomel, und nehme die, bis Stuhl 
erfolge. In den letzten Monaten hätten die Beschwerden, besonders 
das ..Magendrücken“, so zugenommen, dass er kein Könne! mehr tra¬ 
gen könne, ausserdem habe er Leibschmerzen. AufstoSsen und die un¬ 
verändert weiterbestehende hartnäckige Stuhlverstopfung. Der zu¬ 
ständige Truppenarzt weist in einem Ueberweisungsschreifcen darauf 
hin, dass der dauernde starke Meteorismus und die Leihschmerzen 
den Verdacht auf eine Erkrankung des Bauchfells nahelegen. 

Bei der Aufnahme des Kranken auf die innere Station des Laza¬ 
retts ergibt sich an Herz, Lungen, Urin regelrechter Befund. Der 
Leib ist massig aufgetrieben, meteoristisch, nirgends druckempfindlich 
und ohne tastbare Veränderungen. Die geraden Bauchmuskeln klaf¬ 
fen, besonders in ihrer oberen Hälfte, ziemlich stark. 

Es konnte nach der Vorgeschichte und dem Befunde zunächst 
sehr wohl mit einer einfachen atonischen oder spastischen chronischen 
Stuhlverstopfung gerechnet werden. Demgemäss machte ich zu¬ 
nächst den Versuch, durch Abführmittel und geeignete Diät bei aus¬ 
reichender Körperbewegung Stuhl zu erzielen. Die angewandten Mit¬ 
tel, wie Karlsbader Salz. Phenolphthalein. K u r e 11 a sohes Brust¬ 
pulver, Rhabarber, versagten aber vollkommen, und es blieb nichts 
übrig, als alle 5—6 Tage mit einem Einlauf nachzuhelfen. Dieser 
förderte jedesmal einen reichlichen, breiig aufgeschwemmten Stuhl 
von normaler Farbe zutage. Das Allgemeinbefinden blieb unver¬ 
ändert: kurz nach der Entleerung bestanden keine Beschwerden. Im 
Laufe der folgenden Tage entwickelte sich m zunehmender Stärke 
Meteorismus, Leibschmerz und Aufstossen. 


*) Mandelbaurn: M.m.W. 1918 Nr. 30, 

? ) W. Hesse: M.m.W. 1918 Nr. 30. 

- Original frem 

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5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1245 


Auch ein Versuch, etwaige Spasnkn durch Injektionen von 0,001 
Atropin pro die zu beseitigen, zeigte nach einer Woche noch keiner¬ 
lei Erfolg und wurde abgebrochen. Tägliche Einläufe förderten 
zwar stets Stuhl zutage, änderten aber nichts an dem Gesamtbild. 
Die Untersuchung vom Mastdarm aus ergab auch dort normale Ver¬ 
hältnisse. II *1 

Dagegen konnte ich eines Tages bei der Untersuchung des Leibes 
nach leichtem Drücken eine sich stark vorwölbende, stehende peri- 
staKische Welle, eine Darmsteifung, beobachten, die annähernd in 
der Längsrichtung des Körpers links neben dem Nabel auftrat. Diese 
Wahrnehmung legte mir zuerst die Vermutung nahe, es könnte sich 
umHirschsprungsche Krankheit handeln. Ich sohritt des¬ 
halb in den folgenden Tagen zut Röntgenuntersuchung. 

Der Kranke erhielt etwa 400 g Brei mit etwa 60 g Bismut 
carbon. Die sofort angeschlossene Durchleuchtung Hess an dem 
Magen keine abnormen Verhältnisse erkennen. 6 Stunden später be¬ 
findet sich der Brei in dem aufsteigenden Teile des Dickdarms. Es 
wind nun in den folgenden Tagen fortlaufend am Röntgenschirm und 
z auf der photographischen Platte das Weit er rücken des Breis durch 
den Dickdarm verfolgt und folgendes festgestellt: Der Kontrastbrei 
durchwandert ganz langsam erst den aufsteigenden, dann den queren 
und den absteigenden Teil des Dickdarms und ist nach 5 Tagen in 
dem oberen Teile des Mastdarms angelangt. Der ganze Dickdarm 
erscheint ungewöhnlich weit, ohne dass sich in dieser Beziehung 
zwisöhen seinen einzelnen Abschnitten ein Unterschied 1 feststellen 
Hesse. Im Mastdarm angelangt hat sich der Brei zu einer dichten 
Masse zusammengeschoben, die nach unten halbkreisförmig begrenzt 
erscheint, also mit einer Kugelkalotte endet. Inzwischen hatten sich 
die Beschwerden des Kranken wieder so gesteigert, dass durch Ein¬ 
lauf der Darm entleert wurde. 

Einige Tage später füllte ich den Darm von unten her nochmals 
mH Kontrastbrei, wählte aber diesmal grössere Mengen, weil die 
vom Munde aus eingeführte Menge offenbar zu klein gewesen- war, 
um den Dickdarm ganz auszufüllen und zu entfalten. Ich führte einen 
Magenschlauoh ein, der sich ohne Mühe und ohne auf einen Wider¬ 
stand zu stossen, m voller Länge hin ein schieben Hess, und goss 
durch ihn 4 Liter Brei mit etwa 100 g Bismut. car K on. in den Darm. 
Nun zeigt sich bei der sofort angeschlossenen Röntgenaufnahme der 
absteigende Dickdarm als ein bis zu den Rippenknorpeln reichender 
und fast die ganze linke Hälfte des Leibes ausfüllender, überall gleich¬ 
breiter. tiefer Schatten. In das Colon transversum war nichts von 
dem Brei gelangt. 

Es konnte nach diesem Ergebnis der Untersuchung nicht mehr 
zweifelhaft sein, dass es sich um ein Megakolon handelte. Von einer 
Fortsetzung der inneren Behandlung war deshalb keine Besserung 
des Zustandes zu erwarten. Da der Kranke sich mit der Vornahpie 
einer Operation einverstanden erklärte, wurde er auf die chirurgische 
Station des Lazaretts verlegt. 

Die nach möglichst vollständiger Entleerung des Darms von 
Herrn Prof. Coenen ausgeführte Operation nahm folgenden Ver¬ 
lauf: Der Leib wird in der Medianlinie von der Schossfuge bis zur 
Mitte zwischen Schwertfortsatz und Nabel geöffnet. Sofort stürzt das 
im Durchmesser schweinsblasengrosse Kolon hervor; man erkennt 
das ungewöhnlich und breit ausgedehnte Colon sigmoideum. Zwi¬ 
schen den beiden stark ausgedehnten Schenkeln dieses Darmteils sind 
Adhäsionen/ An der Flexura lienalis ist ebenfalls ein Dickdarm- 
abschnitt herangezogen, der mit dem stark erweiterten Teil ver¬ 
wachsen ist. Das Gekröse ist entzündlich verdickt und zeigt an 
der Flexur einige verkalkte Drüsen. Der erweiterte Teil des Kolon 
wird in einer Ausdehnung von 35 cm ringförmig herausgeschnitten 
und- die Stümpfe ringförmig wieder vereinigt. Dadurch wird der 
unterste Teil der Flexura lienalis in Verbindung gebracht mit dem 
unteren- Teil der Flexura sigmoidea. Die Vereinigung gelingt unter 
sehr starker Raffung des unteren Endes, da dieses ganz erheblich 
weiter ist als das obere. Die innere Naht (Schlcimhautnaht) ist eine 
Knopfnaht, dre zweite durch Muskel und Baucbfcllüberzug ist fort¬ 
laufend, die dritte Naht (Lembtrt sehe Naht) ist wieder eine Knopf¬ 
naht. Schliesslich wird noch durch ebensolche Nähte das Bauchfell 
im Bereich der Naht herübergezogen, so dass mindestens 4 Schichten, 
an einzelnen Stellen vielleicht noch mehr, aufeinander liegen. Zu¬ 
letzt wird das Peritoneum parietale, das bei der Abbindung des Dick¬ 
darmgekröses verletzt wurde, wieder vernäht. In die Nähe der Naht 
wird innen und aussen je ein Tampon gelegt und zum unteren Winkel 
der Bauch wunde hmausgeführt, im übrigen die ganze Bauchwunde 
fest verschlossen. 

Trotz manchen Beschwerden und kleinen Störungen in den 
ersten Tagen verlief die Heilung im ganzen glatt. Am 7. Tage wur¬ 
den die Tampons entfernt, am 9. Tage die Nähte. Die Wunde erwies 
sich als reaktionslos geheilt. Nur aus einer pfennigstiiekgrossen Qeff- 
nung unterhab des Nabels entleerte sich noch etwas braune, nicht 
fäkulent riechende Flüssigkeit. Diese Oeffnung hatte sich bis zu 
Erbsengrösse verkleinert, als die Kriegslage — 4 Wochen nach der 
Operation- — den plötzlichen Abtransport des Kranken in- ein Kriegs¬ 
lazarett und wenige Tage später die Ueberführung in ein Reserve- 
lazarett notwendig machte. In- diesen Tagen trat, jedenfalls unter 
dem Einflüsse des Transports, Temperatursteigerung, Schmerzhaftig¬ 
keit der linken- Bauchseite und Schwellung in der Umgebung der 
Fistel auf. Unter feucht warmen Umschlägen girgen die Erschei¬ 
nungen innerhalb dreie>r Tage wieder vollständig zurück. Nach wei¬ 
teren 4 Wochen war die Fistelöffnung geschlossen. 

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Auch die Stuhlentl-eerung war inzwischen normal geworden. In 
den ersten Wochen nach der Operation musste d-irch Abführmittel 
der Darm noch dauernd angeregt werden. Während der letzten 
4 Wochen der Lazarettbehandlung erfolgte aber ohne Nachhilfe ein¬ 
mal täglich eine normale Stuhlentleerung. Der Leib war m seiner 
linken Hälfte noch leicht druckempfindlich, andere Beschwerden be¬ 
standen nioht 

3 Monate nach der Operation wurde der Kranke aus der Laza¬ 
rettbehandlung als zunächst arbeitsverwendungsfähig für die Heimat 
entlassen. Er vertrug jede Kost und war zuletzt als Bote beschäftigt. 
Seine Erwerbsfähigkeit wurde ärztlicherseits als um 30 Proz. ver¬ 
mindert angesehen. 

Neben dem kasuistischen Interesse dürfte dieser Fall von Mega¬ 
kolon auch einige Anhaltspunkte für die Beurteilung der immer noch 
strittigen Patliogenese der Hirschsprunjjsdien Krank¬ 
heit bieten. 

Das exstirpierte Darmstück wurde sofort in Formalinlösung ge¬ 
legt und dem Armeepathologen, Herrn Dr. Walkhoff, zur Unter¬ 
suchung übersandt. Das von ihm erstattete Gutachten lautet: 

„Makroskopisch stellt der exstirpierte FHokdarmabsohnift. 
welcher nach Angabe der Krankengeschichte Flexura sigmoidea — 
Colon ascendens umfasst, eine 35 cm lange Darmschlinge dar. Diese 
ist im untersten Abschnitt, der anscheinend der Flexura sigmoidea ent¬ 
spricht, ballonartig aufgetrieben. wobei die Auftreibung nach oben 
allmählich abnimmt, um am Co km descendens sich gleich massig über 
den Darm zu erstrecken, der hier Kleinkinderarmstärke hat.“ 

„Der ganze exstirpierte Dickdarm zeichnet sich äusserlich neben 
seiner Erweiterung durch auffallende Steifigkeit seiner Wland aus. 
Diese wird dadurch bedingt, dass die Muskularis an dem ganzen 
Dickdarm ungemein hypertrophisch ist, fast 3-4 mm Dicke er¬ 
reichend. Die Serosa über der Muskularis ist dabei glatt, durch¬ 
schimmernd. und lässt deutlich die prall gefüllten subserösen Venen 
durch scheinen.“ 

„Die Schleimhaut ist an dem ganzen exstirpierten Dickdarm 
glatt. Im Bereich des Colon descendens ist sie in Falten gelegt, quel¬ 
lend, an der Flexura sigmoidea dünn, wie gedehnt. Geschwüre be¬ 
stehen nirgends.“ 

„Mikroskopisch weist die Schleimhaut keine Besonder¬ 
heiten auf; nur treten’ in der gedehnten, sackartig aufgetriebenen Fle- 
xura-srgmoldea-SehHnge die Schleimzellen an den Drüsen zurück, 
die im oberen Abschnitt des Colon descendens sehr stark vertreten 
sind. Entzündungsinfiltrate sind' in der Mucosa des ganzen Dickdarms 
nicht vorhanden. Sie fehlen auch in der Submukosa.“ 

„Die Muskularis ist in der Ringschicht aussergewöhnlich hyper¬ 
trophisch. ohne dass Degenerationserscheinungen an den Muskel- 
zetlen sich nachweisen Hessen. Die 'Längsmuskelschicht dagegen be¬ 
sitzt trur geringe hypertrophische Verdickung.“ 

, Der übersandten Krankengeschichte nach möchte ich annehmen, 
dass die Entwicklung des vorliegenden Megakolon allmählich vor sich 
gegangen ist. nicht auf kongenitaler Anlage beruht. Hierfür spricht 
m. E. die bei der Befundaufnahme erwähnte hauptsächliche Beteili¬ 
gung des S romanum, das eine lange. V-förmig gestaltete Schlinge 
bildete, deren Mesenterium fibrös verdichtet war. Durch die abnorm 
lange Gestaltung des S romanum kam es zur Stuhlverhaltung, die 
wiederum sackartige Ausdehnung des Darmes, hier mit sekundärer 
Muskularishypertrophie hervorrief.“ — 

In der Tat kann es wohl nach der ganzen Vorgeschichte und Ent¬ 
wicklung des Falles nicht zweifelhaft sein, dass es sich um einen 
allmählich entstandenen Zustand von Megakolön handelt. Wenn auch 
der Kranke das Bestehen seiner Stuhl Verstopfung sehr weit zurück¬ 
datiert, so hätte er beim VorMegen eines wirklich kongenitalen Lei¬ 
dens wohl kaum ein Alter von 26 Jahren erreicht, ohne dass je¬ 
mals ernstere Erscheinungen aufgetreten wären. Auch in den Kran¬ 
kenblättern über seine früheren Lazarettaufenthalte findet sich mit 
einer Ausnahme keine Angabe, die auf das Bestehen eines Megakolon 
bei ihm hindeutete. Nur in dem einen Falle, als er wegen „Darm¬ 
katarrhs“ aufgenommen war, enthält -das Krankenhlatt die Angabe: 
„auf der Bauchoberfläche sieht man deutliche Peristaltik des Colon 
transversum, die sich mechanisch durch Bauchmassage verstärken 
lässt“. Es war das genau 2 Jahre vor der jetzigen Erkrankung. 

Bestätigt somit der ganze Verlauf -die Anschauung K o n - 
j e t z n y s *) dass die Hypertrophie und Dilatation des Colon sigmoi¬ 
deum genau wie die anderer Organe nur durch pathologische Bedin¬ 
gungen der Funktion erworben, nicht idiopathisch kongenital ent¬ 
standen sein können, so ist es in diesem Falle vielleicht sogar mög¬ 
lich, die Ursache der Entstehung des Megakolon mit einiger Wahr¬ 
scheinlichkeit anzugeben. Ein mechanisches Hindernis im Mastdarm 
im Sinne einer Stenose hat sich weder bei der Untersuchung noch bei 
der Einführung des Magenschlauchs als Darmrohr feststellen lassen. 
Dagegen war die scharf halbkreisförmige Begrenzung, mit der am 
unteren Ende der vom Magen aus bis in den Mastdarm gelangte Kon¬ 
trastbrei abschloss, sehr auffallend. Es scheint sich an dieser Stelle 
ein durch Faltenbildung bedingter Verschluss befunden zu haben, 
über dessen Mechanismus und Bedeutung für die Pathologie der 
Hirsch Sprung sehen Krankheit sich K o n j e t z n y und Klein- 


l ) G. E. K o n J e t z n y: Ueber die H i r s c h s p r u n g sehe Krank¬ 
heit und ihre Beziehungen zu kongenitalen und erworbenen Form- 
und Lag-eanotralien des Colon sigmoideum. Beitr. z. klin. C'hir. 73. 
1911. H. 1. 

Original frn-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


Schmidt*) eingehend geäussert haben. Der Fall dürfte demnach 
in die Gruppe II „Klappenm-echanismtis auf Grund abnormer Falten¬ 
bildung im oberen Rektum“ (Kleinschmidt) gehören. Die voll¬ 
kommene Heilung durch die Operation stimmt mit dieser Auffassung 
gut überein. Durch die Annähung des unteren Stumpfes an das obere 
Ende wurde der ganze Mastdarm gestreckt und die Faltenbildung auf¬ 
gehoben. 


Aus der Staatlichen Lungenheilanstalt für heimkehrende 
Krieger in Sternberg, Mähren. 

Die Behandlung der Lungentuberkulose mit isolierten 
Partialantigenen und mit dem Partialantigengemisch 
M.Tb.R. 

Von Primararzt Dr. Wilhelm Müller. 

Ergänzung zu der gleichnamigen Arbeit in Nr. 2 dieser Wochenschrift 
und gleichzeitige Widerlegung der in Nr. 14 von G. Deycke und 

F. A 11 s t a e d t aufgestellten Behauptungen. 

Nachdem Much in seiner Arbeit über Fettantikörper *) und ihre 
Bedeutung im Tierexperiment nachgewiesen hatte, dass durch iso¬ 
lierte Verabreichung von Fettsäurelipoiden und Neutralfetten des 
Tuberkelbazillus im tuberkulösen Organismus die entsprechenden 
Antikörper zu erzeugen seien, habe ich dieses Problem vom prakt¬ 
isch klinischen Standpunkt bei einer grösseren Zahl albumintüch¬ 
tiger Lungentuberkulöser nochmals einer Prüfung unterzogen und bin 
auf Grund meiner Untersuchungen zu dem Schluss gelangt, dass die 
fehlende F.- und N.-Reaktivität bei tuberkulösen Menschen durch iso¬ 
lierte Verabreichung von Fettsäurelipoiden und Neutralfetten des 
Tuberkelbazillus trotz ausgesprochener Albuminallergie nur sehr 
mangelhaft, häufig jedoch gar nicht gesteigert bzw. erzeugt werden 
konnte. 

Da ich durch eine grosse Zahl von Paralleluntersuchungen nach- 
weisen konnte, dass die Fettsäurelipoid- und Nastinanergie bei albu¬ 
mintüchtigen Lungentuberkulosen durch Verabreichung des Partial¬ 
antigengemisches M,Tb.R. in eklatanter Weise behoben werden 
konnte und ich gelegentlich früherer Untersuchungen die Erfahrung 
gemacht habe, dass durch eine isolierte A.-F.-N.-Kur oder nach einer 
isolierten Fettsäurelipoid- und Nastinkur auch trotz nachträglicher Tu- 
berkelbazilleneiweissinjektionen die F.- und N.-Reaktivität sehr häufig 
nicht behoben werden konnte, musste ich zu der zwingenden Schluss¬ 
folgerung gelangen, dass die Fettsäurelipoide und das 
Nastin in isoliertem Zustand wahrscheinlich in¬ 
folge zu weitgehenden Abbaus nicht mehr die¬ 
selbe biologische und therapeutische Aktivität 
besitzen können, wie in dem Partialantigen¬ 
gemisch M.Tb.R., worin die betreffenden Antigene in einer natür¬ 
lichen Mischung und, was besonde\wichtig ist, in einer synthetischen, 
nicht durch Menschenhand, sondern von der Natur aus geschaffenen 
Verbindung, enthalten sind. 

Deycke und Altstaedt wollen in Punkt 3 ihrer Ent¬ 
gegnung die Stringenz meiner Beweisführung nicht anerkennen und 
negieren meine durch experimentelle Versuche wohl begründete 
Schlussfolgerung, indem,sie nicht die Spur eines Gegenbeweises 
bringen, sondern die angebliche Richtigkeit ihrer Behauptung damit 
begründen, dass sie von der Beeinflussung ganz anderer Substanzen 
durch Aether und Alkohol, nämlich des M.Tb.L. und des M.Tb.A., 
sprechen, nicht nur von der Beeinflussung der Fett¬ 
säurelipoide und des Nastin s. Ich gebe gerne zu, und 
weiss es aus eigener Erfahrung, dass das Albumin trotz der Behand¬ 
lung mit Alkohol und Aether sehr aktiv ist. Albumin ist aber kein 
Fett und wenn man über die biologische Aktivität der Fettantigene 
etwas beweisen will, nützt einem alle Kenntnis des Albumins nichts. 
Es dürfen demnach aus rein logischen und naturwissenschaftlichen 
Gründen keine Analogieschlüsse aus der Unbeeinflussbarkeit des Ei¬ 
weisskörpers durch Aether und Alkohol gezogen werden, in dem 
Sinne, dass auch Neutralfette und Fettsäurelipoide keine biologische 
Beeinflussung durch Aether und Alkohol erleiden könnten. Deycke 
und Altstaedt bringen demnach nicht nur keinen 
Beweis für ihre Behauptungen, sondern die Be¬ 
gründung, welche sie für deren angebliche Rich¬ 
tigkeit anführen, ist nicht stichhaltig. 

Das ganze in Frage stehende Problem habe ich nach Veröffent¬ 
lichung der ersten Arbeit noch weiter verfolgt, indem ich folgenden 
Versuch anstellte: 27 Tuberkulöse, welche nach Beendigung ihrer F.- 
und N.-Kur nicht die geringste Steigerung der F.- und N.-Partial- 
reaktivität aufwiesen, wurden später einer M.Tb.R.-Kur unterzogen. 
Der Erfolg war eine völlige Neubildung der F.- und 
N.-Reaktivität und eine Steigerung der A.-Reak¬ 
tiv i t ä t Die nachfolgende Zusammenstellung möge an Hand des 
Konzentrationstiters über die Neubildung der F.- und N.-Reaktivität 
orientieren. 


’) H. Kleinschmidt: Die"H i r s c h s p r u n g sehe Krankheit. 
Erg. d. inn. M. u Kinderhlk. 9. 1912. 

1 ) Beiträge zur Klinik der Infektionskrankheiten. 


Partialreaktivität*) 


m Fall 

Vor der 

F.- u. N.-Kur 

Nach der 

F.- u. N.-Kur 

Nach der 

M. Tb. R -Kur 


A. 

P. 

N. 

A. 


N. 

A 

F. 

N. 

1 

5 

1 


4 

1 

4 

6 

5 

4 

2 

2 



5 



4 

3 

4 

3 

4 

1 


5 1 


6 

3 

3 

4 

2 



4 1 


2 

3 

1 

5 

2 

1 


5 1 


2 

2 

2 

6 

5 



4 ; i 

1 

6 

5 

3 

7 

2 



3 i 


4 

3 

. 

8 

6 

i 


5 1 


4 

4 


9 

2 



2 ! 1 


2 

3 

4 

10 

3 



4 


6 

5 

4 

11 

3 

i 


6 1 . 


6 

4 

3 

12 

3 



2 


, 

2 

1 

3 

13 

4 



4 

i 


5 

5 

4 

14 

3 

i 


5 

i 

. 

4 

3 

4 

15 

2 

l 


3 



3 

5 


16 

3 



4 



3 

3 1 

4 

17 

2 



4 



3 

2 


18 

2 



3 



4 

3 


19 

2 



2 



4 

3 ! 

2 

20 

1 



3 

2 


4 

4 

3 

21 

2 



4 

5 

2 

6 

3 

! i 

22 

2 



■ 5 

8 


3 

3 

i 

23 

2 

i 

2 

6 



3 

3 


24 

3 

l 


3 

1 

2 

3 

3 

1 3 

25 

6 



4 

5 

3 

4 

5 1 

3 

26 

5 

2 

3 

4 

1 

2 

5 

5 1 

3 

27 

1 

- . 


2 

. 


2 

1 | 



*) Im Interease der Raumertparung sehen wir von graphischen Analysen ab und 
bezeichnen den Qrenztlter mit Zahlen, die den zugehörigen Konzentrationen, welche bei 
den Intrakutanenalysen verwendet werden, entsprechen. 

Parallel der Steigerung der Partialreaktivität ging nun aber auch 
der klinische Erfolg. Ein Teil der Kranken welche während und 
nach der F.- und N.-Kur nicht die geringste Beeinflussung ihres 
Leidens aufzuweisen hatten, Hessen nach ihrer M.Tb.R.-Kur eine 
Besserung ihres Zustandes erkennen. 

Durch diese ausgesprochenen biologischen und klinischen Er¬ 
folge, die bei F.- und N.-anergischen und gleichzeitig albumintüch¬ 
tigen Lungentuberkulosen durch eine nachträgliche N M.Tb.R.-Kur nach 
erfolglos vorangegangener F.- und N.-Kur, aber weit seltener oder 
gar nicht durch das isolierte A. 4* F. -f N.-Verfahren erzielt werden 
können, wird zweierlei bewiesen: J 

1. Die Fettsäurelipoid- und Nastinantigene sind sowemt biologisch 
als auch therapeutisch wirksamer, wenn sie in Form des Partialanti¬ 
gengemisches M.Tb.R. dargeboten werden, als wenn sie in isoliertem 
Zustand entweder für sich allein oder in Verbindung mit dem Tu- 
berkelbazilleneiweiss (A. + F. + N.-Verfahren) zur Verwendung ge¬ 
langen. Meine Behauptung, wonach die isolierten F.- und N.-Antigene 
bei der Herstellung eine biologische Abschwächung und eine Einbusse 
an therapeutischer Wirksamkeit erleiden, ist demnach durch exakte 
Versuche bewiesen, welche von Deycke und Altstaedt nicht 
widerlegt werden konnten. 

2. Das Much sehe Gesetz, welches besagt, dass die F.- und N.- 
Antigene in Mischung mit den Albuminantigenen bessere Immuni¬ 
sierungserfolge aufweisen als ohne dieselben, konnte durch unsere 
klinischen Untersuchungen am Menschen in vollem Umfange bestätigt 
werden, soweit es sich um Anwendung des Partialantigengemisches 
M.Tb.R. handelt. 

Es mögen nun im folgenden noch die übrigen Einwände 
Deyckes und Altstaedts entkräftet werden: 

ad 1. Die beiden Autoren sind im Irrtum, wenn sie glauben, 
ich hätte durch meine Untersuchungen den Zweck verfolgt, den Wert 
der M.Tb.R.-Behandlung gleichsam als eine neue Entdeckung hin¬ 
zustellen. Wie jeder Leser ohne weiteres ersehen kann, handelt es 
sich lediglich um eine Begründung, warum das M.Tb.R.-VeHahren 
bessere biologische und klinische Erfolge aufweist, als das isolierte 
A.-F.-N.-Verfahren, speziell beim Typus der F.- und N.-Anergischen. 

ad 2. Wenn Deycke und Altstaedt es nicht gelten lassen 
wollen, dass ich die Lungentuberkulosen zum Typus der Albumin- 
tüchtigen zähle, so setzen sie sich auch in offensichtlichen Wider¬ 
spruch zu Much, welcher meine Untersuchungen bestätigt hat*). 

ad 3. Dieser Punkt fand bereits oben seine ausführliche Er¬ 
widerung. 

■ ad 4. Was die Dosierung der F.- und N.-Antigene anbelangt, so 
ist der Einwand, es handle sich bei meinen Versuchen um eine 'Anti¬ 
genüberlastung, gänzlich von der Hand zu weisen. 

Sorgfältige klinische Untersuchungen haben erwiesen, dass in 
keinem einzigen Falle auch nur die geringste Schädigung des Or¬ 
ganismus beobachtet wurde. Wir haben uns bezüglich der Dosierung 
wie Deycke und Altstaedt ebenfalls das klinisch-individuelle 
Verhalten des Patienten zur Richtschnur gemacht, ja wir sind in der 
täglichen Dosierung nicht einmal bis zu der von Deycke in der 
Anleitung zur Tuberkulosebehandlung mit Partigenen = Partial¬ 
antigenen nach Deycke-Much angegebenen. täglichen Höchst¬ 
dosis von 1 ccm der Lösung 1 :1000 = 1 mg gestiegen. Wie können 
also Deycke und Altstaedt von einer Antigenüberlastung 
sprechen, nachdem sie selbst höhere Einzeldosen empfehlen. 


*) Weichardts Ergebnisse: Much, Tuberkulose. Allge¬ 
meines über Entstehung und Bekämpfung im Frieden und Krieg. S, 636. 


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Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 









5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1247 


In der erwähnten Anleitung heisst es auf S. 7 wörtlich: „Die 
höchste Dosis für N. ist 1 ccm 1:1000, für F. 1:10 000. Ist sie er¬ 
reicht, ohne dass reaktive Infiltrate entstehen, so kann man sie noch 
einige Zeit täglich wiederholen, vor allem dann, wenn A. noch eine 
weitere Steigerung erheischt.“ Das ist für N. eine tägliche Höchst¬ 
dosis von 1000 mg und für F. eine von 100 mg. In ihrer letzten Arbeit 
in dieser Wochenschrift (Nr. 14) jedoch wollen die Autoren auf Grund 
neuester Erfahrungen zweckmässig nur eine Höchstdosis von „etwa“ 
1,0 mg für F. und N., also einer tausendfach geringeren Höchstdosis 
empfehlen. Abgesehen davon, dass diese Erfahrungen bisher nicht 
bekanntgegeben wurden, wäre durch die Festsetzung dieser neuen 
Höchstdosis eine individuelle Anpassung an den jeweiligen Grenz¬ 
titer sehr erschwert, weil sich doch die Reaktionsbreite der Intra¬ 
kutananalysen vorschriftsgemäss zwischen den Konzentrationen 
1:100 Mill. bis 1:1000 für F. und 1:10 Mill. bis 1:1000 für N. be¬ 
wegt. Auf Grund meiner Erfahrungen in einem Spital von 1200 
Tuberkulösen kann ich daher die von mir geübte Dosierung der 
Fettantigene (0,1 von 1:100 Mill. bis 0,9 von 1:10 000 bei F. und 
0,1 von 1:10 Mill. bis 0,9 von 1:1000 bei N.) als in keiner Weise 
zu hoch betrachten. 

ad 5. Auf Grund unserer obigen Ausführung und in Vorberei¬ 
tung befindlicher Veröffentlichungen über meine klinischen Beobach¬ 
tungen mit der Partialantigentherapie kann ich ein gesondertes Indi¬ 
kationsgebiet für das A.-F.-N.-Verfahren und die M.Tb.R.-Therapie 
immer weniger anerkennen, insbesondere nicht beim Typus der fett- 
anergischen Lungentuberkulosen. 


Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses Bethesda 
in Duisburg. (Leitender Arzt: Prof. Hohlweg.) 

Zur Behandlung von Grippekranken mit Rekonvales¬ 
zentenserum. 

Vorläufige kurze Mitteilungen von H. Hohlweg. 

Ein nicht unbeträchtlicher Teil unserer Grippekranken bietet 
das Bild einer ganz akut einsetzenden schweren toxischen Vergiftung 
(hohes Fieber, schwerster Allgemeinzustand, Kreislaufschwäche, 
Vasomotorenlähmung). Die objektiven Veränderungen an den inneren 
Organen sind im übrigen, abgesehen von mehr oder minder ausge¬ 
sprochenen bronchitischen Veränderungen, häufig zunächst bei sol¬ 
chen Fällen nur geringfügige. Da vom Pfeiffer sehen Influenza¬ 
bazillus bekannt ist, dass er in seinem Körper ein sehr starkes 
Toxin beherbergt, welches im Tierexperimente sich als pathogen 
erweist, so ist dieser Zustand ohne weiteres verständlich. Man 
muss nun annehmen, dass bei solchen Kranken, welche die Infektion 
überwinden, entsprechend dem schnellen Ablauf derselben eine rasche 
Antitoxinbildung stattfindet. Es liegt daher nahe, das Serum von 
Gripperekonvaleszenten, welches demgemäss einen hohen Antitoxin¬ 
gehalt aufweist, schweren Grippekranken zu injizieren, ihnen also 
frühzeitig, noch ehe der Körper selbst zu einer stärkeren Bildung 
von Antitoxinen gekommen ist. solche künstlich zuzuführen und ihnen 
so über das kritische Stadium hinwegzuhelfen. Es eignen sich also 
für die Anwendung dieses Verfahrens Fälle wie oben geschildert mit 
schwerem toxischen Allgemeinzustand, noch ehe Komplikationen, 
speziell Lungenentzündungen, eingetreten sind. Bei einer ausgespro¬ 
chenen Pneumonie wird das Serum keine grosse Wirkung mehr 
haben, jedenfalls den lokalen Prozess kaum beeinflussen können. 

Technisch gestaltet sich das Verfahren im einzelnen wie folgt: 

Es werden Gripperekonvaleszcnten aus der gestauten Armvene 
mit einer einfachen Hohlnadel, an der ein kurzer Gummischlauch 
sich befindet, unter völlig aseptischen Kautelen, je nachdem wie es 
der Zustand des Betreffenden erlaubt. 100—150 ccm Blut entnommen, 
die in einem sterilen, trockenen Messzylinder aufgefangen werden. 
Man lässt das Serum absitzen — ev. kann man nach 15 Minuten 
das Absitzen durch Ablösen des Blutkuchens von der Glaswand 
durch einen sterilen Glasstab befördern — und den Zylinder mit 
steriler Gaze verschlossen bis zum nächsten Morgen im Eisschr?nk 
stehen und giesst dann das Serum vorsichtig in sterile Kölbchen 
ab. Zur Haltbarmachung des Serums wird soviel Karbolsäure zu¬ 
gesetzt, bis das Serum einen Gehalt von 0.5 Proz. Karbolsäure auf¬ 
weist. (Von einer 10 proz. Karbolsäurelösung je 1 Tropfen auf 1 ccm 
Serum). Die Injektion erfolgt daun intravenös und zwar werden 
jedesmal 20ccm, event. mehrmals an aufeinaudei folgenden Tagen, 
Injiziert. 

Selbstverständlich werden nebenher die üblichen Herzexzitantien 

angewendet. 

Zur Behandlung wurden nur, wie oben bereits erwähnt, sehr 
schwere Fälle ausgewählt. Bei leichten Gr innekranken ist die An¬ 
wendung des Verfahrens überflüssig. Fine allgemeine Behandlung 
aller Grippekranken mit dieser Methode ist auch deshalb nicht mög¬ 
lich, weil die Beschaffung von so grossen Serummeo.gen naturgemäss 
auf Schwierigkeiten stösst. 

Der Erfolg der Behandlung ist in den meisten Fällen ein ^ehr 
deutlicher, in einzelnen war er ein geradezu überraschender. Meist 
stellt sich 6—12 Stunden nach der Injektion ein mehr oder mmder 
deutlicher Temperaturabfall und eine deutliche Besserung des Allge¬ 
meinbefindens ein. Mitunter sind, wie gesagt, zur Herbeiführung 
einer deutlichen Wirkung- mehrere Injektionen an aufeinanderfolgen- 

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den Tagen nötig. In einzelnen Fällen trat nach der ersten oder 
zweiten Injektion kritisch eine völlige Entfieberung und ein voll¬ 
ständiger Umschwung des bis dahin ausserordentlich schweren 
Krankheitszustandes ein 

Jedenfalls erwecken unsere bisherigen Beobachtungen den be¬ 
stimmten Eindruck, dass durch das geschilderte Verfahren ein nicht 
unbeträchtlicher Teil von schweren Grippekranken gerettet werden 
kann. 

Bei der Durchführung des Verfahrens wurde ich von meiner 
Assistentin, Frl. Dr. Kramer, in dankenswerter Weise unterstützt. 


Einwanderung von Askariden In Bronchus und Trachea 
durch eine Oesophago-Bronchialfistel. 

Von Dr. J. Schneller, Assistent am pathologischen Institut 
Erlangen. Direktor Prof. Dr. Hauser. 

Die Wanderlust des häufigsten Dannparasiten des Menschen, 
des Ascaris lumbricoides, der normalerweise im Dünndarm vorkommt, 
ist eine bekannte Tatsache. Mit Vorliebe dringt er dabei in enge 
Kanäle ein. Meist handelt es sich um die in den Dünndarm einmünden¬ 
den Drüsenausführungsgänge, besonders um den Ductus choledochus, 
seltener um den Ductus pancreaticus. Auch in Magen und Speise¬ 
röhre wird der Parasit bei Sektionen öfter gefunden. Aber nicht nur 
in der Leiche, auch beim Lebenden sind Wanderungen nach aufwärts 
beobachtet worden. So beschreibt Ra bot 1 ) einen Fall von einem 
wegen Diphtherie tracheotomierten Kinde, wo ein Askaris in der 
Trachealkanüle gefunden wurde. Ein anderesmal führte ein in die 
Trachea gewanderter Spulwurm den Erstickungstod herbei 
[N e gr esc o 1 )]. Wagner 2 ) berichtet von der Erstickung eines 
8 jährigen Kindes durch einen Knäuel von 25 Askariden, die im Schlund 
über dem Kehlkopfeingang steckengeblieben sind. Alesandrini*) 
beobachtete bei einem stark asphyktischen Kinde das Aushusten eines 
Spulwurmes; Heilung trat ein nach Entfernung weiterer Parasiten. 

In den erwähnten Fällen gelangten die Askariden durch den 
Kehlkopf in die Trachea. Neu ist dagegen folgender Fall, der im 
hiesigen pathologischen Institut zur Beobachtung kam. Die 44 jährige 
Patientin war wegen eines Fungus des rechten Knies in Behandlung 
der chirurgischen Klinik und starb am 27. IV. 1916. In den letzten 
Stunden vor ihrem Tode hat sie nach Angaben der Krankenschwester 
Spulwürmer ausgehüstet. Bei der Sektion fand sich nach dem Auf¬ 
schneiden der Speiseröhre in der Vorderwand derselben, 3 cm unter 
der Bifurkation der Trachea, eine tief eingezogene, trichterförmig nach 
oben führende Fistel. Aus dieser ragte etwa 5 cm lang das Hinterende 
eines weiblichen Askaris. Sonst war die Speiseröhre ohne krank¬ 
hafte Veränderungen. In der Luftröhre und -im rechten Hauptbronchus 
lagen, teilweise zusammengerollt, 4 weitere Askariden. 2 cm unter¬ 
halb der Bifurkation war in der medialen Wand des rechten Bronchus 
eine nach rückwärts und abwärts zu der eingezogenen Stelle der 
Speiseröhre führende Fistel, aus welcher der übrige Teil des in der 
Speiseröhre befindlichen Wurmes ragte. Das Kopfende desselben 
reicht etwa 10 cm nach aufwärts in die Trachea. Der linke Bron¬ 
chus war leer. Die Schleimhaut der Luftröhre zeigte stärkere In¬ 
jektion. Die Bifurkations-, Peribronchial- und PeritrachealdTüsen 
waren teilweise verkäst. 

Hinsichtlich des übrigen Sektionsbefundes sei auf die Leichen¬ 
diagnose verwiesen. Diese lautet: Pleuritische Verwachsungen an 
beiden Spitzen — frische fibrinöse Pleuritis rechts — chronische Tu¬ 
berkulose der linken Spitze — Lungenödem — Anthrakose — hypo¬ 
statische Pneumonie im rechten Unterlappen — eitrige Bronchitis — 
Oesophagotrachealfistel — Ascaris lumbricoides in derselben— Aska¬ 
riden in Trachea und im rechten Bronchus — gravider Uterus (männ¬ 
liche. Frucht im 7. bis 8. Monat) — Askariden in Magen und Dünn¬ 
darm — Fungus des rechten Knies. 

Ob es sich bei der Oesophagobronchialfistel um eine angeborene 
Missbildung oder um einen Durchbruch einer verkästen Bifurkations¬ 
drüse handelt, lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden ohne das 
Präparat zu verderben. Für die letztere Annahme sprechen jedoch die 
Verkäsung der Lymphdrüsen der Umgebung sowie die weiteren tuber¬ 
kulösen Veränderungen im Körper. 


lieber positiven Wassermann im Liquor bei nicht 
luetischer Meningitis. 

Bemerkungen zu dem Artikel von Dr. C. Krämer II 
in Nr. 41 dieser Wochenschrift. 

Von Prof. F. Plaut. 

Die Möglichkeit, dass der pathologisch veränderte Liquor bei 
Meningitiden nichtluetischer Aetiologie Komplementbindung bei der 
Wassermann sehen Versuchsanordnung veranlassen könne, 
wurde sehr frühzeitig in Betracht gezogen. Wassermann und 


*) Nach Lu barsch- Ostertag: Ergebnisse der allgemeinen 
Pathologie und pathologischen Anatomie 14. Jahrg., I. Abt., 1910, S. 121. 

*) Nach Lubarsch-Ostertag: Ergehn. 9. Jahrg., II. Abt.. 
1903, S. 229, 230. 

3 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1248 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


Plaut hatten schon gelegentlich ihrer ersteh Publikation über die 
Wassermann sehe (Reaktion im Liquor hierauf Bezug genommen 
und über Kontrolluntersuchungen mit Spinalflüsstgkeiten von epi¬ 
demischer Genickstarre berichtet; der meningitische Liquor reagierte 
im Gegensatz zum Paralyseliquor völlig negativ. Die späteren, sehr 
zahlreichen Untersuchungen haben diese Feststellung von Wasser¬ 
mann und Plaut, dass nichtsyphilitische Meningitiden negative 
Wassermann sehe Reaktion im Liquor darbieten, bestätigt. 
Dieser Satz gilt allerdings nur für Nichtsyphilitiker. Bei Syphilitikern 
können reagierende Substanzen im Verlauf tuberkulöser oder eitriger 
Meningitiden in den Liquor übertreten, eine 'Folge der erhöhten 
Permeabilität der Meningealgefässe bei entzündlichen Prozessen, be¬ 
sonders solchen akuter Art im Bereich der Meningen. Vorbe¬ 
dingung für die positive Wassermann sehe Reaktion im Liquor 
bei solchen Fällen ist allerdings die positive Wassermannsche 
Reaktion im Blut. 

Fälle von positiver Wassermann scher Reaktion im Liquor 
bei Syphilis und tuberkulöser Meningitis sind von Hauptmann, 
Z a 1 o z i e c k i und Verfasser mitgeteilt worden. Mucha fand 
positive Wassermannsche Reaktion im Liquor bei einem kon¬ 
genital luetischen Kinde, das eine Meningitis infolge einer Ohreiterung 
bekam. Zaloziecki hat auch den Liquor eines Syphilitikers 
(W assermann sehe Reaktion im Blut positiv) mit Meningokokken¬ 
meningitis positiv reagierend befunden und beobachtet, dass mit dem 
Ablauf der entzündlichen LiqüorVeränderungen auch die Wasser¬ 
mann sehe Reaktion aus dem Liquor verschwand. 

Krämer teilt min 2 Fälle mit, von denen einer an tuberkulöser 
Meningitis litt und neben schwach positiver Wassermann scher 
Reaktion im Blut eine stark positive Wassermann sehe Reaktion 
im Liquor darbot. Nach dem oben Gesagten sind solche Vorkomm¬ 
nisse bekannt und finden sich auch, was Krämer offenbar entgangen 
ist, in dem von fhm erwähnten Leitfaden von Plaut. Rehm und 
Schottmüller (S. 108) ausdrücklich erwähnt. Hingegen ist der 
zweite Fall Krämers anders gelagert. Hier handelt es sich um 
einen Kranken mit Meningokokkenmeningitis bei negativer Wasser¬ 
mann scher Reaktion im Blut und positiver Wassermann scher 
Reaktion im Liquor. Darnach sähe es also so aus, als ob menin- 
gitischer Liquor auch ohne Lues positive Wassermannsche Re¬ 
aktion veranlassen könne. Ich glaube nicht, dass eine so vereinzelte 
Beobachtung geeignet sein kann, die nun seit 12 Jahren durch über¬ 
aus zahlreiche Fälle gesicherte Feststellung, dass der meningitische 
Liquor bei Nichtsyphilitikern negativ reagiert, zu erschüttern. Bei 
einem so gegen alle Erfahrungen gehenden Befund wird man gut tun, 
in erster Linie an einen technischen „Versager“ bei der Anstellung 
der Wassermann sehen Reaktion zu denken. 

Wie nochmals hervorgehoben sei, muss man sich jedoch davor 
hüten, die Meningitis eines Syphilitikers aus dem Grunde als syphi¬ 
litisch zu bezeichnen, weil die Wassermannsche Reaktion im 
Liquor positiv ausfällt Diese Fehlerquelle scheint, wie aus den 
Ausführungen Kr'ämers hervorgeht, nur wenig bekannt zu sein, 
und ich möchte auf sie hiermit nachdrücklich hlnweisen. 


Vom Sanltätowesen in der englischen Armee. 

Von Dr. med. Arthur Glaser. 

ln fast einjähriger Kriegsgefangenschaft habe ich vom englischen 
Sanitätswesen und besonders vom Sanitätsdienst in der englischen 
Armee manche Eindrücke gewinnen können. Vielleicht interessiert 
einiges davon. 

Die Ausbildung des englischen Sanitätsoffiziers ist eine gänzlich 
andere als bei uns. Eine eigentliche militärische Ausbildung gibt es 
gar nicht. Ein praktischer Arzt meldet sich zum Heeresdienst oder 
wird dazu eingezogen und kommt sofort an ein Lazarett oder zur 
Truppe zur ärztlichen Tätigkeit. Nach einer bestimmten Zeit, ur¬ 
sprünglich sollte es ein Jahr, dann ein halbes Jahr sein, jetzt genügen 
aber, wie mir englische Aerzte versicherten, ein paar Wochen, be¬ 
kommt er sein Patent (commission) als Sanitätsoffizier (medical 
officer). Und zwar nicht wie bei uns ein Vorwärtsrücken im Dienst¬ 
grad, sondern nach Alter und der bekleideten Stelle bekommt der 
Sanitätsoffizier den entsprechenden Grad. So war in einem Ge¬ 
fangenenlager ein Arzt — ein älterer Herr —, der sich freiwillig ge¬ 
meldet hatte und sofort Stabsarzt (captain) geworden war. Ebenso 
wie bei den englischen Offizieren kann auch bei den Sanitätsoffi¬ 
zieren mit einem Wechsel der Stelle eine Aenderung des Dienstgrades 
eintreten. Ein Arzt z. B., der im Felde Stabsarzt (captain) gewesen 
war, war erkrankt, dann in der Heimat beschäftigt worden, und hatte 
nun, seiner Stelle entsprechend, den Rang des Oberarztes (lieutenant). 
Die Uniform ist die -der englischen Offiziere: Reithose mit Wickel¬ 
gamasche, Waffenrock mit aufgesetzten Taschen. Kragen und Schlips. 
Auf den Rockaufschlägen sowie der Mütze das Abzeichen des Sanitäts¬ 
korps: Stab und Schlange, darüber die Buchstaben: R. A. M.C. 
(Royal Army Medical Corps). Zum Sanitätskorps gehören nicht nur 
die Aerzte, sondern ausser dem Sanitätspersonal alle, die irgend mit 
dem Sanitätsdienst zu tun haben: Zahnärzte, Apotheker, deren Stel¬ 
lung übrigens noch gar nicht fixiert ist, alle tragen das R. A. M. C. 

Die Stellung des englischen Sanitätsoffiziers ist ausserordentlich 
gut, teilweise gilt er als bevorzugter Offiziersstand. Im allgemeinen 

Digitized by (jOÖQIC 


rangiert bei der Truppe, wie mir versichert wurde, der Sanitätsoffi¬ 
zier vor dem gleichaltrigen Truppenoffizier. Um so merkwürdiger Ist 
seine Stellung im Lazarett, wie ich später ausführen werde. 

Bei der Truppe gibt es verhältnismässig wenig Aerzte. Im all¬ 
gemeinen hat jedes Regiment einen Arzt, dem oft ein Student, also ein 
Unterarzt beigegeben ist. Er arbeitet nach denselben Gesichspimikten. 
wie bei uns der Truppenarzt. Als ich gefangen wurde, trai ich un¬ 
mittelbar hinter der ersten englischen Sturmwelle den Arzt der mich 
veranlasste, mit fhm gemeinsam zu verbinden. Dem Arzt steht ein 
sehr grosser und gut geschulter Apparat von Sanitätern und Kranken¬ 
trägern zur Verfügung. Vor allem das eigentliche Sanitätspersonal ist 
sehr gut ausgebildet und hat grosse Selbständigkeit. Ich sah, wie ein 
Sanitätsunteroffizier ausgezeichnet schiente, wie ein anderer sogar 
mit der Klemme Arterien abquetschte. Der Arzt selbst ging, Zigaretten 
rauchend, von einem Verwundeten- zum anderen und prüfte die Ver¬ 
bände. Er hatte seine Leute gut im Zug, der Abtransport ging glatt. 
Die Träger hatten eine zusammenklappbare Trage, die ich für weni¬ 
ger praktisch halte als unsere, meist selbst konstruierte Grabentrage. 
Die Verwundeten wurden etwa 5 km rückwärts getragen, bis zum 
Hauptverbandplatz. Das ist natürlich eine ganz unnütze Verschwen¬ 
dung von Personal und Arbeitskräften, doch hörte ich, dass es über¬ 
all so sei. Dass die Wagen, wie bei uns, bis zur Truppe Vorkommen, 
um Verwundete zu holen, scheint der Engländer nicht zu kennen. 
Zwischen Hauptverbandplatz und Feldlazarett gibt es keinen festen 
Unterschied, wohl nur, dass ersterer beweglich gedacht ist. Der 
Hauptverbandplatz, zu dem ich kam. war in ausgebauten Kellern der 
Stadt A. sehr gut eingerichtet, glich unseren Feldlazaretten, deren 
Rolle er auch spielte. Die Verwundeten wurden sortiert erst nadi 
Schwere, dann nach Sitz der Verwundung, für Bauch- und Schädel¬ 
schüsse waren besondere Stationen. Ein riesiger Aerztestab war dort 
beschäftigt mit sehr vielem Hilfspersonal, auch Schwestern. Ueber 
diese Menge von Aerzten, die mir ganz erstaunlich vorkam, hörte ich 
später sehr viel Klagen. Truppe sowohl wie Heimatsgebiet klagen 
über grossen Aerztemangel, nur die Hauptverbandplätze sind gut 
übergut versehen. Den Betrieb des Hauptverbandplatzes konnte ich 
in aller Ruhe studieren, da ich einen Nachmittag und eine Nacht hin¬ 
durch dort deutsche Sch wer verwundete verband. Die gesamte Wund¬ 
behandlung des Engländers ist feucht und warm. Die Hauptrolle 
spielt heisse fLCb-Lösung. Die frischen Wunden werden mit 
heissem Wasserstoff ausgewaschen, gespült, Drains damit durch¬ 
gespült, Kompressen damit gemacht. Die Vorliebe des englischen 
Arztes für das Heisse sah ich später bestätigt: Furunkel, rheuma¬ 
tische Gelenkschwellungen, sogar Bronchitiden, überall heisst das 
Allheilmittel der heisse Umschlag (hot fomentation). Daneben spielt 
dann die auch anderswo nicht unbeliebte Jodtinkur (5 proz.) ihre 
grosse Rolle. Sogar im Verbandpäckchen des Tommies ist sie ent¬ 
halten. Das Schienenmaterial -gefiel mir nicht, ich fand die meisten 
nicht stabil genug für die langen Transporte, für die sie berechnet 
waren. Im übrigen sah ich viel die auch bei uns sehr beliebten 
französischen Schienen mit den Schraubeneinstellungen. Sehr im¬ 
poniert hat ihnen unsere Cramerschiene,' von denen- mein Sanitäts¬ 
feldwebel einige mithatte. Sie waren- d-en englischen Aerzten ganz 
unbekannt. Der Verwundete hatte, wie bei' uns, seine Wundtafel 
umhängen, bekam nur in manchen Fällen seine Tetanusinjektion. 
Alle Einspritzungen, Verbandwechsel wurden auf der Tafel vermerkt, 
ausserdem bekam der Verwundete noch mit Blaustift ein T. (Tetanus), 
M. (Morphium) etc. auf die Stirn und die Hand geschrieben. — Und 
nun ein sehr grosser, grundlegender Unterschied in der Behandlung: 
die Tätigkeit des Chirurgen. Trotz der meiner Ansicht nach völlig 
unzureichenden- Asepsis wurde massenhaft operiert. Ich sah mehrere 
hohe Amputationen im Gesunden nach einfachen, glatten Knochen¬ 
schüssen, deren Notwendigkeit mir gar nicht einleuchtete. Das hörte 
ich später von mitgefangenen Kollegen bestätigt. In dem ganzen 
Hauptverbandplatz schien eine wahre Operationslust zu herrschen. 
Vor allem aber wurde amputiert. Und die Zahl der Amputierten Ist 
auch weit höher als bei uns, ohne dass die Statistik der Gesamt- 
heilungen dadurch etwa gehoben würde. Die Exzision grosser Wun¬ 
den geht viel weiter als bei uns. — Vom Hauptverbandplatz ist der 
Abtransport in Sanitätsautos, die in beneidenswerter Güte und Anzahl 
zur Verfügung standen. Leichtverwundete wurden «auf Lastwagen 
gebracht, die — zu mehreren zusammengekoppelt — von Lokomobilen 
gezogen wurden. Dann- gimgs zum- Lazarettzug. 

Während ich das bisher Geschilderte alles selbst erlebte, muss ich 
mich beim folgenden teilweise auf die Mitteilungen -beziehen, die ich 
von Kollegen, ferner von verwundeten Offizieren und englischen 
Aerzten hatte. 

Im Hauptverbandplatz ist der Chefarzt (first officer) alleiniger 
Leiter. Auch die Transportabterhmgen mit ihren Offizieren, Verpfle¬ 
gung, Besoldung, alles ist fhm, meist einem Oberstabsarzt, unterstellt. 
Das wird in den Etappen- und Heiirrat-lazaretten anders. Chef ist hier 
nicht der Arzt, sondern die Oberin. Sie hat Majorsrang, trägt ein ent¬ 
sprechendes Abzeichen (drei rote Streifen) und kommandiert. Es ist 
ja merkwürdig, wie der so viel geschmähte Militarismus gerade in 
England so sonderbare Blüten getrieben hat. All das weibliche Hilfs¬ 
personal, das gleich hinter der Front zu treffen ist, -die Autofahre¬ 
rinnen, Schreiberinnen, Frauen auf den Erfrischungsstationen, alles 
trägt Uniform, alles ist militärisch gedrillt und hat irgendeinen Rang. 
So auch die Schwestern. An Stelle der bei uns üblichen gesellschaft¬ 
lichen Liebenswürdigkeit und Hochachtung vor der freiwilligen- Mit- 

Original frem 

UNiVERSITY OF CALIFORNIA 




5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


arbeit 4er Schwester tritt die dienstliche Meldung. Die Schwestern 
haben ihrem Hauptmann amd fhren Major. Man kann sich denken, 
zu welchen Misshelligkeiten das fuhren muss. Tatsächlich ist der Sta¬ 
tionsarzt der Untergebene der Oberschwester, der Chefarzt der der 
Oberin. Sie setzt z. B., wie ich von mehreren Fällen weiss, nach 
Vortrag des Chefarztes die Operationen zu einer ihr geeignet schei¬ 
nenden Zeit an. 

Die Berichte über ärztliche und sonstige Versorgung in den Laza¬ 
retten sind, auch in den Mitteilungen der englischen Fachzeitschriften, 
überaus widersprechend. Der Grund liegt in der mangelnden Einheit¬ 
lichkeit des Betriebes. Denn ausser den eigentlich englischen Aerzten 
und Lazaretten gibt es eine grosse Anzahl kolonialer Einrichtungen. 
Und was ich da, besonders von kanadischen und australischen Aerzten 
hörte, das klingt allerdings manchmal unglaublich. Selbst wenn nur 
ein Teil der Klagen, die unsere Verwundeten äusserten, berechtigt ist. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

D«r Arzt in der Rechtsprechung. 

Von Qeh. Reg.-Rat PaulKaestnerin Berlin-Neubabelsberg. 

XXII. 

Dr. W. behandelte Frau Z. in deren Wohnung von Juli bis Sep¬ 
tember an einer Zahnwurzeleiterung und fertigte zwei Gebissstückc 
für sie. Er verlangte hiefür von der sehr wohlhabenden Frau Z. 
zunächst 60000, später 45000 M. ln einer Verhandlung zwischen 
dem Sohn der Frau Z. und Dr. W. am 9. August wurde dann ver¬ 
einbart, dass Dr. W. für die Behandlung sofort 25000 und am 
1. Oktober weitere 10000 M. erhalten sollte. Dieser Betrag ist ge¬ 
zahlt Frau Z. forderte im Klagewege 20000 M. zurück, weil der 
Honorarvertrag nichtig sei und die angemessene Vergütung 
nicht mehr als 15000 M. betrage. Das Reichsgericht hob das Urteil 
des Oberlandesgerichts, das die Klage abgewiesen hatte, auf (Urteil 
^0. X. 1917, Deutsche Jur. Ztg. 1918, 257). Zwar liege eine wuche¬ 
rische Bereicherung im Sinne der Klage nicht vor. Wolle man den 
Begriff der Notlage im Sinne des § 138 Abs. 2 BQBs. auch auf die 
dringende Gefahr für Leben und Gesundheit der Klägerin anwenden, 
so sei doch zur Zeit der Vereinbarung diese Gefahr bereits beendet 
gewesen. Der Honorarvertrag verstosse aber gegen die 
guten Sitten. Der Beklagte habe noch während des Verlaufs der 
chirurgischen Behandlung von der Klägerin, die damals besonders 
an Depression und Angstgefühlen gelitten habe, den ausserordentlich 
hohen Betrag von 60000 M. verlangt und auch zugesichert erhalten. 
Dieses an Erpressung grenzende Verhalten des Dr. W. verletze in 
rober Weise die ärztliche Standesehre und stehe mit den Geboten 
es Anstands und der guten Sitten im schroffen Widerspruch. Ebenso 
sei auch der Vertrag vom 9. August sittenwidrig, weil auch der ver¬ 
sprochene Vermögensvorteil übermässig und Frau Z. in anstössiger 
Weise von Dr. W. ausgebeutet sei. Sie habe nicht etwa wegen 
ihres Reichtums ausnahmsweise Behandlung von Dr. W. verlangt, 
auf die sich dieser sonst nicht eingelassen hätte, und so ihrer An¬ 
nehmlichkeit das Opfer eines ausserordentlich hohen Honorars ge¬ 
bracht; sie sei vielmehr durch die ganze Zeit ihrer' Behandlung 
Depressions- und Angstzuständen sowie der Zwangsvorstellung unter¬ 
worfen gewesen, dass sie auf die Behandlung des Dr. W. nicht ver¬ 
zichten könne. Dies habe Dr. W., wie die Beweisaufnahme ergab, 
erkannt. Es ist deshalb zur Entscheidung über diesen Punkt die 
Zurückweisung an das Oberlandesgericht erfolgt. 

Zwei Berliner Kassenärzte hatten gegen eine Ortskranken¬ 
kasse geklagt mit dem Antrag, festzustellen, dass sie aus dem zwischen 
den Vertrauensärzten und der Ortskrankenkasse über die ärztliche 
Behandlung der Kassenpatienten geschlossenen Vertrage unmittelbar 
zur Klage berechtigt seien. Die Feststellung sollte den weiteren 
Klagantrag ermöglichen, die beklagte Kasse zum Ersatz des Schadens 
zu verurteilen, den die Kasse den beiden klagenden Aerzten durch 
unberechtigte Entziehung der kassenärztlichen Tätigkeit zugefügt 
habe. Das Kammergericht hat sich im Urteil vom 6. VII. 1916 (Zeit¬ 
schrift für ärztliche Fortbildung 1918, 246) auf den Standpunkt ge¬ 
stellt, dass durch den zwischen den Vertrauensärzten 
und der Kasse geschlossenen Vertrag der einzelne 
Kassenarzt selbständiger Vertragsgegner wird. Der 
Vorstand des Vereins Berliner Kassenärzte hatte sich früher auf den 
Standpunkt gestellt, dass ein unmittelbares Vertragsverhältnis zwi¬ 
schen Kassenärzten und Krankenkassen durch den zwischen den 
Vertrauensärzten und der Krankenkasse abgeschlossenen Vertrag, 
den die Kassenärzte durch einen Revers anerkennen, nicht herbei¬ 
geführt werde. — 

Der Krankenkassenverband in C. hatte während des Streits mit 
seinen damaligen Kassenärzten Ende 1913 den prakt. Arzt Dr. S. 
vom 1. I. 14 ab als Kassenarzt angestellt, entliess ihn aber wieder 
aus seiner Tätigkeit alsbald nach dem Berliner Abkommen. Im 
Ahstellungsvertrage hatte der Krankenkassenverband die Garantie 
dafür übernommen, „dass in dem Radiumemanatorium des Herrn 
Dr. S. jährlich für insgesamt 4000 M. Sitzungen, die Sitzung zu 
0,80 M. gerechnet, von den Kassenmitgliedern der angeschlossenen 
Kassen genommen werden, und zwar für die Dauer des Vertrages“. 
Der Vertrag bestimmt Kelter, dass der Krankenkassenverband, wenn 

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1249 


er ohne Verschulden des Dr. S. dessen Tätigkeit als Kassenarzt nicht 
in Anspruch nehme, insbesondere durch Massnahmen gegnerischer 
Aerzte oder Behörden daran gehindert werden würde, gleichwoh! 
verpflichtet sein sollte, das vertragsmässig festgeiegte Gehalt bis 
zum Vertragsablauf an Dr. S. zu zahlen. Dr. S. klagte gegen den 
Krankenkassenverband auf Zahlung des von ihm für die Benützung 
des Radiumemanatoriums gewährleisteten Betrages. Der beklagte 
Verband erhob Widerklage auf Feststellung, dass dem Dr. S. ein 
solcher Anspruch so lange nicht zusteiic, als er das Emanatorium 
nicht eingerichtet habe. Der Klage ist in allen Instanzen stattgegeben, 
die Widerklage ist abgewiesen. Das Reichsgericht hat im Urteil 
vom 5. VI. 17 (Zeitschr. f. ärzti Fortbildg. 18, 108) ausgeführt, dass 
dem Dr. S. nach dem Vertrage nicht nur das feste Qehalt, 
sondern die gesamte für die kassenärztliche Tätigkeit 
vereinbarte Vergütung zustehe und dass darunter auch der 
für die Benützung des Emanatoriums durch die Kassenangehörigen 
gewährleistete Betrag falle. Dem Dr. S. sollte der ungeschmälerte 
Eingang aller Beträge gesichert werden, die seine Vergütung für die 
kassenarztliche Tätigkeit bildeten. Zu dieser Tätigkeit gehörte die 
Anwendung von Heilmitteln und damit auch die Behandlung der 
Kassenmitgiieder in dem zu errichtenden Radiumemanatorium. Die 
daraus für den Kläger zu erwartende, von dem Beklagten bis zum 
Betrage von 4000 M. gewährleistete Einnahme wurde dem Kläger 
dadurch entzogen, dass der Beklagte auf seine kassenärztliche Tätig¬ 
keit verzichtete. Darauf, dass Dr. S., der in einer anderen Stadt 
wohnt und mit Rücksicht auf den Verzicht des Beklagten nicht nach 
dem Ort des Krankenkassenverbandes übergesiedeit ist, dort ein 
solches Emanatorium nicht eingerichtet hat und nicht einrichten 
wird, kann sich der Beklagte nicht berufen. Denn dies ist lediglich 
darauf zurückzuführen, dass es infolge des Verhaltens des Beklagten 
zu einer Aufnahme der kassenärztlichen Tätigkeit am Orte des Be¬ 
klagten überhaupt nicht gekommen ist. Gegen die daraus erwachsen¬ 
den Nachteile sollte der Kläger aber gerade durch den Vertrag ge¬ 
sichert sein. — 

Die Berufsgenossenschaft in M. hatte den Kläger Dr. K. in B 
ersucht, den Brauer G. in B., der einen Unfall erlitten hatte, zu 
untersuchen, die Art und den Befund der durch den Unfall herbei¬ 
geführten Verletzungen aufzunehmen und gutachtlich zu erklären, 
ob die gegenwärtige Behandlung genüge oder ob zur tunlichsten 
Verhütung etwaiger späterer Folgezustände und Erreichung mög¬ 
lichst baldiger und völliger Wiederherstellung besondere Mass¬ 
nahmen notwendig seien. Der Kläger hat dem ersuchen entsprochen 
und für seine Aeusserung 9.60 M. Schreibgebühren liquidiert. Die 
Beklagte weigerte sich, die ärztliche Arbeitsleistung als Gutachten 
zu bewerten, wollte sie nur als Krankheitsbericht honorieren 
und wandte Unzuständigkeit des Amtsgerichts in B. ein. Sie ist zur 
Zahlung verurteilt (Amtsgericht Braunschweig 17. XII. 17, Aerztl. 
Mitteilungen 1918, 160). Durch die Vorschrift des § 270 BGBs, 
dass der Schuldner verpflichtet ist, Geld im Zweifel auf seine Ge¬ 
fahr und Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnsitz zu übermitteln, 
wird der Erfüllungsort nicht beeinflusst Für den Erfüllungsort ist 
allein § 269 B.GB massgebend. Aus der Natur des Schuldverhält¬ 
nisses ergibt sich, dass B. und nicht M. für die Zahlungsverpflichtung 
der Beklagten Erfüllungsort ist. Nach der Verkehrssitte sfilt allge¬ 
mein der Arbeitsort für die Zahlung des Arbeitslohnes als Erfüllungs¬ 
ort. Nach der Verkehrssitte ist jedenfalls auch hier B. als Erfül¬ 
lungsort für die Zahlungsverpflichtung der Beklagten anzusehen, da 
der dem Kläger erteilte Auftrag zur Untersuchung des Brauers G. 
in B. zu erfüllen war und beide in B. wohnten. Die Aerztekammer 
hat auf Anrufen beider Parteien ihr Gutachten dahin abgegeben, 
dass die Aeusserung des Klägers als begründetes Gutachten und der 
dafür liquidierte Betrag als angemessen anzusehen sei. Das Gericht 
ist diesem Gutachten der Aerztekammer gefolgt. Dass die Aeusse¬ 
rung des Klägers nicht als Krankheitsbericht zu werten sei, gehe 
schon daraus hervor, dass der Kläger den Verletzten vorher über¬ 
haupt nicht behandelt hat. ln der Aeusserung ist der durch die 
Untersuchung festgestellte Krankheitsbefund eingehend dargestellt. 
Auf Grund des Befundes ist klar und hinlänglich dargestellt, dass die 
gegenwärtige Behandlung genügt und insbesondere eine Operation 
nicht geboten erschien. Der Kläger hat damit die ihm von der Be¬ 
klagten gestellte Aufgabe vollkommen erschöpft und ein hinreichendes 
Gutachten abgegeben, wozu ihn die Beklagte ausdrücklich aufge¬ 
fordert hatte. Da der geringste Satz der Gebührenordnung für Gut¬ 
achten liquidiert ist und da auch die Gebühren für Krankheitsberichte 
bis zu 10 M. betragen, kann von einer zu hohen Forderung keine 
Rede sein. — 

Dr. A. stellte dem Mitglied der beklagten Krankenkasse K., das 
sich wegen Lungenkatarrhs in Behandlung gab, ein ärztliches 
Attest zur Erlangung einer Milchkarte aus und erhielt das 
At’est mit 3 M. bezahlt. K. verlangte die Erstattung des Betrages 
von der Krankenkasse, die diese ablehnte, weil die Milch nicht 
Heilmittel sondern Stärkungsmittel gewesen sei. Das Reichs¬ 
versicherungsamt hat entgegen den Vorinstanzen die Kasse ver¬ 
urteilt (Urteil 24. X. 17, Ortskrankenkasse 1918, 182). Dr. A. batte 
nach seiner Erklärung dem Versicherten, der an seinem Lungenleiden 
schon zwei Monate nach der Verordnung starb, die Milch zu Heil¬ 
zwecken oder wenigstens zur Linderung der Krankheit oder Be¬ 
seitigung der durch sie verursachten Arbeitsunfähigkeit verordnet 
Die Verordnung stand mit der Krankenbehandlung in unmittelbarem 
Zusammenhang und die Milch war Heilmittel im Sinne des § 182 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


^o. 1 RVO. Wenn die beklagte Kasse die Eigenschaft der Milch , 
als Heilmittel deshalb ablehnt, weil der Arzt sich von der Milch die ) 
Heilung eines sterbenskranken Mannes nicht habe versprechen 
können, so ist aus der Tatsache, dass K. bald starb, nicht rückwärts 
zu schliessen, dass Heilmittel für ihn nicht mehr notwendig waren. 
Das würde zu dem sozial unhaltbaren Satz führen, dass iür Schwer- : 
kranke Heilmittel nicht mehr aufzuwenden sind. Wo die Grenze zu ; 
ziehen ist, bis zu der Heilmittel zur Linderung der Krankheit oder * 
zur Sicherung des Heilerfolges noch zu gewähren sind, muss im 
Einzelfall entschieden werden; jedenfalls ist im vorliegenden Fall 
diese Grenze nicht überschritten. Es sei dahingestellt, ob aus der 
Tatsache, dass die Krankenkasse den Versicherten mit dem Heil- . 
mittel der Milch versorgen musste, schon nach allgemeinen Rechts¬ 
grundsätzen der Schluss zu ziehen ist. dass sie auch die Kosten der 
zur Beschaffung der Milch gegenwärtig notwendigen ärztlichen Be- i 
scheinigung tragen muss. Jedenfalls fällt die von dem behandelnden j 
Arzt vorgenommene Untersuchung und das auf Grund dieser Unter- j 
suchung erfolgte Verschreiben des Heilmittels der Milch durch den¬ 
selben Arzt unter den Begriff der ärztlichen Behandlung. Diese 
ärztliche Behandlung war auch notwendig, denn sie bezog sich auf 
die Versorgung mit einem kleineren Heilmittel im Sinne des § >82 
Nr. 1 RVO., das zu gewähren die beklagte Kasse verpflichtet war. 
Dass die Bescheinigung oder das Gutachten des Dr. A. in der ge¬ 
bührenpflichtigen Form nicht von der Kasse verlangt wurde sondern 
auf Grund besonderer durch die Kriegsverhältnisse bedingter behörd¬ 
licher Massnahmen, ändert nichts hieran. — 

Wer eine wegen Krankheit hilflose Person, die 
unter seiner Obhut steht, in hilfloser Lage verlässt, 
wird nach § 221 StrGB. mit Gefängnis nicht unter 3 Monaten be¬ 
straft Dr. A. hatte der in seiner Frauenklinik angestellten Oberin 0. 
und der Hilfsschwester A. gekündigt. Die Oberin entschloss sich 
aus Kränkung über die Kündigung, die Klinik nachts zu verlassen 
und überredete dazu auch die H. Beide entfernten sich heimlich 
ohne Wissen des Arztes oder irgendeiner anderen Person aus dem 
Hause, trotzdem sich mehrere schwerkranke, fortwährender Pflege 
bedürftige Personen in der Klinik befanden. Die Revision gegen das 
Strafkammerurteil, das beide Schwestern zu ie 3 Monaten Geiangnis 
verurteilte, ist vom Reichsgericht durch Urteil vom 11. I. 1918 
zurückgewiesen (Rechtsspr. u. Med. Gesetzgebg. 1918, 85). Der Ein¬ 
wand der O., dass sie die Klingel umgestellt und cs so der neuen 
Hilfsschwester ermöglicht habe, Wünsche der Patienten zu erfüllen, 
erwies sich als unwahr. Der Einwand der H, dass sie nur als 
Operationsschwester angestellt gewesen sei, blieb unbeachtet, da es 
trotzdem ihre Verpflichtung gewesen sei, auch alle anderen ihrem 
Beruf eigenartigen Hilfeleistungen zu versehen, besonders in diesem 
Fall, da ihr durch den Entschluss der 0. die gefährliche Lage der 
Kranken bekannt war. — 

Die Anstellung von Fürsorgeärzten für Gemeinde¬ 
anstalten wie z. B. Auskunft«- und Fürsorgestellen für Tuberkulose- 
und Alkoholkranke gehört zur Zuständigkeit der Gemeindever¬ 
tretung. Zwar ist die Annahme von Aufsehern, Technikern usw. 
für Betriebe oder Veranstaltungen der Gemeinde zu den Geschäften 
der laufenden Verwaltung und damit zur ausschliesslichen Zuständig¬ 
keit des Gemeindevorstehers zu rechnen. Anders verhält es sich 
aber mit dem Leiter eines Betriebes der Gemeinde, zumal wenn von 
dessen Befähigung und sonstigen persönlichen Eigenschaften die ge¬ 
deihliche Entwickelung der ganzen Einrichtung abhängt. Es ist nicht 
richtig, dass die Obliegenheiten des Fürsorgearztes von den meisten 
praktischen Aerzten versehen werden könnten; vielmehr kommt es 
wesentlich auch darauf an, dass der Leiter sich die sachgemässe 
Fürsorge für die einzelnen Kranken möglichst angelegen sein lässt 
und dass er für die sozialpolitische Einrichtung und deren Ausbau 
das erforderliche Verständnis besitzt und den Anforderungen der 
Stelle in wissenschaftlicher wie sozialpolitischer Hinsicht entspricht 
Wenn die Gemeindevertretung die Auswahl dieser Persönlichkeit für 
sich in Anspruch nimmt, verletzt sie das bestehende Recht nicht, 
sondern macht von der ihr durch § 102 der Landgemeindeordnung 
gewährleisteten Befugnis Gebrauch (Entsch. O.V.G., 19>6, 119.) — 

Die beiden durch die spätere Gesetzgebung, insbesondere durch 
die Reichsgewerbeordnung nicht aufgehobenen, vielmehr noch mit 
Gesetzeskraft gültigen Verordnungen von 1725 und 1798 betr. das 
Verbot der Empfehlung einer bestimmten Apotheke 
durch einen Arzt sind Schutzgesetze im Sinne des § 8^3 Abs. 2 
BGB., weil sie neben dem Schutz der höheren Interessen der All¬ 
gemeinheit auch den Schutz der Apotheker vor unlauterem Wett¬ 
bewerb beabsichtigen. Die Klage auf Unterlassung ist daher be- 
ründet, weil der Beklagte dem Verbot zuwidergehandelt hat und 
ie begründete Besorgnis einer Wiederholung des Zuwiderhandelns 
besteht. Die Empfehlung einer bestimmten Apotheke ist nicht rechts¬ 
widrig, wenn es sich um den Bezug gewisser, im allgemeinen nur 
in dieser Apotheke stets vorrätig gehaltener Mittel handelt, wohl 
aber dann, wenn es sich um Mittel handelt, die in anderen Apotheken 
zu haben sind, namentlich wenn der Arzt keinen besonders gerecht¬ 
fertigten Grund für seine Empfehlung angeben kann (OLG. Marien- 
weraer 30. XI. 17, Rechtspr. u. Med.üesetzgebg. 1918, 233). — 


Bücheranzeigen und Referate. 

Dr. Bandelier und Dr. Roepke; Lehrbuch der spezifischen 
Diagnostik und Therapie der Lungentuberkulose für Aerzte und Stu¬ 
dierende. 9. Auflage. Kurt Kabitzsch, Würzburg und Leipzig 
1918. 

Das bewährte Lehrbuch der Tuberkulinbehandlung in allen ihren 
Formen und Abarten, ist längst so gut eingeführt, dass sich eine aus¬ 
führliche Besprechung erübrigt. Die Verfasser weisen in der Ein¬ 
leitung zur neuen Auflage auf die enorme Zunahme der Sterblichkeit 
der Tuberkulösen hin, die nach den Mitteilungen des preussischen 
Staaiskommissärs für Volksernährung im Jahre 1917 diejenige des 
Jahres 1913 um 50 vom Hundert überschritten hatte. Da diese trau¬ 
rigen Verhältnisse für Oesterreich in noch erhöhtem Masse gelten und 
auch für Frankreich festgestellt sind, harrt der Tuberkulosekämpfung 
eine schwere verantwortungsvolle Aufgabe. Den Massen der Kran¬ 
ken kann nur die Gesamtheit der Aerzte einigermassen Hilfe leisten, 
und sie wird sich aller Hilfsmittel bedienen müssen. Damit wird alles 
was sich auf die Heilung der Tuberkulose bezieht zur unabweislichen 
nationalen Pflicht. Dr. Karl E. Ranke. 

Sven Hedin: Jerusalem. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1918. 
Grosse Ausgabe 20 M. 

Bezüglich dieses reich mit Photographien und Handzeichnungen 
des Verf. ausgestatteten Werkes, welches mit einer pietätvollen 
Widmung an H e d i n s kürzlich hochbetagt verstorbenen Vater ein¬ 
geleitet ist, verweisen wir auf die Anzeige der kleinen Ausgabe 
an dieser Stelle. Das Werk, das seinen Verf. ganz besonders ehrt, 
wird auch jedem deutschen Besitzer eine Freude und eine Fundgrube 
schönster Eindrücke sein! Gr.-München. 

Neueste Journalttteratur. 

Zeitschrift für Immunltätsforschiwg und experimentelle 
Therapie. 26. Band. 6. Heft (Auswahl.) 

W. Dietrich- Berlin: Morphologische und biologische Beob¬ 
achtungen an der Spirochäte der Weil sehen Krankheit 

Die Spirochäte Hess sich nach dem Ungermann sehen Ver¬ 
fahren anaerob und aerob leicht züchten, ohne nach 35 Tier- und 
30 Kulturpassagen ihre Virulenz für Versuchstiere und Menschen ein- 
zubüssen. Die nach 10—12 Kulturüberimpfungen zu beobachtende Ab¬ 
nahme der Pathogenität wurde durch einige Meerschweinchen- 
passagen schnell wieder erworben. Im Filtrierversuche wurden 
Reichelkerzen passiert, andere nicht. Für die Diagnose hat sich das 
Kulturverfahren dem Tierversuche überlegen erwiesen. Die 
schützende Kraft des menschlichen Serums nach überstandener Weil- 
scher Krankheit konnte nach dem Vorgänge von Uhlenhuth und 
Fromme zur Diagnosestellung mit Erfolg verwendet werden. Eine 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose liess sich bereits nach 1—2 Stunden 
stellen, wenn die Wirkung des fraglichen Serums auf die Spiro¬ 
chätenkulturen unmittelbar mikroskopisch beobachtet wurde. 

E i c k e und W. Mäscher: Komplementschwund bei anbe¬ 
handelter Spätsyphilis. 

Jedes gesunde menschliche Serum enthält in frischem Zustande 
Hämolysine, die es befähigen, die roten Blutkörperchen des Hammels 
aufzulösen. Gewisse pathologische Seren büssen diese Fähigkeit ganz 
oder teilweise ein. Mandelbaum hat gezeigt, dass die Verminde¬ 
rung der hämolytischen Kraft, die er auf Komplementschwund zurück¬ 
führt, immer erst nach der Gerinnung des Blutes auftrete. Unmittel¬ 
bar nach der Entnahme sollen alle Seren gleichen Komptementgebalt 
aufweisen. Gleichzeitig stellte er fest, dass es besonders die lueti¬ 
schen- Seren sind, die bei Aufbewahrung innerhalb 24 Stunden ihre 
hämolytische Kraft einbiissen. Die Verfasser konnten nachweisen, 
dass diese Beobachtung besonders für alte Lues in einem hohen Pro¬ 
zentsatz zutrifft. Von 27 Luetikern, die niemals in ihrem Leben anti¬ 
syphilitisch behandelt waren, zeigten 19 eine völlige, 3 eine mittlere 
Aufhebung des hämolytischen Vermögens. Die WaR. ist in diesen 
Fällen fast immer sehr hartnäckig. L. S a a t h o f f - Oberstdorf. 

Archiv für klinische Chirurgie. Band 110, Heft 1, 1918. 

Festschrift für v. Eiseisberg. 

La me ris- Utrecht: Notizen zur Gaflenstelnchinirgie. 

Verf. betont den Wert der C a m m i d g e sehen Pankreasreaktion 
und des Fehlens freier Salzsäure für die Diagnose der Cholelithiasis. 
Durch frühzeitige Operation seien reine Fälle von Cholelithiasis mit 
voller Sicherheit heilbar, echte Rezidive gebe es nicht — bei rich¬ 
tiger Technik des operativen Eingriffs, der in geschlossener Entfer¬ 
nung von Gallenblase mit Zystikus und sorgfältigster Säuberung 
der grossen- Gallengänge mit Hepatikusdrainage zu bestehen hat. 

Frhr. v. Saar- Innsbruck: Ueber multiple Magentumoren. 

Im einen Fall ulzeriertes Karzinom des Pylorus und gutartiger 
Schleimhautpolyp des Magenkörpers, im anderen in engstem örtlichen 
Zusammenhang entwickeltes kleinzelliges Rundzellensarkora und 
Karzinom der vorderen Magenwand. 

Frhr. v. Redwitz-Würzburg: Weitere Beiträge zur chirur¬ 
gischen Behandlung des Magengeschwürs. 

Verf. ist wegen der Unsicherheit des Erfolges und der Schwer« 


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5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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der Eingriffe auf der einen Seite, der röntgenologisch nachweisbaren 
Ausheilung tiefgreifender Geschwüre (Verschwinden der Nische) 
durch interne Therapie auf der anderen kein unbedingter Anhänger 
der Frühoperation, die nur durch soziale Gründe indiziert sein kann. 
Die gegebene Methode ist die Resektion und womöglich die Quer¬ 
resektion, bei der die Kranken am unabhängigsten von der Ernährung 
werden, wenn auch die Gefahr des Eingriffs doppelt so gross als bei 
der Gastroenterostomie und in' ca. 9 Proz. Rezidive beobachtet 
wurden. Letztere sind von den „übersehenen Ulzera“ durch längere 
Periode des Aufblühens, der Gewichtszunahme und der völligen 
Arbeitsfähigkeit nach der Operation zu unterscheiden. 

Exalto-Haag: Ueber die chirurgische Therapie bei Magen¬ 
geschwüren oder Geschwüren des Duodenums. 

„Bei einem Magengeschwür, ganz gleich, wo es liegt, kallös oder 
nicht, ist die Gastroenterostomia retrocol. post, mit kurzer Schlinge 
angelegt in dem Antrum pyloricum, ganz nahe und parallel der 
grossen Kurvatur, die Operation der Wahl.“ Resektion nur bei 
Krebsverdacht, Perforationsgefahr oder wenn nach Gastroentero¬ 
stomie das Geschwür stark weiter blutet oder die Beschwerden 
fortdauern. 

Clairmont-Wien: Ueber die Mobilisierung des Duodenums 
von links her. 

Die wichtigsten Indikationen der Mobilisierung der Pars ascen- 
dens duodeni durch Inzision der Plica duodenojejunalis und duodeno- 
mesocolica, deren Technik beschrieben und abgebildet wird, sind das 
Ulcus peptic. jejuni und der Circulus vitiosus nach hinterer Gastro¬ 
enterostomie mit kurzer Schlinge. Der mobilisierte Duodenalteil 
lässt sich leicht zur Anastomosierung mit dem Jejunum verwenden. 
Da Aorta und Vena cava'dabei übersichtlich freigelegt werden, wird 
die Methode auch zur Unterbindung letzteren Gefässes, Aufsuchung 
von Drüsen bei der erweiterten Radikaloperation des Dickdarm¬ 
karzinoms herangezogen werden können. 

Denk-Wien: Ueber ausschaltende Operationen am Darm. 

In Fällen von Karzinom oder Tuberkulose, die noch Aussicht auf 
Heilung bieten, aber nicht primär radikal operiert werden können, 
ist die bilaterale Darmausschaltung „nach Salzer -v. Höchen- 
egg“ mit Einnähüng beider Darmlumina in die Bauchwand der ein¬ 
fachen Enteroanastomose überlegen. Die letztere genügt aber vollauf 
bei schwieliger Appendizitis. 

Leischner -Brünn: Ueber Zoekalfisteln. 

Die dicht schliessende Zoekostomie, am besten in der Form der 
Appendikostomie, hat ihr Hauptindikationsgebiet bei schweren ulze¬ 
rösen Kolitiden und solchen Ruhrfällen, die der internen Therapie 
trotzen, kommen ferner in Betracht bei diffuser eitriger Peritonitis, 
Ileus bei operablem Dickdarmkrebs und zur Sicherung gefährdeter 
Dickdarmnähte. 

N o e t z e 1 - Saarbrücken: Zur Kasuistik der Invaginatio ileo- 
«oecalis beim Säugling und Erwachsenen. 

Lengnick -Tilsit: Beitrag zur Resektion des grossen Netzes. 

v. Habe rer: Beitrag zur Nierenchlrurgie an der Hand von 
100 Fällen. 

Verf. berichtet über sein Material an Nieren- und Harnleiter¬ 
operationen in 14 Jahren. Nuf einige der wichtigsten Punkte können 
hier angezogen werden: bei Tuberkulose frühzeitige Nephrektomie, 
die auch doppelseitige Erkrankung günstig beeinflussen kann. Bei 
schweren eitrigen Prozessen Nephrektomie zu bevorzugen. Dystope 
Nieren werden am besten transperitoneal entfernt, wenn sie Be¬ 
schwerden machen. Gute Erfolge mit der Dekapsulation bei nephri- 
tischer Anurie, bei ungeklärter Hämaturie, Glaukom der Niere und 
•bei Nierenkoliken infolge fötal gelappter Niere. Nephropexie nach 
Narath bei strengster Indikationsstellung für Fälle mit hochgradig 
schmerzhafter Wanderniere zu empfehlen. Die hohe Toleranz des 
Nierenparenchyms erlaubt bei beiderseitiger Niereninfektion doppel¬ 
seitige Eingriffe; so machte Verf. in einem Falle Nephrektomie auf 
der einen und zweimalige Nephrotomie auf der ; anderen Seite. 

v. Haberer: Zur Kasuistik der medianen retroperitonealen 
Tumoren. 

Die operative Entfernung des unter den Erscheinungen eines 
Ulcus ventriculi verlaufenden, nur durch Eröffnung des kleinen Netz¬ 
beuteis erkennbaren Tumors war sehr schwierig, da er feste Ver- 
lötungen mit Pankreas, den Gefässen des Lig. hepatoduodenale, der 
Aorta, Art. coeliaca und Vena cava inf. eingegangen war. Histologisch 
handelte es sich um lymphangiektatisch veränderte Lymphdrüsen. 
(Eingehende Beschreibung des pathologischen Befundes durch 
Pommer.) 

Sc h war z-Wien: Untöt'suchungen über die Physiologie und 
Pathologie der Blasenfunktion. 4. Mitteilung: Zur Pharmakotherapie 
der Miktionsstörungen. 

Durch Injektion von Pilokarpin und Pituitrin erreicht man deut¬ 
liche Tonussteigerung des pathologisch übererregbaren Detrusor 
vesicae, kaum eine Beeinflussung des normalen Muskels und gar 
keine Wirkung auf den Miktionsakt. Dieser wird also vor allem vom 
Sphinkter beherrscht: der noch so gespannte Detrusor vermag den 
normal funktionierenden Sphinkter nicht zu sprengen. Atropin neu¬ 
tralisiert wohl den Pilokarpinreiz, mindert aber in keinem Falle die 
pathologische Uebererregbarkeit der Blase. Als echte therapeutische 
Erfolge bleiben nur die Behandlung der Blasenkrämpfe mit Papa- 
'verin übrig. S i e v e r s - Leipzig. 

Nr. 45. 

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Zentralblatt für Chirurgie. Nr. 41, 19,8. 

Chr. Johnsen-Stettin: Zur Frage der Gastroieiunostomle. 

Statt der Gastroenterostomie empfiehlt Verf. die Gastrojejuno- 
stomie nach Roux mit einigen Aenderungen, wie sie aus der bei¬ 
gefügten Skizze leicht ersichtlich sind: Die Magen-Darmverbindung 
soll unter stark schräger Abtragung des Darmlumens angelegt werden, 
damit sie nicht zu eng wird; das blinde Darmende soll seitlich höch¬ 
stens 2 cm unter der neuen Magen-Darm-Anastomose implantiert 
werden, um ein Ulcus peptic. möglichst zu vermeiden; ferner soll das 
Einfliessen von Mageninhalt in die End-zu-Seit-Anastomose des Dünn¬ 
darms durch deren richtige Anlage verhütet werden; eine Fixation 
des zuführenden Darms am Magen und Jejunum sichert den Abfluss 
der Sekrete in physiologischer Richtung und vermeidet die Sporn¬ 
bildung. 

H. Matti-Bem: AUopIastlscher Sphinkterersatz durch Ein¬ 
pflanzung von Gummlschlauchringen. Experimentelle Grundlagen und 
praktische Anwendung. 

Verf. berichtet über seine Versuche, die Sphinkterwirkung durch 
einen elastischen üummischlauchring zu ersetzen; solche Ringe, um 
den Pylorus oder Sphincter ani bei Hunden unter bestimmten Kau- 
telen angelegt, heilten ein, indem sie von einer Schicht Bindegewebe 
oder, wenn der Ring häufig beansprucht wurde, von elastischen Fa¬ 
sern eingehüllt wurden. Die Versuche an Menschen, die durch Ver¬ 
letzung oder Lähmung oder Operation den Analschluss eingebüsst 
haben, eine Besserung der Inkontinenz durch Einpflanzung von 
Gummischlauchringen zu erzielen, sind bis jetzt nicht aussichtslos 
gewesen und hatten besonders beim Analprolaps von Kindern Erfolg, 
wie folgende Arbeit zeigt. 

H. M a 11 i - Bern: Behandlung des Mastdarmvorfalles durch 
perianale Einlagerung eines Gummischlauchringes. 

Von zwei kleinen Hautinzisionen vor und hinter dem Anus aus 
wird subkutan um den After mit der Knopfsonde ein Kanal gebohrt 
unter Schonung des Rektums; dann wird ein 4—5 mm dicker Gummi¬ 
schlauch eingeführt und ohne elastische Spannung durch 
zwei Seidennähte zum Ring vereinigt. Schluss der beiden Haut¬ 
wunden und Sorge für einen weichen Stuhlgang. Mit 1 Abbildung. 

P. H e r z-Berlin-Lichtenberg: Ueber feuchte Verbände. Ent¬ 
gegnung auf P e 1 s - L e u s d e n, Nr. 20, 1918. 

In allen Fällen, wo es sich um Beschleunigung der Resorption 
oder der eitrigen Einschmelzung handelt, ist der feuchte Verband 
mit wasserdichtem Abschluss indiziert, also bei allen noch nicht 
e r ö f f n e t e n entzündlichen Prozessen. Bei offenen Wunden, 
die stark absondern, ist feuchter Verband ohne wasserdichten Ab¬ 
schluss am Platze; bei stärkerer Infiltration, die man zur Resorption 
oder Einschmelzung bringen will, ist der feuchte Verband mit wasser¬ 
dichtem Abschluss angezeigt. E. Heim- zurzeit im Felde. 

Jahrbuch für Kinderheilkunde. Band 88. lieft 1. 

E. Glanz mann: Hereditäre hämorrhagische Thrombasthenle. 
Ein Beitrag zur Pathologie der Blutplättchen. (Aus der Universitäts- 
Kinderklinik und Poliklinik zu Bern [Direktor: Prof. Dr. Stooss].) 
Hierzu 3 Tafeln. 

Aus den Versuchen des Verf. geht hervor, dass, die thrombasthe- 
nischen Plättchen die Gerinnung stärker beschleunigen als die nor¬ 
malen Plättchen, offenbar, weil sie weniger resistent sind, leichter in 
Lösung gehen und dabei gerinnungsfördernde Substanzen abgeben. 
Die Retraktilität des Blutkuchens beruht auf einer Funktion der Blut¬ 
plättchen. Diese Funktion jst bei der hereditären Thromasthenie ge¬ 
stört oder vernichtet. Es lässt sich daraus der klare und eindeutige 
Schluss ziehen, dass bei der hereditären hämorrhagischen Throm- 
basthenie eine funktionelle Insuffizienz der Blutplättchen besteht, 
welche offenbar das Wesen dieser hämorrhagischen Diathese aus¬ 
macht. (Schluss im nächsten Heft.) 

G. F u h g e: Eine Stoffwechseluntersuchung an Kindern im Alter 
von 6—14 Jahren Im 3. Kriegslahr. (Aus dem Grossen Friedrichs- 
Wäisenhause der Stadt Berlin in Rummelsburg [Chefarzt: Prof. Erich 
Mülle r].) 

Die praktisch wichtigen Versuche wurden in exakter aber zwang¬ 
loser Weise an 7 Knaben der Anstalt vorgenommen und erstreckten 
sich auf einen Zeitraum von 7 Tagen. Das Ergebnis lässt sich dahin 
zusammenfassen, dass die Kinder bei einem Eiweisskonsum von 
1,2—1,6 kg bei einer Kalorienzufuhr von 42—57 pro Kilogramm 
Körpergewicht und einem Nährstoffverhältnis von 1:755 tatächlich, 
wenn auch in geringem Grade, unterernährt waren'— der Gewichts¬ 
verlust betrug durchschnittlich 0,4 kg während der Versuchswoche. 
Der Hauptfehler lag nach F. in der geringen Kalorienzufuhr, besonders 
im Fettmangel. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich 
um durchweg zurückgebliebene Kinder handelte, welche einen 
höheren Bedarf an N haben. 

Johann v. Bökay-Pest: Die Bedeutung der Rammstedt- 
operatlon bei der Behandlung der Pylorusstenosen im SäugUngsalter. 

Der bekannte Kliniker tritt In dem vorliegenden Aufsatz warm 
für die vereinfachte Methode der Pylorusdurchschneidung nach 
Rammstedt ein in allen jenen Fällen, in denen es nicht gelingt, 
binnen kurzer Zeit durch innere und diätetische Behandlung 
das Sinken der Gewichtskurve zu paralysieren. Vier Fälle beweisen 

Original from 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45 . 


die guten Erfolge dieser neuen und relativ einfachen chirurgischen 
Behandlungsmethode. 

Friedrich Ganghofner. — Nekrolog von Langer. — 
Literaturbericht von A. Niemann -Berlin. 

0. Rommel- München. 

Viertel]ahrschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches 
SanitätswesetL 56. Band. Supplement. 

Festschrift, Herrn Geh. San.-Rat Prof. Dr Fr. Strassmann 
gewidmet. 

Die Schädigung durch Röntgenstrahlen und ihre strafrechtliche 
Beurteilung. Von Dr. Boschy. 

Verf. bespricht die Stellung der Röntgenstrahlen im Heilmittel¬ 
schatz, welche als elektromagnetische Aetherschwingungen zu den¬ 
jenigen Heilmitteln gehören, bei denen eine physikalische En¬ 
ergie direkt oder durch Umsetzung in eine andere Energieform 
ihre Wirkung auf den Körper ausübe — ihre Wirkung erfolge ohne 
sinnliche Wahrnehmung und es vergehe ein grösserer Zeitraum, 
bis sich der Eintritt der Röntgenstrahlenwirkung offenbare. Diese 
Latenzzeit spiele für die Dosierung der Strahlen eine grosse Rolle, 
da die kumulierende Wirkung hierbei von besonderer Bedeutung 
werden könne. Mit der Tiefenwirkung der Röntgenstrahlen gehe 
eine Steigerung der Schädlichkeit Hand in Hand. 

Die Röntgenstrahlenschädigungen im allgemeinen zerfallen in 
zwei Hauptgruppen, die eine nach Applikation einer einmaligen oder 
mehrmaligen grossen Strahlendosis (akute Schädigung), die 
andere durch kleine, mehrmals wiederholt einwirkende Strahlen¬ 
dosen (chronische Schädigung). — Von den allgemeinen Sym¬ 
ptomen treten bei der modernen Tiefentherapie meist 1—4 Stunden 
nach der Bestrahlung, namentlich im Bereiche des Abdomens auf —, 
die Patienten klagen über Mattigkeit, Kopfschmerzen, Uebelkeit bis 
zum Erbrechen, manchmal Durchfälle mit Beimengung von Blut. 
Ausserdem käme es öfters zu den lokalen Hautschädigungen, sowie 
je nach Art der Bestrahlung zu Schädigungen verschiedener Drüsen- 
orgarfe. 

In strafrechtlicher Beziehung stelle die therapeutische 
Röntgenbestrahlung einen Eingriff dar, der seine grösste Analogie 
in der in Narkose vorgenommenen Operation finde; zur Vornahme 
von Röntgenbestrahlung bei Unmündigen sei daher die Einwilligung 
des Vaters oder des Stellvertreters erforderlich. Jedesmal seien 
die Patienten vor der Bestrahlung auf deren möglichen Folgen auf¬ 
merksam zu machen. — Bei strafrechtlicher Verfolgung von Röntgen¬ 
schädigungen kommen vor allem die §§ 230—232 des StrGB. (fahr¬ 
lässige Körperverletzung) in Frage, ausserdem liege aber auch die 
Möglichkeit einer vorsätzlichen Körperverletzung vor (§§ 223 u. 224). 
Dagegen könne § 229 nicht zutreffen, da in diesem Paragraphen aus¬ 
drücklich von Giften und ähnlichen „Stoffen“ gesprochen werde, die 
Röntgenstrahlen aber als physikalisches Heilmittel, also als Energien 
anzusehen seien. — Eine besondere Bedeutung für Röntgenbestrahlung 
habe § 218 (Abtreibung), da sie geeignet sei Fehlgeburten 
herbeizuführen. Während des Krieges seien auch Selbstver¬ 
stümmelungen durch Röntgenstrahlen vorgekommen, die unter 
§ 142 fallen. 

Gerichtliche Medizin und Krieg. Von Dr. Leopold Bürge. 
(Aus der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde Berlin.) 

In seiner Antrittsvorlesung behandelt Verf. die verschiedenen 
Aufgaben, die der gerichtsärztlichen Beurteilung zufallen; eine be¬ 
sondere Beachtung ist dabei der Zunahme der Kriminalität, nament¬ 
lich unter den Jugendlichen, gewidmet. — Von geistig defekten Per¬ 
sonen habe der Krieg vor allem unheilvoll auf die Gruppe der 
Hysteroneurastheniker und der Schwachsinnigen mit vorwiegend 
moralischer Verkümmerung gewirkt. Für die Jugendlichen, soweit 
sie Kriegsteilnehmer sind, sei eine ganz besonders individualisierende 
Kriegsbeschädigtenfürsorge geboten. 

Die Verwertung der Temperaturkurven zur nachträglichen Er¬ 
kennung von Krankheitszuständen. Von Prof. Dr. P. Fränkel- 
Berlin. * 

Fr. weist darauf hin, dass eine gewisse Form von Temperatur¬ 
anstiegen in Rekonvaleszenz gewisser Krankheiten vorkomme und 
noch nachträglich auf ein früheres Vorhandensein einer solchen 
Krankheit schliessen lasse — festgestellt sei dies beim periodischen 
Fieber und bei Ruhr. 

Gerichtsärztliche Erfahrungen über die Fruchtabtreibung in 
Wien. Von Prof. A. Haberda - Wien. 

Verfasser bespricht in ausführlicher Abhandlung die ausser¬ 
ordentliche Verbreitung der Fruchtabtreibung in Wien, deren Ursache 
und die verschiedenen dabei angewandten Methoden, sowie die 
Massnahmen gegen diese Uebelstände. darunter auch das Vorgehen 
gegen Hebammen und Aerzte, welche derartige Verfehlungen sich 
gewerbsmässig zu schulden kommen lassen. 

Ueber den vom Arzte unbeabsichtigt eingeleiteten Abort und 
seine strafrechtliche Bedeutung. Von Dr. Ludwig H i rsc h-Berlin- 
Charlottenburg. 

Es handelt sich hier um Fälle, bei welchen der Arzt aus Ver¬ 
sehen, sei es ein entschuldbares oder nicht, eine bestehende 
Schwangerschaft vernichtet hat. Verursacht können solche un¬ 
beabsichtigt eingeleitete Aborte werden entweder durch innere oder 
durch mechanische Mittel. Die Möglichkeit, dass ein Arzt ver- 


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sehentlich durch innere Medikation einmal einen Abort einleitet, 
werde jedoch im ganzen gering sein. Strafrechtlich komme in Be¬ 
tracht § 222 und § 230 des StrGB. (fahrlässige Tötung und fahrlässige 
Körperverletzung.) 

Schädelbasisbrüche. Von Geh. Med.-Rat Dr. H. Hofmann- 
Berlin. 

Verf. bespricht nach eigener Erfahrung am Obduktionstische 
die verschiedenen Formen der Schädelgrundbrüche, wie leichte Fis¬ 
surbrüche, die nur eine Seite der Schädelgrundfläche betreffen, dann 
solche, die die ganze Basis durchqueren (Scharnierbrüche), solche 
die ringförmig um das Foramen magnum gelagert sind (Ringbrüche) 
und schliesslich solche, die eine völlige Zertrümmerung der Basis- 
darstellen. Ueber Umfang, Ende und ev. Verästelungen der Sprünge 
werde man nur am mazerieren Schädel Genaueres sehen können. 
Auf den Entstehungsort weise die Weichteilquetschung hin, deren 
Beschaffenheit und Ausdehnung auch auf die Stärke der Gewalt¬ 
einwirkung schliessen lasse. 

Die Zurechnung von Straftaten, die im alkoholischen Dämmer¬ 
zustände begangen sind. Von Geh. Justizrat Karl K ade-Waid¬ 
mannslust. 

K. vertritt die Anschauung, dass beim Menschen im Rausche 
dessen wahre innere Natur wegen Ausschaltung der normalen Hem¬ 
mungen der Erziehung und Selbstzucht zutage trete; da mm das 
Strafrecht hauptsächlich die von Natur bösen Menschen strafen wolle, 
um sie zu bessern oder unschädlich zu machen, dürfe der, welcher 
im alkoholischen Dämmerzustände eine strafbare Handlung begangen 
habe, nicht für straffrei erklärt werden. Da das zu erwartende 
neueste Strafgesetzbuch mit dieser Frage sich beschäftigen werde, 
sei es wünschenswert, dass insbesondere auch Gerichtsärzte sich 
darüber äussern, inwieweit der Genuss von Alkohol den freien Wil¬ 
len beeinflusse. 

Die Unterbringung des Angeschuldigten ln einer Irrenanstalt 
zwecks Untersuchung seines Geisteszustandes. Von Geh. Justizrat 
Dr. Kronecker -Charlottenburg. 

Nähere Darstellung über Entstehung dieser Bestimmung, über 
die Sachen, bei welchen die Anordnung zulässig, und zu welchem 
Zeitpunkte die Bestimmung platzgreift, über Vorbereitung der Gut¬ 
achten und die Antragstellung und den Gerichtsbeschluss. Ueber die 
Einzelheiten der eingehenden Ausführungen muss auf das Original 
verwiesen werden. 

Ein Mörder. Kriminalpsychologische Betrachtungen. Von Geh. 
M.-R. Dr. A. L e p p m a n n - Berlin. 

Bericht über Beobachtung des Geisteszustandes eines Mörders, 
der Starrsucht vortäuschte und dessen Entlarvung sehr schwie¬ 
rig war und erst nach längerer Zeit gelang. 

Ueber Rückenmarkserschütterung und ihre Begutachtung. Von- 
Dr. Friedrich Leppmann-Berlin. 

Auf Grund mehrfacher Krankheitsbeobachtung in einem Re¬ 
servelazarette kommt Verf. zu der Ueberzeugung, dass Rücken¬ 
markserschütterung eine überaus häufige Begleiterscheinung stumpfer 
Rückenmarksverletzungen sei. Klinsche Kennzeichen seien Flüchtig¬ 
keit eines grossen Teiles der spinalen Anfangserscheinungen, ana¬ 
tomisch kennzeichnen sie sich durch die Ausbreitung der primären 
Markläsion über die unmittelbar gequetschten Teile hinaus, die ent¬ 
standenen Markläsionen seien rückgangsfähig (keine Nekrose, son¬ 
dern nur feine Zellveränderungen). Ein einheitliches Gesamtbild 
habe die Rückenmarkserschütterung im engsten Sinne nicht. Dte 
Feststellung der Krankheitsfolgen erfordere eingehende Untersuchung 
des Nervensystems (der Ausfallserscheinungen). Auf scheinbare 
Rückenmarkserschütterungen können hysterische Erscheinungen auf 
Grund verschiedener seelischer Vorgänge folgen. Ab und zu können 
Folgeerscheinungen in Form von Syringomyelie, spinale Muskel¬ 
atrophie, amyotrophische Lateralsklerose, multiple Sklerose verein¬ 
zelt Vorkommen. Der seelische Anteil der Krankheitsbilder sei 
seelisch wirkenden Behandlungsmassnahmen durchaus zugänglich. 

Das Gesetz des kürzesten Weges. Ein kriminalphilosophisches. 
Vorwort. Von Dr. Hugo Marx-Berlin. 

Eine Skizze, die sich zur auszugsweisen Wiedergabe nicht 
eignet — es sei nur bemerkt, dass Verf. unter „kürzestem Weg'* 
die Krisen verstehe, durch welche der langsame Gang der täglichen 
Ereignisse, des historischen Geschehens unterbrochen werde und 
die den zögernden Ablauf der Ereignisse auf den kürzesten Weg 
drängen — die Krisen auf psychischem Gebiete seien die Quellen 
des Verbrechens, plötzliche seelische Entladungen nehmen immer 
den kürzesten Weg. 

Die gerichtsärztliche Beurteilung durch den Arzt herbelgefübr- 
ter Schwangerschaftsunterbrechungen und Unfruchtbarmachungen. 

Von Geh. M.-R. Prof. Dr. Puppe- Königsberg. 

Es ist dies das ausführliche Gutachten, das vom Verf. im Dienst¬ 
strafverfahren gegen Prof. Henkel-Jena erstattet wurde und in 
welchem er bekanntlich Stellung nimmt gegen die von Prof. Hen- 
k e 1 betätigte unzulässige Erweiterung der Anzeigestellung zur 
Schwangerschaftsunterbrechung und zur Sterilisierung. 

Ueber die kriminelle Zerstückelung von Leichen und die Sicher¬ 
stellung ihrer Identität. Von Prof. Emst Z i e m k e. (Hierzu 3 Ta¬ 
feln.) (Aus dem Institute für gerichtliche Medizin in Kiel.) 

Bei Untersuchung zerstückelter Leichen sei vor allem zu prü¬ 
fen, ob es sich überhaupt um eine „kriminelle“ Leichenzer- 

Qrigipal fro-m 

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5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1253 


Stückelung handle oder ob es sich um Zerstückelung handle, die 
durch andere, zufällig auf die Leiche einwirkende Gewalten her¬ 
beigeführt wurde. Zur Feststellung der Identität müssen dann die 
verschiedenen Körperteile nach ihren für Alter und Geschlecht 
charakteristischen Eigenschaften abgesucht und dann besondere, für 
einzelne Personen kennzeichnende Merkmale geprüft werden, wie 
Eigentümlichkeiten in der Schädelbildung, dauernde Veränderungen 
an den Augen, Tätowierungen, Berufsmerkmale (Veränderungen an 
Händen und Nägeln usw.) u. dergl., ferner sei, soweit möglich, die 
Frage nach Zeit und Ursache des Todes des Zerstückelten zu be¬ 
antworten. S p a e t - Fürth. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 42 , 1918 . 

Th. Fah r -Hamburg-Barmbeck: Zur Frage der Nephrose. 

Verfasser setzt, unter Mitteilung von zwei klinischen Fällen, 
nochmals auseinander, dass den beiden Prozessen der Nephrose und 
Nephritis ein prinzipiell verschiedenartiges pathologisches Geschehen 
zugrunde liegt, indem es sich bei der letzteren um eine Reaktion der 
lebenden Substanz auf eindringende Schädlichkeiten handelt, bei 
ersterer um primär degenerative Prozesse. 

L. Seyberth: Ueber Nervenoperationen und ihre Enderfolge. 

Vergl. Bericht der M.m.W. über die Sitzung der Berl. med. Ges. 
am 12. Juni 1918, S. 714. 

F. Rosenthai: Zur Arbeit von C. Seyfarth Uber Er¬ 
fahrungen bei der Behandlung der Malaria, vor allem chininresistenter 
Fälle in'Nr. 23 dieser Wochenschrift. 

Verf. weist auf seine eigenen früheren Veröffentlichungen zu 
dieser Frage hin. Nach diesen liegen dem unter der Salvarsanbehand- 
lung erfolgenden Rückschlag „chininresistenter“ Trypanosomen zur 
Chininemprindlichkeit komplizierte biologische Vorgänge zugrunde, 
welche die Parasiten aus dem einen Extrem der Chininfestigkeit in 
das andere der Chininüberempfindlichkeit hinüberführen. 

Fr. Johannessohn: Beiträge zur Wirkung des Chinins auf 
das Blut. 

Aus den Ergebnissen: Durch täglich innerlich genommene kleine 
Gaben von Chinin kommt es bei einem Teil der Menschen zur Ab¬ 
nahme der Zahl der weissen Blutkörperchen im zirkulierenden Blut. 
Bei länger fortgesetztem Chiningebrauch steigt die Zahl der weissen 
Blutkörperchen wieder an und hält sich auch nach Aussetzen des 
Chinins auf normaler Höhe. Die weissen Blutkörperchen sind an 
diesen Vorgängen gleichmässig beteiligt. Prophylaktische und thera¬ 
peutische Chinindosen schädigen die Blutoxydase im Körper nicht 
nachweisbar. 

Lewandowsky: „Nurso“, ein neues Heil- und Kräftigungs¬ 
mittel für Darmkranke anstelle von Eichelkakao. 

Die Kakaosubstanz des letzteren ist in dem genannten Präparat 
durch präparierte Kohlehydrate ersetzt. Günstige Ergebnisse werden 
berichtet. Gr ass mann-München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 42. 1916. 

H. B o n h o f f - Marburg: Zur Behandlung der Diphtherie mit ge¬ 
wöhnlichem Pferdeserum. j 

Die Beobachtungen von Bingel sind nicht geeignet, um das 
Antitoxinserum bei der Behandlung der Diphtherie zu verlassen und 
statt dessen gewöhnliches Serum zu inijzieren. 

Reinhard Ohm- Berlin: Ein Fall von Mitralklappenfehler bei 
asthenischem Herzen mit im Venenpuls nachweisbarer Schwäche der 
rechten Kammer. Kasuistischer Beitrag. 

F. Klewitz und Frieda C r o n q v i s t - Königsberg: Elektro¬ 
kardiogramme einiger seltener Herzstörungen. 

Es werden vier Elektrokardiogramme von atrioventrikulärer 
Automatie, Allorhytmie, bedingt durch dauernde Extrasystolie, von 
anfallsweisem Auftreten von Vorhofflimmern und von einem ange¬ 
borenen Herzfehler mitgeteilt. 

Fritz L e s s e r: Zur Serodiagnostik der Syphilis. 

Die Syphilisreaktion von M einicke ist technisch einfacher 
als die Wassermann sehe. Sie gibt gute Resultate. Es werden 
einige Verbesserungen angegeben. 

Ernst i. Feilchenfeld: Zur Pathologie des Paratyphus A. 

Die Symptomatologie dieser Erkrankung ist nicht so scharf um¬ 
schrieben, als dass man klinisch die Diagnose stellen könnte. Viel¬ 
mehr bedarf es dazu der bakteriologischen Untersuchung. 

Alfred Brüggemann: Die offene und tamponlose Wund¬ 
behandlung nach Warzenfortsatzoperation. 

Die Art der Wundbehandlung hängt von dem Zustand der 
Wundhöhle nach der Operation ab, sowie von dem Resultat, das man 
erzielen will. 

Franz F e n n e r - Dortmund: Vuzln in der Gelenktherapie. 

Es werden gute Erfolge mitgeteilt, die aber zum Teil wohl nicht 
durch das Vuzin selbst, sondern auch das Ausspülen und Ablassen des 
Exsudats zu erklären sind. 

Böla v. M e z ö - Pest: Eine neue Operationsmethode zur zwei¬ 
maligen Eröffnung der Blase (Sectio alta lateralis). 

Angaben einer neuen Methode. 

Fritz M. Meyer-Berlin: Ein Fall von schwerer Radioderma- 
Ütis and seine Bedeutung für die Praxis. 


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An der Hand eines Falles wird die Forderung erhoben, bei Haar¬ 
ausfall mit harten und nicht mit mittelweichen Strahlen zu bestrahlen. 

Renner: Einfach herstellbare Schiene zur verschiedenartigen 
Lagerung schwerer Beinverletzungen. Boenheim -Nürnberg. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift 

Nr. 40. Albert F e r n a u - Wien: Physik und Chemie des Ra¬ 
diums und Mesothor für Mediziner. (Forsetzung folgt.) 

Edmund M a 1 i o v a: Beiträge zur Kenntnis der Malaria. 

Verf. schlägt zur Ermöglichung einer eindeutigen Bezeichnung 
der einzelnen Phasen des Krankheitsverlaufes vor: den Ausdruck 
„Latenz der Infektion“ für jene Fälle zu reservieren, bei denen eine 
vorjährige Infektion erst während der regulären Rezidivperiode zum 
ersten Ausbruch kommt. Die afebrile Phase zwischen den Entwick¬ 
lungszyklen des die ersten Anfälle hervorrufenden Plasmodien¬ 
stammes soll als Regenerationsphase bezeichnet werden. Das 
afebrile Intervall bis zum echten Rezidiv als Inaktivitätsphase, beide 
mit den Unterabteilungen manifest oder latent, je nach dem para- 
sitoskopischen Blutbefunde. 

Walter Pewny: Ueber antlhämolytiscbe Wirkung von Sera 
Malariakranker. 

Es werden Versuche besprochen, welche beweisen, dass das 
Serum Malariakranker die Eigenschaft hat, die Auflösung der Erythro¬ 
zyten in hypertonischer Lösung zu verhindern oder einzuschränken. 

M. G i o s e f f i: Zum Auifiackern der Malaria. 

Veriasser berichtet über seine an einem Küstenstriche des 
westlichen Mittelistriens gemachten Erfahrungen bei einer Malaria¬ 
epidemie in den Jahren 1916/17. 

Josef Urbach: Akuter, spontaner Gastroduodenalverschluss. 

Bei heruntergekommenen Leuten kann es, besonders nach 
hastiger Einnahme einer grösseren schwerverdaulichen Mahlzeit zu 
einer bedrohlichen Erkrankung kommen, welche, manchmal unter 
dem Bilde der inneren Einklemmung oder der akuten Appendizitis 
auftretend, in akuter Magendilatation oder primärem, arteriomesen- 
terialen Duodenalverschluss im Sinne von v. Haberer besteht 
Falls die sofort eingeleitete Lagerungstherapie Schnitzlers und 
die Magenausspülung keine rasche Abhilfe bringen, ist die Gastro¬ 
enterostomie auszuführen. ' 

L. Arzt und Vinzenz Loncka: Ueber Pferdepiroplasmose in 
Südostalbanien. 

Nach den Beobachtungen der Verfasser ist praktisch schon zur¬ 
zeit der ganze Balkan bis zur Adria als piroplasmoseverseucht anzu¬ 
sehen. Eine Grenze der Verbreitung dieser Seuche nach Norden 
steht noch nicht fest. Diese bildet somit unzweifelhaft eine volks¬ 
wirtschaftliche Gefahr für den Pferdebestand der Donaumonarchie. 

Friedrich Spiegler: Ueber einen Fall von Alopecia universajis 
trophoneurotica nach Granatschock. 

Einem Soldaten, der bei einer Granatexplosion verschüttet und 
bewusstlos in ein Feldspital eingeliefert wurde, fielen 2 Tage nach 
der Explosion sämtliche Haare seines Körpers aus; es bestanden 
dabei heftige Kopfschmerzen. Der Fall kann nur trophoneurotisch 
i erklärt werden. 

Theodor v. Escher -Triest: Zur Verbandstoffersparnis. 

Der Verfasser empfiehlt, die Gaze, welche bei eiternden Wunden 
die erste Verbandschicht unter der saugenden Watte oder Holzwolle 
zu bilden pflegt, durch geeignetes Papier zu ersetzen. 

Nr. 41. Richard R. v. Wiesner-Wien: Streptococcus pleo- 
morphus und die sogen, spanische Grippe. 

Verfasser ist der Ansicht, dass die den „hämorrhagischen Cha¬ 
rakter“ der sogen, spanischen Grippe zusammensetzenden Erschei¬ 
nungen mit der Infektion mit dem Streptococcus pleomorphus Zu¬ 
sammenhängen und diese unabhängig von einer vorausgehenden 
Schädigung oder Sensibilisierung des Organismus durch die Infektion 
mit dem Pfeiffer sehen Bazillus oder einem anderen unbekannten 
Virus Zustandekommen können. 

Hermann Kahler: Erfahrungen über die „spanische Krankheit“ 
(Influenza). 

Verfasser kommt zu dem Schlüsse, dass die diesjährige epi¬ 
demische Erkrankung als eine Neuauflage der Pandemie von 1889/90 
anzusehen ist. Die fast vollständige Uebereinstimmung in bezug auf 
den Fieberverlauf, die Symptome, die Häufigkeit und Schwere der 
Komplikationen mit dem seinerzeit für die epidemische Influenza be¬ 
schriebenen Krankheitsbild lassen eine andere Deutung kaum zu. 
Dass die Erkrankung im allgemeinen leichter war als die damals 
beobachtete, hängt mit ihrem Auftreten im Frühsommer zusammen, 
wo eine geringere Steigerung zu Katarrhen der oberen Luftwege be¬ 
steht wie im Spätherbst. 

Mathilde Mayerhofer-Lateiner -Wien: Ein Fall von 
Meningitis purulenta, verursacht durch Mlcroooccus catarrhaüs. 

In einem Falle von eitriger Meningitis im Säuglingsalter, 
welcher anfangs einer Meningitis cerebrospinalis epidemica glich, 
aber einen günstigen Verlauf hatte, wurde der Micrococcus catar- 
rhalis als Erreger nachgewiesen. Häufige Lumbalpunktionen scheinen 
zum günstigen Verlauf beigetragen zu haben. 

G. Mann: Ueber einen Fall von Morbus Addison! mit höchst 
akutem Verlauf. 

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1254 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


Die ganze Krankheit führte in weniger als 4 Wochen zum Tode; 
obwohl beide Nebennieren durch den tuberkulösen Prozess beinahe 
vollständig zerstört waren, waren die Addison sehen Symptome 
kaum angedeutet und teilweise überhaupt nicht vorhanden. Die 
ungewöhnlichen konstanten Schmerzen beherrschten das ganze 
Krankheitsbild und führten durch ihre Eigentümlichkeit mehr als alle 
übrigen Symptome zur richtigen Diagnose. Mit Rücksicht auf die 
Beziehungen des Status thymico-lymphaticus zum chromaffinen 
System wäre der gleichzeitige Befund einer Thymuspersistenz als 
prädisponierendes Moment aufzufassen. Dieselbe mag den höchst 
akuten Verlauf mitverschuldet haben. 

L. Wiek; Ueber die Schaffung einer Tnberkulosenheilstätte im 
Süden der Monarchie. 

Vortrag, gehalten in der k. k. Ges. der Aerzte im Mai 1918. 

Siegfried Weiss: Zur Neuordnung der Säuglingsfürsorge ln 
Oesterreich. 

E. Friedberger: Zur Frage der Spezifität der X-Stämme 
und der W e i I - F e 1 i z sehen Agglutination bei Fleckfieber. 

Berichtigung zu dem Aufsatz von Dr. Emil Epstein in Nr. 36 
der W.kl.W. 1918. 

E. Epstein: Erwiderung auf obige Berichtigung. 

Zeller- München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Breslau. August und September 1918. 

Zerbe Franz: Ueber Perforationen von aussen in das Lumen des 
Magendarmkanals. (Nur Titelblatt.) 

Büchler Erich: Ueber Sarkome der Gebärmutteranhänge von 
zylindromatösem Bau. (Nur Titelblatt.) 

Wetschky Gottfried: Ueber Kriegsbasedow. (Beitrag zur Patho¬ 
genese des Morbus Basedowi.) 

Gramse Gerhard: Die Beziehungen des Aborts zum Geburtenrück¬ 
gang unter Berücksichtigung des Materials der Kgl. Universitäts- 
Frauenklinik zu Breslau. 

Fromme Arnold: Augenbeteiligung bei Gesichtsschüssen. 70 Fälle 
aus der Breslauer Universitäts-Augenklinik. 

Auvermann Helmut: Zur Kenntnis der Wirkungen des Imidozols. 

Universität Würzburg. August 1918. 

Bauer Heinrich: Die zentrale Leberruptur und ihre Folgen. 

Vereins- und Kongressberichte. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 16. Oktober 1918 

Herr Westenhoeffer: Ueber primäre noduläre Ruhr. 

Vortr. beschreibt eigenartige Veränderungen der Lymphknoten 
des Darms im Anfang der Ruhr, ev. die primäre Veränderung dar¬ 
stellend, die es verständlich macht, dass Arzneimittel den Erreger 
im Darm nicht erreichen. 

Diskussion: Herr Orth.. 

Herr Rubner: Neue Forschungen über Zusammensetzung und 
Verdaidiohkeit unserer Nahrungsmittel), 

N-haltige Substanzen sind nicht nur auf Eiweiss, sondern auch 
auf Amide und amidartige Stoffe zu beziehen. Pentosen können einen 
erheblichen Bruchteil unserer Nahrung ausmachen. Der oft ver¬ 
wandte Begriff Rohfaser ist nicht ganz klar. Nach der Methodik 
des Vortr. kann man die Zellmembranen isolieren, die das 2—3 fache 
der Rohfaser ausmachen. Sie können 40 Proz. der Trockensubstanz 
betragen: sie bestehen aus Zellulose, Pentosen und sog. Restsubstanz. 
Die Verdaulichkeit ist eine sehr wechselnde. Vortr. bemängelt die 
bisherigen Ausnutzungsversuche, weil bei dem Kot in erheblichem 
Masse Verdauungssäfte enthalten sind, also Kot mit der Ausnutzbar¬ 
keit der Nahrung nicht in direkte Relation gesetzt werden kann. 
Keine gemischte Kost hat mehr wie 7—8 Proz. Verlust. Die Zell¬ 
membranen in Obst und Gemüse werden oft sehr gut resorbiert, die 
im Getreide nur bis 40 Proz. 

Die Kleiebeimengungen im Brot verschlechtern die Resorption. 
Die Behauptungen über das Vollkornbrot sind nicht zutreffend. Die 
Kleie muss unter allen Umständen herausgebracht werden, weil sie 
die Resorption der Eiweisssubstanzen stört. Eine Gewöhnung an die 
Kleieverdauung tritt nicht ein. W. 

Sitzung vom 23. Oktober 1918. 

Herr Czerny: Die Serumbehandlung der Diphtherie. 

K a s s o w i t z ist stets ein Zweifler' an der Serumbehandlung 
gewesen, ebenso Reiche und Rumpel. Die entgiftende Wirkung 
ist bezweifelt worden, weil Diphtherieantitoxin und Pferdeserum ganz 
gleiche Resultate gaben (Bingel). Vortr. glaubt, dass er aus¬ 
gemusterte Diphtheriepferde zu seinen Versuchen benutzt haben 
könnte. Ferner hat er in seinen 2 Versuchsreihen zwar gleiche, aber 
gleich schlechte Resultate bei einer nicht bösartigen Epidemie er¬ 
halten. 

Sicher steht die Verhinderung des Uebergreifens der Diphtherie 
auf den Kehlkopf bei Heilserumtherapie, ferner eine um so günstigere 

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Wirkung, je früher dasselbe an gewendet wird. Ueber die Dosierung 
ist bishef eine Einigung nicht erzielt, Vortr. gibt 500 IE. auf das Kihiv 
Körpergewicht. Die Franzosen titrieren neben den Autotoxinen des 
antibakteriellen Wert. Ein Vergleich von Kl einschmidt ergab 
keine Ueberiegenheit des französischen Präparats. 

Diskussion: Herr v. Hansemann, Herr Kausch. 

Herr W. Hof mann: Gesichtsfurunkel und ihre Behandlung. 

Neuere Untersuchungen haben auch in den besonders gefähr¬ 
lichen Gesichtskarbunkeln und Furunkeln nur die banalen Eiter¬ 
erreger ergeben. Es liegt dies an den anatomischen Verhältnissen 
der Venen und der straffen Verbindung der Gesichtsmuskeln mit der 
Oberhaut, welche das Zustandekommen von Thrombophlebitiden be¬ 
fördert. Die Erkrankung setzt mit hohem Schüttelfrost ein, darauf 
folgt Apathie, brettharte Schwellung im Gesicht: Bild der Sinus¬ 
thrombose mit meningealen Reizerscheinungen. Pathologisch-ana¬ 
tomisch findet man das Bild der allgemeinen Pyämie mit Lungen¬ 
metastasen. 

Am meisten geübt ist zurzeit noch die ausgedehnte Spaltung. Die 
konservative Behandlung ist von Strohmeyer, Lenhartz und 
von der Bier sehen Klinik in Verbindung mit der StauungshypeT- 
ämie angewandt worden (cf. Ke pp ler, M.m.W. 1911, S. 1619). 
Mit einer 3cm breiten Baumwollgummibinde wird eine leichte Tour 
um den Hals gelegt, Schutzfilzplatten auf die Gefässe. Stauungsdauer 
20—22 Stunden. Es entsteht ein starkes Oedem, die Schmerzen 
lassen nach. Die harten Infiltrate erweichen in 2—3 Tagen, die 
Pfröpfe stossen sich ab. Verband der Wunden nur mit Ichthyol¬ 
vaselin. U. U. Beförderung der Erweichung durch Heissluftdusche. 

Reverdin 43 Fälle, 28 Todesfälle = 65 Proz. Bi er sehe 
Klinik 130 Fälle in 11 Jahren, davon 6 Todesfälle = 4,6 Proz. 

W.-E. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Aerztiicher Bezirksverein München. 

Die Mitgliederversammlung vom 17. Oktober befasste sich mit 
der Wahl der Delegierten zur Aerztekammer 1918 und mit den An¬ 
trägen zur Aerztekammer. Ein Teil der letzteren wurde bereits* 
im vorigen Jahre gestellt, sie erscheinen nur in einer besseren Form 
wieder. Neu angefügt sind die wichtigen Anträge zur Volksernäh- 
rung. Der Kalorienwert unserer Nahrung sinkt ja wieder herunter; 
die Ration soll, wenn möglich, erhöht werden. 

I. Die K. Staatsregierung möge ersucht werdep, die Beratung 
der Standes- und Ehrengerichtsordnung so rasch wie möglich zu* 
fördern. (Damit die Elemente, welche als Aussenseiter dem Stande 
schaden wollen, rasch gefasst werden können.) 

II. Die K. Staatsregierung möge ersucht werden, sich neuerlich 
dafür einzusetzen, dass ein von der Aerzteschaft gewählter 
Arzt Mitglied der ersten Kammer ‘ wird. (Nicht ein von der Re¬ 
gierung ernannter. In der Reichsratskammer kommen so viele ärzt¬ 
liche Angelegenheiten zur Sprache. Niemand kann für uns eintreten, 
weil der Sachverständige fehlt.) 

III. Die K. Staatsregierung möge ersucht werden, dahin zu 
wirken, dass die jetzt durch Verfügung der Generalkommandos be¬ 
stehenden Einschränkungen der Kurpfuscherei als Gesetz in die Frie¬ 
denszeit hinübergenommen werden. 

IV. Die K. Staatsregierung Ist zu ersuchen, dahin zu wirken, 
dass bei der Demobilisierung in erster Linie alle Aerzte des Be¬ 
urlaubtenstandes, welche schon vorher in freier Praxis standen, ent¬ 
lassen werden, wobei die Zeitdauer ihrer Tätigkeit ausserhalb des' 
Ortes der Berufsausübung zu berücksichtigen ist. Ferner sollen den 
heimkehrenden Aerzten gegebenenfalls militärische Stellen in ihrem 
Heimatsort zur Verfügung gehalten werden. (Es ist dies eine Er¬ 
gänzung eines Antrages des Kreises Schwaben. Eine bessere Fassung 
desselben wird sich finden lassen.) 

V. Die K. Staatsregierung ist zu ersuchen, dahin zu wirken, da» 
bei allen Krankenkassen des Staates freie Arztwahl 
eingeführt wird. (Es soll nicht gegen die Aerzte, welche jetzt soltihe 
Stellen einnehmen, mit diesem Antrag gearbeitet werden; sie sollen 
vielmehr als Vertrauensärzte Verwendung haben. Die Kranken¬ 
behandlung jedoch muss frei werden. Es ist dies ohnehin schon bei 
einem grossen Teil der staatlichen Kassen der Fall. Scholl wird 
ersucht, die diesbezüglichen Verhältnisse schriftlich darzustellen.) 

VI. Die K. Staatsregierung ist zu ersuchen, dafür einzutreten, 
dass bei den Fürsorge- und Jugendämtern und sonstigen öffentlichen 
Fürsorgeorganisationen den Aerzten die ihnen gebührende Stellung 1 
und Bezahlung gewährt werde. Die theoretische und praktische Aus¬ 
bildung der Aerzte in allen Fürsorgezweigen ist weiter auszubauen. 1 
(Gemäss Antrag Dornberger. Eine Anzahl von Aerzten kommet* 
invalide vom Felde herein. Diese sollen besonders zur Fürsorge 
herangezogen werden, damit sie ein Aequivalent für behinderte 
Praxisausübung haben. Es kann nicht verlangt werden, dass solche 
Leistungen unentgeltlich gemacht werden. Die Stellung des Arztes 
im Amte muss eine leitende oder mitleitende sein. Die Universitäten 
müssen dem Fürsorgewesen mehr Zeit widmen; die jungen Aerzte 
müssen gründlich au! dasselbe vorbereitet und in dasselbe einge¬ 
arbeitet werden.) — Im Anschluss an die Aussprache über Vor¬ 
stehendes widerlegt Scholl die unter den im Felde stehenden 
Aerzten verbreitete Ansicht, es geschähe in München zu wenig für 

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5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1255 


sie. Wir haben eine private Kriegshilfskasse, ferner ist ein Geld¬ 
grundstock da in dem Kapital aus dem 4proz. Abzug am Kassen¬ 
honorar seit Bestehen der freien Arztwahl. Ausserdem ist geplant, 
den von den Kassenärzten während der Kriegszeit erreichten Mehr¬ 
verdienst einer Besteuerung zu unterwerfen, etwa in der Weise, dass 
von dem in Zukunft jedenfalls erhöhten Kassenhonorar ein gewisser 
Prozentsatz, welcher im • Verhältnis zu dem Mehrverdienst steht, 
den nichteingerückten Aerzten in Abzug kommt. Auch die Gemeinde 
soll eine bestimmte Summe gegen geringen Zins zur Verfügung 
stellen. — Stets muss bei der Beihilfeverteilung streng individualisiert 
werden. — Die Angelegenheit soll auch in der Aerztekammer zur 
Sprache gebracht werden. 

VII. Für die Volksernährung im kommenden Wirtschaftsjahr sind 
vom ärztlichen Standpunkte aus folgende Forderungen zu stellen: 

a) Erhöhung der Kartoffelration auf 10 Pfund wöchentlich ist 
unbedingt nötig. 

b) Es muss gestattet werden, sich 4 Zentner Kartoffeln einlagern 
zu dürfen. 

c) Die Ausmahlung des Getreides ist auf 80 Proz. herabzusetzen; 
ist das nicht zu erreichen, so sind zwei Mehlsorten herzustellen und 
zu verbacken, eine 94 und eine 80 proz. Zum mindesten muss die 
Möglichkeit gewährt werden, sich Brot aus enthülstem Korn (nach 
Steinmetz oder Gross) zu verschaffen. (Ueber die politische 
und technische Möglichkeit der Durchführung dieses Vorschlages 
sind die Ansichten sehr geteilt.) 

d) Die Kleie ist als Viehfutter zu verwerten und muss im Preise 
niedriger sein als Vollgetreide. 

e) Der Schweinebestand darf unter keinen Umständen die Zahl 
vom Februar 1918 überschreiten. (Soll auf einem Stand gehalten 
werden, dass die Verfütterung von für den Menschen brauchbaren 
Nahrungsmitteln nicht nötig.) 

f) Der Bezug von Weisskraut, Sauerkraut und anderen Ge¬ 
müsen muss erleichtert werden. 

g) Der Bevölkerung sind in möglichst reichlichem Masse Hafer¬ 
mehl und Haferpräparate zuzuteilen, (ln den Hafergegenden Bayerns 
war die Ernte sehr gut.) 

Antrag Hecht: Bezugnehmend auf die in der vorjährigen 
Aerztekammertagung gefasste Resolution, erklärt die oberbayerische 
Aerztekammer, dass die militärische Stellung der Landsturmärzte 
und die militärische und rechtliche Stellung der vertragverpflichteten 
Zivilärzte nach wie vor den entschiedensten Einspruch der deutschen 
Aerzteschaft hervorruft, dass sie aber aus Rücksicht auf die der¬ 
zeitige ernste Zeit davon absieht, erneut in die Erörterung dieser 
Frage einzutreten. 

Eine Anregung K r ü c h e s betr. die Besetzung der oberen 
städt. Verwaltungsstellen mit Nichtjuristen soll in der Aerztekammer 
nicht zur Sprache gebracht werden. 

Der Antrag Nürnberg auf Abänderung des § 184 RVO. 
in dem Sinne, dass die Krankenkassen bei ansteckenden Krankheiten 
Krankenhauspflege gewähren müssen, wird übernommen; dagegen 
derAntragBayreuth: die abgebrauchten, mit Krankheitskeimen 
reich besetzten Geldscheine möglichst durch neue zu ersetzen, ab¬ 
gelehnt, weil es technisch unmöglich ist, hygienisch einwandfreie 
Scheine herzustellen. 

Gewünscht wird, dass die Aerztekammern zu einer günstigeren 
Zeit zur Einberufung kommen sollten. Sie zu einer einzigen bayeri¬ 
schen Aerztekammer zusammenzulegen, wäre wohl an der Zeit. 
Gegen die neue Art der Verbescheidung der Kammeranträge soll 
energisch protestiert werden. Es wurden nämlich Anträge von Ober¬ 
bayern abgelehnt, weil sie nicht in den übrigen Kammern ebenfalls 
vertreten waren. 

Abgeordnete zur Aerztekammer mit ihren Stellvertretern: 
Dörnburger (Scholl), Hecht (Nassauer), Henkel 
(Freudenberger), Kerschensteiner (Geissendörfer), 
Rehm (Kolbeck), Uhl (Cohn). Freudenberger. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 4. November 1918. 

— Kriegschronik. Während die Westfront immer erneuten 
Anstürmen der feindlichen Uebermacht heldenhaften Widerstand ent¬ 
gegensetzt, ist die österreichisch-ungarische Front gegen Serbien und 
Italien völlig zusammengebrochen. Die Armee läuft, wie einst die 
russische, auseinander. Ohne ernstliche Gegenwehr zu finden, haben 
die Ententetruppe Venetien zurückgewonnen und Triest, Laibach und 
Fiume besetzt. Das ist die natürliche Folge der Auflösung des staat¬ 
lichen Bandes, das die Völker Oesterreichs bisher zusammenhielt. 
Die letzte Tat der gewesenen Regierung des Kaisers Karl war der 
Bruch des Bündnisses mit Deutschland und ein Sonderfriedensangebot 
an Wilson. Da gleichzeitig auch die Türkei Waffenstillstand mit 
der Entente geschlossen hat, steht Deutschland in dem gewaltigen 
Kampfe gegen die Welt jetzt ganz allein. Tatsächlich muss es auch 
die österreichischen Völker jetzt zu seinen Feinden zählen. Tschechen 
und Magyaren haben bereits durch Sperrung des Verkehrs auf Eisen¬ 
bahnen und auf der Donau und durch Beschlagnahme von rollenden 

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und schwimmenden Gütern feindselige Akte gegen Deutschland unter¬ 
nommen. Ein Lichtstrahl in dem Düster dieser Götterdämmerung ist 
das Verhalten der Deutsch-Oesterreicher, die in ihren bisherigen 
Kundgebungen den Bruch des Bündnisses verurteilt und den engen 
Anschluss an die Deutschen im Reiche gefordert haben. — In Deutsch¬ 
land wird den Vorschlägen für einen Waffenstillstand entgegenge¬ 
sehen, der, wie die letzte Note Solfs an Wilson sagt „einen 
Frieden der Gerechtigkeit einleitet, wie ihn der Präsident in seinen 
Kundgebungen gekennzeichnet hat“. Die innerpolitischen Um¬ 
wälzungen im Deutschen Reiche durch Einführung des parlamentari¬ 
schen Regierungssystems setzen sich auch auf die Bundesstaaten 
fort. Die einst heftig bekämpfte preussische Wahlrechtsreform ist 
von beiden Häusern der Volksvertretung mit grosser Mehrheit ange¬ 
nommen worden; in Sachsen und Bayern sind Schritte erfolgt, die die 
parlamentarische Regierungsweise herbeiführen sollen. Ein äusseres 
Zeichen der Unterstellung der Kommandogewalt über das Heer und! 
die Marine unter parlamentarische Kontrolle ist die Verabschiedung 
Ludendorffs. Mit tiefem Schmerz sieht das deutsche Volk den 
grossen Mitarbeiter Hindenburgs, dessen Name mit den glän¬ 
zendsten Erfolgen des deutschen Heeres im Kriege untrennbar ver¬ 
knüpft ist, von seinem Posten scheiden. Wenn es ihm auch nicht 
vergönnt war. Unmögliches möglich zu machen und dem Vaterlande 
den Sieg gegen die vielfache Uebermacht zu erstreiten, so hat er 
doch den deutschen Waffen neuen unvergänglichen Ruhm gewonnen 
und sich damit den dauernden Dank der Nation gesichert. 

— Entgegen früheren Veröffentlichungen können nur die Me¬ 
dizinstudierenden zur Fortsetzung ihres Studiums vom 1. No¬ 
vember 1918 ab beurlaubt werden, die vor Kriegsausbruch nach völlig 
bestandener Vorprüfung zwei klinische Semester — einschliesslich 
eines Militärsemesters — absolviert hatten. 

— Im bayerischen Landtag haben Zentrumsabgeordnete folgende 
Interpellation eingebracht: „Ist der Staatsregierung bekannt, dass die 
zurzeit epidemisch auftretende Grippe in vielen bayerischen Stadt- 
und Landgemeinden infolge des Aerztemangels nicht genügend be¬ 
kämpft werden kann? Welche Schritte gedenkt sie zu tun, um 
dieser furchtbaren Gefahr, vor allem auch durch eine bessere ärzt¬ 
liche Versorgung wirksam zu begegnen?“ In seiner Antwort konnte 
der Minister des Innern Dr. v. B r e 11 r e i c h darauf hinweisen, dass 
der Kriegsminister ersucht wurde, die Aerzte der Orte, an denen 
die ärztliche Versorgung gefährdet erscheint, im Falle ihres Einver¬ 
ständnisses vom Heeresdienst wieder freizugeben, und im Falle einer 
drohenden Gefährdung von der Einberufung von Aerzten abzusehen. 
Die Heeresverwaltung habe bei nachgewiesener Gefährdung der ärzt¬ 
lichen Versorgung der Zivilbevölkerung, soweit es die Heeres- 
interessen irgend gestatten, die Freigabe oder Zurückstellung von 
Aerzten verfügt. Uebrigens sei bei den letzten Erhebungen über 
den Stand der ärztlichen Versorgung im Mai d. J. nur von der Re¬ 
gierung von Unterfranken über ernstere Schwierigkeiten geklagt wor¬ 
den. Kriegsminister v. Hellingrath sagte zu, dass den Absichten 
der Interpellation durch Beurlaubung von Aerzten Rechnung getragen 
werden solle. Trotz der sich verschärfenden Betriebsstofflage sei den 
Aerzten bisher ein Monatsbetrag von 80—100 kg Betriebsstoff für 
den Wagen zur Verfügung gestellt worden. Dieser Satz wurde auch 
beibehalten, als er im Felde verkürzt wurde. Alle Betriebsstoff¬ 
anforderungen der Aerzte würden auch ferner erfüllt. Ungünstiger 
liege die Frage der Bereifung. Doch werden die Aerzte noch tun¬ 
lichst mit Gummibereifung versorgt. In Ausnahmefällen werden auch 
militäreigene Wagen abgegeben. Gleichwohl wird in absehbarer 
Zeit nur mehr Ersatzbereifung möglich sein. Geheimrat Dieu- 
d o n n 6 betonte die Notwendigkeit des Selbstschutzes und peinlicher 
Reinlichkeit. Generelle Massnahmen seien nicht möglich. 

— Wie an anderen Orten, bestehen auch in Braunschweig 
Schwierigkeiten bezüglich der Erneuerung des zwischen Kranken¬ 
kassen und Aerzten abgeschlossenen Vertrags. In einer in dieser 
Sache abgehaltenen Versammlung des Verbandes von Kranken¬ 
kassen im Herzogtum Braunschweig sprach J. Frässdorf -Dres¬ 
den „über die Bedeutung der Arztfrage für die Krankenkassen“. 
Er trat, nach der D. Krankenkassen-Ztg., u. a. auch für die Aus¬ 
dehnung der Fürsorgepflicht auf die Familien ein. Er bezeichnete als 
notwendig, überall die Höchstleistungen zu erreichen, die Bar¬ 
unterstützungen zu erhöhen, damit die Kranken sich zur Wiederher¬ 
stellung ihrer Gesundheit wirklich etwas leisten können, ferner Bei¬ 
behaltung der Reichswochenhilfe, aber nicht auf Kosten der Kassen, 
Erhöhung der Sterbegelder, beste ärztliche Behandlung genau wie 
bei Privatpatienten. Endlich forderte er noch die Errichtung einer 
Stelle, an der jederzeit ärztliche Hilfe zu haben ist. Dass die Herbei¬ 
führung dieses goldenen Zeitalters grosse Mittel und darum beträcht¬ 
liche Erhöhung der Beiträge erfordern würde, hören wir nicht. Herr 
Frässdorf erblickt eben wohl die Bedeutung der Arztfrage für 
die Krankenkassen darin, dass all diese schönen Dinge auf Kosten der 
Aerzte, denen die zeitgemässe Bezahlung ihrer Leistungen zu ver¬ 
weigern ist, einzuführen sind. 

— Man schreibt uns aus Frankfurt a. M.: Ein Institut für 
Kolloidforschung wurde zu Frankfurt a. M. aus den 
Mitteln der „Neubürger-Stiftung“ errichtet und kürzlich in Betrieb 
genommen. Es befindet sich im Theodor-Stern-Haus der Universität. 
Zum Leiter wurde Prof. Dr. B e c h h o 1 d ernannt. Schon Paul Ehr¬ 
lich erkannte die Bedeutung der Kolloidforschung. ' Seiner welt- 

■ Original fram 

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1256 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


blickenden Initiative ist die Begründung des Instituts zu verdanken. 
Es soll eine Verbindung schaffen zwischen der reinen Wissenschaft 
und der Praxis. Die Kolloidforschung ist in erster Linie berufen, 
unsere Kenntnis vom Organismus zu erweitern, sie ist die Brücke 
zwischen der unbelebten Welt der chemischen Molekel und der Welt 
der Organismen. Ihre praktische Anwendung dürfte insbesondere 
auch der Hygiene und Therapie reichen Nutzen bringen. 

— Die ZahlderFeuerbestattungenhatinPreussen 
in den letzten 6 Jahren beträchtlich zugenommen; sie betrug von 
1912 bis 1917: 97, 1174, 1749, 1886, 2297, 3153, zusammen 10 356. Da¬ 
von haben 6422 in Berlin stattgefunden. 

— Die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie veranstaltet 
einen G e w erbe hygienischen Kurs in Halle (Hygienisches 
Institut). Beabsichtigt sind 4 Vorträge, je 2 am Sonnabend den 9. 
bzw. 16. November, beginnend jeweils 4 Uhr nachm. Vortrags¬ 
themen: 1. Einführung in die Oewerbepathologie und Gewerbe¬ 
hygiene, K o e 1 s c h - München. 2. Berufliche Schädigungen durch 
ätzende Gase und Behandlung beruflicher Vergiftungen durch Sauer- 
stoffematmungen, Curschmann -Wolfen. 3. Berufliche Schädi¬ 
gungen durch aromatische Kohlenwasserstoffe unter besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Munitionsbetriebe, K o e 1 s c h - München. 4. Be¬ 
gutachtung beruflicher Erkrankungen, Curschmann -Wolfen. Be¬ 
teiligung kostenlos. Anmeldungen an die Berufsgenossenschaft der 
Chem. Industrie, Berlin W. 10, Sigismundstr. 3. 

— Am 17. November, nachmittags um 3Va Uhr findet in Dort¬ 
mund eine Versammlung der Niederrheinisch - West¬ 
fälischen Gesellschaft für Kinderheilkunde statt. 
Anmeldungen werden erbeten an Prot. Dr. Engel in Dortmund, 
WelsSenburgerstr. 50. (hk.) 

— Auf dem Wiener Kriegsfürsorgekongress (vergl. den Bericht 
in Nr. 40) sprach, wie wir nachtragen wollen, Doz. Schütz- Wien 
über Arbeitsfähigkeit intern Kriegsbeschädigter. 
Ihre Begutachtung wird mittels probeweiser Verwendung durch¬ 
geführt. An der Hand von Kurven werden die Erfahrungen an chro¬ 
nischen Nephritikern und Nephritisrekonvaleszenten dargestellt. Die 
probeweise Arbeit wird nach entsprechender „Vorkalibrierung“ in 
einer Nierenstation mit periodischen Terminbeobachtungen bei tasten¬ 
den Belastungsproben ausgeführt. Bei Herz-, Magen- und Rheuma¬ 
tismuskranken sind die Schwierigkeiten grösser. Wegen der sozialen 
Gefahren langer Beschäftigungslosigkeit halbgesunder Rekonvales¬ 
zenten ist systematische individuelle Arbeit noch während der Spi¬ 
talsbehandlung notwendig. 

— Der Obermedizinalrat Dr. Rudolf Camerer in Stuttgart ist 
unter Belassung in seiner Stellung als Mitglied des Medizinalkolle¬ 
giums zum Direktor der Kgl. Heilanstalt Winnental ernannt worden; 
die Stelle des Direktors der Heilanstalt Zwiefalten übernimmt der 
Oberarzt Dr. Julius D a i b e r von der Heilanstalt Weinsberg, (hk.) 

— Die Choleraerkrankungen in Berlin und Um¬ 
gegend sind sämtlich erloschen. Im ganzen handelte es sich um 
10 Erkrankungen, von denen 15 tödlich geendigt und 4 in Ge-i 
nesung übergegangen sind, sowie um 3 Bazillenträger. 

— Cholera. Deutsches Reich. In der Woche vom 13. bis 
19: Oktober 1 Erkrankung auf einem Kahne in Bremen. — Ukraine. 
Ih Jekaterinoslaw sind bis zum 12. Oktober 7 Erkrankungen mit 
6 Todesfällen festgestellt worden. 

Ruhr. Preussen. In der Woche vom 6. bis 12. Oktober sind 
757 Erkrankungen (und 114 Todesfälle) gemeldet worden. 

— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 
13. bis 19. Oktober 3 Erkrankungen mit 1 Todesfall unter polnischen 
Arbeitern in Königshütte. 

— In der 41. Jahreswoche, vom 6. bis 12. Oktober 1918, halten 
von deutschen Städten über 40000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Beuthen mit 77,2, die geringste Lehe mit 9,5 Todesfällen pro 
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Diphtherie und Krupp in Colmar i. E., Cottbus, Wilhelms¬ 
haven. (Vöff. d. Kais. Ges.A.) 

Hochschulnachrichten. 


dienjahre 1918—19 Studierende aus Kronländem, die eigene Universi¬ 
täten besitzen, nur in sehr beschränkter Zahl aufgenommen werden. 
2. Insbesondere gilt dies — und zwar ohne Rücksicht auf ihren der¬ 
zeitigen Aufenthalt — von Studierenden im ersten Semester, die nach 
Galizien zuständig sind, deren Aufnahme nur in besonderen Ausnahme¬ 
fällen erfolgen kann. 3. Die gleiche Beschränkung ist erforderlich für 
nach der Bukowina zuständige Studierende, sofern sie polnische 
Gymnasien absolviert haben oder sonst in der Lage sind, galizische 
Universitäten aufzusuchen. 4. Die Aufnahme von ausländischen Stu¬ 
dierenden unterliegt gleichfalls weitgehenden Beschränkungen und 
wird vom Dekanate fallweise beurteilt und entschieden werden. 
5. Die vorstehenden Bestimmungen (Punkt 1—3) finden auf Militär¬ 
mediziner keine Anwendung. 

Prag. Der Landes-Sanitätsreferent in Prag Statthaltereirat 
Dr. Franz K u 1 h a v y wurde als Privatdozent für Staatshygiene und 
öffentliche Gesundheitspflege an der tschechischen Universität in 
Prag zugelassen, (hk.) 

Todesfälle. 

In München starb am 25. Oktober an der Grippe der a. o. 
Professor Dr. Walter B r a s'c h, Oberarzt der 2. medizinischen Ab¬ 
teilung für innere und Nervenkrankheiten im Krankenhause München- 
Schwabing, 40 Jahre alt. Von ihm stammt eine vortreffliche Dar¬ 
stellung des klinischen Bildes der Influenza dieses Sommers (Nr. 30 
d. W.). Im Felde hat er sich um die Erforschung des Fünftage¬ 
fiebers verdient gemacht. Auch sonst verdankt man ihm eine Anzahl 
tüchtiger klinischer Arbeiten. Im Aerztlichen Verein München hat 
er sich als ausgezeichneter Redner hervorgetan. Sein frühes Hin¬ 
scheiden ist tief zu beklagen. 

In Königsberg starb am 22. Oktober Dr. med. Richard Zander, 
ord. Honorarprofessor und Abteilungsvorsteher am anatomischen 
Institut der dortigen Universität im 63. Lebensjahre, (hk.) 

Der emer. ord. Professor der Anatomie an der Erlanger Uni¬ 
versität Dr. Leo Ger lach starb am 20. Oktober im Alter von 
67 Jahren, (hk.) 

In Heidelberg starb der etatsmässige a. o. Professor und 
Direktor des zahnärztlichen Instituts an der dortigen Universität 
Dr. GottLieb Port im Alter von 51 Jahren, (hk.) 

Im Alter von 69 Jahren ist der Direktor der Kinderklinik an der 
deutschen Universität in Prag, Obersanitätsrat Prof. Dr. Alois 
Epstein, Primärarzt der Kgl. böhm. Landes-Findetanstalt, ge¬ 
storben. (hk.) 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben: 
Feldhilfsarzt Emil Baumbach, Berlin. 

Oberarzt d. Res. Hugo Behrendt, Kainzenbad. 

Oberarzt Otto Blauchart, Rostock. 

Hilfsarzt Jos. Buchmann, Weissenburg. 

Feldhilfsarzt Friedr. Fichtner, Guben. 

Feldhilfsarzt Erich Hirschberg, Bromberg. 
Feldunterarzt Max Kersch bäume r, Taufklrchen. 
Feldunterarzt Heinr. Kn ab, Bruchenbrücken. 

Feldhilfsarzt Wilh. Liebes, Berlin. 

Feldhilfsarzt Hermann Lücke, Ueckermünde. 

Stabsarzt Felix Mohn, Oschatz. 

Stabsarzt Karl N e u b e r t, Gröbzig. 

Stabsarzt Bruno Ranke, Friesack. 

Feldhilfsarzt Christian Schade, Fürstenau. 

Oberarzt d. Res. Willi Schürmann, Dresden. 

Oberarzt d. Res. Otto S c h w i e d I e r, Weitzenberg. 
Oberstabsarzt d. Res. San.-Rat Bernhard S e e g e r, Kiel. 
Oberarzt d. Res. Hermann T h e i 1 e, Hof. 

Feldhilfsarzt Curt Wichmann, Hoisbüttel bei Wohldorf. 


Berlin. Dem dirigierenden Arzt der II. chirurgischen Ab¬ 
teilung des Auguste-Viktorfa-Krankenhauses in Berlin-Schöneberg 
Dr. Otto Nord m a n n wurde der Titel Professor verliehen, (hk.) 

Frankfurt a. M. Dem Privatdozenten Dr. Karl Altmann, 
Oberarzt an der Hautklinik, wurde der Titel Professor verliehen. 

Dresden. Prof. C o n r a d i, Abteilungsvorsteher an der 
K. Zentralstelle für öffentliche Gesundheitspflege in Dresden und 
Privatdozent für Hygiene und Bakteriologie an der hiesigen Tech¬ 
nischen Hochschule, hat dem früher an ihn ergangenen Ruf als ordent¬ 
licher Professor der Hygiene an die vlämische Universität in Gent 
infolge der Kriegsereignisse nicht Folge leisten können. 

Dorpat. Den Lehrstuhl für Psychiatrie und Nervenheilkunde 
hat Privatdozent Dr. Bresowsky-Dorpat inne, während Privat¬ 
dozent Dr. P a 1 d r o c k - Dorpat Haut- und Geschlechtskrankheiten 
liest. (Vergl. d. W. Nr. 40.) 

Wien. Der Dekan der medizinischen Fakultät hat nachstehende 
Kundmachung erlassen: I. Infolge des grossen Andranges von Militär¬ 
medizinern und im Zusammenhänge mit dem seinerzeit vom Pro- 


Kollegen Münchens 

vergesst nicht die Aerztliche Kriegshilfskasse! 

Denkt an die Kollegen Im Felde, die nach ihrer Rückkehr mit schwerer 
Not zu kämpfen haben. 

Insbesondere lasst das kollegiale Honorar in 
die Aerztliche Kriegshilfskasse fliessen. 

Einzahlungen sind zu machen auf das Scheckkonto Nr. 9263 der 
Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse bei der Bayerischen- Hypo¬ 
theken- und Wechselbank München, Theatinerstrasse 11 (Postscheck¬ 
konto der Bank Nr. 322), Wertpapiere sind zu hinterlegen auf das 
Depotkonto 75 859 der Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse, 
gleichfalls bei der Bayer. Hypotheken- und Wechselbank. 

Münchener Aerztliche Kriegshilfskasse. 

Hofrat Dr. Freudenberger, Prof. Dr. Kerschensteiner, 
Hofrat Dr. Kr ecke, Sanitätsrat Dr. Scholl, Hofrat Dr. Spatz. 


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lesehlossenen hfumerus clausus können im Stu- 1 





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Beilage zu Nr. 45 der Münchener medizinischen Wochenschrift, 


Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten*). 

Zyklus ärztlicher Fortbildungsvortrftge 

veranstaltet auf Veranlassung der Medizinalabteilung des K. B. Kriegsministeriums vom Landesverband für das ärztliche 
Portbildungswesen in Bayern gemeinsam mit dem Aerztlichen Verein München im Juni 1918. 


Die Reihe der Vorträge eröffnet Se. Exzellenz Generalstabsarzt der bayerischen Armee, Universitätsprofessor 


Dr. Ritter v* Seydel mit nachstehender Ansprache: 

M. H.l Vor allem spreche ich dem Landesverband für ärztliches 
Fortbikiungswesen in Bayern und dem Aerztfcichen Verein München 
den besten Dank des Kriegsministeriums aus für die Be¬ 
reitwilligkeit, mit der sie von neuem einer Anregung des Kriegs- 
mmisterrums entsprachen, indem sie diese Vortragsreihe über die Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten veranstalten und darin durch 
erste Fachmänner Fragen zur Erörterung bringen, die die Interessen 
des Heeres und unser ganzes Volksleben aufs innigste berühren. 

Dass die Geschlechtskrankheiten in der Auffassung weiter 
Volkskreise eine Stellung einnehmen, die von der der übrigen 
Infektionskrankheiten abweicht, dass den geschlechtlich Erkrankten 
fast durchwegs nur Vorwurf und Abscheu entgegengebracht wird!, 
sind Tatsachen, die m der Art der Entstehung der Krankheit und 
in den ethischen und moralischen Anschauungen des Volkes Ihre Er¬ 
klärung finden. 

Für uns kommt hier lediglich der Standpunkt des Arztes in Frage. 
Seine Aufgabe ist es, der Krankheit nachzuspüren, seine Mitmenschen 
aufzuklären, dem Kranken zu helfen. 

So erheischt es das Wohl des einzelnen wie der Gesamtheit, so 
verlangen es die wirtschaftlichen und sozialen Interessen uneres Vol¬ 
kes, so fordert es die hohe Auffassung unseres Berufes. 

Die Heeresverwaltung, der in diesem Kriege die Sorge für Leben 
und Gesundheit grosser Bestandteile unseres Volkes anvertraut ist, 
war sich der damit übernommenen schweren Verantwortung auch 
hinsichtlich des Kampfes gegen die Geschlechtskrankheiten voll be¬ 
wusst. 

Der Krieg selbst zeitigt eine Reihe von Verhältnissen, die der 
Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten nur zu günstig sind, wie ich 
sie nicht näher zu schildern brauche. Aber andererseits werden durch 
die Einziehung zum Heeresdienste eine grosse Zahl Geschlechts¬ 
kranker erfasst und der Behandlung zugeführt die andernfalls un¬ 
behandelt eine Quelle neuer Ansteckungen blerben würden. , 

im Kampfe gegen die Gechlechtskrankheiten nimmt die Heeres¬ 
verwaltung den Standpunkt ein, dass den Soldaten vor allem klar¬ 
gemacht werden muss, dass die Vermeidung des ausserehelichen Ge¬ 
schlechtsverkehrs oder die geschlechtliche Enthaltsamkeit den wirk¬ 
samsten Schutz gegen die Ansteckung bildet, dass aber nach Lage 
der Verhältnisse eine ausreichende Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten nur erreicht werden kann durch Verminderung der An- 
steckungsmöglichkeften, Ausmerzung der Ansteckungsquellen und 
rechtzeitige und fachgemässe Behandlung geschlechtlich Erkrankter. 

Auf diesen bewährten Grundsätzen bauen sich die Massnahmen 
auf, die im Feldheere die unverkennbaren Erfolge in der Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten zeitigten. Aerzte, darunter 


hervorragende Spezialisten, Offiziere und Feldgeistliche sorgen in 
Wort und Schrift für Warnung und Aufklärung der Soldaten. Ener¬ 
gisch durch geführte Anordnungen sind gegen die Quelle der meisten 
Geschlechtskrankheiten, die Prostitution* gerichtet Regelmässige 
Untersuchungen der Mannschaften, sofortige und fachmännische Be¬ 
handlung Angesteckter in neuzeitlich ausgestatteten Sonderlazaretten 
werden durchgeführt. 

Im Besatzungsheere sind gleiche, den örtlichen Verhält¬ 
nissen angepasste, umfangreiche Bestimmungen getroffen. 

Militärische und gesetzliche Massnahmen werden es bei der 
Demobilmachung nach menschlicher Berechnung verhindern, 
dass ansteckend Geschlechtskranke entlassen 1 weiden und ihre 
Krankheit weiterverbreiten. 

Auf einen Punkt in der Bekämpfung und Behandlung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten glaube ich noch hmweisen zu sollen. 

Wir Aerzte haben einen tiefen Einblick in die erschütternden 
und tragischen Folgen geschlechtlicher Ansteckung gewonnen!, wir 
wissen, wie Familienglück, Ehe und Nachkommenschaft oft durch 
einen im jugendlichen Leichtsinn begangenen Fehltritt vergiftet wer¬ 
den können und unser Beruf als Berater unserer Mitmenschen ver¬ 
pflichtet uns, laut und eindringlich vor diesen Gefahren zu warnen. 

Aber gerade wir Aerzte haben auch Einblick in die Früchte der 
ärztlichen Arbeit auf diesem Gebiete, wir kennen die segensreiche 
Wirkung mancher alter und neugewonnener Heilmethoden, wissen, 
dass die Geschlechtskrankheiten keineswegs immer jene gefürchteten, 
schrecklichen Folgen haben müssen, dass nicht immer die Kinder 
unter den Sünden ihrer Väter leiden müssen und als Helfern und 
Freunden unserer Kranken erwächst uns aus dieser Kenntnis die 
Pflicht, den geschlechtlich Erkrankten rechtzeitig auch die Möglich¬ 
keit der Rettung und Heilung zu zeigen. 

Nur der Geschlechtskranke, dem die Aussicht winkt, von seinem 
Uebel und dessen Folgen doch noch befreit zu werden, wird sich 
rechtzeitig und mit Vertrauen an den Arzt wenden, weim ihm dagegen 
vom Arzte nur das Schreckgespenst des körperlichen und geistigen 
Verfalls und der Ansteckung seiner Angehörigen gezeigt wird, so 
wird er nur zu leicht in die Hände des ihm Rettung verheissenden 
Kurpfuschers getrieben, oder quälenden Selbstanklagen, wenn nicht 
der Verzweiflung und geistiger Erkrankung preisgegeben. 

Wenn wir uns in den kommenden, von berufenen Männern ge¬ 
haltenen Vorträgen das Wesen und die Wege der Geschlechtskrank¬ 
heiten und das ärztliche Rüstzeug zu ihrer Bekämpfung wieder vor 
Augen halten, so legen wir uns damit nur von neuem Rechenschaft 
ab über unsere ernste Pflicht und Aufgabe, unseren Kranken zu 
helfen. 


Der jetzige Stand der Syphilistherapie, 

Von Prof. Leo v. Zumbusch. 


M. D. u. H.! Schon kurze Zeit, nachdem die Syphilis an der 
Wende des 15. und 16. Jahrhunderts ihren Zug durch Europa vollendet 
und sich allenthalben verbreitet hatte, kam das Quecksilber als 
Heilmittel in Gebrauch. Um der Kürze der Zeit willen muss ich es 
mir versagen, die alten Methoden und ihre Wandlungen zu be¬ 
sprechen; ich will nur kurz daran erinnern, wie man am Ende 
des neunzehnten Jahrhunderts die Behandlung übte. Damals unter¬ 
zog man, ausgehend von dem Gedanken, dass die Syphilis eine chro¬ 
nisch rezidivierende und schwer, ja fast gar nicht heilbare Krank¬ 
heit sei, die Kranken der sog. chronisch intermittierenden Behand¬ 
lung nach Fournier und Ne iss er. In Abständen Hess man im 
ersten Jahr 4, im 2. Jahr 3, dann noch durch etwa 3 Jahre ie 
2 Quecksilberschmier- odeT Spritzkuren, meist mit anschliessender 
Joddarreichung, machen. 

Die Lehre von der Syphilis befand sich zu dieser Zeit in einem 
gewissen Stillstand. Das Krankheitsbild war gut bekannt, niemanl 
zweifelte am parasitären Ursprung, viele Fragen harrten jedoch ver¬ 
geblich der Lösung. 


Nun setzte mit Metschnikoffs gelungener Uebertragung der 
Syphilis auf anthropoide Affen die Reihe der wichtigen Entdeckungen 
ein. welche unseren Standpunkt ganz verändern sollten. N e i s s e r 
erweiterte unsere Kenntnisse, indem er in Ostindien ausgedehnte 
Tierversuche an Affen anstellte, später wurde dann auch die Ueber¬ 
tragung auf andere Tiere als möglich erkannt, Uhlenhut und Mul- 
zer gelang die Infektion des Kaninchens durch Einbringung virulenten 
Materials in den Hoden, wo sich dann Orchitis syphilitica entwickelt 
Viel ergebnisreicher noch war die Entdeckung der Spirochaete 
pallida durch Schau dinn und Hoff mann im Jahre 1904; be¬ 
sonders als neben der Giemsafärbung, welche ausserordentlich zarte 
Bilder liefert, so dass das Auffinden für den nicht sehr Geübten 
immerhin schwierig ist, die Tuschemethode nach Burri und die 
Beobachtung der lebenden Parasiten im Dunkelfeld hinzukamen. Es 
ist selbstverständlich, dass auch die Kultur der Spirochäte, für welche 
N o g u c h i und Sowadc Methoden (die von Sowade ist nach 
meiner Erfahrung brauchbarer) angaben, manchen neuen Gesichts¬ 
punkt ergab. 


*) Die Veranstaltung dieser Beilage ist nur möglich gewesen infolge einer auf Vermittlung der Medizinalabteilung des K. B. Kriegsministeriums 
von der Reichspapierstelle gewährten ausserordentlichen Papierzuweisung. Wir sprechen Sr. Exz. Herrn Generalstabsarzt r. Seydel dafür unseren 
verbindlichsten Dank aus . * - rvf - c -*■-*’-* 

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Die SfhnfUeltiuig. 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 







1258 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


Kurze Zeit später endlich wurde die Syphilislehre durch die 
Wassermann-Neisser-Brucksehe Reaktion bereichert, eine 
der geistreichsten Methoden, die fe erdacht wurden. Auf den Ge¬ 
dankengang der Reaktion oder auf die Methode der Ausführung 
einzugehen, ist kaum nötig, dazu ist die Sache zu bekannt, Details 
zu bringen, hat aber kein allgemeines Interesse. Dagegen scheint 
es vielleicht angebracht einige Worte darüber zu sagen, was uns 
die Reaktion leistet 

Um die Bedeutung der W a s s e r m a n n sehen Reaktion voll 
erfassen zu können, müssen wir uns darüber klar sein, was sie zu 
leisten vermag. Ich kann nicht leugnen, dass man ab und zu den 
Eindruck gewinnt, als fänden manche Punkte in dieser Sache nicht 
immer die richtige Würdigung. So muss in erster Linie betont wer¬ 
den, dass die Reaktion nicht dazu in erster Linie dienlich ist, dass 
man erkenne, ob jemand Syphilis hat oder nicht Sie ist nicht ein 
bequemes, zeitsparendes und klinische Kenntnisse ersetzendes Aus¬ 
hilfsmittel. Sehen wir schon davon ab, dass auch andere Leiden 
positive WaR. geben, was mehr theoretische Bedeutung hat, da 
diese Krankheiten in der Regel leicht von Lues zu unterscheiden 
sind, so gibt uns eine positive WaR. doch auch nur die Sicherheit, 
dass jemand Syphilis hat, nicht immer aber die, ob ein bestimmtes 
Symptom oder eine Gruppe solcher zur Syphilis gehören. Eine 
negative Reaktion dagegen beweist gar nichts, es sei denn unter 
ganz -bestimmten Umständen. 

Vielmehr liegt die grösste Bedeutung der WaR. darin, dass sie 
uns gestattet, den Verlauf der Syphilisinfektion bei einem Menschen 
zu verfolgen, die Erfolge unserer Heilmassnahmen zu kontrollieren 
und prognostische Schlüsse ebenso wie solche für unser ärztliches 
Handeln zu ziehen. Bei aller Bedeutung der obenerwähnten Mög¬ 
lichkeit, Lues durch Blutuntersuchung festzustellen, scheint mir die 
letztere Nutzanwendung noch wichtiger. 

Um die Erfolge des therapeutischen Handelns beurteilen zu 
können, müssen wir uns klar sein, wie die WaR. sich bei unbe¬ 
handelter Syphilis verhält. 

Seit langem sind wir gewöhnt, auf Grund klinischer Beobachtung 
den Verlauf der Syphilis in drei Stadien, das primäre, das sekun¬ 
däre oder hrrtative und das tertiäre oder gummöse einzuteilen. 

Das Primärstadlum, von der Infektion bis zum Auftreten der 
Allgemeinerscheinungen, umfasst durchschnittlich eine Zeit von 
56 Tagen; es wird wieder in 2 Teile zerlegt: Die 21 ersten Tage 
nach der Infektion nennt man die erste, den Rest die zweite In¬ 
kubation; klinisch unterscheiden sie sich dadurch, dass etwa vom 
21 . Tage an die Eintrittsstelle der Erreger sich zur charakteristischen 
Initialsklerose, zum Primäraffekt, entwickelt hat. Ebenso ist es be¬ 
kannt, dass etwa 6 Wochen nach der Infektion sich die regionäre 
Drüsenschweflung ausgebildet hat. 

Während der sog. ersten Inkubation, in den ersten 21 Tagen 
nach der Infektion ist nun die WaR. ausnahmslos negativ. Die 
zweite Inkubation, die Zeit nach dem 21. Tag. wo schon der charak¬ 
teristische Prrmäraffekt da ist. aber noch keine Allgemeinerschei¬ 
nungen, müssen wir serologisch in 2 Teile zerlegen: Drei Wochen 
nach Entwicklung des Primaraffektes etwa, eh^r etwas später, also 
in der 7. Woche nach der Infektion, schlägt die Reaktion um. ziemlich 
zugleich mit der Bildung der regionären Drüsengeschwülste. Sklernde- 
nitis. Dieser Zeitpunkt ist in den einzelnen Fällen um einige Tage 
schwankend. Am Schlüsse des primären Stadiums, kurz vor Erschei¬ 
nen der Al'lgemeinsymptome, ist die Reaktion dann positiv. (Ich sehe 
von den überaus seltenen Fällen ab, welche sich serologisch abnorm 
verhalten.) 

Dieses serologische Verhalten könnten wir durchaus nicht er¬ 
klären. wenn wir uns die Invasion der Krankheitserreger noch so 
vorstellen würden, wie es früher, vor der Entdeckung der Spiro- 
chaete paflida gelehrt wurde: Damals glaubte man. die Erreger 
vermehrten sich zuerst lediglich an der Einbruchstelle; wenn sie dann 
eine gewisse Entwicklung genommen und Zahl erreicht hätten, rea¬ 
giere diese Stelle mit Schwellung und Verhärtung (erste Inkubation). 
Dann erst beginne die Verbreitung im Organismus, das Zeichen, dass 
diese einen gewissen Grad erreicht habe, seien dann wieder die 
Sekundär erscheinun gen. 

Durch die Untersuchungen E. Hoffman ns u. a. wissen wir 
aber jetzt, dass schon vor dem 21. Tage, zu einer Zeit also, wo 
noch nicht einmal deT Primäraffekt sich verhärtet hat. die Spirochäten 
im Blute kreisen, die Invasion des Organismus bereits eine- all gemeine 
ist. Aus diesem Grunde bringt uns wohl auch die heute gültige Er¬ 
klärung der Wahrheit näher: Sie geht dahin, dass wir den Primär- 
affekt als allergische Reaktion, seine Ausbildung als eine mit den 
eintretenden Abwehrbestrebtmgen des Organismus zusammenhängende 
Erscheinung, als Zeichen der einsetzenden Tmmunkörperbildung auf¬ 
fassen. 

Mit dieser Auffassung können wir auch eine seit langer Zeit 
bekannte Tatsache erklären, die man früher nicht verstehen konnte: 
Sobald nämlich der Primäraffekt gebildet ist. haltet keine neue 
Infektion mehr. Tn den drei ersten Wochen nach der Infektion ist 
sog. Superinfektkm noch möglich, an jeder Impfstelle entsteht eine 
Sklerose: alle aber am 21. Tage nach der ersten Infektion, nicht 
jode einzelne 3 Wochen, nachdem sie gemacht wurde. 

Mit der alten Auffassung steht man diesen Beobachtungen ohne 
Erklärung gegenüber, unsere jetzige erklärt, wie wir sehen, den 
Vorgang zwanglos, die Immunisierung des Infizierten hat eben von 
der ersten Embruchstelje aus ihre« Ursprung. 

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Nun ist es auffallend, dass zu dieser Zeit, wo der Körper gegen 
neuerliche Infektion schon gefeit ist, die WaR. noch durch drei ganze 
Wochen negativ bleibt. Um das zu erklären, müssen wir in erster 
Linie bedenken, dass zur Anstellung einer Reagenzglasprobe selbst¬ 
verständlich gewisse Mengen reagierender Substanzen vorhanden sein 
müssen. Tatsächlich sehen wir auch, dass mit der Verfeinerung der 
Methode der Zeitpunkt, wo Reaktion auftritt, nach vorne geschoben 
wurde; doch handelt es sich da nur um relativ kurze Zeiträume, höch¬ 
stens von weiiigen Tagen. Hauptsächlich dürfte wohl die Erklärung 
zutreffen, welche v. Wassermann selbst gibt: Er sagt, in der 
ersten Zeit durchkreisen zwar die Spirochäten den Körper, aber erst 
später dringen sie ins Gewebe und setzen sich fest. Und erst dann, 
wenn dieses geschieht, beginnt die Reaktion des Organismus mit 
grösserer Kraft einzusetzen, so dass Abwehrstoffe, Reagine, in solcher 
Menge gebildet werden, dass man sie nachweisen kann. Diese Er¬ 
klärung setzt uns in die Lage, gewisse, sich auf Prognose und The¬ 
rapie beziehende Tatsachen zu erklären, auf die später eingegangen 
werden soll, wir müssen sie daher festhalten. 

In den letzten zwei Wochen (oder etwas weniger) des Primär¬ 
stadiums und im Sekundärstadium, ist dann die Reaktion so gut wie 
ausnahmslos positiv, im Sekundärstadium soferne Erscheinungen da 
sind, gleichgültig, ob der erste Ausbruch vorliegt oder ein Rezidiv. 

Eine Ausnahme bilden hier die Fälle von sog. Syphilis maligna 
oder S. praecox, wo schwere Zerfallserscheinungen, Geschwüre etc. 
in oft rapider Weise auf treten und auch der Behandlung oft zu trotzen 
vermögen. Bei ihnen ist die WaR. oft negativ. Dies kann man 
zwanglos dadurch erklären, dass eben die betreffenden Individuen 
keine genügende Antikörperbildung haben, analog mit dem Verhalten 
schwerer Tuberkulosen gegen die Pirquet sehe Reaktion. 

Auch in der Friihlatenz, worunter man die erscheinungsfreien 
Zeiten in den ersten zwei bis drei Jahren nach der Ansteckung ver¬ 
steht, welche sich, an Länge zunehmend, zwischen die Eruptionen 
einschieben, ist (immer von unbehandelter Syphilis redend) die Re¬ 
aktion fast immer positiv. 

Nach dem dritten Jahr wird es immer häufiger, mit zunehmen¬ 
dem Alter der Infektion, dass die Reaktion zweifelhaft und negativ 
ausfällt. Kommen dann noch klinische Symptome, so zeigen sie sich 
oft schon längere Zeit vorher dadurch an. dass die WaR. positiv wird. 
Nicht selten sind auch (ebenso wie bei behandelter Syphilis), sero¬ 
logische Rezidive; unter solchen begreift man den Vorgang, wenn 
die WaR. positiv wird, ohne dass es zu klinischen Erscheinungen 
kommt. Man kann sie bei nicht oder ungenügend behandelten FäMen 
noch nach einer Reihe von Jahren erleben, während welcher alles gut 
schien, der Kranke weder Symptome noch positive WaR. hatte. 

Für das Spätstadium lassen sich keine Gesetze aufstellen. Sind 
keine Symptome da. so ist die WaR. oft negativ, oft aber noch nach 
Jahrzehnten positiv. Sind tertiäre Prozesse vorhanden, so ist bei 
etwa 75—80 Proz. die WaR. positiv, beim Rest aber auch negativ. 
Hier ist die WaR. abo keineswegs als sicheres diagnostisches Hilfs¬ 
mittel anzusehen, wie vielfach irrtümlich geglaubt wird 1 ). 

Die zweite wichtige Frage betreff der WaR. ist die nach der 
prognostischen Bedeutung. Ist die WaR. als ein Beweis anzusehen, 
dass aktive Syphilis vorhanden ist, oder beweist sie nur. dass Immun¬ 
stoffe da sind, dass also das betreffende Individuum Syphilis gehabt hat. 
Beides ist denkbar, als Richtschnur für unser therapeutisches Handeln 
muss uns aber immer die erste Annahme dienen; dazu zwingt uns 
nicht nur die Vorsicht als Aerzte, welche naturgemäss gebietet, den 
ungünstigeren Fall anzunehmen, sondern auch die klinische Erfahrung: 
Wir wissen, dass bei Leuten, die eine positive WaR. haben, sehr 
oft, auch noch nach langer Zeit, üble Rückfälle auftreten. dass sie. 
obwohl von Erscheinungen sonst frei, infizieren können, wir wissen 
endlich, dass gerade bei den schweren Spätformen, die sich an den 
Kreislaufverletzungen, am Nervensystem, an inneren Organen ab¬ 
spielen. die WaR. so gut wie immer positiv ist. 

Daher wäre es jetzt nicht mehr richtig, sondern ganz zu ver¬ 
werfen. wenn wir svmotomatisch behandeln würden, d. h. nur dann, 
wenn klinische Erscheinungen auftreten. Dies haben schon F o u r - 
nier und Neisser. wie oben gesagt wurde, erkannt, und führten 
die chronisch-intermittierende Behandlung ein. 

Die chronisch-intermittierende Behandlung wurde eingeführt und 
war ohne Zweifel das beste Verfahren zu einer Zeit, als man weder 
Einblick in das serologische Verhalten der Syphilis hatte, noch auch 
die jetzigen Heilmittel zur Verfügung standen. Damals war der er¬ 
reichbare Erfolg darin zu suchen, dass man die Kranken erschemurcs- 
frei hielt, dadurch, wie man wusste, auch ihre AnsteckungsfähigVeh 
herabsetzte, und dass man sie nach Möglichkeit vor schweren Spät¬ 
formen bewahrte. Man stand auf dem Standpunkt, die Svnbllis sei 
eigentlich unheilbar, es s^i höchstens möglich sie niederzuhalten und 
zu verhüten, dass sie allzuviel Unheil anrichte. 

Wir müssen jetzt unser Ziel weiter stecken: Wir müssen tünch¬ 
ten. die Kranken symptomlos und Wassermann-negativ zu machen 

*) Die sog. vier Reaktionen von Nonne (WaR. im Blut, rm 
Liquor cerebrospinalis, Zellvermehrimg und Globulin Vermehrung im 
letzteren) übergehe ich .obwohl sie von höchster Bedeutung sind, da 
sie den Gegenstand eines anderen Vortrages bilden werden. Ebenso 
die KutanreaWionen von Noguchi und Klausner, da sie prak¬ 
tisch noch nicht verwertbar sind, so viel Interesse sie an sich auch 
bieten. Auch die umstrittenen Ausflockungsreaktionen von Bruck 
u. a. sind noch keineswegs Spruchreif*. 

Original frorri 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1259 


und sie dauernd in diesem Zustand zu erhalten, oder, wenn wir früh 
genug dazu kommen, verhüten, dass die WaR. überhaupt positiv 
wird. 

Dagegen sind wir letzt nicht mehr gezwungen, blindlings weiter¬ 
zubehandeln (chronisch-intermittierend); die neuen Heilmethoden 
und die Möglichkeit, den Ablauf der Sache durch die Wa'R. zu kon¬ 
trollieren, überheben uns dieser Notwendigkeit. 

Die Mittel, mit denen wir jetzt die Syphilrsbehar.dlung üben, sind 
die Holztränke, das Quecksilber, das Jod und das Salvarsan. 

Die Holztränke, das älteste aller Spezifika, können immer noch 
in geeigneten Fällen mit Vorteil benützt werden, besonders bei ma¬ 
ligner Lues. Am besten eignet sich das Decoctum Zittmanni, es 
wird noch immer in der hergebrachten Weise benützt. 

Ob man bei der Quecksilberbehandlung Einreibungen oder Ein¬ 
spritzungen wä-hlt, ist für die Sache nicht erheblich, es hängt von 
äusseren Umständen ab. Die klassische (kleine) Schmierkur ist nur 
ratsam im Krankenhaus oder sonst, wenn Anleitung, guter Wille, ev. 
verlässiges Personal (Masseur) da ist, das die Sache besorgt. Die 
Dosis soll nicht unter 5 g pro die (Einreibung) sein. Von den Ein¬ 
spritzungen sind die löslichen durchwegs wenig wirksam, oder aber 
zu schmerzhaft, ich verwende nur das Hydrargyrum salicylicum und 
das graue Oe! (Mercinol), beide in 40 proz. Fettsuspension. Die Prä¬ 
parate von J a b 1 o n s k i sind sehr bequem zu gebrauchen, man in¬ 
jiziert sie tief intramuskulär in die Glutaei. Vom Mercinol etwa 
8 Teilstriche der Ziel ersehen Spritze (0,08 Hg) alle 6—7 Tage, 
vom Hydrargyrum salicylicum 10 Teilstriche alle 4—5 Tage. 

Dringend abraten möchte ich von der innerlichen Quecksilber¬ 
medikation, sie ist lediglich ein Notbehelf von geringer Wirksamkeit, 
allen Anpreisungen zum Trotz. 

Jod bewährt sich, besonders mit Antipyrin gemischt (Natr. joda¬ 
tum 10, Antipyrin 5 auf 200), gut gegen Cephalea syphilitica, es tut 
auch ganz gute Dienste bei Spätsyphilis. E$ für ein Spezifikum für 
letztere zu halten oder gar zu glauben, dass man mit Jod allein 
Syphilis wirksam genug bekämpfen könne, ist ein verbreiteter und 
schwer ausrottbarer Irrtum. Davon kann sich jedermann überzeugen, 
wenn er sieht, wie auffallend 1 schnell sich tertiäre Syphilide' unter 
wirklicher Behandlung zurückbilden, ohne Joddarreichung. Gibt 
man Jod, so ist wohl das Jodnatrium dem Jodkafium vorzuziehen, 
es wird leichter eingenommen, der Preis ist fast gleich. 

Von den genannten Mitteln, vor allem auch vom Quecksilber, 
stellt man sich weniger vor,'dass sie direkt auf die Krankheitserreger 
wirken, als vielmehr, dass sie die Abwehr- und Heiibestrebungen 
des Organismus fördern und ihn besser in den Stand setzen, sich 
der Parasiten zu erwehren. 

Von einem ganz anderen Gedanken ist Ehrlich bei der Er¬ 
findung des Salvarsans ausgegangen. Durch die Erfahrungen 
Uhlenhuths u^a. wusste man, dass gewisse organische Arsen¬ 
verbindungen, besonders solche aus der aromatischen Reibe, einer¬ 
seits relativ wenig giftig für den Warmblüterorganismus sind, anderer¬ 
seits stark auf gewisse Mikroorganismen wirken, besonders auf 
Spirillen und Spirochäten. Ehrlich hat dafür den Ausdruck ge¬ 
schaffen, die Substanzen sind parasitotrop und nicht organotrop. Das 
erste solche praktisch verwendete Präparat war das Atoxyl (para- 
amino-pheriyl-arsinsaures Natrium), es zeigte sich tatsächlich auch als 
sehr wirksam gegen Lues. Doch zeigte es sich bald, dass es auch 
organotrop ist, es traten schwere Schädigungen (Amaurose etc.) ein. 
Nun ging Ehrlich daran, durch methodische Synthese neue Arsen- 
verbindungen herzustellen und ihre Giftigkeit (Organotropie) und 
Wirksamkeit (Parasitotropie) in grossem Massstab an gesunden und 
infizierten Tieren zu .erproben. Das 606. Präparat schien zu ent¬ 
sprechen. es ist das jetzt von den Höchster Farbwerken hergestellte 
Salvarsan. 

Es ist bekannt, dass es hi Form von Injektionen, jetzt wohl aus¬ 
schliesslich intravenös, gegeben wird. Weil das Salvarsan sich nicht 
einfach in Wasser lösen lässt, wurden Verbindungen gesucht, die 
leicht in Wasser löslich sind, das Neosalvarsan und das Salvarsan- 
natrium. Sie enthalten weniger Arsen, und werden dafür in etwas 
grösserer Dosis gegeben. 

Das Salvarsan ist nun ohne Zweifel ejn noch viel wirksameres 
HeHnrittel gegen Syphilis als das Quecksilber; man benützt fast 
immer beide Mittel kombiniert, denn so werden erfahrungsgemäss 
die besten Resultate erreicht 

Es scheint dabei gleichgültig, welches von den drei Präparaten 
man anwendet, "wenn man so dosiert, dass der Arsengehalt der 
gleiche ist. Am wenigsten zu raten ist zum Altsalvarsan: Man muss 
es m einer grossen Menge Wasser (^fwa 200 ccm) lösen und mit einem 
Irrigator in die Vene einlaufen lassen. Dabei kommt erstens die 
grosse Wassermasse in Betracht, die durchaus nicht gleichgültig zu 
sein scheint, zweitens ist die Asepsis hier viel komplizierter zu hand¬ 
haben, drittens geht es sehr lange her, bis 200 ccm durch eine dünne 
Nadel in die Vene einlaufen, was im Spitalsbetrieb auch eine Rolle 
spielt. Auch ist das Altsalvarsan, soweit man darüber urteilen kann, 
am wenigsten ungefährlich. 

Neosalvarsan und Salvarsannatrium löst man in wenigen Kubik¬ 
zentimeter Wasser, am bequemsten in einem ausgekochten Schnaps¬ 
glas mit Fuss und spritzt es mit einer sterilen Rekord- oder Luer- 
spritze von 5 bis 10 ccm Inhalt in die Vene. Man nimmt dünne Mor- 
phiumnadeln, dicke Nadeln sind eine zwecklose Quälerei für den 
Kranken und erschweren das Eingehen in die Vene. Wenn einem der 
zwei Mittel der Vorzug gegeben werden soll, würde ich ihn dem 

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Neosalvarsan geben, das Salvarsannatrium ist viel leichter zersetz- 
lich und löst lästige Nebenerscheinungen aus. Die Wirkung ist nicht 
ganz gleich, auf jeden Fall scheint es ausserordentlich schwer, einen 
Unterschied Strikt festzustellen, es ist dies mehr Sache des Gefühls. 

Wie schon bemerkt besteht kein Zweifel an der starken Heil¬ 
wirkung der Salvarsane, nicht nur auf die klinischen Symptome aller 
Stadien der Syphilis, sortdern auch auf das serologische Verhalten. 
Allerdings muss mit Sachkunde vorgegangen werden, um Schäden zu 
vermeiden. Es ist Ihnen allen bekannt, dass, besonders in der ersten 
Zeit der SaIvarsananWendung, über mancherlei schlimme Folgen be¬ 
richtet wurde; es entwickelte sich eine ausgedehnte Polemik für und 
wider, bei der am meisten zu bedauern ist, dass sie vielfach mit mehr 
Getöse als kritischem Verstand geführt wurde. Die Kürze der Zeit 
verbietet, auf dieses Thema einzugehen, ich möchte nur folgende 
Regeln aufstellen: 

Erstens soll man nicht mit Salvarsan die Behandlung einleiten, 
sondern mit Quecksilber vorbehandeln bei allen Fällen, wo wir an¬ 
nehmen können, dass der Organismus viele Spirochäten enthält, be¬ 
sonders also bei florider Sekundärlues. Geht man nämlich hier un¬ 
vorsichtig vor, so kann man schwere Nebenerscheinungen hervor- 
rufen, hohes Fieber, Benommenheit, Erbrechen, Kollaps etc. Ehr¬ 
lich hat diese Erscheinung damit erklärt, dass das Salvarsan massen¬ 
haft Spirochäten löst, deren Leiber sich dann auflösen. Dadurch wer¬ 
den die Giftstoffe, welche darin waren (Endotoxine) plötzlich frei und 
schädigen den Wirtsorganismus. Durch die Quecksiibervorbehand- 
lung vernichtet man langsamer die Massen der Parasiten und ver¬ 
meidet diesen Vorgang, oder er zeigt sich nur in geringem Grad, als 
sog. J a r is c h - H e r x heim e r sehe Reaktion (Anschwellen der 
Knötchen, Rötung des Exanthems etc.). 

Ebenso ist es schlecht, zu wenig Salvarsan zu geben; dadurch 
wird scheinbar die Syphilis mehr gereizt, als geheilt, die Neurorezi- 
dive (Ehrlich) und auch klinische und serologische Verschlechte¬ 
rung sind Folgen ungenügender Therapie; dies verwendet man ge¬ 
radezu für die Diagnostik, man kann ab und zu durch eine mässige 
Salvarsandosis „negative WiaR. positiv machen (Provokation). 

Hält man sich an diese Regeln und überdoSiert man nicht, so 
gibt es sehr selten Schädigungen. Ganz fehlen sie leider freilich nicht, 
eine gewisse, allerdings sehr kleine Zahl scheint bis jetzt unvermeid¬ 
bar. Ich verweise in dieser Beziehung auf meinen hier vor einiger 
Zeit gehaltenen Vortrag. Mian muss sich dabei die Tatsache vor 
Augen halten, dass die Syphilis eine schwere, das Leben kürzende 
Krankheit und eine gefährliche Seuche ist; ebenso ist zu bedenken, 
dass die anderen Mittel, vor allem das Quecksilber, auch nicht so 
ganz harmlos sind, dass nie Schaden entstünde. 

Als Einzelgabe (intravenös) kommt 0,4 AH-, 0,6 Neo- oder 
Natriumsalvarsan in Betracht für Männer, 0,3 resp. 0,45 für Frauen. 
Der Anfang wird zweckmässig mit kleineren Gaben gemacht; dass 
man anderweitig Krlantai, Kindiern, Schwächlingen und Greisen 
weniger gibt, ist selbstverständlich. .Die Zwischenräume zwischen 
den Einspritzungen bemisst man so, dass bei Männern 0,1 Neosalvarsan 
auf den Tag trifft, kräftigen Leuten kann man auch etwas mehr 
geben. Eine Kur, die man, wie schon gesagt, in der Regel mit 
Quecksilber und Salvarsan .macht, setzt sich etwa aus folgendem zu¬ 
sammen: Von Quecksilber 40 Einreibungen zu 5 g Un~ cinereum 
oder 10—12 Spritzen Mercinol, je 7—8 Teilstriche (der Strich zu 0,01 
metallisches Quecksilber) der Zielerspritze, oder 15 Spritzen zu 0,10 
Hydrargyrum salicylicum. Dazu dann Salvarsan, Neosalvarsan in 
der besprochenen Dosierung, bis auf 4,5—5 g im Ganzen. Beides wird 
zugleich gegeben, d. h. es muss an den Salvarsantagen nicht mit dem 
Einreiben pausiert werden. Zwei Spritzen, Quecksilber und Sal¬ 
varsan, gibt man lieber nicht am selben Tage, man kann es aber tun. 
Bei florider Sekundärsyphilis behandelt man zuerst 14 Tage mit 
Quecksilber allein. 

Betrachten wir, was wir bei den einzelnen Stadien der Syphilis 
prognostisch von einer derartigen energischen kombinierten-Behand- 
iung erwarten dürfen, so ist folgendes zu sagen: 

Es ist ein prinzipieller Unterschied zu machen zwischen den 
Fällen primärer SyphHis, bei denen die WaR. noch negativ ist, und 
allen späteren. 

Ist nämlich die WaR. noch negativ, so gelingt es so gut wie 
ausnahmslos, wenn man sofort mit Quecksilber und Salvarsan der 
Sache an den Leib geht, nicht nur das Auftreten weiterer Symptome 
zu verhindern und die WaR. negativ zu erhalten, sondern es schwin¬ 
den auch in kurzer Zeit die vorhandenen Erscheinungen (Erosion 
oder Primäraffekt) und, was das Wichtigste ist, der Kranke bleibt 
dauernd klinisch und serologisch frei, er ist geheilt. Diese Möglich¬ 
keit, die uns erst das Salvarsan gibt, war das Ziel aller früheren 
Versuche, die Syphilis abortiv zu behandeln, das man ohne Salvarsan 
aber nicht erreicht hat. Man konnte mit Quecksilber im Primär¬ 
stadium die Sekundärerscheinungen auch zurückdrängen, nach längerer 
oder kürzerer Zeit traten aber doch serologische, meist auch bald 
klinische Rezidive der Krankheit auf, wenn auch oft erst nach Jahr 
und Tag. Dass wir bei der kombinierten Abortivkur mit solchen nur 
in sehr seltenen Fällen zu rechnen haben, so selten, dass sie prak¬ 
tisch nicht ins Gewicht fallen, wissen wir durch jetzt schon jahre¬ 
lange serologisch-klinische Kontrolle zahlreicher Fälle; noch beweisen¬ 
der sind aber die vielen einwandfreien Reinfektionen, die bei abortiv 
kombiniert behandelten Menschen gesehen werden. Besonders Gen- 
n e r i c h in Kiel, der sich die grössten Verdienste um die Syphilis« 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




im 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


behandlung erworben hat, bringt Reihen unzweifelhafter, genau be-| 
obachteter solcher Vorkommnisse. . 1 

M v.. HA Ich brauche Urnen nicht auseinander zu setzen, was 
tltese Errungenschaft bedeutet, was es heisst, eine Krankheit, wie 
die Syphilis heilen zu können, was für Aussichten diese Möglichkeit 
für die Ausrottang dieser Seuche bietet! 

Darum, und weil der Erfolg um so sicherer ist, je früher wir 
emgreifen, werden Sie sich auch klar sein, welche enorme Wichtig¬ 
keit die Frühdiagnose hat: Womöglich soFl schon die Erosion, dje 
noch nicht zun klinisch erkennbaren Primäraffekt gereift ist erkannt, 
und in diesem Stadium mit der Therapie begonnen werden. Dunkel¬ 
feld und Tuscheverfahren bieten dem Geübten fast immer die Hand¬ 
habe festzustellen. ob eine Erosion oder ein Herpes oder ein Ulcus 
molle mit Spirochäten infiziert ist aber nur unter einer Bedingung, 
düe zu schaffen Aufgabe des Praktikers ist; es ist eine leicht zu er¬ 
füllende Bedingung: Hüten Sie sich, bitte, eine nur Im geringsten ver¬ 
dächtige Stelle mit irgendeinem Heilmittel in Berührung zu brin¬ 
gen. Das Harmloseste: Borsalbe, Wasserstoffsuperoxyd, essigsaure 
Tonerde, Dermatol u. dgl., gar nicht zu reden von stärkeren Des- 
infizfentten oder gar Kalomel oder andere Spezifika, vernichtet die 
hinfälligen Spirochäten im Sekret und oberflächlichsten Gewebe, der 
Nachweis derselben wird dann sehr schwer, meist unmöglich; natür¬ 
lich wird der Wert eines negativen Befundes dann gleich Null. Unter¬ 
suchen Sie sofort, vor etwas geschehen ist, selbst, oder schicken Sie 
den Kranken einem geübten Untersucher. Hatte der Kranke selbst 
etwas aufgelegt, so wartet man 2—3 Tage, wenn es ©in wirksameres 
Präparat war, eine Woche. Man versäumt ja nichts, denn wenn 
noch kerne klinische Initialsklerose da ist, hat man ja noch Zeit, bis 
diese sich bildet und dann mindestens noch zwei Wochen. 

Bei seronegativer Primär Syphilis gestaltet sich- das Vorgehen 
also ln der Weise, dass man eine Kur sofort mit Salvarsan und Queck¬ 
silber durchführt; bei dieser lässt man es dann bewenden, man hält 
den Kranken r.ur mehr unter Blutkontrolle, nimmt anfangs alle 3, 
nach einem Jahre alle 4. dann alle 6 Monate, etwa durch 4 Jalrre, 
Blut ab. Wenn 1, höchstens 1K Jahre verstrichen sind, kann der 
Kranke als sicher geheilt gelten, nach 2 Jahren kann er heiraten. 

Die zweite Gruppe aller Syphilitiker bilden die. welche schon 
eine positive WaR. haben oder hatten. Hier ist es nicht genügend, 
eine Kur machen zu lassen. Die Prognose ist auch um so besser, 


>e frischer die Krankheit ist: So gelingt ber primärer Syphilis der 
letzten Wochen mit positiver WaR. die abortrve Heilung noch in« 
•einem grossen TeH der Fälle. Aber um sicher zu gehen, lässt'man 
immer, auch wenn dfre WaR. unmittelbar und dann auch 3 Monate 
nach der Kur negativ ist, eine zweite Kur machen. »Dann beobachtet 
man, wie früher beschrieben. 

Analog ist früh latente Lues zu behandeln. 

Bei sekundärer Syphilis darf man, ich wiederhole, nicht gleich 
Salvarsan geben, man behandelt vorher mit Quecksilber allem. 
Dann aber macht man energische Kuren, bis zu 6 g Neosalvarsan, 
42 Einreibungen oder 10—12 Mercinoispritzen. Ist dann wieder un¬ 
mittelbar nach der Kur und 2—3 Monate später die WaR. negativ, 
so wird eine Vorsichtskur dazu gemacht, bei schwereren Fällen 
noch eine. Ist nach einer, oder gar nach 2 oder 3 Kuren, die man 
m Abständen von 2 Monaten macht, die WaR. noch positiv, so be¬ 
handelt man nach dem gleichen Prinzip: Bus die WaR. negativ ist 
und 3 Monate hält, dann die Vorsichtskur. Heiratserlaubnis 2 Jahre 
nach der Vorsichtskur. wenn die WaR. negativ blieb; am besten vor 
der Ehe noch eine Kur, zur Sicherheit. 

Bei alter Syphilis, gleichgültig ob tertiäre Erscheinungen oder 
Spätlatenz mit positiver WaR. vorliegt, behandelt man so, dass vor 
allem die Erscheinungen schwinden; die WaR. negativ zu machen, 
gelingt hier nicht immer. Daher muss man es sich genügen lassen, 
wenn der Kranke symptomfrei ist, etwa 2 mal durch eine Behand¬ 
lung mit Salvarsan, Quecksilber und Jod in Abständen von 3 bis 
4 Monaten zu versuchen., die WaR. negativ zu machen. Oeht es nicht, 
so wartet man mindestens 1 oder 2 Jahre, dann kann man den 
Versuch erneuern. Hier kann Heiratserlaubnis gegeben werden, 
wenn die Krankheit 5 Jahre alt 3 Jahre ohne klinische Zeichen ver¬ 
laufen und gut behandelt ist. Natürlich wird nach Anzeichen fneta- 
luetischer Leiden zu suchen sein. In solchen Fällen tut die Liquor¬ 
untersuchung wichtige Dienste. 

Sie sehen, dass wir die Svphilisheilung fetzt weit optimistischer 
betrachten dürfen; es wäre von grösster Wichtigkeit, wenn d4ese 
neuen Erfahrungen Gemeingut nicht allein der Aerzte. sondern auch 
des Volkes würden. Unendliches Elend könnte vermieden werden. 
w*enn alle Syphilis rechtzeitig erkannt und suchsremäss behandelt 
würde. Unsere Aufgabe, m. D. u. H.. ist es, dies zur Wirklichkeit zu 
machen; hoffen wir, dass wir der Syphilis Herr werden, wie wir 
es schon mancher anderen Seuche geworden sind. 


Syphilis und Nervensystem, 

Von Prof. F. Plaut. 


M. H.! Das Gebiet der Syphilis des Zentralnervensystems ist 
ein so ausgedehntes und vielgestaltiges, dass es unmöglich ist, in einem 
Vortrag ein nur annähernd erschöpfendes Bild zu geben. Es wird also 
eine Auswahl zu treffen sein, indem man einzelne Gesichtspunkte be¬ 
sonders in den Vordergrund stellt, andere weniger betont und Vieles 
auch ganz unberücksichtigt lassen muss. Ich meine nun, dass es 
Sie wohl in erster Linie interessiert, etwas über die neueren For¬ 
schungen und Fragestellungen auf diesem Gebiete zu hören und dass 
weiterhin bei den klinischen Fragen es Ihnen auf die praktischen Er¬ 
wägungen vor allem ankommt. Ich will versuchen, indem ich Ihr 
Einverständnis mit dieser Auswahl voraussetze. Ihnen hierüber zu 
berichten. 

Erst die Forschungen des letzten Jahrzehnts haben uns gelehrt, 
dass wir eine larvierte Nervensyphilis den klinisch 
erkennbaren Formen der Syphilis des Zentral¬ 
nervensystems ge genüb e r z u s t eil e n haben. Diese 
larvierte Form enthält die Vorstadien der klinischen Formen der 
Nervensyphilis, in grossem Umfange aber auch Fälle, bei denen erst 
nach langer Zeit, zuweilen, soweit man das bisher zu beurteilen 
vermag, überhaupt niemals neurologische oder psychische Krank- 
heitserscheinungen manifest werden. Es handelt sich also um Vor¬ 
gänge, die sich nicht auf der Szene abspielen, die wir vielmehr nur 
erkennen können, wenn wir einen Blick hinter die Kulissen werfen. 
Diese Möglichkeit schafft uns die Spinalpunktion, indem sie uns die 
Gewinnung und Untersuchung <Jes Liquor cerebrospinalis gestattet. 

Die Liquoruntersuchungen haben eine immer wach¬ 
sende Bedeutung gewonnen, da sie uns auch ohne klinische Anhalts¬ 
punkte oft ein Urteil über die Sachlage ermöglichen und daher für 
die Diagnose, Prognose und Therapie vielfach richtunggebend ge¬ 
worden sind. 

Dfe Liquoruntersuchungen haben die überraschende Tatsache 
enthüllt, dass im frühen Sekundärstadium bereits, offenbar durch 
Spirochäteneinwanderung in die Hirn- und Rückenmarkshäute, ent¬ 
zündliche Vorgänge leichteren oder schwereren Grades ausgelöst 
werden und dass dies nicht nur hin und wieder geschieht, sondern 
nahezu in jedem Falle, so dass man sagen kann: fast jeder Sy¬ 
philitiker macht — im anatomischen Sinne — ohne klinische 
Zeichen darbieten zu müssen, im Sekundärstadium eine 
syphilitische Meningitis' durch; es sei denn dass bereits 
im frühen Primärstadium eine ausgiebige Salvarsan-Hg-Behandlung 
eingesetzt hat, durch welche die Syphilis coupiert wurde. 

Idh möchte Ihnen nur» die U n t e r suc hu n gsm e t h od e n 

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schildern und die mit ihrer Hilfe nachweisbaren Liquorveränderungen, 
welche eine solche Annahme zu machen erlauben». 

Die häufigste krankhafte Liquorveränderung stellt die L y m ph o- 
zytenvermehrung dar Sie findet sich bei der Mehrzahl der 
verschiedensten Krankheitsbilder aller Stadien und ist wohl als der 
Ausdruck der zelligen Infiltration der weichen Hirn- und Rücken¬ 
markshäute anzusehen. Sie findet sich häufig als einziger patho¬ 
logischer Befund im Liquor der Sekundärsvphilitischen, weit seltener 
bei den symptomlosen Spätsvphilitikern. Der normale Liquor enthält 
nur wenige, bis etwa 5 lymphozytäre Elemente in 1 emm; bis zu 
einem Befund von 6—9 Zellen kann man von einer Grenzzone sprechen, 
während von 10 Zellen an aufwärts eine sicher- pathologische Zell- 
vermehrung angenommen werden darf. Je intensiver und ausge¬ 
dehnter die meningitische Infiltration ist, umso zahlreicher sind die 
Zellen. Man kann bis 1000 Zellen und darüber im Kubikmillimeter bei 
schweren Fällen finden. Die Zellzählung wird am besten in einer 
besonders weiten, von Fuchs-Rose nt’hal angegebenen Zähl¬ 
kammer vorgenommen: sie muss alsbald nach der Entnahme gemacht 
werden, bevor die Zellen sedimentiert haben, ist aber in wenigen 
Minuten durchführbar. 

Bei hohen Zellwerten findet man meist auch eine Vermehrung 
des Eiweisses und zwar vorwiegend der Globuline. 
Globulin Vermehrung kann man auch bei geringer Zellvermehrung 
beobachten, sie weist dann jedoch darauf hin, dass schwerere Ver¬ 
änderungen vorliegen, wohl dass das nervöse Parenphvm selbst in 
Mitleidenschaft gezogen ist, und -bei der Erkrankung, wo e« zu der 
weitgehendsten Zerstörung der Hirnrinde kommt, bei der Paralyse, 
ist sie gewöhnlich sehr deutlich ausgeprägt. Tn jedem Falle ist sie 
ein Zeichen von höherer pathologischer Wertigkeit als die einfache 
Zellvermehrung. Es gibt eine ganze Reihe von Globulinfällungs¬ 
methoden, die für klinische Zwecke benützt werden können und alle 
ungefähr dasselbe leisten. Am weitesten verbreitet ist Nonnes 
sog. Phase I. Man stellt sie an, indem man X —1 ccm Liquor rost 
der gleichen Menge gesättigter Ammon.-Sulf.-Lösung mischt. Inner¬ 
halb 3 Minuten tritt bei Globulin Vermehrung Ooaieszenz bis Trübung 
auf; der normale Linuor bleibt klar. Man kann dre Probe auch 
als Ringprobe anstellen, wenn man die Flüssigkeit nicht mischt, 
sondern überschichtet. _ 

Während nun Zell- und Globulinvermehrung hn 'Liquor sich auch 
bei entzündlichen Prozessen im Bereich des Nervensystems nicht- 
syphilrtischer Aetiologie finden kann, haben wir in der WaR. eine 
für Syphilis charakteristische Reaktion. Tritt sie 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF LIFORNIA 






5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1261 


"" u< C?r auf, so beweist dies, dass das Nervensystem syphilitisch 
erkrankt tst. Ausnahmen kommen für unsere Zonen nur bei Sytfhi- 
Htlkern mit infektiösen, nichtsyphilitischen Meningitiden in Betracht, 
wo <»€ Wa.-Körper m den Liquor gelangen können, auch wenn die 
Spirochäten nicht in das Nervensystem eingedrungen sind. Die posi¬ 
tive WaK. nn Blut besagt, was immer wieder betont zu werden 
verdient, gar nichts über Frei- oder Erkranktsein des Nervensystems. 

Man kann verschiedene Qradc in der Intensität des Liquor- 
Hermann unterscheiden, je nachdem dieser schon bei geringer 
oder erst bei höherer Konzentiation positiv reagiert: man nennt 
Aes Aus_werten des Liquor (Hauptmann). Die Intensität 
der Reaktion g^bt un$ wichtige Anhaltspunkte für die Differenzierung 
der klinischen Formen. In der Skala der Wertigkeit der Liquorver- 
anderungen steht die WaR. noch über der Qiobulinvermehrung; sie 
weist besonders bei starkem Ausschlag in den Spätstadien auf 
prognostisch ungünstige Gewebsveränderungen hin. 

Nimmt man zu der Zell-, der EiwetssveTfnehrung. dem Liquor- 
Wä. noch den Blut-Wa. hinzu, so hat man die bekannten 4 Reak¬ 
tionen, wie s>e No,nne benannt hat. zusammen. 

Hierzu haben sich in den letzten Jahren noch einige weitere 
Proben geseilt, d ! e geeignet sind, die übrigen Liquorbefunde zu er¬ 
gänzen. 


Weil und Kafka 'haben beobachtet, dass gewisse normale 
Se r um b es tan dteile und zwar das Komplement und der 
tairnnefolutlösend* Normalambozeptor, das Hämolysin für Hammel- 
onirkorpercheti', Substanzen, die beim Gesunden sich nicht hn Liquor 
fiiKtai, bei Erkrankungen der Meningen aus dem Blut 
inden Liquor übertreten. Bei ausgedehnten Meningitiden 
- nicht nur syphilitischer Natur — finden sich beide Körper; bei. der 
Paralyse,findet sich meist nur der Ambozeptor; bei 1 gewissen Formen 
der Hirnlues und bei der Tabes fehlen öfters beide Substanzen, so 
dass diese divergierenden Befunde zuweilen, für diie Abgrenzung der 
Paralye von der Hbnlues und der Tabes sich verwerten lassen. 

Besonderes Interesse haben in jüngster Zeit kolloidchemi¬ 
sche Reaktionen erweckt, die in der Fähigkeit krankhaft ver¬ 
änderter Spinalflüssigkeiten bestehen, gewisse Suspensionskolloide 
auszufällen. 

. , L a n ge beobachtete, dass normaler Liquor diie G o 1 d s o 1 e 
flicht beeinflusst während pathologischer Liquor sie verändert. Der 
Ptifpurroten F^rbe der Goldsole mischen sich bei den geringsten 
Graden der ^usffreküng bläuliche Töne bei; bei stärkerer Aus¬ 
flockung geht das Blaurot in Violett. Dunkelblau. Hellblau über und 
bei völliger Ausflockung wird die Flüssigkeit entfärbt, das Gold liegt 
dann als M*übcre Masse auf dem Boden des Reagenzglases. Die 
Ausflockung nicht umso stärker, je konzentrierter der Liquor an¬ 
gewandt v ir'* sondern das Optimum der Ausflockung ist an be¬ 
stimmte Vcrdnrungsgrade des Liqttor gebunden, diie für verschie¬ 
dene Krankhe-*^ verschieden sind. Beschickt man eine Serie von 
12 Reagenzgläsern, welche den Liquor in steigender Verdünnung 
~ 1:10 bis t: 20 noo — enthalten, mit Goldsole, so erkennt man. dass 
ie nach der vor Hegenden Erkrankung die stärkste Ausflockung an 
gewissen Stegen der Verdünnungsreihe lie^t. Man kann dieses Ver¬ 
halten kurvermärsig darstellen und erhält auf dieseWeise Kurven, die 
z. B. für Lue«:, Paralyse. Tabes, nichtsvnhilitische Meningitiden cha¬ 
rakteristische Züge tragen und daher eine differentialdiagnostische 
Verwertung g^tatten. Es ist nicht leicht, die Ooldsole tadellos Herzu¬ 
stellen, was der allgemeinen Anwendung der Reaktion etwas hinder¬ 
lich ist 


Als Ersatz ist von Emanuel x die Ausflockung von Mastix 
empfohlen worden, die besonders in der Modifikation von Jakobs-, 
thal und Kafka auch verwertbare Kurven bietet. 

Relativ einfach, wenn auch nicht so vielsagend, ist die von 
Kirchberg angegebene Ausflockung von Berlin erblau, die 
mir mittels 3—4 Gläsern zu demonstrieren ist. daher kerne längeren 
Kurven ermöglicht aber doch ganz brauchbare Unterschiede erkennen 
lässt Bel der Paralyse tritt z. B. meist schon nach 1 Stunde völlige 
Ausflockung im 1. und 2. Glase ein. bei Tabes und Himlues ist sie 
gewöhnlich weniger ausgiebig, zeigt stell oft nur im 1. Glase nach 
I Stunde deutlich ausgeprägt. 

fch muss mich auf diese kurzen Andeutungen über die Methodik 
ier Liquoruntersuchungen- hier beschränken. An die Spitze meiner 
\usführungen habe ich sie gestellt, weil sie uns, wie bereits erwähnt 
>chon in den frühen Stadien der syphilitischen Infektion Aufschlüsse 
:u geben vermögen, bevor klinische Merkmale erkennbar werden, und 
ch werde be* der Besprechung der verschiedenen klinischen Krank- 
leitsbilder auf die jeweils zu erhebenden Lkniorbefunde zurück- 
;ommen. 

Die k li n i s c h en A e u s s e r u n g.e n d e r f f m h sy nh i 1 i ti - 
eben Meningitis sind — wenn überhaupt solche da sind, meist 
ehlen sie vftfMg — abhängig von der Lokalisation und 1 von der Tnten- 
rtät des Prozesses. In den leichteren Fällen treten nur Knpf- 
chmerzen. g~rne am Hmterkoof lokalisiert, leichter Schwindel, selten 
eringe Tempern tursteigerunv. allgemeines Unbehagen auf. Gen- 
erich meint, däss die syohilitische Alopecie besonders gerne bei 
Teningealeu Prozessen in Erscheinung tritt. Nicht selten werden 
ie Hirnnerven ? n den Infiltrationsprozess einbezogen, da die Basis 
es Gehirns Ja besonders leicht von entzündlichen Veränderungen be¬ 
dien zu werden pflegt. Vor allem der Okulomotorius, Abduzens, 
Iptikus und ln neuerer Zeit nicht selten der Akustikus. lassen die 
rrem Fintktionsausfall entsprechenden Störungen erkennen. Es 

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Kommt zu Augenmuskellähmungen, zu Sehstörungen infolge Neuritis 
optica und zu partieller oder völliger Ertaubung eines oder bekfer 
Uhren; ist der Vestibularis mitergriffen, auch zu den für Labyrinth- 
erkrankungen bezeichnenden Gleichgewichtsstörungen. Nimmt der 
Prozess grösseren Umfang an, so treten uns die Erscheinungen der 
allgemeinen Meningitis entgegen mit Hirndruckerscheimmgen, 
Benommenheit, Erbrechen, Pulsverlangsamung. Stauungspapille, 
epüeptiformen Anfällen usf. und man sieht zuweilen einen sof- 
chen Kkranen bereits an einer syphilitischen Meningitis zugrunde 
g®™ 1 * bevor der Pnimäraffekt völlig vernarbt ist Auch psychotische 
BikJer können sich schon im Sekundär Stadium ei ns teilen. Man be¬ 
gegnet ängstlich deliranten Zuständen, auch wohl KrankheitsbHdem, 
die der Ko r sak o w sehen Psychose ähneln, bestehend in hoch¬ 
gradiger■ Merkstörung mit örtlicher und zeitlicher 'Desorientiertheit 
und 1 Ausfüllung der Gedächtnislücken durch mehr oder weniger üppig« 
Konfabulationen. 


Warum die Meningen in den einzelnen Fällen so verschieden 
stark beteiligt simh wissen wir nicht. Liegt die Ursache in Varietäten 
der Spirochätenstämme, die verschieden starke neurotrope Eigen¬ 
schaften besitzen, oder ist die Anfälligkeit, die Reaktionsweise des 
Betroffenen ausschlaggebend? Nur eines scheint sicher zu sein; Dass 
wir durch geeignete Behandlung die Erkrankung verhindern, durch 
ungeeignete Behandlung sie provozieren können. 


In Deutschland gab den Anlass zu ausgedehnten Untersuchungen 
des Liquors im Frühstadium der Syphilis die Beobachtung, dass 
nach Salvarsan Erkrankungen der Hirnnerven, be¬ 
sonders des Akustikus, sich zu häufen schienen. Zunächst wurde 
an toxische Schädigungen durch Salvarsan gedacht, bald jedoch er¬ 
kannt, dass es sich um entzündliche, von den Meningen auf die 
Nervenstämme übertretende syphilitische Erkrankungen handelte, 
um sog. N e u r o r e z id i v e; beweisend für die in der Regel nicht 
arsentoxische, sondern syphilitische Aetiologie 
dieser Störungen wurde die Erfahrung, dass durch Fortsetzung der 
Salvarsankur meist keine Verschlechterung, sondern Heilung eintrat. 
Wir beobachten also hier das eigenartige Phänomen, dass durch den 
gleichen Faktor eine Störung hervorgerufen- und beseitigt wird. Die 
Erklärungen ergeben sich aus dem Studium der Biologie der Spiro¬ 
chäten und aus der besonderen Situation, in welcher sich die iti 
die Meningen eingednmgenen Spirochäten gegenüber der Salvarsan- 
wirkung befinden. Die Dinge scheinen — nach Eh r 1 i c h — so zu- 
sammenzuhängen, dass die in den weichen Hirnhäuten und im Liauor 
befindlichen Spirochäten von dem Salvarsan zunächst weniger inten¬ 
siv geschädigt werden, als -das im übrigen Organismus befindliche 
Virus. Die allgemeine Durchseuchung wird schnell abgeschwächt, 
es kommt zu einer Sterilisatio fere absoluta und nun finden die im 
Nervensystem sitzenden Spirochäten besonders günstige Entwicklungs¬ 
bedingungen, die entzündlichen Vorgänge nehmen dort zu, die Infil¬ 
tration greift auf die Hirnnerven und es werden nun besonders leicht 
die in engen- Knochenkanälen verlaufenden Hirnnerven, wie z. B. der 
Akustikus, ganz oder teilweise leitungsunfähig. Daraus ergibt sich* 
dass eine unzureichende Salvarsan behändJung schädlicher sein kann 
als gar keine. Die ideale Forderung geht dahin, die Sterilisation im 
frühen Primärstadium zu erreichen, bevor die meningeäle Infektion 
stattgefunden oder nennenswerten Umfang angenommen hat, d. h. 
bevor die WaR. im Blut positiv geworden ist 

Durch eine so frühzeitige, kombinierte Hg-Salvarsanbehandlung, 
die in mindestens einer 6 wöchigen Schmierkur zu 4—5 g Ungt. ein. 
oder entsprechenden Hg-Injektionen und Injektionen von insgesamt 
etwa 4,5 NeoSalvarsan oder Salvarsannatrium in zunächst kleinen 
und in kurzen Abständen sich wiederholenden Gaben zu bestehen hat, 
kann man die Heilung und damit das Ausbleiben der LiouorVerände¬ 
rung erreichen. Treten die Kranken In die Behandlung, wenn 
die WaR. bereits positiv geworden ist oder im Sekundär¬ 
stadium, sei es vorbehandelt oder unbehandelt, so Ist 
es notwendig, zum mindesten nach Beendigung der letzten 
Kur — bei der der ersten Salvarsaninjektlon eine 10 tägige 
Schmierkur oder 4 —5 Hg-Injektionen vorauszugehen haben — sich 
über die Liquorverhältnisse zu orientieren und die Behandlung mit 
kurzen Pausen fortzuführen, bis man normalen Liquor befund erzielt 
hat. 'Dies gelingt bei nichtbehandelten Fällen oft leichter als bei 
ungenügend 1 vorbehandelten. Am schnellsten kommt man zum Ziele, 
wenn nur eine Pleozytose besteht; liegt bereits eine erhebliche 
Globulinvermehrung vor oder gibt sogar der Liquor positive WaR. 
— es handelt sich hier allerdings meist um d/i.e positive WaR. bei 
Anwendung grösserer Liquormengen- — so ist es schwieriger, die 
Veränderungen zu beseitigen. Oft ist es allerdings auch hier zu 
erreichen, wenn Arzt und Patient durchhalten. Sind afle Reaktionen 
negativ geworden, so sollte nach Ablauf eines halben Jahres eine 
nochmalige Liquorrevision stattfinden. G e n n e r i c h. dessen umfang¬ 
reiche Liquorstudien an Angehörigen der Flotte im Marinelazarett zu 
Kiel ■Oiel zur Klärung dieser Verhältnisse beigetragen haben, hat ge¬ 
zeigt, dass auf diese Weise an einem unter Liquorkontrolle ge¬ 
haltenen Krankenmaterial von 533 Fällen fast ausnahmslos die 
Wiederkehr krankhafter Liquorveränderungen, das Auftreten von sog. 
Meningorezidiven verhindert werden konnte. Lässt sich bei serum- 
positiver Primärsyphilis und- bei frischer Sekundärsyohilis eine aus¬ 
giebige kombinierte Behandlung, bestehend in 3—5 kombinierten 
Kuren Innerhalb 4 Monaten mit Rücksicht auf die schnelle Erzielung 
der Felddienstfähigkeit nicht durchführen, so empfiehlt Gennerich 
das Salvarsan überhaupt fortzulassen und sich mit einer Hg*Behand- 

Original from 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1262 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


lung zu begnügen, da kein Salvarsan besser ist als zu wenig. Die 
endgültige Behandlung wird vertagt, bis infolge von Rezidiven oder 
anderen Umständen die Felddienstfähigkeit unterbrochen wird. Die 
Beseitigung deT Liquorveränderungen wird nach Qennerichs Er¬ 
fahrungen erleichtert durch intraspinale Einverleibung von Salvarsan 
in Dosen von Yi —2 mg pro injectione neben den intravenösen Ein¬ 
spritzungen. Die Behandlung der Frühsyphilis sollte, wie auch ich 
meine, unter Liquorkontrolle geschehen; da diese Lehre sich aber 
bisher nur wenig eingebürgert hat, wird zweifellos ein Teil der Syphi¬ 
litiker ungenügend mit Salvarsan behandelt, und es ist daher die 
Möglichkeit nicht auszuschliessen, dass die den späteren Stadien 
zugehörigen Hirn- und Rückenmarkserkrankungen nunmehr häufiger 
oder vielleicht auch früher auftreten könnten, wie es vor der 
'Salvarsanära der Fall w'ar. Gennerich berichtet bereits von 
einigen Fällen, wo Paralysen sich schon 3—4 Jahre nach der In¬ 
fektion einstellten, also ganz ungewöhnlich früh, und wir haben auch 
in unserer Klinik kürzlich eine Paralyse auf genommen, bei der die 
Infektion nur 4 Jahre zurücklag und wo die ganze Behandlung in 
2 Salvarsaninjektionen im Primärstadium bestanden hatte. Ob es 
sich hier um Zufälligkeiten handelt oder nicht, werden ja die nächsten 
Jahre lehren. Wollen wir die Syphilis heilen, so brauchen wir unbe¬ 
dingt das Salvarsan, und die geschilderten Gefahren, die es bietet, 
dürfen uns nicht abschrecken, zu dem Mittel zu greifen, zwingen 
uns jedoch, es kunstgerecht anzuwenden. 

Ich wende mich nunmehr den späteren Formen der Syphilis des 
Zentralnervensystems zu. 

Pathologisch-anatomisch unterscheidet man 3 Gruppen: dre gum¬ 
möse, die meningo-enzephaLitische bzw. myelitische und die end- 
arteriitische Form, die meist miteinauder kombiniert auftreten. 

Im Grunde gehören die gummöse und meningo-enzephalitischc 
Form zusammen. Man spricht von gummöser Hirnlues, wenn ein¬ 
zelne, gelegentlich ziemlich isoliert liegende Gummiknoten einen Um¬ 
fang erreichen, der Tumorsymptome veranlasst; gleichzeitig finden 
Sie auch gewöhnlich meningeale Infiltrationen. Auf der anderen Seite 
sieht man häufig bei der men ingo-enzephalittischen Form gummöse 
Herde in die meningealen Infiltrationen eingelagert, so dass man dann 
auch von gummösen Meningitiden spricht. Der Prozess beginnt in 
den weichen Hirnhäuten, die von Infiltrationen mit vorwiegend 
Iymphozytären Elementen durchsetzt werden und gleichzeitig eine 
Wucherung der bindegewebigen Zellen erkennen lassen. Die Infiltrat¬ 
massen gehen auf die Nerven über, deren Hüllen und Interstitien damit 
angefüllt erscheinen. Regelmässig sind auch diie Gefässe der Pia 
in den Prozess einbezogen. Die infiltrativen Elemente füllen die 
adventitiellen Scheiden aus und durchsetzen von hier aus allmählich 
die inneren Schichten der Gefässwandung. An der Stelle, wo die 
Meningitis am stärksten ausgeprägt ist, erscheint auch das nervöse 
Parenchym am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Die Lympho¬ 
zyten Infiltrationen dringen entweder dem Lauf -der aus der Pia in 
die Rinde ausstrahlenden Gefässe folgend ein oder das Infiltrat setzt 
sich mehr flächenhaft von der Pia auf das Nervengewebe fort. Der 
örtliche Zusammenhang zwischen nteningealer und Rindenerkrankung 
ist gewöhnlich deutlich erkennbar. Am Gehirn ist die Basis, insbe¬ 
sondere der interpedunkuläre Raum, ein Ldeblingssitz der 'Meningitis, 
am Rückenmark sind es 'die hinteren Flächen. 

Die Prozesse können sich auch vorwiegend an der Konvexität 
des Gehirns abspielen. 

Die Gefässlues betrifft häufig die grossen Gefässe, besonders an 
der Basis des Gehirns, in Form der Heubn er sehen Endarteriitis. 
Ausserdem gibt es Endarteriitiden der kleinen Hirngefässe, die be¬ 
sondere klinische Bilder zu erzeugen vermögen. Kommt es infolge 
der Intima Wucherung zur Obliteration der Gefässe, so treten Ver¬ 
ödungen und Erweichungen der abhängigen Bezirke auf. 

Die klinischen Bilder können je nach der Lokalisation und der 
Intensität der krankhaften Veränderungen ausserordentlich ver¬ 
schiedenartige sein. Im ganzen kann man sagen, dass die Flüchtig¬ 
keit der Störungen und die Neigung zu Rezidiven- den syphilitisch 
bedingten Symptomen vielfache eigen ist. 

Die men ingi tische Erkrankung der Basis erhält 
ebenso wie bei den frühsyphilitischen Formen auch hier durch die 
Beteiligung der Hirnnerven ein besonderes Gepräge. Man wird daher 
immer an Lues zu denken haben, wenn etwa AugenmuskelIähmungen, 
Ptosis, Pupillenstörungen, Neurit. optica auftreten oder wenn Ohren¬ 
sausen, Gehörsausfall, Gleichgewichtsstörungen auf Beteiligung des 
Akustikus hinweisen, während Lähmungen der mimischen Muskulatur, 
manchmal durch ein leichtes Hängen eines Mundwinkels oder Ver- 
strichensein einer Nasolabialfalte angedeutet, das Ergriffensein des 
Fazialis verrät Auch bei Trigemi-nuserkrankungen ist die syphi¬ 
litische Aetiologie in Betracht zu ziehen. Ferner können die Bulbär- 
neTven erkrankt sein, Geschmacksstörungen, Schluckbeschwerden, 
Zungenlähmungen können sich einstelien. Besonders deletär ist die 
Beteiligung des Vagus. Die Allgemeinsymptome der Meningitis können 
ausgeprägt sein, aber auch gänzlich fehlen. 

Die Konvexitätsmeningitis kann zu lokalisierten 
Krampferscheinungen oder allgemeinen epileptiformen Krämpfen An¬ 
lass geben und Lähmungen meist flüchtiger Art im Gefolge haben. 
Geht in grösserem Umfange nervöses Parenchym zugrunde, so ent¬ 
wickeln sich geistige Schwächezustände. Man unterscheidet den ein¬ 
fachen luetischen Schwachsinn von Krankheitsformen, die der Para¬ 
lyse ähneln und die man deshalb als syphilitische Pseudoparalys^n 
bezeichnet. Entsprechend dem herdartigen Charakter der syphiliti¬ 


schen Veränderungen gegenüber den paralytischen, die eine mehr 
diffuse Ausbreitung haben, ist der Schwachsinn durch Erhaltenbleiben 
gewisser Fähigkeiten, durch seinen lakunären Charakter, wie man 
das zu bezeichnen pflegt, so wie oft dadurch gekennzeichnet, dass 
die Krankheitseinsicht nicht verloren geht. Die Erkrankung kann 
auch zu andersartigen psychotischen Störungen führen, kann Halhi- 
zinosen, paranoide Zustandsbilder erzeugen; nicht selten stösst .man 
auch auf Bilder, die durch eine vorwiegende Störung der Merkfähig- 
keit charakterisiert sind, und schliesslich erinnern manche Formen 
an das manisch-depressive Irresein. Grössere Gummata können den 
Krankheitsbildern Tumorsymptome beimischen. 

Bei den vorwiegend vaskulären.Formen sind die Läh- 
mungserscheinuwgen kennzeichnend Sie finden Hemiplegien, Mono¬ 
plegien, die verschiedenartigsten herdförmigen Ausfallserscheinungen 
je nach dem Sitz der Läsionen. Die Insulte stellen sich bei erhaltenem 
Bewusstsein ein, können auch mit Bewusstseinsverlust ednhergeben. 
Die Neigung zu Rezidiven ist im Hinblick auf den Umstand, dass es 
sich häufig um ausgedehnte und progressive Gefässerkrankungen 
handelt, leicht begreiflich. Bei luetisch bedingten Lähmungen finden 
Sie häufig Pupillenstörungen, meist Herabsetzung oder Aufgehoöen- 
sein der Lichtreaktion bei gleichzeitiger Beeinträchtigung oder 
Schwinden der Konvergenzreaktion; Pupillenstörungen gehören 
wegen ihrer Häufigkeit zu den wichtigsten syphilitischen Phänomenen, 
und sind in der Form der reinen Lichtstairre nahezu beweisend für 
Syphilis. Dilferentialdiagnostisch kommt bei syphilitischen Läh¬ 
mungen vor allem die Arteriosklerose in Frage. Oft lässt schon von 
vornherein das jugendliche Alter der Kranken die Arteriosklerose 
ausschliessen. 

Dre Hirnsyphilis kann auch unter dem Bilde der Epilepsie 
verlaufen und es ist neben deo^chronischen Meningitiden besonders 
die Endarteriitis der kleinen Hirngefässe, welche alle Symptome der 
genuinen Epilepsie, grosse und kleine Anfälle, Abszenzen und 
Dämmerzustände auszulösen vermag. Es empfiehlt sich daher, bei 
jedem Epileptiker nach Lues zu fahnden. 

Die Syphilis des Rückenmarkes kann je nach dem 
Vor wiegen der men Inguschen Prozesse, der gummösen Gebilde, der 
Erweichungsherde, und je nach dem Befallen sein der verschiedenen 
Teile mannigfache Krankheitsbilder erzeugen, deren Abgrenzung von 
nicht syphilitischen spinalen Erkrankungen mit zu den schwierigsten 
Aufgaben gehört. Zahlreiche nicht syphilitische Rückenmarkserkran¬ 
kungen können ähnliche Bilder liefern. Was. abgesehen von ferneren 
neurologischen Merkmalen, deren Verwertung mir dem Facharzt zu¬ 
gänglich ist, den Verdacht auf Syphilis erwecken muss, ist auch hier 
wieder die häufig zu beobachtende Flüchtigkeit der Erscheinungen, das 
schwelle Aufflackern und Verschwinden der Störungen, eine Unter¬ 
scheidung, die allerdings der multiplen Sklerose gegenüber versagt, 
und vor allem die sehr häufig anzutreffende Mitbeteiligung des Ge¬ 
hirns, insbesondere Pupillenstörungen. 

Der Reichtunm der klinischen Bilder, welche die Syphilis des 
Gehirns und des Rückenmarks hervorzurufen vermag, die mannig¬ 
fache Udbereinstimmung ihrer Erscheinungen mit Störungen nicht 
syphilitischer Genese muss bei allen Krankheitsfällen, bei denen auch 
nur entfernt die Möglichkeit eines organischen Krankheitsprozesses 
in Betracht kommt, Anlass geben, an Syphilis zu denken. Diese 
Ueberlegung in das praktische Handeln übertragen, heisst: i n 
jedem Falle, auch wenn zunächstk-ein Anhaltspunkt 
gegeben, erscheint und die Infektte^ noch so 
energisch in Abrede gestellt wird, die-WaR. mit 
dem Blut vornehmen zu lassen. Bei akuten und sub- 
akuten meningitischen Formen wird nur selten die WaR. vermisst 
werden, und auch bei den chronischen Formen ist sie in mindestens 
80 Proz. vorhanden. Ebenso ist die WaR. bei der Gefässlues in der 
grossen Mehrzahl der Fälle nachweisbar. Untersuchen Sie einen 
Hemiplegiker, der die Reste einer vor Jahren erlittenen Hemjplegie 
aufweist, so kann inzwischen die Syphilis ausgeheilt sein, während 
die Hemiplegie noch besteht; eine negative WaR. spricht natürlich in 
solchen Fällen nicht gegen die ursprüngliche syphilitische Aetiologie. 
ln jedem Fall muss man sich darüber informieren, ob kurze Zeit zuvor 
eine antisyphilitische Behandlung vorausgegangen ist, eine Forderung, 
die seit der Einführung des Salvarsans ganz besonders berücksichtigt 
werden muss. Eine negative WaR. kann durch, die Therapie herbei¬ 
geführt worden sein und beweist dann nichts gegen die syphilitische 
Bedingtheit der Störung. 

Auch hier möchte ich wieder betonen, dass die positive WaR. 
im Blut nur Lues beweist, aber nicht Lues des Zentralnervensystems. 
Andererseits spricht nicht mit Sicherheit die negative WaR. im Blut 
gegen nervöse Lues. Klarheit kann man nur durch Ausdehnung der 
Untersuchungen auf den Liquor gewinnen. Ich mochte anraten, bei 
älteren Syphilitikern mit positiver WaR. im Blut, wenn sich auch nur 
irgendwelche vage nervöse ^Erscheinungen, wie etwa erhöhte Er¬ 
müdbarkeit, Ueberempfindlichkeit. leichte Wesen Veränderungen ein¬ 
stellen. nicht auf die Punktion zu verzichten, denn oft genug sind 
solche unbestimmte, zunächst funktionell erscheinende Störungen der 
Ausdruck organisch syphilitischer Prozesse und man begegnet zu 
seiner Ueberraschung hier oft genug bereits den schwersten Liquor- 
veränderungem. 

Am leichtesten zu nehmen ist eine geringfügige Zellvermehrung: 
sie findet sich nicht selten bei alten Syphilitikern ohne Erkrankung 
des Zentralnervensystems im engeren Sinne und kann auf eng um¬ 
schriebene Infiltrationsherde in den Meningen, denen keine grössere 


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5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1263 


Bedeutung beizufnessen i§t, zurückzuführen sein. Ernster ist die 
Sachlage zu beurteilen? wenn höhere Zellwerte und Eiweissver- 
mehrung nachzuweisen sind und mit Sicherheit besagt das Auftreten 
der WaR. kn Liquor das Vorliegen eines organisch-syphilitischen 
Prozesses. Im allgemeinen ist die WiaR. bei diesen Formen im 
Liquor nicht sehr intensiv ausgeprägt, sie findet sich meist nur, wenn 
Sie den Liquor in höherer Konzentration untersuchen; dann ist sie 
allerdings auch bei nervöser Syphilis der späteren Stadien ein fast 
regelmässiges Symptom. Höhere Zellzahlen, oft mehrere hundert 
Zellen im Kubikmillimeter, Globulinvermehrung und schwache posi¬ 
tive WaR. findet man bei den akuten men in gi tischen Formen; bei 
den chronischen meningi tischen Erkrankungen ist -die Pleozytose ge¬ 
ringer, zuweilen überhaupt nicht vorhanden, so dass nur Globul-in- 
vermehrunig und WaR. nachweisbar sind. Bei Gummata des Ge¬ 
hirns sind die Zellwerte abhängig von dem Grad; der begleitenden 
pialen Infiltration. Bei vorwiegend endarteriitischen Formen ist die 
Zellvermehrung geringer oder sie fehlt ganz, auch die Eiweissver- 
mehrurcg kann sich in sehr engen Grenzen halten oder völlig ver¬ 
misst werden, während die WaR. auch in solchen Fällen gewöhnlich 
positives Resultat bei Anwendung höherer Liquordosem ergibt. 
Finden Sie einschliesslich der Kolloidreaktionen völlig normalen Li¬ 
quor bei einem Luetiker, der klinische Symptome einer syphilitischen 
Erkrankung des Nervensystems darbietet, etwa PupillenStörungen, 
so können Sie, falls nicht eine energische Behandlung kurz vorher 
stattgefunden hat, mit einiger Wahrscheinlichkeit schliessen, dass die 
klinischen Symptome nicht der Ausdruck eines «hn Gange befindlichen 
syphilitischen Prozesses sind, dass es sich vielmehr um Residuen 
eine abgelaufenen Prozesses handelt. 

Wenn auch immer mit Ausnahmen gerechnet werden muss und 
es daher gewiss unklug rst, sich etwa, sklavisch an die Liquorbefunde 
allein zu halten, anstatt das gesamte Krankheitsbild für die Beur¬ 
teilung ms Auge zu fasse®, so erkennen Sie doch aus dem Gesagten, 
welche bedeutenden Unterlagen uns die Liquoruntersuchung geben 
kann. 

Ebenso wie bei den Frühformen hat auch bei diesen späteren 
Erkrankungen die Therapie unter Liquorkontrolle vor 
sich zu gehen. Am leichtesten spricht die Zellvermehrung auf die 
Behandlung an; wie es scheint, sind die 'entzündlichen Piaverände¬ 
rungen, deren Ausdruck die Pleozytose ist, der spezifischen Tharapie 
am zugänglichsten. Eiweiss und WaR. verhalten sich viel refrak¬ 
tärer, obwohl auch sie in einem nicht unerheblichen Prozentsatz 
der Fälle zum Verschwinden gebracht werden können. Ich habe 
wiederholt die Erfahrung gemacht, dass je ausgesprochener die Pleo¬ 
zytose bei der späteren Hirn- und Rückenmarkssyphilis ist, um so 
leichter auch Eiweiss und WaR. aus dem Liquor unter dem Einfluss 
der Behandlung verschwinden. Höhe Zell werte sind also häufig als 
ein prognostisch nicht ungünstiges Zeichen bei der Spätlues anzu¬ 
sehen. Am schwersten ist die WaR. und auch die Globulinvermehrung 
zu beseitigen, wenn sie ohne wesentliche Zellvermehrüng sich findet. 
Dies stimmt überein mit der klinischen Erfahrung, dass die end- 
arteriitischen Prozesse therapeutisch nur schwer zu beeinflussen sind. 

Die Art der Behandlung ist dem einzelnen Falle anzupassen. 
Es lassen sich nur allgemeine Richtlinien geben, ln der Regel ist 
die kombinierte Hg-Salvarsanbehandlunig vorzunehmen und es ist 
vorteilhaft, während der Behandlungspausen Jod zu verabreichen. 
Liegt hohe Zellvermehrung vor, so empfiehlt es sich, um eine 
plötzliche Steigerung der meningealen Entzündungsprozesse im 
Sinne der H erxheimer *chen Reaktion zu verhüten, etwa 10 Tage 
lang vor' der ersten Salvarsanin-jektion Hg zu geben, andernfalls 
Kann man sogleich mit dem Salvarsan beginnen. Ob Sie schmieren 
lassen oder. Hg-Injektionen vornehmen, macht wohl keinen erheb¬ 
lichen Unterschied. Kalomel und graues Oel sind die wirkungsvollsten 
und zurzeit beliebtesten Präparate für Injektionen. Unter den Sal- 
varsanPräparaten» wirkt das Salvarsartnatrium auf nervöse Prozesse 
vielleicht etwas intensiver als das Neosalvarsan, dieses wird hingegen 
besser vertraigen und empfiehlt sich vorzugweise bei den endarteri- 
itischen Formen. 

Die Auffassung, man müsse bei ausgedehnten Gehirnefkrankungen 
der späteren Stadien besonders vorsichtig mit dem Salvarsan, ver¬ 
fahren, kann ich nicht teilen. Mit plötzlichen Todesfällen ist ange¬ 
sichts der Gefährdung durch die Prozesse selbst immer zu rechnen 
und man hat vielfach mit Unrecht solche Vorkommnisse -dem Sal¬ 
varsan zur Last gelegt. Der glücklicherweise sehr selten« Sal- 
varsantod infolge multipler Hirnblutungen ist unabhängig von den 
jeweils spielenden syphilitischen Prozessen im Nervensystem und be¬ 
trifft meist gesunde Gehirne. Es handelt sich dabei wohl um arsen- 
toxische Gefässwandschädigungen auf Grund einer besonderen indi¬ 
viduellen Anlage, begünstigt vielleicht durch Schwangerschaft und 
Nierenschädigungen, Ein sicheres Mittel, solche Vorgänge vorauszu¬ 
sehen und abzuwenden, kennen wir nicht. Der Salvarsantod ist viel 
seltener als der Ghloroformtod und wie mit diesem, müssen wir uns 
auch mit jenem abfinden. Die Hirnsyphilis hat jedenfalls mit der Ence¬ 
phalitis baemorrhagica nichts zu tun, gibt also in dieser Hinsicht keine 
Indikation gegen ausgiebige Salvarsanbehandlung. Andererseits ist 
jedoch zu betonen, dass bei Fällen, wo syphilitische Prozesse im Be¬ 
reich der Medulla oblongata oder -am oberen Halsmark statthaben, 
man im Hinblick auf <He Möglichkeit eines lokalen Aufflammens des 
Prozesses (H e r x h e i m e r sehe Reaktion) und dessen bedrohliche 
Folgeerscheinungen sehr vorsichtig mit Salvarsan sein muss, besser 
überhaupt darauf verzichtet (Nonne). 

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Bei den nervösen Späterkrankungen ist es ratsam, das ^Salvarsan 
nicht zu verzetteln und an Stelle von häufigen kleinen Dosen höhere 
Gaben bei grösseren Intervallen», d. h. in etwa 8 tägigen Abständen 
zu geben. 

Wenn ich einen Behandlungsplan, der häufig bei uns in solchen 
Fällen zur Anwendung kommt, schildern darf, so besteht dieser in 
eimer 5 wöchigen Schmrerkur zu 4—5 g grauer Salbe täglich und 
6 Salvarsaninjektionen, die erste zu 0.3, die zweite zu 0,6, 4 weitere 
zu 0,9 Saivarsannatrium. Will man. die Einzeldosis Von 0,6 nicht 
überschreiten, was man in der Mehrzahl der Fälle unbesorgt tun 
kann, so treten an Stelle der 4 Injektionen zu 0,9 6 Injektionen zu 0,6, 
so dass jedenfalls eine Gesamtdosis von 4,5 g Saivarsannatrium er¬ 
reicht wird. Regelmässige Untersuchung des Harns auf Eiweiss ist 
erforderlich. Nach Abschluss der Kur kann man Jod geben, wobei 
die Injektionen von Jodipin zuweilen recht günstig wirken. 4 Wochen 
nach »der letzten Salvarsaninjektion Wiederholung der Spinal Punk¬ 
tion. Unabhängig von dem Liquorbefund ist nunmehr eine erneute, 
mit der ersten übereinstimmende Kur vorzunehmen. Die späteren 
Massnahmen richten sich nach den Liquorbefunden. Sind nach 3 kom¬ 
binierten Kuren, abgesehen von der Pleozytose, die immer ver¬ 
schwindet, Eiweiss und WaR. noch vorhanden, so ist es aussichtslos, 
zu der gegebenen Zeit zum Ziele zu gelangen und man lässt den 
Kranken für etwa 1 Jahr Ruhe. Das Negativwerden der WaR. im 
Blut erlaubt keine zuverlässigen Rückschlüsse auf das Verhalten des 
Liquor, es können alle pathologischen Liquorveränderungen mit dem 
positiven Blut Wassermann verschwinden und 1 so ist es meist, dies 
muss aber keineswegs der Fall sein. Schemata für Therapie sind 
immer misslich Die Aufgabe des Therapeuten besteht natürlich darin, 
sich dem gegebenen Falle anzupasseti. Neben den Veränderungen 
der Körperflüssigkeiten sind das Allgemeinbefinden, die Art der kli¬ 
nischen Störungen und die Toleranz sorgfältig zu berücksichtigen. 
Aber der Einfluss der Therapie kommt nirgends so deutlich zum 
Ausdruck wie in den Liquorbefunden und sie zu vernachlässigen, heisst 
auf den wichtigsten Führer verzichten. 

Eine besondere Stellung unter den syphilitischen Erkrankungen 
des Nervensystems nehmen die Paralyse und die Tabes ein, 
die man lange Zeit als Nachkrankheiten der Syphilis, als Metasyphilis, 
also bereits ausserhalb der durch den Erreger direkt erzeugten 
Krankheitprozesse stehend angesehen hat. Bis vor recht kurzer Zeit 
wollten manche Autoren nicht einmal zugeben, dass eine früher sfcatt- 
gefundene syphilitische Infektion Voraussetzung für das Entstehen 
solcher Nachkrankheiten sei, und machten gegenüber der Erfahrung, 
dass in der Möhrzahl der Fälle die frühere Infektion ermittelt werden 
konnte, nur die Konzession, die Syphilis sei die Hauptursache neben 
anderen Ursachen, sie sei aber nicht obligatorisch. Als es dann ge¬ 
lang, mittels der WaR. fast ausnahmslos die Paralytiker als Syphi¬ 
litiker zu erkennen, da auch bei negativer Anamnese die WaR. fast 
regelmässig positiv ausfiel, war ein grosser Schritt vorwärts getan. 
Zum mindesten» konnte somit die Syphilis als Vorbedingung erklärt und 
behauptet werden, ohne Syphilis gibt es keine Paralyse. Wie aber die 
Beziehungen der Syphilis zur Paralyse und zur Tabes gestaltet sind, 
blieb auch jetzt noch unklar. Die Substanzen, die wir durch die 
WaR. nachweisen, waren in ihrer biologischen Stellung nicht geklärt, 
und sind es auch jetzt noch nicht, wohl aber kann man sagen, dass 
rhr Vorhandensein in enger Beziehung zur Lebenstätigkeit der Spiro¬ 
chäte steht, und ihr regelmässiges und intensives Auftreten bei der 
Paralyse musste demgemäss zu der Annahme drängen, dass während 
der paralytische Prozess sich abspielt, noch tätiges Virus im Organis¬ 
mus wirksam ist. Durch das Auffinden der Spirochäte in der Hirn¬ 
rinde durch Noguchi ist diese Annahme zur Gewissheit geworden. 
Während anfangs die Spirochäte nur schwer oder selten auffindbar 
erschien, ist es durch Verbesserung der Technik, besonders durch die 
Untersuchungen im Dunkelfeld, gelungen, Spirochäten in der Mehrzahl 
der Fälle zu finden. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass sie 
in jedem paralytischen Gehirn vorhanden sind. Durch die Unter¬ 
suchungen J a h n e 1 s ist uns auch bereits über die Lokalisation der 
Spirochäten im Qebiirn der Paralytiker verschiedenes bekannt ge¬ 
worden. i 

Die Spirochäten finden sich nur in der grauen Substanz 
und zwar hauptsächlich in- der Rinde des Grosshirns, aber auch in der 
Kleinhirnrinde sowie in den StanrmgangHen, hingegen nicht in der 
weissen Substanz. In der Grosshirnrinde sind sie in den vorderen, 
also in den von dem paralytischen Prozess gewöhnlich am stärksten 
ergriffenen Teilen am zahlreichsten, eine besondere Prädilektionsstelle 
ist der Hiirnpol. 'Der Hinterhauptslappen ist gewöhnlich frei von 
Spirochäten. Die äusserste gangl-ien zellenfreie Rindenschicht enthält 
meist keine Parasiten. Jahne! unterscheidet 2 Typen: 

Beim ersten Typus finden- sich Spirochätenn-ester. d. h. enorme 
Mengen von Parasiten auf kleine Stellen beschränkt in ziemlich 
scharfer Abgrenzung; Jahnel spricht von ibienenschwarmartiger 
Anordnung. Der zweite und häufigere Typus zeigt die Spirochäten 
in diffuser Verteilung, die Parasiten liegen ziemlich regellos zer¬ 
streut im Gewebe. Besonders regelmässig und zahlreich sind die 
Spirochäten in den Gehirnen von an paralytischen Anfällen Ge¬ 
storbenen nachzuweisen. 

Man könnte >a nun einfach, wie das bereits verschiedentlich ge¬ 
schehen ist, die Paralyse als eine Spirochätenerkrankung des Gehirns 
bezeichnen und das Problem als damit gelöst betrachten., Tatsäch¬ 
lich enthält jedoch das Syphilis-Paralyse- bzw. Syphilis-Tabes- 
Problem noch eine Fülle ungelöster Probleme. 

Original fro-m 

UNIVERSIT7 OF CALIFORNIA 




MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


1264 


Zunächst sind die Paralyse und die Tabes pathologisch-ana¬ 
tomisch durchaus eigenartige, wohlcharakterisierte Prozesse, die von 
den übrigen syphilitischen nervösen Erkrankungen im engeren Sinne 
sich scharf abheben. Man kann die Paralyse und die Tabes post 
mortem unschwer diagnostizieren, auch wenn man über das klinische 
Verhalten in vivo gar nichts weiss. Die hauptsächlichsten Verände¬ 
rungen bei der Paralyse bestehen bekanntlich makroskopisch in Trü¬ 
bung und Verdickung der weichen Hirnhäute, besonders ausgeprägt 
über den vorderen Hirnabschmtten, Atrophie der Rinde, hauptsäch¬ 
lich der Stimlappen, Erweiterung der Ventrikel und Auftreten von 
EpendymgranUlatdonen. Mikroskopisch zeigt die Pia Infiltration mit 
Plasmazellen und Lymphozyten. In der Rinde findet man schwere 
degewerative Veränderungen der Ganglienzellen und Nervenfasern, 
die zum fast völligen Schwund des funktiontragenden nervösen Ge¬ 
webes führen können. Besonders früh pflegt das zwischen der 2. 
und 3. Rindenschicht gelegene supraradiäre Markfasergeflecht und die 
in der äussersten Rindenschicht der Oberfläche parallel laufenden 
sog. Tangentiallasern zu leiden. Die durch den Schwund des ner¬ 
vösen Parenchyms gebildeten Lücken werden durch Wucherung der 
Stützsubstanz, der Neuroglia, ausgefüllt, die sowohl Vermehrung ihrer 
Zellen wie ihrer Fasern erkennen lässt Ganz besonders wichtige 
Veränderungen lassen die Hirngefässe erkennen. Sie erscheinen ver¬ 
mehrt, das Endothel ist gewuchert und die Lymphscheiden der Ge- 
fässe sind mit lymphozytären Elementen, besonders mit Plas¬ 
ma z e 11 e n, infiltriert Gerade diese entzündliche Adventitialscheiden- 
mfüt rattern mit PlasmazeHen ist ein regelmässiger und wesentlicher 
Befund. Aber hier sehen wir nicht wie bei der syphilitischen Me¬ 
ningitis die Infiltrate sich von der Pia auf die Rindengefässe fort¬ 
setzen, vielmehr können diese ohne Beziehung zur pialen Infiltration 
erkranken. 

Ferner ist zu betonen, dass bei der Paralyse entzündliche und 
degenerattve Veränderungen nebeneinander bestehen, die degenera- 
tiven Veränderungen keineswegs abhängig von den entzündlichen zu 
sein brauchen, sondern selbständig sich zu entwickeln vermögen. 

■Das anatomische Substrat der Tabes mit seiner charakteristischen 
Degeneration der Hinterstränge ist Ihnen ja allen bekannt. 

Der anatomischen Sonderstellung entspricht nun eine Reihe von 
Eigentümlichkeiten in der Entstehung, in der Symptomatologie und im 
klinischen Verlauf dieser Erkrankungen. 

Zunächst ist hervorzuheben, dass Piaralyse und Tabes im Allge¬ 
meinen erst lange Jahre nach der Infektion sich entwickeln. Nach 
unseren Erfahrungen beträgt bei der Paralyse das Intervall durch* 
sclHättläch 15 Jahre. Ein Abstand unter 8 Jahren ist selten,'"während 
häufiger mehr als 15 Jahre bis zu 30, ja 40 Jahren verstreichen. 
Auffällig ist nun weiterhin, dass die Paralytiker und die Tabiker sich 
keineswegs aus den Syphilitikern mit besonders schweren klinischen 
SypbiÜssymptomen rekrutieren, dass vielmehr gerade die leichten 
Syphilisformen gerne zu den schweren Späterkrankungen des Nerven¬ 
systems führen. Dass auf eine tertiäre Syphilis eine Paralyse folgt, 
ist ganz ungewöhnlich. Es ist überhaupt eine relativ kleine Gruppe 
von Syphilitikern, die an Paralyse und Tabes erkrankt. Nach -den 
neuesten Berechnungen von Mattau sc heck und Pälcz er¬ 
kranken annähernd 5 Proz. der Syphilitiker an Paralyse und an¬ 
nähernd 3 Proz. v an Tabes. Worauf diese Auslese beruht, ist recht 
unklar. Es könnte sich um besondere Varietäten der Spirochäten 
handeln, oder Zusammenhängen mit der besonderen Reaktionsweise 
einzelner Individuen auf die Qualitativ nicht irgendwie ausgezeichnete 
Spirochäte. Dass eine mit besonderer Fähigkeit, das Nervensystem 
im Sinne der Paralyse und Tabes zü schädigen, primär ausgestattete 
Spirochäte in Betracht kommt, istm. E. weniger wahrscheinlich. Wenn 
man ja auch «gar nicht selten beobachtet, dass Frauen und Kinder 
von Paralytikern und Tabikern gleichsinnig erkranken, so müsste 
dieses Vorkommnis angesichts der grossen Häufigkeit, mit der bei¬ 
spielsweise später paralytisch werdende Syphilitiker ihre Syphilis 
auf Frau und Kinder übertragen — nach unseren Erfahrungen ist die 
üebertragung in mindestens % der Fälle schon durch die WaR. 
nachweisbar — unendlich öfter eintreten, wenn man eine Paralyse¬ 
spirochäte supponieren wollte. Die Mehrzahl deT Paralytikerange¬ 
hörigen erkrankt zweifellos trotz Infektion nicht an Paralyse oder 
Tabes. Für das Vorliegen -einer in diesem Sinne neurotropen Spiro- 
chäteiispielart hat man auch Beobachtungen ins Treffen geführt, nach 
denen mehrere Personen, die sich an derselben Quelle infiziert 
hatten, paralytisch oder tabisch wurden. Diese Beobachtungen stehen 
aber zu vereinzelt da, um als beweiskräftig angesehen werden zu 
können. 

Schliesslich wurde auch aus neueren Erfahrungen, die sich aus 
der experimentellen Syphilis ergaben, gemutmasst, die 
Paralysespirochäte sei biologisch eigenartig. Förster und To¬ 
rnas czewski schlossen dies aus dem Versagen der Üebertragung 
von Syphilis auf Kaninchen und Affen mit Paralysematerial. Sie 
gingen so vor, dass sie mittels Hirnpunktion von lebenden Paralytikern 
kleine Hirnpartikelchen entnahmen und. nachdem sie in diesem Ma¬ 
terial Spirochäten im Dunkelfeld festgestellt hatten, den Tieren inji¬ 
zierten. In keinem Falle «gelang die Infektion. In einzelnen Fällen 
soll es geglückt sein, mit Liquor von Paralysen Kaninchen zu infi¬ 
zieren (Volk und Papp.enheim, Marinesco und Minea, 
Mattauschek). Wir hatten schon vor einer Reihe von Jahren 
ausgedehnte Impfversuche mit Paralyseliquor bei Affen- und Ka¬ 
ninchen gemacht, die negativ verliefen. Negative experimentelle Re¬ 
sultate beweisen allerdings nicht viel. U h 1 e n h u t h und Steiner 

□ igitized by GOOglC 


stellten später fest, dass überhaupt nur mit dem Liquor Sekundär^ 
syphilitischer die Üebertragung gelingt. Der mikroskopische Nach¬ 
weis der Spirochäte im Liquor ist, wie ich nebenbei bemerken möchte, 
bisher überhaupt nicht gelungen. Das Missglücken der Versuche von 
Förster und Tomasczewski könnte darin seine Ursache 
haben, dass mit dem durch die Hirupunktion entnommenen Material 
eine zu geringe Spirochätenzahl übertragen wurde. 'Denn- mit 
grösserem, frischen Paralytikerleichen entnommenen Material von 
Hirnrinde gelang es sowohl N o g u c h i wie U h 1 e n h u t h und M o 1 - 
zer syphilitische Orchitis beim Kaninchen zu erzeugen. Die bio¬ 
logische Sonderstellung der Paralysisspirochäte muss nach alledem 
zurzeit als unbewiesen angesehen werden. 

Viel mehr spricht für die andere Auffassung, die die Reaktions¬ 
weise des von der Syphilis befallenen Individuums für das Ausschlag¬ 
gebende hält. Dass erbliche Einflüsse im Sinne einer Häufung von 
Geisteskrankheiten in der Aszendenz, überhaupt einer Minderwertig¬ 
keit, die nachweisbare körperliche und psychische Merkmale der De¬ 
generation aufweist, verursachend mitwiinken, iist angesichts der 
erhobenen Statistiken recht unwahrscheinlich. Auch dass äussere 
Schädigungen, die das mit Syphilis bereits infizierte Individuum wäh¬ 
rend des Lebens treffen, für die Entwicklung der Paralyse erheblich 
ins Gewicht fallen, ist nicht sichergestellt. Weder der AEhohoIismus 
noch das Trauma, noch geistige Ueberarbeitung, noch gemütliche Er¬ 
schütterungen, noch alle sonstigen Schädigungen, drr der Kampf ums 
Dasein der grossstädtisch-en Bevölkerung in körperlich ex und seeli¬ 
scher Hinsicht zufügen, dürften eine wesentliche Rolle spielen. Sehen 
wir doch bei kongenital syphilitischen Kindern die Paralyse auf- 
treten, trotzdem alle solche äusseren Einflüsse wegfallen. Dass die 
Paralyse in den Städten häufiger ist als auf dem Lande, erklärt sich 
aus der häufigeren syphilitischen Infektion der Städter. 

Auch die Einflüsse des Krieges machten sich bisher weder in dem 
Sinne eines häufigeren oder frühzeitigeren Auftretens der Paralyse, 
noch in einer Beschleunigung des Krankheitsablaufes gehend; von 
einer „Kriegsparalyse“ kann daher nicht gesprochen werden. 

Wie schon betont, liegt nun ein auffallendes Missverhältnis vor 
zwischen Schwere der syphilitischen. Manifestation und der Neigung 
zur Erkrankung an Paralyse und Tabes. Diese Beobachtung, dass 
Paralyse, Tabes und symptomreiche Syphilis sich gegenseitig fast 
ausschliessen, hat man nicht nur bei- einzelnen Individuen gemacht, 
sonderen die Geschichte der Medizin und die medizinische Geographie 
lässt dieses Verhalten im grossen an ganzen Völkern erkennen. Als 
die Syphilis durch die Entdeckung Amerikas Ende des 15. Jahr¬ 
hunderts in Europa eingeschleppt wurde» wirkte die Syphilis zunächst 
als eine akute Infektionskrankheit mit schweren, vielgestaltigen 
Krankheitserschemungen, -die häufig in kurzer Zeit zum Tode führten. 
Allmählich wandelte die Syphilis ihren Charakter und wurde zu einer 
chronischen Infektionskrankheit mit in der Mehrzahl der Fälle mildem 
Verlauf und mit oft dürftigen klinischen Manifestationen in den 
frühen und mittleren Stadien der Erkrankung. Erst als die Verlaufs- 
form der Syphilis sich «in diesem Sinne geändert hatte, tauchten die 
Späterkrankungen des Nervensystems auf. Frühestens zu Ende des 
17. Jahrhunderts scheinen die ersten Paralysefälle beobachtet worden 
zu sein. Es bedurfte also des Ablaufs von etwa zwei Jahriwmderten, 
bis die Syphilis lene deletären Eigenschaften gewonnen batte. Und 
auch fetzt sehen wir beiin Studium der geographischen Verbreitung 
der Syphilis und Paralyse-Tabes, dass tropische und subtropische 
Völker, bei denen die Syphilis vielfach sehr schwere Veränderungen, 
besonders an Haut und Knochen, in den ersten Jahren hervornift 
die Paralyse und Tabes völlig oder fast völlig fehlen. In dieser 
Abhängigkeit der Paralyse- und Tabesgenese von der Symptomato¬ 
logie der Syphilis liegt offenbar eines der wesentlichsten Probleme 
der Paratyse-Tabes-Frage und die Annahme hat eine gewisse Wahr¬ 
scheinlichkeit für sich, dass in einer einheitlichen primären Reaktions¬ 
weise gegenüber der Spirochäte, welche die Paralyse- «und Tabes¬ 
kandidaten zeigen, ein abnormer Abwehrmechanismus zum Ausdruck 
kommt. 

Warum nun eine so lange Reihe von Jahren verstreichen muss, 
bis diese nervösen Späterkrankungen zum Ausbruch kommen, wissen 
wir nicht. Man kann sich vor stellen-, dass es langjähriger Einwirkung 
der Spirochäten in loco bedarf, bis der Boden vorbereitet ist, man 
kann auch daran denken, dass ein biologischer Mechanismus, dem 
die Aufgabe zukommt, Gegenwirkungen auszuüben, sich erschöpft. 
Naheliegend ist die Annahme, dass toxische Einflüsse eine wesentliche 
Rblle spielen; hierfür sprechen die schweren degenerativen, von dem 
Entzündungsprozess vielfach unabhängigen Veränderungen im ner¬ 
vösen Parenchym und bei der Paralyse der klinische Gesamtcharak¬ 
ter, die schweren Stoffwechselstörungen und der unaufhaltsame Ver¬ 
fall. Ob diese Toxine direkt den Spirochäten entstammen oder auf ihr 
mittelbares Wirken zurückzuführen sind, sei dahingestellt. 

Aus dem Auftauchen von Serumsubstanzen im Liquor, die nor¬ 
malerweise dort nicht nachweisbar sind, -entnehmen -einige Forscher 
die Auffassung, wesentlich sei ein Durchlässigwerden der Meningeal- 
gefässe, besonders der Plexus chorioidei, also gewissennassen die 
Durchlöcherung eines Filters und -damit das Eindringen von orts¬ 
fremden und schädigend wirkenden Serumbestandteilen hi das 
Nervengewebe. 

Englische Autoren meinen, das Nervensystem werde in früheren 
Stadien der Syphilis sensibilisiert. An den sensibilisierten Zonen lösen 
spät auftretende geringe Sprrochätenniengen Ueberempfindiichkeits- 
reaktionen aus, welche zum Absterben des Nervengewebes und damit 

Original fro-m 

UNIVER3ITY 0F CALIFORNIA^*——, 




5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


ia*5 

zu den degenerativen paralytischen und tabischen Veränderungen | grossen Regelmässigkeit wie bei der Paralyse. Die neueren, eingangs 
führen. geschilderten Untersuchungsmethoden, Hämolysin- und Komplement- 


M. H.! Sie erkennen aus der Fülle der Fragestellungen und . 
hypothetischen Konstruktionen, dass man auch nach der Auffindung 
der Spirochäten die Lösung noch nicht gefunden hat. i 

Was die Symptomatologie und die Verla ufsfor — 
mender Paralyse und Tabes betrifft, so kann ich mich wohl 
ganz kurz fassen. 

Sie wissen, dass die Paralyse eine Geisteskrankheit ist, die 
begleitet von körperlichen Reiz- und Lähmungserscheinungen zur Ver¬ 
blödung und in gemessener Zeit, im Durchschnitt innerhalb 2 bis 
3 Jahren, zum Tode führt. Die Paralyse ist bei den Männern etwa 
3 mal so häufig als bei den Frauen und pflegt meist zwischen dem 
35. und 50. Lebensjahre aufzutreten. Nach der Besonderheit der 
psychischen Störungen unterscheidet man mehrere Formen. Am 
häufigsten ist die sogen, einfache demente Paralyse. Hier entwickelt 
sich ohne wesentliches Hexvortreten von Wahnvorstellungen ein 
geistiger Schwächezustand. Die Kranken werden zerstreut, vergess¬ 
lich, nachlässig, unsauber, machen widerspruchsvolle Angaben, be¬ 
sonders in zeitlicher Hinsicht, werden kritiklos, stumpf und willens¬ 
schwach. Schliesslich verarmt das geistige Leben immer mehr, die 
Kranken vermögen die einfachsten Verrichtungen nicht mehr vor¬ 
zunehmen, die Erinnerung, auch an die wesentlichen Erlebnisse er¬ 
lischt und die Kranken dämmern wunschlos dahin, bis das Ende 
eintritt. Demgegenüber steht die expansive oder klassische Para¬ 
lyse, ausgezeichnet durch das Hervortreten unsinniger Grö&senideen 
und entsprechend abenteuerlicher Pläne. Die Kranken sind meist 
erregt, reizbar oder strahlend von Glücksgefühl, sehr wechselnd und 
beeinflussbar in ihren Ideen, die allmählich abblassen und der ein¬ 
fachen Verblödung Platz machen. Das Gegenstück ist die depressive 
Form, bei der wir trauriger oder ängstlicher Verstimmung begegnen, 
ferner Versündigungs- oder Verfölgungsideen und hypochondrischer 
Wahnbildung, häufig ganz phantastischen Inhalts; Neigung zu Selbst¬ 
mord ist hier häufig. Eine weitere Form, die sogen, agitierte Para¬ 
lyse, ist durch den rapiden Verlauf gekennzeichnet; diese Kranken 
zeigen stürmische Erregungszustände mit verworrenen Wahn- 
bikhingen und toben sich oft in einigen Wochen zugrunde. 

Besonders häufige körperliche Krankheitszeichen sind die Pu- 
pfllenstörungen, insbesondere Fehlen der Lichtreaktion bei* erhaltener 
Konvergenzreaktion, Steigerung oder Fehlender Patellarsehnenreflexe, 
artikulatorische Sprachstörung, Schriftstörung, Tremor, Hypalgesie. 
Bemerkenswert sind weiterhin die paralytischen Anfälle, die auf einem 
akuten Schub des Prozesses beruhen, teils epileptiform, teils apo- 
plektiform verlaufen, flüchtige Lähmungserscheinungen hinterlassen 
können und gewöhnlich die Verblödung vertiefen. 

Die frühzeitige Erkennung der Paralyse ist von 
allergrösster praktischer Wichtigkeit, da die Kranken, auch wenn sie 
gesellschaftlich noch geordnet erscheinen, bedenkliche Handlungen 
begehen können, die zumal im Felde unabsehbaren Schaden zu stiften 
vermögen. Die Formen, die mit Anfällen oder auffallenden psychi¬ 
schen Störungen einsetzen, werden ja schnell unschädlich gemacht 
werden, auch wenn die Diagnose oft erst im Lazarett sicher gesteht 
wird. Nicht selten aber ist die Entwicklung schleichend, es stellen 
sich zunächst leichte Charakterveränderuragen ein, abnorme Reizbar¬ 
keit, Verlust des feineren Taktgefühls, ethische Entgleisungen, Nach¬ 
lässigkeit, Vergesslichkeit oder mehr neurasthenisch wirkende Stö¬ 
rungen, innere Unruhe, Unfähigkeit zur Konzentration. Solche ganz 
unbestimmte und verwaschene Bilder müssen bei Männern im mitt¬ 
leren Lebensalter immer den Verdacht auf Paralyse erwecken und zur 
genaueren neurologischen Untersuchung Anlass geben. Finden sich 
nun etwa Pupillenstörungen, SprachersChwerung oder sonstige 
suspekte Symptome, so wird 1 sich der Verdacht auf Paralyse erheb¬ 
lich verdächten, andererseits gestattet das Fehlen körperlicher Er¬ 
scheinungen nidrt, die Möglichkeit des Vorliegens einer Paralyse aus- 
zuschli essen. 

Unter allen Umständen muss bei sdlchen Fällen- die WaR. kn 
Blut gemacht werden. Wird sie in einwandfreier Weise angestellt, 
so wird 1 sie bei der Paralyse nur ganz ausnahmsweise negativ Aus¬ 
fallen, so dass ihr Fehlen erheblich gegen Paralyse spricht, während 
das positive- Ergebnis zunächst den Verdacht stützen und Anlass zur 
Ueberweisung des Kranken auf eine fachärztlich geleitete Abteilung 
geben wird. Oie Untersuchung des Liquor wird in der Regel zur 
völligen Klärung der Sachlage führen. Der für Paralyse charak¬ 
teristische, auch in den allerfrüh-esten Stadien zu erhebende Befund 
ist: Zellvermehrung, Globulmvermehrung und positive WaR. schon 
bei geringer Liquorkonzentration. Die Befunde bei der 
Tabes weichen insofern« ab, als Sie hier nicht annähernd mit deT 
gleichen Regelmässigkeit positive WaR. im Blut finden, wie bei der 
FVaralyse. In 20—30 Proz. der Fälle müssen Sie mit negativer WaR. 
im Blute rechnen. Der Liquor zeigt in der Mehrzahl der Fälle erst 
bei hoher Konzentration positive Reaktion; die Tabes unterscheidet 
sich also auch hierdurch meist von der Paralyse, stimmt hingegen 
mehr mit der Lues cerebrospinalis überein, wenngleich zu betonen 
ist, dass bei der. Tabes intensive positive WaR. im Liquor doch 
wesentlich öfter angetroffen wird als bei der Lues cerebrospinalis 
der späteren Luesistadien. Nonne ist meist positiv und auch Zell- 
vermehrung ist gewöhnlich vorhanden, wenn auch nicht mit der 


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nach weis, sowie die Kol loidausflockungspr oben können der -Diagnose 
nicht selten noch eine weitere Sicherung geben. 

Auf die Klinrk der Tabes einzugehen, kann ich mir wohl versagen, 
nur daran erinnern möchte ich, dass die Frühdiagnose noch häufiger 
gestellt würde, wenn man die subjektiven Imtialsymptome sorg¬ 
fältiger beachten wollte. An lanzinierende Schmerzen erinnernde Be¬ 
schwerden sollten nicht ohne neurologische Untersuchung als Ischias 
oder Rheumatismus abgetan werden. Parästhesien, rasches Ermüden 
beim Marschieren, gelegentliche Harninkontinenz, Nachlassen der 
Libido, müssen an Tabes denken lassen und sogleich wenigstens zur 
Prüfung der Pupillenreaktion und der Sehnemeflexe Anlass geben. 

Die Therapie versagt in der Regel bei der Para¬ 
lyse völlig, auch wenn sie im ersten Beginn der Erkrankung ein¬ 
setzt. Wenn es auch nicht auszuschliessen ist, dass durch gewisse 
Behandlungsmethoden zuweilen ein vorübergehender klinischer Still¬ 
stand oder Remissionen herbeigeführt werden können, so darf nicht 
ausser acht gelassen werden, dass die Paralyse auch ohne Behänd, 
iung oft genug überraschende Besserungen aufwe'st und daher das 
i post hoc propter hoc selten frei von subjektiver Deutung bestimmt 
w erden kann. 

Sicher scheint mir zu sein, dass das Hg nichts nützt zuweilen 
sogar ungünstig wirkt während ich vom Salvarsan zum mindesten nie 
eine Schädigung gesehen habe. Die Salvarsantherapie der 
Paralyse wird zurzeit in dreifacher Form geübt man gibt intra¬ 
venöse Injektionen, man bringt das Präparat m geringen Mengen 
— 1—3 mg in NaCl-Lösung oder im eigenen Liquor gelöst — in den 
Lumbalsack und schliesslich spritzt man das 1 Stunde nach intra¬ 
venöser Injektion von Salvarsan entnommene und inaKtivierte Eigen¬ 
serum, sog. Salvarsanserum, intraspmal ein. Die intraspinale Behand¬ 
lung ging von der Annahme aus, dass das intravenös eimgeführte 
Salvarsan die Spirochäten im Nervensystem nicht erreicht. Es ist 
jedoch auch keineswegs bewiesen, dass Salvdrsan, das man im 
Lumbalteil der Wirbelsäule appliziert bis zum Gehirn auf steigt bzw. 
in das Gehirn eindringt. Andererseits ist es mir wahrscheinlich, 
dass von der Blutbahn aus das Salvarsan an das nervöse Parenchym. 

3um mindesten an dessen Häute herantreten kann; ich schliesse dies 
aus der Beobachtung, dass durch ausreichende intravenöse Salvarsan- 
behandlung regelmässig die ZellvermehTung im Liquor bei der Para¬ 
lyse zum Verschwinden gebracht wird und auch die Goldausflockung 
abnimmt. Man wird deshalb annehmen dürfen, dass die Beein¬ 
flussung des Liquor durch die Wirkung des Präparates in loco veran¬ 
lasst wird, die jedoch, da sie sich offenbar nur auf entzündliche Teil¬ 
erscheinungen erstreckt, keineswegs ausreicht, dem Krankheitsprozess 
Einhalt zu tun. Ich glaube nicht, dass es einen wesentlichen Unter¬ 
schied macht in welcher Weise man hier das Salvarsan anwendet, 
einen nennenswerten Erfolg wird man so und so nicht erzielen 
können*. 

.Neben der spezifischen Therapie oder mit ihr kombiniert wird 
noch eine andere Behandlungsweise geübt die sich von der Beobach¬ 
tung herleitet, dass zuweilen die Paralyse durch fieberhafte Erkran¬ 
kungen, besonders durch schwere phlegmonöse Prozesse, in ein¬ 
deutiger Weise gebessert wird. Schon vor mehreren Jahrzehnten 
haben deshalb die Irrenärzte ausgedehnte Abszessbildungen künstlich 
bei Paralytikern herbeigeführt und in neuerer Zeit hat man durch 
verschiedenerlei Präparate Fieber und Hyperleukozytose erzeugt. 
Man macht Einspritzungen mit Natr. nucleinicum, man injiziert Tuber¬ 
kulin und abgetötete Kulturen eitererregender oder sonstiger Bak¬ 
terien. Wir haben alle möglichen Kombinationen versucht haben die 
verschiedenartigsten Staphylokokken- und Streptokokkenstämme, 
Bacterium coli, Typhus und Cholera angewandt, haben auch die spe¬ 
zifische und fiebererregende Therapie miteinander verbunden, ohne 
dass wir wirklich eindeutige und wesentliche Wirkungen erzielen 
konnten. 

Bei der Tabes Hegen die Dinge günstiger. Hier können Sie gar 
nicht selten durch intravenöse Salvarsaninjektion, besonders aber 
durch dntraspinale Salvarsaninlektionen die Ataxie bessern und 
schmerzhafte Sensationen, in erster Linie fanzinierende Schmerzen 
abschwächen, zuweilen sogar für längere Zeit beseitigen. Ob neuro¬ 
logische Tabessymptome, wie PupillenstaTre und Verlust der Sehnen?* 
reflexe durch Salvarsan beeinflusst werden, wie das mehrfach be¬ 
hauptet worden ist, möchte ich vorläufig dahingestellt sein lassen. 
Ich selbst habe nie etwas derartiges gesehen. 

Von Hg möchte ich abraten und reinen Salvarsankuren durchaus 
den Vorzug geben. Auch bei den zahlreichen „Formes frustes", z. B. 
beh Personen, die lediglich Pupillenstörungcn bieten und wo zunächst 
— zumal, wenn die Spinalpunktion nicht herangezogen wird — es 
unentschieden bleibt, ob man harmlose Residualsymptome oder pro¬ 
gressive Prozesse vor sich hat, verwende ich ausschliesslich Sal¬ 
varsan, wenn Verdacht auf „Metasyphilis“ besteht, d. h. um bei dem 
Pupillenbeispiel zu bleiben, wenn isolierte Lichtstarre vor Hegt. 

M. H.! Ich bin am Ende meiner Ausführungen und hoffe, dass ich 
Ihnen* eine ungefähre Vorstellung vermitteln konnte über den gegen¬ 
wärtigen Stand unseres Wissens und über die nächsten Probleme, 
die auf dem Gebiete der Syphilis des Nervensystems der Lösung 
toärren. 


Original from 

UNIVERSITY 0F CALIFORNIA 


1266 _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ Nr. 45. 

Aus der I. Medizinischen Klinik München. 

Ueber die inneren Erkrankungen bei Syphilis, besonders über Aortitis syphilitica. 


Von Ernst 

Die Wassermannreaktion, die Fortschritte der Klinik und der 
pathologischen Anatomie haben der Syphilis auch für die Entstehung 
innerer Erkrankungen wenigstens der grossstädtischen Bevölkerung 
eine Rolle.zugewiesen, deren Grösse noch vor etwa 10 Jahren fast 
unbekannt war. 

So befanden sich unter 6850 Personen, die meiner Abteilung in 
2 l A Jahren zugingen, 695 mit sicherer syphilitischer Infektion, also 
10,1 Proz. Fast die gleiche Zahl hatte Sa enger 1 ) bei der Unter¬ 
suchung von 2000 Wöchnerinnen in der hiesigen Frauenklinik 
Doederleins, nämlich 8,6 Proz. Zahlreiche Einzelheiten hat Herr 
Dr. H u b e r t *), mein eifriger Mitarbeiter bei der Vorbereitung dieses 
Vortrages, mitgeteilt. Die Syphilis rückt so nach der 
Tuberkulose in die Reiheder grossen Volkskrank¬ 
heiten. Leider lässt sich die Ausbreitung in der besser gestellten 
Bevölkerung nicht so zuverlässig erfassen, weil die ärztliche Tätig¬ 
keit eines einzelnen doch einen zu einseitigen Einblick in die Ver¬ 
hältnisse gewährt. 

Die überraschende Häufigkeit der syphilitischen Infektion wurde 
vor allem durch die fast durchgehende Anstellung der Wassermann¬ 
reaktion auf meiner allgemeinen Abteilung ermittelt. Die Vor¬ 
geschichte lässt uns auch bei sorgfältigster Erhebung sehr oft in 
Stich, bei Männern mit sicherer Infektion hatten wir 60 Proz., bei 
Frauen 82 Proz. negative Angaben. In besser gestellten Kreisen, be¬ 
sonders bei ihren männlichen Angehörigen, liegen die Verhältnisse 
wohl günstiger. Unter meinen Privatkranken mit syphilitischer Aor¬ 
titis hatte ich 76 Proz. positive Angaben. Aber auch hier wird man 
einer negativen Angabe oder der Erinnerung an einen, „sicher nur 
weichen“ Schanker kein sehr grosses Gewicht beimessen. Bei dieser 
Wertung der WaR. ist ihre -zuverlässige, mit der nötigen Kritik, 
besonders mit Berücksichtigung etwaiger Elgenhemmung vor¬ 
genommene Anstellung natürlich Voraussetzung. Die bekannten sel¬ 
tenen Fehler durch andere Erkrankungen sind zu berücksichtigen. 
Ledder können wir bei inneren Krankheiten nicht aus dem nega¬ 
tiven, namentlich nicht aus dem einmaligen negativen Ausfall der 
WaR. auf das Freisein von spezifischer Ansteckung oder auf ihre 
Ausheilung schliessen. Auch in der inneren Medizin entscheidet der 
Organbefund nicht selten trotz scheinbar negativer Vorgeschichte und 
trotz negativer WaR. für die spezifische Entstehung. Die wertvolle 
K a u p sehe Modifikation *) wird die Häufigkeit dieser Fehlerquelle 
emschräriken. Einstweilen aber wollen wir mit allem 
Nachdruck für die WaR. festhalteu, dass nur der 
positive Ausfall zu verwerten ist. Selbstverständlich 
stellt eine positive Serumreaktion und ebenso eine positive Vor¬ 
geschichte für sich allein noch nicht die syphilitische Natur einer Er¬ 
krankung fest. Auch Syphilitische leiden au zahlreichen unspezifi¬ 
schen Erkrankungen. 

Die Erkrankungen des Nervensystems infolge von 
Syphilis habe ich heute nicht zu erörtern. Ich sah davon unter den 
695 Kranken meiner allgemeinen Abteilung mit nachgewiesener In¬ 
fektion in 2V% Jahren 234 Fälle. 

Bei den folgenden Darlegungen verwende ich die Beobachtungen 
an 1485 syphilitisch infizierten Kranken meiner Abteilung seit Oktober 
1912 mit. entsprechender Ergänzung durch die Erfahrungen meiner 
Privatpraxis. 

Bei 422 Kranken Hessen nur die positive WaR., die Vorgeschichte 
oder beide die syphilitische Ansteckung erkennen. 28 Proz. von 
ihnen boten keine erkennbareti Krankheitszeichen. Bei manchen 
fanden wir aber in der wohl okkulten oder latenten, aber 
sicher nicht inaktiven Syphilis die Ursache für ein auf¬ 
fallendes Verhalten interkurrenter Krankheiten. 

Besonders eindrucksvoll war mir der ungünstige Einfluss latenter 
Lues auf gleichzeitige Lungentuberkulose. Mehrfach sah ich 
einwandfreie Heilstättenbehandlung den Zustand nicht bessern, bis 
eine energische Sa-lvarsankur oder auch Jodkur den Gesamtzustand 
und den örtlichen Befund in wenigen Wochen günstig beeinflusste. 
Es ist dringend zu wünschen, dass allgemein, besonders aber in den 
Lungenheilstätten, mehr an diese Möglichkeit gedacht wird. Auch bei 
einzelnen kruppösen Pneumonien schoben wir den schlep¬ 
penden Verlauf und das Ausbleiben der bei günstigem Ausgang sonst 
regelmässigen Leukozytose auf die spezifische Infektion, deren Be¬ 
handlung natürlich erst nach Ablauf der akuten Erkrankung möglich 
war. Ebenso wie vereinzelt bei beginnender Tuberkulose und hier 

0 Saenger: Mschr. f. Geburlsh. u. Gyn. 1917 46. H. 4. 

9 ) Hubert: M.m.W. 1915 Nr. 39, 1918 Nr. 23. 

5 ) Kaup: Arch. f. Hyg. 87. 1917. H. 1—4. Nach einer Mitteilung 
von Herrn Dr. L a m p 6 waren von 1000 nach Wassermann und 
Kaup ausgeführten Untersuchungen meiner Klinik nach W. u. K. 
positiv 99, nach W. positiv und nadh K. negativ 1, nach W. negativ 
und nach K. positiv 19, nach W. fraglich und nach K. positiv 8, 
nach W. und K. fraglich 1, Eigenhemmungen bei W. und K. 4, also 
bei K. in 2,7 Proz. aller untersuchten Fälle, um etwa ein Viertelhäufi- 
ger ‘als bei W. positives Ergebnis. 

□ igitized by Gck sie 


Romberg. 

und da auf dem Boden versteckter Mandel- oder Zahneiterungen 
sahen wir bei einem Erwachsenen nach syphilitischer Infektion echtes 
Bronchialasthma ohne den Beginn und ohne Vorboten in der 
Kindheit wie bei der Mehrzahl der Fälle. Die spezifische Therapie 
brachte rasches Schwinden der mit den üblichen Mitteln vergeblich 
behandelten Erkrankung. Ein anderer, vorher vergeblich-behandelter 
Kranker mit chronischem eosinophilem Katarrh erfuhr eine bedeutende 
Besserung. 

Auf die Begünstigung der Arteriosklerose durdi Syphilis 
achtete ich besonders. Man hielt sie früher für sehr häufig. Seitdem 
wir wissen, wie oft Aorta und Hirngefässe unmittelbar spezifisch er¬ 
kranken, ist die Anschauung zu revidieren. Sicher findet sich nicht 
selten klinisch und anatomisch neben Lues mehr oder minder ausge¬ 
breitete Arteriosklerose. So halten auch wir in der Klinik bei 23 Proz. 
unserer syphilitischen Aorten- und Herzerkrankungen Arteriosklerose, 
in der reichlichen Hälfte davon mit arteriolosklerotischer Schrumpfniere. 
Dagegen fanden sich unter unseren Arteriosklerotikern nur 6,5 Proz. 
* mit nachweisbarer spezifischer Infektion. Bei beiden Arten der Be¬ 
trachtung ergeben sich die Zahlen, die man nach der Häufigkeit 
beider Erkrankungen in den betreffenden Altersklassen zu erwarten 
hat. Die Frage, ob die Lues der Arteriosklerose den Boden bereitet, 
wie man nach dem allgemeinen Eindruck in der Praxis glaubt, könnte 
am ehesten mit dem Material der Lebensversicherungsgesellschaften 
bei Zugrundelegung der heutigen Anschauungen gelöst werden. 

Weiter ist der im allgemeinen recht unbekannten Fälle okkul¬ 
ter oder latenter Lues mit unbestimmten Allge¬ 
meinerscheinungen zu denken. Beherrscht wird das - Bild 
durch nervöse Störungen, die meist ganz allmählich entstehen. Vor 
allem schlafen die Leute mangelhaft. Ohne örtliche Beschwerden 
schlafen sie schwer und verspätet, bisweilen während der ganzen 
Nacht, nicht ein. Unfrisch gehen sie an ihre Arbeit. Sie ermüden 
leicht, werden übermässig reizbaT, Kopfweh und Magenbeschwerden 
werden geklagt. K r a e p e 1 i n 4 ) hat diese Zustände als syphilitische 
Neurasthenie geschildert Auf eine rein psychische Alteration durch 
die Kenntnis der Krankheit waTen sie in unseren Krankenhausfallen 
wohl nie zu beziehen. Sehr oft ist die in den Klagen vorherrschende 
Nervenstörung mit körperlichen Abweichungen verbunden. Vor allem 
ist, wie ja für den Kundigen in einem ansehnlichen Bruchteil aller 
Fälle syphilitischer Erkrankungen, die Hautfarbe eigentümlich blass, 
mit einem Stich ins Graue. Das Körpergewicht ist gering. Nicht 
selten hören wir von seinem auffallenden Rückgang in kurzer Zeit, 
wie ebenfalls bei vielen syphilitischen Störungen. Verminderung der 
roten Blutkörperchen und des Hämoglobin^st öfters nachweisbar. 
Recht häufig (in 54 Proz.) trifft man als Zeichen der chronischen 
Infektion relative und auch absolute Lymphozytose, bisweilen als 
sehr wertvolles, ohne weiteres nachweisbares, wenngleich natürlich 
ebenfalls vieldeutiges Zeichen fühlbare oder perkutorische Milzver- 
grösserung. Endlich kann sich lange hdnz lebendes, meist mässiges 
Fieber hinzugesellen. Es führt recht oft zur irrtümlichen Annahme 
und oft langen ergebnislosen Behandlung einer Bronchialdrüsentuber¬ 
kulose oder einer Lungenerkrarakung. Auch versteckte Eiterungen. 
Bakteriurie und thyreotoxische Störungen kommen diagnostisch in 
Betracht. Bei Lues bringt die spezifische Behandlung in kürzester 
Zeit einen völligen Umschwung. Eindeutiger wird schon das Bild, 
wenn sich typische, nächtliche Dolores osteoskopi. besonders im 
Hirrterkopf. hinzugesellen und man die meist ja geringeren, aber auch 
gern gegen Morgen sich steigernden rheumatischen Hinterkopfmuskel¬ 
schmerzen mit ihren fühlbaren rheumatischen Verdichtungen in den 
betroffenen Muskeln ausschliessen kann. 

Zu der Schädig ungeinzelner Organe führt eine Reihe 
von Störungen, die sich bei geeigneter Behandlung rasch und spurlos 
zurückbilden, aber auch ohne besondere Einwirkung vielfach nach 
einiger Zelt schwinden. Sie gehören durchweg den ersten Jahren 
nachder Infektion an und sind meist mit anderen Lokalisationen 
der Krankheit an Haut und Schleimhäuten verknüpft. Ich habe über 
sie keine nennenswerte eigene Erfahrung. 

Vor allem sind es vorübergehende Herzstörungen, Ge¬ 
räusche, geringe Erweiterungen, leichte Rhythmusstörungen, deren 
Kenntnis wir besonders der Arbeit Grassmanns 6 ) verdanken, 
ferner Gelbsucht, die harmlos verläuft und auch schwindet, aber 
durch ihre Mahnung an die katastrophale gelbe Leberatropbie bei 
vereinzelten Syphilitischen, durch die stets erneute Frage nach der 
Mitschuld der angewendeten Behandlung immer Beunruhigung schafft, 
und endlich Albuminurie scheinbar ohne stärkere Nierenstörung. 
Die anatomischen Grundlagen dieser Veränderungen sind uns noch 
unbekannt. Bei ihrer Flüchtigkeit neigt man vielfach dazu, sie als 
rein toxisch, nicht durch örtliche Spircchätenwdrkung bedingt anzu¬ 
sehen. 

Fallen die erwähnten Schädigungen nach der Zelt ihres Auftretens 
mehr in das Gebiet des Dermatologen, so beginnt <üe Hauptbedeutung 
der Syphilis für den inneren Mediziner meist erst einige Jahre nach 

4 ) Kraepelin: Psychiatrie. 8. Aufl. 2. 1910. S. 280 und 282. 

5 ) Grassmann: IX Arch. f. klin. Med. 68. u. 69. 

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5. November 1918. • 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1267 


der Infektion. Ans dieser Tertiärperiode der Krankheit stammen 398 
Krankenhausbeobachtungen, die Herr Dr. Hubert gesammelt hat. 
Betrachten wir zunächst nach Ausschluss der Aortitis die übrigbleiben- ‘ 
den 200 Krankheitsfälle. 

Der Häufigkeit nach an erster Stelle (unter den 200 Kranken 
mit 20,5 Proz.) stehen Schädigungen des Herzmuskels. 
Es sind vor allein uncharakteristische Herzmuskelinsuffizienzen, die 
sich 5—12 Jahre, aber auch soäter, frühestens 2 Jahre nach der In¬ 
fektion, einstellen. Gewöhnlich traten sie ganz allmählich mit Schwer¬ 
atmigkeit und unbestimmten Empfindungen von Herzunruhe auf und 
entwickeln sich in kürzerer oder längerer Zeit zum vollen Bilde der 
schweren Dekompensation. In meiner Privatpraxis wurden derartige 
Kranke öfters durch Beschwerden ihrer Arrhythmie zu mir geführt, 
vor allem durch Schwindelgefühle wie Wegsinken des Bodens. Leere 
im Kopf oder durch unbestimmte Beengung, nur vereinzelt durch einen 
schärferen, ziehenden Schmerz hinter dem unteren Brustbein. In den 
Frühfällen sah ich unter spezifischer Behandlung, zum Teil mit Sal- 
varsan, zum Teil mit Jodkali. Extrasystolie, Galopprhythmus, in einem 
Falle eine Sinustachyarrhythmie mit 124 Pulsen in der Minute und 
die durch die Rhythmusstörung verursachten Beschwerden auch nach 
mouatelangem Bestehen und mannigfacher Behandlung rasch und 
scheinbar spurlos zurückgehen. Auch auffallende Bewegungsinsuf¬ 
fizienz des Herzens mit starker Schweratmigkeit, Zyanose und elendem 
Pulse schon nach wenigen Kniebeugen, mit einer nur sehr geringen 
Herzerweiterung konnte spezifisch weitgehend günstig beeinflusst 
werden. Die ausgebildeten Herzinsuffizienzen' mit deutlicher Dila¬ 
tation, oft mit einem systolischen Mitralgeräusch, nicht selten mit 
perretueller Arrhythmie infolge von Vorhofflimmern, mit stärkerer 
•Stauungsleber und sonstiger mehr oder minder entwickelter allge¬ 
meiner Kreislaufstörung führten dagegen rascher oder langsamer zum 
Tode. Eine entsprechende Herzbehandlung war hier nützlicher als 
drfe immer wieder versuchte spezifische Kur, dpe bei schwerer Herz¬ 
insuffizienz überhaupt besser unterbleibt. Derartige ungünstige Fälle 
bildeten hn Krankenhause unter meinen 48 reinen Beobachtungen die 
Regel. 

Die Grundlage dieser Störungen ist' noch näher zu erforschen. 
In reinen Fällen fehlt jede makroskopische Veränderung der Aorta 
und der Kranzarterien. Nach der Literatur 8 ) denkt man ausser an 
toxische Störungen an miliare Gummabildung oder kleinzellige Infil¬ 
tration im Herzmuskel durch öitlicbe Wirkung der Spirochäten. Aus 
verschiedenen Veröffentlichungen 7 ) sind grössere Gummata mit 
TrfkusoidaJInsuffizienz, Pulmonalstenose und vor allem mit Herzblock 
oder Ueberleitungsstöruneen bekannt. Zufällig Hess sich keine der 
von mir in den letzten 6 Jahren beobachteten Ueberleitimgsstörungen 
auf Lues zurückführen, so sehr man gerade in diesen Fälien danach 
suchte. Nur bei einem Falle von lange anhaltendem, noch in Be¬ 
obachtung stehenden Sinusvorhofblock war die spezifische Ursache 
durch die sichere Erkrankung des Ehegatten möglich, aber nicht be¬ 
stimmt nachweisbar. 

Ohne scharfe Grenze scheinen diese Herzmuskelerkrankungen aus 
den Initialen, von Grassmann geschilderten Herzstörungen her- 
vorzugeben 8 ). Am' anderen Ende der Reihe gesellen sie sich kompli¬ 
zierend zur Adrtenlues. Fast die Hälfte unserer 46 Todesfälle bei 
Aortenlues in der Klinik (41 Proz ) waren durch Herzmuskelinsuffizienz 
verschuldet. Wie bei allen Herzmuskelinsuffizienzen haben wir auch 
hier oft ke ; ne einheitliche Aetiologie. Arteriosklerose, chronische 
Nierenleiden, Emphysem und andere chronische Lungenleiden sowie 
sonstige das Herz beeinflussende Schädlichkeiten, besonders Ueber- 
anstrengung, spielen Im Krankheitsverlauf eine bedeutsame Rolle. 

Die übrigen bekannteren inneren Erkrankungen bei tertiärer 
Syphilis darf ich' nur kurz ins Gedächtnis zurückrufen, zunächst die 
L e b e r 1 u e s. die 16.5 Proz. unserer einschlägigen 200 Beobachtungen 
ausmachte. Im Krankenhause überwogen die schweren narbigen 
Verunstaltungen. Mehrfach war ein* Lappen, z. B. der linke, durch 
tiefe Oummanarben stark verkleinert und der andere durch kompen¬ 
satorische Hypertrophie mächtig vergrössert. Ist auch er von nar¬ 
bigen Furchen durchzogen, so ist die DifWentiaidiagnose gegen bös¬ 
artige Geschwülste nicht immer einfach. Therapeutisch ist bei diesen 
endgültigen Zerstörungen nicht viel zu erreichen. Ausgezeichnet be¬ 
einflussbar sind dagegen vielfach während langer Zeit die gleich- 
mässigen Vergrösserungen der Leber durch diffuse -interstitielle Wu¬ 
cherung mit ihrer steinharten, gleichmässieen Derbheit, ‘ihrem ge¬ 
rundeten Rand, der häufigen gleichzeitigen Milzschwellung. Erst die 
Errdstadien mit dem vollen Bilde der atrophischen Zirrhose sind spe¬ 
zifisch nur noch seifen zu bessern. Im Krankenhause machten diese 
diffusen Lebervergrösserungen nur ein Drittel aller Beobachtungen 
aus. In der Privatpraxis sah ich sie häufiger. Die Pfortaderstauung 
kommt bei ihnen soäter als bei Laennec scher Zirrhose, während 
die M'lzvergrösserupg wie bei a1|pn Formen viszeraler Lues häufig 
ist. Bisweilen beherrscht die Milzvergröss p ’ , une das BikL 
so dass die splenomegalische Leberzirrhose mit ihrer gelegentlichen 


*) S. ältere Literatur bei Rombere: Krankheiten des Herzens. 
2. Aufl. 1909 S. 142 und 185. ferner: Scott: Journ. of Americ. assoc. 
10. II. 1912. Sim m o nd s: D.m.W. 1913 Nr. 10 und F. Ro s e n f e 1 d: 
D.m.W. 1914 Nr. 21. 

7 ) S. b. Romberg, ferner Holtersdorf: M.m.W. 1916 
Nr. 17. 

*) S. die von Grassmann: D. Arcli. f. kl. M. 68. S. 460 er¬ 
wähnte Beobachtung M a eine n z i c s. I 

□ Igltlzed by VjOOS LG 


Leukopenie an Bantische Krankheit erinnert 9 ). Meist treten diese 
Lebererkrankungen so schleichend und mit so geringfügigen Beschwer¬ 
den auf, dass wenig empfindliche Menschen sie kaum beachten." So 
erklärt sich wohl das Ueberwiegen der schweren narbigen Verände¬ 
rungen im Krankenhause. Nur selten bestehen Störungen durch Gelb¬ 
sucht, Schmerzen durch Perihepatitis oder Cholangitis oder Beschwer¬ 
den durch das hier öfters vorkommende Fieber. 

Der Zusammenhang zwischen Lues und Fällen scheinbar echter 
Ban tisch er Krankheit mit primärem Milztumor, Anämie, 
Leukopenie und sekundärer Veränderung der Leber und Ansamm¬ 
lung von Aszites ist noch zu klären. Die Grenze gegen die spleno- 
megalrsche Leberlues ist schwer zu ziehen. Fälle beben sich aber 
durch ihre Eigenart aus dem gewöhnlichen Bilde heraus. Der Erfolg 
spezifischer Behandlung ist bisweilen gut; in anderen Fällen sehen wir 
nichts, so bei einer kürzlich beobachteten Kranken. Das Körperge¬ 
wicht und das Gesamtbefinden besserten sich unter Salvarsan. aber 
Milzvergrösserung und Blutveränderung nahmen zu. 

Praktisch sehr wichtig ist die Kenntnis der allerdings recht sel¬ 
tenen, unter unserem Material nicht vertretenen, sicher syphilitischen 
Nierenerkranknng. Fr. Munk 10 ) hat vor einigen Jahren 
in einer wertvollen Arbeit ihre Kenntnis gefördert. 

Wenige Monate oder in den ersten Jahren nach der Infektion 
entsteht ziemlich rasch eine Nierenerkrankung mit starker Verminde¬ 
rung der Harnmenge, reichlicher Eiweissausscheidwig, meist mit sehr 
starken Oedemen, aber in der Regel ohne nennenswerte Urämie. Das 
BiW des Sediments beherrschen lipoide, im Polarisationsmikroskop 
doppeltbrechende Körnchen, welche die reichlich abgestossenen 
Nferenepitheben erfüllen, die Zylinder bedecken, während Blut fehlt 
oder spärlich vorhanden ist. Der Blutdruck ist nicht erhöht Es 
handelt sich also nach der üblichen Nomenklatur um ein scheinbar 
vorwiegend tubuläres, parenchymatöses Nierenleiden oder um eine 
Nephrose. Sind die Oedeme geschwunden oder in deutlicher Ab¬ 
nahme, so fördert eine vorsichtige spezifische Behandlung die oft sehr 
heruntergekommenen Kranken erfreulich. Der Verlauf scheint sidh 
aber meist schleppend zu gestalten. Endgültige Heilungen dürften 
nur bei leichten Fällen Vorkommen. Wahrscheinlich handelt es sich 
um schwere toxische Wirkungen der Syphilis. 

Bei dem offenkundigen Nutzen spezifischer Behandlung ist es 
wichtig, zti wissen, dass die Ouecksilber-Nierenerkrankung ein ganz 
anderes Bild bietet. Sie beginnt zwar auch an den Tubulus, aber sie 
zergt nicht lipoide Körnchen im Sediment, es fehlen nennenswerte 
Oedeme, der Blutdruck steigt öfters etwas an. Durch Salvarsan oder 
Jodkali entstehen derartige Nierenstörungen nicht. Auch Nieren¬ 
schädigungen durch interkurrente Erkrankungen bieten in der Regel 
ein anderes Bild. 

Entschieden häufiger treffen wir m der Spätze-it der Syphilis 
Amyloidveränderungen der Nieren, oft zusammen mit 
Amyloid anderer Körperteile und am häufigsten sehen wir, wie schon 
erwähnt bei Syphilis das Bild'der arteriolosklero tischen 
Niere mit anhaltendem Hochdruck, entsprechendem Herzen und den 
übrigen bekannten Erscheinungen, hier und da auch AtmVloid- 
schrUmpfnieren. Wenngleich ich nach soezifischer Behandlung 
öfters wesentliche Besserungen, besonders Erniedrigung des Blut¬ 
druckes für längere Zeit sah, so trage ich doch Bedenken, klinisch 
diese Fälle von der gewöhnlichen Erkrankung bei n ich tsvDhili tischen 
Menschen zu trennen. Die erzielten Besserungen unterscheiden sich 
in nichts von den Erfolgen, die man auch sonst durch Hebung des 
Gesamtbefindens und durch zweckmässige Lebensweise erreicht. Die 
von anatomischer Seite als charakteristisch für Syphilis angesehene 
Nephritis mterstitialis chronica fibrosa multiplex ist klinisch noch nicht 
erkennbar. 

Nur je einmal beobachteten wir eine syphilitische Mastdarm¬ 
stenose mit ihrem typischen scharfrandigen Narbendiaphragma und 
multiple B ronc h o s t e no sen. 

Die letzten waren, wie meist, mehrfach vorhanden. Broncho- 
skopisch war die Entstehung einer ^den rechten Hauptbronchus teil¬ 
weise umfassenden Narbe aus einer zunächst nach gewiesenen röt¬ 
lichen Prominenz der Schleimhaut, wohl einem Gumma, gut zu ver¬ 
folgen, nachdem eine Hämontoe die Aufmerksamkeit auf die neue 
Erkrankung gelenkt 'hatte. Hinter den Bronchostenosen bestand eine 
hartnäckige Verdichtung um die hier ektat,sehen. massenhaften. Eiter 
absondernden Luftwege. Ich lasse dahingestellt, ob die bei Syphi¬ 
litischen öfters anzutreffepden nerihrnnchitischen Verdichtungen an 
den Lungenpforrin Ueberbleibsel leichterer derartiger Erkrankungen 
sind Die von Fr. v. Müller 11 ) hervnrgehobene Häufigkeit ring¬ 
förmiger Narben an den Bronchien bei Obduktionen lässt jedenfalls 
an diese Möglichkeit denken. An den Lungen seihst habe ich bei Er¬ 
wachsenen spezifische Prozesse noch nicht feststellen können, ob¬ 
gleich das anatomische Vorkommen grösserer und miliarer Gummen 
bekannt und die weisse Pneumon-ie auch für Erwachsene vielfach be¬ 
schrieben wird. Es sind das wohl grosse Seltenheiten. Erwähnt sei 
endlich die von mir vor langer Zeit einmal gesehene Kompres¬ 
sion des Ductus thoracicus durch eine gummöse Lymph- 
drüse der Brusthöhle. Es waren dadurch echt chylöse Ergüsse im 
Bauch und in den Rippenfellhohlen entstanden. _„_ 


9 ) Gerhardt: M.m.W. 

10 ) Munk: Zschr. f. klin. 
Literaturangabe. 

J1 ) Fr. v. Müller: D. Kl 


1918 Nr. 19 S. 521. 

Med. 78 1913. S. 24 mit eingehender 


1 ‘Original from 


UNIVERS1TY OF CALIFORNIA 



MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


1268 


In einei Häufigkeit von 12,5 Proz. folgen in unseren 200 Beob¬ 
achtungen die bekannten Knochenhaut- und Knochener¬ 
krankungen. Die Periostitis, am gewöhnlichsten an der vorderen 
Schienbeinfläche oder am Wadenbein mit ihrer charakteristischen 
Rauhigkeit ohne weiteres tastbar, sahen wir. hier und da als Ouelle 
quälender, die Bewegung beschränkender Schmerzen röntgenologisch 
auch am Humerus, ferner die umschriebenen Auftreibungen durch 
Guinmata der Knochen an den verschiedensten Stellen. 

Hinziehende Arthritiden fanden wir in 9 Proz. Meist poly- 
artikulär, vor allem an den grossen Gelenken erscheinen etwas 
schlaffe Schwellungen durch Gelenker güsse ohne nennenswerte Be¬ 
teiligung oder mit nur mässiger Verdickung der Gelenkkapseln, ohne 
entzündliche Rötung der über kleidenden Haut, mit lästigen Schmerzen 
und starker Bewegungshemmung. Gewöhnlich besteht hinziehendes, 
geringes Fieber. Die üblichen Antirheumatika oder physikalische 
Massnahmen sind nutzlos. 

Die meist rasche volle Wirkung spezifischer Behandlung auf die 
Beschwerden dieser Knochen- und Gelenkerkrankung, auf das Zurück¬ 
gehen der Gelenkschwellung ist bekannt. 

Muskclgummata haben wir unter unserem Material nicht 
beobachtet. 

Ich übergehe die für den inneren Mediziner nur üclegenheits- 
hefunde bildenden Reste kongenitaler Lues. Drüsenveränderungen, 
Augen- und Ohrstörungen, Nasenerkrankungen, die mehr kosmetisches 
Interesse bietenden Narben ulzeröser Syphilide, die wir fast bei 
einem Fünftel der 200 Kranken der Tertiärperiode fanden, und wende 
mich zu der syphilitischen Erkrankung, welche neben den Nerven¬ 
krankheiten den inneren Mediziner am häufigsten beschäftigt. 

Die Aortitis syphilitica fanden wir unter den 1485 syphi¬ 
litisch infizierten Kranken meiner Abteilung 198 mal, viel häufiger als 
die im gleichen Material nur 81 zählenden tertiären Erkrankungen 
der anderen inneren Organe, in 70,9 Proz. aller Fälle von viszeraler 
Lues. Sie stellte unter den organischen Herz- und Aortenerkran- 
Kungen 15,5 Proz. Um das Bild auch für die besser situierte Be¬ 
völkerung zu vervollständigen, habe ich aus meiner Privatpraxis 
noch 80 Beobachtungen zusammengestellt, die ich in 16 Monaten sah. 
Sie machte hier 26,2 Proz. aller organischen Herz- und Aortenerkran¬ 
kungen aus. Meine Schilderung kann sich so auf ein einheitlich be¬ 
obachtetes Material von 278 Kranken stützen, die grösste bisher 
verwertete Zahl. Es folgen die grundlegenden Arbeiten von Stad- 
I e r 12 ) mit 211 Fällen, von D e n e k e l3 ) mit 173, dann Goldschei¬ 
de r l% ) mit 136 Fällen. Ich hebe nur das Wichtigste hervor 

Anatomisch fällt die Unebenheit der Aorteninnenfläche auf. 
Blasse, flache Gruben und unregelmässige Runzeln umgrenzen flache 
Erhebungen von wechselnder Gestalt und der gewöhnlichen Farbe der 
Aortenwand oder von mehr weisslichem oder gelblichem Aussehen. 
Sehr charakteristisch ist die stärkste Entwicklung der Erkrankung an 
und über dem Klappenring in der Aorta ascendcns, die oft allein er¬ 
krankt ist; fast ausnahmslos überschreitet die Erkrankung das Zwerch¬ 
fell nicht. Histologisch am wichtigsten ist die fleckweise Zerstörung 
der Media durch einwuchernde lymphozytäre Infiltration, durch Binde¬ 
gewebe und Gefässsprossen, seltener durch kleine Gummata. Von 
den Gefässen der Adventitia scheint der Prozess auszugehen. Auch 
die Intima wird beteiligt. Eine völlige Heilung ist anatomisch kaum 
möglich. Schrumpfendes Bindegewebe füllt die Defekte der Media. 
Durch die vielfache Zerstörung der elastischen Membranen der Media 
verlängert und erweitert sich die Aorta. Durch Beteiligung der 
Aortenklappen entstehen Insuffizienzen. Die Abgangsstellen der 
Kranzgcfässc werden nicht selten verengert. Vereinzelt finden sich 
auch entsprechende Störungen in ihren Hauptästen. Endlich kann die 
in ihrer Widerstandsfähigkeit geschwächte Aortenwand an einer Stelle 
dein Blutdruck rachgeben. Media und Intima werden zerstört. Das 
Blut drängt hinein Die Adventitia verdickt sich zwar und wird reich¬ 
lich vaskularisiert, wird aber durch den Blutdruck nach aussen ge¬ 
buchtet. Auch die auf dem Defekt sich niederschlagenden Thromben 
leisten keinen ausreichenden Widerstand. Es entsteht ein sack¬ 
förmiges Aneurysma t5 ). 

Klinisch ist die Aortitis nach allgemeiner Anschauung die 
späteste aller viszeralen Erkrankungen. In der Privatpraxis fand ich 
sie durchschnittlich 21,9 Jahre nach der Infektion die ersten Störungen 
liervorrufen, frühestens 4 Jahre, spätestens 43 Jahre der Infektion 
folgen. So trifft sie die Menschen meist erst in reifen Jahren; in der 
Privatpraxis hatte ich ein Durchschnittsalter von 51,4, im Kranken¬ 
haus von 49 Jahren. Der jüngste meiner Krankei war 30, der älteste 
71 Jahre alt. Die hereditäre Lues ruft die Erkrankung offenbar rascher 
hervor. In der Literatur begegnet man einzelnen Beobachtungen in 
sehr jugendlichem Alter. Trotz des im allgemeinen späten Auf¬ 
tretens handelt es sich um keine metaluetiscbe, sondern um eine durch 
das Eindringen der Spirochäten 'hervorgerufene Erkrankung 16 ). Dass 
die auffällig geringe Zahl von Frauen mit Aortitis in meiner Privat- 


1J ) Sfadler: D. Klinik d. syphil. Aortenerkrankung. Jena 1912. 
u ) D cn e k e: Dermat. Studien 21 (Festschrift f. U n n a. Teil III) 
Mamburg-Leipzig 1910 und D.m.W. 1913 Nr. 10. 

“) Goldscheider: Med. Kl. 1912 Nr. 12. 
tB ) S. hierzu Oberndorfer: M.ni.W. 1913 Nr. 5. — G r u b e r: 
D. Döhl-e -Heller sehe Mesaortitis. Jena, G. Fischer 1914. 

10 ) Reuter: D. Zschr. f. Hyg. u. Infektioiiskrkh. 54. 1906. — 
Schmor!: M.mAV. 1907 Nr. 4. Vortragsbericht. 

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Praxis (nur 7,5 Proz. aller Aortitiden gegen 33 Proz. im Kranken¬ 
haus) nicht mir Folge ihrer viel selteneren Infektäon ist, zeigt die 
•Tatsache, dass im Krankenhause unter allen syphilitischen Männern 
20 Proz., unter allen syphilitischen Frauen nur 10 Proz. an Aortitis 
erkrankt waren. Neben der Infektion spielt also die funktionelle Be¬ 
anspruchung eine wichtige Rolle. Abgesehen von der theoretischen 
Bedeutung dieser Feststellung auch für die Entwicklung anderer Sy- 
ph'ilisfolgen — ich erinnere an Edingers Aufbrauchtheorie für die 
Tabes — scheint die nachdrückliche Betonung der örtlichen Dispo¬ 
sition neben der Infektion auch für die Behandlung wichtig. 

Vier mit der Erkrankung det aufstergenden Aorta eng zusammen¬ 
hängende Zeichen müssen den Gedanken an spezifische Aortitis 
nahelegen: Schmerzen und Beengungsgefilhle hinter dem oberen 
Brustbein, ein systolisches Geräusch an der Aorta, ein akzen¬ 
tuierter und oft auch klingender 2. Aortenton, endlich im Ortho¬ 
diagramm das starke Hervortreten des linken oberen Bogens und 
bei Durchleuchtung im I. schrägen Durchmesser von links hinten nach 
rechts vorn die Verbreiterung der aufsteigenden Aorta. 

Die Schmerzen werden als ziehend oder drückend ge¬ 
schildert. Häufig strahlen sie von der Gegend hinterdemoberen 
Brustbein nach den Schultern, in die Arme, besonders den linken, 
nach dem Halse hinauf, zwischen die Schulterblätter aus. Bisweilen 
werden sie auch nur in der linken oder rechten Schulter, links oben 
in der Brust oder zwischen den Schulterblättern gefühlt. Bei grös¬ 
serer Stärke lösen sie lästige Beengung ans. Am häufigsten treten 
sie bei körperlicher Bewegung, besonders beim Gehen kurz nach 
einer reichlicheren Mahlzeit, z. B. nach dem Mittagessen, auf. Zum 
ersten Male werden sie öfters durch eine ungewohnte grosse An¬ 
strengung hervorgerufen. In selteneren Fällen, die ich besonders bei 
Menschen mit w enig Bewegung und angespannter geistiger Tätigkeit 
sah, erscheinen sie allnächtlich und stören den Schlaf. Sehr charak¬ 
teristisch schien mir stets ihre Regelmässigkeit bei gleicher Lebens¬ 
weise. 

Das systolische G e r ä u s c h ist wechselnd laut und scliarf. 
Nie wird es so rauh und sägend wie bei Aortenstenose. Ein fühl¬ 
bares Schwirren begleitet es nur selten. Der erste Ton kann da¬ 
neben hörbar sein oder fehlen. Bisweilen hört man es mir im Liegen. 
Ausser an der ersten Auskultationsstelle der Aorta, im 2. Zwischen- 
rippenraum neben dem Brustbein, ist es oft auch, sogar deutlicher, 
im 1. Zwisehenrippenraum zu hören. Darauf ist noch weiter zu 
achten, ebenso auf etwa anderes Verhalten akzidenteller Geräusche. 
Manche Hörrohre haben die unangenehme Eigenschaft, diese Aorten¬ 
geräusche völlig zu verschlucken; sie sind vielfach ein ausgezeichne¬ 
tes Prüfungsmitel für die Güte eines Hörrohrs, auf die wir, wie auf 
die Technik der Perkussion und Auskultation überhaupt, wohl etwas 
zu wenig Wert legen. 

Durch die fast immer nach dem Geräusch hörbare Akzentua- 
tion des 2. Aortentons unterscheidet sich der Befund weiter 
von dem einer Aortenstenose, bei der der 2. Aortenton bekanntlich 
leise oder unhörbar ist. Diese Akzentuation besteht in der Mehrzahl 
der Fälle bei normalem oder sogar niedrigem Blutdruck. Sie rührt 
von veränderten Schwingungen der Klappen und der Wand, von def 
Erweiterung der Aorta, der dadurch herbeigeführten Vergrössenrag 
der Klappen, vor allem aber von dem Heranriicken der Aorta an die 
Brustw-and her. Die Feststellung der Akzentuation ist durch den Ver¬ 
gleich mit dem 2. Pulmonalton meist leicht. Der verstärkte Ton zeigt 
häufig einen klingenden Charakter. Vereinzelt ist auch nur die 
Akzentuation oder nur der klingende Charakter deutlich. Ich halte 
es aber nicht für ratsam, diagnostisch zu scharf zw'ischen Akzentua¬ 
tion und klingendem Charakter zu unterscheiden. 

In manchen Frühfällen bildete die Verstärkung des 2. Tons die 
erste Abweichung an der Aorta. Ich hörte sie bisweilen schon, wenn 
die Acrta im Orthodiagramm noch nicht erkennbar verändert w f ar. 

Das vierte Symptom, die Erweiterung und Verlänge¬ 
rn n g d c r Aorta im Orthodiagramm oder bei Fernauf¬ 
nahme, ist fast immer anzutreffen. Ein ganz normaler Befund ge¬ 
hört zu den Seltenheiten. Sicher muss man mit zu weitgehender, be¬ 
sonders zahlenmässiger Verwertung kleinerer Abweichungen bei der 
Durchleuchtung im 1. schrägen Durchmesser wegen der Schwierig¬ 
keit dieser Abgrenzung zurückhaltend sein. Meist handelt es sich 
aber um so bedeutende Veränderungen, dass ein Zweifel an der 
krankhaften Natur der Störung nicht möglich ist. 

Diese 4 Hauptzeichen finden sich nicht in allen Fällen vereinigt. 
Am häufigsten ist der Röntgenbefund. Die akustischen Abweichungen 
hörte ich bei drei Vierteln bis vier Fünfteln meiner Privatbanken. 
Die reichliche Hälfte von ihnen klagte über die charakteristischen 
Schmerzen. 

Von grösster Wichtigkeit für das Bild der Aortitis sind 3 Folge¬ 
erscheinungen, Beteiligung der Aortenklappen, Verengerung der 
Kranzarterien, Aneurysmen. 

Bei einem knappen Drittel unserer Krankenhauskranken fand 
sich eine Schluss Unfähigkeit der Aortenklappen. Zu¬ 
nächst nur an einem minimalen diastolischen Geräusch, vielfach an 
der 2. Auskultationsstelle der Aorta, dem Brustbeinende des 3. linken 
Zw'ischenrippenraums, oft nach dem verstärkten 2. Ton kenntlich 
ohne sonstige Folgen, kann sie sich bei Zunahme des Defekts bis zu 
den stärksten Graden des Klappenfehlers mit allen bekannten Merk¬ 
malen steigern. Mit Aortenstenose sah ich sie nie verbunden. Auch 
reine Aorten Stenosen durch Lues sah ich bisher Picht. Bei der Ent¬ 
stehung aller Aorteninsuffizienzen überhaupt spielt die Lues die 

Original from 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


I 




5. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1269 


Hauptrofle. 67 Proz. der Fälle dieses Klappenfehlers ini Krankenhaus 
waren so entstanden. 

Verengert die Aortitis die Kranzarterien, wie 
das am häufigsten an ihrem Ursprung, seltener durch Uebergreifen der 
Erkrankung im Verlauf der Hauptäste vorkommt, so äussert sich 
diese Lokalisation oft, aber keineswegs regelmässig in echter An¬ 
gina pectoris. Wir sahen das in 14 Proz. unserer Krankenhaus- 
fälfe. Bisweilen ist die Trennung der Aortitisschinerzen und der sre 
begleitenden Beengung von der Angina pectoris unmöglich. Meist 
aber wird der Schmerz bei echter Angina mehr hinter dem unteren 
Ende des Brustbeins als entsetzlicher dumpfer Schmerz oder Druck 
empfunden und strahlt von hier nach ofcrcn in dieselben Gebiete aus 
wie der Schmerz der Aortitis. Nicht selten wird der Schmerz der 
Angina ausser hinter dem unteren Brustbein auch in der Magen- 
gegend gefühlt, was mir bei reiner Aortitis noch nicht vorkam. ■ Das 
Beengungsgefülil steigert sich bei der Angina zu quälender Angst, 
dem Gefühl des unmittelbar bevorstehenden Todes. Vor allem tritt die 
Angina irr typischen Anfällen von wechselnder Dauer auf. Wohl 
kann auch sie mit einer gewissen Regelmässigkeit, allnächtlich oder 
nach einem Gange von bestimmter Länge wie der Aortitisschmerz 
erscheinen. Aber meist sind doch die Beschwerden verschieden durch 
die Lokalisation und den viel bedrohlicheren Charakter der echten 
Angina, den der Kranke lebhaft empfindet. Vor allem gilt das für 
die schweren Anfälle, die oft'zu einem ganz plötzlichen Herztod 
führen. .Dass die Trennung nicht immer möglich ist, erscheint bei der 
engen Nachbarschaft der beteiligten Nervengebiete nicht wunderbar. 
Nicht allzu selten erlebt man naürlicli, dass zunächst nur Aortitis¬ 
schmerzen vorhanden sind und dann Anfälle von Angina pectoris 
auftreten oder dass ein plötzlicher Tod durch Angina pectoris das 
Leben dieser Kranken beschliesst. Nur andeuten kann ich, dass bei 
dem Krankheitsbilde der Angina pectoris, wie schon lange betont 
wird, nervöse Vorgänge eine bedeutsame Rolle neben der anatomi¬ 
schen Kranzarterienveränderung spielen. 

Etwa ebenso oft wie zu Angina pectoris führte in unseren Be¬ 
obachtungen die Aortitis zu sackförmigen Aneurysmen, 
deren Bild ich als bekannt übergehen darf. Nur das darf ich betonen, 
dass sackförmige Aortenaneurysmen spontaner Entstehung wohl aus¬ 
nahmslos auf dem Boden der syphilitischen Aortitis sich entwickeln. 

Weitere Züge des Krankheitsbildes kann ich nur kurz streifen, 
so die gerade bei Aortitis nicht ganz seltenen vasokonstrik- 
torisehen Erscheinungen, auf deren Vorkommen neben 
Angina pectoris besonders Hans Curschinann 17 ) aus meiner 
Tübinger Klinik aufmerksam machte. Sie führen zu Absterbetv und 
Vertaubungsgefühl der Extremitäten, gelegentlich der Nase, zu an- 
fallsweisen Ohnmächten oder Anwandlungen davon, vereinzelt zu 
rasch schwindender Erblindung. Auch manche vorübergehende Zu¬ 
stände von Henri parästhesieu möchte ich so deuten, obgleich sie 
riatürlich stets an eine Hirnerkran'kung denken lassen. Dämpfung 
oder Pulsation über der erweiterten! aufsteigen-den 
Aorta rechts vom Manubrium sterni oder Pulsdifferenz zwi¬ 
schen rechts und links fanden sich nur selten. 

ln einem grossen Bruchteil der Fälle kommt es zu Herzmus¬ 
kel i n s u f f i z i e n z, die neben interkurrenten Erkrankungen die 
häufigste Todesursache ist. Die bei scheinbar reiner Aortitis nicht 
selten geklagte Schweratmigkeit ist wohl auch bei physikalisch 
nodh regelrechter Herzgrösse ihr erstes Zeichen. Ihre Ursachen be¬ 
sprachen wir bereits. Ueber die von Jürgensen 18 ) studierten 
Veränderungen der peripheren Gefässe habe ich noch 
kein eigenes Urteil. 

Von diagnostischer Wichtigkeit ist der Nachweis anderer 
Luesfolgen. Besonders oft, nahezu in einem Drittel der Fälle, 
fand sich Milzvergrösserung und nahezu ebenso oft Erkrankung des 
Nervensystems. Die Tabes wog unter meinen Kranken meist in gut¬ 
artigen. oft nur durch die Untersuchung erkennbaren Formen mit 
Pupillenveränderung, Reflexverlust, geringen sensiblen Störungen vor. 
Sehr oft magern die Kranken mit Einsetzen der Aortitis auffallend ab 
und bekommen die charakteristische blassgraue Hautfarbe. 

Für die Differentialdiagnose ist der positive Aus¬ 
fall der WaR. natürlich wichtig, wenngleich er allein, wie schon 
betont, über die Art der Erkrankung nicht entscheiden kann. Im 
Krankenhause hatten wir 83 Proz. positive Ergebnisse bei den meist 
noch nicht oder ungenügend behandelten Kranken. Viel .seltener war 
die positive WaR. bei den vielfach gründlich behandelten Patienten 
der Privatpraxis, obgleich die Untersuchung fast durchweg ebenfalls 
in meiner Klinik ausgeführt wurde. Hier hatte ich selbst nur in 
52,2 Proz. positive WiaR., also viel seltener als die in 76 Proz. posi¬ 
tive Angabe der Infektion. Rechne ich aber die Kranken hinzu, die 
von früher positiver WaR. und dann meist auch von entsprechender 
Behandlung berichteten, so steigt ‘das Verhältnis des positiven Aus¬ 
falls auf 60 Proz. Diese Feststellungen sind eine erneute Mahnung, 
die WaR. nur als ein Mittel der Diagnostik anzusehen. Ueber die 
Wertung an amnestischer Angaben habe ich mich schon 
in der Einleitung ausgesprochen. 

So sind wir zu der Würdigung des ganzen Bil¬ 
des genötigt, u m die spezifische Aortitis abzu- 
grenzen. 

Die Arteriosklerose lässt sich nicht in jedem Falle durch 


l7 ) Hans C u r s c h rn a n n: D.m.W. 1905 Nr. 38. 
w ) Jürgensen: Z$chf. f. klin. M. 83. S. 291. 

Digitized by CjOOSlC 


den Befund trennen. Die sklerotische Aortenverlängerung und -er- 
weiterung gibt bei Röntgenuntersuchung dasselbe Bild. Das systo¬ 
lische Geräusch und die Akzentnation sowie der klingende Charakter 
des II. Aortentons kommen genau so bei der Aortensklerosc vor. Sie 
sind freilich seltener. Auch bei Einreehnung der sklerotischen Hyper¬ 
tensionen, die in meiner Privatpraxis mit einem Druck von 160 mm Hg 
und mehr 49,5 Proz. aller Arteriosklerosen ausmachten — bei Aortitis 
bestand in 13,6 Proz. solche Hypertension •—hatte ich nur bei 29,7 Proz. 
der Arteriosklerosen ein systolisches Aortengeräusch (bei Aortitis Ln 
76,3 Proz.), nur bei 54,9 Proz. einen akzentuierten 11. Aortenton (bei 
Aortitis in 81,4 Proz.). Angina pectoris, vasokonstriktorische Zustände 
finden sich genau so bei Arteriosklerose. Die fühlbare Sklerose peri¬ 
pherer Arterien entscheidet nichts, da bei 23 Proz. unserer klinischen 
Aorten- und Herzluesfälle sich Arteriosklerose fand. Das Alter ist 
ein sehr unzuverlässiger Führer. Das Durchschnittsalter meiner 
Arteriosklerosekranken betrug in der Privatpraxis 60,2 Jahre (bei 
Aortitis 51,4 Jahre). Der jüngste Arteriosklerotiker war 41 Jahre alt. 
Für den einzelnen Fall lässt sich also mit dem Alter nichts machen 
Das Geschlecht entscheidet natürlich in keiner Richtung. Auch unter 
den Arteriosklerotikern meiijer Privatpraxis überwogen die Männer 
mit 77,9 Proz. beträchlich. Für Aortitis entscheiden mit Sicherheit 
sackförmige Aneurysmen. Jede nicht sicher endokarditisclic Aorteu- 
insuffizienz muss auf ihre etwaige syphilitische Grundlage geprüft 
werden. Nur 5,5 Proz. meiner privat behandelten Arteriosklerose- 
kranken hatten eine Insuffizienz der Aortenklappen gegen 25,4 Proz. 
meiner Aortitiskranken. Arrhythmia perpetua ist bei reiner Aortitis 
ohne Herzmuskelstörung selten, bei Arteriosklerose sehr häufig. Kar¬ 
diales Asthma ist mir bei reiner Lues noch nicht vor gekommen, 
während es bei Koronarsklerose ein typisches Symptom ist. Das 
viel häufigere renaic Asthma mit tachypnoischer grosser Atmung, 
seinem oft schon im Beginn des Anfalls merklichen Lungenödem findet 
sich entsprechend dem Vorkommen chronischer Nierenleiden bei Lues 
wie bei Arteriosklerose. Die charakteristischen Schmerzen der Aor¬ 
titis hinter dem oberen Brustbein sind bei Arteriosklerose sehr selten, 
bei meinen Privatkranken nur in 4,4 Proz.; sie allein können die 
Diagnose aber auch nicht sichern. 

Einzelne Symptome der Aortitis finden sich bei zahlreichen Stö¬ 
rungen. Systolisches Geräusch und akzentuierter II. Ton an der 
Aorta ist nicht selten bei den sogen. W ac h s t u m s ve r ä n d e- 
rungen des Herzens, die meist mit der jugendlichen Dick- 
wandigkeit aller fühlbaren Schlagadern verknüpft sindi, bei B a - 
s e d o w, hier nicht selten auch mit einer Erweiterung der Aorta im 
Röntgenbild, und ab und an bei nervöser Erregung, vereinzelt 
nach grossen Anstrengungen. Bei den jeizt so unendlich 
häufigen Herzbeschwerden nervöser Menschen durch 
Zwerch feil hoch stand infolge von Blähsucht ist, wie schon 
R o e m h e 1 d te ) mit Recht hervorhob, der 2. Aortenton nicht selten 
klingend. Die Kranken lokalisierten ihre Beschwerden aber mehr in 
die linke Brustseite, meist, wie die Mehrzahl der Nervösen, in die 
Gegend der Herzspitze. Bei einzelnen Tabakschäden hörte ich 
Klagen über Schmerz hinter dem oberen Brustbein. Hier war aber 
wiederholt eine noch nicht nachweisbare organische Erkrankung nicht 
auszuschliessen. 

So kann kein Symptom für sich allein als pathognomonisch be- 
bezeichnct werden. Die Gesamtheit der Erscheinungen ist aber doch 
meist recht charakteristisch, so dass man die Frage nach syphilitischer 
Aetiologie ernsthaft erwägen wird. Sie haben aus meinen Ausfüh¬ 
rungen gesehen, in einem wie hohen Prozentsatz aller organischen 
Aorten- und Herzerkrankungen die Frage zu bejahen ist. 

Etwas eingehender als bei den anderen erwähnten Störungen 
müssen wir die Behandlung der Aortitis besprechen. Auch 
hier bildet die Regelung der ganzen Lebensweise, vor 
allem die Anordnung entsprechender Schonung, die Anwendung 
symptomatischer Massnahmen die unentbehrliche Grundlage. Nur auf 
ihr kann die spezifische Therapie ihren vollen Nutzen entfalten. Die 
Aortitis ist unter dem Eindruck der Warnung E h r 1 i c h s besonders 
lange, auch in meiner Klinik, in alter Weise mit Quecksilber und Jod 
behandelt worden. .Erst in den letzten 5 Jahren bin ich bei ihr zum 
Salvarsan übergegangen. Nach dem Vergleich der früheren und der 
jetzigen Ergebnisse gelangte ich aber zu derselben Ueberzeugung, die 
zuerst wohl W e i n t r a u d 20 ) aussprach. dass das Salvarsan unseren 
anderen Mitteln vorzuziehen ist. Ein entschiedener Fortschritt für die 
vom inneren Mediziner behandelte Syphilis scheinen mir die leicht 
löslichen Salvarsanpräparate. Wir verwenden seit reichlich 2 Jahren 
das SaLvarsannatrium. Ueber die allmählich ansgebildete Technik 
unterrichtet däs beigefügte Merkblatt 21 ). Die frühere Sorge vor der 
Anwendung des Mittels bei Aortitis ist unbegründet. Bei guter 
Technik habe ich nie eine ungünstige, auf das Salvarsan zu beziehende 
Erscheinung an Aorta oder Herz gesehen. 

lö ) Roemheld: Fortschr. d. M. 1913 Nr. 3. dort auch weitere 
Literatur. 

**) W e i n t r a u d: Ther. d. Gegenw.. Oktober 1911. 

21 ) Die Salvarsanbehandlung der I. Medizinischen Klinik München 
bei Erkrankungen der inneren Organe und des Nervensystems. 

1. Das Salvarsan wird als Salvarsannatrium verwendet. Eine 
vollständige Kur erfordert bei Erwachsenen zwischen 17 und 70 Jahren 
in der Regel 4,0—4,5 g Salvarsannatrium; bei Kindern und Greisen ist 
die Dosis entsprechend zu vermindern. Diese Gesamtmenge wird in 

Original fro-rri 

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1270 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 45. 


Das Saivarsaimatriaim beseitigt oft in erstaunlicher Weise schon 
bei den ersten intravenösen Einspritzungen die Beschwerden der 
Kranken. Die Schmerzen schwinden. Angina pectoris kommt nicht 
wieder. Das oft schwer geschädigte Gesamtbefinden hebt sich. Das 
Körpergewicht nimmt zu. Die Kranken glauben häufig wieder ganz 
gesund zu sein. Nur selten werden die Beschwerden zunächst 
vorübergehend gesteigert, oder werden die Kranken durch die Ein¬ 
spritzungen merklich angegriffen. Aber auch dann pflegt 3 bis 
4 Wochen nach Beendigung' der Einspritzungen der volle Erfolg 
herauszukommen. In vereinzelten Fällen kann er lange, vielleicht 
dauernd anhalten. Meist aber machen nach l A, I oder VA Jahren 
wieder Beschwerden sich geltend. Wir sind deshalb, wie wohl die 
meisten Aerzte, zu der Ucbung gekommen, in der Regel im Laufe von 
3 Jahren 6 Serien von Einspritzungen, jede zu 4—4,5 g Salvarsan- 
natrium, vor Zuschlägen. Eine derartige systematische Behandlung 
ist allerdings fast nur in der Privatpraxis möglich. Im Krankenhaus 
fühlt die Mehrzahl der Kranken sich so rasch gebessert, dass wir bei 
einer verhältnismässig kleinen Zahl die Durchführung auch nur einer 
Serie erreichen. 

Sicher sah man Gleiches auch mit Quecksilber und Jod, aber aus 
einem Vergleich unserer Krankenhauserfahrungen, die Dr. Edmund 
Stein in einer noch nicht gedruckten Dissertation durchgeführt hat, 
ergibt sich die viel langsamere Wirkung dieser Mittel. Dazu kommen 
bei den heruntergekommenen Kranken bisweilen unliebsame Neben¬ 
wirkungen der zudem zeitraubenderen Behandlung. Auch heute wird 
man mit Nutzen die alte Behandlung anwenden können, wenn aus 
äusseren Gründen, wie ja öfter, Salvarsan nicht zu brauchen ist, 
oder wenn man bei bedrohlicher Angina pectoris mit den typischen 
Anfällen aus Furcht vor dem Zusammentreffen eines Anfalls mit 
der Einspritzung das Mittel scheut. 


Einzeldosen von 0,15—0,3—0,45—0.6 intravenös eingespritzt, (s. 2.) 
Meist ist eine vier- bis sechsmalige Wiederholung der Kur notwendig. 
Inder Regel sollen zwischen dem Beginn von zwei Kuren 4—6 Monate 
liegen. 

2. Die erste Dosis beträgt stets 0,15 g. Nach einer Woche wird 
0,3 g eingespritzt. Diese Einzeldosis ist bei schweren Lebererkran¬ 
kungen, besonders mit chronischer Gelbsucht, ebenso bei allen akuten 
und chronischen Nierenkrankheiten mit Blut im Harn bis zur Er¬ 
reichung der erforderlichen Gesamtmenge zu wiederholen; die Zeit 
zwischen den Einspritzungen soll nicht verkürzt, unter Umständen auf 
10 Tage verlängert werden. Bei allen anderen Erkrankungen, be¬ 
sonders des Herzens, der Aorta und des Nervensystems wird die 
Einzeldosis von der dritten Einspritzung ab auf 0,45, bei reiner 
Tabes und bei latenter Lues von der vierten Einspritzung ab auf 0,6 g 
gesteigert. Die Zeit zwischen der 2. und 3. Einspritzung wird auf 
5 Tage verkürzt. Bleibt man bei 0.45. wird zweimal wöchentlich in¬ 
jiziert, bis die Gesamtmenge erreicht ist. Steigt man auf 0 6. erfolgen 
die Einspritzungen besser nur einmal wöchentlich. BeBfrischen zere¬ 
bralen Erkrankungen ist der Salvarsankur eine 1—2 wöchentliche 
Quecksilberbehandlung (Schmierkur) vorauszuschicken. Bei schwerer 
Herzinsuffizienz, bei Nierenkranken mit Urämie oder starken Oedemen 
ist von jeder spezifischen Behandlung abzusehen. Während der 
Menses wird nicht injiziert. Bei Kindern und Greisen soll die Einzel¬ 
dosis von 0,3 im allgemeinen nicht überschritten werden. 

3. Das Salvarsannatrium wird zweckmässig am Bett des Kranken 
in der erforderlichen Menge frisch sterilisierten, höchstens körper¬ 
warmen, redestillierten Wassers in einer sterilisierten, weithalsigen 
kleinen Flasche gelöst und sofort eingesoritzt. 0.15 g werden in 3 ccm, 
die übrigen Dosen in 6 ccm gelöst. Besonders ist darauf zu achten, 
dass die Lösung völlig klar und frei von Beimengungen und das Sal¬ 
varsannatrium nicht oxydiert ist. Die Oxydation ist an der braunen 
bis schwarzen Farbe der Lösung zu erkennen. 

4. Die intravenöse Einspritzung, am besten.mit sehr scharfer 
dünner Platin-Iridium-Nadcl. darf erst beginnen, wenn man sich durch 
Ansaugen von etwas Blut überzeugt hat. dass die Nadel in die Vene 
eingestochen ist. Die Finsnritzuneen werden am besten am frühen 
Vormittag bei dem noch nüchternen Kranken äusserst langsam — im 
Laufe von \A —2 Minuten — ausgeführt. Nach der Finsnritzung 
•wird für 2—3 Stunden zweckmässig nichts genossen. Die Kranken 
bleiben an den Tagen der Einspritzung am besten ganz, mindestens 
aber 6 Stunden nach der Einspritzung Legen. 

5. Treten Erscheinungen von UebermnnfindÜchkeit auf (Oefäss- 
erweiterung oder lästiges Hitzegefühl. Ohnmachtsarifälle. Bewusst¬ 
losigkeit. stark verlangsamter oder iahender kleiner Puls. Erbrechen. 
Durchfälle), so ist sofort 0.5—1.0 ccm Simrareninlösimg (1:1000) «.-ub- 
kutan einzusoritzen. Die Suorarenmlösnng und die erforderliche 
sterilisierte Spritze sind bei jeder Salvarsannatriumanwendung be¬ 
reit zu halten. Der Arzt muss sich mimi^tens 5 Minuten rach der 
Einspritzung des Salvarsannatrium in unmittelbarer Nähe des Kranken 
aufhalten und bei dem allerersten Beginn <W Hobercninfirdliehkeits- 
zeichen Sunrarenin ein^nritzeti. Bei iedem Kranken, der einmal auch 
nur eine Andeutung solcher Erscheinungen hatte, ist unmittelbar vor 
ieder folgenden Salvarsai|iatriumeinsnritzung 0.5—1 0 ccm Snnrqrenin- 
lösung (1:1000) zu iniizieren. Folgt eine Spätreaktion mit Uebelkeit, 
Erbrechen, so ist ebenfalls Suprarenin zu geben, bei Temperatur- 
Steigerung 0.3 Pyramidon 

München. April 1918. gez. R o m b c r g. 


□ igitized by Co >gle 


Schon mft Jod atlem (täglich 3,0 Kal. jodat oder allenfalls 
Sajodfin oder 2,0 Jodipin. solid, in Tabletten zu 0,2 während 8 Wochen, 
nach 1 Monat Pause Wiederholung) erreicht man oft vorzügliche 
Besserungen. Es scheint mir aber meist nicht ausreichend nachhaltig 
zu wirken. Dazu kommt seine in Süddeutschland so ausserordentlich 
häufige, leider noch immer ungenügend bekannte basedowifizierende 
Wirkung, mit ihren oft schweren und lange dauernden Störungen. Bei 
meiner süddeutschen Klientel gebe ich deshalb Jod nur ausnahmsweise. 
Mehrere meiner Aortitiskranken erholten sich erst, als ich das bis 
dahin regelmässig gebrauchte Jod aussetzte. 

Der Nutzen einer gründlichen Salvarsanbehandhmg scheint mir 
ferner aus dem Vergleich des Verlaufes bei den meist ungenügend 
behandelten Krankenhauspatienten und den viel häufiger gründlich be¬ 
handelten Privatkranken hervorzugehen. Im Krankenhause betrug die 
Krankheitsdauer vom Auftreten subjektiver Beschwerden bis 
zum Tode durchschnittlich nur 1A Jahr. Bei meinen Privatkranken 
kann ich nicht über eine entsprechende Zahl von Beobachtungen bis 
zum Tode berichten. Die im Leben festgestellte Dauer schwankte 
von 3 Monaten bis zu 11 Jahren und betrug durchschnittlich 3% Jahre. 
Der Verlauf war sicher günstiger als bei den unzureichend be¬ 
handelten Patienten. 

Als schönen Erfolg der Behandlung möchte ich auch das ge¬ 
legentliche Schwinden aller äusserlich nachweisbaren Symptome be¬ 
richten. Einmal sah ich sogar ein Aorteninsuffizienzgeräusch mR be¬ 
trächtlichem Pulsus celer sich verlieren. Kleine, hier und-da auch 
mitteigrosse Aneurysmen können dank der Behandlung lange Zeit auf 
ihrer Grösse stehen bleiben. 

In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle entspricht aber der 
auffallenden Besserung der subjektiven Beschwerden und des Gesamt¬ 
befindens kein Rückgang der örtlichen Veränderung. Svstolische Ge¬ 
räusche, Akzentuation des 2. Aortentons, Aorteninsuffizienzgeräusche 
bleiben gleich. Sackförmige Aneurysmen habe ich nie zurückgehen 
sehen, auch wenn es sich noch nicht um grosse, rettungslos fort¬ 
schreitende Aneurysmen handelte. Auch im Röntgenbild schien mir 
die Erweiterung der Aorta nicht sicher abzunehmen. Das letzte 
Wort in dieser Beziehung ist aber wohl noch nicht gesprochen. Dass 
eine schwere Herzinsuffizienz spezifisch nicht mehr zu bessern ist, 
wurde schon erwähnt. Da die Aortitis nur mit schrumpfenden Narben 
ausheilt, ist es auch nicht sonderbar, dass trotz bester Behandlung 
und glänzender Hebung der Leistungsfähigkeit gelegentlich von mir 
das Auftreten einer Aorteninsuffizienz durch narbige Schrumpfung der 
Klappen oder das Erscheinen schwerer, unter Umständet tödlicher, 
Angina pectoris durch narbige Verengerung der Kranzarterien be¬ 
obachtet wurde. 

So müssen wir leider nach der ganzen Art des anatomischen 
Prozesses unsere Erwartungen hinsichtlich wirklicher Heilung nicht zu 
hoch spannen. Da wir nicht wissen, welche Zeit zwischen dem Be¬ 
ginn der anatomischen Erkrankung und dem Her vertreten klinischer 
Erscheinungen liegt, da die Aortitis vielleicht die schleichendste Form 
viszeraler Lues ist. und die klinischen Erscheinungen möglicherw-eise 
stets der Ausdruck fortgeschrittener Störungen sind, werden wir 
auch von der Behandlung möglichst früh diagnostizierter Fälle 
grössere Erfolge vielleicht nicht zu erwarten haben. Anstreben müssen 
wir sie aber selbstverständlich, weil wir w r ohl tut dann auf Still¬ 
stände ohne Funktionsstörung hoffen dürfen. Die Begrenzung unserer 
Einwirkung ist auch kein Grund, von der Behandlung abzusehen. 
Der erreichbare Nutzen ist doch sehr beträchtlich. Die nicht zu 
verhütenden ungünstigen Folget^ würden ohne Behandlung wohl in 
derselben oder stärkerer Form aufgetreten sein. 

Schliesslich noch eine Bemerkung über die Behandlung-d-er 
Syphilis im Bereiche der inneren Med'zin überhaupt. 
Bei der Anordnung und der Stärke der spezifischen Einwirkung, be¬ 
sonders bei der Entscheidung über die Häufigkeit von Wiederholungen 
einer Kur muss in erster Linie das G°samtbefinden des Kranken bei 
richtiger Einschätzung seines seelischen Zustandes und weiter der 
Organbefund leiten. Jeder noch beeinflussbare Zustand ist auf das 
Energischste anzufassen. Veränderungen, die wir als endgültig an- 
sehen müssen, wie die Narbenschrumofung der gummösen Hepatitis, 
Restzustände einer Aortitis sind dagegen nach durch geführter gründ¬ 
licher Behandlung, sagen wir nach durchschnittlich 6 Salvarsankuren 
in 3 Jahren, nicht immer von neuem als Veranlassung spezifischer 
Einwirkung anzusehen. Die WaR. ist für den inneren Mediziner ein 
Hilfsmittel, das* er für seine Diagnostik nicht entbehren kann. Aber 
ebenso wie der Reaktion kern absoluter Wert für die Entscheidung 
der Art der Krankheit zuVommt. so kann sie allein auch nicht unsere 
Behandlung bestimmen. Wir müssen nicht selten, euch bei negativer 
WaR. spezifisch behandeln und sehen beste Erfolge. Ebensooft dürfen 
wir nach wirklich gründlicher Behandlung von we'terer Einwirkung 
trotz positiv bleibender WaR. absehen. weil der erreichbare Erfolg 
erzielt ist. Eine Mahnung zu fortgesetzter Beobachtung des Kranker, 
bleibt aber die oosLive WaR. stets. 

Auch nach der Erfahrung der inneren Medizin ist die wirksamste 
Behandlung die gewissenhafte, gründliche Bekämpfung der Krankheit 
unmittelbar nach der Infektion möebchst in den WuR.-freien erst°n 
6 Wochen und in den ersten Jahren danach. Fast alle Kranken rmt 

verheerenden Folgen der Svnbilis in der snSt-or^n 
Her Infektion schon nach ihren eigenen Angaben unzureichend be¬ 
handelt. 


Original fro-m 

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o. November 19i8 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 




lieber kongenitale Lues. 

Von Prof. M Pfaundler. 


„Orkmtur pueruii ex utero rnatris iufecti morbo gallico.“ So 
äussert sich fallopia. Einem der ersten' wissenschaftlichen Be¬ 
arbeiter der Gesamtmaterie der Lues war also die Tatsache schon 
bekannt, dass das Uebel auch auf die Nachkommenschaft übergehen 
könne. Auf welche Weise solches geschieht, blieb freilich lange Zeit 
strittig. Einen Modus -der Uebertragung, der vormals hauptsächlich 
ins Auge gefasst wurde, nämlich den eigentlich germinativen, können 
wir mit Sicherheit ablehnen, seitdem wir das Virus der Syphilis 
kennen. Wenn die Länge eines Treponema pallidum jene des Kopfes 
einer menschlichen Samenzelle um das Vierfache übertrifft, so kann 
dieser Keim natürlich nicht im lebensfähigen Sptermatozoum enthalten 
sein. Bei der weiblichen Keimzelle liegen zwar die Grössenverhält¬ 
nisse erheblich anders — auch sind Treponemen in reifen Eiern der 
Ovarien syphilitisch infizierter Frauen nachgewiesen worden — doch 
dürfte gleichwohl eine erfolgreiche Befruchtung und ein Weiter- 
lieben solcher Ovula kaum in Frage kommen. Noch zu wenig berück¬ 
sichtigt scheint mir m solcher Richtung die Tatsache, dass man nie¬ 
mals in Embryonen aus den ersten Schwangerschaftsmonaten syphi¬ 
litischer Mütter Treponemen angetroffen hat. Erst jenseits des 4. oder 
5. Monats zeigt sich die Verbreitung des Giftes und zwar in solchem 
Masse, Crss die Körpergewebe der Frucht einen höchst geeigneten 
„Nährboden" bzw. recht günstige Lebensbedingungen für den Erreger 
zu bieten scheinen. Solches spricht wohl auch gegen die sog. sper- 
matisch-ovuläre Infektion, bei der das in der Samenflüssigkeit ent¬ 
haltene Gift den Weg auf die Uterusschleimhaut und weiterhin wäh¬ 
rend der allerersten Entwicklungsstadien in das Ei finden soll. Der 
diaplazentare Infektionsmodus tritt somit ganz in den Vordergrund. 
Dieser wurde ja immer zugegeben; ihn aber als alleinigen gelten 
lassen, wollte man nicht, weil ein Umstand stets für das Vorkommen 
einer „rein paternellen“ Syphilisansteckung des Kindes zu sprechen 
schien; dieser Umstand ist das relativ häufige Freibleiben der Mutter 
von Krankheitserscheinungen in Fällen, in denen Vater und Kind 
manifest syphilitisch sind. Wenn man heute w-eiss, dass solche Mütter 
fast regelmässige spezifische Reagine auf Lues im Serum führen, so 
schien dies für die Anhänger der Lehre reiner Syphilis ex patre noch 
kein überzeugendes Gegenargument, da man an eine Uebertragung 
von solchen Substanzen aus dem kindlichen Kreislauf in den der nicht- 
infizierten Mutter immerhin denken konnte. Dass solche Mütter itvder 
Tat gegen Syphilisansteckung gefeit sind, ist seit Coli es bekannt. Es 
zeigt sich aber immer mehr, dass es bei Lues nur eine Form von Feiung 
gegen Ansteckung gibt, nämiieh die Immunität gegen Superinfektion des 
bereits Infizierten. In der Tat hat man neuerdings in der Plazenta und 
zwar in dem mütterlichen Anteile des Organes bei Golles-Müttern 
Treponemen im Gewebe nachgewiesen. Die Tatsache des oft latenten 
Verlaufes der Infektion bei solchen Frauen bleibt auffallend und durch 
die bisher vorliegenden Hypothesen dem Verständnis noch nicht recht 
zugänglich. Für den diaplazentaren Infektionsmodus als allein in 
Betracht -kommenden spricht namentlich auch die Einheitlichkeit der 
Verlauf sw eise bei dem Gross der Fälle, wo die Infektion der Mutter 
vor der Konzeption stattgefunden hat und jener Minderzahl von Fällen, 
in denen es sich um eine Ansteckung der bereits Schwangeren handelt. 
Hier kommt ja ausschliesslich die diaplazentare Ansteckung des Fötus 
m Frage und man müsste erwarten, dass sich der Krankheitsverlauf in 
diesem Falle abweichend gestaltet, wenn bei präkonzeptioneller Sy¬ 
philis der Mutter das Gift auf anderen Wegen und zu anderen Zeiten 
in den Körper der Frucht eindringt. Das Freibleiben des Embryos 
von Treponemen macht auch die sog. Rückstosslehre unwahrschein¬ 
lich, die dahingeht, dass die zugegebene Ansteckung der Mütter in 
jedem Falle von Fruchtlues von der primär infizierten- Frucht h-er- 
ruhre. Dieses Freibleiben erklärt sich ziemlich zwanglos bei der 
Annahme, dass sich die Infektion des mütterlichen Körpers im Bereich 
der Geburtsorgane zu Beginn der Gravidität allmählich auf die und 
in der Plazenta ausbreitet, wodurch zunächst nicht spezifische, sondern- 
trophische Veränderungen im- Körper des Embryos entstehen*, bis das 
Uebel auf den fötalen Anteil des Mutterkuchens übergreift und damit 
das Virus in die Nabelschnur und weiterhin in den Körper des Fötus 
getaugt. 

•Die kongenitale Syphilis ist keine seltene Krankheit. In früheren 
Jahren* traf man sie allerdings auch unter einem Materiale von kranken 
Kindern nur in einer Frequenz von bis zu 1 Proz. an; neuerdings aber 
stieg diese Ziffer bei- Anwendung geeigneter klinischer und sero¬ 
logischer Methoden allenthalben auf etwa 2 Proz. und wo zur Dauer¬ 
beobachtung der Mütter und Kinder und zur wiederholten Prüfung nach 
Wassermann Gelegenheit geboten ist, wie etwa in Findelhäusern, 
traf man bis zu* etwa 4 Proz. aller Insassen mit kongenitaler Lues 
behaftet. Daten, die wesentlich über diese Zähl hinausgehen, sind 
revisionsbedürftig. Insbesondere wäre in Fällen, in denen neuge¬ 
borene Kinder Wassermann-positiv angetroffen werden, späterhin aber 
klinisch und serologisch unverdächtig bleiben, an die Möglichkeit zu 
denken, dass von der infizierten Mutter wohl die Reagine, nicht aber 
die Treponemen auf das Kind übergegangen sind. Vergleicht man 
nun die angeführten Frequenzzahlen an kongenitaler Lues mit jenen 
der erworbenen Syphilis Erwachsener, so wird man finden, dass 
jene verhältnismässig auffallend niedere sind. Die Erklärung für dieses 
Verhalten ist namentlich in zweierlei Richtung zu finden: Einerseits 
gilt das Gesetz, dass jede syphilitische Frucht eine syphilitische Mutter 

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habe, sicher durchaus nicht umgekehrt oder mit anderen Worten 
luetische Mütter können ohne Zweifel in späteren Stadien ihrer Er¬ 
krankung oder nach vorausgegangener Behandlung zum mindesten 
auch völlig v-irusfreie Kinder zur Welt bringen; die Häufigkeit solchen 
Vorkommens scheint besonders in den sozial höheren Ständen unter 
günstigen äusseren Verhältnissen eine recht beträchtliche zu sein 
(über 50 Proz.); anderseits übt die Syphilis automatisch eine ihrer 
Verbreitung in der Nachkommenschaft stark entgegen wirkende Aus¬ 
lese, eine Selbstausmerzung, die dem Volksübel weit wirksamer be¬ 
gegnet als irgendwelche vom Volk ergrei-fbare Massnahme. Die Wirk¬ 
samkeit dieser Ausjäte soll an einem Diagramm erläutert werden, 
das ihnen zeigt, dass von hundert Früchten bzw. Kindern- syphilitisch 
infizierter Mütter aus dem Beobachtungskreise des Vortragenden den 
Termin der Geburt nur 56 erlebten, das Ende des ersten Lebensjahres 
nur 33, das Ende des Kindesalters, also die Pubertät, nur 23. Dabei 
ist noch gar nicht gerechnet mit dem obenerwähnten Absterben von 
Embryonen, die von syphilitischem Virus und spezifischen Erkran¬ 
kungen noch frei blieben. 

Was die Pathologie der kongenitalen Syphilis anlangt, so stellt 
sich das Leiden in verschiedenen Entwicklungsperioden sehr ver¬ 
schieden dar. Beim Fötus vermisst man Erscheinungen, wie sie die 
Sypl?ilidologie als primäre und als sekundäre zu bezeichnen pflegt. 
Es erkranken hauptsächlich gewisse Eingeweide und Skeletteile; aber 
keineswegs handelt es sich dabei etwa um sog. Tertiär Veränderungen, 
vielmehr trifft man diffuse Infiltrationen der Gewebe, Gefässerkran- 
kungen, die zu Wucherungen des Mesenchyms und zur Erstickung des 
Parenchyms führen. Die Folge solcher Erkrankung ist in vielen 
Fällen das Absterben und die Ausstossung in mazeriertem Zustande. 
In anderen Fällen endet die Schwangerschaft vorzeitig oder aber 
rechtzeitig mit der Geburt eines leidlich lebensfähigen, deutliche 
Krankheitszeichen an sich tragenden oder aber von- solchen scheinbar 
freien Kindes. Der letztere Fall ist der häufigere und wichtigere. 
Aeusserlich ist den oft leidlich vollen und kräftig scheinenden Neuge- 
geborenen* nichts von dem kongenitalen. Uebel anzusehen; dieses 
bleibt latent, um in der Zeit zwischen dem Geburtstermin und der 
8. bis 12. Woche erst zum Vorschein zu kommen. Histologische, aber 
vielfach auch radiologische Untersuchung in solchen Stadien der La¬ 
tenz zeigt freilich die besagten Veränderungen der fötalen Lues, die 
in das extrauterine Dasein* herübergenommen wurden, insbesonders 
die viszero-chondralen Affektionen, von denen einzelne, wie z. B. 
die Infiltration der Milz oder Leber übrigens auch der ärztlichen Fest- 
‘ Stellung zugänglich sein können. Konsistente Milzturaoren bei Säug¬ 
lingen der ersten Lebenswochen, die noch keine sinnfällige andere 
infektiöse oder dystrophische Störung durchgemacht haben, werden 
nach meiner Schätzung in etwa 80 Proz. der Fälle auf kongenitale 
Lues hinweisen. 

Das sog. Erstauftreten> syphilitischer Krankheitszeichen beim 
Säugling ist somit eigentlich nur der Ausdruck der Ablenkung des Gif¬ 
tes auf ein anderes Körpergebiet, nämlich hauptsächlich au# das der 
Integumente. Diese Ablenkung kann vielleicht dadurch verständlich 
werden, dass man sich zweier Tatsachen erinnert: einmal der Affini¬ 
tät des Luesgi-ffes zu Stellen höchster Aktivität der Gewebe und 
anderseits der funktionellen Inanspruchnahme äusserer und innerer 
Körperdecken jenseits der Geburt durch das Einsetzen der Digestion 
und Respiration und durch die Einwirkung von mechanischen, chemi¬ 
schen, thermischen und aktinischen Reizen au# die äussere Haut, die 
im Mutterleibe allen diesen Reizen entzogen war. Derart kommt nach 
Ablauf besagter Latenz die Eruption von sog. parietalen Zeichen zu¬ 
stande. Das früheste dieser Zeichen ist im* allgemeinen wohl die 
syphilitische Rhinitis, die mitunter schon in den ersten Lebenstagen 
erkennbar wird und derart differentialdiagnostisch mit den banalen 
Schnupf enkrankheiten der Neugeborenen in Konkurrenz tritt. Diese 
letzteren verlaufen allerdings zumeist fieberhaft, mit stärkerer Sekre¬ 
tion und unter Mitbeteiligun-g der Rachenschleimhaut. Die mehr 
trockene, chronische, syphilitische Rhinitis führt anscheinend auf dem 
Wege der Zirkulationsstörung zu Entwicklungshemmungen am knö¬ 
chernen und knorpeligen Nasenskelett; freilich, werden Deformitäten 
dieser Art, wovon man verschiedene Typen mit dem Namen der 
Stumpfnase, Kleinnase, Bocksnase, Lorgnettennase belegte, gelegent¬ 
lich sehr frühzeitig und ohne Zusammenhang mit der Schleimhaut- 
erkran'kung vor, so dass eher eine spezifische Läsion von Knochen 
-der Schädelbasis während des Fötallebens anzunehmen nähegelegt 
wird. Weit seltener als an der Nasenschleimhaut sieht man die re¬ 
zente Säuglingslues an der Kehlkopfschleimhaut manifestiert. 

Die geläufigsten Formen des Exanthems an der äusseren Haut 
sind der luetische Pemphigus, das makulöse, papulöse und ulzeröse 
Syphilid (vergl. die Bilder, die auch Lokalisation, Form und -Farbe 
als diagnostisch wichtigste Kriterien zur Anschauung bringen); dia¬ 
gnostisch bedeutsamer aber und für die kongenitale Form der Erkran¬ 
kung höchst charakteristisch sind die diffusen Hautinfiltrationen, deren 
Kenntnis wir insbesondere den Wiener Kinderärzten Kassowitz 
und Hochsinger verdanken. Die Haut verliert durch diese diffuse 
Form des Exanthems ihre natürliche Elastizität, wird derart spröde, 
rissig und öffnet sich dem Einbrüche banaler Eiterinfektionen, die 
dann — besonders in der Mundgegend, an Gelenksfalten etc. — das 
ursprüngliche Uebel bis zur Unkenntlichkeit entstellen können. An 

Original fro*m 

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MüENCHENER MEDIZINISCHE WüCHENSCHRiFT. 


Nr. 45. 


1272 


anderen Stellen, wie z. B. an den Fusssohlen, kommt es lediglich 
zu <£ in er Mortifiziernng -der Oberhaut, die erst als lackartiger und 
spiegelglänzender Ueberzug erscheint, weiterhin in Schuppen und 
Petzen abgestossen wird. 

Nebst der Ablenkung des Giftes auf vormals freigcbliebene Ge- 
websbezirke macht sich jenseits der Geburt für den Ablaut der Krank¬ 
heit besonders noch der Ausfall einer gewissen protektiven Funktion 
des mütterlichen Organismus geltend, der ein kompletter ist bei Fla¬ 
schenkindern, ein partieller bei Brustkindern. Die Folge dieses Aus¬ 
falls ist in den meisten Fällen eine schwere Beeinträchtigung des an¬ 
fangs oft noch leidlich guten Ernährungszustandes und weiterhin das 
Rezidivieren von Skelettaffektionen, die nunmehr unter dem Bilde von 
osteochondritischeiv und periostalen Prozessen in Erscheinung treten. 
Fs begegnet uns das so ungemein charakteristische Bild der Schein¬ 
lähmung von Gliedern, die zumeist im Bade bemerkt und die 
bei der Schmerzhaftigkeit passiver Bewegungen oft irrtümlich als 
Verletzimgsfolge gedeutet wird, per Arm des Kindes hängt etwas 
einwärts rotiert und proniert, ähnlich wie nach einer geburtshilflichen 
Plexuslähmung unbewegt herab und man bemerkt bei näherem Zu¬ 
sehen eine Schwellung, die aber nicht artikular, sondern epiphysär 
sitzt, häufiger am Ellbogen als an den anderen Gelenken. Das Rönt¬ 
genbild ist besonders geeignet, die an der aktiven Verknöcherungs¬ 
zone der Langröhrenknochen sitzende, schwere und destruktive spe¬ 
zifische Entzündung atiizudecken, die der P a r r o t scheu Pseudopara¬ 
lyse zugrunde liegt und deren Trümmerfeld als Aufhellung des Dia- 
physenschattens erscheint, jenseits noch abgesprengte und dislozierte 
kalkhaltige Knochenteile übriglassend. Gleichfalls schon in das frühe 
Säuglingsalter datieren oft periostale Kiiochenneubildungen an den 
Wachstumszentren der Schädelknochen, die eine schildbuckelartige 
Vortreibung der Stirnhöcker als Stigma hinterlassen können. 

Andern Nervensystem treffen wir um diese Zeit besonders pachy- 
meningi tische, hydrozephalische und neuritische Prozesse an. 

Wesentlich anderen Charakter schon als die relativ vergänglichen 
und auf spezifische Therapie reagierenden Zeichen der rezenten Säug- 
lingslues sind die Rezidiverscheinungen des späteren Säugling- und 
des Kleinkindcsalters. Besonders die letzteren ähneln sehr kondy- 
lomatosen Erkrankungen bei erworbener Infektion und geben vielfach 
zu Verwechslung mit solcher Anlass. Die Exantheme auf der äusseren 
Haut allerdings zeigen sich in diesem Stadium fast immer modifiziert, 
so dass der Erfahrene sie ohne Kenntnis der Vorgeschichte als Riick- 
ia User sc heimin gen und nicht als Ersteruptionen zu erkennen vermag. 
Beispielsweise zeige ich Ihnen ein äüsserst charakteristisches klein- 
papulöses Exanthem, das Ringe und Höfe bildet und das wir bisher 
nur nach vornusgogangenen anderen Syphiliden antreffen konnten. 

Nach Ablauf solcher Rezidivcrschcinungen bleiben die kongeni¬ 
talen Luetiker häufig monate- und jahrelang frei von frischen Zeichen,- 
ja auch vielfach von sicher deutbaren Resten und Stigmen. Zumeist 
erst beim Schulkinde oder einige Zeit vor der Einschulung gelangen 
die Störungen zum Ausbruch, die das Bild der kongenitalen Spätlues 
zusammensetzen. In dieser Krankheitsphase macht sich zumeist recht 
deutlich eine Allergie bemerkbar, die, kurz gesagt, in einer vermehr¬ 
ten örtlichen Reaktion bei verminderter Giftausbreitung zum Ausdruck 
kommt. Der Typus der syphilitischen Manifestationen ist mehr der 
von Knoten, Gummen, Geschwüren und Tophen, d. h. tuffsteinartig 
lockeren und zerfallenden Neubildungen. Die Analogie mit den ter¬ 
tiären Stadien der akquirierten Lucs und auch der Tuberkulose wird 
deutlich erkennbar; Verwechslungen sind an der Tagesordnung, be¬ 
sonders hinsichtlich der Haut-, Schleimhaut-, Knochen- und Gelenks¬ 
erkrankungen, bezüglich deren ich mich aui kurze Vorführung der 
wichtigsten Typen im Bilde beschränken muss. Gegen Tuberkulose 
sprechen nebst dem im Kindesalter relativ häufigen und deshalb 
höchst wichtigen negativen Ausfall der Tuberkulinproben massige 
Schmerzhaftigkeit, verhältnismässig geringe Funktiotisbehinderung, 
auch geringe Kachexie und Fieberbeweg-ung. Von den viszeralen 
Spätstörungen erwähne ich nur eine unter dem Bilde der ß a n t i - 
sehen Krankheit verlaufende und mitunter zu tödlichen Blutungen aus 
dem gestauten Pfortadergebiete führende Erkrankung, von jenen am 
Zentralnervensystem die an Häufigkeit oben anstehende multiple, auf 
spezifischer Endophlebitis beruhende Zcrcbrospinallues, aus deren 
wechselvollcm Bilde ein Zeichen besonders deutlich und früh heraus¬ 
tritt, nämlich die reflektorische Pupillenstarre mit Anisokorie. Man 
weiss, dass in diesem Alter die Luetiker besonders auch hinsichtlich 
ihrer Sinnesfunktionen bedroht sind durch Chorioretinitis, Keratitis. 
Neuritis optica und acustica. 

Während in allen bisher erwähnten Krankheitsherden das spe¬ 
zifische Gift nachweisbar ist, machen sich in jedem kindlichen Lebens¬ 
alter gelegentlich Störungen bemerkbar, die mit den Treponemen als 
solchen und direkt anscheinend nichts zu tun haben. Die Sichtung 
eines grösseren Materiales an kongenitaler Lues überzeugt sehr wirk¬ 
sam davon, dass die Syphilis für das heutige Menschengeschlecht der 
degencrative Faktor katexochen ist: allenthalben stösst man auf Dys¬ 
plasien, Entwicklungshemmungen und Degenerationsstigmen. Solche 
brechen plötzlich in Familien ein, deren frühere Generationen nach 
jeder Richtung körperlich und geistig günstig ausgezeichnet waren, 
wenn ein Glied die Treponemeninfektion erworben und weitergegeben 
hat — notabene nicht allzu selten ohne dass die Nachkommenschaft 
eigentlich als spezifisch krank gelten könnte. Minderwertigkeiten 
aller Art, Lebensschwäche. Resistenzmangel, Infantilismus, Schwach¬ 
sinn, schwere Psycho- und Neuropathien, jeder Therapie Widerstand 
leistende Kopfschmerzzustände u. dergl. sind an der Tagesordnung. 

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In diagnostischer Beziehung habe ich den Ausführungen der 
Herren Vorredner wenig hinzuzufügen. Die Wassermann seht 
Reaktion erweist sich für den Kinderarzt als äüsserst wertvoll, und 
zwar ist nicht allein ihr positiver, sondern auch ihi negativer Aus¬ 
fall bei entsprechender sachkundiger Durchführung zumeist untrüglich. 
Auf einige^ Ausnahmen und Besonderheiten wird man gefasst sein 
müssen. So achte man wohl auf die sog. positiven und negativen 
Wochenbeitphasen bei Untersuchung des mütterlichen Blutes, auf die 
serologische Latenz des infizierten Neugeborenen oder umgekehrt auf 
die erwähnte passive Uebertragung (?) von Reaginen, weiter auf ge¬ 
legentliche Versager der Blutprobe bei syphilitischen Arthropathien 
oder auf die Möglichkeit eines positiven „Wassermann“ bei nicht¬ 
syphilitischen Hirntumoren des späteren Kindesalters etc. Von kli¬ 
nischen Zeichen tragen zur Diagnose gewisse Stigmen bei, als da sind 
z. B.: Schrundennarben im Gesichte, Sichelprofil, Olympierstirne. 
Streifenalopecie, Venenerweiterungen, diffuse Hornhauttrübungen. 
Kubitallymphdrüsen, Verdickung der Endphalaugen, Hutchinsoiizühnc. 

Die medikamentöse Therapie der kongenitalen Lues ist von 
jener der akquirierten nicht prinzipiell verschieden; sie beruht im 
wesentlichen auch auf der Anwendung von Quecksilber, Jod und 
Arsen, des letzteren hauptsächlich in Form der Salvarsanpräparate. 
Unzweifelhaft wirksam sind diese Mittel in der Vorbeugung der 
Lues congenita, da eine zweckmässig und konsequent durchgeführte 
Behandlung syphilitischer Erzeuger unzweifelhaft in vielen Fällen 
später erzeugte Früchte vor der Infektion bewahrt; die ihr anderen 
Falles mit grosser Wahrscheinlichkeit verfallen wären. Weiter nütz¬ 
lich ist solche Therapie beim Kinde, besonders bei gewissen Formen 
von rezenter Säuglingslues und noch mehr bei Rezidiven, z. B. bei 
Kondylomen gewissermassen symptomatisch; hingegen muss die 
Frage, ob man dem Uebel ein für allemaPbegegnen, cs richtig aus¬ 
merzen könne, mit Vorsicht behandelt werden. Dies gilt insbesonders 
von der „Therapia magna sterilisans“: man wollte bekanntlich dem 
Salvarsan die Wirkung zuschreibeu, dass es imstande sei, die ge¬ 
samte Treponemen Vegetation des Infizierten mit einem Schlage ver¬ 
nichtend zu treffen. Davon kann nun bei der kongenitalen Lues bis¬ 
her keine Rede sein, was übrigens Ehrlich selbst auch schon als 
Eigentümlichkeit dieser Form des Uebels frühzeitig erkannt hat. Die 
Behandlung des chronisch-intermittierenden Leidens wird meines 
Erachtens zweckmässig, und muss wohl gleichfalls, eine chronisch- 
intermittierende sein. Mit Salvarsan und seinen Verwandten allein 
kommt man in der Regel nicht zum Ziele. Man hat deshalb neuer¬ 
dings kombinierte Salvarsan-Quecksilber-Kuren empfohlen und es ist 
besonders das Verdienst von Erich Müller in diese Kuren einiges 
System gebracht zu haben. Sie finden die bezüglichen Einzelheiten 
in Müller s Originalmitteilungen, sowie in neueren Lehrbüchern der 
Kinderheilkunde. Es muss gesagt werden, dass der Anwendung des 
Salvarsans bei Kleinkindern und Säuglingen oft erhebliche technische 
Schwierigkeiten begegnen, da man die in die Haut versenkten und 
dünnen Venen zur Einbringung des Mittels direkt in die Blutbahn 
wenig geeignet findet. Eine solche streng intravenöse Injektion for¬ 
dert aber das Salvarsannatrium, das dem Neosalvaxsan an Wirkung 
wesentlich überlegen scheint. Mit welchen Schwierigkeiten man da 
oft zu rechnen hat, wird am besten illustriert durch die zum Teil 
befremdlichen Vorschläge und Auswege, zu denen man Zuflucht ge¬ 
nommen hat: So wurde bei Säuglingen sogar die Einspritzung des 
Mittels durch die Sagittalnaht in den Längsblutleiter des Gehirns emp¬ 
fohlen, ein Vorgehen, vor dem nur gewarnt werden kann (während 
solche Punktion zwecks Blutgewinnung für die Wassermann sehe 
Probe nach Angabe Toblers, Langsteins u. a. ohne Bedenken 
sei). Am ehesten wird man mit den seitlichen Hals- oder mit den 
Schädelvenen Zustandekommen. Das immerhin diffizile Vorgehen 
eignet sich vielleicht für die Anstaltsbehandlung, wogegen der Privat¬ 
arzt das auch intramuskulär in der Regel ohne erhebliche und länger¬ 
währende Reaktion ertragene Neosalvarsan vorziehen wird. Das Ziel 
der kombinierten Kuren ist die definitive Heilung, die sich durch 
dauerndes Verschwinden der Wassermann sehen Reaktion zu 
erkennen gibt. Wendet man dieses Kriterium für den Behandlungs¬ 
erfolg an, dann wird man mit letzterem trotz Einhaltung aller Regeln 
oft nicht zufrieden sein. Selbst die exakte Durchführung von Küren 
nach E. Müller vermochte in unseren FäUen bisher nur ganz aus¬ 
nahmsweise eine dauernd negative serologische Reaktion zu erzeugen 
Ich sehe darin eine Besonderheit der kongenitalen Form; denn, 
wo wir bis jetzt zu diesem Ziele gelangten, schien uns Anlass gegeben, 
eben deshalb die ‘Diagnose zu revidieren und es stellte sich gelegent¬ 
lich heraus, dass die Infektion in der Tat eine extrauterin erworbene 
war. 

Manche Beobachtungen drängen einen geradezu in Resignation 
und erschweren die Stellung des Arztes gegenüber der bei vielen 
Fltern kongenital-luetischer Kinder verbreiteten Meinung, dass die 
Einspritzungen, Einreibungen und inneren Gaben von Heilmitteln den 
Zustand nur verschlechtern oder wenigstens nicht verbessern. Oef- 
ters kann man sehen, dass auch ausserhalb des Säuglingsalters der 
Ernährungszustand der Behandelten ernstlich leidet und dass gerade 
während der 'Kur Manifestationen in Erscheinung treten, deren man 
weiterhin nur mit Mühe Herr wird. Ich kann deshalb das Kapitel 
der Therapie bei kongenitaler Syphilis nur als ein wenig erfreuliches 
bezeichnen. 

Die medikamentöse Behandlung hat die engsten Bezieh¬ 
ungen zur Ernährungsfrage und — soferne es sich um die breiten 
Schichten handelt — auch zur Fürsorgefrage. Die Fürsorge für die 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



$. November 1018. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHgNSChRlhT. 


1275 


kongenitalen Luetiker im Rahmen -der allgemeinen Säuglingsiürsorge 
zu organisieren ist heute eine vielleicht nicht ganz undankbare Auf¬ 
gabe; insbesonders würden für solches Bestreben wichtige Grund¬ 
lagen geschaffen werden, wenn gesetzliche Bestimmungen zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten im Sinne der Vorschläge von 
Zumbusch-Dy roff erlassen würden. Solches würde insbeson¬ 
ders eine frühzeitige Erkennung des Gros der Fälle und weiterhin eine 
Evkienzführung möglich machen; beides nicht allein zugunsten einer 
konsequenten Fortführung und rechtzeitigen Wiederaufnahme der 
Kuren, sondern auch zugunsten der Vorbeugung gegen die von kon¬ 
genital-syphilitischen Kindern ihrer Umgebung drohenden Gefahr. 
Diese Gefahr ist nach dem eingangs Gesagten naturgemäss in der 
Familie nur ausnahmsweise gegeben; sie kommt besonders für die 


Kostkinderpflege in Betracht. Unzweifelhaft ist die kongenitale, 
namentlich die rezente Säuglingssyphilis ansteckend, doch zeigt die 
Erfahrung, dass solche Ansteckung vorwiegend da droht, wo in gröb- 
| lieber Weise gegen Vorsichtsmassregeln einfacher Art und auch gegen 
I die primitivsten Regeln der Reinlichkeit verstossen wird. Da solche 
i Verstösse bei der Kostkinderpflege leider gang und gäbe sind, ver- 
! lautet dann und wann von dem Unglücke der Uebertragung auf Glie- 
| der der Kostpartei. Bezüglich der Einzelheiten der Fürsorge der 
j kongenitalen Lues, auch den Vorteilen und Nachteilen der Behänd- 
I lung in Kinder Spitälern, sowie in besonderen Anstalten, sog. Welander- 
heimen, darf auf die Ausführungen, die in dieser Wochenschrift (1917, 

| Nr. 17 u. 18) auf Veranlassung einer Kommission des ärztlichen Ver- 
! eines gemacht wurden, verwiesen werden. 


Oie Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten*). 


Von Prof v. Notthafft. 


Die Befürchtung, dass auch dieser Krieg, wie viele vor ihm, zu 
einer Durchseuchung unserer Truppen und zur Verschleppung der 
Krankheiten in die Heimat führen würde, hat sich als unberechtigt 
herausgestellt. Der Prozentsatz an Geschlechtskrankheiten ist im 
Heere von etwa 2 Proz. der Friedensverhältnisse nur auf etwas über 
3 Proz. gestiegen (Oesterreich 4 Proz.). Es ist dieses das Verdienst 
der mustergültigen Massnahmen der Militärsamtätsbehörden (Be¬ 
lehrungen der Mannschaft durch Vorträge von Sanitätsoffizieren. An¬ 
schläge in Kasernen und Soldatenmerkblätter, regelmässige und un¬ 
vermutete Gesundheitsuntersuchungen, Beschränkung von ALkohol- 
genuss und Abendausgang, Strassen- und Lokalverbote, ausgedehnte 
Massnahmen gegen Prostitution und Kurpfuscherei, Aufspürung der 
Infektionsquellen und Schaffung von Soldatenheimen, seitens einzelner 
Kommandeure auch Befehle zur Meldung nach Geschlechtsverkehr 
zwecks Desinfektion, Vorschriften, wie sie seit 1900 erfolgreich in 
der Kriegsmarine geübt wurden; in Oesterreich eigene Desinfektions¬ 
räume in, jeder Kaserne). 

Als das beste prophylaktische Mittel hat sich Jederzeit die Be¬ 
händ 1 u n g der Kranken bewährt. Dadurch, dass das Militär grund¬ 
sätzlich jeden ansteckenden Geschlechtskranken ins Lazarett steckt, hat 
es Isolier ungs- und Ausheilungsbedingungen von solcher Güte ge¬ 
schaffen, wie sie für das Zivil gar nicht erreichbar sind. Wären die 
jetzt im Heere Stehenden im Zivilleben erkrankt, so wäre ihre Un¬ 
schädlichmachung bei wertem nicht so gelungen. Die erhöhte Ge¬ 
fahr der Krankheitsverschleppung, welche von der Steigerung der 
Geschlechtskrankheiten im Heere droht, ist dadurch reichlich wett¬ 
gemacht. Den ausgezeichneten Vorträgen, welche Sie über Behand¬ 
lung gehört haben, habe ich ergänzend nur hinzuzufügen, dass die 
Geschlechtskrankheiten fast nie in den akuten Stadien (frischer 
Tripper, Sklerose), sondern in der Regel in einem chronischen (chro¬ 
nische Gonorrhöe, Sekundär- und Rezidivprodukte der Lues) ver¬ 
breitet werden. Vom Standpunkt der Prophylaxe aus ist daher ge¬ 
rade dem chronischen Tripper erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. 
Die Mittel und Behandlungsmethoden der akuten Gonorrhöe versagen 
da, und auch das schematische Sondieren, Aetzen und Massieren ohne 
genaueste Indikationsstellung ist wertlos. Die Behandlung des chro¬ 
nischen Trippers ist eben Sache des Spezialarztes, und es ist zu be¬ 
dauern, dass selbst unter diesen die Kenntnis der Urethroskopie, 
welche eine beständige Behandlungskontrolle ermöglicht, recht spär- 
Kch ist. Bei der Syphihsbehandlung ziehe ich das Altsalvarsan vor. 
Vor dem Neosalvarsan hat es, wie der raschere Spirochätenzerfall 
und die längere Remanenz von Arsen in den Organen der Versuchs¬ 
tiere beweisen, die grössere Wirksamkeit, vor diesem und Salvar- 
sannatrium die grössere Harmlosigkeit voraus. Denn seine geringere 
Zersetzlichkeit bedeutet eine geringere Giftigkeit, und die örtlichen 
Folgen von ein Paar Tropfen neben die Vene gelangter Altsalvarsan- 
lösung lassen sich nicht mit den schweren Erscheinungen, welche 
nach Injektion einer konzentrierten Salvarsan-, Neo- oder -Natrium¬ 
lös mrg ins perivaskuläre Gewebe entstehen, vergleichen. 

Auch die Gefahr, dass infolge des Krieges die Geschlechtskrank¬ 
heiten in bisher ziemlich verschonte Kreise (Landbevölkerung, »Ehen 
[% der militärischen Geschlechtskranken* ist verheiratet]) dringen 
könnten, ist für die Allgemeinheit bedeutungslos. Denn die abgesack¬ 
ten ehelichen Krankheitsherde tendieren nicht wie die ausserehelichen 
Seuchenherde zur Ausbreitung, Um aber die Zivilbevölkerung noch 
weiter zu schützen, ist ein Gesetzentwurf in Vorbereitung, weloher 
die Zurückbehaltung an ansteckenden Krankheiten leidender Mann¬ 
schaften beim Heere bis zu Ihrer Heilung anordnet. Tatsächlich ist 
ja in der Heimat die Zahl der jugendlichen Geschlechtskranken und 
Geschlechtskranken Ehefrauen gestiegen; es ist das jedoch die Folge 
der hohen Löhne und der zunehmenden Liederlichkeit dieser Kreise. 
Nicht das Heer gefährdet dre Bevölkerung, sondern diese das Heer. 
Schon kn Frieden war der Prozentsatz der Geschlechtskranken dort 
höher als hier (5 Proz.; Arbeiter 8 Proz., Kaufleute 16 Proz., Stu¬ 
dierende 25 Proz.); und von den beim Militär beobachteten Ge- 


♦) Der folgende Aufsatz kann nur ein paar wichtige Fragen und 
Erfahrungstatsachen aus dem Kapitel Prophylaxe bringen und musste 
bei der Drucklegung auf J4 des ursprünglichen Umfangs reduziert 


werden. 


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schlechtskrankheiten werden V, von Rekruten und Reservisten ein¬ 
geschleppt. 

Der Aufspürung der Infektionsquelle im Einzelfalle der Erkran¬ 
kung entspricht im allgemeinen der Kampf gegen die Prostitu¬ 
tion, da 60 Proz. aller Geschlechtskrankheiten, 70 Proz. aller 
Syphilisfälle von ihr stammen (sollen); jede Dirne wird bald mit 
beiden Krankheiten angesteckt, mit Tripper in den ersten Monaten, 
mit Syphilis durchschnittlich innerhalb 154—2 Jahren. Der Kampf 
gegen die Prostitution wird nur dann aussichtsvoll sein, wenn man in 
der Dirne nicht mehr ein liederliches Frauenzimmer oder ein un¬ 
mittelbares Opfer sozialer Not sieht und dementsprechend nur gegen 
die Liederlichkeit oder wirtschaftliche Misslagq dieser Frauen vor¬ 
geht. Aus dem grossen Haufen liederlicher Weiber hebt sich ein 
Hauptstock von Frauen heraus, welcher wahllos und gegen Ent¬ 
gelt den Körper der männlichen Allgemeinheit zu geschlechtlichen 
Zwecken zur Verfügung stellt, und durch Arbeitsscheu. Widersetz¬ 
lichkeit gegen jede Ordnung, Gleichgültigkeit gegen -die eigene Krank¬ 
heit und ihre Uebertragung auf andere, absolute Schamlosigkeit, se¬ 
xuelle Parästhesie und Anästhesie (Vorbedingungen, nicht Folgen des 
Gewerbes!), grenzenlose Verlogenheit (Verkauf-, Versto&sungs-, Ver- 
führungs- und Elendmärchen!) und kriminelle Neigungen (50 Proz. [!], 
der Rest sind faule, indolente und energielose Personen) charakteri¬ 
siert Ist. Daher haben Lombrose und Tarnowsky in Er¬ 
weiterung von des ersteren Lehre vom geborenen Verbrecher, die 
Dirnen als Individuen mit angeborener Unfähigkeit zu sozialer Be¬ 
tätigung erklärt Diese Lehre ist haltlos, das Tatsächliche an ihr ist 
masslos übertrieben. Wenn man aber bei weiterer Fassung des Be¬ 
griffes Menschwerdung berücksichtigt, dass nach der Geburt fast 
noch zwei Jahrzehnte notwendig sind, um aus einem Menscheivpro- 
dukt einen sozialen Menschen zu machen*, und dass diese Ausbildung 
durch krankhafte körperliche und seelische Einflüsse aufgehoben 
werden kann, so muss man zugestehen, dass eine geborene Entartete 
und eine Verkümmerte schliesslich auf Eines hinauskommen. Hier 
sind dann die sozialen Verhältnisse zweifellos entscheidend. Denn 
soziale Not und Alkoholismus der Eltern bewirken Erziehimgselend. 
Moral- und Religionsbankerott. Aber nicht eigener Arbeits¬ 
mangel, sondern Arbeitsscheu führen dann dieses Geschöpf zur 
Prostitution. Diese Auffassung wird bestätigt durch die traurigen 
Erfahrungen der Jügendgerichtshöfe und Jugendfürsorge, durch die 
fast immer negativen Erfolge der Rettungsanstalten und durch die 
Berücksichtigung des Alters (etwa das 20. Jahr), in welchem die 
Hauptmasse der Dirnen prostituiert ist, ein Alter, in welchem jedes 
Mädchen eine wenn auch harte und schlechtbezahlte Arbeit erhält. 
(Von den nach dem 21. Jahr zugehenden Frauen bleiben nach 
Le Pileur nur 27 Proz. dabei, und jenseits des 35. Jahres, wo 
wirklich Not droht, wird die Prostitution fast nie mehr begonnen.) 
Die Dirnen sind also Aequivalente der männlichen Landstreicher und 
die kriminellen Elemente unter ihnen Gegenstücke der männlichen 
Gewohnheitsverbrecher, mithin Individuen, welche unter härteren 
Lebensbedingungen den Kampf ums Dasein in sozialer Weise aufzu¬ 
nehmen nicht Willens und fähig sind. Daher beträgt die weibliche 
Kriminalität nur Vs der männlichen, und muss das <iros der Dirnen 
unverbesserlich sein (St r öhmberg: 992 Prom.J). An d'er Pro- 
stituierung verhindert greifen sie nicht zu ehrlicher Arbeit, sondern 
zu Diebstahl und Bettel. (Grosser Anstieg der weiblichen Diebstähle 
im Kriege durch die brotlose Prostitution.) Daher unter gleichen 
Kulturverhältnissen überall und immer Dirnenzahl ziemlich gleich 
hoch (6 Proim der Einwohnerschaft)., 

Naturwissenschaftliche Ueberlegungen bestätigen also die von 
der Geschichte gelehrte Unmöglichkeit, die Prostitution 
gewaltsam zu unterdrücken. 

Ihr Gegenstück, der A b o l i t i o n i s m u s, verzichtet auf jede 
Reglementierung und Bestrafung der Prostitution. Abgesehen vom 
Orient »herrscht er seit 1888 in England und durch die 1905 zum 
letzten Male modifizierte lex Crispi «in Italien; doch hat man hier 
seit dem 22. VIII. 15, gezwungen durch den Krieg, damit gebrochen. 

Die Folgen des schrankenlosen Abolitionismus sind so betrüblich, 
dass der Neoab oli t i on ism u& (hauptsächlichster Vertreter in 
Deutschland B1 a s c h k o) wenigstens eine ärztliche Ueber- 
wachung verlangt. Nach ihm haben der Krankheit Verdächtige (das 

Original Tram 

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1274 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


sind aber 1. wegen Uebertragung Angezeigte, 2. Provozierende) Ge¬ 
sundheitsatteste oder ärztliche Behandlung nachzuweisen; im anderen 
Falle Zwangsbehandlung. Der lebhafte Beifall, den diese Gleich¬ 
stellung von Mann und Weib, sozialen und unsozialen Menschen in 
Abolitionistenkreisen gefunden hat, ist nicht begreiflich; denn da 
■die ärztlichen Ausweise nicht gebracht werden können, muss es 
doch zu Zwangsbehandlung, und da die Provokation zum Gewerbe 
gehört, zur Kontrolle durch die Polizeiorgane kommen; da der § 2 
des am 16. II. 18 vorgelegten Gesetzes zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten den Verkehr wissentlich Kranker mit Strafe be¬ 
droht, würden die Dirnen künftig statt ins Krankenhaus auf die Kran¬ 
kenabteilungen der Gefängnisse wandern. Nebenwirkungen: mangel¬ 
hafterer Charakter der Kontrolle, später Behandlungsbeginn, Ge- 
sundschreibung und Behandlungsattestierung durch „gewisse“ Aerzte. 

Der Reglementarismus will die geheime Prostitution 
unterdrücken und bestrafen, die der freiwillig (oder gezwungen) poli¬ 
zeilich „eingeschriebenen“ Dirnen bei Zwangsuntersuchung und 
Zwangsbehandlung gestatten. Er stützte sich bei uns bisher auf den 
§ 361 Ziff. 6 RStrGB. Aber diesen polizeilichen Vorschriften fehlt 
die Rechtsgrundlage. Daher will der § 5 des genannten Gesetzent¬ 
wurfes weibliche Personen, die gewerbsmässig Unzucht treiben, ge¬ 
sundheitlicher Beobachtung, zwangsweiser Untersuchung und even¬ 
tueller Zwangsbehandlung unterwerfen, und der § 361 soll künftig 
nicht mehr wie jetzt die einfache Prostituierung, sondern nur die 
Uebertretung der von der Behörde zu erlassenden Vorschriften be¬ 
strafen. Und da bisher nach dem § 180 RStrGB. (Kuppeleiparagraph) 
das Vermieten von Wohnungen an Prostituierte strafbar, die Dirne 
also rechtlich obdachlos war und alle polizeilichen Massnahmen mit¬ 
hin die Duldung einer Gesetzesübertretung bedeuteten, soll ein § 180 a 
das Gewähren von Wohnungen an über 20 Jahre alte Personen straf¬ 
frei erklären, wenn damit keine Ausbeutung und kein Anhalten zur 
Unzucht verbunden ist. Damit würde die Prostitution straffrei, bliebe 
aber noch unter genügender polizeilicher und ärztlicher Aufsicht, 
welche nun gesetzmässig wäre, wie die Duldung des Vermietens 
von Prostitutionsräumen an Dirnen nicht mehr gesetzwidrig, und 
mir das Frauenhaus, dessen Wirt die Frauen ausbeutet und zur Un¬ 
zucht anleitet, wäre Unmöglichkeit. 

Auch diese Gesetzesvorschläge werden von den Abolitioiristen 
bereits bekämpft Von allen gegen jegliches Kontrollsystem vor¬ 
gebrachten Einwänden kommt aber nur den ärztlich-hygienischen 
jetzt noch Bedeutung zu. Denn überall und immer machen die Kon- 
trolldimen nur einen verschwindenden Teil der geheimen aus (z. B. 
in München 1910 seinen entsprechend der Einwohnerzahl zu fordern¬ 
den 3600 Prostituierten und tatsächlich 2489 auf gegriffenen Geheim- 
dirnen nur 172!). Allerdings entfernt auch diese mangelhafte Kon¬ 
trolle Weiber, welche die geschilderte Gleichgültigkeit gegen Krank- 
heitsiibertragung besitzen, in der Zeit ihrer Höchstinfektiosititt aus 
dem Verkehr. 

Die Zwangseinschreibung sämtlicher Dirnen, in Zetten und 
an Orten, wo tatsächlich nur die Dirnen mit mehr Männern Verkehr 
trieben, leicht durchführbar, scheitert heute in den grossen Städten 
an der Unzahl von Prostituierten und an den Minderjährigen, welche 
•trotz ihrer hohen Infektiosität aus humanen Gründen nicht unter 
Kontrolle gestellt werden sollen. Ausserdem besteht hier ein un¬ 
geheurer Tross von Weibern, welche, ohne eigentliche Prostituierte 
zu sein, mit einer Vielheit von Männern verkehren und daher gesund¬ 
heitlich nicht weniger bedenklich sind. 

Der Krieg hat in der Heimat wie in okkupierten Gebieten zu den 
bekannten Zwangsmassregeln gegen die sich prostituierenden Weiber 
geführt; denn überall ist die Zahl der Geheimdirnen und geschlechts- 
kranken Frauen in die Höhe gegangen. Die Bestrafung des ge¬ 
schlechtlichen Verkehrs wissentlich kranker Personen (§ 2 des ge¬ 
nannten Gesetzvorschlages) ist wenigstens bezüglich der Weiber des 
Okkupationsgebietes durch Erlasse vom 22. VI. 15 (Oberbefehlshaber 
Ost) und 3. VII. 15 (k. u. k. Armee-Oberkommando) angeordnet wor¬ 
den. Alle diese Massnahmen sollen sich segensreich bewährt haben. 

Der Neoregiementarismus, wie er vor allem von 
N e i s s e r vertreten wurde, fordert für Städte mit Prostitution und 
Geschlechtskrankheiten an Stelle der Sittenpolizei Gesundheitsämter, 
welche aus Männern und Frauen verschiedener Berufskreise zu¬ 
sammenzusetzen wären und in einem Krankenhaus zu wirken hätten. 
Ihre Objekte wären 1. die polizeilich Aufgegriffenen des wilden Ge¬ 
schlechtsverkehrs oder der Unzucht verdächtigen Persönlichkeiten, 
2. denunzierte Männer und Frauen, 3: ärztlich als geschlechtskrank 
Gemeldete. Aerztliche Anzeigepflicht, Ausweiskarten des Gesund¬ 
heitsamtes, Kontrolle der Kartenträger durch die Polizei, ärztliche 
Untersuchung der Vor geführten, sanitäre Aufsicht, Krankenhaus¬ 
einweisungen und Ueberweisutig an die Polizei zu weiterer gericht¬ 
licher Verfolgung. Die Gesundheitsämter würden aber wohl 
die polizeiliche Tätigkeit nicht verringern, sondern nur er¬ 
schweren. Will man nicht auf den Reglementarismus überhaupt ver¬ 
zichten, so wird es also wohl bei der Form des A1 t-Reglementarismus 
sein Eie wenden haben müssen. Allerdings wäre dann der gesundheit¬ 
liche Teil des Ueberwachungsdienstes intensiver auszubilden und 
wären die Polizeistationen zu Zentralen des seelischen Rettungs¬ 
werkes zu machen und in Arbeitsgemeinschaft mit den Korporationen 
sozialer Rettungseinrichtungen zu bringen. 

Die Vorschläge des Neo-Abolitionismus und des Neo-Reglemen- 
tarismus unterscheiden sich vom Reglementarismus und den Vor¬ 
schlägen des Gesetzentwurfes durch die Ausdehnung der hygienischen 


fcr. 45. 


lieberwachung auf alle der Uebertragung einer Geschlechtskrank¬ 
heit verdächtigen Personen. Noch weiter geht die Forderung nach 
einer grundsätzlichen Kontrolle eines jeden Geschlechtskranken. 
Der naheliegende Gedanke, die Geschlechtskranken mit Hilfe des 
Reichsseuchengesetzes unter Meidiepflicht, Behandlungszwan« und 
Isolierung zu stellen, krankt an einer Reihe von Fehlern: Der ge¬ 
heime Charakter der Geschlechtskrankheiten, Ihrer Erwerbung und 
Weiterverbreitung, ihre grosse Ausdehnung und Dauer, würden eine 
Isolierung der Geschlechtskranken, also gerade das Wichtigste, nicht 
gestatten. 

Der geheime Charakter verträgt sich nicht mit einer allge¬ 
meinen Anzeigepflicbt. Man kommt nun einmal nicht darüber hin¬ 
weg, dass der Besitz einer Geschlechtskrankheit heute in weiten 
Kreisen als wenig rühmenswert, ja unter Umständen infamierend gilt. 
Ruchbar werden kann geradezu katastrophal wirken; Zukunft Exi¬ 
stenz und Ehen vernichten. Das Amtsgeheimnis würde zur Not in 
grossen Städten funktionieren, obwohl auch hier Missbrauch mit dem 
Meldematerial nicht auszuschliessen wäre; in kleineren Orten stünde 
es auf dem Papier. Der billige Hinweis auf das heute schon be¬ 
stehende Mitwissen von Kassen und Krankenhäusern vergisst u. a. 
den wesentlichen Unterschied in der Gefährdung des Kassenmaterials 
und dem der Privatpraxis und dass bisher Kassenpatienten sich durch 
Privatbehandlung der Gefahr entziehen konnten. Zu diesen schwer¬ 
wiegenden Gründen kommt entscheidend, dass dies wirkungslos und 
schädlich wäre, wirkungslos: denn das Wesentliche, die Weiterver¬ 
breitung, kann kein Meldezwang verhindern. (Eine Aenderuiig durch 
die vorgeschlagene Bestrafung des Verkehrs wissentlich Kranker 
ist sehr fraglich; denn in der Regel fehlt beim Gefährdeten die Kennt¬ 
nis der Krankheit des Partners; Abenteuerinnen und Prostituierte 
würden den Paragraphen wohl zu Betrügereien und Erpressungen be¬ 
nützen, aber die übrige Bevölkerung dürfte sich in der Regel scheuen, 
zum gesundheitlichen Schaden noch die Blossstellung als Zeuge und 
Kläger zu riskieren. — Schädlich; Denn die Folge wären Selbst¬ 
behandlung, Nichtbehandlung und Kurpfuscherhilfe. Erstere könnte 
man überhaupt nicht verbieten. Allerdings enthält der Gesetzesvor¬ 
schlag vom 16. II. 18, wenigstens bezüglich der Geschlechtskrank¬ 
heiten, ein Kurpfuschereiverbot. Aber auch wenn dieser Vorschlag 
Gesetz würde und das Gesetz nicht umgangen werden könnte, würde 
doch die Gefahr der Gesundschreibung und Geheimbehandlung durch 
gewisse Aerzte drohen. Wer kann fhnen nachweisen, dass sie den 
Tripper nicht für eine Urethritis, die Syphilis nicht für Schuppen¬ 
flechte gehalten haben? Die Behandlungsweisen decken sich z. T. 

Noch indiskutabler ist Bunge® Vorschlag, jeden Einwohner 
nach eingetretener Geschlechtsreife 2 mal wöchentlich auf Ge¬ 
schlechtskrankheit untersuchen und über den Besitz eines richtigen 
Visums vom Schutzmann kontrollieren zu lassen. 

Das Ziel unseres Strebens, die Avimlisierung de® Geschlechts¬ 
verkehrs, ist nicht auf dem Wege über eine allgemeine Melde¬ 
pflicht, sondern über den einer bedingtem oder auch eines ins 
Ermessen des Arztes gestelltes Melderechtes zu erreichen. Hierdurch 
könnten Patienten, welche durch Ausbleiben aus der Behandlung 
oder Geschlechtsverkehr gemeingefährlich erscheinen, Zwangsbe¬ 
handlung und Isolierung zugeführt werden. Solche Gesetze besitzen 
Dänemark seit dem 11. IX. 06, Australien und nächstens auch 
Schweden. 

Den neu eingeführten Beratungsstellen stehen die meisten 
Aerzte, auch die Spezialärzte, bisher ablehnend gegenüber. Man be¬ 
fürchtet Preisgabe de® ärztlichen Geheimnisses, Proletarisierung und 
Bureaukratisierung des Aerztestandes, kollegiale Konflikte, Einführung 
der allgemeinen Meldepflicht auf dem Umwege über die haltlose 
„Klassenpolitik“ der ausschliesslichen Meldung der Kassenpatienten, 
und alles, was oben vom Meldezwang angeführt ist, weist darauf hin. 
dass z. B. in Berlin bisher nur Selbstmeldungen erfolgen und dass 
das Sprechzimmer des Arztes die wahre Beratungsstelle sei (H a r t * 
mann), dass die Militärbehörden bisher Meldungen an die L. V. A. 
nicht ohne Zustimmung der Kranken erstatten und freiwillige Mel¬ 
dungen nur von 6 Proz. der Geschlechtskranken unter den d. u.- 
Entlassenen erlangt haben. 

Die amtsärztliche Untersuchung der Brautleute halte 
ich für undurchführbar. Sie hätte sich auf beide Geschlechter 
zu erstrecken und müsste die Geschlechtsorgane miteinbeziehen, eine 
ungeheuerliche Zumutung an ein anständiges Mädchen! Eine Aus¬ 
sparung der Frauen wäre unmöglich. Da gerade die „latenten“ Fälle 
in Frage kommen, müsste eine Untersuchung .nach Wassermann 
und bei jedem Fluor Untersuchung auf Gonokokken stattfinden. Das 
Heiratsverbot könnte nicht verhindern, dass der kranke Teil statt 
eines abgesackten ehelichen Infektionsherdes eine Mehrzahl ausser- 
ehelicher Seuchenherde schaffen würde, und dürfte nur einen Bruch¬ 
teil der Frauen schützen; nur 3 Proz. (!) der ehelichen Ansteckungen 
sind aus der vorehelichen Zeit eingeschleppt (B lasch ko). Gegen 
eine dem Ermessen der Brautleute überlassene Forderung des Ge¬ 
sundheitsnachweises bestünde dagegen kein Bedenken. 

Ein lebhaftes Streben nach Mitteln, die Geschlechtskrankheiten 
einzudämmen, ist allgemein. Erfolg ist allerdings bisher nur auf dem 
Gebiete der persönlichen Prophylaxe, der Prostitutionsregehing und 
der militärisdhen Massnahmen zu verzeichnen. Hüten wir uns, dass 
wir nicht durch voreiliges Reformieren und Organisieren dasselbe 
Unheil erzeugen, welches 2 Jahrzehnte sexueller Aufklärung ur: 
Pädagogik schon gebracht haben! • * 


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11 '. tu Manchen S W. 2, Paal Heyseatr 26. — Druck von E. Matilthaler’a Bocb- uo* KauMitc£rere£ A.Öv. Mfl nch en . 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 






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Medizinische Wochenschrift. 

ORQAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 46. 12 November 1918. 


Schrift lei tu ns: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lebmann, Paul tleysestrasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag behüt sieb das ausschliessliche Recht der Verv<eifUügung und Verbreiteng der in dieser Zeitschrift mm Abdruck gelangenden Orlginalbeltrlge vor. 


Originalien. 

Aus der Kgl. Chirurgischen Universitätsklinik zu Halle a. S. 
Prof. Dr. V. Schmieden. 

Die Röntgendiagnostik bei gasgefüllter Bauchhöhle; 
eine neue Methode. 

Von Dr. Otto Goetz«, Assistent der Klinik. 

(Mit einer Tafel.) 

Die natürlichen Dichtigkeitsunterschiede der Bauchhöhle liegen be¬ 
kanntlich für das diagnostische Röntgenverfahren sehr ungünstig, so .dass 
eine gewöhnliche Röntgenaufnahme des Bauches weiter nichts ergibt 
als eine gleichmässig dunkel gehaltene Fläche, die nach oben durch 
die beiden Zwerchfellkuppeln begrenzt ist und aus der sich nur schwach 
die Skeletteile, die Magenblase und eventuell einzelne Oasblasen im 
Kolon abheben. 

Man hat dementsprechend frühzeitig nach künstlichen Kon¬ 
trastmitteln gesucht: Was die Methode der Wismut- und Luftfüllung 
von Magen und Kolon trotz ihrer mit ungeheurem Scharfsinn ausgear¬ 
beiteten pathognomonischen Einzelheiten leistet, ist beschränkt geblieben 
auf diese Organe selbst und krankt an dem Fehler, dass nur die Schatten 
der Innenausgüsse dieser Organe Sichtbarwerden, aber niemals die 
erkrankten Organteile selbst. Jedem Fachmann sind die Mängel, sind 
die Grenzen der alten Methode geläufig. 

Bei Gelegenheit eingehender Bearbeitung der ausserordentlich 
schwierigen Diiferential-Diagnose zwischen Hernia und Relaxatio dia- 
phragmatica kam ich auf den Gedanken, die Bauchhöhle selbst mit 
Oas zu füllen, um so den Zwerchfellröntgenschatten von dem des 
geblähten Magens zu trennen. 

Die Verwirklichung dieses Planes und seine weitere Ausnutzung 
hat mir nun alsbald überraschend wertvolle Bilder von fast 
sämtlichen Gebilden der Bauchhöhle und seiner Um¬ 
gebung gebracht, und- ich stehe nicht an zu behaupten, dass kein 
anderes Verfahren eine so vielseitige, klare und ausbaufähige Röntgen¬ 
durchforschung des Bauches gestattet wie die Sauerstoffüllung 
der Bauchhöhle. 

Bei der Durchsicht der Literatur fand ich, dass der Gedanke selbst 
nicht neu ist. Es sind einige wenige derartige Zufallsergebnisse erzielt 
(bei perforiertem Magenulkus, bei Laparoskopie). Rautenberg 
(D. med. W. 1914 S. 1205) hat als einziger die Gasfüllung der Bauch¬ 
höhle zu diagnostischen Rönlgenzwecken vorgenommen, und zwar nur 
bei bestehendem Aszites. Er halte gute Resultate beim Nachweis 
der Form des Zwerchfells, der Milz und der oberen und seitlichen Teile 
der Leber, während die „Ergebnisse bei Gallenblasen unbefriedigend 
blieben“. Auf andere Organe erstrecken sich seine Unter¬ 
suchungen nicht In seiner letzten Arbeit spricht Rautenberg 
von einigen Kranken (6) ohne Aszites, welche er mit dieser Methode 
untersuchte; er hat jedoch weder in Schrift noch Bild jemals einen 
solchen Fall publiziert; nur auf dem XXXI. Kongress für Innere Medizin 
zu Wiesbaden 1914 demonstrierte er die Verunstaltungen der Leber 
durch Metastasen bei einem Magenkarzinom. Insufflationstechnik und 
Röntgenresullate scheinen jedoch sehr wenig befriedigend gewesen zu 
sein, so dass Rautenber.g selbst seine Methode ausdrücklich nur für 
solche Fälle empfiehlt, welche mit Aszites kombinieit sind. „Manche 
Bedenken scheinen mir gegen eine allgemeine Ei führung dieser Me¬ 
thode in den mit Aszites nicht komplizierten Krankheitsfällen zu sprechen.“ 
Diese Einschränkungen sind aber so gross und entscheidend, dass Er- 
ebnisse von Bedeutung a priori nicht zu erwarten waren. Kein Wunder, 
ass denn auch Rautenbergs Arbeit bis heute vereinzelt geblieben ist. 

Ich habe nun an Hand zahlreicher Fälle meine Me¬ 
thode so weit ausgearbeitet, dass man einerseits ohne 
Gefahr jede Bauchhöhle mit Sauerstoff füllen kann, 
andrerseits unschwer hervorragende Ergebnisse von 
fast sämtlichen Organen der Bauchhöhle erzielen kann 
Damit ist der Fuss auf fruchtbarstes Neuland gesetzt. Ich kann es mit 
dieser kurzen Mitteilung nur in grossen Ausblicken zeigen. 

Ich habe das Material der ersten 75 Fälle am 19. Juni 1918 im Aerzte- 
Verein zu Halle an 65 Originaldiapositiven demonstriert (d. W, Nr. 35). 

Es leuchtet von vornherein ein, dass der Kernpunkt der 
neuen Methode in der Art und Weise liegt, wie man ge¬ 
fahrlos das Peritoneum mit Sauerstoff füllt 

Man muss sich folgende Aufgabe stellen: In dem Augenblick, wo 
Nr 46 

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man mit der Hohlnadel, durch die der Sauerstoff einströmen soll, das 
Peritoneum parietale überschreitet und die Bauchhöhle betritt, müssen 
die anliegenden Organe unverletzt zurückgedrängt werden. Als ver¬ 
drängendes Medium kann ein fester, ein flüssiger oder ein 
gasförmiger Körper benutzt werden. Nach dem Prinzip des 
f esten Verdrängers habe ich eine automatische Nadel*) (Texi- 
figur 1) konstruiert, welche sich aus einer kurzen, scharfen, äusseren 



Textfigur 1. Automatische Nadel. =^äus?ere Kanäle; t> = Füll rungsgriff an der 
äusseren Kanüle; c = innere'Känüle; d Spannfeder. 


■und einer langen, stumpfen, inneren Kanüle zusammensetzt. Eine an 
der äusseren Kanüle angebrachte Spiralfeder hält die innere Kanüle in 
einer solchen Lage, dass ihr stumpfes Ende ca. 2 cm die scharfe Spitze 
der äusseren überragt. Beim Aufsetzen und Durchstossen der äusseren 
Kanüle durch die Bauchdecken wird die innere Kanüle in die äussere 
zurückgepresst, wodurch die Feder sich spannt, und im Augenblick 
der Ueberwindung des Peritoneum parietale entfesselt und vorgeschnellt. 
Die Kanüle hat sich gut bewährt. 

Man kann auch, wie ich das vielfach gemacht habe, mit halbscha fer 
Nadel (Lumbalpunktionsnadel) punktieren. Der Darm weicht vor der 
Nadel aus. Ich erwähne zur Erklärung dessen den von mir erbrachten 
Nachweis, dass im oberen Bauchraum bei schräg aufgerichtetem 
Körper exspiratorisch ein negativer Druck (Sog) von mehreren 
Zentimetern Wasser besteht, so dass unter günstigen Bedingungen 
durch eine eingetührte Kanüle in der Exspiration Luft in die Bauch¬ 
höhle aspiriert wird. 

Diese überaus wichtige Tatsache gibt der Punktionstechnik eine 
in mancher Hinsicht bedeutungsvolle Basis. 

Man kann auch de Hohlnadel unter blasendem Sauerstoff 
einstechen; man verwertet alsdann das Prinzip des gasförmigen 
Verdrängers. 

Am sichersten ist es meines Erachtens, eine halbscharfe, etwa 1 mm 
starke Nadel einzuführen, während sie einen manometrisch angezeigten 
starken Strahl physiologischer Kochsalzlösung ausspriizi 
ich halte diese Punktionsweise nach dem Prinzip des flüssigen 
Verdrängers lür das sicherste und zugleich schonendste Verfahren. 

Im übrigen möchte ich betonen, dass der Chirurg, der gelernt hat, 
mit der Lokalanästhesienadel umzugehen, mit grosser Sicherheit auch 
ohne weitere‘Hilfsmittel die Bauchhöhle erreicht, indem er alle Schichten 
genau mit der Nadelspitze tastet. 

Als Punktionssteiien sind wegen der guten Befestigung des 
Peritoneums an den Bauchdecken (Verhütung eines properitonealen 
Emphysems) besonders geeignet: erstens ein Punkt ca. 3-5 cm 
unterhalb des Nabels in der Mitte der Breite des linken Rektus und 
zweitens dicht unterhalb des Rippenbogens ebenfalls durch die Mitte 
des Rektus, ausserhalb der Leberdämpfung. Der Patient muss gut 
abgeführt, die Blase leer sein. Der kleine Eingriff wird unter 
Lokalanästhesie nach Stichinzision der Haut gemacht. Es gelingt auf 
diese Weise leicht, die einzelnen Schichten der Bauchdecken zuverlässig 
mit der Nadel zu fühlen. Je schlaffer die Bauchdecken, um so leichter 
die Punktion. 

Zum Einblasen des Sauerstoffes benutzeich eine mit Sauerstoff 
gefüllte Flasche, welche durch einen Irrigator mit Wasser getüllt und 
so leer gedrückt werden kann. Auf die genauere Apparatur und Mano- 
metrierung, die physiologischen Grundlagen der Gasresorption etc., sowie 
auf die im übrigen nur mittelbar interessierende Literatur kann ich an 
dieser Stelle nicht eingehen; ich verweise auf meine demnächst erscheinende 
ausführliche Arbeit. 

Neuerdings habe ich einen eigenen Apparat*) (Textfigur 2) 
konstruiert, der stets gebrauchsfertig unmittelbar an das Reduzierventil 
einer Sauerstoff bombe angeschlossen wird. 

Die Infektionsgefahr ist bei filtriertem Sauerstoff, übrigens 
auch, bei unfiltrierter Luft, gleich Null anzuschlagen. 

Man kann unschwer zwei bis drei Liter Sauerstoff und mehr 
in jede Bauchhöhle einblasen, ohne dass Beschwerden bei dem liegenden 
Patienten auftreten. Im Stehen zerren dagegen die herunterhängenden 

*) Zum Gebrauchsmusterschutz angemeldet. 

»v l 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 








1276 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 


schweren Organe am Zwerchfell und 
rufen in vielen Fällen unangenehm 
ziehenden, jedoch stets erträglichen 
Schulterschmerz hervor. 

_ R Die [Kontraindikationen be- 

'' r schränken sich auf schwere Stö¬ 
rungen der Atmungs- und Kreislauf¬ 
organe, Meteorismus, akut ent¬ 
zündliche Zustände des Peritoneums 
und zum Teil die Obliteration des 
Peritoneums durch Adhäsionen. 

Es ist erstaunlich, wie glatt die 
Prozedur vertragen wird; ich habe etwa 
ein Viertel meiner Mitte Juli 1918 über 
90 Fälle ambulant untersucht, indem ich 
zum Schluss das Gas wieder abliess. 
GenaueTemperatur- und Pulsmessungen 
etc. haben die völlige Ungefährlichkeit 
des künstlichen Pneumoperi¬ 
toneums ergeben. 

Im folgenden will ich einen Ueber- 
blick über die Leistungsfähigkeit der 
Methode geben. Da die Gasmenge sich 
stets an den höchsten Punkten der 
Bauchhöhle ansammelt, ist auf eine ent¬ 
sprechende Lagerungs- und Drehungs¬ 
möglichkeit des Patienten grosses Ge¬ 
wicht zu legen. Wir untersuchen den 
Patienten sehr sorgfältig mit dem Schirm 
im Stehen (Textfigur 3), bei Rücken , 
_ Seiten- und Bauchlage, bei Knieellen- 

a IzJfSE vo„ d“r S.li 0 e r“oTom'b e ; bogenlage und bei Beckenhochlagerung 
b = Wattefilier; c = Zweiweghahn; m verschiedenster Drehstellung. Der 
d = Manometer; e = Hahn zum Mano- Röntgenstrahlengang muss dement- 
e = &uer.W(b'M»” r je^«r”Ä t sprechend stets horizontal sein. Ich 

habe mir ein für allemal einen be¬ 
stimmten Plan für die Reihenfolge der verschiedenen Gegenden fest- 



U 



Texlfigur 3. 

Ucbersichtsbild beim 
stehenden Patienten, 
a = Herz; *b = rechtes 
Zwerchfell; c = linkes 
Zwerchfell, exspirato- 
risch; d = Vena cava 
inf.resp. Lebervene; e = 
Lig. coronarium hepatis 
dextr.; f = rechter Leber¬ 
lappen ; e = Gallenblase; 
h = rechte Niere, durch 
die Leber grösstenteils 
verdeckt; i = linke Niere; 
k = Milz; 1 r-= linker 
Leberlappen; m = Lig. 
colicum sin.; n = flexura 
lienalis coli; o — Curva- 
tura major ventricuh; 
p = Pancreas; r = Dünn- 
darmconvolut; s = Ne:z. 


, so dass ich in jedem Falle über die Beschaffenheit der wichtigsten 
'rgane der Bauchhöhle Aufschluss gewinne. 


I. Die Wandungen der Bauchhöhle und ihre extraperitoneale 
Nachbarschaft. 



Von der vorderen und seitlichen Bauch wand sieht man 
bei Rücken- oder Seitenlage normalerweise die Peritonealfläche gegen 
das helle Sauerstolfeld stets scharf abgegrenzt, die Bauchwand selbst 
als schmalen, scharfen, dunklen Streifen. Unten endigt dieser an der 

Symphyse und Becken¬ 
schaufel, oben geht er 
gleichmässig in die Tho¬ 
raxwand über, hier 
erkennt man in aller 
Schärfe den Zwerch¬ 
fellansatz. Zwischen 
Sch wert fortsatz und 

Nabel sehen wir das 
Lig. falciforme hepatis 
und sehr häufig einen 
breiten, lang herunter¬ 
hängenden, frei pendeln¬ 
den, medianen Fett¬ 
lappen (Textfigur 4), 
Textf gur 4. Medianer Fcttlappen; Rücken'age. dessen Existenz, wenig- 
a = Zwerchfe l; b = Nabel: c = Feitlappen, bei der cf Pn o j n dieser Form den 
Operation gemessen 5 cm lang; d - L : g. falciforme hepatis ; StetlSm dieser rorm den 
e = Leber; f = Dickdarm. meisten Aerzten kaum 




Textfigur 5. Bauchdeckentumor median unter¬ 
halb des Nabels; Rückenlage, 
a = Nabel; b = Symphysengegend; c = Ent¬ 
zündlicher Tumor; d = Netzadhäsionen ohne 
Darmbeteiligung; e = Darmschlingen ; f = Ober¬ 
schenkelkontur. 


bekannt sein dürfte. Zu beiden Seiten sind die Ligamenta colica, dextr. 
und sin., infolge ihrer straffen Anspannung durch die hängenden Darm¬ 
abschnitte als dunkle Striche sichtbar; sie teilen die Bauchhöhle in eine 
obere und eine untere Hälfte. 

Pathologischerweise sind alle 
Arten von Bauchwandtu¬ 
moren (Textfigur 5) als solche 
und in ihrer speziellen Lage zu 
den verschiedenen Schichten 
der Bauchwand, besonders 
Stielbildungen und Fortsätze, 

Verbindungen zu tieferen Or¬ 
ganen (Drüsen) etc. diagnosti¬ 
zierbar. Wir gewinnen wert¬ 
volle Aufschlüsse über den 
Aufbau von herniösen 
Ausstülpungen, z. B. Na¬ 
bel-, Leistenbrüchen und an¬ 
deren Bauchbrüchen (Text- 
figur 6), besonders auch über völlige oder teilweise Verwachsungen 
des Bruch inhaltes; weiter sind Adhäsionen von Netz oder 
Darm oder ande¬ 
ren Organen an den 
Bauchwänden gut 
demonstrabel. 

Das Gas, das 
sich im Stehen ge¬ 
waltig in den sub- 
phrenischenRäumen 
ansammelt, hebt die 
Zwerchfellkuppeln 
empor und gestattet, 
die Zwerchfel I- 
bögen in ihrem 
ganzen Verlauf dar¬ 
zustellen. Ausser¬ 
ordentlich interes¬ 
sant zu sehen sind 
die inspirato¬ 
rischen Form¬ 
veränderungen (Textfigur 7). Nicht als gleichmässige Kuppel steigt 
das Zwerchfell herab, sondern die Kontraktionen erfolgen bündelweise 


Textfigur 6. Bauchbruch unterhalb des Nabels ohne Ver¬ 
wachsungen im Bruchsack; Rückenlage, 
a = Nabelgegend; b = Bauchhaut und Bruchhülle mit kleinen 
grubigen Vertiefungen; c = vordere Bauchwand in der Um¬ 
gebung der Bruchpforte; d = Oberschenkelkontur und Spina 
illaca ant. sup. 




Texlfigur 7. Inspirationsform des Zwerchfells; Patient stehend, 
a = rechte Zwerchfellkuj * * ... - .. ... 


uppel; b = linke Zwerchfellkuppel; 
d = Milz; e = Herz. 


Leber, 


stärker, und zwar regelmässig mit einzelnen, ziemlich in gleichen Ab¬ 
ständen stehenden Muskefportionen, so dass die Zwerchfellkuppel be¬ 
sonders hinten und 
lateral radiäre 
Furchen zeigt wie / 

ein Fallschirm. Diese 

Abstände entspre- , fl 

chen wohl den An- \\d]■ 

sätzen des Zwerch- 'X 
felis an den Enden 
der 12. bis 10. Rippe. 

Im Schattenbild ent- 'Bf • •. 

stehen so sich 
überschneidende 

Bogenbildun-, xf ^ 

gen. Jedem Be- J 

obachter ist sofort ,* • vS * Jl 

klar, dass wir in den 
von Obduktionen her £ 
bekannten Leber- | 
furchen den Eindruck 
dieser in Totenstarre 
befindlichen Muskel¬ 
bündel haben. In 
vielen Fällen ist mir 
aufgefallen, dass das 
Zwerchfell bei Män¬ 
nern relativ viel stär¬ 
ker ist als bei Frauen, 


Textfigur 8 Patientin m t Aerophagie und wochenlang bestehen¬ 
den klonischen Zwerchfellkrämpfen; deshalb temporäre Novo¬ 
cainlähmung des linken N. phrenicus; 200 ccm Sauerstoff Intra- 
peritoneal zur Veranschaulichung der einer Relaxatio diaphrag- 
matica ähnlichen Verhältnisse; Patient stehend, 
a = Herz; b = rechtes Zwerchfell, darunter kleine Gasb'ase; 
c = Leber; d = linkes Zwerchfell; e = Magenwand, deutlich 
aus dem sonst gemeinsamen Schatten von Zwerchfell und 
Magen isoliert; f = Milz. 


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Origiinal fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


12. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1277 




eine Tatsache, die mir neu und interessant, aber im Hinblick auf den 
vorwiegend abdominalen Atemtyp des Mannes nicht unbegreiflich 
erscheint. 

Es ist nicht zu verwundern, dass bei einem so frei hervortretenden 
Organ, wie es das Zwerchfell ist, auch die Erkrankungen besonders 
leicht erkennbar sind. Verdickungen, partielle oder totale Verwach¬ 
sungen, Tumoren (Tafelfigur 1) etc. fallen sofort im Röntgenlicht auf. 

Wie in der Einleitung bereits angedeutet, ist die Oasfüllung der 
Bauchhöhle von grosser Bedeutung für alle Arten von Zwerchfell¬ 
brüchen. Einzig und allein mit ihrer Hilfe kann eine 
sichere Differentialdiagnose gegen Relaxatio diaphrag- 
matica (Textfigur 8) erzielt werden. Bei den Zwerchfellbrüchen 

(Textfigur 9) ver¬ 
mögen wir nunmehr 
wahre von fal¬ 
schen Hernien zu 
unterscheiden und 
die für die Therapie 
so wichtigen Ver¬ 
wachsungen und den 
Ort der Bruchpforte 
zu erkennen. Wer 
die Schwierigkeiten 
einer spezifizierten 
Zwerchfellhernien¬ 
diagnose kennenge¬ 
lernt hat, wird den 
grossen Fortschritt 
gerade auf diesem 
Gebiet ohne Zögern 
anerkennen. 

Auch ein grosser 
Teil der hinteren 
Bauch Wandun¬ 
gen tritt deutlichst 
bei Bauch oder Knie¬ 
ellenbogenlage aus 
den tiefen Schatten 
Textfigur 9. Hemia diaphragmatica sinistra spuria mit durch- hervor Die Bauch- 
gängiger Bruchpforte und Vorfall von Magen und Kolon. (Ex- f aVlVirtfimir im 

perimentell an der Leiche hergestellt.) a O r t a ( I exttlgur 1U) 

a = Dextropositio cordis; b = rechtes Zwerchfell; c = Ijnkes, pulsiert lebhaft vor 
gegen die Bauchhöhle vorgebuchtes Zwerchfell; d = Magen- unseren Augen. Wir 
wand intrathorakal; e = MQssIgkeitsspie^el im Magen; f = 

Kontur der retrahierten Lunge; da die Bruchpforte durch- erKenr| Cn uen KOn- 
gängig, konnte Sauerstoff aus der Bauch- in die Brusthöhle tur des Ileopsoas; 
übertreten, zugleich ein Beweis für das Fehlen eines Bruch- die Därme lösen 
sackes; g = wismutgefül te prolabierte Flexura lienalis coli; • l „„„ j __ u . 
h = Pylorusgegend ; I = Leber, k = Colon transversum ; 1 = s,c ' 1 Y on , Q^r rlinter- 
Colon descendens; m = Milzkontur. wand des Bauches 

los und hängen an 

den entfalteten und durchsichtigen Mesenterien herab. Stark ver- 
grösserte und verkalkte M e s e n t e ri a 1 drü s e n (Textfigur 10) sind oft 
einwandfrei als ausserhalb des Darmes gelegene Knoten sichtbar. 

Infolgedessen werden auch die extraperitoneal gelegenen 
Gebilde in ungeahnter Klarheit den Röntgenstrahlen zugänglich: 
dorsal die Lendenwirbelsäule, mehr kranialwärts die unteren 

Rippen in ganzer 
Länge, kaudalwärts 
die ganze Becken¬ 
schaufel von ver¬ 
schiedenen Rich¬ 
tungen her, das 
Hüftgelenk mit 
dem Blick in die 
Pfanne hinein, das 
Kreuzbein und 
Steissbein. Auch 
seitliche oder fast 
seitliche Aufnah¬ 
men der Wirbel¬ 
säule gelingen über¬ 
raschend gut. Na¬ 
türlich wenden wir 

TextfTgur 10. Tuberkulöse Mesenterialdrüse; Knieellenbogenlage. ^Hf^J^chtung 
a = Lendenwirbelsäule; b = Nierenschatten ; c = Kolon; d = “ er Gebilde des 
Mesenterium coed; e = Mesenterialdrüse, f = Bauchaorta; Beckens eine starke 
g = Beckenschaufel; h = Psoaskontur; i = Bauchdecken nahe Beckenhochlao-p- 
Symphyse; k = Zwerchfell. rang an & 


I 

I 


Dementsprechend sehen wir auch Erkrankungen der genannten 
Organe mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit, z. B. Senkungs¬ 
abszesse, spondylitischeHerde, Wirbelfrakturen, Wirbel¬ 
säulentumoren und -Osteomyelitis, Steckschüsse und so weiter. 

Auch in ventrodorsaler Richtung lassen sich bei Rückenlage da¬ 
durch, dass die vordere Bauchwand weiter von der Wirbelsäule ent¬ 
fernt ist und die Därme rechts und links der Wirbelsäule herabsinken, 
Aufnahmen der Lenden-Wirbelkörper von hervorragender Klar¬ 
heit hersteilen. 

Eine grosse Bedeutung kommt auch der Tatsache zu, dass die 
unteren Pleuraräume, und zwar ein recht beträchtlicher Teil, der 
sonst hinter der Zwerchfellkuppel verschwindet, in den Bereich‘unserer 
Diagnostik tritt* Die Beschaffenheit des Sinus phrenicocostalis (Ver¬ 


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wachsungen) kann an allen Stellen leicht erforscht werden; schon kleine 
Flüssigkeitsansammlungen werden sofort aufgedeckt. Fast jede Pleu¬ 
ritis mit nicht zu geringem, freiem, serösem Erguss macht sich in 
auffallender Weise bei Gasfüllung der Bauchhöhle durch eine para¬ 
doxe respiratorische Zwerchfellbewegung bemerkbar. Das 
exspiratorisch erschlaffte Zwerchfell wird durch das Gewicht des Er¬ 
gusses gegen die Bauchhöhle zu vorgewölbt. Der inspiratorisch stei¬ 
gende abdominale Druck, unterstützt durch die aktive Anspannung des 
Zwerchfells selbst, wirft es wieder in die straffe Kuppelform zuiück. 

Auch andere, sonst hinter den Zwerchfellwölbungen verborgene 
Organe lassen sich bei Gasfüllung der Bauchhöhle isolieren, z. B. die 
untere Begrenzung des Herzens und die Vena cava in¬ 
ferior. 


II. 


Peritoneum und grosse parenchymatöse Organe der 
Bauchhöhle. 



Es ist klar, dass die an der Peripherie der Bauchhöhle gelegenen 
Gegenden und Gebilde ganz besonders für die Röntgendiagnostik bei 
gasgefüllter Bauchhöhle geeignet sind. Doch auch der Inhalt der 
Bauchhöhle verhält sich bei geeigneter Lagerung und eventuell 
unter Zuhilfenahme weiterer Mittel durchaus nicht als spröder Stoff. 

Selbstverständlich erleidet die Form und Lage aller, 
besonders der weniger konsistenten, Organe ganz erhebliche 
Veränderungen; diese sehr wichtige Tatsache darf bei der Beur¬ 
teilung der Organe nie aus den Augen verloren werden. 

Bevor ich dazu übergehe, die anfangs nicht leicht zu entwirrenden, 
vielfach sich durchkreuzenden Linien und Flächen in ihrer Bedeutung 
als normale oder pathologische 
Organbegrenzungen zu beschrei¬ 
ben, möchte ich besonders hervor¬ 
heben, dass relativ sehr kleine 
Aszites mengen (Textfigur 11), 
die ganz und gar nicht anders 
nachweisbar sind, mit unserer 
neuen Methode unschwer er¬ 
kannt werden können. Ist es 
einerseits erstaunlich, wie hoch 
selbst kleine Flüssigkeitsmengen, 
die man gar nicht vermutete, bei 
Gasfüllung der Bauchhöhle noch 
mit ihrem schmalen Spiegel zwi¬ 
schen Bauchwand und Leber 
hinaufsteigen, so ist es andrer¬ 
seits erklärlich, warum trotz an¬ 
scheinend restlosen Ablassens 
eines Aszites bei nachfolgender 
Sauerstoffüllung immer noch auf¬ 
fallend grosse Aszitesmengen das 
Röntgenbild beträchtlich stören. 

Es ist möglich, auf Grund des Textfigur 11. Nachweis geringer Aszites- 
Aszitesspiegelstandes in seinem mengen ; Patient stehend. 

Verhältnis zur Stärke des Prien- iSJSZi* i 
ten, zur Menge der Gasfullung 
etc. ziemlich genaue Schätzungen 
der Aszitesmenge vorzunehmen. 

Unter den Peritonealerkrankungen verdient als gut zugänglich die 
Karzinose und Tuberkulose (Tafelfigur 2) mit ihren mannigfal¬ 
tigen Bildern besonders der Erwähnung. Ihr Aussehen ist so eindeutig, 
dass nicht nur ihr Vorhandensein, sondern auch ihr Fehlen stets nach¬ 
gewiesen werden kann. Gelegentlich gelang es mir, auf der Fahndung 
nach einzelnen Krebsmetastasen solche an den verschiedensten 
Stellen des parietalen Peritoneums zu finden. 

Die stark periphere Lage der Leber bringt es mit sich, dass unser 
neues Röntgenverfahren bei ihr eine recht glückliche Anwendung findet. 
Die sonst auf den Därmen schwimmende und durch den Tonus der 
Bauchmuskulatur und den Sog in der Zwerchfellkuppel emporgetragene 
Leber senkt sich bei Gasfüllung des Peritoneums schwer nach unten, 
so dass sie schliesslich bei stärkster Füllung ausschliesslich an ihren 
Bändern hängt. Die normale Leber nimmt dabei entsprechend ihrer 
äusseM plastischen Konsistenz häufig, und zwar besonders gern bei 
Patienten mit schlaffen Bauchdecken, eine charakteristische Formver¬ 
änderung an. Sowohl im Stehen als auch in linker Seitenlage und 
Rückenlage ist der der seitlichen und vorderen grossen Fläche ent¬ 
sprechende Schattenkontur mehr oder weniger eingesunken, dergestalt, 
dass sich die Substanz der Leber nahe dem Ligamentum coronarium 
und nach dem unteren Rande zu in sanft geschweiftem Bogen wieder 
erhebt. Je nach Breite und Höhe des Ligamentum coronarium dextr. 
in transversaler und longitudinaler Richtung verläuft der äussere Leber¬ 
schattenrand bei sagittalem Strahlengang nach zwei Typen: entweder 
bleibt die Kuppe der Leber bis fast an das Ende dieses Bandes fest 
an das rechte Zwerchfell gepresst, um dann mit einem scharfen, oft 
sogar spitzen Winkel nach kaudalwärts abzuspringen (seltener), oder 
sie löst sich bereits, von der Wirbelsäule resp. der Vena cava begin¬ 
nend, vom Zwerchfell ab und zeichnet einen mehr oder weniger gleich- 
mässigen Bogen bis zur lateralen Fläche (viel häufiger). Auch der 
linke Leberlappen markiert sich stets in befriedigender Weise. 
Das gleiche gilt, wenn auch nicht mit der Zuverlässigkeit wie bei den 
oberen Abschnitten, auch für den unteren freien Rand der Leber. 
Oft sehen wir bei dem stehenden Patienten den vorderen tieferen und 


auf krebsigen retroperitonealen Drüsenpaketen 
aufliegend ; f = Aszitesspiegel. 


1 * 


Original fram 


UNfVERSITY OF CALIFORNIA 



1278 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 


den hinteren höheren Rand zugleich auf dem Schirm resp. der Platte. 
Die Randpartien kommen auch bei Rücken- und Seitenlage gewöhnlich 
sehr schön heraus. 

Von krankhaften Zuständen der Leber sind zunächst die diffusen 
und zirkumskripten Organvergrösserungen und -Verkleinerungen zu 
nennen: so ist z. B. der zungenförmige Schnürlappen der 
Leber leicht diagnostizierbar (Tafelfigur 3). 

Neben der ohne weiteres festzustellenden Grösse der Leber ist ihre 
pathologische Konsistenz aus dem Mangel der oben beschriebenen 
normalen plastischen Formveränderung zu erschliessen, doch muss man 
mit der Diagnose Stauungsleber bei Leuten mit straffen Bauchdecken, 
wie ich später ausführlicher darlegen will, recht vorsichtig sein. Besonders 

im Liegen und beim 
Drehen vermissen wir 
auf den ersten Blick 
das plastische Sich- 
umformen des fest¬ 
weichen Organs. Bei 
allen indurativen Pro¬ 
zessen, z. B. Leber¬ 
zirrhose, Karzi¬ 
nomleber (Text¬ 
figur 12) etc., aber 
auch bei stärkerer 
Stauung bleibt die 
Leber steif und starr 
mit konvexer Ober¬ 
fläche in allen Rich¬ 
tungen stehen. Wun¬ 
dervolle Aufnahmen erzielte ich von Krebsknoten und anderen Leber¬ 
tumoren (Echinokokkus) (Textfigur 13). Gelegentlich zeigt der linke 
Leberlappen allein eine steife Konvexität von ähnlichem Charakter, wenn 
er nämlich einem Magentumor aufliegt. Totale flächige Adhäsionen der 



Textfigur 12. Leber mit Karzinommetastasen; Rückenlage, 
a = Indurierte höckrige Leber; b = Zwerchfell; c = Nabel; 
d = Lig. falcifortne hep.; e = medianer Fettlappen; f = 
Kolon; g = Herz. 



Textfigur 13. Echinokokkusleber; Rückenlage; iechte Seite um 45" erhöht 
a = rechtes Zwerchfell; b = Leber, steif und in den unteren Abschnitten mächtig 
verdickt durch knollige Geschwülste verschiedener Transparenz; e = Darmschlingen; 
d = Beckenschaufel; e = pathol. Adhäsion an der »echten seitlichen Bauchwand. 

Leber und zircumskripte an ihren Rändern sind leicht erkennbar. Bei 
der Schwere der Leber muss man natürlich Abstand nehmen von Ver¬ 
suchen, frische subphrenische Abszesse mit der Gasfüllung der Bauch¬ 
höhle nachzu weisen: es würde leicht zu einer Sprengung der Abkapselung 
und somit zu einem Erguss des Eiters in die freie Bauchhöhle kommen. 

'Ich füge hinzu, dass eine gleichzeitige Kolonblähung mit Luft die 
unteren Leberabschnitte sowohl im Stehen als auch,im Liegen auf dem 
Rücken und der linken Seite unter Umständen günstiger sich einstellen 
lässt, ebenso oft jedoch auch das vorher klare Bild verwischt. 

Wieweit die neue Methode Bedeutung für die Diagnostik der 
Gallenblasenerkrankungen gewinnen wird, lässt sich noch nicht 
völlig überblicken. Neben der Durchleuchtung im Liegen ist die Unter¬ 
suchung im Stehen bei verschieden exzentrischem Strahlengang und 
unter Drehen des Patienten zu empfehlen. Es ist mir mit zunehmender 
Erfahrung immer regelmässiger gelungen, zu einem brauchbaren Resultat 
zu kommen. Normale Gallenblasen (Tafelfigur4) sind relativ leicht 
als solche nachweisbar. Beim Stoss pendeln sie frei hin und her. 
Pericholezystitische Verwachsungen (Tafelfigur 5) machen 
sich als Stränge, durch Verschleierung der Gallenblase oder Gallen¬ 
blasengegend bei sonst klarem, unterem Leberrand, durch Schrägstellung 
und mangelhaftes Pendeln der Gallenblase etc. bemerkbar. Starke Ptose 
der Leber kann erschwerend für den Nachweis wirken, weil die Gallen¬ 
blase dann in die unten ausgebreitete Masse der Därme taucht. 

Einzelne Steine konnte ich noch nicht zur Darstellung bringen, 
dagegen gibt die steingefüllte Gallenblase einen scharfen, zweifellos 
dichteren Schatten als die Leber. Auch der Hydrops der Gallenblase 
sowie sonstige Vergrösserungen dieses Organs sind als solche fast stets 
erkennbar (Tafelfigur 6). Wie weit wir im Nachweis der Steine kommen 
werden, muss erst die Zukunft lehren. Nur im kleineren Teil der Fälle 
fördert uns die gleichzeitige Kolonblähung. Ich verspreche mir viel von 
der kombinierten Duodenalgasfüllung mit Hilfe der Einhornschen 
Sonde. 

Bei richtigem Gebrauch der sonstigen klinischen Symptomatologie 
st der Röntgenbefund nunmehr eigentlich stets imstande, wichtige, wenn 
i 

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Textfigur 14. Normale Milz und Niere; rechte Seitenlage 
a = Herz~ b = linkes Zwerchfell; c = Milz; d = linker 
Leberlappen; e = Unke Niere; f = Lig. col. sin.; g = Becken¬ 
schaufel. 


nicht entscheidende ergänzende Aufschlüsse in der Diagnostik der 
Gallenleiden zu liefern. 

Die Milz ist das am leichtesten und vollständigsten darstellbare 
Organ der Bauchhöhle. Gewöhnlich ist beim stehenden wie beim liegenden 
Patienten auch der 
innereRand in ganzer 
Ausdehnung sicht¬ 
bar (Textfigur 14). 

Trotzdem die Milz 
ebenso wie die Le¬ 
ber im gashalligen 
Bauchraum nach 
unten zu fallen neigt, 
sind doch abnorme 
Lagen und Lage¬ 
fixationen rasch er¬ 
kennbar. Man sieht 
häufig die tiefen 
Inzisuren und Ab¬ 
knickungen des Or¬ 
gans, die zu oft auf¬ 
fallenden Schattenüberlagerungen und Konturüberschneidungen führen. 
Vergrösserungen der Milz (Textfigur 15), Nebenmilzen (Tafelfigur 5), 
Tumoren, abnorme Verwachsungen, Verdrängungssymptome bleiben in 
keinem Falle verborgen. 

Ein schönes, anfangs 
durchaus nicht erhofftes Re- } 
sultat liefert die Durchleuch¬ 
tung der Nieren bei stärkerer 
Gasfüllung des Peritoneums. 

Fast die ganze Niere ist so¬ 
wohl rechts wie links bei 
Seitenlage mitabsoluterSchärfe 
zu sehen (Tafelfigur 7, Text¬ 
figur 14); nur der Hilus ver¬ 
schwindet oft im Schatten der 
Wirbelsäule. Ihre Lage ist aus 
den Skizzen ersichtlich. Dabei 
stellt sich heraus, wie ausser¬ 
ordentlich locker im allge¬ 
meinen der Aufhängeapparat 
der Niere ist. Nur selten findet 
man sie mit ihrer oberen 
Hälfte oberhalb der 12. Rippe, 
gleichgültig ob im Liegen 
oder Stehen. 

Sehr interessant ist das 
Verhalten der Wander¬ 
niere; in ihrer Beweglich¬ 
keit zeigt sie zwei verschiedene 
Typen: das Wandern in der 
Richtung nach unten und das 
Wandern nach der anderen 
Körperseite; beides kommt 
gesondert und kombiniert vor. 

Die Lockerung der seitlichen 
Befestigungen beobachtete ich 
in mehreren, auch leichten 
Fällen an folgendem, sehr 
typischem Zeichen: Dreht man den Patienten langsam aus der 
Rückenlage in die Seitenlage, so hebt sich der Nierenschatten mehr 
und mehr aus der Tiefe der Därme und Leber resp. Milzmasse 
zwischen unterem Leber- resp. Milzrand und Beckenschaufel heraus; so¬ 
bald aber die Seitenlage zirka 60° erreicht hat, kippt die Niere teilweise 
oder vollständig, 
manchmal nur mit 
einem Pol (Text¬ 
figur 16), über die 
Wirbelsäule hin¬ 
weg und kann so¬ 
fort in der unteren 
Schattenmasse to¬ 
tal verschwinden; 
sie tritt dann auch 
bei völliger Seiten¬ 
lagerung nicht 
mehr ins Sauer¬ 
stoffeld zurück. 

Dementsprechend 
kommt sie wieder, 
auf der Wirbel¬ 
säule reitend, zum 
Vorschein, wenn 
man aus der Seiten¬ 
lage langsam in die Rückenlage zurückdreht: wiederum mit einem Ruck 
springt die Niere bei zirka 45° in ihr Lager zurück. Mit grosser Sicher¬ 
heit lassen sich alle Veränderungen der Grösse (Textfigur 18), besonders 
Tumoren (Textfigur 17), Hydro-, Pyonephrosen, auch Tuberkulose etc, 
diagnostizieren. Sie waren bisher stets ohne Schwierigkeiten von Leber-, 
Gallenblasen-, Milz- oder Darmtumoren zu trennen. 


Textfigur 15. Milztumor; Patient stehend, 
a = Herz; b = linkes Zwerchfell; c = M'U; 
d = Verwachsungen von der Milz zum Zwerch¬ 
fell und zur seitlichen Bauchwand; e = Kontur 
der Beckenschaufel; f = linker Leberlappen 


Textfigur 16. Mässige Wanderniere und Nierenstein; linke Seiten¬ 
lage. a = Leber ; b = rechte Niere, obeier Pol über die Wirbel¬ 
säule gekippt; c = Nierenstein; d = Beckenschaufel 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


12. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1279 


Sehr interessantervveise gelang der Nachweis der im Schattenbild 
unveränderten linken Niere und Milz inmitten von einem mächtigen 
linksseitigen, zuvor als sichere Nierengeschwulst angesprochenen Tumor. 



Textfigur 17. Nierentumor; rechte Seitenlage, 
a = Herz; b = linke Niere; c = linkes Zwerchfell; d = Milz; e = Beckenschaufel; 
f = Kolon; g — Lungenmetastase. 



Die positive Dia¬ 
gnose konnte 
auch mit ande¬ 
ren Mitteln nicht 
gestellt werden. 
Es fand sich 
röntgenologisch 
nur eine mäch¬ 
tige unscharf be¬ 
grenzte Verschat¬ 
tung, die den 
sichtbarenNieren- 
schatten über¬ 
lagerte und die 
Milz verdrängte. 
Die Operation 
deckte eine chro¬ 
nisch entzünd¬ 
liche gewaltige 
Schwiele im Me¬ 
socolon descen- 
dens und Netz 
auf (Epiploitis 

plastica). Ueberhaupt ist die Diagnose der normalen Beschaffenheit 
eines Organes oft von grosser Bedeutung, wenn man mit einem Blick 
imstande ist, neben einem gefühlten Tumor etc. ein verdächtiges Organ 
in normaler Form zu erkennen, wie das gerade für Nieren, Leber, 
Gallenblase und Milz häufig genug vorkommt. 

Wenn auch die Technik der Nierenröntgendiagnostik noch manches 
zu wünschen übriglässt, so zeigt doch das beigegebene Bild eines 
mitten in der rechten Niere gelegenen Steines (Textfigur 16) die schon 
jetzt erreichten befriedigenden Resultate. Natürlich wird man geeigneten- 
falls nicht auf die Kombination mit Ureterkatheter und Kollargol- oder 
Sauerstoffüllung des Nierenbeckens verzichten. Ich habe gerade in 
letzter Zeit unter anderen schönen Fällen einen winzigen, durch das 
bisherige Röntgenverfahren nicht aufzudeckenden Stein mit Sicherheit 
im untersten Horn des linken Nierenbeckens bei gleichzeitiger Nieren¬ 
beckensauerstoffüllung gefunden und mit kleinem Sektionsschnitt vom 
unteren Pol her entfernt. 


Textfigur 18. Traumatische Schrumpfniere links; die rechte Niere 
war ca. 4mal so gross sichtbar; rechte Seitenlage, 
a = Milz; b = linke Niere mit Narbenzügen lateralwärts; c = 
Nierenbecken mit Sauerstoff gefüllt; d = Ureterkatheter, im Nieren¬ 
becken stark abgeknickt; e = Beckenschaufel; f = Narbenzug; 
g = Promontorium. 


III. Der Verdauungsschlauch. 

Die diagnostischen Ergebnisse der Durchleuchtung des Darmrohrs 
unter Zuhilfenahme der Gasfüllung des Peritoneums sind nicht beson¬ 
ders vielversprechend. Das liegt daran, dass der Darm in ausser¬ 
ordentlicher Weise sich stets an den tiefsten Stellen der Bauchhöhle 
zusammendrängt und der Isolierung einzelner Abschnitte grosse Schwie¬ 
rigkeiten bereitet. Immerhin sind einzelne Resultate erzielt worden. 

So bringt es die mächtige Entfaltung des linken subphrenischen 
Raumes beim stehenden Patienten mit sich, dass der untere Oesopha- 
gusteil und die Kardia aus ihrer sonst so versteckten Lage frei wer¬ 
den. Auf physiologische Bewegungsvorgänge kann sich das neue Ver¬ 
fahren nicht gut ausbreiten, weil die Zerrungen und Lageveränderungen 
des stark herabhängenden Magens zuviel des Unnatürlichen im Ge¬ 
folge haben. 

Von den pathologischen Veränderungen in der Nähe der Kardia 
kommen alle Arten von Stenosen (Textfigur 19) und Tumoren in Frage. 
Kardiakarzinome können unter günstigen Bedingungen als solche ohne 
weiteres Kontrastmittel photographiert werden. 

Der Magen nimmt, wie gesagt, beim stehenden Patienten die 
Form eines schlaff herunterhängenden Beutels an, welcher unten breiter 
auseinanderfliesst und sich nach der Kardia geradlinig mehr und mehr 
verschmälert. Die normale kleine Gasmenge, die sogenannte Magen¬ 
blase, hält sich mangels der Erhebung des Fundus über die Höhe der 



Kardia viel schwerer im Magen; gewöhnlich geht sie rasch durch die 
Speiseröhre ab, so dass man den Magen selbst überhaupt nicht, von 
seiner lateralen 
Grenze nur eine 
gerade, von der 
Kardia steil nach 
links unten lau¬ 
fende, zum Teil 
das Netz enthal¬ 
tende Linie sieht. 

Bei kombi¬ 
nierter Gasfül¬ 
lung des Magens 
mit dem Magen¬ 
schlauch oder mit 
Brausepulvertritt 
dagegen die äus¬ 
sere und vordere 
Magenwand, oft 
auch die kleine 
Kurvatur scharf 
hervor, indem sie 
als bogenförmig 
geschweifteLinie 
mit oft lebhafter 
Eigenbewegung 
sich in das Sauer 
stoffeld erhebt. 

Man untersucht am stehenden und liegenden Patienten unter viel¬ 
fachem Drehen und kann sich immerhin eine ausgezeichnet plastische 
Vorstellung vom grössten Teile des Magens machen. Tumoren, auch 
solche des Pylorus und der kleinen Kurvatur, überragen dabei häufig 
so erheblich den dunklen Spiegel der Darmmasse, dass sie direkt als 
solche sichtbar werden. Mehrere Magenkarzinome habe ich total 
auf der Platte festhalten können (Tafelfigur 8). 

Auch das Netz kann zu grossen Teilen gesehen werden, wenn 
man es (durch Kolonaufblähung) in das helle Gasfeld hineinzurücken 
vermag. 

Der Dünndarm ist wohl am wenigsten für die neue Methode 
geeignet. Nach Gasfüllung durch die Einhornsche Sonde, in ge¬ 
ringem Grade auch ohne sie, liegen zwar eine ganze Anzahl Dünn¬ 
darmschlingen als äusserst zierliche Kreisbögen, oft mit deutlichen 
Kerkringschen Falten, auf dem Schattengrunde auf, doch kann von einer 
systematischen Absuchung und Ortsbestimmung keine Rede sein. 

Nicht viel mehr prinzipiell Brauchbares ist vom Dickdarm zu 
berichten. Immerhin sind mir unter Zufügung der Kolonaufblähung 
eine ganze Reihe hervorragender Darstellungen von allen Gegenden 
des normalen Kolons gelungen. Appendizitische Infiltrate, Ileozökal- 
tuberkulose, Tumoren etc. sind dagegen leichter erkennbar. Ich habe 
entzündliche und neoplastische Tumoren, z. B. Verwachsungs¬ 
konvolute, Ileozökaltuberkulose, Karzinome an den verschiedensten 
Stellen des Kolons in vorzüglichen charakteristischen Bildern gewonnen. 
Dennoch ist auch hier der diagnostische Wert der Methode noch be¬ 
schränkt, um so mehr als der bei diesen Erkrankungen häufige Meteoris¬ 
mus eine Punktion verbietet. 


Textfigur 19. CardiO'pasmus; Patent stehend im ersten schrägen 
Durchmesser, a = Her*; b = Kontur der Cardia; c = Oeso¬ 
phagus mit Wismutbrei; d = linker Leberlappen; e = Lig. coron. 
hep sin.; f = Wismutbrei im Magen; g = Milzkontur; h = rechter 
Leberlappen; k = rechtes Zwerchfell; m = linkes Zwerchfell 





IV. Beckenorgane. 

Ich habe schliesslich noch über Versuche zu berichten, die darauf 
ausgehen, das Becken und seinen Inhalt röntgenologisch nach¬ 
weisbar zu machen. Ueber die knöchernen Anteile hatte ich bereits 
gesprochen. 

Die Beckenorgane können natürlich nur dann durch das Gas im 
Peritoneum differenziert werden, wenn eine mehr oder weniger starke 
Beckenhochlagerung zugleich mit verschiedenster Seitenlagerung in 
Anwendung gebracht wird. Schon bei Knieellenbogenlage fallen alle 
beweglichen Teile aus dem kleinen Becken heraus. 

Anfangs habe ich zur Darstellung des Uterus noch anderweitige 
Hilfen notwendig gehabt, so die Aufblähung des Rektums mit einem 
Gummiballon und ev. die Eie- 
vation des im gasgefüllten Becken- 
raum ausserordentlich stark be¬ 
weglichen Uterus von der Scheide ; 
her, digital oder durch Tampo¬ 
nade. Heute ist es mir ein 
leichtes, durch richtige Lagerung 
ohne weiteres jeden Uterus i 

und meist auch die Ovarien .Jp ./ I 

auf den Schirm resp. die Platte -Kg ’ h p i 1 

zu bringen. Die beigegebenen 1 jl 

Bilder demonstrieren, in welcher 

Weise das Corpus uteri, die Li- . 

gamenta lata, die Ovarien den 

Röntgenstrahlen zugänglich sind \ 

(Tafelfigur 9). Ich konnte mehr¬ 
fach diagnostizieren: Gravidi- M 
tät (Textfigur 20) in frühen 
Monaten, Infantil ismus, 

Myome, Verwachsungen 
desUterus und derAdnexe, 

Pyolsalpinx, Ovarialtumoren 


Textfigur 20 Oravider Uterus im 3 M nat, 
rechtsseitiger Ovaria zystom ; r-echte Seitenlage, 
a = Symphyse; b = Promontorium; c = Ova- 
rialzystom; d = Uterus; e = linkes Ovarium; 
f = linkes Llg. latum; g = Kreuzbein; h = 
Blase bei minimalem Urininhalt. 


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Origiriial fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1280 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46 . 


(Textfigur 20 und Tafelfigur 10) etc. und, was nicht weniger wichtig ist, 
das Fehlen dieser Veränderungen bei Verdacht darauf. Die Lagerung 
ist die bajonettförmige Beckenhochlagerung, d. h. Becken hoch und 
horizontal in Seitenlage, Lendenwirbelsäule schräg nach unten, Thorax 
tief, aber ebenfalls horizontal und in Seilenlage. Dabei muss das Oe- 
säss unter starker Lordosierung der Lendenwirbelsäule kräftig nach 
hinten herausgestreckt werden. Ballongasfüllung des Rektums ist nijr 
selten notwendig. Versuche, den Uterus auch in anderer Richtung 
aufzunehmen, sind im Qange. 

Ausser dem Uterus ist die Blase, zumal bei gleichzeitiger Gas¬ 
füllung durch die Urethra, sichtbar zu machen. Am leichtesten sind 
die Veränderungen des Fundus bei Bauch- oder Knieellenbogenlage 
in den Strahlengang zu bringen. Auch das Colon pelvinum und das 
Rektum werden auf die Dauer der erfolgreichen Röntgendiagnostik 
nicht vorenthalten bleiben. Ein Rektumkarzinom habe ich bereits 
befriedigend photographieren können. Die derzeitigen Resultate sind 
durchaus ermutigend, lassen aber noch manche Frage offen. Aehnliches 
ist von der Prostatahypertrophie zu sagen. 

Schluss. 

Ich habe im vorstehenden in dem Bestreben, eine mir äusserst 
wichtig erscheinende neue Methode iq der Röntgenologie möglichst rasch 
den Fachärzten der Chirurgie, inneren Medizin und Gynäkologie zur 
Kritik und zum weiteren Ausbau zu übergeben, mich kurz gefasst und 
nur wenige anschauliche Bilder geboten. Die Skizzen sind sämtlich 
naturgetreu nach Röntgenogrammen hergestellt. Die jedesmalige Autopsie 
in vivo liess keine Missdeutungen bei der Interpretation der Schirm- 
und Plattenbilder zu. Die mächtigen Kontraste der Originalplatten 
erschweren deren Reproduktion ganz beträchtlich. Ihren ganzen Reich¬ 
tum an Einzelheiten geben die Platten ausschliesslich am elektrischen 
Lichtkasten her. Weniger als bei allen anderen Röntgenuntersuchungen 
ist bei der neuen Methode eine sorgfältige Schirmdurchleuchtung zu 
entbehren. Was durch das stereoskopische Röntgenbild bei gasgefüllter 
Bauchhöhle zu erreichen ist, stellt ohne Zweifel einen Triumph der 
ganzen Röntgenologie dar. Mit den praktischen Fortschritten der neuen 
Methode ist auch das Bedürfnis und der Wunsch nach ihrer Anwendung 
an den Hallischen Kliniken in stetigem Steigen begriffen. Es ist selbst¬ 
verständlich, dass erst eine gewisse Uebung und praktische Erfahrungen 
die nicht zu leugnenden Schwierigkeiten der Technik und Diagnostik 
auf ein geringes Mass herabdrücken. Auch auf die Bedeutung der 
neuen Wege der Insufflationstechnik für die Laparoskopie möchte ich 
nicht verfehlen, besonders hinzuweisen. 

Die ausführliche Arbeit soll so rasch wie möglich erscheinen und 
wird speziell die schwierigeren Diagnosengebiete, z. B. Gallenblasen, 
Nieren etc., zum Gegenstände eingehender Behandlung mit möglichst 
zahlreichen Bildern machen. 


Aus der K. B. Militärärztlichen Akademie. 

Ein filtrierbarer Erreger der Grippe. 

(Vorläufige Mitteilung.) 

Von Dr. v. Angerer, Assistent am hygienischen Institut 
Erlangen, kommandiert zur K B. Militärärztlichen Akademie. 

Zum Zwecke der Untersuchung der Flora, welche sich im 
Sputum von Grippekranken findet, wurden in der K. Militärärztlichen 
Akademie München die Versuche fortgesetzt, welche von Schöp- 
P l e r ‘) bereits in seiner seinerzeitigen Veröffentlichung angezeigt 
worden waren. Neben anderen Versuchstieren wurden auch weisse 
Ratten mit Grippesputum auf Anregung des Herrn Generalarztes 
Dr. Dieudonnö geimpft. Die Tiere erkrankten, und bei der 
Sektion fanden sich mikroskopisch und kulturell reichlich Diplo- 
und Streptokokken. Ein Teil der Tiere wurde in wechselndem 
Abstand nach der Impfung getötet, ihr Blut keimfrei filtriert, und 
mit dem Filtrat wurden Traubenzuckerbouillonröhrchen beschickt 
und aerob und anaerob bebrütet. Nach zweitägiger Bebrütung 
zeigte sich in den mit Bouillon angelegten hängenden Tropfen eine 
sehr grosse Zahl kleinster, stark lichtbrechender, in lebhafter Mole¬ 
kularbewegung befindlicher Teilchen; die Zahl der Teilchen schien 
nach weiteren 24 Stunden noch zuzunehmen. Der Nährboden wurde 
nur bis zur Opaleszenz getrübt. Säurebildung fand nicht statt. Das 
Wachstum erfolgte sowohl aerob wie anaerob. Nachdem bei allen 
untersuchten Versuchstieren (ihre Zahl betrug 4) der Nachweis 
dieser Teilchen geglückt war, wurde der Nachweis direkt, ohne 
Umweg über die Ratte, im menschlichen Organismus versucht. Zu 
diesem Zwecke wurde Sektionsmaterial von sicheren Grippefällen 
untersucht, indem Herzblut und Lungensaft ebenfalls filtriert und 
kulturell untersucht wurde. Auch hier fanden sich bei drei von vier 
Fällen in reichlichster Menge in den Kulturen die in Rede stehenden 
kleinsten Körperchen. Ein negatives Resultat ergab stets die 
direkte Untersuchung von Sputum. 

Dass die fraglichen Gebilde organischer Natur und nicht etwa 
ein Niederschlag oder eine Verunreinigung irgend welcher Art sind, 
ergibt sich daraus, dass ihre Vermehrung während der Entwick¬ 
lungsperiode deutlich beobachtet werden konnte. Ferner wurden 


J ) H. Schöppler: M.m.W. 1918 Nr. 32. 

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alle verwendeten Nährböden vor der Beimpfung auf optische Leere 
geprüft. Weiterhin zeigten ungeimpfte, bebrütete Nährboden- 
kontrollproben makro- und mikroskopisch keinen Niederschlag und 
keine Partikelchen, welche mit den Gebilden verwechselt werden 
konnten. In der normalen Ratte waren sie nicht nachweisbar. 

Die Weiterzüchtung in flüssigen Nährböden gelang bisher in 
zwei Fällen. Zum Wachstum scheint genuines Eiwelss, am besten 
Hämoglobin, erforderlich zu sein. Es genügen geringe Mengen, 
z. B. diejenigen, welche das Impfmaterial enthält. Die Kultur auf 
festen Nährböden gelang bisher nicht. Im Sputum konnten die Er¬ 
reger auch dann nicht nachgewiesen werden, wenn der Nährboden 
ausserdem noch einen Zusatz von filtriertem Hämoglobin oder £i- 
weiss enthielt. Vermutlich liegt dies daran, dass der Schleimgehalt 
der Sputa den Porenquerschnitt der Filter verengert. Offenbar 
stehen die Erreger ohnehin an der Grenze der Filtrierbarkeit; es 
wurde wenigstens die Beobachtung gemacht, dass ein und dasselbe 
Material, durch eine langsam filtrierende Kerze filtriert, ein steriles 
Filtrat ergab, be*. der Filtration durch eine rasch filtrierende da¬ 
gegen die fraglichen Gebilde noch enthielt. 

Versuche, diese fraglichen Gebilde zu färben, schlugen nicht 
iehl. Die Gram sehe Färbung ergab ein negatives Resultat. Lang 
ausgedehnte Fuchsinfärbungen zeigten viele kleinste Teilchen ohne 
besondere Details. Am einfachsten jedoch ist bis jetzt zum Nach¬ 
weis der hängende Tropfen. Bei seiner Untersuchung Ist es nötig, 
sehr scharf auf den Rand einzustellen, an dem sich die Teilchen 
anzusammeln pflegen. Eine wesentliche Erleichterung bietet das 
Dunkelfeld, das erst die ganze, überraschende Menge der Partikel¬ 
chen verrät. Die Partikelchen sind zumeist von gleicher Grösse, 
doch kommen vereinzelt auch grössere vor. Einzelheiten im Bau 
konnten nicht beobachtet werden. Agglutination durch zugesetztes 
Patientenserum wurde nicht beobachtet. 

Der Nachweis dieser Gebilde scheint nach zwei Richtungen von 
Interesse zu sein. Einmal handelt es sich hier um einen der wenigen 
Fälle der künstlichen Züchtung eines filtrierbaren Virus, zweitens 
besteht die Möglichkeit, dass es sich hier, um den eigentlichen Er¬ 
reger der Grippe handelt. Die hier beschriebenen Organismen 
scheinen dem Erreger des Schnupfens nahe zu stehen, den Kruse*) 
filtriert und Dold 3 ) gezüchtet hat. Doch bestehen wesentliche 
Unterschiede in den Kulturbedingungen, so dass es sich nicht um 
identische Erreger handeln kann. Nachdem einerseits die so zahl¬ 
reichen bakteriologischen Untersuchungen mittels der gebräuchlichen 
Methoden kein einheitliches Resultat ergeben haben, andererseits 
das filtrierbare Virus im menschlichen Blut nachgewiesen worden 
ist, scheint einige Wahrscheinlichkeit für die ätiologische Bedeutung 
dieser Gebilde zu bestehen, um so mehr als schon früher mehrfach, 
z. B. von Selter 4 ), H i r s c h b r u c h 5 ), R i m p a u"), Kruse 7 ), 
ein filtrierbares Virus bei dieser Seuche vermutet wurde. 


Aus der Dermatolog. und der Psychiatr. Universitätsklinik 
zu Frankfurt a. M. 

Zur Sero- und Uquordiagnostik syphilitischer Zerebro- 
spinalerkrankungen mittels Ausflockung. 

Von Priv.-Doz. Dr. E. Nathan und Dr. R. Weichbrodt 

Wie H. Sachs und W. Georgi 1 ) in einer vor Kurzem er¬ 
schienenen Mitteilung berichteten, ist es ihnen gelungen, syphilitische 
und normale Blutsera in ihrem biologischen Verhalten durch eine 
; einfache Ausflockungsreaktion von einander zu differenzieren. Dabei 
j verfuhren Sachs und Georgi methodisch derart, dass 1 ccm 10fach 
I in 0.85prozentiger Kochsalzlösung verdünntes, durch l /%s tündiges 
Erhitzen auf 55 —56° inaktiviertes Patientenserum mit 0.5 ccm 6 fach 
mit 0,85prozentiger Kochsalzlösung verdünntem, alkoholischem, 
cholesteriniertem Rinderherzextrakt gemischt wurde. Als Kontrollen 
dienten 

a) positives und negatives Vergleichsserum, 

_Jo) Serumkontrollen: 1 ccm 10 facher Verdünnung jedes Serums 
wird mit 0,5 ccm 6 fach verdünnten Alko¬ 
hols gemischt, 

c) Extraktkontrollen: 0,5 ccm der Extraktverdünnungen werden 
I mit 1 ccm 0,85 prozentiger Kochsalzlösung 

I gemischt. 

Die mit dem Serum und dem Organextrakt beschickten Röhrchen 
bleiben, nach 2stündiger Digestion im Brutschrank bei 37°, über 
Nacht bei Zimmertemperatur stehen. Hierauf wird d.er Reaktions- 


J ) Kruse: M.m.W. 1914 Nr. 38. 

‘) Dold: M.m.W. 1917 Nr. 5. 

4 ) Selter: D.m.W. 1918 Nr. 34. 

°) Hirschbruch: D.m.W. 1918 Nr. 34. 
ß ) Rimpau: Aerztl. Verein München. Diskussion über Grippe. 
9. VII. 18. 

7 ) Kruse: M.m.W. 1918 Nr. 44 S. 1228. 

x ) H. Sachs u. W. Georgi, Medizin. Klin. 1918, Nr. 33; vgl. 
auch Sitzungber. d. ärztl. Vereins Frankfurt a. M. v. 16. 9. 18 sowie 
I Tagung d. Süd westdeutsch. Dermatologenvereinig. zu Frankfurt a. M. 
I vom 28. u. 29. 9. 1918. 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



12. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1281 


ausfall nach leichtem Aufschütteln der Röhrchen in dem von Kuhn 
und Woithe angegebenen Agglutinoskop beurteilt. Dabei erscheinen 
negative Sera klar durchscheinend, bezw. leicht opaleszent, positive 
Sera sind dagegen durch das Auftreten von mehr oder weniger 
dichten Flocken und Körnchen, die auf dunklem Grunde aufleuchten, 
charakterisiert. Hinsichtlich aller weiteren methodischen Einzelheiten 
verweisen wir auf die ausführlichen Angaben von Sachs und 
Oeorgi. Als wesentliche Punkte der Sachs-Geor gi’schen An¬ 
ordnung erscheinen die fast genaue Innehaltung der der Wasser¬ 
mann’schen Reaktion entsprechenden Bedingungen (Temperatur, 
Mengenverhältnisse), die Benutzung von in geeigneter Weise choles- 
terinierten, genau eingestellten und nach Vorschrift verdünnten 
Organextrakten, sowie die ausserordentlich bequeme Beurteilung des 
Reaktionsausfalls mittels des Agglutinoskops. 

Die mittels dieser Reaktion erhaltenen Resultate waren derart, 
dass unter 2770 untersuchten Serumproben in 94,9 Proz. der Fälle 
Uebereinstimmung zwischen der Ausflockung und der Wassermann- 
schen Reaktion bestand. Unter den Testierenden 5,1 Proz. der Fälle, 
bei denen der Ausfall der beiden Reaktionen divergent war, war in 
3,18 Proz. nur die Flockung, in 1,88 Proz. nur die Wassermann’sche 
Reaktion stärker oder allein positiv. Dabei lag in 3,4 Proz. dieser 
Fälle anamnestisch Syphilis vor. 

Von besonderem Interesse erscheint nun die Tatsache, dass die 
Ausflockungsreaktion, wie Sachs und Georgi bereits in ihrer ersten 
Veröffentlichung mitteilten, auch zur Untersuchung von Lumbal¬ 
flüssigkeiten brauchbar ist, wobei es sich empfiehlt, die Lumbal¬ 
flüssigkeit ebenso wie bei der Wassermann’schen Reaktion mit ab¬ 
steigenden Mengen auszuwerten. Dabei fiel unter 110 untersuchten 
Lumbalflüssigkeiten, wie Georgi*) berichtet hat, 30mal die Wasser¬ 
mann’sche Reaktion und die Ausflockung übereinstimmend positiv, 
in 69 Fällen übereinstimmend negativ aus. Bei den 11 differenten 
Fällen war nur die Wassermann’sche Reaktion positiv, die Ausflockung 
negativ. Jedoch hebt Georgi hervor, dass bei 9 von diesen 11 Fällen 
die Wassermann’sche Reaktion nur mit grösseren Liquormengen 
positiv war. Von besonderem Interesse ist, dass durch Inaktivieren 
des Liquors in 4 von 6 der divergent reagierenden Fälle eine schwach 
positive Flockungsreaktion zu erzielen war. Georgi diskutiert 
endlich die Möglichkeit, durch Inaktivieren, durch stärkere Choles- 
terinierung der Extrakte, andersartige Extraktbereitung, Verschiebung 
der Mengenverhältnisse, andere Temperaturbedingungen eine Ver¬ 
feinerung der Reaktion zu erzielen. 

Von klinischen Erfahrungen über die Ausflockungsreaktion liegen 
bis jetzt nur Mitteilungen von Nathan*) bei der Serodiagnostik der 
Frühsyphilis vor. Dabei ergab sich unter 1280 Sera in 93 Proz. 
Uebereinstimmung zwischen der Ausflockung und der Wassermann- 
schen Reaktion. In allen different reagierenden Fällen, in denen teils 
die Flockung, teils die Wassermann’sche Reaktion positiv war, lag 
anamnestisch oder klinisch Syphilis vor, mit Ausnahme von 3 Fällen, 
bei denen der Nachweis einer vorangehenden Infektion nicht mit 
Sicherheit zu erbringen war Qe 1 Fall von Ulcus molle mit Bubo, 
Gonorrhoe bei einer Puella publica, Imbezillität). Von besonderem 
Interesse war, dass bei Fällen von Ulcus molle unter Verwendung 
bestimmter Extrakte eine vorübergehende positive Ausflockungs¬ 
reaktion beobachtet wurde, wie sie auch schon bei der Wassermann- 
schen Reaktion bei Fällen von Ulcera mollia mit Bubonen von ver¬ 
schiedenen Autoren beschrieben worden ist. Die parallele Verfolgung 
der Wassermann’schen Reaktion und der Ausflockung bei Syphilis¬ 
fällen im Laufe der Behandlung ergab in vielen Fällen mittels der 
Ausflockung noch positive Resultate, wenn die Wassermann’sche 
Reaktion bereits negativ geworden war. Durch Heranziehung 
mehrerer Extrakte konnten im übrigen die Prozentzahlen hinsichtlich 
der Uebereinstimmung zwischen der Ausflockung und der Wasser¬ 
mann’schen Reaktion bezw. dem klinischen Befund noch gesteigert 
werden. Auf Grund seiner Untersuchungen empfiehlt Nathan, die 
Ausflockungsreaktion auch in die Praxis der Serodiagnostik der 
Syphilis einzuführen und sie zur weiteren Erprobung vorläufig neben 
der bewährten Wassermann’schen Reaktion anzustellen. Durch die 
Kombination beider Methoden wird sich wahrscheinlich die Sicher¬ 
heit des serologischen Luesnachweises noch weiter steigern lassen. 

Nach diesen aussichtsreichen Befunden bei der Frühsyphilis 
schien es geboten, auch bei den syphilitischen Gehirn- und Rücken¬ 
markserkrankungen die Ausflockungsreaktion auf ihre praktische 
Brauchbarkeit zu prüfen, wobei die Frage der Verwendungsfähigkeit 
für den Liquor ein besonderes Interesse beanspruche^ durfte. Nament¬ 
lich war dabei die weitere Prüfung der Frage von Wichtigkeit, ob 
die Ausflockung im Gegensatz zu den bisher ange¬ 
gebenen Ausflockungsreaktionen im Liquor als eine 
qualitativ spezifische und für Syphilis charakteristische 
Reaktion zu bezeichnen war. 

Das Material, über das wir uns zu berichten erlauben, umfasst 
192 Blutsera und 78 Lumbalflüssigkeiten der verschiedensten Er¬ 
krankungen der psychiatrischen Universitätsklinik. 4 ) 


•) W. Georgi, Tagung d. Südwestdeutsch. Dermatolog. Ver¬ 
einig. am 28. u. 29. 9. 18 zu Frankfurt a. M. 

*) E. Nathan, Sitzung d. Aerztl. Vereins Frankfurt a. M. am 
16. 9. 18, sowie Tagung d. Südwestdeutsch. Dermatologen-Vereinigung 
v. 28 u. 29. 9. 18 zu Frankfurt a. M. Medizin. Klinik 1918 Nr. 41. 

4 ) Ueber die Ergebnisse unserer Untersuchungen hat der eine von 
uns (N.) ebenfalls schon kurz berichtet (l. c.). 

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In der Technik der Untersuchung haben wir uns an die Angaben 
von Sachs und Georgi gehalten. Weitaus die meisten Sera und 
Lumbalflüssigkeiten wurden mit mehreren Extrakten unter¬ 
sucht. Ausserdem wurden aber sowohl Sera wie Lumbalflüssigkeiten 
zum grössten Teil auch mit absteigenden Mengen ausge¬ 
wertet, wobei in vielen Fällen zwischen dem Ausfall 
der Wassermann’schen Reaktion und der Ausflockung 
hinsichtlich der Intensität der Reaktion eine deutliche 
Parallelität in dem quantitativen Verhalten bestand. 

Auf einen Punkt möchten wir aber noch hinweisen, der nicht 
nur von theoretischen, sondern vor allem von praktischen Gesichts¬ 
punkten aus von besonderer Bedeutung erscheint. Wie nämlich 
vergleichende Versuche gezeigt haben, darf der Liquor nur 1 bis 
2 Tage nach der Punktion untersucht werden, wenn man spezifische 
Resultate erhalten will. Lässt man den Liquor, ohne ihn zu inakti¬ 
vieren, länger stehen, so gibt er, auch ohne dass Syphilis 
vorliegt, entweder positive Ausflockungsreaktion, d. h. 
beim Vermischen mit Extrakt tritt Flockung ein, oder 
er wird in dem Kontroliröhrchen (Liquor und Alkohol) 
eigenflockend und ist dann natürlich überhaupt nicht 
mehr zu bewerten. 

Von Blutsera von verschiedenen Psychosen kamen 192 Serum¬ 
proben zur Untersuchung; davon reagierten mittels der Wasser¬ 
mann’schen Reaktion und der Ausflockung 


Uebereinstlmmend 

positiv 

Uebereinstimmend 

negativ 

Bei der WaR. positiv 
bzw. schwach positiv, 
bei der Ausflockung 
negativ 

Bei der WaR. 
negativ, bei der 
Ausflockung 
positiv 

28 Fälle von Paralyse 

2 Fälle von juvenil. 
Paralyse 

2 Fälle von Alkoholis- 
mus mit Lues latens 

5 Fälle von Hysterie 
mit Lues latens 

1 Fall von Arterioskle¬ 
rose mit Lues latens 

1 Fall von Lues cerebri 

5 Fälle von Paralyse 

55 Fälle von Hysterie 

5 Fälle von Manie 

8 Fälle von Epilepsie 

52 Fälle von Dementia 
praec. 

0 Fälle von Arterio¬ 
sklerose 

5 Fälle von Alkoho¬ 
lismus 

2 Fälle von Imbezillität 

5 Fälle von Paralyse 

7 Fälle '.von Pa¬ 
ralyse 


Unter den 192 Serumproben reagierten also 180 Sera = 93,75 Proz. 
mittels der Ausflockung und der Wassermann’schen Reaktion über¬ 
einstimmend positiv oder negativ. 12 Fälle reagierten different, und 
zwar 5 Fälle von Paralyse nur mit der Wassermann’schen Reaktion 

E ositiv, 7 Fälle von Paralyse nur mittels der Ausflockung positiv. 

>abei sei besonders hervorgehoben, dass bei den 5 nur mittels der 
Wassermannn’schen Reaktion als positiv befundenen Blutsera die 
Wassermann’sche Reaktion nur schwach positiv ausgefallen war. 
Es handelte sich dabei um Fälle, die mit Salvarsan sehr stark vor¬ 
behandelt waren, und deren ursprünglich stark positive Wasser¬ 
mann’sche Reaktion unter dem Einfluss der Salvarsanbehandlung 
zurückgegangen war. Auf diesen Einfluss der Salvarsanbehandlung 
ist es auch zurückzuführen, dass in 5 Fällen von Paralyse sowohl 
die Wassermann’sche Reaktion als auch die Ausflpckungsreaktion 
vollständig negativ ausgefallen war, und dass in 7'weiteren Fällen 
von Paralyse unter dem Einfluss der Salvarsanbehandlung lediglich 
die Wassermann’sche Reaktion negativ geworden, die Ausflockungs¬ 
reaktion aber noch positiv geblieben war. In diesen 7 Fällen hat 
sich also die Ausflockungsreaktion als die feinere Methode erwiesen. 
Auf den Einfluss der Salvarsanbehandlung auf die Paralyse, auf den 
wir an dieser Stelle des knappen, zur Verfügung stehenden Raumes 
halber nicht näher eingehen können, werden wir in einer ausführ¬ 
lichen Publikation demnächst zurückkommen. 

Was nun den Ausfall der beiden Reaktionen im Liquor betrifft, 
so kamen bis jetzt 78 Lumbalflüssigkeiten mittels beider Reaktionen 
zur Untersuchung; davon reagierten mittels der Wassermann’schen 
Reaktion und der Ausflockung 


Uebereinstimmend 

positiv 

Uebereinstimmend 

negativ 

Bei der WaR. positiv 
bzw. schwach positiv, 
bei der Ausflockung 
negativ 

Bei der WaR. 
negativ, bei der 
Ausflockung 
positiv 

36 Fälle von Paralyse 

2 Fälle von juvenil. 
Paralyse 

1 Fall von Lues cerebri 

1 Fall von Paralyse 

5 Fälle von Hysterie 

8 Fälle von Paralyse 

1 Fall von Para¬ 
lyse 

3 Fälle von Hysterie 
mit latent. Lues 

3 Fälle von Manie 

5 Fälle von Epilepsie 

5 Fälle von Dementia 
praecox 

2 Fälle von Arterio¬ 
sklerose mit . latent 
Lues 

2 Fälle v. Alkoholismus 




Bei 4 Fällen bestand Eigenflockung in der Liquor-Alkoholkontrolle, 
sodass das Resultat der Reaktion nicht zu bewerten war. 

Unter den 78 Lumbalflüssigkeiten bestand also zwischen der 
Wassermann’schen Reaktion und der Ausflockung 65 mal =83,3 Proz. 
übereinstimmende Reaktion. 8 Fälle = 10,3 Proz. reagierten nur 
mit der Wassermann’schen Reaktion positiv unter Versagen der 

Original from 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


Nr. 46. 


1282 . 


Ausflockungsreaktion. 1 Fall von Paralyse reagierte nur mit der 
Ausflockungsreaktion positiv. Bei diesen 9 divergent reagierenden 
Fällen handelt es sich wieder um Lumbalflüssigkeiten von Paraly¬ 
tikern. die mit Salvarsan ziemlich stark vorbehandelt waren. Dem¬ 
entsprechend war bei den nur mittels der Wassermann’schen Reak¬ 
tion positiven Lumbalflüssigkeiten die Wassermann’sche Reaktion 
nur schwach positiv (positiv bei 0,6—0,4 bei Auswertung'. Bei 
4 Fällen war wegen Eigenflockung der Reaktionsausfall nicht zu 
bewerten. 

Bei Auswertung des Liquor in absteigenden Mengen ergab sich 
in vielen Fällen ein deutlicher Parallelismus in der Stärke der Wasser¬ 
mann’schen Reaktion und der Ausflockung, sodass die Ausflockungs¬ 
reaktion auch von diesem Gesichtspunkte aus von Bedeutung 
werden dürfte. 

Zusammen fjassung. 

1. Unter 192 Serumproben verschiedener Psychosen bestand in 
180 Fällen = 93,75 Proz. Uebereinstimmung zwischen der Wasser¬ 
mann’schen Reaktion und der Ausflockung und zwar reagierten 
39 Fälle = 20,31 Proz. übereinstimmend positiv, 141 Fälle = 73.44 Proz. 
übereinstimmend negativ. Bei den positiven Sera handelte es sich 
klinisch um Paralysen, Lues cerebri und Psychosen verschiedener 
Art mit Lues latens, bei den negativen Sera um Psychosen nicht- 
syphilitischer Natur. Die Testierenden 6,25 Proz der Fälle reagierten 
teils nur mit der Wassermann’schen Reaktion (= 2,60 Proz.), teils 
nur mit der Ausflockung positiv (= 3.65 Proz.). Klinisch handelte es 
sich bei diesen different reagierenden Fällen um salvarsanbehandelte 
Paralysen. 

2. Unter 78 Lumbalflüssigkeiten verschiedener Psychosen be¬ 
stand in 65 Fällen = 83,33 Proz. Uebereinstimmung zwischen der 
Wassermann’schen Reaktion und der Ausflockung und zwar reagierten 
39 Fälle = 50,00 Proz. übereinstimmend positiv, 26 Fälle = 33,33 Proz. 
übereinstimmend negativ. Die übereinstimmend positiven Lumbal¬ 
flüssigkeiten stammten von Paralysen und Lues cerebri, die negativen 
von verschiedenen Psychosen nichtsyphilitischer Natur. Unter den 
Testierenden Fällen war 8 mal (= 10,26 Proz.) nur die Wasser¬ 
mann’sche Reaktion positiv bezw. schwach positiv, 1 mal nur die 
Ausflockung. Klinisch handelte es sich bei diesen 9 different reagie¬ 
renden Fällen um Lumbalflüssigkeiten von stark salvarsanbehandelten 
Paralytikern. In 4 Fällen (= 5,13 Proz.) bestand Eigenflockung, 
sodass der Reaktionsausfall nicht zu bewerten war. 

3. Die Ausflockungsreaktion besitzt gerade wie die Wasser¬ 
mann’sche Reaktion ein für Syphilis charakteristisches Gepräge. 
Während die Ausflockung jedoch bei der Verwendung von Blutserum 
für den Syphilisnachweis in etwa dem gleichen Prozentverhältnis 
positive Resultate ergibt wie die Wassermann’sche Reaktion, ist bei 
der Verwendung von Lumbalflüssigkeiten vorläufig noch die Wasser¬ 
mann’sche Reaktion die überlegenere Methode. Doch ist zu er¬ 
warten, dass durch den weiteren Ausbau der Methodik der Liquor¬ 
untersuchung im Sinn von Sachs und Georgi (Inaktivieren des 
Liquors, stärkere Cholesterinierung der Extrakte usw.) eine Ver¬ 
feinerung des S^philisnachweises mittels der Ausflockungsreaktion 
sich auch für den Liquor erzielen lassen wird. 

4. Bei Auswertung des Liquors bestand in vielen Fällen auch 
in quantitativer Beziehung ein deutlicher Parallelismus zwischen 
der Wassermann’schen Reaktion und der Ausflockung. 

5. Lumbalflüssigkeiten, die ohne vorherige Inaktivierung mehrere 
Tage stehen, können sich unter Umständen derart verändern, dass 
sie positive Ausflockungsreaktion oder Eigenflockung geben, auch 
ohne dass Syphilis vorliegt, sind also diagnostisch nicht mehr ver¬ 
wertbar. 


Aus der Hygienischen Untersuchungsstelle des Reserve¬ 
lazaretts Qrafenwöhr (Chefarzt: Oberstabsarzt Dr. Poppel). 

Zum färberischen Nachweis der Tuberkelbazillen. 

Von Werner Rosenthal (Qöttingen), Stabsarzt d. L., 
früher Leiter der Abteilung, zurzeit im Felde. 

Die grosse Bedeutung, die der Leistungsfähigkeit der Färbe¬ 
methoden für den Tuberkelbazillus zukommt, braucht nicht erst be¬ 
wiesen zu werden: sie gilt ebensowohl in theoretischer wie in prak¬ 
tischer Hinsicht. In theoretischer, weil es sich darum handelt, ob 
es neben der allbekannten säurefesten Stäbchenform des Tuberkel¬ 
bazillus noch andere Entwicklungsstadien oder biologische Zustände 
desselben gibt, die vermehrungsfähig und infektionstüchtig sind 
(Muchs Granulaform, Sporen oder nichtsäurefesle Stäbchen); sollte 
sich eine dieser Annahmen bestätigen, so könnten dadurch unsere An¬ 
schauungen sowohl über die systematische Stellung der Tuberkel¬ 
bazillen wie über die Art ihrer Verbreitung und die Infektionswege 
wesentlich umgestaltet werden. Und in praktischer Hinsicht deshalb, 
weil die Verordnungen und Massnahmen, die wir gegenüber einem 
tubcrkuloseverdächtlgen Kranken treffen, sehr oft in entscheidender 
Weise dadurch bestimmt werden, ob wir durch den Bazillennach¬ 


weis die Tatsache und die Art seiner Erkrankung sicherstellen können, 
oder ob es bei dem Verdacht bleibt. Auf die häufigen Fehldiagnosen 
auch bei verfeinerter physikalischer Diagnostik haben erst kürzlich 
in dieser Zeitschrift H e i n e k e 7 ) und Gerhardt 1 ) hingewiesen. 
Ganz besonders ist aber für das inilitärarztliche Verfahren die Fest¬ 
stellung von Tuberkelbazillen im Auswurf entscheidend. Ist sie ge¬ 
lungen, so ist das einzuschlagende Verfahren gegeben: Ueberweisung 
an eine Spezialheilstätte, und wenn diese in angemessener Zeit keine 
wesentliche Besserung mit Verschwinden der Bazillen aus dem Aus¬ 
wurf herbeifiihren kann, Dienstentlassung. Gelingt der Bazillen¬ 
nachweis nicht, so bleiben der Grad der Dienstfähigkeit, die Behand- 
lungsbcdürftigkeit und ähnliches der immer erneuten Beurteilung 
durch die Truppen- und Lazarettärzte anheimgegeben, die häufig (vgl. 
H e i n e k e am ang. Orte) sehr schwierig und schwankend sein 
wird. Der Irreführung beim Bazillennachweis durch Unterschieben 
des Auswurfes eines anderen Kranken vorzubeugen ist Sache des 
behandelnden Arztes; diese Fehlerquelle kann die diagnostische Be¬ 
deutung der Färbeverfahren und ihrer Verfeinerungen, die Aufgabe 
der Untersuchungssteilen sind, nicht beeinträchtigen. 

Zum Tuberkelbazillenn-achweis wird allgemein das Z i e h I — 
N e e I s e ii sehe Verfahren angewendet 2 ); die M u c h sehe Granula¬ 
färbung und ihre Modifikationen haben sich — bei aller Anerkennung 
ihrer theoretischen Wichtigkeit — keinen Eingang in die Praxis 
zu verschaffen vermocht, weil sie erstens zu umständlich sind und 
zweitens die Beurteilung einzelner schwärzlicher Granulareihen zu 
schwierig und unsicher ist, als dass man eine so schwerwiegende 
Diagnose auf sie gründen möchte. Nun ist in den letzten Jahren eine 
Abänderung der Karbolfuchsinfärbung von Kronberger vorge¬ 
schlagen worden, die nach des Autors Angabe solche Tuberkel¬ 
bazillen färben soll, die nach dem üblichen Ziehl-Neelsen-Verfabren 
ungefärbt bleiben (die wesentlichen Punkte sind nur sehr vorsich¬ 
tiges Erhitzen beim Fixieren und bei der Karbolfuchsinfärbung und 
eine Nachbehandlung mit Jodtinktur nach der Säuredifferenzierung; 
Abhandlung in Brauers Beitr. Tbc. Bd. 16, H. 2). Neuerdings wurde 
sein Verfahren von verschiedenen Seiten empfohlen und angegeben, 
dass es die positiven Ergebnisse gegenüber ZiehI-Neelsen 
um 17 Proz. vermehre (L e i c h t w e 1 s s: Zschr. f. Tub. 25. 1916). 
Auf die Ausführungen von Kronberger selbst, die im wesentlichen 
theoretischer Art sind, will ich nicht weiter eingehen, einerseits, weil 
mir während des Krieges die Gelegenheit zu nachprüfenden Unter¬ 
suchungen mangelte, andererseits weil seine Ergebnisse und Ver¬ 
mutungen auch schon von anderer Seite geprüft und ausführlich kriti¬ 
siert worden sind. [Ebenfalls in der Zschr. f. Tub. Ul Hier soll nur 
die praktische Frage erörtert werden, ob das neue Verfahren, an 
Stelle oder neben dem Z i e h 1 - N e e 1 s en sehen zur Diagnose der 
Tuberkulose angewandt. Vorteile bietet; um so mehr, als in einer 
Notiz dieser Wochenschrift [Jahrg. 1916 Ul berichtet wurde, dass es 
in einer militärischen Untersuchungsstelie ausschliesslich angewendet 
werde. Falls sich die Angabe bewähren sollte, dass es etwa */» mehr 
positive Bazillenbefunde im Auswurf ergebe, als die bisher ge¬ 
bräuchlichen, so müsste es unbedingt den ersten Platz bei der Sputum¬ 
untersuchung einnehmen. 

Ich habe deshalb seit Ende März 1917 bis zur Beendigung 
meiner Tätigkeit an der Untersuchungsstelle Grafenwöhr Ende Mai 
1918 bei jedem zur Untersuchung auf Tuberkelbazillen kommenden 
Auswurf so verfahren lassen, dass von den verdächtigen Partien 
in üblicher Weise zwischen den Objektträgern verrieben wurde, die 
Schicht auf beiden Gläsern möglichst gleichrnässig ausgebreitet 
wurde und dann das eine nach Z i e h I - N e e 1 s e n, das andere nach 
Kronberger gefärbt wurde. Die folgende Statistik umfasst gerade 
1 Jahr und 1059 Auswurfproben; die weiteren Beobachtungen im 
April und Mai 1918 sind im gleichen Sinne (jedenfalls durchaus nicht 
günstiger für die Kronbergfärbung) ausgefallen. 

Das Ergebnis war: 

Untersuchte Proben..I° 59 

davon in jeder Weise negativ.806 

davon positiv. • ■ • 253 

und zwar nach Kronberger und nach Z i e h 1 annähernd 
gleich zahlreiche Bazillen gefärbt 205 

erst nach Anreicherung, aber dann mit beiden Färbungen gleich¬ 
viel Tuberkelbazillen nachgewiesen.4 

nach Z i e h 1 TB. anscheinend zahlreicher als nach Kron¬ 
berger . .10 

nach Kronberger TB. anscheinend zahlreicher als nach 

Ziehl .: • • 20 

dazu einmal nur nach Anreicherung TB. gefunden und mit Kron¬ 
bergerfärbung mehr. \ 

mit Ziehlfärbung positiver Befund, nach Kronberger nichts 7 

U 1918 Nr. 15 u. 21. Infolge meiner Versetzung ins Feld sind mir 
z. Z. die Zeitsphriften und früher gemachten Notizen nicht zugänglich, 
daher können die Literaturzitate nicht alle genau angegeben werden. 

2 ) Unter Ziehl-Neelsen - Verfahren verstehe ich hier 
und im folgenden: Färbung in heisser Karbolfuchsinlösung, Ent¬ 
färbung in Mineralsäure und Alkohol (gleichgültig ob als Salzsäure¬ 
alkohol oder nacheinander angewendet), Gegenfärbung mit Methylen¬ 
blau oder einem ähnlichen blauen Farbstoff; die Unterschiede in den 
üblichen Vorschriften für die Farbstofflösungen und Entfärbungs¬ 
flüssigkeiten scheinen nach meinen Erfahrungen nicht ausschlaggebend 
für die Erfolge der Färbung zu sein. 


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Gck igle 


OriginalTröm 

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12. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1283 


mit Kronbergfärbung positiver Befund, nach Ziehl nichts . . 5 

nur in Anreicherung und nur mit Kronbergfärbung positiver Be¬ 
fund .1 

Daraus ergeben sich folgende Zählen vom Hundert: 
überhaupt positive Befunde ... 24 Proz. 

nur nach Ziehl . X A 

nur nach Kronberger . Va „ 

nur nach Anreicherung . % 

Hierzu ist zu bemerken, dass nicht von allen negativen Proben 
Anreicherungen angesetzt wurden, weil nach früheren Erfahrungen 
in den von mir geleiteten Untersuchungsstellen nach sorgfältiger 
Durchmusterung der Originalpräparate die Anreicherung nur selten 
(in ähnlichem Masse, wie sich hier ergibt) noch ein positives Er¬ 
gebnis zeitigt. Anreicherungen wurden deshalb in der Regel nur 
dann angesetzt, wenn der behandelnde Arzt sie verlangte, oder den 
Auswurf desselben Kranken wiederholt zur Untersuchung schickte, 
oder wenn schon in den Originalausstrichen ganz seltene, mehr oder 
weniger verdächtige Stäbchen beobachtet waren, über die keine 
bestimmte Entscheidung getroffen werden konnte (z. B. auch wenn 
ein Laborant sie gesehen hatte, aber dem verantwortlichen Arzt 
nicht vorweisen konnte). Zu der Zahl von 24 Proz. positiver Befunde 
ist zu bemerken, dass das Material zum grossen Teil von den 
Truppenteilen stammte 'und weniger positive Fälle in sich schloss, 
im übrigen aber dem Reservelazarett Qrafenwöhr, dem auch die 
Tuberkulosestation 1 für Kriegsgefangene des Korpsbezirks angehörte. 
Von den hier verpflegten Schwindsüchtigen, wie auch von einigen 
deutschen Lazarettkranken kamen öfter wiederholte Proben zur 
Untersuchung, auch wenn die Diagnose' schon durch einen positiven 
Befund gesichert war. Eine Durcharbeitung des Materials auf eine 
Statistik der Fälle und Ihre Herkunft liess sich leider bei dem ge¬ 
ringen Personal der Untersuchungsstelle nicht durchführen. 

Aus den obenstehenden, absoluten und Prozentzahlen ist zu 
schliessen, dass die Kronberger sehe Färbung nicht zuverlässiger 
ist als die Zieh Ische; die Befunde, bei denen nur die eine von 
beiden Färbungen positives Ergebnis hatte, und die sich ja die Wage 
halten, sind meines Erachtens auf den Zufall zurückzuführen, dass 
die sehr spärlichen Bazillen nur in dem einen Präparat in das Ge¬ 
sichtsfeld kamen; vielleicht auch darauf, dass gelegentlich einmal 
die Färbungen nicht ganz richtig ausgeführt waren und deshalb die 
Tuberkelbazillen nach einem der beiden Verfahren ungefärbt blieben 
oder sich wenig vom Grund abhoben. 


Als gleichwertig kann ich aber die beiden Färbungen auch nicht 
anerkennen; die Kronberger sehe hat den Nachteil, dass bei ihr 
nicht so ausschliesslich nur säurefeste Stäbchen mit Fuchsin gefärbt 
bleiben wie nach Ziehl. So findet man in der Mehrzahl der Sputa 
plumpe, in Form und Grösse an Milzbrandbazillen erinnernde Stäb¬ 
chen grau bis grauschwarz gefärbt; bei diesen ist freilich schon der 
Form wegen jede Verwechslung mit Tuberkelbazillen ausgeschlossen. 
In Ziehlpräparaten fallen die Bakterien nicht- auf, da sie rein blau 
gefärbt sind, sind aber bei Suchen nicht aufzufinden. Etwas seltener 
kommen aber im Auswurf auch zarte, schlanke Stäbchen (vielleicht 
auch Leptothrixfäden u. ähnl.) vor, die nach Kronberger grau bis 
schwarzgrau gefärbt bleiben und morphologisch von Tuberkelbazillen 
schwerer, oder kaum zu unterscheiden sind. Die Tuberkelbazillen 
selbst zeigen in den Krohbergpräparaten meist deutliche schwarze 
Granula (von wechselnder Zahl und Grösse) in blassrosa, selten un¬ 
gefärbten Stäbchen liegend oder (in selteneren Fällen) sind sie gleich- 
massig hochrot gefärbt. Der. mit der Färbung Vertraute wird fast 
immer auch am Kronbergpräparat eine bestimmte Entscheidung 
treffen können und auf dem blassgelben Grund desselben fallen ihm 
die hochroten oder schwarz gekörnten Tuberkelbazillen noch mehr 
auf, als die roten Stäbchen auf dem blauen Grund eines Ziehl- 
Neelsen sefien Präparates — besonders wenn der Ausstrich etwas 
zu dick geraten oder die Blaufärbung recht kräftig ausgefallen ist. 
Der Anfänger aber wird an Kron-bergpräparaten häufig im Zweifel 
^ein, ob er zarte grauschwarze Stäbchen als Tuberkelbazillen an- 
' sprechen darf. Von vornherein ist ja überhaupt nicht zu entscheiden, 
ob es nicht zarte Stäbchen gibt, die zwar nicht nach Z i e h 1 (das hat 
vieltausendfache Erfahrung gelehrt), wohl aber nach der vorsich¬ 
tigeren Kronbergfärbung säurefest erscheinen, und die sich rein mor¬ 
phologisch nicht von Tuberkelbazillen unterscheiden lassen, ohne doch 
Tuberkelbazillen zu sein. Die Beurteilung der Kronbergpräparate ist 
also nicht so einfach und so sicher wie die der Ziehl-Neelsen-Aus- 
striche. 

Wie sind nun die Unterschiede zwischen den Erfahrungen in 
Grafenwöhr und denen jener Autoren, die mit Kronbergerscher Fär¬ 
bung so viel bessere Ergebnisse hatten als mit Ziehl scher, zu 
erklären? Durch mangelhafte Technik wohl kaum, da die der Sta¬ 
tistik zugrunde liegenden Aufzeichnungen erst begonnen wurden, als 
die Kronbergfärbung genau nach den Angaben ihres Urhebers und 
von Leichtweiss schon einige Zeit geübt war und da während 
des Beobachtungjahres immer wieder auf genaue Befolgung der Vor¬ 
schriften, insbesondere auf vorsichtige, nicht zu starke Erhitzung 
der Ausstriche geachtet wurde. Mit der Einübung verschiedener 
Laboranten wurden auch die Präparate gleichmässiger und frei von 
Farbniederschlägen (die anfangs öfters gestört hatten), aber die Er¬ 
folge wurden nicht häufiger. Im Gegenteil sprachen anfangs die 
Eindrücke mehr zugunsten der Kronbergfärbung, als danach die 
Statistik ergab. Das beruht wohl darauf, dass der Kontrast zwischen 


Nr. 46. 


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■V Google 


den schwarzroten Tuberkelbazillen und dem blassgelben Grund im 
Kronbergpräparat in der Regel stärker ist, als zwischen hellroten 
Tuberkelbazillen und blauem Grund im Z.-N.-Ausstrich. In der 
Statistik zeigte es sich wohl darin, dass 20mal ein Ueberwiegen 
der säurefesten Stäbchen im Kronbergpräparat, nur 10 mal im Ziehl- 
präparat vermerkt wurde. 

Besonders auffallend war dies bei einem, im April 1918'unter¬ 
suchten Fall. In diesem habe ich den Unterschied durch eine Aus¬ 
zählung der gefärbten Tuberkelbazillen zahlenmässig festgelegt. Das 
Verfahren war so, dass wahllos immer neue Gesichtsfelder eingestellt 
werden und dann die Zahl der Tuberkelbazillen, die innernalb eines 
im Okular angebrachten Zählnetzes lagen, aufgezeichnet wurde (das 
Zählnetz deckte 8100 Quadratmikren). Diese Auszählung in den zu¬ 
erst gefärbten und verglichenen Präparaten ergab: in je 50 Quadraten 
nach Ziehl-Neelsen 16 Tuberkelbazillen (8 pos. Quadrate, 
Höchstzahl im Quadrat 5), 

nach Kronberger 144 Tuberkelbazillen (32 pos. Quadrate, Höchst¬ 
zahl im Quadrat 15), 

also genau 9mal mehr Bazillen nach Kronberger gefärbt als nach 
Ziehl. Zur Kontrolle wurde von dem Auswurf eine Anreicherung 
mit dem Antiforminverfahren gemacht, und zwei gleichmässig mit 
dem Bodensatz bestrichene Objektträger nach beiden Verfahren ge¬ 
färbt. Jetzt ergaben die Zählungen 

im Ziehlpräparat 73 Tuberkelbazillen in 20 Quadraten, 
im Kronbergpräparat 322 Tuberkelbazillen in 10 Quadraten, 
also das Verhältnis 36,5:322, das ist annähernd 1:9. 

Es erscheint also unzweifelhaft, dass in diesem Fall ein sehr 
wesentlicher Unterschied in der Färbbarkeit der Tuberkelbazillen 
zugunsten der Kronberger sehen Färbung bestand. Da kurz vorher 
auch eine modifizierte Herman sehe Färbung als vorteilhafter wie 
die Ziehl-Neelsen-Färbung empfohlen war 3 ), machte ich Vergleichs¬ 
präparate zwischen ihr und der Kronbergfärbung mit diesem Sputum, 
die ich in gleicher Weise auszählte. 

Das Ergebnis war: 

Originalausstriche: nach Kronberger 172 T.-B. in 100 Quadraten. 

nach Herman 204 T.-B. in 100 

Anreicherung: nach Kronberger 180 T.-B. in 10 „ 

nach Herman 178 T.-B. in 25 

d. h. bei der Anreicherung auf die gleiche Fläche (81 000 Quadrat¬ 
mikren) bezogen 180 : 71, das ist annähernd 5 : 2. 

Es ist also keine so gute Uebereinstimmung der beiden Präparat¬ 
paare vorhanden, wie oben bei dem Vergleich Kronberger : Ziehl- 
N e e 1 s e n; das deutet darauf hin, dass auch beim Durchzählen vieler 
Gesichtsfelder der Zufall das Zahlenergebnis noch wesentlich beein¬ 
flusst. Die modifizierte Herman sehe Färbung erscheint in diesem 
Fall ebenfalls der Ziehlfärbung wesentlich überlegen, aber der K r o n- 
b e r g sehen vielleicht doch nicht ganz gleichwertig (vergl. die Zahlen 
in den Anreicherungsausstrichen). 

Leider war es nicht möglich, von diesem Krankheitsfall weitere 
Auswurfproben zu verschaffen, um festzustellen, ob die schlechte 
Färbbarkeit der Tuberkelbazillen nach Ziehl hier ein dauerndes 
Merkmal war, denn er betraf einen- Offizier, der nach dem positiven 
Baziilenbefund sogleich die Garnison verliess. Nach ihm kam nun 
noch ein Fall zur Beobachtung, bei dem die ersten Vergleichs¬ 
präparate den Eindruck machten, als ob die nach Kronberger ge¬ 
färbten Tuberkelbazillen wesentlich zahlreicher als die im Ziehl¬ 
präparat seien. Die Auszählung ergab in je 40 Quadraten: 

nach Ziehl-Neelsen: 27 T.-B. (14 pos. Quadrate, Maximum 
in einem Quadrat 7 T.-B.), 

nach Kronberg: 35 T.-B. (21 pos. Quadrate, Maximum in 
einem Quadrat 3 T.-B.). 

Der gegenüber der Schätzung beim ersten Durchmustern der 
Präparate nur geringe Zahlenunterschied schien dadurch mitbedingt 
zu sein, dass sich in den im Ziehlpräparat untersuchten Gesichts¬ 
feldern gerade einige Bazillenhäufchen befunden hatten. Es wurde 
deshalb der Hauptwert auch hier auf die Auszählung nach Anti- 
forminanreicherung gelegt und so verfahren, dass vom Bodensatz 
durch Ausstreichen zwischen zwei Objektträgern 3 möglichst gleich¬ 
mässig beschickte Präpaiatpaare (bez. A, B, C) gefertigt, dann 
jedes Paar nach 2 der zu vergleichenden Verfahren gefärbt wurde. 
Das Ergebnis war: 

Präparatpaar A: nach Herman 271 > nach Ziehl 134 T.-B. 
in 100 Quadraten. 

Präparatpaar B: nach Herman 355 > nach Kronberger 
214 T.-B. in 100 Quadraten. 

Präparatpaar C: nach Ziehl 524 > nach Kronberger 
377 T.-B. in 100 Quadraten. 

In bei den A usstrichen A: 405 T.-B. in 200 Quadraten. 

In bekrefPAusstrichen B: 569 T.-B. in 200 Quadraten. 

In beiden Ausstrichen C: 901 T.-B. in 200 Quadraten. 


3 ) M.m.W. 1918 [vergl. Anm. *)]; Her mansche Färbung 
Färbung in stark alkalischer erhitzter Gentianaviolettlösung mit 
Bismarckbraun. Das Ergebnis entspricht den Bildern der älteren 
Tuberkelbazillenfärbung (von Paul Ehrlich), mit der bekanntlich 
Robert Koch die ersten beweisenden Präparate von Tuberkelbazillen 
im Auswurf und im Gew'ebe gefärbt hat: Tuberkelbazillen violett¬ 
schwarz, Zellen und andere Bakterien hellbraun. 

2 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1284 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 


In beiden Ziehl-Präparaten Au. C: 658 T.-B. in 200 Quadraten. 

In beiden Herman-Präparaten Au. B: 636 T.-B. in 200 Quadraten. 

In beiden Kronberg-Präparaten Bu.C: 591 T.-B. in 200 Quadraten. 

Das Ergebnis der Auszählungen in diesem Versuche kann man 
wohl dahin zusammenfassen, dass irgend ein wesentlicher Unter¬ 
schied zwischen den 3 Färbungen, in diesem Falle nicht besteht, da¬ 
gegen auch im homogenisierten Sputum sich Unterschiede bei dem 
Ausstreichen der Präparate (in der Hauptsache wohl auf der ver¬ 
schiedenen Dicke der angetrockneten Schicht beruhend) nicht ver¬ 
meiden lassen, die mindestens das Vierfache der Bazillenzahlen auf 
der Flächeneinheit ausmachen -können. Es ist aber sehr unwahr¬ 
scheinlich, dass der noch mehr als dopoelt so grosse und in zwei' 
Präparatpaaren ganz gleichmässig gefundene Unterschied zwischen 
Ziehl- und Kronbergfärbung im erstangeführten Falle auch auf solche 
technische Fehler zurückzuführen sei. 

So komme ich zu dem Schluss, dass es vermutlich sehr seltene 
Fälle gibt, in denen sich die Tuberkelbazillen (oder ein grosser Teil 
von ihnen) nach Ziehl-Neelsen schlecht, aber gut nach Kron¬ 
berger färben lassen; es ist noch nicht zu sagen, ob nicht, etwa 
eben so selten, Fälle Vorkommen, die sich umgekehrt verhalten. Die 
Befunde von dem grossen Vorteil der Kronberger sehen Färbung 
sind vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Beobachter infolge 
eines Vorurteiles für das neue Verfahren die nach Ziehl gefärbten 
Präparate nicht mit der gleichen Sorgfalt und Ausdauer durchmustert 
haben, wie die nach Kronberger gefärbten. Vielleicht sogar darauf, 
dass sie, beeinflusst durch, den klinischen Befund bei den ihnen be¬ 
kannten Fällen (denn es handelt sich hier um Fälle aus Lungen¬ 
heilstätten) auoh zweifelhafte, beim Kronbergverfahren nicht ganz 
entfärbte Stäbchen als Tuberkeibazillen ansprachen. 

Für die Praxis ergibt sich, dass die Kronbergfärbung die altbe¬ 
währte Ziehl-Neelsen-Färbung nicht ersetzen kann, Gleichwohl ist sie 
nicht ohne praktischen Wert und sollte meines Erachtens neben jener 
in möglichst ausgedehntem Masse angewendet werden, aus zweierlei 
Uründen: einerseits weil sie jener in einer gewissen, wenn auch 
kleinen Zahl von Fällen vielleicht doch überlegen ist; andererseits, 
weil es zu einer gründlichen und sorgfältigen Untersuchung, die 
immer das wesentlichste beim Tuberkelbazillennachweis ist, sehr vor¬ 
teilhaft ist, zwei verschiedene Färbungen anzuwenden. Das grösste 
Hemmnis für die Auffindung der Tuberkelbazillen scheinen mir näm¬ 
lich die Langeweile und die Unaufmerksamkeit zu sein, die sich beim 
Durchmustern vieler negativer Ausstriche notwendig einstellen. Am 
besten wirkt ihnen wohl ein Wettbewerb entgegen, wenn es sich so 
einrichten lässt, dass bei jedem negativen Befund eine zweite Probe 
von einem anderen Untersuoher entnommen, ausgestrichen, gefärbt 
und durchmustert wird. Auch Fehler im Färbeverfahren, die auch 
den üeübtesten bei Störungen während der Arbeit immer unter¬ 
laufen können, werden dadurch ausgeschaltet Ist nun aber in 
kleineren Laboratorien ein solcher Wettbewerb zwischen verschie¬ 
denen Untersuchern nicht einzurichten, so wird durch den Vergleich 
zweier verschiedener Verfahren doch das Interesse an den Präpa¬ 
raten geschärft; durch das verschiedene Aussehen der gefärbten 
Ausstriche wird die Aufmerksamkeit angeregt und endlich wird dem 
Leiter der Anstalt die Kontrolle erleichtert, dass tatsächlich von 
jeder Probe zwei Präparate gelertigt und unabhängig voneinander 
gefärbt werden (gleichzeitige Färbung zweier Ausstriche nach einem 
Verfahren bringt wenig Nutzen, weil ein Fehler höchstwahrscheinlich 
beide Präparate betreffen wird). Aus diesen psychologischen Grün¬ 
den bin ich deshalb geneigt, den Gewinn durch Anwendung beider 
Färbemethoden grösser einzuschätzen, als die % Prozent die die 
Jahresstatistik für Fälle ergibt, die nur nach dem einen Verfahren 
positiv befunden wurden. 

Ob nun aus den eben angeführten Gründen die Anwendung der 
modifizierten flermansehen Färbung neben der Ziehl-Neel- 
senschen die gleichen Vorteile bieten würde wie das Kronberg¬ 
verfahren (oder noch grössere, weil sie seltener Anlass zu Zweifeln 
gibt), das könnte erst auf Grund einer längeren Beobachtungsreihe 
entschieden werden.__ 

Warum sterben an der Grippemischinfektion gerade 
die kräftigsten Individuen? 

Von Dr. med. A. W. Fischer (Halle), Oberarzt d. R., 
zurzeit im Felde. 

Wie schon früher von anderer Seite und von mir*) besonders 
hervorgehoben wurde, erlagen der jetzt überwundenen Grippe, oder 
genauer der sich an diese anschliessenden Mischinfektion mit Kokken 
fast ausschliesslich die kräftigsten Individuen. Fast regelmässig 
wurde mir während der Sektion mitgeteilt, der Verstorbene sei der 
körperlich leistungsfähigste unter all seinen Kameraden gewesen, er 
sei der Krankheit innerhalb weniger Stunden blitzartig erlegen. Zu 
einem grossen Teil waren es Urlauber der Kampftruppen von der 
Front, die in dieser Weise in der Heimat jäh zugrunde gingen. Die 
Toten gehörten auch ausschliesslich dem kräftigsten Lebensalter an, 
sie standen meist zwischen 20 und 35 Jahren. 

*) M.m.W. 1918 Nr. 46, Sitzungsbericht des Vereins der Aerzte 
zu Halle vom 31.. VII. 18. . 

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Umsomehr war es auffällig, dass Todesfälle bei kachektiscben 
Leuten, bei Unterernährten oder sonst irgendwie geschwächten Per¬ 
sonen, die der Kokkenmischinfektion bei Grippe hätten zur Last ge¬ 
legt werden können, fast völlig fehlten. Auch in. den befallenen Tuber¬ 
kulosestationen hatte die Mischinfektion keine Opfer gefordert. 

Der mögliche Einwand, mein Material betreffe nur gesunde kräf¬ 
tige Menschenklassen, wäre nicht stichhaltig, es setzt sich sowohl 
aus Rekruten, Fronturlaubern als auch aus Landsturmleuten, La¬ 
zarettinsassen, Gefangenen und der Zivilbevölkerung zusammen. 

Bei der Beurteilung muss man scharf trennen zwischen den 
Fällen, die an unkomplizierter Grippe starben, und jenen, die der 
Mischinfektion erlagen. Was die einzelnen anatomischen Merkmale 
dieses Unterschieds betrifft, so verweise ich hier auf meine früheren 
Ausführungen*). Schon damals habe ich darauf hingewiesen, dass 
ich während meiner Tätigkeit im pathologischen Institut Halle nur ganz 
vereinzelte Todesfälle an reiner unkomplizierter Grippe gesehen habe. 
Bei diesen insgesamt drei Fällen handelte es sich zweimal uxß 
hochgradigen chronischen Nährschaden und einmal um einen aus¬ 
gesprochenen Status thymico-lymphaticus. Alle drei Leute waren 
also in einem so labilen Lebensgleichgewicht, dass schon der ge¬ 
ringste Anlass: hier die an sich harmlose unkomplizierte Grippe, d?n 
Tod veranlasste. 

Von der Mischinfektion werden auch schwächliche Individuen 
befallen, wie mir übereinstimmend mehrfach von klinischer Seite 
mitgeteilt wurde, doch erlagen, wie ich oben ausführlich schilderte, 
auffälligster Weise nur die Kräftigen der Krankheit. 

Diese völlig unumstössliche Tatsache der Bevorzugung der 
Kräftigen muss nun notwendigerweise zu dem Gedanken führen, 
dass diesen Leuten eben gerade ihre körperliche Kräftigkeit, nicht 
wie man erwarten sollte, zum Vorteil, sondern eher zum Verhängnis 
wird. Es ist wohl anzunehmen, dass die auf den bakteriellen Reiz 
erfolgenden vitalen Abwehrreaktionen bei gesunden kräftigen Indi¬ 
viduen von besonderer Heftigkeit sind. — Die Mischinfektion bei 
Grippe ist nun ausschliesslich durch Kokken bedingt. Die Kokken 
gehören bekanntlich zu den Bakterien mit starken Innengiften. Eine 
plötzliche Abtötung und Auflösung der, wie ja die Tracheal- und 
Bronchialabstriche zeigen, auf den ausgedehnten Schleimhautober- 
ilächen in geradezu ungeheuren Mengen vorhandenen Kokken würde 
also eine schlagartige, plötzliche Ueberschwemmung des betreffenden 
Kratzen mit jenen innengiften bewirken müssen. Meines Ermessens 
gehen nun die kräftigen Leute so schnell an der Mischinfektion zu¬ 
grunde, weil eben gerade bei ihnen infolge der Güte und Stärke ihrer 
Abwehrkräfte die Auflösung der Bakterien und das Freiwerden ihrer 
ilnnengnte auf einmal, plötzlich erfolgt. Der so akut vergiftete Körper 
erliegt in wenigen Stunden. Weniger kräftige und schwächliche 
Personen vermögen die Bakterien erst mehr oder minder allmähli ch 
abzutöten und aufzulösen; bei diesen gelangen also die nun wirksam 
werdenden innengifte mehr oder minder allmählich in geringen 
Mengen in den Sättekreislauf und werden in diesen geringen Mengen 
nach und nach überwunden. 

Diesen Gedankengang fand ich in der mir allerdings nur recht 
beschränkt zur Verfügung stehenden Literatur in dieser Weise bisher 
nicht erwähnt, nur Much beschreibt in seinem Buche über die 1m- 
munitätsWissenschaft einen Versuch, der t durchaus eine Parallele 
bietet: Zwei Versuchstiere erhalten beide eine hohe, aber nicht töd¬ 
liche Dosis von Endotoxinbakterien, das eine der Tiere zugleich 
einen Immunkörper. Dieses Tier stirbt, weil es den plötzlich frei¬ 
werdenden Innengiften der durch den Immunkörper abgetöteten 
Baktciien erliegt. Das zweite iicr erkrankt, bleibt aber am Leben. 
Dieser Tierversuch ahmt meiner Ansicht völlig die Verhältnisse bäi 
der Grippemischinfektion nach. 

Noch für manche andere Krankheit dürften sich hier Vergleiche 
ansteillen lassen, so z. B. für das Erysipel, doch fehlt es hier im Felde 
an den dazu nötigen Unterlagen. 

Auf welch andere Weise als wie oben geschildert, man sonst 
die nun einmal feststehende Tatsache der „Bevorzugung der Kräf¬ 
tigen“ erklären könnte, weiss ich nicht. Den Grund dazu in einer 
besonderen Virulenz einzelner sonst morphologisch und kulturell 
gleichartiger Bakterienstämme zu suchen, ist doch nicht angängig, 
denn dadurch würde kaum der tödliche Ausgang gerade bei den 
Kräftigsten erklärt werden. 

Die Annahme, dass gerade die Güte und das prompte Funk¬ 
tionieren der vitalen Abwenrkräfte verhängnisvoll seih soll, erscheint 
ja zuerst widernatürlich und unsinnig, aber widerspricht es nicht 
ebenso dem sogen, gesunden Menschenverstand, dass einer Epidemie 
fast ausleseartig die kräftigsten Leute erliegen, während die davon 
befallenen Schwächlinge am Leben bleiben? 

Aus der Bevorzugung des Alters bis zu 35 Jahren hat man 
v-ielerseits auf einen Immunitätsschutz der älteren Personen von 
jener Epidemie im Jahre 1890 her schiiessen zu müssen geglaubt. 
Diese Annahme ist aber nach dem Vorstehenden gar nicht notwendig, 
denn selbstverständlich sind in dem erwähnten Alter die Körper¬ 
kräfte am besten im Stande. Auch 1890 hat sich das gleiche Bild 
dieser Vorliebe für das mittlere Alter gezeigt, trotzdem damals 
60 Jahre seit der vorhergehenden Epidemie verflossen waren. Da¬ 
mals hätte ein Immunitätsschutz doch nur bei über etwa 65 Jabre 
alten Leuten vorhanden sein können! 

I ___ 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



12. November 191$. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1285 


Aus der Klinik für psychisch und Nervenkranke Bonn 
tuen. Rat a. Wesipnal;. 

lieber Umiiroüenzoiverginungen. 

Von Prol. Dr. A. H tiuoner, Oberarzt der Klinik. 

In letzter Zeit ist die Frage aufgeworfen worden, wie weit ge¬ 
wisse orgamsone öticKStonveroinaungen, <he zur Miumtionsbereitung 
in aen Urossbetrreoen veraröeitet weruen, scnauucn aui oen Organis¬ 
mus oer sianoig m niesen Betrieben taugen Aroeiter emwirxen. 

Bea» uns in Deutscniana sinn ungünstige crianrungen grosseren 
Umianges anscneinenu oisuer ment gemaent woruen. m nngianu. ist 
das oer rau gewesen, wie sich aus einem Bericm von KoiscbV 
ergibt. ns nanocit sicn m oen enguseneu Muimionsiaon&en um oas 
irpnirotoiuoi, oas Katarrne oer Lunwege, Magen-uarmerscneinungeu, 
Üermauus, Diulv er anoer ungen, tvenoiunvoixaeit, Depression unO 
Krampte nervorriet. 

riscner*; nat aus Deutschland über 13 Todesfälle berichtet, 
für ote er lrumrotomoi -+- ieiramiromcuian veramwortuon maent. 
Die Mitwirkung oes letzteren wird tur aie F i s c ti e r senen Fälle von 
K olscn bestritten. 

rueueroiiigs nat Cords 3 ) aus der Bonner Augenklinik über 
Sehnervtnocumue bei Munitionsarbeitern, oie mit Lhmtrobenzol 
aroeneten, oenemet. 

reruer nat atursberg 4 ) in der Niederrhein. Gesellschaft für 
Natur- unu neuaunue in Bonn einen rau ausiunrncn besonnenen, in 
aein sich ncrzsiurungen, i>iuiVeränderungen uikl senwere organische 
Nervensymptuine ncoenemanoer ianuen. bt. stellte oem rau eine 
scuieciue rrognose. 

ln einer demnächst erscheinenden Arbeit wird Nissing über 
friscue Dmiungen un Augemnuter giuno emes Ar Deiters aus einem 
emsemagigen Betriebe Der reuten uno Keis una mssing weroen 
aucü nocu weitere. Kennervenoerunoe in Kurze mitteuen. 

Durcn oie rreunoncnkeit oes nerrn Dr. Nissing ist es mir 
moghen gewesen, Munitionsarbeiter. Oie starker erkrankt waren, ge¬ 
nau zu uutersucnen. 

Daneoen naoe ich in der Fabrik selbst einer der allmonatlich 
stattnuueiKien Musterungen beiwohnen ourien und so die AngaDen 
von noen aroeitsiamgcn Werxsangenongen nmangenort. 

D*e wirksame ^uostanz, weiene unserer Ansrent nach das Krank- 
heitstmo nervorruit, ist oas Dmurooenzoi. Mugewirkt hat m einem 
Ten oer raue ausseroem Kai. peremorat. 

Geber oie Art, wie oie Flüssigkeit in den Körper aufgenommen 
wird, nerrsent doch keine voiuge Einigkeit. Die onemiker glauben, 
dass es vorwregena o>urcn oie naut resororert wiro. Oeiahroet sind 
insbesondere <ne nanoe. Lue Arbeiter tragen deshalb auch sämtlich 
Hanascmine. 

uo diese Annahme uneingeschränkt richtig ist, scheint mir noch 
mebt srener, denn abgesenen davon, dass doch nur immer kleine 
Hauuiacnen in direkte Berührung mit der untsubstanz kommen, macht 
die Arbeit es unvermeidlich, dass der in einem ruriraum Beschättigte 
sehr viel warme Dampie einatmet. 

Der Weg durch die Atmungsorgane wird deshalb doch wohl bei 
prophylaktiscnen Massnahmen m>t zu berücksichtigen sem. 

Wichtig ist die iatsacne, dass- im Winter die Zahl der auf- 
tretenoen Krankheitsfälle wesentlich geringer ist als im Sommer, 
in heissen Sommern U. B. 1915) werden erheblich mehr Erkran¬ 
kungen beobachtet als in kühleren (z. B. 1918). 

Was das Krankheitsbiki selbst an Langt, so ergibt sich aus meinem 
Material folgendes: 

Bezüglich der Anamnese sind wichtig: 1. voraufgegangene 
Intoxikationen, 2. eine Disposition zu Neurosen. 

Die vor auf gegangenen Intoxikationen nenne ich deshalb, weil ich 
einen Fall gesehen habe, in dem der Fat. vor dem Kriege schon eine 
Bleivergiftung durchgemacht hatte. Einige Wochen nach Eintritt in 
den Mumtionsbetrreb stellten sich bei ihm die ersten charakteristi¬ 
schen subjektiven Beschwerden der Dinitrobenzolvergiftung ein. 

Das ungewöhnlich frühe Auftreten der ersten Vergittungsersohei- 
nungen lässt an die Möglichkeit denken, dass die voraufgegangene 
Schädigung des Organismus durch Blei das Zustandekommen der 
zweiten Vergiftung, begünstigt hat. 

Was die Neurosen anlangt, so muss, ehe ursächliche Zusammen¬ 
hänge konstruiert werden, ausgeschlossen werden, dass vor Eintritt 
in die Munitionsfabrik neurotische Symptome bestanden haben. 

Wichtig ist auch die Erfahrung, dass einige Kriegsneurotiker, 
die zur Arbeitsaufnahme in den Munitionsbetrieb entlassen worden 
waren, -Wer eine Verschlimmerung ihrer Neurose erfuhren. 

Voraufgegangene schwere Kopfverletzungen (Kommotionen) 
scheinen auf Entstehung und Verlauf der Vergiftung keinen Einfluss 
zu haben. i. ■ i 

Besondere Aufmerksamkeit habe ich der Frage gewidmet, wie 
lange die einzelnen Arbeiter im Betriebe Dienst getan -hatten, ehe 
die ersten Erscheinungen auftraten. 

Es zeigte sich, dass e& Werksangehörige gibt, die bis zu zwei 
Jahren mit Dinitrobenzol gearbeitet hatten, ohne mehr als einige 


4 ) Mjn.W. 1918 S. 625. 

*) Zschr. f. Gew.-Hyg. 1917 11 I. 

*) Djn.W. 1918. 

•) DmW. 1918. Vereinsber. 

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leichte subjektive Beschwerden, wie gelegentliche Kopfschmerzen 
oder etwas Kribbeln in den ringern zu bekommen. Aucü ihr Aus¬ 
sehen war ein gutes. 

Leichte, vorhergehende, subjektive Beschwerden, wie Kopf¬ 
schmerzen, treten bei vielen Arbeitern schon in den ersten Wocüen 
napü Einstellung in den betrieb auf. 

Gröbere btörungen, namentlich solche, die objektiv nachweisbar 
sind, fanden sich irunestens naeü etwa dreimonatiger Tätigkeit Die 
meisten meiner Fat. hatten 9—18 Monate gearbeitet, ehe sie den Arzt 
aui silenten. Sie boten dann allerdings ein ausgeprägtes Krankheits- 
biki. 

Ueber die Entwicklung der Erkrankung und die 
subjektiven Beschwerden ist folgendes zu sagen: 

Das Leiden beginnt mit bald zeitweise auttretenden, bald ständig 
vorhaiKieren Kopiscnmerzen. Dieselben weroen entweder als sucne 
bescnrieben („ais wenn oer Scnaoel an der senroerznaiten stelle 
beruntergenssen würde'*), oder ais dumpfes und lahmes Ueiuhl („als 
wenn der Kopi ganz dick wäre"). Die Kranken lokalisieren die 
Scnmerzen in den ganzen Kopf oder in Stirn ooer flinterkopf. 

rast gleichzeitig ooer nur kurze Zeit danach stehen sich in 
Armen und Beinen Schmerzen ein, die von mehreren Fat als 
senr üeitig gescmidert werden. Sie finden sich hauptsächlich in 
den Fussen, unierscnenkeln, Händen und Unterarmen. 

Einige Kranke gaben an, dass bei Warme die Schmerzen zu- 
nä'hmen; aesnahD macnien sie sich im Bett kalte Umschläge oder 
deckten Fusse und Unterschenkel nachts nicht zu. 

Die Scnmerzen sind nicht bei allen Leuten von gleicher Stärke. 
Manche Fat naoen sie nur beim Genen ooer Arbeiten, in manchen 
Fallen sind; sie sogar nur vorübergehend vorhanden und beein¬ 
trächtigen das Wohlbefinden des Kranken wenig, in anderen Fallen 
wieder sind sie so heuig, dass der davon Beiallene kaum gehen 
kann. Em 57 jahr. Mann iab an, dass er meine, die Zehen brächen 
ihm ab, wenn er damit an das Leintuch des Bettes herankäme. 

Auch über Kälte in Händen und Fussen wird geklagt 

Neben diesen reassenoen und brennenden Schmerzen haben die 
Pat. meist das Gefühl des Ameisenlaufens in Händen, Unterarmen, 
Füssen, Unterschenkeln („unter der Haut**). Auch das wurde mit¬ 
unter als so schmerzhaft geschildert, dass die Fat deswegen nicht 
schlafen konnten. 

Diese Sensationen verbinden sich mit einer Herabsetzung der 
Gefühisemphnoung für Berührung, Schmerz, Temperatur und mit 
zunehmender Uniahigkeit kleine, m dre Hände genommene Gegen¬ 
stände zu erkennen. Gerade der letzteren Erscheinungen werden 
sich die Kranken früh bewusst. 

ln einem Falle erstreckten sich die eben geschilderten Beschwer¬ 
den nicht allein auf dre Arme und Beine, sondern betraten auch 
die Geschlechtsteile, insbesondere das Glied. S(ie waren mit Impotenz 
verbunden. 

Bei einem anderen Kranken bestanden neben den geschilderten 
Beschwerden anfallsweise aut tretende, reissende Schmerzen im 2. 
und 3. Trigeminusaste links. 

Es handelte sich um den mit Bleivergiftung komplizierten Fall. 

Sehr früh stellt sioh bei einem Teil der Fat. auch das Gefühl 
der Mattigkeit und eine merkliche Abnahme der Energie ein, die die 
Kranken sehr unangenehm empfinden. 

Hinzugesellt sich Angstgefühl, Druck auf der Brust, Atemnot 
und Herzklopfen. 

Das Herzklopfen stellt mitunter die Einleitung zu richtigen Ohn¬ 
machtsanfällen dar. 

ln einem Teil der Fälle kommt es zu mehrfach sich wiederholen¬ 
den, anfallsartig aultretenden Zuständen von Bewusstlosigkeit Ein 
Pat. beschrieb dieselben folgendermassen: 

Er habe plötzlich das Gefühl, als ob ihn jemand auf den Kopf 
schlage. Dann verliere er das Bewusstsein, stiere —- wie man ihm 
gesagt habe — vor sich hm, ohne hinzufallen. Manchmal zeigten 
sich auch einige kurze Zuckungen in den Gliedern. Nach 1—2 Mi¬ 
nuten erwache er wieder. Er verspüre danach ein Gefühl grosser 
Abgesclilagenheit und 1 starken Hunger. 

Ein anderer Kranker (wieder der mit der früheren Bleivergiftung) 
beschrieb mehrere epileptiforme Anfälle mit Zungenbiss 6 ). 

Mitunter kommt es nicht zu richtigen Anfällen mit Bewusst¬ 
losigkeit, sondern es treten nur Schwindelerscheinungen auf, die ge¬ 
legentlich so stark werden, dass der Pat.. hinfällt 

Auslösende Ursachen für die Anfälle fehlen oft Am häufigsten 
werden leichte körperliche Anstrengungen (z. B. ein rasch zurückge¬ 
legter Weg von 5—10 Minuten) genannt. Aber auch psychische Ur¬ 
sachen (z. B. eine Differenz mit einem Vorgesetzten) haben solche 
Zustände gelegentlich ausgelöst. 

Eine merkwürdige Erscheinung, -die ich nicht selbst beobachtet 
habe, beschrieb mir ein anderer Patient. 

Nachdem er schon einige Monate lang richtige Krampfanfälle 
mit Bewusstseinsverlust aber ohne Zurageijbisse und Urinverlust ge- 
gehabt hatte, verspürte er im April ds. Js. plötzlich ein ruckartiges 
Ziehen in den Händen („als wenn ich plötzlich ganz stark elektrisiert 
würde“) mit nachfolgendem, 5 Minuten anhaltendem Beugekrampf der 
Arme. Das Bewusstsein war dabei nicht getrübt. 


# ) Es sei hier darauf hingewiesen, dass A. Westpbal vor 
einigen Jahren das Vorkommen von Krämpfen und apraktischen Stö¬ 
rungen bei Bleivergiftungen beschrieben hat. 

je 

Original fron 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1286 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 


Der Beschreibung nach erinnerten diese Zustände in mancher 
Beziehung an die Tetanie. Sie traten anfangs 2—3 mal wöchentlich 
auf, später 3—^4 mal täglich. -Gegenstände, die er beim Einsetzen 
der Krämpfe in der Hand hielt, musste er fallen lassen. Es ist ihm 
bei solchen Gelegenheiten öfters das Essgeschirr aus den Händen 
gefallen. 

Sehr früh treten zu den bisher geschilderten Symptomen Seh¬ 
störungen. Die Kranken klagen über eine sich rasch steigernde Ab¬ 
nahme der Sehkraft. 

Etwas seltener ist eine gleichzeitig auftretende zunehmende 
Schwerhörigkeit, die hohe Grade erreichen kann. Subjektiv be¬ 
steht daneben Sausen in den Ohren. 

lieber Geruchs- und Geschinacksstörungen wurde nicht geklagt, 
wohl aber über Schwellungen- in der Nase. Einmal soll auch vor¬ 
übergehendes Doppelsehen bestanden haben. 

Auf psychischem Gebiete klagten die Pat. über Gedächtnis¬ 
störungen, gesteigerte Reizbarkeit, Angstgefühl, vorübergehende Ver¬ 
wirrtheit. 

Ferner wurde mir von dem Fabrikarzt, Herrn Dr. Nissing, 
berichtet, dass auch schwere Erregungszustände mit Neigung zu Ge¬ 
walttaten beobachtet worden seien. 

. Sowohl das psychische, wie das körperliche Befinden soll, wie 
die Kranken stets angeben, sehr von der Dauer der Arbeit abhängen. 
Kurze Schichten werden besser vertragen, als längere. Einige Tage 
leichterer Beschäftigung an weniger gefährdeter Stelle des Betriebs 
bessert den Zustand bereits merklich. 

Bei solchen Pat., die schon deutliche organische Symptome 
hatten, bewirkt die Rückkehr in den gefährlichen Betrieb öfters 
rasche Verschlimmerungen. 

Damit sind die wesentlichsten Angaben der Pat. ziemlich er¬ 
schöpfend wieder gegeben. % 

Die objektive Untersuchung -der Kranken ergibt nun 
folgendes: 

Der Ernährungszustand ist anfangs, d. h. in der Zeit des Auf¬ 
tretens der ersten subjektiven Beschwerden noch gut. Später ver¬ 
schlechtert er sich merklich. Die Haut und die sichtbaren Schleim¬ 
häute sind entweder blau verfärbt oder blass. Mitunter findet man 
ein leichtes Oedem der Augenlider. Sonstige Oedeme habe ich nicht 
gesehen». Ebenso wenig Exantheme. Die Fingernägel erscheinen 
manchmal eigentümlich rissig. 

Die Pupillen waren meist von etwa mittlerer Weite. Sie zeigten 
keine Störungen der Reaktionen. Nystagmus fehlte. Augenmuskel¬ 
lähmungen habe ich objektiv nie nach weisen können*. Auch Herr 
Dr. Nissing — ein spezial ist i sch vorgebildeter Augenarzt — hat 
solche nie gesehen. 

Das Sehvermögen war m der Mehrzahl der Fälle bald mehr, 
bald weniger herabgesetzt. 

Am Augebhintergrund hat Herr Dr. Nissing einmal» frische 
Blutungen, im übrigen, sofern Sehstörungen geklagt wurden, eine 
mehr oder minder ausgesprochene neuritiscbe Atrophie gefunden. 

Die Trigemimispunkte wurden einige Male druckschmerzhaft ge¬ 
funden. Es konnten auch gelegentlich Sensibilitätsstörungen (Hyp- 
ästhesie und Hypalgesie) in -einzelnen Aesten des Trigeminus nach¬ 
gewiesen werden. 

Geschmacks*- und Geruchsstörungen fehlten. 

Etwas seltener, als die Herabsetzung des Sehvermögens, fand 
sich Schwerhörigkeit, die in wenigen Wochen entstanden war, nicht 
auf entzündliche Prozesse im Innern Ohr zurückgeführt werden 
konnte und auch nicht zentralen, sondern peripheren Ursprungs war. 

Eine Fazialisschwäche beiderseitig habe ich einmal bei einem 
besonders schweren Falle gesehen, der auch beträchtliche Seh- und 
Hörstörungen darbot. 

Hornhaut-, Rachen- und Gaumenreflexe waren vorhanden. Zun¬ 
gen- und Gaumenbewegungen waren ungestört, Schluckakt und 
Sprechen desgl. 

Am Rumpf und der Wirbelsäule habe ich pathologische Befunde 
nicht erhoben. 

Die Arme waren frei »beweglich, die grobe Kraft war nicht 
merklich herabgesetzt, doch behaupteten verschiedene Patienten, sie 
hätten durch die Krankheit sehr an Kraft verloren. Die Reflexe 
waren ungestört. Mitunter bestand etwas Händezittern. Das Gefühl 
für alle Qualitäten (Berührung, Schmerz, Temperatur) war an den 
Händen herabgesetzt. Die Tiefensensibifität erhalten. 

Ataxie fehlte. Es bestand kein Intentionszittem. 

Die Muskulatur der Oberarme, ebenso einzelne Nervenstämme 
waren druckschmerzhaft. Muskelatrophien fehlten. Die elektrische Er¬ 
regbarkeit der Muskulatur war nicht verändert. 

Sehr charakteristisch und fast stets vorhanden, war folgende 
Störung: 

Wenn* man den Pal kleine Gegenstände in die Hand legt, er¬ 
kennen sie dieselben entweder gar nicht oder nur unvollkommen. 
So wird z. B. ein Wattebausch fast regelmässig überhaupt nicht be¬ 
merkt. Wie sich im übrigen die Kranken -bei der Untersuchung ver¬ 
halten, mag der folgende Auszug aus einem Protokoll zeigen. 
Zehnpfennigstück — runder Gegenstand, 

(auf näheres Befragen) — Geld, 
wieviel — vielleicht 10 Pf., kann es nicht genau sagen. 
Sicherheitsnadel — weiss nicht, ob Holz oder Metall, 
(Aufforderung den Gegenstand nochmals zu betrachten-) — Stahl¬ 
feder. 


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Stahlfeder — Nadel. 

Bohne — Stein. 

Kaffeebohne — Stein. 

Erbse — runder Gegenstand. 

Kinderhammer — fühlt sich schwer an. als ob es Eisen wäre. 

Kleines Biechkästohen — es ist, als wenn es Blech wäre; ich 
kann die Form fühlen, es ist viereckig und glatt 

Samtnadelkissen — es ist, als wenn ich ein Stück Tuch fühlte. 

Geflochtenes Puppenkörbchen — runder Gegenstand, nicht glatt, 
nicht rauh. 

Sobald andere Sinne zu Hilfe genommen werden, erkennt der 
Pat. den Gegenstand sofort. Wenn man ihm z. B. einen Geldschein 
in die Hand steckt, dann bezeichnet er -denselben nicht richtig, so¬ 
fern er nur tasten kann. Raschelt das Papier aber, dann sagt der 
Kranke sofort, dass es Papier ist. Er fügt meist selbst hinzu, dass 
er es gehört hätte und betont besonders, dass es ihm ohne Zuhilfe¬ 
nahme des Gehörs nicht möglich gewesen» wäre, das Richtige zu 
treffen. 

Ueber das Verhalten der Unterextremitäten ist folgendes zu 
sagen: 

Die Muskulatur der Ober- und Unterschenkel ist manchmal 
druckschmerzhaft, auch einzelne Nervenstämme schmerzen beim Ab¬ 
tasten (Ischiadikus, Peroneus). 

Ausgesprochene Lähmungen in bestimmten Nervengebieten sind 
selten, kommen aber gelegentlich vor. So hatte ein Meister aus 
dem Betriebe, dem» ich die wissenschaftlichen Unterlagen für diese 
Arbeit verdanke, eine periphere Peroneuslähmung. 

Die Kniesehnenreflexe habe ich nie gesteigert gefunden, manch¬ 
mal waren sie etwas schwächer als normal, ebenso die AchiHes- 
sehnenreflexe. Fussklonu-s und Babinski fehlten stets. Gangstörurrgen 
wurden nicht beobachtet. 

Zweimal sah ich starkes Muskelwogen bei leichter Erkrankten. 
Sie hatten dann noch andere Zeichen der Neurose, wie totale Anal¬ 
gesie, Fehlen der Kornealreflexe, Händezittern, Pulsbeschleuuigung. 

Trophisehe Störungen an der Haut habe ich, abgesehen von den 
Nägeln, nicht beobachtet. 

Die Untersuchung des Herzend zeigte da, wo neurotische Er¬ 
scheinungen fehlten-, d. h. in der Mehrzahl der Fälle. Verbreiterungen 
nach Hnks und rechts. An der Herzspitze, gelegentlich auch über der 
Aorta, fanden sich systolische Geräusche. Der Puls war bei einem 
Teil der Fälle hart und unregelmässig und meist verlangsamt 
(52—70). 

Der Blutdruck, nach R i v a - R o c c i gemessen, betrug auch bei 
Jüngeren Individuen mehrfach 130—140 mm. 

Der Hämoglobingehalt betrug 70—90 Proz. Eine spektro¬ 
skopische Untersuchung -des Blutes konnte ich nicht ausführen. Eben¬ 
so musste die Anfertigung von Blutpräparaten unterbleiben. 

Die Wassermann sehe Reaktion war bei 4 untersuchten Fäl¬ 
len im Blut negativ. Die Lumbalpunktion musste meist unterbleiben, 
weil die Untersuchungen ambulant ausgeführt wurden. Bei dem ein¬ 
zigen stationär Behandelten fand sich keine Zellvermehrung. Die 
Ammoniumsulfatprobe war negativ, der Wassermann auch negativ. 

Der Urin war klar, enthielt nie Eiweiss oder Zucker, auch kein 
Blut. Doch gäben einige Pat. an, dass der Urin, solange sie im Be¬ 
triebe arbeiteten, wie Blut ausgesehen habe». 

An den Lungen habe ich, abgesehen von gelegentlichen — wohl 
akzidentellen — Bronchitiden und von etwas Emphysem bei älteren 
Arbeitern, nichts Krankhaftes gefunden. 

Lebervergrösserungen, wie überhaupt Veränderungen an den 
Bauchorganen, habe ich nicht nachweisen können. Einige Male be¬ 
stand allerdings vorübergehend Erbrechen und Durchfälle. 

Wir kommen damit zu den psychischen- Veränderungen. Dass 
Erregungs- und Verwirrtheitszustände Vorkommen, habe ich oben 
schon erwähnt. Selbst beobachtet habe ich keiner solchen, so dass 
ich eine nähere Beschreibung derselben nicht geben kann. 

Ueber die Anfälle habe ich auch bereits gesprochen und auch 
gezeigt, dass zum mindesten ein Teü derselben mit Zirkulationsstö¬ 
rungen aufs engste verbunden ist. 

Bei meinen- eigenen Untersuchungen ist mir folgendes auf- 
gefallen: 

Während die leichteren Fälle, namentlich im Anfangsstadnim 
psychisch nichts Besonderes bieten, machen die Kranken, bei denen 
schwerere neuritische Veränderungen bestehen, einen stumpfen Ein¬ 
druck. Obwohl sie eine rasch zunehmende Seh- und Hörstörung 
bekommen haben und auch sonst mancherlei bedrohliche Symptome 
darbieten', sind sie nicht beunruhigt, tun stumpf, was man von ihnen 
verlangt, und denken- wenig darüber nach, ob das Leiden durch die 
Behandlung besser wird oder nicht. 

Die von den Kranken geklagte Reizbarkeit scheint in diesem 
Stadium nur selten und auch dann nur bei besonderen Veranlassungen 
hervorzutreten. Häufiger stellt sie sich in dem Anfangsstadium, um 
die Zeit, wo die Kranken noch arbeiten, ein. 

Eine Prüfung des Gedächtnisses lässt um die Zeit, wo wir die 
oben- beschriebene Stumpfheit finden, gewisse Defekte des Wissens, 
mitunter auch leichte Urteilsstörungen erkennen, mehr findet sich 
nicht. — 

Wenn wir jetzt, nachdem wir die wichtigsten subjektiven und 
objektiven Zeichen der Erkrankung kennen gelernt haben, in eine 
klinische Erörterung des Kramkbeitsbildes eintreten, so scheinen mir 
zwei Symptomenkomplexe nebeneinander zu bestehen, nämKch 

Original fro-m 

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12. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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1. ausgeprägte Zeichen einer Affektion des Herzens verbunden mit 
Kreislaufstörungen und 2. nervöse Erscheinungen. 

Die letzteren sind vorwiegend neuritischer Natur, man kann in 
den leichten und mittelschweren Fällen direkt von einer Polyneuritis 
sprechen. Zum mindesten in den schwereren Fällen fehlen aber 
zerebrale Erscheinungen nicht. Zu den letzteren gehören die Ge- 
dächtnisdefekte, die psychische Stumpfheit und die Reizbarkeit. Auch 
die Erregungszustände sind hier zu erwähnen. 

Wie weit die Behinderung des taktilen Erkennens kleiner Gegen¬ 
stände zerebral mitbedingt ist, lässt sich auf Grund meiner bisherigen 
Untersuchungen noch nicht sicher sagen. Ich werde dieser Frage 
noch weiter nach gehen. — 

Weiterhin wird in Zukunft noch näher zu erforschen sein, ob die 
anfallsartigen Zustände immer vom Gefässsystem abhängcn, oder 
ob — unabhängig davon — echte epileptische Anfälle Vorkommen. — 

Für die D.iagnose der Erkrankung wichtig ist 1. der Nachweis 
der Noxe, 2. der charakteristische Beginn mit Schmerzen im Kopf, 
den Gliedern, dem Ameisenlaufen und den Sensibilitätsstörungen, 

3. deren Abhängigkeit von der Art der Beschäftigung im Betriebe, 

4. das Auftreten der Optikus- und Akustikuserkrankung, 5. die Besse¬ 
rung des Zustandes bei Entfernung aus dem gefährlichen Betrieb. 

Zur Frage der Prognose der Erkrankung kann ich mich 
heute nur mit gewissen Einschränkungen aussprechen. Ich habe noch 
keinen Fall gesehen, der nicht wenigstens teilweise gebessert werden 
konnte. Die Besserungen traten bei den leichteren Fällen, bereits 
nach einigen Tagen ein. Nach einer Reihe von Wochen verringerten 
sich auch die Anfälle. Die Seh- und Hörstörungen besserten sich 
auch, soweit nicht Atrophie eingetreten war. 

Das wichtigste Hei 1 m i 11 e 1 ist die Entfernung des Erkrank¬ 
ten aus dem gefährlichen Betrieb. Im übrigen ist die Behandlung 
eine symptomatische. 

Ob das jetzt geübte Verfahren der Anwendung von Sauerstoff 
bei den durch dip Zirkulationsstörungen bedingten Sehwächezustän- 
den und Ohnrtlachten zweckmässig ist, vermag ich nicht zu ent¬ 
scheiden. Die Kranken selbst verspüren nicht immer danach Er¬ 
leichterung. 

Bezüglich der Prophylaxe möchte ich den grössten Wert 
auf möglichst ausgiebige Ventilation der Arbeitsräume legen. 
Denn gleichgültig welcher Theorie man bezüglich der Resorption des 
Giftes in den Körper zuneigt. }e weniger Dämpfe in den Arbeits¬ 
räumen kreisen, desto weniger Giftstoffe können in den Körper hinein¬ 
kommen. 

Da gute Ventilation die Temperatur in den Arbeitsräumen herab¬ 
setzt, wirkt sie auch auf diesem Wege günstig. Denn, wie ich schon 
oben angab, je kühler die Luft ist, in der gearbeitet wird, desto 
weniger schädliche Dämpfe entstehen. 


Aus der Abteilung für Gesichtsplastik (San.-Rat Dr. J. J os e ph) 
der Kgl. Ohren- und Nasenklinik der Charitee (Geh. Med.-Rat 
Prof. Passow). 

Zum plastischen Ersatz grosser und besonders totaler 
Oberlippendefekte *). 

Von J. Joseph in Berlin. 

Der totale Defekt der Oberlippe, eine im Frieden äusserst 
seltene Deformität des Gesichtes, verlangt jetzt in der Kriegszeit 
relativ häufig unser chirurgisches Eingreifen. Der plastische Ersatz 
derartiger, d. h. mit völligem Verlust der Oberlippenschleimhaut 
einhergehender Defekte misslingt — nach dem meiner Abteilung zur 
Korrektur zufliessendem Material zu urteilen — häufig. Aehnlich 
liegen die Verhältnisse bei Oberlippendefekten, die zwar nicht als 
total, aber doch als gross bezeichnet werden müssen. Auch in der 
Literatur sind Erfolge bei grossen und besonders totalen Oberlippen¬ 
defekten sehr selten mitgeteilt. Es sei mir daher gestattet, in 
folgendem zunädhst über einige zur Kriegspraxis gehörende Fälle 
dieser Art und über die von mir bei ihnen angewandten — übrigens 
von den sonst hierfür angegebenen Methoden nicht unerheblich ab¬ 
weichenden — Methoden zu berichten, sodann t.'ne, meines Er¬ 
achtens, besonders sichere Methode vorzuschlagen, die sich mir bei 
einem weit grösseren Gesichtsdefekt bewährt hat und schliesslich 
einige Bemerkungen über den Ersatz grosser Oberlippendefekte bei 
Frauen zu machen. 

Von den kleinen Oberlippendefekten, die ich in der Kriegs- 
wie in der Friedenspraxis öfters operiert habe und welche in ein¬ 
facher Weise durch Transplantationen kleiner, gestielter Lappen aus 
der Wange oder auch nur durch In- resp. Exzisionen mit Lappenver- 
schiebung sich korrigieren fassen, soll hier nicht weiter die Rede 
sein. 

Ich beginne mit den Kriegsverletzungen: 

Fall 1. Mein erster Fall (Fig. 1) betraf einen T o t a 1 d e f e k t 
der Oberlippe und zugleichden DefekteinesTelles 
der Wange. Pat. hat durch den Schuss leider auch das rechte 
Auge und einen grossen Teil des rechten Oberkiefers verloren. Das 
rechte untere Augenlid steht infolge des Narbenzuges zu tief Die 
beiden parallelen Narben auf beiden Wangen rühren von einem, 

*) Di« Arbeit ist eingelaufen am 13. Juni 1918. 


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von anderer Seite ausgeführten Operationsversuch her, der aber, wie 
das Bild zeigt, gänzlich missglückt ist. Es ist sogar ein Teil der 
Oberlippe, der nach Angabe des Patienten vorher vorhanden war, in- 



Fig. 1. Totaler Oberllppendefekt, Fig. 2. Zustand nach der Plastik. Er- 
partieller Wangendefekt (siehe Text). satz der durch Wangen-Halshautlappen 

(siehe die feine senkrechte Narbe; 
zu Abb. 1 gehörig. 

folge dieser Operation zugrunde gegangen. Fig. 2 zeigt den Zustand 
nach meiner Plastik in Seitenansicht mit natürlichem, etwas zuge¬ 
stutztem Schnurrbart. 

Die von mir in diesem Falle angewandte Methode bestand, kurz 
gesagt, in der Ueberpflanzung zweier durchgehender, 
von den Mundwinkeln senkrecht nach abwärts ge¬ 
schnittener, spitz endigender Wangenhalshaut¬ 
lappen. Im einzelnen verfuhr ich folgendermassen: Ich schnitt 
seitwärts von beiden Mundwinkeln zwei senkrechte Lappen aus 
der Wange und der benachbarten Halshaut. Die Schnitte gingen 
durch die ganze Dicke der Wange einschliesslich der Schleimhaut. 
Die nach unten kommaartig, spitz zulaufenden Lappen, die die unge¬ 
fähre Breite einer Oberlippe hatten, brachte ich in die Gegend der 
Oberlippe und nähte sie — zuerst die Schleimhaut und dann die 
äussere Haut — zusammen. Der linksseitige Lappen bildet ungefähr 
die linke und der rechtsseitige die rechte Oberlippenhälfte. Die 
äussere Naht, welche die beiden neuen Oberlippenhälften verbindet, 
verläuft schräg. Das Lippenrot bildete ich zum Teil aus noch vor¬ 
handenen Resten, zum Teil nach v. Langenbeck aus dem an¬ 
grenzenden Unterlippenrot. Die ziemlich grossen artifiziellen 
Wunddefekte Hessen sich durch einfaches Zusammenziehen der 
gegenüberliegenden Wundränder schliessen. Auch hier wurde zu¬ 
nächst die Schleimhaut, dann die äussere Haut genäht. Um die neue 
Oberlippe zugleich mit einem natürlichen Schnurbart zu versehen, 
habe ich die Hautlappen der behaarten Wangenhaut entnommen. 
Es wächst also der Backenbart an der neuen Stelle als Schnurrbart 
weiter. Die Fig. 3 u. 4 zeigen die von mir angewandte Schnittführung 
und den Zustand nach der vollendeten Naht. 



Fig. 3. Schnittfährung. Fig. 4. Zustand nach vollendeter Naht 

(zu Abb. 3 gehörig). 


I 


Die Operation ist in ähnlicher Weise von S^dillot 1 ) im 
Jahre 184b angedeutet worden. Während S6dillot aber sich 
auf das Gebiet der Wange beschränkt und seine Schnitte rechtwinklig 
enden lässt (v. Esmarch-Kowalzig), umfasst meine Schnitt¬ 
führung auch Teile der Halshaut und endet spitzwinklig, wodurch die 


4 ) Sldillot: TraitS de Mödecine opSratoire 1846 S. 650, 


Original fro-m 

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1288 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 



Fie. * Subtotaler Ober ippen<1efckt, 
part eller Wanken efekt Schief* und 
Plattnase. 


He. f». Zustand nach der Pla*«ik. 
Ersatz d-r Schleimhaut aus der Wanee. 
Die äussere Haut durch gestielten kopf¬ 
hautlappen gebildet (siehe Fig. 8 u. 7). 


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ist wegen des Septumdefektes stark abgeplattet und steht zugleich 
schief Infolge rechtscitigen Narbenzuges resp, Wangendefektes. 
Abb. 6 zeigt den Fall nach meiner chirurgisch-plastischen Behandlung. 
Auch in diesem Falle ist von anderer Seite derselbe Operations¬ 
versuch, die einfache Zusammenziehung zweier horizontaler, quer 
aus den Wangen in Oberlippenhöhe geschnittener, riemenartiger 
Lappen und zwar ebenfalls erfolglos — unter Zurücklassung von 
vier grossen Quernarben — gemacht worden Bei diesem Patienten 
ging ich zunächst ebenso vor. wie in dem ersten Falle. Ich bildete 
also zwei senkrechte Wangenhalshautlaonen. brachte sie in die Rich¬ 
tung der Oberlippe und vernähte sie. Die Operation selbst verlief 
gut. Es trat aber schon nach einigen Tagen gangränöser Zerfall an 
den mittleren Partien der neugebildeten Oberlippe ein. wodurch die 
Operation grösstenteils erfolglos wurde. Die durch den Gewebs¬ 
zerfall bereits stark verkürzten Oberliooenhälften schrumpften all¬ 
mählich sehr zusammen und der Oberliooendefekt war bald nicht viel 
kleiner als vorher. Unter diesen Umständen entschloss ich mich 
rinicre Wochen später zu folgender Operation: Ich bildete aus den 
Wangen zu beiden Seiten des Oberllonendefektes ie einen etwa 4 cm 
langen, etwa 2 cm breiten, horizontalen Hautlapoen, ohne die 
Schleimhaut mitzunehmen und zwar so. dass ihre Frnäh- 
nmorsb^fieke dicht neben dem Defekt lag (s. Fig. 8). kboote die. 
beiden Lappen nach der Mitte um. so dass die äussere Haut nach 
innen und die Wundfläche nach aussen gerichtet war. Dann vernähte 
ich sie in dieser Stellung miteinander, um so emen Schloimlnutersatz 
für die neu zu bildende Oberlippe zu gewinnen. Dadurch ent¬ 
stand eine grosse Wundfläche in der Gegend der Oberlippe und 
an den benachbarten Wangenpartien. Ich bildete nun einen, am linken 
Ohr gestielten. 21 cm langen ScMäfenkppfbautlaopen. de»" im ganzen 
die Gestalt eines spitzwinkligen Dreiecks hatte (s. Fig. 7)) und über¬ 
pflanzte ihn über einen grossen, unberührten Teil der linken Wange 
hinweg auf die grosse Wundfläche der Oberlinne und die links an¬ 
grenzende Waneengegend'. Auf die Wundfläche der re Chile n 
Wange pflanzte ich einen kleineren, etwa 10 cm langen, gestielten..der 
rechten Schläfe entnommenen Lanpcn. den ich über dem rechten 
Mundwinkel mit dem linken Koufhautlapoen vereinigte. Von den 
beiden nach der Mitte umgeklaootep Wangenfaooen wurde der linke 
nekrotisch, der rechte blieb in voller Ausdehnung lebensfähig, 
und seine nach aussen gekehrte Wundfläche heilte mit der nach innen 
gerichteten Wundfläche des behaarten Schlüfenkoofhautlanoens zu 
einer festen Oberlipnenbrücke zusammen. Fig. 7 zeigt den Fall 
4 Wochen nach der Operation*). Da der Schläfenkopfhautlappen in 

*) Pat. ist in dem in Fig. 7 dargestellten Zustande in der Berl. 
Laryngol. Gesellschaft am 30. März 1917 vorgestellt worden. 


Fig. 7. Zus'and 4 Wochen nach der 
Transplantation des d eieckigen Kopf¬ 
hautlappens. 


| ,Fig. 8. Ersatz der Schleimhaut (der 
Oberlippe, Schmttffihrung. 


Berl. Med. Gesellsch. 1892. I. 255). Später teilte Lex er in einem 
besonderen Falle einen solchen Kopfhautlappen an dessen Ende in 
diei Teile zur gleichzeitigen Bildung von Augenbraue. Schnurrbart 
und Kinnbarthälfte (Chir. Operationslehre von Bier. Braun und 
Kümmell 1914, Bd. I, S. 169). Mein oben im zweiten Falle ge¬ 
schildertes Vorgehen unterscheidet sich von den Methoden dieser 
Autoren zunächst dadurch, dass mein Kopfhautlappen schmal und drei¬ 
eckig ist (s. Fig. 7). Vor allem aber wird bei meinem Vorgehen zum 
gleichzeitigen Ersatz der Schleimhaut der Oberlippe auf der 
anderen Gesichtshälfte noch ein Wangenlapoen ge¬ 
bildet. welcher nach der Mitte umgeklaoot und — Wundfläche auf 
Wundfläche — mit dem Schläfenkopfhautlaopen vereinigt wird, wäh¬ 
rend Schimmelbusch für den Schleimhautersatz einen hinter 
dem Ohr gestielten, bis über die Klavikula reichenden Halslapnen und 
L e x e r analog der Methode Czernys zu dem gleichen Zwecke 
den Stirnteil des Kopfhautlappens nach innen umschlägt. — Ohne den 
rechten, nach der Mitte umgeklappten Wangenlappen wäre die 
Oberlippenplastik in dem beschriebenen-Palle sicher misslungen. 

F a 11 3. In einem dritten Falle von grossem durchgehenden 
Oberliooendefekt. der gleichfalls mittels zügelförmiger Schnittführung 
von anderer Seite erfolglos voroperiert war. trat nach Anwendung 
meiner im ersten Falle angewandten Methode an den Endi>artien 
der Lappen, offenbar infolge der durch die genannte Vorooeration ent¬ 
standenen Ouernarben. je eine etwa 1 cm breite Nekrose ein. so dass 
die lebensfähig gebliebenen Teile der beiden Laooen wieder aus¬ 
einanderwichen. Ich machte aber bald nach Abstossung der nekro¬ 
tischen Teile eine sekundäre Naht und erzielte dadurch doch noch 
eine Oberlippe. 

F a 11 4. In dem vierten Falle handelt es sich um einen totalen 
Oberlippen - und zugleich um einen totalen Nasen¬ 
defekt. Auch ln diesem Falle wandte Ich die anfangs dieser Arbeit 
beschriebene Transplantation von Wangenhalslautlappen an und er¬ 
reichte die Vereinigung sämtlicher Wundränder bis 
in alle Ecken, ohne irgendwelche Nekrose. Ein wäh¬ 
rend der Heilung eingetretenes Erysipel störte die Vereinigung der 
Wundränder nicht im mindesten. Die restlose sofortige Anheilung 
beider Wangenlappen hat der Pat. der erfreulichen Tatsache zu ver¬ 
danken. dass er im Gegensatz zu den drei ersten Fällen nicht 
voroperiert war und daher keine, den Lappen durchquerende 
Narben zurückbehalten hatte. Der totale Nasendefekt ist noch In Be¬ 
handlung. Ich behalte mir vor. nach ihrem Abschluss auf diesen Fall 
noch besonders zurfickzukommen. 

In allen vier Fällen gelungenen Oberllpoenersatzes hat sich die 
vor der Operation sehr mangelhafte Sprache des Patienten ausser¬ 
ordentlich gebessert. Mit dem kosmetischen Erfolge Ist also glelch- 


Qrkjinal fro-m 

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Spannung gänzlich vermieden und die Anheilungsfläche erheblich ver- 
grössert wird — beides Momente von wesentlicher Bedeutung für 
die Sicherheit der Heilung und die Vollständigkeit des Erfolges. 
Ausserdem halte ich mit v. Bruns u. a. für erforderlich, die 
Schleimhaut in möglichst grossem Umfange m i t zu überpflanzen — 
worüber in dem Werke Sldillots nichts zu finden ist. 

Die Heilung vollzog sich in meinem eben beschriebenem ersten 
Falle nicht ganz glatt. Nur der untere Teil der schrägen Vereinigungs- 
linie beider Lappen hellte per primam. Oben dagegen wurde ein 
ziemlich gros'ser Teil des linken Lappens nekrotisch. Es entstand an 
dieser Stelle ein grösseres Loch, das sich freilich allmählich unter 
Vernarbung schloss. Ich muss hierbei bemerken, dass der linke 
Lappen von einer der oben erwähnten, vor meiner Operation von 
anderer Seite gesetzten Narbe durchquert war. Diese war offenbar 
die Ursache der partiellen Nekrose. 

Fall 2. Der zweite Fall betrifft einen subtotalen Ober¬ 
lippendefekt mit rechtsseitigem Oberkieferdefekt. Auch das 
Septum fehlt bis auf eine kleine Partie an der Nasenspitze. Fig. 5 
zeigt den Lippen- und Oberkieferdefekt in Vorderansicht. Die Nase 


ganzer Ausdehnung behaart ist, bekommt Patient einen Schnurrbart. 
Um den langen Schläfenkopfhautlappen voll die Lebensfähigkeit zu 
sichern, ist die Arteria temporalis und zwar der Stamm und sein 
vorderer Ast mitüberpflanzt worden. Man muss sich natürlich vor¬ 
sehen und darf den Stamm bei der Operation nicht durchschneiden. 

ln einer weiteren Operation wurde die Ernährungsbrücke und 
der den normalen Wangenabschnitt bedeckende Teil des Lappens auf 
den artifiziellen Kopfhautdefekt relmplantiert und der Rest der fehlen¬ 
den, für die Oberlippe verwandten Kopfhaut aus der benachbarten, 
behaarten Kopfhaut gedeckt. Durch zwei weitere Operationen wurde 
noch der (durch die Vernarbung kaschierte) Wangendefekt rechts 
neben der Nase gedeckt und dadurch die Nase wieder in die Mitte 
des Gesichtes gestellt. 

Hierzu möchte ich folgendes bemerken: Der erfolgreiche Ersatz 
eines grossen Gesichtsdefektes, nämlich des totalen Defektes einer 
behaarten Wange durch einen, am Jochbogen gestielten, grossen, über 
den Scheitel hinausgehenden Kopfhautlappen ist meines Wissens zu¬ 
erst von Schimmelbusch mitgeteilt worden (Verhandlungen 





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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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zeitig ein sehr wichtiger funktioneller erzielt worden, welche zu¬ 
sammen einen erheblichen psychischen Erfolg zeitigten. 

Fa 11 5. In einem fünften Falle bildete ich die Oberlippe aus 
einem linkseitigen Wangenrest und aus einer ErnäJirungsbrücke, die 
ich durch Ueberpflanzung der mittleren Kinnhautpartie nach dem 
rechtseitigen Uuterkieferast in der Gegend des rechten Mundwinkels 
un£ seitwärts von ihm gewonnen hatte. Der totale Oberlippenersatz 
\yar in diesem Falle nur ein Teil einer weit umfangreicheren Gesichts- 
ptastik, bei welcher gleichzeitig und zwar als hauptsächliche Aufgabe, 
beide Wangen und die Nasen haut ersetzt werden 
mussten. 

t : Ich erwähne das in diesem Falle von mir in Anpassung an be¬ 

sondere Verhältnisse angewandte Verfahren des Oberlippenersatzes 
nur nebenbei, da es völlig atypisch ist, möchte aber die von mir in 
diesem Falle zum Ersatz beider Wangen und der Nasenhaut erfolg¬ 
reich ausgeführte Methode 3 ) in geeigneten Fällen auch für den 
totalen Oberlippenersatz warm empfehlen. 

Die Methode besteht, kurz gesagt, in der Bildung eines beide 
Arteriae temporales enthaltenden Kopfhautbrük- 
kenlappens (Visierlappens), der voneinem Ohr über 
den Schädel hinweg nach dem anderen Ohr hin sich 
erstreckt. Dieser wird nach Art eines Visiers über Stiih, 
Augenbrauen, Augen, Nase und Wangen herabgezogen und an die 
vorher, zum Ersatz der Schleimhaut besonders vorbereiteten Wangen 
angenäht Die Schleimhaut wird nämlich, wie in Fall 2 dieser Arbeit, 
durch zwei nach der Mitte umgeklappte Wangenlappen (Fig. 8) er¬ 
setzt. Sie kann auch durch voraufgehende freie Ueberpflanzung 
eines unbehaarten Epidermislappens nach Reverdin-Thiersch 
und bn Notfälle auch durch Mitnahme eines, der fehlenden Ober¬ 
lippenschleimhaut an Umfang entsprechenden Teiles der Stirnhaut 
ersetzt werden, die nach innen umgcklappt und — Wundfläche an 
W'undfläche — an dem hinteren Rand des Kopfhautlappens angenäht 
wird. Welche von diesen Methoden des Schleimhautersatzes zu 
wählen ist, wird am besten von Fall zu Fall entschieden. Doch würde 
ich die letztgenannte Methode wegen des ziemlich grossen, artifiziellen, 
in unauffälliger Weise schwer zu beseitigenden, meist vermeidbaren 
Stlrnhaufdefektes i m a 11 g e m e i n e n n i c h t in Anwendung bringen. 
Der artifizielle Kopfhautdefekt wird teils durch Replantation 
der Lappenstiele, teils aus der benachbarten Kopf- resp. Stirnhaut 
gedeckt 

Dieses Verfahren hat Ävei Vorzüge gegenüber allen anderen 
Methoden der totalen Oberlippenersatzplastik: Erstens überbebt sie 
den Operateur der Sorge bezüglich der Anheilung des Lappens, da 
der Lappen — die projektierte Oberlippe — ja bereits in ungeteilter 
Gestalt vorhanden Ist, die Anfrischungsflächen an den Wangen sehr 
gross sind und der Lappen von beiden Temporalarterien vorzüglich 
ernährt wird. Zweitens! haben die Schnurrbarthaare der neuen 
Oberlippe, da die betreffende 'Partie des transplantierten Lappens 
dem mittleren Teile der Kopfhaut entnommen ist beiderseits 
von vornherein genau die normale Richtung. Diese Methode 
verdient daher ernste Beachtung, besonders in Fällen, wo ausser 
der Oberlippe noch grössere Teile der Nachbarschaft fehlen, für 
welche dann natürlich die Schnittführung entsnrechend modifiziert 
werden muss (s. J. Joseph, D.m.W. 1918 Nr. 17). 

Die genannten Methoden, welche dieUeberoflanzung behaarter 
Haut betreffen, gelten natürlich sämtlich nur für Männer. Bei Frauen 
hingegen, bei denen ein Schnurrbart gänzlich und möglichst auch 
jede nicht absolut notwendige Narbe vermieden werden muss, kommt 
auch für den Ersatz der äusseren Oberlippenhaut nur die Ueber¬ 
pflanzung unbehaarter Haut, am besten der — schon 1597 von 
Tagliacozzi empfohlenen — Armhaut in Betracht. Ich habe an 
anderer Stelle 4 ) die Oberlippenplastfk aus dem Arm, wie ich sie 
ausführe, mH Abbildungen von Operationsaufnahmen und von Er¬ 
folgen dargestellt. Ich möchte aber hier die dort gemachten Ausfüh¬ 
rungen In einigen Punkten ergänzen: 

Was zunächst die Schnittführung auf dem Arm betrifft, so habe 
Ich die Schnitte parallel oder fast parallel geschnitten (siehe die 
beiden während der Operation gemachten Aufnahmen: Abb. 648 auf 
Seite 608 und auch Abb. 652 auf Seite 611 der zitierten Arbeit). 
Diese Schnittführung hat in dem ersten der beiden Fälle zur vollen 
Arrhellung des Lappens geführt. Im zweiten Falle, bei dem gleich¬ 
zeitig auch eine Rhinoplastik erforderlich war, heilte der Lappen 
grösstenteils an. Die Endpartie wurde aber nekrotisch und ist dann 
naoh der unten angegebenen Methode aus der Halshaut mit Erfolg 
ergänzt worden. Um eine solche Nekrose des Lapnenendes möglichst 
zu verhüten, 'habe ich daher in einem weiteren Falle die Schnitte 
konvergent gemacht, derart, dass der Lappen an der Basis 
etwa 3K cm und dann, sich allmählich verjüngend, am Ende 2 cm breit 
war; mit vollem Erfolg. Tritt am Lappenende, wie im oben be¬ 
schriebenen Falle eine Nekrose ein. so kann der zurückbleibende 
Defekt aus der benachbarten Wangen haut ersetzt werden, voraus- 

# ) J. Joseph: D.m.W. 1918 Nr. 17. 

4 ) J. Joseph: „Nasenplastik mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Im Kriege erworbenen Nasendeformitäten nebst einem 
Anhang: Verwendung rhlnoplastischer Methoden 
fflrdle Lippen -Kinn - Wangen - Ohrenplastik“ in den 
„Kriegsverletzungen der Kiefer und angrenzenden 
Telle“ von Misch und Rumpel, Verlag: H. Meusser in 
Berlin, S. 606-613. 

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gesetzt, dass diese normal ist. Ist diese aber in grosser Aus¬ 
dehnung narbig, so empfehle ich den Ersatz aus der Unterkinnhaut 
resp. einem etwa vorhandenem Doppelkinn, mittels eines zwischen 
Mundwinkel und Angulus mandibulae gestielten Lappens, wie ich 
dies im zweiten, in meiner obengenannten Arbeit beschriebenem 
Falle von Oberlippenplastik getan habe. 

Ist bei Frauen auch die Schleimhaut zu ersetzen, so wäre ent¬ 
weder der Armhautlappen entsprechend breit m nehmen, so dass 
die eine Hälfte der Breite als Schleimhautersatz Verwendung finden 
könnte, oder es wäre vorher eine freie Transplantation nach 
Thiersch oder im Notfälle die Unterpflanzung eines gestielten 
Brusthautlappens unter den abgehobenen Armlappen zuvor auszu¬ 
führen. Klapp 8 ) hat die von S t e i n t h a 1 fl ) für die Rhinoplastik 
angegebene Ueberpflanzung eines Brusthautlappens auf den Arm und 
von da auf das Gesicht mit Erfolg weiter ausgebaut. Er hat zum 
Zwecke eines Kinnaufbaues einen an drei Seiten umschnittenen, recht¬ 
eckigen Armlappen gebildet, diesen nach der Brust hin umgeschlagen, 
darüber einen dem Armlappen kongruenten Brusthautlappen gelegt 
und den so geschaffenen Doppelhautlappen in die Kinngegend ge¬ 
pflanzt. Besser noch bildet man auf dem Arm einen zentral ge¬ 
stielten Hautlappen, unter den ein entsprechender Brustlappen ge¬ 
schoben wird, wodurch die Ernährung des Lappens nach seiner An- 
nähung an das Gesicht, in der arteriellen Stromrichtung, also zentral, 
geschieht und Nekrosen sicherer verhütet werden. 

Zusammenfassung. 

Bei grossen, besonders totalen Oberlippendefekten sind die Me¬ 
thoden ihres plastischen Ersatzes bei dem jetzigen Stand der Dinge 
sehr verschieden, je nachdem es sich um Männer oder um Frauen 
handelt. Bei Männern, bei denen zugleich die Schaffung eines 
Schnurrbartes erstrebt wird, sind die besten Methoden: die Bildung 
langer, spitz -zulaufender Wangenhalshautlappen: ferner diie von 
Schimmelbusch inaugurierte Transplantation eines 
einseitig gestielten Kopfhautlappens mit Schleim- 
hauterSatz aus der der behaarten Kopfhaut benachbarten Stirn- 
hautpartie (L e x e r) oder besser aus der den Defekt begren¬ 
zenden Wange (J. Joseph). Als besonders sicher empfehle 
ich die von mir oben beschriebene Ueberpflanzung eines an beiden 
Ohren gestielten, beide Arteriae temporales enthaltenden Kopf¬ 
hautbrückenlappens (Visierlappenmethode) mit 
Ersatz der Schleimhaut aus den Wangen, allenfalls aus der benach¬ 
barten Stirnhaut — oder durch vorherige Transplantation eines 
freien Epidermislappens nach Reverdin-Thiersch unter die 
abgehobene Kopfhaut. — Von der, von manchen Chirurgen 
angewandten Zusammenziehung zügelförmiger, quer aus den 
Wangen geschnittener Lappen rate ich bei grossen und besonders 
totalen Oberlippendefekten unbedingt ab. weil diese Operation meist 
wegen zu grosser Spannung der Lappen misslingt und durch die 
zurückbleibenden Narben die Aussichten der anderen, genannten 
Methoden verschlechtert. — Bei Frauen, bei denen Narben und Be¬ 
haarung im Gesicht möglichst vermieden werden müssen, kommt i n 
erster Linie die Transplantation aus der Oberarm- 
h a u t in Betracht, im Notfälle unterstützt von einem gestielten 
Lappen aus der Unterkinnhaut. 

Nachschrift. 

Die in den Fällen 1, 3 und 4 von mir erfolgreich durchgeführtc 
Methode des Oberlippenersatzes mittels durchgehender, spitz 
endigender Wangen-Halshautlappen, hat sich mir In¬ 
zwischen in zwei weiteren Fällen bestens bewährt. In zwei von 
meinen Fällen habe ich ausserdem erhebliche Lücken des Oberlippen- 
rots, analog dem Ab besehen Verfahren des partiellen Oberlippen- 
ersatzes, aus der Unterlippen Schleimhaut ersetzt. 

Oie Erfolge der operativen Behandlung der Netzhaut- 
ablüsung. 

Von Pröf. Dr. Deutschmann, Hamburg. 

Als ich zuletzt im Jahre 1910 in augenärztlicher Fachzeitschrift 
über meine Methoden der Behandlung der Netzhautablösung und 
deren Erfolge mit ausführlicher Statistik berichtete, machte ich mir, 
wie ich das auch betonte, durchaus keine Illusion darüber, dass ich 
mit meiner Behandlungsweise so ziemlich allein dastand. Das ist, 
zum Segen der von dieser schweren Augenerkrankung Betroffenen, 
inzwischen anders geworden. Auf Grund der von mir aufgestellten 
Leitsätze hat sich eine Anzahl Kollegen an dem Ausbau geeigneter 
operativer Verfahren beteiligt und damit mehr oder weniger Erfolge 
erzielt. Aus ihren Mitteilungen geht hervor, wie wenig sie von der 
friedlichen Schulbehandlung erbaut und befriedigt sind und dass sie 
ihrem eigenen Bestreben, diesem Leiden auf operativem Wege bei¬ 
zukommen, diejenigen Erwägungen zugrunde legen, die ich schon in 
meiner ersten Veröffentlichung über diesen Gegenstand im Jahre 1895 

•) Bruns Beitr. 109. S. 141 ff. 

•) Steinthal: Beitr. z. klin. Chir. 29. Tübingen 1901. S 485. 

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1290 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 


vorgetragen habe. Eine abgelöste Netzhaut kann sich nur -dann 
anlegen, wenn 1. -die subretinale Flüssigkeit beseitigt wird. 2. an Stelle 
der beseitigten subretinalen Flüssigkeit genügend präretinale tritt, um 
das entstandene Defizit zu decken resp. etwas mehr, als nur eben zu 
decken und ev. die Netzhaut dadurch gleichzeitig an die Aderhaut an- 
zudrücken und angedrückt zu halten, 3. bei fortdauernder Zerrung 
von der Aequatorialgegend her, als Folgezustand der dort stati- 
habenden entzündlichen Prozesse, die Netzhaut durch Perforation ent¬ 
spannt wird, 4. etwaige Strangbildungen, die Glaskörper und Netzhaut 
in einigen Fällen verbinden, durchtrennt werden. Diesen Indikationen 
entspricht am einfachsten die von mir angegebene „Durchschneklung“. 
Ich lasse damit die subretinale Flüssigkeit ab und entspanne die 
dabei von mir mit meinem Schnitt mindestens an zwei Stellen ge¬ 
troffene Netzhaut; ich lasse auch gleichzeitig präretinale Flüssig¬ 
keit ab und schaffe dadurch ein Vakuum, in das hinein sich, bei noch 
transsudierendem Gefässsystem ein erneutes, grösseres Quantum, als 
vorher da war, präretinal ergiessen kann: ich glaube auch, dass ich 
hier und da etwa vorhandene Verbindungsstränge durchtrennen oder 
beim Ausströmen der sub- und präretinalen Flüssigkeit zum spontanen 
Abreissen bringen kann. Ich habe inzwischen diese kleine, wenn 
vorschriftsmässig ausgeführt, völlig ungefährliche Operation noch da¬ 
durch zu verbessern gesucht, dass ich neben der „Durchschneidung“ 
auch noch eine je nach Ausdehnung der Ablösung, bis zirkulär, ausge¬ 
führte Einschneidung der Ora serrata gleichzeitig vornehme. Sie 
stellt eine kleine, ungefährliche und wie ich mich überzeugt zu haben 
glaube, recht nützliche Hilfsoperation dar. Die wesentlichste Be¬ 
dingung für eine aussichtsvolle Behandlung mit der „Durchschneidung“ 
ist ihre genügend häufige Wiederholung. Dazu ist freilich viel Ge¬ 
duld von seiten des Arztes nicht weniger als von der des Kranken 
nötig. Auch hier möchte ich nicht verfehlen auf die irrtümliche An¬ 
schauung hinzuweisen, die behauptet, meine Durchschneidung sei nur 
eine Doppelpunktion. Die Punktion eröffnet nur den subretinalen 
Raum behufs Ablassung der dort befindlichen Flüssigkeit; sie erfüllt 
die Jlauptbedingung für die Möglichkeit einer Anlegung nicht, nämlich 
die nach vorn gezerrte Netzhaut zu entspannen. Meine „Durch¬ 
schneidung“ erstrebt gerade diesen Zweck, indem sie an zwei Stellen, 
der Messereingangs- und -ausgangsstelle Netzhaut resp. Ora serrata 
durchtrennt. In ganz seltenen Fällen genügt eine einzige Durch¬ 
schneidung, um eine Daueranlegung der Netzhaut zu erzielen. Führen 
aber auch gehäufte Durchschneidungen nicht zum Ziele, so bleibt nur 
die zweite von mir angegebene operative Methode übrig: Die Glas¬ 
körperinjektion. Die theoretische Ueberlegung, die mich zur Aus¬ 
arbeitung dieses Verfahrens führte war die folgende: Nach Ablassung 
der subretinalen Flüssigkeit musste der präretinale Raum mit einer 
Substanz angefüllt werden, die die Netzhaut an die Aderhaut an¬ 
drückte, sie längere Zeit angedrückt hielt, durch Erregung schwach 
entzündlicher Vorgänge zu einer Verklebung bzw. Verwachsung von 
Netzhaut und Aderhaut führte, dabei vollständig aseptisch war und 
auch nicht so different, dass sie schädigend auf die Elemente der 
Netzhaut und des Uvealtraktes einwirkte. Diese Bedingungen erfüllte 
mir in meinem ersten derart operierten Falle dem lebenden Ka¬ 
ninchen entnommener, mit Hilfe einer Pravazspritze in den Glas¬ 
körperraum des menschlichen Auges injizierter Glaskörper. Der Er¬ 
folg war damals ein tadellos guter; die total abgelöst gewesene 
Netzhaut legte sich an und blieb dauernd angelegt. Ich habe diese 
Methode nicht verlassen; der bequemen Handhabung der Operation 
wegen benutze ich sterilen, mit physiologischer Kochsalzlösung ver¬ 
dünnten, in Glasröhren eingeschmolzenen, zum Gebrauch fertigen 
Kalbsglaskörper. Diese Operation rettet noch einen bescheidenen 
Prozentsatz von Augen, die sonst dem Untergange geweiht sind, so¬ 
weit ärztliche Erfahrung ein Urteil zulässt. Bezüglich der Technik 
muss ich natürlich auf meine Arbeiten in fachärzttichen Zeitschriften 
verweisen. Gerade wegen der Empfehlung dieser Methode bin ich 
Jahre hindurch am schwersten angegriffen worden und eben diese 
ist es, die von den jetzt erstandenen Mitarbeitern auf dem Gebiete 
der operativen Behandlung der Netzhautablösung als Grundlage für 
ihre eigenen Verbesserungsbestrebungen anerkannt und benutzt wird. 
Hierhin gehört die Wiederaufnahme der von mir bereits angeführten, 
aber wieder verlassen gewesenen Einspritzung von physiologischer 
Kochsalzlösung in den Glaskörperraum durch E1 s c h n i g und 
Birch-Hirschfeld, sowie Emanuel; die Injektion von Luft, 
die auch von mir sowie von Birch-Hirschfeld ohne Nutzen 
ausgeführt war, durch Ohm; die gleichfalls von mir zuerst ange¬ 
wendete Einführung von Linsensubstanz in den Glaskörperraum; 
endlich die Injektion der abgesogenen subretinalen Flüssigkeit, ev. 
nach ihrer Verdünnung mit physiologischer Kochsalzlösung durch 
Birch-Hirschfeld. in den Glaskörperraum desselben Auges, 
womit Birch-Hirschfeld beachtenswerte Erfolge erzielte. Die 
idealste Auffüllungsflüssigkeit für das menschliche Auge zu dem von 
uns erstrebten Zwecke dürfte wohl der individualeigene, dem zweiten 
Auge desselben Individuums entnommene Glaskörper sein. Aber die 
Schwierigkeit der Erlangung dieses Ideälmaterials ist eine ganz 
ausserordentlich grosse, da wenigstens annähernd normaler Glas¬ 
körper Verwendung finden muss. Bis hierüber Erfahrungen vorliegen 
will mir der sterile, je nach den Umständen verdünnte Kalbsglas¬ 
körper weiter als zur Injektion am geeignetsten empfehlenswert er¬ 
scheinen. 

Kurz erwähnt seien noch Versuche, durch Trepanation der Sklera, 
mit oder ohne Einschneidung der Aderhaut, eine Heilung der Netz¬ 
hautablösung herbeizuführen. Solche Versuche sind zuerst von mir 


und Ho Ith, später von Schreiber ausgeführt und unlängst wie¬ 
der von Ohm aufgenommen worden. Mir hat diese wiederholt ge¬ 
prüfte Operation keinen Erfolg gezeitigt, weshalb ich sie auch schon 
lange wieder verlassen habe. 

Ich möchte nun die Ergebnisse meiner Statistik, die sich auf 
mein Gesamtmaterial bis zum 1. Juni 1915 erstreckt, vorlegen. Dass 
ich diesen Termin als Endtermin gewählt habe, erklärt sich daraus, 
dass ich für den Begriff der Heilung einer Netzhautablösung eine 
Mindestbeobachtungsdauer von 2*A Jahren verlange; diese Mindest¬ 
zeit musste ich also jetzt in Rechnung stellen können. Ich behandelte 
bis zu dieser Zeit stationär in meiner Klinik: 364 Patienten mit 482* 
an Netzhautablösung erkrankten Augen. Davon waren myopisch, 
soweit sich die Refraktion noch bestimmen Hess: 65,9 Proz.; em¬ 
metropisch: 11,8 Proz., hypermetropisch nur 2,9 Proz. 
Bei den Myopen schwankt der Prozentsatz der Erkrankung für 
die niedrigen Grade der Myopie bis zu den höchsten nur um 1.7 Proz.. 
d. h. von 16,1 Proz. zu 17,8 Proz. B^ide Augen desselben Kranken 
waren in 32,1 Proz. befallen; diese Prozentzahl ist auffallend hoch 
und erklärt sich dadurch, dass mir so viele schwere Fälle zugehen. 
Mit gleichzeitiger Katarakt behaftet kamen — die komplizierten 
Amaurosen nicht eingerechnet — 34,6 Proz.: letztere mitgezählt: 
42J5 Proz. Operiert habe ich 414 Augen; zurzeit betrachte ich für 
diese Statistik die Behandlung als abgeschlossen bei 400 Augen. Von 
diesen 400 Augen wurden geheilt: 94 = 23,5 Proz. 1 ). Hierbei sind 
zu meinen Ungunsten inbegriffen auch diejenigen Augen, die ich nur 
auf dringendsten Wunsch der betreffenden Kranken versuchsweise 
ohne Chance für die Möglichkeit einer Heilung operiert habe; diese 
für die Frage der Heilung auszuschalten ist zweifellos berechtigt; 
es sind im ganzen 75; dann erhalte ich folgende Zahlen: geheilt 94, 
auf 325 Augen = 29,5 Proz., gebessert wurden 147 Augen = 37 Proz.; 
ungeheilt blieben 159 Augen = 39,5 Proz. Die Bedeutung dieser 
meiner Statistik erhellt wohl am besten, wenn sie mit einer Angabe 
U h t h o f f s in seiner Veröffentlichung „über die Behandlung der 
Netzhautablösung“ verglichen wird; er möchte schätzen, dass von den 
überhaupt zur Beobachtung kommenden Fällen von Netzhautablösung 
ca. 25 Proz. für die Behandlung 2 ) mit einiger Aussicht auf 
Erfolg sich eignen; seine Heilungsziffer betrug, so günstig 
wie möglich berechnet, 9,4 Proz. Und weiter: der amerikanische 
Augenarzt V a i 1 hat im Jahre 1913 als Resultat einer Umfrage bei 
460 amerikanischen Augenärzten veröffentlicht, dass von 281, die ant¬ 
worteten, 250 niemals einen geheilten Ffll von Netzhautablösung ge¬ 
sehen haben, so wenig wie er selbst aus seiner über 20 jährigen 
augenärztlichen praktischen Tätigkeit einen Fall von Dauerheilung 
durch irgendein Behandlungsverfahren kenne. Ich freue mich, einem 
derartigen entmutigenden Pessimismus meine Statistik gegenüber¬ 
stellen zu können. Es mag dabei vielleicht auch die Tatsache inter¬ 
essieren, dass .die längste von mir beobachtete Heilungsdauer einer 
operierten Netzhautablösung zurzeit 27 Jahre beträgt. 

Ich darf zum Schlüsse noch hervorheben, dass ich frische Netz¬ 
hautablösungen nicht operiere, so lange sich das subretinale Fluidum 
nicht gesenkt hat, dass ich aber auch von der bekannten dogmatischen 
Schulbehandlung, die die Kranken mit Schwitzen und monatelangem 
Liegen quält, nicht nur absehe, sondern sie auch verurteile. Die mir 
zugehenden Frischerkrankten warne ich wohl vor übermässiger 
körperlicher Anstrengung und vor allem, was ihnen Blutandrang nach 
den Kopf machen 'kann, lasse ihnen aber im Uebrigen volle Be¬ 
wegungsfreiheit. Denn dabei vollzieht sich die Senkung des sub¬ 
retinalen Ergusses schneller und die recht häufigen Spontanrupturen 
in der oberen Netzhauthälfte können sich schliessen. Ist dieses 
Stadium erreicht, dann setzt meine Behandlung ein und diese ist 
und bleibt stets , eine operative. 


Aus dem Pathologischen Institut der Universität Leipzig 
(Direktor: Qeh. Rat Prof. Dr. F. March and). 

Ruptur des Magens bei Hefegärung und allgemeines 
Kohlensäureemphysem*). 

Von Prof. M. Vers6. 

Berstungen des Magens durch mechanische Ueberdebnung dürf¬ 
ten zu den grössten Seltenheiten gehören, da Pylorus und Kardia 
als Sicherheitsventile zu wirken pflegen; nur durch ein ungewöhn¬ 
liches Zusammentreffen verschiedener begünstigender Faktoren kann 
ausnahmsweise einmal eine Ruptur eintreten. Abgesehen von den 
vereinzelten Fällen, in denen durch Arrosionsblutung aus der Aorta 
(Schencke) oder durch allzu energische Spülungen bei Opium¬ 
vergifteten Schleimhautrisse entstanden waren, Fälle, die 
P. Fraenkel zum Ausgangspunkt für seine experimentellen Untere 


1 ) Die Höchstschwankung in den Heilungsziffern meiner bisher 
veröffentlichten Statistiken beträgt 2,6 Proz., sie beruht natürlich auf 
der Schwere der mir gerade zugehenden Fälle; über die dabei er¬ 
reichten Sehresultate geben meine früher veröffentlichten ausführ¬ 
lichen Krankengeschichten Aufschluss. 

2 ) Der gesperrte Druck ist von mir. 

*) Nach einem in der Med. Gesellschaft zu Leipzig am 12. Fe-; 
bruar 1918 gehaltenen Vortrag. 


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12. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1291 


suchungen über die Dehnungsfähigkeit der Magenwand und die Stellen 
schwächsten Widerstandes gedient haben, sind mir bei der Literatur¬ 
durchsicht trotz vieler darauf verwandter Mühe keine, begegnet, bei 
denen durch ein endogenes Moment eine solche Ausweitung zustande 
gekommen wäre, dass der Magen platzte. Selbst 'bei den „akuten“ 
Dilatationen durch arteriomesenterialen Duodenalverschluss, die, 
offenbar auf dem Boden einer älteren Atonie entstehend, durch totale 
Insuffizienz der Muskulatur ganz enorme Grade erreichen kann, so 
dass der Magen einige Liter fasst, reisst die Wand nicht ein. Es 
fehlt eben die Energiequelle, die den erschlafften Magen stärker auf¬ 
treibt: andererseits wird ein etwaiger Ueberdruck durch Erbrechen 
kompensiert. Das schliesst allerdings nicht aus, dass sich durch 
Zirkulationsstörungen ausgedehntere Hämorrhagien mit Erosionen und 
Nekrosen einstellen, in deren Bereich dann sekundär die Wand er¬ 
weicht und brüchig wird. 

Ein ausgezeichnetes Beispiel dieser letzteren Art bot ein im 
Herbst 1917 hier sezierter Fall (L. Nr. 1285/17, Dr. Herzog). 
Eine 32 jährige Frau, die seit einigen Tagen an leichten Durchfällen 
litt, erkrankte am 21. X. nach dem Genuss einer reichlichen Mahlzeit 
Reibekuchen mit heftigen Schmerzen in der Magengegend. Am 22. 
wurde sie nach Ausheberung von VA Liter einer bräunlichen, säuer¬ 
lich riechenden Flüssigkeit laparotomiert. Der Magenfundus hatte 
ein auffallend blaurötliches, eigentümlich marmoriertes Aussehen. 
Da bereits die Anfänge einer Peritonitis vorhanden waren, wurde von 
weiteren Massnahmen abgesehen. Am folgenden Tage starb die Frau. 
Bei der Sektion nahm der enorm dilatierte Magen den vorderen 
Bauchraum bis etwa 4 Querfinger oberhalb der Symphyse ein. Am 
Fundus war die Wand in grösserer Ausdehnung vorn wie hinten 
schwärzlich verfärbt, erweicht und papierdünn, die Serosa zum Teil 
auch mehr graugelblich, offenbar nekrotisch. Diese Stellen wölbten 
sich etwas stärker vor. Auch in der Nachbarschaft bauchte sich die 
Schleimhaut mehrfach divertikelartig zwischen den auseinander- 
w eich enden Muskelbündeln aus. An der übrigen Innenfläche fanden 
sich zahlreiche Erosionen, die jedenfalls an den ebenerwähnten Stellen 
ursprünglich besonders reichlich und konfluiert waren. Der Magen 
und das bis zur Kreuzung mit dem Mesenterium gleichfalls stark aus¬ 
gedehnte Duodenum enthielten reichlich schwärzlich verfärbte, übel¬ 
riechende, getrübte Flüssigkeit. Durch die Verlagerung der Dünii- 
darmschlingen ins kleine Becken war das Mesenterium ziemlich an¬ 
gespannt. 

Auf dem Boden einer schon vorhandenen Indigestion entstand 
also nach reichlichem Genuss schwer verdaulicher Speisen eine akute 
Atonie bei arteriomesenterialer Duodenalkompression. Durch Stase 
in den besonders gedehnten Gefässen des Fundus teils kam es zu 
Blutungen, Erosionen und Nekrosen, deren erstes Stadium bereits 
während der Operation in der eigenartigen Hvidroten Beschaffenheit 
der Magenwand festgestellt werden konnte. Dies ist besonders 
wichtig, da der auf eine weiterschreitende postmortale Andauung 
entfallende Anteil der Veränderungen sonst schwer bestimmbar wäre. 
Da die Gangrän nur ganz umschriebene Bezirke der Vorder- und 
Hinter wand betraf, die nicht dem Flüssigkeitsspiegel entsprechend 
abgegrenzt waren, so wäre auch ohnedies eine rein kadaveröse 
Oastromalacie auszuschliessen gewesen. Die Kranke erlag der Auto¬ 
intoxikation, bevor die Perforation der jetzt bei leichter Berührung 
zerreissenden Magenwand eintrat, was zweifellos nach einigen Stun¬ 
den geschehen wäre. So interessant auch die Anfügung dieses 
Schlussaktes für die Pathologie der Magendilatation gewesen wäre, 
für das vorliegende Thema ist er belanglos. Nach dieser Seite liegt 
die Bedeutung des Falles vorwiegend in den Auswirkungen der an die 
Dehnung sich anschliessenden venösen Stase, in denen er sich 
bis zu einem gewissen Grade mit dem dieser Mitteilung zugrunde 
liegenden Sonderfall berührt, dessen kurze Krankengeschichte folgen- 
dermassen lautet: 

Am 6. Dezember 1916 erkrankte in einem Pädagogium für 
schwachsinnige Kinder ein zur Gruppe der erethisch Imbezillen 
gehöriges 10 jähriges Mädchen plötzlich unter schweren gastrointesti¬ 
nalen Erscheinungen. Bis dahin sollte das sonst sehr muntere Kind 
stets gesund gewesen sein; nur. war dem Leiter der Anstalt und 
seiner Frau ein übler Geruch aus -dem Munde schon seit langer Zeit 
aufgefallen. Am frühen Morgen des angegebenen Tages war die 
Kleine an-scheinend auf der Treppe gestolpert und hatte ein Wasser- 
töpfchen fallen lassen; der Direktor fand sie erschreckt auf der 
Treppe sitzen. Gleich darauf aber stand sie auf und sang und jubelte, 
wie das täglich ihre Art war. Zum ersten Frühstück trank sie 
4 Tassen Milch mit Haf erflocken; zum zweiten ass sie wie gewöhn¬ 
lich ihr Butterbrot. Gegen 11% klagte sie über Leibschmerzen. 
Bald darnach brach sie etwas hellen Schleim. Sie wurde ins Bett ge¬ 
bracht, wo sie viel erzählte, ohne sich besonders über Schmerzen 
zu äussern. Um 6 Uhr nachmittags wollte sie etwas Griessuppe 
essen, da sie starken Hunger hatte; sie brach aber nach den beiden 
etsten Löffeln alles wieder aus. Der herbeigerufene Arzt konstatierte 
um 10 Uhr abends einen „harten Tumor oberhalb des Nabels“ und 
ordnete wegen Ileus die sofortige Ueberführung in, das Leipziger 
Krankenhaus an, wo das Kind gegen 12 Uhr nachts eintraf. Hier 
wurde eine starke Auftreibung im Epigastrium, die für eine Kolon¬ 
blähung angesehen wurde, und schnell zunehmender Meteorismus 
festgestellt Das Mädchen starb morgens 6 Uhr. ehe eine genauere 
Untersuchung vorgenommen werden konnte. 

Bereits 12 Stunden später bemerkte ich bei einer Besichtigung 
der Leiche ausser einer hochgradigen Vortreibung und prallen Span- 

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nung der Bauchdecken ein diffuses subkutanes Emphysem an Brust 
und Extremitäten. Im Gesicht fanden sich reichlich lividbiauTOte 
Flecke. Bei der am nächsten Vormittag ausgeführten Sektion 
(L. Nr. 1511/16) war die Haut an der Brust und oben am Rücken 
kissenartig aufgebläht; das Gewebe knisterte hier beim Betasten. 
Diese Gasansammlung erstreckte sich am Halse bis zu einem um 
den Unterkiefer und Kopf gelegten Gazestreifen, an den Annen 
bis zum Handgelenk und an den Beinen bis zur Höhe der Wade. 
Beim Einstechen entweicht allenthalben Gas, welches geruchlos und 
nicht brennbar ist; durch Einleitung desselben in Baryumhydroxyd- 
lösung entsteht ein dicker weisslicher Niederschlag. 

Beim Eröffnen der Brusthöhle zeigt sich, dass auch das Media¬ 
stinum ganz von Gasblasen durchsetzt ist. Das Zwerchfell steht sehr 
hoch (rechts 2. LKR., links 3. Rippe). In den Pleurahöhlen jederseits 
ca. 100 ccm leicht blutig gefärbte Flüssigkeit. Das Herz ist fest kon¬ 
trahiert, das Blut in ihm nicht schaumig. Der Luftgehalt ist hinten 

10 den Lungen ziemlich herabgesetzt. Bronchien, Trachea und Pha¬ 
rynx sind stark gerötet. 

Die Bauchhöhle enthält eine grosse Menge Gas; das ganze retro- 
peritoneale Gewebe und die Appendices epiploicae sind von Gas¬ 
blasen ganz aufgebläht. Im kleinen Becken findet sich eine mässige 
Menge trüber, rötlichgrau-gefärbter Flüssigkeit von säuerlich stechen¬ 
dem, deutlich alkoholischem Geruch, die sich später in zwei Schich¬ 
ten scheidet. Der mässig grosse Magen ist kollabiert; die Vorder¬ 
wand ist aussen besonders im Fundusteil stark gerötet, neben dem 
etwas schmierig graubräunlich gefärbter Speisebrei im Bauchraum 
liegt. 

An der Innenfläche ist die Magenwand intensiv gerötet, nament¬ 
lich im Fundus, wo ausgedehnte Blutaustritte stattgefunden haben; 
die Schleimhaut ist stark gequollen und faltig. Stellenweise wird s:e 
•durch kleinere Gasblasen emporgewölbt. An der Hinterfläche des 
Fundus ist die Magenwand stark verdünnt und an einer Stelle breit 
durchbrochen. Diese 2:2 l A cm im Durchmesser haltende Perforation 
liegt in einem grösseren rautenförmig gestalteten Feld, in welchem 
Serosa und Muskulatur ganz ausemandergewkhen sind Der Durch¬ 
bruch nimmt den nach der grossen Kurvatur zu gelegenen Abschnitt 
ein; nach der kleinen Kurvatur strahlt der breite Riss der Aussen- 
schichtenan den Ecken weiter aus. Er hat hier eine Länge von 
etwa 5 cm; sein Grund wird nur von* Submukosa und Mukosa ge¬ 
bildet, die stellenweise papierdünn sind. Nach der grossen Kurvatur 
folgt, durch eine schmale intakte Wandbrücke getrennt, ein 2 cm 
breiter und 3A cm langer zweite»* Einriss in die äusseren Wand¬ 
schichten; die inneren sind in der Mitte hochgradig verdünnt und bil¬ 
den nur noch eine ganz zarte Membran. Noch weiter nach aussen 
und etwas mehr kardiawärts finden sich abermals zwei in einem 
Zuge gelegene schmale Risse dicht hintereinander, der eine 2. der 
andere 3A cm lang. Mitten in dem letzteren prolabiert die Schleim¬ 
haut in Form einer schmalen Falte. Auch hier ist die Durchtrennung 
der Muskulatur überall vollständig, wie histologische Präparate zei¬ 
gen. Durch die Einwirkung des Magensaftes von aussen sind die 
Rissenden etwas angedaufc; im übrigen macht sich bereits eine ge¬ 
wisse Leukozytenansammlung bemerkbar. Die Muskularis selbst 
ist auch im Bereich dieser Risse, welche alle parallel der grossen 
Kurvatur verlaufen, nicht weiter verändert. 

Der Darm ist ziemlich kontrahiert, nur das Kolon etwas stärker 
gashaltig. Zeichen von Peritonitis fehlen. Die übrigen Bauchorgane 
sind ohne Besonderheiten. 

Im Mageninhalt finden sich mikroskopisch auffallend reichlich 
Hefen ne-ben Sarzinen und Stäbchenbakterien. Auf Traubenzucker¬ 
agar wachsen viele Hefen neben schleimigen- stinkenden Kulturen 
von beweglichen Stäbchen und zitronengelben Sarzinekolonien. 

* Die reinkultwierte Hefe hat einen typischen Hefegeruch, wächst 
üppig auf Traubenzuckeragar, vergärt Traubenzuckerboirillon lang¬ 
sam, wobei sie eine dichte Wolke unten im Gärröhrchen bildet. Trau¬ 
benzuckerhaltiges (Pflaumendekokt wird stark vergoren. In der 
Agarkultur wächst die sonst kugelförmige Hefe vielfach zu geglieder¬ 
ten Fäden aus mit unechten Verzweigungen und kolbigen Endver¬ 
dickungen. Seitlich setzen sich rundliche Sprossen an. In einer 
3 Wochen alten Traubenzuckerbouillon fehlt diese Erscheinung; sie 
tritt vereinzelt -in dem ebenso alten Pflaum endekokt auf. Nach 3 Mo¬ 
naten, ist in der Traubenzuckerbouillon ein förmlich myzdartrges 
Geflecht von fadenförmig ausgewachsenen Hefen vorhanden, die 
dicht mit rundlichen Sprossen besetzt sind, Wachstumsformen, wie 
man sie in älteren Kulturen beim Typus Pastorianus. den wilden 
Hefen der Gärindüstrie, nicht selten findet (cf. Lafar). 

Die noch mit einzelnen Hefezellen verunreinigten 1 Kulturen der 
Stäbchen und Sarzinen erzeugten in Traubenzuckerbouillon ebenfalls 
starke Gärung, die durch die wenigen Hefen -allein keinesfalls ver¬ 
ursacht sein kann. 

Um es kurz zu wiederholen: Bei einem 10 jährigen schwachsinni¬ 
gen Mädchen entwickelt sich eine nach 18 Stunden letal endende 
Magenerkrankung, die unter ileusartigen Symptomen verläuft. 

11 Stunden nach Beginn wird von dem zugezogenen Arzt ein harter 
Tumor oberhalb des Nabels festgestellt;* ebenso 2 Stunden später im 
Krankenhaus eine Auftreibung im Epigastrium. Anfangs zugeführte 
Nahrung löst Erbrechen aus; spontan tritt es nicht auf. Ueber den 
Zustand beim Tode des Kindes fehlen nähere Angaben. 12 Stunden 
post mortem wird ein ausgedehntes Unterhautemphysem und diffuse 
Aufblähung des Leibes konstatiert. Bei der Sektion zeigt sich, dass 

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1292 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46, 


diese Gasan Sammlung aus Kohlensäure •besteht, welche, offenbar als 
Produkt einer akuten Gärung im Magen entstanden, erst diesen aus- 
einandergetrieben und dann sich von der Bauchhöhle aus durch die 
Stomata .im retroperitonealen, mediastinalen imd subkutanen Zell¬ 
gewebe verbreitet hat. Der Magen befindet sich rm Zustand einer 
hochgradigen katarrhalischen Entzündung. Die Hinter wand des Fun¬ 
dus ist stark verdünnt und breit rupturiert. Neben der Durchbruchs¬ 
stelle sind noch einige grössere oberflächliche Einrisse in den Aussen- 
häuten vorhanden, die bis auf die Submukosa durch trennt sind. Der 
Mageninhalt hat einen deutlich alkoholischen Geruch; in ihm sind 
massenhaft Gärnngserreger. besonders reichlich Hefen, nachzuweisen, 
die ein starkes Gärungsvermögen auch in den Kulturen entwickeln. 

Es handelt sich also zweifellos um den ganz ungewöhnlichen Fall 
einer Z e r reis sun g des Magens durch übermässige 
Kohlensäurebildung bei höchstgradiger Gärung. 
Etwa 11 Stunden nach den initialen Krankheitszeichen imponiert der 
Magen dem erstuntersuchenden Arzt als praller Tumor, der im Kran¬ 
kenhaus schon als Kolonerweitening gedeutet whd. Demnach muss 
in den inzwischen verflossenen 2 Stunden eine beträchtliche Zunahme 
erfolgt sein. Da sich nach der Ein-Heferung ins Krankenhaus der 
..Meteorismus“ schnell vermehrte, ist anzunehmen, dass zu dieser 
Zeit die Perforation eingetreten ist. Sie geschah an einer Stelle, die. 
wie der eingangs mitgeteilte Fall deutlich zeigt, bei nicht zu schnell 
erfolgenden Dehnungen des Magens offenbar am meisten durch Zir¬ 
kulationsstörungen in Mitleidenschaft gezogen wird 1 . An Schnitten 
aus der Nachbarschaft neben der grossen Kurvatur fanden sich bei 
dem zweiten Fall in der Tat stark gefüllte und gestaute venöse Ge- 
fässe mit grösseren Blutaustritten in die Submukosa. Diese umschloss 
ausserdem mehrere Gasblasen, die sich also auch in der Magenwand 
weiter ausgebreitet hatten. Die Schleimhaut selbst war stark kada- 
verös verändert. Der Einfluss aber, den diese Zirkulationsbehinde¬ 
rung auf die Widerstandsfähigkeit der Magen wand ausgeiibt hatte, 
konnte h ; er nicht gross gewesen sein; denn die Zeit war zu kurz, 
um die Folgen dieser Stagnation voll ausreifen zu lassen. Infolge¬ 
dessen konnte auch die dadurch bedingte Gewebsschädigung bis 
dahin noch keinen höheren Grad erreicht haben. Ausserdem fehlten 
diese Veränderungen der Blutgefässe an den Schnitten, welche von- 
den oberflächlichen Rissstellen angefertigt worden waren. Dort war 
zweifellos die Muskulatur und die Serosa primär durch Ueberdehnung 
geplatzt, ohne dass erst Ernährungsstörungen eine stärkere Altera¬ 
tion bewirkt hätten. 

Nach Füllung der Bauchhöhle wurde «das dauernd reichlich pro¬ 
duzierte Gas in das retroperttoneale Gewebe hjneingedrückt, von wo 
es sich weiter verbreitete. Der Zeitpunkt an dem* das subkutane 
Emphvsem erschien, ist weht zu eruieren, da kurz vor und gleich 
nach dem Tode keine Untersuchung statt gefunden hat. Doch ist dies 
auch nicht so wichtig, da der Zustand des Lehens für den Gärungs¬ 
prozess an sich irrelevant ist und der Eintritt <W Todes nur die 
Toleranzgrenze des Organismus gegenüber dem 1 Krankbeitsnrozess 
nngibt. Immerh'n wird sieh der Einfluss des Todes auch auf die bio¬ 
logischen Reaktionen der Krankheitserreger nach einer gewissen Zeit 
erstreckt haben, vor allem durch die Aendemng der phvsikalischen 
Bedingungen: besonders hat wohl :dre starke Abkühlung bei der 
grossen Winterkälte hemmend auf den weiteren. Verlauf der Gärung 
eingewirkt. 

Dass die GasanSammlung ln den Geweben* tatsächlich von der 
einen Ouelfe im Abdomen ausging und nicht der Aufdruck einer 
Ueberschwemmung des Organismus mit gasbildenden Bakterien ge¬ 
wesen rst geht einmal aus der. Beschaffenheit des Gases hervor, 
dann daraus, dass das Herzblut nicht schaumig war und- sich Vubiirell 
als steril erwies, und drittens daraus, dass das Emphvsem nach der 
Peripherie hin abnnhm und nost sectionem m den nächsten 24 Stun¬ 
den sich nicht werter ausdehnte. 

Es ist also zweifellos erwiesen, -dass durch 
einen mehr oder weniger akut einsetzenden stür¬ 
mischen Gärungsprozesse! ne Sprengung des Ma¬ 
gens erfolgt ist, ohnedass anatomisch Zeichen für 
eine abnorme Minderung .seiner Widerstands¬ 
fähigkeit nachzuweisen waren. Für die Intensi¬ 
tät der Gärung Iegen.die grossen im Gewebe fest¬ 
geh a 1 te n en . Ga smen ge n b e r edt e s Zeugnis ab; für 
die Gewalt der dehnenden Kräfte sprechen die 
Risse in Serosa und Muskularis der Magenwand, 
wie sie in ähnlicher Weise bei Auftreibungen des Dickdarmes vor¬ 
zugsweise am Zoekum beobachtet werden. Sie schl!essen auch die 
Annahme aus. dass an der Perforatlousstelfe vorher eine Ulzeration 
bestanden habe, die den Durchbruch erleichtert hätte. Dieser wäre 
dann sicher früher erfolgt, ehe die Aufblähung des Magens solche 
Grade erreichte, dass auch die normalen Teile emrissen. Ausser¬ 
dem hätte sie nicht einen solchen Umfang, wie klinisch festgestellt 
wurde, annehmen können. Schliesslich fehlt jede Andeutung eines 
solchen ge Schwüngen Prozesses am Rande der PerforationsstelK 

Ob auch funktionell der Magen als normal zu bezeichnen war. 
ist eine andere Frage Dass bei . der zweifellos. schon länger vor¬ 
handen gewesenen*. Dvspeosie eine gewisse motorische Insiiffiz : enz 
Vorgelegen hat. ist nicht auszuschbessen. eher sogar wahrscheinlich, 
da sie sich erfahrungsgemäss an Gärungskatarrhe bald auschliesst. 
ja beide in ihren Ausmassen parallel zu gehen pflegen. Allerdings darf 
man nicht ausser acht lassen, dass es sich im vorliegenden Fall um 


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einen kindlichen, also auch erholungsfähigeren Magen handelt. 
Sicher kann die Atonie nicht sehr hochgradig gewesen sein, da sich 
der Magen nach -der Perforation stärker zusammemgezogen hat. Auch 
die multiplen Muskelrupturen sprechen dagegen. Offenbar hat die 
Muskulatur der aljzugrossen Dehnung entgegenzuwirken versucht, 
wie sich ja auch die Sphinkter en stärker kontrahiert haben müssen, 
und dabei ist sie senkrecht zu ihrer Hauptzugrichtung, die mit der 
Querachse des Magens zusammenfiel, zerrissen. Auffallend ist, dass 
die Schliessmuskeln an Kardia und Pylorus nicht naebgegeben 
haben; denn Ruktus sind nicht bemerkt worden und der Dünndarm 
war frei von GasanSammlungen. Man muss wohl mit Ewald an¬ 
nehmen, dass durch den Reiz der resorbierten Gärungsprodukte eine 
Kontraktion der Sphinkteren auseelöst wurde, die ein Entweichen 
des Gases verhinderte. Eine Schlundsonde hätte hier lebensrettend 
wiTken können. 

Für die Kardia kann übrigens auch noch ein anderer Mechanis¬ 
mus in Frage kommen, nämlich die Verlängerung und Abklemmung 
des unteren Oesophagusendes, worauf Kubczak ln seiner Mit¬ 
teilung über die durch Luftschlucken entstehende Pneumatose des 
Magens hingewiesen hat. Diese Verschlussart tritt nur bei hoch- 
gestelltem Magen ein, wobei die Mavenblase wie ein Tampon auf 
den gedehnten unteren Oesophagusabschnitt wirkt, so dass jeder 
Ruktus verhindert wird. Bei dem Mangel an Röntgenaufnahmen 
kommt man im vorliegenden Fall natürlich über Vermutungen nicht 
hinaus. 

Es bleibt noch die Frage zu erörtern, wodurch die heftige Gärung 
bedingt wurde. Sie scheidet sich in zwei Unterfragen: 1. nach der 
Herkunft und Art der Gärungserreger und 2. nach der Beschaffen¬ 
heit der Nahrung in bezug auf ihre Gärfäbigkelt. 

Was den ersten Punkt angebt, so ist es wohl ziemlich sicher, 
dass sich Cärimgserreger bei den günstigen Existenzbedingungen 
infolge des länger bestehenden, mit einer gewissen Atonie verbun¬ 
denen Magenkafcarrhs schon seit geraumer Zeit im Magen ange¬ 
siedelt hatten. Wie mir der Arzt und der Leiter der Anstalt auf An¬ 
frage brieflich mitgeteilt haben, sind sonst keine Kinder erkrankt. 
Auch sind 1 keine in Gärung über gegangenen Speisen verabreicht 
worden, andererseits soll das Kind sejt Jahr und Tag trotz bester 
Zahn- und Mundpflege höchst widerlich aus dem Munde gerodien 
haben. Dass es nicht über Magenbeschwerden geklagt hat ist bei 
dem Schwachsinn nicht weiter auffallend. Jedenfalls ist wohl unter 
diesen Umständen eine chronische Erkrankung des Magens mit 
stärkeren Gärungszuständen anzunehmen. 

Ausser Hefe fanden sich sehr reichlich Sarzine und Stäbchen, 
die ja gern mit den Hefen symbiotisch Vorkommen und nach den 
Untersuchungen E h r e t s durch dieses Zusammenleben eine stärkere 
Gärkraft gewinnen sollen. Wenigstens hat er dies für die Sarzine 
festgestellt. Die entstehenden Produkte sind nach den Analysen 
Hofmeisters auch bei ziemlich reiner Sarzinegänmg ähnlich 
denen bei Hefegärung, nämlich Aldehyd, Aethylalkohol, Kohlensäure, 
Essigsäure und Ameisensäure. 

Für die volle Entfaltung des Gärvermögens bedarf es einer 
genügenden Zufuhr von gär fähigen Substanzen, und das führt uns zu 
dem zweiten Punkt. An ihnen ist ia bet unserer Kostform 'während 
des Krieges kein Mangel. Wie mir der AnslaTtsfeiteT angab. kam als 
Brotbelag u. a. Pflaumenmus, Anfelgelee. Rübensaft und Marmelade 
zur Verwendung. Ueber die Bedeutung der Aufnahme stark zucker¬ 
haltiger Nahrungsmittel für den Grad der Gärung gibt am besten ein 
Selbstversuch Eh r et s Aufschluss, der nach einer bestimmten Mahl¬ 
zeit ein Ouantum Himbeerkonfiture und eme Flasche Bien zu sich 
nahm, welches reichlich wilde Hefe enthielt. Das erstemal hatte er 
keine besonderen Beschwerden; bei- einer Wiederholung nach 8 Tagen 
aber erkrankte er noch in derselben Nacht mit starken Durchfällen 
und Erbrechen. In dem Erbrochenen waren reichlich Schaumblasen. 
Diese starke Reaktion stellte sich also schon ber einem normal funk¬ 
tionierenden Maeen ein. Welche besonderen Umstände es bei dem 
an Dyspepsie leidenden Mädchen waren, die den katastrophalen 
Gärungsprozess auslösten, hält schwer, bei dem’ Mangel an klinischem 
Becbachtungsraaterial nachträglich aufzuklären. Doch dürfte der Fall 
hierdurch nicht an seiner prinzipiellen Bedeutung einbusten. <be ■'♦arfn 
giofelt. dass bei den Gärungen des Magens flberhaunt Exazerbationen 
möglich sind, dre eine Sprengung der Magenwand herbeiführen können. 

Literatur. 

Ehret H.: Ueber die diagnostische Bedeirtiung der Magen¬ 
gärungen. Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Ghir. 3. 1898. S. 579 imd 
Ueber das Verhältnis der Sarzine zu den Magengärungen. Ebenda 
S. 44. — Ewald: Magenkrankheiten. Eulenburvs Realenzvklopädie 
4. Auf!, — Fraenkel P.: Untersuchungen zur Entstehung der sog. 
spontanen Magenruptur. D. Arch. f. kfin. Med 89. S. 113. — 
Kubczak: Kasuistischer Beitrag zur Lehre von der Pneumatose 
des Magens und Darmes. M.m.W. 1918 Nr. 10 S. 267. — Lafar: 
Hb. d. techn. Mykologie. Bd. 4. Spezielle Morphologie und Phy¬ 
siologie der Hefen und Schimmelpilze. O. Fischer. Jena 1907. — 
Rieder: Die pneumatose d^s Magens. M.m.W. 1917 Nr. 42 S. 1353. 
— Schen.cke H.: Ueber Magenrupturen durch innere Einwirkung. 
Inaug.-Diss.. Leipzig. 1912. — Strauss H.: MagengSrungen Zschr. 
f. Win. Med. 26 u. 27. 


Original frorn 

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Beilage zu Nr. 46 der Münchener medizin'schen Wochenschrift, 1918. 

Zu Otto üoetze: ,,Die Röntgendiagnostik bei gasgefüllter Bauchhöhle; eine neue Methode' 


Erläuterungen siche umstehend. 


Verlag von J. F. Lehmann in München. 


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Erläuterungen für die Tafelflguren. 

Tafelfigur 1. Karzinommetastasen an der Unterseite des rechten Zwerchfells; Patient stehend. 

a =- rechtes Zwerchfell; b = Insertionslinie des rechten Lig. coron. hepatis; 
c = respiratorisch verschiebliche Tumoren; d = respiratorisch unverschiebliche 
Tumoren; e = Leber, mit einem der Tumoren verwachsen. 

Tafelfigur 2. Tuberöse Bauchfelltuberkulose; Rückenlage. a = Nabel; b = Gegend des 
Schwertknorpels; c = halbmondförmiger Netztumor an der vorderen und seit¬ 
lichen Bauchwand, von der Seite gesehen; d = verzerrte Darmschlinge; 
e = Darmschlingen. 

Tafelfigur 3. Zungenförmiger Schnürlappen der Leber, als Nierentumor zuvor angesprochen; 

Patient stehend, a = linkes Zwerchfell; b = rechtes Zwerchfell; c = kleiner 
pleuritischer Erguss; d = Gegend der Lebervene; e == rechter Leberlappen, bis tief 
ins Becken hinabreichend; f = Kontur der normalen rechten Niere, die in Seiten¬ 
lage völlig frei sichtbar wurde; g = normale Gallenblase; h = Beckenschaufel. 
Tafelfigur 4. Normale Gallenblase und Leber; Patient stehend, a = rechter Leberlappen; 

b — Gallenblase; c = kleiner Leberrandadhäsionsstrang. 

Tafelfigur 5. Patientin mit starken Adhäsionen nach Appendektomie, in Seitenlage sehr gut 
sichtbar; Aufnahme im Stehen, a = Milzkontur; b — Nebenmilz; c «= Nieren¬ 
kontur; d == Magenkontur bei geringer COi-BIähung; e = rechter Leberlappen, 
an der Bauchwand seitlich adhärent; f = Gallenblase, an sich normal, aber in 
einem Beutel von Adhäsionen unverwachsen hängend; am Fundus Adhäsions¬ 
stränge sichtbar; Gallenblase hängt schräg und pendelt nicht beim Stoss. 
Tafelfigur 6. Chronische Cholezystitis; Patient stehend, a = lateraler Rand des linken Leber¬ 
lappens ; b = rechter Leberlappen, in der Kopie wegen der starken Kontraste 
unscharf begrenzt; c= vergrösserte und verdickte, s-förmig gekrümmte Oallen- 
blase; die Operation zeigte keine pericholezystitischen Adhäsionen; Inhalt 3 hasel¬ 
nussgrosse Steine im Fundus. 

Normale rechte Niere; linke Seitenlage, a = Zwerchfell; b = Leber; c = Niere; d = Beckenschaufel. 

Kleines Magenkarzinom an der kleinen Kurvatur; Rückenlage, linke Seite um ca. 20° erhöht, Magen gebläht, a = Leber; b = Zwerchfell; 
c = Nabelmarke; d = Beckenschaufel; e = Kolon; f = Magen wand; g = Antrum pylori; h = Karzinom; i = Lig. col. sin. 

Normaler Uterus einer Pluripara; Seitenlage, a = Promontorium; b = Symphyse; c = Uterus; d = Lig. latum; e = Ovarium, meist 
besser und dunkler sichtbar. 

= Promontorium; b = Symphyse; c = Uterus; d = rechtes Ovarium; e = Aszitesspiegel. 



Fig. 10. 

Tafelfigur 7. 

Tafelfigur 8. 

Tafelfigur 9. 

Tafelfigur 10. Ovarialtumor; Seitenlage. 


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12. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1293 


Aus dem Institut für physikalische Heilmethoden im 
Kaiser-Jubiläums-Spital der Stadt Wien v 

Zur Elektrotherapie der Ischias. 

Eine neue Methode der Galvanisation. 

Von Primarius Dr. Josef Kowarschik. 

Die schmerzstillende Wirkung des galvanischen Stromes beruht, 
wie ich vor kurzem darzulegen versuchte 1 ), nicht auf elektrotonisehen 
Erscheinungen, sondern auf chemischen Veränderungen, welche der 
Strom hei seinem Durchtritt durch das Gewebe auf der ganzen 
Breite seines Weges von Elektrode zu Elektrode auslöst. Erblicken 
wir in diesen chemischen Vorgängen die eigentliche Heilpotenz, dann 
dürfen wir hoffen, die therapeutische Wirkung des galvanischen 
Stromes verbessern zu können, dadurch, dass wir die durch fhn 
veranlasste Atomverschiebung und die damit im Zusammenhang 
stehende Chemische Umwertung erhöhen. Dies aber erreichen wir: 

1. Durch eine Vergrösserung der Stromstärke: Denn die StTom-* 
stärke ist direkt proportional der Zahl der Ionen, welche m der 
Zeiteinheit irgend einen Querschnitt des Leiters passieren. 

2. Durch eine Verlängerung der Behandlungsdauer: Denn die 
Atomverlagerung und ihre chemischen Folgen werden umso aus¬ 
giebiger sein, je länger die Wanderung der Ionen andauert. 

Die Forderung, möglichst hohe Stromstärken fn möglichst lang¬ 
dauernden Sitzungen anzuwenden, ist nicht neu, sie wird seit Jahren 
von französischen Elektrotherapeuten wie BergoniS, Bordier. 
No gier u. a. vertreten und die therapeutischen Erfolge dieser 
Autoren, die ich auf Grund jahrelanger Ergenerfährung bestätigen 
kann, zeigeu die Berechtigung dieser Forderung in vollstem Masse. 

Leider findet die Steigerung der Stromstärke sehr bald eine 
Grenze in den sensiblen 4^ ei zersch ei nun gen, die bei wachsender 
MilMamperezahl auftreten und schliesslich Halt gebieten. Man kann 
diesen Uebelstand zum Teil dadurch ausgleichen, dass man sehr grosse 
Elektrodenflächen verwendet und so die Stromdichte vermindert. 
Denn nicht die absolute Stromstärke, sondern die relative, d i. die 
Stromstärke für 1 qcm des Querschnitts oder die Stromdichte ist be¬ 
stimmend für die sensible Reizwirkung. Diese soll, wenn sie auch 
nicht völlig vermieden werden kann, doch eine möglichst geringe sein. 

Ist die anwendbare Stromstärke eine begrenzte, so ist die Be¬ 
handlungsdauer unserem Belieben überlassen und wir können ein 
Minus des ersten Faktors durch ein Plus des zweiten kompensieren, 
um die volle therapeutische Dosis zu erreichen. 

Auf d ; esen Voraussetzungen basierend möchte ich im Folgen¬ 
den eine neue Form der Galvanisation beschreiben, welche ich zur 
Behandlung der Extremitätenneuritis. insbesondere der Ischias, seit 
nunmehr 3 Jahren mit bestem Erfolge übe. 

Die Galvanisation der Ischias kann entweder in der Weise vor¬ 
genommen werden, dass man das erkrankte Bein in der Richtung 
seiner Längsachse oder ouer zu dieser vom Strom durchsetzen lässt. 
Man kann also eine Längs- und eine Quergalvanisation unterscheiden. 

Die Längsgalvanisation wird am zweckmässigsten so 
ausgeführt, dass man das Bern in ein Zellenbad tauchen lässt und eine 
zweite Elektrode im Ausmess von 300—400 aem auf den lumbalen 
Antel des Rückens legt. Man kann unter diesen Verhältnissen un¬ 
schwer eine Stromstärke von 15—20 M’lliamnere zur Anwendung 
bringen. Ist die Dauer der Sitzungen eine genügend lange — sie 
muss wenigstens 30 Minuten betragen — so sind die Erfolge dieser 
Methode recht gute. 

Weit überlegen ist ihr iedoch die O u e rva1van i sation in 
der Ausführung, wie ich sie nachfolgend mitteilen will. Die euere 
Durcbströmung mittel? grosser, an der Vorder- und Rückseite des 
Beines angelegter Elektroden wunde zuerst von T Hirtz fComn- 
tes r^ndus 10. Mai 1013, Nr. 20 und Archives d’61eotr. m6d. 1913 
Nr. .366) emnfohlen. Ich habe das Verfahren von Hirtz. zu dem man 
einer besonderen von A. Gaiffe in Paris berges-tellten Flektroden- 
einrichtung bedarf bereits vor dem Kriege ernrobt. Dasselbe ist 
jedoch so umständlich und technisch kompliziert, dass ich es wieder 
aufgab und von e : ner Empfehlung desselben absah. Das Anwachsen 
der Zahl meiner Tschiasikranken gleich im Herbst des ersten Kriegs¬ 
jahres war für mich die Veranlassung, nochmals auf den Gedanken 
der oueren Galvanisation mit hohen Stromstärken zurnckzukommen. 
Durch Versuche verschiedener Art habe ich für diesen Gedanken eine 
Ausführung gefunden, die. wie ich glaube, dem praktisch-therapeut’- 
schen Bedürfnis entspricht. 

Die Ausführung. Ich verwende zur Ischiasbehandlung 
zwei Elektroden in der Länge der unteren Extremität, weiche so an 
das Bein angelegt werden, dass die eine derselben die Beugeseite, 
die zweite d ; e Streckseite desselben ihrer ganzen Ausdehnung nach 
deckt (Fig. l). Jede dieser beiden einander vollkommen 
Elektroden ist zerlegbar und besteht aus zwei Teilen: Einern Streifen 
Bleiblech und einem Stück Stoff, am besten Frottierstoff, der vor dem ~ 
Gebrauch angefeuchtet, zur Umhüllung des Metallstreifens dient (Fig. 2). 

Die Bleiein läge hat eine Länge von 90 cm, eine Breite von 
10 cm und eine I>‘cVe von 0 75 mm. Sie wird, um sie in Verbindung 
mit der Stromouelle zu bringen, an der einen Schmalseite an ern 
Kabel nmreklemmt. wie ich sie zur Diathermie vorgeschlagen habe. 
Diese Kabel tragen an einem Ende eine flache Klammer, die mjt ihren 


4 ) W.kl.W. 1918 Nr. 17. 


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Griffen die Metallplatte fasst und sie nach Zudrehen einer Schraube 
festhält Will man die gewöhnlichen Kabel verwenden, dann muss 
man an der Metallelektrode selbst zum' Anschluss des Kabels eine 
Klemme anbringen lassen. 



~~ Flg. 1. 


Der Frottierstoff hat eine Länge von 100 cm und eine Breite 
von 84 cm. Er wird vor der Verwendung in möglichst heisses Wasser 
getaucht, mässig ausgerungen und auf einer Tischplatte oder einer 



Flg. 2. Oben der Frotberstoff, in der Milte der Bleistreifen für sich, unlen der ge¬ 
faltete Frottierstoff mit aufgelegtem Bleistreifen. 


anderen Fläche parallel seiner Längsseite in mehrfacher Lage gefaltet. 
-Die Breite jedes Umschlages ist, um sie sofort richtig zu treffen, an 
der schmäleren Seite des Stoffes durch rote Randmarken angegeben. 
Sie beträgt 12 cm, so dass bei einer Breite des ganzen Tuches von 
84 cm eine siebenfache Faltung möglich wird (84:12 = 7). 

Hat man das Tuch das vierte Mal umgeschlagen, es also in fünf¬ 
facher Lage geschichtet, so legt man auf die Schichtung den mit 
dem Kabel verbundenen Bleistreifen (Fig. 2). Den restlichen Teil 
des Stoffes schlägt man dann über das Metall, so dass dieses allseits 
von ihm bedeckt wird und schliesst mit der letzten Lage auf der 
entgegengesetzten Seite. Es er¬ 
gibt sich so der in Fig. 3 sehe- Vordn-stilt 

matisch dargestellte Querschnitt. 

Die Vorderseite der Elektrode bil¬ 
det eine sechsfache Stofflage, auf 
diese folgt das Blei, die Rück¬ 
seite wird von einer einfachen 
Stofflage dargestellt. Die Elek¬ 
troden sowohl wie die Kabel sind BUiplaM* 
von der Firma Siemens & Halske 
erhältlich. 



RürKsritp 


Flg. 3. 


Sind beide Elektroden in dieser. Weise vorbereitet, dann legt 
man die eine derselben mit der dicken, d. h. mit der sechsfachen 
Stofflage nach oben gekehrt auf das Behandlungsbett. Der Kranke 
lagert sich nun so auf diese Elektrode, dass dieselbe der Rückseite 
des erkrankten Beines von der Ferse bis zur Hüfte anliegt Durch 
Einschieben eines Sandsackes, einer zusammengefalteten Kompresse 
oder dergleichen in den Bogen der Kniekehle, kann man die An¬ 
passung der Elektrode an die Krümmung des Beines noch vervoll¬ 
ständigen. 

Hierauf wird die zweite Elektrode auf die Streckseite des Beines 
gebracht, natürlich wieder mit der dicken Stofflage hautwärts. 
Durch Druck mit der flachen Hand wird die Elektrode, die ia infolge 
ihrer Bleieinlage eine gewisse Plastizität besitzt, der Oberfläche 
des Beines überall möglichst genau angepasst, um einen gleich- 
mässigen Stromübergang zu sichern. 

Die Modellierung und das Eigengewicht der Elektrode genügen 
meist, um sie in ihrer Lage zu erkalten. Bisweilen ist das Auflegen 
von ein oder zwei leichten Sand$äcken zweckmässig, um den Kontarkt 
zu verbessern. Von der Befestigung, mittels umgelegter Gummi¬ 
binden oder Gummischläuche, wie ich sie anfänglich gebrauchte, habe 
ich jetzt vollkommen Abstand genommen. Es ist auch sorgfältig 
darauf zu achten, dass die Elektroden selbst sich nicht an irgend 
einer Stelle berühren und so einen Kurzschluss vermitteln. 

Welche von den beiden Elektroden die Anode und welche die 
Kathode bildet, ist vollkommen gleichgültig, denn die Heilwirkung der 
Galvanisation hat, wie ich in meiner zitierten Arbeit ausgeführt habe, 
mit elektrotomschen Erscheinungen gar nichts zu tun, sie beruht 
vielmehr auf biochemischen Vorgängen, welche durch den Strom 
im Innern des Gewebes angeregt werden. Die Elektrodenanordnung, 


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1294 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 


bei der die Stromlinien überall senkrecht zur Achse des Nerven 
stehen, schhesst übrigens die Bildung einer an- und katelektro- 
tonischen Zone aus. Wenn trotzdem der therapeutische Effekt dieser 
Technik ein vielfach grösserer ist als der der alten Methoden, 
welche auf die Erzeugung eines Anelektrotonus ausgehen, so ist das 
nur ein neuerlicher Beweis dafür, dass die schmerzstillende Wirkung 
der Galvanisation bei den Neuralgien nicht auf dem Elektrotonus 
beruhen kann. 

Die Dosierung. Sind die Elektroden angelegt und an den 
Apparat angeschlossen, so schaltet man den Strom ein und führt ihn 
ganz langsam zu jener Höhe, die von dem Patienten leicht und ohne 
jeden Schmerz vertragen wird. Rückt man von Minute zu Minute in 
dem Masse als die Empfindlichkeit sinkt, mit der Stromstärke immer 
etwas nach, so erreicht man durchschnittlich 70—80 Milliampere, in 
manchen Fällen 100—120 MA. Wenn trotz dieser hohen Strom¬ 
stärke die sensible Reiz Wirkung eine ganz geringe ist, so wird das 
eben bedingt durch die grosse Kontaktfläche, welche für jede Elek¬ 
trode 1200 qcm beträgt. 

Tritt schon bei ganz niedriger Stromintensität an irgend einer 
umschriebenen Steile unter den Elektroden ein Brennen auf, das ein 
höheres Ansteigen verbietet, so bedeutet dies meist ein schlechtes 
Anliegen der Elektroden, das einerseits in einem ungenügenden Be¬ 
rühren, andererseits aber auch in einem zu starken Eindrücken der 
Haut bestehen kann. Eine leichte Verschiebung oder ein 'geringer 
Druck vermögen meist leicht den- Fehler zu beheben und das Hindernis 
für eine hohe Stromdosis zu beseitigen. Bei gutem Anliegen soll 
der Stromübergang ’ entsprechend der ganzen Elektrodenoberfläche 
gleichmässig gefühlt werden. 

Die Höhe der anwendbaren Stromstärke wird ausser von der 
subjektiven Empfindlichkeit der Patienten gegen den Strom auch 
von der Art der Stromquelie beeinflusst, welche wir für die Be¬ 
handlung benützen. Je konstanter die Spannung des Gleichstromes 
ist, desto mehr wird von demselben vertragen. Es ist kein Zweifel, 
dass der Gleichstrom, den die jetzt allgemein gebräuchlichen erd- 
schlussfreren Anschlussaparate liefern, auch nicht annähernd die Kon¬ 
stanz der Spannung auf weist wie der Gleichstrom, den die alten 
galvanischen Batterien gaben. Auch jene Anschlussapparate, welche 
einen Kondensator oder eine Drosselspule besitzen und sich einer 
„reinen“ Galvanisation rühmen, erzeugen einen Strom, der noch sehr 
viel zu wünschen übrig lässt, wie ich mich durch die photographische 
Aufnahme von Gleichstromkurven überzeugen konnte. Auch der 
praktische Versuch zeigt, dass die Patienten von dem Gleichstrom 
einer galvanischen Batterie eine um 10—20 v. H. höhere Dosis ver¬ 
tragen als von dem eines Anschlussapparates. 

Die Behandlungsdauer bemesse ich anfangs zu 30 Minuten, steige 
aber bald auf 40 und 50 und schliesslich auf 60 Minuten; je länger 
die Behandlungen dauern, umsomehr Sorgfalt muss man der Pflege 
der Haut zuwenden, um nicht durch eine Reizung derselben zum Aus¬ 
setzen. der Galvanisation gezwungen zu werden. Man lasse die Haut 
nach jeder Behandlung, die meist eine starke Rötung zurücklässt, rr.it 
einem indifferenten Streupulver einstauben, man achte auch auf die 
kleinsten Epithelläsionen und bedecke dieselben vor jeder Behand¬ 
lung mit Kollodium, damit sie nicht zum Ausgangspunkt für eine Ver¬ 
ätzung werden. Die Galvanisation wird anfangs täglich, später, vj?nn 
ihre Dauer auf 50—60 Minuten gestiegen ist, nur jeden zweiten Tag 
vorgenommen. » 

Nehmen wir an, dass wir einen Strom von 70 MA. 60 Minuten 
lang durch das Bein schicken, so gibt dies eine Stromdosis von 
4200 Mil kam per e m i nut en. Vergleichen wir damit die bisher übliche 
Dosierung, bei der. sagen wir beispielsweise 10 MA. durch 10 Mi¬ 
nuten, d. s. 100 Milliampereminuten angewendet werden, so ist der 
Unterschied wohl in die Augen springend. Die Stärke des Eingriffes, 
den wir auf die chemische Konstitution des Gewebes ausüben, ist im 
ersteren Falle 42 mal so gross und wir müssten 42 Behandlungen nach 
dem alten System, also eine ganze langdauernde Kur, ausführen, um 
den gleichen physikalisch-chemischen Effekt zu erzielen, den wir 
nach unserer Methode in einer einzigen Sitzung erreichen. Waren 
schon die Erfolge der alten Galvanotherapie bisweilen recht zu¬ 
friedenstellende, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn diese Erfolge 
durch unser neues Verfahren vervielfacht werden. 

Die Erfolge. Ich habe im Verlaufe von 3 Jahren 126 Fälle 
von Ischias nach der beschriebenen Weise behandelt. Ich werde an 
dieser Stelle den Leser nicht mit einer Statistik dieser 126 Fälle be¬ 
lästigen, zumal ja jeder von ujis weiss, was eine Statistik, und gar 
erst eine therapeutische, bedeutet. Ich begnüge mich damit, zu sagen, 
dass die Heilresultate, welche ich mit der „grossen“ Galvanisation 
erzielte, ausserordentlich günstige waren und ich bin überzeugt, dass 
die Nachprüfung von anderer Seite diese meine Erfahrungen be¬ 
stätigen wird. 

Die Quergalvanisation mit grossen Stromstärken ist bei der Be¬ 
handlung der Ischias jeder anderen Form der Elektrotherapie über¬ 
legen. Ich sch Messe in dieses Urteil auch die Diathermie ein. der ich 
ja seit Jahren eine besondere Liebe zuwende. Ueberraschend ist 
meist schon der Erfolg jeder einzelnen Sitzung. Die Patienten geben 
fast alle übereinstimmend an, dass sie nach der Behandlung eine 
ireiere Beweglichkeit, eine wesentliche Erleichterung der Schmerzen, 
ein höchst angenehmes Wärmegefühl in dem erkrankten Bein emp¬ 
finden. 

Da Ich nicht ausschliesslich Elektrotherapeut bin, sondern auf 
meiner Abteilung dank der Reichhaltigkeit der mir zur Verfügung 

□ igitized by Gck 'äle 


stehenden Mittel auch jede andere Form der Iscbrastherapie übe, 
wie Bäder, Duschen, Heissluft- und Fangobehandlung, Gymnastik. 
Massage, Radium- und Lichtbehandlung, so war ich auch m der 
Lage, mir durch Vergleich ein Urteil über den Heilwert der Gal¬ 
vanisation mit hohen Stromstärken gegenüber den anderen Behand¬ 
lungsmethoden der Ischias zu bilden. Dieses Urteil wird am besten 
dadurch gekennzeichnet, dass ich im Verlaufe der 3 Jahre, seit der 
ich die beschriebene Methode übe, dahin gekommen bin. dieselbe in 
der Ueberzeugung von Ihrer Wirksamkeit hauptsächlich für die 
schwersten und hartnäckigsten Fälle von Ischias zu reservieren, für 
jene Fälle, bei denen bereits das leichtere physikalisch-therapeutische 
Geschütz wirkungslos geblieben ist. 


Aus dem orthopädischen Spital in Graz (Kommandant Ober¬ 
stabsarzt Professor Wittek). 

Die einarmigen Kriegsbeschädigten im Berufsleben*). 

Von Dr. Otto Burkard, Privatdozent für soziale Medizin 
in Graz. 

Gelegentlich des Referates von Schanz über „die Zukunft 
unserer Kriegsinvaldden“ berichtete ich am Kongress für Kriegsbe¬ 
schädigtenfürsorge kurz über Erhebungen und Nachuntersuchungen, 
betreffend die armamputierten Kriegsbeschädigten der Steiermark. 

Es sind ihrer gegenwärtig 235, von welchen wir unter Zuhilfe¬ 
nahme aller möglichen Quellen Kenntnis erlangt haben; die Zahl 
dürfte eine ziemlich erschöpfende sein. Der grössere Teil von ihnen 
war im Grazer orthopädischen Spitale selbst in Behandlung oder 
Schulung gestanden. 

Unsere Erhebungen beschäftigten aiph mit der Frage, wo und 
wie diese Gruppe Schwerstbeschädigter im bürgerlichen Erwerbs¬ 
leben gelandet ist. 

Vor dem Kriege verteilten sie sich auf die Hauptberufsgruppen 
wie folgt: 

53.6 Proz. Land- und Forstwirtschaft, 

38.7 Proz. Industrie und Gewerbe einschliesslich Bergbau. 

6,8 Proz. Handel und Verkehr, 

0,9 Proz.. öffentlicher Dienst. 

Siohere Kunde haben wir bisher von rund 60 Proz. aller ein¬ 
armigen Kriegsbeschädigten unseres Kronlandes, Der Rest steht zum 
Teile noch in Behandlung oder ist zum anderen Teile — meist FäHe, 
die wider die bestehenden Vorschriften in fremden Kronländern zu- 
rüokbehalten und dort erledigt worden sind — durch die Erhebung 
noch nicht erfasst. 

Es ergab sich, dass 95 Proz. der aus der Land- und 
Forstwirtschaft stammenden einarmigen Kriegs¬ 
beschädigten wieder in diese Berufsgruppe zu¬ 
rück g e k e h r t sind; desgleichen 51 Proz. der Gruppe Industrie. 
Gewerbe und Bergbau und fast alle Angehörigen der beiden anderen, 
spärlioher vertretenen Berufsgruppen. 

Ein verdienstvoller und von mir sehr geschätzter Kollege und 
guter Kenner der analogen Verhältnisse eines Nachbarkronlandes hat 
im Hinblicke auf die Zahlen, welche die Landwirte betreffen, das 
Fehlen der Trennung zwischen selbständigen und' nicht¬ 
selbständigen Landwirten beanstandet, überdies aber auch die 
Zahlen als solche als irreführend und höchstens für die selbständigen 
Landwirte gültig abgefeimt, ohne sachlich hiefür einen anderen Grund 
vorzubringen als ganz allgemein den, dass seine eigenen Erfahrungen 
andere seien. 

Nachforschungen über die durch die Kriegsbeschädigtenfürsorge 
tatsächlich erzielten Ergebnisse sind wertvoll und endlich unerlässlich 
als der einzige Weg, der es den Trägern dieses wichtigen Fürsorge¬ 
zweiges ermöglicht, sich selbst über d*ie Wirksamkeit ihrer Mass¬ 
nahmen Rechenschaft zu geben. 

Wohl in diesem Sinne begegneten die Teilnehmer des Kongresses 
mit stärkerem Interesse dem Berichte über das Geschhk steirischer 
Armamputierter, in welchem ich — auf wtnige Minuten Sprechzet 
gebunden — durchaus nicht ohne bewussten Grund die Trennung von 
selbständigen und unselbständigen Landwirten, von „Besitzern“ und 
„Hilfsarbeitern“ unberührt Hess. 

Diese Unterscheidung mag nämlich dem mit der Sache weniger 
Vertrauten recht einfach und klar erscheinen; sie ist es aber keines¬ 
wegs, wenn man im Auge behält, warum wir überhaupt darauf in 
Fragen der Kriegsbeschädigtenfürsorge Gewicht legen. 

Wir wissen, dass die berufliche Unterbringung kriegsinvaUder 
selbständiger Landwirte relativ zu den, leichtesten, die der unselb¬ 
ständigen, d. i. der landwirtschaftlichen Hilfsarbeiter, zu -den relativ 
schwersten Aufgaben der Kriegsbeschädigtenfürsorge gehört. Den 
Besitzer ruft die eigene Scholle zurück, die er nicht nur durch seine 
Abwesenheit vernachlässigt weiss, sondern die ihm in der Regel ein 
gewisses Ausmass der notwendigen Lebensbedingungen verbürgt- 
Der landwirtschaftliche Hilfsarbeiter ohne eigenen Besitz wird, wenn 
er wieder leistungsfähig ist, von den Bauern nicht immer gern wieder 
in den Dienst genommen und besitzt*meist so wenig Vorbildung um. 
Bildungsfähigkeit, dass es schwer fällt, aus ihm etwas zu machen. 


*) Ein Nachtrag zum Kongress für Kriegsbeschädigtenfürsorge 
in Wien, 16.—19. September 1918. 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1 1 . November flM8. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 




1295 


Von unseren einarmigen Landwirten sind nun 21.6 Proz. Be¬ 
sitzer. AHe übrigen, d. h. 78,4 Proz., sind in Ihren Dokumenten als 
landwirtschaftliche Hilfsarbeiter, Knechte, Feldarbeiter ausgewiesen. 
Bei näherem Eingehen auf die beruflichen Versorgungsfragen, die wir 
in jedem Einzelfalle schon während der medizinischen Behandlung in 
Angriff nehmen, ergibt sioh jedoch alsbald, dass diese ä leserliche 
Scheidung für unsere Zwecke durchaus nicht öhne Läuterung aufrecht 
£u 'erhalten ist. Volle 55 Proz. unserer unselbständigen einarmigen 
Landwirte erwiesen sich als Besitzer söihneunc waren vor dem 
Kriege als Hilfsarbeiter in der elterlichen Wirtschaft tätig; einige 
stehen in anderem nahe verwandtschaftlichen Verhältnisse zu Be¬ 
sitzern, und nur 40 Proz. der sog. „unselbständigen“ Landwirte, 
dassind 29 Proz. aller ausder Landwirtschaft stam¬ 
menden Einarmigen verblieben als Knechte, Hilfs¬ 
arbeiter im eigentiichenSinne, deren berufliche Bestellung 
und Existenz ausschliesslich auf dem Dienstverhältnis zum Arbeitgeber 
aufgebaut ist 

Vom Gesichtspunkte der Kriegsbeschädigtenfürsorge wäre es 
richtiger, die — kurz gesagt — aus Besitzerfamilien stammenden 
Kriegsbeschädigten unter die „selbständigen“ Landwirte einzureihen; 
jedenfalls dürfen sie nicht ohne weiteres den eigentlichen Hilfsarbeitern 
gleich geh alten werden; denn sie streben fast alle dorthin zurück, wo 
sie zuhause sind und finden dort, soweit unsere Erfahrung reicht, auch 
wirklich ihr Unterkommen. 

Ob immer auch ihr Auskommen? 

Ich 'habe in meinem Vortrage ausdrücklich darauf verwiesen, 
dass dieses Auskommen zweifellos oft ein karges zu sein scheint, denn 
es war mir nicht darum zu tun, einen Beitrag zu dem Blütenstrausse 
der Heilungs- und Fürsorgewunder, sondern Tatsachen zu bringen. 
Aber auch in schlimmen Fällen sind diese Leute keine Bettler und 
Tagdiebe geworden, sie fallen nicht empfindlich der Oeffentlichkeit zur 
Last, sind nie ganz untätig und sind anscheinend keine unzufriedenen, 
unglücklichen Menschen geworden. 

Sollen wir — die Möglichkeit vorausgesetzt — dieser sdbstge- 
woHten Rückkehr kleiner und kleinster Besitzer aktiv entgegenzu¬ 
treten versuchen, um aus ihnen etwas anderes, Besseres zu machen? 
Da müsste dodh zuerst die Frage bereinigt sein, ob die für den ein¬ 
armigen Bauern durchschnittlich in Betracht kommenden „Um¬ 
schulungen“ oder „Anlernungen“ geeignet sind, ihnen wesentlich mehr 
zu bieten, als was ihnen ohne Entwurzelung aus dem heimatlichen 
Boden verbleibt. 

Von unseren, aus Besitzerfamilien stammenden Einarmigen sind 
alle dorthin zurückgekehrt, und wir haben diese Rückkehr bewusst 
und nachdrücklich gefördert. Wir haben es getan auch dort, wo die 
Berufsberatung ergab, dass der Besitz klein, die Zähl der Kinder oder 
Geschwister gross ist, und wenn wir diesen Grundsatz auch weiter 
verfolgen wollen so stützt uns darin überdies die Meinung, dass ge¬ 
rade die einarmigen Bauern im Verlauf einiger Jahre vielfach das 
Zugreifen ganz gut erlernen werden, wo es heute daran noch 
fehlen mag. / 

Und nun unsere wirklich „unselbständigen“ landwirtschaftlichen 
Hilfsarbeiter. Eine Anzahf bildungsfähiger unter ihnen hat landwirt¬ 
schaftliche Mittelschulen' absolviert und günstige Anstellungen er¬ 
reicht. Eine andere Gruppe ist in der Samenzuchtanstalt des früheren 
Flüchtlingslagers Wagna, das zur Invalidenniederlassung ausgestaltet 
wird, unterrichtet worden, dort angesiedelt und berufstätig verblieben. 
Eine kleine Zahl ist von ihren früheren Dienstgebern oder von reichen 
Gutsbesitzern trotz ihrer Beschädigung bleibend in Dienst genommen 
worden; einige wenige sind abgewandert und als Verzehrungssteuer- 
bestellte, Briefträger und dergleichen tätig. Es sind die 5 Proz., die 
als ein zu geringer Bruchteil angezweifelt wurden. Allzuviel an 
dieser Zahl wird sich auch dann nicht ändern, wenn unsere Er¬ 
hebungen mit der Erfassung der heute noch Fehlenden abgeschlossen 
und auch die Fälle in der Statistik aufgenommen sein werden, die 
heute noch fehlen; ihre Anschriften allein besagen uns bereits, dass 
s*e zum grössten Teile sich wieder dort befinden, wo Sie vor dem 
Kriege waren. 

Dass die Verhältnisse hinsichtlich der Erhaltung einarmiger Land¬ 
wirte hn Berufe anderwärts sich wesentlich von den Verhältnissen 
bei uns unterscheiden, war mir nicht bekannt. Meines Wissens liegen 
von keiner Seite umfassendere Berichte vor, welche einen Vergleich 
ermöglicht hätten . 

Wenn dem aber wirklich so sein sollte, was wie gesagt bislang 
unerwjesen ist, so wird es wertvoller sein, der Frage nachzugehen, 
warum es so ist, als mit vorweggenommeneT Ueberlegenhelt ohne 
tatsächliche Belege über die Frage hinwegzugleiten. 

• Es «dürfte für diesen Fall gewiss gelingen, erklärende Gründe 
hiefür zu finden. Man wird berücksichtigen^ dass das Klernbauern- 
tum in Steiermark nooh stark vertreten, die Zahl der Eigenbesitzer 
also eine relativ grosse ist. Man wird daran denken, dass der Alpen- 
iänder besonders stark an der Scholle hängt, dass das Sippenwesen 
da und dort noch fortlebt und dem Helmkehrenden das Unterkommen 
m der Verwandtschaft erleichtert. Man wird sich erinnern, dass 
das durchschnittliche Bildungsniveau des Aelplers kein hohes, seine 
Anknüpfungspunkte nach anderen Berufen von Haus aus spärliche, der 
Zug zur Industrie und zur Stadt noch kein allgemeiner und besonders 
lebhafter ist: lauter Dinge, die eine — sozusagen — natürliche 
Erhaltung im Bauernberufe fördern. 

Und wenn man die künstliche Berufserhaltung, das ist die 
bewusste, durch die Mittel der Sohulung, der Unterstützung mit Ar- 

Di gitized by Go ole 


beitsbehelfen oder mit Grund, auf dem Wege der Selbständigmaohung 
und dergleichen von aussen her geförderte Erhaltung im alten Berufe 
der natürlichen gegenüberstellt und Aufwand wie Erfolge beider 
miteinander vergleicht, so wird kein unbefangener Beobachter die 
Vorteile einer solchen natürlichen Berufserhaltung zu leugnen ver¬ 
mögen. Voraussetzung für die letztere ist freilich, dass die Anhäng¬ 
lichkeit an die Heimatsoholle geweckt und jederzeit gefördert wird. 

Leider ist der Fall keine Ausnahme, dass gerade landwirtschaft¬ 
liche Berufsangehörige durch eine verkehrte und unverantwortliche 
Berufsberatung und Schulng in berufsfremder Richtung von ihrer 
natürlichen Erhaltung abgezogen und Hoffnungen in ihnen erweckt 
werden, die sie dann bei der Rückkehr in die Heimat enttäuschen 
und einer natürlichen Entwicklung geradezu den Weg verlegen. 


Kurze Anleitung für Kriegsverletzte zum Schreiben 
mit der linken Hand. 

Von Prof. Dr. Otto Seifert in Würzburg. 

Um mit der rechten Hand das Schreiben zu erlernen, führen wir 
zunächst einfache Linien aus, wobei wir die Bewegungen des Vor¬ 
schreibenden nachahmen und die Schreibbewegungen weniger nach den 
Beziehungen zur Schreiblläche, also nach dem graphischen Effekt, als 
nach den Beziehungen zum Kötper des Schreibenden, also als Körper¬ 
bewegungen auffassen. Wir führen die schreibende Hand von dem 
linken Rande der Schreibfläche nach rechts hin, also von der Mittellinie 
unseres Körpers ab nach aussen hin, führen ausschliesslich Abduktions¬ 
bewegungen aus (Abduktionsschrift). 

Soll mit der linken Hand eine ohne weiteres leserliche Schrift ge¬ 
schrieben werden, so beginnt der Schreibende ebenfalls am linken Rande 
der Schreibfläche, malt aber die Buchstaben mit einer nach der Mittel¬ 
linie seines Körpers zu ausgeführten Richtung, muss aber für das 
Schreiben gänzlich ungewohnte Bewegungen nach der Mittellinie zu 
gerichtete Adduktionsbewegungen ausführen (Adduktionsschritf). 

Wenn der mit der linken Hand Schreibende aber gleich dem rechts¬ 
händig Schreibenden ebenfalls Abduktionsschrift schreibt, so beginnt er 
am rechten Rande der Schreibfläche und schreibt Spiegelschrift 
(Abduktionsschrift). 

In einer kleinen Studie 1 ) habe ich vor vielen Jahren das Resultat 
meiner zahlreichen Untersuchungen an Individuen beiderlei Geschlechts, 
der verschiedensten Altersklassen und Stände über Spiegelschrift (Abduk¬ 
tionsschrift) niedergelegt. Dort finden sich eine grössere Anzahl von 
Schriftproben und interessante Befunde, auf die naher einzugehen hier 
nicht aer Platz ist. 



des beschriebt nen Papiers. 


Neuerdings mag das Interesse für das Schreiben mit der linken Hand 
ein allgemeineres sein, hervorgerufen durch die leider so grosse Zahl 
von Kriegsverletzten mit Einbusse teilweiser oder völliger Gebrauchs¬ 
fähigkeit der rechten Hand. Wenn auch ohne Zweifel eine grosse Anzahl 
derartiger Kriegs verletzter verhältnismässig rasch erlernt, mit der linken 
Hand Adduktionsschrift zu schreiben, so finden sich doch, wie 
ich das bei meinen früheren Untersuchungen und bei neueren Schreib¬ 
proben festzustellen vermochte, eine nicht ganz kleine Zahl von Menschen, 
die ausserordentlich leicht und gut mit der linken Hand Spiegelschrift 
(Abduktionsschrift) zu schreiben imstande sind und nur sehr mühsam 
Adduktionsschrift erlernen. 

Da nun die Spiegelschrift, auch wenn sie noch so gut geschrieben 
ist, den grossen Nachteil besitzt, nicht ohne Zuhilfenahme eines Spiegels 
leserlich zu sein, so wäre eine mit einfachen und ohne Schwierigkeiten 
zu beschaffenden Hilfsmitteln ausführbare Methode, die Spiegelschrift 
sofort leserlich zu gestalten, sehr zu begrüssen. Eine solche ist in 
einem Vorschlag der M. m. W. (1915, Nr. 45, S. 1558) gegeben, in dem 
es heisst: ... »Mit der linken Hand einigermassen fliessend schreiben 
zu lernen, ist schwer und erfordert lange Uebun^. Dagegen vermögen 
viele — nicht alle — ohne Schwierigkeit mit der linken Hand Spiegel¬ 
schrift zu schreiben. Diese können sich dadurch helfen, dass sie auf 
durchsichtiges Papier schreiben oder unter das zu beschreibende Heft 
ein Kohlepapier legen; auf der Rückseite des Blattes erscheint dann die 
Spiegelschrift als gewöhnliche Kurrentschrift.« 

Ich habe mich nun damit beschäftigt, eine Apzahl von Untersu¬ 
chungen über die Brauchbarkeit dieses Vorschlages anzustellen und habe 
gefunden, dass wir damit allen jenen Kriegsverletzten, welche vorüber- 

f ehend (z. B. mit Verband am rechten Arm resp. Hand) oder für längere 
!eit (etwa bis eine geeignete Prothese beschafft ist) die rechte Hand 
nicht gebrauchen können und mit der linken Hand ohne jede Mühe 

ß it und deutlich Spiegelschrift zu schreiben imstande sind, einen grossen 
ienst erweisen können. Die beigefügte Schriftprobe zeigt, auf welch 
einfache Weise die Spiegelschrift sofort leserlich wird. 


*) Seifert, 
18. 1897. 


Ueber Spiegelschrift, Zeitschr. für praktische Aerzte 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1296 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 


Das Kohlepapier ist billig und kann unter das zu beschreibende 
Papierblatt mit Klammern oder Stecknadeln befestigt werden, um nicht 
während des Schreibens verschoben zu werden. 

Ich bin überzeugt, dass es nur einer Anregung von höherer Stelle 
bedürfte, um die Papierindustrie zu veranlassen, dass sie möglichst billige 
(soweit es die bestehende Papierknappheit erlaubt) Schreibpapier- und 
Notizblöcke mit entsprechend grossem Stück Kohlepapier und praktischen 
Klammern herstellt und in den Handel bringt. 

Ich erinnere mich, vor kurzer Zeit in einem Laden einen Geschäfts¬ 
reisenden beobachtet zu haben, der die rechte Hand im Felde verloren 
hatte und nur äusserst mühsam mit der linken Hand die ihm aufge¬ 
tragenen Bestellungen in Adduktionsschrift aufschrieb; eine Prothese 
konnte noch nicht für ihn angefertigt werden. Wenn solche Personen 
mit der linken Hand Spiegelschritt rasch und gut schreiben können, 
würde ihnen ein Notizblock mit Einlage von Kohlepapier die wertvollsten 
Dienste leisten. 

Es sollte mich freuen, wenn diese allerdings sehr spät erfolgende 
Mitteilung zu einer praktischen Verwertbarkeit für eine grössere Anzahl 
unserer Kriegsverletzten führen würde. 

Behelfsmässiger Narkoseapparat für das DruckdifFerenz- 
verfahren. 

Von Dr. Heinrich Schum, Assistent an der chirurgischen 
Abteilung des Augustahospitals, Berlin, zurzeit Marinestabsarzt 

der Res., kommandiert zu einem Marinefeldlazarett. 

Wenn trotz seiner unbestreitbaren Vorzüge das Ueberdruckver- 
fahren noch nicht in ausgedehnterem Massstabe im Kriegsgebiete 
Eingang gefunden hat, so liegt dies an der Kostspieligkeit und Schwer¬ 
fälligkeit der üblichen Apparate; selbst an der Westfront dürfte es 
nur den allerwenigsten, längere Zeit an derselben Stelle eingesetzten 
Feldlazaretten gelungen sein, sich ein solches Instrumentarium zu 
verschaffen. Da das uns lange Monate vom beratenden Chirurgen 
zur Verfügung gestellte vor kurzem in die Heimat abtransportiert 
werden musste, versuchte ich, da wir uns oft genug von seinen Vor¬ 
zügen überzeugt hatten, einen Ersatz zu konstruieren, der nicht allzu 
hochgestellten Anforderungen genügen dürfte. 

Als Grundlage dient das in allen Feldlazaretten vorhandene be¬ 
kannte Sauerstoffeinatmungsgerät (s. Abb.) 1); die gesamte Anord- 


B C H 



Abb. 1. Abb. 2.| 


riung mit den geringen, für unsere Zwecke nötigen Abwandlungen ist 
nach dem Bilde so einfach und leicht verständlich, dass es nur weniger 
Worte der Erklärung bedarf: 

Auf einem fahrbaren HolzgesteU ist die Sauer Stoff bombe A auf¬ 
montiert mit dem Reduzierventil B und dem Manometer C; im Vor¬ 
ratsbeutel E speichert sich der Sauerstoff auf und passiert durch die 
weisse Schlauchleitung das Schaltstück F, das unten näher beschrieben 
ist und der Beimischung des Narkotikums dient. Eine weitere 
Schlauchleitung (auf dem Bild ebenfalls weiss) führt zu dem schon 
vorhandenen Einlassventil G und in die Maske; beim Beginn der Aus¬ 
atmung schliesst sich dieses Ventil und weist so der Exspirationsluft 
den Weg durch das während der Einatmung geschlossene Ventil H 
und die dunkle Schlauchleitung I nach der Flasche K. Durch Ver¬ 
schieben des Glasrohres L wird der Widerstand geregelt, den der 
Patient bei der Exspiration zu überwinden hat, und damit die Höhe 
des im Inneren des Apparats herrschenden Ueberdrucks. Durch das 
Glasrohr M, das selbstredend den Wasserspiegel in der Flasche nicht 
berührt, treten die ausgeatmeten Gase endgültig aus dem Apparat 
aus. Die rechts von dem Manometer sichtbare Abzweigung mit Vor¬ 
ratsbeutel sind nur Reserveteile und für gewöhnlich abgeschlossen. 


Die einzigen zu überwindenden Schwierigkeiten bestanden ein¬ 
mal in der Zuführung des Narkotikums; wer in der glücklichen Lage 
ist, über einen Roth-Dräger sehen Sauerstoffnarkoseapparat zu 
verfügen, ist ja dieser Frage enthoben, wir haben uns durch ein in 
Deutschland nach Zeichnung hergestelltes Glasgebilde geholfen (s. 
Abb. 2) Die Luft passiert durch das kugelig erweiterte ülasrohr 
A—B, das in der Aussackung einen Wattebausch für überschüssiges 
Narkotikum enthält: das Zutropfen desselben wird in ziemlich primi¬ 
tiver Weise durch einen eingeschliffenen ülashahn geregelt, was aber 
bei genügender Aufmerksamkeit ganz gut gelingt. Der Deckel E auf 
dem Glasgefäss C muss einigermassen fest schlossen* um dem im 
Inneren herrschenden Ueberdruck genügenden Widerstand leisten zu 
können. 

Erheblich schwieriger gestaltete sich die Konstruktion eines luft¬ 
dichten Anschlusses der Narkosemaske an das Gesicht des zu Ope¬ 
rierenden; der Gummimangel und der Zwang, möglichst ohne Kosten 
zum Ziel zu kommen, Hess uns folgenden Ausweg finden: In den 
Rand der MetaHmaske (s. Abb. 3) wurde durch eine Anzahl vor¬ 
gebohrter Löcher ein Wattewulst eingenäht, der mit Billrothbattist 
und dann einem der Länge nach aufgeschlitzten starken Drain über¬ 
zogen wurde; durch den im Inneren der Maske herrschenden Druck 
wird der überstehende Streifen A des wasserdichten Stoffs gegen die 
Lochreihe gepresst und diese so in genügender Weise abgeschlossen. 
Der Wulst ist dick und weich genug, um bei einrgermassen normaler 
Gesichtsbildung den luftdichten Abschluss zu gewährleisten. Kleine 
Undichtigkeiten an den Nahtlöchern und an der Stossfuge B des 
Wulstes spielen keine Rolle, durch eine geringe Verschwendung von 
Sauerstoff lässt sich dieser Fehler ausgleichen. Zuerst erschien es 
verlockend, eine Gasmaske in der nötigen Weise umzubauen, doch 
kam ich schnell wieder davon ab, weil sich bei Verwendung einer sol¬ 
chen die Augen des Narkotisierten nicht gegen die Chloroform- oder 
Aetherdämpfe schützen und die Pupillen nur schlecht kontrollieren 
lassen, auch würden die Gummiteile der Maske schnell leiden. In¬ 
folgedessen habe ich den oben skizzierten Weg vorgezogen. 

Ich bin mir dessen wohl 
bewusst, dass dieser be- 
helfsmässige Apparat noch 
keineswegs das Ideal vor¬ 
stellt, doch habe ich mich 
durch Versuche an mir 
selbst und an mehreren un¬ 
serer Leute überzeugt, dass 
er praktisch brauchbar und 
einfach zu bedienen ist; die 
Hauptsache, die Schaffung 
eines Ueberdrucks ist er¬ 
reicht, man merkt es deut¬ 
lich, wie man bei festem 
Aufsetzen der Maske gegen 
das Gewicht der regulierbaren Wassersäule anatmen muss. Am 
Kranken hat sich der Apparat bei zwei Fällen gut bewährt. 

Vielleicht findet sich der eine oder andere, der den Apparat 
nachbaut oder verbessert; die gesamten Arbeiten sind so einfach, dass 
sie durch jeden einiigermassen geschickten Mann fertigzustellen sind, 
unser Röntgenmechaniker hat den Aufbau in wenigen Tagen vollendet. 

Vorliegende Arbeit wurde im Sommer 1918 zum Druck ein- 
gesandt, sie ist inzwischen durch die Ereignisse und andere Veröffent¬ 
lichungen überholt. 

Aus der deutschen inneren Abteilung des Roten-Kreuz-Spitals 
Ferdinandskaserne in Prag. 

Herzsteckschuss mit Polyzythämie. 

Von Prof. Dr. Fr i edel Pick. 

Der 22jährige Mann*) erlitt am 18. Juli 1915 eine Schrapnell¬ 
verletzung der linken Brustseite in der Axillarlinie, die, als er nach 
6 ständiger Bewusstlosigkeit auf den Hilfsplatz kam, nur als Streif¬ 
schuss gedeutet wurde; bei dieser Diagnose blieb es auch später in 
den Rekonvaleszentenheimen und nach 2 Monaten ging der Mann 
wieder ins Feld, wo er bis Februar 1916 als Wache verwendet 
wurde. Wegen zunehmender Atemnot meldete er sich marod, bekam 
am Wege zum Hilfsplatz einen Schuss in den linken Oberschenkel 
und wurde dann im Hinterlande wegen des Fusses in verschiedenen 
Spitälern behandelt, endlich im Februar 1917 zum Kader geschickt, 
von wo er im September 1917 wieder ins Feld sollte, aber wegen 
der Klagen über Atemnot und Fussschmerzen nach Baden bei Wien 
behufs Kurgebrauches geschickt wurde, wo dann im dortigen Spitale 
eine Röntgenuntersuchung vorgenommen und das Vorhandensein 
eines Projektils im Herzen festgestellt wurde — 2V» Jahre nach der 
Verletzung. Einen Monat später kam er von Baden nach Beraun 
und von dort, da sich im Harne Eiweiss fand, auf meine Abteilung. 

Die Untersuchung des kräftigen, aber ziemlich blassen Mannes, 
der angiebt, in Ruhelang keine Beschwerden zu haben, bei langsamem 
Gehen nach einer Viertelstunde, beim Stiegensteigen bald Atemnot 

*) Demonstriert in der Sitzung der Wissenschaftlichen Gesell¬ 
schaft deutscher Aerzte in Prag am 8. März 1918. 



Digitizetl fr, 


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Original from 

UNIVERSiTY OF CALIFORNIA 




12 . November 1018. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1297 


zu verspüren, ergibt neben einem Durchschuss des linken Ober¬ 
schenkels eine Schussnarbe in der hinteren linken Axillarlinie zwi¬ 
schen 8. und 9. Rippe; eine Rippenverletzung nicht nachweisbar, 
Herzstoss schwach, Herzdämpfung einen Querfinger über den rechten 
Sternalrand reichend, der erste Herzton an der Spitze etwas unrein, 
der zweite Aortenton leicht akzentuiert. Puls um 90 rhythmisch, weich, 
Blutdruck 120/85, im Harne Eiweiss bis 1 Prom., keine geformten 
Bestandteile. 

Röntgendurchleuchtung: Bei dorsoventralem Strahlengang sieht 
man etwa 2 cm nach links vom linken Sternalrand knapp über dem 
Zwerchfell ein rundes Projektil von etwa Zweihellerstückgrösse kreis¬ 
förmige Bewegungen ausführen. Bei ventrodorsalem Strahlengang 
erscheint das Projektil grösser, ebenso seine Exkursionen, welche 
etwa mit einer Ellipse zu vergleichen wären, deren längerer Durch¬ 
messer vertikal und parallel zur Wirbelsäule steht und etwa 5 cm 
beträgt, während der kleinere, horizontal stehende Durchmesser auf 
etwa 3 cm bei dieser Strahlenrichtung zu schätzen ist. Auf den 
Röntgenplatten (aufgenommen auf der Herzabteilung der Ferdinands-, 
kaserne, Dr. R. v. Funke) sieht man, dass es sich um eine runde 
Schrapnellkugel handelt, welche knapp über dem Zwerchfell und 


etwa 1 cm nach links von der Wirbelsäule, also etwa in der Mitte 
des unteren Konturs des nach links nur wenig, nach rechts um 
2 Querfinger verbreiterten Herzens sitzt; trotz der Kürze der Ex¬ 
positionszeit (Vio Sekunde) sind doch auf allen Bildern als Ausdruck 
der Bewegung des Projektils mit dem Herzen nicht nur ein Kreis¬ 
schatten, sondern zwei ineinander greifende Kreise von etwa 
VA cm Durchmesser zu sehen. Sehr gut ist das Projektil bei Auf¬ 
nahme im 2. schrägen Durchmesser zu sehen; da wird es deutlich, 
dass das Projektil ziemlich nahe dem vorderen Herzrand liegt und bei 
tiefer Inspiration etwa 1 cm über dem Zwerchfell bleibt. 

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Schrapnellfüllkugel, 
welche im Juli 1915 bei dem Manne an der linken Brustseite eindrang, 
in die Vorderwand des Herzens und zwar des rechten Ventrikels 
gelangte und dort ziemlich reaktionlos einheilte, so dass sie auch 
heute nach 2 X A Jahren in der Wand des Ventrikels steckt, seine Be¬ 
wegungen deutlich mitmacht, ohne stärkere Funktionsstörung her¬ 
vorzurufen. 

Solche Herzsteckschüsse sind sowohl im Frieden, als auch jetzt 
im Kriege mehrfach beobachtet worden. Kienböck hat in jüngster 
Zeit eine einschlägige Zusammenstellung gegeben, worin er 8 eigene 
und 48 Fälle der Literatur bespricht — darunter 12 grösstenteils 
Revolverschüsse aus der Friedenspraxis. Von diesen 56 Fällen sind 
24 solche von Steckschüssen in der Nähe des Herzens und 23 solche 
von einfachem Herzmuskelsteckschuss, während 9 mal der Fremd¬ 
körper vorübergehend frei in einer Herzhöhle war. 

Soweit ich die diesbezügliche Literatur übersehe — hier seien 
nur die neuesten Publikationen von Geisböck, Kalefeld, Ku- 
k u 1 a und Kienböck zitiert, von welchen namentlich die beiden 
letzteren auch die frühere Kasuistik eingehend berücksichtigen — 
sind bisher etwa 70 Fälle von Bruststeckschüssen mit Verletzung 
des Herzens, darunter etwa 15 aus der Friedenspraxis, beschrieben, 
wovon aber etwa in der Hälfte das Projektil in der Umgebung des 
Herzens sass. In etwa 30 Fällen steckte das Projektil in der Herz¬ 
wand, 10 mal war es vorübergehend frei in einer Herzhöhle. In der 
Mehrzahl der Herzwandsteckschüsse sass das Projektil im rechten 
Ventrikel, weitaus häufiger als die Hinterwand ist die Vorderwand 
betroffen. Meist finden sich im Anschluss an die Verletzung doch 
Reaktionserscheinungen, namentlich des Perikards, beschrieben, von 
einfachen Reibegräuschen an bis zum Mühlradgeräusch des Pyo- 
pneumoperikards und auch noch späterhin werden meist noch solche 
Reizerscheinungen konstatiert; in unserem Falle fehlten sie, wie es 
scheint, vollständig. Auch die subjektiven Beschwerden des Pat. 
sind auffallend gering, so dass kein Anlass besteht, ihm eine Ent¬ 
fernung des Projektiles, die er nebenbei gesagt von vorneherein ab¬ 
lehnte, besonders anzuraten. Von den für solche Herzsteckschüsse 
in Betracht kommenden Gefahren ist die embolische Verschleppung 
(Fälle von Schlöffe r, Rübe sch, Schmidt, Kienböck) 
immer nur in den ersten Monaten nach der Verletzung beobachtet 
worden, wo offenbar das Projektil noch nicht genügend fixiert war; 
gefährlicher scheint in chronischen Fällen die Aneurysmabildung zu 
sein, die zur Ruptur führen kann, doch fehlen hiefür alle Zeichen 
ebenso wie für eine adhäsive Perikarditis, welche bereits in 3 Fällen 
(H offmann, Schmerz, Dieterich) solcher Herzsteckschüsse 
später Anlass zur Operation gaben. Im ganzen sind bisher nach 

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einer Zusammenstellung von K u k u 1 a 10 Fälle von Operation chro¬ 
nischer Herzsteckschüsse publiziert worden, worunter 3 als prophy¬ 
laktische Eingriffe anzusehen sind, während in 7 Fällen mehr minder 
bedrohliche Herzerscheinungen (Schmerzen, Ohnmachtsanfälle, Herz¬ 
schwäche) die Entfernung notwendig machten. Von diesen 10 ope¬ 
rierten Fällen verliefen 2 letal. Man könnte daran denken, dass die 
Form des Projektils, ob rund wie die Schrapnellkugel, spitzig wie 
das Gewehrprojektil oder zackig wie Granatsplitter eine Rolle für 
das glatte Einheilen und spätere Beschwerdefreiheit spielen könnte, 
indessen werden da Unterschiede nicht deutlich; unter 63 Fällen länger 
lebender Herzsteckschüsse finden sich nur 10 Schrapnellkugeln gegen¬ 
über 12 Revolverprojektilen, 10 Granatsplittern und 31 Gewehrpro¬ 
jektilen; unter den 10 Fällen, wo chronische Herzsteckschüsse später 
operiert wurden, finden sich 3 Schrapnellkugeln. Es zeigt sich also 
kein besonderer Vorzug der Schrapnellkugeln vor den länglichen 
und spitzigeren Projektilen. 

Der vorliegende Fall von Herzwandsteckschuss erscheint nicht 
nur wegen der Geringfügigkeit der Beschwerden bemerkenswert, wel¬ 
che 2V* Jahre das Vorhandensein eines Projektils vollständig ver¬ 
kennen und den Mann immer wieder für dienstfähig erklären liess. 
er bot aber auch noch einen interessanten Befund, nämlich eine ziem¬ 
lich hochgradige Polycythaemia rubra. Der Mann ist blond 
mit recht zarter Haut und zeigte eigentlich eine ziemliche Blässe 
des Gesichtes; um so auffallender war, dass eine Blutuntersuchung 
kurz nach dem Eintritte eine starke Vermehrung des Hämoglobins 
und der Blutkörperchenzahl ergab; ähnlich fielen, wie nachfolgende 
Tabelle lehrt, Kontrollzählungen aus, wobei aber immer der Hämo¬ 
globinwert noch etwas mehr gesteigert war als die Blutkörperchen¬ 
zahl. , 


Ditam 

Haemog o- 
bin Proz 

Ro e Blk. 

Weisse Blk 

F.-I. 

Körper¬ 

gewicht 

9. XI. 17 

130 

6 300000 

11000 

1,03 

63 kg 

13. XI. 17 

129 

5 800 OoO 

9 200 

1,11 

63 kg 

7. XII. 17 

130 

6 UOOOlO 

15000 

1,08 

63Hkg 

11. I. 18 

130 

5 980 000 

10000 

1,08 

6b kg 

6. 111. 18 

112 

5 100 000 

6 410 

1,09 

07 kg 


Ich hatte deswegen zunächst Bedenken gegen die Verlässlichkeit 
unseres Sahli-Hämometers in diesen höheren Werten, und es er¬ 
schien deswegen wünschenswert, eine genauere Bestimmung auf 
anderem Wege zu erhalten. Deswegen erbat ich eine spektrophoto- 
metrische Untersuchung im deutschen medizinisch-chemischen Insti¬ 
tute, welche Herr Hofrat v. Zeynek an 2 Proben«vornahm. Es 
fand sich ein Oxyhämoglobingehalt von 18,51 und 18,75 Proz., also 
auch hier eine bedeutende Vermehrung gegenüber der Norm; dabei 
war mikroskopisch keinerlei abnormes Verhalten an den roten und 
weissen Blutkörperchen zu konstatieren, insbesondere fehlten kern¬ 
haltige Rote , und Myelozyten. Es handelt sich hier um eine rein 
quantitative Veränderung der Blutkörperchen, qualitativ wäre höch¬ 
stens die leichte Erhöhung des Färbeindex zu erwähnen. Schon hie¬ 
durch unterscheidet sich der vorliegende Fall von den sog. primären 
Polyzythämien, zu deren hauptsächlichsten Formen, dem Typus der 
Polyc. megalosplenica (Vaquez-Osler) und Polyc. hypertonica 
(Geisböck) ihm ja auch die so charakteristischen Symptome des 
Milztumors und der Blutdrucksteigerung fehlen, ebenso, wie die 
in manchen solchen Fällen (Weintraud) beschriebene Ver- 
grösserung der Leber. Allerdings sind allmählich eine gaiize Reihe 
von Fällen solcher Polyzythämien ohne Blutdrucksteigerung und ohne 
Milztumor beschrieben worden (zuletzt von Lüdin aus Staehelins 
Klinik, wo S. 466 die diesbezügliche Literatur zusammengestellt ist), 
die wegen Fehlens irgendeines sonstigen derjenigen Faktoren, die 
als Ursachen sekundärer Polyzythämien bekannt sind, wie chro¬ 
nische Dyspnoe (N a u n y n), Pulmonalstenosen und andere Herz¬ 
fehler, Kohlenoxyd- und Phosphorvergiftung (v. J a k s c h, Mün¬ 
zer), doch als primäre bezeichnet werden. Allein diese ganze Ein¬ 
teilung in .primäre und sekundäre Polyzythämien, ist doch offenbar 
nur eine provisorisch didaktische; insolange die Pathogenese der 
sekundären Polyglobulien auch noch so wenig aufgeklärt ist wie bisher, 
wo bezüglich der verschiedenen Möglichkeiten, wie Bluteindickung, 
Verteilungsdifferenzen, verminderter Zerfall oder vermehrte Bildung 
keine sichere Entscheidung erbacht ist und auch für die experimentell 
am besten kontrollierbare Form, die Höhenpolyglobulie trotz viel¬ 
facher Erklärungsversuche im Sinne obiger Möglichkeiten keine 
sichere Deutung erreicht ist. Versucht man den vorliegenden Fall 
mit einer der bekannten Formen von Polyzythämie in Analogie zu 
bringen, so ist eine Parallele mit der bei Herzfehlern beobachteten 
am naheliegendsten, welche meist auf Knochenmarksreizung durch 
Sauerstoffverminderung im Blute infolge von Stauung zurückgeführt 
wird (z. B. Münzer S. 449). In ähnlicher Weise hat ja auch 
Gl äs s ne r die Polyglobulie, welche er in jüngster Zeit bei Lungen¬ 
schüssen fand, auf Stauung des rechten Ventrikels, als deren Aus¬ 
druck er Verbreiterung fand, zurückgeführt. Wohl ist auch in vor¬ 
liegendem Falle eine Verbreiterung des rechten Ventrikels nachweis¬ 
bar und werden Schmerzen in der Herzgegend und leichte Kurz¬ 
atmigkeit bei etwas längerem Gehen angegeben,- ebenso könnte die 
leichte Albuminurie ohne geformte Elemente im Sediment in diesem 
Sinne gedeutet werden, allein im ganzen scheinen denn doch die 
Zeichen von Stauung etwas zu gering und ist vor allem der Riick- 

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1298 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.' 


Nr. 46. 


gang der Polyglobulie ohne Abnahme der Herzverbreiterung und der 
Beschwerden beim Herumgehen mit dieser Deutung schwer ver¬ 
einbart Es ist deswegen die Möglichkeit nicht ausser acht zu lassen, 
dass die Verknüpfung der Polyglobulie mit dem Herzsteckschuss viel¬ 
leicht keine so kausale ist; wir haben gelegentlich bei unterernähr¬ 
ten blassen Soldaten auffallend hohe Hämoglobin- und Erythrozyten¬ 
zahlen gefunden. 

Ueber ähnliche Steigerungen der Hämoglobin- und Erythrozyten¬ 
werte bei blassen unterernährten Schwerarbeitern der Hamburger 
Werften hat Jacob sthal in einer Debatte über die Oedemerkran- 
kungen berichtet und dieselben als Kreislaufstörung -durch un¬ 
genügende Ernährung gedeutet, bei der das Lymphgefässsystem 
sich auf Kosten des Blutgefässsystems mit Flüssigkeit fülle, so dass 
gewissermassen Vorstadien von Oedemen entstünden; hieher ge¬ 
hören vielleicht auch die Angaben über auffallende Hämoglobinzu¬ 
nahmen bei Leipziger Schulkindern während des Krieges. Für diese 
Deutung als Folge einer Unterernährung könnte der Umstand ver¬ 
wertet werden, dass nach längerem Aufenthalte in unserem, eine 
gute gemischte Kost bietenden Spitale die Polyglobulie zurückging, 
während eine Gewichtszunahme von 3 kg zu konstatieren war. 

So interessant diese Fragen auch sind, eine Entscheidung wird 
sich im Einzelfall natürlich nicht treffen lassen, und in den ver¬ 
schiedenen Publikationen von Herzsteckschüssen, die oben zitiert, 
wurden, ist über Blutbefunde — abgesehen von vereinzelten Leuko¬ 
zytenwerten bei Geisböck — nichts gesagt, was ja begreiflich 
ist, da dieselben meist vom chirurgischen oder röntgenologischen 
Standpunkt aus beschrieben werden. Es wird sich wegen der Be¬ 
deutung solcher Befunde für das noch so ungeklärte Gebiet der 
Polyzythämien empfehlen, in Fällen von chronischen Herzsteck¬ 
schüssen den Blutbefund zu kontrollieren. _ 

Literatur. 

Kienböck: Geschosse im Herzen bei Soldaten. D. Arch. f. 
klm. M. 123. 1918. — Geisböck: Bruststeckschüsse mit Schädigung 
des Herzens. W.kl.W. 1917 S. 1610. — Kukula: Beitrag zur Ka¬ 
suistik und operativen Behandlung der Herzsteckschüsse. M.K1. 1917 
S. 907. — Kalefeld: Schrapnellkugel im Herzmuskel. D.m.W. 
1917, S. 108. — L üd i n: Ein Beitrag zur Kenntnis der primären Poly¬ 
zythämie. Zschr. f. klin. M. 84. 1917. S. 460. — E. Münzer: Ueber 
Polyzythämie etc. Zschr. f. exp. Path. 5. 1909. S. 429. — K. G 1 ä s s - 
ner: Polyzythämie nach Lungenschüssen. W.m.W. 1917 Nr. 31. — 
Jacobsthal: Hamburger Aerzteverein. 3. VII. 1917, ref. in 
D.m.W. 1917 S. 1606. 

« ■ ■ ■■■■ -- 

Aus der medizinischen Klinik des Hospitals zürn hl. Geist, 
Frankfurt a. M. (Direktor: Prof. Dr. Treupel.) 

Ueber einen Fall von Adalinvergiftung nach Einnahme 
von 15 g Adalin. 

Von Dr. med. Paul Kirclrberg, Assistenzarzt der Klinik. 

Adalin ist seit 1910 als Schlafmittel bekannt und wird auch an 
unserer Klinik häufig angewendet. Es ist ein weisses, fast geschmack- 
und geruchloses Pulver, das in kaltem Wasser sehr wenig, leichter 
in heissem Wasser löslich ist. Das Adalin ist ein Bromdiäthylazethyl- 

harnstoff folgender Konstitutionsformel: CeHe/^CONH—CONH* 

deren Wirkung durch die Bromsubstitution am C-Atom eine Verstär¬ 
kung erfährt 1 ). 

In der Literatur sind bis jetzt nur wenige Fälle von Adalinvergif¬ 
tung näher beschrieben. In 2 Fällen wurden je 4,5 g 2 )u. 4 ), in 2 
anderen Fällen je 9 g 3 ) u. 4 ) Adalin, in einem Fall 13 g 6 ), in einem 
weitern Fall sogar „etwa 17—18 g Adalinpulver“ fl ) eingenommen. 
Schädliche Nachwirkungen wurden nicht beobachtet. Hervorgehoben 
wird die lange Schlafdauer und das starke Müdigkeits- und Mattig¬ 
keitsgefühl nach dem Erwachen. Herzstörungen finden sich in dem 
von D i e r 1 i n g geschilderten Fall nach Genuss von 13 g Adalin, 
jedoch nimmt D i e r 1 i n g selbst in jenem Fall an, dass „sicherlich 
eine Schädigung des Herzens durch Morphiumäbusus Vorgelegen 
habe“. 

Wir hatten Gelegenheit, folgenden Fall von Adalinvergiftung 
zu beobachten, dessen Veröffentlichung sich aus dem Umstand recht¬ 
fertigt, dass sich bei ihm Erscheinungen zeigten, die bei anderen 
Fällen nicht geschildert sind. 

Fräul. E. B., 29 Jahre alt, wurde am 27. Februar 1918 um 5 Uhr 
nachmittags im bewusstlosem Zustande in das Hospital zum heiligen 
Geist eingeliefert. Die Pupillen sind eng, reagieren prompt auf 
Licht. Die Reflexe sind auslösbar, kein Babinski. Temperatur 40 
rektal, Atmung 40 in der Minute. Der Puls ist sehr frequent, 14(7 in 
der Minute, kaum fühlbar. Keine Verätzungen des Mundes und der 


D Fleischmann: M. Kl. 1910. 

2 ) Fromm: D.m.W. 1911. 

*) v. Huber: M.m.W. 1911. 

4 ) Fischer: Allg. m. Ztg. 1912. 
a ) Dierling: M. Kl. 1914. 

•) v. Hirsch-Gereuth: Thcr. d. Gegenw. 1915. 

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Wangenschleimhaut. Von seiten der übrigen Organe ergibt die 
Untersuchung keinen pathologischen Befund. Der Katheterurin ist 
frei von Eiweiss und Zucker. Das Sediment o. B. Die sofort vor¬ 
genommene Magenspülung ergibt leicht weisslich getrübte Spül¬ 
flüssigkeit. 

Da die Möglichkeit einer Morphiumvergiftung besteht, bekommt 
Patientin im Verlauf der nächsten 12 Stunden dreimal 0,001 Pilokarpin¬ 
injektionen. Da der Puls sich nicht bessert, wird stündlich 1 ccm 
Koffein injiziert, von der Lösung Coffein, natro-bencoic. 4 :20. In der 
Nacht lässt Patientin unter sich gehen, ist hochgradig erregt, schlägt 
um sich und drängt zum Bett heraus. 

Am 28. morgens 8 Uhr gibt Pat. zum erstenmal auf Fragen Ant¬ 
wort. Sie nennt ihren Namen, ihr Alter, ist jedoch zeitlich und 
örtlich völlig desorientiert. Auf weitere Fragen gibt sie keine Ant¬ 
wort und schläft wieder ein. Die Temperatur ist normal. Der Puls 
hat sich gebessert. 

Um 12 Uhr wacht Patientin wieder auf, klagt über allgemeine 
Mattigkeit, starkes Durstgefühl und Urindrang. Sie wird katheteri- 
siert; trotz Einlaufes erfolgt kein Stuhlgang. 

6 Uhr abends: Patientin erwacht, sie ist bei vollem Bewusstsein, 
erzählt, sie habe Selbstmord begehen wollen, und zu diesem Zweck 
3 Röhmchen Adalintabletten, insgesamt 15 g Adalin, am 26. Februar 
abends 10 Uhr in einem Glas heissen Wassers zu sich genommen. 
Darauf sei sie eingeschlafen und von den weiteren Vorgängen fehle 
ihr die Erinnerung vollständig. Auf Befragen antwortet sie, sie habe 
keine Schmerzen, fühle sich jedoch sehr müde und zerschlagen. 

Am darauffolgenden Morgen muss Patientin nochmals katheteri- 
siert werden, kann jedoch mittags von selbst Urin lassen; Stuhl 
nach hohem Darmeinlauf und Ricinusöl. 

Sie gibt als Ursache ihres Selbstmordes folgendes an: Sie sei 
mit der Familie des erschossenen Kriminalschutzmannes St. sehr be¬ 
freundet gewesen. Am Tage seiner Ermordung habe ihr St. noch 
nach Beendigung seiner Dienstzeit etwas gebracht und sei dann auf 
dem Heimweg erschossen worden. Sie haben nun den Gedanken nicht 
los werden können, St. wäre nicht ermordet worden, wenn er an 
dem Abend nicht zu ihr gekommen sei. Daraufhin habe sie sich 
entschlossen, ihrem Leben ein Ende zu machen und habe deshalb in 
drei verschiedenen Apotheken je ein Röhrchen Adalin gekauft, die 
ihr auch anstandslos gegeben wurden. 

Patientin blieb bis zum 8. März in Spitalsbehandlung, und wurde 
dann entlassen, da sie sich vollkommen wohl fühlte. Weder bei ihrer 
Entlassung, noch bei späteren Untersuchungen fanden sich irgend¬ 
welche pathologische Besonderheiten. Auf psychischem Gebiet ist 
zu bemerken, dass Patientin nach ihrer eigenen Angabe öfters ver¬ 
stimmt ist und an Schlaflosigkeit leidet. 

Es handelt sich also in unserem Fall um eine Adalinvergiftung 
nach Genuss von 15 g Adalin, die mit schwerem Exzitationsstadium 
und Herzmuskelschwäche, sowie Harn- und Stuhlverhaltung einher¬ 
geht. Nach dem Erwachen findet sich völlige Amnesie und das von 
den anderen Autoren bereits beschriebene starke Müdigkeits- und 
Mattigkeitsgefühl. Trotz der grossen Menge des genossenen Adalins 
wurde auch hier keine dauernde Schädigung des Organismus hervor¬ 
gerufen, obwohl die Vergiftungserscheinungen zunächst so bedroh¬ 
lich waren, dass man für das Leben der Patientin fürchten musste. 
Aufzuwerfen wäre noch die Frage, ob Adalin weiterhin als harmloses 
Schlafmittel freihändig verkauft werden sollte. 


Zur sekundären Anwendung der Tiefenantisepsis mit 
Vuzln (nach Klapp). 

Von Marine-Stabsarzt a. D. Dr. Chr. Stieda im Felde. 

Nach den Veröffentlichungen und Anwendungsvorschlägen 
Klapps soll das Vuzin in erster Linie primär als Tiefenantisepsis 
bei frischen Verwundungen angewandt werden. Die günstigen Er¬ 
fahrungen, die ich mit dem Vuzin bei der sekundären Behandlung von 
Kniegelensverletzungen (oder auch bei der sekundär-prophylaktischen 
Anwendung) gemacht hatte, veranlassten mich nun, das Vuzin als 
Tiefenantisepsisprophylaxe bei sekundärer Entfernung von Steck¬ 
schüssen in Weichteilen oder auch Knochen anzuwenden. 

Da Vuzin offiziell zunächst für die vorderen Sanitätsformationen 
zur Verfügung gestellt wird und dort hauptsächlich seine gute Wir¬ 
kung entfalten soll, ist es vielleicht von Interesse, doch schon jetzt 
zu erfahren, dass Vuzin euch bei sekundärer Anwendung sich gut 
bewährt. Unter „Sekundäranwendung“ verstehe Ich hier die Zeit 
von 5—10 Tagen nach stattgehabter Verwundung. Unter den von 
mir jetzt der Vuzinbehandlung unterzogenen Fällen fanden sich solche 
bis zu 19 Tagen nach der Verwundung. 

In letzter Zeit habe ich nun alle im Kriegslazarett entfernten 
Weichteilsteckschüsse, ebenso sekundär genähte Wunden (Streif¬ 
schüsse der Haut-, Unterhautzellgewebe und Muskelschichten um¬ 
fassend) mit Vuzin behandelt, ^entweder in Form der Vuzin-Novokain- 
anästhesie oder auch in Narkose. 

Das von Klapp schon seinerzeit betonte, neuerdings von Bi¬ 
bergeil (D.m.W. 1918 Nr. 35) erwähnte schnelle Durchschneiden 
der Nahtfäden habe ich zum Teil mit gutem Erfolge zu vermeiden 
versucht, indem ich die Wundränder über eine Gazerolle mit Seiden¬ 
knopfnähten in grösserem Abstand adaptierte. Wenn Bibergeil 


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12 . November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1299 


(I. c.) ausspricht Jede Tamponade oder Drainage fällt fort, so möchte 
ich betonen, dass ich in jedem der sekundär genähten Fälle ejnen 
lockeren, mit Vuzin getränkten, Streifen vor der Adaption der Wund¬ 
ränder eingefü'hrt habe. Bibergeil erwähnt selbst, dass in der 
Regel aus den Stichkanälen der Nähte eine eiterähnliche, mit nekroti¬ 
schen Gewebteilen untermischte Absonderung erfolgt; so erschien es 
mir, nachdem ich dieselbe Beobachtung gemacht hatte, logischer, 
diesen abgestossenen Gewebsteilen von vornherein 
einen anderen Ausweg zu verschaffen, als durch die Naht-Stichkanäle, 
ich halte aber diese Einführung eines Gazcstrei- 
fensim Sinne einer Ableitung für wesentlich, man er¬ 
lebt wenigstens ein Durchschneiden der Fäden seltener, als ohne An¬ 
wendung desselben. Auch Klapp hält nach seinen Ausführungen 
auf dem Chirurgentag 1918 eine lockere Drainage nicht für unange¬ 
bracht. 

Man kann, worauf F r ii n d auf dem Chirurgentag hingewiesen 
hat. allerdings eine grosse Anzahl von Primärheilungen bei primären 
Nähten erleben. Man kann auch bei Seknndärnähten ohne Vuzin- 
anwendung Erfolg haben. 

Mir erscheinet jetzt bei Anwendung einer sekun¬ 
dären Vuzininfiltration, bei sekundärer Entfernung von 
Splittern oder bei Sekundärnaht ein gewisser stetigerer Er¬ 
folg sicherer zu stehen, als ohne Anwendung von Vuzin. Wenn man 
bei eiterndem Einschuss, am Orte des steckenden Geschosses eine 
Abszessbildung, nach Entfernung des Splitters mit anschliessender 
Naht, primäre Heilung erzielen kann — und diese Fälle bilden nicht 
etwa Ausnahmen —, so kann man diese Erfolge immerhin der An¬ 
wendung des Vuzins in Rechnung setzen. Aehnliches hat sich m. W. 
noch mit keinem anderen Verfahren erreichen lassen. 

Seit Drucklegung des Aufsatzes sind weitere Fälle behandelt 
worden, nach deren Zahl sich eine „primäre", also schnellste Heilung 
in 72—75 Proz. berechnen lässt. D. Verf. 


lieber Hautdesinfektion durch heisse Luft. 

Von Prof. Dr. K. Vogel in Dortmund. 

In Nr 26 d. Wschr. berichtet L i c h t e n s t e in - Leipzig über 
Versuche, die Hand des Operateurs durch Schwitzenlassen mit 
folgender Reinigung sicherer zu sterilisieren, als es mit den bisherigen 
Methoden möglich ist. Deren Mangel ist, dass die in den tieferen 
Schichten sitzenden Keime nicht genügend abgetötet werden und, 
während der Operation an die Oberfläche kommend, bald die Ste¬ 
rilität der Hand aufheben. Dass letzteres geschieht, ist durch zahl¬ 
reiche Experimente erwiesen. 

Lichtenstein ist es entgangen, dass ich schon 1905 genau 
dieselbe Methode des Schwitzenlassens der Haut experimentell er¬ 
probt und empfohlen habe; das Schwitzen treibt die Keime aus 
der Tiefe an die Oberfläche und macht sie so für unsere Desinfizientien 
erreichbar. Ich habe damals meine Versuche noch als Assistent 
von Herrn Geheimrat Bier in Bonn gemacht und in mehreren 
Arbeiten 1 ) niedergelegt, benütze aber die Gelegenheit der L.schen 
Veröffentlichung, um auf die Brauchbarkeit des Verfahrens nochmals 
eindringlich hinzuweisen und meine wesentlich weitergehende An¬ 
wendung desselben warm zu empfehlen. Ich benutze das Schwitz¬ 
verfahren nicht nur für die Hände des Operateurs, sondern ganz 
besonders auch für viele Fälle zur Sterilisierung der Haut des Opera¬ 
tionsfeldes. 

Meine Methode besteht darin, dass ich die Hand im Bier sehen 
Heissluitkasten V *—1 Stunde tüchtig schwitzen lasse. Meine eigene 
Hand verträgt dabei 120°. Den produzierten Schweiss habe ich 
bakteriologisch untersuchen lassen und fand folgendes: Nach erst¬ 
maliger Desinfektion war die Hand steril, nach dem Schwitzen fanden 
sich zahlreiche Keime, dann folgende Desinfektion erzeugte wieder 
Sterilität, die durch nochmaliges Schwitzen wieder aufgehoben 
wurde. Nach drei- bis viermaligem Schwitzen und jedesmaliger Des¬ 
infektion blieb dann endlich auch der Schweiss steril,, ein Beweis, 
dass keine Keime mehr herausgeschwemmt wurden. Natürlich können 
und werden auch dann noch Keime in den tieferen Hautschichten 
sitzen, aber diese dürften auch bei der Operation nicht zum Vor¬ 
schein kommen, also praktisch unschädlich sein. 

Ich bin dann in der Anwendung der Methode weiter gegangen 
und habe bei Operationen an Körperteilen, die dem Heissluftkasten 
ausgesetzt werden können, besonders an den Händen, die aseptische 
Operation dadurch vorbereitet, dass ich das Organ wiederholt kräf¬ 
tigem Schwitzen aussetzte, event. jedesmal nachher kurz desinfizierte 
und aseptisch verband. 

Besonders wichtig und empfehlenswert ist das bei Operationen, 
bei denen ein auch nur teilweises Versagen der Aseptik von ganz 
besonderem Schaden für den Patienten ist, z. B. bei Plastiken, Ner¬ 
vennähten u. dgl. 

Bei schwieligen Arbeiterhänden befördert die 
Schwitzprozedur nicht nur durch Emportreiben der tiefsitzenden Keime 
die hier so besonders schwer zu erzielende Säuberung, sondern 


*) Exp. Beitr. zur Frage der Desinf. d. Haut. D.m.W. 1905. — 
Ueber Oper. a. d. Händen und deren Vorbereitung. M.m.W. 1907 
No. 4. — Zur Therapie der Narbenkontraktur der Hand. M.m.W. 1908 
Nr. 33. 

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erweicht auch die Haut und macht sie zarter. Dasselbe gilt für 
narbig veränderte Hautpartien. Hier kommt aber noch ein drittes 
Moment als wesentlicher Vorteil der Heissluftbehandlung und der mit 
dieser verbundenen Hyperämisierung zur Geltung: die Verbesse¬ 
rung der Blutversorgung der betroffenen Gewebsteile. 

Ich habe vor längerer Zeit bei einem Offizier die ganze Radius- 
diaphyse, die durch ausgiebige Granatzertrümmerung des Vorder¬ 
armes verloren gegangen war, durch, einen Tibiaspan ersetzt mit 
vollem Erfolg, so dass Patient wieder k. v. wurde. Hier bestand das 
Lager für den zu implantierenden Span aus ausgedehnten Narben¬ 
massen. Ich habe sie wochenlang öfter hyperämisiert vor der Opera¬ 
tion und bin überzeugt, dass die so erzeugte bessere Blutveisorgung 
der Narbenmassen wesentlich zum Erfolge beigetragen hat. Dieses 
Beispiel kann beliebig verallgemeinert werden. Der Krieg bringt 
jedem Chirurgen reichlich einschlägige Fälle, wo gute Vaskularisation, 
möglichste Vorbereitung eines Kollatcralkreislaufes, 
den Erfolg einer Operation erst gewährleistet. Ich denke auch da 
wieder besonders an plastische Operationen, wo die Blut¬ 
versorgung so überaus wichtig ist. sowohl zum Einheilen eines un¬ 
gestielten Transplantats, als zur Vermeidung von Nekrosen an ge¬ 
stielten Lappen, sowie an die verschiedensten orthopädischen 
Eingriffe. 

Diese drei Vorzüge der Anwendung der Schwitzmethode zur 
Vorbereitung des Operationsgebietes: sichere Sterilisation, 
Erweichung von Narben und Schwielen und Ver¬ 
besserung der Vaskularisation, scheinen mir noch wich¬ 
tiger zu sein als die Säuberung der Hand des Operateurs. Wieweit 
man zu letzterem Zwecke die Methode verwenden will, lasse ich 
dahingestellt. Lichtenstein empfiehlt mehrmals in der Woche 
die Hände schwitzen zu lassen. Ich würde es auch dann vorschlagen, 
wenn einmal Störungen der Aseptik den Verdacht rechtfertigen, dass 
unsere Hand durch die anderen Methoden nur mangelhaft gereinigt 
wird, ferner mit Lichtenstein dann, wenn wir einmal mit sep¬ 
tischem Material haben in Berührung kommen müssen. 

Auf dem Chirurgenkongress 1911 erwähnte Küttner in seinem 
ausgiebigen Referate über Hautdesinfektion meine Methode, hatte 
aber das Bedenken, dass sie eben die in der Tiefe liegenden Keime 
an die Oberfläche treibe, wo sie gefährlich werden könnten. Dazu 
bemerke ich, dass ja meine oben kurz angedeuteten Experimente 
beweisen, dass wir der Keime, sobald sie an der Oberfläche sind, 
leicht mit unseren verschiedenen Desinfektionsverfahren Herr wer¬ 
den. Es ist doch sicher besser, die Keime kommen vor der Operation 
heraus und werden abgetötet, als sie erscheinen während der Opera¬ 
tion durch das Manipulieren im heissen Raum, wobei sie sofort in 
die Wunde gelangen. Dass während der Operation eine Menge 
Keime aus der Tiefe der Haut an die Oberfläche kommen, ist viel¬ 
fach bewiesen. 

Für diejenigen Operateure, zu denen auch ich gehöre, die das 
Operationsfeld mit Jodtinktur desinfizieren, bemerke ich noch, dass 
die letzte Schwitzprozedur nicht kurz vor der Operation erfolgen 
darf. Die Haut muss beim Aufträgen der Jodtinktur trocken sein, 
damit kein Ekzem entsteht. Jedenfalls ist noch vorheriges Ab¬ 
waschen mit Aether und Alkohol zu empfehlen. 

Bezüglich einiger Einzelheiten verweise ich auf meine zitierten 
Arbeiten. _ 

Allzumenschliche8 bei den Aerzten. 

Von Medizinalrat Dr. Qrassl. 

Als vor etwa 20 Jahren die Kunde zu uns drang, dass in Paris 
und in einzelnen Städten Nordamerikas es Institute gäbe, die die 
künstliche Unterbrechung der Schwangerschaften im Grossen be¬ 
trieben, waren wir über die französischen und amerikanischen Aerzte 
entrüstet. Heute, nach den Artikeln von Klein und Henkel 
(Nr. 42 und 43 der M.m.W. 1918) wäre eine Entrüstung Heuchelei. 
Auch bei uns gibt es professionsmässige Kinderabtreiber. Bumm 
behauptet überdies (nach Henkel), dass diese Aerzte ausserdem 
noch Urkundenfälschung begingen, indem sie lokale Beschwerden ab¬ 
sichtlich übertreiben, um eine Indikation zur Schwangerschaftsunter¬ 
brechung zu konstruieren und dass sie diese falschen Erhebungen in 
die Krankengeschichten eintragen. Da Bumm diese Beobachtung 
als Beweis seiner Ansicht anführte, kann es sich nicht um Einzelfälle 
handeln und die Vorkommnisse müssen in Anstalten sich ereignet 
haben. Den Verwaltungsbehörden erwächst darum die Pflicht, diese 
Anstalten strengstens zu überwachen und zwar nicht bloss in allge¬ 
mein-hygienischer Richtung, sondern auch in meritorischer Hinsicht. 
Wiederholt wurde von seite der frei praktizierenden Aerzte die 
Klage erhoben, dass Kliniken als Vorspann zur Erlangung persön¬ 
licher Vorteile missbraucht würden. Für die Amtsärzte besteht die 
Vorschrift, dass die Beamten sorgfältig darauf geprüft werden, dass 
sie nicht die gehobene Stelle zu Sondernutzen missbrauchen. Trotz¬ 
dem läuft mancher durch das Sieb. Eine verschärfte Auswahl ist 
auch hier notwendig. Für die didaktischen Medizinalbeamten exi¬ 
stieren derartige Vorschriften nicht. Es ist Zeit, dass sie eingeführt 
werden, denn ein Lehrer kann ganze Generationen verderben. — 
Krönig soll nach Henkel in 10 Jahren 475 Schwangerschafts¬ 
unterbrechungen eingeleitet haben, also alle Woche eine. Diese 
enorme Zahl wird erklärlich dadurch, dass über die Hälfte der 
Abortus durch soziale Erwägungen begründet wurden. Der Zulauf 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 


zu solchen Instituten wird durch Kunde von ,Mund zu Mund bewirkt. 
Es ist also sicher etwas faul bei den Aerzten. Und der Grund liegt 
Wer hat die „soziale“ Indikation festgestellt? Etwa die Frauen selbst? 
zweifellos in der Geldgier, die durch die masslose Steigerung der An¬ 
sprüche an das Leben und durch die „Luxusweiber“ ausgelöst wird. 
Die Aerzte stehen damit nicht allein, sondern nehmen lediglich als Teil 
des Volkes an einer Allgemeinerscheinung teil. Diese Profitgier hat 
den Krieg veranlasst und verloren. Auch an dem Kriegswucher haben 
wir Aerzte einen redlichen Anteil. Es steigert sich die Zahl der 
Patienten, die die ärztlichen Honorarrechnungen amtsärztlich über¬ 
prüfen lassen und es madit mir den Eindruck, als ob die Höchst¬ 
taxe Normal- und selbst Minimaltaxe geworden sei. Eine Probe¬ 
laparotomie bei einem Häusler mit 500 M. zu berechnen, ist doch 
unerhört, zumal der Arzt ein militärisch verwendeter Assistent war. 
Kriegswucher ist es auch, wenn die militärisch in Garnisonsorten 
verwendeten Aerzte aus fremden Orten die Absicht kundgeben, im 
Garnisonsort zu bleiben und die Abwesenheit der Aerzte benutzen, 
deren Praxis an sich zu reissen. Das Sanitätsamt könnte 
durch rechtzeitige Dislozierung vom Sesshaft¬ 
werden ab halten. Kriegswucher wird es auch sein, wenn die 
daheimgebliebenen Aerzte den zurückgekehrten nicht mehr die Praxis 
zurückgeben. Sorgen wir. dass nicht auch noch der ärztliche Stand 
zusammenbricht. 


BOcheranzeigen und Referate. 

J. Schaeffer: Therapie der Haut- und venerischen Krank¬ 
heiten. 3. Auflage. Urban & Schwarzenberg, Berlin. Preis 
geb. 15 M. 468 S. 

In 2 Jahren eine 3. Auflage ist für jedes Buch ein Ereignis, für 
ein Hautbuch ist es wohl noch nicht dagewesen. Hierin sehe ich den 
Beweis, wie vorzüglich Schaeffer es verstanden hat, dem vor¬ 
handenen Bedürfnis entgegenzukommen. Vielleicht hat der Krieg die 
Aerzteschaft genötigt, sich mehr als bisher mit Hauterkrankungen zu 
beschäftigen. Einen besseren Ratgeber hätte sie aber auch nicht fin¬ 
den können. Kurz, fast Telegrammstil; eindeutig, nicht alle möglichen 
Behandlungsarten aufzählend, ein gedruckter Konsiliarius. 

Gegen die 2. Auflage ein Zuwachs von 18 Seiten: Ersatzmittel, 
neue bewährte Medikamente, Aenderungen in physikalischer Behand¬ 
lungsart; eine Abnahme in der Güte von Papier und Druck. 

Dr. Karl Ta ege-Freiburg i/B. 

Prof. Dr. Adolf Bacm eist er: Die hausärztllche Behandlung 
der beginnenden Lungentuberkulose. Jena, Gustav Fischer, 1918. 
32 Seiten. Preis broschiert 80 Pf. 

Eine kurze Zusammenstellung, die in Form eines Vortrages die 
wichtigsten Fragen bespricht, die bei der Behandlung der beginnen¬ 
den Lungentuberkulose an den Hausarzt herantreten. 

Dr. Karl E. Ranke. 

Victor Meyer, Leben und Wirken eines deutschen Chemikers 
und Naturforschers, 1848—1897. Von Richard Meyer. Leipzig, 
Akadem. Verlagsgesellschaft, 1918. 

Diese Lebensbeschreibung, die der Bruder und Fachgenosse der 
hervorragenden und herzgewinnenden Persönlichkeit Victor Meyers 
widmet, wird durch eine Fülle mitgcteilter Briefstellen zu einer Art 
Autobiographie mit verbindendem Text. In einem zweiten Teile des 
Buches folgt eine kurze Uebersicht über die Ergebnisse von V. M.s 
Forschungen. Diese Zweiteilung ist für den Nichtchemiker ein 
Vorzug im Sinne der eindrucksvollen Wirkung des Lebens¬ 
bildes. Die an den Bruder als an einen Weggenossen in der 
Zeit des raschen Aufschwungs der organischen Chemie gerichteten 
Briefe machen diese Lebensbeschreibung zu dem fesselnden 
Bilde einer feurigen Forschernatur und gewähren Einblick in 
die Werkstätte eines genialer. Experimentators, in seine Freude 
an den grossen Erfolgen, aber auch in die Zweifel und Ent¬ 
täuschungen. Die innere Verbundenheit des Bruders mit dem 
wissenschaftlichen wie mit dem persönlichen Erleben gibt der Dar¬ 
stellung die Wärme. Doch hat die Doppelstellung des Verfassers auch 
den Fehler verschuldet, dass allzu viele Details des äusseren Lebens 
gleichsam als Ballast für den Fernstehenden in den Briefstellen mit¬ 
geschleppt werden. 

Aus der Beschreibung der Jugendzeit fällt die ausserordentliche 
Frühreife auf. Mit noch nicht 19 Jahren promoviert V. M. und wird 
Assistent B u n s e n s, nach weiteren drei für seine Richtung als 
Organiker entscheidenden Jahren als Mitarbeiter Baeyers in 
Berlin wird er mit 23 Jahren Extraordinarius in Stuttgart und ein 
Jahr später ordentlicher Professor am Polytechnikum in Zürich. Aus 
dieser ersten Arbeitsperiode vor Zürich stammt u. a. die Entdeckung 
der Umwandlung von Sulfosäuren in Karbonsäuren mittels ameisen¬ 
sauren Natriums, durch die der junge Forscher in die damals ak¬ 
tuellen Fragen über die Isomerie der Benzolderivate und die Kon¬ 
stitution des Benzols eingriff. Aus dem grossen Institute, das V. M. 
in Zürich vorfand, folgte dann eine glänzende Arbeit der anderen. Ge¬ 
nannt sei hier nur die Methode zur Feststellung der Molekulargrösse: 
die Dampfdichtebestimmung nach Victor M e v e r. Aus der Mög¬ 
lichkeit, auf diesem Wege auch die Molekulargrösse sehr schwer 
flüchtiger Körper zu ermitteln, erwuchsen die ovrochemischen Stu¬ 
dien, die V. M. auch weiterhin noch bis zu seinem Ende beschäftigt 

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haben. Am meisten Aufsehen erregte später die Entdeckung, dass 
die Halogenmoleküle bei sehr hohen Temperaturen in Einzelatome 
zerfallen. In den Briefen der Züricher Zeit spielt weiter die Auf¬ 
findung der Ketoxime und Aldoxime mittels der V. M.schen Hydroxyl¬ 
aminreaktion eine Rolle und vor allem die Entdeckung des Thiophens, 
die neben der Dampfdichtebestimmung wohl am meisten zum Ruhme 
V. M.s beigetragen hat. Es ist anziehend geschildert, wie diese 
Entdeckung aus dem Misslingen eines Vorlesungsexperiments her¬ 
vorging, dessen Ursachen V. M. erperimentell nachforschte. Inner¬ 
halb eines Jahres gelang die Reindarstellung des neuen S-haltigen 
Körpers aus dem Teerbenzol und im Laufe weniger Jahre folgte 
d ; e Entwicklung einer ganzen „Chemie der Thiophenderivate“, welche 
durch die Aehnlichkeit mit den entsprechenden Benzolderivaten Auf¬ 
sehen machte. 

Die Züricher Jahre waren wohl die glücklichste Lebensperiode 
Victor Meyers. Die Briefstellen aus dieser Zeit jungen Familen- 
glücks und Schlag auf Schlag einander folgender wissenschaftlicher 
Erfolge zeigen die reichen Fähigkeiten schaffenden und geniessenden 
Menschentums dieser glänzenden Persönlichkeit. V. M. war zweifel¬ 
los ein Gelehrter von ausgesprochener Künstlernatur. Freilich stellt 
wohl die in V. M. so hervortretende Fähigkeit, noch nicht Vorhandenes 
mit lebhafter Vorstellungskraft greifbar vor sich zu sehen, die Fähig¬ 
keit, „geistig zu schauen“, jeden wirklich genialen Forscher neben 
den Künstler! Lebhafte freundschaftliche und gesellige Beziehungen 
zu den Grössen des Geistes- und Musiklebens von Zürich, Arbeits¬ 
pläne und Reiseberichte erfüllen die Briefe dieser Zeit. Doch trat 
gegen Ende der 13 jährigen Arbeitsperiode in Zürich auch zum ersten 
Male ein bedrohlicher nervöser Zusammenbruch ein, wie er sich 
später öfters wiederholen und zum gewaltsamen Ende dieses reichen 
Lebens führen sollte. In eine solche Periode tiefer Depression 
fiel im Sommer 1884 die Nachricht, dass die Göttinger Fakultät V. M. 
unico loco zur Berufung auf W ö h 1 e r s Lehrstuhl vorgeschlagen 
habe. Aber Zweifel an seiner Gesundheit bedrückten V. M., und 
auch der glänzende Ruf selbst, anfänglich mit grösster Freude auf¬ 
genommen, änderte nichts an der hoffnungslosen Stimmung, in der 
er, von neuralgischen Schmerzen geplagt, für den Winter Urlaub 
nehmen musste. Nach der Uebersiedlung nach Göttingen im Früh¬ 
ling 1885 verschwinden -die Beschwerden dagegen rasch in der 
Arbeit, und Berichte über neue Versuche und bald auch über den 
notwendig gewordenen Umbau des alten Laboratoriums bilden den 
Inhalt der Briefe. Auch entstehen neue wichtige Arbeiten wie die 
Untersuchungen über die Stereochemie des Stickstoffs. 

Am 15. November 1888 wurde das neue Göttinger Institut feier¬ 
lich eröffnet’. Aber schon am 10. November hatte V. M. die Berufung 
als Nachfolger Bunscns nach Heidelberg erhalten. Schwere 
Seelenkämpfe erschüttern ihn. Er ringt sich den Verzicht auf seinen 
Lieblingswunsch, in Heidelberg an Stelle des geliebten Lehrers zu 
treten, mit Mühe ab, um nicht undankbar gegenüber Göttingen und 
dem preussischen Ministerium zu erscheinen. Trotz persönlicher 
Intervention B u n s e n s sagt er auch ein zweitesmal ab, um nach 
der Ablehnung E. Fischers vier Monate später doch endlich an¬ 
zunehmen. In die Zeit kurz vor dem Beginn seiner Heidelberger 
Tätigkeit fällt der glänzende Votrag „über die chemischen Probleme 
der Gegenwart“, mit dem V. M. die Naturforschergesellschaft zu 
Heidelberg eröffnete. Wie dieser Vortrag, so zeigen so manche 
Briefstellen V. M. als einen Forscher, den es zu allgemeinen und 
weite Gebiete umspannenden Ergebnissen drängt; Interessant ist sein 
Glaubensbekenntnis zu einem intuitiven Erfassen chemischer 
Vorgänge, das den Experimentator leiten muss, bis einmal die or¬ 
ganische Chemie ähnlich den mathematisch-physikalischen Dis¬ 
ziplinen solchen Ahnens nicht bedarf. 

Nach der Zahl hervorragender Mitarbeiter und der vielen 
wissenschaftlichen Arbeiten, deren Fäden in dem einen leitenden 
Kopfe zusammenliefen, bedeutete die Heidelberger Zeit den Höhe¬ 
punkt des Wirkens von V. M. Die pyrochemischen Arbeiten wurden 
wieder neu aufgenommen Als neue Gegenstände beschäftigen V. M. be¬ 
sonders seine Untersuchungen über jodhaltige organische Substanzen, 
die Jodoso-, Jodo- und Jodom'umverbindungen und die Auffindung des 
Estergesetzes, eines kühnen Versuches, die Geschwindigkeit der Ester¬ 
bildung einer Säure mit deren Konstitution in Zusammenhang zu 
bringen. Der Vortrag V. M.s „über Probleme der Atomistik“ auf 
der Naturforschergesellschaft in Lübeck 1895 kennzeichnet wieder 
seine Art, von den speziellen Problemen zu Höhen allgemeiner Be¬ 
trachtung aufzusteigen, von denen aus sich ein Ausblick auf die funda¬ 
mentalen Fragen der Naturwissenschaft eröffnet. Mitten in erfolg¬ 
reicher Arbeit und persönlich glücklichsten Verhältnissen trat im 
Sommer 1897 wiederum eine schwere Depression auf. Sie schien 
schon überwunden, als V. M. 1897 durch Selbstmord endete. 

Der Arzt als Leser des Buches muss sich fragen, ob V. M. seiner 
Wissenschaft und seinem Lebenskreise nicht noch lange hätte er¬ 
halten bleiben können, wenn ein ärztlicher Berater seine Persönlich¬ 
keit restlos verstanden und beherrschenden Einfluss auf sein ständig 
zwischen Erregung und Depression schwankendes Seelenleben ge¬ 
wonnen hätte. Heutzutage würde man die mannigfachen körper¬ 
lichen Beschwerden V. M.s. seine Neuralgien. Magenstörungen usw. 
als seelisch verursacht, die Unterbrechung wahrhaft rastlosen Ar- 
beitens und auch sonst ruheloser Betätigung aller Art durch Perioden 
der Unfähigkeit zu geistiger Tätigkeit, die Verzweiflung an seinem 
Können und die Furcht vor geistiger Störung als Aeusserungen einer 

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12 . November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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zyklothymischen Anlage erkannt und vielleicht erfolgreich bekämpft 
haben. 

So ist in dem Buche Richard Meyers das Lebenswerk des 
Lehrers und Forschers V. M.s anschaulich geschildert. Seine überaus 
liebenswürdige Persönlichkeit mit ihren vielseitigen Interessen, der 
raschen Auffassung und schöpferischen Phantasie tritt so lebendig 
aus den mitgeteilten Briefen hervor, dass jeder, der Victor Meyer 
kannte, seinen feingeschnittenen Kopf vor sich zu sehen und aus 
den Worten den Wohlklang seiner Stimme zu vernehmen glaubt. 
Deshalb werden zahlreiche Leser für das Buch dankbar sein, obgleich 
es durch Weglassung mancher Details nur hätte gewinnen können. 
An dem sonst gut ausgestatleten Bande ist die völlig ungenügende 
Wiedergabe zahlreicher Porträts von Persönlichkeiten auszusetzen, 
die in V. M.s Leben eine Rolle spielten. Der Verfasser entschuldigt die 
schlechte Ausführung in einem Nachtrag zum Vorwort durch die 
Kriegsverhältnisse. Nach Ansicht des Referenten hätten die Bilder 
besser ganz fortbleiben sollen, da sie in der jetzigen Ausführung 
vielfach falsche Vorstellungen von den dargestellten Persönlichkeiten 
geben. R. G o 111 i e b. 

Neueste Journalllteratur. 

Zentralblatt für Chirurgie. Nr. 42, 1918. 

Roderich S i e v e r s - Leipzig: Verbesserter selbsttätiger Wund- 
baken. 

Verf. hat den stielförmigen Griff an den Payr sehen auto¬ 
matischen Wundhaken ersetzt durch einen halbkreisförmigen Henkel, 
an dem der Karabiner mit Gewicht stets so weit heruntergleiten 
kann, dass Zug und Gegenzug in einer Linie liegen; ein Lockern 
oder Herausfallen der Haken aus der Wunde wird dadurch verhin¬ 
dert. Ferner sind die Hakenkörper zweigeteilt und mit Scharnier 
versehen, die ein tieferes und festeres Eingreifen der Zähne erlauben. 

J. D u 1 z - Winterthur: Ueber Hemiaplasie der Schilddrüse* 

Verf. schildert kurz 4 Fälle, bei denen bei der Operation nur 
1 Schilddrüsenlappen sich vorfand; auch sonst war zwischen Trachea. 
Karotis und den Halswirbeln kein Schilddrüsengewebe zu fühlen. In 
einem 5. Fall fehlte völlig der Isthmus; beide Drüsenlappen lagen 
völlig getrennt neben der Trachea. Die Störung dürfte kongenitaler 
Natur sein; in 2 Fällen zeigte sich körperliche und geistige Minder¬ 
wertigkeit. Das Fehlen des einen Drüsenlappens darf nicht über¬ 
sehen werden, weil sonst bei der völligen Exstirpation des anderen 
Ausfallserscheinungen auftreten. 

Alf. Semper- Agram: Ueber Katgutsparen. 

An 5 Skizzen wird das einfache Verfahren kurz erläutert. 

E. Heim- zurzeit im Felde. 

Zeitschrift für Kinderheilkunde. 18. Bd. 2. u. 3. Heft. 1918. 

Walter T o b 1 e r - Bern-Wien: Der Skorbut im Kindesalter. 

Ein Material von über 200 selbst beobachteten Fällen veranlasst 
den Verfasser, das Krankheitsbild des Skorbut ln die pädiatrische 
Literatur einzuführen. Diese zumeist mit Zahnfleischschwellung und 
-blutungen beginnende, dann zu Hautblutungen und sehr schmerz¬ 
haften und die Beweglichkeit beeinträchtigenden Muskelblutungen 
führende Erkrankung trat — trotz sonst befriedigender, teilweise 
einwandfreier hygienischer Verhältnisse — bei solchen Kindern 
mehrerer Wiener Anstalten auf, die längere Zeit hindurch „frischer, 
sozusagen lebendiger Substanz“ (frischer Gemüse, Obst, Milch) in 
ihrer Nahrung ermangeln mussten. 

Zwischen diesem Skorbut der älteren Kinder und der Barlow- 
schen Krankheit der Säuglinge besteht kein prinzipieller Unterschied. 
Therapeutisch wurde ein wässriger Extrakt aus Blättern und Ranken 
des wilden Weins und Tee aus zerquetschten Koniferennadeln mit 
Erfolg angewandt. 

Fritz Heller- Charlottenburg: Eine vergleichende Unter¬ 
suchung des Stoffwechsels bei einem Zwillingspaar. 

Negative N-Bilanz in den ersten paar Tagen (Ernährung nicht 
mit Kolostrum), dann positive Bilanz ohne strenge Abhängigkeit von 
der N-Zufuhr. Sehr geringe Ascheretention. 

Frhr. v. Pi r q u e t - Wien: Berechnung des Nemwertes von 
Gemüse, Obst und Getränken aus der Trockensubstanz. 

Frhr. v. Pirquet- Wien: Ueber den Nemwert von Pflanzen¬ 
samen, Mehl, Brot und Teigwaren. 

Frhr. v. P i r q u e t - Wien: Bestimmung des Nemwertes der 
Butter aus der Trockensubstanz. 

Zum Referat nicht geeignet. Gott. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 43, 1918. 

H. K 1 e i n z c h m i d t - Berlin: Ein Beitrag zum Spasmophtlie- 
problem. 

Verf. kommt auf Grund seiner näher mitgeteilten Beobachtungen 
zu folgenden Schlussfolgerungen: das Fazialisphänomen besitzt im 
ganzen Kindesalter pathologische Bedeutung. Diese ist eine einheit¬ 
liche, und zwar zeigt das Phänomen das Vorhandensein einer an¬ 
geborenen funktionellen Minderwertigkeit des Nervensystems an. 
Die Spasmophilie stellt nur eine Unterabteilung unter denjenigen Zu¬ 
ständen dar, welche mit mechanischer Ueber^rregbarkeit einher¬ 
gehen können. 

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J. Ci t r o n -Berlin: Das klinische Bild der spanischen Grippe. 

Als eine Trias von charakteristischen Symptomen bezeichnet 
Verf. das Erythem bzw. einen frieseiartigen Ausschlag auf der Gau¬ 
menschleimhaut, ferner den Reichtum des Sputums an epithelialen 
Elementen, endlich eine Hypoleukozytose. Therapeutisch empfiehlt 
C. bei Influenzapneumonien tägliche intravenöse Injektionen von 
Elektrokollargol. 

J. Freud- Wien: Zur Röntgenuntersuchung des Ulcus pepttcum 
jejunl nach Gastroenterostomie. Magen-Jejunum-Kolonfistet auf 
Uldisbasis. 

Auf Grund weiterer * Beobachtungen betont Verf., dass nach 
Gastroenterostomien das Ulcus pept. jej. weit häufiger auftritt, als 
angenommen wird, wie mittelst der Duodenalsondenmethode ein¬ 
wandfrei nachgewiesen werden kann. Auch Fälle, wo es nach der 
Gastroenterostomie zu einer Magen-Jejunum-Kolonfistel kommt, ge¬ 
hören nicht zu den Seltenheiten (mehrere solcher Fälle werden eifl* 
gehend mitgeteilt), der Nachweis erfolgt mittels radiologischer Unter¬ 
suchung, welcher immer ein Kontrasteinlauf anzufügen ist. 

E. M ü 11 e r - Rummelsburg: Ueber ein häufigeres Auftreten von 
Skorbut bei Kindern. 

Die mitgeteilten Beobachtungen wurden in einem Waisenhause 
gemacht. Genaue Nachforschungen erwiesen die Art der Nahrung 
als Ursache, indem einmal die gebrauchte Milch wiederholt pasteuri¬ 
siert worden war und zugleich Dörrgemüse in der Ernährung der 
Kinder eine Rolle spielte, das durch das Dörrverfahren seiner Vita¬ 
mine und eines grösseren Teils seiner Mineralien beraubt wor¬ 
den war. 

L. Bür g er -Berlin: Tödliche Vergiftung nach Behandlung der 
kindlichen Krätze mit /LNaphthol, nebst Ausführungen über das 
Wesen der Naphtholverglftung. 1 

Siehe Bericht der Wochenschrift über die Sitzung der Berl. med. 
Gesellsch. vom 24. Juli 1918. G r a s s m a n n - München. 


Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 43, 1918. 

W. K o 11 e - Frankfurt a. M.: Experimentelle Studien zu Ehr- 
Malis Salvarsantheraple der Spirochätenkrankheiten und über neue 
Salvarsanpräparate* (Schluss folgt.) 

F. Neufeld und P. Papamarku-Berlin: Zur Bakterio¬ 
logie der diesjährigen Influenzaepidemie. 

Die Verf. sprechen sich für die ätiologische Bedeutung des In¬ 
fluenzabazillus aus. 

Karl Hundeshagen -Strassburg: Zur Züchtunig des In¬ 
fluenzabazillus. 

Angabe eines neuen Nährbodens und Anerkennung des in 
Amerika üblichen als gut. 

Franz W a c h t e r - Frankfurt a. M.: Erfahrungen bei der In¬ 
fluenzaepidemie. 

Angaben der klinischen Beobachtungen, sowie Hinweis auf die 
Erfolglosigkeit der Therapie. 

Viktor Schilling: Die Malariadlagnose im Blutpräparat ohne 
Parasitenbefund. 

Polychromasie, basophile Punktierung und Gross-Mononukleose 
sprechen für Malaria. 

M. L ö h 1 e i n: Zur Pathogenese der Nierenkrankheiten. 

Betonung, dass bei der Nephrose fast immer eine Glomerulo¬ 
nephritis vorliegt. 

Wilhelm S t e p p - Giessen: Die Bedeutung der Duodenalson¬ 
dierung für die Diagnose der Erkrankungen der Galenwege. 

Durch Einspritzen von Wittepepton ins Duodenum kommt es 
zu Kontraktionen der Gallenblase. Bei der Aspiration nach dieser In¬ 
jektion gewinnt man daher den Inhalt der Gallenblase, während sonst 
die Lebergalle bei der Sondierung gefunden wird. Da diese beiden 
Arten sich scharf unterscheiden, so hat man liier ein Mittel von 
grosser diagnostischer Bedeutung. 

Siegmund Po 11 a g - Halle: Zur Pathologie der lymphatischen 
Leukämie. 

Mitteilung eines Falles mit Sektionsbefund. 

Steinberg - Crefeld: 14 Monate Neurosenbehandlung. 

Mitteilung der Behandlungsart und der erzielten Erfolge. 

Friedrich M ö r ch e n - Wiesbaden: Die biologischen Selbst¬ 
schutzvorrichtungen bei den seelisch und nervös Unterwertigen. 

I. I. S t u t z i n - Darmstadt: Ueber „Intraarterielle Desinfektion". 

Verf. stellt die Frage zur Diskussion, ob man Vuzin intraarteriell 
injizieren solle. 

R. G a s s u 1 - Berlin: Eine durch Generationen prävalierende 
symmetrische Fingerkontraktur. 

Verf. teilt eine durch drei Generationen vererbte Kontraktur des 
4. und 5. Fingers mit, die, wie die Röntgenaufnahme zeigt, durch eine 
Verstärkung der Kapitula bedingt ist. 

R. K o 1 b - Marienbad: Gehäufte Atropinvergiftungen nach Toll¬ 
kirschengenuss. 

Symptomatologie auf Grund von 20 Beobachtungen. Kein Exitus 
trotz der Schwere einiger Fälle. 

Otto Hirschberg -Frankfurt a. M.: Oberschenkel-Transport- 
schiene. 

R. Pfeiffer: Georg Gaffky. 

Boenhelm - Nürnberg. 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 


Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

Nr. 42. L. B e r c z e 11 e r - Wien: Lieber konstante Komple¬ 
mente. 

Die Konstanz der komplementären Wirkung ist einer der wich¬ 
tigsten Faktoren, die über die Reproduzierbarkeit der Wasser¬ 
mann sehen Reaktion entscheiden, da eben das Meerschweinchen¬ 
serum in bezug auf seine zwei bei der Wassermann sehen Re¬ 
aktion in Betracht kommenden Eigenschaften die grössten Verände- 
derungen aufweist. Es wird gezeigt, dass die Hämolyse komplet¬ 
tierende Eigenschaft des Meerschweinchenserums je nach der Dar¬ 
stellung grosse Differenzen ergeben kann, und es wird gleichzeitig 
betont, dass diese Differenzen durch geeignete gleiche Gewinnungs¬ 
methoden ausgeschlossen werden können. Individuelle Schwan¬ 
kungen einzelner Sera können durch Mischung mehrere Blute aus¬ 
geschaltet werden. 

Hans Mautner: Amidopyrin als anfallauslösendes Mittel bei 
latenter Malaria. 

Die Wirkung des Amidopyrins kann auf verschiedene Weise ge¬ 
deutet werden; eine Schädigung der Erythrozyten hätte den weiteren 
Verlauf der Heilung ungünstig beeinflusst, eine direkte Einwirkung 
auf die Plasmodien nach Art des Chinins erscheint nicht wahr¬ 
scheinlich. Vielleicht führt das Amidopyrin zu einer Gefäss- 
kontraktur und dadurch zu einer Ausschwemmung der Plasmodien 
aus den inneren Organen. 

Josef K a 11 ö s - Arad: Beiträge zur Kenntnis der Wasser¬ 
mann sdhen Reaktion. 

Nach den Ergebnissen der beschriebenen Versuche wird es 
gelingen, mehrere Ursachen, welche wir gewöhnlich als technische 
Fehler anzurechnen pflegen, bei eingehender Prüfung des den Gegen¬ 
stand einer Untersuchung bildenden Blutserums und der übrigen in 
Betracht kommenden Faktoren zu vermeiden und zu einheitlicheren, 
übereinstimmenderen und verlässlicheren Ergebnissen als den bis¬ 
herigen zu gelangen. 

Emil F 1 u s s e r: Zur Pathologie und Klinik der Grippe 1918. 

Verfasser, der allerdings nur sehr schwere Fälle zu beobachten 
Gelegenheit hatte, sah alle jene Fälle sterben, die ikterisch waren, 
ob sie nun septisch oder pyämisch erkrankt waren. Ebenso starben 
alle jetie Fälle, bei denen sich die hämorrhagische Pneumonie durch 
ein sehr reichliches, fast rein blutiges Sputum kundgab. Die Ent¬ 
fieberung geschah durchaus lytisch. Alle therapeutischen Mass¬ 
nahmen waren wirkungslos, auch der Kampfer, der sich sonst bei 
Pneumonie gut bewährt. Transportieren der Kranken erwies sich 
als schädlich. 

Erwin Popper- Prag: lieber Nervenschussschmerz^ 

Nach einem im Verein Deutscher Aerzte in Prag am 22. Febr. 
1918 gehaltenen Vortrag. Uebersicht, Zusammenfassung und kasuisti¬ 
scher Beitrag. 

Wilhelm Ne u m a n n - Wieni Richtlinien zur erfolgreichen Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit. 

Zu kurzem Referate nicht geeignet. 

Nr. 43. Otto Pötzl-Wien: Bemerkungen über den Augen- 
massfehler der Hemianoptlker. (Schluss folgt.) 

Eugen N e u w i r t h und Arthur Weil - Trencsdn: Klinische 
und pathologische Beobachtungen bei der sogen, spanischen Krank¬ 
heit mit schwerem Verlauf. 

Die Beobachtungen des Verfassers sprechen dafür, dass die erste 
mild abgeklungene Epidemie eine Immunität gegen eine neue In¬ 
fektion geschaffen hat. 

Philipp Pleitner: Lieber die Aetiologie, Symptomatologie und 
Therapie der pandemischen Influenza (spanische Grippe). (Referiert 
auf dem Feldärztlichen Vortragsabend der Isonzoarmee am 10. Ok¬ 
tober 1918.) 

Die vom Verfasser nachgewiesenen Gram-negativen Diplo- 
Streptokokken sind bestimmt als Erreger der Lungenentzündung, 
wie auch anderer Komplikationen der spanischen Grippe, anzusehen. 
Sie sind aber auch mit grösster" Wahrscheinlichkeit die Ursache der 
spanischen Grippe. Dafür sprechen verschiedene Tatsachen. Die 
Krankheit ist äusserst kontagiös: sie wird durch Tröpfcheninfektion 
verbreitet, führt in 65 Proz. der Fälle zu Pneumonie; ihre Mortalität 
beträgt 80 Proz. Prophylaktisch können wir uns schützen durch 
strenge Isolierung. Die Therapie besteht in Bepinselung der 
Schleimhäute der Nase und des Rachens mit einer Lösung von 
1 Proz. Jod und Karbolsäure und 2 Proz. Jodkali, sowie in der 
intravenösen Injizierung von Sublimat in der Dosis von 3 mg täglich. 
Der Ausgangspunkt der Krankheit ist die Schleimhaut der Nase und 
der hinteren Rachenwand. Die Inkubationszeit ist sehr kurz (1 bis 
3 Tage). 

E. Weil und A. Felix: Zur Frage der Spezifität der X- 
Stämme und der W e 11 - F e 11 x sehen Agglutination bei Fleckfieber. 

Bemerkungen zur Arbeit von Epstein in der W.kl.W. 1918 
Nr. 36. 

Emil Epstein: Erwiderung auf vorstehenden Artikel. 

Albert Fe mau-Wien: Physik und Chemie des Radiums und 
Mesothor für Mediziner. (Fortsetzung.) 

Fortsetzung folgt. Zeller- München. 


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Vereins- und Kongressberichte. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften zu Berlin. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 30. Oktober 1918. 

Die Cholerafälle ln Berlin. 

Herr Magnus-Levy: Von den 18 Fällen, die in Berlin aut- 
traten und die die hohe Sterblichkeit von 14 hatten, hat er 6 be¬ 
obachtet. Die beiden ersten wurden am 23. VIII. nachmittags aufge¬ 
nommen und starben bereits abends resp. am nächsten Morgen. Cho¬ 
lera wurde in Betracht gezogen, doch hatte man beim Fehlen weiterer 
Fälle eher an Paratyphus gedacht. Auch die Sektion lieferte keinen 
charakteristischen Befund, erst die bakteriologische Untersuchung 
sicherte am 26. die Diagnose. Am 25. kamen zwei weitere Fälle 
unter leichteren Erscheinungen zur Aufnahme, die unter fortschrei¬ 
tender Verschlimmerung starben. Auch hier uncharakteristischer 
Sektionsbefund. Von zwei Kindern besserte sich das eine bald, 
während das andere, das unter ganz uncharakteristischen Erschei¬ 
nungen — Verstopfung! — eingeliefert war, am Abend starb. Mehr¬ 
fach wurde in der Anamnese der Genuss von rohem oder halb¬ 
gebratenem Pferdefleisch festgestellt; die weiteren Nachforschungen 
sicherten dieses als Infektionsquelle. Ist auch die Epidemie jetzt 
erloschen, so ist doch mit der Möglichkeit erneuten Auftretens zu 
rechnen. 

Herr Seligmann: Das Zusammenarbeiten der staatlichen und 
städtischen Untersuchungsstellen brachte schnell eine Klärung. Der 
Choleravibrionennachweis gelingt stets schnell und sicher; so war 
von dem am 25. IX. eingesandten Material am 26. IX. der Nachweis 
von Vibrionen gesichert. In den nächsten Tagen wurden bei weiteren 
Fällen Vibrionen gezüchtet. Nachdem am 29. in einer Tageszeitung 
eine Notiz erschien, nach der in einem anderen Krankenhaus drei 
Personen nach Genuss von Pferdefleisch unter botulismusähnlichen 
Erscheinungen schnell gestorben seien, wurden auch hier Vibrionen 
nachgewiesen. Die Rossschlächterei wurde ermittelt und bei der 
Untersuchung des Personals ein Geselle als Bazillenträger festgestellt, 
der ‘vor Tagen wegen Darmkatarrh ärztlich behandelt und bereits 
gebessert war. Ihren Ausgang dürfte die Ansteckung aber von einem 
zweiten Gesellen genommen haben, der bereits am 18. unter Magen- 
Darmkatarrh erkrankt, am 19. verstorben war. Lichtbilder erläutern 
das zeitliche und örtliche Zusammenfallen der Krankheitsfälle. Der 
Erfolg der getroffenen Massnahmen bestätigt, dass in der Schlächterei 
die Infektionsquelle zu suchen war. Unklar bleibt nur das Dorthin¬ 
gelangen des Ansteckungsstoffes; am wahrscheinlichsten ist die An¬ 
nahme, dass an dem in der Schlächterei lebhaft betriebenen Schleich¬ 
handel . beteiligte Urlauber aus Russland die Infektion eingeschleppt 
haben. Daher ist mit neuen Fällen zu rechnen und bei Brechdurch¬ 
fall stets an Cholera zu denken. W. 


Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 17. Juli 1918. 

Vorsitzender: Herr 5 c h i e c k. 

Schriftführer: Herr F i e 1 i t z. 

Herr Grouven: Demonstrationen. 

Herr Grouven: Zur Syphilistherapie. 

Vortragender empfiehlt die energische, kombinierte Quecksilber- 
Salvarsantherapie, die im seronegativen Primärstadium der Syphilis 
allem Anschein nach eine Abortivheilung durch eine einzige Kur 
in einem hohen Prozentsatz aller Fälle ermöglicht. Frühdiagnose des 
Primäraffekts durch Spirochätennachweis ist daher von prinzipieller 
Wichtigkeit, zumal sich die Heilungsaussichten nach dem Positiv¬ 
werden der WaR. erheblich verschlechtern und stets chronisch- 
intermittierende Behandlung erfordern. 

Besprechung: Herr Grote stellt im Anschluss an die De¬ 
monstration von Prof. Grouven 2 Fälle von Melanose der 
Haut vor, die augenscheinlich ähnlicher Natur sind. Die Fälle waren 
als Morbus Addisonil auf die Station gekommen. Die Pigmentierung 
ist bis auf die mangelnde Verfärbung der Schleimhäute im Farbton 
dieser Krankheit sehj: ähnlich. Der eine Fall wies eine aus¬ 
gesprochene Eosinophilie von 11 Proz. auf, wie sie gelegentlich bei 
Addison gefunden wird. Sonst fehlten aber typische Zeichen, beson¬ 
ders fehlte die Blutdruckerniedrigung; auch der Blutzucker, der 
bei Addison bisher in 9 /a der Fälle niedrig gefunden wurde, wies 
normale bzw. sogar erhöhte (0,15 Proz.) Werte auf. Die Aetiologie 
ist dunkel, Ernährungsschädlichkeiten sind wohl ein zu allgemeiner 
Grund, mehr Wahrscheinlichkeit hat die Möglichkeit einer Schädigung 
der Blutzellen für sich. WaR. in beiden Fällen negativ. 

Herr W i n t e r n i t z, Herr S c h i e c k, Herr K u 1 i s c h. 

Herr Kuhn macht darauf aufmerksam, dass neuerdings ver¬ 
schiedentlich eine Ansicht vertreten werde, wonach im spätsekun¬ 
dären Stadium der Lues die spezifische Behandlung nur dann wirk¬ 
sam sei, wenn sich die Krankheit durch irgendwelche Rezidive be¬ 
merkbar mache. Ein positives Ergebnis der WaR. in derartigen 
Fällen sei an sich kein Grund, immer wieder neue Kuren einzuleiten 
Wie stellt sich der Herr Vortragende zu dieser Frage? 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



12. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1803 


Herr Grouven führt aus, dass das Positivsein der WaR. doch 
immerhin der Beweis für das Vorhandensein von Spirochäten im Kör¬ 
per sei. Es müsse also auch in den gegen die Behandlung resistenten 
Fällen stets von neuem der Versuch gemacht werden, die positive 
Phase in die negative überzuführen. 

Sitzung vom 31. Juli 1918. 

Herr A. W. Fischer: Pathologische Anatomie der epfidemt- 
schen Grippe. 

Nach einem Sektionsmaterial von 110 Todesfällen an spanischer 
(irippe ist als bestimmende anatomische Veränderung in frischen 
Fällen hochgradige Tracheobronchitis anzusehen. Diese Schleim¬ 
häute sind stets tiefrot, trübe, gering gequollen, zuweilen kleien- 
förmig belegt und oberflächlich ulzeriert. Das Sekret ist stets sehr 
gering, häufig fehlt es. Hierzu passt der klinischerseits beobachtete 
starke Reizhusten mit geringem Auswurf. In 3 Fällen war diese 
Tracheobronchitis alleinige Todesursache (2 stark unterernährte 
Kranke, 1 ausgeprägter Status thymicus). Nasen- und Rachen¬ 
schleimhaut war meist nicht auffällig. Zweimal bestand eitrige 
Rhinitis. Gegenüber dem einheitlichen Befund der Tracheobronchitis 
war das Lungenbild ausserordentlich wechselnd. alle Fälle waren 
Bronchopneumonien, von diesen Ys hämorrhagischen Charakters. 
Die Herdgrösse war sehr verschieden, oft konfluierten die Herde 
aufs engste, sie zeigten oft Keilform, ähnlich Infarkten oder sep¬ 
tischen Embolien. Ihre Schnittfläche war meist glatt, selten gering 
gekörnt. Vereinzelt hatten sich bis kirschgrosse, immer extrabron¬ 
chiale, oft gruppenförmige Abszesse ausgebildet. Bemerkenswert er¬ 
scheint ein Fall von eitriger Lungenvenenthrombose und allgemeiner 
Pyämie. Die lobären Infiltrationen waren grösstenteils ganz weich 
und schlaff ohne wesentliche Körnelung (Splenisation), nur wenige 
Fälle boten das bekannte Bild der Pneumokokkenentzündung. Das 
lufthaltige Lungengewebe war stets sehr blutreich, meist stark 
ödematös. Makroskopisch waren die Lungengefässe frei von Throm¬ 
ben. Die Lymphbahnen der Lunge bildeten bisweilen breite weisse, 
prall eitererfüllte Strassen, Bronchial- und Trachealdrüsen fanden 
sich stets hochgradig entzündet und hyperämisch Die Bronchien 
waren merkwürdigerweise stets fast leer. Die blutigen Fälle schienen 
die frischesten zu sein, in älteren Fällen tritt infolge Durchwande¬ 
rung von Leukozyten die graue Farbe in den Vordergrund. An 
alteren Fällen zeigte sich häufig die geringe Neigung dieser Pneu¬ 
monien zur Lösung. Trockene Pleuritis fand sich über den Herden 
last regelmässig, in Vi aller Fälle bestanden Empyeme bis zu 
mehreren Litern mit totaler Lungenkompression. Die Rippenpleura 
war häufig stark hämorrhagisch. Die Vereiterung des Exsudats muss 
sehr schnell vor sich gegangen sein (Punktionsergebnisse intra 
vitam). Oft war die Pleura über den vereiternden bronchopneumo- 
nischen Herden nekrotisch geworden und es so zum Durchbruch ge¬ 
kommen. Auch wurde eitrige Pleuritis bei einfach hyperämischer 
herdfreier Lunge beobachtet. Das Herz war nicht auffällig. Ein¬ 
zelne Fälle zeigten eitrige Perikarditis, eitrige Mediastinitis oder 
eitrige Peritonitis, auch ohne Befallensein der Lungen. Ein be¬ 
stimmter Milztyp liess sich nicht aufstellen. Das Organ war zwar 
regelmässig mässig vergrössert, jedoch erschien die Pulpa bald 
schwarzrot, fest, bald grau, trübe, zerfliesslich weich. Auch zur 
Art der Pneumonie gab es keine erkennbaren gesetzmässigen Be¬ 
ziehungen. Milz und Leber zeigten stets hohen Eisengehalt als 
Zeichen starken Blutzerfalls. Das Leberparenchym war oft erheblich 
trübe. In einigen Fällen, die klinisch als Typhus, Appendizitis oder 
Ileus gedeutet waren, fand sich lebhafte Schleimhauthyperämie in 
Magen, Duodenum, Ileum und Colon ascendens. Die Solitärfollikel 
traten deutlich, aber ohne Geschwürsbildung hervor. Auch in den 
andern Fällen fand sich diese Schwellung besonders häufig, ohne 
dass damit diesem fast normalen Befund eine besondere Bedeutung 
beigemesen werden soll. Dickdarm und Harnblase waren oft stark 
gefüllt (klinisch Stuhl und Urinverhaltung). Die Nebennieren waren 
fast durchweg trübe, ihr Mark oft erweicht. Die Nieren zeigten 
häufig Epitheldegeneration, in 2 Fällen septisch-embolische Herde. 
Verdacht auf Meningitis, Ventrikeldurchbruch von Hirnabszessen 
u. a. bestätigte sich nie, das Hirn war stets nur stark hyperämisch 
(Reizungszeichen). Die Haut erschien oft mässig ikterisch (sep¬ 
tisches Zeichen). Die Muskulatur war auffällig trocken, die Recti 
abdominis zuweilen wachsig. Ungemein rasch begann die Leichen¬ 
fäulnis; hämolytische Verfärbungen fanden sich sogar schon bei so¬ 
fort p. m. geöffneten Fällen sehr ausgedehnt. Die Toten waren stets 
sehr kräftige Leute, meist zwischen 18 und 35 Jahren. Kachektische 
Individuen fehlten auffälligerweise durchaus, trotzdem an ihnen doch 
kein Mangel ist. Abstriche von Bronchien, Lungenherden usw. zeig¬ 
ten fast regelmässige ungeheure Mengen Streptokokken, seltener 
Pneumo- oder Staphylokokken. Die Einzelexemplare der Strepto¬ 
kokken lagen häufig diplokokkenartig. In älteren Fällen waren die 
Bakterien seltener. Kulturverfahren (Prof. Schürmann) ergab 
häufig Hämolyse bei den Streptokokken. Der Pfeiffer sehe Ba¬ 
zillus wurde 6 mal in geringen Mengen in Kokkengemeinschaft ge¬ 
funden. Einmal wurde er auch in der Milz nachgewiesen (Prof. 
Schürmann). Sonst enthielt die Milz nur Strepto- zuweilen 
Staphylokokken. Histologisch zeigte sich geringer Fibringehalt, Vor¬ 
herrschen der zelligen Elemente in den Alveolen. Die Leukozyten¬ 
kerne waren in starkem Zerfall (Zeichen intensiver Giftwirkung). In 

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makroskopisch einfach hyperämischen Bezirken waren trotzdem die 
Alveolen bluterfüllt. Die Kapillaren waren stets prall voll, oft hyalin 
thrombosiert. Die Tracheal- und Bronchialschleimhaut erschien sehr 
stark kleinzellig infiltriert, häufig auch durchblutet. 

In fast allen Fällen musste der Tod einer Bakteri- bzw. Toxin- 
ämie zur Last gelegt werden, denn der Ausfall funktionstüchtigen 
Lungengewebes genügte als Todesursache allein selten. 

Beim Verfolgen der Literatur von 1890 findet man dort die glei¬ 
chen Fragen erörtert, die uns heute bewegen. Das damals geschil¬ 
derte Bild ist auch in Einzelheiten völlig das gleiche wie das der 
heutigen Erkrankung. Ganz zweifellos haben wir es heute mit der 
gleichen Krankheit zu tun, worauf auch Mandelbaum*) schon 
hin wies. 

Bei der Beurteilung ist Primär- und Sekundärinfektion zu schei¬ 
den. Primär ist die einheitliche Tracheobronchitis, sekundär die 
wechselnden pneumonischen usw. Prozesse eben wegen ihrer wech¬ 
selnden Form. Ob der Pfeiffersche Bazillus der Primärerreger 
ist, können wir bei unserri paar positiven Fällen (Bazillenträger?) 
nicht entscheiden. Das müsste der Kliniker an frischen Fällen tun. 
Mir erscheint es unverständlich, warum ein Erreger, der dauernd 
endemisch verbreitet ist, plötzlich eine solch riesige Epidemie ver¬ 
anlassen sollte. Sicherlich können verschiedene Erreger influenza¬ 
ähnliche Bilder erzeugen. Wahrscheinlich kennen wir den Erreger 
der epidemischen Grippe noch nicht. In dieser Beziehung teilte ich 
den Standpunkt Mandelbaums*) schon vor Erscheinen seiner 
Arbeit. 

•Die Wirkungsweise der Infektion kann sehr verschieden erklärt 
werden. So könnten sich vielleicht infolge Bindung der immuni¬ 
satorischen Körperkräfte durch die Primärinfektion die hinzutreten¬ 
den Kokken widerstandslos todbringend ausbreiten. Bei solcher Bin¬ 
dung müssten aber Furunkel oder sonstige Kokkeneiterungen bei 
diesen Kranken besonders bösartig werden, was jedoch nicht der 
Fall ist. Immerhin Hesse sich eine lokal bedingte Widerstandslosig¬ 
keit vorstellen. — Die prall gefüllten Gefässe deuten auf Wand¬ 
schädigung direkt oder durch Vasomotoreneinflüsse. Reizung der 
Dilatatoren, Lähmung der Konstriktoren oder auch Lähmung beider 
müsste zu gleichen Bildern, wie wir sie sahen, führen. Das häufige 
scharfe Abschneiden der Röte in der Tracheamitte lässt an segmen¬ 
täre Wirkung denken. Infolge der Gefässschädigung kommt es zu 
Blutaustritten, Gewebsschädigung durch Stase, Kokkenentwicklung. 
Möglicherweise spielt auch bei der Ausbreitung der Kokken eine 
eventuelle Aufhebung der Flimmerbewegung eine Rolle. — 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich bei der epidemi¬ 
schen Grippe um eine durch einen noch unbekannten Erreger hervor¬ 
gerufene Tracheobronchitis handelt, die für sich allein nur sehr 
geschwächten Leuten gefährlich wird. Diese Primärinfektion be¬ 
reitet den Boden für eine Kokkensekundärinfektion mit Pneumonie. 
Pleuritis usw., die sehr häufig zum Tode führt. 

Besprechung: Herr B e n e k e: Aus dem Gesamtbild unserer 
gemeinsamen, an etwa 100 Fällen im Lauf des Juli gewonnenen Er¬ 
fahrungen, welches Herr Fischer entrollt hat, möchte ich nur ein¬ 
zelne Züge noch besonders hervorheben. Des Eindrucks, dass der 
eigentliche Erreger der Seuche noch unbekannt und weder mit den 
so häufig gefundenen Kokken noch mit dem Pfeiffer sehen In¬ 
fluenzabazillus identisch ist, kann auch ich mich nicht erwehren; 
wir teilen vollkommen den Standpunkt Oberndorfers und Man- 
d e 1 b a u m s, dass der Nachweis dieser Bakterienformen nur auf 
Mischinfektionen hinweist, deren Gefahr allerdings besonders gross 
ist, insofern der Tod in zahllosen Fällen durch dies akzidentelle Er¬ 
eignis veranlasst wird; heute ringen noch zahlreiche Erkrankte mit 
diesen Nachkrankheiten in mannigfaltigster Form, während die Seuche 
selbst nach allgemeinen Angaben überall in Deutschland im Erlöschen 
ist. Für die Diagnose „Influenza“ sind wir zurzeit auf die epidemio¬ 
logisch-klinische Beobachtung, wie sie z. B. in der treffenden kurzen 
.Darstellung unseres Kollegen Hesse zum Ausdruck gekommen ist, 
und eben auf die Besonderheiten jener Mischinfektionen an¬ 
gewiesen: Denn selbst das typische anatomische Bild der Influenza- 
tracheitis mit ihrer abnormen Rötung und Trübung der Schleimhaut, 
ev. auch das der Pharyngitis kann geringfügig sein oder trägt in 
dem Grade seiner Ausbildung offensichtlich die Mitwirkung entzün¬ 
dungserregender Bakterien, wie wir sie ja regelmässig in reichster 
Zahl im Trachealschleim fanden, zur Schau. 

Auf das klinische Bild einzugehen, liegt nicht in meiner Absicht. 
Nur auf einzelne Punkte möchte ich kurz hinweisen. Das eine ist 
die anscheinend ganz ungewöhnlich rasche und starke Hämolyse, 
welche sich durch reichliche Gallenfarbstoffausscheidung wie durch 
die überraschende Siderosis der Leber und Milz, sogar der Nieren 
verrät; in der Milz fand ich ungewöhnliche Massen von blutkörper- 
chenhaltigen Makrophagen. Dieser Blutzerfall, der wohl in beson¬ 
derem Masse in der Leber erfolgt, entsteht anscheinend durch hämo¬ 
lytische Intoxikation, vermutlich unter besonderer Schädigung der 
Lipoidsubstanzen, wobei ich besonders an die Lipoidhaut der Erythro¬ 
zyten denke. Von der Koinzidenz mit Streptokokken scheint er 
unabhängig zu sein; diesen Schluss gestattete mir zwar mein Sek¬ 
tionsmaterial mit seinen Mischinfektionen nicht, dagegen die Be¬ 
obachtung am eigenen Körper; ein schwerer Influenzaanfall ohne 


*) Diese Wochenschrift 1918 Nr. 30. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1304 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 


auffällige Lokalsymptome der Respirationswege, sicher ohne Strepto¬ 
kokkenmischinfektion, verschaffte mir auffallend rasch hochgradige 
Bilirubinausscheidung und aderlassartige starke Anämie für die 
Dauer der Erkrankung. 

Der zweite Punkt ist die Einwirkung des Influenzagiftes auf das 
Nervensystem, und zwar speziell in der Nähe der Eintrittspforte der 
Infektion. Ich vermute eine besondere Einwirkung auf den Sym¬ 
pathikus, namentlich des Gangl. suprem., und leite die so auffallen¬ 
den Kopfschmerzen von einer Schädigung des Nerv, carotic. int. ab; 
in gleicher Weise bin ich geneigt, die Schädigung anderer Organe, des 
Herzens, der Lungen, des Darms (intestinale Form mit Durchfällen!) 
mit dem Sympathikus in Verbindung zu bringen. Auch hier spielt 
wohl die Lipoidschädlichkeit der Intoxikation ihre Rolle. Anatomische 
Anhaltspunkte hierfür kann ich allerdings, zurzeit noch nicht bei- 
bringen, da es mir an Zeit zur histologischen Untersuchung fehlte. 

Aber dieser Punkt schwerer nervöser Schädigung, die sich ja 
klinisch unverkennbar in der ausserordentlichen Prostration der Pa¬ 
tienten kennzeichnet, ist vielleicht auch für die Erklärung der zweiten 
Hauptsache bei der Influenza heranzuziehen, der immer wieder über¬ 
raschenden Disposition zur Mischinfektion. Dass Mischinfek¬ 
tionen sich anschliessen, ist gewiss kein Wunder; aber dass sie 
sich so häufig und in Formen anschliessen, die wir sonst nicht kann¬ 
ten, besonders in der Form allerjähester Ueberschwemmung, das ist 
offenbar etwas Eigenartiges; die Ursache für diese Steigerung kann 
wohl in einer Einwirkung des Influenzagiftes auf die Qefässnerven, 
besonders der Lunge gesucht werden, wodurch, etwa wie durch „Er¬ 
kältungen“, eine lokale Widerstandsschwäche und damit eine iähe 
Bakterienentwicklung veranlasst werden könnte. Ich habe auch, 
wie Herr Fischer schon erwähnt hat, an aridere Effekte, etwa an 
die Lähmung der Flimmerbewegung der Trachealepithelien durch 
den Katarrh, oder an eine Art Inanspruchnahme der immunisierenden 
Kräfte des Organismus durch das Influenzagift gedacht, bin aber 
namentlich von letzterer Vermutung zurückgekommen, weil die ge¬ 
fährlichen Mischinfektionen zunächst vorwiegend auf das Respira¬ 
tionsgebiet beschränkt bleiben und sich nur dort ungewöhnlich ent¬ 
wickeln, während zufällige Infektionen anderer Körperstellen, z. B. 
Furunkel o. ähnl., keinerlei auffällige Begünstigung in bezug auf 
Entstehung oder Ablauf der Infektion erkennen lassen; es muss also 
ein lokales, nicht ein allgemeines Moment sein, welches die Misch¬ 
infektionen bei Influenza so gefährlich werden lässt. In dieser Rich¬ 
tung an die Schädigung der die Lungengefässe beherrschenden Ner¬ 
ven zu denken, liegt gewiss nahe. Es wäre möglich, dass Erregung 
oder Lähmung des vasomotorischen Tonus für die Ansiedlung der 
Kokken besonders günstige Bedingungen schaffen. 

Unter den Mischinfektionen steht die Streptokokken¬ 
infektion unzweifelhaft in erster Reihe. Wir fanden im Tracheal- 
schleim, in den Lungen, den Pleuraexsudaten, den perikarditischen 
und peritonitischen Ergüssen, wie in Blut und Milz, ungemein oft 
hämolytische Streptokokken, deren schädigende Wirkung sich schon 
in ganz frischen Leichen durch die ungewöhnliche Hämolyse des 
Leichenblutes verriet. Ihre Menge war oft geradezu überwältigend, 
namentlich in den ausgedehnten erysipelartigen Lungenödemen. Dem 
entsprach die eigenartige, so oft akut tödliche Form der wässrigen 
Lungenentzündung: schwer hyperämische, überall ödematöse Lungen¬ 
alveolen enthalten meist Leukozyten in geringer Zahl und wenig 
Fibrin, häufiger reichlich frisches Blut; sie bilden verwaschene 
Gruppen bronchopneumonischer Infiltration, welche relativ schnell 
eitrig werden. In diesem Stadium beobachteten wir häufig eigen¬ 
artige beginnende Pleuranekrosen scharfer lobulärer Abgrenzung, 
gewöhnlich mit einem schmalen eitrigen Randsaum; von diesen 
Herden aus war dann meistens eine stark exsudative serös-eitrige 
Pleuritis zustande gekommen (Demonstration). Eine weitere über¬ 
raschende Folge der Streptokokkeninfiltration war die jähe kavernöse 
Einschmelzung der lobulären Herdchen; namentlich in den Lungen¬ 
spitzen fand ich wiederholt die Entwicklung von kleinen konfluieren- 
den Kavernen, welche an ganz akut schmelzende tuberkulöse Ka¬ 
vernen erinnern konnten (Demonstration). 

Ein weiterer Fall zeigte eine vollkommene Eiterinjektion zahl¬ 
reicher stark erweiterter peribronchialer Lymphgefässe vom Hilus 
bis zur Pleura, ohne Pneumonie, ein Bild, welches etwa an Kar¬ 
zinom erinnerte und mir in ähnlicher Form früher nie aufgefallen ist. 
Die phlegmonöse Ausbreitung der Streptokokken hatte wiederholt 
nicht nur zu schwerer Perikarditis und eitriger Peritonitis 
(durch das irilakte Zwerchfell hindurch), sondern auch zu eitriger 
Mediastinitis von ganz ausserordentlicher Ausdehnung geführt. 
Dass die Lymphdrüsen am Lungenhilus und der unteren Trachea 
entsprechende Schwellungen regelmässig aufwiesen, verdient kaum 
der Erwähnung; wichtiger ist die Tatsache, dass derartige Schwel¬ 
lungen an den oberen Halslymphdrüsen regelmässig vermisst 
wurden, ein deutlicher Anhalt für die Erkenntnis, dass die Invasion 
der Streptokokken nicht von den Halsorganen aus, sondern in den 
tieferen Luftwegen erfolgt. 

Neben der Streptokokkeninvasion überraschte in anderen Fällen 
der Befund reichlicher Staphylokokken. In der Trachea 
schien ihrer intensiven Giftwirkung der mehrfach erhobene Befund 
eitrig diphtheritischer Nekrosen zu entsprechen, wenigstens fand ich 
in den Belägen Unmassen von Staphylokokken (so auch in einem Fall, 
der als „Influenza“ klinisch gedeutet und in 2 Tagen tödlich ver¬ 


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laufen, sich anatomisch als Diphtherie vom Gaumen bis in die 
Bronchioli hinein erwies, ohne dass sichere Diphtheriebazillen nach¬ 
weisbar waren). In den Lungen fanden sie sich in Unmassen sowohl in 
den hämorrhagisch-wässrigen Alveolarexsudaten, welche den ganz 
jäh verlaufenen Fällen mehrfach das anatomische Bild der Lungen¬ 
pest verliehen, als namentlich in typischen pyämischen Ab¬ 
szessen, deren Vorkommen — primär vom Respirationstraktus 
aus! — gewiss eine ganz besonders eigenartige Seltenheit darstellt. 
Ihre Form war mit den kavernösen Einschmelzungen durch die 
Streptokokken nicht zu verwechseln; boten sie doch die charak¬ 
teristische scharfbegrenzte hämorrhagische fibrinöse Abgrenzung 
gegen die zentrale eitrige rahmige Einschmelzung. Das rein pyämi¬ 
sche Bild wurde durch die anderen Organe bestätigt, namentlich 
wiesen die Nieren wiederholt multiple Abszesschen auf. Besonders 
grossartig war die Metastasenbildung in einem Fall entwickelt, bei 
welchem eine grosse Lungenvene im Anschluss an einen Abszess 
einen eitrigen Thrombus ausgebildet hatte; neben Milz- und Nieren¬ 
abszessen fanden sich hier massenhafte scharfbegrenzte pyämische 
Leberabszesse (Demonstration), sowie eine Anzahl embolischer Ab¬ 
szesschen der Dünndarmschleimhaut. Die Kultur ergab überall reich¬ 
lich Staphylococc. aureus. Auch die Exsudate der serösen 
Höhlen wiesen demgemäss mehrfach vorwiegend Staphylokokken 
auf; In manchen Fällen wurden sie ferner im Blut oder der Milz ge¬ 
funden, ohne dass der grobe anatomische Befund sie hatte erwarten 
lassen. 

Pneumokokken wurden kulturell selten erwiesen; genauere 
Aufmerksamkeit auf sie würde meines Erachtens auch ihr häufiges 
Vorkommen erweisen müssen; im Ausstrichpräparat fanden sich sehr 
häufig typische Kapseldiplokokken. Dementsprechend war es ver¬ 
ständlich, dass im Verlauf der Epidemie eine grössere Zahl einfacher 
kruppöser Pneumonien zur Beobachtung kam. Ich hatte den Ein¬ 
druck, dass diese Form der Mischinfektion etwas später nach dem 
jähen Einsetzen des Grippeanfalles zum klinischen Ausdruck kam, 
als die Strepto- und Staphylokokkeninfektionen, welche wir fast 
blitzschnell zum Tode führen sahen, ln manchen Fällen mag es 
schwer sein, nachträglich die Beziehung zu einer Influenza zu er¬ 
kennen. Das gilt auch für die Fälle von Empyem ohne Lungen¬ 
erkrankung, die während der Epidemie sich überraschend häuften. 

Eine reine Influenzabazilleninfektion konnte ich 
in keinem Falle erweisen. Doch fand ich einmal das Bild schwerer 
Influenzatracheitis und -bronchitis mit tödlichem Ausgang durch all- 
gemeirfe Schleimverstopfung der Bronchi ohne jede Komplikation; 
im Tranchealschleim reichliche Influenzabazillen neben Kokken, durch 
Kultur identifiziert.! Ein zweiter, in 16 Stunden verlaufener Fall, er¬ 
wies sich besonders interessant. In einem hochgelegenen Harzkur¬ 
heim war die Epidemie ausgebrochen; ihr erlag als einziger ein 
A d d i s o n kranker, dessen Nebennieren fast total geschwunden 
waren, während im übrigen ein ausgeprägter Status thymicus in ge¬ 
wohnter Weise vorlag; unmittelbar vor dem Grippeanfall war der 
Mann anscheinend völlig wohl gewesen und hatte grössere Wande¬ 
rungen ausführen können. Der Befund bestand in einer Tracheo¬ 
bronchitis mit (kulturell erwiesenen) Influenzabazillen, neben schwer¬ 
ster hämorrhagisch-ödematöser Lungenhyperämie. Ich fasse den 
jähen Verlauf als einen Ausdruck der besonderen Hin¬ 
fälligkeit der an Status thymicus Leidenden 
gegenüber akuten Infektionen auf; mehrere andere 
Fälle wiesen auf das gleiche hin, wenn auch in weniger frappantem 
Grade. 

Eine besondere Hinfälligkeit der Tuberkulösen der In¬ 
fluenza gegenüber, wie sie aus der Influenzaepidemie 1890 in aller¬ 
dings nicht mehr sicher kontrollierbarer Erinnerung schwebt, konnten 
wir — Herr Dr. Fischer hat bereits darauf hingewiesen — nicht 
nachweisen. Immerhin war es mir auffällig, dass zweimal eine akute 
Miliartuberkulose sich an einen Influenzafall unmittelbar anzu- 
schliessen schien. Die klinische Beobachtung ist in solchen Fällen 
mangels sicherer Kennzeichen der Influenza unsicher. Doch würde 
an sich dem Gedanken, dass eine lebhaftere Säftebewegung, etwa 
im Duct. thorac., welche sich in den fraglichen Fällen^ils Ausgangs¬ 
punkt erwies, zu einer Beschleunigung des schon drohenden Durch¬ 
bruches eines irgendwo gelegenen Käseherdes geführt hätte, nichts 
entgegenstehen. Ich entsinne mich, in ähnlicher Weise akute Miliar¬ 
tuberkulose als Ausdruck einer „Mobilisierung“ durch starke Tuber¬ 
kulininjektionen beobachtet zu haben. 

Herr W i n t e r n i t z: Was die vom Vortragenden betonte 
Uebereinstimmung der während .der gegenwärtigen Epidemie er¬ 
hobenen pathologischen Befunde mit den Veröffentlichungen über die 
Influenzaepidemie 1889/90 betrifft, gilt auch für die klinischen Be¬ 
obachtungen. Ueberwiegend sind die katarrhalischen und katar¬ 
rhalisch-rheumatischen Formen, seltener die meningitischen, aber 
auch intestinale und typhöse haben wir beobachtet. Nirgends zeigten 
sich bemerkenswerte Unterschiede der Krankheitsbilder gegenüber 
der Pandemie, die uns vor fast 30 Jahren heimgesucht hat. 

Herr Eisler: Nach diesen Darlegungen wird mir auch der Be¬ 
fund an einer Anatomieleiche (Mann von 54 Jahren) klar, über die 
von der einliefernden Strafanstalt Sektionsbericht gewünscht war. 
Trotz ziemlich kühlen Wetters war 2 Tage nach dem Tode die Fäul¬ 
nis bereits sehr weit vorgeschritten. Leber und Nieren waren durch 
Gasentwicklung hochgradig zerstört, Herz und Blutgefässe mit Gas 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



12. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1305 


prall gefüllt. Starke Hyperämie und Oedem der Lungen ohne irgend¬ 
welche Herdbildung; in den Pleurahöhlen geringe Mengen dunkelrot 
gefärbter seröser Flüssigkeit. Fast trockene Tracheobronchitis vom 
Kehlkopf abwärts mit dunkelblauroter Verfärbung der Schleimhaut. 
Milz klein; Pulpa schmierig, schwarz. Offenbar handelte es sich da¬ 
bei um einen typischen Grippefall. (Schluss folgt.) 


Aerztlicher Verein München. 

(Eigener Bericht.) 

In der Sitzung vom 6. November 1918 fand eine Aus¬ 
sprache über die Grippe statt, der wir folgendes entnehmen: 

Prof. Dr. Borst hat bei 135 Obduktionen in 83 Proz. die Zei¬ 
chen früherer Erkrankungen gefunden, darunter 78 Fälle mit Pleura¬ 
adhäsionen; der Status thymico-lymphaticus fand sich nur 4 mal. 
Hervorzuheben ist die Häufigkeit des hämorrhagischen Charakters 
bei allen entzündlichen Erscheinungen. Im Vordergrund stehen die 
Veränderungen der Respirationswege. 36 ma! bestand Glottisödem. 
Die Lungen waren stets erkrankt, in ausgesprochenen Fällen mit 
bronchopneumonischen Herden. Das Exsudat wechselt von der serös- 
hämorrhagischen bis zur eitrig-fibrinösen Form; folgt die eitrige Ent¬ 
zündung den Septen, so entstehen die schweren Bilder dissezierender 
Pneumonie mit anschliessender Herdnekrose, selbst der Pleura. Pri¬ 
mär handelt es sich bei den Bronchopneumonien nicht um hämorrha¬ 
gische Infarkte; auch erfolgt ihre Entstehung mit grösserer Wahr¬ 
scheinlichkeit durch die Respirationswege als durch die Blutbahn. 
Das Herz ist auffallend gering beteiligt; ausnahmsweise bestand pri¬ 
märe, etwas öfter eine rezidivierte Endokarditis, vereinzelt pyomala- 
zische Muskelherde. Die Nebennieren zeigen toxische Degene¬ 
ration, Lipoidschwund der Rinde, Hämorrhagien des Marks. Von den 
seltenen Veränderungen an Hirn und Rückenmark verdient die 
Purpura haemorrhagica Erwähnung. 3 Fällen ungestörter Gravidi¬ 
tät stehen 4 Abortusfälle gegenüber. — Die Grippe disponiert jeden¬ 
falls sehr zur Sekundärinfektion und zur Mobilisation älterer Infek¬ 
tionen. — Die Todesursache ist allem Anschein nach oft Er¬ 
stickung; häufig besteht der Eindruck des Vasomotorentodes. 

Geheimrat Dr. v. M ü 11 e r bespricht 354 Fälle der gegenwärtigen 
Epidemie mit 42 Todesfällen. Das lieber wiegen des weiblichen Ge¬ 
schlechtes ist nur scheinbar, bedingt durch die Kriegsverhältnisse. 
Der Tod erfolgt mit einer Ausnahme durch Pneumonie, und zwar 
hatte keiner von diesen Fällen früher Influenza gehabt. Da auch die 
Rezidive der Grippe nur leicht verlaufen, ist eine Immunisierung 
wahrscheinlich. Das Sputum der Fälle zeigte Pneumokokken, die 
Empyeme Streptokokken. Oefters besteht masern-, aber namentlich 
scharlachähnliches Exanthem, welches die Diagnose erschwert. Als 
Ne-benbefunde sind zu nennen Meningismus (selten Meningitis), 
hämorrhagische Glomerulonephritis, Gelenkschwellung. Entzündung 
der Nebenhöhlen der Nase findet sich meist bei leichteren Fällen. 
Lymphatismus ist gewiss öfters vorhanden, aber mehr als 
Begleiterscheinung wie als Voraussetzung der Grippe. Von 
den D^rmstörungen können die Diarrhöen zu schweren Zuständen 
führen. Therapeutisch ist Digitalis ganz, Koffein fast wirkungslos, am 
besten Kampfer in grossen Gaben. Der Aderlass meist vergeblich; 
die Versuche mit Streptokokkenserum (Höchst) und mit Salvarsan 
versprechen wenig. 

Generalstabsarzt Exz. Dr. v. Seydei: In der bayerischen 
Armee begann die diesjährige Grippe bereits im April mit 200 Fällen 
bei einem Ersatzbataillon in Unterfranken. An der Front traten im 
Juli zahlreiche Fälle auf, die Einschleppung wird auf eine französische 
Division zurückgeführt. Beim Besatzungsheer lässt sich unterschei¬ 
den 1. Pandemie im Sommer mit 16 Proz. Erkrankungen und 0,5 Proz. 
Todesfällen, 2. der Rückschlag im September, explosionsartig in Für¬ 
stenfeldbruck beginnend, mit 1 Proz. Todesfällen. 3. die jetzige, im 
Oktober einsetzende Nachepidemie beim 2. Armeekorps mit 5,8 Proz. 
Erkrankungen und 3,8 Proz. Todesfällen, darunter solche schwer 
toxische, in wenig Stunden tödliche Fälle. Eine gewisse Immunisierung 
scheint zu bestehen. Im ganzen ist der Verlauf der gesamten Epi¬ 
demie auch bezüglich der Mortalität (1,4 Proz.) sehr ähnlich der von 
1889/90. 

Dr. v. Angerer berichtet über Versuche an Tieren und an 
menschlichem Material, bei denen es gelang, einen aerob und anaerob 
wachsenden, filtrierbaren Mikroorganismus zu isolieren, der als Er¬ 
reger der Grippe in Frage kommen könnte. 

Prof. Dr. Pfaundler: Die frühere Lehre, dass die Influenza 
das Kindesalter verschone, ist schon durch die Beobachtungen in den 
Epidemien von 1889/90 nicht bestätigt worden. Zu beachten ist dabei 
auch, dass bei Kindern infolge ihrer grösseren Abgeschlossenheit die 
Grippe oft spät und bei Säuglingen oft in larvierten (intestinalen) 
Formen auftritt. Abweichend von der Epidemien bildenden Influenza 
vera tritt die „Tnfluenza nostras“ als Endemie in Kleinkinder- und 
Säuglingsanstalten auf. Der Tod solcher Säuglinge wird durch die¬ 
selben Bakterienarten herbeigeführt, wie sie jetzt bei der Influenza 
vorzugsweise gefunden werden. Meist sind es von vornherein chro¬ 
nisch herabgekommene, schwache Kinder, die ihnen zum Opfer fallen, 
vielleicht ist es bei der Influenza vera der bisher noch unbekannte 
Influenzaerreger, der eine ähnliche Entkräftung, die dann den Kranken 
den sekundären Infektionen ausliefert, bewirkt. Sehr beachtenswert 
bei der Grippe der Kinder ist, dass sie bisweilen bis ins kleinste den 


Scharlach nachahmt, nur dass vielleicht das Exanthem etwas flüch¬ 
tiger, die Rachenaffektion geringer ist. Auch Verwechslungen mit 
Larynxdiphtherie sind möglich, während anderseits sich an eine 
leichte Grippe schwerste Diphtherie anschliessen kann. 

Obermedizinalrat Dr. Henkel bittet als Amtsarzt der Stadt 
München um gelegentliche Mitteilung über die praktisch wichtige 
Frage der Uebertragbarkeit der Grippe durch Gesunde oder durch 
Gegenstände des' täglichen Gebrauches. 

Dr. F ü r s t bespricht die Möglichkeit der Verwechslung zwischen 
Grippe und Pappatacifieber und einige bakteriologische Einzel¬ 
fragen. 

Prof. Dr. Dürck: Eine Verwechslung mit Pappatacifieber ist 
unmöglich, da bei diesem jede Beteiligung der Lungen fehlt; auch 
kein Todesfall vorkommt. 

56 Sektionen, bei welchen das Alfer von 10—30 Jahren weitaus 
überwiegte und die höheren Lebensjahre fast nicht vertreten sind. 
Erwähnenswert ist ein Fall von pseudomembranöser Anschoppung 
von der Epiglottis bis in die feinsten Bronchiolen reichend. Der Tod 
tritt öfters im Stadium der Anschoppung der Lungen ein mit be¬ 
gleitenden Erscheinungen der Sepsis. Am Herzen war nur einmal 
eine stärkere Veränderung, Perikarditis, zu finden. Die Milz ist oft 
auffallend klein und schlaff. Meningitis war dreimal, Purpura hae¬ 
morrhagica 4 mal, Abortus 3 mal, ungestörte Gravidität 1 mal vor¬ 
handen. Sehr auffallend ist das fast durchgehende Fehlen früherer 
Tuberkulose. Ziemlich häufig war die Wachsdegeneration der 
Muskulatur, einmal mit einem starken Hämatom in der Rektusscheide 
verbunden. 

Prof. Dr. Wann er: Die Grippe zeigt sich wie im Jahre 1890 
öfters mit akuter Otitis verbunden, die sich u. a. durch Blasen¬ 
bildung und starke fibrinöse Exsudation auf dem Boden der ge¬ 
platzten Blase kennzeichnet und meist in etwa 6 Tagen abheilt. Der 
charakteristische Ohrenbefund kann sehr wohl zur Unterscheidung 
von Grippe und Scharlach dienen. Die Zunahme der Fälle bei kli¬ 
matischen Schwankungen spricht dafür, dass die Uebertragung nicht 
nur von Mensch zu Mensch erfolgt. 

Die Fälle von akuter Erkrankung des inneren Ohres mit 
starker Schwerhörigkeit nähmen gleichfalls einen raschen, guten 
Verlauf. 

Geh. San.-Rat Dr. v. H ö s s 1 i n hat unter 100 Kranken 14 Pneu¬ 
monien und 7 schwere Nierenerkrankungen (5 Glomerulonephritis) 
gesehen, bei denen ein geringer Blutdruck (110—115) zu bemerken 
war. 3 Pneumoniefälle waren mit Ikterus kompliziert. 

Dr. Dax: Bei Pleuraexsudaten, welche wegen Entkräftung 
keinen grösseren Eingriff erlauben, empfiehlt sich die Punktion mit 
langsamem Absaugen des Exsudates, ev. wiederholt bis zum dauern¬ 
den Abfall von Temperatur und Puls. Bleibt dieser Abfall aus, so 
lässt sich meist später, ev. unter Ueberdruck, die Resektion aus¬ 
führen. B e r g e a t - München. 


Kleine Mitteilungen. 

Entschädigung der Feldärzte. 

Ein Feldarzt schreibt uns: 

Die Frage der Entschädigung und Unterstützung der Feldärzte 
hat jetzt für Bayern, soweit der Staat in Betracht kommt, eine defini¬ 
tive Klärung leider in negativer Hinsicht gefunden, indem das 
K. Staatsministerium des Innern in Würdigung der Aerztekammerver- 
handlungen (siehe M.m.W. Nr. 38 S. 1066 Abs. 5) erklärt hat, dass 
„staatlich^ Mittel nicht zur Verfügung stehen und eine Bereitstellung 
im Hinblick auf die ungünstige Finanzlage nicht in Aussicht gestellt 
werden kann“. Diese für viele Feldärzte recht wichtige Frage, die 
ja seit über 2 Jahren die Aerzte im Felde und auch viele in der 
Heimat bewegt, und mit der immer längeren Dauer des Krieges für 
die Beteiligten immer bedeutungsvoller wird, ja stellenweise mit der 
immer mehr fortschreitenden Teuerung krisenhaft nach einer .Lösung 
schreit, ist in letzter Zeit in den ärztlichen Zeitschriften etwas in 
den Hintergrund gedrängt worden. In einer Reihe von Fällen ist 
diese Frage schon seit Kriegsausbruch erfreulicherweise in vorbild¬ 
licher, idealer Weise gelöst, z. B. bei einer Reihe von Kassenärzten, 
insbesondere Knappschaftsärzten im Rheinland, Westfalen etc., die 
ihr gesamtes Einkommen aus ihrer Friedens¬ 
kassenpraxis (oft 6000—8000 M.) für Kriegsdauer ungeschmälert 
beziehen, ja selbst aus der Privatpraxis treten manche grosszügige 
Aerzte einen Teil des Einkommens ab, soweit die Patienten eben 
der Friedensklientel der jetzigen Feldärzte angehören. 

Neben diesen geradezu idealen Verhältnissen bestehen an vielen 
anderen Orten Einrichtungen, welche immerhin in sichtbarer Weise 
den aufrichtigen, ehrlichen, kollegialen Willen der Heimatsärzte be¬ 
weisen, im Sinne einer ausgleichenden Gerechtigkeit einen Teil 
des Mehreinkommens aus der Kassenpraxis den 
Feldärzten zu überlassen. Dieser Anteil ist natürlich an verschie¬ 
denen Orten ganz verschieden bemessen, aber selbst aus grössten 
Städten, wo im Frieden der Kampf ums Dasein jeden zur höchsten 
Kraftanspannung zwingt, liegen erfreulicherweise solche Beschlüsse 
seitens der Aerztevereine vor, die zeigen, dass diesen Aerzten das 
Wort „Kollege“ nicht bloss Schall und Rauch ist. Neben diesen Bil¬ 
dern, die zum Teil geradezu ideal sind oder wenigstens mehr oder 


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Gri hI fron 

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1306 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 46. 


weniger wirkliche Kollegialität zeigen, gibt es leider eine bedeutende 
Zahl ärztlicher Vereine mit ganz erheblichen Kriegsgewinnlern, die 
als Mammonsgötzen auf ihren gewaltigen Einnahmen sitzen, die ihnen 
in den Schoss gefallen sind, nicht etwa durch überlegenes Können, 
sondern durch die Abwesenheit anderer Aerzte, die, im Felde stehend, 
Leben und Gesundheit und die Grundlagen ihrer bürgerlichen Existenz 
für das kämpfende Vaterland opfern mussten. Dieser Tanz ums 
goldene Kalb geht seitens mancher ärztlicher Vereine so weit, dass 
sie in der Entschädigungsfrage der Feldärzte überhaupt keine oder 
eine völlig ablehnende Stellung einnehmen. So erzählte dem Ein¬ 
sender dieser Zeilen ein Kollege im Felde, sein ärztlicher Verein 
habe ihm nichts gewährt, da er sich ja freiwillig hinausgemeldet 
habe und so an seiner Lage selbst schuld sei. Nachdem also der 
bayer. Staat keine Mittel zur Entschädigung der Feldärzte besitzt 
— in anderen Bundesstaaten wird es ebenso sein —, liegt der Ge¬ 
danke recht nahe, dass sich sämtliche Feldärzte — meinetwegen zu¬ 
nächst unter dem Vorgänge von Bayern — zur Wahrung ihrer 
Interessen Zusammenschlüssen hinsichtlich der Entschädigungsfrage, 
da durch ein gemeinsames, entschlossenes Zusammenwirken, durch 
eine entsprechende Organisation sich wohl mehr erreichen lässt, als 
der einzelne vermag. Der sonst so verdienstvolle L. V., der sich ja 
wirklich auch in dieser Sache viele Mühe gegeben hat, die Aerzte- 
kammern haben in der Entschädigungsfrage der Feldärzte wenig er¬ 
reicht, nur der Zusammenschluss der Feldärzte kann den ärztlichen, 
inkollegialen Kriegsgewinnlern gegenüber durchgreifen. Ich würde 
mich freuen, wenn diese Anregung weitere Meinungsäusserungen, wie 
sie auch lauten mögen, auslösen würde. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 11. November 1918. 

— Kriegschronik. Die jetzt bekannt gegebenen Bedin¬ 
gungen, unter denen die Entente Deutschland Waffenstillstand ge¬ 
währen will, übertreffen weit die schlimmen Befürchtungen, die schon 
nach den Erkläurngen Wilsons gehegt werden mussten. Sie kommen 
einer unbedingten Kapitulation gleich und sind darauf berechnet, 
Deutschlands Heer und Volk aufs Tiefste zu demütigen. Leider be¬ 
steht keine Hoffnung mehr, dass das deutsche Volk noch die Kraft fin¬ 
den könnte, solchen Zumutungen sich zu wiedersetzen; nach den Er¬ 
eignissen, die sich in der letzten Woche in Deutschland vollzogen 
haben, ist vielmehr zu befürchten, dass die Bedingungen angenommen 
werden und dass dem Waffenstillstand ein ebenso schmachvoller, 
Deutschland auf unabsehbare Zeit schwer belastender Frieden folgen 
wird. Denn dass die Feinde einem demokratischen Deutschland mil¬ 
dere Bedingungen stellen würden, wie sie früher so oft beteuerten, 
wird niemand zu hoffen wagen. Diese Forderung Wilsons, die De¬ 
mokratisierung Deutschlands, ist in der vergangenen Woche restlos 
erfüllt worden. Von Meutereien der Truppen in Kiel ausgehend, hat 
sich die revolutionäre Bewegung über ganz Deutschland ausgebreitet 
und siegreich behauptet. Berlin, München, Himburg und fast alle 
grossen Städte steheji unter der Herrschaft von Arbeiter- und Sol¬ 
datenräten; der Kaiser hat dem Thron entsagt, ebenso der Herzog 
von Braunschweig und der Grossherzog von Sachsen-Weimar; in 
Bayern ist die soziale Republik verkündet und die Dynastie Wittels¬ 
bach für abgesetzt erklärt worden. Prinz Max hat die Reichskanzler¬ 
schaft dem Sozialdemokraten Ebert übergeben. Diese grundstürzen¬ 
den Umwälzungen haben sich, z. T. wohl dank dem Alkoholmangel 
in den Städten, in anerkennenswerter Ordnung und fast ohne Blutver- 
giessen vollzogen. Ueberall haben die bisherigen Träger der Ge¬ 
schäfte sich den neuen Gewalten zur Fortführung der Arbeiten zur 
Verfügung gestellt. In einer bald einzuberufenden Nationalversamm¬ 
lung soll die Verfassung des neuen Reiches beschlossen werden. 

— Ueber die* durch den Krieg verursachte Wohnungsnot 
gab eine Verhandlung im preuss. Abgeordnetenhaus vom 23. Oktober 
bemerkenswerte Aufschlüsse. Danach ist der Bedarf an neuen Woh¬ 
nungen im Reich 750 000, in Gross-Berlin allein 60 000. Ursache ist 
das starke Sinken der Bautätigkeit während des Krieges. Im Jahre 
1912 wurden im ganzen Reich 8912 Wohngebäude mit 61 353 Woh¬ 
nungen hergestellt, im Jahre 1918 aber nur 428 Wohngebäude mit 
1712 Wohnungen. In der Stadt Köln wurden 3604 Wohnungen im 
Jahre 1912 errichtet, aber nur 111 im Jahre 1917. In derselben Zeit 
sank die Zahl der jährlich errichteten neuen Wohnungen in Düssel¬ 
dorf von 4862 auf 74, in Essen von 2725 auf 610 und in Dortmund 
von 1900 auf 30. Dazu kommt, dass die Behörden während des 
Krieges das Wohnungselend gesteigert haben. In Charlottenburg 
haben die Kriegsgesellschaften 3000 Zimmer inne, für einzelne Zimmer 
haben die Behörden 1500 M. Miete geboten und auch gezahlt. In 
Berlin ist während des Jahres 1917 nicht ein einziges Wohnhaus er¬ 
richtet worden. Zur Abhilfe stellt der Staatskommissär für das 
Wohnungswesen eine Reibe von Massnahmen in Aussicht. Zunächst 
müsse das Bauen verbilligt werden. Sodann seien Zuschüsse zu den 
Baukosten seitens des Reiches, der Bundesstaaten und der Gemeinden 
zu leisten. Das Reich will zu diesem Zweck — der sozialdemokra¬ 
tische Abgeordnete H u e berechnete den Bedarf zur Befriedigung des 
Wohnungsbedürfnisses auf 6 Milliarden Mark — 500 Millionen zur 
Verfügung stellen, unter der Voraussetzung, dass Bundesstaaten und 
Gemeinden die gleiche Summe flüssig machen. 


— Eine Verordnung des bayer. Kultusministeriums vom 9. Juni 
hatte bestimmt, dass die schulpflichtigen Kinder gegen den Willen der 
Eltern oder Erziehungsberechtigten nicht schulärztlich unter¬ 
sucht werden dürfen; die Schulärzte sollten durch die Dienst¬ 
anweisung verpflichtet werden, nur solche Kinder zu untersuchen, für 
die die Genehmigung der Eltern vorliegt. Da die schulärztliche 
Untersuchung sich in München glänzend bewährt hat und ein voll¬ 
ständiges und klares Bild über die gesundheitlichen Verhältnisse der 
Schulkinder gab, da auch nie eine Klage über die obligatorische 
Durchführung der schulärztlichen Untersuchung erhoben wurde, hat 
der Magistrat München auf Antrag der Lokalschulkommission ein¬ 
stimmig beschlossen, das Staatsministerium zu ersuchen, von der 
Durchführung dieser Verordnung Abstand zu nehmen, 

— Ueber die Behebung der bei der Grippeepidemie besonders 
hervorgetretenen Fuhrwerknot der Aerzte in Gross-Berlin 
berichtet die V. Z. Der Aerzteausschuss von Gross-Berlin hat sich 
mit der „Transportzentrale des Oberkommandos in den Marken“ in 
Verbindung gesetzt. Auf Grund einer Besprechung, an der Vertreter 
des Ministeriums des Innern und des Aerztekammervorstandes teil¬ 
genommen, ist eine Regelung herbeigeführt worden, dass nach Mög¬ 
lichkeit den Aerzten, die Fuhrwerke brauchen, ein in ihrer Nähe 
untergebrachtes Fuhrwerk zur Verfügung gestellt wird. Der Aerzte¬ 
ausschuss nimmt Meldungen entgegen, an welchen Tagen und zu 
welchen Stunden von den Aerzten Fuhrwerk benötigt wird. 

— Am 7. November wurde der 100. Geburtstag des bedeutenden 
Berliner Physiologen Emil du Bois-Reymond gefeiert. 

— Cholera. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau. In der Stadt Warschau wurde für die Woche vom 
29. September bis 5. Oktober noch 1 Todesfall gemeldet. In der 
Woche vom 6. bis 12. Oktober wurden dort 5 Erkrankungen und 
2 Todesfälle festgestellt, ausserdem 1 Bazillenträger. — Oesterreich- 
Ungarn. In der Woche vom 1. bis 7. September wurde im Bezirk 
Zloczöw (Galizien) Cholera bei einer aus Russland zurückgekehrten 
Person bakteriologisch festgestellt; auch wurde nachträglich im Be¬ 
zirke B r o d y (Galizien) ein solcher Cholerafall ermittelt. — Russ¬ 
land. In Petersburg ist zufolge Mitteilung der Stadtverwaltung in 
der Zeit vom 14. September bis 10. Oktober die Cholera weiter zu¬ 
rückgegangen. Die Zahl der täglichen Erkrankungen erreichte ihren 
Höchststand mit 21 Fällen am 16. September und 4. Oktober, während 
am 1. und 10. Oktober solche überhaupt nicht gemeldet wurden. 
Die durchschnittliche tägliche Erkrankungszahl betrug 8,7. Der Be¬ 
stand an Cholerakranken in den städtischen Krankenhäusern am 
1. Oktober belief sich auf 279. 

— Fleckfieber. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau. In der .Woche vom 29. September bis 5. Oktober wurden 
141 Erkrankungen und 15 Todesfälle gemeldet. In der Woche vom 
6. bis 12. Oktober wurden 94* Erkrankungen und 12 Todesfälle an¬ 
gezeigt. — Oesterreich-Ungarn. In Ungarn wurden in der Zeit vom 
9. bis 15. September 8 Erkrankungen mit 2 Todesfällen ermittelt. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 13. bis 19. Oktober sind 
499 Erkrankungen und 75 Todesfälle gemeldet worden. 

— In der 42. Jahreswoche, vom 13. bis 19. Oktober 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Beuthen mit 74,6, die geringste Duisburg mit 5,2 Todesfällen pro 
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Qestorbenen 
starb an Diphtherie und Krüpp in Cottbus. Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Zum ordentlichen Mitglied der physikalisch-mathe¬ 
matischen Klasse der preussischen Akademie der Wissenschaften 
wurde gewählt Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Rudolf Fick, Direktor des 
anatomischen Instituts Berlin, (hk.) — Der Prosektor am anatomi¬ 
schen Institut der Universität Berlin, Prof. Dr. Gustav B r o e s i k e. 
ist wegen einer während des Krieges erlittenen Amputation des Unter¬ 
schenkels am 1. Oktober d. J. in den Ruhestand-getreten, (hk.) 

Königsberg. Für das Fach der Ohrenheilkunde habilitierte 
sich Dr. med. Arthur B1 o h m k e (aus Danzig), Assistent an der 
Klinik für Ohrenkrankheiten, mit einer Schrift „Otosklerose und 
Schwangerschaft“. In der Antrittsvorlesung sprach er über „Die 
Beziehungen des Ohres zur Nase und zum Nasenrachenraume“, (hk.) 

Wien. Hofrat Universitätsprofessor Dr. Heinrich Ober- 
sFeine‘r hat für Zwecke des Neurologischen Institutes der Uni¬ 
versität in Wien, um zu ermöglichen, dass dieses Institut, das er ins 
Leben # rief und bisher leitete, auch in Hinkunft erspriesslich für 
Wissenschaft und Lehre wirke und in würdiger Weise als öster¬ 
reichisches Zentralinstitut für Hirnforschung tätig sei, seine gesamte 
nuurologische Fachbibliofhek, bestehend aus rund 35 000 Bänden, ge¬ 
widmet. Ausserdem hat Prof. Obersteiner der Unterrichtsver¬ 
waltung ein Kapital von 400 000 Kronen übergeben mit der Bestim¬ 
mung, dass die Zinsen dieses Kapitales zur Hälfte für die Erhaltung 
und Ergänzung der Bibliothek und zur anderen Hälfte zur Ergänzung 
der Institutsdotation verwendet werden sollen, (hk.) 

Todesfall 

Im Alter von 62 Jahren ist am 2. d. Ms. der ausserordentliche 
Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität Jena 
Geh. Medizinalrat Dr. Hermann Engelhardt gestorben. Proi. 
Engelhardt gehörte seit Ostern 1888 dem Lehrkörper der Jenaer 
Hochschule an. (hk.) 


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Verl** *©■ 1. P. Lehman« In München S.W. 2, Paul Heyeeatr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’i Bncb und Knnatdrockerd A.O„ 

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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 






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r Bezog: an I. F. Ldunann's Velar. Paul HeyiemuN 3i 
r Anzeigen w Bdlages: an Rudolf Moste, TheatteeratrssM A 


Medizinische Wochenschrift. 


OROAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Nr. 47. 19. November 191R 


Scliriftleitung: Dr. B. Spatz, Amulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestras&e 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag behüt »Ich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung and Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträgc vor. 


Originalien. 

Ueber den Wert provokatorischer Adrenalininjektion 
bei latenter Malaria 

Von Prof. A. Schittenhelm und Prof. H. Schlecht, 
Kiel, zurzeit im Felde. 

Vor kurzem haben wir (D.m.W. 1918 Nr. 12) auf die Bedeu¬ 
tung hingewiesen, welche den sog. Malariaplasmodienträ¬ 
gern und der latenten Malaria für die Verschleppung der Mala¬ 
ria von Jahr zu Jahr und von Ort zu Ort zukommt. Die Erfahrungen, 
welche wir in diesem Frühjahr und Sommer auf dem westlichen 
Kriegsschauplätze bei Truppen, die früher im Osten oder auf dem 
Balkan gewesen waren, gesammelt haben, zeigten uns aufs neue, wie 
häufig sowohl latente Malaria- als auch Plasmodienträger sind. Bei 
letzteren handelt es sich um Leute, die, ohne im Osten krank 
gewesen zu sein, erst jetzt, oft unter bestimmten Gelegenheits- 
Ursachen, an typischen Malariafällen erkranken. Vielfach liegen die 
Verhältnisse so, dass die Leute im vorigen Jahr im Osten oder Süd¬ 
osten in malariadurchseuchter Gegend lebten und unter Chininschutz 
standen. Dieser Chininschutz reichte zwar aus, sie vor dem Aus¬ 
bruch einer typischen Malaria zu behüten, verhinderte aber nicht, 
dass die Leute Plasmodienträger wurden. Als latente Malaria 
bezeichnen wir im allgemeinen solche Leute, die durch einen über¬ 
standenen Malariaanfall Plasmodienträger wurden. Es ist bekannt, 
dass derartige Patienten dauernd zu Rückfällen neigen, dass aber 
auch häufig viele Monate zwischen den einzelnen Rückfällen liegen 
können, dass vor allem die Leute den Winter über keine Krankheits¬ 
erscheinungen bieten und erst im Frühjahr ihren Rückfall bekommen. 
Auch diesPErfahrung fanden wir wiederum bestätigt. 

Wir betonten schon in unserer ersten Mitteilung (1. c.), dass eine 
aussichtsreiche Malariabckämpfung es sich zum Ziele setzen müsse, 
die Fälle von latenter Malaria und die Plasmodienträger diagnostisch 
zu erfassen und energisch zu behandeln. Aber gerade für diese bei¬ 
den Kategorien ist die sichere Diagnose oft mit ungewöhnlichen 
Schwierigkeiten verknüpft. Die Leute machen draussen bei der 
Truppe Fieberanfälle durch, die zwar den Verdacht auf Malaria er¬ 
wecken, bei der Lazarettaufnahme dagegen sind sie wochenlang 
fieberfrei und ohne Plasmodienbefund, oder aber in anderen Fällen 
verbirgt sich die Malaria hinter ganz Uncharakteristischen Fieber¬ 
bewegungen. Genaue vierstündliche Temperaturmessung und die 
Ueberlegung, dass unter allen möglichen Fieberzuständen sich Ma¬ 
laria verbergen kann, führen hier oft noch zur richtigen Diagnose. In 
vielen Fällen aber wird diese auch durch die sorgfältigste Beobach¬ 
tung und Blutkontroile nicht ermöglicht. 

Es ist daher als Fortschritt zu begrüssen, dass wir auf Grund 
neuerer Untersuchungen in der Lage sind, durch provokatorische 
Massnahmen bei Fällen von latenter Malaria oder bei Plas¬ 
modienträgern einen typischen Malariaanfall auszulösen, eine Aus¬ 
schwemmung der Plasmodien ins Blut zu erzielen und damit deren 
Nachweis im Blutausstrichpräparat resp. im dicken Tropfenpräparat 
zu ermöglichen. Die Beobachtung, dass oft durch körperliche 
Anstrengungen, wie Märsche, Eisenbahnfahrten, ferner Ab¬ 
kühlungen spontan Malariaanfälle ausgelöst werden, führten dazu, in 
Beobachtungsstationen derartige körperliche Anstrengungen (Garten¬ 
arbeit, Holzsägen, Gepäckmärsche) zur Provokation heranzuziehen, 
sowie zu versuchen durch Abkühlung der Milzgegend (Milzduschen) 
eine Ausschwemmung von Plasmodien zu erreichen. Neuerdings wur¬ 
den von Brasch und Neuschloss intramuskuläre Milchinjek¬ 
tionen zur Provokation empfohlen, ferner von Munk das Nukleo- 
hexyl, von B i 11 o r f das Salvarsan und von Reinhardt Bestrah¬ 
lungen der Milzgegend mit der Quarzlampe. 

Wir selbst haben (I. c.) auf das Adrenalin als Provo¬ 
kationsmittel hingewiesen. Wir gingen von der Vorstellung aus, dass 
durch die Adrenalininjektion eine Kontraktion der glatten Muskulatur 
auch der Milzgefässe, der Lymphgefässe u. a. und dadurch eine Strö¬ 
mungsänderung und Ausschwemmung von Blutelementen und gleich¬ 
zeitig von Plasmodien hervorgerufen werden könne. Dass es durch 
Adrenalininjektion zur Ausschwemmung von Blutelementen aus der 
Milz kommt, ist seit den Untersuchungen von Frey bekannt, 
die durch Oehme (D. Arch. f. klin. Med. 122. 1917. S. 101) 
eine volle Bestätigung fanden, der übrigens auch an die Mög- 
Nr. 47. 


lichkeit der Verwendung des Adrenalins zur Malariaprovokation 
dachte. In der Tat gelang es uns auch Plasmodienausschwemmung 
zu erzielen. Gleichzeitig und unabhängig von uns hat auch Neu¬ 
schloss (M.m.W. 1918 Nr. 4) über die Brauchbarkeit des Adrena¬ 
lins zu Provokationen berichtet. 

Wir haben seit unseren ersten Versuchen die Adrenalinmethode 
vielfach selbst angewandt, und sie ist auf unsere Veranlassung hin 
in den verschiedensten Lazaretten und Malariaspezialstationen einer 
Armee an einem grösseren Material auf ihre Brauchbarkeit geprüft 
worden, in besonders ausgedehntem Masse durch Prof. Böhme, dem 
wir auch einen Teil der unten abgebildeten Kurven verdanken. Die 
Methode hat sich recht gut bewährt und ist wohl 
von den neuen Provokationsmethoden als die zu¬ 
verlässigste zu bezeichnen, so dass wir sie nach 
dem heutigen Stande unser er Kenntnisse zu all¬ 
gemeiner Anwendung empfehlen können. 

Im folgenden soll die Technik der Methode beschrieben und 
an der Hand von Kurven dargelegt werden, wie ihre Resultate dia¬ 
gnostisch zu verwerten sind: 

Die Patienten, welchi mit dem Verdacht auf das Vorliegen einer 
Malaria („z. B. Malaria") in das Lazarett aufgenommen werden, 
werden zunächst einer mehrtägigen (3—4 Tage) genauen Tem¬ 
peraturmessung (4 stündliche auch während der Nacht durch¬ 
geführte Messungen), sowie einer täglichen genauen Kon¬ 
trolle ihres Blutbefundes (am besten im dicken Tropfen¬ 
präparat) unterzogen. Ist durch diese Massnahmen die Diagnose 
nicht zu stellen, so wird eine subkutane Injektion von 1 mg 
Adrenalin (Suprarenin) vorgenommen. In den der Injektion 


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Kurve ). 



Kurve 2. 




folgenden Tagen ist die Dar 
Temperaturmessüng und 
regelmässige Blutunter- *o° 
suchung fortzusetzen. 

Der positive Ausfall der 39° 

Provokation kann sich 
nun in verschiedener 38 ° 

Weise gestalten. 37 . 

In einem Teil der 
Fälle kommt es im An- J6 . 

Schluss an die Injektion 
zu einem typischen 35 ° 

Malariaanfall, der Kurve 5 . 

nur selten am Tage der 

Injektion selbst, häufiger dagegen amTagenachder Injektion 
einsetzt. Dabei kann es sich entweder um einen einmaligen Fieber¬ 
anstieg handeln (Kurve 1), oder es folgen 2 oder mehrere Anfälle 
in den charakteristischen Intervallen, so dass eine typische Malaria- 

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1308 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


kurve resultiert [s. Kurve 2—5] 1 ). Die Adrenalininjektion ist häufig 
am Tage der Injektion von einer leichten subfebrilen Temperatur¬ 
erhöhung begleitet, die nicht diagnostisch verwertet werden kann, 
da sie durch das Adrenalin als solches und nicht durch die Malaria¬ 
infektion bedingt wird. Eine solche uncharakteristische Erhebung 
zeigen beispielsweise die Kurven 4 und 5. In anderen Fällen, wie bei 
Kurve 1—3, fehlt diese Zacke am Tage der Injektion vollkommen, 


positiv. In Kurve 9 ist die Art der Reaktion wieder etwas variiert: 
am 2. Tage nach der Injektion ein leichter Fieberanstieg, der nicht 
mehr durch das Adrenalin an sich, sondern durch die Malariaprovoka¬ 
tion bedingt ist, denn der Blutabstrich wird an diesem Tage positiv, 
die typische Malariazacke erfolgt aber erst am übernächsten Tage. 
Bei Kurve 10 wird nach leichter Adrenalinzacke am Injektionstage 
der Blutbefund am 2. Tage ohne Fieberreaktion positiv, am 3. Tage 




Kurve 7. 


1&W 

79. 

20. | 21 

22. 

23. 

2U. 

25 

26. 

27. 

26 

29. 


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Kurve 8. 


und der typische Malariaanfall setzt aus völlig normaler Temperatur¬ 
bewegung heraus ein. Gleichzeitig mit dem Fieberanfall wird nun 
auch der vorher negative Blutbefund positiv. Man findet im Aus¬ 
strich und besonders im dicken Tropfenpräparat nunmehr Plasmodien 
entweder vereinzelt oder in reichlicher Zahl. Wie wir an späteren 
Kurven sehen werden, wird aber der Blutbefund nicht immer sofort 


ein leichter Anfall und am 5. Tage trotz bereits eingeleiteter Chinin¬ 
kur ein schwerer Anfall. 

Man könnte versucht sein, bei den letzten Kurven an ein zu¬ 
fälliges Zusammentreffen einer auch spontan einsetzenden Malaria 
mit der mehrere Tage vorher liegenden Injektion anzunehmen. Hier¬ 
gegen spricht aber einerseits die grosse Zahl der beobachteten Fälle 



mit dem ersten Fieberanfall positiv, sondern erst an späteren Tagen 
(Kurve 8). 

Während in den durch die Kurven 1—5 illustrierten Fällen der 
Malariaanfall in unmittelbarem Anschluss an die Adrenalininjektion 
auftritt, setzt in anderen die Reaktion erst später und zwar 2—4 Tage 



Kurve 12. 


nach der provokatorischen Injektion ein. So fällt beispielsweise in 
Kurve 6 der Fieberanstieg auf den 3., in Kurve 7 auf den 4. Tag 
nach der Adrenalininjektion. Bei Kurve 6 wird der vorher negative 
Blutbefund bereits einen Tag vor dem Anfall positiv. Kurve 8 zeigt 
in sehr charakteristischer Weise die leichte, nicht spezifische Tem- 


und weiter die Tatsache, dass diese Patienten vorher eine lange Zeit 
beobachtet wurden, ohne dass ein Malariaanfall auftrat. 

Erfolgt nun nach der einmaligen Adrenalininjektion keine Aus¬ 
lösung eines Malariaanfalls, oder wird der Blutbefund nicht positiv, 
so darf daraus nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass keine 
latente Malaria vorliegt. Es gelingt vielmehr häufig noch 
die Provokation durch eine zweite Injektion von 
1 mg Adrenalin. Dieses Verhalten wird durch die Kurven 11 
und 12 gekennzeichnet. Bei Kurve 11 erfolgt nach der ersten In¬ 
jektion keinerlei Reaktion, Fieber tritt nicht auf, der Blutbefund 
bleibt negativ. Erst nach der am 6. Tage erfolgenden Reinjektion 
von 1 mg Adrenalin tritt 3 Tage später die Malaria in Erscheinung, 
der Blutbefund wird positiv. Kurve 12 zeigt nach der ersten In¬ 
jektion eine uncharakteristische leichte Fieberbewegung bei dauernd 
negativem Blutbefund, dagegen eine prompte Auslösung des Anfalles 
nach der zweiten Injektion mit positivem Plasmodienbefund. Die 
zweite Injektion wird zweckmässig vorgenommen, wenn nach der 
ersten Injektion 4—5 Tage verstrichen sind, ohne dass eine Reaktion 
erfolgt ist. 

Auch Kurve 13 ist ein Beweis für die Zweckmässigkeit einer 
event. Reinjektion. Sie demonstriert gleichzeitig, wie lange der posi¬ 
tive Blutbefund der Fieberbewegung nachhinken kann. 

Mitunter empfiehlt es sich auch, die Adrenalininjektion mit einer 
anderen Provokationsmethode zu kombinieren, insbesondere mit einer 


77 M. 

18 . 

19 . 

20 . 

21 . 

22 . 

23 . 

2 U. 

25 . 

2 C. 

27 . 

" 28 . 

29 

30 . 

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* 

















peraturreaktion am Tage der provokatorischen Injektion, es folgen 
dann 3 fieberfreie Tage, und am 4. Tage setzt die Malariakurve ein. 
Der Plasmodienbefund wird aber erst am 7. Tage nach der Injektion 


*) Die Kurven sind der Raumersparnis wegen gekürzt. Die bei 
den Versuchen vorangegangene, zwecks kritischer Beurteilung der 
Brauchbarkeit zunächst möglichst lange bemessene Vorperiode, ist 
fortgelassen worden. 

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einmaligen körperlichen Anstrengung, welche jedoch nicht am Tage 
der Injektion selbst erfolgen soll. In der Abteilung von Prof. Böhme 
wurde dazu der Gepäckmarsch verwandt. 

Eine weitere Gruppe von Fällen lässt bei der provokatorischen 
Injektion das - Auftreten eines typischen Malariaanfalles vermissen. 
Dagegen wird bei normaler Temperatur oder unter leichter uncharak¬ 
teristischer Fieberbewegung der Blutbefund durch Ausschwemmung 
von Plasmodien positiv (Kurve 14 und 15). 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




19. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1309 


Wl r glauben durch die abgebildeten Kurven 
den Beweis geführt zu haben, dass es mit der 
provokatorischen Infektion gelingt, auch in 
schwierigen Fällen die Diagnose der Malaria zu 
sichern. Die Beispiele zeigen, in welch mannigfaltiger Form die 
positive Reaktion ablaufen kann. Wir können hinzufügen, dass dieses 
Resultat in einem recht grossen Prozentsatz der Fälle mit latenter 
Malaria zu erzielen war. Eine genaue zahlenmässige Angabe der 
positiven Resultate lässt sich zurzeit nicht machen, sie ist auch wohl 
deshalb schwierig, weil eine Nachkontrolle der nicht reagierenden 
Fälle meist nicht möglich ist. Neuschloss gibt seine positiven 
Resultate mit 90 Proz. an. Aus dem gleichen Grunde kann auch 
zurzeit nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob der negative Ausfall 
der Provokation zu dem Schlüsse berechtigt, dass Malaria nicht vor¬ 
liegt Wir möchten das nicht annehmen, den negativen Ausfall der 
Probe also nicht als sicheren Beweis gegen Malaria ansehen. Man 
muss vor allem stets berücksichtigen, dass selbst kurzdauernde 
(1 —2 tägige) Chininbehandlung, wenn sie unmittelbar vorausging, 
das Resultat der provokatorischen Massnahmen 8—14 Tage lang 
stark beeinträchtigt, ihr Wert für die Diagnose kann aber dadurch 
nicht herabgesetzt werden, denn es gelingt mit ihrer Hilfe zweifel¬ 
los, einen recht grossen Prozentsatz unklarer Fälle diagnostisch zu 
klären und damit einer energischen Behandlung zuzuführen. ‘ 

Nachteilige Folgen der Adrenalininjektion haben weder wir noch 
auch die Herren, weiche sich mit dieser Methode beschäftigt haben, 
gesehen. Nur ganz vereinzelt treten bei geschwächten Individuen 
einmal leichte Adrenalinerscheinungen (Tachykardie, Angstgefühl, Er¬ 
brechen, Blutdrucksteigerung) auf, die bei Bettruhe rasch vorüber¬ 
geben. Das waren aber seltene Ausnahmen. Die Injektion wurde 
im allgemeinen so gut ertragen, dass stellenweise (Prof. Böhme) 
sogar die Dosis auf 1,5 mg erhöht wurde, um die provokatorische 
Wirkung zu steigern. Wir möchten aber vofschlagen, zunächst bei 
der Dosis von 1 mg zu bleiben und die Injektion event ein- oder 
auch zweimal zu wiederholen. Bei schwächlichen Leuten ist Bett¬ 
ruhe am Tage der Injektion zu empfehlen, sonst ist diese nicht not¬ 
wendig; es scheint vielmehr, dass gleichzeitiges Ausserbettsein und 
Bewegung die Provokation fördern. 


Aus der medizinischen Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr. 

(Direktor: Ueh.-kat Prot. Dr. Matthes). 

lieber erhönten ZereDi ospinaiaruck bei Polyzythämie 

(seine Entstehung, seine klinische und therapeutische Bedeutung 
mit besonderer Berücksichtigung von 2 Fallen ). k ) 

Von Privatdozent Dr. med A. Böttner. 

Wir hatten in letzter Zeit Gelegenheit, zwei Kranke mit Poly¬ 
zythämie zu beobaemen, einen primären mit Arteriosklerose und 
Scürumpfniere, ferner mit Milz- und Leberschweliung und Blut- 
drUCKsteigerung einhergenenden Fall und ferner einen durch Stauung 
inioige eines Kombinierten, angeborenen Herziehiers. Bei diesen 
Kramten standen aogesenen von Körperlicher und geistiger Schwäche 
heitige, zeitweise zur Unerträglicökeit sieb steigernde Kopfschmerzen 
im Vordergrund. Die bei beiden vorgenommene Spinalpunktion zeigte 
ausserordentlich hohe Druck werte, bei dem einen rall 540 mm!, 
bei dem anderen 570 mml Wasserdruck. Da derartige Befunde 
bisher in der Literatur nicht beschrieben sind, und der Zerebro- 
spinaldruck bei der Polyzythämie bisher sehr wenig Beachtung fand 
(PieHier konstatierte im Jahre 1908 bei seinem Fall von Poly¬ 
zythämie einen Spinaldruck von 3«0mm Wasser), so sei es ge¬ 
stattet, au! die in Betracht kommenden Punkte der Krankenge¬ 
schichten, auf das Zustandekommen der Lumbaldrucksteigerung und 
seine klinische und therapeutische Bedeutung etwas näher einru- 
genen. 

Fall 1, Gärtnerswitwe, 52 Jahre. Pat ist nie ernstlich krank 
gewesen, sie hat aber in ihrem Leben viel durchgemacht. Nach 
2X jähriger Ehe starb ihr Mann. Ihren Sohn, „ihre einzige Hoffnung", 
hat sie kurz vor Weihnachten als Leutnant im Kriege verloren. Im 
Juli lb wurde sie in der hiesigen chirurgischen Klinik wegen eines 
eingeklemmten Bruches, im August 16 in der hiesigen Frauenklinik 
wegen einer Uvariaigeschwulst operiert 

Um Weihnachten 16 herum stellten sich bei der Pat. Atemnot 
und beklemmungsgeiühi ein, welches sich beim Gehen und Treppen¬ 
steigen besonders bemerkbar machte. Die Beschwerden wurden 
immer schlimmer, es trat zeitweise Hitzegefübl im Kopfe auf, und 
dann und wann schreckliche Kopfschmerzen. 

Am 18. Februar sah ich die Kranke zum ersten Male in der 
Frauenklinik, die sie in der Meinung, unterleibskrank zu sein, wieder 
aufgesucht hatte. 

Beiund: Hochgradige zyanotische dyspnoische Frau mit dekom- 
pensiertem Herzen, Oedemen, Milz- und Leberschwellung. Ordin.: 
Aderlass. Digitalis und Verlegung in die Med. Klinik. 

Dieselbe erfolgte am 21. 1L 17. Die Pat. hat keine Oedeme 
mehr. Die Dyspnoe ist behoben. An der Herzspitze hat man ein 


4 ) Mitte Februar 1918 im Verein für wissenschaftliche Heilkunde 
zu Königsberg verkrüzt vorgetragen. 


lautes systolisches Geräusch. 2. Aortenton etwas klappend. Extra¬ 
systolen, Blutdruck 180mm Hg nach Riva-Rocci. 

Röntgenbefund: Starke Hiluszeichnung. Stauungslunge mit 
diffusen, kleinen, ca. haselnussgrossen, harten Schatten und starker 
wolkiger Trübung vom Hilus nach der Lungenbasis. Diffus ver- 
grössertes Herz, keine typische Konfiguration. Im schleimig-eitrigen 
Sputum keine Tuberkelbazillen. Der Urin ist urobilinhaltig, Eiweiss¬ 
reaktion positiv, Zuckerreaktion negativ. Spez. Gewicht 1017. Im 
Sediment massenhaft Leukozyten und Epithelien. 

Blutbefund: Hämoglobin nach Sahli HO Proz.; Erythrozyten 
6850 000; Leukozyten 14050, davon 


Polynukleäre 

Lymphozyten 

Mastzellen 

Mononukleäre 

Uebergangszellen 

Eosinophile 


76)4 Proz. 
16 Proz. 
IX Proz. 
IX Proz. 
X Proz. 
4 Proz. 


Keine Jugendiormen. 


Auf eine probatorische Tuberkulineinspritzung bis zu 5 mg sub¬ 
kutan erfolgt keinerlei Reaktion. Wassermann negativ. Augen¬ 
hintergrundbefund (Prof. Birch-Hirschfeld): Beiderseits 
Papillen verschleiert, dunkelrot, prominent Visus 
R = Vxs + 0,5; L •/». 

Die Pat klagt über Gedächtnisschwäche, vor allem aber über 
Kopfschmerzen. Dieselben sind oft so stark, dass sie vollständige 
Schlaflosigkeit bedingen. Auf einen kräftigen Aderlass (500 ccm) 
bessert sich der Zustand. Die sonstige Behandlung besteht in Arsen, 
Diuretin, Wechselflussbädern und kalten Kopfumschlägen. 

Da die Therapie gegen die immer stärker werdenden Kopf¬ 
schmerzen machtlos ist, so werden in der Folgezeit zwei Lumbal¬ 
punktionen mit gutem, wenn auch nur vorübergehendem Erfolg aus¬ 
geführt 

20. III. 17. Lumbalpunktion: Druck 540 mm Wasser nach 
Quincke. Es werden ca. 2 Reagenzgläser wasserklaren Liquors 
abgelassen. In demselben ist die Eiweissreaktion schwach positiv. 
Zellen nicht vermehrt, Nonne und Wassermann negativ. 

28.111. 17. Lumbalpunktion: Druck 540 mm! Wasser. Es werden 
IX Reagenzgläser wasserklaren Liquors abgelassen. 

Blutbefund: 120 Proz. Hämoglobin nach Sahli, 7110000 Ery¬ 
throzyten; 15 500 Leukozyten, davon 


Polynukleäre 
Lympnozyten 
Eosinophile 
Mastzellen 
Mononukleäre 
Uebergangszellen 


78 Proz. 
14X Proz. 

2 Proz. 

3 Proz. 
1 Proz. 
IX Proz 


Keine Jugendformen. 


Am 30. 111. 17 verlässt die Pat, da sie sich wohler fühlt gegen 
ärztlichen Rat die Klinik. 

Am 10. IV. Wiederaufnahme in desolatem Zustand. Hochgradige 
Zyanose und Dyspnoe. Das Gesicht ist geschwollen, die Augen sind 
hervorqueliend, die Konjunktiven, die Mund- und Rachenschleimhaut 
sind bläulich verfärbt Delirium cordis! Anasarka, voll¬ 
ständige Abgeschlagenheit t 

Sofortiger Adetlass (500 ccm), Bettruhe, Morphium. 


Mit Diuretin, Digitalis und Antipyretizis hat die Pat eiiriger- 
massen einen erträglichen Zustand, bis sie Mitte Mai über ständige 
Verschlechterung ihres Sehvermögens klagt, ferner über stärkere 
Kopfschmerzen. Augenbefund (Prof. Birch-Hirschfeld): Be¬ 
trächtliche Schwellung beider Papillen (r. 3, 5; 
1. 2 Dioptr.). Peripapilläres Oedem mit zahlreichen kapillaren Blu¬ 
tungen. Venen dilatiert und geschlängelt nicht pul¬ 
sierend, Art. derNetz-ha uten g, streckenweise weiss 
eingescheidet Oedem der Makula, feine Blutungen in der 
Netzhaut verteilt Vis. r. */*> (gegen °/u am 3. 111. 17), 1. 'Im (gegen */• 
am 3.11L 17). Peripheres Gesichtsfeld wenig eingeengt, blinder Fleck 
auf das 10 fache vergrössert (am Leuchtpunktsperimeter geprüft), 
Farbensinn o. ö„ kein zentrales Skotom. 

Da sich bei der Pat in der nächsten Zeit angeblich das Sehver¬ 
mögen immer mehr verschlechtert und die Kopfschmerzen unerträg¬ 
lich werden — die Pat sitzt ständig im Bett, das Liegen ist ihr un¬ 
möglich, bei der Visite hört man nur immer: „Mein Kopf, mein Kopf, 
was soll das nur werden, und die Augen“ — so erfolgt am 24. V. 17 
eine Lumbalpunktion im Chloräthylrausch: Druck 540 mml Wasser 
Nach Ablassen von 30 ccm ist der Druck 250 nuh W. Die Kopf¬ 
schmerzen lassen nach, werden aber schon wieder naoh einigen Tagen 
stärker. 

Am 11. VII. 17 erfolgt unter Hirndruckerscheimmgen (Benommen¬ 
heit Erbrechen, unregelmässiger Atmung und anfänglicher Pulsver¬ 
langsamung) der Exitus letalis. Gegen die ständig zunehmende 
Herzschwäche sind therapeutische Eingriffe (Aderlass und Herz¬ 
mittel) machtlos. ^ t 

Aus dem Sektionsprotokoll des Herrn Pnv.-Doz. Dr. Chri¬ 
stel ler hebe ich folgendes hervor: 

Allgemeine Zyanose; Anasarka; Rotes Femur¬ 
mark. Schwere parenchymatöse Degeneration und Dilatation des 
Herzens. Hypertrophie, besonders des linken Ventrikels. Mässlge 
Sklerose der Kranzarterien, mittlere der Aorta. Stauungshyper- 
ämie und Oedem der Lungen. Hämorrhagische Infarkte im 
1. Ober- und r. Unterlappen. Stauungsbronchitis, -tra- 
cheitis, -pharyngiiti&. Stauunglsinduration und 

1 * 


Digitized by 


Gck igle 


Qrigirtal from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1310 


MUBNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Kr. 47. 


Hyperplasie der Milz. Sie wiegt 240 g und ist sehr derb. S t a u - 
ungsleher mit Verfettung, sie ist derb und wiegt 2310g. Arterio¬ 
sklerotische Scbrumpfnieren, Stauungszyanose der Nieren. 
Stauungskatarrh im Magen und 'Darm. 

Die Gehirnsubstanz ist sehr fest und blutreich. 
Die Hirnhöhlen sind nicht merklich erweitert. 


Fall 2, 33 Jahre alter Amtsgerichtsbeamter. Von Kindheit an 
Herzbeschwerden und Kurzluftigkeit. Im Alter von 4 Jahren Ge¬ 
lenkrheumatismus. Wiederholt Kuren in Nauheim. In letzter Zeit 
oft unerträgliche Stirn- und Hinterhauptskopfschmerzen. 

Status: Totale Zyanose, Gesicht, Konjunktiven, Zungen-, Mund- 
und Rachenschleimhaut sind blau veriärbt. Starke Dyspnoe. Aus¬ 
gesprochene Trommelschlägelfinger und -zehen. Herz enorm nach 
rechts und links verbreitert Spitzenstoss in der vorderen Axillar¬ 
linie im 6. Interkostalraum. Das Röntgenbild zeigt ein in allen 
Dimensionen vergrössertes Herz, es ist querliegend und hat typische 
Eiform. Der üefässschatten * ist verhältnismässig schmal. Lunge 
normal. Bei der Röntgendurchleuchtung im schrägen Durchmesser 
erweist sich der rechte Vorhof als stark dilatiert. Das Mittelfeld 
bietet zwischen Wirbelsäule und rechtem Vorhof nur einen ganz 
schmalen Spalt dar. 

Die genauen Herzmasse nach der Teleröntgenaufnahme: 
Mr = 10,8 cm, Ml = 13,5 cm, L = 20,6 cm; Flächeninhalt 297,9 qcm 
(gegen normal 111 qcm), Thoraxbreite (am oberen Rand des rechten 
Zwerchfelles) 30 cm. 

Man hört an der Herzspitze ein lautes, blasendes, systolisches 
Geräusch, ebenfalls auf der Mitte des Sternums. Nach dem Geräusch 
hört man häufig einen Doppelton. Im 2. rechten Interkostalraum ist 
das systolische Geräusch ebenfalls hörbar. Der zweite Pul¬ 
monal ton erscheint zeitweise etwas verstärkt! Auf 
dem Rücken ist zwischen Skapulamitte und Wirbelsäule das sy¬ 
stolische Geräusch ebenfalls zu hören, auch in der AxiHa, links hinten 
unten dagegen ganz ab geschwächt. 

Der Puls ist irregulär und inäqual. Der Blutdruck beträgt 
105mm nach Riva-Rocci. 

Ueber der Lunge findet sich eine diffuse Stauungsbronchitis. Im 
schleimig-eitrigen Auswurf werden keine Tuberkelbazillen gefunden. 

Die Leber überragt 3 Querfinger den unteren Rippenbogen, ist 
gut palpabel und druckempfindlich. Die Milz ist deutlich zu fühlen. 
An den Extremitäten Oedeme. 

Der Urin ist urobilinhaltig; die Eiweissreaktion ist positiv, die 
Zuckerreaktion negativ. Im Sediment sind reichlich hyaline Zylinder 
vorhanden, ferner Erythrozyten, Epithelien und vereinzelte Leuko¬ 
zyten. 

Blutbefund: Hämoglobin pach Sahli 140 Proz., Erythrozyten 
9 000 000, Leukozyten 5650, davon 


Polynukleäre 

Lymphozyten 

Eosinophile 

Mastzellen 

Mononukleäre 

Uebergangszellen 


70)4 Proz. 
20 Proz. 
X Proz 
IX Proz. 
IX Proz. 
6 Proz. 


Jugendformen sind 
niemals gefunden 
worden (wiederholt 
untersucht). 


Die Wassermann sehe Reaktion kann nicht angestellt wer¬ 
den, da das Blut trotz langen Stehenlassens und Zentrifugierens kein 
Serum absetzt 

Augenhintergrund (Prof. Sattler): Beiderseits Pa¬ 
pillenfarbe etwas rötlicher als normal. Grenzen 
ein klein wenig unscharf. Keinerlei Niveaudiffe¬ 
renz (Messung im aufrechten Bilde). Venen und 
Arterien sind dunkler gefärbt. Venen erweitert 
und geschlängelt. Beiderseits zahlreiche Hämor- 
r h a g i e n, links mehr als rechts. Makulagegend frei. Myo¬ 
pie 8 Dioptr. 

Im weiteren Verlaufe zeigt der Augenhintergrund keine wesent¬ 
lichen Veränderungen (Prof. Sattler). 

Lumbalpunktion: Druck 570mm Wasser nach Quincke. 
Nach Ablassen von ca. 40 ccm wasserklaren Liquors besteht immer 
noch ein Druck von 220 mm Wasser. Die Lumbalflüssigkeit enthält 
eine Spur Eiweiss, Nonne und Wassermann negativ, kleine Zell¬ 
vermehrung, spez. Gew. 1010. 

Der Pat. war vom 9. X. bis 11. XII. 17 (bis zu seinem Tode) 
in Behandlung der Klinik. Dieselbe bestand in Bettruhe, in Dar¬ 
reichung von Exzitantien, Narkoticis, zeitweise Jodkali, Wechselfuss- 
bädern und kühlen Kopfumschlägen. Die Kopfschmerzen, die sich 
zeitweise bis zur Unerträglichkeit steigerten, konnten durch einen 
grösseren Aderlass oder auch durch Lumbalpunktionen günstig be¬ 
einflusst werden. Anfänglich nützten diese Eingriffe für längere Zeit, 
später aber — besonders mit zunehmender Herzschwäche — nur 
vorübergehend. In der letzten Zeit war ein Aderlass und eine 
Lumbalpunktion — zu gleicher Zeit ausgeführt! — verhältnismässig 
am wirksamsten. Der Blutdruck schwankt zwischen 95—110 mm Hg 
nach Riva-Rocci, die Pulsfrequenz zwischen 70—90 Pulsschlägen. 
Vorübergehend sank der Puls auf 60 Schläge. Es wurde dann 
meistens die Blaufärbung des Gesichtes stärker, die Dyspnoe schwerer, 
die Atmung unregelmässig, unter Pressbewegungen traten die Augen 
hervor und gleichzeitig steigerten sich die Kopfschmerzen. Beim Auf¬ 
treten dieser beängstigenden Erscheinungen musste meistens ein 
Aderlass oder eine Lumbalpunktion erfolgen, manchmal genügte eine 
Kampfer-Koffein-Applikation. Auf Strophantininjektionen bekam der 


Patient immer Erbrechen; auf Digipuratumeinspritzungen dagegen 
nicht. 

Im Ganzen wurden 6 Lumbalpunktionen ge¬ 
macht, die immer einen Anfangsdruck von ca. 570mm 
Wasser bis auf eine Punktion darboten, ferner 4 Ader¬ 
lässe (1500 ccm Gesamtmenge). Das Blut floss immer nur tropfen¬ 
weise infolge seiner stark vermehrten Viskosität aus einer sehr 
dicken Aderlasskanüle. Anfänglich setzte sich überhaupt kein Serum 
ab, beim letzten Aderlass am 30. XI. erhielten wir nach mehrtägigem 
Stehen 35 ccm Serum. Spez. Gewicht desselben 1020! Reststick- 
stoffgchalt 21mg, Trockenrückstand des Blutes 26,07 Proz.; Was¬ 
sermann sehe Reaktion negativ. 

Am 4. XI. 17 bekam der Patient einen apoplektischen Insult, 
eine linkseitige Hemiplegie, die sich bald wieder zurückbildete. 

Einige Tage vor seinem Töde bekam der Patient eine beider¬ 
seitige, besonders rechtsseitige nalsanschwellung (Oedem). 

Am 10. XIL 17 erfolgte unter zunehmender Herzschwäche und 
Bewusstlosigkeit der Exitus letalis. 

Uebersicht über die Lumbalpunktionen: 

17. X. 17. Druck 570 mm Wasser, nach Ablassen von 40 ccm 
220 mm. 

4. XI. 17. Apoplektischer Insult. 

16. XI. 17. Schwach geibgefärbter Liquor, Druck ca. 570 mm 
Wasser nach vorsichtigem Ablassen von ca. 40 ccm Liquor Druck 
220 mm Wasser. 

19. XI. 17 (also 3 Tage später). Druck ca. 570mm Wasser! 
Liquor sehr schwach gelbgefärbt. 

30. XI. 17. Aderlass und Lumbalpunktionen gleichzeitig. An¬ 
fangsdruck ca. 570min Wasser. Beim Einstechen der Aderlass¬ 
kanüle stieg der Druck infolge Pressbewegungen des Patienten ge¬ 
waltig an. Es flössen schussweise ca. 2—3 ccm Liquor aus dem 
Steigrohr, das nicht lang genug war, ab. ^ald aber stellte sich bei 
ständiger Ablenkung des Patienten die Druckhöhe von ca. 560 bis 
570 mm Wasser mit gleiclimässigen respiratorischen und pirisatori- 
schen Schwankungen wieder ein. DieDruckhöhedesLiquoc 
cerebrospinalis sinkt ganz allmählich bei zu¬ 
nehmender Blutentziehung. 

Nach einem Aderlass von 500 ccm beträgt der Lumbaldruck 
380 mm Wasser. Nach weiterem Ablassen von ca. 20 ccm Liquor 
beträgt der Lumbaldruck 220 mm. Die Liquorentziehung wird dann 
eingestellt, da der Patient über Auftreten von Kopfschmerzen klagt. 

3. XII. 17 (also 3 Tage später). Druck 480mm Wasser! Nach 
Ablassen von ca. 20 ccm Druck 230 mm Wasser. 

5. XII. 17. Druck 570 mm Wasser, nach Ablassen von ca. 20 ccm 
Druck 360 mm Wasser. 

Auszug aus dem SektionsprotokoH (Prof. Dr. Kaiser!Ing): 
Angeborene Pulmonalstenose. Verruköse Pulmo¬ 
nal- lind Trikuspidalendokarditis. Die Pubnonalklappen 
sind verwachsen, etwa für eine dünne Sonde durchgängig. Defekt 
des Septum atriorum (Foramen ovale persistens). Cor bovintim. 
Enorme Dilatation des rechten Ventrikels und Vorhofs. Thrombose 
der rechten Vena jugularis *). Stauungsorgane: DieLungen 
sind derb, luftarm, sehr b 1 u t r eich, blaurot gefärbt. Bronchien 
geschwollen und gerötet, desgleichen Trachea, Pharynx und Larynx. 

Die Milz ist vergrössert, derb, blutreich. 

Die Leber ist derb, blutreich; Muskatnusszeichnung. 

Die Nieren sind gekörnelt, derb, zeigen zahlreiche narbige Ein¬ 
ziehungen und alte Infarkte und Infarktnarben. 

Magen und Darmschleimhaut dunkelbläulichrot, geschwollen. 

Die Hirnhäute sind äusserst blutreich, auch die 
Hirnsubstanz zeigt auf den Schnitten zahlreiche 
grosse, nach Abwischen sich bald erneuernde Blut¬ 
punkte. Die Höhlen sind leicht erweitert, mit 
klarem Liquor gefüllt. In der linken Hemisphäre, 
lateral vom Thalamus opticus, finden sich zwei 
erbsengrosse, gelbbräunliche Erweichungsherde. 
Die graue Substanz erscheint rosenrot, die ganze 
Substanz ist ungewöhnlich derb, fast leberhart. Das 
Ependym der Seitenventrtkel ist mit vereinzelten, feinen, gtasigen 
Knötchen besetzt. Die Gefässspalte ist dunkelblaurot. 

Wir haben also 2 Fälle von Polyzythämie verschiedener Kate¬ 
gorie mit einem ungemein hohen Zerebrospinaldruck. Wie ich schon 
sagte, ist nach der mir zugänglichen Literatur nur noch eine Spinal¬ 
druckmessung bei Polyzythämie durch Pfeiffer bekannt. Der¬ 
selbe fand gleichfalls einen hohen Druckwert. Die Spfnalpunktion 
wurde bei unseren Patienten immer im Liegen ausgeffihrt. An¬ 
satzschlauch und Steigrohr des Lumbalbestecks — ca. 7 ccm Flüssig- 


*) Beiläufig möchte ich bemerken, dass unsere klinische Herz¬ 
diagnose lautete: Angeborenes, kombiniertes Vitium cordis, Pulmonal- 
stenose und wahrscheinlich Septumdefekt; bei der Autopsie wurde 
dagegen eine Pulmonalstenose und Trikuspidalendokarditis gefunden. 
Wir vermuteten gleichzeitig einen Septumdefekt, da wir den II. Pul¬ 
monalton zeitweise klappend fanden. Bei reiner Puhnonalstenose 
fehlt bekanntlich der II. Ton ganz, oder aber er ist kaum hörbar! 
Unser Fall zeigt demnach, dass die auskultatorischen Phänomene 
selbst bei hochgradiger Puhnonalstenose wechseln können. Ein 
Elektrokardiogramm konnten wir leider aus äusseren Gründen nicht 
aufnehmen. Die Apoplexie ist, da sie erst 14 Tage nach der 1. Lum¬ 
balpunktion erfolgte, wohl sicher von der Lumbalpunktion unabhängig. 


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19. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1311 


keit fassend — waren immer leer. In Wirklichkeit Ist also der Zere¬ 
brospinaldruck bei unseren Patienten noch höher gewesen als der 
gefundene. 

Auffällig ist bei unseren beiden Fällen, dass die Konsistenz des 
Gehirnes erhöht, sein Blutgehalt vermehrt, die Ventrikel dagegen 
nicht erweitert waren. 

Es fragt sich nun, ob wir für die Steigerung des Spinaldruckes 
eine Erklärung finden können. . 

Die bekannten Fehlerquellen, die eine Spinaklrucksteigerimg 
vortäuschen können, wie Niesen, Husten, Pressen, Schreien und for¬ 
cierte Exspiration kommen nicht in Betracht. Die Druckhöhe wurde 
dann immer erst abgelesen, wenn sich die respiratorischen und pulsa- 
torischen Schwankungen als gleichmässige erwiesen. Ich habe fer¬ 
ner die Patienten immer abgelenkt und bei Fall 1 habe ich zudem 
denselben Druckwert im Ohloräthylrausch vorgefunden. 

Der Zerebrospinaldruck gilt nun nach den herrschenden An¬ 
schauungen — abgesehen von lokalen Ursachen — für abhängig 
1. vom arteriellen Blutdruck, 2. von allgemeiner venöser Stauung 
und 3. von den gegenseitigen Beziehungen zwischen Sekretion und 
Resorption des Liquors. 

Die Abhängigkeit des Zerebrospinaldrucks vom' Blutdruck kann 
bei unserem Fall 2 keine Bedeutung haben, denn der arterielle Blut¬ 
druck war immer niedrig (95—110 mm Hg nach Riva-Rocci). 
Für den Fall 1, der einen Blutdruck von 195 mm Hg hat, könnte die 
Zerebrospinaldrucksteigerung schon eher durch Blutdruckwirkung zu 
erklären sein. Nach K r e h 1 erklären sich so bei manchen Kranken 
mit hypertonischer Nephritis oder hypertonischer Arteriosklerose 
deren Kopfschmerzen. Ich fand nun u. a. bei einem Patienten mit 
arteriosklerotischer Schrumpfniere, der unter starken Kopfschmerzen 
litt und einen Blutdruck von 240 mm Hg hatte, einen Spinaldruck von 
380 mm Wasser. Diese Zahlenangabe zeigt nun aber schon zur 
Genüge, dass die Blutdruckerhöhung von 195 mm Hg bei unserem 
Fall 1 nicht allein für den ausserordentlich hohen Spinaldruck von 
540 mm Wasser verantwortlich zu machen ist. 

Der Pfeiffer sehe Fall — ein typischer Vaquez — (mit einem 
Lumbaldruck von 380 nun W.) hatte zudem auch einen niedrigen Blut¬ 
druck (128 mm Hg). 

Dann der Einfluss der venösen Stauung. Nach den Experimenten 
von Falkenheim und Naunyn führt allgemeine venöse Stau¬ 
ung zu Zerebrospinaldrucksteigerung, und nach den experimentellen 
Darlegungen von Bier, Hill, Stursberg u. a. hat auch eine 
lokale Stauung durch Anlegen einer Bier sehen Stauungsbinde am 
Halse eine Zerebrospinaldrucksteigerung zur Folge. 

Bier beobachtete bei einem Epileptiker, der bereits wochenlang 
mit Stauung behandelt worden war und zuletzt 12 Stunden hindurch 
ununterbrochen die Stauungsbinde um den Hals getragen hatte, bei 
der im Sitzen vorgenommenen Lumbalpunktion einen Druck von 
420 mm Wasser, der nach Entfernung der Binde unmittelbar auf 
270 mm abfiel. Stursberg sah bei einem Hund beim Anlegen 
der Stauungsbinde den Druck von ca. 120 mm Wasser auf ca. 160 mm 
anwachsen („Steigrohr etc. leer, infolgedessen erheblicher Verlust an 
Liquor durch Ausfluss In das Steigrohr“), und bei einem anderen 
Hund (Steigrohr und Ansatzschlauch bis 50 mm mit NaCl-Lösung ge¬ 
füllt) von 87 mm auf 160 mm Wasser. 

Das Zustandekommen der Lumbaldrucksteigerung hat nun bei 
der lokalen wie bei der allgemeinen venösen Stauung die gleiche Ur¬ 
sache. 

Infolge der Erweiterung der Venen wird der Raum ln der Schä¬ 
delhöhle verkleinert, und der Liquor muss nach dem Lumbalsack 
ausweichen, da sich ja das Gehirn, das im knöchernen Schädel ein¬ 
geschlossen ist, nicht wie eine Extremität durch Nachgeben der' 
Weichtelle bei einsetzender Stauung ausdehnen kann. Die Folge 
davon muss dann eine Drucksteigerung in der Schädelrückgrathöhle 
sein. 

Bei Fall 2 haben wir nun eine hochgradige allgemeine venöse 
Stauung infolge einer Pulmonalstenose und Trikuspidalendokarditis. 
Bei Fall 1 haben wir ebenfalls infolge mangelhafter Herzkraft venöse 
Stauungszustände. Leider -habe ich verabsäumt, den Venendruck bei 
diesen Patienten zu bestimmen. Dass aber die venöse Stauung zu 
dem hohen Zerebrospinaldruck in direkter Beziehung steht, geht wohl 
mit Sicherheit daraus hervor, dass es mir gelang, bei Fall 2 nach¬ 
zuweisen, dass dfcirch einen kräftigen Aderlass Ider 
Zerebrospinaldruck sinkt (und zwar bei einer Blutent¬ 
ziehung von 500 ccm um 180 mm Wasser). 

Ich erwähne ferner, dass Gerhardt gelegentlich bei Herz¬ 
schwäche einen erhöhten Spinaldruck vorfand. Leider fehlen Zahlen¬ 
angaben. Ich selbst konnte bei einer zyanotisch aussehenden Patien¬ 
tin mit einer Mitralstenose, die viel unter Kopfschmerzen zu leiden 
fiatte, einen Spinaldruck von 220 mm Wasser nachweisen. Bei der 
Polyzythämie nun — gleichgültig ob primär oder sekundär — lässt 
sich schon aus dem Augenhintergrundsbefund eine venöse Hyperämie 
■des Gehirns annehmen. „Der ganze Augenhintergrund erscheint 
eigentümlich livkle, und die grösseren Gefässe sind enorm gedehnt, 
ureschlängelt und zeigen Kaliberschwankungen. Cyanosis retinae.“ 
fGreeff 1. c.) 

Und es ist mir nicht zweifelhaft, dass sich auch behn Pfeif¬ 
fer sehen Fall die Spinaldrucksteigerung aus diesen Gründen er¬ 
klären lässt. Es wird aber in Zukunft darauf zu achten sein, ob sich 
Bei Polyzythämie regelmässig ein erhöhter Spinaldruck vorfindet. 

Was mm die gegenseitigen Beziehungen zwischen Sekretion und 

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Resorption des Liquors anbetrifft, so glauben Bier, Vor schütz, 
Neu und Herrmann, dass bei der lokalen Bier sehen Stauung 
am Halse eine vermehrte Liquorsekretion stattfindet und für die 
zerebrospinale Drucksteigerung von wesentlicher Bedeutung ist. 
Stursberg hingegen nimmt auf Grund seiner Experimente eine 
Störung der Liquorresorption an. Er begründet seine Ansicht damit, 
dass bei der venösen Stauung die Resorption des Liquors, die ja be¬ 
kanntlich durch die Pa c c h i o n i sehen Granulationen vermittelt 
wird, durch Kompression derselben — infolge des gestörten Druck¬ 
gefälles — ins Stocken gerät und erst wieder bei Nachlassen des 
Druckes in normaler Weise zustande kommt und zur Produktion 
ausgleichend wirken kann. Die letztere Annahme hat viel Be¬ 
stechendes für unsere Fälle. Bei Fall 2 fand ich 3 Tage nach dem 
gleichzeitigen Eingriff von Aderlass und Lumbalpunktion den Zere¬ 
brospinaldruck noch erniedrigt, während dieses nach alleiniger Lum¬ 
balpunktion trotz jedesmaliger gleicher Entlastung des Spinaldruckes 
nicht der Fall waT Der doppelte Eingriff scheint demnach bessere 
Bedingungen für die Liquorresorption veranlasst zu haben. Ich er¬ 
wähne ausserdem, dass ich mit der einen Ausnahme bei allen Lumbal¬ 
punktionen immer fast den gleichen Druckwert erhalten habe. 

Obwohl bei unseren Fällen die gegenseitigen Beziehungen zwi¬ 
schen Sekretion und Resorption des Liquors eine offene Frage bleiben 
muss, so hat es doch den Anschein, als ob eine Verschiebung des 
Verhältnisses zwischen Sekretion und Resorption zu ungunsten der 
Resorption eingetreten ist. 

Es scheinen also alle 3 genannten Faktoren für den hohe» Zere¬ 
brospinaldruck unserer Fälle mitzuspielen, vor allem aber die venöse 
Stauung. Nach den Experimenten von Naunyn und Falken- 
heim ist eine Erhöhung des Spinaldrucks durch ihre künstlich ge¬ 
setzte venöse Stauung (Aufblasen einer Gummiblase im rechten Ven¬ 
trikel) nur bis zu 200 mm Wasser zu erzielen. Es ist aber leicht 
einzusehen, dass diese Versuchsbedingungen nur eine mangelhafte 
Nachahmung der wirklichen Verhältnisse bilden. Nach neueren ex¬ 
perimentellen Untersuchungen von H a u p t m a n n ist es auch .er¬ 
wiesen, dass die bekannten Hirndruckerscheinungen (langsame un¬ 
regelmässige Atmung, Pulsveriangsamung etc.) im Stadium der venö¬ 
sen Stauung eintreten. 

Ich will noch beiläufig bemerken, dass die eben gesdiilderte 
Entstehungsweise des -hohen ZerebrospinaMrucks auch das makro¬ 
skopische pathologisch-anatomische Bild unserer Fälle (Gehirn sehr 
blutreich und von sehr fester resp. leberharter Konsistenz mit kaum 
erweiterten Hirnventrikeln) zwanglos erklärt *). Beim Hydrozepha¬ 
lus z. B., bei dem die Zerebrospinaldrucksteigerung begreiflicher¬ 
weise In einer primären Störung zwischen Sekretion und 1 Resorption 
des Liquors beruht sind die Hirnhöhlen hingegen erweitert. 

Ueber die klinische Bedeutung des erhöhten Zerebrospinaldrucks 
bei Polyzythämie brauche ich nur wenige Worte zu machen. Wir 
gehen wohl nicht fehl, anzunehmen, dass die Kopfschmerzen in der 
Hauptsache dem ausserordentlich hohen Spinaldruck zur Last zu 
legen sind. Hervorheben will ich aber noch, dass die hohe Zerebro¬ 
spinaldrucksteigerung bei unseren Fällen intra vitam analog anderen 
Erkrankungen mit chronischer Hirndrucksteigerung — abgesehen von 
den heftigen Kopfschmerzen — verhältnismässig geringe Erschei¬ 
nungen gemacht haben. 

Von klinischer und therapeutischer Wichtigkeit ist es, dass bei 
Fall 2 ein kräftiger Aderlass gleichzeitig den Spinaldruck herab¬ 
zumindern imstande ist. Eine offene Frage muss es aber bleiben, 
inwieweit dieses bei den Fällen von Polyzythämie überhaupt möglich 
Ist. Es scheinen hierfür eine Reihe von Faktoren (Venendruck etc.) 
bestimmend zu sein. Ich bemerke, dass es mir bei einer zyanotischen 
Patientin mit Mitralstenose gelang, den Spinaldruck von 220 mm 
Wasser durch eine Bhitentziehung von 400 ccm um 30-^40 mm 
Wasser zu erniedrigen. 

Von therapeutischer Bedeutung ist ferner bei unserem Fall 2 
die Feststellung, dass ein gleichzeitiger Eingriff von Aderlass und 
Splnalpunktion viel nachhaltiger wirkt als ein Aderlass oder eine 
Spinalpunktion allein. Es ist dabei wohl gleichgültig, ob man die 
Eingriffe zu gleicher Zeit oder kurz hintereinander vornimmt. Den 
Aderlass wird man aber Immer zweckmässig voranschicken, um eine 
bessere Orientierüng über den Enddruck des Liouor cerebrospinalis 
zu haben. 

Hervorheben möohte ich ausserdem, dass sich bei Fall 2 die 
Kopfschmerzen durch Verabreichung von Herz- und Gefässmitteln *) 
besserten. Mit der Verringerung der venösen Stauung sinkt eben 
auch der Zerebrospinaldruck (cf. Aderlasswirkung). Diese Beobach¬ 
tung stimmt vollständig mit den experimentellen Ergebnissen — 
Untersuchungen über das Wesen des Hirncfrucks — von Haupt¬ 
mann überein. Aeltere Versuche von Naunyn und Schreiber 
und Naunyn und Falkenheim besagen übrigens vice versa das¬ 
selbe. Es ist also, ratsam, diesen therapeutischen Vorschlag bei 
Polyzythämie weiterhin zu erproben. 

Die Spinalpunktion selbst kann bei Polyzythämie nach unseren 
Darlegungen besonders aber bei den Fällen mit ausgesprochener 
venöser Stauung nur eine rein symptomatische Wirkung haben. 
Der Lumbalpunktion bei Polyzythämie kommt wohl die gleiche Be¬ 
deutung wie bei den Erkrankungen mit chronischer Zerebrospinal- 


*) Eine histologische Untersuchung der Gehirnsubstanz konnte 
leider nicht mehr stattfinden. 

*) Adrenalin habe ich leider nicht verabfolgt. 

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1312 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


drucksteigerung -zu. In unseren Fällen hatte die Spinalpunktion 
immer einen prompten- momentanen Erfolg der Pfeiffersche Fall 
vertrug sie hingegen nicht. Nach Ablafssen von 22 ccm Liquor be¬ 
kam dieser Kranke „heftige Schmerzen in der Stirngegend, der 
Nasenwurzel und heftiges Tränen, das 48 Stunden anhielt“. Pfeif¬ 
fer Hess nun aber so viel Lumbalflüssigkeit ab. bis er einen Druck 
von 120 mm Wasser erhielt. Es ist Immerhin möglich, dass die 
zu weitgehende Druckentlastung für die auftretenden Beschwerden 
angeschuldigt werden kann. Bei unserem Fall 2 traten Ja auch 
bei einem Spinaldiuck von 220 mm Wasser die ersten Anzeichen 
von Koofschmerzen auf. Ich habe deshalb auch niemals den Lumbal- 
druck bis unter 200 mm Wasser erniedrigt. Im übrigen ist es aber 
nicht ausgeschlossen, dass auch manche Kranke mit Polyzythämie 
analoe anderen Erkrankungen mit Zerehrosninaldrucksteieerung. z. B. 
Hirngeschwülsten (Stadelmann, FürbHnger, Lenhartz, 
Jacoby — zft. nach Oerhardt), die Lumbalounktion nicht ver¬ 
tragen. Bei einer zweiten Punktion (ca. 10 Monate nach der ersten 
ausgefuhrt) bekam der Pfeiffersche Fall bereits nach Ablassen 
von IX ccm Liquor heftige Nackenschmerzen. 

Ich möchte zum Schluss nur noch erwähnen, dass sich aus theo¬ 
retischen Gründen die Chancen der Lumbalounktion bei gleichzeitiger 
Anwendung von blutdruckstelgemden Mitteln zur Bekämpfung der 
Kopfschmerzen heben müssen. 

Literatur. 

1. Abel mann: Erg. d. Inn. M. u. Kinderhlk. 12. 1913 S. 151. 

— 2. Allard: Erg. d. Inn. M. u. Kinderhlk. 3. 1909. S. 100. — 

з. Falkenheim und N a u n v n: Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 22. 
S. 261. — 4. Gerhardt: Mitt. Grenzgeb. 13. 1904. S. 501. — 
5. G r e e f f: Lehrbuch der Augenheilkunde (A x e n f e 1 d) 1915 S. 603. 

— 6. Hauptmann: Zschr. f. d. ges. Neurol. u. Psvch.. Orig.. 14. 

1913. S. 313—323. — 7. Kr eh !: Lehrbuch der pathol. PhvMologie 

1914. — 8. Morawitz: Handbuch der inneren Medizin (Mohr- 
Stähelin). — 9. Naunvn und Schreiber: Arch. f. exp. Path. 

и. Pharm. Bd. 14. — 10. Neu und Hermann: Mschr. f. Psvch. 

u. Nervenhlk. 24. 1908. H. 3. — 11. v. Noorden: Lehrbuch der 
inneren Medizin (Mehring). — 12. Pal tauf: Handbuch der allg. 
Pathologie (Krehl-Marchand) Bd. 2. 1. — 13. Pfeiffer: 

Arch. f. klin. M. 90. 1907. S. 609. — 14. S tu r sb e r e: M.m.W. 1908 
Nr. 20. — 15. Vor schütz: M.m.W. 1907 S. 578. 


Dnr Stoffwechsel der nervösen Zentralerem *). 

Von Prof. Dr. Hans Winterstein in Rostock. 

Eine unendliche Fülle von Mühe und Arbeit ist darauf verwendet 
worden, die feinsten Einzelheiten der Struktur der nervösen 
Zentralorgane aufzudecken und die Bahnen festzustellen, welche die 
Erregungsimpulse elnschlagen. Ueber diese selbst aber, über die 
stofflichen Umsetzungen, welche In den Nervenzentren in der Ruhe 
und bei der Tätigkeit sich absnielen und naturgemäss die Grundlage 
aller Vorstellungen über das Wesen der Nerventätigkeit bilden, über 
all das wissen wir bisher fast gar nichts, und nur wenige Versuche 
sind bisher unternommen worden, hierüber etwas zu erfahren. Es 
ist nicht schwer, die Ursache hierfür zu entdecken. Die geschützte, 
versteckte Lage des Zentralnervensvstems .lässt es einer isolierten 
Untersuchung fast unzugänglich erscheinen, und andererseits macht 
es einen zu kleinen Bruchteil der gesamten Köroermasse aus. als 
dass man eine merkliche Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels 
durch die in ihm sich absnieleoden Vorgänge erwarten dürfte. In der 
Tat haben einige in dieser Richtung anzestellte Verliehe nur zu 
negativen Ergebnissen geführt und den Ausgangspunkt ganz unzu¬ 
lässiger Schlussfolgerungen gebildet. Weil man keine Steigerung 
des Gesamtgaswechsels bei angestrengter geistiger Arbeit fand, 
glaubte man scbliessen zu dürfen, dass die Vorgänge in den Nerven¬ 
zentren keine Oxydationsvorgänge seien. 

Als Ich. von ganz sneziellen Problemen aus. vor mehr als 
12 Jahren an die Untersuchung der Oxvdationsvorgänge im Zentral¬ 
nervensystem heranging*), ergab sich' mithin die Notwendigkeit, 
zunächst einen Weg zu finden, der es ermöglichte. Teile dieses Or¬ 
gansystems bei Erhaltung der Lebenstätigkeit soweit zu isolieren, 
dass sie einer gesonderten Untersuchung zugänglich gemacht werden 
konnten. Am geeignetsten hierfür erwies sich das Rückenmark des 
Frosches, bei dem schon frühere Untersuchungen von Ra glioni*) 
die Möglichkeit ergeben hatten, das aus der Zirkulation ausge¬ 
schaltete Organ bei ausreichender Sauerstoffzufuhr am Leben zu er¬ 
halten. Ich fand, dass man das von der Dorsalseite her durch 
Abtragen der Wirbelbogen und Entfernung der Dura mater frei¬ 
gelegte Froschrückenmark vorsichtig aus dem \Wirbelkanal heraus¬ 
heben und so vollständig isolieren kann, ohne es In seiner Funktions¬ 
fähigkeit irgendwie zu schädigen. In einer Atmosphäre von reinem 
Sauerstoff aufgehängt, oder bei ständiger Sauerstoffdurchleitung in 


*) Vortrag, gehalten auf der Jahresversammlung des Vereins 
norddeutscher Psychiater und Neurologen zu Rostock. 

*) W. Winterstein: Zur Frage der Sauerstoffaufsneicherung. 
Zbl. f. Phvs. 20. 1906. S. 41; Ueber den Mechanismus der Gewebs¬ 
atmung. Zschr. f. allg. Phvs. 6. 1907. S. 315. 

*) S. B a gl I o n i: La fisiologla del midollo spinale isolato. Zschr. 
f. allg. Physiol. 4. lj?JD4, S. 384. 

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physiologischer Kochsalzlösung gehalten, bewahrt es seine Erreg¬ 
barkeit In vollem Umfange. Lässt man es durch die an dem unteren 
Ende des Wirbelkanals austretenden Nervenwurzeln und den Plexus 
und Nervus ischiadicus mit einer Pfote in Verbindung, so erhält man 
sozusagen einen „reduzierten Frosch“, an dem alles für die Reflex¬ 
tätigkeit Unnötige weggelassen ist, und der gleichwohl unter ge¬ 
eigneten Bedingungen seine ganz normalen, durch ihre Zweckmässig¬ 
keit überraschenden Reaktionen 1—2 Tage aufzuweisen vermag. 

_ An diesem überlebenden Präparate nun kann man einerseits das 
Reagieren, also die Zentrentätigkeit, und andererseits die stofflichen 
Veränderungen untersuchen, die im Rückenmark selbst oder in dem 
umgebenden Medium unter verschiedenen Bedingungen sich at>- 
spielen. - ) , T * '• 

Wenn Ich, der freundlichen Einladung des Herrn Kollegen 
Kleist folgend, nun über die Untersuchungen berichte, die Ich. von 
einigen Schülern unterstützt, im Verlaufe der vergangenen Jahre an 
diesem Präparat Über den Stoffwechsel der nervösen Zentralorgane 
angestellt habe, so muss ich mich bei der Kürze der mir zur Ver¬ 
fügung stehenden Zelt auf die Mitteilung der wichtigsten Ergebnisse 
beschränken, und es mir gänzlich versagen, auf die Besonderheiten 
der Methodik einzugehen, wie sie Untersuchungen an einem so 
winzigen Organ naturgemäss erforderten. Wiegt doch das ganze 
Rückenmark nur 50—100 mg, und oft war es notwendig, zu Ver¬ 
gleichszwecken nur die Hälfte oder ein Drittel des Organs zu einer 
Bestimmung zu verwenden. 

Wie schon erwähnt, war es die Frage der Oxydations¬ 
prozesse, deren Untersuchung ich mich zunächst zuwandte. Die 
Bestimmung des Sauerstoffverbrauches des isolierten Rückenmarks 
ergab, dass die Nervenzentren nicht bloss ebenso wie die anderen 
Gewebe der Sitz von Oxydationsvorgängen sind, sondern dass die 
Intensität der letzteren im Rirhestoffwechse! auf die Gewichtseinheit 
bezogen etwa 2—3 mal so gross Ist wie die des Gesamtorganis¬ 
mus. Es ergab sich weiter, dass der Zustand der Erregung, in den 
das Rückenmark durch rhvthmische elektrische Reizung versetzt 
wird, den Sauerstoffverbrauch um etwa 70 Proz. des Ruhewertes zu 
steigern vermag 4 ). Doch wäre es Irrig, einen unmittelbaren 
Zusammenhang zwischen der Grösse der Oxvdationsnrozesse und 
der Reflextätigkeit annehmen zu wollen. Verschiedene Offtwirkungen 
können die letztere beseitigen und den Srnterstoffverbratich tmver- 
ändert lassen. Ja. Alkohol ruft In einer Konzentration, in welcher 
er Jede Reflextätivkeit vollständig aufhebt, sogar eine leichte Steue¬ 
rung des Sauerstoffverbrauches hervor 8 ). die vielleicht von der Orv- 
datlon des Alkohols selbst herrührt. Andererseits bewirken Kal¬ 
ziumsalze schon in einer Konzentration, die die Erregbarkeit noch 
gänzlich unbeeinflusst lässt, eine deutliche Verminderung des Sauer¬ 
stoffverbrauches •). 

Ich übergehe die Erörterung des Einflusses, den verschiedene 
andere Faktoren auf die Grösse des Gaswechsels ausüben, und die 
kein so allgemeines Interesse beanspruchen, und wende mich gleich 
zu Versuchsreihen der beiden letzten Jahre, in denen ich gemeinsam 
mit Fr!. Hirschberg die. Frage studiert habe, welche Substanzen 
es sind, auf deren Kosten der Stoffum^atz der Nervenzentren i* der 
Ruhe und bei der Tätigkeit erfolg, unfercurM. eh 

und in welchem Umfange das Isolierte Rückenmark Zucker in der 
umgebenden Lösung zu ver verten vermag D. 

Ich muss vorausschicken, dass nach Untersuchungen von 
Unger 8 )die das Froschrückenmark umhüllende Gefässhaut die 
einer Vereinigung der Pia mater und Arachnoidea entspricht, sich wie 
. eine semipermeable Membran verhält, die für die meisten gelösten 
Stoffe undurchgängig ist. Um also den etwaigen Umsatz solcher 
Substanzen im Froschriiekenmark zu untersuchen, muss zuerst die 
Gefässhaut abgezogen werden, da die Stoffe sonst gar nicht in das 
Innere einzudringen vermögen. 

Es ergab sich nun In der Tat, dass die Nervenzentren des 
isolierten und piafreien* Froschrückenmarks Zucker umzusetzen ver¬ 
mögen, und in einer 0.5 proz. Traubenzuckerlösung im Mittel 5ntg 
pro 1 g Substanz in 24 Stunden zum Verschwinden bringen. Sauer¬ 
stoffmangel, Narkose vermindern diesen Zuckerverbrauch ausser¬ 
ordentlich, während elektrische Reizung eine Steigerung desselben 
bis auf mehr als das 2X fache des Ruhewertes hervorzurufen vermag 

Es ist nun sehr bemerkenswert, dass die verschiedenen Zucker 
In ganz ungleicher Weise von den Nervenzentren umgesetzt werden, 
und dass auch ein und derselbe Zucker in ganz verschiedenem Aus¬ 
masse im Ruhe- und im Reizstoffwechsel ausgenutzt wird. Rohr- 


■v Google 


4 ) H. Winter-stein: Der respiratorische Gaswechsel des iso¬ 
lierten Froschrückenmarks. Zbl. f. Phys. 21. 1908. 869. 

8 )H. Winterstein: Beiträge zur Kenntnis der Narkose. 
II. Mitt. Blochern. Zschr. 61. 1914. 81. 

8 ) R. Unger: Untersuchungen über den Einfluss von anorgani¬ 
schen Lösungen etc. Biochem. Zschr. 61. 1914. 103. 

7 ) E. Hirschberg und H. Winterstein: Ueber den 
Zuckerstoffwechsel der nervösen Zentralorgane. Zschr. f. physiol 
Chem. 100. 1917. 185. — E. Hirschberg: Der Umsatz verschie¬ 
denen Zuckerarten Im Stoffwechsel der nervösen Zentralorgane. 
Ebenda 101. 1918. 248. 

8 ) R. Unger, a. a. O. und: Ueber physikalisch-chemische 
Eigenschaften des isolierten Froschrückenmarks und seiner Gefäss* 
haut Biochem. Zschr. 80. 1917. 364. 

Original fro-m 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1313 


zucker und Malzzucker werden überhaupt nicht verwertet. Ueber 
den Umsatz der drei einfachen Zucker und des Milchzuckers in 
0,5proz. Lösung gibt die folgende Tabelle Aufschluss: 


Zuckerart 

Mittlerer Zuckerverbrauch in mg 
pro 1 g und 24 Std 

Erregungs¬ 

umsatz. 

Ruhrstoff Wechsel | 

| Reizstoffwechsel 

Traubenzucker . 

4,8 

12.6 

7,8 

Fruchtzucker . 

5,3 

1 7,1 

1,8 

Qaaktose . . . 

6,6 

11,0 

4,4 

Milchzucker . 

3,4 

6,1 

2,7 


Während in der Ruhe Traubenzucker und Fruchtzucker in unge¬ 
fähr gleichem Masse, letzterer sogar noch etwas stärker umgesetzt 
wird, übertrifft der Umsatz des Traubenzuckers bei Reizung den¬ 
jenigen des Fruchtzuckers bei weitem. Bezeichnet man die Differenz 
zwischen Reiz- und Ruhestoffwechsel, die offenbar den durch den 
Erregungsvorgang oder die Tätigkeit bedingten Mehrumsatz an¬ 
gibt, als Erregungsumsatz, so findet man, wie der vierte 
Stab der Tabelle anzeigt, diesen beim Traubenzucker mehr als vier¬ 
mal so gross wie beim Fruchtzucker. Die Galaktose, die einen Be¬ 
standteil der in den Zentralorganen enthaltenen Zerebroside darstelit, 
wird in der Ruhe von allen Zuckern am besten verwertet, ihr Er¬ 
regungsumsatz hingegen steht erheblich hinter jenem des Trauben¬ 
zuckers zurück. Der Milchzucker zeigt dem absoluten Werte nach in 
der Ruhe und bei der Tätigkeit den geringsten Umsatz. 

Der Zucker, vor allem der Traubenzucker, den man schon lange 
als eine Quelle der Muskelkraft kennt, ist also auch eine wichtige 
Quelle der Nervenkraft, deren volle Bedeutung wir erst 
werden würdigen können, wenn wir seinen Einfluss auf den Umsatz 
anderer Bestandteile des Zentralnervensystems kennen gelernt haben 
werden. 

Das in einer Sauerstoffatmosphäre oder in einer anorganischen 
Salzlösung gehaltene Froschrückenmark ist mit seinem Stoffumsatz 
zur Gänze auf die eigenen Gewebssubstanzen angewiesen. Was für 
Stoffe sind das nun, auf deren Kosten die isolierten Nervenzentren 
leben und tätig sind? 

Zunächst wurde der Stickstoffumsatz einer Untersuchung 
unterzogen 9 ). Der N-Gehalt des Froschrückenmarks schwankt nur 
innerhalb ziemlich enger Grenzen; er beträgt im Mittel 1.3 Proz. bei 
dem von der Gefässhaut umhüllten, 1.25 Proz. bei dem von der Pia 
befreiten Organ, ln einem gasförmigen Medium bleibt dieser Gehalt 
unverändert, hingegen zeigt er eine deutliche Verminderung, wenn 
das Organ in Salzlösungen gehalten wird, eine Verminderung, die im 
Verlaufe von 24 Stunden etwa 0.25 Proz.. d. I. etwa des Gesamt¬ 
stickstoffs beträgt. Auch dieser Umsatz N-haltiger Substanzen ist, 
sogar in noch höherem Grade als der des Zuckers, an die Anwesen¬ 
heit von Sauerstoff gebunden, also offenbar durch Oxydationsvor- 
gängc bedingt, und wird durch elektrische Reizung in ganz ausser¬ 
ordentlichem Masse, unter Umständen auf mehr als das VA fache des 
Ruhewertes gesteigert. 1 

Es ist zunächst nicht zu entscheiden, inwieweit an diesem Stick¬ 
stoffumsatz bloss Eiweisskörner oder auch die für den Aufbau des 
Zentralnervensystems so wichtigen Lipoidsubstanzen Anteil nehmen. 
Gewisse Anhaltspunkte für die Beantwortung dieser Frage liefern 
weitere Experimente, in denen der Umsatz von Fettsub¬ 
stanzen zum Gegenstände der Untersuchung gemacht wurde 10 ). 
Es zeigte sich, dass alkohollösliche, beim Kochen mit Lauge Alkali 
bindende Stoffe an Ruhe- und Reizstoffwechsel beträchtlichen Anteil 
nehmen. Verwendet man als Mass des Gehaltes an diesen Stoffen, 
die kurzweg als „Fettsubstanzen“ bezeichnet werden mögen, die 
Zahl ccm n/10 Natronlauge, welche die Rückenmarkssubstanz beim 
Kochen zu neutralisieren Vermag, so ergibt sich, dass die Menge 
dieser Fettsubstanzen im Verlaufe von 24 Stunden im Mittel um 
etwa 30 Proz. abnimmt und dass dieser Fettumsatz, wenn ich ihn so 
nennen darf, ganz ebenso wie der Stickstoffumsatz von der Zufuhr 
von Sauerstoff abhängig Ist und durch elektrische Reizung eine 
'Steigerung auf das 2—3 fache des Ruhewertes erfährt. 

Von ganz besonderem Interesse scheint mir nun die Tatsache, 
dass sowohl der Umsatz der N-haltlgen. wie jener der Fettsubstanzen 
durch dieZufuhrvon Zucker in hohem Masse beeinflusst wird. 
Bringt man das Froschrückenmark in eine Lösung, die % Proz. 
Zucker enthält, so wird es gewissermassen mit diesem gefüttert und 
kann nun einen mehr oder minder grossen Teil seines Stoff- und 
Kraftwechsels auf Kosten dieses zugeführten Zuckers bestreiten, statt 
von eigener Gewebssubstanz zehren zu müssen. Hiebei zeigte sich, 
dass der Grad der durch verschiedene Zucker be¬ 
wirkten Ersparnis an Fettsubstanzen im Rübe- und 
Reizstoffwechsel vollkommen übereinstimmt mit den vorher er¬ 
wähnten Feststellungen über die Grösse des Zuckerumsatzes. 
Traubenzucker und Fruchtzucker, die in der Ruhe In ungefähr 
gleichem Umfange umgesetzt werden, bewirken auch ungefähr die 
gleiche Fettersparnis, bei Reizung dagegen, wo. wie wir gesehen 


•) E. Hirschberg tmd H. Winter stein: Ueber den SMrk- 
stoffumsatz der nervösen Zentralorgane. Zschr. f. physioi. Chem. 
101 . 101 « 212 . 

10 ) E. H i r s c h b e r g und H. Winterstein: Ueber den Um¬ 
satz von Fettsubstanzen in den nervösen Zentralorganen. Zschr. f. 
physioi. Chem., im Druck. 

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haben, der Traubenzucker in weit grösserem Masse den Erregungs¬ 
umsatz bestreitet, überwiegt auch die . durch ihn bewirkte Fett¬ 
ersparnis bei weitem jene des Fruchtzuckers. Bei der im Ruhestoff¬ 
wechsel besonders verwerteten Galaktose hingegen ist die Fett¬ 
ersparnis in der Ruhe relativ grösser als bei der Tätigkeit. 
Etwas abweichend gestaltet sich der Einfluss der Zucker¬ 
zufuhr auf den Stickstoffumsatz. Hier bewirkt die Zu¬ 
fuhr von Galaktose merkwürdigerweise in der Ruhe gar keine und 
bei Reizung nur eine relativ geringfügige Ersparnis, während der 
Traubenzucker sich auch hier als vortreffliches Sparmittel erweist, 
und in der Ruhe beim Fettumsatz wie beim Stickstoffumsatz etwa 
30 Proz., bei der durch Reizung bewirkten Tätigkeit sogar über 
80 Proz. vor der Zersetzung zu schützen vermag. 

Bei Anwesenheit von Traubenzucker wird anscheinend 
der ganze Erregungsumsatz, also der ganze durdi die Tätigkeit be¬ 
dingte Mehrverbrauch, durch den Zucker bestritten, denn wenn man 
an demselben Rückenmarkspräparat bei der einen Hälfte den Ruhe¬ 
umsatz in zuckerfreier Lösung und bei der anderen den 
Reizumsatz in zuckerhaltiger Lösung untersucht, so findet 
man den Verbrauch an Fettsubstanzen und den Stickstoffverlust bei 
beiden ungefähr gleich. Der ganze durch die Reizung sonst bewirkte 
Mehrverbrauch wird also durch die Anwesenheit des Zuckers kom¬ 
pensiert 

Die weitgehende Uebereinstimmung des Verhaltens und die 
quantitativen Verhältnisse sprechen dafür, dass die N-haltigen und die 
Fettsubstanzen zum Teil identisch sindl also zur Kategorie der 
Lipoide gehören, die mithin im Stoffwechsel eine wichtige Rolle 
zu spielen scheinen. In der Tat hat sich in der aus einer grossen 
Zahl von Experimenten gesammelten Versuchsflüssigkeit die An¬ 
wesenheit von Phosphorsäure, einem Baustein zahlreicher Lipoide, 
nachweisen lassen. 

Wenn ich zum Schlüsse nochmals in kurzen Worten unsere 
bisherigen Kenntnisse über den Stoffumsatz der nervösen Zentral¬ 
organe zusammenfassen darf, so hätte Ich zu sagen: Die Nerven¬ 
zentren sind der Sitz lebhafter Stoffwechselvor¬ 
gänge, die im Wesentlichen Oxydationsprozesse 
darstellen oder mit solchen verbunden sind, und an 
denen Zucker, Fette und Lipoide, sowie Eiweiss¬ 
körper Anteil nehmen. Die Nerventätigkeit ist mit 
einer bedeutenden Steigerung des Stoffumsatzes 
verbunden, an der die einzelnen Substanzen in un¬ 
gleichem Ausmasse beteiligt sind. Der Trauben¬ 
zucker ist in ganz besonderem Masse geeignet, die 
Tätigkeit der Nervenzentren zu erhalten, deren 
Arbeitsleistung bei ausreichender Zufuhr von 
Dextrose zur Gänze durch diese bestritten wird. 


Aus der Universitäts-Frauenklinik Tübingen 
(Direktor: Prot. Dr. August Mayer). 

Ueber den Einfluss heisser Vollbäder nach Weiss 
auf die Körpertemperatur Im allgemeinen und auf die 
Gonorrhöe im besonderen. 

Von Dr. Q. L. Mönch, Assistenzarzt der Klinik. 

Ende 1915 veröffentlichte Weiss 1 ) seine Resuttate mit der von 
ihm inaugurierten Behandlung der Gonorrhöe mit heissen Vollbädern 
von Temperaturen bis zu 43,5° C. Er erstrebte durch diese Be¬ 
handlungsweise eine Erhöhung der Körpertemperatur des Patienten, 
Indem er von der bekannten Tatsache ausging, dass eine Gonorrhöe 
manchmal bei Erkrankungen, die von hoher Temperatur begleitet sind, 
sehr schnell ausheiit, da der Gonokokkus für höhere Temperaturen 
sehr empfindlich ist. Bei 42° C z. B. stirbt er bereits im Verlaufe 
von wenigen Stunden ab. und schon bei 39 und 40® C ist eine stark 
verminderte Wachstumsfähigkeit deutlich zu beobachten. 

, Die heissen Vollbäder wählte Weiss deshalb, weil er sich 
sagte, dass örtliche Temperaturerhöhungen Immer versagen müssten, 
weil solche ev. auftretende Temperatursteigerungen stets durch die 
Hyperämie und Zuströmung des kühleren Blutes des allgemeinen 
Kreislaufes wieder heruntergesetzt werden würden. 

Tatsächlich hatten Ja auch die früheren Versuche in dieser Rich¬ 
tung mit Heizsonden, wie sie von Brombenr*), Kobe 11*), 
Scharff*) etc. ausgeführt worden waren, keine Erfolee gezeitigt. 
Nagelschmidt 0 ) gibt ia ebenfalls zu, dass es schon beim Manne 
äusserst schwierig ist, eine genügend hohe gleichmässige Temperatur 
der Urethra mittels der Diathermie zu erzielen und glaubte daher, 


*) Weiss: Die Fiebertherapie der Gonorrhöe. Mjn.W. 1915 
S. 513. 

*) Bromberg: Thermotherapie bei Gonorrhöe. D.m.W. 1914 
S. 179. 

*) Kob eit: Die Behandlung der Hamröhrenstriktur mit Hyper¬ 
ämie hervorrufenden Boukis. M.m.W. 1912 S. 1655. 

4 ) S ch a r f f: Urethrothermische Therapie. ‘ M.m.W. 1912 S. 1654. 
•) Nagelschmidt: Lehrbuch der Diathermie. Verlag von 
Julius Springer, Berlin 1913. 

Original ffom 

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1314 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


dass beim Weibe sich die Schwierigkeiten vielleicht als praktisch 
unüberwindbar zeigen dürften. 

Aus solchen Erwägungen heraus war W e i s s gerade auf die 
Vollbäder gekommen. Er erzielte auch wirklich durch diese Bäder 
von 43,5 0 C und halbstündiger bis einstündiger Dauer Körpertempera¬ 
turen bis zu (in einem Falle) 42,6 °, im Munde gemessen. W e i s s 
machte dabei aber auch gleich auf die individuellen Unterschiede 
der Patienten im Ertragen der heissen Bäder und auf die Gefahren 
dieser Behandlungsmethode überhaupt: eventuellen Kollaps etc., auf¬ 
merksam. Er betonte ganz besonders, dass selbstverständlich Herz 
und Lungen der Patienten immer völlig gesund sein müssten, ehe 
man zu dieser anstrengenden Therapie schreitet. Seine Erfolge mit 
der Fiebertherapie waren aber auch ganz eklatant. Gerade der 
eine Fall, in dem Weiss eine Körpertemperatur von 42,6° erzielt 
hatte, war ohne jede weitere Behandlung nur durch dieses eine Bad 
vollständig und dauernd geheilt. Allerdings erzielte er ein so gün¬ 
stiges Resultat auch nur in diesem einen Falle. Immerhin aber wur¬ 
den von seinen 11 mitgeteilten Fällen 5 durch ein oder mehrere Bäder 
geheilt. Die anderen 6 Patienten, die sich als etwas refraktär gegen 
die Bäder erwiesen, bekamen noch lokale Behandlung; doch war 
auch hier dann die Behandlungsdauer sehr viel kürzer als gewöhnlich. 
Weiss meinte, dass die Fälle, die die Abtötungstemperatur des 
Gonokokkus nicht erreichen, doch durch die Bäder gebessert würden, 
indem der Gonokokkus durch das künstlich hervorgerufene Fieber des 
Patienten geschwächt würde und dann schneller durch die lokale 
Behandlung zu beeinflussen sei. 

Es ist selbstverständlich, dass eine Behandlungsmethode, die so 
grosse Aussichten auf Erfolg, gerade bei einer Krankheit wie der 
Gonorrhöe, bot, und die ungünstigsten Falles doch die Erkrankung 
abkürzte, viele Nachahmer fand. So berichtete u. a. nach Weiss 
auch Scholtz®) über sehr gute Erfolge der Fiebertherapie bei 
Gonorrhöe. Er verfolgte jedoch fast ausschliesslich eine kombinierte 
Therapie, d. h. Lokalbehandlung nlus Bäder. Er modifizierte auch 
die Bäder etwas. Wenn Scholtz nun auch nicht so gute Re¬ 
sultate wie Weiss erzielen konnte, so fand er doch ebenfalls die 
Behandlungsdauer der Gonorrhöe durch die Bäder sehr abgekürzt; 
nämlich von 41 Tagen auf 18 Tage im Durchschnitt. 

Aehnlich günstige Erfolge berichteten auch Eng wer 7 : Heilung 
einer Gonorrhöe bei dreijährigem Mädchen mit Bädern, YIppö®): 
Heilung einer Gonorrhöe bei 4H iährieem Mädchen mittels 15 heisser 
Vollbäder, Bend ix*): Heilung bei 4% jähr. Mädchen mit 12 Bädern. 

Duncker“) dagegen verwarf die heissen Vollbäder als zu ge¬ 
fährlich und gab nur Sitzbäder von Temperaturen bis zu 48° C. Er 
erzielte seiner Angabe nach dabei Körpertemperaturen der Patienten 
von 39 bis 40° (nach dem Bade im Bett gemessen). Er gibt Jedoch 
nicht an, wo diese Temperatur gemessen wurde. Ich nehme 
jedoch an, dass sie die rektale Temperatur darstellt, da meine 
Versuche in dieser Richtung, auf die ich nachher kommen werde, sonst 
noch weniger damit in Einklang zu bringen wären. 

Heusner 11 ) sah in der Behandlung seiner Fälle von der 
Bädertherapie ab. da ihm dieselbe zu anstrengend erschien und ge¬ 
brauchte nur strahlende Wärme mit angeblich sehr günstigen Re¬ 
sultaten. Ob er aber eine erhöhte Körpertemneratur der Patienten 
erzielte, und seine Fälle so auch zu derr mittels der Fiebertheranie 
behandelten zu zählen sind, ist nicht sicher. Er selbst erwähnt eine 
Erhöhung der Körpertemperatur seiner Patientin nicht. Mir erscheint 
eine solche iedoch. d*a der Körper sich ja durch das Schwitzen wieder 
abkühlt, nicht wahrscheinlich. 

Im allgemeinen kann man sagen, hatten die meisten Autoren 
eigentlich nur Gutes von der Fiebertherapie zu berichten, allerdings 
gab es auch einige, die von den heissen Bädern keine Erfolge ge¬ 
sehen hatten. Unter anderen z. B. auch Na st 18 ), der trotz Bäder¬ 
serien bis zu 14 an der Zahl und erreichten Körpertemperaturen der 
Patienten bis zu 41,4° keine sichtbaren Erfolge nachweisen konnte. 

Wenn nun aber auch die Ansichten über den Wert der heissen 
Vollbäder als Heilmittel für die Gonorrhöe nicht absolut eindeutig 
waren', so stimmten doch alle Angaben über die Steigerung der 
Körpertemperatur der so behandelten Patienten überein. Auch wir 
hatten eine solche Temperaturerhöhung bei einem 5 iährigen Mädchen 
(C. S. J. Nr. 298/1917) gesehen, das wegen Gonorrhöe heisse Voll¬ 
bäder bekommen hatte. Ich komme später auf den Fall zurück. 

In seinem Vortrage in der Gvn. Gesellschaft in Breslau behauptete 
aber nun Asch 1 *), dass für die Behandlung der Gonorrhöe die Dia- 


®) Scholtz: Heber die Fieberbehandlung der Gonorrhöe nach 
O. Weiss. M.m.W. 1916 S. 1057. 

7 ) Eng wer: Ueber d»e Behandlung der kindlichen Gonorrhöe 
mittels der Fiebertherapie (Weiss). M.m.W. 1916 S. 1582. 

*) YIppö: Ueber die Fieberbehandlung der Vulvovaginitis bei 
kleinen Mädchen. Ther. Mh. 1916 S. 580. 

*) Bend ix: Zur „Fieberbehandlung“ der Vulvovaginitis gonor¬ 
rhoica bei kleinen Mädchen. Ther. Mh. 1917 S. 209. 

10 ) Dune k er: Die kombinierte Behandlung der Gonorrhöe mit 
Heissbädern und verdünnter Dakinlösung. M.m.W. 1917 S. 821. 

u ) Heusner: Behandlung der Gonorrhöe und ihrer Neben¬ 
erkrankungen mit Wärme. D.m.W. 1917 S. 332. 

15 ) Nast: Zur Fiebertherapic der kindlichen Gonorrhöe. Ther. 
Mh. 1917 S. 449. 

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thermie allen anderen Wärmebehandlungen vorzuziehen sei und 
weiter: „Alle anderen Hitzeanwendungen vermögen, ohne eine Steige¬ 
rung der Körpertemperatur erzielen zu können, nur eine Anregung im 
Sinne der Hyperämisierung zu geben“ und an einer anderen Stelle 
(Schlusswort): „Das Absterben der Gonokokkenkulturen in vitro bei 
erhöhter Temperatur fand durch das gleichzeitige Austrocknen seine 

Erklärung;.Allerdings möchte ich hier nochmals betonen. 

dass 40° heisse Bäder physiologisch nicht imstande sind, die Innen¬ 
temperatur des Körpers auch nur um ein Geringes zu erhöhen und 
dass die Hoffnungen, die sich darauf gründen, die Gonokokken im 
menschlichen Körper dadurch zum Absterben' zu bringen, trügerische 
sein müssen.“ 

Diese Behauptung von Asch stan-d nun dermassen im Wider¬ 
spruch zu den Angaben aller anderen Untersucher und auch zu 
unserem eigenen Falle, dass ich mich veranlasst fühlte, die Erhöhung 
der Körpertemperatur durch heisse Vollbäder, vorerst ohne Rücksicht 
darauf, ob eine Gonorrhöe vorhanden war oder nicht, an einer Reihe 
von Patienten nachzuprüfen. Einige der Frauen hatten allerdings 
eine Gonorrhöe, und ich werde später (im zweiten Teile dieser Arbeit) 
auf den von mir beobachteten Einfluss der Bäder auf diese Erkrankung 
zurückkommen. Vorerst interessiert uns hier nur die durch diese 
heissen Vollbäder erzeugten Körpertemperatursteigerungen der be¬ 
treffenden Patienten, mit denen ich mich vorerst auch alleine be¬ 
schäftigen werde. 

Im ganzen gab ich 10 Patienten, das schon erwähnte kleine 
Mädchen von 5 Jahren mitgerechnet, heisse Vollbäder nach der Be¬ 
handlungsmethode von Weiss. Meine Versuche noch weiter fort¬ 
zusetzen, war mir später aus äusseren Gründen nicht mehr gestattet 

Die Behandlung verlief in allen Fällen folgendermassen. Voraus¬ 
gesetzt, dass Herz und Lungen ganz intakt waren, stiegen die Pa¬ 
tienten in ein heisses Vollbad bei 37—38° C, so dass nur noch der 
Kopf, der immer mit einer Eisblase bedeckt wurde, herausragte. Die 
Patienten wurden angehalten, sich im Wasser leise zu bewegen 
und jetzt das Badewasser langsam bis auf 42, 43 und selbst 44* C 
hinauigebradit, je nach der individuellen Widerstandsfähigkeit der ein¬ 
zelnen Behandelten. Nachdem das Badewasser 40° C erreicht hatte, 
wurde der Puls sorgfältig kontrolliert und alle 5 Minuten die Tem¬ 
peratur im Munde gemessen. Ueberschritt der Puls 140 (an der 
Karotis oder Radialis gezählt) oder hatten die Patienten Uebelsein 
oder Schwindel, so wurde die Behandlung sofort unterbrochen. Nach 
dem Bade bekamen die Patienten einen Cognac, wurden ins Bett 
getragen, fest eingewickelt und in Abständen weiter gemessen. Nach 
dem Bade (das wenn möglich bis zu einer halben Stunde ausgedehnt 
wurde) waren alle ziemlich schwach und schlaff, sie schliefen 
iedoch meistens gleich ein und erwachten nach ein oder zwei Stunden 
wieder ganz frisch und wohl. Ernstere Zufälle habe ich aber nie 
gesehen. 

Sämtliche Patienten bekamen im heissen Bade 
eine kräftige Erhöhung der Körpertemperatur. Ich 
muss alsq Asch ganz entschieden widersprechen, wenn er behauptet, 
durch heisse Bäder wäre eine Steigerung der Körpertemperatur nicht 
zu erzielen. Allerdings muss zugegeben werden, dass das Fieber 
nach dem Bade wieder ziemlich rasch sank und insofern wohl nicht 
ausgereicht hätte, um etwaige vorhandene Gonokokken abzutöten oder 
stark am Wachstum zu verhindern. Doch Näheres hierüber hn 
zweiten Abschnitt dieser Publikation. 

So hohe Temperaturen wie Weiss (in einem Fall wie ange¬ 
führt 42,6 °) habe ich allerdings nicht erzielen können. Meine Höchst¬ 
temperatur war 41.5°. Auch 50 und 55 Minuten lang wie Weiss 
konnte ich die Patienten nicht im Wasser halten; eine halbe Stunde 
stellte bei meinen Versuchen so ungefähr das Maximum dar. Wie 
Weiss auch, so fand ich die einzelnen Menschen individuell sehr 
verschieden im Ertragen der Temperatur und der Dauer der Bäder. 
Ebenso variierten sie auch ziemlich stark in den durch das heisse 
Wasser erzielten Temperatursteigerungen. Mir erschien es, als ob 
beim Ertragen der Temperatur und der Dauer der Bäder es mit 
darauf ankäme, ob die Patienten leicht transpirierten oder nicht, wie 
dieses übrigens Nagelschmidt schon bei der Diathermie her- 
vorhebt. 

Anbei folgen die näheren Daten über die 10 von mir mit heissen 
Vollbädern behandelten Patienten: 

Fall 1. C. S„ 5 Jahre altes Mädchen, J.-Nr. 298/1917. Diagnose: 
Vulvovaginitis gonorrhoica. 

Dieses war der erste Fall, bei dem wir die Fiebertherapie pro¬ 
bierten. Der Fall war nicht eindeutig, da die Kleine sehr unge¬ 
bärdig war und leider von ihrer Mutter, die zur selben Zeit in 
der Klinik lag, nur noch mehr in ihrer Auflehnung bestärkt wurde. 
Die Dauer des Bades war hier nur 10 Minuten bei 43° C. Durch 
dieses Bad stieg aber die Temperatur schon von 35.6° vor dem 
Bade bis auf 39°. Eine Stunde nach dem Bade war die Temperatur 
noch 37,8, 3 Stunden nachher wieder 35,7 14 ). 


13 ) Asch: Behandlung der gonorrhoischen Infektion des Weibes 
im Kriege. (Vortrag in der Gyn. Gesellsch. und Dermat. Verein 
Breslau, 7. November 1916.). Mschr. f. Geb. u. Gyn. 1917 S. 109 und 
(Schlusswort) S. 196. 

, 14 ) In diesem Falle sind die Temperaturen wegen des Alters de^ 

• Kindes alle rektal gewesen, in allen anderen Fällen jedoch sind die 

Original from 

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19. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1315 


Eine Weiterbehandlung des Kindes war leider nicht möglich, da 
die Frau das Kind gegen ärztlichen Rat nach Hause nahm. Sie wollte 
zu Hause die Bäder tortsetzen und in 4 Wochen wiederkommen, hat 
jedoch selbst auf Anfragen hin nie wieder etwas von sich hören 
lassen. 

Fall 2. E. CL, 12jähriges Mädchen, J.-Nr. 406/1917. Diagnose: 
Vulvitis ulcerosa (wahrscheinlich Metastase von 
Impfpusteln am Arm). 

Die Patientin war uns als lues- oder gonorrhöeverdächtig zuge- 
scbickt worden» doch bot sich für keine der beiden ErxranKungen ein 
näherer Anhalt. Dem Aussehen der Geschwüre nach konnte man eher 
an Ulcus vulvae acutum LL i p p s c h ü t z Xo JJ denken, wie es auch 
von bcherber*?). Ciross u ) 9 Volk Aö ), Lenartowicz“) u. a. 
beschrieben worden ist. Das Alter der Patientin, die Schmerzhaftig- 
keit der üeschwüre, das rehlen der Schwellung der lnguinaklrüsen 
und das rasche Abheilen sprachen alle dalür. Mikroskopisch aber 
iand man nicht die typischen Uram-positiven, kurzen, dicken Stäbchen. 
Auch Ducreysche Bazillen, Bacilli iusiiormes oder Vincen ti¬ 
sche Spirillen waren nicht zu sehen, so dass schliesslich bloss die 
Möglichkeit resp. Wahrscheinlichkeit einer Impfpustelmetastase übrig 
blieh, da die Kleine solche am Arm, von ihrer eine Woche vorher 
stattgeiundenen Impfung herruhrend, hatte. Möglich, ist ja allerdings, 
dass es sich, obgleich man die typischen Stäbchen nicht fand, doch um 
einen fall von Ulcus vulvae acutum gehandelt hat. Die Patientin 
bekam Kamillensitzbäder und nach 7 lagen wurde der erste Ver¬ 
such mit einem heissen Vollbade von‘42,5° C gemacht. Dauer des 
Bades 25 Minuten. Keine üblen Folgen. Ja die therapeutische Wir¬ 
kung des Baues auf die üeschwüre war sogar sehr gut. Temperatur 
vor dem Bade 37,2°, nach dem Bade 40,2° Mundtemperatur. Nach 
einer Stunde war die Temperatur noch 39,4 °, nach drei stunden 37,6 °. 

Am 10. Tag zweites Bad, Wassertemperatur 43°, Dauer des 
Bades nur 15 Minuten, da die Kleine zu klagen anting. Körper¬ 
temperatur des Kindes vor dem Baue 37,3°, nachher 39,4 M im Munde 
gemessen. Nach einer Stunde betrug die Temperatursteigerung nur 
noch 37,3®. Nach 14 Tagen konnte das Manchen geheilt entlassen 
werden. 

F a 11 3. F. S., 26 Jahre altes Mädchen, J.-Nr. 433/1917. Dia¬ 
gnose : Colpitis gonorrhoica. 

Das Mädchen bekam innerhalb 17 Tagen 15 heisse Vollbäder 
bis zu einer Dauer von einer halben Stunde. Längerer Auienthalt 
hn heissen Wasser wurde nie vertragen. Temperatur des Wassers 
42—44 u C. Durch jedes Bad stieg die vorner normal gewesene 
Temperatur der Patientin steil an, einmal bis zu 39,5°, zweimal 
bis 39,6®, sonst immer über 40*, viermal bis 41® oder 
darüber. (Alle Temperaturen im Munde gemessen.) Die höchste 
erreichte Temperatur, die überhaupt oie in meinen Versuchen er¬ 
reichte Höchsttemperatur darstellt, war 41,5 u Mundtemperatur. Nach 
dem ttaoe nei die lemperatur immer wieder senr rasen, beiost 
nach dem Fieber von 4a,o“ war die lemperatur nach i/a Stunden 
wieder im Munoe normal. Im Rektum allerdings noch einen urad 
höher und erst nach 2 stunden w teuer normal, üeraoe dieser in 
allen Versuchen geiunuene durchaus pnysioiogtschp unterschied von 
einem uraoe zwischen Rektum- und Mundteinper^tur zeigt ganz be¬ 
sonders scaon, wie gieicnniassig uer i einperaiuiau^gieicn uh ganzen 
Körper in diesen Versucnen gewesen sein muss. 

Fall 4. W. W n 28jähr. Frau. J.-Nr. 436/1917. Diagnose: 
Endometritis, kein Anhalt tür üonorrhöe. 

Die Patientin bekam ein heisses Bad von halbstündiger Dauer 
bei einer Wassertemperatur von 43—43,5°. Vor dem Baoe Körper¬ 
temperatur der Patientin 3/ 0, nach dem Bade 41,3 ° Mundtemperätur. 
Nach einer Stunde im Munde noch 3ö,4", nacn zwei stunden Tem- 
peratur, auch per rectum, normal. Keine ubien Z/utälie. 

Fall 5. J. W., 28jähr. Mädchen, J.-Nr. 452/1917. Diagnose: 
Endometritis, Fluor, kein Anhalt für Gonorrhoe. 

Die Patientin bekam ein heisses Bad. Wassertemperatur 43 


Temperaturen während und am Schlüsse des Bades Mundtemperätur. 
Die anderen aber Rektalmessungen, wie es sonst in der Klinik ge¬ 
wöhnlich ist: ts kann also sogar zu den angeführten ^Temperatur¬ 
unterschieden vor und nach dem Bade noch der eine Grad* der den 
physiologischen Wärmeunterschied zwischen Mund und Rektum dai- 
stellt, noch hinzugegeben werden. 

Wenn nicht näher bezeichnet, sind die angeführten Temperaturen 
immer Rektumtemperatur. 

15 ) Li pp schütz: a) Ueber eine eigenartige Geschwürsfotm 
des weiblichen Genitales (Ulcus vulvae acutum). Arch. f. Derm. u.- 
Syph. 1912. H. 1. — b) Bakt. Grundriss und Atlas der Geschlechts¬ 
kranke Leipzig, J. A. Barth, 1913. — c) Demonstration in der 
k. k. Geseilsch. d. Aerzte in Wien. Ref. in W.kl.W. 1913. 

la ) Schorber: a) Zur Klinik und Aetiologie einiger am weib¬ 
lichen Genitale auftretender seltener Geschwürsformen. Derm. Zschr. 
1913 Nr. 20 H. 2. — b) Weitere Mitteilungen etc. W.kl.W. 1913. 

17 ) Gross: Ueber Ulcus vulvae acutum (Lippschütz). 
W.kl.W. 1914. 

1S ) Volk: Zum Krankheitsbegriff des sog. Ulcus vulvae acutum. 
W.kl.W. 1914. , 

**) Lenartowicz: Ueber Ulcus vulvae acutum (Lipp- 
sebütz): W.kl.W. 1917 S. 266. 

Nr ‘ ^'Digitized by GCK 


bis 44° C. Die Dauer des Bades war nur 20 Minuten, da die Pa¬ 
tientin dann zu klagen anfing. Temperatur vor dem Bade 37°, nach 
20 Minuten 39,7°, im Munde gemessen. Naoh lYa Stunden war die 
Temperatur wieder normal. Keine üblen Folgen. 

Fall 6. R. K.,-19jähr. Mädchen, J.-Nr. 465/1917. Diagnose: 
Laesio vaginae. Kein Anhalt für Gonorrhöe. 

Die Patientin bekam ein heisses Bad von 25 Minuten Dauer 
bei einer Wassertemperatur von 42,5°. Temperatur vor dem Bade 
37,6 u , nach 25 Minuten 40,8 Mundtemperatur. Erst nach 3 Stunden 
erreichte die Temperatur wieder die normale Linie. Keine weiteren 
Komplikationen. . 

Fall 7. S. K., 22jähriges Mädchen, J.-Nr. 474/1917. Diagnose: 
Doppelseitige Adnextumoren. Kein Anhalt für Go¬ 
norrhöe. 

Auch diese Patientin bekam nur ein heisses Bad bei einer Wasser¬ 
temperatur von 42—43°. Sie hielt dieses eine volle halbe Stunde 
lang aus, jedoch stieg die Temperatur in diesem Falle weniger und 
langsamer als bei den anderen Frauen. Auch klagte das Mädchen 
ziemlich über Unbehagen, jedoch waren die Beschwerden nie so 
stark, dass die Behandlung vor einer halben Stunde unterbrochen 
werden musste. Die Patientin schwitzte sehr wenig. Vielleicht 
stehen, wie schon erwähnt, hiermit die stärkeren Klagen der Patientin 
über das heisse Bad in Zusammenhang. Temperatur vor dem Bade 
37®, nach einer halben Stunde nur 39,4® Mundtemperatur. Eine 
Stunde und 40 Minuten nach dem Bade war die Temperatur wieder 
normal. Keine üblen Zufälle vom Bade. 

Fall 8. B. S„ 21 jähr. Mädchen. J.-Nr. 499/1917. Diagnose; 
Colpitis gonorrhoica. 

Das Mädchen bekam 4 Bäder bis zu der Dauer von einer halben 
Stunde bei einer Wassertemperatur von 43® C. Die Temperatur vor 
dem Bade war 36—36,ö u , nach dem Bade war Fieber bis zu 40° Mund¬ 
temperatur vorhanden. Das Fieber ging jedoch in IV »—2 Stunden 
immer wieder aut die Norm zurück. Ueble Zufälle wurden von 
der Behandlung nicht gesehen. 


Es hatten also die zwei Kinder und die sechs 
Frauen durch das Bad jedesmal hohes Fieber be¬ 
kommen und zwar können die Messungen, die mit einem vorher ge¬ 
prüften Thermometer alle 5 Minuten im Munde der Patientin, die 
noch dazu eine Eisblase auf dem Kopf hatte, gemacht wurden, doch 
sicher als emwamiirei gelten; jedenfalls dürfen sie eher zu niedrig 
als zu hoch gewesen sein. 

Um ganz sicher zu sein, dass die rektalen Temperaturen nach 
dem Bade nicht doch loKal bedingt sein könnten, haben wir der einen 
Patientin (aerjenigen, welche die 15 Bäder benommen hatte Lrall 3J, 
da sie erwiesenermassen sehr kräitig auf die heissen Bader reagierte) 
auch noch halbstündige Sitzbäder mit Wassertemperaturen von 44 bis 
45® gegeben. Nacn einer halben Stunde war hierbei die Mund¬ 
temperatur von 3b,2—36,8 ® aut 3/,2—3/,3®, die reKtale Temperatur 
von 37—37,1 0 auf 37,5—37,7 ® gestiegen. Das Ergebnis der Sitzbäder 
war somit gar nicht zu vergleichen mit den durch die Vollbauer er¬ 
zielten 1 emperaturen. Es wundert mich daher auch, dass Duncker*®) 
so hohe Temperaturen, nach seiner Angabe 39—4U ®, durch seine 
Halbbader erzielt hat. 

Da unsere Versuche bis jetzt nur bei Frauen und Kindern ausge¬ 
führt worden waren, so mussten wir uns aut den Einwand gefasst 
machen, dass vielleicht Frauen und Kinder labilere Temperatur¬ 
zentren hätten als die Männer und so eher auf die heissen Vollbäder 
reagierten. Wir haben deshalb auch den Versuch mit 2 Männern,, 
Soldaten des Lazaretts der Klinik hier, wiederholt 

Im ersten Falle: 

Fall 9. W. H., Schussverwundung an der rechten grossen 
Zehe, handelte es sich um einen 20 jährigen Infanteristen. Kaufmann 
im Zivilberuf, der ein Bad von 42—43° C bexam. . Vcr dem Bade 
war die Temperatur axillar gemessen 36,8°, nach 8 Minuten war 
die Temperatur auf 38,6° Mundtemperatur gestiegen. Schon nach 
12 Minuten aber fing der Mann an zu würgen und zu klagen, so dass 
nicht mehr gemessen werden konnte und däs Bad sofort unterbrochen 
werden musste. Jedenfalls hat der Patient noch höheres Fieber in 
der kurzen Zeit (bekommen, denn 20 Minuten nach dem Bade hatte 
er in der Axilla noch 38,3 ®, trotzdem er wegen der Uebelkeit nach 
dem heisen Bade eine kalte Abwaschung bekommen Hatte. Eine 
Stunde nach dem Bade Temperatur axillar 37.5°, nach 2 Stunden 
36,8®. 

In zweiten Falle: 

F a 1 i 10. K. S., Schussverletzung der linken Schulter, hatten wir 
es mit einem 36 jährigen Infanteristen, Schafhirt im Zivilberuf, zu 
tun. Dieser Patient bekam ein heisses Bad von 42 bis 43 C und 
20 Minuten Dauer. Da dann der Puls bis auf 146 stieg, wurde die 
Behandlung sofort unterbrochen. Temperatur vor dem Bade 36 , 
in der Axilla gemessen, naoh 20 Minuten 39,9 Mundtemperatur, nach 
einer Stunde 38,8®, nach 2 Stunden 37,5®, nach 3 Stunden 37,6®, alle 
Temperaturen axillar gemessen. Nach dem Bade war der- Patient 
sehr schlapp und schwach, doch traten ernstere Kompli¬ 
kationen nicht auf. t , 

Es reagierten also die Männer ebenso wie die 


*®) Duncker: 1. c. ^ 

Original fram 

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1316 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


Frauen mit mehr oder weniger hohem Fieber auf 
die Bäder. 


Dass man durch heisse Vollbäder Fieber und 
hohes Fieber hervorrufen kann, halte ich nach den 
eben angeführten Versuchen für erwiesen. Wir 
kommen damit jetzt noch zum zweiten Teil dieser 
ÄTbeit, nämlichzum Effektder Bäderaufdie Gonor¬ 
rhöe. 

Wir haben hierzulande glücklicherweise, aber zum Nachteil 
unserer Versuche, wenig Gonorrhöe, so dass wir nur 3 Fälle unter 
den 10 hatten, die an einer nachweisbaren Gonorrhöe litten. Dies 
sind Fall 1, das 5jährige Kind (C. S. J.-Nr. 298/1917), Fall 3 
(F. S. J.-Nr. 433/1917) und F a 11 8 (B. S. J.-Nr. 499/1917). 

Der erste Fall wurde, wie gesagt, zu früh von der Mutter 
nach Hause genommen, um viel über die Behandlungsmethode sagen 
zu können. Der Ausfluss war aber durch das eine Bad schon be¬ 
deutend geringer und schleimiger geworden als vorher. Ebenso 
schienen die Beschwerden der Kleinen geringer geworden zu sein. 
Gonokokken waren aber noch massenhaft im Ausstrich vorhanden. 

In F a.l 1 3 haben wir, um die Bchandlungsweise sorgfältig aus¬ 
zuprobieren, 15 Bäder gegeben und Temperaturen bis 41,5°. erzielt. 
Nach den ersten 7 Bädern war der Ausfluss fast gänzlich ver¬ 
schwunden, die Beschwerden sehr viel geringer, Gonokokken aber, 
obwohl spärlicher als zuerst, doch noch reichlich vorhanden. Wir 
gaben deshalb zweimal täglich Spülungen mit übermangansaurem 
Kali. Ausserdem habe ich die Patientin alle 5 bis 6 Tage sorgfältig 
zuerst mit 5 proz., dann mit lOproz. Argentum nitricum geätzt. Dazu 
bekam die Frau wieder 5 heisse Vollbäder in den nächsten 6 Tagen. 
Nach dieser Behandlung waren die Gonokokken sehr spärlich, aber 
doch noch einzeln vorhanden. Die lokale Behandlung wurde daher 
weiter fortgesetzt und die Patientin ausserdem noch dreimal gebadet. 
Daraufhin waren jetzt keine Gonokokken mehr naohzuweisen. Die¬ 
selben blieben nun auch dauernd verschwunden. 

Bei der dritten Patientin mit Gonorrhöe, Fall 8, war das Re¬ 
sultat ähnlich wie in Fall 3. Nach 3 Bädern war der Ausfluss 
ganz gering und die Beschwerden ganz minimal, der Ausstrich aber 
positiv auf Gonokokken. Ich setzte nun auch hier wieder mit lokaler 
Behandlung, Spülungen, Silberätzung etc. ein. Danach waren in 
ziemlich kurzer Zeit (14 Tagen) die Gonokokken verschwunden. 

Wollen wir die Resultate unserer Versuche zusammenfassen, 
so müssen wir sagen, erstens: Mit heissen Vollbädern kann man 
künstlich vorübergehendes Fieber und hohes Fieber bei den so be¬ 
handelten Patienten hervorbringen, hingegen dürfte es nur in- den 
allerseltensten Fällen gelingen, eine Höhe der Körpertemperatur zu 
erzielen, welche die Gonokokken abzutöten imstande wäre. Zwei¬ 
tens: Die Temperaturen, die erzielt werden können, werden kaum 
lang genug beibehalten, um etwaige vorhandene Gonokokken ab¬ 
zutöten. Die hohen Temperaturen der Patienten kehren ja, wie 
unsere Versuche zeigen, äusserst schnell wieder zur Norm zurück. 
Drittens: Die Kur ist sehr anstrengend, so dass sie nur für wenige 
Patienten \n Betracht kommt. 

Allerdings scheint es, als ob die Bäder in Verbindung mit einer 
ganz energischen Lokalbehandlung tatsächlich die Behandlungsdauer 
der Gonorrhöe abkürzen können. Doch müssen wir leider auch 
dieses, ähnlich wie es auch Scholtz 21 ) tut, vorläufig noch als nicht 
„sicher bewiesen ansehen, da die übermangansauren Kalispülungen und 
die energischen Argentumätzungen vielleicht in derselben Zeit gerade 
so viel auch ohne heisse Bäder erreicht hätten. Ehe man hier etwas 
sicheres sagen kann, müssen eben noch viele Fälle von Gonorrhöe 
so behandelt und beobachtet werden. 


Aus der medizinischen Universitätsklinik in Giessen, Vereins¬ 
lazarett (Direktor: Prof. Dr. Voit). 

Kyphoskoliose nach Tetanus. 

Von Dr. med. et phil. Erwin Becher, Assistent der Klinik 

Vor kurzem haben Erich Meyer und Weiler über mehrere 
Fälle von Wirbelsäulenverkrümmung nach Tetanus berichtet 1 ). Bei 
einem derselben blieb die Deformität nach Abklingen der sie her¬ 
vorrufenden Muskelstarre bestehen (Fall B., M.m.W. 1915 Nr. 50 
S. 1614). Es handelte sich um ein jugendliches, 14 jähriges Individuum, 
bei welchem im Verlauf des akuten tetanischen Anfalls ein typisches 
Pectus^carinatum und eine Kyphose im Bereich der oberen Brust¬ 
wirbelsäule entstand. Die genannten Autoren machen als Entstehungs¬ 
ursache „ausschliesslich den Zug der Mm. pectorales major et minor 
verantwortlich“. Sie führen diesen Fall als „Beispiel der Entstehung 
von Knochendeformitäten bei nicht ausgewachsenem, aber völlig nor¬ 
malem Skelett durch pathologisch starken Muskelzug“ an. 

Wir beobachteten bei einem Soldaten hier in der Klinik das 


31 ) Scholtz: 1. c. 
x ) M.m.W. 1917 Nr. 49 u. 50. 

□ igitized by Google 


Auftreten einer nicht unbedeutenden Kyphoskoliose im Anschluss an 
einen schweren Spättetanus. Die Deformität blieb nach Aufhören 
der tetanischen Krämpfe bestehen. Es 
handelte sich um ein ausgewachsenes, 

23 Jahre altes Individuum, welches früher 
nie ernstlich krank war und keine Zeichen 
von überstandener Rachitis autwies. 

Der Fall ist interessant, weil er zeigt, 
nass bedeutsame Verbiegungen des knö¬ 
chernen Skelettes nicht nur beim nicht 
ausgewachsenen Jugendlichen, sondern 
auch beim Erwachsenen nach Tetanus 
% aultreten können. Bei einem der von 
Meyer und Weiler beschriebenen 
Fälle, einem 23 jähr. Soldaten (1. c. Fall K. 
s. Ibl2), führte die tetanische Muskel¬ 
starre auch zu einer starken Kyphose der 
oberen Brustwirbelsäule, dieselbe bildete 
sich aber relativ schnell bis auf einen ge¬ 
ringen Rest zurück. Bei unserem Pa¬ 
tienten besteht die Deformität noch fast 
unverändert jetzt schon seit 3 Monaten 
nach Authören der eigentlichen Tetanus¬ 
erkrankung fort. Diese wohl recht sel¬ 
tene klinische Beobachtung nach Tetanus 
möge die Veröffentlichung des Falles 
rechtfertigen. Ich gebe das Wichtige aus 
der Krankengeschichte kurz wieder: Die Eltern und Geschwister des 
Patienten leben und sind gesund. Von Kinderkrankheiten ist ihm 
nichts bekannt, er war angeblich auch später nie krank, hat keinen 
Typhus 2 ) und keine Lungenkrankheit durchgemacht. Auch in der 
Familie des Patienten sind solche Erkrankungen nicht vorgekommen. 
Am 19. IV. 15 wurde er eingezogen und kam am 16. X. 15 ins 
Feld. Dort war er nie krank. Am 1. IX. 17 wurde er durch 
Granatsplitter am rechten Ober- und Unterschenkel, an der rechten 
Brustseite und am rechten Arm verwundet. Er wurde 10 Minuten 
nach üer Verwundung verbunden und bekam eine Spritze (Tetanus¬ 
antitoxin) ins Bein. Die Splitter in Arm und Brust wurden gleich 
entfernt. Schon nach 4—5 lagen verheilten die Wunden. Die 

Splitter im Bein blieben stecken. Am 1. XII. 17, drei Monate 
nach der Verwundung, wurden in einem Reservelazarett die beiden 
Splitter im Bein operativ entfernt. 7 Tage nach der Operation, am 
7. XII. 17, traten, nachdem Patient schon wieder aufgestanden 
war, Schmerzen im Rücken und Krämpfe in deii Kaumuskeln auf. 
Der Mund konnte nicht mehr geöffnet werden. Der Nacken wurde 
sehr steif und der Kopf in den Nacken gezogen, es traten in den 
folgenden Tagen dann allgemeine Krämpfe auf. Bei der Aufnahme 
in die medizinische Klinik am 8. XII. 17 wurde folgender Be¬ 
fund erhoben: Kräftig gebauter, 1,73 m grosser Mann in gutem Er¬ 
nährungszustand mit kräftigem Knochenbau und gut entwickelter 
Muskulatur. Vorne in der Mitte des rechten Oberschenkels und 
auf der Aussenseite des rechten Unterschenkels, handbreit unter¬ 
halb des Kniegelenks eine kleine, leicht sezernierende 'Operations¬ 
wunde. Im Urin und an inneren Organen kein krankhafter Befund. 
Steifigkeit der ganzen Nacken- und Rückenmuskujatur. Die Beine 
sind gebeugt, können nicht gestreckt werden, ihre Muskulatur ist 
steif. Pat. kann den Mund nur wenig öffnen. Krämpfe der Rücken- 
und Beinmuskulatur sind selten. Puls mässig beschleunigt, voll und 
kräftig, Temperatur zwischen 37 und 38 u . Injektion von 200 A.-E. 
intravenös. 

9. und 10. XII. Zunahme der Krämpfe, fast jede Viertelstunde 
treten heftige Krampfanfälle auf. Fieber zwischen 38 und 39°, Puls 
schlechter, sehr beschleunigt, täglich 200 A.-E. Narkotika. 

11. XII. Starker Opisthotonus, der Kopf ist in den Nacken 
gebeugt und kann nicht bewegt werden. Die Lordose im Bereich 
der Lendenwirbelsäule erscheint verstärkt, die letztere kann nicht ge¬ 
beugt werden. Lumbalpunktion: Dieselbe gelingt ohne Narkose bei 
stark nach vorne lordotisch verkrümmter Wirbelsäule, der Druck 
beträgt im Liegen 340 mm Wassersäule, beim Eintreten eines Krampf¬ 
anfalles schiesst derselbe noch um weitere 100—200 mm in die Höhe. 
Der Liquor ist aniangs klar, wird aber nach einem Krampfanfall 
durch eine artefizielle Blutung getrübt. Die chemische und zoo¬ 
logische Untersuchung des Liquor ergibt nichts Krankhaftes. 100 A.-E. 
Narkotika. 

12. XII. Morgens plötzliches Auftreten eines sehr heftigen 
tonischen Krampfes der Atemmuskulatur. Rasch zunehmende Zya¬ 
nose, elender Puls, beginnendes Lungenödem. Es gelingt durch Aui- 

. legen von heissen Kompressen auf Brust und Kehlkopf, künstliche 
Atmung und reichlich Kampfer die Atmung wieder in Gang zu bringen. 

13. XII. Nachlassen der Krämpfe. Weiter täglich 100 A.-E. 

15. XII. Krämpfe nur noch ganz selten, die Starre der Nacken- 

und Rückenmuskulatur, ebenso die Kieferklemme, sind unverändert. 
Puls besser. Temperatur um 38°. Von heute ab kein Serum mehr. 

18. XII. Auftreten eines ausgedehnten Serumexanthems. Be¬ 
finden sonst unverändert. 

20. XII. Verschwinden des Serumexanthems. 

21. XII. Aufhören der Krampfanfälle. Steifigkeit der Rücken- 


2 ) Ich erwähne das, da es Wirbelerkrankungen nach Typhus in 
seltenen Fällen gibt, sog. Spondylitis typho^a. 

Original from 

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19 . November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1317 


muskulatur unverändert. Der Mund kann besser geöffnet werden. 
Temperatur und Puls normal. 

28. XII. Befinden weiter gut. Das Oeffnen des Mundes ist fast 
in normaler Weise möglich. Der Opisthotonus besteht weiter fort. 
Lumbalpunktion gelingt heute nicht. Die starke Lordose der Lendero- 
wirbelsäule kann weder aktiv noch passiv ausgeglichen werden. 
Auch bei oberflächlicher und tiefer Narkose bleibt die Starre der 
Rückenmuskulatur unverändert, so dass eine für die Lumbalpunktion 
günstige Lagerung unmöglich ist. 

3. I. 18. Lumbalpunktion gelingt aus demselben Grunde auch 
heute in tiefer Narkose nicht. 

5. I. Allgemeinbefinden gut, Nacken- und Rückenmuskelstarre 
ohne Aenderung. Die Lumbalpunktion gelingt heute trotzdem. Der 
Lumbaldruck ist immer noch erhöht, 260 mm Wassersäule. Die 
Untersuchung des Liquors ergibt wiederum nichts Krankhaftes. 

9. I. Subjektives Wohibefindcn. Die Steifigkeit der Rücken¬ 
muskulatur nimmt ab. Temperatur und Puls dauernd normal. Innere 
Organe und Urin: o. B. 

13. I. Weiteres Geringerwerden der Rückenmuskelstarre. Wun¬ 
den am Bein verheilt. 

15. I. Pat. steht auf. Beim Aufsein fällt dem Patienten und 
seiner Umgebung zuerst eine Verkrümmung des Rückens auf. Er 
klagt über Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule. 

17. I. Die Verkrümmung der Brustwirbelsäule wird stärker, 
Pat. erscheint kleiner, hat bei längerem Aufsein Schmerzen im Rücken 
und kann nicht mehr so frei atmen wie sonst. 

Die Deformität nimmt etwa 2 Wochen hindurch an Stärke zu 
und bleibt dann unverändert. Die Untersuchung ergibt folgenden 
Befund: Pat. ist, wenn er ruhig dasteht, 1,67 gross, während er vorher 
1,73m mass; wenn er sich stark streckt, kann er die Verkrümmung 
etwas ausgleichen und misst dann 1.69 m. Die Brustwirbelsäule ist 
im ganzen nach hinten verkrümmt und weicht in den oberen Partien 
efwas nach rechts ab (etwa 2 cm von der Mittellinie). Die Ver¬ 
krümmung ist ziemlich rund und nicht spitzwinklig. Es besteht 
Stauchungsschmerz und geringe Druck- und Klopfempfindlichkeit 
des 4. Brustwirbeldorns. Derselbe ragt nicht nach hinten vor, die 
Verbiegung ist ganz gleichmässig. Der 10. Brustwirbeldorn springt 
ganz wenig gegenüber den anderen nach' hinten vor. Die Lordose der 
Lenden- und Halswirbelsäule erscheint verstärkt. Infolge der Skoliose 
nach rechts ragen das rechte Schulterblatt und die hinteren oberen 
Partien der rechten Thoraxhälfte etwas nach hinten vor. Der Thorax 
steht in Inspirationsstellung und ist ziemlich starr, die Rippen ver¬ 
laufen horizontal, die Interkostalräume sind eng: die Ausdehnungs¬ 
fähigkeit bei der Atmung ist gering 93/91 cm. Das Brustbein ragt 
etwas nach vorne vor (Andeutung von Pectus carinatum). Eine 
Steifigkeit der Muskulatur besteht nicht mehr im Bereich des Nackens, 
die Lendenmuskulatur zu beiden Seiten der Wirbelsäule fühlt sich 
härter an als unter normalen Verhältnissen. Aktive Bewegungen 
der Wirbelsäule sind möglich, doch im Bereich der Lendenwirbel¬ 
säule eingeschränkt. Dieselbe wi^ bei Bewegungen ebenso wie die 
unteren Partien der Brustwirbelspide steif gehalten Im Rönt^enbild 
erscheint die Wirbelsäule gleichmässig verkrümmt. Veränderungen 
an einem Wirbel oder Dislokationen eines solchen sind nicht zu sehen 
— Die unteren Lungengrenzen stehen an normaler Stelle und sind 
wenig verschieblich, Lunge sonst o. B. Am Herz ist ausser einer 
Akzentuation des 2. Pulmonaltons nichts Krankhaftes. 

Die Reflexe sind erhalten, die Kniereflexe gesteigert, kein Ba- 
binski, kein Klonus. keine Sensibilitätsstörungen, keine hyperästhe¬ 
tische Zone am Rumpf. 

Beine liegen auf flacher Unterlage: besonders im warmen Bade 
kann Patient die Verkrümmung um ein Geringes ausgleichen. 

10. III. Patient macht seit 6 Wochen Uebungen am Reck und 
sucht durch Liegen auf flachem Boden mit einer Unterlage unter 
den vorspringenden Partien der Wirbelsäule die Krümmung .auszu¬ 
gleichen. Er nimmt ieden 2. Tag ein be»sses Bad und kann in dem¬ 
selben und gleich danach die Wirbelsäule etwas mehr strecken. 
Nach einer Stunde ist die Wirkung wieder vorbei. Patient hat immer 
noch Schmerzen im Rücken, die im Stehen schon sehr schnell, etwa 
nach V\ Stunde. he ; m Gehen etwas snätcr. nach 1 % Stunden an der 
Stelle der Vorwölbung auftreten. N°ch 5 Minuten Liegen sind die 
Schmerzen wieder verschwunden. Die Pückenmuskulatur ist mebt 
mehr cresnannt. Novokqinversiich: ln die Muskulatur zu beiden Seiten 
der Wirbelsäule werden ie 15 ccm 1 nroz Novo^aHöcung eingesnritzt. 
Nach 10 Minuten ist das Beugen der LendeunuVbelsäiile besser mög¬ 
lich als vorher: dieselbe kann letzt etwas gekrümmt werden. wäWnd 
sie vorher betm Nnchvorneneigen selbst ungebeugt blieb. Patient 
fühlt die Wirbelsäule freier und ..loser als sonst“, wie er sioh aus¬ 
drückt. Er gibt zu. die Wirkung habe 3—4 Stunden angehalten. 

12. III. Adrenalinversuch: Tniektion von 1 ccm 1 nrom. Adrena¬ 
linlösung in die Muskulatur beiderseits der L enden Wirbelsäule. Patient 
merkt nach 10 Minuten ein ..allgemeines Zucken“ im Rücken und in 
der übrigen Muskulatur Er oibt <nnz bestimmt an. dass diesmal 
nach der EHsnr'trung nicht wie vor wenigen Taren Iheim N^vokain- 
versuch) eine Besserung, sondern eine deutsche Verschlechterung 
eingefreten- sei. und es ging ihm ein ähnliches Zucken durch die 
Muskulatur wie damals während der Teta n userkrankung. nur in ge¬ 
ringerem M'asse. Objektiv war an der Muskulatur nichts nacWu- 
weisen. Patient wurde blase und bekam einen schnellen kleinen Puls. 
Nach \% Stunden ging die Wirkung vorbei. 

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25. III. Der Novokain- und Adrenalinversuch ergab bei Wieder¬ 
holung genau dieselbe Wirkung. 

Der Zustand des Patienten ist ziemlich unverändert. Die De¬ 
formität ist bisher nicht zurückgegangen. 

Fassen wir das Wesentliche aus der Krankengeschichte zu¬ 
sammen: 3 Monate nach der Verwundung durch Granatsplitter tritt 
bei einem vorher gesunden 23 jährigen Soldaten nach der operativen 
Entfernung der Splitter eine schwere Tetanuserkrankung auf. Die 
Krampfanfälle hielten 2 Wochen an, während derselben* und noch 
mehrere Wochen nachher waren die langen Rückenmuskeln stark 
kontrahiert, so dass die Hals- und besonders die Lendenwirbelsäule 
dauernd lordotisch stark nach vorne verkrümmt erschienen. Als der 
Patient etwa 4 Wochen nach Aufhören der eigentlichen Tetanus¬ 
erkrankung aufsteht, fällt zuerst eine Kyphoskoliose der Brustwirbel¬ 
säule auf, die sich in den nächsten Wochen anfänglich noch verstärkt, 
um dann unverändert zu bleiben. Der Mann ist um 6 cm kleiner ge¬ 
worden. Auch der Thorax ist etwas deformiert im Sinne eines Pectus 
carinatum. Die Verkrümmung bleibt bestehen, nachdem eine Starre 
der Muskulatur nicht mehr nachweisbar ist. Es handelt sich um 
eine gleichmässige Verkrümmung der Brustwirbelsäule nach hinten 
und nicht um eine spitzwinklige Verbiegung durch Kompression oder 
Dislokation eines Wirbels. Patient bekommt beim Aufsein Schmerzen 
im Rücken und wird infolge der geringen Ausdehnungsfähigkeit des 
Thorax leichter kurzatmig als vorher. Der Lumbaldruck ist während 
und einige Wochen nach Ablauf der eigentlichen Tetanuserkrankung 
erhöht. Die posttetanische Starre der Rückenmuskulatur kann weder 
bei oberflächlicher, noch bei tiefer Narkose gelöst werden. Nachdem 
ein verstärkter Kontraktionszustand der langen Pückenmuskeln nicht 
mehr nachweisbar ist, bleibt die Beweglichkeit der Wirbelsäule ein¬ 
geschränkt. Durch intramuskuläre Novokaininjektion wird für einige 
Stunden die Beweglichkeit eine bessere. Adrenalininjektionen in die 
Rückenmuskulatur verschlechtern den Zustand. 

Wir haben es bei unserem Patienten mit efhem Falle von Spät¬ 
tetanus zu tun, der durch die Operation ausgelöst. 3 Monate nach der 
Verwundung entstand. Solche Fälle voti Spättetanus sind in neuerer 
Zeit mehrfach beschrieben worden ’). Lange Zeit anhaltende Muskel- 
starre wurde gerade beim Spättetanus beobachtet (Meyer und 
We i 1 e r:. M.m.W. 1917 Nr. 50, Schmitt: I. c.). Die intensive 
Starre der Rückenmuskulatur dauerte nach Aufhören der Krämpfe 
noch mehrere Wochen an, war aber In der letzten Zeit nicht mehr 
sichtbar und fühlbar. Trotzdem besteht die Einschränkung der Be¬ 
weglichkeit fort. Dieselbe scheint in unserem Falle teils durch die 
geschilderte Verkrümmung der Wirbelsäule und teils auch durch eine 
Verkürzung der langen Rückenmuskeln zu beiden Seiten der Lenden¬ 
wirbelsäule hervorgerufen zu sein. Ueber die tetanische Muskel¬ 
verkürzung haben Meyer und Weiler interessante Unter¬ 
suchungen ausgeführt 4 ). Sie kamen zu dem Resultate, dass „die 
tetanische Starre nicht durch eine auf dem Wege der motorischen 
Nerven zum Muskel zufliessende Dauerinnervation bedingt ist“ 
(M.m.W. 1917 S. 1615) und dass es sich dabei um einen „Verkürzungs¬ 
zustand der Muskeln handelt, der mit dem. was man gewöhnlich als 
Kontraktion* bezeichnet, nichts anderes als das. äussere Svmptom 
der Verkürzung gemein hat“ (M.m.W. 1916 Nr. 43 S. 1527). Die post- 
tetanische Muskelstarre kann, wie die beiden Autoren gezeigt haben, 
durch Injektionen von Kokain und Novokain, welches durch Aende¬ 
rung der Muskelelastizität wirken soll, vorübergehend gelöst werden, 
wobei die Kontraktilität unveränderlich bleibt. Fröhlich und 
H. H. M e y e r 8 ) erklären die Wirkung des Novokains auf die Muskel¬ 
starre und diese selbst in ganz anderer Weise: die Starre nach 
Tetanus entsteht durch eine dauernde Rückenmarksfunktionsstörung 
mit Dauerinnervation des Muskels und ihre Beeinfiussbarkeit durch 
Novokain ist durch Ausschaltung aller sensiblen und motorischen 
Innervationen des Muskels bedingt. E. M e v e r und Weiler haben 
dann SDäter in überzeugender Weise gezeigt, dass es sich bei der 
nosttetanischen Starre nicht um eine Dauerinnervation handelt 0 ). 
Eine Lösung der Starre tritt schon ein, wenn die indirekte Erregbar¬ 
keit des Muskels vom Nerven aus. die motorische Kraft und die will¬ 
kürliche Bewegungsfähigkeit unbeeinflusst sind. Die Novokain¬ 
wirkung Ist dann auch von anderen Autoren studiert worden 7 ). 

Bei dem von uns beschriebenen Fall liess sich die Starre der 
Rückenmuskulatur selbst in tiefer Narkose nicht lösen. Die geringe 
Beeinfiussbarkeit durch Narkose ist auch von E. Mever und Wei- 
1 e r betont worden. Eine Novokainwirkung war deutlich zu erkennen 
und zwar zu einer Zeit, in welcher eine besondere Starre der langen 
J?ückemmiske1n nicht mehr sichtbar und fühlbar war. Aus der ver¬ 
minderten Bewegungsfähigkeit musste aber eine Verkürzung der 
Muskulatur angenommen werden. Es ist übrigens gerade bei der 
langen Rückenmuskulatur nicht leicht, eine geringe Spannung durch 
Palpation festzustellen. Während der Novokainwirkung war auch 
bei unserem Falle die motorische Kraft und die willkürliche Be¬ 
wegungsfähigkeit unbeeinflusst. Die subjektive Besserung wurde 
aufs bestimmteste mehrfach angegeben und einige Tage darauf bei 


*) Becher: D.m.W. 19i7^Nr. 32. Lossen: M.m.W. 1916 
S. 1778. Strater: D.m.W. 1016 Nr. 13. Schmitt: Grenzgebiete 
30. Heft V2. 

4 ) M.m.W. 1916 Nr. 43, ebenda 1917 Nr. 49 u. 50. 

*) M m.W. 1017 Nr. 9. 

®) M.m.W. 1917 Nr. 49 u. 50. 

7 ) Bai sch: M.m.W. 1918 Nr.5. Blech er: D.m.W. 1917 Nr.36. 

Original from 

UMIVERSITY OF CALIFORNIA 


1318 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


Injektion von Adrenalin ebenso bestimmt geleugnet, obwohl der Mann 
annalim, dieselbe Einspritzung zu bekommen. Zur Prüfung der in¬ 
direkten Erregbarkeit während der Novokainwirkung ist die Rücken¬ 
muskulatur ungeeignet. E. Meyer und Weiler weisen auf die 
Möglichkeit der Einwirkung des Novokains auf das sympathische 
System hin, welches nach Ansicht mehrerer Autoren eine besondere 
Innervation des Muskels aussendet. Von dieser Annahme ausgehend, 
habe ich. eine der Novokainwirkung entgegengesetzte Wirkung ver¬ 
mutend, Adrenalin intramuskulär gegeben und konnte daraufhin die 
beschriebene Verschlechterung mehrfach feststellen. Ich möchte 
diesen Versuch nur erwähnen und keine besonderen Schlüsse daraus 
ziehen, da unser Fall zum Studium dieser Verhältnisse äusserst un¬ 
geeignet ist. 

Die Lumbaldrucksteigerung, die während und nach der Erkran¬ 
kung bestand und das weitere Ansteigen des Lumbaldruckes während 
eines Krampfanfalles lässt sich zwanglos durch die Muskelaktion 
erklären, die ja stets druckerhöhend wirkt. Dazu kommt noch, dass 
durch Beugen des Kopfes in den Nacken der Lumbaldruck erheblich 
ansteigen kann 8 ). Zur Zeit der Punktionen hatte der Patient wegen 
der Starre der hinteren Halsmuskulatur den Kon f dauernd In den 
Nacken gebeugt. E. Meyer und Weiler nehmen als Ursache 
für das Zustandekommen der Thorax- und Wirbelsäulendeformität 
ausschliesslich den Zug der Musculi pectorales an. In unserem Falle, 
bei welchem die Verkrümmung der Wirbelsäule in den Vordergrund 
tritt, scheint in erster Linie der lange Zeit anhaltende starke Zug 
der langen Riickenmuskeln. wodurch die phvsiologischen Krüm¬ 
mungen der Wirbelsäule verstärkt werden, als Ursache in Betracht 
zu kommen. Durch den kräftigen Zug der der Wirbelsäule parallel 
verlaufenden Muskulatur wird dieselbe in ihrer Längsrichtung von 
oben nach unten zusammengezogen, dabei ist die Soanmmg im Be¬ 
reich des Halses und der T.endengeeend besonders stark. Die nhvsio- 
logische Krümmung der Brustwirbelsäule nach hinten wird auf diese 
Weise stärker. Durch ungleichen Zue auf beiden Se ; ten ent" r ic v e1t 
sich die Skoliose. Die Wirbelsäulenverkrümmung hat dann die be¬ 
schriebenen Thoraxdeformitäten im Gefolge. 


Aus dem Peservelazarett 8 (chirurgisch-orthopädische 
^Universitätsklinik) (Chefarzt: Prof Or Ludloff.) 

Ueber Gibbusbilduna bei Tetanus. 

Von Oberarzt d. R. Dr. Eberstadt. 

Es soll ln den folgenden Ausführungen über eine hochgradige 
Gibbusbildung bei chronischem Tetanus berichtet werden. Das Auf¬ 
treten eines Soättetanus, sowie dessen Verlauf ist in der Literatur 
während des Krieges (u. a. auch von Heichelheim aus dieser 
Klinik, M.m.W. 19*6 Nr. 47) mehrfach ausführlich geschildert worden. 

fch glaube jedoch, dass die Entstehune einer so schweren Wir¬ 
belsäuleveränderung, wie sie^slch in der Gibbusbildung zeigt, zu den 
grössten Seltenheiten gehört. 

Der vorliegende Krankheitsfall war auch wiegen der anfänglich 
so schwierigen Diagnosenstellung bemerkenswert. 

Die eigentlichen typischen Symptome des Tetanus sind erst ver¬ 
hältnismässig snät aufpetreten, so dass die anfänglichen Erschei¬ 
nungen von seiten des 
Nervensystems, sowie 
die Veränderung der 
Wirbelsäule auf ganz 
andere Prozesse schlies- 
sen lassen konnten. 

Es erscheint zweck¬ 
mässig, kurz die Krank¬ 
heitsgeschichte zu be¬ 
sprechen: 

Der. Füsilier W., 29 Jahre alt, früher stets gesund gewesen, 
wurde am 9. Juni 1916 durch Granatsplitter am linken Ellbogen ver¬ 
wundet. Es trat eine starke Eiterung des Ellbogengelenkes ein. Das 
Röntgenbild ergab eine totale Zertrümmerung des Gelenkes mit 
mehreren Granatsplittern in der Gegend der Bruchstelle. 

Die entzündlichen Erscheinungen gingen unter anfänglichen Tem¬ 
peratursteigerungen langsam zurück. 

Auffallend war, dass der Patient stets besonders blass war. Ein 
Anhaltspunkt dafür konnte in dem Zustand der inneren Organe nicht 
gefunden werden. 

Mitte August, also 2 Monate nach der Verletzung traten Geh¬ 
störungen auf. Patient ging ausserordentlich steif. Der Gang war 
spastisch-paretisch. Die Untersuchung ergab eine Andeutung von 
Nystagmus, keine Pupillenveränderung, etwas monotone Sprache, 
etwas Silbenstolpern. Der Mund konnte nicht so weit geöffnet wer¬ 
den, als früher. 

Beim Stehen allgemeiner Tremor. An den oberen Extremitäten 
keine Veränderungen. Geringe Spasmen in den unteren Extremitäten. 
Sehr erhöhte Kniescheibenreflexe, ausgesprochener Fussklonus bei¬ 
derseits. Babinski positiv. Sensibilität normal. 


8 ) E. Becher: Untersuchungen über die normale Höhe des 
Lumbaldruckes und sein Verhalten bei verschiedener Lagerung des 
Oberkörpers und des Kopfes. Grenzgebiete 30. 1/2. Heft. 1918. 


Die Erscheinungen von selten der Kiefermuskulatur waren nicht 
sehr ausgesprochen, so dass man wohl an einen Trismus bei Tetanus 
dachte, aber auch andere Krankheiten des Zentralnervensystems ln 
Betracht ziehen musste. 



Von fachärztlicher Seite wurde deshalb auch eine Erkrankung 
der Pyramidenbahnen und des motorischen Kernes des Trigeminus in 
der Obiongata in Erwägung gezogen. 

Die Wassermann sehe Reaktion war im Blut und Lumbal¬ 
punktat negativ. 

Anfang September traten Schmerzen im Rücken auf. Allmählich 
veränderte sich auch die Haltung der Wirbelsäule. Die obere Brust¬ 
wirbelsäule zeigte eine starke Wölbung, der 5. und 6. Brustwirbel 
waren sehr druckempfindlich. Die Erscheinungen hatten sich im 
übrigen nicht verändert. Dagegen waren jetzt Schluckbeschwerden 
vorhanden 

Die Temperatur war dauernd normal. Der Gibbus sprach für 
einen Herd in der Wirbelsäule. Allmählich verschlechterte sich das 
Allgemeinbefinden sehr. Schreckhaftigkeit und Zuckungen im ganzen 
Körper traten hinzu. Der Gesichtsausdruck veränderte sich, der 
Gibbus nahm zu. 

Jedes Geräusch, wie das Oeffnen der Zimmertüre, löste Zuk- 
kungen, die sich allmählich zum Krampf steigerten, aus, das Krank¬ 
heitsbild näherte sich immer mehr dem des Tetanus. 

Die Krämpfe der Rückenmushein steigerten sich bis ins Un¬ 
erträgliche, so dass nur noch Morphiumeinspritzungen eine geringe 
Linderung brachten. 

Das hochgradige Hervorspringen des 5. Brustwirbels mit der 
immer mehr sich steigernden Gibbusbildung deuteten auf einen Zu¬ 
sammenbruch des 4.—5. Brustwirbels. 

Sehr hohe Dosen von Tetanusserum konnten das Krankheitsbild 
nicht verändern. 

Unter zunehmender Körperschwäche, gesteigerten Krampfanfäl¬ 
len und Temperatursteigerung trat am 6. Oktober 1916 der Tod durch 
Atemlähmung ein. 



Während des ganzen Krankheitsverlaufes traten besonders die 
heftigen Krämpfe der Nacken- und Rückenmuskulatur hervor, 
andererseits Symptome, die auf Zwerchfellkrämpfe hinwiesen. 

Parallel mit dem Zunahmen der tetanischen Zuckungen ging 
das Fortschreiten der Gibbusbildung. 

Das Röntgenbild zeigte wohl einen Zusammenbruch des 4. und 
5. Brustwirbels, eine Herderkrankung (Erweichungsherd) konnte je¬ 
doch nicht festgestellt werden. 



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Original ff am 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




19. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1319 


Die Obduktion, ausgeführt im Pathologischen Institut der Uni¬ 
versität (Direktor: Prof. Dr. Fischer) bestätigte den klinischen 
Befund Gibbus bei Kompression des 4. und Abflachung des 3. und 
5. Brustwirbels. 

Mikroskopisch: Wirbelsäule: Es finden sich im Bereiche 
des Gibbus des Wirbels zahlreiche zertrümmerte, zerbrochene und 
zusammengepresste Knochenbälkchen, die einen ziemlich regellosen 
Haufen bilden. An vielen Stellen ist das Knochenmark durch ein 
ödematöses, gefässreiches Fasermark ersetzt, das Herde kleiner 
Rundzellen mit reichlichem Protoplasma und einigen Plasmazellen 
enthält. Geringe Neubildung von Knochengewebe mit unregelmässi¬ 
ger Verkalkung. Für einen spezifischen Prozess keinerlei Anhalt. 

Wir stellen also das Auftreten eines Gibbus bei langdauerndem 
Tetanus fest. 

Der anatomische Befund kann uns eine ausreichende Erklärung 
fiir dessen Entstehung nicht geben. 

Für Tuberkulose und Lues war klinisch und anatomisch kein 
Anhaltspunkt. 

Das Protokoll der mikroskopischen Untersuchung weist aus¬ 
drücklich auf das Fehlen eines spezifischen Prozesses hin. Infolge¬ 
dessen war auch ein Tumor auszuschliessen. 

Eine akute Osteomyelitis der Wirbel ergreift im allgemeinen die 
Bogen und Querfortsätze und geht mit Abszcssbildung einher, meist 
ohne Gibbusbildung. 

Der Prozess verläuft innerhalb weniger Tage. 

Eine Spondylits typhosa war klinisch auszuschliessen. Dieses 
Krankheitsbild macht auch viel leichtere Erscheinungen. 

Es liegt deshalb nahe, die Ursache für die Entstehung des Gibbus 
in dem Tetanus selbst zu suchen. Auf das Auftreten von Wirbcl- 
entzündungen bei anderen Infektionskrankheiten, wie der Osteo¬ 
myelitis oder des Typhus, ist hingewiesen worden. Eine so schwere 
Form des Tetanus, wie im vorliegenden Fall, kann wohl auch die 
Wirbelsäule ergreifen. 

Wir müssen annehmen, dass durch die Bazillen selbst oder deren 
Toxine eine Veränderung des entsprechenden Wirbels zustande ge¬ 
kommen ist, wie sie die mikroskopisch-anatomische Untersuchung 
ergeben hat. 

Als auslösendes Moment fiir die Entstehung des Gibbus sind 
dann sekundär die hochgradigen Muskelkrämpfe anzusehen. 

Dass ein derartiger Muskelzug, der einerseits von oben (Nak- 
ken- und oberer Rückenmuskulatur) andererseits von unten und 
innen (untere Rücken- und Lendenmuskulatur und Zwerchfell) an¬ 
setzt, einen veränderten, möglicherweise kalkarmen Wirbel zum 
Zusammenbruch bringen kann, ist einleuchtend. 

Die Veränderungen des Wirbels allein möchte ich nicht für den 
Zusammenbruch verantwortlich machen, da man in diesem Fall wohl, 
wie bei der Tuberkulose, einen ausgesprochenen Erwcichimgshcrd 
hätte finden müssen. 

Der vorliegende Fall scheint mir deshalb von klinischem Inter¬ 
esse zu sein, weil eine Gibbusbildung meines Wissens bisher nicht 
bei Tetanus zur Beobachtung gekommen ist. 

Vielleicht dürfte seine Entstehungsweise auch lehrreich sein bei 
der Beurteilung der Ursachen anderer Rückgratsverkrümmungen. 


Aus dem Reserve-Lazarett München D. 

(Chefarzt: Generalarzt Dr. Fruth.) 

Ueber die Behandlung der Hirnabszesse mit Eigenblut¬ 
einspritzungen. 

Von Oberstabsarzt Dr. Gottfried Trautmann, 
ordinierendem Arzt der Hals-, Nasen-, Ohren-Station (C). 

Die Operationsresultate traumatischer und otogener Hirnabszesse 
sind immer noch keine zufriedenstellenden. Meist entsteht in der Nach¬ 
behandlungszeit oder auch später eine fortschreitende Enzephalitis oder 
Meningitis, die die Freude, den Hirneiterherd gefunden und eröffnet zu 
haben, durch letalen Ausgang zunichte machen. Sicherlich liegt der 
Schwerpunkt in der Nachbehandlung. Aber wie wenig feststehend 
deren Art ist, geht schon aus der Fülle der Vorschläge hervor, die be¬ 
züglich dieser gemacht werden. 

Abgesehen von der sicher günstig wirkenden Darreichung von 
Urotropin, dessen keimhemmende Wirkung im Liquor cerebrospi¬ 
nalis nach Henke zum ersten Male von C ro w e festgestellt wurde, und 
anderen Massnahmen, ist die Frage der Drainage nicht geklärt. Ma- 
nasse nimmt niemals Gummi-, Glas- oder andere Röhren, sondern 
nur lockere Gaze. Bäräny empfiehlt Einführen von glattgelegten 
Guttaperchastreifen, andere wieder Zigarettendrains etc. Bei Anwen¬ 
dung aller dieser Nachbehandlungsarten habe ich schon oft die Macht¬ 
losigkeit ärztlichen Wirkens erfahren müssen. Es ist daher zu ver¬ 
stehen. wenn ich eine von O. Muck in Essen angegebene Methode 
aufgriff, die darin besteht, Blut, das aus einer Armvene des Patienten 
entnommen wird, in die entleerte Abszesshöhle einzuspritzen. Auf 
dieses Vorgehen glaubte der Autor die noch nach 5 Monaten beob¬ 
achtete Heilung eines eröffneten otitischen abgekapselten Hirnabszesses 
zurückführen zu dürfen. 

Die zwei Fälle, die ich auf meiner Abteilung in dieser Weise be¬ 
handelte, sind folgende: 

Nr. 47 . 

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I. Jul. St., 29 J., Pionier. Zugegangen 27. XI. 17. 
Rezidivierende Eiterung in einer linksseitigen Ohrradikal- 

operationshöhle mit Pseudo-Cholesteatombildung. 

Schläfen hirnabs’zess. 

Vater an Lungen- und Kehlkopfleiden im Irrenhause gestorben, 
Mutter an Herzschlag gestorben. Als Kind englische Krankheit und 
Masern. 

1905 linksseitige Mittel ohrei terung, die in einer Uni¬ 
versitäts-Ohrenklinik operiert wurde. Vom 12. VIII. 15 bis 
12. VIII. 16 je 6 Wochen bis 4 Monate 3 mal im Felde, in der Zwischen¬ 
zeit und nachher in verschiedenen Lazaretten, wo dem Pat. schon 1915 
eine erneute Ohroperation vorgeschlagen wurde, die er aber 
verweigerte. Wegen Ohrenschmerzen links in das Lazarett am 

27. XI. 17. 

Befund: Cholesteatommassen in einer linksseitigen Ohrradikal¬ 
operationshöhle. Zunächst konservative Behandlung. Die ständigen 
Schmerzen im linken Ohr und im Bereiche des Schläfenbeins machten 
im weiteren Verlaufe die Diagnose: otogener Hirnabszess 
oder sonstige intrakranielle Komplikation wahrscheinlich, 
weshalb ani 20. XII. 17 die Operation ausgeführt wurder Freilegung 
der alten Ohrradikaloperationshöhle. Aufmeisslung der mittleren 
Schädelgrube. Die Dura pulsiert nicht. Nach Spaltung dieser ziem¬ 
lich tiefe Inzision in die Schläfenhirnbasis negativ. Am 26. XII. 17 beim 
Verbandwechsel Herausstürzen von blutiger Jauche aus der 
H irn i nzisi on, von der aus man in eine zirka hühnereigrosse Ab¬ 
szesshöhle kommt. Die Inzision hatte anfangs den Abszess nicht er¬ 
reicht, dieser war durch das zwischen Inzision und Eiterhöhle liegende 
Hirngewebe erst allmählich durchgebrochen. Bei den folgenden Ver¬ 
bandwechseln, bei welchen mit steriler Gaze drainiert wurde, immer 
wieder Herausstürzen von enormen Mengen eitriger Jauche. Am 

28. XII. 17, 30. XII. 17 und 2. I. 18 nach Austupfung Einspritzung 
von je 5 ccm aus der rechten Armvene des Pat. entnom¬ 
menen Blutes in die Abszesshöhle nach Muck. DieHöhle 
füllt sich immer wieder mit Eiter. 

Inzwischen sensorische Aphasie, keine klinischen Zeichen für 
Meningitis, Augenhintergrund normal, kein Druckpuls. Somnolenz.. 
Exitus am 3. I. 18. 

Obduktion: 3. I. 18 (landsturmpfl. Arzt Dr. Fahrig, Patholog. 
Anatom.): Anatomische Diagnose: Status nach Eröffnung der 
linken mittleren Schädelgrube wegen Hirnabszesses, ausgehend von einem 
Pseudocholesteatom in einer älteren Ohrradikaloperationshöhle. Grosser 
alter abgekapselter Abszess. Frische Enzephalitis und zitronenfarbenes 
Oedem des linken Schläfenlappens. Starke Kompression des Gehirns. 
Frische eitrige Leptomeningitis der Basis. 

Die hühnereigrosse quergestellte Abszesshöhle an der Schläfenhirn¬ 
basis enthält nur eine geringe Menge schmutzig roter trüber Flüssigkeit 
und ist mit einer abziehbaren zähen schmutzig graugrünen Membran 
ausgekleidet. 

II. Joseph W., 27 J., Landsturmmann, Inf. Zugegangen 9. X. 17. 

Chronische Mittelohneiterung und Schläfenhirn¬ 
abszess links. 

1904 nach dem Baden links Ohrensausen, 3 Monate lang dauernd. 
Seit 1916 nach dem Baden Ausfluss aus dem linken Ohr, der sich seit 
Anfang 1917 verstärkt hat. Mitte September 1917 infolge Erkältung beim 
Postenstehen im Felde stechende Ohrenschmerzen links: 

Aufnahme am 9. X. 17. Diagnose: Otitis med. pur. ehr. sin. 
In der unteren Trommelfellhälfte zwei zentrale Perforationen. In der 
Folgezeit starke Eiterung. Am 1. XI. 17 Tenip. = 38,1. Puls = 60! 
Starke Kopfschmerzen, Brechreiz, starke Eiterung. 

H irnabszess? Dann schwankende Temperatur zwischen 36 und 39, 
Puls zwischen 60 und 94. Guter Eiterabfluss. Besserung des Allgemein¬ 
befindens. Am 16. XI. 17 Stimmgabel ai mässig verkürzt, Warzenfort¬ 
satz druckempfindlich. Am 20. XI. 17 starke Kopfschmerzen, plötz¬ 
liches Versiegen der Ohreiterung, Augenhintergrund normal. 
Am 22. XI. 17 Babinski positiv. Am 22. XL 17 Operation links. 
Beim Aufmeisseln des Warzenfortsatzes liegt der Sinus sigmoideus 
anormal vorgelagert über dem Antrum. Eröffnung der hinteren Schädel¬ 
grube und des vorgelagerten Sinus, der flüssiges Blut emhält. Total- 
aufmeisslung aller Mittelohrräume, die Granulationen, aber keinen Eiter 
enthalten. Oberhalb des knöchernen Gehörgangs an der Jochbein¬ 
wurzel eine Zelle mit matschen Granulationen, durch die man mit der 
Sonde in die mittlere Schädelgrube gelangt. Aufmeisslung der mittleren 
Schädelgrube durch Wegnahme des Tegmen antri et tympani sowie der 
oberen knöchernen Gehörgangswand. Die freigelegte Dura, die nicht 
pulsiert, missfarben und verdickt ist sowie mit der Hirnsubstanz fest 
verwachsen ist, wird mit dieser inzidiert. Es stürzt Eiter und 
jauchige Flüssigkeit aus einer zirka hühnereigrossen, 
hoch nach oben reichenden Abszesshöhle heraus. Bereits 
erfolgter Ventrikeldurchbruch? Lockere Tamponade der Abszess- und 
Operationshöhle. Am 23. XI. 17 starke Kopfschmerzen, keine Benommen¬ 
heit. Temp. = 37,0. Puls = 80/84. Am 24. XI. 17 aus der Abszess¬ 
höhle viel Eiter. Statt des Tampons Einschieben eines Gutta- 
perchastreifens nach Bäräny. Kopfschmerzen- Temp. = 37,5. 
Puls = 82. Am 25. XI. 17 Kopfschmerzen auf der anderen, rechten 
Seite, die nach der rechten Gesichtsseite ausstrahlen! Temp. = 36. 
Puls 80/68. Am 27. XI. 17: Beim Verbandwechsel stürzt zirka */» Liter 
fötider Eiter aus der Hirnabszesshöhle. ln diese werden nach 
Austupfung 5 ccm aus einer rechten Armvene des Pat. 
entnommenen Blutes eingespritzt Nachher lockere Tamponade. 

3 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1320 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 


Entfernung des Tampons aus der hinteren Schädelgrube. Der operativ 
eröffnete Sinus sigmoideus ist einfach thrombosiert. Temp. = 36,3. 
Puls = 72/74. Am 28. XI. 17 Temp. = 36,9. Puls = 72. Nachmittags 
enorme Kopfschmerzen rechts! Aufschreien. Beim Verbandwechsel 
überraschender Befund: hühnereigrosse Abszesshöhle 
gut übersichtlich, frei von Eiter und rot austapeziert. 
Nochmaliges Einspritzen von 5 ccm Venenblutes des 
Pat. Am 29. XI. 17 wieder starke Kopfschmerzen rechts. Temp. = 36,6 
Puls = 72. Aufschreien und Somnolenz. 30. XI. 17 nachts Aufschreien, 
Somnolenz, Verfall, Exitus. 

Obduktion 2. XII 17 (Oberstabsarzt Prof. Dr. Borst). Anato¬ 
mische Diagnose: Befund nach Radikaloperation am linken Gehör¬ 
gang mit Eröffnung der hinteren und mittleren Schädelgrube und ein¬ 
fache Sinusthrombose. Hirndruck. Membranisierter Himabszess im 
linken Temporallappen durch Blutgerinnsel ausgefüllt. Frische Enze- 
halitis (?) in der Umgebung dieses Abszesses d. h. in der ganzen 
ubstanz des Temporallappens. Ditfuse Stauung in den inneren Organen, 
speziell in den Lungen. Umschriebene pleuritische Verwachsungen 
links mit zugehörigen vernarbten, kalkigen Herden im linken Oberlappen. 

Aus de m [Protokoll: Das ganze Schläfenhirn ist stark ver- 
grössert, geschwollen. An der Basis des linken Schläfenhirns ein rund¬ 
licher Defekt, durch den man in die Tiefe der Hirnsubstanz gelangt. 
Beim Einschneiden trifft man auf einen etwas verzweigten, schon mem- 
branisierten Abszess, der mit Blutkoagulis vollständig ausgefüllt ist. 
Die Umgebung dieses Herdes ist weithin blass, gelblich gefärbt und 
aufs äusserste erweicht. Im linken Seiten Ventrikel findet sich ziemlich 
klare, nur ganz leicht getrübte Flüssigkeit. Ventrikelependym ist blass, 
an der Spitze des Hinterrandes intakt. Grosshirnsubstanz auf der linken 
Seite von blasser Marksubstanz, wenig Blutpunkte, ziemlich blasse Rinde. 
Keinerlei Herderktankungen, ebensowenig auf der rechten’Seite. Das 
gesamte Temporalhirn abnorm weich, die weisse Substanz gelblich, die 
graue ganz schmutzig violettgraru. 

Nachträgliche genauere Untersuchung des linken 
Schläfenhirns: 14. 11. 18 

„Die Untersuchung des otogenen Sch I ä f en h ir n ab- 
szesses des Landsturmmannes W. (gest. 30. XL 17, obdu¬ 
ziert 2. XII. 17) hat zunächst ergeben, dass medialwärts 
von dem grossen älteren Abszess noch ein kleinerer 
hinterer Abszess vorhanden war. Die Abszesse standen 
untereinander in Zusammenhang. Die frischere Absze¬ 
dierung enthielt aber kein eingespritztes Blut, bzw. kein 
Blutgerinnsel. Rings um die Abszesse war mikroskopisch 
das Hirngewebe stark aufgelockert, die Glia- und Gang¬ 
lienzellen geschwollen, letztere vielfach zu kernlosen 
scholligen Gebilden entartet. Kleinste Blutaustritte 
fanden sich in dem aufgelockerten Hirngewebe. Dieses 
war reichlich von polymorphkernigen und einkernigen 
Wanderzellen durchsetzt. Die Gefässscheiden waren er¬ 
füllt mit einkernigen, rundlichen lympho bzw. plasmozy¬ 
tären Elementen. Die diffus den Abszess umgebende 
Zone der Auflockerung und Zellinfiltration kann nicht 
anders als eine Zone frischer Entzündung aufgefasst 
werden, so dass sich die schon makroskopisch gestellte 
Diagnose einer frischen Enzephalitis rings um den Ab¬ 
szess durch die histologische Untersuchung durchaus 
bestätigen liess.“ 

Es handelt sich um zwei Fälle von linksseitigem Schläfen¬ 
hirnabszess nach chronischer Mittelohreiterung. 

Im ersten Falle (Jul. St.), der vor 13 Jahren radikal operiert worden 
und mit einer ausgedehnten Pseudocholesteatombildung kompliziert 
war, wurde nach chirurgischer Behandlung des Hirnabszesses in Zwischen¬ 
räumen von zwei bis drei Tagen dreimal je 5 ccm aus einer Armvene 
des Patienten entnommenes Blut in die entleerte Abszesshöhle einge¬ 
spritzt. Im anderen Falle (Jos. W.) wurde das Gleiche an zwei auf¬ 
einanderfolgenden Tagen gemacht. 

In klinischer Hinsicht zeigte die Bluteinspritzung im ersten 
Falle keinerlei Einwirkung. Die Höhle füllte sich immer wieder von 
neuem mit Eiter. Dagegen zeigte der zweite Fall nach der ersten und 
auch der zweiten Einspritzung ein überraschendes Bild: Die 
Abszesshöhle war frei von Eiter, trocken, gut übersicht¬ 
lich und von dem geronnenen Blute rot austapeziert. 

Es scnien also hier das einzutreten, was man zur Vermeidung einer 
fortschreitenden Enzephalitis erstrebt hatte, nämlich die Bildung eines 
Schutzwalles um die Abszesshöhle herum. Freilich klingt es a priori 
paradox, aus diesem Grunde Blut zu verwenden, nachdem gerade dieses 
als günstiger Bakteriennährboden gilt und man sonst Hämatome möglichst 
zu entfernen trachtet. 

Der Fall von O. Muck ging in Heilung über, was der Autor auf 
die Hyperinose des Blutes zurückführt. In meinen beiden Fällen, die 
letal endeten, konnte ich eine auffällig schnelle Gerinnungsfähigkeit des 
Patientenblutes nicht beobachten. 

In anatomischer Hinsicht war die Frage, ob in den beiden 
Fällen der Propagierung der Entzündung durch die Bluteinspritzung 
Einhalt getan wurde, durch die Obduktionsbefunde klar beantwortet. 

Im ersten (Obduz. L. A. Dr. Fahrig) und zweiten Falle (Obduz. 
O.St.A. Prof. Dr. Borst) bestand eine frische Enzephalitis in der 
Umgebung des Hirnabszesses. 

Beide Fälle waren, wie sich bei der Obduktion herausstellte, alte 
abgekapselte Abszesse. Aber auch der geheilte Fall von O. Muck 


war abgekapselt, obwohl er nach der Anamnese jüngeren Datums gewesen 
zu sein scheint. Das Vorhandensein einer Kapsel kann man hienach 
nicht für die Wirkungslosigkeit der Blutbehandlung in meinen Fällen 
ausschliesslich verantwortlich machen. 

Trotzdem entsteht aber die Frage, ob nicht bei frischen, noch 
nicht abgekapselten Abszessen ein Erfolg in dem Sinne erwartet werden 
darf, dass durch das geronnene Eigenblut erst eine Art neuer Kapsel 
gebildet wird, die aus unbekannten Gründen tatsächlich einen Schutz 
vor einer weiterschreitenden Enzephalitis gewährt. 

Diese Erwägung halte ich für wohl wert, mit der von O. Muck 
angegebenen Blutinjektionsbehandlung bei Hirnabszessen in Fällen, in 
denen die bisherige Behandlung keine Aussicht auf Erfolg bietet, noch 
weitere Versuche anzustellen. 

L i t e ria t u r: 

Robert Bäräny, Die Drainage der Hirnabszesse mit Guttapercha etc. 
Feldärztl. Beilage zur Münchener med. Wochenschrift 1945, Nr. 4. — 
Crowe, Bulletin of the Johns Hopkins Hospital 1908 1909 c. v. Henke. 

— Fritz Henke, Ueber den gegenwärtigen Stand der Therapie der 
eitrigen Meningitis. Beihefte zur Med. Klinik, 1912, VIII. Jahrgang, Heft 2. 

— Paul Manasse, Zur Therapie des Hirnabszesses. Feldärztl. Bei¬ 
lage zur Münchener med. Wochenschrift 1915, Nr. 43. — O. Muck, 
Günstiger Verlauf einer Encephalitis purulenta nach Einspritzung von 
(hypennotischem) Blut in den Krankheitsherd. Münchener med. Wochen¬ 
schrift 1917 Nr. 34. 


Aus dem Reservelazarett für Kriegsneurotiker zuGelenau i.Sa. 

Steigerung der Bauchdeckenreflexe bei funktionellen 
Neurosen. 

Von Stabsarzt Dr. Liebers. 

Im Gegensatz zu dem Verhalten der Sehnenreflexe, deren Steige¬ 
rung als häufigstes objektives Krankheitszeichen für die Diagnose 
der allgemein-erhöhten Reflexerregbarkeit bei funktionellen Neurosen 
in Betracht kommt, gilt das Verhalten der Hautreflexe und auch der 
Bauchdeckenreflexe bei diesen Erkrankungen für weniger konstant. 

v. Strümpell, Müller, Seidelmann u. a. behaupten zum 
Teil auf Grund von Massenuntersuchungen an Soldaten, dass der 
Bauchdeckenreflex bei den Gesunden regelmässig vorhanden sei, 
während Oppenheim noch in der letzten Auflage seines bekannten 
Lehrbuchs der Nervenheilkunde nur zugibt, dass er „in der Regel“ 
bei Gesunden* vorkommt. Auch spricht er sich im Gegensatz zu 
Gowers und Din kl er, die einen oberen, mittleren und unteren 
Bauchdeckenreflex annehmen, mehr für die Unterscheidung eines 
nur supraumbilikalen und infraumbilikalen Reflexes aus. 

Ich habe nun bei der Untersuchung vieler Hunderter von Kriegs¬ 
neurotikern mit allgemein stark erhöhter Reflexerregbarkeit insbe- 
sonders mit stark erhöhten Sehnenreflexen gefunden, dass bei ihnen 
auch die Bauchdeckenreflexe, stark erhöht waren, und dass sich 
diese Erhöhung der Bauchdeckenreflexe nicht . nur dokumentierte 
durch starke ausgiebige Zuckungen der Bauchdeckenmuskulatur 
sondern vor allem regelmässig durch eine Verbreite¬ 
rung der refl exogenen Zone bis Li u. Lz. 

Schon früher war zuerst von Dinkler, dann später auch von 
Bechterew. Geigel, Crocv u. Kornilow sowie von Bern¬ 
hardt darauf hingewiesen worden, dass man auch unter normalen 
Verhältnissen bei Reizung der Innenseite des Oberschenkels durch 
Streichen mit dem Stiel des Perkussionshammers beim Weibe 
namentlich eine Zuckung in der Regio hypogastrica und der untersten 
Bändel des M. obliquus internus auslösen kann (Leistenreflex), beim 
Manne nach Bernhardt namentlich dann, wenn der Kremaster¬ 
reflex zu stände kommt. 

Nach meinen Beobachtungen kann das aber nicht als Norm gelten, 
sondern es findet sich diese Erscheinung nur auch bei sonst erhöhter 
allgemeiner Reflexerregbarkeit insbesonders bei erhöhten Sehnen¬ 
reflexen etc. 

Dann konnte ich weiter finden, dass auch oft die obere Bauch¬ 
deckenmuskulatur an der Reflexzuckung mit teilnahm, und dass kein 
strenger Parallelismus zum Kremasterreflexe bestand, obwohl er in 
den meisten Fällen wohl auch erhöht war. 

Auf Grund meiner Beobachtungen an Kriegsneurotikern mit all¬ 
gemein erhöhter Reflexerregbarkeit halte ich mich daher zu der 
Annahme berechtigt, dass die Bauchdeckenreflexe dann 
als gesteigert angesehen werden müssen, wenn sie sich schon 
auslösen lassen durch Reizung von Li bis La, d. h. bei der 
gewöhnlichen Prüfung des Kremasterreflexes durch Streichen mit 
dem Perkussionshammerstiel über die obere Innenfläche des Ober¬ 
schenkels. 

Diese Erscheinung findet sich am häufigsten bei Personen, bei 
denen auch die übrige Untersuchung zur Annahme einer funktionellen 
Neurose mit allgemein erhöhter Reflexerregbarkeit berechtigt. 

Anmerkung bei der Korrektur: Literatur siehe S ö - 
denbergh: Ueber die normalen Bauchdeckenreflexe. Neurol. Zbl. 
1918 N T. 7. 


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Gck igle 


Qrigiral frcm 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



19. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1321 


Autoserumbehandlung beim Fünftagefieber. 

Von Dr. H. Rogge, ldstpfl. Arzt und E. Brill, Feldhilfsarzt 
bei einer Sanitätskompagme. 

Eine spezifisch-therapeutische Beeinflussung des Fiinftage- 
iiebers ist bisher noch nicht gelungen. 

Unabhängig von anderweitigen Versuchen mit Autoserum¬ 
behandlung, wie sie besonders bei Fleckfieber vor kurzem beschrie¬ 
ben wurden (D.m.W.. 1918 Nr. 25, G y ö r i) haben wir in den bei uns 
nur spärlich vorkommenden Fällen von Fünftagefieber eine Auto- 
serunnbehandlung angewandt. Die Theorie, die wir der Behandlung 
.zugrunde legten, war folgende: Das Fünftagefieber ist ein Fieber mit 
Intervallen. Dies kann heissen, dass der einzelne Anfall für eine 
Reihe von Tagen (bei typischen Fällen also bis zum 5. Tag) eine 
gewisse Immunität verleiht. Das Optimum dieser Immunität liegt 
.zwischen beiden Anfällen vielleicht genau in der Mitte. Entnimmt 
man zur Zeit dieses Optimums dem Körper Blut, so schützt man 
dadurch die im Serum dieses Blutes vorhandenen Immunkörper vor 
dem Verbrauch bzw. vor der weiteren Einwirkung der Krankheits¬ 
erreger. Führt man unmittelbar vor dem Anfall dem Körper dieses 
also geschützte Immunserum wieder zu, so ist es vielleicht in rich¬ 
tiger Dosierung durch direkte oder indirekte Wirkung imstande, den 
Anfall zu unterdrücken und- die Krankheit zu heilen. 

Eine derartige Wirkung wäre theoretisch bei allen Infektions¬ 
krankheiten, die Intervalle oder auch nur Remissionen aufweisen, 
^denkbar, also auch bei der Tuberkulose. Praktisch führten wir 
‘demnach die Versuche so aus, dass wir am 2.—3. Tage nach dem 
Anfall Blut entnahmen und die erhaltene Serummenge kurz vor dem 
zu erwartenden Anfall subkutan einspritzten. Das Blut wurde in 
Blutröhrchen steril aufgefangen und kühl aufbewahrt, nicht zentri¬ 
fugiert. 




Fall I. Gefreiter G. Am 20. IV. erkrankt mit Schüttelfrost, 
Fieber, Kopfschmerzen und Erbrechen. Nach dreitägiger Revierbc- 
handlung dienstfähig entlassen. Am 23. IV. erneut Krankmeldung 
wegen Kopfschmerzen und Fieber. 23. IV. Pat. klagt über starke 
Mattigkeit und Abgeschlagenheit in den Gliedern. Temp. 38,2°. 
Puls 80. Lunge: ohne nennenswerten Befund. Milz nicht deutlich 
palpabel. Befund sonst o. B. 24. IV. Temperaturerhöhung auf 39.1 °, 
Zunahme der Beschwerden, vollkommene Appetitlosigkeit. 25. IV. 
Temperatur abgefallen, am Abend 37 8°. Nur ganz geringe Klagen 
über Mattigkeit. 4. V. Bis heute 3 Anfälle mit immer gleichen 
Beschwerden und Temperaturanstieg bis über 39°. Die Intervalle 
betrugen jedesmal 5 Tage, abgesehen von einer Zwischenzacke im 
■ersten Intervall (s. Kurve 1). 6. V. Letzter Anfall am 4. V., darauf 
heute Blutentnahme. 8. V. Subkutane Injektion von 5 ccm Auto¬ 
serum.. 9. V. (Anfallstag). Pat. bleibt fieber- und beschwerdefrei. 
Von da ab dauernd ohne Klagen und Fieber. 

Fall II. San.-Utffz. R. Erkrankt vor 14 Tagen mit Kopf¬ 
schmerzen und Fieber. Die Erscheinungen gingen am zweiten Krank¬ 
heitstag zurück und wiederholten sich alle 5 Tage. 4. V. Temp. 39°. 
Mattigkeit und Gliederschmerzen. Lunge: o. B. Milz nicht tastbar. 
-5. V. Erscheinungen und Fieber verschwunden. 6. V. Blutentnahme. 
8. V. Autoseruminjektion (8 ccm). 9. V. (Anfallstag). Wohlbefinden, 
keine Klagen, fieberfrei. 10. V. Pat. verlässt das Bett. Dauernd 
weiter fieber- und 'beschwerdefrei. 

Fall III. Wehrmann T. Vor einigen Tagen plötzlich erkrankt 
mit Kopfschmerzen, Fieber und Schienbeinschmerzen. 4. V. Temp. 
-38,7 Lunge o. B. Milz nicht sicher tastbar. Starke Schienbein¬ 
schmerzen. Abgeschlagenheit. 8. V. Nach drei fast vollkommen 
fieberfreien tagen, an denen die Beschwerden zurückgegangen sind, 
vermehren sich die Schienbeinschmerzen heute. Erneuter Tempe¬ 
raturanstieg auf 38,2°. An den folgenden Tagen fällt die Körper¬ 
wärme wieder allmählich ab, die Schmerzen gehen zurück. Die Tem¬ 
peraturen und die Schienbeinschmerzen nehmen weiterhin in meistens 
fünftägigen Intervallen zu; dazwischen Besserung. 26. V. Letzter 


Anfall am 23. V. (Temp. 38,2°) darauf heute Blutentnahme. Am 
Abend Fieberzacke (38,5°) (ausgelöst durch die Blutentnahme?). 
28 V. (Anfallstag). Injektion von 5 ccm Autoserum. Pat. bleibt 
fieberfrei. 29. V. Nur noch ganz geringes Druckgefühl in den 
Beinen. 30. V. Keine Beschwerden mehr. 7. VI. Dauernd fieber- 
und beschwerdefrei; Pat. dienstfähig entlassen. 

Fall IV. Landsturmm. Sch. Vor 8 Tagen erkrankt mit Kopf¬ 
schmerzen, Fieber, Gliederschmerzen und Uebelkeit. Lag 8 Tage 
wegen Typhusverdacht im Seuchenlazarett. 

3. VI. Temp. 37,3°. Starke Mattigkeit und Schienbeinschmerzen; 
Tibien stark druckempfindlich, keine Oedeme. Innere Organe o. B. 
5. VI, Temp. 38°. Pat. konnte nachts wegen der starken Schmerzen 
in den Schienbeinen nicht schlafen. 10. VI. Nach vier fast fieber¬ 
freien Tagen, an denen die Beschwerden nachgelassen hatten, heute 
wieder Temperaturanstieg auf 38° und starke Schmerzen in beiden 
Tibien. 13. VI. Blutentnahme. 15. VI. (Anfailstag) Pat. fühlt heute 
einen Anfall kommen. Vormittags 10 Uhr Injektion von 22 ccm Auto¬ 
serum. Am Abend erreicht die Körperwärme nur die Höhe von 37,1 °, 
im Gegensatz zu den Vortagen, an denen die Temperatur stets auf 
37,5 bis 37,7° anstieg (s. Kurve 2). 17. VI. Zum ersten Male fieber¬ 
frei und gut geschlafen. Kaum nachweisbare Schienbeinschmerzen. 
28. VI. Seit dem 17. VI. dauernd fieberfrei, guter Schlaf, keine 
Druckempfindlichkeit der Tibien mehr. 

Zusammenfassung. 

In 4 Fällen von Fünftagefieber traten nach der Autoserumbe- 
handlung keine Anfälle mehr auf, die Erscheinungen und Beschwerden 
gingen zurück. Die gelungene Ccupierung eines Anfalls war be¬ 
sonders in einem Falle deutlich (Fall IV). 

Die Erfolge waren jedenfalls derart, dass sie zur Nachprüfung an 
grösserem Material auffordern, selbst wenn man sie teilweise dem 
Zufall zuschreiben will. 


Nochmals zur Behandlung vereiterter Schussbrüche 
des Oberschenkels*). 

Von Oberstabsarzt Prof. Dr. Thöle, beratendem Chirurgen 
eines Armeekorps. 

Die Behandlung der Schussbrüche der Beine auf Braun scher 
Schiene l ) in Semiflexion mit Extension hat sich mir und den mit 
mir arbeitenden Chirurgen des Korps aufs beste bewährt. Ich be¬ 
nutze mit Vorliebe die Flügelschraubenextension nach Töpfer 2 ); 
um sie anbringen zu können, liess ich die Unterschcnkelstäbe der 
Schiene 12 cm über den senkrechten Bügel hinaus verlängern und recht¬ 
winklig zu einem 12 cm nach oben stehenden Bügel umbiegen. Durch 
die Flügelschraubenextension wird man im Gegensatz zur Rollen-Ge- 
wichtsextension vom Bett unabhängig, kann den Verletzten mit der 
Schiene auiheben, z. B. zum Umbetten (nicht zum Transport ins 
Verbindezimmer, denn der Wundverband wird prinzipiell im Bett er¬ 
neuert), ohne dass die Extension und damit die Fixation aufgehoben 
wird. 

Nur grosse Wunden an der Hinterseite des Oberschenkels haben 
uns lange Schwierigkeiten gemacht. Ist die Wunde relativ klein, 
dann kann man wohl durch Unterbrechung der Schienenbewickelung 
ein Fenster aussparen, in welchem man die Wunde verbinden oder 
offen behandeln kann, ohne die Schienenextensionsfixation aufzu- 
heben. (Man muss dann die die Fensterränder darstellenden Binden¬ 
touren gut polstern, damit sie nicht drücken und in die Haut einschnei¬ 
den.) Reichen aber eine oder mehrere Wunden über den grössten 
Teil der Beugeseite, gar von der Kniekehle bis zum Sitzhöcker 
(nach Spaltung von Phlegmonen und Senkungsabszessen entlang dem 
Ischiadikus), dann würde die Fixatioir eine ungenügende, wenn 1 man 
die ganze Oberschenkelstrecke der Schiene unbewickclt Hesse. 
Das Aufliegen des Unterschenkels auf dem Unterschenkelplanum 
und die Extension allein reichen bei einem infizierten Schussbruch 
zur Fixation nicht aus. Ausserdem entsteht dann zu leicht ein De¬ 
kubitus in der Kniekehle durch den Druck des Bindenrandes. Diese 
Fälle machen am meisten Sorge und Kopfzerbrechen. Ein Gips- 
vetband ist nicht anlegbar. Einfache Schwebeextension fixiert einen 
infizierten Schussbruch nicht genügend. Manche behandeln solche 
Fälle aus Not im einfachen Kastenverband aus Cramerschienen. 
Da dieser aber bei jedem Wechseln des Wundverbandes abgenommen 
werden muss, kommt die Bruchstelle wie bei Schwebeextension 
nicht zur Ruhe, die Infektion sclnyer zum Versiegen. Ausserdem 
wird im Kastenverband ohne Extension die Fraktur nur in Dis¬ 
lokationsstellung fixiert; nachteilig ist ferner die langdauernde Fest¬ 
stellung des Kniegelenks in Strecksteilung. 

Auch diese schwierigsten Fälle kann man auf der vortrefflichen 
und so einfachen Braun sehen Schiene unter Einhaltung der Dauer¬ 
fixation behandeln, wenn man das stützende Ober- 


*) Vgl. meine Arbeiten „Die Behandlung der Schussbrüche im 
Felde“ im 18. kriegschir. Heft der Beitr. z. klin: Chir. und in Nr. 13/15 
des 35. Jahrg. der Fortschr. d. Med. 1917/18. 

J ) Braun: M.m.W. 1916, Feldbeil. Nr. 39. 

2 ) Töpfer: D.m.W. 1915 Nr. 2 u. 8. 


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1322 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


schenkelplanuni auswechselbar macht. Die Schiene 
wird nur. von der Kniebiegung nach abwärts bewickelt zur Auflage 
des Unterschenkels. Am Unterschenkel ist zur Extension eine Köper¬ 
bindenschlinge oder ein Trikotstrumpf angeklebt; bei grösseren 
eiternden Wunden auch am Unterschenkel benutzt man* Metall- 
klammer- oder Drahtschlingenextension am Fersenbein. (Ein an¬ 
geklebter Trikotstrumpf muss vorn und hinten lang hinauf geschlitzt 
werden bis zur Grenze des mittleren und unteren Drittels des Unter¬ 
schenkels, sonst entsteht durch den einschneidenden Rand des 
Strumpfes bald ein Dekubitus über den Strecksehnen und der Achilles¬ 
sehne.) Alsdann sinkt aber die unmittelbar nicht unterstützte Bruch¬ 
stelle des Oberschenkels doch noch nach hinten durch, die Fixation 
genügt so nicht. Ich band nach Anlegen des Wun<1 verbandcs ein 
in der Länge der Hinterseite des Oberschenkels entsprechendes 
Stück einer V o 1 k m a n n sehen Schiene, in welchem nahe den Rän¬ 
dern jederseits 3 Löcher angebracht waren, nach genügender Pol¬ 
sterung mit Zellstoff mit Bindfäden oder Draht an die Oberschenkel¬ 
stäbe der Braun sehen Schiene fest an. Das obere Ende der 
Blechschiene steht fest auf dein Brett, auf welches ich zwecks 
sicherer Lage der B r a u n sehen Schiene im Bett jetzt immer deren 
Eisenstangen fest aufmontiere. Man muss die Wölbung des Blech- 
scliienenstüeks vermindern, damit es wirklich stützend der Hinter- 
fllclie des Oberschenkels anliegt. — Noclulieber benütze ich jetzt 
zwei entsprechend lange Stücke der breitesten Cramerschiene, 
welche fest mit Draht längs aneinander gebunden sind zur Ver¬ 
breiterung. weil die geschlossene Blechschiene die Austrocknung 
des Wundverbandes hindert (s. Abbildung). Die Fixation ist nach 



Anlegen des Verbandes so gut, wie aut vollständig bewickelter 
B r a u n scher Schiene. Wenn der Wechsel des Wundverbandes 
mit einiger Vorsicht vorgenommen wird, derart, dass die Hände 
eines Assistenten für diese kurze Zeit die zu entfernende Ober¬ 
schenkelhilfsschiene schonend und zart, aber doch fest und sicher 
ersetzen, dann lässt sich eine schädliche Mobilisierung der Bruch¬ 
stelle wohl vermeiden. Von offener Wundbehandlung, welche ich 
sonst bei grossen Wunden möglichst durchführe, so lange sie stark 
sezernieren, muss man in den vorliegenden Fällen absehen. 

Ich kann nochmals bestätigen, dass durch die Einführung der 
B r a u n sehen Schiene die Behandlung der Oberschenkelschussbriiche 
für mich wesentlich vereinfacht und vcrgleichmässigt ist. Die 
B r a u n sehe Schiene mit Extension in Semiflcxion ist der beste 
Verband zur Behandlung der Sehussbrüche der Beine, das Burk sehe 
Crarner-Sehienen-Gerüst mit Doppelrechtw inkelstellung ;i ) der beste 
Verband zur Behandlung der Schussbrüche der Schulter und des 
Oberarms. 

Behandlung der hohen Oberschenkelschussfrakturen mit 
direkter Extension des zentralen Fragments (Trochanter¬ 
nagel) in der Gipsbrückenlade. 

Von Dr. Plagemann, Spezialarzt für Chirurgie, 
Chirurg an einem Kriegslazarett. 

Die Dislokation des oberen Fragments der Oberschenkelschuss¬ 
frakturen im Bereich der Regio subtrochanterica ist refraktär gegen jede 
Extension, die auf das untere Fragment oder auf die Oberschpnkel- 
muskulatur einzuwirken sucht. St ein mann scher Nagel, Extensions- 
zange sowie Bardenheuer’ und Zuppingersche Extension haben 
nicht den geringsten merklichen Einfluss auf die Verschiebung dieses in 
Abduktionsstellung, Rotation und Flexion stehenden Fragments, wenn die 
Oberschenkelmuskulatur durch die Schussverletzung in grösserer Aus* 
dehnung zertrümmert wurde oder die Schusswunde tief exzidiert werden 
musste 

Ich habe daher nach vielen Leichen-Experimenten zweimal die direkte 
Nagelextension am Trochanter major angewandt. (Abb. 1). Mit dem 
Knochennagel, der noch besser an seiner Spitze mit einem Schraub¬ 
gewinde versehen wird, gelingt es leicht, oft schon mit dem Druck von 
zwei Fingern eine exakte Einstellung des oberen Knochenfragmentes 
in die richtige Stellung zu erreichen. Man bedarf, um das Fragment 
in der gewünschten Stellung zu erhalten, nur einer ganz geringen 
Belastung, schon ein Pfund genügt am Rollenzug, der über das Fuss- 
ende des Bettgestelles geleitet wird, aber es kann auch wenige Tage 
eine Belastung bis sieben Pfund ohne Schaden und ohne Druckwirkung 
am Knochen ausgeführt werden. Bei meinen zahlreichen Leichenexpe¬ 
rimenten konnte dieser Nagel, ohne das die Corticalis oder das Knochen¬ 
loch frakturierte, 35 Pfund Belastung längere Zeit aushalten. Immer¬ 
hin empfiehlt es sich, nicht unnötig die Belastung zu steigern und auch 

3 ) Med. Klinik 1915 Nr. 45. 


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Abb. 1. 

Der gebrochene Oberschenkel 
liegt in einer Gipsbrückentade, 
in der Becken, Ober- und Unter¬ 
schenkel ruhiggestellt werden. 

Am Trochanternagel wirkt ein 
Roilenzug; dessen Zugrichttmg 
im Sinne der Adduktion, Flexion 
und Extension entsprechend der 
Verschiebung des oberen Frag¬ 
ments bestimmt wird durch Seit¬ 
wärts-, Höher- oder Tieferstellen 
der Zugrolle am Fussende des 
Bettes. Gleichzeitig kann durch 
einen zweiten Zug (b) der Unter¬ 
schenkel aktiv und passiv bewegt 
werden und auch Widerstands¬ 
bewegungen ausführen, die durch 

methodisches Steigern der Oewichtsbelastung erschwert werden können Der Oberschenkel 
und der Unterschenkel liegen in der Gipslade halb gebeugt iu einem Flexionswinkel, der 
am meisten die Verschiebung der Bruchenden von vorn naetfninten korrigiert. 

nicht zu lange den Trochanternagel liegen zu lassen, etwa bis zu 10 Tagen, 
sonst setzt eine lästige Wundabsonderung an der Nagelstelle ein und 
die Haut zeigt Neigung zur Drucknekrose in der Umgebung des Nagels. 
Dieser Hautnekrose kann man Vorbeugen, wenn man die Hautfalte 
unterhalb des Nagels durch einen kleinen Längsschnitt schlitzt und so 
entlastet. Eine Knochennekrose durch den Nageldruck ist nicht von 
mir beobachtet, aber auch nicht zu befürchten, weil die Zuglast zu gering 
ist und von der Trochantermnskulatur abgefangen wird. Die Zeit von 
neun Tagen genügt für die Adaptierung des Knochenfragments, besonders 
wenn die Dislokation ein wenig überkorrigiert wurde. 

Der Trochanternagel wird am besten dann angelegt, wenn die Wund¬ 
eiterung den Höhepunkt überschritten hat und die Weichteile in Höhe 
des Trochanters anfangen abzuschwellen. Eine monströse Schwellung 
der Weichteile erschwert die Orientierung über die Stellung des Nagels 
zu dem Knochenfragment sehr. Natürlich muss der Nagel ausserhalb 
der phlegmonösen Eiterung bleiben, wird aber gewöhnlich noch im 
ödematösen Gebiet oberhalb der Schusswunde, gelegen sein. Der 
Trochanternagel wird — am besten bei den ersten Fällen unter Röntgen¬ 
kontrolle auf dem Qrasheyschen Röhtgenoperationstisch — eingestochen 
in einem Winkel von 135 Grad zur Femurachse. Diese Winkelstellung 
ist sowohl für die Zugbelastung wie für die Druckwirkung auf die 
Knochenstruktur die günstigste. Bei einem grösseren Einfallswinkel 
würde die lockere Spongiosa dem Nageldruck zu wenig Widerstand 
bieten und alsdann das Nagelloch durch den Nagelzug unnötig ver- 
grössert werden. Ausserdem ist es technisch nicht möglich, die Richtung 
des Nagels noch weiter der Femurachse zu nähern, weil das Fragment 
gewöhnlich in maximaler Abduktion steht. Dagegen würde bei einem 
kleineren Winkel keine genügende Verschiebung des Bruchstücks durch 
die Hebelwirkung des Nagels möglich sein und so die Dislokation nicht 
beseitigt werden können. 

Beim Einstechen des Nagels orientiert man sich nach dem durch 
die Haut hindurch fühlbaren oberen Trochanterrand, dieser entspricht 
aber bei dem in Abduktion stehenden Fragment nicht der Trochanter- 
spitze, sondern dem oberen Rand der Tuberositas des Trochanter major. 

Dicht unterhalb des Randes wird der Bohrer angesetzt und dann genau 
in der Horizontalen schräg in den Knochen hineingebohrt, aber unter 
Berücksichtigung der gewölbten Fläche des Trochanter. Es genügt, 
wenn die Spitze 2 1 /« cm in den Knochen eindringt;, zu diesem Zwecke 
misst man, wenn der Bohrer den Knochen berührt, noch 2 1 /* cm am 
Bohrerschaft ab und bohrt den Nagel bis zu einer Marke, die leicht mit 
einer kleinen Ampullenfeile am Nagelschaft gemacht wird, hinein. 

Beim Einbohren des Nagels unter direkter Röntgenbeobachtung 
auF dem Grasheyschen Röntgenoperationstisch ist eine sichere Orientie¬ 
rung über die Stellung des Trochanter major und der Nagelspitze möglich. 

Dies ist um so wichtiger, als das ganze zentrale Bruchstück bei Schuss¬ 
verletzung der Regio subtrochanterica nicht nur die typische Abduktions¬ 
stellung einnimmt, sondern auch mehr oder weniger in Rotation sich 
stellt durch die gleichzeitige Zugwirkung der Muskulatur des Trochanter 
major und der Ileopsoassehne, besonders wenn, die Oberschenkel¬ 
muskulatur in grosser Ausdehnung zerrissen ist. 

Ist eine direkte Röntgenbeobachtung während 
der Einführung des Nagels nicht möglich, so 
kann man aus der Röntgenplatte natürlich auch 
schon über die Stellung des Bruchstücks sich 
orientieren. Immerhin braucht man eine fehler¬ 
freie exakt studierte Röntgenplatte des Hüft¬ 
gelenks unbedingt, sonst kann es passieren, 
dass der Knochennagel den vorderen Rand 
des Trochanters durchbohrt und in die Mus¬ 
kulatur sich einspiesst. Es entstehen hierbei 
lästige Hämatome durch Verletzung der A. Abb. 2 . 

circumflexa femoris-lateralis, die leicht ver- Präparat des Hüftkopfes und 
eitern. der Trochantergegend mit zwei 

Der Zug am Trochanternagel ist voll-. £Äd.*Sfcg^BohSdS: 
kommen schmerzlos wie beim Steinmann- Naget b = praktisch günstigste 
sehen Nagel. Die Zugwirkung darf nicht allein Bohrstelle, 

nach dem Oewicht des Rollenzugs bemessen 

werden, sondern ist natürlich ebenso abhängig von der Lange des als 
einarmigen Hebel wirkenden Nagels. 

Die Zeit von 9—10 Tagen genügt nach meiner Beobachtung voll¬ 
kommen zur dauernden Adaptierung des Knochenfragments, wenn der 
richtige Zeitpunkt für die Einführung, des Nagels gewählt wird, nämlich 

Original fro-m 

■ 

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19. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1323 


der Zeitpunkt, wo die Wundeiterung unter reichlichem ungehinderten 
Sekretabfluss anfängt, etwas weniger zu werden und die Weichteil¬ 
schwellung beginnt, zurückzugehen. Bei guter Adaptierung der Knochen¬ 
fragmente setzt alsdann eine reichliche Kallusbildung ein und die Wund¬ 
absonderung geht schnell weiter zurück. Bei diesen schweren Knochen¬ 
schüssen hat sich mir bei der offenen Wundbehandlung in der Gipslade 
die Anwendung der Heissluft ganz ausgezeichnet bewährt, sie befördert 
nicht nur die Wundsekretion und die Wundheilung, sondern regt auch 
die Kallusbildung an. 

Ich glaube, dass die direkte Nagelextension am Trochanter major 
geeignet ist, die Fälle von Oberschenkelfrakturen im oberen Drittel des 
Femur einer günstigeren Heilung zugänglich zu machen, welche weder 
durch Schiene, Gipslade, Gipsverband, du.ch Extension mit oder ohne 
direkten Knochenzug bisher zu beeinflussen waren. Die Nagelextension 
am Trochanter kann gleichzeitig mit jeder anderen Extensionsbehandlung 
angewandt werden, bes. zur Ergänzung der Nagel- oder Zangenextension 
am periphären Bruchstück und gestattet alsdann eine wesentliche Herab¬ 
setzung der Gewichtsbelastung der peripheren Knochenextension. Bei 
der verbandlosen Wundbehandlung ist stets eine Orientierung über die 
Wirkung des Nagelzugs und über die Stellung des oberen Bruchstückes 
möglich. 


Aus dem Nachbehandlungs-Institute des Landeskriegsfürsorge¬ 
amtes in Sätoraijaujhely. (Leitender Arzt: Regunentsarzt 
Dr. Desider Bai äs, Operateur). 

lieber einen neuen Apparat zur Uebung der 
Greifbewegung. 

Von Dr. Hugo Strausz. 

Der Zweck des zu beschreibenden Apparates ist das möglichst 
physiologische und dabei gut kontrollierbare Ueben des Greifens, 
dieser bei jeder Arbeit so wichtigen Bewegung. 

Die entfache Konstruktion des Apparates zeigen folgende Figuren 




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* Google 


Das Prinzip des Appara¬ 
tes ist ein Wellenrad; der 
Hauptbestandteil ist ein um 
^ine feststehende horizontale 
Welle drehbarer Zylinder. 

Durch das Drehen der einen 
Hälfte dieses Zylinders, welcher 
aus auswechselbaren Griffen besteht, wird ein beliebiges, herabhängen¬ 
des Gewicht, welches auf der anderen Hälfte des Zylinders mittels 
Schnur befestigt ist, gehoben. Die Drehrichtung des Zylinders wird 
durch Einstellen des Hebels 4 bestimmt. Die Zahnrad-Hebelkonstruk- 
tion (Sperrvorrichtung) verhindert während der Greifpausen das 
Zurückrollen des Zylinders. 

Als grössten Vorteil des Apparates betrachten wir den Um¬ 
stand, dass mit den Greifbewegungen gleichzeitig 
aktive Bewegungen des Handgelenkes intendiert 
werden. Das Ergreifen des Zylinders wird durch 
Arbeit der Greifmuskeln (hauptsächlich M. flexor 
dig. subl. und prof.) das Drehen desselben hinwieder 
durch Funktion der Handbeuge - oder Streckmusku¬ 
latur (Flexores oder Extensores carpl) bewirkt. 
Das koordinierte Zusammenwirken der Finger- 
beugerundder Muskeln des Handgelenkes ist eben 
ein Charakteristikum des physiologischen Grei¬ 
fens; durch ein gleichzeitiges Ueben dieser Mus¬ 


kelgruppen wird die Schwäche der Muskulatur am 
besten bekämpft. 

Je nachdem der Patient den Zylinder gegen sich oder in ent¬ 
gegengesetzter Richtung dreht, wird aktive Handstreckung (physio¬ 
logisch wichtigere Kombination) bzw. Handbeugung mit Greif¬ 
bewegung kombiniert. Wir können diese Bewegungen intensiver 
gestalten durch entsprechende Fixation des Ellbogens; da derart 
Nebenbewegungen des Ellbogen- und Schultergelenkes entfallen, 
können intensive gewissermassen mobilisierende Bewegungen des 
Handgelenkes erreicht werden. Die Uebung wird durch Ausführen 
derselben mit unterem Griff bei supiniertem Unterarm erschwert. 

Der Apparat gestattet die Regulierung der Grösse der Last, so¬ 
wie auch der Länge des Hebelarmes der arbeitenden Kraft; letzteres 
durch Tauschen der verschieden dicken Griffe (Diameter 4—6—8 cm). 
Die verschiedene Dicke der Griffe gestattet die Verwendung auch bei 
eventuellen Fingerkontrakturen. 

Zur Uebung des Spitzgriffes dienen die kugela^ig ausgestalteten 
Enden des Zylinders. Die Drehung der Kugel bezüglich des Zy¬ 
linders erfolgt hiebei mit Pro- und Supination des Unterarmes. Die 
konischen Griffe dienen zur relativen Erschwerung der Arbeit der 
gesunden Finger, dadurch, dass wir mit denselben den verjüngenden 
Teil des Konus fassen lassen. 

Als vorteilhaft erwies es sich ferner, dass beim Ueben das 
Resultat der geleisteten Arbeit, die Hebung des Gewichtes, gut sicht¬ 
bar ist. 

Wir wenden den Apparat in allen jenen Fällen an, wo eine 
Kräftigung der Greif- und Handgelenksmuskeln angezeigt ist. Die 
Uebung kann auch dadurch variiert werden, dass bei hochgezogenem 
Gewicht das Zahnrad ausgeschaltet wird und das rasche Abrollen 
der Walze durch intermittierendes Ergreifen derselben verhindert wird. 

Zur Belastung benützen wir im allgemeinen relativ geringe, 
leicht zu bewältigende Gewichte, welche sukzessive gesteigert wer¬ 
den; am Ende der Uebung lassen wir ganz kurze Zeit, um möglichste 
Kraftanspannung zu erzielen, unter maximaler Belastung arbeiten. 

Die Patienten haben im allgemeinen die natürliche Tendenz, den 
Apparat mit den gesunden Fingern zu betätigen. Dies kann dadurch 
verhindert werden, dass der Daumen neben den zweiten Finger — 
also mit Vermeidung der Opposition — gelegt wird. Um Peihe- 
wirkungen möglichst auszuschalten, wird in entsprechender Höhe 
ein horizontales Brettchen angebracht, welches Oroifbewenim^en 
zulässt, jedoch Schiebe- und Peibebewegungen unmöglich verhindert. 

Der Apparat lässt sich durch eine Stange, auf welche ein Ge¬ 
wicht mittels Schnur befestigt ist. improvisieren: der Hanotnachteil 
dieser Improvisation ist aber, dass der Patient, welcher mit holten 
Händen die Stange ergreifen muss, die gesunde Hand bzw. Finger 
zur Drehung derselben benützen kann. 

Neben den ermähnten Vorteilen ist der Aonarat einfacher Kon¬ 
struktion. daher billig, haltbar und erfordert wenig Platz. 

Der Aonarat wurde nach den Angaben des Assistenten der 2 Chi¬ 
rurgischen Klinik. Herrn Dr. Alexander B Arons durch Herrn T.ont- 
nant Desider Perlusz ausgeführt und ist dem Medizinischen 
Warenhaus zur Fabrikation übergeben. 


Verbesserung an der Hamburoer Vorrichtung für den 
Verwundetentransport in Kleinbahnwaoen. 

Von Oberarzt Dr. Weinberg bei einer Krankentransport- 
Abteilung. 

Chefarzt: Stabsarzt Dr. Richter. 

Namentlich bei Grosskampfhandlungen steht die für den Wund¬ 
heilungsverlauf überaus wichtige Frage des guten und beschleunigten 
Verwundeten-Abtransportes von den Hauptverbandplätzen zu den 
Krankensammelstellen und Lazaretten im Vordergrund. Neben den 
Kraftwagen der Sanitätskraftwagen-Abteilung hat das gute Kleinbahn¬ 
netz Veranlassung gegeben, Kleinbahnwagen in ausgedehntestem Masse 
zur Beförderung von Verwundeten heranzuziehen. 



Original ffo-rri 

UNIVERSUM OF CALIFORNIA 










1324 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


Als Krankenlagerungsvorrichtung für die Wagen ist die Hamburger 
Vorrichtung gewählt worden. 

Einmal ist sie in grösserer Zahl hier vorhanden gewesen. Ferner 
ist von der Erwägung ausgegangen worden, da s das Hängesystem 
auf Schmalspurbahnen das geeignetste ist, da es die erheblichen Boden- 
stösse am besten auszuhalten vermag. 

Die Hamburger Vor¬ 
richtung ist ferner schnell 
anzubringen und entzieht 
somit die Klembahnwa- 
gen nicht dem übrigen 
Verkehr. 

Trotz dieser Vorzüge 
hat sich die Hamburger 
Vorrichtung nicht beson¬ 
ders bewährt, wegen 
der starken Längs¬ 
schwankung und er¬ 
heblichen Se ite n - 
Schwankung derun- 
teren Tragen. 

Das Schwanken ist 
teils so stark, dass die 
auf der unteren Trage 
liegenden Verwundeten 
die Begleiter bitten, die 
Trage auszuhängen und 
auf den Boden zu stellen. 

Um dieses Schwanken 
zu verhindern, hat man 
vielfach Bindestränge ver¬ 
wandt, die teils zum Bo¬ 
den führen und mit Rin¬ 
gen befestigt, teils an den 
Wagenwänden verankert 
werden. Dieses Verfahren 
ist umständlich, verhin¬ 
dert denDurchgangdurch 
den Wagen, auch sind 
Bindestränge schwer zu 
beschaffen. 

Der Versuch, die an¬ 
geführten Mängel der 
Hamburger Vorrichtung auf andere Weise zu beseitigen, ist hier ge¬ 
lungen durch Anbringen einer einfachen Vorrichtung, die das Durch¬ 
gehen des Wagens durch die Begleitmannschaften in 
keiner Weise stört. (Skizze 1.) 

Eine der Wagenlänge entsprechende l 1 /« cm dicke Rundeisenstange 
wird an beiden Seiten rechtwinklig gebogen und in zwei in den Seiten¬ 
wänden angebrachten Oesen derart verankert, dass die Stange (aal) 
die eiserne Hängestange (c c 1) der Hamburger Vorrichtung berührt, 
an diese wird sie durch je einen Tornisterriemen befestigt. Die Stange 
selbst läuft etwa 30 cm unter der oberen Trage entlang und wird durch 
eine von der Decke herabhängende mit Haken versehene Rundeisen¬ 
stange (b b 1) in ihrer Mitte noch gehalten. 

Wie aus vorstehender Skizze 2 ersichtlich ist, schaltet das Stangen¬ 
system Längs- und Seitenschwankungen nahezu völlig aus. 

In der Praxis hat sich die Vorrichtung auch bei schwersten Knochen¬ 
schüssen sehr gut bewährt. Die Vorrichtung ist sehr leicht an allen 
Eisenbahnwagen anzubringen. Rundeisen und Oesen können auf den 
Pionierparks empfangen werden. 

Die Stangen befinden sich in Ruhelagern an 2 Haken unter der 
Decke des Wagens und können nach Einhängen der Tragen von dem 
Begleiter in 3 bis 4 Minuten vorschriftsmässig angebracht werden. 


Ein Fall von „juveniler“, progressiver, myopathischer 
Muskeldystrophie nebst 2 ve'gleichsfallen. 

Von Dr. Otto Fried, kgl. bayer. Oberstabsarzt, 
zurzeit Chefarzt einer Sanitätskompagnie. 

Anfang Dezember 1917 erschien in der Sprechstunde der bayer. 

Sanitätskompanie_ein Armierungssoldat mit ganz seltenem Krank- 

heitsbefund an der Muskulatur des Schultergürtels. Wenige Tage 
später kamen, wie zum Vergleich bestellt, abermals zwei Armierungs¬ 
soldaten — auch mit Krankheitserscheinungen am Schultergürtel, 
welche dem Bilde des ersteren äusserlich ganz ähnlich, sonst aber 
durchaus nicht ungewöhnlich waren. 

Ich will die 3 Fälle zunächst beschreiben. 

A. Albert S., 42 Jahre alt, landwirtschaftlicher Arbeiter. Vor¬ 
geschichte: Aus gesunder Familie, keine erbliche Belastung mit 
Nerven- und Geisteskrankheiten. Beide Eltern 72 Jahre alt, am Leben. 
1 Schwester, 7 Brüder (davon 1 t durch Unfall, 1 t durch Ertrinken, 
3 sind im Felde). Frau und 9 Kinder am Leben, gesund. Selbst nie 
ernstlich krank gewesen. Geschlechtliche Ansteckung, Alkohol- und 
Tabakmissbrauch verneint. 

Im Mai 1916 — damals noch als Zivilist — ist er angeblich von 
einem Radfahrer gegen einen Baum geschleudert worden, wurde 


dabei an der Schulter verletzt (Schlüsselbeinbruch?) und in der 
Folge 3 Monate lang im Krankenhaus behandelt. 


* Armierungssoldat seit 21. II. 1917, im Felde seit 8. III. 1917. 

Klagen: Seit Ausgang August 1917 Schwäche in den beiden 
Armen, nachts Reissen. Seit Anfang November 1917 Unfähigkeit 
den rechten Arm in die Höhe zu heben, am linken Arm dieselben 
Beschwerden seit Mitte November 1917. 

Befund: Skelett des Schultergürtels intakt, keine Gelenk- 
Reibegeräusche. Mässig starke Lordose (vorgestreckter Bauch). 
Muskulatur des Schultergürtels zumal rechts — aber auch links* hier 
nur etwas, weniger — atrophisch. Beide Oberarmköpfe einwärts zu¬ 
sammengesunken. eingefallene Brust (welche passiv durch Zurück¬ 
nehmen und Annäherung der Schulterblätter entfaltbar ist). Atrophie 
beider Pektorales. Kukullaris, Serratus anticus major — grosse Mus¬ 
kelstücke sind vollkommen ausgefallen. Bei passiver Annäherung der 
Schulterblätter klafft eine tiefe Fleischlücke zwischen beiden. Beide 
Arme können kaum bis zur Wagrechten erhoben werden. Ab¬ 
gesehen vom Schultergürtel sehr wohlgebildete, plastische Muskulatur. 
Pupillen^ und Kniescheibenreflexe gehörig. Beide Trizepsreflexe 
fehlen. Von Vorderarmreflexen nur linker Radialis vorhanden. 
Keine Sensibilitätsstörungen. Keine fibrillären 
Zuckungen. Keine Ataxie. Innere Organe o. B. Urin ohne 
Eiweiss. 

Gegen Unfall als Ursache des Muskelschwundes etwa durch 
Schlüsselbeinbruch und Plexusschädigung spricht die Doppelseitigkeit. 
gegen Unfall als Ursache der Muskelatrophie etwa durch Rücken¬ 
markserschütterung und Blutung spricht das rein Motorische des 
Krankheitsbildes — gegen Unfall überhaupt die landläufige Anschauung 
über Unfälle und die Sucht der Kranken, alles auf Unfälle zu beziehen. 
Auffallend ist ferner, dass das Leiden nicht bloss auf das motorische 
System beschränkt, sondern auch noch segmentär beschränkt ist. 

Somit kann es sich lediglich um progressive Muskelatrophie 
handeln und es bliebe nur noch übrig, genauer zu bestimmen, an 
welcher Stelle der motorischen Leitungsbahn (Rückenmark, Nerv. 
Muskel) die krankhafte Veränderung sitzt. 

Durch zahlreiche Beobachtungen ist festgestellt worden, dass die 
merkwürdige Regelmässigkeit in der Auswahl der befallenen Muskeln 
auch die Beschränkung auf den Schultergürtel und 
das Fehlen der fibrillären Zuckungen, wie in unserem 
Fall, der myopathi sehen Form entspricht. 

Bei der spinalen und bei der neurotischen Form hätten wir fibril¬ 
läre Zuckungen. Im Gegensatz zur spinalen und zur neurotischen 
Form müsste in unserem Fall auch die elektrische Entartungsreaktion 
fehlen. Mangels einer Einrichtung konnte nämlich nicht darauf geprüft 
werden. Erbliche Belastung mit demselben Nervenleiden und Beginn 
im kindlichen oder jugendlichen Alter, dieses beides, was der myo- 
pathischen Form sonst häufig zukommt, trifft in unserem Fall an¬ 
geblich nicht zu. Uebrigens beginnt nach Strümpell die pro¬ 
gressive, myopathische Dystrophie, in einzelnen Fällen auch im 
höheren Lebensalter (zwischen 40 und 50 Jahren). Die rein spezia- 
listische Frage nach der Unterart der Muskelatrophie, d. h nach ihrem 
Sitz in der motorischen Leitungsbahn, konnte also in unserem Fall 
nicht völlig geklärt werden. Auch gibt es nach Strümpell keine 
strenge Grenze zwischen spinaler, neurotischer und myopathischer 
Muskelatrophie und Uebergangsformen. 

B. Armier.-Soldat Z., 34 Jahre, Fischer. 1909/10 rechter Ober¬ 
armbruch und Schulterverrenkung. Kallus im unteren Drittel des 
rechten Oberarms. Atrophie der rechten Schultemuskeln mit deut¬ 
lichen fibrillären Zuckungen, kann den rechten Oberarm nicht höher 
heben als etwa 60° zur Senkrechten.’ Kallus im unteren Drittel des 
rechten Oberarms. Gefühlsabschwächung für Berührung, Schmerz, 
warm und kalt auf der Mitte der Streckseite des rechten Armes von 
Schulterhöhe bis Mittelhand. (An den Fingern Schwielen und rauhe, 
aufgesprungene Haut. Gefühlsprüfung ergibt hier ungenauen Befund. 
Nachprüfung war unmöglich, da Kranker versetzt wurde.) Keine 
Beeinträchtigung der Unterarm- und Handbewegungen. Diagnose: 
Schädigung von Nerven des rechten Armes durch Dehnung und 
Zerrung (Schulterverrenkung) und Druck (Kallus). 





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19 . November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1325 


C. Armier.-Sokiat G., 47 Jahre, Taglöhner. Arthritis deformans in 
den Schult er gelenken mit sekundärer Inaktivitätsatrophie der Schulter- 
gürtehmiskeln. 

Die Besprechung des recht seltenen Falles von progressiver myo- 
pathischer Muskelatrophie in dieser Zeitschrift möchte wohl 
zunächst als praktisch unwichtig, also überflüssig erscheinen — 
und doch muss gerade vom militärärztlichen Standpunkte aus dieses 
Krankheitsbiki besprochen werden, nicht bloss aus wissenschaftlichem 
Interesse. 

Der Mann ist trotz seines schönen Wuchses und trotz der schein¬ 
bar wohlgebrldeten Muskulatur kein Frontsoldat, er gehörte einem 
Armier.-Bat. an, ein Zeichen, dass sein Gebrechen in irgend einer 
Weise schon bei den militärärztlichen Musterungen aufgefallen ist. 

Aber wegen der Eigenart des Leidens, wegen seiner Neigung 
zur Verschlimmerung und besonders wegen etwaiger Rentenan¬ 
sprüche ist in solchen Fällen völlige Klärung des Krankheitsbildes. 
und möglichst frühzeitige Ausmusterung anzustreben. 

Auch die Unfallfrage, die hier* schon besprochen wurde, spielt mit 
herein. Der Zufall brachte fast gleichzeitig mit S. 2 Vergleichsfälle in 
die Sprechstunde. Bei allen dreien ist der erste Eindruck zunächst 
derselbe, nämlich: Schwäche oder Ausfall im Muskelgebiet des 
Schultergürtels, aber unter Befreiung von verschiedenen Dienst¬ 
zweigen und unter bestimmten Einschränkungen ist die Kriegsbrauoh- 
barkeit noch lange nicht ausgeschlossen — auch bei dem 47 jähr. Mann 
mit der beginnenden Arthritis deformans noch nicht — entsprechend 
der Begutachtung im Rentenverfahren bei Invalidität und Unfall. 

Trotzdem erscheint S., äusserlich der frischeste und bestgenährte 
von den dreien, nach eingehender Untersuchung zugleich auch als 
der kränkste. 

Die drei Leute sind beim Revierdienst in die ärztliche Sprech¬ 
stunde gekommen. So bestätigen sie aufs Neue die alte Erfahrung der 
Militärärzte, wie wichtig der Revierdienst ist und wie lehrreich. 


Das Finnigwerden der Süsswasserfische durch (Jeber- 
tragung der aus den Eiern des breiten Bandwurms 
(Dioothriocephalus latus L.) ausgeschlüpften Larven 
und Ober die angeblich grössere Häufigkeit der Art 
in der Westschweiz. 

Von Dr. phil. et med. L. Kathariner, Freiburg (Schweiz). 

Die häufigsten der im Darm des Menschen vorkommenden Band¬ 
würmer, wie der Schweinebandwurm (Taenia solium L.) und der 
Rinderbandwurm (Taenia saginata üoeze) gehören zur Familie der 
Taeniaten. Nur eine Art, der Fischbandwurm (Dibothriocephalus 
latus L.) vertritt die Familie der Bothriocephaliden. Beide Familien 
sind hauptsächlich dadurch voneinander verschieden, dass bei der 
ersten der die Eier enthaltende Uterus keine Ausmündung besitzt, 
so dass für die neuhinzukommenden Eier nur dadurch Platz geschaffen 
wird, dass der schlauchförmige Uterus Seitenäste treibt. Diese, beim 
Schweinebandwurm spärlich (7—10 jederseits) und plump, beim 
Rinderbandwurm dagegen zahlreichen—30) jederseits) verleihen der 
Proglottis ein charakteristisches Aussehen; dasselbe ermöglicht es/ 
dem Arzt sofort festzustellen, welche Taenienart vorliegt, wenn er 
das abgegangene Bandwurmglied zwischen zwei Glasscheiben ge¬ 
presst gegen das Licht hält, unter welchen Bedingungen der mit Eiern 
gefüllte, dunklere Uterus deutlich sichtbar wird. Es hat dies ein 
praktisches Interesse, weil die Schweinefinne auch im Menschen fort- 
kommen kann, wo sie eventuell schwerste Zufälle herbeiführt; dieser 
„Zysticercus ceilulosae“setzt sich nämlich gern in lebenswichtigen 
Organen, wie Herz, Hirn, u. dgl. fest. Indem nun das Gewebe in der 
Umgebung degeneriert, ist eine Zerstörung des betreffenden Organs, 
ev. eine innere Verblutung die mitunter verhängnisvolle Folge. Plötz¬ 
licher Verlust des Sehvermögens infolge einer Entartung des N. opti¬ 
cus, Perforation des Herzens oder eines grossen Gefässes und Fraktur 
des Armes beim Werfen etc. können darin ihren Grund haben. Durch 
Zerstörung des Knochengewebes kann eine sonst ganz unmotivierte 
Fraktur veranlasst werden. Es ist deshalb jedes Medikament zu 
vermeiden, welches heftiges Erbrechen hervorrufen könnte; in diesem 
Falle nämlich liegt die Gefahr nahe, dass eine Proglottis aus dem 
Darm in den Magen zurückgepresst und dort verdaut wird, so dass 
die Eier mit den darin enthaltenen Bandwurmlarven frei werden. 

Normalerweise werden die Eier der Taenien erst dann frei, wenn 
das Bandwurmglied zersetzt ist. Gewöhnlich geschieht das, wenn 
es mit dem Kot des Bandwurmträgers in die Mistgrube und mit dem 
Dung auf das Feld gekommen ist. Hier muss der in ihm enthaltene 
Embryo mit dem Futter von Schwein bzw. Rind aufgenommen wer¬ 
den, um sich in ihnen zur Finne zu entwickeln, welche mit finnigem 
Fleisch in den Darmkanal des Menschen gelangt, sich darin als Band¬ 
wurmkopf ausstülpt und festhaftet, während die Glieder hinter ihm 
hervorknospen. 

Anders beim breiten Bandwurm. Sein Uterus besitzt eine Ge¬ 
burtsöffnung in der Mittellinie der Proglottis, so diss die reifen Eier 
abgelegt werden können, zunächst in den Darm, sodann kommen sie 
mit dem Kot nach aussen. Die daraus entstandene Hakenkugel, Onco- 
sphaera, muss Gelegenheit haben, in einen Fisch zu gelangen, dessen 
Fleisch beim Genuss das lebende Plerocercoid und damit den einge- 

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stülpten Kopf des Bandwurms in den Darm eines Menschen bringt. 
Schon lange weiss man, dass der Dibothriozephalus als UCberträger 
in den Darm des Menschen einen Speisefisch benötigt. In der Regel 
ist der Vermittler zwischen Ei und reifem Bandwurm die Quappe 
(Lotta vulgaris L.) oder ein Hecht (Esox luzius L.), mit deren schlecht 
geräuchertem Fleisch oder Rogen (Hechtkaviar) die noch lebenden 
Plerocercoide in den Darm des Menschen gelangen. Soweit war uns 
die Art der Uebertragung des breiten Bandwurms vom Menschen auf 
den Fisch und umgekehrt schon lange bekannt. . Die Lösung wurde 
von Max Braun (1882), Parona, Grassi, Ijima und 
Zschokke gegeben und seither steht es über allem Zweifel ei- 
haben, dass die in Fischen vorkommenden Bothriorephalusfinnen den 
Bandwurm im Darmkanal von Mensch, Hund und Katze erzeugen.“ 
Dagegen wusste man nichts darüber, wie die aus dem Bandwurmei 
entstandene Larve in den Fisch kommt. Diese Lücke ist ganz neuer¬ 
dings ausgefüllt worden. 

Dr. C. I a n i c k i am Institut für experimentelle Hygiene UikI 
Parasitologie der Universität Lausanne und Dr. F. Rose n am zoo¬ 
logischen Laboratorium der Universität Neuenburg berichten darüber 
im Schweiz. Korr.Bl. 1917 Nr. 45. Zunächst versuchte J a n i c k i ver¬ 
geblich im Sommer 1916 junge Fische der Lachsfamilie (Seeforelle, 
Regenbogenforelle, Saibling) sowie Hecht und Barsch direkt durch 
Zusetzen von Flimmerembryonen zu infizieren. Die Versuche wur¬ 
den ausgeführt im Institut d^hygiene, experimental et de Parasitologie 
in Lausanne und gleichzeitig im Etablissement de pisciculture de F6tat 
de Neuchätel in Boudry. Der negative Ausfall zwang zur Voraus¬ 
setzung eines ersten Zwischenwirts. Die zu seiner Auffindung nöti¬ 
gen hydrobiologischen Untersuchungen wurden im Oktober 1916 von 
Dr. Rosen im zoologischen Institut in Neuenburg begonnen und bis 
April 1917 fortgesetzt. Auch bei seinen Versuchen einer direkten In¬ 
fizierung der obengenannten Fischarten und der Quappe, des ge¬ 
wöhnlichen Ueberträgers auf den Menschen, waren die Ergebnisse 
negativ. Von der Annahme ausgehend, dass Weissfische und andere 
Friedfische, welche von Raubfischen gefressen werden, Träger des 
ersten Zwischenwirts sein könnten, wurde Abramis brama, Leuciscus 
rutilus und Alburnus lucidus mit Flimmerembryonen im Aquarium 
zusammengebracht; Infektionsmaterial stand in reicher Menge zur 
Verfügung in den Bandwurmeiern aus den Fäzes Bothriozephalus- 
kranker; auch diese Versuche mit Weissfischen hatten keinen Erfolg, 
so dass J a n i c k i sich entschloss, den Mageninhalt der Fische 
genau zu untersuchen. Zu diesem Zwecke, sowie aber namentlich 
um unbekannte Vorstadien des Plerocercoids im Fischkörper aufzu¬ 
finden, hat J. Sektionen von folgenden Fischen ausgeführt: 82 Stück 
der Quappe, 136 des Flussbarsches ca. 17 cm lang, 690 Stück 9 cm 
lang bzw. 6 cm lang und 3 Hechte. Im April 1917 fand er auf der 
äussern Magenfläche einer 30 cm langen Quappe ein freikriechendes 
Plerocercoid von 5 mm Länge und wenige Millimeter davon eine 
deutliche Perforation der Miagenwand mit deicht aufgeworfenen, 
weissiieh verfärbten Rändern. Ausserdem fand er ein Plerocercoid 
auf den Appendices pyloricae und der Leber. Auch M. Braun 
hatte früher schon den Magen von Lota von 5 Löchern perforiert ge¬ 
funden; in 2 Löchern sass eine Bothriozephalusfinne mit dem Kopf 
nach der Submukosa zu. Später fand J. noch häufig enzystierte, 
durchschnittlich 3—5 mm lange Plerocercoide in der Magen wand. 
Die Zahl der Plerocercoide an der Magenwand je eines Exemplars 
schwankte zwischen 1 und 18. Auch in der Magenwand des Barsches 
fand er Tiere, welche in gekrümmtem Zustand 0,49 bzw. 0,76 mm 
massen. Eine eigene Zyste fehlte. In der Muskularis wurden sich 
bohrend bewegende Plerocercoide gefunden; dem Durchbruch nach 
aussen scheint eine Zytolyse vorauszugehen. Am 25. Juni fand J. 
frei im Magenschleim eines Fisches (Perchette). der kurz vorher im 
üenfersee bei Ouchy gefangen war, zwei kleine, lebhaft bewegliche 
Würmchen von 0,68 mm Länge. Der Mageninhalt bestand aus Zyklo- 
piden, Diaptomus, Bosmina, sowie Chironomidennymphen; später 
fand 1 er nochmals auf dem Magen ein derartiges Würmchen, wählend 
der Mageninhalt selbst ausschliesslich aus Zyklopiden und Diaptomus 
Destand. Während J. den ersten Zwischenwirt unter den Copepoden 
suchte, erhielt er gleichzeitig von Dr. Rosen die Mitteilung, dass 
er in Neuenbuig eine Spezies von Cyclops und eine solche von Dia¬ 
ptomus als Zwischenwirt experimentell ermittelt hätte. 

Am Hinterende des sehr metapolen Würmchens fand J. einen 
Exkretionsporus, am Vorderende eine schwache Einsenkung. Das 
Parenchym, mit einigen Kalkkörperchen, zeigte im wesentlichen den¬ 
selben Charakter wie bei den enzystierten Formen der Magenwand. 
Die Cuticula des gesamten Vorderkörpers bis über die Körpermitte 
hinaus war mit starren, feinen, nach hinten gerichteten Borsten 
bedeckt. Im August 1917 fand er ein bei maximaler Streckung 
0,76 mm langes Würmchen; eines trug noch einen kugelförmigen 
Anhang am Hmterende mit 6 Häkchen. Der Anhang löste sich ab, 
als das Würmchen lebhafte Bewegungen ausführte. Dieses nahm oft 
Spindelform an, wie sie für das Eindringen in die Mukosa des 
Magens besonders geeignet sein dürfte. 

Nachdem die direkten Infektiousversuche nicht gelungen waren, 
und die Weissfische sich nicht als erster Zwischenwirt erwiesen 
hatten, war dieser unter den Wirbellosen zu vermuten. Zunächst 
suchte J. die allen Fischen, welche mit Plerocercoiden besetzt waren, 
gemeinsame Nahrung ausfindig zu machen. Da nach Braun die 
Infektion der jungen Fische geschieht, wurde zunächst die Nahrung 
der Fischbrut ins Auge gefasst. Sie liess sich auf vier Quellen zu¬ 
rückführen: Plankton, Chironomuslarven, Gammariden und Borsten- 

Original frorri 

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1326 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


wiirmer. Vom Plankton konnte zunächst abgesehen werden, da gerade 
die Coregonen, Planktonfresser par excellence, sich mit wenigen 
Ausnahmen als frei von Plerocercoiden erwiesen hatten; der am 
stärksten infizierte Fisch aber, die Quappe, lebt am Grund, ist also 
nicht auf das Plankton angewiesen Es wurde mit Gammariden be¬ 
gonnen, mit denen der Magen der Fische nach den Untersuchungen 
J.s geradezu vollgepfropft war. Sowohl bei Infektionsversuchen von 
Gamarus, Tubefex und Insektenlarven mit Tausenden von Flimmer¬ 
embryonen, die im Aquarium zugesetzt wurden, war das Resultat 
gänzlich negativ. J. wandte sich deshalb abermals dem Plankton 
zu, zumal auch die planktonische Flimmerlarve auf diesen Weg 
verwies, und nach Prof. Fuhrmann in Neuenburg in vielen Fällen 
die Copepoden Zwischenwirte bei einer Cestodenintektion sind. Es 
wurde Plankton in der Nähe des Ufers, an der Oberfläche des 
freien Sees und am Grund bis 70 m Tiefe im Neuenburgersee gefischt 
und auf Gläser von 3—4 Liter Inhalt verteilt; darauf wurden grosse 
Mengen frischer Flimmerembryonen eingesetzt. Erst bei Cyclops 
strenuus fand J. nach Zerquetschen unter dem Deckglas zahlreiche 
(8—10) Oncosphären in der Leibeshöhle; sie hatten also bereits den 
Darm perforiert. Auch Diaptomus gracilis konnte solche enthalten. 
Bei Cyclops strenuus fand er bei seinen Versuchen die Oncosphaera 
schon nach 6 Stunden am Darm aussen angeheftet; sie hatten die 
Embryonalhülle verloren und waren frei beweglich geworden. Die 
Larve wächst nach J. zunächst von 0,024 mm auf 0,1 bis 0,15 mm 
in 6—8 Tagen heran; in 8—12 Tagen auf 0,2 mm herangewachsen, 
hat sie eine mehr ovale Form erreicht. Der ganze Körper besteht 
aus parenchymatösem kleinzelligen Gewebe mit grossen Kernen 
und einzelnen KalKkörperchen. Quer- und Längsmuskeln werden 
sichtbar. Am einen Pol mit Häkchen und ohne Kalkkörperchen ist 
das Gewebe dichter and homogener, allmählich schnürt sich dieser 
Teil vom übrigen Körper ab und nimmt bei den 0,34 bis 0,4 mm 
langen Larven nach 12—15 Tagen sphärische Form an. Er ist nur 
durch eine dünne Brücke mit dem übrigen Körper verbunden und 
gleicht vollständig der Oncosphäre. Nach 15—20 l agen wird er bei 
der 0,5—0,55 mm langen Larve durch die dicker gewordene Körper- 
kutikula fast vollständig abgeschlossen. Der sphärische Anhang 
veriällt der Degeneration; die Embryonalhäkchen verlieren dabei 
ihren Halt und verschwinden bei der 0,4 mm langen Larve; nach 
14—16 Tagen wird eine Einstülpung sichtbar, die rosettenförmig 
konvergierenden Drüsenzüge sind ausgebildet und die Cuticula ist 
schliesslich mit feinen Borsten bedeckt. Die Larve liegt nun frei in 
der Leibeshöhle vom Cyclops. Nach 2—3 Monaten ist die Larve, von 
J. „Procercoid“ genannt, 0,5—0,6 mm lang geworden. Von den 
vielen in den Cyclops gelangten Flimmerembryonen erreichen nur 
sehr wenige dieses Stadium der Ausbildung; alle andern bleiben 
auf dem Zwergstadium einer Oncosphaera von ungefähr 0,12 mm 
Länge stehen, finden sich aber merkwürdigerweise noch 3 Monate 
nach der Infektion lebend an der äussern Darmwand angeheftet. 
Nach der Infektion 7 cm langer, 8 Monate alter Forellen im August 
1917 durch Fütterung mit Procercoide enthaltenden Cyclops wanden 
sich frei im Magen und in den Pylorusanhängen, zum Teil auch schon 
in der Mukosa, bereits nach 5—6 Stunden zahlreiche Procercoide 
mit oder ohne Schwanzanhang. 

Auf Grund seiner Experimente und des mikroskopischen Be¬ 
funds fasst J. die Entwicklung folgendermassen zusammen: 

„Am zweiten Tag nach der Infektion liegen die stark kontrahier¬ 
ten Procercoide .schon in der Submukosa. Mit Nadeln herausprä¬ 
pariert, zeigen sie nicht mehr die lebhaften Bewegungen wie früher. 
Das Stachelkleid scheint verschwunden zu sein, die terminale Ein¬ 
senkung ist jetzt bewegungslos. Nur träge und seJtenje Wellen¬ 
bewegungen am Körper zeugten vom Leben. Am dritten und sogar 
am vierten Tag sieht man die Procercoide in der Submukosa durch¬ 
schimmern. Weiteren Aufschluss geben am besten Paraffinschnitte 
durch die Magenwand des Fisches. Am fünften bis sechsten Tag 
nach der Infektion sind die Larven in die Muskularis des Magens 
eingedrungen und am zehnten bis zwölften Tag an der Peripherie 
derselben angelangt. Auch können die Procercoide vom Darm aus 
direkt in die Leber gelangen, wo sie tatsächlich am sechsten Tag 
nach der Infektion vorgefunden wurden. Eine eigene Zystenwand 
scheint der junge Wurm nicht zu besitzen, dagegen sorgt das Ge¬ 
webe des Wirtes für die Isolierung des Parasiten. (Man erklärt 
sich somit die Bilder, die M. Braun von Wanderungsspuren dieser 
Parasiten gegeben hat.) 

Von der Peripherie der Magenwand aus steht der Dibothrio- 
zephaluslarve der Weg in die Leibeshöhle und Körpermuskulatur frei, 
wo die seit langem schon bekannten, als Plerocercoide beschriebenen 
Gebilde oft vorgefunden wurden. Der Gang der Infektion der Fische, 
wie er auf Grund des Experimentes hier dargestellt wurde, prä- 
sumiert diesen Weg als den einzig möglichen. An diesem Punkt ist 
die volle Uebereinstimmung mit älteren Angaben von Braun und 
neuen Beobachtungen von Janicki zu konstatieren. 

Der Entwicklungszyklus von Dibothriocephalus latus ist somit 
geschlossen, und zwar durch das Auffinden eines ersten Zwischen¬ 
wirtes, als welcher sich Cyclops strenuus und Diaptomus gracilis 
erwiesen haben. Wir lassen hier ein anschauliches Schema, den 
Entwicklungszyklus von Dibothriocephalus latus darstellend folgen.“ 

S t r o b i 1 a von Dibothriozephalus ca. 9 ml. 

Ei im Wasser. Grösse: 0,068 mm. 

Entwicklungsdauer sehr verschieden. 


Flimmerembryo, im Wasser Grösse: 0,048 mm gr. 

Entwicklungsdauer ca. 21 Tage. 

Procercoid, 0,5 mm gr. Erster Zwischenwirt: Cyclops strenuus 
ca. 2—3 mm gr. oder Diaptomus gracilis. 

Entwicklungsdauer nicht genau bekannt. 
Plerocercoid, 5—30 mm 1. Zweiter Zwischen wirf: Speisefisch. 
Entwicklungsdauer ca. 24 Tage und mehr. 



Fle. 1. Breiler Bandwurm (Dibothriocophalus latus L. _ 

a Scolcx mit einem der beiden schm »len fläct’enständigen Saugnäpfe. fü 
b Stück der Strobila in na ürheber Or sse. Länge 6 05 m. Auf 14,5 cm Wurm kommen 
50 12 mm breite Froglottiden; ein Meter hinter dem Scotex 60 4 mm breite Pro- 
glottiden, 2 m dahinter 100 desgleichen von 25 mm Breite auf 6 cm Wurm. M 

Aus der Sammlung des hygienischen Instituts der Umv. Freirurg (Schweiz). OJ 




Fig. 4. Finniges Fleisch eines Speisefisches mit enzy- 
stiertem Plrrocercoid (Verar. 1,4.) Aus der Samm¬ 
lung des Zoologischen Instituts der Univers. Frei¬ 
burg (Schweiz). 


Zu Fig. 3. Cyclops stnnuus mit Procercoid. (Vergr. 60.) 
(Janicki.) (Le cycle Ivolutif du Dibothriocephalus 
latus L. Constantin Janicki et r£hx Rosen. 
Ex rau du „Bulletin de la sod£i6 neuihitclotse des 
sc.ences naturelles t. XLll 19)7.) 


Dibothriocephalus latus kommt in einem Menschen gewöhn¬ 
lich nur in der Einzahl vor. Ausnahmsweise dagegen werden im 
Darm eines Individuums mehrere, selbst viele Bandwürmer gefunden, 
die dann durch geringere Körper grosse vom Typus mehr oder minder 
stark abweichen. Wie Zschokke (Hb. d. inn. Med., Berlin, Julius 
Springer, 1918) berientet, trieb Askanazy einem jungen 
Mann in Königsberg 67 Exemplare des Parasiten von durchschnitt¬ 
lich einem Meter Länge ab, und Roux zählte in einem in Lausanne 
beobachteten Fall mindestens 90 gleichzeitig entleerte Bothriozephalen. 

In „Revue Suisse de Zoologie“ (Genf 1917) machte Zschokke 
Mitteilung von einem Bandwurm, welcher einem eingewanderten 
Syrier in Tasmanien abgetrieben und als Dibothriocephalus parvus 
J. J. S t e f e n s beschrieben wurde. Die Abweichungen in der Grösse 
des Körpers und der Eier fielen in die Variationsbreite der Stamm¬ 
form und begründeten nicht die Aufstellung einer neuen Art. 

Was die geographische Verbreitung des Dibothrio¬ 
cephalus latus im Menschen angeht, erscheint es begreiflich, dass er 
namentlich dort häufig ist, wo Fische einen wesentlichen Bestand¬ 
teil der Volksnährung ausmachen, besonders dann, wenn der Zu¬ 
bereitung nur geringe Sorgfalt zugewendet wird. So soll die Art 
in Sibirien und Japan der häufigste Schmarotzer des Menschen 
sein. In Europa ist er häufig in Finnland und dem angrenzenden Teil 
Russlands, sowie in den deutschen Ostseeprovinzen; in der Um¬ 
gebung der bayerischen Gebirgsseen wird er ebenfalls angetroffen. 
L 6 o n fiel die grosse Häufigkeit des Wurms in Rumänien auf, er 
erhielt von Januar bis Juni 1902 13 Taenien und 93 Bothriozephalen. 
Genuss von Hechtkaviar schien die Infektion vermittelt zu haben. 
In Holland, Belgien und in Frankreich gehört D. latus zu den 
Seltenheiten. Ebenso kennt man aus Nordamerika und Australien nur 
einzelne, wohl hauptsächlich eingeschleppte Fälle. Dagegen ist in 
Turkestan und Japan dieser Cestode der häufigste Parasit des 


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19. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1327 


Menschen. Aus Afrika ist sein Vorkommen bekannt vom N’gami-See. 
aus dem Hochland von Angola und aus Madagaskar. M. Braun 
(Die tierischen Parasiten des Menschen, ( 1908) sa-gt: ein Zentrum der 
Verbreitung sei die französische Schweiz; Zschokke gibt als 
besonders verseucht die Umgebung der westschweizerischen See¬ 
becken (Genfer, Neuenburger, Bieler und Murtensee, an; doch fügt 
er ausdrücklich hinzu, die Zahl des D. sei in den letzten Jahr¬ 
zehnten stark zurückgegangen und die früheren Angaben, dass in 
Nidau am Bielersee jedermann Bandwurmträger sei und in Genf 
25 Proz. der Bevölkerung zu den Infizierten zählen, hätten längst 
ihre Gültigkeit verloren. Schon im Jahre 188ö befiel der Schma¬ 
rotzer höchstens 1 Proz. der Genfer Bevölkerung und heute sei er 
noch seltener geworden. Aehnlich lägen die Verhältnisse in Lau¬ 
sanne 2 Fälle auf 200 Personen nach Golosmanoff im Jahre 1906. 

Auch für die Umgebung des Murtensees im Kanton Freiburg ver¬ 
mochte Verf. während seines mehr als 20 jährigen Aufenthaltes in 
FFeiburg keinerlei Häufigkeit von D. zu ermitteln. Ebensowenig ist 
der kantonalen Sanitätskommission etwas davon bekannt. Nach 
einer brieflichen Mittteilung vom Februar 1918 von Dr. Janicki 
gilt Entsprechendes für die Umgebung des Genfe'sees; er hält es 
zwar für wahrscheinlich, dass sich der Bandwurm bei Einwohnern 
in der Nähe des Sees häufiger finden lasse, als in grösserer Ent¬ 
fernung vom See, ohne indess darüber positive Angaben machen 
zu können. Er habe einen Bandwurmträger, einen 24 jährigen Mann 
aus Lutry, als Eierlieferanten benutzt, der wegen schwerer Anämie 
im Spital in Lausanne behandelt wurde. 

Das Seltener werden- des breiten Bandwurms in der Umgebung 
der Süsswässer ist wohl -hauptsächlich auf die sanitätspolizeilichen 
Vorschriften in der moderpen Bauordnung zurückzuführen, welche 
eine Infektion der Fische mit Flimmerembryonen des Bandwurms 
verhindern: weiterhin kommt wohl die erhebliche Preissteigerung 
für frische Süsswasserfische in den letzten Jahrzehnten in Betracht. 
Dieselbe lässt es den Fischern vorteilhafter erscheinen, ihre Fang¬ 
ergebnisse in Hotels der Städte, in Fremdenpensionen usw. abzu¬ 
setzen. als bei der Landbevölkerung in ihrer Nachbarschaft oder als 
sie im eigenen Haushalt zu verbrauchen. Trifft man doch nicht 
selten auf Dienstboten, Arbeiter etc., welche noch nie frische Fische 
gegessen haben, trotzdem Speisefische in ihrer Heimat gefangen 
werden. 


Ersatz des Kanadabalsams bei histologischen Präparaten. 

Von Raphael Ed. Liesegang. 

Die meisten gefärbten Mikrotomschnitte lassen sich ausge¬ 
zeichnet in Gelatine konservieren. Eine nichttrocknende Glyzerin- 
Gelatine war schon seit langem bei pflanzlichen Objekten benutzt 
worden. Bei dem hier gemeinten Verfahren unterbleibt der Glyzerin¬ 
zusatz. Die Gelatine trocknet deshalb vollkommen ein. Erst da¬ 
durch wird ein genügend hoher Brechungsindex erreicht. 

Das Verfahren ist schon 1910 zur Konservierung von Gehirn¬ 
schnitten bekanntgegeben worden. Besonders Edinger hat es be¬ 
nutzt. Sonst scheint es jedoch nicht viel Anwendung gefunden zu 
haben. Wegen des Mangels an Kanadabalsam sei jetzt nochmals 
darauf hingewiesen. Auch die Entwässerungsmitte' von Alkohol bis 
zum Karbol-Xylol fallen weg. Schliesslich ist das Zudecken mit 
einem Deckglas dabei unnötig. 

Die Arbeitsweise ist folgende: Die Schnitte werden wie ge¬ 
wöhnlich gefärbt. Nach dem Differenzieren wird das Wasser nicht 
durch Alkohol ersetzt. 10 g Gelatine werden in 200 ccm warmem 
Wasser gelöst. Damit wird das Präparatenglas dünn übergossen. 
Vor dem Erstarren dieser Schicht wird der Schnitt daraufgelegt. 
Luftblasen sind zu vermeiden oder sie werden durch vorsichtiges 
Ueberstreichen entfernt. Nun lässt man die Gelatine erstarren. Dann 
kommt eine dickere Lage derselben 5 proz. Gelatinelösung darüber. 
Im Laufe eines Tages wird die Gelatineschicht bei Zimmertemperatur 
trocken. 

Für die Konservierung der Schnitte wäre damit vollkommen 
gesorgt. Aber das optische Verhalten genügt nicht immer ganz. Be¬ 
sonders bei Schnitten über 20 n Dicke kann die Oberfläche leichte 
Unebenheiten zeigen. Diese werden durch Ueberzug mit einem 
klaren Lack beseitigt. Bei Verwendung der Immersionsmethode ist 
dieser Ueberzug unnötig. Das Oel kann unmittelbar auf die Gelatine¬ 
schicht gebracht werden. Nach-her lässt es sich wieder davon 
ab wischen. 

Versuchsweise waren frisch lackierte Schichten noch mit einem 
Deckglas bedeckt worden. Vor diesem Verfahren ist abzuraten. 
Das bei der langen Dauer des Feuchtbleibens in die Gelatineschicht 
eindringende Lösungsmittel des Lacks vermag dann nämlich gewisse 
Farbstoffe zu lösen. Diese würden sich dann diffus verteilen. 

Auf die' 5 gute Haltbarkeit von Fettfärbungen mit Sudan III oder 
Scharlach R in der Gelatineschicht hat Addison aufmerksam ge¬ 
macht. 

_ Auch Sputa oder Blutpräparate lassen sich nach diesem Ver¬ 
fahren konservieren. 

Man sollte die Gelatinelösung nicht zu alt werden lassen. Ihre 
sonst erfolgende hydrolytische Spaltung würde ein Abspringen der 
Präparate vom Glase zur Folge haben. 

Vielleicht bestehen gegenwärtig Schwierigkeiten wegen Beschaf¬ 
fung von hinreichend reiner Gelatine. Trübe Lösungen derselben 

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lassen sich jedoch nach einer alten Vorschrift folgendermassen klären: 
Die mit etwas Eiweisslösung versetzte Gelatinelösung wird kurz auf 
etwa 100° erwärmt. Das gerinnende Eiweiss umhüllt dabei die 
Faserteilchen. Nach dem Absetzen der letzteren ist die Gelatine¬ 
lösung klar. 

Literatur. 

Liesegang: Zschr. f. wiss. Mikrosk. 27. 1910. S. 369. — 
Liesegang: Kolloidchem. Beihefte 3. 1911. S. 42. — Addison: 
Anat. Record. 8. 1914. S. 138. 


Lockerung festsitzender Glasteile (Glashähne etc.) 
durch Anwendung von Wasserstoffsuperoxyd (H2O2). 

Von Dr. med. Schwarze, Marinestabsarzt d. R., leit. Arzt 
der Abt, für Nierenkranke des Res.-Laz. Schweidnitz (Schles). 

In der ärztlichen Praxis und Laboratoriumstätigkeit, besonders in 
der schiffsärztlichen Tätigkeit (Schiffsapotheke) infolge öfteren 
Wechsels von kaltem und Tropenklima, kommt es nicht so selten vor, 
dass nach Gebrauch nicht gleich sachgemäss behandelte, gereinigte, 
nicht leicht eingefettete Glasteile obengenannter Art festsitzen. 

Häufig hilft vorsichtiges Erwärmen über der Spiritusflamme mit 
nachfolgendem Eintauchen in kaltes Wasser, mehrfach wiederholt (auf 
der ungleichmässigen Ausdehnung der Glasteile beruhend). 

Auch vorsichtiges Aufklopfen führt bei festsitzenden Glasstöpseln 
von Flaschen mitunter zum Ziel, unter Abwechslung mit obigem 
Verfahren. 

Ab und zu versagt jedoch obiger Versuch, besonders dann, wenn 
die Glasteile schon zu lange festsitzen, wenn zwischen den Glasteilen 
verflüchtigte und wieder niedergeschlagene (verdunstete) Kriställ- 
chen der in der Flasche bzw. Spritze bzw. Bürette bzw. Mikro- 
sedimentiergefäss benutzten Lösung eingedrungen sind. 

In solchen Fällen bewährt sich längere, etliche Stunden bis über 
Nacht ausgedehnte Anwendung von unverdünntem Wasserstoffsuper¬ 
oxyd (H 2 O 2 ), wie bekanntlich zur Entfernung von verhärtetem Ohren¬ 
schmalz, sowie von Flecken erfolgreich angewandt. 

Dies geschieht am besten in der Weise, dass Spritzen, Mikro- 
sedimentiergefässe in eine mit H*0* gefüllte Schale gelegt werden, 
so dass sie ganz mit HiO* überdeckt sind. 

Glasflaschen stellt man umgekehrt auf den Kopf in ein mit H*Oz 
gefülltes Gefäss hinein, des geringeren Verbrauches von H*Os halber. 

Der untere -Glashahnteil einer Bürette wird in ein Gefäss mit 
H 2 O 2 gestellt, der obere, offene, mit H 2 O 2 gefüllt. 

Unter Schäumen dringt das Wasserstoffsuperoxyd zwischen die 
Glasteile, unter allmählicher Lockerung und Druck, unter Auflösung 
der aus der Lösung zwischen den Glasteilen niedergeschlagenen 
Kriställchen. 

Es gelingt dann verhältnismässig leicht, unter drehendem Druck 
bzw. Ziehen Lockerung zu erreichen. 

Vorbeugungshalber empfiehlt es sich, gleich nach Gebrauch Rei¬ 
nigung und leichte Einfettung der Glasteile vorzunehmen, Glashähne 
von Büretten und Mikrosedimentiergefässen entweder nur ganz leicht 
eihzuführen oder, an Faden befestigt, uneingeführt hängen zu lassen, 
Spritzenteile (Kolben. Zylinder) getrennt nebeneinander ins Etuis 
hineinzulegen. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Der Arzt In der Rechtsprechung. 

Von Qeh. Regierungsrat Paul Kaestner in Berlin- 
Neubabelsberg. 

XXIII. 

Nach der Satzungsbestimmung der beklagten Kasse wird den 
Ehefrauen und den zur Familie gehörigen Kindern der Kassenmit¬ 
glieder, die in ihrer häuslichen Gemeinschaft leben, freie ärztliche 
Behandlung für die Dauer von 26 Wochen durch die im Kassen¬ 
bezirk errichtete ärztliche Beratungsstelle gewährt. Diese 
Bestimmung lässt sich nur dahin verstehen, dass eine ärztliche Be¬ 
handlung der bezeichneten Familienangehörigen nur in dem Umfange 
stattfinden soll wie eine Beratungsstelle sie gewähren kann. Es 
handelt sich also nicht um eine Ordnungsvorschrift sondern um eine 
sachliche Begrenzung der Kassenleistungen. Fraglich ist, ob 
solche Beschränkung der Kassenleistung im Sinne des § 205 No. 1 
R.V.O. durch die Satzung überhaupt zulässig Ist. Zur Krankenpflege 
gehören die Leistungen aus § 182 No. 1, §§ 184, 185, 187 No. 2, 3. 
Dass in diesem Rahmen die Satzung die Leistungen beliebig be¬ 
messen oder beschränken kann, ist bei der Verhandlung des Gesetzes 
ausdrücklich anerkannt; es ist also zulässig, durch die Satzung als 
Familienhilfe lediglich ärztliche Beratung zu gewähren. 
Aber auch noch weitere Einschränkung ist zulässig. Damit die Ein¬ 
führung der Familienhilfe möglichst gefördert wird, muss tunlichst 
vermieden werden, sie dadurch zu gefährden, dass die Kassen bei 
ihrem Bestreben, sie den tatsächlichen Verhältnissen anzupassen, 
auf Widerstand stossen. Ob die Auffassung der Kasse zutrifft, dass 
jede ärztliche Behandlung durch den Arzt als ausgeschlossen 
gelten müsse, weil ein dahingehender Vertrag durch den Arzt mit 

Original fro-m 

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1328 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


der Beratungsstelle abgeschlossen sei, kann dahingestellt bleiben. 
Denn jedenfalls besteht kein Anspruch auf die Behandlung durch die 
Beratungsstelle dann, wenn die Natur der Krankheit eine solche 
unmöglich macht. So lag es im vorliegenden Einzelfall, da es sich 
um eine Scharlacherkrankung handelte, deren ambulante Behandlung 
ausgeschlossen ist (Amtl. Nachr. des Reichsvers -Amts 1917, 541). — 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts 
ist unter einem „öffentlichen Krankenhaus“ ein solches zu verstehen, 
mit dessen Gründung und Unterhaltung gemeinnützige Zwecke, ein 
öffentliches Interesse, nicht aber Erwerbszwecke verfolgt werden. 
Die Steuerfreiheit eines öffentlichen Krankenhauses 
setzt auch nicht voraus, dass das betreffende Gebäude dauernd 
jenen Zwecken gewidmet sei. Solange ein Gebäude als öffent¬ 
liches Krankenhaus benützt wird, ist es wegen dieser Verwendungs¬ 
art steuerfrei. Ob das Gebäude demjenigen gehört, welcher die 
Krankenanstalt in ihm betreibt, oder dicht, ist für die Steuerbefreiung 
ebenfalls unerheblich. Ueberlässt es der Eigentümer ohne die Absicht 
der Oewinnerzielung einem Dritten, damit dieser dort ein öffent¬ 
liches Krankenhaus betreibe, so ist die Rechtslage für die Beurtei¬ 
lung der Steuerpflicht dahin aufzufassen, als verwende der Eigen¬ 
tümer des Gebäudes selbst es durch diesen Dritten zu jenem Zwecke. 
Im Einzelfall hatte die Kirchengemeinde das Gebäude der Militär¬ 
verwaltung zum Betriebe des Lazaretts nicht in der Absicht der 
Gewinnerzielung überlassen. Sie erhielt für dessen Einräumung zu den 
Zwecken des Reservelazaretts von der Militärverwaltung keine Miete. 

Das Aufsichtsrecht des Versicherungsamts über die 
Krankenkassen erstreckt sich nach §§ 30, 377 Abs. 1 R.V O. nur 
darauf, dass die Kasse Gesetz und Satzung beobachtet. Das Ber¬ 
liner Abkommen vom 23. Dezember 1913, auf dem die Kassen¬ 
verträge mit den Aerzten beruhen, stellt sich nicht als Gesetz im 
Sinne des § 30 dar. Es ist lediglich eine privatrechtliche Verein¬ 
barung zwischen den Vereinigungen der Aerzte und den Kassen, die 
es abgeschlossen haben. Wenn es auch getroffen wurde, um eine 
Lücke des Gesetzes zu ergänzen und wenn auch bei seiner Ent¬ 
stehung und Durchführung Behörden des Reichs und von Bundes¬ 
staaten mitgewirkt haben und noch mitwirken, so hat es dadurch 
sein Wesen als privatrechtliche Vereinbarung nicht ver¬ 
loren. Gegen die Erstreckung des § 30 auf das Abkommen spricht 
auch der Umstand, dass in dem Abkommen eine besondere Instanz 
zu seiner Durchführung und zur Entscheidung von Streitigkeiten aus 
ihm eingesetzt ist. Die Versicherungsämter sind hiernach nicht be¬ 
fugt, die Kassen im Aufsichtsw ege zur Befolgung des Abkommens 
anzuhalten. Gleiches gilt für die auf Grund des Abkommens abge¬ 
schlossenen Verträge einer Kasse mit ihren Aerzten. Wenn das Ab¬ 
kommen selbst nur eine private Vereinbarung und kein Gesetz im 
Sinne des § 30 R V.O. bildet, so trifft dies umsomehr für jene Ver¬ 
träge zu, da sie lediglich die privatrechtluhen Beziehungen zwischen 
den einzelnen Kassen und ihren Aerzten regeln. Die Versicherungs¬ 
ämter können die Kassen also auch nicht zur Befolgung von Urteilen 
des Schiedsamtes veranlassen (Urteil d. Reichsvers.-Amts 13. 8. 1917 
„Ortskrankenkasse“ 1918, 303) — 

Der 28jährige, Unfallrente begehrende Kläger litt an Knochen¬ 
marksentzündung des linken Schlüsselbeines. Knochenmarksentzün¬ 
dung ist nach dem die Klage abweisenden Urteil <R.V A 17. 2. 17, 
Aerztl. Sachverst Ztg. 191b, 83) ein Leiden, das zuweilen irfolge 
von körperlichen Gewalteinwirkungen wie Schlag. Stoss u. dergl. 
eintritt, das aber auch, besonders bei Personen jugendlichen Alters, 
ohne jede äussere Ursache entstehen kann. Das Reichsversiche¬ 
rungsamt hat deshalb stets, wenn aus Anlass von Knochenmarks- 
entzündungeu Ansprüche aus gesetzlichen Unfallrenten erhoben 
werden, einen besonders strengen Nachweis dafür, dass überhaupt 
ein Betriebsunfall vorliegt und dass ursächlicher Zusammenhang 
zwischen dem Unfall und der Knochenmarksentzündung besteht, ge¬ 
fordert. Kläger hatte selbst bei seiner ersten Untersuchung Anpahen 
gemacht, die nicht auf einen Unfall schliessen liessen; die Affektion 
sei ganz von selbst entstanden. Bei einem zweiten Besuch des 
Arztes gab die Mutter des Klägers an, er sei versehentlich von 
der Nachbarin auf die Finger der rechten Hand getreten. Erst nach 
mehreren Tagen gab Kläger an, dass ein Stoss gegen die rechte 
Schulter auf der Zeche die Krankheit verursacht hybe. Auch der 
zweite Arzt hat keine Merkmale festgestellt, die objektiv auf einen 
Unfall auf der Zeche schliessen liessen und hat die Erkrankung nicht 
als Unfallsfolge aufgefasst. Zeugen des Unfalls s»nd nicht vor¬ 
handen. Sollte es sich wirklich um Unfallsfolge handeln, so steht 
nicht fest, dass der Unfall auf der Zeche und nicht ausserhalb des 
Betriebes geschehen ist. Es fehlte somit an den erforderlichen 
Voraussetzungen, um die Beklagte zur Gewährung einer Unfallrente 
zu verurteilen. — 

Der Apothekenbesitzer A. klagte gegen die Ortskrankenkasse ln 
M. auf Schadenersatz, weil er durch diese von der Lieferung der 
Arzneimittel an die Kraukenkassenmitglfrder dadurch ausgeschlossen 
sei, dass die Kasse sowohl in ihrem Kassenraum wie auch bei den 
Kassenärzten in deren Sprechzimmern Schilder anbringen Hess des 
Inhaltes, dass im laufenden Jahre die Arzneimittel nur bei dem 
Apotheker K und dem Drogisten D. zu entnehmen seien bH Ver¬ 
weigerung der Bezahlung der in der zweiten Apotheke in M. ent¬ 
nommenen Arzneien und dass sie ferner die Kranken durch die 
Kassenärzte darauf hinweisen Hess, dass nur an diesen zwei Stellen 
Arzneien entnommen werden dürften. Das Landgericht Koblenz hat 
durch Urteil vom 23. November 1917 (Pharmazeut. Ztg. 1918, 231) 

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der Klage stattgegeben. § 375 R.V.O. schreibt zwar ausdrücklich 
nur vor, dass die Ortskrankenka c sen berechtigt sind, mit einzelnen 
Apothekenbesitzern wegen Arzneilieferungen Vorzugsbedingungen zu 
vereinbaren und dass alle Apothekenbesitzer und -Verwalter im 
Kassenbereich diesen Vereinbarungen beitreten können. Damit ist 
aber der Grundsatz der beschränkt freien Apotheken¬ 
wahl auf das bestimmteste ausgesprochen. Der Ausschluss von 
Apotheken ist den Ortskrankenkassen danach nur ins» weit gestattet, 
als diese den mit anderen Apotheken vereinbarten Vorzugsbedin¬ 
gungen sich nicht unterwerfen. Es trifft also nicht zu, wenn die 
Beklagte meint, sie könne wie jeder Privatmann die von ihr be¬ 
nötigten Arzneien kaufen oder durch ihre Mitglieder kaufen lassen, 
wo sie wolle Vielmehr haben die Mitglieder der Ortskrankenkasse 
freie Wahl, aus welcher Apotheke sie die Arzneien beziehen, sofern 
nicht Vorzugsbedingungen nur mit einzelnen Apotheken abgeschlossen 
und die anderen Apotheken diesen nicht beigetreten sind. Die Orts¬ 
krankenkassen sind weder befugt, die Bezahlung der in anderen 
als von ihr bestimmten Apotheken bezogenen Arzneimittel zu ver¬ 
weigern noch dürfen sie Massnahmen treffen, die die Mitglieder 
von dem Bezüge der Arzneimittel aus anderen Apotheken abhalten. 
Die gegenteilige Massnahme verstösst gegen ein Schutzgesetz im 
Sinne des § 823 Abs 2 B.G B. Denn § 375 R V.O. dient nach dem 
Gesetzesmaterial vorzüglich zum Schutz der Apotheken gegen Be¬ 
vorzugung einzelner Apotheken durch die Ortskrankenkassen. Es 
kann auch grundsätzlich nicht als statthaft angesehen werden, ohne 
Zustimmung aller Apothekenbesitzer einen jährlichen Wechsel in der 
Arzneilieferung durch die verschiedenen Apotheken zu veranlassen. 
Erleidet eine Apotheke durch derartige Massnahmen einen Schaden, 
so ist die Ortskrankenkasse nach § 823 Abs. 2 B. G. B. schadens¬ 
ersatzpflichtig. — 


BQcheranzeigen und Referate. 

F. Lust: Diagnostik und Therapie der Kinderkrankheiten. Mit 

speziellen Arzneiverordnungen für das Kindesalter. Ein Taschenbuch 
für den praktischen Arzt. Urbanöt Schwarzenberg. Berlin, 
Wien 1918. 488 S. Preis 12 bzw. 14.50 M. 

Ein angenehmes Nachschlagebuch für solche Aerzte, die bereits 
einige Vorkenntnisse und Erfahrung in Kinderheilkunde besitzen. Det 
erste Teil behandelt die normale Entwicklung des Kindes, die Er¬ 
nährung des gesunden Säuglings und Kleinkindes, ferner Diagnostik 
und Therapie der Kinderkrankheiten (vielfach im Telegrammstil) und 
therapeutische Technik. Der zweite Teil enthält: Arzneiverord¬ 
nungen im Kindesalter, Vergiftungen, Anstalten zur Aufnahme kran¬ 
ker Kinder, ein Sachregister. Das mit Bienenfleiss geschaffene, ver¬ 
dienstliche Werk trägt kein persönliches Gepräge, Streitfragen geht 
der Verf. wohl absichtlich aus dem Wege. Einige der therapeu¬ 
tischen, vielleicht auch der diätetischen Verordnungen dürften nicht 
allseitige Billigung finden, so u. a. die zu vielgeschäftige und in 
manchen Punkten anfechtbare Behandlung der Infektionskrankheiten. 
Bei einer Neuauflage werden einige Lücken auszufüllen, so z. B. die 
Behandlung mit künstlicher Höhensonne, ihrer unzweifelhaft grossen 
Bedeutung entsprechend, zu würdigen sein. Auch das Sachregister 
bedarf einer Vervollständigung. Trumpp. 

O. Heiuze: Der Deutsche Aerztevereinsbund and die ärztlichen 
Standesvertretungen in Deutschland von 1890 bis 1912. Erster Teil: 
Geschichte des Deutschen Aerztevereinsbundes 
von 1890—1912. Leipzig, im Selbstverlag des Verfassers. Preis 6 M., 
bei Sammelbestellung durch Vereine 5 M. (Buchdruckerei Acker¬ 
mann & Glaser, Leipzig.) 447 S. 

H e i n z e, als langjähriger Generalsekretär des Deutschen 
Aerztevereinsbundes be«onders hierzu berufen, setzt mit diesem 
Werk die Festschrift E. G r a f s fort „Das ärztliche Vereinswesen 
in Deutschland und der Deutsche Aerztevereinsbund“ und erwirbt 
sich damit das bleibende Verdienst, das seither mächtig angewachsene 
standesgeschichtliche Material gesichtet und gesammelt der allge¬ 
meinen Kenntnis wieder zugänglich zu machen. Im wesentlichen gibt 
er eine überaus sachverständige und sorgsame Zusammenstellung 
der Beschlüsse und des Verlaufes der Aerztetage um! des Geschäfts¬ 
ausschusses des Deutschen Aerztevereinsbundes unter fast völligem 
Verzicht auf eine kritische Beleuchtung der Tatsachen. Das persön¬ 
liche Moment kommt daher beinahe ausschliesslich durch die in den 
Eröffnungsreden der Aerztetage niedergelegten Nachrufe und durch 
einzelne gesonderte Nachrufe zur Geltung. Mit einem schönen Nach¬ 
ruf auf W a 1 i i c h s schliesst der Band, dem auch die Bildnisse von 
Graf, Aub, LÖbker^und Wallichs beigegeben sind. Der 
zweite Band: Die staatlich organisierten ärztlichen Standesver¬ 
tretungen in Deutschland 1900—1912 ist Im Erscheinen begriffen. Zorn 
Nutzen der Aerztebewegung kann dem Buche nur eine weite Ver¬ 
breitung gewünscht werden. B e r g e a t 

Neueste Journalliteratur. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 146. Bd. 3.—4. Heft 

Hans Finsterer: Die Bedeutung der Duraplastik bei der Be¬ 
handlung der Epilepsie nach geheilten SchädelschüsseiL (Aus dem 
k. u. k. Garnisonlazarett Nr. 2, Kommandant: Oberstabsarzt Dr« 
D r a s t i c h.) 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




19. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1329 


Für die Entstehung der Epilepsie nach Schädelhirnverletzungen 
hat die narbige Fixation des Gehirns in erster Linie Bedeutung. 
Ihre dauernde Beseitigung geschieht am besten durch Exzision der 
Narbe und Duraplastik mittels präpariertem Bruchsack, der nach ex¬ 
perimentellen und pathologisch-anatomischen Ergebnissen Verwach¬ 
sungen am sichersten verhütet im Gegensatz zum lebenden Gewebe 
(Faszie, Fettgewebe, Peritoneum); günstige klinische und experimen¬ 
telle Erfahrungen bei Epilepsie nach Schädelschüssen. 

Emil Schepelmann: Die Extension in der Nachbehandlung 
operativ verlängerter Gliedmassen. (Aus dem evangelischen Kran¬ 
kenhause [Eduard-Morian-Stiftung] und der Spezialabteilung für ver¬ 
krüppelte Krieger im Reservelazarett Hamborn a/Rh.) 

Wichtigkeit exakter Längenmessung, bei Oberschenkelbrüchen 
oder Osteotomie zwecks Verlängerung Extension mit 3 Steinmann- 
schen Nägeln, auf die das Gewicht verteilt wird; bei frischer Frak¬ 
tur 10—15 kg, bei 4 cm Verkürzung 20 kg, für Jedes weitere Zenti¬ 
meter 5 kg mehr bis zu 40—£0 kg. Verminderung des Gewichtes 
je nach Ausgleich. Die Gesamtdauer der Extension betrug anfangs 
(1914/15) 3—6 Wochen, später 8—13 Wochen (Einfluss der Er¬ 
nährung). 

Wilh. Neu mann und Ad. Suter: Beitrag zur Frage der 
Osteochondritis cRssecans. (Aus dem Röntgeninstitut der Beobach¬ 
tungsstation und der chirurgisch-orthopädischen Abteilung Joseünen- 
heim des Reservelazaretts Baden-Baden.) 

Die Osteochondritis dissecans König ist ein selbständiges Leiden 
ohne traumatische Grundlage und muss als häufige Ursache für das 
Entstehen von Oelenkmäusen angesehen werden. 

Knauf: Ein doppelseitiges Harnblasendivertikel mit zwei¬ 
fachem Ventflverschluss. 

Es bestand gleichzeitig ein Ventilverschluss der Urethra upd der 
Ureteren durch die Divertikel. Die lange Zeit symptomlos ver¬ 
laufende Bildungsanomalie führte nach Infektion in kürzester Zeit zur 
Pyonephrose und zum Tod. 

Kappesser: Ein seltener Fall von hochsitzendem Ileus nach 
Bauchquetschung. (Aus dem Landkrankenhaus Hanau, chirurgische 
Abteilung. Leitender Arzt: Dr. Fertig.) 

Die Bauchquetschung führte einige Tage nach dem Trauma zum 
Ileus, als dessen Ursache die Ooeration einen Bluterguss infolge 
Schindung des Mesenteriums aufdeckte, Ausräumung des Ergusses. 
Heilung. H. Flörcken -Paderborn. 

Bruns’ Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von Oarrö. 
Köttner, v. Brunn. 111. Band. 2. Heft. - Tübingen, 
Laupp, 1918. 

Ernst W o 1 f f berichtet aus der Frankfurter Klinik zur Behand¬ 
lung der appendlzitlschen Abszesse und schildert die ln der R e h n - 
sehen Klinik diesbezüglich bestehenden Grundsätze. Auch die Ab¬ 
szesse und abgekapselten Eiteransammlungen in der Bauchhöhle 
werden danach in Jedem Stadium ohne Aufschub operiert, wodurch 
man mannigfachen Gefahren zuvorkommt, denn Je frühzeitiger ein 
Abszess angegriffen wird, desto einfacher ist die Operation und desto 
weniger ihr Erfolg von Komplikationen bedroht. Die Operations¬ 
methode (in der Regel vom Schrägschnitt, weniger vom Lennander- 
schen Schnitt aus) schildert W. näher; sie kennzeichnet sich durch 
bewusstes, breites Eröffnen der freien Bauchhöhle, Lösen der ab¬ 
schliessenden Adhäsionen, wenn irgend möglich. Entfernen des 
Wurmfortsatzes und nachfolgende Drainage der Bauchhöhle und. 
wenn angezeigt, noch besonderer des Abszessbettes, sowie durch 
Nahtverschluss der Bauchdecken bis auf die DrainsteUe. Die Methode 
birgt nicht die Gefahren in sich, die ihr im allgemeinen von den 
Chirurgen zugeschrieben werden, besonders ist die Gefahr sekundärer, 
Peritonitis nur gering; sie hat gegenüber der einfachen Inzision den 
Vorteil, dass der Eiter vollständig zur Entleerung gelangt, dass eine 
gleichzeitig beginnende freie Peritonitis nicht übersehen wird und 
die Ursache der Erkrankung fast stets mit entfernt werden kann. W. 
geht auf die Besorechung der Komplikationen unter Mitteilung von 
Krankengeschichten näher ein: er verzeichnet auf 250 so onerferte 
Fälle 10 Proz. Todesfälle. 4 Pmz. intraperitoneale Sekundärabszesse. 
8.8 Proz. Kotfisteln, 4.4 Proz. Fälle von Tleus durch Adhäsionen. Tn 
50 Proz. erzielte er ungestörte Heilung der BauchdeckenscbichtoaM. 
nur 13.6 Proz. traten tiefere Nahtvereiterungen \ ein. In 21.9 Proz. 
wurden postoperative Bauchhernien beobachtet und hat diesbezüglich 
sich kein wesentlicher Unterschied zwischen Schrägschnitt und 
Lennanderschem Schnitt ergeben. 

Hermann Schmerz schildert aus der Grazer Klinik die opera¬ 
tive Behandlung des Mastdarmvorfalles mittels Faszienplastik unter 
Besprechung der Indikationen und Technik mit Beigabe entsprechen¬ 
der Abbildungen. 24 Fälle, deren Krankengeschichten er anführt, 
wurden mit der Faszienringplastik primär und voraussichtlich dauernd 
geheilt, die leicht durchführbare Methode hat somit sehr zufrieden¬ 
stellende Resultate und ist besonders bei Kindern als Methode der 
Wahl zu empfehlen. 

E. Schepelmann gibt aus dem ev. Krankenhause Ham¬ 
born a. Rh. eine reich illustrierte Arbeit über Bauohdeckenplastiken 
mit besonderer Berücksichtigung des Hängebauches und schildert 
sowohl die Methode der Operation des Kugelbauchs mit elliptischer 
Exzision der überschüssigen Haut und Zusammennähen der Rekti und 
Verdoppelung der Fasziensc^icht etc., als die Operation des Hänge- 

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bauchs, bei der der bogenförmige Schnitt von einer Lertden- 
gegend über die Leisten- und Schamgegend nach der anderen 
Seite geführt, der grosse Lappen nach oben hochgeschlagen, event 
Nabelbruch, Narbenbrüche etc. nach ^-förmiger Inzision durch die 
Faszie beseitigt wird, Aponeurose und Fase, transvers. gerafft, die 
Rekti aneinandergebracht, quergefaltet und verkürzt werden, die 
Faszie vereinigt und ein entsprechendes Stück des Bauchhautlappens 
entfernt und die Naht angelegt wird. Sch. empfiehlt diese Operation 
des Hängebauchs bei gesunden inneren Organen im jugendlichen 
und mittleren Alter, wo sie keine nennenswerten Gefahren hat. 

Theo Detnmer berichtet aus der Frankfurter Klinik zur 
Behandlung der ln die freie Bauchhöhle perforierten Magen- und 
Duodenalgeschwüre Im Hinblick auf ein Material von 52 Fällen. Die 
N ö t z e I sehe Indikationsstellung betreffs der Gastroenteranastomose 
nach Versorgung der Perforation wird jetzt noch etwas erweitert, 
d. h. die Gastroenteroanastomose immer mehr der lokalen Versorgung 
hinzugefügt (bei 29 von 52 Fällen). Bei frühzeitiger Laparotomie 
(innerhalb der ersten 9 Stunden) ist die Prognose günstig (6,66 Proz. 
Mortalität), auch bei späteren Operationen nicht mehr absolut un¬ 
günstig (64,86 Proz. Mortalität). Die Magenperforationen geben 
relativ günstigere Prognose. Wenn irgend möglich, soll die Per¬ 
forationsstelle exzldiert, durch gründliche Spülung der Bauchhöhle 
gereinigt werden. Durch Gegeninzision und sitzende Lagerung ist 
für Abfluss zu sorgen. 

Wilh. B o h m gibt aus dem Posener Krankenhause eine Arbeit 
über periostale Lipome und bespricht im Anschluss an ein am Ober¬ 
schenkel operiertes solches Lipom Bau, Diagnose etc. dieser relativ 
seltenen Lipome. 

W. V. Simon bespricht aus der Frankfurter orthopädischen 
Klinik den Hallux valgus und seine chirurgische Behandlung mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Ludloffsehen Operation; er geht 
auf die bisherigen Operationen bei Hallus valgus näher ein und schil¬ 
dert an der Hand einer Reihe von vor und nach der Heilung röntgeno- 
graphierten Fällen spez. die Vorzüge der Lu dl off sehen Operation 
(Abmeisselung der Exostose am Metatarsuskopf und schräge Osteo¬ 
tomie des Metatarsus I [frontal proximal oben nach distal untenl). 
Die Operation erfüllt alle Anforderungen und behebt alle dem Hallux 
valgus eigentümlichen Veränderungen, beseitigt nicht nur die Sym¬ 
ptome, sondern stellt auch die Funktion wieder her ohne Zerstörung 
funktioneil wichtiger Einheiten; sie stellt bei grösstem therapeuti¬ 
schen Nutzen einen technisch unkomplizierten Eingriff dar. Sehr. 

Zentralblatt fflr Chirurgie. Nr 43. 1918. 

C. F r a n z - im Felde: Ueber Schussverletzungen der Brusthöhle 
ohne Lungenverletzung. 

Verf. unterscheidet zwischen Brustschüssen ohne Lungenver¬ 
letzung, welche durch den Komplementärraum gehen, und solchen, 
bei denen das Lungengewebe „ausweicht“. Bei der grossen lebendigen 
Kraft der modernen Geschosse Ist aber ein „Ausweichen“ von Or¬ 
ganen des menschlichen Körpers absolut unmöglich; auch der Ansicht 
von Perthes, dass das Geschoss komprimierte Luft vor sich her 
und in den Pleuraraum hineintreibt und hier einen umschriebenen 
Pneumothorax erzeugt, der eine Lungenverletzung verhindert, kann 
Verf. nicht beitreten, da die Luft dem Geschoss folgt, aber nicht 
vorangeht. Verf. findet vielmehr die Erklärung darin, dass bei 
Schussverletzungen in kleinster Zeitspanne die Bewegungen von 
Brustkorb und Lunge nicht miteinander, sondern nacheinander ver¬ 
laufen, dass also bei der Inspiration die Lunge sich nicht ebenso 
rasch ausdehnt als der Brustkorb und dass so ein Snaltraum ent¬ 
steht, der durch die mit dem Geschoss nach gezogene Luft noch 
erweitert wird und eine Verletzung der Lunge verhütet. 

Perthes- Tübingen: Bemerkungen zum Aufsatz von Prof. 
Franz. 

Verf. widerlegt die Ansicht von Prof. Franz: Das Zurück¬ 
bleiben der Lunge gegenüber dem Brustkorb ist weder vor dem 
Eindringen des Geschosses noch beim Eindringen In den Brust¬ 
raum möglich, weil die Geschwindigkeit des Geschosses viel schneller 
ist als die elastische Lunge sich zurückziehen kann und der Wqg, 
den der Thorax in dieser minimalen Zeit zurücklegt, praktisch sehr 
klein und bedeutungslos ist. Die Erklärung von Perthes ist 
folgende: Das Geschoss treibt einen Keil von verdichteter Luft vor 
sich her, der in den Pleuraraum gelangt, die beiden Pleurablätter 
auseinanderdrängt und so die Lunge vor der Verletzung durch das 
nachfolgende Geschoss bewahren kann. So erklären sich auch 
die Blutunterlaufungen an der Pleuraoberfläche durch den Druck 
des komprimierten Luftkeiles. 

W. Kausch: Bemerkungen zu dem Artikel von ILDanzIger 
in Nr. 20: Idioplastlk oder Alloplastik? ' 

Verf. widerlegt verschiedene Ansichten von D a n z i g e r, der 
Zahn und Knochen auf eine Stufe stellt Die Einpflanzung von 
Knochen aus anderen Körperstellen oder mit gestielten benachbarten 
Lappen hat sich ihm so gut bewährt, dass er nicht zu Fremdkörpern 
als Knochenersatz zu greifen braucht. 

H. J. L a m 6 r i s - Utrecht: Ueber die Operation des Leisten- 
braches. 

Auf Grund zahlreicher Erfahrungen genügt für die definitiv^ 
Heilung des indirekten Leistenbruchs die möglichst vollständige 
Entfernung des Bruchsackes, die Verfasser seit 10 Jahren ausführt 

Original from 

UNIVER3ITY OF CALIFORNIA 


1330 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


Seine Resultate sind sehr gut — bei 177 Fällen 3,4 Proz., bei 
620 Fällen ohne jegliche Operation 7,3 Proz. Rezidive! 

S. Weil- Breslau: Zum Verschluss des Anus sacralls nach 
Rektumresektionen. 

Um die spätere Entstehung eines Darmprolapses zu vermeiden, 
wird einige Monate nach der Resektion der Prolaps möglichst hoch 
oben rings Umschnitten und die äussere Duplikatur unter Schonung 
der Gefässe durchtrennt; dann lässt sich das äussere Blatt leicht 
invertieren, so dass die prolabierte Schleimhaut nach innen sieht. 
Jetzt zieht man den Darm tief herab unter Tamponade des eröffneten 
Peritoneums, entfernt vom Analteil störende Narben, umschneidet 
die Haut, zieht den Darm durch den Analteil durch und vernäht 
ihn mit der Haut. 

J. Volkmann-im Felde: Zur Unterbindung grosser Gefässe 
mit Katgut. 

Verf. unterbindet doppelt die grossen Arterienstämme; der erste 
Faden liegt möglichst hoch oben an der isolierten und herangezogenen 
Arterie und wird doppelt geknotet, während eine Klemme quer den 
Stumpf komprimiert; dann wird das distale Stumpfende U-förmig 
umgelegt und nochmals peripher von der Klemme doppelt unter¬ 
bunden. Bei dem zweiten Verfahren, das dem ersten ähnlich ist, 
benützt er zwei Fäden, unterbindet wieder doppelt die U-förmig um¬ 
gelegten Stumpfenden, indem er die zwei rechten und die zwei Unken 
Fäden seitlich mit einander verknüpft. Als gute Deckung gegen Ver¬ 
eiterung hat sich das Vernähen der Gefässscheide nach Unterbindung 
erwiesen. So kann Katgut Zwirn und Seide ersetzen. 

E. Heim- zurzeit im Felde. 

Zentralblatt für Gynäkologie. 1918. Nr. 33—43. (Ver¬ 
spätet eingegangen.) 

Nr. 33. A. Heyr- Berlin (Klinik Franz): Die alten Erstge¬ 
bärenden und Vielgebärenden im Kriege. 

Zunahme der Geburten bei alten I.-parae und bei Vielgebärenden 
um 2—3 Proz. Kurze Erörterung der Gründe. 

Ed. Martin- Berlin: Die anatomische und klinische Bedeutung 
der Fascia vaginae. 

Verf. präzisiert seinen Standpunkt dahin, dass für die Lage¬ 
erhaltung der Organe im weiblichen Becken sowohl der Faszien- wie 
der Muskelapparat in Betracht kommen, dass aber im Spiel der 
Kräfte dem einheitlichen Komplex der faszienartigen Verdichtungen 
und Faszienblätter die grössere Bedeutung beizumessen ist. 

K. W. E u n i c k e - Elberfeld: Weiteres über Hernia Uteri et 
ovarica inguinalls bei unvollkommener Entwicklung des Genitales. 

Seinem in Nr. 8 1916 d. Zschr. publizierten Fall fügt Verf. einen 
zweiten hinzu: Es handelte sich um einen zunächst rechtseitigen 
Leistenbruch, in welchem ein Ovar eingeklemmt war, dann bildete 
sich links ein solcher. Beide wurden operiert und es zeigte sich eine 
Aplasie des Uterus und ein Fehlen des linken Ovars. 

Nr. 34. E. Opitz-Freiburg: Bemerkungen zur Aetiologie der 
Eklampsie. 

Versuch, das Entstehen der Eklampsie im Zusammenhänge mit 
den anderen Schwangerschaftstoxikosen als enterale Vergiftung bei 
besonderen Konstitutionsverhältnissen zu erklären. Abnorme Stoff¬ 
wechselvorgänge im Darm sollen die Quelle von Qiften sein, die bei 
besonderer Veranlagung Hyperemesis, Albuminurie, Eklampsie etc. 
bedingen. 

Alice Herz- Strassburg i. E.: Ein Fall von tödlicher Intra- 
abdomineller Blutung aus der Leber bei Eklampsie während der 
Schwangerschaft. 

W. G e s s n e r - Olvenstadt-Magdeburg: Eklampsie und Welt¬ 
krieg. Eine Erwiderung auf Zangemeisters und Lichten- 
Steins Artikel in Nr. 9 bzw. 26 d. Zschr. 

Auch die Statistiken der genannten Autoren geben Verf. recht, 
wenn er annimmt, dass die Eklampsie eine vermeidbare Krankheit 
ist und dass übermässige, besonders fettbildende Ernährung einer¬ 
seits und körperliche Ruhe andererseits, in letzter Linie das Qift der 
Eklampsie sind. 

Nr. 35. M. S t e i g e r - Bern: Zur Frage der Zinkfilterung bei 
der Intensivröntgentiefentheraple. 

Kurze Mitteilung über einige Röntgenschädigungen der Haut bei 
verschiedener Betriebsweise. 

R. Schroeder -Rostock: Einige Bemerkungen zur Corpus- 
juteum-Funktlon. 

Kritische Besprechung einiger Streitfragen und Theorien. 

Jul. A 11 m a n n - Hamburg-Bergedorf : Operation oder Bestrah¬ 
lung bei klimakterischen Blutungen. Zu der Entgegnung von Prof. 
A. K o b 1 a n k in Berlin: Replik. 

Nr. 36. E. B u m m - Berlin: Zur Bevölkerungspolltlk. 

Das Hauptziel der Bevölkerungspolitik, die Erhaltung einer ge¬ 
nügenden Geburtlichkeit, hängt davon ab, ob es gelingen wird, der 
Neigung zur Einschränkung der natürlichen Fruchtbarkeit bei der 
Masse der Bevölkerung Einhalt zu gebieten. 

K. W a rn e k r o s - Berlin (Klinik Bumm): Die Homogenbe- 
strahhmg des Uteruskarzinoms durah Summation der Röntgen- und 
Radiumenergie. 

Beschreibung der in Berlin jetzt üblichen Behandlungsmethode 
mit gleichzeitiger Radium- und Röntgenbehandlung. 

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Nr. 37. R. S c h r o e d e r - Rostock: Der Ovulatkmstermin. 

Auf Grund von Untersuchungen an 500 Endometrien berechnet 
Verf. im weiteren Verfolg seiner eingehenden Forschungen über die 
Funktion des Corpus luteum und der daraus sich ergebenden Gesetz¬ 
mässigkeiten den Beginn der Sekretion auf den 14.—16. Tag nach 
dem Follikelsprung. 

W. S. F1 a t a u - Nürnberg: Pessare aus Porzellan. 

Warme Empfehlung der „Ersatz“-Pessare. 

Joh. Meyer- Dorpat: Kolpoplastlk. 

Bei der Bildung einer neuen Scheide bei Defectus congenitus sind 
nur die von Popow und die von Schubert angegebenen Me¬ 
thoden, für die Verf. je einen kasuistischen Beitrag Jjringt, zu emp¬ 
fehlen. 

Nr. 38. W. Gardlund - Stockholm, z. Z. Kiel (Klinik S t o e k - 

k c 1): Stützt unsere jetzige Kenntnis Uber den Bau und die Funktion 
der Ovarien die Theorie der inneren Sekretion des Corpus luteums 
und der interstitiellen Drüse? 

Die Prozesse im Corpus luteum und der interstitiellen Drüse 
können zwanglos als eine Granulationsnarbenbildung erklärt werden. 
Für die Erklärung der sudangefärbten Lipoidkörnchen braucht man nicht 
anzunehmen, dass sie ein Ausdruck für ein spezifisches Drüsenhormon 
sind, eine Deutung, die weder durch den histologischen Bau noch 
durch die klinisch-experimentellen Beobachtungen einwandfrei ge¬ 
stützt wird. 

Fr. S ü s s m a n n - Hermannstadt: Ueber die Einschränkung der 
Assistenz bei Operationen. 

Verf. hat erst aus der Not eine Tugend gemacht, ist aber von 
den Erfolgen seiner assistenzlos durchgeführten operativen Tätigkeit 
so befriedigt, dass er sein Referat über seinen klinischen Betrieb 
mit der Aufforderung schliesst, auf alle unnötige Assistenz im Interesse 
der . Asepsis usw. zu verzichten. 

Nr. 39. B. 0 11 o w - Dorpat, z. Z. Kiel: Zur Kenntnis der EcWno- 
kokkenzysten des Cavum rectouterlnum tm Kindesalter. 

Kasuistische Mitteilung eines Falles bei einem 6 jährigen Mäd¬ 
chen. Operative Entfernung. Kritische Besprechung des Falles und 
der Literatur über den gleichen Gegenstand. 

A. S e i t z - Qiessen: Zur Kasuistik der Pfälilungsverletzungen 
der Schelde. 

Leichte Weichteilverletzung, querer Riss an der vorderen 
Scheidewand, durch Sturz auf eine Egge veranlasst. 

Nr. 40. A. L o e s e r - Rostock: Versuche mit Vuzln ln der 
Gynäkologie und bei Sepsis. 

Gute Resultate bei septischem Abort mit Vuzinspülung und 
Tamponade nach der Ausräumung. Lytischer Temperaturabfall. Zes- 
sieren der Schüttelfröste, Verschwinden der hämolytischen Strepto¬ 
kokken. Bei puerperaler Sepsis waren die bisherigen Versuche mit 
intravenösen Injektionen weniger erfolgreich. 

W. Oppenheimer -Breslau: Beitrag zur Methodik der Blut- 
gerlnnungsprüfung. 

Angabe einer Modifikation der W r i g h t sehen Methode durch 
Konstruktion eines stabilen, besonderen Thermostaten. 

Nr. 41. B o 11 o w - Dorpat, z. Z. Kiel: Ein Fibrom des Präputium 
clltorldls. 

43jähr. Multipara. Operative Entfernung des kastaniengrossen, 
leicht ausschälbaren Tumors. 

Br. Rhomberg -Klagenfurt: Zur Kasuistik der Zervixmyome. 

Ein interstitielles Zervixmyom von recht beträchtlichen Dimen¬ 
sionen war nach aussen geboren, zwang durch Gangränöswerden und 
durch sekundäre Blaseninsuffizienz zur Operation. Exitus der Pa¬ 
tientin 1 Stunde post Operationen! an Insufficientia cordis. 

Nr. 42. H. B r a u n - Zwickau: Ueber die örtliche Betäubung bei 
vaginalen Operationen. 

Verf. empfiehlt wiederholt die parasakialc Anästhesie für die 
Mehrzahl der vaginalen Operationen als einfach In der Technik, 
daher sehr leicht zu erlernen, vollkommen zuverlässig und gefahrlos. 
Uebersicht über 213 Fälle. 

R. Kruke n berg - Braunschweig: Katgutsterlllsation nach 
Heusner durch 1 proz. Jodbenzin. 

Verf. war jahrelang mit dem nach Heusners Angaben sterili¬ 
siertem Katgut sehr zufrieden. Erst im letzten Jahre ereigneten sich 
auf das Katgut zu beziehende Eiterungen und Wundinfektionen. Der 
Grund wird in der Anwendung eines „rumänischen Benzins“ gefunden. 
Warnung vor „Ersatz“mitteln. 

A. E. S t e i n - Wiesbaden: Bemerkung zur Mitteilung voo 
A. M a y e r - Tübingen „Ueber die Behandlung der Insuffizienz des 
Blasenschliessmuskels mit Injektion von flüssigem Menschenfett M in 

Nr. 28 des Zentralbl. 

Empfehlung des Paraffins, da Menschenfett nicht immer zur Ver¬ 
fügung und der Erfolg bei richtiger Technik ebensogut ist. 

O. Bong-Köln: Eine Folge vom PItuglandol? I 

Nach einer Lege artis ausgeführten Pituglandolinjektion bekam 
die Kreissende ein akutes Lungenödem, das post partum bald ver¬ 
schwand. 

Nr. 43. J. H o f b a u e r - Dresden: Die Aetiologie der Eklampsie. 

Verf. gibt eine ziemlich eingehende Darstellung der modernen 
Arbeiten über die Hormonwirkungen und erklärt die Krämpfe der 
Eklamptischen als verursacht durch Hirnanämie infolge arterieller 
Oefässspasmen, welche die Folge der vasokonstriktorischen Wirkung 

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19. November 1018. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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der Hormone des Hypophysen-Adrenalinsystems sind. Therapeutisch 
wirksam sind Papaverin, Luminalnatrium, Aderlass, Einführung von 
Pflanzensäuren, möglichst rasche Entbindung, prophylaktisch Ein¬ 
schränkung der Eiweiss- und Fettzufuhr. 

M. H i r s c h - Berlin: Zur Statistik des Aborts. 2. Teil. 

Fortsetzung der in Nr. 3 des Zentralblattes begonnenen Arbeit, 
zu kurzem Referat nicht geeignet. W e r n e r - Hamburg. 

Zentralbiatt für Herz- und Gefässkrankheiten. 1918. Nr. 15 
bis 19. 

Erich Hecht: Statistisches über die Ursachen der Herzhyper¬ 
trophie (Hypertrophie des 1. Ventrikels). 

Verfasser hat ein Material von 3066 Sektionen, stammend aus 
dem städt. Krankenhaus in Wiesbaden, mit bezug auf diese Frage 
bearbeitet und darunter 185 Fälle mit Hypertrophie des linken Ven¬ 
trikels gefunden. Seine Ergebnisse kommen in der Hauptsache zu 
folgenden Schlusssätzen: Als Ursache der Hypertrophie des linken 
Ventrikels steht die arteriosklerotische Schrumpfniere obenan, sie 
bewirkt über die Hälfte dieser Fälle. Dann folgen die Vitien mit 
26 Proz., die chronische Nephritis mit ca. 12 Proz. Alle übrigen 
Faktoren sind für sich seltenere Ursachen, die Bedeutung von Kropf 
und Aortenenge tritt in diesem Material nur zweifelhaft hervor, das 
Myom gar nicht. Eine Hypertrophie auf Grund einer Zunahme der 
Nebenniere, von Schwangerschaft oder Wachstumsvorgängen Hess 
sich nicht bestimmt erweisen. In allen Fällen aber, in denen eine 
Hypertrophie überhaupt bestand, fand sich auch eine erklärende 
organische Ursache. 

Nr. 18 und 19. Hans Barbrock: Ueber Funktionsprüfungen 
bei Kriegsnierenentzündungen. 

Typisch für die leichten Formen der akuten Glomerulonephritis 
fand Verfasser die beiden Formen: Normale Gesamtausscheidung; 
veränderte Ausscheidungsweise mit Verschiebung der Höchst¬ 
portionen nach rechts, oft etwas ungenügende Erniedrigung des spez. 
Gewichts der Einzelportionen; ferner: überschiessende Gesamtaus¬ 
scheidung als Ausdruck der geringsten Schädigung des Wasseraus¬ 
scheidungsvermögens. Bei mittelschweren Fällen der Kriegsniere 
tritt besonders verringerte und verzögerte Gesamtausscheidung mit 
mehr oder minder starker Hämaturie in Erscheinung. Das Konzen¬ 
trationsvermögen war in keinem der Fälle erheblich gestört. Die 
Beobachtung, dass die Funktion der Wasserausscheidung in ein¬ 
zelnen Fällen auch bei solchen mit anfänglichen Oedemen nicht ge¬ 
stört war, legt die Vermutung nahe, hierin einen Beweisgrund für 
die extrarenale Entstehung der Oedeme zu sehen. Der Blutdruck 
schwankte während des Wasserversuches innerhalb physiologischer 
Grenzen. G r a ssm an n - München. 

BerBner kfhüsche Wochenschrift Nr. 44, i9iö, 

C. W. Rose: Die Influenzaepidemle in einem Festungslazarett 

im Jnni/JuH 1918. Schilderung des klinischen Bildes. 

E. Riese-Karlsruhe: Behandlung der bösartigen Grippe. 

Verf. empfiehlt Behandlung mit Antistreptokokkenserum, wovon 
er 25 ccm intravenös, ebensoviel subkutan verabreicht, in schweren 
Fällen wiederholt. Die Resultate werden — auch nach eigenster 
Erfahrung — gerühmt. 

R. Mühsam-Berlin: Ueber Ersatz des Danmens durch die 
grosse Zehe. 

Nach kurzer Besprechung der in Betracht kommenden opera¬ 
tiven Methoden berichtet M. über einen von ihm mit gutem Erfolge 
operierten Fall. 

C. Ritter-Posen: Die Bildung eines Greiforgans aus der 
Hand beim Verluste der Finger. 

Die an dem Ergebnis eines Falles illustrierte Methode besteht 
darin, zwischen Daumen- und Kleinfingerballen durch Wegnahme der 
Knochen einen breiten Spalt zu schaffen, so dass die Muskulatur der 
beiden Ballen Zusammenwirken kann. Es können dann mit dem 
Handrest auch kleinere Gegenstände gehalten werden. 

J. S c h ü t z e - Berlin: Ein neues radiologisches Ulcussymptom 
bei Magenuntersuchungen. 

Vgl. Bericht der Wochenschrift über die Sitzung der Vereinigten 
Berliner med. Gesellschaften am 10. Oktober 1918. 

R o t h e r - Breslau: Ein Fall primärer Magentuberkulose. 

Kasuistische Mitteilung, ein 26 jähriges Mädchen betreffend, 
welches operiert und geheilt wurde. 

K. Herxheimer und E. Nathan-Frankfurt a. M.: Ueber 
Glyzbiat, ein neues GlyzerinersatzmttteL 

Verfasser berichten über die an über 1000 Fällen erprobte An¬ 
wendung des Präparats, das in Salben, Schüttelmixturen etc. mit 
vollem Erfolge angewendet wurde, so dass es sich sehr gut als Gly¬ 
zerinersatz eignet. Rezepte siehe im Originalartikel! 

C. Th o m a 11 a - Breslau: Ein medizinisches Filmarchiv. 

Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift 1918. Nr. 44 

August Bi er-Berlin: Beobachtungen über Regeneration beim 
Menschen. 16. Die Regeneration der Haut. 

W. K o 11 e - Frankfurt a. M.: Experimentelle Studien zu Ehr- 
IIchi Salvarsantherapie der Spiroohätenkrankheiten und Uber neue 
Salvarsanpräparate. Zu kurzem Referat nicht geeignet. 


R. Weichbrodt -Frankfurt a. M.: SUbersalvarsannatrlum 
und Sulfoxylatpräparat (Nr. 1495) ln der Paralysetherapie. 

Diese beiden neuen Salvarsanpräparate dürften für die Behand¬ 
lung von Fällen von Paralyse in Frage kommen, da sie im Gegen¬ 
satz zu den alten Salvarsanpräparaten einen Einfluss auf die vier 
Reaktionen zeigen. Ob allerdings dadurch auch die Paralyse beein¬ 
flusst wird, erscheint sehr zweifelhaft. 

Joh. Fabry-Dortmund: Ueber die Behandlung der Syphilis 
mit Sllbersalvarsan. 

Schon durch wenige Injektionen gelingt es, die Spirochäten 
zum Verschwinden zu bringen. Primäraffekte, Kondylome etc. ver¬ 
schwanden verblüffend schnell. In Fällen von Papeln, Roseolen etc. 
kam es nach der ersten Injektion zu starker Temperatursteigerung, 
während die späteren Injektionen keinen Einfluss auf die Temperatur 
hatten. 

Th. Fah r- Hamburg: Leberschädigung und ChloroKormtod. 

Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein zu Hamburg. 

Sembdner: Ueber eine Methode bei Bauchschussoperationen. 

Während der Operation wird mit warmer Kochsalzlösung die 
Bauchhöhle gespült, vor Schluss der Peritonealhöhle wird 100 bis 
150 ccm Aether in die Bauchhöhle gegossen. 

I. F. S. Esser- Berlin: Eigenartige Ausnutzung einer miss¬ 
lungenen plastischen Operation. Kasuistischer Beitrag. 

H. U 1 r i c i - Sommerfeld: Künstlicher Pneumothorax durch 
manuelle Lösung der flächenhaft verwachsenen Lunge. 

In Inständiger Operation wurde die Lunge von der Spitze 
bis zweifingerbreit oberhalb des unteren Randes manuell gelöst. 

Felix Baum-Berlin: Ueber Tuberkulosebehandlung mit Kalt- 
blütler-Tuberkelbazillen. 

Verf. hat niemals eine Verschlimmerung durch Mobilisierung 
einzelner Herde gesehen. Fast immer trat wenigstens eine sym¬ 
ptomatische Besserung ein. Oft wurden sehr gute Erfolge be¬ 
obachtet. Für gewöhnlich genügte eine Injektion. 

Albers-Schönberg -Hamburg: Hilfsmittel für Einarmige. 

Mitteilung einiger kleiner Instrumente (Schere, Eierbecher, 
Schuhknöpfler), wie sie sich dem Verf. im eigenen Gebrauch als 
praktisch erwiesen haben. Ferner Hinweis auf einige kleine Ver¬ 
änderungen, die man am Rock, Mantel, Hemd vornehmen lassen soll. 

S t e 11 n e r - Ansbach: Ein Bild Doktor Eisenbarts. 

Boenheim - Nürnberg. 

Korrespondenzbfatt für Schweizer Aerzte. 1918. Nr. 37-40. 

Nr. 37. H. G u g g i s b e r g: Beitrag zur Frage des Geburten¬ 
rückganges. 

E. Bircher - Aarau: Zur nichtoperativen Therapie des 

Kropfes. 

Verf. hat verschiedene Mittel, die sich zum Teil einzeln in der 
Kropfbehandlung schon bewährten, kombiniert, nämlich Lipojodin, 
das bei Kropf ungefährlichste Jodpräparat, Chinin, welches ebenfalls 
kropfverkleinernd wirkt, Kalzium zur Bekämpfung der nervösen Er¬ 
scheinungen und Silizium, das die Bindergewebsneubildung anregen 
soll. Geeignet für die Behandlung sind nur Patienten ohne 
Trachealstenose, Herzerscheinungen oder nervöse Erscheinungen. 
Verf. hat bei ca. 100 Fällen mit dem Mittel (als „Strumaval 4 * bei 
Hausmann A.G. in Zürich in Tabletten erhältlich) teils mit, teils ohne 
gleichzeitige Salbenbehandlung gute Erfolge erzielt. 

K. Z i m m e r 1 i - Samaden: Zur Symptomatologie der Mumps- 
pankreatltis. Beschreibung eines Falles. 

Nr. 38. E. L e n z: Beiträge zur Bekämpfung und Epidemiologie 
der grippalen Infektion. 

Empfehlung einer Gesichtsmaske zur Verhütung der Ansteckung. 

D e m i 6 v i 11 e - Lausanne: Le traltement de la Grippe. 

Verf. warnt vor allen Antipyreticis (auch Chinin), vor jeder An¬ 
strengung des Kranken auch bei der Untersuchung. Er empfiehlt, 
die Kranken bei Bronchopneumonie 4—6 Stunden in den Lehnstuhl 
zu setzen, die Diät auch nach Abfall des Fiebers noch einige Tage 
fast flüssig zu halten, im übrigen besonders auf das Herz zu achten. 

R. Fritzsche: Leiomyoma sarcomatodes des Magens. 

Ausführliche Beschreibung eines Falles und Literaturübersicht. 

Nakata: Nebennierenveränderungen nach Verbrennung. 

Verf. fand im Tierexperiment und beim Menschen deutliche 
Veränderungen (Hyperämie, Hämorrhagien, Hypertrophie der 
Rindenzellen), die vielleicht eine lebensgefährliche Störung bedingen 
können. 

Nr. 39. H. I s e 1 i n - Basel: Die Heissluftbehandlung Im Dienste 
der Chirurgie. 

Empfehlung der Heissluftbehandlung und eines neuen elek¬ 
trischen Apparates dazu. 

A. Fon io: Ueber das Vorkommen von Riesenblutplättchen. 

Mitteilung von 2 Fällen schwerer sekundärer Anämie (Endo¬ 
karditis und Karzinom) bei denen zahlreiche Riesenblutplättchen 
sich fanden. 

J. Dubs: Ueber isolierte traumatische Lähmung des Nervus 
suprasoapularis. Beschreibung eines Falles. 

J. Strebei: Ueber das Fehlen des Scthluckreilexes bei An¬ 
ästhesie und Hypästhesle der Hornhaut und seine praktische Be¬ 
deutung. Zur Therapie des Herpes corneae febrilis. 

Bei Berieselung der Kornea mit kalter Kochsalzlösung tritt nor- 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


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malerweise (unter $00 Fallen in ca. 85 Proz.) Schluckreflex auf 
(durch Reizung der sensiblen Trigeminusfasern der Hornhaut, die 
die motorische Gaumenfunktion des Trigeminus in Bewegung setzt). 
Bei Anästhesie der Hornhaut durch Geschwüre etc. fehlt dieser 
Reflex. Sein Wiederauftreten ist prognostisch zu verwerten. Herpes 
corneae febrilis behandelte Verf. durch Betupfen mit verdünnter 
Jodtinktur 

Nr. 40. H. R. Schinz: Die Influenzaepldemle bei der Gulden- 
Abtellung 5. Ein Beitrag zur Epidemiologie und Symptomatologie. 
Schluss folgt. 

E. Bircher -Aarau: Zur Grippeepidemie. 

Salvarsan blieb ohne Erfolg, Elektrargol in hohen Dosen schien 
besser zu wirken, ebensö Chinin. 

B. Galli-Valerio: Neue Beiträge zur Biologie und zur Be¬ 
kämpfung der Läuse. 

C. J a n i c k 1: Neue Studien über postembryonale Entwicklung 

und Wirtswechsel bei Botriozephalen. L Triaenophorus nodulosus 
(Fall). L. Jacob- Würzburg. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Breslau. Oktober 1918. 

Kiolbassa Joseph: Die stielgedrehten Ovarialtumoren. 
Froemsdorff Conrad: Ueber den Scheintod der Neugeborenen. 
Freund Walter: Ueber die Fälle von Ovarialkarzinom in den 
Jahren 1904—16 (nur Titelblatt). 

Graf Irene: Ueber Karzinom am Auge. 


Vereins- und Kongressberichte. 
Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 17. Juli 1918 (Schluss). 

Vorsitzender: Herr Sc hi eck. 

Schriftführer: Herr Fielitz. 

Herr Winternitz: Ueber einen Fall von Bence-Jones- 
scher Albuminurie (mit Vorführungen). 

Besprechung: Herr De 1 orme erwähnt einen Fall, bei 
dem der Bene e-Jones sehe Eiweisskörper nachgewiesen wurde, 
auch ohne Erkrankung an Myelomen. Es handelte sich um einen Fall 
von primärem Lungenkarzinom, bei dem eine enorme Aussaat von 
Metastasen im ganzen Körper vorhanden war. Bei ihm fand sich die 
Bence-Jonessehe Eiweissreaktion ohne Vorhandensein einer 
sonstigen Albuminurie. Die Sektion ergab vielfache Metastasen im 
Mark der langen Röhrenknochen. Es scheint demnach, als könnten 
auch andere Knochenmarkerkrankungen als nur die Myelome zum 
Auftreten dieses Eiweisskörpers Anlass geben. 

Herr Grein: Ein Fall von Idiopathischer Oesophagusdilatatlon. 

Es handelt sich um einen 20 jährigen Soldaten, der seit seinem 
11. Jahre an Schluckbeschwerden leidet. Er merkte damals bei einer 
Hochzeit (daher kann er den Termin so genau angeben), dassSchoten- 
gemüse nicht richtig rutschen wollte, sondern erst durch Nachtrinken 
eines Schluckes Wasser in den Magen gelangte. Er ist inzwischen 
im Felde gewesen und von dort wegen Ruhrverdacht in die Heimat 
gekommen. Seine Schluckbeschwerden haben sich mit den Jahren 
vermehrt. Besondere Erleichterung verspürt er, wenn er möglichst 
heisses Wasser nach trinkt. Wenn er sich abends hinlegt, erfolgt 
starker Hustenreiz, zuweilen mit Erbrechen, dabei aber ohne Ekel¬ 
gefühl. Es ist auch vorgekommen, dass er beim Erwachen morgens, 
wenn er mit dem Kopfe tief gelegen hatte, mit Speisebrei vermisch¬ 
ten Speichel auf dem Kopfkissen fand. Zuweilen wurde beim Schnau¬ 
ben durch die Nase Speisebrei entleert 

Körperbefund: Kräftig gebaut, gut genährt. An Abweichungen 
findet sich nur fehlender Würgreflex, fehlender Hornhaut- und Binde¬ 
hautreflex. Magenchemismus: fehlende Säure 12, Gesamtsäure 49, 
Milchsäure 4-, Blut —. Der neben der Sonde aus der Speiseröhre 
entleerte, mit Unmengen von Schleim vermengte Speisebrei enthält 
keine Säuren und keine Magenfermente. Die Speiseröhre vermochte 
ca. 1 Liter Brei zu fassen Die Breidurchleuchtung ergibt eine Stau¬ 
ung des Speisebreies, in der vor dem Röntgenschirm stark erweiter¬ 
ten Speiseröhre bis zu einer Höhe von 20 cm. 5 Minuten nach Auf¬ 
nahme des Breies ist noch kein Brei in den Magen hinübergetreten. 
Erst 25 Minuten nach der Aufnahme finden sich die ersten Brei¬ 
anteile im Magen. 7% Stunden nach der Aufnahme ist bereits viel 
Brei in den Magen übergetreten, aber noch reichlich Brei in der 
Speiseröhre zurückgeblieben. Noch nach 24 Stunden zeigte die 
Speiseröhre deutliche Breireste. 

Bei der Sondierung fällt auf, dass die Kardia ohne das Gefühl 
eines Hindernisses zu passieren ist; bei der Oesophagoskopie, wie 
ausserordentlich wenig empfindlich die hintere Rachenwand ist. Es 
zeigt sich bei ihr soviel Schleim in der Speiseröhre, dass die Kardia 
nicht sichtbar gemacht werden kann. Was an Schleimhaut sichtbar 
zu machen war, erwies sich als unverändert und frei von Entzün¬ 
dungserscheinungen. Das Oesophagoskop konnte förmliche Pendel¬ 
bewegungen in der Speiseröhre ausführen. 


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Die grösste Breite der Speiseröhre betrug im Röntgenbild 7 cm. 

Demonstration von Röntgenbildern, bei denen eine Metallsonde 
eingeführt war, und daneben der Brei geschluckt war, und bei denen 
besonders instruktiv war, wie bei Herausziehen der Sonde ein Brei¬ 
anteil in den Magen hinabschoss, sich aber gleich darauf wieder die 
Kardia schloss. Bei der Gelegenheit wurde ein Röntgenbild von 
Prof. W i n t e r n i t z vorgeführt, das zeigte, wie man die Einführung 
einer Metallsonde oder eines mit Quecksilber gefüllten Magen¬ 
schlauches dazu verwerten kann, indem man daneben Brei schlucken 
lässt, beginnende Stenosen des Oesophagus viel besser zur Anschau¬ 
ung zu bringen, als es mit gewöhnlicher Sondierung oder Breidurch¬ 
leuchtung sonst möglich Ist. 

Grein will den Ausdruck idiopathische Oesophagusdilatatlon 
im Gegensatz zu anderen Autoren festgehalten wissen für Fälle, bei 
denen eben beim Lebenden absolut keine Ursache für die Dilatation 
gefunden werden kann. Als Erklärung hält er unter eingehender Be¬ 
rücksichtigung der gemachten Einwände für die beste die Annahme 
einer organischen oder funktionellen Vaguserkrankung. Als beson¬ 
ders unterstützend dafür weist er auf den Fall von Stephan hin 
(M.m.W. 1913 S. 1295), bei dem nach Trauma eine Oesophagusdila- 
tation aufgetreten war, und bei dem Stephan fand, dass, wenn er 
3 mg Atropin in 24 Stunden gab, sich das Fassungsvermögen der 
Speiseröhre von 150 ccm Wasser auf 350 ccm vermehrte, und gleich¬ 
zeitig der Kardiospasmus so stark wurde, dass eine weiche Sonde 
die Kardia nicht mehr passierte. Wenige Stunden nach Aussetzen 
des Atropins verschwanden diese Symptome. Das ist also ein Be¬ 
weis, dass Vaguslähmung den Kardiaverschluss und die Speiseröhren- 
atonie bewirkt. 

Besprechung: Herr Winternitz: Ich bin in der Lage, 
Ihnen einen Fall von Oesophagospasmus bzw. Kardiospasmus vorzu¬ 
stellen, dessen Entwicklung wenige Wochen zurückgeht und der auch 
ätiologisch bemerkenswert erscheint: 

25 jähriger, früher stets gesunder Mann. Seit Mobilmachung im 
Felde. Im Juli 1916 an der Somme durch Qranatexplosion ver¬ 
schüttet. Die Erdmassen fielen ihm gegen die Brust; der Kopf blieb 
frei. Bald nachher stellte sich Stottern ein. Nach etwa 6 wöchi¬ 
ger Lazarettbehandlung kam er zum Ersatztruppenteil und wurde im 
Juli 1917 auf Reklamation zu landwirtschaftlichen Arbeiten entlassen. 
Ausser der sehr auffälligen Sprachstörung finden sich keine hystero- 
nervösen Zeichen. Vor 6 Wochen merkte er zum ersten Male 
Schluckbeschwerden: harte Bissen wollten nicht rutschen, er musste 
mit Wasser nachhelfen und hatte in- der Mitte und am Ende des 
Brustbeines Schmerzempfindungen. 

Vor dem Röntgenschirm im ersten schrägen Durchmesser kann 
man den Oesophagus als kaum bleistiftstarken Schlauch erkennen. 
Dicker Wismutbrei gleitet anstandslos herunter, doch sieht man bei 
grossen Bissen an mehreren Stellen leichte Einschnürungen, über 
denen sich der Brei für Augenblicke staut. Lässt man einen etwa 
kirschgrossen, in Oblate eingewickelten Wismutbissen, oder eine 
längliche, mit Wismutbrei gefüllte Gelatinekapsel schlucken, so blei¬ 
ben sie zunächst unterhalb des Schlundes stecken; man sieht Zu¬ 
sammenziehungen der Speiseröhre, die Bissen bewegen sich hin und 
her, aber sie können sich nicht durchzwängen, und erst beim Nach¬ 
trinken von Wasser überwinden sie die Verengerung und gelangen 
bis in die Höhe der Bifurkation, wo sich das gleiche Spiel wiederholt; 
bei neuerlicher Nachhilfe mit Wasser gleiten sie bis zum Hiatus des 
Oesophagus, wo anscheinend der grösste Widerstand zu überwinden 
ist. Gelegentlich passiert ein Bissen, der in der ersten Etage gleich 
unterhalb des Einganges der Speiseröhre festgehalten wurde, mit 
Hilfe eines ausgiebigen Schluckes Wasser glatt die beiden anderen 
Stellen. Wir haben dann den Mann eine Rieder sehe Wismut¬ 
mahlzeit, ca. 400 g Brei, rasch essen lassen und eine Aufnahme ge¬ 
macht (Demonstration). Man sieht dabei die Speiseröhre mässig, 
etwa auf das Zwei- bis Dreifache des Normalen, erweitert und mit 
Brei gefüllt. 

Bei der Sondierung der Speiseröhre gelingt es ohne den ge¬ 
ringsten Widerstand weiche und harte, dünne und dicke Sonden bis 
in den Magen zu führen. Eine organische Stenose ist also mit Sicher¬ 
heit auszuschliessen. Das Oesophagoskop wird in Höhe der Bifur¬ 
kation festgehalten (Dr. S e n g e r), die Speiseröhrenwand ist überall 
von normaler Beschaffenheit 

Das Primäre im vorliegenden Falle sind sicher^ Spasmen, denen 
über kurz oder lang wohl eine Dilatation der Speiseröhre folgen 
wird. Am stärksten macht sich der Spasmus anscheinend an der 
Kardia geltend. Das Verhalten des Oesophagus bei rascher Ein¬ 
nahme einer grossen Breimenge spricht dafür, dass die Dilatation 
schon in der Entwicklung begriffen ist. Möglich auch, dass es sich 
vorläufig nur um eine passive Dehnung der Speiseröhre bei über¬ 
wiegendem Spasmus an der Kardia handelt. Aetiologisch liegt der 
Zusammenhang mit dem Vorgang der Verschüttung, die der Mann 
vor 2 Jahren im Felde erlitten hat nahe, aber wir sehen keine kon¬ 
tinuierliche Entwicklung. Bisher waren nie Schluckbeschwerden 
vorhanden, sie haben sich plötzlich eingestellt, ohne dass er irgend¬ 
eine Ursache dafür namhaft machen kann. Dienstbeschädigung wird 
anerkannt werden müssen. Wir beobachten den Mann erst ganz 
kurze Zeit. Therapeutische Versuche mit Atropin sind im Gang, 
Papaverin ist in Aussicht genommen. 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




19. November 1918. 


MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1333 


Akademie der Wissenschaften in Paris. 

Die Verwendung des Immunserums gegen Gasbrand in kurativer 
Hinsicht 

Wie in der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften 
vom 19. August 1918 berichtet wurde, hat man mit dem Immunserum 
in therapeutischer Hinsicht bei bereits ausgebrochenem Gasbrand sehr 
günstige Resultate zu verzeichnen gehabt (Sur les Resultats de la 
s£roth£rapie antigangröneuse, Note de MM. H. Vincent et G. Sto- 
del, prösentde par M. Charles Rieh et, Comptes rendus Tome 167 
No. 8/1918.) Die Ausbreitung der Mikroben im infizierten Organismus 
erfolgte ausserordentlich rasch, ln einem Falle hätte sie 20 cm in 
20 Minuten betragen. Gleichzeitig seien Brust, Bauchwand und 
Rücken fluktuierend geworden. Man hätte die Infektion kinemato- 
graphisch aufn^hmen und die Wirksamkeit des Immunserums fest¬ 
stellen können. Einige 30 Verwundete genasen nach der Injektion. 
5 Fälle werden als Beispiele aufgeführt. 

1. Der Soldat R., durch Granatsplitter zahlreiche Wunden im 
Rücken, im linken Bein mit Gefässzerreissungen und im rechten 
Schenkel mit eiuer Fraktur des Beckenbodens. 60 ccm Serum. 
Zwei Tage nach der Verwundung Zustand sehr schlecht. Gasbrand 
in der rechten Extremität mit Knistern im rechten Schenkel, in der 
unteren Bauch- und Rückengegend; ebenso linkes Bein brandig. Da 
auf keine Besserung zu hoffen war, Amputation des rechten Schen¬ 
kels, 40 ccm Serum. Im Augenblick der Operation glaubte der Chi¬ 
rurg, der Verwundete würde sterben. Am folgenden Tage ging es 
ihm jedoch besser und die Gasinfiltration war verschwunden. 5 Tage 
später konnte er ins Lazarett überführt werden, wo er genas. 

2. Wunde auf der linken Seite durch einen Granatsplitter, starke 
Blutung und Synkope, Schultergelenk und unteres Drittel des Hu¬ 
merus zersplittert. 2 Tage nachher blitzartig schnelles Auftreten 
des Gasbrands. Das Gasknistern ergriff die linke Schulter, breitete 
sich über den halben Thorax aus, zog sich an der Seite hinunter bis 
zum flüitbeinkamm und dorsalwärts bis zur Mitte. Allgemeiner Zu¬ 
stand sehr schwer, starke Dyspnoe, Puls nicht zu fühlen. Exartiku¬ 
lation der Schulter; Gewebe mit Gas infiltriert. 60 ccm Serum. 
Am folgenden Tag 'war das Pflegepersonal überrascht, dass 
Patient noch lebte und sich besser fühlte. Das Gasknistern war viel 
weniger ausgebreitet. Am übernächsten Tag war er wie umge¬ 
wandelt und wurde gesund. 

3. Zahlreiche Wunden an beiden Beinen, Zersplitterung des linken 
Knies machte eine sofortige Amputation des Unterschenkels notr 
wendig; viele Wunden an Bein und Fuss. 3 Tage später Gasbrand 
in letzterem, übelriechender Ausfluss, rötliche Verfärbung des rechten 
Beines in der Umgebung der Wunde und Gasaustritt. Gasknistern 
lokalisiert; der Nervus tibialis reseziert. Schenkelmuskeln grüngelb 
verfärbt, stark mit Gas infiltriert und ödematös. Patient ver¬ 
weigerte die Abnahme des zweiten Beines und will lieber sterben. 
Man begnügte sich damit, die Wunde zu reinigen. Am folgenden 
Tag war sein Zustand verzweifelt. Die Infektion des Beines machte 
rapide Fortschritte, die Wunden waren übelriechend und das Knistern 
reichte über den Schenkel bis zum Bauch, ln diesem desperaten 
Zustand injizierte man intravenös 60 ccm Serum. Am anderen Tag 
Zustand besser und Knistern verschwunden. Der Fuss war wieder 
warm geworden. Nach 18 Stunden wurde eine zweite Injektion ge¬ 
macht. Der Soldat genas vollständig und behielt sein Bein. 

4. Zersplitterung des Oberschenkelknochens, Muskulatur wie 
gekocht und mit Knochensplittern durchsetzt. Der von Schock er¬ 
griffene Patient phantasiert und ist ohnmächtig. Wunde stinkend 
und starkes Knistern in aer Umgebung. Der allgemeine Zustand ver¬ 
bietet eine Amputation Injektion von 60 ccm Serum. Vom Abend 
ab deutliche Besserung, die Infiltration verschwunden und am fol¬ 
genden Tag jede Gefahr beseitigt. 

5. Drei Tage nach der Verwundung ins Lazarett aufgenommen 
mit zahlreichen schweren Wunden: 1. am Schädel, mit grosser Läsion 
der äusseren und inneren Lamelle, 2. am linken Schulterblatt, 3. am 
linken Unterarm mit teilweiser Verletzung des Oberarms und 4. an 
der Flanke des M. iliacus. Letztere Wunde sonderte eine jauchige, 
seröse Flüssigkeit ab; starke Gasinfiltration und Knistern in der 
Rücken- und Gesässgegend. Man macht sehr ausgiebige Inzisionen; 
Reinigung und Drainage. Keine Besserung. Am folgenden Tag Zu¬ 
stand verzweifelt; die Wunden sind dem Geruch nach infiziert. 60 ccm 
Serum. Am anderen Tag auffallende Besserung, Delirium und Gas¬ 
infiltration sind verschwunden. Heilung. 

Die angeführten Fälle erwiesen die Wirksamkeit des Serums. 
Bei den drei Patienten mit ausgedehnten Wunden am Bein und am 
Schenkel hätten die Gliedmassen erhalten werden können. Bei einem 
davon wäre der Zustand so ernst gewesen, dass weder eine Ab¬ 
tragung noch Verkürzung hätte versucht werden können. Die In¬ 
jektion des Serums hätte die Infektion zum Verschwinden gebracht. 
Der Verwundete wäre nicht amputiert worden und sei auf dem Wege 
der Heilung. Man könne also hoffen, dass die prophylaktische und 
kurative Benutzung de»- Serotherapie im grossen ein wirksames Mittel 
gegen den Gasbrand bilde, falls die Mittel zur Verfügung ständen, 
grosse Mengen davon herzustellen. Es würden so vielen Ver¬ 
wundeten ihre Gliedmassen erhalten werden können. 

Dr. L. Kathariner. 


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Kleine Mitteilungen. 

Gerichtliche Entscheidung. 

Der Professor an der Kieler Universität, Dr. L., war im Mai 
1916 bei der lnspektion der Kriegsgefangenenlager an Flecktyphus 
gestorben. Die Versicherungsgesellschaft, bei der er für den Tod 
infolge Unfalles mit 10 000 versichert war, verweigerte die Aus¬ 
zahlung mit der Begründung, dass kein unter die Versicherung fallen¬ 
der Unfall vorliege, besonders, da nach den allgemeinen Bedingungen 
Unfälle, die der Versicherte durch Kriegsereignisse erleidet, aus¬ 
geschlossen seien. 

Das Landgericht Berlin und das Kammergericht haben die Ge¬ 
sellschaft verurteilt, da die Ansteckung in Ausübung des Berufes er¬ 
folgt sei und die Uebertragung durch den Biss einer Kleiderlaus mit 
grosser Wahrscheinlichkeit erfolgt sei. In der Begründung wird 
weiter ausgeführt: Die Beklagte kann sich auch nicht darauf be¬ 
rufen, dass der Versicherte die Ansteckung im mobilen Militärdienst 
erlitten habe. Nach den besonderen Versicherungsbedingungen fallen 
ansteckende Krankheiten, die sich der Versicherte bei Ausübung 
seines ärztlichen Berufes zugezogen hat, ohne weiteres unter die 
Versicherung. Hier ist ein Unterschied nicht gemacht, ob der Ver¬ 
sicherte bei Ausübung seines ärztlichen Berufes im mobilen Militär¬ 
dienst handelte oder nicht. Diese Ausnahmebestimmung der allge¬ 
meinen Versicherungsbedingungen bezieht sich nicht auf die mitver- 
sicherung Ansteckungen von Aerzten. Jedenfalls konnte der Ver¬ 
sicherte die Versicherungsbedingungen in diesem Sinne verstehen. 
Wollte die Beklagte Fälle der vorliegenden Art ausschliessen, so 
wäre es ihre Sache gewesen, dies klar zum Ausdruck zu bringen. 

Das Reichsgericht hat dieses Urteil bestätigt und die von der 
Beklagten eingelegte Revision zurückgewiesen. (VII. 166/18. Urteil 
vom 22. Oktober 1918.) V. Z. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 15. November 1918.*) 

— Kriegschronik. Die Waffenstillstandsbedingungen sind 
angenommen, die Waffen ruhen. Deutschland hat den aussichtslos 
gewordenen Kampf aufgegeben und erträgt knirschend den Fuss, den 
ein übermütiger Gegner ihm auf den Nacken setzt. Gegenwart und 
nächste Zukunft des deutschen Volkes sind vernichtet; es heisst jetzt 
aus den Trümmern ein neues Reich aufbauen und die Hoffnung 
nähren, dass eine, wenn auch ferne Zukunft, die Schmach auslöschen 
wird, die uns jetzt angetan wird. — Die Revolution hat ihren Sieges¬ 
zug vollendet, ln allen deutschen Staaten herrschen Arbeiter- und 
Soldatenräte, alle deutschen Fürsten (vorläufig mit Ausnahme des 
Grossherzogs von Baden) haben auf ihre Kronen verzichtet. In Berlin 
hat sich ein aus Angehörigen der beiden sozialdemokratischen Rich¬ 
tungen gebildeter „Rat der Volksbeauftragten“ als Reichsregierung 
mit diktatorischer Gewalt aufgetan. Da die meisten Behörden die 
Geschäfte auch unter der neuen Herrschaft weiterführen, arbeitet die 
Staatsmaschine in guter Ordnung weiter. Auch Hindenburg ist 
an der Spitze der obersten Heeresleitung verblieben, um die Truppen 
ln Ordnung in die Heimat zurückzuführen, eine Aufgabe, die unter 
dem Druck der Waffenstillstandsbedingungen überaus schwierig, ja 
fast unmöglich geworden ist. Man muss ihm für diesen Beweis vater¬ 
ländischer Selbstverleugnung besonderen Dank wissen. Trotzdem 
muss man der überstürzten Demobilisierung mit grösster Besorgnis 
entgegensehen, vor allem aus Gründen der Volksgesundheit. Zum 
Schutze gegen die Uebertragung von Seuchen aus dem Felde in die 
Heimat waren wohldurchdachte Pläne ausgearbeitet worden. Wird 
es unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch möglich sein, diese 
durchzuführen? Ist insbesondere die Zurückhaltung ansteckender 
Geschlechtskranker bis zu ihrer Heilung noch beabsichtigt und mög¬ 
lich? Es ist nötig, die Bedeutung dieser Fragen ärztlicherseits von 
neuem zu betonen und auf ihre Beachtung zu dringen. Hier droht der 
deutschen Zukunft eine schwerste Gefahr. Es darf nicht sein, dass 
zu allem Elend, das wir sonst schon zu erwarten haben, auch noch 
die Massenverseuchung mit Gonorrhöe und Syphilis tritt. — Aus 
Deutsch-Oesterreich ist die erfreuliche Tatsache zu melden, dass die 
Nationalversammlung in ihrer Sitzung vom 12. November einen 
Gesetzentwurf in allen Lesungen einstimmig annahm, durch den die 
deutsch-österreichische Republik verkündet und als Bestandteil der 
deutschen Republik erklärt wird. Der stürmische Beifall, der diesen 
Beschluss begleitete, wird im Reiche lebhaften Widerhall finden. Es 
wäre in der Tat ein Ergebnis des Krieges, das mit den vielen für 
ihn gebrachten Opfern versöhnen könnte, wenn er den Deutschen 
die Erfüllung ihrer alten Sehnsucht, der Vereinigung aller deutschen 
Stämme in einem Reich, bringen würde. 

—- In München haben Angehörige der verschiedensten gei¬ 
stigen Berufe, unter ihnen als Vertreter der Medizin Prof, 
v. Müller, einen Aufruf an die Allgemeinheit der geistigen Ar¬ 
beiter gerichtet, der diese zum Zusammenschluss auffordert, um 
alle geistigen Kräfte des Landes in den Dienst des Vaterlandes zu 
stellen. Der Aufruf stellt sich ganz auf den Boden der durch die 
Revolution neugeschaffenen Lage und begrüsst den Gedanken, 


*) Wegen eines sächsischen Buss- und Bettages musste diese 
Nummer früher fertiggestellt werden. 

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1334 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 47. 


durch freie Entfaltung aller im Volk schlummernden Kräfte zur Er¬ 
neuerung des deutschen Volkes zu führen. Schutz der Gesundheit, 
materielle Wohlfahrt, Teilnahme an allen Kulturerrungenschaften der 
Vergangenheit, an Kunst und Wissenschaft, sollen einer grösstmög- 
Iichen Zahl gesichert werden. Dazu bedarf es der Erhaltung und 
Weiterentwicklung dieser höchsten Güter,' die nur bei freier Ent¬ 
wicklung eines gebildeten Lebens möglich sein wird. Um den Ein¬ 
fluss der geistigen Arbeit zum Wohl des ganzen Volkes geltend zu 
machen, hat sich ein „Rat geistiger Arbeiter“ gebildet, dem 
beizutreten alle Einzelpersonen und Körperschaften der geistigen 
Arbeit eingeladen werden. Ministerpräsident E i s n e r hat dem 
Rat geistiger Arbeiter bereits jede Förderung zugesagt. — Aehnliche 
Ziele verfolgt der BerTTner Privatdozent Dr. L. Arons mit einem 
an Rektor und Senat der Universität Berlin gerichteten Schreiben, 
in dem er zu Veranstaltung eines Kongresses der Hochschulen und 
der geistigen Kräfte des praktischen Lebens auffordert mit dem 
Hauptgegenstand der Beratung: „Wie können die geistigen Kräfte 
der Nation am besten für die Neugestaltung von Grossdeutschland 
nutzbar gemacht werden?“ 

— In München wird demnächst zur Besprechung der neu¬ 
entstandenen Lage eine allgemeine Aerzteversammlung 
stattfinden. 

— Das Kuratorium des Nobelpreises am Karolinischen 
Institut in Stockholm hat beschlossen, den medizinischen Nobelpreis 
für 1917 nicht zu verteilen. Der Preis für 1918 soll für nächstes Jahr 
zurückgestellt werden. 

— Am 1. Oktober d. J. hat die Deutsche Heilstätte in 
Davos auf Ansuchen des Preussischen Kriegsministeriums in Berlin 
in dem seitherigen Hotel Bellavista in Davos eine Militärabtei¬ 
lung für 50 an Lungentuberkulose erkrankte Soldaten (20 Offiziere 
und 30 Mannschaften) eröffnet. Die Ueberweisung der Kranken er¬ 
folgt durch das Preussische Kriegsministerium in Berlin. 

— Der Zyklus ärztlicher Fortbildungsvorträge, 
der zurzeit in Nürnberg stattfinden sollte (vergl. d. Wschr. 
Nr. 41, S. 1146), wurde mit Rücksicht auf die Zeitverhältnisse ver¬ 
schoben. 

— Cholera. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau. In Czerwinsk (Kreis Plonsk) wurden in der Woche vom 
13. bis 19. Oktober 1 Erkrankung und 1 Todesfall, vom 27. Oktober 
bis 2. November 3 Erkrankungen festgestellt. 

— Fleckfieher. Deutsches Reich. In der Woche vom 
27. Oktober bis 2. November 1 Erkrankung in Lyck (Reg.-Bez. Gum¬ 
binnen). — Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warschau. 
In der Woche vom 13. bis 19. Oktober wurden 148 Erkrankungen 
und 11 Todesfälle gemeldet, davon in der Stadt Warschau 36. — 
Ungarn. In der Zeit vom 16. bis 22. September wurden 30 Er¬ 
krankungen und 1 Todesfall festgestellt. 

— In der 43. Jah^eswoche, vom 20.—26. Oktober 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit M. Gladbach mit 88,6, die geringste Lehe mit 16,6 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬ 
storbenen starb an Diphtherie und Krupp in Lehe. Vöff. Kais. Ges.A. 

— Die Sterblichkeit in deutschen Städten hat nach dem Aus¬ 
weis über die 43. Jahreswoche eine noch nicht dagewesene Höhe 
erreicht. Es verzeichnen Sterblichkeitsziffern über 80 4 (—), 70—80 
11 (—), 60—70 17 (—), 50-60 21 (—), 40-50 31 (—), 30-40 15 (2), 
20—30 8 (24) Städte mit 40 000 und mehr Einwohnern. Unter 20 
blieb nur 1 Stadt (Lehe). Zum Vergleich sind die Ziffern für die 
gleiche Woche des Vorjahres in Klammern beigefügt. Als häufigste 
Todesursache werden Erkrankungen der Atmungsorgane angegeben. 
Ein starkes Ansteigen der Sterblichkeit hat von der 42. auf die 
43. Jahreswoche stattgefunden. 

Todesfälle. 

Am 17. Oktober d. J. starb in Ronsdorf (Reg.-Bez. Düsseldorf) 
der Geh. San.-Rat Dr. med. Gerhard B e r t h o 1 d. In ihm ist einer 
der wenigen Aerzte dahingegangen, die noch Zeit fanden, sich ein¬ 
gehenden wissenschaftlichen Untersuchungen hinzugeben. Allerdings 
betrafen sie ein Nachbargebiet der Heilkunde, nämlich die Kultur- 
und Wissenschaftsgeschichte. Zum Teil mit Unterstützung der 
Kgl. Preussischen Akademie der Wissenschaften hat B e r t h o 1 d 
eine Reihe von Arbeiten über die ältere Geschichte der Physik 
veröffentlicht. Erwähnt seien nur: Rumf ord und die mechanische 
Wärmetheorie, Heidelberg 1875; Johann Fabricius und die 
Sonnenflecken, Leipzig 1894; R. Mayer und die Erhaltung der 
Energie, Düsseldorf, Festschr. d. Ver. d. Aerzte 1894. Manche Ab¬ 
handlungen Bertholds sind in Poggendorffs Annalen der 
Physik erschienen, so die Geschichte der Fluoreszenz, 1876, die 
„Originalluftpumpe Otto v. Guerickes“ 1895 usw. In Ronsdorf ist 
Berthold seit 1870 dei leidenden Bevölkerung ein wahrer Arzt und 
Helfer gewesen. Er hat, gewiss ein seltener Fall, bis in( das 
84. Lebensjahr, d. h. bis kurz vor seinem Tode die ärztliche Praxis 
ausgeübt und zwar nicht etwa nur gelegentlich, sondern unter 
starker Inanspruchnahme, wie es die heutigen Verhältnisse mit sich 
brachten. Im Besitz Bertholds befand sich eine der bedeutend¬ 
sten Privatbibliotheken des Rheinlands. Sie war durch Bertholds 
sich über 50 Jahre erstreckende rege Sammeltätigkeit entstanden 
und enthält hauptsächlich ältere physikalische und philosophische 


Werke. Es wäre zu wünschen, dass isie nicht zerstreut, sondern 
ungeteilt einem wissenschaftlichen Institut einverleibt würde. D. 

Am 11. November verschied plötzlich der Direktor der Medi¬ 
zinischen Klinik Bonn, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Adolf Schmidt 
Nachruf folgt. 

In Bern starb der a. o. Professor für Nervenpathologle an der 
dortigen Universität Dr. Paul D u b o i s im 70. Lebensjahre. 


Ehrentafel. 

Fürs Vaterland starben; 

Stabsarzt d. L. a. D. Georg Bente, Eickhöpen. 

stud. med. Helmut Boettger, Burgkundstadt-Dresden. 

Feldunterarzt Alfred Braun, Niebusch. 

Dr. Georg B ü 11 e r. 

Willy D e m m l e r, Reiboldsruhe. 

Dr. Julius D i e t s c h, München. 

Feldhilfsarzt Rud. F e 1 s m a n n, Friedland. 

Feldhilfsarzt Justin Gutknecht, Altkirch. 

Oberarzt d. L. Werner Heidenhain, Marienwerder. 
Oberstabsarzt August Hoch. 

Stabsarzt Georg Krautwurst, Leschnitz. 

Oberarzt d. R. Heinr. Löffelmann, Paderborn. 
Feldunterarzt Martin Loose, Altenburg. 

Feldunterarzt Walter L ü b s, Padingbüttel. 

Feldhilfsarzt Helm. Marcus, Bad Pyrmont. 

Assistenzarzt Georg v. M a r 6 e s, Bonn, 
cand. med. Karl Meusel, München. 

Oberarzt d. R. Eduard Meyer-Johann, Oldinghausen. 
Feldunterarzt Th. N i e d z i e 11 a, Tondern. 

Feldhilfsarzt Walter Patzig. 

Bataillonsarzt Arthur Pelz, Königsberg i. Pr. 

Feldhilfsarzt Hans R e u t h e r, Hochstadt. 

Bat.-Arzt Josef Riemerschmid. 

Oberarzt Erich Rudel, Warschau. 

Oberarzt Dr. Karl Rudolph. 

Oberstabsarzt Theodor Rudolph, Forst. 

Oberarzt Bruno Scharlach, Gross-Sauerken. 

Feldunterarzt Klaus Scherpeltz, Greifswald. 

Feldhilfsarzt Karl Schmidt, Nienstedt. 

Landsturmpfl. Arzt Ernst Schulz, Mülhausen (Pr. Holland): 
Assistenzarzt d. R. Linus Stahl, Retzstadt. 

Oberarzt Paul S t e n z e 1, Breslau. 

Feldunterarzt Math. T e b a r t, Mülheim. 

Oberarzt d. R. Ernst Werner, Jessnitz. 

Assistenzarzt Friedr. Witte, Amesdorf. 

Feldhilfsarzt Georg Wolf, Forsthaus Müllersdorf. 

Stabsarzt d. L. Karl Zander, Halle. 


Korrespondenz. 

fcur Frage der Abhängigkeit des Eiwelssbedjarfs vom Mfoeralstofi- 
wecbseL 

(Bemerkung zu der Notiz von W. H. Jansen in Nr. 40 d. Wschr.) 
Von Geh. Hofrat Dr. med. C. R ö s e und Ragnar Berg. 

Da die in dieser Notiz erwähnte Arbeit noch nicht im Druck 
erschienen ist und uns also noch nicht zugängig sein kann, ist eine 
nähere Untersuchung derselben selbstverständlich unmöglich. So¬ 
bald die Arbeit im Druck erscheint, werden wir darauf zurück¬ 
kommen und bitten die Leser dieser Wochenschrift, ihr Urteil bis 
dahin zurückhalten zu wollen. 


Zur Aetlologle der Grippe. 

Von Dr. v. Angerer. 

Im Nachtrag zu meiner Veröffentlichung in Nr. 46 der M.m.W. 
bemerke ich, dass als Titel nicht: „ein filtrierbarer Erreger der 
Grippe“, sondern: „ein filtrierbarer Mikroorganismus bei Grippe“ be¬ 
absichtigt war, da die ätiologische Bedeutung noch nicht genügend 
feststeht. Der unrichtige Titel kam durch Ausbleiben der Korrektur¬ 
bogen zustande. 

Inzwischen ist der Nachweis der Körperchen bei 4 von 
5 Grippesektionsfällen, sowie einmal bei 2 Untersuchungen von 
Patientenblut gelungen. Zwei Kontrolluntersuchungen (Sektionen) 
blieben negativ. — Die zur Kultur verwendete Bouillon war nach 
H o 11 i n g e r hergestellt. 

Kulturen und Präparate wurden in der Sitzung des Aerztlichen 
Vereins München am 6. XI. 18 demonstriert. Autoreferat folgt. 


Bedenket dar MUnehanar Aerztllcken Krlagekllfekaeeel 

Einzahlungen sind zu machen auf das Scheckonto Nr. 9263 der 
Münchener Aerztlichen Kriegshilfskasse bei der Bayer. Hypotheken- 
und Wechselbank, München, Theatinerstrasse 11. 


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Verlag von 1 . F. Lehman 

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Lehmann In München S.W. 2, Paul Hcyaeatr. 26. — Druck von E. Mflhlthaler’a Bach- und Kunstdntckerel A.O„ 

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Iwnit ii i i ch lw» m Donncratif dnir jeden Woche. 


MÜNCHENER 


TüHMiittn dad «* MM 

fftr die ScfcrlfHcfta**: AnmRWr. 26 (Spreckatndoi §H—1 IÄA 
Pflr Bezne: u I. r. Lekaunn’a Verla*» Paal Heyaeatraaaa 2 1 
Ptr Anzeigen mm Beilagen: an Rndotf Moese, Theatineratreaaa 1 


Medizinische Wochenschrift. 


OROAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Nr. 48. 26. November 1918. 


Stfiriftteitung: Dr. B. Spatz, Araulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag behüt sich das ausschliessliche Recht der Vervielfiltigung and Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Orlginalbettrige vor. 


Originalien. 

Ueber die Funktion des menschlichen Wurmfortsatzes*) 

Von Prof. Karl Peter. 

M. H.! Vor fast 10 Jahren hatte ich die Ehre, Ihnen an dieser 
Stelle meine Anschauung von der biologischen Bedeutung 
e-m bryonaler und rudimentärer Organe kurz zu ent¬ 
wickeln, wie ich sie in fast allen meinen embryologischen Arbeiten 
betont habe und, sobald es mir wieder möglich ist, wissenschaftlich 
zu arbeiten, auf breiter Grundlage in Buchiorm niederlegen will. Ich 
bin der Ansicht, dass kein Organ einer physiologischen Bedeutung, 
einer Funktion* entbehrt und wies damals auch auf den arg geschol¬ 
tenen Wurmfortsatz des Blinddarms des Menschen hin, der von vielen 
Seiten als nutzloses oder gar schädliches Gebilde betrachtet wird, das 
nur dazu da sei, die Blinddarmentzündung hervorzubringen. Diese 
Anschauung ist weit verbreitet, auch Anatomen huldigen ihr. So 
bezeichnet 0 p p e l in seinem Lehrbuche der vergleichenden mikro¬ 
skopischen Anatomie der Wirbeltiere „kleine Blinddärme, auch den 

Processus vermiformis _ als in Rückbildung begriffene, nicht- 

funktionierende Blinddärme“. Ich betonte dagegen, dass die Appen¬ 
dix ein lymphoides Organ ist, das eine wichtige Tätigkeit aus¬ 
zuüben hat, eine Ansicht, mit der ich keineswegs allein stehe. 

Seitdem sind mehrere Arbeiten erschienen, die das Rätsel der 
Funktion dieses Anhangs einer Lösung näher zu bringen in der 
Lage sind. 

Ich möchte Ihnen den heutigen Stand dieser Frage entwickeln, 
ohne aber einen vollständigen Ueberblick über die Literatur zu geben. 

Es handelt sich für unsere Betrachtung um .zwei nicht zu ver¬ 
mengende Gesichtspunkte. Erstens wird der Wurmfortsatz als 
rudimentäres Gebilde auigefasst, das bei den Vorfahren des 
Menschen kräftiger entwickelt gewesen sein soll und allmählich der 
Rückbildung anheimgefallen sei. Solche Organe gibt es ja in Menge 
im tierischen Körper. Es fragt sich nun: Ist die Appendix in 
der Tat ein rudimentäres Organ? 

Zweitens erhebt sich die Frage: Welche Tätigkeit ver¬ 
sieht der Wurmfortsatz? Rudimentäre Organe pflegt man 
gern als funktionslos zu bezeichnen — eine Anschauung, die der 
meinen allerdings direkt widerspricht; ich nehme an, dass die morpho¬ 
logischen Verhältnisse stets in gleichem Schritte mit den biologischen 
zurückgehen. Finden wir aber, dass die Appendix kein rückgebilde¬ 
tes Organ ist, so wird auch der Verfechter der Ansicht von der 
fehlenden Tätigkeit der rudimentären Gebilde nach einer Funktion 
unseres Organs fragen müssen. 

Die erste Frage hat in vorzüglicher Weise der Anatom 
E. Muthmann von vergleichend-anatomischen Gesichtspunkten 
aus bearbeitet, und es erscheint mir eine Ehrenpflicht, die wichtigen 
Befunde und selbständig entwickelten mit den meinigen bis aufs 
kleinste übereinstimmenden Anschauungen des jungen Kollegen, der 
dem Weltkrieg zum Opfer gefallen ist. Ihnen darzulegen. 

Bezüglich der Funktion des Wurmfortsatzes sind 
es die neueren Arbeiten über die lympho-epithelialen Organe, die sich 
an die Namen J 0 11 y und Mollier knüpfen, die uns den richtigen 
Weg zum Verständnis des vielumstrittenen Organs weisen und eine 
genaue Durcharbeitung und damit sich ergebende Lösung der Frage 
erhoffen lassen. 

Ich möchte Ihnen erst an der Hand der M u t hm a n n sehen 
Arbeit zeigen, dass der menschliche Wurmfortsatz kein 
rudimentäres Organ ist. 

Will man annehmen, dass der Processus vermiformis oder der 
Blinddarm überhaupt beim Menschen rudimentär geworden sei, so 
muss der Nachweis geführt werden, dass die Vorfahren über ein 
längeres Zoekum verfügt hätten. Denn dieser Anschauung folgend 
soll einmal der Blinddarm selbst im Laufe der Phylogenese an Länge 
abgenommen haben, und sein Ende soll dann sich verengt und ver¬ 
dünnt haben und zur Appendix geworden sein. 

Sehen wir erst einmal nach, wie es sich mit dem Blinddarm 
selbst verhält. 

Gehen wir Muthmanns Aufzählung durch, so treffen wir auf 
die verschiedensten Verhältnisse in der Reihe der Säugetiere. Es 


*) Vortrag, gehalten im Medizinischen Verein zu Greifswald. 

Nr 48. | 

D igitized by VjOOS l£ 


finden sich Arten mit mächtig entwickelten Blinddärmen (Pferd, Ka¬ 
ninchen) neben solchen ohne jede Andeutung dieses Darmteils (In¬ 
sektenfresser, Marder, Bär, Faultier), und zwar beide Extreme in 
ganz verschiedenen Säugetierklassen, so dass von einer Abstammung 
der letzteren von den ersteren gar keine Rede sein kann. Es drängt 
sich bei dieser Durchsicht die mit der Ansicht von einer Verkümme¬ 
rung des Zoekum nicht übereinstimmende Meinung von der Abhängig¬ 
keit des gegebenen Verhaltens von einer wichtigen Funktion auf. 
Beim Pferd hat Ellenberger auch schon den Nachweis bedeuten¬ 
der Zelluloseverdauung im- Blinddarm erbracht. 

Gegen eine allmähliche Verkümmerung spricht auch Muth¬ 
manns Befund, dass bei den meisten Pflanzenfressern die Grösse 
des Blinddarms in umgekehrtem Verhältnis zur Kompliziertheit des 
Magens steht: Kaninchen: kleiner Magen, riesiger Blinddarm; Reh: 
komplizierter Magen, kurzer Blinddarm; Faultier: komplizierter Ma¬ 
gen, kein Blinddarm. Muthmann vermutet daher, dass das Zoe¬ 
kum ev. für den Magen eintreten muss. 

All dies spricht dafür, dass der Ölinddarm kein rudi¬ 
mentäres Gebilde ist, un-d die bunte Reihe der verschiedensten 
Entwicklungsgrade im Reiche der Säugetiere lässt den Versuch hoff¬ 
nungslos erscheinen, auch für den Menschen eine Reihe der all¬ 
mählichen Rückbildung aufzustellen. Ob gerade dessen Vorfahren 
ein längeres Zoekum besessen haben, ist vergleichend anatomisch 
nicht zu beweisen. 

Wenden wir uns nun zu dem Wurmfortsatz. 

Eine Appendix als alleinige Zoekalbildung findet man beim 
Schnabeltier und einigen Edentaten, als Anhängsel eines weiten 
Zoekums dagegen bei einem Beuteltier, Phascolomys, bei Lepus, den 
anthropoiden Affen und dem Menschen. 

Sind diese Gebilde nun verkümmerte Abschnitte des Zoekum? 
Halten wir uns an das am besten studierte Organ des Kaninchens, 
so finden wir einen 10 cm langen Wurmfortsatz an dem 40 cm langen 
Blinddarm hängen. Warum sollte von dem 50 cm langen Blinddarm 
das letzte Fünftel zu einem engen Anhängsel verkümmert sein? Hätte 
sich nicht einfach der ganze Abschnitt verkürzen können, wie er bei 
anderen Tieren sich findet? 

Auch beim Menschen besteht kein einwandfreier Beweis für die 
Auffassung, dass der Wurmfortsatz rudimentär sei. Wurmfortsatz 
und Zoekum sollen beim Fötus und Neugeborenen verhältnismässig 
grösser sein, als beim Erwachsenen — das sei ein Zeichen dafür, dass 
das Organ im Rückgang begriffen sei. Nun, die relative Grösse der 
einzelnen Organe ist beim Neugeborenen überhaupt eine ganz 
andere, als beim Erwachsenen; Leber und Gehirn z. B. sind ver¬ 
hältnismässig viel mächtiger entwickelt, ohne dass einer auf den 
paradoxen Gedanken käme, diese als rückgebildet anzusehen. 

Die vergleichende Anatomie gibt also nicht den 
geringsten Anhaltspunkt dafür, dass der Wurm¬ 
fortsatz des Menschen ein rudimentäres Organ 
ist. Diesen Gedanken haben wir abzulehnen. 

Noch ein oft angeführter „Beweis“ für eine Verkümmerung der 
Appendix ist anzuführen. 

Von dem Satze ausgehend, dass rudimentäre Gebilde eine be¬ 
sonders grosse individuelle Variabilität zeigen, 
glaubte man die in so weiten Grenzen schwankende Länge des 
Wurmfortsatzes für die Ansicht einer Verkümmerung ins Feld führen 
zu können. In der Tat notieren alle Lehrbücher der Anatomie eine 
ausserordentlich wechselnde Länge des Appendix, von 2 cm bis 
20 cm und darüber, also im Verhältnis von 1:10. Demgegenüber 
hat nun Berry zahlengemäss nachgewiesen, dass die Variabilität 
des Processus vermiformis gar nicht so besonders gross ist, da 
immer nur extreme Zahlen angegeben werden. Vergleicht man die 
Fortsätze von Individuen gleichen Alters und gleichen Geschlechts 
mit einander, so wird die Variationsbreite ganz bedeutend eingeengt, 
da die Länge des Organs nach Alter und Geschlecht wechselt: es 
ist bei Männern etwa 1 cm länger als bei Frauen und ist am längsten 
zwischen dem 20. und 40. Jahre. 

Anderseits wechselt auch die Länge des ganzen Darmes, und 
zwar mindestens in den Grenzen, wie die des Wurmfortsatzes. 
Stopnitzky fand an ca. 50 Leichen das Intestinum mesenteriale 
schon zwischen 760 und 338 cm schwankend. Als extreme Länge 
verzeichnet er aus der Literatur die Masse von 85 cm einerseits und 
1500 cm anderseits; diese beiden Zahlen liegen fast um das Doppelte 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 48. 


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weiter auseinander, als die oben angeführten Endwerte .der Länge 
des Wurmfortsatzes. Doch fällt die verschiedene Länge des ganzen 
Darmes nicht so sehr auf wie die des leicht zu übersehenden Wurm¬ 
fortsatzes, daher wird dessen Variabilität für zu erheblich für ein 
normal funktionierendes Organ gehalten. 

Es variiert also die Länge des Processus vermiformis keines¬ 
wegs mehr als die des übrigen Darmes, so dass aus diesen Verhält¬ 
nissen kein Beweis für seine Rückbildung herausgelesen werden kann. 
Es wäre von Interesse, die Länge des Wurmfortsatzes in Beziehung 
zu setzen zu der des ganzen Darmes; vielleicht stellt sich eine Ab¬ 
hängigkeit beider von einander heraus. 

Der Wurmfortsatz ist also kein rudimentäres 
Gebilde. 

Wir haben im Gegenteil, und damit komme, ich zum zweiten 
Teil meiner Ausführungen, sichere Anzeichen dafür, dass die Appen¬ 
dix eine wichtige Funktion zu versehen hat, und dies lehrt 
uns das Studium ihres Baues. 

Einmal weist schon der Bau der ganzen Wand darauf hin, dass 
hier eine besondere Tätigkeit vorliegen muss: das Lumen ist eng, 
Falten und Haustren, wie sie dem Blinddarm zukommen, fehlen voll¬ 
ständig. Am charakteristischsten ist aber doch der Bau der Schleim¬ 
haut, die einen eigenartigen lymphoiden Apparat darstellt. 

M u t h m a n n spricht geradezu von einer Tonsilla coecalis, 
der er die Tonsilla iliaca (Plaque am untersten Ileumende) und Ton¬ 
silla ileocoecalis (im Dickdarm beginnend mit der Ileozoekalmündung) 
gegenüberstellt. Die mächtigen Follikel der Blinddarmtonsille sind 
mit dem Epithel in engster Berührung, das eine kuppenartige Vor¬ 
wölbung über ihnen bildet. Doch reicht dieses Epithel beim Kanin¬ 
chen nicht direkt ans Darmlumen heran: es ist in die Tiefe versenkt. 
Durch Verwachsung der umgebenden Zotten — der Dickdarm hat 
beim Fötus Zotten wie der Dünndarm — wird ein Raum vom Darm¬ 
lumen abgeschlossen, der an der Spitze der Kuppe eine feine Oeff- 
nurig zeigt. 

Daraus geht hervor, dass „die Zoekaltonsille gar nicht den Zweck 
hat, mit möglichst viel Darminhalt in Berührung zu kommen, ja dass 
gerade eine ausgedehnte Berührung vermieden werden soll“. Auch 
für Tiere ohne Wurmfortsatz, bei denen dieser lymphoide Apparat 
in die Blinddarmspitze verlagert ist, gilt dieser Satz. Ja beim Ka¬ 
ninchen wird Darminhalt infolge der Versenkung der Follikel unmög¬ 
lich an diese herantreten können. 

Bei Wurmfortsätzen, deren Follikel ans Darmlumen stossen, 
wird auf andere Weise dafür gesorgt, dass wenig Darminhalt ein- 
treten kann. Die Appendix knickt sich rechtwinklig zur Achse des 
Zoekum ab und schliesst sich sogar durch eine Schleimhautfalte ab. 
Dies ist beim Menschen der Fall. In der Tat schreibt Ribbert, 
dass in der Regel überhaupt kein Kot in grösserer Menge in den 
Wurmfortsatz hineingelangt. Die Kotsteine sind meist nur zentral 
aus Kot zusammengesetzt und besitzen eine vorwiegend aus Schleim 
gebildete Hülle. 

Es finden sich im Processus vermiformis des Kaninchens und 
auch des Menschen ganz charakteristische Bauverhältnisse, die sich 
unmöglich mit der Auffassung des Organs als nutzlos oder funktions¬ 
los vereinigen lassen. 

Es zeigt sich, dass wir es hier nicht mit einem gleichgültigen 
Gebilde zu tun haben, sondern mit einem Organ, das ganz be¬ 
sonders zweckmässig gebaut ist, dessen spezielle Funk¬ 
tion aber noch enträtselt werden muss. 

Welcher Art diese Tätigkeit ist, darüber geben uns die Unter¬ 
suchungen über den feineren Bau des Blinddarms einen Fingerzeig. 

Mollier hat in einem Vortrag in der Münchener Gesellschaft 
für Morphologie und Physiologie den Bau einer Reihe von lym- 
phoider Organe erörtert, deren LympHozyten ganz betimmte Be¬ 
ziehungen zu den die Lymphknoten deckenden Epithelien besitzen 
und die er nach dem Vorgänge von J o 11 y „lymphepitheliale Organe“ 
nennt. 

Zu diesen gehört die Thymus, deren Retikulum von Epithelien, 
den Abkömmlingen der Schlundtaschen, gebildet und von Lymph- 
zellen durchsetzt wird, ferner die Tonsillen, deren geschichtetes 
Pflasterepithel von den weissen Blutkörperchen zu einem wahren 
Netzwerk zerrissen wird, die Bursa Fabricii der Vögel, endlich nach 
den Untersuchungen von Hartmann, einem Schüler Mo 11 iers, 
auch die „Tonsillen“, die lymphoiden Apparate des Kaninchendarmes, 
speziell die in der Appendix. 

Was die Funktion dieser lymphepithelialen Organe, die den 
rein lymphoiden (Milz, Lymphknoten, Blutlymphknoten) gegenüber¬ 
zustellen wären, angeht, so weiss man darüber noch nichts. Ist ja 
überhaupt unsere Kenntnis von. der Tätigkeit der lymphoiden Appa¬ 
rate eine höchst dürftige. Mollier erwähnt die Ergebnisse der 
Gundernatschsehen Versuche, der durch Füttern der Am¬ 
phibienlarven mit Thymus ein schnelles Wachstum über die Normal¬ 
grösse und eine Verzögerung der Differenzierung des Körpers fand — 
vielleicht haben diese Organe also einen Einfluss auf das Wachstum. 
Damit würde auch ihre geringe Weiterentwicklung oder Rückbildung 
nach vollendetem Wachstum übereinstimmen, ein Befund, der auch 
für die lymphoiden Apparate des Darmes erwähnt sein möge. Auf 
jeden Fall ist die Tätigkeit der lymphoiden Apparate des Darmes 
eine ganz andere, als gewöhnlich angenommen wird. Man pflegt zu 

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betonen, dass die Lymphzellen das Epithel nur als Durchgangsstrasse 
benutzen, um ins Innere des Darmes zu gelangen und dort ihre Tätig¬ 
keit auszuüben und auf die Verdauung einzuwirken. Hartmann 
lehrt uns aber durch seine genaue, die feinsten Zellverhältnisse be¬ 
rücksichtigende Beschreibung, dass eine solche Durchwanderung 
kaum stattfindet — sonst müsste man einen zeitigen Inhalt häufiger 
finden. Schon Muthmann machte auf diese Tatsache aufmerksam. 
Die Umbildung des Zylinderepithels in ein Retikulum, die Umwand¬ 
lung der Lymphozyten, ihr gewiss lange währender Einschluss im 
Epithel dadurch, dass die Basalmembran und der Kutikularsaum eine 
intakte Schutzschichte um das lymphzellendurchsetzte Retikulum 
bilden, das Fehlen von Schleimzellen an den Stellen der Durchsetzung, 
die Beschränkung dieser Durchwachsung auf Stellen, an denen eine 
Berührung mit dem Darminhalt ausgeschlossen ist — alles das spricht 
dafür, dass wir es hier mit einer Symbiose der Lymphozyten mit 
dem Epithel zu tun haben, wie es J o 11 y annahm. 

Der Blinddarm stellt also ein lympho-epithe- 
lialesOrgandar. Ich möchte noch darauf aufmerksam machen, 
wie im Alter der lymphoide Charakter seine Rolle ausgespielt hat 
und zurücktritt. Kurz, es handelt sich um ein Organ von ganz be¬ 
stimmtem Typus, und wenn man diesen in seiner Aufgabe auch noch 
nicht verstehen kann, so verfalle man nicht in den Fehler früherer 
Jahrzehnte; die die Nebenniere als rudimentär ansprachen, weil 
man ihren Bau nicht verstand. Mögen uns kommende Zeiten eben¬ 
solche Klarheit über die Funktion des Wurmfortsatzes verschaffen, 
wie es bei der Nebenniere der Fall ist. > 

Zum Schluss muss ich noch zwei Ein würfe zurückweisen, die 
für die Gleichgültigkeit oder Schädlichkeit der Appendix ins Feld 
geführt werden: die Tatsache, dass man sie ohne Scha¬ 
den für den Körper entfernen kann, und die der 
häufigen Erkrankung. Beide Einwürfe beweisen nichts für 
die Funktionslosigkeit des Wurmfortsatzes. Wird er entfernt, so 
können eben andere lymphoide Apparate seine Tätigkeit vikariierend 
übernehmen, wie es für andere Organe genügsam erkannt ist: nach 
Exstirpation einer Niere tritt die hypertrophierende andere für den 
Ausfall ein, die Nebenmilzen in gleicher Weise für eine herausgenom¬ 
mene Milz. Die Gallenblase kann ohne Lebensgefahr entfernt werden; 
ich entsinne mich, welchen Eindruck es auf den jungen Mediziner 
machte, als in der chirurgischen Klinik einem Mann 35 cm Dünndarm 
entfernt worden und der Patient nach drei Tagen nach Hause wollte. 
All diese Organe sind doch nicht als funktionslos zu bezeichnen. 
Kurz, eine Funktionslosigkeit beweist diese Tatsache nicht. Dass 
Ausfallserscheinungen bei der Exstirpation eintreten, halte ich nicht 
für unmöglich — wir wissen nur eben so herzlich wenig von der 
Arbeit des lymphoiden Apparates, dass sich uns diese vielleicht an 
sich schwer zu erkennenden Folgeerscheinungen nicht aufdrängen. 
Muthmann fügt noch mit Recht hinzu, dass der Prozessus ja meist 
bei älteren Personen exstirpiert wird, bei denen seine physiologische 
Aufgabe schon nachgelassen hat. „Um ein einwandfreies Urteil über 
eventuelle Ausfallserscheinungen zu bekommen, müsste man ihn wo¬ 
möglich schon dem Neugeborenen exstirpieren.“ 

Weiterhin: Die häufige Erkrankung der Appendix 
ist meines Erachtens nicht auf ein schädliches Darmanhängsel zurück¬ 
zuführen, sondern auf unsere unhygienische Lebensweise. Die 
stundenlang dauernde sitzende, gebückte Stellung beim Schreiben und 
Lesen bringt eben Blutstauung in den Unterleibsorganen hervor, die 
ja auch die Hämorrhoidalknoten zur Folge haben. So können sich 
leicht Entzündungen einstellen. Auch die vorwiegende Fleisch¬ 
nahrung, die, wie Fischer angibt, Obstipation oder sterkorale 
Entzündungen begünstigt, wird für diese Erkrankung verantwortlich 
gemacht 

Nun müsste verlangt werden, dass bei Völkern, die eine ratio¬ 
nellere Lebensführung hätten, die Appendizitis nicht so häufig aut- 
träte. Und in der Tat lese ich in dem Leitfaden der Tropenkrank¬ 
heiten und Tropenhygiene von Rüge und zur Verth: „Die Häufig¬ 
keit der Appendizitis bei Europäern in den Tropen — steht im auf¬ 
fallenden Gegensatz zur Seltenheit dieser Erkrankung bei Schwarzen 
und Gelben.“ Und B. Fischer schreibt in Aschoffs Pathologischer 
Anatomie: „Die Appendizitis ist bei den mitteleuropäischen Völkern 
viel häufiger als bei den Orientalen (z. B. den Türken).“ 

Ich möchte diesen Versuch der Ehrenrettung des vielgeschmähten 
Wurmfortsatzes mit ein-er kurzen Zusammenfassung schliessen: 

Der Wurmfortsatz des Menschen ist kein rudi¬ 
mentäres funktionsloses Organ. Er ist nicht als rudi¬ 
mentär anzusehen, dafür gibt die vergleichende Anatomie keinen An¬ 
haltspunkt. Auch funktionslos ist er nicht, da er einen ganz be¬ 
stimmten Bau besitzt, der auf eine spezialisierte, im einzelnen uns 
allerdings noch unbekannte Tätigkeit hinweist; er gehört unter 
die lympho-epithelialen Organe, die vielleicht für das 
Wachstum des Trägers von Bedeutung sind. 

Wir haben also eben erst erkannt, dass der Processus vermifor¬ 
mis eine Funktion hat, und stehen am Ausgangspunkt schwieriger, 
aber höchst wichtiger Forschungen, die uns sagen sollen, welcher 
A r t seine Tätigkeit ist. Morphologen, Physiologen, Chemiker 
müssen hier Hand in Hand arbeiten, um dieses schwierige Problem 
zu lösen. 

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26 . November I9l8. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCttftfPT. 


tm 


Verzeichnis der zitierten Literatur. 

R. S. A. Berry: The Anatomy of the Vermiform Appendix. 
Anat. Anz. 10. 1895. — Ellenberger: Die physiologische Be¬ 
deutung des Blinddarms des Pferdes. Archiv für wissschaftliche 
Tierheilkunde Bd. 5. — B. Fischer: Verdauungsorgane, in 
L. Asc h of f, Pathologische Anatomie 2. 1909. — J. F. Gunder- 
matsch: Feeding Experiment son Tadpoles. Arch. Entwmech. 35. 
1913. — A. Hartmann: Neue Untersuchungen über den lymphoiden 
Apparat des Kaninchendarmes. Anat. Anz. 47. 1914. — Jolly: La 
bourse de Fabricius et les Organes lympho-öpithöliaux. Compt. rend. 
Assoc. Anatom. 1911. — Mollier: Die lympho-epithelialen Organe. 
Sitzungsber. d. Ges. f. Morph, u. Phys. München 1913. — E. Muth- 
mann: Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Blinddarms und 
der lymphoiden Organe des Darmkanals bei Säugetieren und Vögeln. 
Anatom. Hefte Bd. 48. -r A. Oppel: Lehrbuch der vergleichenden 
mikroskopischen Anatomie Bd. 2, Jena 1897. — Ribbert: Beiträge 
zur normalen und pathologischen Anatomie des Wurmfortsatzes. 
Arch. f. pathol. Anat. Bd. 132. — R. Rüge und M. zur Verth: 
Tropenkrankheiten und Tropenhygiene. Leipzig 1912. — S. Stop- 
nitzki: Untersuchungen zur Anatomie des menschlichen Darmes. 
II. Die Darmlänge des Menschen. Internat. Mschr. f. Anat. u. Phys. 
Bd. 15. 


Aus der medizinischen Klinik Marburg. 

(Direktor: Prof. Q. v. Bergmann.) 

Eine Alkaptonurikerfamilie. 

Von Privatdozent Dr. Gerhardt Katsch, 
Oberarzt der Klinik, zurzeit im Felde. 

Eine von mir entdeckte Alkaptonurikerfamilie, G., bietet 
einiges Interessante. Darüber diese Zeilen. Als erstes Glied der 
Familie lernte ich im Juni 1917 den am 27. I. 13 geborenen Knaben 
Fritz kennen. Es war ein sehr elendes, herabgekommenes Kind, das 
wegen sehr schwerer Rachitis in die Klinik kam. 4 Jahre alt wirkt 
es kaum 2 jährig. Alle Extremitäten waren unförmig missgestaltet; 
der Thorax zusammengedrückt. Es konnte sich nicht im Sitzen halten, 
geschweige denn die Beine zum Gehen- ansetzen. Im übrigen wirkte, 
das Kind in einem seltenen Grade verwahrlost, war schlecht ernährt, 
unsauber, liess Stuhl und Urin unter‘sich gehen und sprach kein 
Wort Es war wegen Vernachlässigung den Eltern durch die Polizei 
entzogen. 

Ein Jahr lang ist das Kind nun in unserer Pflege. Es entwickelte 
sich schnell, lernte mit grosser Geschwindigkeit sprechen und zählen 
und kann auf seinen Säbelbeinchen gehen. Freilich wirkt es auch 
jetzt nicht wie ein fünfjähriges. 

Selten wohl war man in der Lage, das Verhalten des Harnes 
bei einem Alkaptonuriker während einer so langen Zeit ständig zu 
beobachten. Wir lernten in diesem Jahr, wie sehr die Neigung des 
Alkaptonharnes, sich an der Luft schwarz zu verfärben, bei dem¬ 
selben Alkaptonuriker zu verschiedenen Zeiten und von Tag zu Tag 
schwanken kann. Beginnt manchmal das Dunkelwerden des frisch 
gelassenen Harnes schon nach Minuten, so kann ein andermal der 
Harn 14 Tage in weit offenem Gefäss an der Luft stehen, ohne dass 
eine Spur von Melaninbildung sich zeigt. Seit Bodekers 1 ) Ent¬ 
deckung der Alkaptonurie weiss man, dass alkalischer Harn «unver¬ 
gleichlich schneller sich schwarz färbt als saurer,, und sicher sind 
die Harne mit stark verzögerter Melaninbildung stets saure Harne. 
Indessen ist weder die Reaktion noch der Alkaptongehalt das einzig 
Bedingende dafür: Es gibt auch saure Harne, die ziemlich schnell 
dunkeln. Und abgesehen von der Reaktion muss es noch hemmende 
und fördernde Faktoren für die Melaninbildung im Alkaptonharn 
geben. 

Nicht ganz selten färbt sich saurer Harn unseres Alkaptonurikers 
vorübergehend schön bordeauxrot. In meiner Mitteilung über die 
Homogentisinsäure als Chromogen (M.m.W. 1918) ist darüber näheres 
mitgeteilt. Diese Rotfärbung war oft recht auffallend. Sie war 
schon, bevor Fritz G. in die Klinik kam, einem Kollegen aufgefallen 
und hatte ihn veranlasst, eine Hämatoporphyrinurie dahinter zu ver¬ 
muten. 

Wer mit Neusser es Hebt, die feineren Sinnesorgane von 
Tieren für die Diagnostik heranzuziehen, den wird übrigens die 
Mitteilung interessieren, dass Alkaptonharn oder alkalische Alkapton- 
lösung eine starke Anziehungskraft auf Fliegen ausübt. Stellt man 
gleiche Gefässe mit Alkaptonharn und mit gewöhnlichem Ham auf, 
so kann man diese Anziehungskraft leicht feststellen, der Alkapton¬ 
harn wirkt geradezu als Fliegenfalle. Seine chemische Eigen¬ 
tümlichkeit verleiht ihm also auch eine besondere 
Geruchsqualität. 

Der Urin gab alle für Alkaptonlösungen typischen Redüktions- 
proben und die charakteristische, blitzartig verfliegende Blaufärbung 
durch Femchlorid. Die Homogentisinsäure, die charakteristische 
Substanz des Alkaptonharnes, wurde über das Bleisalz nach der 
Vorschrift von Baumann*) in ihren typischen Nadeln rein darge¬ 
stellt. Wir konnten -dabei die Erfahrung von Fromherz*) be- 

*) Zschr. f. rationale Med. 7. 1859. S. 130. 

2 ) Zschr. f. physiol. Chem. 15. 1891. S. 228. 

3 ) Diss, Freiburg 1908 S. 26. 

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stätigen, dass die Aetherextraktion sich sehr leicht vollzieht. Der 
von G a r r o d *) angegebenen Methode, welche die Aetherextraktion 
vermeidet, wandten wir uns wegen kriegsmässiger Aetherknappheit 
einmal zu, verliessen sie aber schnell wieder, weil die Ausbeute sehr 
gering war. Sehr bequem war auch zur Darstellung grösserer 
Mengen reiner Alkaptonsubstanz das Esterverfahren. Wir hielten 
uns dabei an die Vorschrift von Schpmm 5 ), verwandten jedoch 
etwas mehr Aether zum Ausschütteln als dort angegeben ist und be¬ 
schleunigten das Absetzen durch Zentrifugieren. Zum Schluss erhält 
man schöne, ganz schwach gelblich gefärbte kleine Nadeln (Schmelz¬ 
punkt 117°). Bei dem letzten Umkristallisieren mit Wasser-und 
Tierkohle hat man nicht unerhebliche Verluste. Darum muss das 
Gewicht des Rohesters zur Beurteilung der Ausbeute herangezogen 
werden. 

Wurde sehr alter, in Monaten tief dunkel gewordener Urin ver¬ 
arbeitet, so war die Ausbeute an Homogentisinsäureester viel ge¬ 
ringer als bei frischem, nur wenige Tage altem Mischurin. B e i 
der Bildung des schwarzen Farbstoffes wird also 
Homogentisinsäure in nennenswerter Menge ver¬ 
braucht. Beispielsweise betrug die Ausbeute von 20 Litern sehr 
alten Mischurins 6,5 g Homogentisinsäureester (nach mehrfachem Um¬ 
kristallisieren 5,5 g). Dagegen wurde aus 13 Litern frischeren Harnes 
7,9 g Ester gewonnen (nach dem Umkristallisieren 7,2 g). 

Die Tagesmengen an Homogentisinsäure wurden bei unserem 
9—12 kg wiegenden Knaben nach der von Bau mann und Wol- 
k o w '} stammenden Silberreduktionsmethode bestimmt. Es wurde 
stets 3proz. Ammoniaklösung verwendet. Dabei ergab sich eine 
Tagesausscheidung von durchschnittlich 1—2,5 g. Das entspricht auf 
das Körpergewicht bezogen der meist festgestellten Stärke der Alkap¬ 
tonurie. Demgemäss verhält sich bei natürlicher Ernährung auch 
der Quotient Hom/n wie bei der Mehrzahl der Alkaptonuriker: er be¬ 
wegt sich zwischen 45 und 55. Die bekannte Abhängigkeit der 
Homogentisinsäureausscheidung vom Eiweissgehalt der Nahrung, ge¬ 
nauer: von deren aromatischen Aminosäuren, war. ebenso wie in 
anderen Fällen zu Normalzeiten nachweisbar. Bei Einschrän¬ 
kung der Nahrung kam es bei dem Kinde zur Azetonurie. Dann ver¬ 
hielt sich die Alkaptonausscheidung atypisch. Bei stärkerer 
KetonurieverschwanddieHomogentisinsäureganz 
aus dem Harn. Damit ist u. a. der Beweis erbracht, dass ent¬ 
gegen der herrschenden Anschauung, beim Alkaptonuriker keine 
absolute Notwendigkeit besteht, die zyklischen Eiweisskomplexe als 
Homogentisinsäure durch den Harn auszuführen. Die Stoff¬ 
wechselanomalie ist also keine totale. Genaueres über 
die einschlägigen Versuche ist von mir im D. Arch. f. klin. Med. 128. 
1918. S. 210 mitgeteilt. 

Wenn im pathologischen Zustand der Ketonurle ein Alkapton¬ 
uriker es zustande bringt, zyklische Komplexe, die sonst obligatorische 
Alkaptonbildner sind, über das Stadium der Homogentisionsäure hinaus 
(oder indem er es umgeht) abzubauen — dann wird es auch denkbar, 
dass der Grad der Alkaptonurie bei ein und demselben alkaptonuri¬ 
schen Individuum sich wandelt. Es wird wahrscheinlicher, dass diese 
Abbauinsuffizienz sich mindern, dass sie verschwinden kann. Und es 
gewinnen die seltenen, zum grossen Teil anzweifelbaren Mitteilungen 
über vorübergehende Alkaptonurie ein neues Interesse. 

Anzweifelbar sind die Mehrzahl der bisher mitgeteilten Fälle 
von wechselnder, erworbener oder intermittierender Alkaptonurie 
deshalb, weil für die zeitweilige Abwesenheit der Anomalie nur an¬ 
geführt wird, dass damals die Verfärbung des Harnes nicht beob¬ 
achtet wurde. Das beweist nicht eine Freiheit des Harnes an Homo- 
gentisinsäure, weil ja — wie erwähnt — manche sauren Alkaptonharne 
nur ausserordentlich langsam an der Luft sich schwärzen. Daher 
wissen ja so viele Alkaptonuriker nichts von ihrer eigenen Ab¬ 
normität. Dagegen sind einige ganz wenige Fälle doch publiziert, in 
denen vorübergehende Alkaptonurie durch dauernde Untersuchung 
des Urins erwiesen wurde. So die Beobachtung von Geyger 7 ), 
dessen Patient (ein Diabetiker) an zwei Tagen Alkapton hatte. So 
der Patient von Hirsch 8 ), der bei einer Gastroenteritis drei Tage 
lang alkaptonurisch war. Endlich hatte ein Kranker von Zim- 
n i c k y •) mit luetischer Leberzirrhose fünf Perioden von je l bis 
2 Tagen mit Alkaptonurie, dazwischen kein Alkapton. 

Ein zweites Kind der Familie G. ist nun höchstwahrschein¬ 
lich auch ein vorübergehender Alkaptonuriker. Es ist die am 5. VI. 16 
geborene Minna. Ihre Mutter, welche das Schwarzwerden des 
Harnes bei mehreren ihrer Kinder gut kennt und besonders die 
schwarzfleckigen Windeln, versichert auf das Bestimmteste, dass 
dieses Kind als Säugling stets einen an der Luft schwarz, werdenden 
Ham hatte, während sich später diese Eigentümlichkeit verlor. Das 
Kind war im November 1917 kurze Zeit in unserer Klinik mit extrem 
schwerer Rachitis und starb bei uns. Es war nicht alkaptonurisch. 
Dass vordem eine Alkaptonurie bei ihm vorhanden war, gründet sich 
also nur auf die Angaben der Mutter. Immerhin ist die positive 
Angabe, der Urin dieses Kindes sei früher stets schwarz geworden, 
sehr viel belangreicher als in jenen Fällen der Literatur die Mit- 


4 ) Journ. of physiology 23. 1899. S. 512. 
a ) M.m.W. 1904 N. 36. 

") Zschr. f. physiol. Ghem. 15. 1891. S. 228. 

7 ) Pharm. Ztg. 1892, zit. nach E m b d e n. 

8 ) B.kl.W. 34. 1897. S. 866. . 

•) Zit. nach Fromherz. Diss. Freiburg 1908. 

I* 

Original fro-m 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCttENSCHRIFt. 


ttr. 48. 


teilung, -dass ein vorhandenes Schwarzwerden des Harnes früher 
nicht beobachtet war. Wir hätten alsohier einen Fall von 
angeborener Alkaptonurie bei dem die Abbauin¬ 
suffizienz, die ja mit ernsten Gründen nunmehr als 
eine relative angesehen werden muss 10 ), nicht mehr 
als eine totale und absolute, sich vermindert hat 
und verschwunden ist. Trotzdem dieser Fall, so weit ich 
sehe, ein Novum in der Alkaptonliteratur darstellt, ist er mit unseren 
geänderten Anschauungen über diese Anomalie gut vereinbar. Wir 
wissen, wie die fermentativen Fähigkeiten des Organismus in 
frühester Kindheit sich entwickeln und adaptieren. Warum soll sich 
da nicht eine (relative) Abbauinsuffizienz allmählich beheben können? 

Nach diesem Erlebnis war die Angabe der Mutter interessant, 
dass auch ihr ältester Sohn Reinhard (geboren 2. Nov. 1902) in 
früher Kindheit schwarze Windeln und Wäsche hatte, dass sich 
aber später diese Eigentümlichkeit verlor, genau wie bei der Minna. 
Dieser jetzt 1b jährige Reinhard arbeitet als Lehrling bei einem 
Schmied auf dem Lande. Ich Hess ihn aufsuchen und verschaffte mir 
seinem Urin. Er war als Kind sehr elend und schwächlich, anscheinend 
auch rachitisch, ist jetzt klein, fett, ziemlich träg, geistig und körper¬ 
lich minderwertig, kleine moralische Delikte werden berichtet. E r 
wusste nichts von einer Eigentümlichkeit seines 
Urins (der Mutter war er seit lange polizeilich entzogen). Die 
Untersuchung ergab deutliche Alkaptonurie. Der Harn dunkelte sogar 
ziemlich schnell, es begann ohne Alkalizusatz nach 5 Stunden. Dieser 
Fall beweist aufs neue, wie wenig gewichtig die Angabe ist, dass 
dann oder dann das Nachdunkeln des Harnes bei einem Alkaptonuriker 
gefehlt’ habe. Auch in der Erziehungsanstalt Hephata, wo der Knabe 
lange war, wusste man nichts von seiner Anomalie. 

Nur kurz sei auf die übrigen Glieder der Familie eingegangen. 
Der Vater (jetzt im Felde) ist ein Fabrikarbeiter, der auf einem 
kleinen Dorf in der Nähe von Kassel wohnt. Er ist angeblich nicht 
alkaptonurisch und nicht blutsverwandt mit seiner Frau, deren Harn 
ich untersucht und alkaptonfrei befunden habe. Beide Eltern wohnen 
schmutzig und dürftig und haben von jeher ihre Kinder in erstaunlicher 
Weise vernachlässigt. Deshalb mussten sie den Eltern sämtlich 
polizeilich entzogen und in Pflege gegeben werden. Potatorium der 
Eltern steht nicht unbedingt fest. 

Der jetzt 14 jährige zweite Sohn August isf auch von mir unter¬ 
sucht. Er hat Reste einer Knochentuberkulose am Unterschenkel 
und ist geistig zurück. Sein Harn ist frei von Alkapton. Drei weitere 
Knaben: Karl, Georg und Andres, habe ich nicht untersuchen können. 
Jedoch wird angegeben (auch von der Mutter, die die Sache gut 
kennt), dass bei ihnen nie eine Neigung des Harnes zum Dunkel¬ 
werden bestand. 

Dagegen sind kürzlich noch Zwillinge am 15. Juni 1918 geboren, 
die ich gesehen habe. Efner der Zwillinge ist alkap¬ 
tonurisch. Er ist viel kümmerlicher und dürftiger als der andere. 
Die Geburt erfolgte in einer Hebammenanstalt in Kassel, wo von 
der Anomalie nichts bemerkt wurde. Dagegen sah die Mutter sofort 
die schwarzen Windelflecke, als sie etwa am 7. Tage das Kind selbst 
umwindelte. Leider lässt sich also auch bei diesem Falle nicht fest¬ 
stellen, ob die Alkaptonurie sofort nach der Geburt auftrat, oder wie 
Garrod 11 ) glaubt, erst am zweiten oder dritten Tage. Die Kinder 
der Familie G. sind also folgende: 


Name 

Alter 

Alkaptonurie 

Reinhard 

16 

scheinbar vorübergehende, in Wirklichkeit dauernde 



Alkapt onurie. 

August 

14 

nicht alkaptonurisch. 

Karl 

12 

| 

Qeorg 

11 

> angeblich nicht alkaptonurisch. 

Andres 

9 

j 

Fritz 

5 

dauernd alkaptonurisch. 

Minna 

Konrad 

SBugling 

vorübergehend alkaptonurisch, 
nicht alkaptonurisch. 

Lina 

„ 

alkaptonurisch. 


Als kleiner praktischer Ratschlag sei angemerkt, dass man die 
schwarzen Flecke in der Wäsche leicht mit Wasserstoffsuperoxyd 
bleichen kann 1 *). _ 

Aus dem Hygiene-Institut der Universität Greifswald. 

Ueber Verhütung der UeberempfindlichkeitserscheinungeiT 
bei parenteraler Zufuhr artfremden Eiweisses*). 

(Beschreibung einer besonderen Spritze für parenterale 
Eiweisseinspritzungen.) 

Von E. Friedberger. 

M. H.l Wir erleben in den letzten Jahren in der Therapie 
bei den verschiedensten Krankheitsprozessen eine immer weiter¬ 
gehende Zunahme der parenteralen Behandlung mit artfremdem 
Eiweiss, nicht nur bei einigen Infektionen, wo diese Therapie in 
Form von Einspritzung der spezifischen Heilsera ja seit langem 
gebräuchlich ist. / 


10 ) Vergl. D. Arch. f. klin. Med. 128. 1918. S. 210. 

11 ) Lancet 2. 1901. S. 1484. 

12 ) Katsch: Homogentisinsäure als Chromogeu. M.m.W. 1918. 
*) Vorgetrageu im Greifswalder med. Verein am 8. XI. 18. 


Zu den „spezifischen“ Seris und den „spezifischen“ Vakzinen 
für therapeutische und prophylaktische Zwecke sind, speziell für 
therapeutische Zwecke, noch die aspezifischen Bakterienimpfstofic 
hinzugekommen, und die Impfungen mit artfremdem Eiweiss im allge¬ 
meinen [z. B. Milch, normales antikörperfreies, d. h. „leeres“ 1 ) Pferde¬ 
serum usw.]. 

Alle diese Einspritzungen von artfremdem Eiweiss sind ja nun 
keineswegs indifferent für den Organismus, wie man aus 
dem Ausbleiben grober Störungen in der Mehrzahl der Fälle an- 
r.ehmen sollte. Es sei nur auf die Serumkrankheit und die starke 
Veränderung des Blutbildes nach parenteraler Zufuhr artfremden 
Eiweisses hingewiesen. Auch an die Methode, durch parenterale Milch¬ 
injektion latente Malariainfektionen manifest zu machen 1 *), um die so 
auftretenden Parasitenformen der Chinintherapie zugänglich zu 
machen, mag in diesem Zusammenhänge erinnert sein. 

Wie weit die Beeinflussung des Organismus durch die par¬ 
enterale Zufuhr von artfremdem Eiweiss geht* dafür geben vielleicht 
Tierversuche von E. P. Pick und Hashimoto*) einen Anhalt. 
Diese Autoren konnten zeigen, dass bei Meerschweinchen durch die 
parenterale Zufuhr von Pferdeserum schon in einer Menge von 
0,001 ccm a ) (= 0,00008 g Eiweiss = 0,0000128 g N) innerhalb von 
14 Tagen in der Leber der Stickstoff der inkoagulabLen Eiweisskörper, 
der normal 6—9 Proz. beträgt, auf 20—24 Proz. des Gesamtstick¬ 
stoffes steigt. 

Noch nach 68 Tagen ist der vermehrte Eiweissabbau in der Leber 
nachweisbar. Dabei handelt es sich im wesentlichen um den Abbau 
des eigenen Körpereiweiäses; denn die zerfallende Eiweissmenge 
ist viel tausendmal grösser als die eingeführte artfremde. 

Die Wirkung in den Versuchen der genannten Autoren ist um so 
überraschender, als gerade das Pferdeserum für das Meer¬ 
schweinchen anscheinend ja viel indifferenter ist als die Sera 
der meisten anderen Tierspezies. Ein Meerschweinchen von etwa 
250 g verträgt selbst 5 ccm bei intravenöser Zufuhr ohne ersichtliche 
Störungen. (Von Rinderserum tötet z. B. der 10.—20. Teil schon unter 
akuten Vergiftungserscheinungen.) 

Aber gerade auf derartigen, offensichtlich doch eingreifenden 
Beeinflussungen des interzellulären Stoffwechsels schon durch, kleine 
Dosen beruht wohl auch die therapeutische Wirkung, die der Injek¬ 
tion artfremden Eiweisses im allgemeinen zugeschrieben wird. Viel¬ 
leicht ist auch der therapeutische Effekt, der auf die „spezifischen 
Antikörper“ vieler Heilsera zurückgeführt wird, zum Teil in der 
blossen Wirkung des „leeren“ artfremden Serums begründet Dafür 
sprechen die gründlichen, in ihrer Anordnung geradezu muster¬ 
gültigen objektiven Untersuchungen von Bingel 4 ), der bei 937 Fäl¬ 
len von Diphtherie, die innerhalb von 4 Jahren bei ihm behandelt wur¬ 
den, „keine nennenswerten Unterschiede in den- Erfolgen des antitoxi¬ 
schen Diphtherieheilserums gegenüber denjenigen des gewöhnlichen 
Pferdeserums gesehen hat“ 5 ). Ja, zahlenmässig betrachtet beobachtete 
er sogar vielfach eine bessere Wirkung des gewöhnlichen Pferde¬ 
serums. Allerdings sind „die Zahlenunterschiede, die zugunsten der 
GP. °)-Behandlung sprechen, so klein, dass sie noch durchaus im Be¬ 
reiche der Zufälligkeiten liegen können; sie sind aber gross genug, dass 
sie beweisen, dass dem AS. 6 ) kein Vorzug eingeräumt werden kann.“ 
Diese Untersuchungen Bingeis sollten' unbedingt nunmehr an vielen 
Stellen an klinischem Material nachgeprüft werden. Wenn seine 
Erfahrungen sich auch anderweitig bestätigen sollten, so würde das 
einen Wendepunkt in der „Serumtherapie“ bedeuten und es wäre 
in der Tat angebracht, dann noch einmal näher die Frage zu erörtern, 
inwieweit der Gehalt derartiger Heilsera an Antikörpern gegen ein 
Gift, das durch das Wachstum mancher Diphtheriebazillenkulturen in 
einer Nährbouillon sich bildet (Prüfung im Tierversuch gegen¬ 
über diesem Gift) überhaupt die Krankheitserscheinungen in dem 
unter natürlichen Bedingungen von Diphtherie befallenen Organismus 
zu beeinflussen vermag. Das würde keineswegs eine Negierung der 
Heilserumtherapie überhaupt bedeuten, sondern nur zeigen, dass wir 
vielleicht auch in dieser Frage nicht, wie masn vielfach auf Grund 
der Untersuchungen unserer beiden grössten Immunitätsforscher 
glaubte, schon am Ende, sondern noch in den Anfängen eines wich¬ 
tigen Problems stehen. Jedenfalls müssen wir B i n g e 1 Anerkennung 
dafür zollen, dass nun endlich einmal derartige Versuche, d i e 
besser freilich schon in der Anfangsperiode der 


0 Die geringen Mengen von „Normalantikörpern“ spielen hier 
wohl keine nennenswerte Rolle. 

**) B r a u e r: W.kl.W. 1917 Nr. 4, T h a 11 e r v. D r a g a: Ebenda. 

2 ) Zbl. f. Physiol. 27. 1913. Nr. 16; s. auch Arch. f. Path. u. Pharm. 
76. 1914. S. 89. 

3 ) Das entspräche etwa 0,3 Pferdeserum für den Menschen von 
70 kg. 

*) Bin ge 1: Ueber Behandlung der Diphtherie mit gewöhn¬ 
lichem Pferdeserum, Leipzig, F. C. W. Vo gel, 1918; s. a. D. Arch. i. 
klin. M. 1918. - ■ 

5 ) Schon vorher hatte übrigens v. Strümpell (Vh. d. M. Ges. 
in Leipzig, s. diese Wschr. 1916 S. 1426) in einer.Anzahl von Fällen 
regelmässig abwechselnd Heilserum- und Kochsalzlösunginjektionen 
vornehmen lassen. „Bei etwa 60 hr dieser Weise behandelten teils 
leichten teils mittelschweren Fällen trat ein sehr in die Augen sprin¬ 
gender Unterschied zwischen der spezifischen und der indifferenten 
Behandlung nicht hervor.“ (S. a. die Angaben von R o 11 y, ebenda.) 

6 ) GP. == gewöhnliches Pferdeserum, AS. = Antiserum. 


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ÜNIVERSITY OF CALIFORNIA 




26 . November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1339 


Heilserumtherapie möglichst zahlreich ausge¬ 
führt worden wären, angestellt und ausführlich mitgeteilt 
wurden. 

Die bedrohlichen Symptome, die mit der parenteralen, vor 
allem der intravenösen Zufuhr artfremden Eiweisses verknüpft sind, 
sind ja schon bei der Lammbluttransfusion in der Mitte des vorigen 
Jahrhunderts beobachtet und von Neudörfer. Landois u. a. 
näher untersucht worden. 

Auch die entsprechende Wirkung kleiner Dosen artfremden 
Serums, wie sie die Diphtherietherapie zum Glück nur in ganz sel¬ 
tenen Fällen dann offenbarte, sind nicht durch das spezifische Anti¬ 
toxin [L u b 1 i n s k i 7 )], sondern durch das artfremde Eiweiss an sich 
bedingt [J o ha n n e s e n 8 )]. Sie sind bis in die letzte Zeit hinein 
immer nur Ausnahmen gewesen. 

Mit der Zunahme der Injektionen artfremden Eiweisses für pro¬ 
phylaktische und vor allen Dingen für therapeutische Zwecke mehren 
sich aber doch in der Literatur die Angaben über akute bedrohliche 
Zufälle bei derartigen Injektionen, so dass es wohl angebracht er¬ 
scheint, einmal die möglichen Massnahmen dagegen kurz im Zu¬ 
sammenhang zu besprechen. 

Sie stützen sich im wesentlichen auf Tierversuche an künstlich 
überempfindlich gemachten Tieren, zum Teil aber auch auf Er¬ 
fahrungen am Menschen. 

Besonders häufig treten die bedrohlichen akuten Symptome in 
unmittelbarem Anschluss an parenterale Eiweissinejktion bei sol¬ 
chen Individuen auf, die schon einmal mit aem betreffenden 
Eiweiss gespritzt waren. Sie sind dann als echte Ueberempfindlich- 
keit zu deuten, in dem ein, infolge der ersten Injektio i entstandener, 
streng spezifischer Antikörper sich mit dem Eiweiss der Reinjektion 
verbindet, und unter Hinzutritt von Komplement aus dem Organismus 
. jene aspezifischen hochtoxischen Spaltprodukte entstehen lässt/die 
wir als „Anaphylatoxin“ bezeichnen 9 ). 

Die analogen Symptome, die bei ganz vereinzelten Individuen 
schon bei Erstinjektionen artfremden Eiweisses auftreten, sind * 
wohl darauf zurückzuführen 1 , dass jene Antikörper, wie sie in der 
Regel auf eine voraufgegangene Injektion artfremden Ei¬ 
weisses entstehen, bei solchen Menschen schon primär vorgebildet 
sind (Idiosynkrasie). 

Unsere möglichen prophylaktischen Massnahmen decken sich im 
wesentlichen für beide Kategorien. 

Sie betreffen 

1. das Antigen selbst, 

2. den Empfänger. 

Zu I. 'Ablagern des Serums, kurzdauerndes Erwärmen 
bis auf 60°, wobei die Antikörper spezifischer Sera noch nicht leiden, 
sollen die Giftigkeit, wenn auch nur teilweise herabsetzen. Der Er¬ 
folg ist unsicher. 

Die Versuche von Gibson 10 ), nach chemischer Trennung mit 
Ammonsulfat und alleiniger Injektion der antikörperhaltigen Globu¬ 
linfraktion die Erscheinungen zu verhüten, haben zu keinem ein¬ 
deutigen Erfolg geführt, ebensowenig der Zusatz von Säure oder 
Lauge zum Serum |C a r n o t und Sela v u n ), Moruzzi und Re¬ 
pa g I i 12 )]. 

Diese Methoden, die speziell für antitoxischc Sera angegeben 
sind, und zugleich natürlich auch möglichste Erhaltung des spezifi¬ 
schen Anteiles anstreben, lassen sich, auch bei anderem ai tfremden 
Eiweiss, wie „leeren“ Seris usw., anwende» 1 aber man weiss nicht, 
inwieweit die auch den nicht antikörper haltigen Eiw eiss- 
lösungen zugeschriebene H e i 1 q u o t e dadurch beeinflusst wird. 

Der Vorschlag Ascolis 13 ), bei wiederholten Injektionen das 
Eiweiss von verschiedenen Tierspezies zu benutzen, ist wohl die 
sicherste Methode zur Verhütung von Serumunfällen, wie sie die 
wiederholten, parenteralen Injektionen des Serums einer 
Tierart bedingen, schützt aber nicht gegen Uebercmpfindlichkeit bei 
erstmaliger Zufuhr. 

Die Methoden, die das Antigen für die Injektion zu beeinflussen 
suchen, führen also zu keinem befriedigenden Resultat. 

Wie steht es nun mit den beiden übrigen Komponenten für das 
Zustandekommen der Vergifiumgssymptome. dem Antikörper und dem 
Koitiplement? Damit kommen wir zu der Beeinflussbarkeit des zwei¬ 
ten; Faktors, es ist das der mit dem artfremden Eiweiss gespritzte 
Organismus. 


7 ) D.m.W. 1894 Nr. 45. 

*) Ebenda 1895 Nr. 51. 

“) Wie ich einem Referat in dieser Wochenschrift Nr. 35 ent¬ 
nehme, bestreitet R. Pfeiffer erneut die Richtigkeit meiner Auf¬ 
fassung. ohne wie bisher dafür Argumente beizubringen. Ich ver¬ 
weis« demgegenüber auf die glänzende Bestätigung meiner Befunde 
und Anschauungen durch neuere Versuche von O. Bail (Zschr. 
f. Immunitätsforsch. 27 H. 1/2. S. 1). Der Nachweis der primären 
relativen Ungiftigkeit der Bakterien (keine Endotoxine!) und der 
Giftbeseitigung durch Abbau zu ungiftigen Spaltprodukten, die Pfeif- 
f e r und B e s s a u für sich in Anspruch nehmen, geht auf V a 11 a r d i 
und mich zurück. w r ieich bereits früher gegenüber Pfeiffer und 
Be ss au nachgewiesen habe (D.ttlW. 1917 Nr. 32). 

10 ) Journ. of biol. Chem. 1906. 

11 ) Compt. rend. Soc, biol. 1910 Nr. 2. 

12 ) Ebenda Nr. 9. 

13 ) Zschr. f. Immunitätsforsch. 6. 1910. S. 161. 


Die pharmakologische Behandlung, Chlorkalzium [Net¬ 
te r P)], Ka lzi u ni 1 a k t a t [Bligh ,ft )l hat versagt. Chlor- 
bar.ium [Biedl und Kraus 18 )l. Atropin [Auer und Le- 
w is 17 )], die im Tierversuch wirksam sind, erfordern für die Anwen¬ 
dung am Menschen viel zu hohe Dosen. 

Die Ausschaltung des Komplements in vivo ist 
zwar gleichfalls im Tierversuch möglich durch sehr eingreifende Pro¬ 
zeduren, Injektion konzentrierter Kochsalzlösung in die Blutbahn 
[Fried be rger und Ha r t o ch 18 )], starke Abkühlung der Tiere 
vor oder sofort nach der Injektion durch Eintauchen in kaltes Wasser 
[Friedberger, und Klima g a i 19 )]. Das sind natürlich Eingriffe, 
die sich beim Menschen kaum durchführen lassen. 

Bleibt noch die Ausschaltung des Antikörpers. 
Sie ist erreichbar und zwar durch Injektion des homologen Antigens. 
Dabei bildet sich nun allerdings gerade das Gift, dessen Entstehung 
wir vermeiden wollen. Wenn aber zunächst nur eine kleine 
Menge Antigen eingespritzt wird, so kann sich nur wenig Gift 
bilden; es wird aber doch ein gewisser Teil der verfügbaren Anti¬ 
körper abgesättigt, so dass bei einer Nachspritzung des gleichen 
Autigens in grösserer Menge infolge Antikörpermangels keine ge¬ 
nügende Giftbildung mehr statthat. Man bezeichnet die durch Vor¬ 
spritzung des homologeh Eiw.eisses entstandene verringerte Re¬ 
aktionsfähigkeit bekanntlich als Antianaphylaxie. 

Besredka 20 ) und N e u f e 1 d 21 ) haben dieses Verfahren zu¬ 
erst für den Menschen empfohlen. Es besteht aber dabei die Un¬ 
bequemlichkeit, dass eine zweimalige Applikation des Antigens mit 
einem gewissen Zeitintervall erforderlich ist. Zudem weiss man nie, 
inwieweit durch die Vorimpfung Antianaphylaxie erzeugt ist, und 
ob nicht doch bedrohliche Erscheinungen bei der Reinjektion grosser 
Dosen auftreten. 

Die Nachteile des Besredka sehen Verfahrens werden ver¬ 
mieden bei einer Methode, die ich in Gemeinschaft mit S. Mita be¬ 
reits vor 6 Jahren veröffentlicht habe 22 ), die aber '-egen der Um¬ 
ständlichkeit der Apparatur beim Menschen kaum angewandt wer¬ 
den ist. Sie stützt sich gleichfalls auf die Erzeugung der Antiana- 
phylaxic und beruht auf dem von Bordet entdeckten Prin — 
z i p, dass eine gewisse Menge von Antigen um so mehr Antikörper 
aus einem Serum absorbiert, je allmählicher das Antigen zugesetzt 
wird. 

Die mittels eines besonderen Apparates konstant, aber ga*^ 
allmählich bei annähernd gleichbleibendem Druck in den Körper ein- 
fliessenden Mengen des artfremden Serums bedingen bereits eine voll¬ 
ständige Absättigung des Antikörpers, ehe sich eine tödliche oder 
auch nur krankmachende Dosis von Anaphylatoxin aus dem Anti¬ 
gen bilden konnte. Die nachfliessenden Antigenmengen werden dann 
unbeschadet vertragen, da längst die Antikörper verbraucht sind, 
ehe eine krankmachende Dosis von Gift sich bilden konnte. 

Mit Hilfe dieser Methode gelang es uns bei künstlich überemp¬ 
findlich gemachten Meerschweinchen bis zum zehnfachen der sonst 
tödlichen Dosis einzuspritzen, wobei die Dauer der Injektion biszu 
einer Stunde betrug. Die Unbequemlichkeit und Unhandlichkeit des 
für diese Versuche benutzten Apparates hat wohl bedingt, dass diese 
im Prinzip sehr brauchbare Methode keine weitere Verwendung ge¬ 
funden hat. 

Ich haibe nun in letzter Zeit eine Spritze konstruiert 23 ), die 
bei richtiger Anwendung genau das gleiche leistet. Es ist eine 
einfache Rekordspritze, bei der in die Kolben¬ 
stange (a) ein ,feines Gewinde eingeschnitten 
ist. Dieses Gewinde kann in einer Schrauben¬ 
mutter laufen, die in einem hakenförmigen 
Hebel eingeschnitten ist, der um eine Achse 
drehbar seitlich an der Ueberwurfkappe an¬ 
gebracht ist (b, c). Durch Anlegen dieses He¬ 
bels (b) an das Gewinde der Kolbenstange (a). 
lässt sich der Inhalt der Spritze sowohl 
zwangläufig ganz allmählich entleeren, als auch, 
nach Ausschaltung der Schraubenmutter (c). 
plötzlich in der gewöhnlichen Weise durch 
Vorschieben des Stempels (e). Die Spritze 
wird, wie jede andere, nachdem die Schrauben¬ 
mutter beiseite geschoben ist (c). mit dem Se¬ 
rum gefüllt, dann wird der Hebel mit der 
Schraubenmutter über die Kolbenstangenspin¬ 
del gelegt (b) und nun ganz allmählich durch 
Nledcrschrauben des Kolbens (e) der Inhalt 
der Spritze entleert. Der Hebel mit der 
Schraubenmutter ist dabei so konstruiert, dass 
das Muttergewinde bei der schraubenden 
Niedcrbew'egung des Kolbens dauernd an der Spindel geführt wird. 



1A ) Compt. rend. Soc biol. 1906. 

15 ) Brit. med. Journ. 1908. 
lö ) W.kl.W. 1910 Nr. 11. 

17 ) Compt. rend. Soc. biol. 168. 1910. 

19 ) Zschr. f. Immunitätsforsch. 3. 1909. H. 6. B.kl.W. 1909 Nr. 36. 
19 ) Zschr. f. Immunitätsforsch. 19. 1913. S. 427. 

*») Compt. rend. Soc. biol. 56. 57. 1908 ; 69. 1910. 

21 ) Zschr. f. Immünitätsforsch. 3. S. 159. 

22 ) D.m.W. 1912 Nr. 5. 

23 ) Zu beziehen durch F. & M. Laut.enschlägcr, Berlin N. 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 






1340 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 48. 


Bei der Einspritzung ist es nun notwendig, zuerst mit ganz 
wenigen Umdrehungen und ganz allmählich, Tropfen für Tropfen, 
wegen der Gefahr der Ueberempfindlichkeit, den Inhalt der Spritze 
zu entleeren. Später kann man dann schneller schrauben, oder auch, 
wenn die Absättigung des Antikörpers genügend' erscheint, nach Weg¬ 
klappen des Gewindehebels den noch übrigen Inhalt der Spritze auf 
einmal in der gewöhnlichen Weise entleeren. 

Wir haben die Brauchbarkeit der Spritze an einer Reihe von 
Meerschweinchen ausprobiert, die 17 Tage vorher mit Hammelserum 
(0,02 subkutan) künstlich überempfindlich gemacht worden waren. 
Die tödliche Dosis des Hammelserums betrug bei gewöhnlicher intra¬ 
venöser Reinjektion 0,02. Bei langsamer Injektion mit Spritze konnte, 
sofern die ersten 'Quantitäten ganz allmählich ein sch leichend gegeben 
wurden und beim Eintritt von Unruhe oder beschleunigter Atmung die 
Einspritzung für einen Augenblick unterbrochen wurde, bis zum 
zwanzigfachen der tödlichen Dosis eingespritzt 
werden. Eine Versuchsreihe zeigt die nachstehende Tabelle. 

Bestimmung der minimalen tödlichen Dosis des 
Hammelserum bei den vor 17 Tagen mit 0,02ccm Ham¬ 
melserum subkutan vor behandelten Meerschwein¬ 
chen. 


Nr. 

Körper* 

gewicht 

Reinjektionsdosis nach 
17 Tagen 

(in 4 c.m NaCl-Lösnng) 

Dauer der Injektion 

Ausgang 

93 

310 g 

0,01 ccm 

9 Sek. 

lebt 

96 

280 E 

0,01 ccm 

4 Sek. 

lebt 

91 

290 g 

002 ccm 

4 Sek. 

tot 1 ) in 4 Min. 

86 

280 e 

0,02 ccm 

6 Sek. 

tot in 3 Min. 

90 

210 e 

0,02 ccm 

6 Sek. 

lebt 

80 

220 e 

0,02 ccm 

5 Sek. 

lebt 

8? 

200 E 

0,03 ccm 

4 Sek . 

tot in 8 Min. 


wv n f v f vj wuu | * ocm. I «u w 

*) tot am tot unter den für Anaphylaxie charakteristischen Erscheinungen 


Langsame Injektion. 


Nr. 

Körper 

gewicht 

Reinjektionsdosis 
nach 17 Tagen (in 

4 ccm NaO-Lösung) 

Multlplum der mini¬ 
malen tödl. Reinjek- 
tionsdoals (0,02) 

Diner der 
Injektion 

Ansiang 

95 

250 

g 

0,04 

ccm 

2 

4 

Min. 

25 

Sek. 

tot in 

2V« Min 

82 

250 

g 

0,1 

ccm 

5 

3 

Min. 

5S 

Sek 

tot in 

20 Min. 

88 

250 

g 

0,1 

ccm 

5 

5 

Min. 

10 

Sek. 

tot in 

8 Min. 

86 

240 

g 

0,1 

ccm 

5 

7 

Min. 

15 

Sek. 

lebt 


85 

230 

g 

0,2 

ccm 

10 

12 

Mm. 



lebt 


91 

230 

g 

0,2 

ccm 

10 

15 

Min. 



lebt 


87 

2)0 

g 

0,3 

ccm 

15 

9 

Min. 

30 

Sek. 

lebt 


92 

700 

g 

0,3 

ccm 

15 

19 

Min. 

15 

Sek. 

lebt 


98 

220 

E 

0,4 

ccm 

20 

9 

Min. 

15 

Sek. 

sofort 

tot 

83 

250 

g 

0,4 

ccm 

20 

22 

Min. 

45 

Sek. 

lebt. 



Die Spritze dürfte sich auch für parenterale (auch intravenöse) 
Zufuhr artfremden Eiweisses beim Me n s c h e n empfehlen. Man 
wird das Eiweiss (Serum) dabei zweckmässig .mit Kochsalzlösung 
verdünnt einspritzen, da das einerseits die allmähliche erschleichende 
Zufuhr des Eiweisses erleichtert, andererseits nach eigenen Unter¬ 
suchungen mit Tassava*') überhaupt die Vermehrung des Flüssig¬ 
keitsvolums Ueberempfindlichkeitserscheinungen bis zu einem ge¬ 
wissen Grade verhütet. 


Ueber den Blutdruck in den Kapillaren der menschlichen 

Haut 

Von Prof. Basler, Tübingen. 

In der Zschr. f. exp. Path. veröffentlicht Friedenthal 1 ) eine 
zusammenfassende Darstellung über die verschiedenen Methoden zur 
Messung des Druckes in den Blutkapillaren und kommt zu dem Er¬ 
gebnis, dass dpr Kapillardruck „keine schlechthin messbare und an- 
gebbare oder verwertbare Grösse“ • sei, denn fast von jedem Autor 
werde ein anderer Druck angegeben. Ich glaube, dass Frieden- 
t h a 1 Jedem, der die von den verschiedenen Forschern angegebenen 
Werte vergleicht, aus dem Herzen gesprochen hat. So fand, um nur 
einige Beispiele anzuführen, v. Kries*) am Fingerrücken einen 
Druck von 51,3 cm Wasser, v. Recklinghausen*) etwa 70 cm, 
idrselbst*) einen solchen von 9—12 cm Wasser. 

Im Hinblick auf die von 'Friedenthal angeregten Fragen 
scheint es angezeigt, kurz zusammenzufassen, was man von der 
Druckbestimmung in den Hautgefässen erwarten darf. 

Sieht man von der zuerst von mir 5 ) und später von W e i s s e ) 
vorgenommenen blutigen Bestimmung des Druckes in den kleinen 


**) Zschr. f. Immunitätsforsch. 19. 1913. S. 427. 
x ) H. Friedenthal: Ueber Kapillardruckbestimmung. Zschr. 
f. exp. Path. u. Ther. 19. 1917. H. 2. 

*) N. v. Kries: Ueber den Druck in den Blutkapillaren der 
menschlichen Haut. Bericht der Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. 27. 
S. 149 (155). 1875. 

*)H. v. Recklinghausen: Unblutige Blutdruckmessung. 
3. Mitteilung. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 55. S. 463 (496). 1906. 

*) A. Bas 1 e r: Untersuchungen über den Druck in den kleinsten 

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Hautgefässen ab, deren Kritik hier zu weit führen würde, dann be¬ 
ruhen alle Methoden darauf, dass die Haut so lange zusammen¬ 
gedrückt wird, bis sie blass erscheint. Dazu kann man eine Glas¬ 
platte von bestimmter Grösse benützen 7 ) oder man lässt den Druck 
von komprimierter Luft oder einer Flüssigkeit auf die Haut wirken, 
wobei es gleichgültig ist, ob dazwischen noch eine vollständig nach¬ 
giebige Membran eingeschaltet wird 8 ) oder nicht 9 ). 

Bei Ausführung solcher Versuche kann man sich leicht davon 
überzeugen, dass sich nie ein plötzlicher Wechsel der Hautfarbe voll¬ 
zieht, sondern je mehr der Druck zunimmt, um so heller wird die 
Haut, ein Umstand, auf den schon v. Kries 10 ) hingewiesen hat. 
Lässt man den von aussen wirkenden Druck ganz allmählich steigen, 
dann wird auch die Haut nur langsam blass. So lange nur wenig 
gedrückt wird, werden d6en nur solche Gefässe komprimiert, in 
denen das Blut unter geringem Druck steht, was sich äusserlich durch 
eine gewisse Blässe verrät. Mit jeder Zunahme des Druckes wird 
eine neue Kategorie von Gefässen zusammengepresst; dement¬ 
sprechend wird, die Haut jedesmal um eine Nuance heller. 

Will man deshalb bei der Bestimmung des Kapillardruckes die 
Ergebnisse der verschiedenen Versuche vergleichbar machen, dann 
muss man entweder so lange komprimieren, bis die Haut vollständig 
weiss ist, ode.r so lange, bis der erste merkliche Farbenumschlag 
auftritt, denn die dazwischen liegenden Farbenstufen sind unmöglich 
bei einem anderen Versuch In der gleichen Helligkeit wieder her¬ 
zustellen. • 

Das v o 11 s^l ä n d i g e Erblassen der Haut als Kriterium zu 
benützen, wie es Natanson 11 ) tat, ist nicht zweckmässig, denn es 
ist ein Zeichen dafür, dass schon relativ grosse und tiefliegende 
Arteriefiäste blutleer geworden sind. Man misst also dann nicht 
mehr den Druck in den * kleinsten Hautgefässen. Auf das Gleiche 
kommt es heraus, wenn man nach dem Vorgang von Roter- 
m u n d “) die Hautstelle zuerst vollständig blutleer macht und den 
Druck so lange sinken lässt, bis die Haut eben rot wird.-v. Reck¬ 
linghausen “), der ebenfalls den Druck so lange abnehmen Hess, 
bis die Haut sich wieder rötete, berücksichtigte allerdings auch den 
Druck, unter dem die volle Rötung wieder eintrat, ferhielt aber nichts¬ 
destoweniger ausserordentlich hohe Werte. Es bleibt also nur der 
eine Weg übrig, dass man, wie es zuerst v. Kries“) vorschlug, 
den Druck misst, bei dem die Haut eben merklich erblasst. 

Da aber das Erkennen der ersten Verfärbung häufig mit grosser 
Unsicherheit verbunden ist, habe ich seinerzeit eine Einrichtung an¬ 
gegeben, bei der die gedrückte Hautstelle sich unmittelbar mit der 
normalen Haut vergleichen lässt, wodurch die Beurteilung der Farbe 
wesentlich erleichtert wird. Eine Schilderung des Apparates, der 
unter dem Namen Ochrometer im Handel Ist, erübrigt slcn um so 
mehr, als er auch in der klinischen Literatur vielfach sogar mit Ab¬ 
bildungen beschrieben wurde 15 ). Dass man damit, wenn nach meinen 
Vorschriften verfahren wird, niedrigere Werte bekommen muss 
als mit den bisher üblichen Methoden, Ist eigentlich selbstverständlich. 
Trotzdem sind die von anderen Untersuchern und mit anderen Me¬ 
thoden gefundenen Werte durchaus nicht falsch, nur wird fast von 
jedem Forscher etwas anderes gemessen. Natanson bestimmt 
den Druck in kleinen Arterien, ebenso v. Kries, letzterer vielleicht 
auch schon in grösseren Kapillaren. Ich selbst messe den Druck in 
Gefässen, die noch leichter -komprimiert werden können und gab 
deshalb mehrfach der Vermutung Ausdruck, dass mit dem Ochro¬ 
meter der Druck in den kleinsten Venen bestimmt wird 18 ). 

Wenn Friedenthal hervorhebt, dass man im Laufe eines 
Tages bei einem und demselben Individuum häufig durchaus ver¬ 
schiedene Druckwerte erhält, so kann ich ihm nur beipflichten. Welchen 
grossen Einfluss auf den Kapillardruck z. B. Temperaturveränderungen 


Blutgefässen der menschlichen Haut. II. Mitteil. Pflügers Arch. 157. 
1914. S. 345. 

5 ) A. Basler: 1. c. S. 351. 

•) E. Weiss: Ein neuer Apparat zur blutigen Kapillardruck¬ 
messung. Zbl. f. Phys. 28. Nr. 7. 

7 ) N. v. K r i e s: I. c. G. N a t a n s o n: Ueber das Verhalten des 
Blutdruckes in den Kapillaren nach Massenumschnürungen. Königs¬ 
berg, Dissert., 1886. H. Rotermund: Ueber den Kapillardruck, be¬ 
sonders bei Arteriosklerose. Dissert., Marburg 1904. W. Schiller: 
Ueber den Einfluss der Temperatur auf den Druck in den Kapillaren 
der Haut. Zbl. f. Phys. 24. S. 391. 1911. 

8 ) A. Basler: Untersuchungen über den Druck in den klein¬ 
sten Blutgefässen der menschlichen Haut. 1. Mitteil. Pflügers Arch. 
147. S. 393. 1912. 

°) S. v. Basch: Experimentelle und klinische Untersuchungen 
über den KäPillardruck. Internat. Beitr. z. inn. Med. 1. 65. 1903. 
H. v. Recklinghausen: 1. c. S. 490. 

10 ) N. v. Kries: 1. c. S. 151. 

u ) G. Natanson: 1. c. S. 5. 

H. Rotermund: 1. c. S. 7. 

“) H. v. Recklinghausen: 1. c. S. 495. 

“ N. v. Kries: 1. c. S. 151. 

15 ) Vgl. R. Länderer: Zur Frage des Kapillardruckes. Zschr. 
f. klin. Med. 78.H. 1 u. 2 und H. K r a u s s: Der Kapillardruck. Samml. 
klin. Vortr. N. F. Innere Med. 1914. Nr. 237/39. S. 315 (322). 

«) A. Basler: II. Ml«. Pflligers Arch. 157. 1914. S. 345 (349). 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



26. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1341 


ausüben, hat G o 1 d m a n n 17 )' gezeigt. Mit der Folgerung jedoch, 
die Friedenthal aus dieser Tatsache zieht, dass von einer Fest¬ 
stellung des Kapillardruckes in seiner absoluten Höhe nicht die Rede 
sein könne, vermag ich mich nicht einverstanden zu erklären. Unter 
bestimmten Bedingungen hat eben der Kapillardruck diesen, unter 
anderen Bedingungen einen anderen Wert. Mit dem gleichen Rechte 
Hesse sich behaupten, weil je nach äusseren oder inneren Einflüssen 
bei einem und demselben Individuum das Herz einmal schneller, ein 
anderes Mal langsamer schlägt, es gäbe keine Pulsfrequenz. 

Eine Lücke allerdings besitzt die mit sämtlichen bisherigen 
Methoden ausgeführte Kapillardruckmessung, die zum Teil schon aus 
dem Gesagten hervorgeht. Wir können zwar mit Sicherheit sagen: 
ln einer bestimmten Gruppe von Hautgeiässen herrscht ein zahlen- 
mässig bestimmbarer Druck, aber wir wissen nicht, wie die Gefässe 
der untersuchten Kategorie aussehen. Keine einzige der bisher an¬ 
gegebenen Methodeh gestattet, den Druck in den Kapillaren im 
anatomischen Sinne zu messen. Diese Lücke wird durch Unter¬ 
suchungen ausgefüllt, die ich kürzlich vorgenommen habe und die 
an anderer Stelle ausführlich geschildert werden. 

Der Weg für meine Untersuchungen war vorgezeichnet durch 
die Beobachtungen von Lombard 18 ) aus dem physiologischen In¬ 
stitut in Würzburg, dem es im Jahre 1912 gelang, die verschiedenen 
kleinen Gefässe in der Haut unter dem Mikroskop zu studieren. Er 
brachte einen Tropfen Glyzerin oder durchsichtiges Oel auf die Haut 
und beobachtete diese Stelle bei schwacher Vergrösserung. Er 
machte namentlich darauf aufmerksam, dass die Haut etwas proximal¬ 
wärts von den Fingernägeln sich am besten zur Beobachtung eignet, 
weil dort die Kutispapillen nagelwärts gerichtet sind und somit durch 
das Mikroskop von der Seite gesehen werden. Deshalb sieht man 
die darin liegenden Kapillarschlingen in ihrer ganzen Ausdehnung. 
Lombard bestimmte auch den Druck in den Hautgefässen, doch 
eignet sich seine Methode nicht zur Vornahme von Untersuchungen 
in grösserem Umfange; speziell für klinische Zwecke scheint sie 
mir etwas umständlich zu sein. 

Ich selbst bediente mich eines Apparates, der in seinen Aus¬ 
massen möglichst mit dem Ochrometer übereinstimmte, um die mit 
beiden Methoden erhaltenen Ergebnisse direkt miteinander ver¬ 
gleichen zu können. Der Apparat sei ein für allemal als Kapillar- 
tonometer 1 ®) bezeichnet. 

Der Finger, an dem die Beobachtung ausgeführt werden soll, 
wird so unter den Tubus eines Mikroskopes mit schwachem Objektiv 
gebracht, dass gerade das Gebiet proximal vom Nagelfalz sichtbar 
ist, und von der Seite her durch eine Osram-Azolampe von 150 Ker- 



Fig 1. Aufstellung zur Vornahme,der Untersuchung. 


zen Lichtstärke y (Fig. 1) unter Dazwischenschaltung eines Kon¬ 
densorsystems z beleuchtet wird. 

17 ) E. Gold mann: Ueber die Beeinflussung des Blutdruckes 
in den Kapillaren der Haut durch verschiedene Temperaturen. Pflü¬ 
gers Arch. 159. 1914. S. 51. 

18 ) W. P. Lombard: The blood pressure in the arterioles, 
capillaries, and small veins oft the human skin. American Journ. of 
Physiol. 29. 1912. S. 335. 

19 ) Der Kapillartonometer wird von Herrn Universitätsmechani¬ 
ker E. A1 b r e c h t in Tübingen komplett geliefert. 


Der Objekttisch ist mit einem Umbau x aus Holzbrettchen um¬ 
geben, auf dessen Decke a die Hand des Patienten während der Be¬ 
obachtung ruht. Der untersuchte Finger liegt ausgestreckt in einer 
Rinne, die in einem Holzstück b eingeschnitten ist. *Zur Ausübung 
des Druckes dient eine mit Glyzerin gefüllte, unten mit Goldschläger¬ 
haut m überzogene 20 ) Trommel f (vgl. Fig. 2) aus Messing von 4 cm 



Fig. 2. Durchschnitt durch den Kapillartonometer. 


Durchmesser, die etwa die Form einer M a r e y sehen Kapsel besitzt. 
Dieselbe ist durch die Stange e und die Säule c mit der Rinne, in 
welcher der Finger liegt, fest verbunden und lässt sich mit Hilfe der 
Muffe d beliebig heben und senken. Ueber der oberen Wand der 
Trommel lässt sich gerade an der Stelle eines, runden Ausschnittes 
ein Glasfenster i von 2 cm Durchmesser anbringen. Zu beiden Seiten 
des Glasfensters sind 2 Messingiöhrchen (in der Fig. 2 mit li u. la be¬ 
zeichnet) in die Trommel eingelassen. Mit dem einen der beiden 
Ansatzröhrchen h ist durch einen Gummischlauch p (vgl. Fig. 1) eine 
ebenfalls zum Teil mit Glyzerin gefüllte Glaskugel verbunden, die als 
Reservoir dient. Das zweite Röhrchen 1? dient zum Entleeren der 
Luft bei der Füllung des Apparates mit Glyzerin, es wird vor dem 
Gebrauch mit einem kurzen Gummischlauch versehen, der während 
dem Versuch abgeklemmt wird. Ein Gummiballon w (Fig. 1) steht 
sowohl mit der Glaskugel q, wie mit dem Wassermanometer v in 
Verbindung. Durch Kompression des Gebläses mit Hilfe einer Ein¬ 
richtung ähnlich derjenigen, wie sie Gärtner 21 ) zum Aufblähen 
der Fingermanschette verwendet, lässt sich der Druck in der Glas¬ 
kugel und somit in der Trommel beliebig erhöhen und gleichmässig 
an dem Wassermanometer v ablesen. 

Um zu verhindern, dass auch solche Teile der Goldschlägerhaut, 
welche nicht auf der Fingeroberfläche liegen, vorgebuchtet werden, 
ist an dem Apparat eine besondere Einrichtung angebracht, in Form 
von 2 Hülsen m und n 2 (Fig. 2), die beiderseits über die Trommel 
gesteckt und mit Schrauben befestigt werden. Die untere vor¬ 
springende Platte jeder Hülse unterstützt auf jeder Seite einen Teil 
der Membran, so dass dazwischen nur ein der Breite des Fingers 
entsprechender Streifen der Goldschlägerhaut freibleibt. 

Zur Ausführung eines Versuches wird der in der oben beschrie¬ 
benen Weise gelagerte Finger mit einem Tropfen Glyzerin befeuchtet, 
worauf die Trommel entlang der Säule c so weit gesenkt wird, dass 
die Goldschlägerhaut fest der Fingeroberfläche aufliegt. Sodann be¬ 
obachtet man durch das Fenster i hindurch im mikroskopischen Bild 
die Kapillarschlingen, während gleichzeitig der Druck über der Gold¬ 
schlägerhaut durch Zusammenpressen des Ballons w erhöht wird. Bei 
einem bestimmten Druck, der um ein Kleines grösser sein muss als 
der im Innern der Gefässe herrschende, werden dann die Kapillar¬ 
schlingen unsichtbar. 

Die auf beiden Seiten von Glyzerin umgebene Goldschlägerhaut 
ist vollständig unsichtbar und stört deshalb so wenig, dass das Bild 
kaum undeutlicher wird als ohne den ganzen Apparat. 

Nach dem Versuch wird die Trommel durch Hochheben in die 
Glaskugel entleert und der Verbindungsschlauch abgeklemmt. Vor 
jedem Versuch findet in analoger Weise die Füllung statt, indem 
man die Klemme an dem Verbindungsschlauch zwischen Glaskugel 
und Trommel löst und letztere senkt. 

So hat man einen stets gebrauchsfertigen Apparat zur Ver¬ 
fügung. Denn die jedesmalige Füllung und Entleerung ist in wenigen 
Sekunden vollendet. Wenn man täglich Versuche ausführt, kann man 
auch ruhig den Apparat gefüllt lassen. Da Glyzerin zurzeit schwer 
erhältlich, verwendete ich zuerst das von der chemischen Fabrik 
Vorm. Goldenberg, Geromont & Cie. in Winkel hergestellte 
Perkaglyzerin. So gut sich dasselbe für pharmazeutische Zwecke 
bewähren mag, zur Füllung meines Apparates eignete es sich nicht. 

20 ) Es ist unbedingt notwendig, -dass die Goldschlägerhaut vor 
dem Ueberziehen durch Einlegen in Glyzerin geschmeidig gemacht 
wird. Wie ich zufällig erfahren habe, wurde diese Vorschrift beim 
Arbeiten mit dem Ochrometer vielfach ausser acht gelassen. Dadurch 
ist es einerseits ausgeschlossen, die Kapseln wirklich luftdicht zu 
überziehen, andererseits ist die Goldschlägerhaut nicht durchsichtig 
genug und schmiegt sich nicht so genau dem Finger an, wie es er¬ 
forderlich ist. 

n ) G. Gärtner: Ueber einen neuen Blutdruckmesser. W.kl.W. 
1899. S. 696 (697). 


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Go», igle 


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1342 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 48. 


Es wurde nach kürzester Zeit dunkel und enthielt dann einen Boden¬ 
satz, der die Beobachtung ungemein erschwerte. Die Fabrik teilte 
mir mit, dass das ebenfalls von ihr in den Handel gebrachte Per¬ 
glyzerin diese Fehler nicht besitzt und deshalb zu technischen Zwek- 
ken vielfach benützt wird. Da jedoch zur Füllung des Kapillartono¬ 
meters nur kleine Flüssigkeitsmengen gebraucht werden, war es mir 
möglich, das offizineile ülycerinum purum zu verwenden, so dass ich 
über die Verwendbarkeit des Perglyzerins keine Erfahrung besitze. 

Ich hoffe, dass es mir durch vorstehende kurze Beschreibung ge¬ 
lungen ist, das Wissenswerteste meiner Methode zu schildern. Eine 
eingehende Beschreibung -des Apparates erscheint später in Pflügers 
Archiv. 

Verschiedene mit dem Apparat in letzter Zeit gewonnene Er¬ 
gebnisse sollen in nächster Zeit an dieser Stelle veröffentlicht werden. 
Es sei fürs erste nur erwähnt, dass ie mit den Werten in vollen Ein¬ 
klang gebracht werden können, die ich mft meinen früheren Appa¬ 
raten ermittelt habe. Diese Untersuchungen füllen die letzte Lücke 
unserer Kenntnisse über den Blutdruck in den kleinsten Hautgefässen 
aus, durch sie sind wir imstande, den Druck in solchen Kapillaren zu 
messen, die sich auch in anatomischem Sinne genau präzisieren 
lassen. 


Pathologisch-anatomische Beobachtungen zur 
„spanischen Grippe“ 1918. 

Von Dr. Max Borst. 

M. H.! Ueber die pathologische Anatomie der spanischen Grippe 
liegen bereits mehrere Mitteilungen vor. Meine eigenen Beob¬ 
achtungen stimmen im grossen ganzen mit diesen Berichten überein, 
so dass icHHhnen nichts wesentlich Neues bringen kann. Trotzdem bin 
ich gerne der Aufforderune «ihres Herrn Vorsitzenden, über meine Er¬ 
fahrungen zu berichten, gefolgt, weil es sich gezeigt hat, dass das 
Bild der Grippe auch anatomisch gewisse regionäre Züge 
aufweist, die es wünschenswert erscheinen lassen, ^ass Mitteilungen 
von möglichst vielen Orten aus erfolgen. Diese regionären Besonder¬ 
heiten sind nur zum Teil daraus verständlich, dass die einzelnen 
pathologischen Anatomen dieser oder jener Veränderung ihre be¬ 
sondere Aufmerksamkeit schenken. Zum anderen Teile müssen be¬ 
sondere örtliche Bedingungen für die Variationen im anatomischen 
Bilde verantwortlich gemacht werden. 

Das Material, das ich meinen Ausführungen zugrunde lege, betrifft 
100 Grippesektionen, die wir am pathologischen Institut der Univer¬ 
sität ausgeführt haben, und 33 Fälle, die ich in meiner Eigenschaft als 
fachärztlicher Beirat für pathologische Anatomie am Reservelazarett 
München D vorzunehmen hatte. Die Befunde bei den verstorbenen 
Zivilpersonen wichen nicht wesentlich von denen bed den Soldaten 
ab, so dass ich die 133 Fälle gemeinsam behandeln darf. Ich be¬ 
merke ausdrücklich, dass es sich bei diesem Material nicht nur um 
die Oktobergrippe handelt, sondern dass auch die Fälle aus der 
Sommerzeiit mit einbegriffen sind. Die anatomischen Befunde 
im Juni-Juli und im Oktober waren in allen wesentlichen Punkten 
5 töie gleichen. An dieser Stelle kann ich auch die Frage streifen, ob 
sich die Influenza 1889 von der soanischen Griot>e 1918 in patho¬ 
logisch-anatomischer Hinsicht deutlich unterschieden hat. Soweit ich 
aus der Literatur ersehe — persönliche Erfahrungen aus dem Jahre 
1889 fehlen mir — war das pathologisch-anatomische Bild damals und 
jetzt ziemlich übereinstimmend. Das würde für die Identität des 
Virus bei beiden Epidemien sprechen. 

Was nun unser Material betrifft, so bestätigt es zunächst die 
allenthalben (Schmor 1, Lu barsch. Oberndorfer, O. Meyer 
und G. Bernhardtu a.) gemachte Erfahrung, dass die Grippe vor 
allem jugendliche Personen dahinrafft. Von den 100 im patho¬ 
logischen Institut zur Sektion gekommenen Personen waren im 
ersten Jahrzehnt 3. im zweiten 18. im dritten 45. im vierten 15, im 
fünften 14. im sechsten 3. im siebenten 2. Von den 33 Soldaten waren 
2 unter 20 Jahren. 16 zwischen 20 und 30. 9 zwischen 30 und 40, 
6 über 40 Jahre. Bezüglich des Geschlechtes schien im Sommer 
mehr das männliche, im Oktober mehr das weibliche Geschlecht zu 
überwiegen; fassen wir alle 100 Fälle des Instituts zusammen, so 
ergibt sich ein Verhältnis von 45 Männern zu 55 Flauen und 
Mädchen, also ein geringes Ueberwieven des weiblichen Geschlechtes. 
Ich möchte auf solche Zahlen aber nicht viel geben. Aufgefalleu ist 
uns. dass ein # ausserordentlich grosser Prozentsatz der an Grinne 
Verstorbenen 'Residuen früherer Erkrankungen auf- 
• wties. Auf eine solche Schwächung der Widerstandskraft durch 
voraufgezangene Krankheiten weist auch Dietrich hin. während 
Lubarsch wenig Ueberhleibsel früherer Erkrankungen fand. Wir 
haben auf diesen Punkt besonders geachtet und Folgendes festge¬ 
stellt. Von 133 Sezierten boten nur 73 einen — ausser den frischen 
Griooeveränderungen — normalen Befund. Auffallend häufig waren 
Pleuraadhäsionen (in 78 Fällen!: vereinet fanden sich die 
allerverschiedensten Organverändemngen. Dem Status thvmico-lvm- 
phaticu« kann ich »m Gegensatz zu Oberndorfer keine nennens¬ 
werte Polle im Ablauf der Grinne znbiMligen. Wir fanden unter 
133 Fällen nur 4 Fälle mit Status 'b^mnUatirus nn»3 trrnesern Tlnrmits. 
Auch Dietrich. O. Meyer und G. Bernhardt, Goldschmidt 
erkennen keine besondere Beziehung des Status lymphaticus zur 
Grippe an. 


Im Vordergrund des anatomischen" Bildes der Grippe steht die 
Erkrankung der Atemwege. Nase und Rachen sind mit 
katarrhalischer, sehr häufig hämorrhagischer Entzündung beteiligt. 
Pseudomembranöse Entzündung des Rachens wurde von uns 
nur einmal konstatiert. Die Mandeln zeigen keine regelmässigen 
oder hervorstechenden Veränderungen. „Oedem“. also entzündliche 
seröse Durchtränkung, wurde oft konstatiert; selten fanden sich 
frischere, z. T. eitrige Pfropfe; Abszesse zweimal. Aeltere Pfropfe 
und narbige Veränderungen lassen sich sehr häufig naebweisen; doch 
möchte ich darauf keinen besonderen Wert legen. Jedenfalls nicht 
in dem Sinne, dass die Mandeln die Eingangspforte des hypothetischen 
Virus darstellen. Das lässt sich in keiner Weise anatomisch be¬ 
gründen. Charakteristisch und allen Fällen gemeinsam ist die diffuse 
Laryngotracheobronchitis. Sie nimmt vom Kehlkopf 
nach den Bronchien hin in der Regel an Intensität zu. Meist ist es 
eine einfache katarrhalische Form mit stärkster Hyperämie der be¬ 
fallenen Schleimhäute. Sehr häufig steigert sich diese Hyperämie 
zur Hämorrhagie (71 Fälle). Pseudomembranöse For¬ 
men (in Kehlkopf und Trachea) sahen wir auch, allerdings nicht so 
häufig wie andere (Goldschmidt. Hirschbruch z. B.). Es 
handelt sich dabei, wie auch Lubarsch betont, nicht um die Bil¬ 
dung zusammenhängender Pseudomembranen. wie z. B. bei der 
Löfflerbazillendiphtherie, sondern um feine körnige Beläge der 
Schleimhäute. Selten ist die Kehlkopfschleimhaut schwerer ver¬ 
ändert und zeigt oberflächliche Geschwürsbildung an 
den Stimmbändern und in der Aryknorpelgegend. Perichondri- 
tische Prozesse, wie Simmonds, O. Meyer und G. Bern¬ 
hardt, sahen wir nicht. Die pseudomembranöse Entzündung kann 
auch die Schleimhaut der grösseren und kleineren Bronchien er¬ 
greifen; besonders in den kleinen Bronchien sah ich nicht so selten 
fibrinöse Pfröpfe stecken. Auch Dietrich und Lubarsch weisen 
auf die Bronchiolitis frbrinosa hin. Oedem des Kehlkopfeinganges, 
sog. Glottisödem, sahen wir relativ häufig (36 Proz.). Die 
Lymphknoten an der Lungenpforte waren in den meisten Fällen 
stark entzündlich geschwollen, sehr oft auch hämorrhagisch (70 Fälle). 
Selten, und dann nur bei schweren eitrigen Lungenprozessen, fanden 
sich Abszedierung und Nekrosen in diesen 'Lymphknoten. Gold-, 
Schmidt fand die Hilusdrüsen der Lungen wenig beteiligt: das 
steht durchaus im Gegensatz zu unseren Erfahrungen. 

Die Lungen sind in den zur Obduktion gekommenen Fällen 
jedesmal miterkrankt (1 Kind mit Kleinhirntumor und 1 Erwachsener 
mit Epilepsie hatten keine Pneumonie; in 3 Fällen"w«r^die Pneumonie 
abgelaufen). Zumeist findet sich das Bild der herdförmigen 
Pneumonie. Die Beziehung der pneumonischen Herde zu den ent¬ 
zündeten kleinen Bronchien ist unverkennbar: es sind herd¬ 
förmige Bronchopneumonien, und zwar teils vom Cha¬ 
rakter der peribronchialen, teils der endobronchialen. sensu strictiori 
lobulären Pneumonien. Die Neigung der Entzündung, von den Bron¬ 
chien aus die Wand und Umgebung der Bronchien zu ergreifen, tritt 
auch in den mikroskopischen Bildern deutlich hervor; das betont 
auch Dietrich. Der Charakter des pneumonischen Exsudates ist 
wechselnd. Häufig sind es serös-hämorrhagische Exsu¬ 
dat i o n e n in die respirierenden Lufträume. Der hämorrhagi¬ 
sche Charakter der Lungenentzündung ist überhaupt auffallend. Die 
Herde sehen in diesen Fällen makroskopisch dunkel- bis schwarz- 
rot aus; die Infiltrationen sind oft wenig fest, mehr schlaff, sie zeigen 
wegen des relativ geringen Fibringehaltes eine glatte Schnittfläche 
und bieten ein mehr splenisiertes Aussehen dar. Andere Herde 
erweisen sich als katarrhalisch-eitr.igePneumonien mit 
massenhaft Leukozyten in den Alveolarsepten und Alveolarlichtungen; 
solche Herde s»ind graurot oder graugelblich verfärbt und zeigen bei 
stärkerem Fibringehalt eine festere Infiltration des Lungengewebes 
und eine mehr körnige Schnittfläche. Durch Konfluenz der oft dicht 
beieinander liegenden pneumonischen Herde können ausgedehntere 
Infiltrationen zustande kommen. Diese konfluierenden Bron¬ 
chopneumonien sind von Entzündungen zu unterscheiden, die 
von vornherein mehr diffus auftreten: auch hier gibt es mehr 
schlaffe, serös-hämorrhagische, fleischige Infiltrationen: .fe^te lobäre 
fibrinreiche Infiltrationen vom typischen Aussehen der kruppösen Pneu¬ 
monie sahen wir nur selten (8 Fälle). Blutige keilförmige Infarkte, 
wie sie Oberndorfer für die Anfangsstadien beschrieb und auf 
primäre mykotische Thrombcarteriitis zurückführte, vermisste ich in 
unkomplizierten Fällen immer. Ich befinde mich hier in Ueberein- 
stimmung mit Dietrich, Hübschmann. GoldschmidL wel¬ 
che ausdrücklich gegen die Schilderung Oberndorfers Stel¬ 
lung nehmen; auch Lubarsch und Ben da erwähnen nichts 
von primären Gefässveränderungen und davon abhängigen keil¬ 
förmigen blutigen Infarzierungen. Infarktartige Nekrosen sahen wir 
nur in den vorgeschrittenen und durch Eiterungen kom¬ 
plizierten Fällen (s. später). 

Damit komme ich auf die schweren Lungenveränderungen zu 
sprechen, die offenbar die Folgen einer Sekundärinfektion 
sind und die sich als eitrige Ein Schmelzungsprozesse 
darstellen. Die eitrige Schmelzung kann zunächst die broncho- 
pneumonischen Infiltrate betreffen: es entstehen so mul¬ 
tiple Abszesse, oft dicht gedrängt und konfluierend. so dass der be¬ 
treffende Lungenteil wie siebförmig durchlöchert aussieht. Auch v e r- 
zweigte Abszesse, nach Art der cholangitischen Leberabszesse, 
habe ich gesehen; sie entstehen durch Vereiterungder Rami- 
fikationen eines Bronchus samt der zugehörigen Paren- 


Digitiiüa by 


Gck igle 


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26. November 1918. MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1343 


chymabschnitte. Ich habe in solchen Fällen die zugehörigen Lungen¬ 
arterienäste vollkommen frei von Thromben gefunden, so dass die 
bronchogene Eiterung vollkommen klarzutegen war. Weiterhin 
kann es aber zur eitrigen Schmelzung der bindege- 
webigenSepten kommen. Die Grundlage dieses Prozesses ist 
eine Ly mp han gitis, die sich auf dem Wege der peribronchialen 
und perivaskulären und sonstigen Lymphgefässe der Lunge oft auf 
weite Strecken hin ausdehnt. Die Lymphgefässe sind erweitert, mit 
serofibrinösen und eitrigen Exsudaten erfüllt; ein oft hochgradiges 
entzündliches Oedem der ßindegewebssepten vervollständigt dieses 
Bild der fortschreitenden Lymphangitis, die vielfach rein eitrigen 
Charakter annimmt und zur Einschmelzung der feineren und gröberen 
Septen samt der darinliegenden Bronchien und Gefässe führt. Hiebei 
werden begreiflicherweise die Gefässe von aussen nach innen von 
dem eitrigen Entzündungsprozess ergriffen und es gesellt sich zur 
eitrigenArteriitisund Ph 1 eb i t i s schliesslich eine Throm- 
bose hinzu. Das sind aber alles sekundäre Komplikationen. 
Diese sog. Pneumonia dissecans führt nun zu infarkt- 
artigen Nekrosen durch Gefässverstopfung und durch förmliche 
Sequestration von Lungenabschnitten. • Man sieht verzweigte 
und netzartig miteinander zusammenhängende, gelbe Eiterstrassen und 
landkartenartig begrenzte, keilförmige oder sonstwie gestaltete Ne¬ 
krosen mit gelben Eitersäümen. Die Nekrosen sind teils hämor¬ 
rhagisch, teils gewöhnlich pneumonisch infiltriert, teils wird relativ 
wenig verändertes Lungengewebe durch die ringsumgehende Eiterung 
sequestriert.. Das Bild erinnert sehr an die Brustseuche der Rinder 
und Pferde, und so selten wir diesem Bilde bei Sektionen mensch¬ 
licher Leichen sonst begegnen, so häufig fand ich es bei der spanischen 
Grippe. Pneumonia dissecans und infarktartige Herde mit Gefäss- 
thrombose fand ich unter 100 Institutssektionen in rund einem Drittel 
der Fälle; bei den 33 Soldatensektionen 9mal. 

In anderen Gegenden (vgl. Dietrich) scheint die Pneumonia 
dissecans nicht so häufig beobachtet worden zu sein; erwähnt 
wird sie auch von H i r s c h b r u c h (P f r.e i m b t e r), G. B. G r u b e r 
und O. Meyer und G. Bernhardt, welch letztere gleichfalls das 
sekundäre Uebergreifen der Eiterung auf die Gefässe mit Ausbildung 
von Thrombose und Infarkten betonen. Manchmal setzt sich die lym- 
phangitische Eiterung bis auf den L u n g ea h i 1 u s fort, ja bis in die 
Bronchialdrüsen hinein (s. o.). Diese Hilusveränderung'en erwähnt 
auch Oberndorfer, deutet sie jedoch nicht im Sinne sekundärer, 
fortgeleiteter Entzündung, sondern —' m. M. nach irrig — als primäre 
mykotische Endarteriitis. 

Dass bei derartigen Prozessen in der Lunge die Pleura nicht 
unbeteiligt bleiben kann, ist selbstverständlich. Während in weniger 
schweren Fällen die Pleuren glatt oder mit nur schleierartigem Fibrin¬ 
belag versehen gefunden werden, sind die eitrigen Schmelzungen 
mit sehr charakteristischen multiplen Pleuranekrosen, mit 
sero fibrinösen, hämorrhagischen (60 Fälle) und 
eitrigen Entzündungen der Pleura verbunden, die sich 
bis zur Ausbildung grosser Empyeme steigern können. 

Das H e r z ist auffallend wenig in Mitleidenschaft gezogen. Aus¬ 
gesprochene trübe Schwellung fanden wir ziemlich häufig. 
Dreimal wurden akute myomalazische Herde festgestellt, 
einmal bei einer älteren, schon vor der Grippeinfektion festgestellten 
Endocarditis ulcerosa der Aorta — ein Fall, der also besonders be¬ 
wertet werden muss — und zweimal ohne jegliche makroskopisch 
feststellbare Veränderung der Herzklappen. Hier muss man an die 
Verschleppung kleiner Lungenvenenthromben in Kranzarterienäste 
denken. Frische verruköse Endokarditis wurde zwei¬ 
mal, rezidivierende verruköse Endokarditis auf chronisch ver¬ 
änderten Herzklappen zehnmal festgestellt. Endocarditis recurrens 
bei Grippe erwähnen auch Dietrich und Goldschmidt. Er¬ 
weiterungen des rechten Herzens, auf die G. B. G r u b e r als Zeichen 
von Herzschwäche (siehe hierüber später) Wert legt, sind mir nicht 
aufgefallen. Besonders bei den frühzeitig nach dem. Tode vorge- 
nomiftenen Sektionen fiel mir im Gegenteil die kräftige Totenstarre- 
kontraktion des ganzen Herzens auf. Der Herzbeutel zeigt be¬ 
sonders bei den schweren, mit Eiterung komplizierten Formen ent¬ 
zündliche serofibrinöse oder eitrige Exsudation; diese Perikardi- 
tiden sind meist von der Pleura her fortgeleitete Entzün¬ 
dungen. Wir sahen Perikarditis ausserordentlich selten (2 mal). 


An Leber und Nieren lassen sich in der Regel nur 
toxische Paienchymschäddgungen im Sinne der trüben Schwel¬ 
lung nachweisen. Nur einmal sahen’ wir stärkere akute tubu¬ 
läre Ni erfn degeneration und dreimal eine akute hämor¬ 
rhagische Glomerulonephritis'. Embolische Nie¬ 
renabszesse (bei abszedierender Pneumonie) wurden auch nur 
einmal gesehen. Aehnhch und ebenso selten waren die Nieren- 
komplrkationen bei dem Material Dietrichs, 0. Meyers und 
O. Bernhardts. 

Die Milz ist, wie Alle angeben, sehr wechselnd beteiligt. Ihre 
geringfügige Veränderung in vielen Fällen (Hyperämie, leichte 
Schwellung) ist auffallend (46 Fälle). Auch Hübschmann betont 
das. Stärker geschwollen und im Sinne einer akuten entzündlichen 
Hyperplasie umgewandelt (67 Fälle) fand ich sie vor allem bei den 
durch eitrige Sekundärinfektion komplizierten Fällen. Einen hoch- 
gr a d igen infektiösen Milztumor fanden wir nur einmal, und das 
war ein besonders gelagerter Fall (Staphylokokkensepsis nach Ver¬ 
ätzung des Armes). ' 

Im Magendarmkan a 1 fehlen Veränderungen in den meisten 


fit. 48. 


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Fällen. Akute Gastroenteritis sahen wir siebenmal. Zwei¬ 
mal auch Erosionen des Magens. Verschorfende Ent¬ 
zündung der Magenschleimhaut, wie Simmonds, konnten wir nie¬ 
mals konstatieren. Lubarsch erwähnt als ebenfalls nur gelegent¬ 
liche Befunde Follikelschwellung und Blutungen in der Darmschleim-' 
haut. O. M e y e r und G. B e r n h a r d t fanden einmal eine schwerere 
hämorrhagische Entzündung des Dickdarms (Streptokokken). Wir 
sahen einmal eine frische hämorrhagisch-pseudomembranöse Entzün¬ 
dung des Dickdarms und des Heums bei einem Soldaten, der Ruhr 
überstanden hatte. 

Den Nebennieren haben wir mit Rücksicht auf die Unter- 
- suchungen Dietrichs besondere Aufmerksamkeit geschenkt. 
Mikroskopisch sind wir hier aber noch in Rückstand. Dietrich 
fand verschiedenartige, als toxisch aufgefasste Rindendegenerationen. 
Sein Gedanke, die Nebennierenveränderungen in Beziehung zu den 
auffallenden Schwächezuständen der Grippekranken zu setzen, ver¬ 
dient jedenfalls Beachtung. Makroskopisch fanden wir Entfettung der 
Nebennierenrinde, sog. Li p o id s c h w u n d, recht häufig (60 Fälle), 
besonders bei den ausgesprochen septischen Formen der Grippe. 
Einmal wurden von uns auch Hämorrhagien in der Marksubstanz 
der Nebenniere gefunden. 

Die Haut war in allen unseren Fälien auffallend gering be¬ 
teiligt; Erysipel fand sich zweimal. In de'n Muskeln fanden wir 
gelegentlich wachsartige Degeneration und Hämatome. 
Nach einer brieflichen Mitteilung von Prof. Sch.mincke aus Strass¬ 
burg wurde dort in annähernd der Fälle Wachsdegeueration 
gefunden. Auch Oberndorfer, Hirschbruch, G. B. Grub er 
erwähnen die Wachsdegeneration als keineswegs seltenen Be¬ 
fund. Wir haben wohl nach dieser Veränderung nicht besonders 
gefahndet. 

Interessant sind die Komplikationen von Seite des Zentral¬ 
nervensystems. Sie sind nach unseren Erfahrungen selten. 
Allerdings haben wir nur in etwa l /» der Fälle die Sektion des Ge¬ 
hirns, noch seltener die des Rückenmarks machen können. Hyper¬ 
ämie und Oedem der Meningen (in Fällen von klinischer« 
„Meningismus“) 6mal, eitrige Meningitis 1 mal (bei chroni¬ 
schem Empyem nach abgelaufener Grippe). Myelitis 1 mal (nach 
abgelaufener Grippe), Pachymeningitis haem,orrhagica 
interna 1 mal, Purpura haemorrhagica <tes Gehirns 
1 mal. Tuberkulöse Meningitis (Mobilisation der Tuber¬ 
kulose durch die Grippeinfektion) 2mal. Die Purpura haemor¬ 
rhagica, die auch als Encephalitis haemorrhagica bezeichnet wird, 
scheint anderwärts häufiger zu sein, als bei unserem Münchener Ma¬ 
terial. G. B. G r u b e r, O. M e y e r und G. Bernhardt erwähnen 
sie, Dietrich bezeichnet sie als seltenen Befund, Hirschbruch 
aber fand sie in 30 Proz. seiner Fälle 1 Die multiplen Hirnblutungen 
wurden für toxisch erklärt, ich stimme aber ganz mit Dietrich 
überein, dass daneben noch ein zirkulatorisches Störungs¬ 
moment in Betracht zu ziehen ist; ich komme darauf später noch 
zurück. 

Im Anschluss an ddese kurzgefasste Darstellung der anatomischen 
Befunde bei der spanischen Grippe möchte ich noch der Beziehung 
dieser Krankheit zur Schwangerschaft und zur Tuber¬ 
kulose gedenken. Wir hatten 4 Fälle von Abort in¬ 
folge der Erkrankung, 3 mal blieb die Schwangerschaft ununter¬ 
brochen, 2 mal fiel die Grippeinfektion in die Zeit des Wochenbettes. 
Ausgesprochene puerperale Endometritis als Folge der Grippe wurde 
von uns nicht festgestellt, von Goldschmidt aber nachgewiesen. 
Bemerkenswert waren die Beziehungen zur Tuberkulose bei 
unserem Material. Von 100 an Grippe Verstorbenen waren 33 mit 
tuberkulösen Kalkherden oder Schwielen in den Lungenspitzen und 
9 mit nicht frisch progredienter kavernöser Lungentuberkulose be¬ 
haftet; bei den 33 Soldaten hatten 5 und 2 solche Veränderungen: also 
im ganzen 49 Fälle unter 133 Sezierten. In 9 (Institut) bzw. 2 (Re¬ 
servelazarett) weiteren Fällen war die Lungen- bzw. Hilusdrüsen- 
tuberkulose durch die Grippe mobilisiert worden, 2 mal fand sich 
hiebei akute Miliartuberkulose, 2 mal, wie oben erwähnt, tuberkulöse 
Meningitis, 7 mal frische Drüsentuberkulose; sonst in der Lunge 
neben den älteren Herden frische miliare und bronchogene Aussaaten. 
Auf solche Mobilisationen der Tuberkulose weist auch Diet¬ 
rich hin. 

Fassen wir nun das anatomische Gesamtbild der spanischen 
Grippe zusammen, so steht die Erkrankung der zuführenden Luft¬ 
wege und im Anschluss daran der Lungen so im Vordergrund, dass cs 
naheliegt, die Atemwege auch als die Eingangspforte des Virus 
anzusehen. Oberndorfer, der die Frage der Eingangspforte 
offen lässt, und nebenbei auf die Tonsillen verweist, nimmt eine 
hämatogene Infektion der Lungen an. Ich vermag ihm hierin, 
wie schon gesagt, nicht zu folgen. Zweifellos schafft das Virus eine 
besondere Disposition zu Sekundärinfektionen, speziell mit 
Strepto- und Staphylokokken, auch Pneumokokken. Die schweren 
eitrigen Komplikationen beruhen wohl sicher auf Sekundärinfektion. 
Es kann sich so aus der Grippe das Bild der Septikopyämie mit 
multiplen metastatischen Erkrankungen, embolischen Abszessen, eitri¬ 
ger Meningitis usw. entwickeln. In das Bild des schweren toxisch¬ 
infektiösen Zustandes gehören — ausser den Parenchymdegenera¬ 
tionen — vor allem auch die multiplen B 1 u t u n g e n in serösen 
Häuten und Schleimhäuten, in die Meningen, in die verschiedensten 
Organe (Lungen, Muskeln, Nebennieren, Gehirn), ferner die hämor¬ 
rhagischen Formen der Entzündungen. Man würde aber dem ana- 

2 

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1344 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 48. 


tomischen Bilde, das diese Blutungen geben, nur zum Teile gerecht, 
wenn man die Hämorrhagien samt und sonders auf örtliche toxisch¬ 
infektiöse Gefässwandschädigungen zurückführen wollte. Man muss 
vielmehr auch an die Mitwirkung von Zirkulationsstörungen denken, 
die in letzter Linie auf eine toxische Reizung oder Lähmung des Ge- 
fässzentrums zurückzuführen sind. Besonders bei den systemati¬ 
sierten Blutungen muss an solche vasomotorische Krisen 
gedacht werden. So kann die Hirnpurpura, die ja keine eigentliche 
hämorrhagische Entzündung ist, als vasomotorische Krise auf¬ 
gefasst werden. Desgleichen die hämorrhagischen Erosionen des 
Magens, die systematisierten Blutungen überhaupt. Vielleicht darf 
auch die wachsartige Muskeldegeneration auf Gefässspasmen zurück¬ 
geführt werden. 

Wenn man sich fragt, in welcher Art der Tod bei den 
Grippekranken eintritt, so haben wir rein anatomisch oft 
wenig Anhaltspunkte für einen Tod durch Herzlähmung (infolge von 
toxischer Myodegeneratio). Ich stimme Lubarsch durchaus bei, 
wenn er für manche Fälle einen Erstickungstod annimmt, be¬ 
sonders bei sehr ausgedehnter Lungen- und Pleuraerkrankung. Wir 
fanden ja andererseits auch nicht selten G 1 o 11 i s öd e m (s. o.) mit 
starker emphysematoser Blähung der noch wegsamen Lungen¬ 
abschnitte und typischen Suffokationsblutungen. In anderen Fällen 
weisen uns aber die unregelmässigen Blutverteilungen im Körper 

— z. B. die häufig gefundene Ueberfüllung der Splanchnikusgefässe 

— auf vasomotorische Störungen hin. Toxische Einwirkungen auf 
das Gefässzentrum sind jedenfalls bei der Beurteilung der Todesart 
bei den Grippekranken sehr wohl in Betracht zu ziehen. Der Tod 
bei (Grippe ist oft weniger ein Herztod im gewöhnlichen Sinne, als ein 
Tod infolge Versagens der Vasomotoren. 


Aus der Heidelberger Universitäts-Hautklinik. 

Ueber Schädigungen der Haut durch Ereatzttle und 
•salben 1 ). 

Von Prof. Dr. Bettmann. 

Unter die Erkrankungen, die seit einiger Zeit mit steigender 
Häufigkeit zu unserer Beobachtung gelangen, geboren gewisse Haut¬ 
veränderungen, die auf die Wirkung von fetten und öligen Kriegs- 
Ersatzstoffen (Teerölen, ungereinigten Erdölen, ungereinigten Vase¬ 
linen u. dgl. m.) zurückgeführt werden müssen. So handelt es sich 
in erster Linie um Schädigungen durch Schmieröle in ihrer vielseiti¬ 
gen Verwendung in industriellen und gewerblichen Betrieben, aber 
auch durch Salben, deren unerwünschte Einwirkung auf die Haut 
um so mehr Beachtung verdient, als eben diese Mittel zur Behand¬ 
lung der erkrankten und empfindlichen Haut gebraucht werden. Die 
schädigende Wirkung solcher Stoffe, von der hier die Rede ist, äussert 
sich nicht etwa in banalen ekzemartigen Dermatitiden, sondern in 
eigenartigen Krankheitsbildern, die zunächst bis zu einem gewissen 
Grade als etwas Besonderes oder gar Neues auffallen konnten und 
auch dem, der mit diesen Hautveränderungen bekannt geworden ist, 
unter Umständen Schwierigkeiten der Deutung bereiten, zumal wenn 
es sich um Abweichungen von den zunächst als typisch erkannten Er¬ 
scheinungen handelt Für den Ungeübten besteht unter solchen 
Voraussetzungen erst recht die Gefahr, Irrtümern zu verfallen. 

Es ist vorläufig nicht gelungen, bestimmte chemisch wohl de¬ 
finierte Substanzen zu isolieren, die jene Veränderungen verursachen. 
Ich habe mich so gut, wie einzelne andere Untersucher, bemüht, in 
einem Teil meiner Fälle zu einem Resultat nach dieser Richtung zu 
gelangen, musste aber diese Versuche wieder einstellen. Als sicher 
darf nur gelten, dass es sich um Teerabkömmlinge handeln muss. 

Es mag an dieser Stelle genügen, die verschiedenen Erschei¬ 
nungsformen, unter denen sich jene Schädigungen der Haut äussern 
und über die bereits eine Anzahl von Publikationen und Demonstra¬ 
tionen vorliegt*), kurz anzuführen. 

Einen ersten Typus stellen eigentümliche Follikulitklen dar, 
die besonders an den Extremitäten sitzen, vor allem an den Vorder¬ 
armen, aber auch an den Oberarmen, den Beinen, weniger am Rumpf, 
am Skrotum, im Gesicht. Die Einzelherde dieser Affektion unter¬ 
scheiden sich von denen der gewöhnlichen Akne durch ihren torpi¬ 
deren Charakter, die sehr geringe oder vollständig fehlende Neigung 
zu Vereiterung, manchmal auch durch ihre Grösse. Sie können mit 
starker Pigmentierung, gelegentlich auch mit Vernarbung abheilen 
und so grosse Aehnlichkeit mit Tuberkuliden gewinnen. Die sub¬ 
jektiven Beschwerden sind sehr verschieden, manchmal allerdings 
besteht sehr heftiges Jucken, zumal bei frischen Schüben. In ein¬ 
zelnen Fällen finden sich deutliche Drüsenschwellungen. 

Die Erkrankung findet sich vorzugsweise bei Arbeitern, die mit 
Maschinenölen, Teerölen u. dgl. zu tun haben, mitunter mit starker 
Häufung der Fälle innerhalb eines einzelnen Betriebs. Die Arbeiter 
zeigen dann in der Regel auch eine intensive und hartnäckige, aus¬ 
gebreitete Verschmutzung der Follikel über grosse Hautflächen. Aber 
es existieren auch reichlich andere Fälle, in denen gleichartige Ver- 


*) Im Anschluss an eine Demonstration im Heidelberger natur¬ 
historisch-medizinischen Verein. 

*) s. Hoffmann und Habermann: D.m.W. 1918 Nr. 10 
S. 261 — daselbst Literatur. 


änderungen nach Anwendung von „Kriegs“salben auftreten. Diese 
sitzen dann an den behandelten Stellen. 

Ein zweiter Typ äussert sich in follikulärer Keratose, deren Sitz 
und allgemeine Entstehungsbedingungen dieselben sind wie bei den 
Follikulitklen. Zu erwähnen ist nur eine besondere Vorliebe für die 
Handrücken und die Streckseite der basalen Fingerphalangen. Die 
rauhen, andeutungsweise kegelförmigen Herdchen können gerade in 
dieser Lokalisation, aber auch sonst, das Bild der Pityriasis rubra 
pilaris vortäuschen. Sowohl mit den Keratosen wie mit den Follikuli- 
tiden vermischt finden sich mitunter Herdchen, die bei stärkerer 
Schuppung Aehnlichkeit mit kleinsten Psoriasisherden aufweisen, mit¬ 
unter wird man auch an die Effloreszenzen der Darier sehen 
Krankheit gemahnt. 

Eine dritte Veränderung besteht in einer intensiven Dunkelfär¬ 
bung der Haut, die vorzugsweise im Gesicht und am Hals sowie an 
den Handrücken und Vorderarmen sitzt, also gerade die unbedeckten 
Körperstellen befällt oder wenigstens hier ihre grösste Stärke zu 
zeigen pflegt. Wir finden sie aber auch in manchen Fällen an anderen 
Körperstellen (Rumpf,, Beine, vor allem Genitalgegend). Die Ver¬ 
färbung ist zumeist flächig diffus, zumeist braunschwärzlich, andere 
Male und besonders im Gesicht grauschwärzlich wie bei der 
Addison sehen Krankheit. Die Abgrenzung gegen die -gesunde 
Haut ist wohl zumeist recht scharf, andere Male besteht ein all¬ 
mählicher Uebergang oder die Veränderung löst sich an der Peri¬ 
pherie in einzelne eckige kleine Felder auf, welche gesunde Haut 
zwischen sich lassen. Speziell an den Armen habe ich, wie Hoff¬ 
mann, öfters netzartige Anordnungen gesehen, die zum mindesten 
hellere Flächen zwischen sich Hessen, andere Male besteht ein Bild 
wie von dicht gelagerten polygonalen lichenoiden Herdchen, die in 
•ihren Begrenzungsformen anderen, gleich noch zu besprechenden, 
tatsächlich lichenartig erhabenen Herdchen entsprechen könnten. 
Nach der Angabe der meisten Kranken, die ich gesehen habe, wäre 
allerdings die Verfärbung „primär“ ohne anderweitige lokale Haut¬ 
veränderung entstanden. Bei einem Kranken aber lag die bestimmte 
Angabe vor, dass das Leiden mit ausgebreiteter Rötung und Schwel¬ 
lung der zur Zeit der Beobachtung stark grauschwarz verfärbten Ge¬ 
sichtshaut begonnen habe; in einem zweiten Fall sah ich den Krankpn 
zuerst mit einem stark juckenden ausgedehnten Erythem des Ge¬ 
sichts, das akut aufgetreten war, schnell vorbeiging und an dessen 
Stelle sich dann die Melanose ausbildete. 

An der Sklera findet sich mitunter eine analoge Verfärbung in 
Form eines Lidspaltenflecks; Pigmentierung der Mundschleimhaut 
habe ich nie gesehen. 

Es ist begreiflich, dass diese Erscheinungen an die Addison- 
sche Krankheit, an Arsenmelanosen oder an Pigmentveränderungen 
denken lassen können, wie sie im Anschluss an manche Fälle von 
Lichen ruber planus sich ausbilden. 

Im ganzen stellen die geschilderten Melanodermien vielleicht 
keine letzte Einheit dar, sowohl was ihre Entstehung als auch das 
Vorhandensein oder Fehlen weiterer Erscheinungen an der Haut be¬ 
trifft. 

Wiederum sind es in erster Linie Menschen, die beruflich mit 
Kriegsölen zu tun hatten, bei denen ich diese Melanodermien gesehen 
habe. Mitunter, wenn es sich um einen einzelnen Fall handelt, er¬ 
gab erst das genaue.Befragen den richtigen Hinweis; so beispiels¬ 
weise bei einem Glaser, bei welchem sich eine reine ausgebreitete 
Melanodermie herausgebildet hatte, nachdem er einige Zeit mit einem 
Ersatzkitt gearbeitet hatte. Aber auch nach therapeutischer Anwen¬ 
dung von Kriegssalben können jene Melanodermien entstehen, und 
zwar scheint mir die Gesichtshaut dafür besonders empfindlich zu 
sein. 

Besonders interessant ist ein vierter Typ, nicht zum wenigsten 
wegen der Missdeutungen, zu denen die Hautveränderungen Anlass 
geben können. Neben leichter entzündlicher Rötung der Haut ent¬ 
stehen mattgraue, feinkörnig gestichelte und andeutungsweise war¬ 
zenartige Flächen, die meist nur wenig erhaben sind und sich ziem¬ 
lich scharf, mitunter fast wallartig gegen das Gesunde abgrenzen. 
Hauptsitz ist das Gesicht, besonders die Wangen, aber auch Hand¬ 
rücken, wie überhaupt die Extremitäten werden befallen. Neben 
solchen grösseren Plaques körnen auch isolierte lichenförmige kleine 
Herdchen vor, zumal an der Peripherie der veränderten Haut oder 
auch sonst ln mehr oder minder engem Verbände. Solche blasse oder 
graurötliche Herdchen zeigen mitunter vollkommen glatte und lichen¬ 
artig glänzende Oberfläche. Die Veränderungen an den Extremitäten 
halten nicht selten einen netzartigen Charakter ein und aMgen in ihrer 
Gesamtanordnung grosse Uebereinstimmung mit der Melanoddrmie 
an den Extremitäten, wie sie oben beschrieben wurde. Ich habe 
auch tatsächlich den Eindruck, dass die recht torpide verlaufende Er¬ 
krankung an den Extremitäten mit starker Pigmentierung abschliessen 
kann, dasselbe gilt für beliebig lokalisierte lichenartige Einze;- 
herdchen. 

Andersartige Hauterkrankungen, an die man je nach dem Sitz 
der speziellen Erscheinungsform und Anordnung denken könnte, sind 
zahlreich. Symmetrische Verteilung der rauhen und gesticheUtr 
Flächen an den Wangen gibt mitunter eine überraschende Aehnlichkeit 
mit dem Lupus erythematodes, aber auch in anderer Lokalisation kam 
sich dieser Vergleich aufdrängen. Andere Male erinnert das Biic 
mehr an Lichenformen (Lichen ruber planus, Lichen ruber verrucosus 
der Unterschenkel, Lichen chronicus Simplex), nur handelt es sieb 
nicht um das reine Bild dieser Affektion, sondern es besteht fas: 


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26. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1345 


immer dabei zugleich der Eindruck einer oberflächlichen Dermatitis. 
Die hier geschilderten Veränderungen sind in erster Linie eine Folge 
der Anwendung von Salben, die mit Kriegsvaselinen hergestellt sind, 
aber ich habe auch sie nach Einwirkung von Kriegsölen in gewerb¬ 
lichen Betrieben gesehen. 

Eine ausführliche Differentialdiagnose der hier kurz geschilderten 
Kriegsdermatosen gegenüber anderen Hauterkrankungen mag unter¬ 
bleiben, es genüge, dass auf die wesentlichen Verwechslungsmöglich¬ 
keiten hingewiesen wurde. Die Diagnose wird in sehr vielen Fällen 
dadurch erleichtert, dass sich mehrere Typen der geschilderten Er¬ 
krankungen an ein und demselben Patienten kombinieren. So haben 
wir Melanodermien des Gesichtes und Halses zusammen mit folliku¬ 
lärer Keratose und Follikulitiden an den Extremitäten gesehen oder 
den „Pseudo-Lupus erythematosus“ des Gesichtes zusammen mit 
Melanodermie usw. In einzelnen Fällen Hessen sich an denselben 
Kranken die vier Typen zugleich nachweisen. Wesentlich erleichtert 
wird die Beurteilung, wenn es sich um eine Häufung von Fällen 
innerhalb eines engeren Verbandes handelt. So habe ich die ersten 
Fälle in einem industriellen Grossbetriebe gesehen, in dem nach Ein¬ 
führung eines neuen Maschinenöles etwa gleichzeitig Dutzende von 
Arbeitern erkrankt waren. 

Sehr grosse Schwierigkeiten- für die Diagnose können reine Fälle 
des vierten Typs bereiten, die durch Salben hervorgerufen werden, 
zumal dann eben in der Regel noch eine andersartige Dermatose be¬ 
steht, deretwegen die Salbe angewendet wurde und die nun wo¬ 
möglich in ihrem eigenen Aussehen durch den aufgesetzten Reiz ver¬ 
ändert wurde. So können z. B. auch auffällige Bilder entstehen, wenn 
neben einer Psoriasis guttata sich Follikulitiden und follikuläre Kera- 
tosen einstellen und dfe Psoriasisherdchen selbst eine Veränderung 
eingehen. 

Es sei nicht verschw iegen, dass wir einzelne Fälle gesehen haben, 
die vollkommen den geschilderten Kriegsdermatosen entsprechen, bei 
denen aber eine Berührung der Haut der Patienten mit Kriegsölen 
und -salben nicht zu ermitteln war. 

Die hier geschilderten Hautveränderungen bedeuten nichts grund¬ 
sätzlich Neues. Sie zeigen zum Teil weitgehende Uebereinstimmung 
mit früher beobachteten gewerblichen Dermatosen. 

V o 1 k m a n n und namentlich T i 11 m a n n s haben Hautverände¬ 
rungen bei Arbeitern in Teer- und Paraffinfabriken beschrieben, die 
zum Teil dem Paraffinkrebs vorausgingen und auffällige Ärmlich¬ 
keiten mit den jetzigen Vaselinerkrankungen erkennen lassen. Die 
eigenartige Reizwirkung des Roh-Paraffinöls auf das Epithel ist ja 
auch bis in die letzten Jahre weiter verfolgt worden. 

Weiter ist auf die Pechhaut der Pecharbeiter zu verweisen. Ich 
erinnere an die Schilderung von Hautveränderungen, die 0. Ehr- 
mann J ) bei Arbeitern aus Brikettfabriken und Korksteinfabriken ge¬ 
sehen hat. Er hebt als charakteristisch hervor: 

1. Bräunung der Haut (Indianerhaut) und Vergilbung des Sklera- 
weiss im Auge. 

\ 2. Pechkomedonenbildung an den am meisten exponierten Haut¬ 
stellen, dabei selten eigentliche Akne. 

3. Hyperkeratotische Bildungen, wie verruköse Papillome, Ver¬ 
rucae, verruköse Hyperplasien. 

Hier bestehen also wesentliche Anklänge an die Erscheinungs¬ 
formen, die wir jetzt sehen, was ich umsomehr bestätigen kann, 
als ich s. Z. eine ganze Anzahl der Arbeiter aus dem Beobachtungs¬ 
kreise Ehrmanns gesehen habe, und ich möchte dazu noch be¬ 
merken. dass mir damals auch bei solchen Pecharbeitern am Hand¬ 
rücken und vor allem im Gesichte nicht nur wohlabgeteilte promi¬ 
nente Warzen, sondern eben jene flachen, verrukösen Stichelungen 
der Haut aufgefallen sind, wie sie uns jetzt entgegentreten.' 

Weiterhin ist jene gewerbliche Erkrankung zu erwähnen, die als 
Chlorakne bezeichnet wurde und die vom Ende der 90iger Jahre 
ab eine Zeitlang eine Rolle spielte. Aus der Symptomatologie dieser 
Affektion sei hier nur angeführt: dunkelbraune Pigmentierung an den 
unbedeckten Körperteilen und der Genitalgegend, neben massenhafter 
Komedonenbiklung Entstehung von follikulären Entzündungsherdchen 
ohne Neigung zur Vereiterung, Bildung derber horniger Kegelchen, 
die den Vergleich mit der Pityriasis rubra pilaris herausfordern 
konnten, Anklänge an die Effloreszenzen der Darier sehen Derma¬ 
tose, Drüsenschwellungen, Langwierigkeit. 

Ohne auf den Entstehungskomplex dieser Gewerbekrankheit hier 
genauer einzugehen, möchte ich betonen, dass ich von Anfang an den 
Standpunkt vertreten habe die Chlorakne sei nicht auf eine einfache 
Chlorwirkung zurückzuführen, sondern sie werd'e durch Teerprodukte 
hervorgerufen und ich glaube, dass die weitere Entwicklung der 
Frage meine Annahme bestätigt hat. 

Alles in allem fügen sich also wohl die Häutveränderungen, die 
wir jetzt sehen, einem Komplex grundsätzlich bekannter Erkrankungs- 
formen ein, wenn sie auch innerhalb desselben ihre Eigenart be¬ 
wahren. 

Man darf sich die Frage vorlegen, wodurch wohl die Poly¬ 
morphie der Erscheinungen bedingt sei, welche die „neuen“ Kriegs¬ 
erkrankungen aufweist. 

1. Es kommt nicht eine restlos einheitliche chemische Substanz 
in Frage, wenn auch wohl sehr nahe untereinander verwandte Körper 
in vielleicht verschiedener Mischung. Dabei zeigen aber doch wieder 
verschiedene Fälle an verschiedenen Orten und zu verschiedenen 


*) O. Ehrmann: Mh. f. prakt Derm. 48. S. 18. 

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Zeiten untereinander so weitgehende Uebereinstimmung. dass zum 
mindesten eine grobe Einheit feststeht. Zudem können wesentliche 
Verschiedenheiten der chemischen Substanz kaum in Betracht 
kommen, wenn wir an demselben Kranken verschiedenartige Aeusse- 
rungen des Leidens finden. 

2. In dieser Verschiedenheit kann sich die besondere und eigen¬ 
artige Reaktionsfähigkeit einzelner Hautdistrikte ausdrücken. Das 
Gesicht mag an sich anders reagieren als die Extremitätenhaut 
Schweiss- und Talgabsonderung könnten sich in begünstigendem 
oder hemmendem Sinne äussern und es würden sich demnach in der 
speziellen Form der Dermatose anatomische und physiologiscne Eigen¬ 
tümlichkeiten wiederspiegeln, dazu käme dann noch die Häufigkeit, 
Dauer und genauere Art der Einwirkung, die sicherlich gewisse 
Unterschiede bedingt. 

3. Unter Umständen liegen aber auch kombinierte Einwirkungen 
vor; so kommen Hitze- und vor allem Lichtwirkungen in Betracht. 
Dem Lichte ausgesetzte Hautstellen reagieren auf jene Kriegsmittel 
in besonderer Weise und zwar im Sinne einer wechselseitigen Er¬ 
gänzung. Im Teer kommen photosensibilisierende Substanzen vor *), 
die einer Lichtschädigung Vorarbeiten und umgekehrt mag sich gerade 
auf der Basis einer derartigen Lichtwirkung wiederum der Einfluss 
des Teerpräparats verstärken. Die Besonderheiten jener Dermatosen 
an unbedeckten Körperstellen ist auf diese Weise mindestens zum 
Teil zu erklären 5 ). Auch aus der Kombination der Röntgenbestrah¬ 
lung mit Anwendung jener schädigenden Kriegssalben entstehen 
lokale Reaktionen von besonderer Intensität, vor allem, wie mir 
scheint im Sinne auffälliger Pigmentierungen. 

Jedenfalls bleibt es wichtig, auf alle diese Dinge weiter zu 
achten. Ich betrachte es beispielsweise als keinen Zufall, dass ich 
in zwei Fällen von Hydroa aestivalis, also einer typischen Licht¬ 
dermatose, besonders schwere lokale Ausbrüche im Gesichte nach 
Anwendung von Kriegssalben gesehen habe. 

Damit ist schon gesagt, dass wir gerade bei der therapeutischen 
Anwendung unserer Kriegssalben auch die Besonderheiten einer an 
sich erkrankten Haut berücksichtigen müssen. Zweifellos besteht 
vor allem eine eigenartige Reizbarkeit gewisser Ekzeme diesen 
Mitteln gegenüber, aber auch an Psoriasisherden haben wir be¬ 
sondere Reaktionen gesehen. Auch sonst mögen so Eigentümlich¬ 
keiten im Aussehen einer an sich banalen Hauterkrankung ihre Er¬ 
klärung finden. 

Interessant war es in einem Fall von Darier scher Krank¬ 
heit zu sehen, dass nach Auftragung einer Kriegssalbe an vorher un¬ 
beteiligten Hautstellen eine dichte Eruption von Effloreszenzen er¬ 
folgte, die in ihrem Aussehen durchaus für Darier sehe Krankheit 
typisch erschienen, aber bei mehrfacher histologischer Kontrolle die 
charakteristischen runden Körperchen und Körnchen vermissen Hessen. 

Alle angeführten Erwägungen sind zu berücksichtigen, wenn uns 
einzelne Fälle begegnen, die sich nicht ohne weiteres in die bis¬ 
herigen allgemeinen Erfahrungen über die „neuen“ Krankheitsbilder 
einreihen lassen. Ich möchte auf zwei derartige Fälle kurz eingehen. 

1. Fall: 48 jähriger Fabrikarbeiter mit eigenartiger Dermatose, 
die ausschliesslich an den Fussrücken und Unterschenkeln sitzt. An 
den Fussrücken zerstreute, blasse und grauliche, glatte, wachsartig 
glänzende, lichenoide Herdchen, an den Unterschenkeln bei ziemlich 
starker Behaarung wesentlich follikulär angeordnete, dicht gedrängte 
Herdchen von gleicher Form, aber deutlicher erhaben, livid verfärbt, 
mit rauher Oberfläche, zum Teil leicht schuppend. Wo die Herd¬ 
chen weniger dicht stehen — so an der Wade und besonders nach 
oben gegen das Knie zu — deutliche Petechien. Aeltere Efflores¬ 
zenzen sind mit stärkster dunkelbrauner Pigmentierung abgeheilt. 

Das heftig juckende Leiden besteht seit mehreren Monaten, es 
ist deutlich stärker am linken als am rechten Bein entwickelt. Keine 
Varizen. Keine frühere Hauterkrankung. 

Der Mann hat in seinem Betriebe 50 cm Jiohe Turbinen zu be¬ 
dienen, die sich mit sehr grosser Geschwindigkeit drehen, wobei das 
Oel, in dem die Apparate laufen, als feinster Nebel so stark verstäubt 
wird, dass die Beinkleider des Mannes unterhalb der Knie zeitweise 
völlig durchtränkt sind. Selbst Ledergamaschen gewähren ihm da¬ 
gegen keinen Schutz. Diese Einwirkung wurde von ihm früher ohne 
Nachteil vertragen. Die Hautveränderung trat auf, seitdem ein neues 
Ersatzöl verwendet werden musste. 

Die Intensität der Hautveränderungen ist deutlich grösser am 
linken Bein, das entsprechend der Richtung, in der sich die Turbinen 
drehen, weit stärker von dem verstäubten Oel betroffen wird als das 
rechte. Dasselbe Oel hat bei dem 15 jährigen Jungen, der das Oel 
zuzutragen hat und der der Einwirkung des Oelnebels nur wenig 
ausgesetzt ist, an beiden Armen und Beinen eine banale Teerfollikulitis 
hervorgerufen. So kommt für die Besonderheit der Dermatose bei 
unserem Patienten wohl in Betracht: die ungewöhnliche Stärke und 
Dauer der Einwirkung an einer Körpergegend, die ausserdem in ihren 
Zirkulationsverhältnissen (relative Stase) Eigentümlichkeiten dar¬ 
bietet. 

Ich habe gleichartige Erscheinungen in ausschliesslicher Lokali¬ 
sation an den Unterschenkeln bei eine"* 62 jährigen Herrn mit massig 
starker Varizenbildung gesehen, dem wegen eines trockenen Ekzems 
der Unterschenkel eine Salizylsalbe verordnet worden war. die er 


*) s. Herxheimer und Nathan: Derm. Zschr. 1917 S. 385. 
5 ) Friboes: Ibidem S. 4L 

V 

Original fro-m 

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1346 


MUENcHfeNHR MEbttiNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


längere Zeit gebraucht hatte. Die von dem Patienten mitgebrachte 
halbe hatte einen abscheulichen, teerartigen Geruch. 

2. Fall: 40 jähriger Maschinist. Typische Oeiakne an den Armen, 
ausserdem aber an der Kopischwarte eine eigenartige Veränderung. 
Bei dem fast vollkommen kahlen Manne ist die Kopfhaut vom Stirn¬ 
haaransatz bis zur Scheitelhöhe von einer Mauterkrankung in netz¬ 
förmiger Anordnung überzogen, die zwischen sich kleinste normale 
Inseln lässt. Das Metz besteht aus schmälsten, wenig prominenten, 
graulichen, rauhen Zügen, an einzelnen Stellen besteht der Eindruck 
leichtester Atrophie. Es handelt sich um ein Bild, wie wir es bei 
den Kriegsölerkrankungen gelegentlich an den Extremitäten, aber nie 
in gleicher Weise an der Kopfhaut gesehen haben, die wir überhaupt 
bei jenen Erkrankungen nur selten beteiligt fanden. Grund dafür 
mag normalerweise die geringere Chance der Berührung und der 
besondere Schutz der Maare sein. Unser Patient aber ist kahl, er 
schwitzt stark am Kopf und hat, wie er selbst angibt, die Gewohnheit, 
beim Arbeiten an der Maschine sich den Schweiss mit den Oellappen 
abzutrocknen. 

Die mitgeteilten Befunde und Erwägungen mögen den Praktiker 
auf Dinge autmerksam machen, mit denen er auf die eine oder andere 
Weise öfters in Berührung kommen kann und deren richtige Auf¬ 
fassung ihn vor unangenehmen Verwechslungen schützt. Zugleich er¬ 
geben sie einen Hinweis auf die Schwierigkeiten, mit denen unsere 
Salbenbehandlungen seit einiger Zeit zu rechnen haben. Wir brauchen 
uns immerhin die Gefährlichkeit der Ersatzsalben nicht übertrieben 
gross vorzustellen. Sie entfalten Wirkungen wie die geschilderten, 
nur in einzelnen Fällen, bei irgendwie besonders begründeter Empfind¬ 
lichkeit der Maut und bei lange fortgesetzter Einwirkung. Auch bei 
den besprochenen gewerblichen Erkrankungen dauert es zumeist 
längere Zeit, ehe die Maut im Sinne der beschriebenen Veränderungen, 
reagiert. Maben sich dieselben aber einmal eingestellt, so handelt es 
sich allerdings zumeist um langwierige und therapeutisch nicht leicht 
zu beeinflussende Schädigungen. 


Aus der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses 
zu Mainz. (Leitender Arzt: Prof. Dr. Hürter.) 

Zur Heissbäderbehandlung der kindlichen Gonorrhöe. 

Von Sekundärarzt Dr. Ferdinand Schotten. 

Vor einigen Jahren gab 0. W e i s s - Königsberg eine neue Me¬ 
thode zur Behandlung der Gonorrhöe an, deren Grundgedanke darin 
bestand, bei den Kranken durch heisse Vollbäder, die er langsam bis 
über 43° C bringt, Körpertemperaturen zu erzeugen, die unmittelbar 
eine Abtötung des gegen Wärme sehr empfindlichen Trippererregers 
herbeizuführen imstande sind. Auf diese Weise hat er überraschende 
Erfolge erzielt. Wo er nicht allein mit der Fiebertherapie auskam, 
kombinierte er dieselbe mit der Injektionsbehandlung. 

Ueber ähnliche günstige Erfolge berichtet Scholtz, der eine 
mildere Form der Bäderbehandlung anwandte (Bädertemperaturen 
nur bis 40 und 41 u C), dieselbe aber grundsätzlich noch mit der sonst 
üblichen lokalen Behandlung kombinierte. 

Duncker benutzte statt der Vollbäder Halbbäder, wobei er 
sogar Temperaturen von 45 u , 46°, ja event. 48° C erreichen konnte, 
ohne Schädigungen der Kranken zu sehen. 

Was die uns hier interessierende kindliche Gonorrhöe betrifft, so 
berichtet E n g w e r über einen Fall durch Bäderbehandlung geheilter 
Vulvovaginitis gonorrhoica infantum. 

N a s t dagegen sprach sich sehr gegen die Fiebertherapie bei 
Kindern aus, indem er 7 Fälle m einer Arbeit anführt, in denen der 
Erfolg mit diesem Heilverfahren immer ein negativer gewesen wäre, 
ln keinem Falle soll es zu einem Verschwinden der Gonokokken ge¬ 
kommen sein. Die Heissbäderbehandlung stellt nach seinen Erfah¬ 
rungen zu grosse Anforderungen an das Herz der Kinder. 

Bei dieser Sachlage ist es angezeigt, weiteres Material zu dieser 
Frage zu veröffentlichen, dbnn jeder, der sich mit der Behandlung der 
kindlichen Gonorrhöe befasst, weiss, dass mit der üblichen Silber¬ 
behandlung nicht selten erst nach vielen Monaten Erfolge erzielt 
werden, in einem gewissen Prozentsatz der Fälle bleibt der Erfolg 
überhaupt aus. 

Wir haben bisher 23 Kinder mit Gonorrhöe der Heissbäder¬ 
behandlung unterzogen, welche wir mit der Injektionsbehandlung 
kombiniert haben. Wir beobachteten dabei die folgende Technik: 

Sobald bei einem Kind durch Gonokokkennachweis die Diagnose 
gesichert ist, erhält das Kind zunächst ein Reinigungsbad, wird fest 
zu Bett gelegt und darf bis auf weiteres nicht aufstehen. Fieber be¬ 
steht in den meisten Fällen nicht, doch kommen gelegentlich Tem¬ 
peraturen bis zu 40° zur Beobachtung. Die nächsten Tage wird jeden 
Morgen ein 35 0 warmes Sitzbad gegeben, dem Seife, Soda oder Holz¬ 
essig zugesetzt wird. Diese warmen Sitzbäder werden so lange fort¬ 
gesetzt, bis die Kinder einigermassen sauber sind. Dann beginnen 
wir mit den heissen Bädern, von denen wir jede Woche zwei ver¬ 
abreichen. 

Vor Beginn der Bäder werden zunächst die Lungen und das 
Herz der kleinen Patienten kontrolliert. 

Die Kinder werden bis über den Leib, ungefähr bis Brustwarzen¬ 
höhe in das Wasser gesetzt, das eine Anfangstemperatur von 
35° C hat. 

Ganz langsam wird dann heisscs Wasser zugelassen, bis die 


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NF.«. 


Temperatur des Wassers 45°, 46° C beträgt. Bei grösseren Kindern 
sind wir Öfters bis 48° C gegangen. 

In diesem heissen Bad bleiben die Kinder X Stunde bis 20 Mi¬ 
nuten, oft auch noch 5—10 Minuten länger, je nachdem es der All¬ 
gemeinzustand erlaubt. 

Auf den Kopf legen wir ein kaltes Tuch oder eine Eisblase, so 
wie es Weiss empfiehlt. 

Während des Bades verhalten sich die meisten Kinder, besonders 
die grossen, ruhig, während die kleinen oft schreien und unruhig 
werden. 

Das Gesicht ist hyperämisch, Schweiss perlt herab. Der Puls 
ist voll und beschleunigt, die Atmungsfrequenz gesteigert. Wo es 
uns angezeigt erscheint, geben wir der Vorsicht wegen während des 
Bades etwas Wein (Tokayer), meist ist es aber nicht notwendig. 

Jedenfalls haben wir bisher nid üble Zufälle während des Bades 
beobachtet. Es trat kein Erbrechen auf. Schädigungen des Herzens 
Hessen sich nicht feststeilen. Direkt nach dem Bad wurden die Kin¬ 
der im After gemessen, die Temperatur schwankte zwischen 39° 
und 39,5“. Dann wurden die Kleinen ordentlich abgetrocknet und 
wieder in ihr Bett getragen, wo sie fest zugedeckt liegen bleiben. 
Nach Vi Stunde war die Körperwärme stets wieder normal. 

Das Kind sieht nach dem Bad, besonders am Mittag, blass aus. 
Die Badezeit wählten wir zwischen dem 1. und 2. Frühstück. 

Ungefähr X Stunde nach dem Bade bekamen die Patienten einen 
Becher Milch zu trinken. 

Die Tage, an denen kein heisses Bad gegeben wurde, wurden 
der Lokalbehandlung, bestehend in Ausspülungen und Einspritzungen, 
gewidmet. Als Spülflüssigkeit diente uns bei Verwendung des Irri¬ 
gators Argentum nitrjcum 1: 1000 oder Alaun (in 1 Liter Wasser 
1 Kaffeelöffel Alaun). Die Menge, die. wir jedesmal einlaufen Hessen, 
betrug 800 bis 1000 ccm. Mit dem Glasansatz gingen wir 3—4 cm 
tief in die Scheide ein. 

Zu den Einspritzungen (mit der Tripperspritze) benutzten wir 
Protargol 1 proz. oder Chöleval oder neuerdings Hegonon. Es 
wurden jedesmal 3—6 Spritzen injiziert. Als Ansatzrohr benutzten 
wir mit Vorteil einen kleinen dünnen Gummikatheter, den wir etwa 
5—6 cm tief, manchmal auch tiefer in die Vagina einführten. Die 
Infektionsflüssigkeit Hessen wir 1—2 Minuten lang einwirken. 

Die obengenannten Ausspülungen wurden, wenn möglich 2 mal 
am Tage vorgenommen. 

Bei besonderer Empfindlichkeit der Kinder beschränkten wir uns 
im Anfang auf die Berieselung der Vulva. 

Natürlich muss Leib- und Bettwäsche sehr oft gewechselt wer¬ 
den. Insbesondere muss dieser Wechsel stets nach einem heissen 
Bad erfolgen, da sonst Reinfektion durch die Wäsche stattfindet. 

Sobald kein Ausfluss mehr zu bemerken ist, wird ein Abstrich 
untersucht. Finden sich noch Gonokokken, so wird die Behandlung 
fortgesetzt, finden sich keine, so wird die Behandlung abgebrochen, 
doch wird die mikroskopische Untersuchung nach 8 Tagen und nach 
14 Tagen wiederholt. Bleibt auch dann das Ergebnis negativ, so dari 
das Kind aufstehen. Erscheinen auch trotz des Aufseins nach wei¬ 
teren 8 Tagen keine Gonokokken im Sekret, so wird das Kind als 
geheilt entlassen. 

Dass diese Kontrolle der Heilung ausreichend ist, lehren uns die 
Nachuntersuchungen, die wir nach einigen Monaten vornehmen konn¬ 
ten und bei denen nur ein einziger Rückfall zu verzeichnen war. 
Dieser Fall dürfte sich jedoch durch Neuinfektion von seiten der 
gonorrhoischen Mutter erklären. 

Das Alter der Kinder schwankte zwischen dem 2. und 10. Le¬ 
bensjahr. Der Aufenthalt im Krankenhaus betrug bis zur völligen 
Heilung 10—20 Wochen, selten mehr. 

An heissen Bädern wurden mindestens 10—12 verabreicht. 

Von unseren 23 Fällen seien die nachstehenden angeführt: 

1. Barbara N„ 4 Jahre alt. Vom 10. Februar 1917 bis 15. Mai 
1917 im Krankenhaus. Bei 1 der Aufnahme im Abstrich Gonokokken. 
10 heisse Bäder, Protargol, Choleval. Heilung (3 Abstriche negativ). 
War noch bis Mitte Februar 1918 auf der chirurgischen Abteilung 
unseres Krankenhauses wegen Gelenktuberkulose. Bei der Ent¬ 
lassung auf dieser Abteilung keine Gonokokken mehr nachweisbar. 

2. Jula Sch., 10 Jahre alt. Vom 1. März 1917 bis 12. Juli 1917 
auf der Abteilung. Im Abstrich Gonokokken. War schon 2 mal 
wegen Gonorrhöe im Krankenhaus gewesen. Das erstemal 9 Monate 
lang. Ging immer ungeheilt ab. Diesmal Behandlung mit 15 Heiss¬ 
bädern und Injektionen. Im Januar 1918 Nachuntersuchung. Völlige 
Heilung; keine Gonokokken nachweisbar. 

3. Anna Sch.,* 6 Jahre alt. Vom 22. Juli 1917 bis 16. September 

1917. Im Ausfluss Gonokokken. Beide Handgelenke und beide Fuss- 
gelenke geschwollen- und schmerzhaft. Temperatur 39°. 20 heisse 

Bäder. Injektionen von Protargol und Choleval sowie Hegonon. 
Nachdem die Gonorrhöe abgeheilt w ar und keine Gonokokken mehr 
im Abstrich nachweisbar waren, gingen auch die Gelenkerscheinungen 
zurück. Im März 1918 Nachuntersuchung; hierbei gleichfalls keine 
Gonokokken. 

4. Anna B., IX Jahre alt. Vom 3. Januar 1917 bis 10. Sep¬ 
tember 1917. Gonokokken positiv. Am linken Ellbogengelenk starke 
Schwellung und Schmerzhaftigkeit. Temperatur bei der Aufnahme 
40°. 10 heisse Bäder. Injektionsbehandlung, Heilung. — Nachunter¬ 
suchung: Gonokokken negativ. 

5. Magdalena M., 2X Jahre alt. Vom 9. Juli 1917 bis 30. No¬ 
vember 1917. Gonokokken positiv. 20 heisse Bäder, Injektion:*- 

Original fro-rn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



26. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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behandlung. Völlig geheilt. 3 Abstriche negativ. Anfang März 
1918 wieder Einlieferung ins Krankenhaus wegen Gonorrhöe. Nach¬ 
forschung ergab, dass die Mutter an Gonorrhöe litt und ihr Kind offen¬ 
bar wieder frisch infiziert hatte. Behandlung wieder mit heissen Bä¬ 
dern und mit Protargol. Bei der Entlassung völlig geheilt. Auch 
5 Wochen später keine Gonokokken mehr nachweisbar. 

6. Gertrude W„ 6 Jahre alt. Vom 29. September 1917 bis 
20 . Januar 1918 Gonokokken positiv. 20 heisse Bäder, Choleval, Pro¬ 
targol. Hegonon. Geheilt entlassen. Anfang März 1918 Aufnahme ins 
Krankenhaus wegen Bronchitis. Bei dieser Gelegenheit Nachunter¬ 
suchung: Gonokokken negativ. 

Die übrigen 17 Fälle waren unkompliziert und -boten keinerlei 
Besonderheiten. Sie alle wurden völlig geheilt und erwiesen sich 
auch bei der Nachuntersuchung als rezidivfrei. 

Vergleichen wir die Erfolge der früheren Silberbehandlung mit 
denen der kombinierten Behandlung, die wir bei unseren Fällen an¬ 
gewandt haben, so fällt vor allem die geradezu absolut* Si*horheit 
der Heilung auf, die die kombinierte Heissbäder- und Silberbehand- 
lung zu gewährleisten scheint. Ein wesentlicher Vorteil ist ferner 
die Abkürzung der Behandlungsdauer. 

Besonders hervorheben möchten w ir. dass wir in keinem unserer 
Fälle Schädigungen durch die heissen Bäder beobachten konnten. 

Literatur. 

1. Weiss: .Die Fiebertherapie der Gonorrhöe. M.m.W. 1915 
Nr.44. — 2. Scholtz: Ueber die Fieberbehandlung der Gonorrhöe 
nach 0. Weiss. M.m.W. 1916 Nr. 29. — 3. Eng wer: Ueber die 
Behandlung der kindlichen Gonorrhöe mittels der Fiebertherapie 
(Weis s). M.m.W. 1916 Nr. 45. — 4. Duncker: Die kombinierte 
Behandlung der Gonorrhöe mit Heissbädern und verdünnter Dakin- 
lösung. M.m.W. 1917 Nr. 25. — 5. N a s t: M.m.W. 1918 Nr. 16. zitiert 
aus Ther. Mh. 1917 Nr. 2. 


Aus dem staatlichen hygienischen Institut der freien und 
Hansestadt Hamburg. (Direktor: Prof. Dr. Dunbar.) 

lieber ein Paratyphus A-ähnliches Bakterium. 

Von Dr. W. Gaehtgens- 

In Nr. 20 d. Wschr. berichtet Eug. F r a e n k e 1 über einen Fall, 
bei dem die klinische Diagnose auf Enteritis, Ikterus, Nephritis 
baemorrhagica gelautet hatte, der aber durch die Sektion und die 
anschliessende mikroskopische Untersuchung als Cholangitis und Peri- 
cholangitis der feinen Gallengänge erkannt wurde. Es fand sich 
ausserdem ein schwappendes Oedem der Schleimhaut des Zoekum 
und einzelner Partien des Dickdarmes. Aus Blut und Galle der Leiche 
züchtete F r a en k e 1 in Reinkultur Bakterien, die beim Meerschwein¬ 
chen eine der menschlichen durchaus gleichende Lebererkrankung 
(echte Cholangitis und Pericholangitis) zu erzeugen vermochten. 
Diese Mikroorganismen wiesen in morphologischer und kultureller 
Hinsicht, wie auch meine eigenen Untersuchungen bestätigten, eine 
vollkommene Uebereinstimmung mit Paratyphus-A-Bakterien auf, 
Hessen aber bei der serologischen Identifizierung, die ich auf Wunsch 
von Herrn Prof. Fraenkel durchführte, ein von der Regel ab¬ 
weichendes Verhalten erkennen, so dass ich sie nur als Paratyphus-A- 
ähniiehe Bakterien anzusprechen mich berechtigt fühlte. Fraenkel 
ist, in Uebereinstimmung mit Schottmüller (Hamb. Aerzte- 
Corresp. 1918, S. 140), trotzdem geneigt, die Kultur als echten Para¬ 
typhus A anzusprechen. Da weitere Versuche mich indes in meiner 
Ansicht bestärkt haben, und der Stamm auch in anderer Richtung 
von Interesse ist, sei hier kurz über diese Untersuchungen berichtet. 

Die einzelnen, teils aus dem Patientenblut, teils später aus den 
Versuchstieren gewonnenen Kulturen, die in morphologischer und 
kultureller Hinsicht ein völlig gleiches ‘Verhalten aufwiesen, wurden 
von Typhus-, Paratyphus-A- und -B- und Gärtnerserum in folgender 
Weise nach zweistündiger Einwirkung bei 37 0 agglutiniert. 


Tabelle 1. 


Stamm 

Typhusserum 
(Titer 1:32000) 

Paratyphus 
A-Serum 
(Titer 1 : 16000) 

Parstyphns 

B-Serum 
(Titer 1: 8000) 

Oirtneraerum 
(Titer 1 :4000) 

1. Kubis aus Patien- 





tenblut .... 

negativ 

-f 1 : 500 

4* 1 : 2000 

4- 1 : 4000 

2. Meerschweinchen 

2 Darm . . . 


4- 1 : 200 

+ 1 : 1000 

4- 1: 2000 

3. Meerschweinchen 



4 Darm . . 


+ 1 :3200 

+ 1 : 1600 

4- 1 : 3200 

4. Meerschweinchen 




4 Blut . . 

ff 

-f- 1 :3200 

+ 1 : 1600 

4- 1 : 3200 


Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, vermochte Typhusserum alle 
4 Kulturen gar nicht zu beeinflussen. Die Einwirkung eines hoch¬ 
wertigen Paratyphus-A-Serums auf die zuerst isolierten und unter-, 
suchten Kulturen Kubis und M.-S. 2 Darm war zwar deutlich er¬ 
kennbar, aber nicht sehr ausgesprochen, hingegen liess sie gegenüber 
den später gewonnenen Stämmen M.-S. 4 Darm und Blut eine nicht 
inbeträchtliche Steigerung erkennen. Diese Zunahme der Agglutinier- 
rnrkeit konnte zunächst für die beginnende Umwandlung eines anfangs 
schwer agglutinablen Paratyphus-A-Stammes in einen typisch aggluti- 

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nablen durch Umzüchtung und Tierpassage sprechen. Diese Möglich¬ 
keit war nicht von der Hand zu weisen, hatte aber insofern nicht 
sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich, als sich einmal die echten 
Paratyphus-A-Bakterien. soweit ich der Literatur entnehmen konnte, 
meist von vornherein durch ein ausgesprochen regelrechtes Ver¬ 
halten gegenüber dem homologen Immunserum auszeichnen. Nur 
Gieszczykiewicz und Neumann (Med. Kl. 1918 S. 491) be¬ 
richten, dass *4 der von ihnen frisch gezüchteten Paratvöhus-A- 
Stämme anfangs nicht agglutinabel war. seine normale Agglutinier- 
barkeit aber schon nach 6—8 maliger Ueberimpfung auf künstlichen 
Nährböden wiedererlangte. Natürlich habe ich nicht versäumt, auch 
dieses allerdings recht zeitraubende Verfahren in Anwendung zu 
bringen, um über den Charakter der fraglichen Stämme Klarheit zu 
gewinnen. Das Ergebnis dieser Prüfung war indes, wie hier gleich 
vorweggenommen' sei, völlig negativ; nach zahlreichen Umzüchtungen 
während eines halben Jahres wurden alle 4 Kulturen von demselben 
Paratvphus-A-Serum gleichmässig nur bis zur Verdünnung 1:500 
agglutiniert. 

Noch ein zweiter Umstand schien mir von vornherein gegen 
die Annahme eines echten, wenn auch schwer agglutinablen Para- 
typhus-A-Bakterrums zu sprechen, nämlich die auffällig starke Beein¬ 
flussung durch Paratyphus-B- und Gärtnerserum (Tab. 1), wie sic 
in diesem Masse bei echten Paratyphus-A-Kulturen noch nicht be¬ 
schrieben worden ist (vergl. Uhlenhuth und Hüben er: Infek¬ 
tiöse Darmbakterien der Paratyphus- und Gärtner&runp'e einschliess¬ 
lich Immunität. Kolle-Wassermann, 2. Aufl. 3. 1913. S. 1140 und die 
umfassende, wertvolle Dissertation von Uckermark. G. Fischer, 
Jena 1918). Uckermark gibt auf Grund eingehender Literatur¬ 
studien und eigener Versuche an. dass Paratvphus-A-Bazillen von 
hochwertigem Typhus-, Paratyphus-B-. Mäusetvohus-. Gärtner-, Koli- 
und Alkaligenesinrmunserum nur sehr niedrig mitaeglutiniert werden 
(in der Regel nicht über 1:100 oder 1:200). Da also die Agglutina- 
Donsnriifung allein die Identifizierung der fraglichen Kultur nicht er¬ 
möglichte, vielmehr zu Zweifeln an ihrer Paratvnhus-A-Natur Ver¬ 
anlassung gegeben hatte, versuchte ich auf indirektem Wege, und 
zwar zunächst durch den Absorntionsversuch nach Castellani. 
näheren Aufschluss über die Reaktion zwischen Bakterien und Agglu¬ 
tinin zu erhalten. 

Das Ergebnis des ersten, schon in der Fraenkel sehen Arbeit 
mitgeteilten Absättigungsversuches, der mit den Kulturen Kubis und 
M.-S. 2 Darm ausgeführt wurde, lässt sich kurz dahin zusammen¬ 
fassen, dass beide Stämme weder aus Paratvphus-A-Serum, noch aus 
Paratyphus-B- und Gärtnerserum die spezifischen Agglutinine zu ab¬ 
sorbieren vermochten. Umgekehrt hatte allerdings auch ein mit Para¬ 
typhus-A-Bakterien vorbehandeltes Parqtvphus-A-Serum sein Aegluti- 
nationsvermögeh für Kubis und M.-S. 2 Darm ziemlich unvermindert 
beibehalten. Diese Unstimmigkeit war aber nur auf eine unvoll¬ 
kommen gelungene Absättigung zurückzuführen, wie sich durch einen 
zweiten, mit der. Stämmen M.-S. 4 Darm und Blut ausgeführten Ab¬ 
sorptionsversuch zeigen liess. Ausser Paratyphus-A-Serum wurden 
auch hier wieder der Vollständigkeit halber Paratyphus-B- und 
Gärtnerserum mituntersucht, wiewohl nach dem kulturellen Verhalten 
sämtlicher Stämme nur ihre Paratyphus-A-Natur in Frage kommen 
konnte. Besonderes Gewicht wurde auf die vollständige Absättigung 
der Agglutinine gelegt, was sich teilweise erst durch die mehrmalige 
Zufuhr frischer lebender Bazillen in das klar zentrifugierte Serum er¬ 
reichen liess." Da an der Identität der beiden Stämme M.-S. 4 Darm 
und Blut nicht zu zweifeln war und beide auch in diesen Versuchen 
ein völlig gleiches Verhalten zeigten, sind sie, um Wiederholungen 
zu vermeiden, in den Tabellen 2 und 3 als Bazillus M.-S. 4 zusammen¬ 
gefasst. 

Tabelle 2. 


Antiserum 

Abgeslttigt mit 

Geprüft gegen 

Agglutination nach 

2 Std. bei 37° 

Paratyphus A j 

| Parstyphns A 

Paratyphus A 

Bac M.-S. 4 

negativ 


1 Bic. M -S. 4 

Paratyphus A 

4 - 1 : 16000 


1 

Bac. M.-S 4 

negativ 

Paratyphus B | 

| Paratyphus B 

Paratyphus B 

negativ 


Bac M -S. 4 

4 - 1”8000 


Bac. M.-S. 4 

Paratyphus B 


1 

Bac. M.-S. 4 

negativ 


Eiii mit Paratyphus-A-Bakterien restlos abgesättigtes Para- 
typhus-A-Serum vermochte, wie aus diesen Ergebnissen hervorgeht, 
weder den echten Paratyphus A noch den Stamm M.-S. 4 zu be¬ 
einflussen. Umgekehrt hatte die Vorbehandlung mit der Kultur 
M.-S. 4 nur die Agglutinatiousfähigkeit des Serums für diesen Mikro¬ 
organismus aufgehoben, nicht aber das Verschwinden der für echte 
Paratyphus-A-Bakterien wirksamen Antikörper zur Folge gehabt. 
Ebenso, hatte die Absättigung des Paratyphus-B-Serums mit den 
homologen Bakterien auch seine Wirksamkeit für den Bac. M.-S. 4 
beseitigt, während die Vorbehandlung des Serums mit diesem Stamm 
nicht das Verschwinden der Paratyphus-B-Agglutinine zur Folge 
hatte. Dieses Ergebnis sprach absolut kla-r und ein¬ 
deutig dafür, dass die in beiden Immunseris für 
den Bac. M.-S. 4 wirksamen agglutinierenden Sub¬ 
stanzen nicht als Hauptagglutinine, sondern nur 
als Ncbenagglutininc angesprochen werden diirf- 

Original from 

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1348 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4*. 


ten; mithin kann auch der Stamm M.-S. 4 nicht als 
echtes Paratyphus-A-Bakterium bezeichnet wer¬ 
den. n 

Als weiterer indirekter Weg. die Art der besprochenen Kulturen 
zu bestimmen, kam noch -der Nachweis des Immunisierungsver¬ 
mögens, der Agglutininbildungsfähigkeit, in Betracht, indem bei 
diesem Verfahren sich aus den Eigenschaften des erzeugten Anti¬ 
serums bestimmte Rückschlüsse auf die Natur des zur Immunisierung 
benutzten Bakterienstammes ziehen lassen. Zu diesem Zwecke wurde 
ein Kaninchen 3 mal durch intravenöse Injektionen mit abgetöteten 
Bakterien M.-S. 4 behandelt. 8 Tage nach der letzten Einspritzung 
vermochte das Serum den Stamm M.-S. 4 nach 2 Stunden noch bis 
zur Verdünnung 1 :12 8D0 zu agglutinieren, während echte Para- 
typhus-A-Bakterien sowie Raratyphus-B- und Oärtnerbakterien von 
dem Serum unbeeinflusst blieben. In gleicher Weise vermochte das 
Serum eines zweiten einmalig vorbehandelten Kaninchens den Stamm 
M.-S. 4 bis zur Verdünnung 1:800 zusammenzuballen, auf echte Para¬ 
typhusbakterien aber keine Wirkung auszuüben. Somit hatte 
die Prüfung der Agglutininbildungsfähigkeit ein- 
wandfrei dargetan, dass das mit dem Bac. M.-S. 4 
erzeugte Antiserum kein Paratyphus -A-Serum 
war. Da nun aber die bisherigen Erfahrungen uns 
nicht die Berechtigung geben, als Paratyphus- A- 
Bazillus eine Kultur anzusprechen, die zwar sämt¬ 
liche kulturellen Eigenschaften mitdem typischen 
Paratyphus A teilt, 'hinsichtlich der Agglutinin- 
bindungs- und bildungsfähigkeit aber eine streng 
gesonderte Stellung ein nimmt, darf auchder von 
mir untersuchte Stamm M.-S. 4 nur als Para- 
typhus-A-ähnliches Bakterium angesprochen 
werden. 

Die Beobachtung eines derartigen Paratyphus-A-ähnlichen Bak¬ 
teriums steht nicht vereinzelt da. Schon Morgan (Brit. med. J. 
1905) erhielt bei der Untersuchung von Fäzes und Abschabungen von 
der Darmschleimhaut einiger Kaninchen, Meerschweinchen, Schweine, 
Schafe, eines? Kalbes und eines Pferdes 10 Kulturen, die im wesent¬ 
lichen die gleichen morphologischen und kulturellen Merkmale wie 
Paratyphus-A-Bakterien aufwiesen, in ihrem Verhalten gegenüber 
4 Paratyphus-A-Imiminseris jedoch gar keine Verwandtschaft mit 
diesen zeigten. U h 1 e n h u t h (Arb. d. Kais. Ges.A. 27. 1908) isolierte 
aus den Organen von künstlich mit Schweinepestvirusfiltraten in¬ 
fizierten Ferkeln 3 Stämme, die sich kulturell und agglutinatorisch wie 
Paratyphus A verhielten, von Uhlenhuth aber trotzdem nur als Para- 
typhus-A-ähnliche Bakterien bezeichnet wurden. Schöne (Zschr. 
f. Hyg. 65. 1910. S. 1) züchtete aus einer Salamiwurst, nach deren 
Genuss ein Mädchen an akutem Brechdurchfall erkrankt war, einen 
„dem Paratyphus A ähnelnden“ Stamm, der sich kulturell wie Para¬ 
typhus A verhielt, von 2 Paratyphus-A-Immunseris mit dem Titer 
1:800 bzw. 1: 12 000 aber nur bis zur Verdünnung 1:200 bzw. 1:500 
beeinflusst wurde. Ferner beschreibt K o e h 1 e r (Zbl. f. Bakt. 78. 
1916. S. 421) einen schwach - agglutinablen Paratyphus-A-ähnlichen 
Stamm, den er in den Fäzes eines Dauerausscheiders neben echten, 
gut agglutinablen Paratyphus-A-Kolonien gefunden hatte. Morpho¬ 
logisch und kulturell ähnelte die Kultur durchaus dem echten Para¬ 
typhus A, nur ihre Beweglichkeit war häufig gegenüber der der Ver¬ 
gleichsstämme stark herabgesetzt, wurde gelegentlich sogar völlig 
vermisst. Von einem hochwertigen Paratyphus-A-Serum wurde 
dieser Stamm nur bis zur Verdünnung 1:100 agglutiniert. Durch den 
Immunisierungs- und Absättigungsversuch liess sich aber zeigen, dass 
er spezifische agglutinogene Eigenschaften besass, die ihn von Para- 
typhus-A-Bakterien wie von den übrigen Vertretern der Typhus- 
Paratyphusgruppe sicher zu unterscheiden gestatteten. Schliesslich 
berichten Krumwiede, Pratt und K o h n (Zbl. f. Bakt. Ref. 67.1918. 
S. 254) über Stämme aus menschlichen Erkrankungsfällen, die von 
Paratyphus-A-Serum nicht agglutiniert wurden. 

Ist nun die in unserem Falle festgestellte starke Beeinflussung 
durch Paratyphus-A- und B-Serum sowie Gärtnerserum als Mitagglu¬ 
tination oder Paraagglutination anzusprechen? Nach Kuhn (Arch. f. 
Hyg. 86. 1917. S. 151) versteht man unter Paragglutination „die Ver- 
klebbarkeit nicht pathogener Stämme, die ihnen durch das Zusammen¬ 
leben mit pathogenen Stämmen im Körper angezüchtet ist“. „Das 
wichtigste Kennzeichen der Paragglutination ist die Vergänglichkeit 
bei Ueberimpfung des Stammes.“ Diesen beiden Bedingungen, die 
das Charakteristische der Paragglutination ausmachen, genügt unser 
Bakterium offenbar nicht. Einmal ist er nicht apathogen, sondern ein 
pathogener Mikroorganismus, der imstande ist. bei Menschen und 
bei Meerschweinchen ein wohlcharakterisiertes Krankheitsbild zu er¬ 
zeugen, wie die Versuche E. Fraenkels einwandfrei dargetan 
haben. Allerdings dürfte das kein Hindernis sein, den Ausdruck Par¬ 
agglutination auch für pathogene Stämme zu gebrauchen, zumal 
Kuhn selbst, wie ich der Dissertation von Uckermark (S. 43) 
entnehme, sich dahin geäussert hat, „dass die Erscheinung der Par¬ 
agglutination zwar hauptsächlich an Kolistämmen studiert worden sei, 
natürlich aber auch von jedem pathogenen Stamm erworben werden 
könne.“ Ferner aber hat sich die Aggutinierbarkeit der 4 aus dem 
Patienten bzw. den Versuchstieren isolierten Stämme nach zahl¬ 
reichen Ueberimpfungen im Laufe eines halben Jahres, wie schon 
oben erwähnt, gar nicht bzw. nicht wesentlich vermindert. Nur die 
aus dem Darm und Blut des M.-S. 4 gezüchteten Kulturen zeigten eine 
Abnahme der Agglutinierbarkeit durch Paratyphus-A-Serum von 

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1: 3200 auf 1: 500. Ob dieser verhältnismässig geringe Rückgang im 
Sinne der Paragglutination gedeutet werden muss, kann wohl nicht 
endgültig entschieden werden, erscheint aber wenig wahrscheinlich, 
weil derartige Schwankungen auch bei der Mitagglutination Vor¬ 
kommen können und weil andererseits die Agglutinierbarkeit der zu¬ 
erst isolierten Stämme Kubis und M.-S. 2 Darm sich in derselben 
Zeit gar nicht verändert bzw. sogar eine geringe Zunahme von 1.200 
auf 1: 500 erfahren hat. Schliesslich scheint mir auch die gleichzeitige 
hohe Beeinflussung unseres Stammes durch Paratyphus-A- und -B- 
sowie Gärtherimmunserum mehr für eine Mitagglutination zu spre¬ 
chen, da sich in der Leiche keine dieser 3 Bakterienarten hatte nach- 
wejsen lassen, mithin eine durch das Zusammenleben mit pathogene» 
Stämmen im Körper angezüchtete Agglutinierbarkeit auch nicht in 
Frage kommen konnte. Aus diesen Gründen glaube ich, die beobach¬ 
tete Erscheinung eher als Mitagglutination ansprechen zu müssen. 

Ein interessantes Verhalten wies der Stamm M.-S. 4 bei dem 
Absättigungsversuch mit Gärtnerserum auf. Zwar vermochten die 
Stämme M.-S. 4 Darm und Blut ebenso wie die Kulturen Kubis und 
M.-S. 2 nicht die spezifischen Agglutinine aus einem Gärtner¬ 
serum zu absorbieren. Umgekehrt hatte aber auch ein mit den 


Tabelle 3. 


Antisemit! 

Abgesättigt mit 

Geprüft gegen Bac. 

Agglutination nach 

2 Std. bei 37* 

Gärtner 7 

_ 

Oärtner 1 

4 - 1:4000 


— 

M-S. 4 

4 * 1 : 32C0 


B. Gärtner 1 

Oärtner 1 

negativ 


0» 

M.-S. 4 

+ 1 :3200 


_ 

Oärtner 2 

-4- 1 :20CO 

9t 

B. Oärtner 2 

M.& 4 

negativ 

19 

»» 

+ 1 :80O 

Gärtner 9 

__. 

Oärtner 3 

-f 1 : 8000 


, — 

M-S. 4 

-f 1:16000 


B. Oärtner 3 

Oärtner 3 

negativ 



M-S. 4 

-f 1 : 16000 


— 

Oärtner 4 

-f 1 : 8000 

99 

B. Gärtner 4 


negativ 

»9 

*» 

M.-S. 4 

4- 1 : 16000 


homologen Bakterien abgesättigtes Gärtnerserum sein Agglutinations¬ 
vermögen für den Stamm M.-S. 4 unvermindert beibehalten. Zur 
Kontrolle wurde der Versuch mit 2 verschiedenen Gärtnerseris und 
4 verschiedenen Gärtnerkulturen wiederholt. Das Ergebnis blieb, 
wie Tab. 3 zu entnehmen ist, im wesentlichen immer das gleiche. Bei 
dem Gärtnerimmunserum 9 war nach Erschöpfung der Hauptaggluti- 
nine durch die homologen Bakterien die Einwirkung auf den Stamm 
M.-S. 4 unvermindert erhalten geblieben. Ebenso vermochte das 
Serum 7 nach Absättigung mit dem Gärtnerstamm 1 die Kultur M.-S. 4 
noch unverändert zu agglutinieren, und nur die Absorption des Se¬ 
rum 7 mit dem etwas schwerer agglutinablen Stamm 2 hatte eine ge¬ 
ringe Abnahme der Serumwirksamkeit für M.-S. 4 von 1:3200 auf 
1:800 zur Folge gehabt. 

Diese Beobachtung ist ein weiterer Beweis für 
das Vorkommen heterologer Agglutinine, die keine 
Bindungsfähigkeit für die zur Immunisierung ver¬ 
wendeten Bakterien besitzen und sich ebenso selbständig 
verhalten, wie die durch Mischinfektion hervorgerufenen Agglutinine. 
Diese von den Partial- oder Mitagglutininen zu trennenden „hetero- 
logen“ Nebenagglutinine (P a 11 a u f, Kolle-Wassermann (2) 
1913. II. S. 483) sind schon von verschiedenen Seiten beschrieben 
worden. P o s s e 11 und v. Sagasser (W. klin. Wschr. 1903 Nr. 24) 
fanden, dass bei der Absättigung der Hauptagglutinine in Tva^- 
immunserum die Nebenagglutinine nicht nur erhalten blieben, sondern 
auch in ihrer Stärke gelegentlich nicht unbedeutend Zunahmen; nur 
ganz vereinzelt konnte eine Abnahme der Nebenagglutinine imAbsorbat 
des Hauptagglutinins festgestellt werden. Für die Selbständigkeit 
der Nebenagglutinine in ihrer Bindungsfähigkeit sprachen ferner Ver¬ 
suche von H e t s c h und L e n t z (Festschrift zu Ehren K o c h 
1904, S. 17) und P o s n e r und Z u p n i k (Prager m. Wschr. 1903) 
Die Entstehung dieser heterologen Nebenagglutinine, über deren 
Wesen und Häufigkeit noch wenig bekannt ist, sucht P a 11 a u i dürr 
die Annahme zu erklären, dass bei der Bildung der homologen Agglu- 
tinine auch andere Rezeptoren verwandter Qualität frei werden: zum 
Teil, aber nicht immer scheinen es normale Agglutinine zu sein, derer 
Produktion durch den adäquaten Reiz gesteigert wird. Die hetero¬ 
logen Nebenagglutinine können den Wert des Absorptionsversuches 
nicht nur bei der Beurteilung eines Krankenserums, sondern auch be. 
der Serodiagnostik der Bakterien erheblich beeinträchtigen. In letz¬ 
terem Falle werden sich aber etwaige Schwierigkeiten Überwinder 
lassen, wenn ausser der Agglutininbindungsfähigkeit auch die Aggm- 
tininbildungsfähigkeit im Tierversuch geprüft wird. 

Aus den vorliegenden Untersuchungen ergib: 
sich für die bakteriologische Praxis, dass es niet- 
angängig ist, ein Bakterium, das die morphologi¬ 
schen undkulturellen MerkmaledesParatyphus-A- 
Bazillus auf weist, von Paratyphus-A-Serum aber 
nur wenig beeinflusst wird, ohne weiteres a ’ c 
echten Paratyphus A anzusprechen. Erst die ge¬ 
nauere, vor allem die serologische Prüfung nt:' 
Einschi ussdes Ab sättigungs - und Immunisierung 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





26. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1349 


Versuches ermöglicht in zweifelhaften Fällen ein 
sicheres Urteil über die Natur des fraglichen 
Stammes. 


Aus dem Fürsorge-Reservelazarett München (Chefarzt: 
S. König 1. Hoheit Dr. Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern). 

Die Indikation zur Sehnenvorpflanzung und ihre An¬ 
wendung bei Schu8slähmung peripherer Nerven*). 

Von Privatdozent Dr. Qeorg Hohmann* München. 

Je länger wir Nerven operieren, desto mehr Geduld zum Warten 
haben wir lernen müssen. Die Frühresultate der ersten Zeit stellen 
sich nicht mehr so oft ein wie anfangs, als das Eintreten von 
Ulnaris für Medianus durch Anastomosen usw. uns noch über unsere 
Erfolge täuschen konnte. Wenn heute 5—6 Monate nach der Naht 
ein gelähmter Radialis zu funktionieren beginnt, so sehen wir das 
als normal an. Oft aber kommt der Nerv viel später. Ein von mir 
genähter Ischiadikus begann erst nach 10 Monaten das erste Lebens¬ 
zeichen von sich zu geben. Dasselbe beobachtete ich auch bei 
Spontanheilungen. Ein Ischiadikus begann nach 1 Jahr 4 Monaten, 
ein anderer nach 1 Jahr 8 Monaten sich spontan wieder herzustellen 
und erübrigte die Operation, die wegen Sequesterbildung und aus 
anderen Gründen nicht früher hatte gemacht werden können. Auf der 
Tagung der Prüfstelle für Ersatzglieder im Januar 1918 in Berlin 
berichteten Chirurgen und Orthopäden zum Teil über lange Zeit¬ 
räume, die die Nervenregeneration beansprucht: Spitzy mitunter 

2 Jahre. Noch nach 30 Monaten wurde Wiederkehr der Funktion 
beobachtet! Also ist auf alle Fälle grosse Geduld zu empfehlen. 
Die Sehnenplastik zur Wiederherstellung der Funktion muss 
deshalb hinausgeschoben werden. 

Ein lehrreiches Beispiel von zu früher Ausführung der Sehnen¬ 
plastik sah ich bei einem Patienten, bei dem anderwärts schon 

3 Monate nach der Oberarmverletzung mit Radialislähmung die 
Sehnenverpflanzung am Vorderarm vorgenommen wurde. Im Laufe 
der Zeit hat sich aber der Radialis spontan wieder hergestellt; infolge 
der mit der Sehnenverpflanzung ausgeführten Raffung der Extensor- 
digitorum-Sehne besteht jedoch jetzt eine lästige Hemmung der Hand¬ 
beugung, so dass es notwendig wird, diese durch eine neue Operation 
zu beseitigen. (Vorstellung, des Patienten.) 

Welches sind nach den vorliegenden Er¬ 
fahrungen die Indikationen für die Sehnenplastik? 

1. Wenn 2 Jahre nach erfolgter glatt geheilter Nervennaht noch 
keine Funktion eingetreten ist. 

2. Wenn nach der Nervennaht erhebliche Eiterung auftrat, so 
dass mit der Lösung der Nähte und dem Wiederauseinanderweichen 
der Nervenenden zu rechnen ist und nach Jahr und Tag keine Funk¬ 
tion äuftrat, so dass die Nervennaht als missglückt zu betrachten ist. 

3. Wenn die direkte Nervennaht unmöglich war wegen zu 
grossen Defektes, oder wenn sie von vornherein wegen zu grosser 
Gewebsstörung aussichtslos erschien. 

4. Wenn nach längerer Eiterung und Sequesterbildung am 
Knochen mehr als VA Jahre seit der Verwundung zurückliegt, so 
dass der Zeitpunkt für eine Nervennaht als zu spät erscheint. 

5. Wenn die Nervenverletzung nicht im Nervenstamm, sondern 
an einer Stelle des Nerven liegt, wo der Nerv sich bereits in seine 
Aeste auflöst, wie beim Femoralis unterhalb des P o u p a r t sehen 
Bandes, besonders wenn feine Aeste des Nerven zerstört sind, die 
nicht genäht werden können, wie auch am Ramus profundus des 
Radialis usw. 

Ich habe die Indikationen für die Sehnenverpflanzung bei Schuss¬ 
verletzung peripherer Nerven aufgestellt, um eine Klärung dieser 
noch offenen Fragen durch eine Aussprache herbeizuführen. 

Unter diesen Voraussetzungen führe ich die Sehnenplastik aus. 
Ich habe sie bisher in 20 Fällen vorgenommen, gewiss eine geringe 
Zahl unter den Hunderten von Nervenverletzten, die durch das Für¬ 
sorge-Reservelazarett gehen: 

14 mal 'bei Radialislähmung am Oberarm, 2 mal bei Lähmung des 
Ramus radialis profundus, 1 mal bei Femoralislähmung, 2 mal bei 
Peroneuslähmung, 1 mal bei Lähmung des Medianusastes für den 
Flexor pollicis longus am Vorderarme. 

Bei Femoralislähmung habe ich zum Ersatz des ge¬ 
lähmten Quadrizeps die Verpflanzung der Beuger auf den Quadrizeps 
in der üblichen Weise vorgenommen. In der Auswahl der zu ver¬ 
pflanzenden Muskeln kommt es natürlich auf den Umfang der Läh¬ 
mung an. Während bei Kinderlähmung der Sartorius meist erhalten 
ist, ist er bei totaler Zerstörung des Femoralis ebenfalls gelähmt 
und kommt für die Quadrizepsbildung nicht in Frage. Hier nehme 
ich ausser dem kräftigen Bizeps den vom Obturatorius versorgten 
Grazilis oder einen Semimuskel. 

Bei Peroneuslähmung führe ich nach Korrektur der De¬ 
formität des Fusses (Spitz- oder Klumpfuss) die Tenodese aus, 
weil die Verpflanzung der vom Tibialis versorgten Muskeln auf die 


*) Teilweise vorgetragen in der Aussprache nach dem ärzt¬ 
lichen Fortbildungsvortrage am 27. IV. 18 in München. 

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Vorderseite des Fusses auch nach Mitteilungen anderer im allgemeinen 
nicht die günstigen Erfolge wie am Vorderarm hat. Nur selten wird 
eine freie Beweglichkeit der verpflanzten Muskeln erzielt, ihr Gleiten 
wird durch Verwachsungen im Spatium interosseum gehemmt. 
Immerhin wirkten die verpflanzten Muskeln fixierend, ähnlich wie 
Bänder, und verhüteten eine Wiederkehr der Deformität. Ich gebe 
zu, dass die Sehnenverpflanzung trotzdem vor der Tenodese insofern 
einen Vorzug hat, als nach einer etwa im Laufe der Zeit doch wieder¬ 
kehrenden Funktion des gelähmten Peroneus die Rückverpflanzung 
der Muskeln leichter ist, als die Wiederherstellung der Verhältnisse 
nach einer Tenodese. 

Bei Zerstörung des Medianusastes zum Flexor polli¬ 
cis longus am Vorderarm habe ich diesen wichtigen Muskel, der 
die Beugung des Daumenendgliedes bewirkt, durch eine Ueber- 
pflanzung des unwichtigen Palmaris longus auf die Sehne des Flexor 
pollicis in einfacher und wirkungsvoller Art ersetzen können, indem 
ich die Palmarissehne unter der Sehne des Flexor carpi radialis 
hindurch zur Flexor-pollicis-longus-Sehne führte, diese durchschnitt 
und die Palmarissehne mit dem peripheren Stumpf der Flexor-pollicis- 
Sehne vernähte: Ich zeige hier einen Patienten, bei dem ich diese 
Verpflanzung mit Erfolg durchführte. 

Bei Bizepslähmung infolge Schussverletzung des Plexus 
brachialis kann man die Beugung des Armes im Ellenbogen wieder 
herstellen, durch die von Schulze-Berge und mir angegebene 
Verpflanzung des Pectoralis major auf den Bizeps, Der Pektoralis 
lässt sich zwanglos in die Zugsrichtung des Bizeps bringen und be¬ 
wirkt eine ausreichende, mit der Zeit immer kräftiger werdende 
Beugung des Ellbogens 1 ). 

Die häufigste Anwendung findet die Sehnenverpflanzung bei der 
Radialislähmung. Hier ist ein Unterschied, ob die Verletzung 
des Nerven am Oberarm oder am Vorderarm geschehen ist. Bei 
Verletzung am Vorderarm steht für die Verpflanzung im allgemeinen 
ausser den Beugern meist noch der Brachioradialis zur Verfügung, 
während bei Verletzung am Oberarm nur die vom Ulnaris und 
Medianus versorgten Beuger in Betracht kommen. Dies ist sehr 
wesentlich, weil die Daumembewegung dann in vollkommenerer Weise 
ersetzt werden kann. 

Für unser Handeln sind folgende Gesichtspunkte massgebend, 
die von Perthes, Stoffel, Spitzy neuerdings hervorgehoben 
wurden: einfacher Operationsplan, nach Möglichkeit Ersetzung aller 
wichtigen Funktionen, Anstrebung selbsttätiger Bewegung, Vermei¬ 
dung der Zerstörung bisher möglicher wichtiger Bewegungen. Dies 
erreichen wir: 

1. Indem wir auf die von Müller und E g 1 o f f vorgeschlagene 
Tenodese des Extensor carpi radialis brevis verzichten. Sie hebt 
die Volarbeugung der Hand auf, der Patient empfindet diese Hem¬ 
mung zum Teil ‘unangenehm (z. B. der obenerwähnte vorgestellte 
Patient mit der zu früh ausgeführten Sehnenplastik). Die Tentfdese 
ist nach meinen Erfahrungen auch nicht notwendig. 

2. Indem wir uns darauf beschränken, die wichtigsten Funktionen 
zu ersetzen: die Handhebung, die Daumenbewegung, die Finger¬ 
streckung. 

Wir ersetzen im allgemeinen den Extensor carpi radialis durch 
den um den Radius herumgeführten Flexor carpi jadialis, und den 
Flexor carpi ulnaris führen wir um die Ulna herum auf die Streck¬ 
seite, verbinden ihn zuerst mit dem Extensor digit. communis und 
führen seine Sehne weiter bis zur Sehne des Extensor pollicis longus, 
der die gleiche Zugrichtung wie diese Sehne hat. Daumenstreckung 
und Fingerstreckung werden dann zusammen vom Flex. carpi.ulnar, 
aus bedient, wie dies Stoffel jüngst vorgeschlagen hat. Die Hand¬ 
strecker und die übrigen Daumenmuskeln habe ich meist durch den 
Flexor carpi radialis ersetzt. (Beschreibung der Methode erfolgt lm 
Zentralblatt für Chirurgie.) Die Wegnahme der Handbeuger zum Er¬ 
satz der Strecker macht funktionell nicht viel aus, indem die Finger¬ 
beuger auch die Beugung des Handgelenks übernehmen, ebenso wie 
umgekehrt der zum Ersatz der Fingerstrecker verpflanzte Flexor 
carpi ulnaris gleichzeitig ein gut Teil der Hebung der Hand bewirkt. 

Was die Methode betrifft, so seien nur kurz einige Gesichts¬ 
punkte hervorgehoben: 

1. Ich führe die Muskeln oberhalb der Faszie durchs Unterhaut¬ 
fett durch. 

2. Führe ich sie nicht wie am Fuss nach B i e s a 1 s k i innerhalb 
der Sehnenscheide der Strecker, sondern wie es Perthes genannt 
hat, paravaginal, weil meist die verpflanzten Sehnen nicht lang 
genug sind. 

3. Schneide ich die kraftnehmenden Sehnen in der Regel nicht 
vom gelähmten Muskelbauch ab, wie Perthes, sondern nähe den 
Kraftspender auf den Kraftnehmer nach flächenhafter Wund- 
machung auf. Noch besser ist die Vernähung in einem Sehnenschlitze 
des Kraftnehmers. 

4. Von grösster Wichtigkeit sind frühzeitige Bewegungen, um 
Verwachsungen zu vermeiden. 


') M.m.W. 1918 Nr. 45. 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1350 _ 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 43. 


Aus dem St. Johanoishospital und dem Dortmunder Sanatorium 
zu Dortmund. (Chirurgische Abteilung Prof. Vogel.) 

lieber das Friedmannscbe Heilmittel. 

Von K. Vogel. 

Das Vertrauen wendet sich neuerdines wieder dem vor 4 Jahren 
beiseitegelegten F r i e d m a n n sehen Tuberkulosemittel zu. 

Ich bin auf Grund meines eigenen, zwar zahlenmässig nicht 
grossen, aber klinisch sehr genau beobachteten Materials, schwerer 
chirurgischer Tuberkulosen schon 1914 im Gegensatz zu der damals 
allgemeinen Verurteilung des Mittels zu einem günstigen Ergebnis 
gekommen. 

Ich hatte die folgenden Zeilen schon damals (Frühjahr 1914) 
niedergeschrieben. Dass die Veröffentlichung aus äusseren Gründen 
damals nicht erfolgt ist. hat das Gute, dass ich ietzt (August 1918). 
also nach 4K Jahren, sämtliche in Frage kommenden Fälle nach¬ 
prüfen konnte und somit in der Lage bin, Erfolge festzustellen, die 
von dauerndem Bestände sind. Das gibt meiner Beobachtung einen 
Wert, der 'm. E. den Nachteil der geringeren Anzahl der Fälle mehr 
wie aufhebt und ihre Mitteilung rechtfertigt. 

Zunächst in tunlichster Kürze die Krankengeschichten: 

1. Hedwig S.. 10 Jahre alt, aufgenommen am 28. XI. 13. 

Vorgeschichte: Ein Bruder der Mutter an Lungentuberku¬ 
lose gestorben. Vor ca. einem Jahr ohne äussere Veranlassung 
Schmerzen am rechten Hüftgelenk, kam sofort in meine Behandlung. 
Typische rechtsseitige tuberkulöse Hüftgelenkentzündung. 

Be Fund: Rechtes Hüftgelenk sehr empfindlich, sowohl spontan 
als bei Bewegungsversuchen und bei Druck an den typischen Punk¬ 
ten. Ankylose in Flektion, Adduktion und Innenrotation. In Narkose 
ist Bewegung in geringem Umfang möglich. Das Röntgenbild ergibt 
starke Zerstörung des Schenkelkopfes und Gelenks am oberen Pfan¬ 
nenrande, beginnende Pfannenwanderung. Am rechten Auge ziemlich 
erhebliche Keratitis parenchymatosa tuberculosa. 

Behandlung: Streckverband mit Gegenzug auf der gesunden 
Seite. , 

8. XII. Wechselnde Schmerzen in der Hüfte. Augenbefund: 
Am Kornealrande und auf der Sklera kleine Infiltrate. Leichte Trü¬ 
bung der Hornhaut, starke Injektion der Bindehaut. Das Auge wird 
von spezialistischer Seite (Herr Dr. Rüge) behandelt. 

20. XII. Fortschreitende Trübung der Kornea, Auftreten einiger 
neuer Infiltrate. Schmerzen im Hüftgelenk zeitweise noch sehr heftig. 

20.1.14. Simultaninjektion nach Friedmann. 

26.1. Nach Steigerungen bis 38.6 und allgemeiner Mattigkeit 
Befinden wieder normal. Befund an Hüfte und Auge unverändert. 
Infiltrat noch schmerzhaft. 

8. II. Hüftgelenk im Streckverband ziemlich schmerzfrei, bei 
Abnahme desselben wieder Schmerzen. Erneuerung, des Streckver¬ 
bandes: Auge besser. 

10. III. Auge sozusagen heil. Schmerzen im Hüftgelenk nur 
noch bei stärkerem Druck an den typischen Punkten vorhanden. 
Stellung des Gelenkes gut, leichte Bewegung möglich. Patientin wird 
mit Beckengipsverband entlassen mit der Weisung, noch stets zu 
liegen. 

Mitte April fängt Pat. an. im Gipsverband herumzugehen; An¬ 
fang Mai wird derselbe entfernt. 

25. V. Pat. hat 8 Pfd. an Gewicht zugenommen, sieht sehr gut, 
geradezu blühend aus. Die Affektion des Auges ist spurlos ver¬ 
schwunden. Die Hüfte steht in idealer Stellung, ist passiv um wenige 
Grade in allen Dimensionen beweglich. Keine Schmerzen. Kurz: 
Koxitis- erscheint klinisch als ausgeheilt. Auch das angefertigte Rönt¬ 
genbild zehrt mindestens einen Stillstand des Prozesses. 

Nachuntersuchung am 16. X. 16. Ganz geheilt. 

August 1918: Hedwig S. ist ein gesundes Mädchen, jetzt 15 Jahre 
alt. besucht das technische Seminar. Die Hüfte ist knöchern anky- 
lotisch in leichter Beugung, leichter Adduktion und leichter Aussen- 
rollung. das Röntgenbild zeigt die volle Ausheilung des Prozesses mit 
knöcherner Ankvlose. deutliche Bälkchenstruktur des Knochens vom 
Becken zum Schenkelhals. 

2. Fräulein S. B., 23 Jahre alt. aufgenommen 20. XII. 13. 

Vorgeschichte: Keine erbliche Belastung, Pat. war stets 

gesund. Vor 4 Tagen ziemlich olötzlich erkrankt mit Stuhlverhal¬ 
tung. leichtem Fieber, heftigen Leihschmerzen, Erbrechen. 

Befund: Leib stark aufgetrieben, überall spontan und auf 
Druck sehr empfindlich. 

Diagnose: Peritonitis (ex Aöoendice?). 

Behandlung: Lanarotomie über der Aooendix. Peritoneum 
sehr stark verdickt, reichlich klarer Aszites. Serosa überall mit Tu- 
berkelknötchen iibersät. Eingeweide stark miteinander verbacken, 
Wurmfortsatz nicht zu finden. Ablassung des Aszites. Naht. 

27. XII. Glatte •Heilung. Schmiierseifeneiureibung. Das All¬ 
gemeinbefinden wird weniger gut, der Appetit lässt nach, Pat. wird 
blasser und magerer. 

5. I. Der Leib treibt sich wieder stark auf. dauernd heftige 
Leibschmerzen. Temneratur erhöht. Heftige Nachtschweisse. 

14.1. Dauernd Fieber, Leib stark gespannt und sehr empfind¬ 
lich. 

17.1. Relanarotomie in der Mittellinie. Wenig Aszites: Peritoneum 
überall mit Tuberkeln besät alle Eingeweide fest miteinander ver¬ 
wachsen. Naht. Glatte Heilung. 


21.1. Simultaninjektion nach Friedmanm mittags 12 Uhr. 
Temperatur: nachmittags 38,3, 38,7, 39, 39,8; nachts 12 Uhr 40,3, Er¬ 
brechen, Schüttelfrost. 

22.1. Temperatur morgens 37,5. mittags 38.9, abends 39 A, 
nachts Abfall bis 37,8. Mehrmals Erbrechen, sehr starke Abge- 
schlagenheit. 

23.1. Temperatur: morgens 39,4, dann Abfall bis 37 2, abends 
38,6. Noch Brechreiz, Schmerzen im Leib, beim Atmen etwas Stäche 
in der rechten Brust, dort RHU. etwas Dämpfung und pleuritisches 
Reiben. 

Dann fällt die Temperatur ab. Zunahme des Appetits. 

28.1. Pat. fühlt sich wieder weniger gut, Aopetit schwindet. 
Aussehen blass, Schmerzen im Leib stark, Leib prall und empfindlich, 
Brechneigung. 

4. II. Abends wieder dauernd Fieber, Spannung und Schmerzen 
im Leib sehr stark, Schmerz wird besonders rechts vom Nabel lokali¬ 
siert, dort anscheinend Resistenz. 

7. II. In der Erwartung, an der obigen Stelle vielleicht einen 
Abszess zu finden, habe ich auf Wunsch der Pat. noch einmal laparo- 
tomiert, rechts von der Mittellinie. So gut wie kein Aszites. Ein¬ 
geweide noch fest verwachsen. Kein Abszess. Die Resistenz ist ein 
Konglomerat von Därmen und Netz. Die Tuberketknötchen sind ganz 
unzweifelhaft deutlich spärlicher als früher. Glatte Heilung. 

10. II. Nur noch geringe Ueberreste der Pleuritis nachzuweisen. 

27. II. Dauernde Schwankungen im Befund. Leib im allgemeinen 
wesentlich weicher, Appetit besser, das Aussehen hebt sich, die 
Blässe wird geringer. 

25. TU. Pat. steht auf. 

1. IV. Auf Wunsch entlassen. Allgemeinbefinden recht befriedi¬ 
gend, Leibschmerzen nur noch selten und weniger heftig. Leib durch¬ 
weg weich. Appetit gut. An der Pleura nichts mehr zu finden. 

Ende Mai hörte ich vom Hausarzt dass es der Pat. dauernd 
besser gehe. Eigentliche Krankheitssymptome seien nicht mehr vor¬ 
handen, nur sei sie noch blass und schwach, sie habe 12 Pfd. an Ge¬ 
wicht zugenommen. 

Nachuntersuchung Ende 1915: Pat. geht ihrem alten Beruf als 
Postbeamtin wieder nach. 

August 1918: Pat. ist vollkommen gesund. 

3. Fräulein A. H., 28 Jahre, aufgenommen 26.1.14. 

Vorgeschichte: Eine Schwester an Lungentuberkulose ge¬ 
storben, sonst keine Belastung. Pat. selbst als Kind viel krank ge¬ 
wesen, ..skrofulös“. Vor 6 Jahren bekam sie eine schwere links¬ 
seitige Kniegelenkstuberkulose, an der ich sie behandelte. Nach 
B i e rscher Stauung langsame Heilung mit Ankvlose. Damals hatte 
sie schon vielfach Lymphdrüsentuberkulose, deren Operation sic 
ablehnte. 

Befund: Im ganzen gesundes Aussehen ohne Besonderheiten 
innerer Organe. Linkes Kniegelenk in Ankylose ausgeheilt, in leichter 
Beugung. Am Halse beiderseits Drüsenpa^ete. linVs mehrere eiternde 
Fisteln. In beiden Leisten ebenfalls Drüsenpakete, Narben von 
früheren Fisteln. 

2. II. mittags intraglutäal 1,0 F r i ed m a n n sches Mittel. Keine 
erhebliche Reaktion. 

9. II. Die Fisteln der linken Halsseite sind oberflächlich ge¬ 
schlossen, im übrigen keine Veränderung. 

10. II. Pat. wird entlassen. 

Nachuntersuchung Anfang Juli 1914: Halsfisteln ausgeheilt. 
Drüsen kleiner und härter geworden, am Hals sowohl als in der 
Leiste. Pat. hat 6 Pfd. zueenommen und fühlt sich wohl. 

Nachuntersuchung Mitte 1916: Pat. ist gesund. August 1918: 
Pat. ist dauernd geheilt geblieben. Die Lymphdrüsen sind geheilt. 
Allgemeinbefinden sehr gut. 

4. Fräulein M. Sch., 40 Jahre alt. aufgenommen 19.1.14. 

Vorgeschichte: Seit 7 Jahren in steter Behandlung wegen 

Schrumpfniere, Zystitis, Pyelitis, Blasentuberkulose, Schrumnfblasc 
und gynäkologischen Beschwerden. Eine vor kurzem vorgenommenc 
Laparotomie (Prof. Schröder, hier) ergab diffuse Peritoneal- 
tuberkulose.i tuberkulöse Adnextumoren. Blasentuberkulose: Urin 
sehr spärlich mit Eiterköroerchen und zeitweise Blut. 

21.1.14. Simultaninjektion nach Friedmann mittags 12 Uhr. 
Nachts mehrfach heftiges Erbrechen. Temoeratur bis 39,6. 

22. I. Sehr heftige Koüfschmerzen, allgemeine Abgeschlagenheit. 
Schmerzen im Leib verstärkt. Stiche in der Biust, Auswurf reich¬ 
licher als gewöhnlich. Temperatur: 38.5. 39,4. 

24.1. Temperatur normal. Pat fühlt sich sehr elend, anfallsweise 
sehr heftige Schmerzen im Leib. Die Urinmenge nimmt langsam zu 

9. II. Pat. wird auf Wunsch entlassen. Zu Hause hat sie sich 
sehr erholt. Gewichtszunahme 10 Pfd. Frisches Aussehen. Husten 
und Auswurf haben wesentlich nachgelassen, ebenso Leibschmerzer. 
Urinmenge noch gering. 500—600 ccm. 

25. V. 14. Pat. kommt wieder mit dem Wunsche, noch eine Ein¬ 
spritzung zu erhalten. 

26. V. Intraglutäale Injektion nach Friedmann. Reaktion 
wesentlich geringer als das erstemal. 

9. VI. Wieder subjektives Wohlbefinden. Pat. wird entlassen. 

Nachuntersuchung August 1918: Es geht der Pat. wesend' 
besser. Die Peritonealtuberkulose Ist spurlos verschwunden. Noch 
leichte Albuminurie (Schrumpfniere). Blase ohne Tuberkulosesym¬ 
ptome. 


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26. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1351 


5. F. W., 22 Jahre alt, aufgenommen 26. X. 12. 

Vorgeschichte: Vater an Unterleibsschwindsucht gestor¬ 
ben. Seit % Jahren mehrfache Knochen- und Gelenktuberkulose 
(Rippe, Knie, Hand), vereiterte Leistendrüsen, Fisteln. Mehrfache 
Operationen. Das linke Bein musste wegen schwerer Kniegelenks¬ 
tuberkulose und schlechten Allgemeinbefindens (Albuminurie) ampu¬ 
tiert werden. 

Am 25. II. 14 bestanden an allen obigen Stellen noch mehr oder 
weniger eiternde Fisteln, auch am amputierten Stumpf. Allgemein¬ 
befinden recht elend, sehr blutarm, etwas Albuminurie. 

Am 25. IL Intraglutäalinjektion nach Friedmann, geringe 
Reaktion. 

Pat. erholt sich. Die Blutarmut verschwindet und macht frischen 
Farben Platz. Gewichtszunahme 16 Pfd. Die verschiedenen Fisteln 
sind noch nicht ausgeheilt, doch ist die Eiterung minimal. Die 
schmierigen Beläge sind verschwunden. Mehrere Fisteln haben sich 
vorübergehend geschlossen, sind aber wieder aufgebrochen. An 
der Einspritzungsstelle hat sich ein Infiltrat gebildet, welches ein¬ 
schmolz und mit Stich eröffnet wurde. Es entleerte sich eine geringe 
Menge bräunlicher Flüssigkeit. Diese teilweise Einschmelzung und 
Ausstossung des Impfstoffes war wohl der Grund, dass die nach der 
Impfung einsetzende unverkennbare Besserung, die auch bis 1916 an¬ 
hielt, hier keinen endgültigen Erfolg mehr herbeiführen konnte, so 
dass Pat 1917 seinem Amyloid erlag. 

Ich möchte an dieser Stelle meinem Bedauern Ausdruck geben, 
dass die gegen das frühere Friedmann sehe Mittel 1914 erhobenen 
Vorwürfe seinerzeit in die Tagespresse gelangt sind. So zeigte mir 
dieser Pat., dem ich eine Wiederholung der Einspritzung andeutete, 
einen langen gegnerischen Artikel in einer politischen Zeitung, der 
begreiflicherweise ihn meinen Vorschlag, bevor er ernstlich gemacht 
war, ablehnen Hess. 

8. Fräulein L. R„ 19 Jahre alt. aufgenommen 20. II. 14. 

Vorgeschichte: Keine Erblichkeit, hat als Kind „Hals¬ 
drüsen“ gehabt; war aber sonst stets gesund. Seit November 1913 
zuweilen Stiche in der linken Bauchseite. Ein Frauenarzt diagnosti¬ 
zierte eine Geschwulst hn linken Unterleib. Periode regelmässig. 

Laparotomie am 24.11. ergibt Tuberkulose des Bauchfells, sämt¬ 
licher Geschlechtsorgane, in geringem Grade auch der Blase. Wenig 
Aszites. Glatte Heilung. 

1. III. Simultaniojektion nach Friedmann. Geringe Reaktion. 
Am 5. bis 6. Tage sind die Folgen der Einspritzung geschwunden. 

19. III. Pat. wird in ziemlichem Wohlbefinden entlassen. Sie 
stellt sich Ende Mai wieder vor. Etwas Mattigkeit, sonst Wohl¬ 
befinden. Leib weich, Stuhl normal. s Periode ist noch nicht wieder 
eingetreten. Gebärmutter noch fixiert, nicht nennenswert druck¬ 
empfindlich. Kein Aszites. 

Nachuntersuchung Mitte 1916: Gesund. August 1918 ebenfalls. 

7. Frau S., 32 Jahre alt. aufgenommen 27. II. 14. 

Vorgeschichte: Keine Erblichkeit. Seit 4 Monaten 
Schmerzen im Leib, Appetitlosigkeit. Durchfall und öfters Erbrechen, 
Leib oft aufgetrieben. Pat. ist sehr hinfällig geworden. 

Befund: Blasse, magere Frau, Lerb aufgetrieben. Man glaubt 
einzelne Geschwülste zu fühlen. Kein Aszites. Kein Fieber. Herz, 
Lunge und Niere ohne Besonderheiten. 

Laparotomie 29. II., allgemeine Bauchfelltuberkulose. Sämtliche 
Eingeweide fest miteinander verwachsen und mit Tuberkelknoten 
fibersät. Kern Aszites. Schluss der Wunde. Glatte Heilung.. 

5. III. Simultaninjektion nach Friedmann. Abends 39.4, 
Uebelkeit, Erbrechen, verstärkte Leibschmerzen, Kopfschmerzen. Die 
Symptome treten am nächsten Tage verstärkt auf und gehen dann 
langsam zurück. Am 4. Tage Temperatur normal; Appetitlosigkeit 
hält an. Der Befund ist dann eine Reihe von Wochen ziemlich gleich: 
Appetitlosigkeit, Lefbschmerzen, Mattigkeit; Stuhl verstopft, kein Er¬ 
brechen. Leib mässig aufgetrieben. Dann langsame Besserung. 

5. V. Entlassen, Leib noch etwas prall, zeitweise Schmerzen, 
allgemeine Mattigkeit. 

Mitte 1916: Pat, ist klinisch lls geheilt anzusehen. 

Ende 1916 traten heftige Beschwerden auf. wegen deren Re- 
laparotomie nötig wurde. Dabei erwies sich die Tuber¬ 
kulose als vollständig aus geheilt. Die Beschwerden 
rührten von Verwachsungen her. Jetzt (August 1918) haben sich noch 
zeitweise, wohl durch Wiederverwachsung bedingt, geringe Bauchbe¬ 
schwerden eingestellt, es besteht aber sicher keine Tuberkulose mehr. 

Soweit die Krankengeschichten. Allzuweit gehende Schlussfolge¬ 
rungen aus wenigen Krankengeschichten zu ziehen, wäre 1914 sicher 
noch nicht angängig gewesen. Heute dagegen wage ich folgendes zu 
behaupten. 

Die Behandlung hat in keinem Falle geschadet. Die Reaktion ist 
aHerdings teilweise recht erheblich gewesen. Dass sie stürmisrber 
bei der Simultaninlektion als bei der glutäalen ist, ist wohl selbst¬ 
verständlich. Das liegt am intravenösen Anteil jener, der das Mittel 
direkt in den Kreislauf bringt. Genau dieselben Erscheinungen, so¬ 
wohl lokaler als besonders auch allgemeiner Natur, zum T^»1 er¬ 
heblich stärker, haben wir doch auch bei beiden Koch sehen Tuber¬ 
kulinen, besonders dem alten, beobachtet. Wir können sie bei allen 
intravenösen Applikationen von Medikamenten sehen. Neuerdines 
sind ja neue Richtlinien für die Dosierung festgesetzt worden, die 
die stärkeren Reaktionen im grossen und ganzen haben fortfallen 
lassen. 

Schwierig war für mich vor 4 Jahren die Frage zu beantworten. 

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ob wir unseren Patienten genützt hatten mit der Einspritzung. Es 
ist sicher richtig, dass Koxitiden und Bauchfelltuberkulose bei der 
oben geschilderten chirurgischen Behandlung ausheilen können, auch 
ohne Fried mann. Die obige Koxitis jedoch war so schwer 
(Fall 1), die Besserung eine so schnelle und sofort nach der Ein¬ 
spritzung einsetzende, dass sie mich von der günstigen Wirkung der¬ 
selben überzeugt hat. Dazu kommt die prompte Heilung der sehr 
schweren, der bisherigen Behandlung hartnäckig trotzenden tuber¬ 
kulösen Hornhautentzündung und die hervorragende Hebung des 
Allgemeinbefindens. Ein Rezidiv ist nicht erfolgt. 

Ein recht beachtenswerter Erfolg liegt m. E. auch i:n Falle 2 und 
6 vor. Besonders Fall 2 war so verzweifelt, dass nach meiner Schil¬ 
derung aus dem Friedmann sehen Institut mir der Rat gegeben 
wurde, hier die Simultaninjektion als „Ultimum refugium“ zu ver¬ 
suchen. Pat. ist ja auch dreimal laparotomiert worden. Wir wissen 
aber, dass bei diesen ausgesprochen trockenen Formen vorr Bauch¬ 
felltuberkulose die Laparotomie ihren sonst nicht zu leugnenden Heil¬ 
effekt nur in geringem Grade ausübt. Auch hier ist die Besserung 
des Allgemeinzustandes, die besonders bei Fall 2 so augenfällig war, 
nicht zu unterschätzen. Sie setzte prompt mit dem Abklingen der 
Reaktion ein. 

Fall 7 war bei der Entlassung im Ausgange noch unklar. Jeden¬ 
falls schien mir auch hier der Verlauf der Krankheit mindestens auf¬ 
gehalten zu sein. Mittlerweile hat die Nachuntersuchung die voll¬ 
kommene Heilung der Tuberkulose ergeben und die Relaparo- 
tomie hat den anatomischen Beweisdafür erbracht. 
Hieraus hat sich also ergeben, dass es trotz einer anfangs nur wenig 
sichtbar fortschreitenden Heilwirkung keiner anderen therapeutischen 
Massnahmen bedurfte, da das F r i-edmann sehe Mittel lange Zeit 
hellend nachwirkte. 

Fall 2 ist vollkommen ausgeheilt. 

Fall 5 .ist nach anfänglicher Besserung seinem Amyloid erlegen. 
Vielleicht war hier das Mittel kontra indiziert. Ich habe es als „Ulti¬ 
mum refugium“ betrachtet, bei einem Patienten, dem sonst nicht 
mehr zu helfen war. 

Fall 4 zeigte zuerst wenig Erfolg, bald aber hob sich das Allge¬ 
meinbefinden so sehr, dass Patientin, die schon alle möglichen blutigen 
und unblutigen Verfahren hatte über sich ergehen lassen und daher 
keine Veranlassung hatte, diesem neuen Mittel besonders optimistisch 
gegenüber zu stehen, aus freien Stücken wiederkam mit der Bitte, die 
Einspritzung zu wiederholen, trotzdem sie das erstemal eine sehr er¬ 
hebliche Reaktion durchgemacht hatte. Auch hier zeigt sich 1918 die 
Tuberkulose als geheilt. 

Meine Fälle sind nicht sehr zahlreich, verglichen mit denen 
anderer Autoren der letzten Monate. Doch haben sie vor ihnen die 
Dauerbeobachtung über 4 Jahre voraus. Die Beweiskraft, be¬ 
sonders der Fälle 2 und 7 ist sicher eine erhebliche, da die R e - 
laparotomiedie Heilung der Tuberkulose mit der 
Sicherheitder Autopsie bewiesen hat. Für mich haben 
die wenigen Fälle schon vor 4 Jahren den Bewetis der Wirksamkeit 
des Mittels erbracht. 

Ich verfüge über eine ziemlich reichliche Erfahrung gerade auf 
dem Gebiete der chirurgischen Tuberkulose und habe in Bonn, wo 
dieselbe sehr häufig ist, als Assistent von Herrn Geheimrat Schede 
jahrelang an hunderten von Fällen Alleemeinkuren mit altem Tuber¬ 
kulin, dann mit Hetol und endlich mit Neutuberkulin gemacht und 
später als Assistent von Herrn Geheimrat Bier und in 12jähriger 
selbständiger Stellung an sehr grossen Krankenhäusern wieder 
Hunderte von Fällen mit Stauung und anderen Methoden behandelt. 

Alle diese Tuberkulosen wurden sehr genau beobachtet, einen 
Teil habe ich auch veröffentlicht 1 ). Auf Grund dieser immerhin recht 
reichen Erfahrungen einerseits und andererseits des Eindrucks, den 
die oben mitgeteilten Fälle in ihrem Gesamtverlauf und heute fest¬ 
stehendem Enderfolg auf mich gemacht haben, komme ich zum 
Schlosse meiner Ausführungen: 

Das Friedmann-Mitfel ist eine wirksame Waffe 
gegendie Tuberkulose, es verdient unter allen Um¬ 
ständen ernste w' eitere Prüfung. 


Der Musculus Trizeps als Kraftquelle*). 

Von Stabsarzt d. R. Dr. M. Böhm-Berlin, orthopäd. Fach- 
. beirat des Gardekorps. 

II. Ueber den unblutigen Anschluss von Stumpfmuskeln an Prothesen¬ 
teile. 

Im Gegensatz zum Armbeugemuskel ist der Armstrecker hin¬ 
sichtlich seiner Morphologie und Physiologie wesenttich verwickelter: 
Die Fasern des Bizeps verlaufen fast ausschliesslich in der Längs¬ 
richtung des Knochens und parallel zur Längsachse derselben. Der¬ 
artig verlaufende Fasern besitzt der Trizeps, abgesehen von seiner 
Sehne, sehr wenige. Die Fasern des lateralen Kopfes ziehen von 
lateral oben nach medial unten konvergierend zum Humerus, die 
Längsachse desselben unter einem spitzen Winkel schneidend. Der 
mediale Kopf zieht in umgekehrter Richtung — von medial oben 
nach lateral unten — gleichfalls konvergierend zum Oberarmknochen. 

x ) Ueber Gelenktuberkulose: D. Zschr. f. Chir. 97. 

♦> Vgl. diese Wschr. 1918 Nr. 24 S. 652 u. 653. 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4K 


Auch der lange Kopf verläuft nicht in der Längsrichtung des Hunterus, 
schneidet vielmehr, entsprechend seinem am Schulterblatt befind¬ 
lichen Ursprung die Längsachse des Humerus unter einem spitzen 
Winkel. 

Diesen anatomischen Verhältnissen entspricht die Formverände¬ 
rung, welche der Trizeps beim Uebergang vom schlaffen in den 
kontrahierten Zustand durchmacht. Die Figuren 1 a und b, welche 

O&ezarm.'' 




Querschnitte durch das mittlere Drittel des Oberarms darstellen, 
zeigen, dass unter dem Einfluss der Trizepskontraktion gratartig nach 
hinten und medial ein kräftiger Wulst vorspringt, der im wesentlichen 
vom langen und weniger vom medialen Kopf des Trizeps gebildet 
wird. 





Diese Formveränderung des Oberarms 
bzw. des Oberarmstumpfes kann in der 
Weise mechanisch als Kraftquelle benutzt 
werden, wie sie das Schema (Fig. 2 a u. b) 
veranschaulicht. Annähernd senkrecht zur 
Richtung des Kraftwulstes des langen Tri¬ 
zepskopfes, gleichsam als Tangente zu 
demselben, verläuft ein Hebel, dessen 



eines Ende an der medialen Seitenschiene des Kunstannes scharnier¬ 
artig angebracht ist und dessen anderes (dorsales) Ende mit einer 
Schnur in Verbindung steht, die über eine von der lateralen Seiten¬ 
schiene ausgehende Rolle läuft. Durch die Kontraktion und das hier¬ 
durch bedingte Hervorspringen des Trizepswulstes wird das freie 
Hebelende dorsalwärts hinausgedrängt und an der Schnur — voraus¬ 


gesetzt, dass es sich um einen Oberarmstrecker handelt, der durch 
vorangegangene systematische Widerstandsübungen kräftig entwickelt 
worden ist — ein Zug von ca. 2—3 cm ausgeübt. Bei dieser Hubhöhe 
beträgt die Kraftentwicklung etwa 1 kg Anfangsleistung, was zur Be¬ 
tätigung der Oeffnung, d. h. Fingerstreckung, einer Kunsthand aus¬ 
reicht. Fig. 3 zeigt die Verwendung dieser Kraftquelle am Kunstarm. 

IIL Die Eigenrotation des Oberarms als Kraftquelle. 

Der Oberarmstumpf, dessen Beuge- und Streckmuskulatur als 
Kraftquellen für die Betätigung von Oeifnung und Schliessung der 
Kunsthand benutzt werden kann, bietet noch eine dritte Kraftquelle, 
die sich vorzüglich zur Herbeiführung der Pro- und gleichzeitig Supi¬ 
nationsbewegungen der Kunstband eignet: es ist das die Rotation 
des Oberarms um die eigene Längsachse. Der Ober¬ 
armknochen kann diese Bewegung im Ausmass von je 90° vor¬ 
nehmen, so dass z. B. die durch die Epikondylen gelegte Querachse 
aus der Frontal- in die Sagittalebene gedreht werden kann und um¬ 
gekehrt. Es ist aber dabei zu berücksichtigen, dass diese Be¬ 
wegungen von den Muskelgruppen des Oberarms in der Haupt¬ 
sache nicht mitgemacht werden, dass im proximalen und mittleren 
Drittel die Muskulatur im Oegenteil dabei unverrückt bleibt und nur 
im distalen Oberarmdrittel die Muskeln bzw. Sehnen den Drehungen 
folgen. Es dreht sich also der Humerus im wesent¬ 
lichen in seinem Muskelschlauch. Diese Tatsache ist für 
Unsere Zwecke von doppelter Bedeutung. Erstens wird hierdurch er¬ 
möglicht, dass bei Ausführungen der Drehbewegungen die zur Aus¬ 
nützung der Muskelkraft bestimmten technischen Vorrichtungen 
(Bizepsspange und Trizepshebel) nicht die Verbindung mit und richtige 
Lage zu den Muskeln verlieren. Zweitens erhalten wir hierdurch den 
Fingerzeig, dass es falsch wäre, wenn wir — wie es üblich ist — zur 
Ausnutzung der Drehung des Oberarmstumpfes denselben mit einer 
Hülse umschlössen, die nur an seiner Oberfläche ansetzen und an¬ 
haften kann. Der Knochen selbst muss die Ansatzpunkte 
bieten, wenn eine kräftige Auswirkung auf die Uebertragungsvor- 
richtung stattfinden soll. Das Stumpfende, wo zumeist Narbenmassen 
die Weichteile am Knochen fixieren, ist der gegebene Ansatzteil für die 
entsprechende technische Vorrichtung. Diese ist in Fig. 4 wieder¬ 
gegeben. Sie besteht aus 2 Spangenringen. Der äussere ist in die 
Seitenschienen eingelassen und besitzt an der Vorder- und Hinter¬ 
hälfte je eine Schlitzführung. Der innere, in den äusseren genau 
eingepasst, besitzt vorn und hinten je ein Klötzchen, das in den 
Schlitzen läuft. Er trägt fernerhin an der Rückwand einen einseitig 
befestigten breiten Federstahl, der durch eine Nachstellschraube an 
das Stumpfende angepresst werden kann und zur Erhöhung des 
festen Zusammenhaltes zwischen Innenring und Stumpfende wesent¬ 
lich beiträgt. Innenring und Feder sind mit fernem Sämischleder aus¬ 
gepolstert. 

Die Kraftquelle wird auf folgende Weise gewonnen: Das Stumpf¬ 
ende dreht den Innenring im Sinne der Pro- bzw. Supination, d. h. 
bei gutausgebildeten und geeigneten Stümpfen um jeweils 90*. Die 
Klötzchen des Innenringes machen die Drehung mit und setzen da¬ 
durch je eine von ihnen ausgehende Schnur in Bewegung, die über 
Rollen läuft, welche ihrerseits an der Aussenschiene befestigt sind. 

Die Drehvorrichtung sitzt nicht fest in den Seitenschienen, son¬ 
dern läuft in 2 kleinen Längsschlitzen und wird durch Federkraft 
hochgezogen. Der Grund für diese Konstruktion ist der, dass die 
Anpressung des Ringes an das Stumpfende noch erhöht und selbst 
dann gewährleistet werden soll, wenn der Stumof Bewegungen, insbe¬ 
sondere nach aufwärts, vornimmt. 

Die Drehvorrichtung verfolgt schliesslich den Zweck der Stumpf- 
fixierung, die für die Tätigkeit und die Ausnutzung der Muskel-Kraft- 
Quellen nötig ist._ , 

Behandlung des Peritonelllarabszesses ohne Inzision. 

Von Oeh. San.-Rat Dr. Busch, Bochum. 

Die Peritonsillarabszesse nehifien bekanntlich fast ausnahmslos 
ihren Ausgang von der sog. Gipfelbucht der Gaumenmandel, also von 
der Uebergangsstelle des vorderen in den hinteren Gaumerfbogen. 
Hier sitzen ja mit Vorliebe die Mandelpfröpfe, die eben zur Zell¬ 
gewebsentzündung und Abszedierung in dem anliegenden weichen 
Gaumen Veranlassung geben. 

Zwar wird von den verschiedensten Autoren darauf hingewiesen, 
dass mittels einer rechtwinklig abgebogenen Sonde von der erwähnten 
Gipfelbucht aus der Abszess „erreichbar“ sei; allein es wird, soweit 
ich die Literatur übersehe, nirgends ein Verfahren angegeben, wie 
durch ein solches stumpfes Eingehen der Abszess in jedem Falle aus¬ 
giebig eröffnet und zur Ausheilung gebracht werden kann, so dass eine 
Inzision durch den vorderen (iaumenbogen sich stets erübrigt. 

Seit geraumer Zeit gehe ich so vor, dass ich eine geschlossene 
Zange (Nasenzange) in die Gipfelbucht nach vorheriger Kokainisierung 
einführe, nötigenfalls mit etwas kräftigem Druck sie nach aussen in 
das Gewebe des weichen Gaumens durchstosse und dann deren Bran¬ 
chen möglichst weit auseinanderspreize. Schon beim Durchstossen 
der geschlossenen Zange pflegt, sofern schon ein Abszess vorhanden 
ist, Eiter zum Vorschein zu kommen, der dann beim Auseinander¬ 
spreizen der Branchen sich unter reichlichem Ausströmen gründlich 
entleert. 

Kommt der Kranke früh genug in Behandlung, nämlich zu einer 


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26. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Zeit, wo die Mandelentzündung noch nicht zu einem Abszess geführt 
hat oder wo dieser sich eben erst zu bilden beginnt, dann gelingt es 
mittels des angegebenen Verfahrens, die Entstehung bzw. die weitere 
Entwicklung des Abszesses zu verhüten. Gewöhnlich braucht man 
dann nur die geschlossen eingeführte Zange ein wenig zu spreizen, 
um den Weg nach der Mandel hin frei zu machen oder auch schon 
einige Eitertropfen zu entleeren, und die weitere Abszedierung unter¬ 
bleibt, ein Erfolg, der doch gewiss hoch anzuschlagen ist. 

Dass ausserdem durch das erwähnte Verfahren die trotz Kokain 
entschieden viel schmerzhaftere Inzision durch den vorderen Gaumeti- 
bogen sich vermeiden lässt, bedeutet einen Ausweg, der besonders 
messerscheuen Patienten natürlich sehr erwünscht kommt, der aber 
auch für den Arzt von grösstem Werte ist. Denn die mit der Inzision 
verknüpfte Gefahr einer stärkeren, wenn auch nur venösen Blutung 
wird vermieden und der ärgerlichen Möglichkeit aus dem Wege 
gegangen, dass das Messer den Abszess nicht oder nicht genügend 
trifft. Letzteres ereignet sich ja trotz aller Sachkenntnis des Arztes 
nicht so sehr selten, weil der Eingriff bei der energischen Abwehr 
der meisten Patienten allzu eilig vorgenommen werden muss. 

So glaube ich denn, dass das vorgeschlagene Verfahren der 
Nachprüfung seitens der Herren Kollegen wert ist 


Oie Braun’sche Schiene im Felde. 

Von Obergeneralarzt Dr. Reh. 

Die von Geh. Rat B r a u n in der M.m.W. 1916 S. 1402, Feldärztl. 
Beil. Nr. 39 beschriebene Schiene hat sich bereits recht viele An¬ 
hänger erworben und mit vollem Recht; denn gerade für die offene 
Wundbehandlung an den unteren Extremitäten ist sie ausserordent¬ 
lich vorteilhaft. Es haften ihr aber noch ein Paar kleine Mängel 
an, die für den Feldgebrauch ins Gewicht fallen; nämlich die Schiene 
ist für den Transport sperrig, sie kann nicht, wie die Cramer- oder 
Volkmannschiene ineinandergeschachtelt werden. 

Diesem Mangel habe ich auf nachstehende Weise abgeholfen: 
Man schneidet entweder die beiden senkrechten Schenkel des Fuss- 
bügels A (Fig. 1) etwa 10 cm von oben her ab, lötet oder schweisst 
zwei Stücke Schwarzblech von etwa 15 cm Länge und einer Breite, 
die dem Umfange des Rund- oder Stabeisens aus dem die Schiene 
gefertigt ist, entspricht, also ca 3 cm, an die Schenkel dieses ab¬ 
genommenen Teiles des Bügels, so dass eine Röhre von etwa 10 cm 
frei bleibt, die nun über die abgeschnittenen beiden Schenkel der 
unteren Partie des Bügels geschoben werden. Nach Wegnahme der 
beiden wagerechten Querstäbe (s. Fig. 11 M.m.W. 1916 S. 1405) 
kann die Schiene vollkommen platt zusammengelegt werden; 

oder — und dieses'Verjähren ist einfacher — man entfernt wie 


A 



im ersten Falle die beiden Querstäbe, löst die Enden der horizontalen 
Eisenstäbe bei B (Fig. 1) vom. Fussbügel, klopft diese Enden auf 
eine Länge von etwa 4 cm flach, so dass die entstandenen Flächen 
senkrecht stehen und biegt sie an der alten Stelle um den senk¬ 
rechten Schenkel des Bügels <Fig. 2). Damit nun die horizontalen 
Stäbe am Bügel nicht nach abwärts oder auch nach aufwärts rut¬ 
schen können, feilt man unmittelbar ober- und unterhalb der Klammer 
die Bügelstange ringsum etwas ein, legt in die Rinne dünnen (etwa 
1 mm) Draht und versichert die Enden mit einer Zange durch ein- 
oder zweimaliges Umdrehen. Die unteren Enden des Bügels werden 
durch Stauchen mit einem kleinen Kopfe versehen, was mit Hammer 
und Schraubstock, über das ja jedes Lazarett verfügt, geschieht. 
Nun kann die Schiene bequem nach Art einer Tür oder eines Fenster¬ 
flügels zusammengeklappt werden. 

Um die Schiene beim Gebrauch stabil aufzustellen, nimmt man 
zwei Latten von etwa 40 cm Länge, 8 cm Breite und 2—3 cm Dicke, 
schneidet mit einer Säge, entsprechend der Entfernung der beiden 
horizontalen Schenkel der Schiene (18 cm) etwa 1,5 cm tief je zwei 
parallele Schnitte, entsprechend der Dicke der Eisenstäbe, und 
stemmt eine Rinne aus, so dass die genannten Eisenstäbe stramm 
hineinpassen (Fig. 3). Um genügend Platz für den Oberschenkel 
zu schaffen, müssen die beiden Rinnen 
der hinteren gegen den Oberschenkel 
zu gelegenen Latte 3—4 cm weiter aus- 
FIG.3. einander liegen, was besonders bei 

muskelkräftigen Individuen nötig ist. 

Die Schiene kann aus Rundeisenstäben (0,7—1 cm), am besten 
aus Hartdraht oder aus schwachem Winkel- oder T-Eisen, wie 
solches zum Einkitten von Fenstern benutzt wird, hergestellt werden. 
Manche Lazarette haben die ganze Schiene aus Holz verfertigt und 
sie auf ein Brett montiert; auch sie tut gute Dienste. Um die Schiene 


auch für ganz grosse Leute verwenden zu können, ist eine Verlänge¬ 
rung der wagrechten Stäbe um 5 cm nötig, also auf 50 bzw. 80 cm. 

Einzelne Chirurgen wünschen, dass der Winkel am Knie weniger 
stumpf Ist. Zu diesem Zwecke braucht man nur den unteren Draht¬ 
ring der oberen Stäbe am Bügel zu lösen, entsprechend tiefer ein¬ 
zufeilen, den Draht einlegen und die Stäbe nach abwärts verschieben. 
Für einzelne Fälle hat es sich als nötig erwiesen, die ganze Schiene 
nur 15 cm hoch anzufertigen, eine Neufertigung ist aber nicht nötig, 
weil am Ambos und Schraubstock leicht die nötige Korrektur vor¬ 
genommen werden kann. Alle diese Aenderungen werden in der 
Werkstatt fast schneller gemacht, als sie hier beschrieben werden. 

Fast überall fand ich, dass die Binden oder Bindenstücke, auf 
denen die Extremität auf der Schiene gelagert wird, zu stramm 
angezogen werden (s. Abb. 2 M.m.W. 1916, S. 1404). Es entsteht 
hierdurch ein einseitiger Druck auf die Wade und Ferse, was dem 
Kranken unangenehm wird. Ich habe deshalb stets empfohlen, die 
Achtertouren der Binde, die nur am Fuss- und Oberschenkelende mit 
einer Sicherheitsnadel an einem obern Eisenstabe befestigt wird, 
ganz locker zn führen, so dass die Extremität in eine Mulde zu liegen 
kommt, indem die Binde sich der Hinterfläche des Unterschenkels 
anpasst, wodurch derselbe in seiner ganzen Ausdehnung gleichmässig 
aufliegt. Diese Art hat auch den Vorteil, dass man die Touren 
leicht verschieben und Wadenwainden ganz freilegen kann, was ja 
für offene Wundbehandlung unbedingt nötig ist. 

Das Anbringen einer Extension wird in keiner Weise gehindert. 
Da sich aus bestimmten Gründen das Einbinden der Schienenstäbe 
gegen Rost, der übrigens hierdurch keineswegs verhindert wird, 
verbietet, empfiehlt es sich" — falls vorhanden — die heiss- (nicht 
glühend) gemachten Stäbe m»t einem mit trocknendem Oel (Lein- 
Trockenöl) angefeuchteten Lappen abzureiben. 

Es ist zu wünschen, dass die Schiene im Interesse und Nutzen 
unserer Verwundeten immer mehr Anhänger findet. In einer Armee 
ist bereits eine erhebliche Anzahl in Gebrauch, eine eigene Werk¬ 
statt fertigt fortwährend solche auf Vorrat. 

Es darf noch bemerkt werden, dass ich Ende der 70 er Jahre, 
also vor etwa 40 Jahren, unter Leitung des Altmeisters der Be¬ 
helfstechnik, des bayer. Generalarztes Port, ganz ähnliche Schienen 
herstellte, die er aber — warum, weiss ich nicht — in seinem Büch¬ 
lein über Improvisationstechnik nicht erwähnt hat. 


Aus der chirurgischen Klinik zu Halle a/S. 

Eine neue, die Auseenrotation des Beines ermöglichende 
Lagerungsschiene für die Behandlung hoher Ober- 
schenkelfirakturen. 

Von Dr. Friedrich Loeffler, Assistenzarzt der Klinik. 

Bei den Oberschenkelfrakturen unterscheiden wir mit Recht 
solche im oberen, mittleren und unteren Drittel, denn jede dieser 
Frakturstellen bietet ein anderes klinisches Bild. Sicherlich am 
schwersten zu behandeln sind die hohen Oberschenkelfrakturen, denn 
bei diesen finden sich alle die pathologischen Stellungen beider Frag¬ 
mente, die diese überhaupt zueinander einnehmen können. 

Bei der Behandlung der Oberschenkelfrakturen bedienen wir 
uns heute wohf durchweg der Nagelextension nach Steinmann 
und der Semiflexionslagerungsschienen. Durch die Nagelextension 
können wir schwere Gewichte zuverlässig und dauernd wirken 
lassen, durch die Semiflexionsschienen werden die Muskeln ent¬ 
spannt und die Gelenke, besonders das Kniegelenk, für die spätere 
Funktion in eine günstige Stellung gebracht. 

Bei der Frakturbehandlung wird das periphere Fragment nach 
dem zentralen Fragment eingestellt. Es wird also bei den hohen 
Oberschenkelfrakturen die Flexion des zentralen Fragments durch 
die Beugung im Hüftgelenk berücksichtigt, der Abduktion des Frag¬ 
ments wird durch Abduktionsstellung der Schiene Rechnung getragen 
und die Längsverschiebung der Fragmente wird durch die Nagel¬ 
extension an den Oberschenkelkondylen ausgeglichen; die seitliche 
Verschiebung der Fragmente kann erst nach Ausgleichen der Längs¬ 
verschiebung durch Seitenzüge beeinflusst werden. Untersuchen 
wir nun aber Patienten, deren Fraktur auf diese Weise anscheinend 
ideal verheilt ist klinisch und röntgenologisch, so müssen wir dock 
leider oft feststellen, dass die Heilung keine so ideale ist, und eine 
gute Funktion des Beines durch die mangelnde Aussenrotation stark 
beeinflusst wird. 

Fertigen wir von diesen Patienten Beckenübersichtsaufnahmen 
an, wobei beide Kniescheiben direkt nach oben gerichtet sind, oder 
das gesunde Bein stets in dieselbe Lage des verletzten gebracht 
ist, so sehen wir, dass auf der verletzten Seite der Trochanter minor 
weiter und stärker hervorspringt als auf der gesunden, dass ferner 
der Schenkelhals verkürzt ist, und der Schatten des» Trochanter 
major näher an den des Schenkelkopfes herangerückt ist. Suchen 
wir nun an einem Skelett dem Oberschenkel diese Stellung, wie hi 
uns das Röntgenbild zeigt, zu geben, so müssen wir den Ober¬ 
schenkel durchschnittlich um 25° nach aussen drehen. Auch kli¬ 
nisch lässt sich durch Palpation und Funktionsprüfungen der Ausscn- 
und Einwärtsrotation der Beine die Heilung beider Fragmente in 
falscher Rotationsstellung feststellen. 


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1354 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4*. 


Wir finden also bei den geheilten hohen Oberschenkelbrüchen 
oft eine Heilung in fehlerhafter Rotationsstellung, d. h., das peri¬ 
phere Fragment ist in nicht genügender Aussenrotation verheilt, 
vorausgesetzt, dass wir die Semiflexionslagerungsschiene (schiefe 
Ebene, Braunsche Schiene oder ähnliche) angewendet haben. 
Für die Funktion des Beins ist aber ein, wenn auch noch so geringer 
Grad der Einwärtsrotation viel störender als eine vielleicht etwas zu 
starke Aussenrotation. Daher wird auch an unserer Klinik stets der 
grösste Wert darauf gelegt, dass auch im Gipsverband das Bein 
in guter Aussenrotation steht. 

Die fehlerhafte Rotationsstellung beider Fragmente ist aber 
dadurch bedingt, dass die zwangläufige Aussenrotationsbewegung 
bei starker Abduktion des Beines nicht berücksichtigt werden kann, 
infolge des falschen Baues unserer Lagerungsschienen, die eine La¬ 
gerung des Beines in Aussenrotation nicht zulassen. 

Bringen wir ein im Hüftgelenk um 135° und im Kniegelenk um 
135° gebeugtes Bein in Abduktion, so stellt sich als zwangläufige 
Bewegung eine Rotation des Beines nach aussen ein. .Wir brauchen 
uns ja nur am eigenen Körper von dieser Bewegung zu überzeugen, 
und wir werden sehen, wie viel bequemer und muskelentspannter 
ein abduziertes und nach auswärts rotiertes Bein liegt, als ein ab- 
duziertes und mit der Fussspitze nach oben gerichtetes. 

Drehen wir aber das im Knie gebeugte Bein nach aussen, so 
sehen wir, wie der Unterschenkel der Beugestellung des Kniegelenks 
entsprechend nach innen weist. (Fig. 1.) Legen wir dann ein so 
auswärts rotiertes Bein auf eine schiefe Ebene oder Braun sehe 
Schiene, so ruht der Unterschenkel nicht auf dem Unterschenkelteil 
der Schiene auf. sondern ragt nach innen herüber. (Fig, 2.) Es 




muss also eine, die Aussenrotation ermöglichende Semiflexions¬ 
lagerungsschiene nicht in einer Ebene, wie unsere bis jetzt üb¬ 
lichen Schienen, gebaut sein, sondern der Unterschenkelteil muss 
winklig nach innen gebogen sein. (Fig. 3.) 



Legt man das Bein auf eine derart gebaute Schiene, so liegt es 
völlig entspannt, bequem und auswärts rotiert. (Fig. 4.) Man ge¬ 
winnt geradezu den Eindruck, die natürlichste und bequemste Lage 
dem Bein gewährt zu haben. 

Bei der Bardenheuer sehen Methode der Extension bei 
gestrecktem Bein lässt sich sehr wohl diese Rotationsstellung des 


zentralen Fragmentes berücksichtigen, wir haben bei dieser Methode 
die Nachteile, die eben durch die Semiflexionslagerung beseitigt 
werden sollen. Und bei der Scmiflexionslagerung das zentrale Frag¬ 
ment durch einen Rotationszug beeinflussen zu wollen, erscheint 
mir aus dem Grunde zwecklos, als nur der dicke Muskelmantel, 
aber nicht der Knochen selbst beeinflusst werden würde. 

Ich liess also eine neue Schiene anfertigen, deren Modell auf 
Fig. 3 zu sehen und deren Prinzip leicht zu verstehen ist, die eine 
Semiflexion und Aussenrotation des Beines zugleich ermöglicht. Die 
neue Lagerungsschiene ist aus Bandeisen gearbeitet, besteht aus 
einem dreieckigen Oberschenkelteil A, B, C, Ä\ B\ C\ und aus einem 
quadratischen Unterschenkelteil D. E, F. G. D7 E\ F‘. G*. Beide 
Schienenteile sind miteinander gelenkig verbunden. Um ein Aus¬ 
haken zu verhindern, sind unterhalb der Oesen kleine Querbolzen 
durchgesteckt. Ausserdem ist der Unterschenkelteil bei D, G und 
D\ G‘ gelenkig gearbeitet durch Stäbe, an deren dünnerem, oberen 
und unteren Teil die entsprechenden Querleisten beweglich auf¬ 
gesetzt sind. 

So kann man den Unterschenkelteil nach beiden Seiten be¬ 
wegen, man kann ihn geradestellen, nach links oder rechts ver¬ 
schieben, je nachdem die Schiene für die Lagerung des linken oder 
rechten Beines in gerader Stellung oder in geringerer oder stärkerer 
Aussenrotation bestimmt ist. Um nun die Schiene in der gewünschten 
Stellung feststellen zu können, ist in der Mitte von D, D‘ ein Band- 
eisenstab H, I in H beweglich angebracht, der durch eine Schraube 
in verschiedene Löcher auf den Stäben D, E und D\ E‘ je nach Be¬ 
darf festgeschraubt- wird. 

Bei der seitlichen Abbiegung des Unterschenkelteiles tritt 
natürlich je nach dem Abbiegungswinkel eine Verschmälerung dieses 

Sohienenteils ein, die aber bei dem 
Abbiegungswinkel von höchstens 
30°, mit dem wir es doch nur zu 
tun haben, um die Aussenrotations- 
stellung des zentralen Fragmentes 
von etwa 30° auszugleichen, kaum 
1 cm ausmacht. 

Hat die Schiene die gewünschte 
Stellung erhalten, dann wird sie 
durch Bindenwickelung überbrückt 
oder mit einem zusammengelegten 
Handtuch, das unten durch Sicher¬ 
heitsnadeln zusammengehalten wird, 
überspannt. Zwischen die Schich¬ 
ten des Uebersnannungsmateriales 
kann noch ein Wattepolster gelegt 
werden, um die Lagerungsfläche 
möglichst weich zu machen. 




Ich habe diese neue Schiene bei einer Reihe von Patienten mit 
hohen Oberschenkelfrakturen in Anwendung gebracht und war mit 
dem Erfolge durchaus zufrieden. Alle Patienten bestätigten mir die 
bequeme Lagerung des Beines, nachdem sie vorher auf einer der 
bis jetzt üblichen Schienen gelegen hatten. 

Noch einige wenige Worte zur Anlegung von Seitenzügen. 
Nach Bardenheuer ist eine Extensionsbehandlung ohne Seiten¬ 
züge keine Behandlung. Anstelle der Seitenzüge habe ich mir die in 
Fig. 5 abgebildete Druckpelotte anfertigen lassen, die auf den Band¬ 
eisenstäben des Schienenoberschenkelteils festgeschraubt werden 
kann. Um die Weichteile vor Druckschmerz zu bewahren, werden 
zwischen Pelotte und Weichteile Wattepolster oder Polsterkissen 
gelegt. Hat das Röntgenbild noch eine Seitenverschiebung der 
Bruchenden gezeigt, so brauchen die Pelotten nur weitergeschraubt 
zu werden, um eine exakte Einstellung der Bruchenden zu erreichen. 
Man hat es also in der Gewalt, einen genau dosierbaren Seiten¬ 
druck auszuüben. Zwischen den beiden medial und lateral sitzenden, 
festgezogenen Pelotten liegt das gebrochene Bein absolut ruhig 
und fest. Auch ist durch diesen gleichzeitig das obere und untere 
Fragment treffenden Seitendruck eine Achsenverschiebung, wie sie 
oft bei den sonstigen Seitenzügen zu sehen ist, nicht möglich. 

Abgesehen von der Anwendung dieser neuen Lagerungsschietic 
bei der Frakturbehandlung scheint sie auch bei der Behandlung von 
operativ eröffneten Kniegelenksempyemen sehr zweckmässig, denn 
durch starke Beugung im Kniegelenk wird dieses klaffend gehalten 


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36. November 1918. 


MUENChENEft MEDIZINISCHE WOCHENSCHRlFt. 


13$$ 


und durch starke Aussenrotation des Beins kann der Eiter gut zur 
Seite hin abfliessen, ein Vorteil, der bei den bisherigen Schienen auch 
nicht vorhanden war. 

Die Schiene ist zu beziehen durch die Firma L. A n d r a c, 
Halle a/S., Dachritzstr. 10. 


Abänderung der Braun'sehen Beinschiene für den 
Feldgebrauch. 

(Zusammenlegbar und dadurch leicht transportabel gemacht.) 
Von Oberstabsarzt Prof. Dr. Thöle, beratendem Chirurgen 
eines Armeekorps. 

Die Braun sehe Schiene *) habe ich schon wiederholt für die 
beste zur Behandlung von Schussbrüchen der Beine erklärt, nachdem 
ich hinreichend lange-mit ihr gearbeitet habe*). Sie hat den Nach¬ 
teil, dass sie sehr sperrig ist und viel Platz beim Transport bean¬ 
sprucht. Die Lazarette können sie in grösserer Zahl auf ihren Fahr¬ 
zeugen nicht mitnehmen, müssten sie vielmehr bei jeder Einsetzung 
neu hersteilen. Das kostet Material und viel unnütze Arbeit. Der 
Hauptnachteil aber ist der, dass gerade beim ersten massen¬ 
haften Verwundetenzustrom in das neueingesetzte und mit Arbeit 
überhäufte Lazarett diese Schienen fehlen, mit denen ein gebrochenes 
Bein am raschesten und besten ruhig zu stellen ist. In der Not 
greift man beim Oberschenkelschussbruch dann wieder zum leidigen 
Kastenverband aus Cramerschienen. Der kostet viel Polster- 
material und Binden, fixiert bestenfalls den Bruch in Dislokations¬ 
stellung, das Kniegelenk in der ungünstigen Streckstellung, und 
muss zu jedem Wundverbandwechsel in der Regel abgenommen 
werden. Damit wird aber gegen den obersten Grundsatz in der 
Behandlung von Schussbrüchen verstossen — und das geschieht 
leider immer noch auch ohne Not und Ueberlastung! —, Wund- und 
Fixationsverband zu trennen und so voneinander unabhängig zu 
machen, dass der eigentliche Bruchverband beim Erneuern des 
Wundverbandes liegen bleibt. Nur durch dauernde Fixation der 
Bruchstelle kann das Manifestwerden einer Infektion verhütet bzw. 
eingetretener Infektion wirksam entgegengearbeitet werden. 



Ich habe die Braun sehe Schiene deshalb so abgeändert, dass 
ihre Teile auf ein Grundbrett niedergeklappt werden können, auf 
welches ich die Rundeisenstäbe zwecks Erreichung einer sichereren 
Lage der Schiene im-Bett schon seit längerer Zeit aufmontiere. Ent¬ 
sprechend der Hüft- und Kniebiegung sind einfache Scharniergelenke 
angebracht (Durchlochung mit Nieten). Der senkrechte Fussbiigel 
äst ebenfalls in einfachen Scharniergelenken nach oben (becken¬ 
wärts) umzulegen, andrerseits hochgestellt durch 2 Splinte gegen 
die umgebogenen Enden der auf dem Fussbrett befestigten Rund¬ 
eisenstäbe senkrecht zu fixieren. Der Fussbügel, die Ober- und 
Unterschenkelstangen sind aus Flacheisen. In den Fussbügel und 


*) Braun: M.m.W. 1916, Feldbeil. Nr. 39. 

*) Vgl. meine Arbeiten, im 18. kriegschir. Heft der Beitr. z. klin. 
Chir. 1916 u. Nr. 13/15 des 35. Jahrg. der Fortschr. d. Med. 1917/18. 


die Unterschenkelstangen sind viele Löcher gebohrt, durch Ein¬ 
stecken zweier Splinte können die Unterschenkelstangen gegen den 
Fussbügel in verschiedener Höhe befestigt werden. Die Splinte sind 
mit dünnen Ketten an den Stangen befestigt (in den .Abbildungen 
2—4 sind die Ketten um der Uebersichtlichkeit willen fortgelassen). 
Zusammengeklappt (Abb. 1) nimmt die Schiene wenig Raum ein, so 
dass das Feldlazarett leicht 6—8 Stück auf seinen Wagen mitführen 
kann (zu 2 und 2 zusammengelegt, einmal das Brett nach unten, 
einmal nach oben). Aufgestellt (Abb. 2) hat die Schiene völlige Sta¬ 
bilität. Die von mir angegebene Modifikation mit Zahnstangen zum 
Verband nach Knieresektion 3 ) wird durch diese Schiene überflüssig: 
man kann mit ihr das resezierte Knie in Winkeln von 90—170° ver¬ 
binden (Abb. 3 u. 4). Die Verlängerung und bügelförmige Auf¬ 




biegung der unteren Enden der Unterschenkelstangen dient zur An¬ 
bringung einer Flügelschraubenextension nach Töpfer 4 ). 

Durch diese Abänderung dürfte die Verwendbarkeit der 
Braun sehen Schiene im Felde erhöht sein. Die Schiene kann 
jeder LazarettSehlosser aus einfachsten Mitteln hersteilen. In 
einer Schlossere* jnit maschineller Ausstattung könnte man statt 
der vielen Löcher in den Fussbügel und die Unterschenkelstangen 
lange Schlitze machen und diese beiden Schienenteile mit unverlier¬ 
baren Flügelschrauben jn beliebiger Höhe über dem Grundbrett zu¬ 
sammenklemmen. 


lieber ein neues Modell einer „zusammenklappbaren 
Braun’schen Schiene“. 

Von Oberarzt d. L. Dr. Kummer, Kantonal- und Spitalarzt 
aus Ingweiler, zurzeit im Felde. 

Als 1916 in Nr. 38 der M.m.W. Prof. Braun seine so genial 
erdachte „Brau nsche Schiene“ veröffentlichte, werden wohl sehr 
viele wie ich diesen wirklichen Fortschritt in der Schienenbehand¬ 
lung der unteren Extremität mit Freuden begrüsst haben. 

Als Nachteil stellte sich heraus, dass die „Braun sehen 
Schienen“ in grösserer Anzahl sich schlecht mitnehmen Hessen, da 
sie viel Platz Wegnahmen. Nach Prof. Brauns Angaben hat wohl 
die Firma Schädtfi „ein der leichteren Verpackung wegen aus¬ 
einandernehmbares Modell der Schiene in den Handel gebracht“. 


3 ) Thöle: Zur Verbandtechnik nach Gelenkresektionen. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir. 18. Kriegschir. Heft 1918. 

4 ) Töpfer: D.m.W. 1915 Nr. 2 u. 8; s. a. Thöle: M.m.W. 
1918, Nr. 47. 


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MUENCHENfcR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 48. 


1356 


Dieses Moddl ist mir unbekannt geblieben, da die Firma keine 
Zeichnung ihrer Schienen übermitteln konnte. Schon vor einem 
Jahr liess ich ein zusammenklappbares Modell konstruieren, das 
mich aber nicht vollkommen befriedigte. Im Feldlazarett, in dem 
ich mich jetzt befinde, fand ich unter den Leichtkranken einen 
Patienten, der nach einer Zeichnung, die ich durch eijien Mechaniker 
meines früheren Bataillons nach meinen Angaben' hatte anfertigen 
lassen, die folgenden Modelle“ anfertigte. 

Fig. 1 zeigt die Schiene in auigeklapptem Zustand, gebrauchs¬ 
fertig. Fig. 2 zeigt die Schiene mit aufmontiertem Verlängerungs¬ 
bügel, vermittels dessen, man bequem die Extension am Unter¬ 
schenkel vornehmen kann, auch die Extension am Oberschenkel ist, 
wie das Bild zeigt, möglich. An Stelle der Gewichtsextension ist 
auch Spiralfederextension möglich. Durch die Verlängerungsbügel 
lassen sich verschiedene Unterschenkelgrössen auf ein und derselben 
Schiene behandeln, für den Oberschenkelteil ist noch Verlängerungs¬ 
möglichkeit beabsichtigt. Fig. 3 zeigt die nicht auseinandernehm¬ 
bare, aber in einer Ebene zusammenklappbare Schiene. 


Walter Brasch f. 



Fi.' 1. 

Das Zusammenklappen geschieht folgendermassen: Man denke 
sich die Schiene eingeteilt in drei Ebenen, eine Fussebene und zwei 


F,g. 2. 



Fig. 3. 

Seitenebenen. Die Fussebene lässt sich, nachdem der obere Teil 
der Seitenebenen aus einer Oese ausgehackt ist und die beiden zur 
besseren Stabilität noch angebrachten Seitenhaken ausgehängt sind, 
bequem umklappen, dann werden die beiden Seitenebenen, die nun 
in ihrem unteren Teil beweglich sind, einfach darüber gelegt. Auch 
der Verlängerungsbügel lässt sich bequem entfernen und in dieselbe 
Ebene legen. Zu erwähnen ist noch, dass am Oberschenkelteil der 
Schiene von mir die beiden Enden etwas ümgebogen wurden, da 
manche Patienten es unangenehm empfanden, wenn diese Enden 
den Oberschenkel drückten. 

Die zahlreichen Versuche mit dieser Schiene während der 
beiden letzten Offensiven ergaben einwandfrei, dass diese Schiene 
trotz ihrer Beweglichkeit absolut stabil ist. 

Was besonders wichtig und angenehm ist, 12 dieser Schienen 
lassen sich leicht, ohne viel Platz wegzunehmen, auf einem Sani¬ 
tätswägen des Feldlazaretts mitnehmen und sind so jederzeit beim 
Neueinrichten zur Hand. 

Auch dem Truppenarzt, der über eine Ortskrankenstube ver¬ 
fügt, dürfte diese Sch ene willkommen sein, kann er sie doch jeder¬ 
zeit überallhin mitnehmen. 

Nicht zuletzt dürfte diese Schiene auch dem praktischen Arzte, 
speziell dem Landarzte, von Vorteil sein. 

Ich hoffe, dass diese kleine Verbesserung der wirklich einzig¬ 
artigen „B r a u n sehen Schiene“ ihr noch mehr Freunde erwerben 
wird. 


Am 25. Oktober d. J. starb in München der Oberarzt der 11. med. 
Abt. des Krankenhauses München-Schwabing, der a. o. Universitäts- 
proiessor Dr. Walter Brasch, im Alter von 40 Jahren. Er er¬ 
lag der Krankheit, deren Bekämpfung er während der beiden Epi¬ 
demien dieses Jahres seine beste Kraft und sein reiches Wissen ge¬ 
widmet hatte, der Grippe. Besonders tragisch berührt der Tod 
dieses Arztes, weil gerade er immer wieder eindringlich auf das 
| Heimtückische der Krankheit hingewiesen und vor einer Unter¬ 
schätzung der Gefahr gewarnt hat, dabei aber in seinem Pflichtgefühl 
für seine Person.jede Vorsicht vernachlässigte und den drohenden 
Symptomen keine ernste Bedeutung beimessen wollte. Bis er 
gegen seinen Willen dennoch die Arbeit nicht mehr fortsetzen 
konnte. 

München ist die Stadt, wo Brasch sowohl lernte wie 
lebte und lehrte. 1902 bestand er hier das Staatsexanmen als ein 
Schüler von Ziemssen, Bauer, Eversbusch, Winckel 
und B o 11 i n g e r. Bei Eversbusch pro¬ 
movierte er im gleichen Jahre zum Doktor 
mit einer Arbeit „über die Neurosen des 
Corpus ciliare“. Anfangs als Volontärassi¬ 
stent an der Bauerschen Klinik ein¬ 
getreten, wurde er 1903 daselbst Assistenz¬ 
arzt. 1907 habilitierte er sich mit einer 
Arbeit „über das Verhalten nicht gärungs- 
fä'higer Kohlehydrate im tierischen Organis¬ 
mus“; 1908 arbeitete er einige Monate mit 
C. Neu borg zusammen in Berlin über 
Stoffwechselfragen, denen er auch nach 
seiner .Rückkehr nach München das Haupt¬ 
interesse entgegenbrachte. Am 1. Oktober 
1908 wurde Brasch zum klinischen Assi¬ 
stenten und stellvertretenden Oberarzt der 
1. med. Klinik befördert. Während der 
Krankheit seines Lehrers und Chefs Geh. 
Rat v. Bauers musste er bereits im 
Wintersemester 1911/12 häufig die Ver¬ 
tretung von dessen klinischen Vorlesungen 
übernehmen, nach dem Ableben Bauers war er im Sommer¬ 
semester 1912 offiziell mit der Abhaltung der Klinik beauf¬ 
tragt und wurde zum a. o. Universitätsprofessor ernannt. Mit dem 
1. Oktober 1912 wurde Brasch zum Oberarzt der II. med. 
Abt. des neuen städtischen Krankenhauses Mün¬ 
chen-Schwabing berufen. — 

Noch nicht ganz 2 Jahre wirkte er hier, als der Krieg aus- 
brach. Anfangs als Stabsarzt d. L. an einem Feldlazarett in Nord- 
frankreiefrtätig, kam er im Herbst 1915 als Chei eines Kriegslazaretts 
nach dem Osten und fand hier das eigentliche Feld seiner Tätigkeit 
in der sachgemässen und energischen Seuchenbekämpfung, der deTTfT 
auch der Erfolg nicht versagt blieb. Vorbildliches hat Br. hier be¬ 
sonders bei der Bekämpfung des Fleckfiebers geleistet. Zeitweise 
war er ausserdem als beratender Internist bei der Armee Woyrscli 
tätig. In jene Zeit fällt seine Beschäftigung mit dem „Fünftagefieber“, 
über das er -als einer der ersten (unabhängig von Werner und 
H i s) in dieser Wochenschrift berichtete. Zu seinen damaligen Be¬ 
obachtungen ist später kaum noch Neues von Wichtigkeit hinzuge¬ 
kommen; die Untersuchungen über den Erreger haben auch jetzt noch 
kein einwandfreies Resultat ergeben. Im Januar 1917 musste 
Brasch wegen eines Nierenleidens seinen Dienst einstellen; nach 
mehrmonatlichem Krankenlager übernahm er auf Anforderung der 
Stadtgemeinde wieder die Leitung der II. med. Abt. des Kranken¬ 
hauses Schwabing. 

Hier war durch den Krieg die Arbeitslast enorm gestiegen, zu¬ 
mal Brasch ab November 1917 auch die Seuchenabteilung, in der 
neben den zivilen die militärischen Seuchenkranken Münchens zen¬ 
tralisiert waren, leitete. Besonders grosse Anforderungen w-urden an 
seine Arbeitskraft schliesslich gestellt, als im Juli d. J. die erste 
Influenzaepidemie ausbrach. Unermüdlich war er damals 
tätig und besorgt, dass trotz des grossen Zustroms von Kranken 
jedem einzelnen die nötige Hilfe in vollkommenster Weise zu Teil 
würde. Ueber seine Beobachtungen berichtete er im ärztlichen 
Verein in einem lehrreichen Referat. 

Mit dem Einsetzen der zweiten Grippeepidemie Mitte Oktober 
traten an Brasch wdeder die gleichen Forderungen an körperliche 
und geistige Leistungsfähigkeit heran. Mit gewohnter Pflichttreue 
überwachte er das Wohl und Wehe jedes Patienten, ohne für sein 
eigenes Wohlbefinden auch nur einen Gedanken oder eine Minute 
übrig zu haben. Und als es bereits ausser Zweifel war, dass die. 
tückische Krankheit auch ihn selbst ergriffen hatte, ging er mit Ge¬ 
walt dagegen an und tat seinen Dienst noch tagelang weiter. Alle 
Mahnung, sich zu schonen, schlug er in den Wind, zumal durch die 
Erkrankung mehrerer Assistenten die Zahl der Aerzte zusammen¬ 
geschmolzen .war, und legte sich erst, als ihm die Fortsetzung der 
Arbeit beim besten Willen nicht mehr möglich w>ar. Zu spät —. 
Alle Kunst der Kollegen vermochte den Kranken nicht zu retten. 
Schon nach wenigen Tagen erlag er der Infektion. 

Brasc-hs Hauptinteresse konzentrierte sich auf die Stoff- 


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26 . November 1918. 


MUfcNCH£N£fc MEtMZÖttSCHfc WOCttfeNsCHfctff. 


1357 


wechselkrankheiten und über dieses Gebiet hat 'er auch eine Reihe 
von Arbeiten veröffentlicht, zumal über den Diabetes. Bemerkens¬ 
wert ist sodann eine Arbeit über Anurie. Später, während seiner 
Tätigkeit als Oberarzt fand er zu wissenschaftlichen Arbeiten nicht 
mehr die nötige Müsse. Unvergesslich wird Brasch allen, die ihn 
jemals hörten, als Lehrer und Redner bleiben. Er hatte ein beson¬ 
deres didaktisches Geschick, das Wesentliche kurz und klar zum Aus¬ 
druck zu bringen; deshalb waren seine Kurse und klinischen Vor¬ 
stellungen auch immer besonders zahlreich besucht. 

Was* den Menschen vor allem auszeichnete, das war eine 
herzliche Liebenswürdigkeit und eine in allen Lagen gleichmässige 
Höflichkeit. Die erstere gewann-ihm die Anhänglichkeit seiner Pa¬ 
tienten, Bekannten, Untergebenen und Mitarbeiter; die letztere ge¬ 
staltete den Verkehr mit ihm in jedem Falle angenehm, zum min¬ 
desten aber reibungslos. 

B r a s c h s Eigenschaften als Arzt nochmals besonders hervor¬ 
zuheben, erübrigt sich wohl: seine Taten sprechen für ihn. Wir aber 
können dem Geschiedenen kein besseres Gedenken bewahren, als 
wenn wir uns bemühen, allezeit in seinem Sinne weiterzuarbeiten: 
gewissenhaft und unermüdlich. 

Karl Eskuchen. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Zur Frage der wirtschaftlichen Fürsorge für unsere 
Kriegsteilnehmer. 

Von Dr. A. Krecke in München. 

Die Frage der Entschädigung und Unterstützung unserer zum 
Heere eingezogenen Kollegen hat die Aerzteweit seit langer Zeit mehr 
und mehr beschäftigt. Ueberall sagt man sich, dass der Schaden, den 
unsere seit mehr oder weniger langer Zeit eingezogenen Kollegen 
erleklen, ein so grosser ist, dass Jahre nicht hinreichen werden, um 
denselben wieder gutzumachen. 

Es ist nicht nur der augenblickliche Entgang der Einnahmen, der 
diesen Schaden bedingt, sondern es ist vielmehr die Tatsache, dass 
nach Beendigung des Krieges es für die dann Zurückkehrenden bei 
der allgemein gesteigerten Konkurrenz sehr schwer werden wird, sich 
wieder in den Besitz ihres früheren Praxisstandes zu setzen. 

: Wenn bisher aus dem Felde zurückkehrende Kollegen im all¬ 
gemeinen keine Schwierigkeiten haben, ihre frühere Praxis wiederzu¬ 
gewinnen, so ist das kein Beweis gegen die oben aufgestellte Behaup¬ 
tung. Zur Zeit ist der Mangel an Aerzten so ausserordentlich gross, 
dass jeder Zurückkehrende vom Publikum aufs lebhafteste begrüsst 
wird und sehr bald eine völlig auskömmliche Tätigkeit wieder er¬ 
reicht hat. Auch werden die Kollegen, die in der Zwischenzeit seine 
Klientel übernommen haben, ihm im allgemeinen gerne zur Wieder¬ 
erlangung seiner Praxis behilflich sein, da ja die in der Heimat be¬ 
schäftigten Kollegen mit Tätigkeit so sehr überlastet sind, dass jeder 
froh ist, etwas abgeben zu dürfen. Ausnahmen kommen natürlich 
auch hier vor, und so ist zu verstehen, dass einzelne aus dem Felde 
zurückgekehrte Kollegen sich über das mangelhafte Entgegenkommen 
der Heimatkollegen beklagen. Meiner Erfahrung nach dürften das 
aber nur Ausnahmefälle sein. 

Ganz anders werden natürlich die Verhältnisse liegen, wenn 
nach der Demobilisierung ganz plötzlich viele Tausende 
von Aerzten wieder in die^Heimat zurückkehren, und wenn ihre Zahl 
durch die in der Zwischenzeit approbierten in hohem Masse ver¬ 
mehrt wird. Es ist ganz natürlich, dass viele der im Felde stehenden 
Kollegen mit grosser Sorge dieser Zeit entgegensehen und dieser 
Sorge in vielen Zuschriften in unseren Standesblättern Ausdruck 
geben. 

Der ärztliche Stand ist von jeher stolz darauf gewesen, die 
Kollegialität in seinen Kreisen besonders hoch gehalten zu haben. 
Zumal in den letzten Jahren hat der gemeinsame Kampf gegen die 
schweren Bedrängnisse, denen der ärztliche Stand ausgesetzt ist, 
das Gefühl der Kollegialität immer wieder gehoben und gekräftigt. 
Und so ist es wohl zu verstehen, dass man überall nach Mitteln und 
Wegen sucht, um durch kollegiale Fürsorge die Schwierigkeiten der 
Uebergangszeit beizeiten aus dem Wege zu räumen. Bei uns soll 
es nicht heissen, dass durch den Krieg die einen sich in hervorragen¬ 
dem Masse bereichert haben und die anderen in ganz unverhältnis¬ 
mässig hohem Grade wirtschaftlich geschädigt sind. Bei uns soll 
der Grundsatz herrschen, die wirtschaftlichen Gegensätze, die durch 
den Krieg wie überall in verschiedenen Berufsständen entstanden 
sind, auszugleichen. 

Leider ist nicht zu ’eugnen, dass sowohl aus dem Felde wie aus 
der Heimat Stimmen laut geworden sind, die nicht geeignet scheinen, 
die Einigkeit in unsem Reihen zu erhalten und zu fördern. Man 
merkt es den verschiedenen Zuschriften ans dem Felde an, wie einige 
Kollegen mit Neid auf die Herren blicken, die in der Heimat haben 
bleiben dürfen und sich des unbestrittenen Besitzes ihrer Praxis er¬ 
freuen und während der Kriegszeit sogar ihre Einnahmen haben er¬ 
höhen können. Insbesondere sind es die Ausführungen des Herrn 
Dr. Hab ach, die mit vollem Recht einige unserer Feldärzte in 
hohem Grade erregt haben. Die ganze Angelegenheit würde von 

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vorneherein nicht zu den erregten Entgegnungen geführt haben, weun 
nur beachtet worden wäre, dass Herr Dr. Habach gar kein Arzt, 
sondern Jurist ist. Ein Arzt würde kaum je derartige Ausführungen 
machen. 

Dass die in der Heimat gebliebenen Kollegen mit ihrem Lose 
ganz zufrieden sind, dürfte mit Sicherheit kaum anzunehmen sein. 
Gewiss haben sie reichlich Arbeit, und gewiss Jst ihnen auch ein 
grosser Gewinn aus dieser Arbeit zugefallen, aber es ist ein sauer- 
verdienter Lohn, den sie erwerben, und mancher von ihnen sehnt 
angelegentlich die Friedenszelt herbei, wo er wieder in Ruhe seiner 
wohl weniger einträglichen* aber bequemeren Praxis nachgehen kann. 
Bei der geringen Zahl der in der Heimat zur Verfügung stehenden 
Aerzte, bei den ungünstigen Transportverhältnissen, bei den schlech¬ 
ten Zugverbindungen, bei dem nahezu völligen Mangel an Auto und 
Rad, bei der Nervosität des Publikums gestaltet sich die tägliche 
Praxisarbeit zu einer Hetze, die Körper und Nerven in gleicher Weise 
aufreibt. Gewiss ist das Los unserer Kollegen, die im Felde unter 
schwierigen ungünstigen Verhältnissen zu wirken haben, kein be¬ 
neidenswertes, aber die Herren mögen überzeugt sein, dass die Ge¬ 
sundheit auch der Aerzte in der Heimat während des Krieges keine 
Fortschritte gemacht hat, und dass auch in der Heimat jedds Kriegs¬ 
jahr mit gutem Recht, wenigstens was die Schädigung des Körpers 
anbetrifft, doppelt gezählt werden darf. Man kann täglich Kollegen 
sprechen, die den Augenblick herbeisehnen, in dem sie ihre Praxis 
wieder verkleinern und sich in Ruhe einer behaglicheren Tätigkeit 
widmen können. Es ist sicherlich keine Freude, täglich mit Vor¬ 
würfen über Unpünktlichkeit, Hetze, Versäumnis erfreut zu werden, 
und es ist wohl zu verstehen, dass manchem Kollegen in der Heimat 
die Geduld oft ausgeht und er rauh und unfreundlich erscheint. 

In den Aerztl. Mitt. gibt Kollege L e h f e 1 d t aus Magdeburg 
ähnlichen Anschauungen in überzeugender Weise Ausdruck. „Ob die 
Anzahl der aus dem Felde heimkehrenden Kollegen, die vor Er¬ 
schöpfung arbeitsunfähig sind, grösser sein wird, als die, deren Ge¬ 
sundheit durch Ueberanstrengung in der Heimat zerrüttet ist. wird 
die Zukunft lehren. Fürs Vaterland opfern auch wir in der Heimat 
freudig unsere beste Kraft, nur gilt unsere Arbeit als eine selbstver¬ 
ständliche, nicht von äusseren Erfolgen oder Anerkennung gekrönte, 
während unsere Kollegen im Felde das Glück haben, ein Stück Welt¬ 
geschichte mitzuschmieden und dafür die wohlverdienten Ehren und 
Ruhm ernten.“ 

Neben der eigentlichen Geldentschädigung der Kriegsteilnehmer 
sind gewisse Sicherstellungen für dieselben zu verlangen. 

Dahin gehört in erster Linie für die Daheimgebliebenen un¬ 
bedingter Rücktritt von der Behandlung derjenigen 
Familien, die vor dem Kriege von einem Kriegs¬ 
teilnehmer ärztlich versorgt wurden. Jeder Arzt in 
der Heimat hat das nobile officium, bei der Rückkehr eines solchen 
Kollegen den betreffenden Kranken zu erklären: „Der Kollege X ist 
aus dem Felde zurückgekehrt, ich bitte Sie. jetzt wieder seine Hilfe 
in Anspruch zu nehmen.“ Das wird besser helfen als die in Anregung 
gebrachten Anschläge im Wartezimmer, die entweder überhaupt nicht 
gelesen werden oder, wenn sie gelesen werden, keinen besonderen 
Eindruck machen. Noch besser ist es, wenn der Kollege in der 
Heimat dem Kriegsteilnehmer telephonisch oder brieflich erklärt: „Ich 
habe in Ihrer Abwesenheit die Familie X ärztlich versorgt und sie 
heute veranlasst, Ihre Hilfe wieder in Anspruch zu nehmen.“ Da¬ 
mit dürften am besten alle Schwierigkeiten beseitigt sein. 

Geltung können diese Vorschläge im allgemeinen nur für die 
Privatpraxis haben. Für die Kassenkranken, die sich ja schon 
an und für sich das Recht der freien Arztwahl in ausgiebigster Weise 
gesichert haben, dürften sie kaum durchzuführen sein. Ein beliebter 
Kassenarzt wird zweifellos seine Kassenkranken ganz von selbst 
in Bälde wieder bei sich sehen. 

Eine weitere Sicherstellung der Kriegsteilnehmer ist dadurch 
anzustreben, dass sie in erster Linie bei der Besetzung von 
Assistenten stellen irgendwelcher Art berücksichtigt werden. 
Ist diese Massregel schon deshalb notwendig, um dem .in den Kreisen 
unserer Feldgrauen vorhandenen grossen Fortbildungsbedürfnis ge¬ 
recht zu werden, so sichert sie auch wenigstens in gewisser Weise 
die sofortige Unterbringung zahlreicher Kriegsteilnehmer unmittelbar 
nach der Demobilisierung. 

Dass die betreffenden Krankenhausverwaltungen und. Aerzte 
die Gehälter zunächst noch weit über der im Frieden üblichen Höhe 
halten müssen, scheint selbstverständlich. 

Dass die sog. Wartezeit (Karenzzeit), soweit sie noch 
besteht, für alle Kriegsteilnehmer fallen muss, ist nicht mehr wie recht 
und billig. 

Was für Gründe auch immer vor dem Kriege für die Beibehal¬ 
tung der Karenzzeit beigebracht sein mögen (übergrosser Zuzug zu 
den betreffenden Städten, Schädigung der ansässigen Aerzte), alle 
diese Gründe können gegenüber der baldigen Versorgung unserer 
Feldkollegen nicht mehr bestehen. Was würde das für eine Kol¬ 
legialität sein, die einen Feldarzt, der 4 oder noch mehr Jahre 
draussen Gut und Leben aufs Spiel gesetzt hat, von der Teilnahme an 
der Kassenpraxis ausscbliessen wollte? 

Die Gefahr der Ueberflutung einzelner Städte (Mütichen) muss 
in den Kauf genommen werden, dürfte aber kaum so erheblich wer¬ 
den, wie man sich das häufig vorstellt. — 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




MUfeNcHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 48. 


1358 


Bei der eigentlichen finanziellen Unterstützung sind 
verschiedene grundsätzliche Punkte festzuhalten. 

In erster Linie ist immer von neuem darauf hinzuweisen, dass 
die den Feldärzten geleistete Entschädigung in keiner Welse 
eine Wohltätigkeit oder etwas Ähnliches darstellen soll, son¬ 
dern dass diese Entschädigung eine ihnen zukommende Gebühr 
ist, auf welche sie vollen Anspruch haben. Dem Anrecht auf 
der Seite der zum Heere Eingezogenen entspricht die Pflicht 
auf der Seite der Daheimgebliebenen. 

Wer soll entschädigt werden? Soweit ich die Litera¬ 
tur übersehe, scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass grundsätz¬ 
lich jeder Kassenarzt entschädigt wird, und zwar mit einer 
Summe, die für jeden einzelnen genau festgelegt ist. Die grund¬ 
sätzliche Entschädigung auch auf die Privatpraxis auszudehnen, 
scheint nicht angängig. Im allgemeinen dürften bei unsern jetzigen 
Verhältnisse überhaupt nur Kassenärzte in Betracht kommen. Für 
Kassenärzte lässt sich ja auch der Einnahmeausfall ohne weiteres 
festlegen. Selbstverständlich hat eine Entschädigung auch für die 
Aerzte einzutreten, die nur Privatpraxis betrieben haben, aber 
in allen Fällen nur auf Ansuchen Für solche Fälle müssen 
gerade dje später noch zu erwähnenden Kriegshiifskassen zur Ver¬ 
fügung stehen. 

Die Höhe der Entschädigung wird eine verschiedene 
sein müssen, je nach den Einnahmen v.order Einberufung, 
nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Ortes, 
r\ach dem Alter des betreffenden Kollegen, nach seiner Familien¬ 
stellung, ob ledig oder verheiratet, nach der Kind er za hl, 
nach seinem militärischen Einkommen. Die Entschädigung 
wird so hoch zu bemessen sein, dass sie unter Hinzurechnung der 
eigenen Einnahmen des Betreffenden eine gewisse Höchstsumme 
nicht überschreitet. Als solche Höchstsumme dürfte im allgemeinen 
M. 10 000.— anzunehmen sein. Hat also ein Arzt vor dem Kriege eine 
Einnahme von M. 12 000.— gehabt und kommt er im ersten Jahre 
nach dem Kriege nur auf M. 6000.—, so erhält er einen Zuschuss 
von M. 4000.—. In kleineren Orten dürfte eine Höchstsumme von 
M. 6000.— angezeigt sein. 

Die aus Privatvermögens tammendenEinnahmen 
abzuziehen, erscheint nicht angängig. Es mag das eine gewisse Un¬ 
gerechtigkeit bedingen — Ungerechtigkeiten sind nicht zu vermeiden, 
das sehen wir beim Heere jeden Tag —, es wird sich aber nicht 
durchführen lassen, dass jeder Kollege über die Grösse seiner Privat¬ 
vermögenseinkünfte eine ehrenwörtliche Erklärung abgibt Hier 
handelt es sich zunächst nur um die Entschädigung des Ausfalles der 
Kasseneinnahmen. 

Nicht unzweckmässig erscheint es auch, allgemein nur einen 
gewissen Prozentsatz der entgangenen Kassenein¬ 
nahmen zu ersetzen. Die in dieser Beziehung vorgeschlagenen 
Zahlen schwanken zwischen 50 und 75 Proz. 

Einen sehr beachtenswerten Weg, um die Interessen der im 
Heeresdienste stehenden Kassenärzte nach dem Kriege zu schützen, 
hat man in Düsseldorf eingeschlagen. 

In Düsseldorf wird allen Aerzten, welche durch Heeresdienst 
nicht imstande waren, Kassenarzttätigkeit auszuüben, sie aber, sobald 
sie dazu in der Lage sind, wieder aufnehmen, für die ersten 3 Jahre 
nach dieser Wiederaufnahme der Verhältnisanteil am Gesamt¬ 
kasseheinkommen aus dem ersten Halbjahr 1914, höchstens jedoch 
das doppelte Einkommen aus dem ersten Halbjahr 1914 gewährleistet. 

Zur Erfüllung dieser Verpflichtung wird die Kriegshilfskasse 
herangezogen. Reicht diese nicht aus, so wird das Einkommen aller 
Aerzte, die einen höheren Verhältnisanteil an den Gesamtkassen¬ 
einkommen haben als im ersten Halbjahr 1914, bis zur Höhe dieses 
Anteils gekürzt Das Einkommen darf aber, soweit es unter 
M. 10 000—, oder bei Kassenärzten in den ersten 2 Jahren ihrer 
Tätigkeit unter M. 8000.—, in den nächsten 2 Jahren unter M. 6000.— 
bleibt, nicht um mehr als 33K vom Hundert gekürzt werden. 

Können die oben genannten Ansprüche durch die Heranziehung 
der Mehreinkünfte nicht gedeckt werden, so werden sie im Verhält¬ 
nis zu den vorhandenen Mitteln herabgesetzt. 

Ueber alle Streitfragen entscheidet die Krankenkassenkommission 
und das Schiedsgericht. — 

Nach einem anderen Vorschläge kann man auch in der Weise 
vorgehen, dass- man den Einberufenen einen bestimmten Prozent¬ 
satz des gesamten Kassenhonorares gewährleistet. Die 
Höhe dieses Prozentsatzes ergibt sich aus dem Verhältnis der ein- 
berufendn zu den daheimgebliebenen Kassenärzten. Sind von 100 
50 einberufen, so erhalten diese 50 die Hälfte der Kasseneinnahmen 
unter sich verteilt, bei 25 ein Viertel usw. 

Man wird überall bestrebt sein müssen, allen Möglichkeiten ge¬ 
recht zu werden, Ungerechtigkeiten sollen tunlichst vermieden wer¬ 
den. Ganz wird das nicht möglich sein. Für etwaige Fälle grosser 
Ungerechtigkeit würden die zu gründenden Hilfskassen nach der Ent¬ 
scheidung des Ausschusses einzutreten haben. 


Die Aufbringung der Mittel zur Ermöglichung der Ent¬ 
schädigung wird auf verschiedenem Wege möglich sein. In der 
Hauptsache werden dazu die laufenden Kassenhonorare dienen. 
Allerdings würde, wenn die laufenden Kassenhonorare ausschliess¬ 
lich die Entschädigungen zu bestreiten hätten, die Belastung der 
daheimgebliebenen Kollegen unter Umständen eine recht erhebliche 
sein. Man darf wohl nicht so weit gehen, dass man den Daheim¬ 


gebliebenen 50 oder noch mehr Prozent ihrer Einnahmen abzieht. Ein 
Abzug von 20 und im äussersten Falle von 30 Proz. dürfte wohl 
nicht überschritten werden können. 

Glücklicherweise haben schon viele kassenärztliche Vereine im 
Frieden für unvorhergesehene Fälle durch regelmässige Abzüge von 
den Honoraren zum Teil recht erhebliche Summen angehäuft. So hat 
der Münchener Aerzteverein für freie Arztwahl* ein Vermögen von 
etwa 300 000 M. zur Verfügung. 

Dort, wo im Frieden derartige Abzüge nicht gemacht worden 
sind, sind wohl fast überall während des Krieges entsprechende Mit¬ 
tel bereitgestellt worden. Sichere Zahlen liegen darüber meines 
Wissens nicht vor. Jedenfalls verlangt es die kollegiale Fürsorge, 
dass überall, wo das noch nicht geschehen ist, unversäumt ans Werk 
gegangen wird. 

Neben diesen aus den Kassenhonoraren gewonnenen Mitteln 
müssen überall auch die Einnahmen aus der 'Privatpraxis 
herangezogen werden. Es müssen überall ärztliche Kriegs¬ 
hilfskassen gegründet werden, zu welchen alle Kollegen des be¬ 
treffenden Ortes beizusteuern haben. Diese Beisteuern können im 
wesentlichen wohl nur freiwillige sein. Ein gelinder Zwang 
wird aber überall da, wo die Beiträge nur schlecht oder mangelhaft 
eingehen, sehr angezeigt sein. Wie das zu machen ist, darüber soll 
weiter unten noch gesprochen werden. 

Die Höhe des Beitrages wird dem einzelnen überlassen werden 
müssen. Bei der Grösse der Aufgabe kann natürlich nur mit grossen 
Beiträgen, die 2 und 3 Nullen aufweisen, etwas erreicht werden. 
Nach den Erfahrungen bei ähnlichen Sammlungen kommt, wenn man 
sich nur auf den. guten Willen verlässt, sehr wenig zusammen. Bei¬ 
träge von 10 und 20 M. sind durchaus ungenügend. 

Man muss daher den Kollegen schon mit gewissen Zahlen an 
die Hand gehen. Nach reiflicher Ueberlegung haben wir uns in 
München nach dem Vorgänge der Württemberger Aerzte entschlossen, 
den Kollegen vorzuschlagen, ungefähr 2 Proz. ihrer Einnahmen 
beizusteuern. Eine solche Summe muss jetzt m der Kriegszeit ein 
jeder Arzt für seine Kollegen übrig haben und mit 2 Proz. der ärzt¬ 
lichen Einnahmen lässt sich schon eine gewisse Summe zusammen¬ 
bringen. 

Natürlich soll dabei in keiner Weise beabsichtigt sein, gewisser- 
massen eine Steuererklärung den Kollegen zuzumuten. Jeder kann 
so viel geben, wie er will, er kann mehr geben als 2 Proz., er kann 
auch weniger geben, die 2 Proz. sollen mir jedem ein ungefährer 
Anhaltspunkt sein. 

Um auch jede Spur eines Verdachtes, als wolle man sich In 
die Einkommenverhältnisse hineinmischen, zu beseitigen, wird über 
die Gabe jedes einzelnen Kollegen eine öffentliche Mitteilung nicht 
gemacht. Einzahlung erfolgt geradewegs an die betreffende Bank, 
und nur der Kassenführer erhält von der Höhe der Zeichnung eine 
Mitteilung. So braucht niemand in Sorge zu sein, dass die Höhe 
seiner Einnahmen irgendwie bekannt werde. 

Die in München mit diesem Verfahren im Verlauf von etwa 
VA Jahren gesammelten Gelder betragen rund 44000 Mark. Das Ist 
meines Erachtens ein durchaus ungenügendes Ergebnis, das unbedingt 
der Vervollkommnung bedarf. 

Bis jetzt haben im ganzen 185 Kollegen Beiträge für die Kriegs¬ 
hilf skasse gestiftet. In Betracht kommt nach unseren Berechnungen 
sicher eine weit höhere Zahl von Kollegen, bei denen der Ruf um 
eine Beisteuer bisher ungehört verhallt ist. 

Diese säumigen Kollegen müssen durch einen gelinden Zwang 
herangeholt werden. 

Zu diesem Zwecke sind von dem Ausschuss der Kriegshilfs¬ 
kasse Vertrauensmänner aufzustejlen. die an die einzelnen 
Kollegen heranzugehen haben. Sie haben- ihnen die Notwendigkeit 
einer allgemeinen Beisteuer zu dieser Kriegshilfskasse klarzumachen 
und sie zur alsbaldigen Betätigung auch dieser Steuerpflicht zu ver¬ 
anlassen. Um eine Steuerpflicht handelt es sich in der Tat gerade¬ 
so wie bei den gesetzlichen Steuerpflichten. Dass die Steuern wäh¬ 
rend des Krieges und nach demselben eine schwindelhafte Höhe er¬ 
reichen werden, wird uns jeden Tag mehr klar. Mit dieser Tat¬ 
sache, die in das Leben jedes Einzelnen mit gewaltsamer, rauher 
Hand eingreift, müssen wir nun einmal rechnen. Dass die Fürsorge 
t für die einberufenen Kollegen eine unserer vornehmsten Pflichten 
ist, müssen wir unseren Standesgenossen mehr und mehr einprägen. 

Die Mittel dieser ärztlichen Kriegshilfskasse sind überall da heran¬ 
zuziehen, wo die Abzüge von den Kassenhonoraren nicht ausreichen, 
um den einberufenen Kollegen die ihnen gebührende Beihilfe zuzu¬ 
weisen. In welcher Weise das zu machen ist, muss von den ört¬ 
lichen Verhältnissen abhängig gemacht werden. Es kann sich hier 
nicht darum handeln, grosse Gelder anzusammeln, und darum kann 
ohne Bedenken das Kapital der Kasse selbst zur Unterstützung 
verwendet werden. Mit den Zinsen allein würde ja kaum eine irgend¬ 
wie nennenswerte Unterstützung zu ermöglichen sein. 

Des weiteren haben diese Kriegshiifskassen dazu zu dienen, in 
besonderen Notfällen grössere Unterstützungen auszuzahlen und 
insbesondere auch den Kollegen, die vor ihrer Einberufung aus¬ 
schliesslich auf die Einkünfteausder Privatpraxis ange¬ 
wiesen waren, Beihilfen zu gewähren. Allgemeine Regeln, wie bei 
den Kassenärzten, lassen sich hier nicht aufstellen. Unterstützungen 
werden im allgemeinen nur auf Antrag gewährt werden, und die 
Höhe der Unterstützung wird von dem 'betreffenden Ausschuss je 
nach der Lage des Falles zu bemessen sein. 


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Qrifinal fro-m 

UMIVERSITY OF CALIFORfW 



26. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1359 


Die Münchener Kriegshilfskasse hat folgende Be¬ 
stimmungen für die Verwendung der Gelder aufgestellt: 

1. Zweck der Münchener Aerztlichen Kriegs'hilfskasse ist Unter¬ 
stützung durch den Krieg in Not geratener Münchener Kollegen. 

2. In erster Linie kommen in Betracht Aerzte, welche im Kriegs¬ 
dienst gewesen sind. 

3. Die Münchener Aerztliche Kriegshilfskasse wird vom ärzt¬ 
lichen Kriegsausschuss München für Kriegsdauer verwaltet. 

4. Der ärztliche Kriegsausschuss München, der aus Vertretern 
sämtlicher Münchener Standesorganisationen besteht, überträgt die 
Besorgung der taufenden Angelegenheit einem verwaltenden Aus¬ 
schuss von 5 Herren, die aus seiner Mitte gewählt sind. 

5. Der verwaltende Ausschuss wählt einen Vorsitzenden, der die 
Sitzungen leitet und einen Geschäftsführer, dem die Rechnungsführung 
obliegt. 

6. Die Prüfung der einlaufenden Gesuche und die Austeilung der 
Unterstützungen obliegt dem verwaltenden Ausschuss. Die Bedürfnis¬ 
frage ist genau zu prüfen. 

7. Die Münchener Aerztliche Kriegshilfskasse gewährt Darlehen, 
Belehnungen, Unterstützungen nach Massgabe der verfügbaren Mittel. 

8. Zur Auszahlung der Leistungen ist Einstimmigkeit der Mit¬ 
glieder des verwaltenden Ausschusses nötig. 

9. ' Der verwaltende Ausschuss hat alljährlich dem ärztlichen 
Kriegsausschuss Rechenschaftsbericht zu erstatten und ihm die prin¬ 
zipiellen Fragen zur Entscheidung vorzulegen. Der Rechenschafts¬ 
bericht ist zu veröffentlichen. 

10. Ueber die Namen der Einzahler und der Unterstützungen hat 
der verwaltende Ausschuss strengste Verschwiegenheit zu wahren, 
soweit es von den betreffenden Herren nicht ausdrücklich anders ge¬ 
wünscht wird. 

11. Im Falle der Auflösung des ärztlichen Kriegsausschusses 
München nach Kriegsende sind die ihn bildenden Herren als ge¬ 
schäftsleitender Ausschuss der Münchener Aerztlichen Kriegshilfs¬ 
kasse weiter tätig. 

12. Scheidet einer dieser Herren (früheren Mitglieder des ärzt¬ 
lichen Kriegsausschusses) aus, so ist Ersatzwahl erforderlich. Der 
Neuzuwählende soll ein Vorstandschaftsmitglied desselben Vereins 
sein, dem der Ausgeschiedene angehört hat. 

13. Besteht ein Bedürfnis für die Münchener Aerztliche Kriegs¬ 
hilfskasse nicht mehr, so fällt das etwa noch vorhandene Vermögen 
zu gleichen Tellen den Witwenkassen des „Vereins zur Unterstützung 
invalider, hilfsbedürftiger Aerzte in Bayern“ und des „Leipziger Ver¬ 
bandes“ zu. 

Die vorstehenden Ausführungen sollen ein ungefähres Bild geben 
von den Aufgaben, die die Daheimgebliebcnen gegenüber den zum 
Heere Eingezogenen zu erfüllen haben. Etwas Erschöpfendes können 
sie nicht bieten. Vielleicht gelingt es ihnen aber, Anregungen und 
Anhaltspunkte zu geben. 

Es darf noch einmal angelegentlich hervorgehoben werden, dass 
dje Zeit für die Regelung dieser Angelegenheit mehr und mehr drängt 
Wird in kurzem die Mehrzahl unserer Feldärzte in die Heimat zurück¬ 
kehren und der Kampf um die Praxis wird vielleicht Formen annehmen, 
von denen wir uns zurzeit noch keine rechte Vorstellung machen. Ob 
es dem Einfluss unserer Führer gelingt, diesen Kampf immer in den kol¬ 
legialen Grenzen zu halten, erscheint ungewiss. Wo jetzt so viel Be¬ 
währtes zusammenstürzt, ist zu befürchten, dass auch die ärztlichen An¬ 
schauungen über Standespflichten bedenklich ins Wanken geraten. Die 
Gefahr wird um so geringer werden, je mehr die Heimkehrenden die 
Sicherheit gewinnen, dass für sie. soweit es überhaupt möglich ist, 
gesorgt ist, und dass die Daheimgebliebenen die Verpflichtung fühlen, 
ihnen zum Wiederaufbau des Verlorenen behilflich zu sein. 

Wir alle haben nach dem Kriege frisch ans Werk zu gehen, um 
aus den Trümmern des Zerstörten zu retten, was möglich ist. und, 
unbeirrt durch Verluste und Niederlagen, uns der Förderung eines 
neuen, nationalen Aufschwunges zu widmen, ohne ängstliches Jammern 
über das Verlorene und ohne missmutiges Anklagen der angeblichen 
Schuldigen. Auch den Aerzten fällt dabei eine grosse Aufgabe zu. 
Wir dürfen erwarten, dass das Vaterland uns in dem schweren 
Kampf, der uns bevorsteht, nach allen Seiten gerüstet findet. 


BOcheranzeigen und Referate. 

D. de V r 1 e s R e 111 n g h -Gent: Die Blutdruckmessung. Ihre 
Technik und praktische Verwertung für Aerzte und Studierende. 
Uebersetzt von Qr. med. L. L. Kleintjes. München 1918. Rudolf 
Müller & Steinicke. Preis geh. 5.80 M. 162 Seiten. 

Die Beobachtung, dass die Blutdruckmessung noch sehr wenig 
von den holländischen praktischen Aerzten ausgeübt wird, ist für den 
Verfasser die Veranlassung gewesen, dieses frische und tempera- , 
mentvoll geschriebene Buch aus der Hand tu geben. Und da der Ref. 
wohl nicht mit Unrecht vermutet, dass es mit der Verbreitung der 
Methode bei uns in Deutschland nicht sehr viel besser steht, so ist 
es ihm eine Freude, das treffliche Werkchen, das er mit grossem 
Vergnügen in einem Zuge durchgelesen hat, auf das allerwärmste zu. 
empfehlen. Es tut sicher jedem gut, eine ganze Reihe von fruchtbaren 
und interessanten physiologischen Gedanken mit dem Verf. durch¬ 
zudenken und die gefundenen Tatsachen in seine pathologische und 
Klinische Abschauungswelt einzugliedern. Wenn die von R e i 1 i n g h 

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angegebene plethysmographische Methode auch kein Gemeingut der 
Aerzte werden kann, so ist doch kaum eine Methode so geeignet, 
ihm eine klare Vorstellung über das Wesen des systolischen und 
diastolischen Drucks sowie des Arterienwiderstandes zu vermitteln. 
Leider kommen allerdings dabei die Kor otkow sehe sowie die 
Ehret sehe Methode zur Messung des diastolischen Drucks etwas 
zu kurz, trotzdem sie doch zweifellos für die Praxis einzig in Be¬ 
tracht kommen. Die Skepsis, die der Verf. der diastolischer! Mes¬ 
sung überhaupt entgegenbringt, erscheint dem Ref. etwas zu 
weit getrieben, und leider geeignet, dieser so wichtigen Methode 
Eintrag zu tun. — Die Aenderungen des Blutdrucks unter physio¬ 
logischen und pathologischen Verhältnissen sind mit einer wohltuen¬ 
den Kritik, präzise aber doch eingehend behandelt. Aus ihrer Dar¬ 
stellung wird der . Leser eine reichliche Fülle von Belehrungen 
sammeln. L. S a a t h o f f - Oberstdorf. 

4. Kriegsfahrbuch für Volks- und Jugendspiele. In Gemeinschaft 
mit den Vorsitzenden des Zentralausschusses für Volks- und Jugend¬ 
spiele in Deutschland, A. Dominicus, Oberbürgermeister in 
Schöneberg und Prof. Dr. med. F. A. Schmidt, Oberstabsarzt, 
Sanitätsrat in Bonn a. Rh., herausgegeben von Prof. Dr. E. Kohl- 
rausch, Qymnasialoberlehrer a. D. in Hannover. 27. Jahrgang 
1918. Mit Buchschmuck und 24 Abbildungen. Teubners Verlag, 
Leipzig und Berlin 1918. 150 Seiten. Preis 3 M. 

Aus den 21 Nummern des Inhaltsverzeichnisses heben wir an 
dieser Stelle nur ein paar hervor: Stabsarzt Röder — inzwischen 
auf dem Felde der Ehre gefallen — lieferte in diesem Jahrbuch einen 
Beitrag über die Bedeutung systematischer Körperübungen für die 
Pflege des Entwicklungsalters. Die Beobachtung an 800 Jugend¬ 
lichen sind diesen, gerade auch ärztlich sehr wichtigen Erfahrungen 
und Vorschlägen zugrunde gelegt. Sehr aktuell und interessant ist 
ferner die Bewertung der Leibesübungen als Heilverfahren für Kriegs¬ 
beschädigte. Mehrere Aufsätze beschäftigen sich mit der brennen¬ 
den Spielplatzfrage. Wenn das neue Deutschland nicht einsehen 
lernt, dass auf den Jugendspielplätzen vor allem Kraft und — 
„Nerven“, die ihm gegenwärtig leider abhanden zu kommen scheinen, 
gewonnen werden, dann wird es sein Unheil sein. Gerade diese 
Frage ist Gegenstand gemeinsamer Beratungen zwischen dem Zen- 
traläusschuss und dem Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen 
gewesen», aus denen ein Spielplatzgesetz hervorgehen soll. 

G r a s s m a n n - München. 

Neueste Journalliteratur. 

Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle 
Therapie. 27. Band, 1. und 2. Heft. (Auswahl.) 

Richard B i e 1 i n g - Berlin: Ueber die experimentelle Therapie 
des Gasbrandes. 

Auf den Versuchen Morgenroths und seiner Mitarbeiter 
über die chemotherapeutischen Wirkungen des Chinins und des 
Aethylhydrokupreins fussend hat Verfasser diese Körper und 
weitere Derivate in ihrer Wirksamkeit gegen die Erreger des Gas¬ 
brandes untersucht, und zwar sowohl in vitro als auch im- Tier¬ 
versuch. Es wurden 12 tierpathogene Gasbrandstämme geprüft, die 
teils der Butyricüs-, teils der Putrificusgruppe angehörten. Das 
Wachstum der Bazillen im Traubenzuckeragar wurde durch Chinin 
und Optochin (Aethylhydrokuprein) nur in starken Konzentrationen 
(1:2500) gehemmt. Das Isoamylhydrokuprein (Eukupin) war 8 mal 
wirksamer, das Isoktylhydrokuprein (Vuzin) 16 mal wirksamer. Die 
Wirkung der Verbindungen ist als Entwicklungshemmung bzw. Ab¬ 
tötung der Bazillen aufzufassen. Auch sporenhaltiges Material wird 
abgetötet. — Tn? Tierversuche versagen Chinin und Optochin. 
Eukupinkonzentrationen bis zu 1 * 1000 schützen Meerschweinchen 
vor einer InfeTction mit der mehrfach tödlichen Dosis Oedemsaft. 
Vom Vuzin genügen hierzu geringere Konzentrationen (bis zu 
1:9000). Eine Vuzinlösung 1:100 und 1:200 kann 1 Stunde, auch 
noch 2 Stunden nach der Infektion die Heilung des bereits im raschen 
Fortschreiten begriffenen infektiösen Prozesses beim Meerschwein¬ 
chen bewirken. L. S a a t h o f f - Oberstdorf. 

Zentralblatt für Chirurgie. Nr. 44, 1918. 

A. W i 11 e k - Graz: Operative Behandlung der Ulnarlsklauen- 
hand. 

Verf. hat durch eine Sehnenverpflanzung 2 Fälle von Ulnaris¬ 
klauenhand mit gutem Erfolg behandelt; er macht durch Teilung der 
Sehnen aus dem Extensor dig. communis zugleich einen Beugemuskel 
für diese Finger; der Extens. indicis streckt gleichzeitig 2. und 
3. Finger; aus der Strecksehne werden 2 parallele Streifen ge- 
scHniffen, nach rechts und links luxiert und unter starker -Beugung 
des Grundgliedes an dessen volarer seitlicher Basis angenäht. Vor¬ 
bedingung ist eine gute Funktion des N. medianus und radialis. 

W. H a a s - im Felde: Zur Verletzung durch Phosphorgeschosse. 

Verf. schildert einen Fall von Schussverletzung durch ein Phos¬ 
phorgeschoss. Hauptsache in der Behandlung bleibt möglichst früh¬ 
zeitige und radikale Exzision der Wunde, um eine Phosphorresorption 
zu verhindern; in den ersten 5 Tagen täglich Verbandwechsel; so¬ 
fortiger Verbandwechsel bei Klagen über „brennenden Wund¬ 
schmerz“. Die Narkose ist mit Chloräthyl oder Aether zu machen, 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1360 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr, 48. 


nicht mit Chloroform wegen Gefahr der Leberschädigung; sorgfältige 
Ueberwachung des Allgemeinbefindens ist notwendig 

Lor. Böhler- Bozen: Die Spezialisierung der Frakturenbeband- 
lung für die Kriegszelt, eine Frage von grösster volkswirtschaftlicher 
Bedeutung. 

Verf. tritt warm dafür ein, Chirurgen in Frakturenschulspitälern 
4—8 Wochen spezialistisch auszubilden in der funktionellen 
Frakturenbehandlung und alle Gelenkschüsse und Knochenbrüche ln 
Sonderabteilungen zu behandeln. Nur dadurch könnten die bestmög¬ 
lichen Resultate erzielt und dem Staate an Renten enorme Summen 
erspart werden. 

H. H o e s s I y - Zürich: Zur Erweiterung der Indikation für die 
Nagelextension. 

Verf. erwähnt kurz 4 Fälle von kongenitaler oder rhachitischer, 
sowie poliomyelitischer Beinverkürzung oder alter, in Winkelstellung 
ankylosierter Koxitis, bei denen durch Nagelextension eine Ver¬ 
längerung des Beines erzielt wurde, welche zu einer bedeutenden 
Verbesserung des Gehaktes führte. Wichtig ist aber, dass die Ver¬ 
längerung nur gering sein darf wegen der Gefahr der Nervendehnung 
an ohnehin schon schwächlichen Gliedern. 

E. H e i m - zurzeit im Felde. 

Zentralblatt für Gynäkologie. 1918, Nr. 44. 

A. M a y e r - Tübingen: Ueber die Möglichkeit operativer Ein¬ 
griffe beim lebenden Säugetierfötus. 

Verf. erinnert an Experimente, die er ausführte, um dem Einfluss 
des Eierstocks auf das Wachstum des Uterus in der Fötalzeit nach¬ 
zugehen. Er kastrierte intrauterin weibliche Föten (einer Hündin) 
und Hess dann die Schwangerschaft intrauterin weitergehen. Der 
Eingriff ist technisch ausführbar und wird trotz seiner Schwere von 
dem Versuchstier überstanden. 

E. Vogt: Gehirntumor im Wochenbett. 

Starke Kopfschmerzen in der Schwangerschaft. Normale Ge¬ 
burt, Nachlassen der Kopfschmerzen für wenige Tage, Exitus am 
4. Wochenbettstage im Koma. Gliom am Boden des IV. Ventrikels. 
Herdsymptome fehlten. Keine Stauungspapille, nur Erbrechen und 
relative Bradykardie. Werner- Hamburg. 

Archiv für Hygiene. 87. Band, 7. u. 8 Heft. 1918. 

Viktor Ge ger bau e r- Wien: Ueber das Seymour-Jones- 
sche Sublimat-Amelsensäwteverfahren zur Desinfektion mllzbrandlger 
Felle und Häute. 

Das S ey m o u r - J on es sehe Verfahren besteht darin, dass 
das Desiniektionsgut zunächst 24 Stunden in eine 0,02 proz. Sublimat¬ 
lösung gefegt wurde, der je nach der Fellsorte %—1 Proz. Ameisen¬ 
säure zugesetzt war. Danach kam es 1 Stunde in eine gesättigte 
Kochsalzlösung. Bei der Nachprüfung stellte sich heraus, dass in 
der angegebenen Zeit und mit den angegebenen Konzentrationen 
keine Desinfektion erzielt werden kann; denn erst nach 80tägiger. 
Einwirkungsdauer von 0,1—2 Proz. und nach einer 100 tägigen von 
0,01 proz. Sublimatlösung konnten die Milzbrandsporen abgetötet 
werden. 0,02 Proz. Sublimat plus 1,2 und 5 Proz. Ameisensäure 
tötete nach 40 tägiger Einwirkung noch nicht ab. 

v. Angerer -München: Ueber die Regeneration von Drfgalski- 
agar. Eine kölloidchemische Studie. 

Das Regenerationsverfahren besteht im wesentlichen darin, 
dass der gebrauchte Nährboden mit Natriumkarbonat gekocht, dann 
die ganze Masse mindestens 10 Minuten bei Vs Atmosphären Ueber- 
druck sterilisiert wird, um die im Agar oft vorhandenen Sporen ab¬ 
zutöten. Der Agar wird dann in Streifen geschnitten und gewässert. 
Die Wässerung darf nicht übermässig lange ausgedehnt werden. Die 
bei der Herstellung gemachten Erfahrungen und Beobachtungen 
werden ausführlich mitgeteilt. R. O. Neumann - Bonn. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1918. 
87. Band, 2 . Heft. Mit 20 Figuren im Text. 

Fr. Gr a e t z und R. Deussing -Hamburg-Barmbeck; Ueber 
septische Allgemelnlnfektion durch Meningokokken ohne Meningitis. 

Beschreibung eines Falles von akuter Meningokokken¬ 
sepsis bei einem 5Vx jährigen Kinde, nebst genauer Besprechung 
und Würdigung der Literatur. 

L. D i e n e s und Richard Wagner- Lemberg: Ueber Para- 
typhus-B-Infektionen. 

H o r n - im Osten: Abortanlagen und Seuchenbekämpfung. 

Es wurde vom Verf. eine Einrichtung konstruiert, die gestattet, 
den Deckel des Abortes, die Druckknöpfe für die Wasserspülung und 
die Drücker der Tür nicht mehr mit den Fingern zu berühren, sondern 
sie einfach mittels des eigenen Gewichtes des Körpers beim Aufsitzen 
auf das Klosett und mit Trittbrettern mit den Füssen in Bewegung 
zu setzen. Dadurch dürfte einer Verschleppung von Keimen durch 
die Hände wesentlich vorgebeugt sein. Die Fabrik Bamberger, 
Lewi & Co., Berlin fertigt die Montur an. Eine Skizze erläutert 
die Einrichtung. 

Franz Schütz- Königsberg: Die Abwässerfrage von Königs¬ 
berg i. Pr. Im Jahre 1913. 

Eine ausführliche Untersuchung über die Abwässer in Königs¬ 
berg, die unter der Einwirkung von Sulfitzelluloseabwässern stehen. 
Zu kurzem Referat nicht geeignet. 


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Erich S e 1 i g'm a n n - Berlin: Ueber Diphtherieimmunität. 

In dieser lesenswerten Studie hat Verf. die bisherigen, besonders 
von Behring begründeten Anschauungen über Diphtherieimmunität 
einer sachlichen Kritik unterzogen und kommt zu dem Schluss, dass 
manches zu revidieren sei. „Es liegt kein Anhalt, weder klinisch 
noch serologisch für eine beachtenswerte erworbene Diphtherie¬ 
immunität vor; es lässt sich ein Zusammenhang zwischen epidemio¬ 
logischem Diphtherieschutz und normalem Blutantitoxingehalt nicht 
erweisen.“ 

Carly S e y f a r t h - Leipzig: Schwarzwasserfieber auf der Bai- 
kanhalbinsei. Die Erkennung und Verhütung seiner Gefahren. 

Verf. schildert die Erfahrungen, die er, besonders in den Küsten¬ 
gebieten Südwestbulgariens, in der Umgebung von Saloniki gemacht 
hat. Auch für Albanien, Mazedonien, Serbien, Altbulgarien und Ru¬ 
mänien hat das Schwarzwasserfieber Bedeutung. Leider ist sehr 
häufig dasselbe nicht erkannt worden und das Uebersehen hat Todes¬ 
fälle zur Folge gehabt. Gewöhnlich kommt die Krankheit im zweiten 
und dritten Aufenthaltsjahre vor. Kältewirkungen scheinen ganz be¬ 
sonders für Schwarzwasserfieber zu disponieren, da fast alle beob¬ 
achteten Fälle in der kühleren Jahreszeit ausbrachen. Auch nach dem 
Verlassen der fraglichen Gegend muss noch mit dem Anfall gerechnet 
werden. Die Arbeit gibt ein genaues Bild über Art, Diagnose und 
Prophylaxe nebst Therapie. 

Wilhelm Roux: „Immunisierung durch Tellausiese M gegen Ver¬ 
giftung und verminderte Ernährung. Eine alte Hypothese. 

Karl K i s s k a 11 - Kiel: Untersuchungen über Konstitution and 
Krankheitsdisposition. 5. Die Disposition für Tetanusgift. 

R. O. Neumann -Bonn. 

Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 45,. 1918. 

Otto Hildebrand zum 60. Geburtstag. 

G. Axhausen -Berlin: Ueber die Aussichten der Appendix- 
Überpflanzung bei der Hypospddleoperation. 

Aus seinen persönlichen Erfahrungen, besonders den Nach¬ 
untersuchungen an zwei Fällen kommt A. zum Schlüsse, dass für die 
operative Behandlung der Hypospadie das genannte Verfahren ,aus- 
sichtslos ist und dass weitere Versuche mit diesem Verfahren nicht 
mehr berechtigt sind. 

M. Borchard -Berlin: Die Vorbereitung der Amputations- 
stifmpfe zur willkürlichen Bewegung der Armprothesen. 

- Verf. formuliert die Forderungen, welche man an einen guten 
leistungsfähigen Muskelkanal zu stellen hat, in 5 Sätzen und erörtert 
diese eingehend, berichtet üb’er die Komplikationen und Misserfolge, 
welche er erlebt hat und erörtert schliesslich die Indikationen für 
die Wahl der einzelnen in Betracht kommenden Verfahren. Siebe 
auch die Abbildungen im Original. 

Brentano - Berlin: Gasphlegmone nach Herniotomie« 

Aus der Mitteilung zweier Fälle wird. gefolgert, dass zur 
Braun sehen Lokalanästhesie bei länger dauernden Einklem¬ 
mungen bzw. Gangränverdacht nur adrenalinfreie Lösung zu ver-' 
wenden ist und dass man sich bei der Einspritzung möglichst ent¬ 
fernt vom Bruchsacke halten soll. 

F. B r e s 1 a u e r • Berlin: Die Pathogenese der trophisefaen Ge- 
websschäden nach der Nervenverletzung. 

Nach Durchtrennung eines peripheren Nervenstammes geht 
vor allem verloren die aktive Gefässerweiterung auf peripherische 
Reize. Dadurch verliert das Gewebe sein Schutzmittel gegenüber 
den täglichen Verletzungen. Dadurch ist eine Disposition zum 
scheinbar spontanen Auftreten von Gewebszerfall und Infektionen ge¬ 
geben. Die Oberflächenanästhesie von Haut und Schleimhäuten hat 
in ausgesprochenem Masse die Fähigkeit, gewisse gefässerweitemde 
Reize unwirksam zu machen. 

Th. Gluck- Berlin: Die Verwendung der äusseren Haut für 
die plastische Chirurgie. 

Bericht über eigene und fremde Erfahrungen auf diesem Ge¬ 
biete. 

H. G o c h t - Berlin: Zur Technik der unblutigen Reposition der 
angeborenen Hüftverrenkung. 

Verf. beschreibt ausführlich das Verfahren, welches sich ihm 
in ausgedehnter 22 jähriger Beschäftigung mit der angeborenen 
Hüftverrenkung bewährt hat und zwar besonders in Fällen, welche 
wegen bedeutenden Hochstandes des Hüftkopfes über der Pfanne 
und wegen Enge der Kapsel oder des KaDselisthmus der Reposition 
grosse Schwierigkeiten verursachten. Mit Abbildungen. 

J. I s r a e 1 - Berlin: Diagnose und Operation einer überzähligen 
pyonephrotisdhen Niere. 

Der eingehend mitgeteilte Fall betraf eine 22 jährige Frau, 
welche geheilt wurde. 

W. K a u s c h - Schöneberg: Die Aufklappung des infizierten 
Kniegelenks. 

Schilderung des Vorgehens, wie es Verf. anwendet. Das Knie 
heilt zwar nach dieser Aufklaopung meist unter völliger Versteifung» 
kann aber später blutig mobilisiert werden. 

A. Köhler: Beitrag zur Geschichte des Militärsanitätswesens 
ifnd der Krle^sseuchen zur Zelt des 30 Jährigen Krieges. 

Geschichtlicher Beitrag. 

R. M üh sa m-Berlin: Ueber die operative Behandlung der 
Meningitis serosa traumatica* . 

Original fram 

UMIVERSITY OF CALIFORNIA 


26. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1361 


Verf. berichtet über 4 Fälle eigener Beobachtung. Er zieht 
das operative Eingreifen mittels der Trepanation vor. Die Frage der 
Dauertieilung ist mit gewisser Reserve zu behandeln. 

Grassmann- München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 45, 1918. 

Ernst Weber- Berlin: Die Wirkung natürlicher und künstlicher 
Kohlensäurebäder sowie der Hochfrequenzbehandung bei Herz¬ 
kranken, kontrolliert durch die plethysmographische Arbeitskurve. 

Die natürlichen Altheider Kohlensäurebäder sind den künstlichen 
weit überlegen; denn die Wirkung, die sich im Sinne eines Reizes 
äussert, hält bei den natürlichen Bädern 2—3 Tage an, während sie 
bei den künstlichen nur einige Stunden dauert. Auch durch Be¬ 
handlung mit Hochfrequenzströmen kommt es zu einer günstigen 
Reizwirkung. Besteht eine Hypertrophie, so kommt es mitunter zu 
einer Ueberreizung. Anderseits kommt aber den genannten Mitteln 
auch eine dämpfende Eigenschaft zu, besonders den Kohlensäure¬ 
bädern, bei deren Anwendung sie allerdings seltener eintritt als bei 
Benutzung der Hochfrequenzströme. Die Wirkung der Kohlensäure 
ist wohl sicher eine spezifische durch Einwirken auf die Nerven¬ 
endigungen. 

Carl K1 i e n e b e r g e r - Zittau: Die spezifische Behandlung der 
genuinen Pneumonie. 

Die Behandlung der Pneumonie mit polygenem Pneumokokken¬ 
serum zu Beginn der Krankheit in grösseren Dosen vorgenommen, 
kürzt den Krankheitsverlauf um mehrere Tage ab. Eine Einwirkung 
auf die Komplikationen scheint nicht zu bestehen. 

F. M e y e r - Berlin und A. Meyer: Zur Klinik und Diagnose 
periodisch fiebernder Typhusfälle. 

Oie klassischen Kardinalsymptome, sowie der bakteriologische 
Nachweis der Typhusbazillen im Blute gelingt bei Geimpften nicht 
immer. Es kommt oft zu einem fieberfreien Intervall von mehreren 
Tagen, so dass dadurch Malaria und wolhynisches Fieber vor¬ 
getäuscht werden kann. Eine Milzschwellung ist in etwa 60 Proz. 
der Fälle nachweisbar, das Blutbild lässt sich nicht verwerten. Ein 
interessantes, immer wiederkehrendes Symptom ist der Schien¬ 
beinschmerz. Für den bakteriologischen Nachweis wird die Be¬ 
nutzung von nukleinsaurem Natron empfohlen. 

Th. Messerschmidt -Strassburg: lieber die Behandlung 
der Typhusbazlllenträger mit ZystinquedkSilber. 

Die Methode versagt vollkommen. 

Gennerich -Kiel: Ueber Sllbersalvarsan. 

Dies neue Salvarsanpräparat ist den andern Präparaten in sei¬ 
ner Wirksamkeit sehr überlegen, obgleich es weniger Arsen ent¬ 
hält als diese. Eine Quecksilberbehandlung darf wohl als Zwischen¬ 
kur gemacht werden, nicht aber gleichzeitig. Dagegen besteht kein 
Bedenken gegen eine Kombination mit Jod. 

Josef S e 11 e i - Pest: Das Sllbersalvarsan. 

Die primären, wje auch die sekundären Erscheinungen der 
Syphilis verschwinden bei der Behandlung mit Silbersalvarsan Sehr 
rasch. Auf eine etwa vorhandene Nierenentzündung übt es keine 
schädliche Wirkung aus. Von Nebenwirkungen werden genannt: 
mitunter für kurze Zeit auftretender Temperaturanstieg, Erythem, 
Urtikaria. Neurorezidive wurden bisher nicht beobachtet. 

Silbermann - Gross-Wardein: Zur Aetiologle der spanischen 
Krankheit 

ln pleuro-pneumonischem Exsudat wurden mitunter Influenza¬ 
bazillen gefunden. 

Alfred A l e xa n d e r - Berlin und Reinhold Kirschbaum: 
Zur Hämatologie der spanischen (epidemischen) Grippe. 

Man findet Herabsetzung des Hämoglobingehaltes bei Ver¬ 
mehrung der Zahl der roten Blutkörperchen. Dabei ist meistens 
eine Leukozytose vorhanden, durch Vermehrung der Lymphozyten 
bedingt, sowie der Mononukleären. 

F. Witte- Bedburg-Hau: Zur Behandlung der Grippe mit Koi- 
largoi. 

Empfehlung des Kollargols auf Grund theoretischer Ueber- 
legungen. 

Albert Fromme- Göttingen: Beitrag zur Behandlung von 
Ifirnzysten. 

' Einschränkung des Lobes der Drainage mit Kalbsarterie, da in 
einem Falle, der nach 2 Jahren wieder zur Operation kam, keine 
Reste der Arterie zu finden waren. 

P. Drewitz-Berlin: Vorschlag zur Verhütung der Inanitlon 
bei hohen Darmfisteln durch Wiedereinführung des ausfilessenden 
Speisebreis In den unteren Darmteil. 

Empfehlung des bezeichneten Weges auf Grund theoretischer 
Ueberlegungen. 

• Paul Cohn-Mannheim: lieber, die Behandlung nach Cred6 
in der Augenheilkunde. 

Kasuistische Mitteilungen. 

K. Zieler- Wiirzburg: Zur Theorie und Praxis -der Gonorrhöe¬ 
behandlung. 

Polemik gegen B1 a s c h k o. 

Holzhäuser und Werner: Trichophytin, Vakzine und Ter¬ 
pentin ln der Dermatologie. 

Es wird Trichophytin gegen Bartflechten empfohlen, die Vak¬ 
zinebehandlung gegen Furunkel ev. kombiniert mit der Behandlung 

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mit elektrischem Kauter und Terpentin gegen impetiginöse Haut¬ 
erkrankungen und Beingeschwüre. 

G. M am lock -Berlin: Zum 100. Geburtstag von Emil 
du Bols-Reymond. Boenheim -Nürnberg. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

Nr. 39. (Nachträglich.) Hans K ö n i g s t e i n - Wien: Bedeutung 
der Konstitution für den Verlauf der Syphilis. (Vortrag, gehalten in 
der k. k. Ges. d. Aerzte in Wien.) 

Die Therapie der Syphilis ist nicht ausschliesslich als ein 
direkter Kampf gegen die Spirochaeta pallida aufzufassen und wie 
ein mathematisches Problem zu lösen, indem der Wert eines Anti- 
syphilitikums nach der Menge bemessen wird, welche man von 
demselben in der Zeiteinheit dem Organismus einverleiben kann. 
Bei einer Behandlung der Krankheit ist auch der Kranke zu berück¬ 
sichtigen. 

Karl Mayer- Krakau: Klinisch-radiologische Erfahrungen über 
Herzpulsation. 

Bei Rückwärtsbeugen des Patienten und gleichzeitiger Inspira¬ 
tion sind die Pulsationen des unteren Herzrandes sichtbar. Verf. 
•hat den Pulsationen der Randbogen besondere Aufmerksamkeit ge¬ 
widmet. Er findet abnorme Pulsation der Vorhöfe sowie der oberen 
Hohlvene, die normalerweise kaum bemerkbare Bewegungen aus¬ 
führen, bei Mitralfehlern in frühen Stadien, in welchen sich noch 
keine mitrale Konfiguration des Herzens ausgebildet hat. Diese 
„mitralen Pulsationen“ hält er für den Ausdruck der Minderwertig¬ 
keit des betreffenden Herzens. Ueberhaupt verrät die Art der 
Pulsation in vielen Fällen den Zustand der Herzmuskulatur. 

Zdislaus v.Szczepanski und Bronislaus S a b a t -Lemfber'g: 
Geber den Einfluss des künstlichen Pneumothorax auf das Herz. 
(Nach einem Vortrag auf dem 2. Kongress der polnischen Internisten.) 

Verfasser konnten durch Versuche feststellen, dass der künst¬ 
liche Pneumothorax keine Vergrösserung des Herzens verursacht, 
im Gegenteil wirkt der Pneumothorax bestimmt günstig auf das 
Verhalten eines toxische^ Herzens bei Tuberkulose. 

F. Hamburger und R. Müllegger -Graz: Ueber geteilte 
Tuberkulinlnjek tionen. 

Die Behauptung Müllers, dass eine Injektion einer bestimmten 
Tuberkulinmenge stärkere Reaktionen mache, als wenn man selbst 
eine grössere Tuberkulindosis 'geteilt, d. h. zur selben Zeit an zwei 
Stellen einspritze, beruht auf einer irrtümlichen Versuchsdeutung. 

M. Weiss: Welchen Wert hat das Vibrolnhalationsverfahren 
bei Erkrankungen der Atmungsorgane. 

Das Vibroinhalationsverfähren hat bei der Lungentuberkulose 
keinen Wert; es ist wegen der Gefahr von Verschlechterungen, be¬ 
sonders Lungenblutungen, abzulehnen.' Bei chronischer Bronchitis, 
Lungenemphysem und Asthma kann eine symptomatische Besserung 
in manchen Fällen eintreten. 

Nr. 44. Stefan Jelinek- Wien: Die Eigenart der elektrischen 
Verletzung und Ihre ärztliche Wertung. (Schluss folgt.) 

L. Arzt: Richtlinien für die Therapie der Malaria. 

Ein Merkblatt für Militärärzte, welches mit Verwendung von 
einschlägigen österreichischen und deutschen Bestimmungen aus¬ 
gearbeitet ist. 

L. Arzt: Wie schütze ich mich gegen Mückenstich und dadurch 
gfgen die Malaria? 

Merkblatt mit teilweiser Verwertung von einschlägigen öster¬ 
reichischen und deutschen Bestimmungen zum mechanischen Schutz 
gegen Mückenstich und Malariainfektion, mit erläuternden Ab¬ 
bildungen. 

Ernst R. v. Karajan -Salzburg: Moos als Verbandstoff. 

Verf. machte mit Moos als Verbandstoff sehr günstige Er¬ 
fahrungen. Der Moosrasen wird vor der Zubereitung zerklaubt; 
eine Reinigung ist überflüssig. Die Sterilisierung in grossen Ballen 
lässt sich leicht durchführen. Das Moos wird locker in Säcke aus 
Kalikotstoff eingefüllt. Die Wunde wird mit Gaze bedeckt, darauf 
kommt der Moossack. Dieser Verband schmiegt sich dem Körper 
gut an und saugt vorzüglich ab. Als Verbandmittel ist das Moos 
sehr billig. 

Otto Pötzl-Wien: Bemerkungen über den Augemnassfehler 
der Hetnhuiopiker. (Schluss.) 

Nr. 45. Heinrich Phausing: Ueber eine Voraussetzung aller 
Tuberkulosebekämpfung. 

Die Wohnungsnot ist es zweifellos, die Vor allem die Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit illusorisch macht. 
Die Lösung des Wohnproblems wäre Tuberkulosetherapie im aller¬ 
grossartigsten Massstabe. Verf. sucht für die Bodenwertsteuer zu 
interessieren. Ohne sie als Voraussetzung hält er den Kampf gegen 
die Tuberkulose als Volkskrankheit für aussichtslos. 

W. Fa 11 a - Wien: Die Amylazeen (Mehlfrüdbte) ln der Kost 
der Zuokerkranken. v 

Dte Amylazeenkur ist keine kalorische Entziehungskur; im 
Gegenteil, ihr grosser Wert liegt darin, dass sie bei verhältnismässig 
geringer Steigerung der Wärmebildung die Zufuhr und Verwertung 
grösserer Fettmengen durch günstige Beeinflussung der Azidose 
gestattet. 

Original from 

UNIVER: TY OF CALIFORNIA 



1362 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


■Nr. 48. 


R. Hermann J affe- Wien: Zur pathologischen Anatomie der 
Influenz* 1918. 

Verf. kommt, wie die meisten pathologischen Anatomen und 
Kliniker, zu dem Resultat, dass wir gegenwärtig eine Neuauflage 
der Epidemie von 1889/90 erleben. Dass die jetzige Epidemie 
einige Eigentümlichkeiten bietet, darf nicht wundernehmen. Den 
Erreger mit Sicherheit zu nennen, ist natürlich schwer. Verfasser 
neigt der Ansicht zu, dass dem Pfeiffer sehen Influenzabazillus 
eine grössere, vielleicht ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Er 
findet sich jedoch nicht allein, sondern stets zusammen mit Kokken, 
vor allem mit Diplostreptokokken; es liegt somit nicht eine Misch-, 
sondern eine Doppelintektion vor und dieses letztere Moment dürfte 
der Influenza 1918 das eigenartige Gepräge geben. 

Siegmund Kreuzfuchs-Laibach: Röntgenuntersuchung Schwer¬ 
verletzter und Extendierter Im Krankenzimmer. 

Beim Rückzug der Italiener im Herb"5t 1917 wurde eine An¬ 
zahl kleiner Handbetriebs-Röntgenapparate System Ferrero vor- 
gefun-den. Dieselben erwiesen sich als ganz vorzügliche, in ihrer 
Art vollkommene Röntgenapparate. Das ganze Instrumentarium 
lässt sich in zwei mittleren Kisten transportieren und kann überall 
ohne Stromanschluss in betrieb gesetzt werden. Man kann auf 
diese Weise den Patienten ohne Transportieren im Bett durchleuch¬ 
ten. Es wäre zu wünschen, dass unsere einheimischen Fabrikanten 
auch derartige Handbetriebsapparate herstellten. 

Friedrich A n i t h 1 e n und Josef Winterberg: Eigenserum- 
behaitdlimg der Grippelungenentzürtdung. 

Die Verfasser stimmen den Mitteilungen Rcimanns in der 
Ges. d. Aerzte am 25. Okt. 1917 bei und empfehlen 'ebenfalls diese 
Behandlung. 

Stephan J e 11 in e k - Wien: Die Eigenart d ; er elektrischen Ver¬ 
letzung und Ihre ärztliche Wertung. (Schluss.) 

Die elektrische Verletzung kann nicht nach den allgemeinen 
Regeln der Wundbehandlung, sondern nur nach besonderen Grund¬ 
sätzen und dabei streng konservativ und exspektativ behandelt und 
die Unkenntnis dieser Verhältnisse verhängnisvoll werden. 

. Zeller- München. 

Vereins* und Kongressberichte. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 7. November 1918. 

Tagesordnung: 

Herr Karl (als Gast): Erfahrungen über Gasbranderkrankungen 
Im Felde. 

Klinisch lässt sich ein einheitliches Krankheitsbild aufstellen, 
wenn auch bakteriologisch drei verschiedene Erreger unterschieden 
werden. Ist der Krankheitsprozess lokal beschränkt, so hat man 
den Gasabszess, der durch Spaltung zü behandeln ist; bei fort¬ 
schreitenden Prozessen spricht man von Gasphlegmone. Hiervon 
unterscheidet man zwei Stadien, die nur graduelle Unterschiede dar¬ 
stellen. Erstens die braune* Phlegmone, charakterisiert durch starke, 
gleichmässige, rotbraune Schwellung mit einer anämischen Rand¬ 
zone, beim Klopfen Schachtelton gebend, zweitens die zut Gangrän 
führende blaue Phlegmone mit schnell fortschreitender Verfärbung 
und mit Epidermisblasen; diese Form kann nur lokal oder im ganzen 
peripheren Teil auftreten. Therapeutisch erfordert die braune Form 
lange Spaltung bis in die Muskulatur, sehr bewährte sich die rhyth¬ 
mische Stauung; bei der blauen Form ist nur die Amputation ohne 
Lappenbildung (nach Kausch) angezeigt. Die Serumbehandlung 
verbessert die Erfolge, wenn sie neben die operativen Massnahmen 
tritt. Es wurden 50 ccm subkutan in die WundumgeUu^g und 50 ccm 
intravenös gegeben, und die Einspritzung mehrere Tage wiederholt. 
Bei der Amputation fiel die starke arterielle Gefässverengerung und 
venöse Erweiterung auf; besondere Aufmerksamkeit erfordert -das 
Herz, auch die Narkose ist sehr gefährlich und möglichst durch 
Lokalanästhesie zu ersetzen. 

Herr Vlrchow: Topographie des Herzens: ' 

An Lichtbildern und Präparaten wird demonstriert die Lage der 
Herzklappen zum SKelett, die Form der Ventrikel und Vorhöfe, Einzel¬ 
heiten des muskulösen Trabekelsystems, an Sagittal- und Horizontal¬ 
schnitten die gegenseitige Lage der einzelnen Herzteile und an einem 
kyphotischen Thorax die durch die Skelettdeformität bedingten Ab¬ 
weichungen. W. 


Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen. 

(M e d i z 1 n.i s c h e. A b t e i 1 u n g.) 

(Offizielles Protokoll.) 

# Sitzung vom 17. Juli 1918. 

Vorsitzender: Herr Heidenhain. 

Schriftführer: Herr W e i t z. 

Die Herren Fleischer und Jüngling demonstrieren einen 
durch Röntgenbestrahlung gebesserten Fall von Hypophysentumor, 

der wegen Sehnervenschwundes seit VA Jahren mit fortschreitender 
Verschlechterung des Sehvermögens in Behandlung war. 

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Befund: 55jähr. Frau, akromegalische Symptome, insbesondere 
im Gesicht, erhebliche Vergrösserung des Türkensattels, Abblassung 
der Sehnefvcn, bitemporale Hemianopsie mit völligem Verlust der 
temporalen Gesichtsfeldhälfte auf dem rechten, fast völligem Ver¬ 
lust auf dem linken Auge, mit Uebergreifen der Funktionsbeschrän- 
kuog auch auf die oberen nasalen Quadranten der Gesichtsfelder und 
auf den Fixierpunkt, so dass links nur Fingerzählen exzentrisch nasal- 
wärts in 1—2 m, rechts noch V™ gesehen wurde und die Frau 
nur mühsam buchstabierend lesen und nicht mehr allein in der 
Stadt umhergehen konnte. 

Zweimalige Röntgenbestrahlung in Zwischenräumen von 4 Wo¬ 
chen ergab (schon nach der ersten Bestrahlung) eine erhebliche 
Besserung des Zustandes: auf dem linken besseren Auge ist die 
Funktion der temporalen Gesichtsfeldhälfte mit massiger Unter¬ 
empfindlichkeit für Farben und parazentralem Skotom wiedergekehrt 
und auch auf dem rechten Auge ist in einer mittleren Zone der 
temporalen Gesichtsfeldhälfte, zwischen 15—50° die Funktion, auch 
für Farben, wiedergekehrt. Die nasalen oberen Quadranten sind 
völlig wiederhergestellt und das zentrale Sehen hat sich auf V« 
und Jäger 1 gebessert, so dass die Frau ohne Schwierigkeiten 
wieder lesen und schreiben und sich völlig frei allein in der Stadt be¬ 
wegen kann. Auch die Kopfschmerzen haben sich gebessert. Eine 
andere Therapie ist zunächst nicht angewandt worden, der Erfolg 
angesichts der bisherigen dauernden fortschreitenden Verschlechte¬ 
rung ganz offenbar auf die Röntgenbehandlung zurückzuführen. 

Der Fall reiht sich so den günstigen Erfahrungen an, die ander¬ 
wärts gemacht, insbesondere neuerdings von S z i 1 y und K iipf e r 1 e *) 
veröffentlicht worden sind. Darier*) empfiehlt energische Behand¬ 
lung, da geringe Strahlenmengen wachstumfördernd wirken und 
widerrät die Behandlung im zweiten Stadium der Krankheit, das der 
Zerstörung der Drüse entsprechen soll und sich durch Stillstand des 
Riesenwuchses, Abnahme der Muskelkraft, Eintreten von Somnolenz, 
Haarausfall, Trockenheit der Haut und Gewichtsabnahme kenn¬ 
zeichnet. S z i 1 y und K ü p f e r 1 e empfehlen die Behandlung (kom¬ 
binierte Röntgen- und Radiumbehandlung) bei allen Hypophysen¬ 
tumoren, die radiosensibel sind und nicht sofortige Druckentlastung 
durch operatives Eingreifen notwendig machen, was auch bei allen 
strahlenrefraktären Fällen anzuwenden ist, bei Zysten, Teratomen, 
ev. auch Gliomen und verschiedenen Formen von Strumen. Diese 
Autoren wenden ferner zur Unterstützung der Strahlenbehandlung 
Jod und bei hypophysärer Dystrophie Hypophysensubstanz an. Die 
Erfolge von S z i 1 y und K ü p f e r 1 e sind umso bemerkenswerter, 
als sie zum Teil durch Jahre hindurch angehalten haben. Die Erfolge 
eröffnen denn günstige Aussichten zur Besserung des Loses dieser 
Kranken. 

Die Technik w r ar folgende: 

Symmetrieapparat von Reiniger, Gebbert & Schall, selbsi- 
härtende Siederöhre, Regenerierautomat, Funkenstrecke 37,5 cm, 
primäre Belastung 5 Amp., sekundäre Belastung 2,1 M.-A.. 0,5 mrn 
Zinkfilter, Tubus mit Durchmesser von 8 cm, Fokushautabstand 23 cm. 

Auf jede Schläfe sowie Stirne je 80—90 Proz. der Erythem¬ 
dosis, ausserdem mit 3 mm Aluminiumfilter und Tubus von 3 cm Durch¬ 
messer eine Volldosis durch den Mund. 

Der Tiefenabstand der Hypophyse beträgt etwa 7 cm von jedem 
Feld, die erreichte Tiefendosis dürfte daher etwa 70 Proz. der 
Hauteinheitsdosis betragen. 

Aus Furcht vor zu starker Reaktion wurden in der ersten 
Sitzung nur zwei Felder (beide Schläfen) gegeben. Es erfolgte starker 
Kater, der sich in Kopfschmerzen und Brechreiz äusserte. Nach 
einem Tage Zwischenpause wurden die zwei anderen Felder gegeben. 
Erste Bestrahlung 13. V. 18, zweite Serie 14. VI. 18. Ein bis zwei 
weitere Bestrahlungen sind noch geplant. 

Diskussion: Herr A. Mayer: Die Behandlung von Hypu- 
physentumoren mit Röntgenstrahlen hat mich insofern besonders 
interessiert, als anscheinend eine besondere Scheu vor 
etwaigen Schädigungen des Gehirns nicht berechtigt ist. Die 
Geburtshelfer fürchteten sich immer etwas vor einer solchen Be¬ 
strahlung. Man unterliess es daher, senwangere iFrauen mit Rück¬ 
sicht auf die intrauterine Frucht der Strahlenbehandlung zu unter¬ 
ziehen. Ebenso war man sehr zurückhaltend, die Eierstöcke bei 
jugendlichen, noch fortpflanzungsfähigen (Frauen zu bestrahlen, aus 
Furcht, dass bei einer etwaigen späteren Konzeption neben soma¬ 
tischen Störungen der aus dem bestrahlten Eierstock stammenden 
Frucht auch intellektuelle Schädigungen zu fürchten seien. Be¬ 
stimmte Erfahrungen liegen freilich dieser Auffassung nicht zu¬ 
grunde. Erst in der letzten Zeit stehen uns nun einige klinische Be¬ 
obachtungen zur Verfügung, die aber, soweit man bis jetzt urteilen 
kann, jene Befürchtungen nicht rechtfertigen. Es ist jetzt einige 
Male beobachtet, dass mit Röntgenstrahlen behandelte Frauen spä¬ 
ter konzipierten und, soweit man bis jetzt urteilen kann, körperlich 
und geistig ganz gesunde Kinder zur Welt brachten. Ob freilich das 
sich entwickelnde Gehirn weniger gefährdet ist als das fertige Ge¬ 
hirn, das ist damit nicht gesagt, aber allem Anschein nach hat die 
eben hier demonstrierte erwachsene Frau ja keinerlei Nachteile von 
seiten ihres Grosstfürns infolge der Bestrahlung davongetragen. 

Ausserdem die Herren Perthes und J ii n g 1 i n g. 

*) Mbl. f. Augenhlkde. 1916. 57. S. 631. 

2 ) Versammlung südwestdeutscher Neurologen und Psychiater 
Baden-Baden Mai 1918. Ref. Klin. Mbl. f. Augenhlkde. 1918. 60. S. 847. 

Original fram 

UMIVERSITY OF CALIFORNIA 



26. November 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCH^ WOCHENSCHRIFT. 


1363 


Herr Linser spricht über Neuere Erfahrungen über Ver¬ 
breitung, Infektion und Behandlung der Gonorrhöe auf Grund seiner 
Erfahrungen an einem Reservelazarett in den letzten 3 Jahren. 

Die Verbreitung der Gonorrhöe hat namentlich auch unter der 
weiblichen Bevölkerung stärk zugenommen, während die Männerwelt 
dank der militärischen Vorsorge anscheinend kaum wesentlich mehr 
verseucht wurde. Es sind im diesseitigen Bereich strengere Mass¬ 
nahmen gegen das Dirnenwesen ergriffen worden, die, wenn sie auch 
nach dem Krieg fortgesetzt werden, Erfolg versprechen. Es ist an¬ 
zustreben, dass durch weitere Aufklärung dafür gesorgt wird, dass 
die Infizierten möglichst bald zur Behandlung kommen. Denn je 
früher diese beginnt, um so besser die Heilungsaussichten und um 
so geringer die Zeit bis zur Heilung. Die Abortivbehandlung und 
Prophylaxe wird besprochen. Sehr bewährt hat sich die Behandlung 
mit Protargolgelatine bis zur Beseitigung der Gonokokken. Schwierig¬ 
keiten der Massenbehandlung werden so relativ ani leichtesten über¬ 
wunden. Die Arthigonbehandlung hat sich bei gonorrhoischen Meta¬ 
stasen bewährt, nicht bei gonorrhoischer Urethritis und Prostatitis. 
Dagegen scheint das Kollargol gegen Prostatitis bessere Erfolge zu 
versprechen, abgesehen von den recht guten Resultaten der Massage¬ 
behandlung. 

Die Haupthindernisse einer erfolgreichen Gonorrhöebehandlung 
liegen neben der mangelnden Gewissenhaftigkeit eines grossen Teils 
der Infizierten in der noch ungenügenden Energie der Behandlung 
bei den Aerzten. Es hat sich gezeigt, dass bei über 20Proz. aller derer, 
die früher eine Gonorrhöe gehabt haben, später noch Reste besonders 
in der Prostata vorhanden sind. Man sollte keinen Gonorrhöe¬ 
patienten für gesund erklären, ehe man sich durch wiederholte ge¬ 
naue Untersuchung der Prostata überzeugt hat, dass hier nichts zu¬ 
rückgeblieben ist. Ausserdem hat sich eine wiederholte Provokation 
mit Gonovakzine und Harnröhrendehnung als unerlässlich ergeben, 
darum wird im Lazarett am Ende der Behandlung stets noch eine 
ca. 8 tägige Kontrolle angeschlossen. 

Diskussion: Herr A. Mayer: A\is den interessanten Aus¬ 
führungen des Herrn L i n s e r will ich nur einen Punkt herausgreifen, 
den er gleich zu Beginn betont hat, die Zunahme der 
Gonorrhöe. In der Steigerung der Gonorrhöe liegt im Hin¬ 
blick auf unseren Bevölkerungszuwachs ein ganz besonders tiefer 
Ernst. Ich darf das kurz an einigen Zahlen illustrieren. Ihnen allen 
ist der Geburtenrückgang bekannt. Wir hatten vor dem Kriege 
jährlich nicht ganz 2 Millionen Geburten; wir müssten aber 3 Mil¬ 
lionen haben, wenn die Vermehrung im alten Tempo weitergegangen 
wäre. Der Geburtenrückgang sagt also .nicht weniger als einen 
jährlichen Menschenausfall von rund einer Million. 

Von den geborenen Kindern verlieren wir etwa jedes fünfte, 
rund viermal hunderttausend innerhalb des ersten Lebensjahres. - 

Wir haben somit einen jährlichen Mensehenausfall von rund 
anderthalb Millionen, also jedes Jahr etwa einen Verlust, wie ihn 
der vierjährige Weltkrieg bis jetzt mit sich brachte. Gehen die 
Verhältnisse so weiter, dann sind für die Zukunft unseres Volkes 
die ernstesten Sorgen gerechtfertigt. 

An diesem Verlust hatte die Gonorrhöe infolge steriler Ehe nach 
bisheriger Auffassung einen Anteil von jährlich rund zweimal 
•hunderttausend. Das war schon sehr viel. Aber diese Zahlen wer¬ 
den in Zukunft ausserordentlich in die Jiöhe gehen, da die Gonor¬ 
rhöe enorm zugenommen hat Diese Zunahme ist nach meiner Be¬ 
obachtung geradezu erschreckend. Die Frauenklinik hat zurzeit 
einen ganzen Krankensaal mit Gonorrhöekranken gefüllt. Das ist 
ein geradezu betrübendes Zeichen der Zeit. Besonders traurig daran 
ist, dass in sehr vielen Fällen die Feldgrauen im Urlaub ihren 
Frauen dieselbe mitgebraoht «hatten. Der Ernst dieser Situation Ist 
ungeheuer gross. Nicht nur sind eine Menge Frauen körperlichem 
Siechtum verfallen, nicht nur sind sie um die Erfüllung ihres oft 
so sehnlichen Wunsches, nämlich um das Kind, betrogen, nein, auch 
dem Vaterland ist durch den Menschenausfall ein schwerer Schaden 
zugefügt. Manche von den Feldgrauen, den Hütern der Gegenwart, 
werden also auf diese Weise -geradezu zu den Totengräbern der 
Zukunft. 

Es erwächst somit mit der »Behandlung der Gonorrhöe uns 
Aerzten eine ausserordentlich ernste Aufgabe. Ich habe aber sehr 
oft erlebt, dass die von mir zum Arzt geschickten gonorrhöekranken 
Ehemänner schon nach 8 Tagen zurückkommen mit der Angabe, 
sie seien geheilt entlassen. Ich kann das. wie Herr Lins er schon 
gesagt hat, nicht für eine ausreichende Behandlung der Gonorrhöe 
betrachten und kann im Interesse der Zukunft unseres Volkes inur 
dringend bitten, dass wir künftighin diese unsere Aufgabe ganz be¬ 
sonders ernst nehmen. 

Ausserdem die Herren Fleischer, Linse r. Bülow, Lin¬ 
se r, Roth, L i n se r. 

Herr W e 11 z spricht über die Pathogenese der Enuresis auf 
Grund von Blasendruckmessungen und über die. Behandlung der Er¬ 
krankung. Die Messungen wurden nach Einlauf bestimmter Mengen 
körperwarmer 3 proz. Borsäure gemacht. Mit zunehmender Füllung 
trat langsame Drucksteigerung auf, die durch Vermehrung des hydro¬ 
statischen Drucks, Steigerung des allgemeinen Bauchdruckes und in 
wahrscheinlich geringem Grade durch zunehmende Spannung der 
Blasenmuskulatur bedingt ist, und selten über 30 ccm hinausgeht. 
Unabhängig davon pflegt nach Einlauf individuell verschieden grosser 
Flüssigkeitsmengen viel stärkere Drucksteigerung Ibis zu 300 ccm) 

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aufzutreten. Diese Druckerhöhung dauert meistens 2—3 Minuten, 
die Kurve zeigt starke Schwankungen und verschieden hohe Gipfel 
von bald steilerem, bald langsamerem Anstieg und Abfall. Während 
der Drucksteigerung besteht das Gefühl des Harndrangs, ein schnei¬ 
dender Schmerz in der Blasengegend, ein Kribbelgefühl in der Eichel. 
Für den Anstieg und das Abfallen der einzelnen Gipfel haben dabei 
die Untersuchten ein deutliches Unterscheidungsvermögen. 

Viele Patienten, die bei oberflächlicher Betrachtung für Enuriker 
gehalten werden, bekommen bei meist geringer Blasenfüllung so 
starken Harndrang, dass ihnen die Zeit zur richtigen Entleerung fehlt 
und sie den Urin nach dem Erwachen ins Bett lassen. Die Druck¬ 
wellen traten bei diesen Patienten schon nach Einlassen kleiner Bor¬ 
wassermengen auf und riefen sehr starke Schmerzen hervor; sie 
pflegten, von geringerer Höhe als normal zu sein. 

Bei zahlreichen — nicht allen — Fällen wirklicher Enuresis 
waren die Druckwellen von völlig normalem Verlauf und traten nach 
Einlass der normalen Menge (von ca. 300 ccm) auf. Sie wurden aber 
auffälligerweise von den Patienten absolut nicht empfunden. 

Beim normalen Menschen wird Harndrang während des Bestehens 
der Druckwellen empfunden; der Harndrang hört nach Abklingen der 
Druckwelle auch bei grösserem Blaseninhalt auf und tritt schliesslich 
bei Einlassen weiterer Mengen auch ohne das Vorhandensein von 
Druckwellen wieder auf. Der Harndrang ist das erste Mal ein 
Kontraktionsgefühl, das zweite Mal ein Dehnungsgefühl. 

Der natürliche Harndrang ist ausserordentlich häufig ein Kon¬ 
traktionsgefühl. Die Kontraktion wird ausgelöst durch psychische 
Einflüsse (Denken an das Urinieren), Abkühlungen u. ähnl. Auf das 
Gefühl der Kontraktion hin tritt, vom Grosshirn beeinflusst, Ver¬ 
stärkung des Sphinktertonus ein und bei gegebener Gelegenheit zum 
Urinieren aktive Relaxierung. Wird der Harn nicht entleert, so bleibt 
der verstärkte Sphinktertonus so lange bestehen, bis die Detrusor- 
kontraktionen abgeklunden sind. Auch im Schlai lernt der Gesunde 
in sein Unterbewusstsein die Empfindung einer etwa durch Kältereiz 
oder Traum bewirkten Blasenkontraktion in sich aufzunehmen und 
durch Tonusvermehrung des Sphinkters zu beantworten. Beim 
Enuretiker kommt die Blasenkontraktion nicht zur Kenntnis des Gross¬ 
hirns; es bleibt die vom Grosshirn bewirkte Tonusvermehrung des 
Sphinkters aus; das Missverhältnis zwischen der Spannung des De- 
trusors und Sphinkters führt zum Harndurchbruch. In schweren 
Fällen kommt das Gefühl für die Harnentleerung überhaupt nicht zur 
Empfindung, dann resultiert eine Enuresis diurna und nocturna. In 
den leichtern wird die Kontraktion, oder vielleicht auch nur der 
Durchtritt des Urins durch die Harnröhre, nur in wachem nicht in 
schlafendem Zustand empfunden, dann resultiert eine Enuresis noc¬ 
turna. 

Wenn der Teil des Rückenmarks, der die sensiblen Empfindungen 
von der Blase her in sich aufnimmt, starke Kältenreize empfängt, wie 
es bei Soldaten nach häufigeren Durchnässungen im Schützengraben 
oft vorkommt, kann die schwächere Blasenempfindung überdeckt 
werden und es dann durch Verlust des Kontraktionsgefühls zum 
Harndurchbruch kommen. Wenn eine Zeitlang die Empfindung für 
die Kontraktion nicht weitergeleitet wird, kann sie verloren gehen, 
so dass eine richtige Enuresis entsteht.. Sie wird so lange bestehen 
bleiben, bis das Kontraktionsgefühl wieder aufgetreten ist. 

Das Wesen der Behandlung der Enuresis hat darin zu bestehen, 
das Kontraktionsgefühl der Blase zu steigern. Die Behandlung, die 
sich auf diesen Gedankefi aufbaute, bestand in Spülungen der Blase 
mit Höllensteinlösung, und zwar wurde jeden zweiten Tag gespült 
mit Verdünnungen von 1:4000 und später mit Verdünnungen von 
1: 3000, 1 : 2000 und 1 :1500. Oft genügte eine 4—5 wöchige Kur, 
um die Krankheit definitiv zu heilen. Charakteristisch war, dass die 
Patienten infolge eines brennenden Gefühls in der Bläsengegend vor 
dem Urinieren aufwachten und den Urin an richtiger Stelle ent¬ 
leerten. Wenn, wie gewöhnlich, auch nach der Behandlung die 
Enuresis ausbleibt, so dürfen wir annehmen, dass die Bahnen für das 
Kontraktionsgefühl der Blase durch die Spülungen zunächst für den 
verstärkten Reiz zugänglich gemacht wurden, und später, nachdem 
sie einmal eingefahren waren, in den Stand gesetzt waren, auch den 
normalen Reiz zu leiten. 

Diskussion: Die Herren R e i s s, G a u p p. Fleischer, 
W e i t z, G a u p p, W e i t z. 

Herr Weiss spricht über die Beobachtung der Hautkaplllaren 
bei Exanthemen mit Hilfe der Kapillarbeobachtungsmethode. (Vergl. 
d. W. Nr. 23.) 

Diskussion: Herr O. Müller. 


Akademie der Wissenschaften in Paris. 

Das unerwartete Auftreten des Gasbrandes infolge einer latent ge- 
gebliebenen Infektion» 

In der Sitzung aer Pariser Akademie der Wissenschaften vom 
29. Mai 1917 berichteten H. Vincent und G. Stodel über Tier¬ 
versuche, welche sie in dieser Richtung angestellt hätten (Influence 
du traumatisme sur la gangrene gazeuse experimentale et sur le 
rSveil de cette infection. Presente par A. D a s t r e. C. R. Ac. sc. 
Paris Nr. 22, 1917). 

Wurde in die Schenkelmuskulatur des Meerschweinchens eine 
Bouillonkultur des B. perfringens injiziert, so trat gewöhnlich, in 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1364 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 43. 


etwa 75 Proz., keine Gasgangrän auf. Auch zeigte sich, dass die 
einzelnen Stämme in sehr verschiedenem Grad pathogen waren. 
Während die einen selbst in grösserer Menge kaum wirksam waren, 
waren andere dagegen sehr aktiv. Es scheint also der B. per- 
fringens wie auch andere anaerobe Mikroben nicht immer pathogen 
zu sein. Er ist sehr verbreitet im menschlichen und tierischen 
Darmkanal ebenso in vielen organischen Stoffen und in verwesenden 
Kadavern; abgestorbenes Gewebe wird daher von ihm bevorzugt; 
wo dies fehlt, kommt er nicht zur Vermehrung, ebensowenig wie 
der Tetanusbazillus und der B. fusiformis. Man impft in die 
Schenkelmuskulatur des Meerschweinchens 0,5—1 ccm. einer Kultur, 
welche beim Kontrolltier unwirksam blieb; unmittelbar darauf wird 
das Tier unempfindlich gemacht und die Muskeln teilweise auf¬ 
gefasert. Die Gasgangrän kommt dann sofort zur Ausbildung, meist 
schon nach weniger als 18 Stunden. Im gesunden Gewebe dagegen 
bleibt die Einimpfung meistens wirkungslos. Es fragt sich nun, was 
in diesem Fall mit den Bazillen geschieht. Wenn beim Meer¬ 
schweinchen, welches tagelang nach der Impfung keinerlei Krank¬ 
heitssymptome zeigte, die Muskulatur in der oben geschilderten 
Weise aufgefasert wird, so kann man die Gasgangrän zum Aus¬ 
bruch bringen. Die äusserste Grenze war 12 Tage, ein andermal 
2 Tage, 5 Tage, 6 Tage, 7 und 9 Tage nach der Einimpfung. Einmal 
war das Ergebnis sogar nach 12 Tagen positiv; das betreffende Tier 
erholte sich wieder, zeigte aber charakteristische Läsionen und zahl¬ 
reiche sporulierende Bazillen im Muskelgewebe. Es wird also der« 
Gasbrand durch die Beschaffenheit der Wunde zum Aufflammen ge¬ 
bracht, besonders wenn die Inokulation noch nicht lange, etwa 2 bis 
6 Tage vorher geschah. Daraus ergibt sich, dass die Erreger des 
Gasbrands sich erheblich lang in der Wunde lebend erhalten. Wenn 
der B. perfringens also auch keine Erscheinungen veranlasst, muss 
man doch darauf gefasst sein, dass er latent im Gewebe vorhanden 
ist, irgend eine Verletzung, eine Kontusion zum Beispiel, kann den 
Gasbrand zum Ausbruch bringen; daraus erklärt sich auch sein 
spätes Auftreten in manchen Fällen 4, 6 selbst 18 Tage nach der 
Infektion; das Gleiche gilt für das Operieren von schon lange Ver¬ 
wundeten. Dr. L. K a t h a r i n e r. 


Aus Ärztlichen Standesvereinen. 
Münchener Aerzteversammlung 

am 19. November 1918. 

(Eigener Bericht.) 

Die vom Aerztlichen Kriegsausschuss München für Dienstag, den 
19. November 1918 einberufene Aerzteversammlung bot ein hoch- 
erfreuliches Bild. Der grosse Saal gedrängt voll Aerzte aller Schat¬ 
tierungen, alle beseelt vpn dem einen Gedanken, dem bisher so stief¬ 
mütterlich behandelten Gesundheitswesen bei der Neugestaltung des 
Staates die ihm gebührende und seiner Wichtigkeit entsprechende 
Stellung zu erringen. Es herrschte eine Uebereinstimmung der Ge¬ 
danken und eine Einmütigkeit des Wollens, wie wir es in einer so 
vielköpfigen Versammlung noch nie erlebt. 

Den Vorsitz führte Kerschensteine r. 

Ueber den ersten Punkt der Tagesordnung, Schaffung eines 
Ministeriums für Volksgesundh^itspflege erstattete 
B e r g e a t einen wohldurchdachten, klaren, ruhigen Bericht. Die 
Aerzteschaft verlangt, dass für das Volksgesundheitswesen, 
entsprechend * seiner Bedeutung im Staate, ein eigenes Mini¬ 
sterium gegründet wird. In unmittelbarem Zusammenhang 
mit dieser Forderung steht als folgerichtiges Verlangen, dass 
die Leitung dieses Ministeriums einem Arzte übertragen werden 
soll. Dies bedarf wohl keiner näheren Begründung. Denn, wenn 
irgendwo besondere Sach Verständigkeit als empfehlende Quali¬ 
fikation notwendig ist, so ist es hier. Mit der erhöhten Sachver- 
ständigkeit erhöht sich die Initiative, welche das Ministerium in her¬ 
vorragendem Masse besitzen muss. Wir müssen noch weiter gehen. 
Nicht bloss der Leiter dieses Ministeriums sei ein Arzt, sondern 
in allen Stellen, in allen Ministerien, wo überhaupt 
Interessen der Volksgesundheitspflege und der öffentlichen Wohlfahrt 
in Betracht kommen, sind Aerzte als sachverständige Beiräte oder Re¬ 
ferenten aufzustellen. 

Fr. v. Müller: So grosse Vorteile das Ministerium auch brin¬ 
gen mag, so gibt es doch auch Schwierigkeiten, welche in der nicht 
klar gelösten Exekutivfrage liegen. Wenn mehrere Ministerien in 
derselben Sache zusammenzuarbeiten haben, wie z. B. bei der 
Seuchenbekämpfung, kann es leicht zu Konflikten kommen; der eine 
Minister wird vielleicht lieber dem Rate seines Referenten folgen als 
dem eines anderen Ressorts. Ist ein einziges Oberhaupt vorhanden, 
welches sich das Wohl des Volkes sehr angelegen sein lä$st, so stehen 
wir vor der Möglichkeit, dass in die Aerzte viel hineinregiert wird. — 
Epstein: Gewisse Reibungsflächen sind sicherlich da vorhanden, 
wo die Exekutivgewalt nicht in einer Hand ist, aber das darf uns 
nicht beeinflussen. Es gibt sehr viele Anstalten für das Volkswohl, 
welche in das rein ärztliche Gebiet hineinfallen, wie die Säuglings-, 
die Tuberkulosefürsorge usw. Einige sind gut ausgebaut; aber es 
gibt eine Reihe von Vereinen, welche teils aus finanziellen Gründen, 
teils wegen Fehlens des organisatorischen Talents der Zentralisierung 
bedürfen. Für sie muss der befruchtende Gedanke von oben 

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kommen. Bel der Knappheit der Mittel in Jetziger Zeit fragt es sich, 
ob nicht besser eine Verbindung mit dem Ministerium für soziale 
Fürsorge anzustreben sei. Die RVO. bildet ja das Fundament, 
auf dem wir aufbauen, können, doch fehlte bis jetzt der Baumeister. 
Scholl geht auf die Verhältnisse in Oesterreich ein. Seit 1872 
strebten die dortigen Aerzte ein Ministerium an, endlich haben sie 
ihr Ziel erreicht. Das Ministerium ist in vier Sektionen geteilt, wovon 
drei in den Händen nur von Aerzten sind, im vierten sind arbeitende 
Juristen. Wir müssen uns von der Bevormundung der Juristen be¬ 
freien, müssen sorgen, dass wir nicht überall auf bürokratische Schwie¬ 
rigkeiten stossen, wir, müssen an die Spitze eines solchen Ministeriums. 
Das wichtigste ist, dass wir uns jetzt einmal anmelden, nachdem wir 
ein für das Volk so wichtiges Fach vertreten. Die Hygiene des 
Volkes ist zweifellos das wichtigste nach dem Kriege; das begreift 
jeder im Volke. Wir wollen unsere Sache selbst besorgen, die Form 
wird sich schon finden, ein Sekretariat können wir immer verlangen, 
v. G r u b e r hält es für zweifellos richtig, dass — wie v. Müller 
gesagt — sich Schwierigkeiten in bezug auf das Verwaltungswesen 
ergeben. Aber diese Reibungen lassen sich überwinden; es wird 
dann genau so sein wie bei den Handelsangelegenheiten, die auch in 
alle anderen Gebiete eingreifen. Die Bedenken gegen ein eigenes 
Gesundheitsministerium tussen auf der Schwierigkeit der finanziellen 
Lage. Wir gehen Zeiten drückender Armut entgegen. Die Errichtung 
eines eigenen Gesundheitsministeriums neben einem Ministerium für 
soziale Wohlfahrt ist bedenklich: Vergeudung von Staatsmitteln für 
Personal,. Verzögerung der Geschäfte. Wenn beide Ministerien be¬ 
stehen, könnte in gewissen Fällen sogar eine Ausschaltung der Aerzte 
statthaben. Auch auf dem traditionellen Arbeitsgebiet kann ein ge¬ 
trenntes Ministerium nichts ausrichten, immer muss auf das Gebiet 
der Wohlfahrt übergegriffen werden. Letztere selbst dürfen wir 
doch nicht einem Sozialpolitiker oder einem Nationalökonomen über¬ 
lassen. In dem, was man jetzt soziale Fürsorge nennt, ist der Hy¬ 
gieniker das unentbehrlichste. Die vernünftigste Sozialpolitik ist die 
Sicherung eines gesunden'Nachwuchses. Darum ist dasjenige, was 
wir anstreben müssen, die Vereinigung der Wohlfahrtspflege mit der 
Gesundheitspflege, wobei letztere natürlich die Führung hat. Ver¬ 
langen wir ein gemeinschaftliches Ministerium unter Leitung eines 
Arztes. So allein ist es zweckmässig, -denn beide Gebiete sind nicht 
zu trennen. — Marcuse und Kölsch teilen nach persönlicher 
Information an massgebenster Stelle mit. dass nicht beabsichtigt ist, 
ein eigenes Ministerium für Gesundheitswesen zu errichten. Doch 
soll im Ministerium für soziale Wohlfahrtspflege eine Abteilung neu 
geschaffen werden, welche die Gesundheitspflege übernimmt und aus¬ 
führt, so dass das ganze Gesundheitswesen (in 2 Sektionen) dem 
neuen Ministerium eingegliedert wird. — Steudemann betont 
noch die Kostspieligkeit der Gesundheitsverwaltung in der Hand der 
Juristen, was insbesondere der voll beurteilen kann, der die Klein¬ 
arbeit tut. Nachdem noch Ferd. May sich gegen Trennung von 
Gesundheitspflege und Fürsorge ausgesprochen, wird folgende Ent- 
schliessung, welche allen Ansichten gerecht zu werden sucht, ein¬ 
stimmig angenommen: 

Die Versammlung hält die Schaffung eines Ministeriums iür 
Volksgesundheitspflege mit einem Arzt an der Spitze für im Inter¬ 
esse des Volkswohls gelegen. Dabei ergibt sich organisatorisch 
die Angliederung desjenigen Teils des Ministeriums für soziale 
Fürsorge, der die sozial-hygienische Wohlfahrtspflege umfasst. 
Sollte diese Forderung auf Schwierigkeiten stossen, dann erachtet 
die Versammlung die Errichtung einer besonderen Abteilung inner¬ 
halb des Ministeriums für soziale Fürsorge mit einem Arzt an der 
Spitze für notwendig; diese Abteilung hätte alle Fragen der Volks¬ 
gesundheit sowie die sozial-hygienischen Wohlfahrtsfragen in sich 
zu vereinigen. 

Ueber diesofortige Ausgestaltung der ärztlichen 
Organisation sprach Kerschensteine r. Es gilt rasch ans 
Werk zu gehen, die Angelegenheit steht schon in Verhandlung. Wir 
haben schon eine gute Organisation in unseren Bezirksvereinen, aus 
denen die Mitglieder der acht Aerztekammern hervorgehen. Allein 
die letzteren sind ein schwerfälliges Instrument, arbeiten mühevoll. Gibt 
es abweichende Ansichten der Kammern, kann die Regierung den strei¬ 
tigen Punkt nicht verbescheiden. Für die jetzige Zeit ist diese rostige 
Maschine nicht brauchbar, wir brauchen eine schlagfertige Organi¬ 
sation. Wir wollen einen bayerischen Aerztetag, der unsere An¬ 
gelegenheiten berät und dazu vor dem Deutschen Aerztetag Stellung 
nimmt. Aus gewählten Vertretern der einzelnen Bezirksvereine ist 
ein bayerischer Landesausschuss zu bilden, dessen Vorstandschaft 
die Geschäfte für ganz Bayern führt. Damit eine rasche Arbeit er¬ 
möglicht ist, benötigt sich die Aufstellung eines bezahlten, beamteten 
Geschäftsführers. Ein eigenes Standesblatt hält die Aerzte stets ao? 
dem laufenden. Die Zentrale muss am Sitz der Regierung, in Mün¬ 
chen, sein, um Fühlung mit den massgebenden Behörden halten zu 
können, fähig, gleich zu beraten und postwendend Wichtiges zu er¬ 
ledigen. Wir sind nicht berechtigt, einen bayerischen Aerztetag ein¬ 
zuberufen; es gibt nur einen Weg: einen einberufenden Ausschuss zu 
wählen, welcher von der bayerischen Aerzteschaft Indemnität ver¬ 
langt. Als dieser Ausschuss wird der Münchener Aerztliche Kriegs¬ 
ausschuss bestimmt, welcher durch Vertrauensmänner vom Lande 
zu ergänzen ist, sowie durch den Vorstand der Vertragskommission 
des Münchener Aerztevereins für freie Arztwahl und ein Mitglied der 
Fakultät. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



26. November 1918. 


MUENCHLMER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1365 


In dem Landesausschuss will T e s d o r p f auch einen Psychiater 
als Mitglied. Höflmayr wünscht einen nicht zu grossgliedrigen, 
nicht durch Praxis zu sehr behinderten Ansschuss, einen bezahlten 
Ausschuss, welcher fortwährend alles Aerztliche aufgreift und ver¬ 
folgt. Ein bezahlter Agitationsredner soll im Lande herumreisen und 
die säumigen Kollegen aufrütteln und anspornen. — Schliesslich gab 
Hohmann noch interessante Aufschlüsse über den Rat der geistigen 
Arbeiter, in welchen, die Versammlung Kerschensteiner 
und Hohmann wählte. Die Aerzteschaft fordert insbesondere 
auch die Mitwirkung in allen Parlamenten und in den Regierungen. 
Ihre Delegierten werden beauftragt, dahin zu wirken, dass die Wahl 
für eine Nationalversammlung möglichst bald in die Wege geleitet 
wird und dass die geistigen Arbeiter in grösserer Zahl in den neu¬ 
gebildeten Körperschaften vertreten seien, als es jetzt zu sein scheint. 
Ferner wäre es wünschenswert, dass viele Aerzte in die politischen 
Organisationen gewählt würden. Freudenberger. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 25. November 1918. 

— Die revolutionäre Bewegung hat sich im Norden Deutschlands 
in der Richtung des Bolschewismus weiterentwickelt. In Berlin, 
Kiel, Bremen, Düsseldorf haben die Arbeiter- und Soldatenräte die 
Diktatur des Proletariats verlangt und bolschewistische Forderungen 
aufgestellt. An anderen Orten, so in Königsberg, besonders aber im 
Süden des Reiches, bekennen sich die A. u. S.-Räte zur demokra¬ 
tischen Regierungsform und*verlangen die Einberufung einer National¬ 
versammlung, Es ist nicht zu verkennen, dass das Fortschreiten der 
radikalen Strömung eine ernste Gefahr für den Bestand des Reiches 
bedeuten würde. Nur die Nationalversammlung, die den wahren 
Willen des Volkes zum Ausdruck bringt, kann ?hr Vorbeugen, sie muss 
für alle, die nicht die Anarchie, sondern ein geordnetes Staatswesen 
auf freiheitlicher Grundlage wünschen, die Forderung des Tages sein. 

Dass die Aerzte sich der Bedeutung dieser Kämpfe sowohl für 
das ganze deutsche Kulturleben, wie für den eigenen Stand im be¬ 
sonderen bewusst sind, geht aus mehrfachen Kundgebungen in der 
Presse und in Versammlungen hervor. So hat in München eine 
stark besuchte allgemeine Aerzteversammlung stattgefunden, in der 
die Neuorganisation des Gesundheitswesens in Bayern durch Bildung 
eines Ministeriums für Volksgesundheit und eine zweCkmässigere 
Organisation des ärztlichen Standes besprochen wurde (Bericht s. o.). 
In die Forderung der Einberufung der Nationalversammlung klang die 
Versammlung aus. An Stoff zu weiteren Beratungen wird es nicht 
fehlen. Schon hat das Reichsarbeitsamt ein Gesetz über die Aus¬ 
dehnung der Krankenversicherungspflicht bis zur Einkommensgrenze 
von 5000 M. und damit eine weitere ungeheure Einschränkung der 
noch verbliebenen freien ärztlichen Praxis in Aussicht gestellt. Das 
Problem der Verstaatlichung des ärztlichen Standes, von jeher eine 
Lieblingsforderung der Sozialdemokratie, wird wohl nicht lange auf 
sich warten lassen. Diese und andere, für den ärztlichen Stand 
lebenswichtige Fragen werden in der nächsten Zeit unserer Organi¬ 
sation vermehrte Arbeit und Bedeutung geben. Darum muss es 
unsere Pflicht sein, geschlossen hinter ihr zu stehen, um ihrem Auf¬ 
treten die Kraft zu geben, die allein Erfolg verspricht. 

— Der Berliner Arbeiter- und Soldatenrat gibt folgenden'von 
16 meist Berliner Aerzten Unterzeichneten Aufruf bekannt: 

„Das höchste Gut des Volkes ist seine Gesundheit. Der Volks¬ 
gesundheit droht schwerste Gefahr, wenn bei der schnellen Demobil¬ 
machung Seuchen und sonstige ansteckende Krankheiten auftreten 
oder gar sich häufen. Diese ungeheure Gefahr muss abgewandt wer¬ 
den. Jeder Soldat, bei dem der Verdacht einer ansteckenden Krank¬ 
heit besteht, suche sofort einen Arzt oder das Lazarett auf und 
verbleibe solange in der Behandlung, bis der Arzt ihm sagt, dass 
sein Leiden nicht mehr ansteckend ist. Die bewährten Massnahmen 
der Heeresverwaltung sind aufs Peinlichste zu befolgen. Wer ver¬ 
laust ist, sorge für schleunige Entlausung. Ansteckende Krankheiten 
sind besonders: Fleckfieber, Ruhr, Cholera, Typhus, 
Diphtherie und die Geschlechtskrankheiten. Wer 
sich nicht in Behandlung begibt oder das Lazarett vorzeitig verlässt, 
versündigt Sich schwer: 1. an sich selbst, weil sein Leider später 
schwer oder gar nicht zu heilen ist, 2. an seiner Familie und seinen 
Angehörigen, die er mit Ansteckung schwer bedroht, 3. an der Ge¬ 
sundheit des ganzen Volkes. Das ist der Rat, den Euch erfahrene 
und um das Volkswohl besorgte Aerzte geben.“ 

Die Fachmänner, die diesen Aufruf unterzeichnet haben, wer¬ 
den sich über die geringe Wirkung, die von ihm zu erwarten ist, 
nicht Im Unklaren sein. Denn der der Heimat zustrebende Soldat 
wird, wenn er sich krank fühlt, erst recht so rasch wie möglich nach 
Hause zu kommen suchen, der geschlechtskranke vor allen, schon 
um nicht durch verspätetes Eintreffen Verdacht zu erregen. Der 
Aufruf zeigt aber, dass die unter dem Drucke der heillosen Waffen¬ 
stillstandsbedingungen überstürzte Demobilisierung auch strikte Mass- 
regeln zur Verhütung von Krankheitsverschleppung unmöglich macht. 
Die Folgen werden sich bald zeigen. Zum wenigsten sollten sich jetzt 
alle Aerzte in Stadt und Land mit der modernen Behandlung der 
Geschlechtskrankheiten vertraut machen. Die Salvarsanbehandlung 
der Syphilis darf nicht das Reservat von Spezialärzten bleiben. Sie 

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ist einfach genug, um von jedem Arzt ausgeführt zu werden, sie muss 
nur gelernt sein. Praktische Kurse über Behandlung der Geschlechts¬ 
krankheiten, unentgeltlich und mit Reiseentschädigung für auswärtige 
Aerzte, sollten daher sobald wie möglich und an möglichst vielen 
Orten eingerichtet werden. — Eine spätere Nachricht besagt, dass 
das Demobilmachungsamt, um der Gefahr der Einschleppung von 
Krankheiten und Ungeziefer vorzubeugen, für die zur Entlassung kom¬ 
menden Soldaten ärztliche Untersuchung angeordnet hat, die bei Ein¬ 
quartierungen nachzuweisen ist. Es ist fraglich, ob bei der schon 
gelockerten Mannszucht namentlich der Etappentruppen diese zu be- 
griissende Anordnung wirksam durchgeführt werden kann. 

— Auf der Tagung der Waffenbrüderlichen Vereinigung (seligen 
Angedenkens) am 2. September d. J. in Pest legte Prof. A s c h o f f - 
Freiburg seine Forderungen bezüglich der Neuordnung des 
medizinischen Unterrichts in Deutschland dar 
(W.m.W. Nr. 46). Sie lauten im Sinne einer stärkeren Betonung der 
praktischen Tätigkeit auf den Hochschulen. Schon das vor¬ 
klinische Studium soll dem Bedürfnis des Mediziners besser an¬ 
gepasst werden als bisher durch Einführung besonderer Vorlesungen 
über med. Physik, med. Chemie, allgemeine Biologie an Stelle der 
bisherigen systematischen Vorlesungen über die naturwissenschaft¬ 
lichen Fächer; dazu Vererbungslehre, Parasitologie, Lehre von den 
Giftpflanzen u. a. Die Vorlesung über allgemeine Pathologie soll 
im 5. Semester stattfinden; ärztliche Vorprüfung am Schluss des 
5. Semesters. Zum klinischen Studium sollen die langen Ferien stär¬ 
ker herangezogen werden, indem sie von allen Studierenden zum 
praktischen Famulieren in sog. Ferien-Famuluskursen ausgenützt wer¬ 
den sollen. Es würden so 6 Monate praktische Arbeit gewonnen 
werden. Für das praktische Jahr, das bei besserer praktischer Aus¬ 
bildung während der Studiensemester auf ein halbes Jahr herab¬ 
gesetzt werden könnte, erklärt es A. als wichtigste Forderung, dass 
er Praktikant nach bestandener Hauptprüfung als Assistent mit 
eschränkter Approbation für Krankenhaus und Militärdienst an¬ 
gestellt wird. — Die Vorschläge sind sehr beachtenswert. Schon die 
finanziellen Verhältnisse werden es im verarmten Deutschland der 
Zukunft dem deutschen Studenten unmöglich machen, 5 Monate im 
Jahr Ferien zu halten. Da das Studium unmöglich verlängert werden 
kann, so muss es, wenn nicht die Ausbildung leiden soll, konzentriert 
werden. Auch das meist schlecht ausgenützte Praktikantenjahr war 
Zeitverlust; seine Umwandlung in ein obligatorisches Assistentenjahr 
entspricht einer alten Forderung. Die stärkere Ausnützung der Ferien¬ 
zeit wird den Privatdozenten Gelegenheit zu vermehrter bezahlter 
Tätigkeit geben und dadurch manchem begabten Mediziner die Mög¬ 
lichkeit der akademischen Laufbahn eröffnen, der sonst aus Mangel 
an Geldmitteln darauf ‘hätte verzichten müssen. So gewinnen die 
A s c h o f f sehen Vorschläge, die vor dem Zusammenbruch gemacht 
waren, durch diesen an Bedeutung. 

— Nach einer in der Provinz Schlesien veranstalteten Erhebung 
hat sich während des Krieges in allen öffentlichen Irrenanstalten und 
in den allgemeinen Krankenhäusern ein ausserordentlich starkes 
Sinken der Aufnahmen von Alkoholkranken nach- 
weisen lassen. Der Rückgang der männlichen Alkoholiker betrug in 
den 12 öffentlichen Irrenanstalten 85,6 Proz., der der männlichen Deli¬ 
ranten 96,1 Proz., jener der männlichen chronisch Alkohol-Geistes¬ 
kranken 80,1 Proz., der Rückgang der Aufnahmen an akuter Alkohol¬ 
vergiftung erkrankter Männer in den allgemeinen Krankenhäusern 
90,5 Proz. Für die Provinzialverwaltung von 'Schlesien bedeutet 
dieser Rückgang der Trunksucht eine Ersparnis von rund 80000 M. 
an Verpflegungskosten für Alkoholisten in Irrenanstalten allein im 
Jahre 1917. Aehnliche Feststellungen wurden in den Irrenanstalten 
der Rheinprovinz und Berlins gemacht. Auf das ganze Deutsche 
Reich berechnet, dürfte diese Ersparnis an Verpflegungskosten in 
Irren- und Krankenanstalten, nur auf alkoholistische Geistesstörungen 
bezogen, weit über 1 Million Mark betragen. Bei der Landes¬ 
versicherungsanstalt der Provinz Schlesien sank dieZahl der 
wegen „Alkoholvergiftung“ bewilligten Invaliden- und Kran¬ 
kenrenten von durchschnittlich 83 in den Jahren 1907 bis 1913 
auf 56 im Jahre 1914, 43 im Jahre 1915 und 22 im Jahre 1916; die 
Versicherungsanstalt beziffert den Wert der hierdurch eingetretenen 
Ersparnis auf 181 134 M. Die Ausgaben für das Heilverfahren 
beiTrunksüchtigen betrugen im Jahre 1913: 125817 M.; 1914: 
95 000 M.; 1915: 27 293 M.; 1916: 8920 M.; 1917: — M. 

— Der Krankenkassenzeitung zufolge sind die seit Jahren 
schwebenden Streitigkeiten zwischen der Allg. Ortskranken¬ 
kasse und den Aerzten in Crimmitschau durch den Spruch des 
nach dem Berliner Abkommen gebildeten Vertragsausschusses zu¬ 
gunsten der Aerzte entschieden worden. Die Kasse muss den 
Aerzten die Summe von 99 000 M. nachzahlen. Der neue Vertrag 
gilt bis 1920. 

— Die Gesamt verlu st e De utschlands im Kriege wer¬ 
den bis 31. Oktober 1918 auf 1580 000 Tote, 260 000 Vermisste, 
490000 Gefangene und 4 Millionen Verwundete (einschliesslich 
wiederholter Zählungen in Fällen von mehrfacher Verwundung) an¬ 
gegeben. 

— Nach einer Zusammenstellung der Verluste an ärzt¬ 
lichem Personal nach den Verlustlisten 1—1200 für das ge¬ 
samte deutsche Landheer und die Marine (in der Berliner Aerzte- 
korrespondenz 1918 Nr. 46) sind an Aerzten leicht verwundet 1158, 

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1366 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 48. 


schwer verwundet 332, tot 1086 (davon 663 gefallen, 422 tot infolge 
Krankheit, 1 infolge Gasvergiftung), in Gefangenschaft 212, ver¬ 
misst 72, in Summe 2860. 

— In der 2400 Betten fassenden Lungenheflanstalt des ungarischen 
Kriegsfürsorgeamtes in N e u s o h 1 (Ungarn) sind unter den Kranken 
verhältnismässig sehr wenige Influenzaerkrankungen vor¬ 
gekommen, obwohl die Stadt und die weitere Umgebung, ja das 
ganze Land von der Epidemie stark heimgesucht waren und ein leb¬ 
hafter Verkehr der Anstalt mit der Aussenwelt besteht. Unter dem 
Aerzte- und Wartepersonal sind Erkrankungen an Grippe nicht selten 
gewesen. Herr Dr. E. Sonnenfeld, Chemiker und Leiter des 
Laboratoriums der Anstalt, der uns diese Beobachtung mitteilt, 
sucht die Ursache der auffallenden Tatsache in der Darreichung 
von Kreosotpräparaten, mit denen die schwerer Erkrankten in der 
Anstalt behandelt werden; die wenigen überhaupt vorgekommenen 
Grippefälle hätten Leichtkranke betroffen, denen Kreosot nicht ver¬ 
abreicht wird. Die Beobachtung verdient jedenfalls zur Kenntnis 
gebracht zu werden. 

— Das von Jacob Riedingör begründete, bisher bei J. F. 
Bergmann in Wiesbaden erschienene „Archiv für Orthopädie, 
Mechanotherapie und Unfallchirurgie“ erscheint vom 1. Heft des 
XVI. Bandes an im gemeinsamen Verlag von J. F. Bergmann und 
Julius Springer unter- dem Titel „Archiv für Orthopädie 
und Unfallchirurgie mit besonderer Berücksichtigung 
der Frakturenlehre und der orthopädisch-chirurgischen Technik“ 
unter der Leitung von Herrn. G o c h t und Fritz König. Das Archiv 
ist offizielles Organ der Prüfstelle für Ersatzglieder zu Berlin-Char¬ 
lottenburg und der Technik für die Kriegsinvaliden in Wien. 

— Von H. Kischs im Jahre 1916 zuerst erschienenen Buch: 
„Die sexuelle Untreue der Frau. I. Teil: Die Ehebrecherin. 
Eine sozial-medizinische Studie.“ (besprochen in dieser Wschr. 1917, 
Nr. 35) ist jetzt bereits die 3. vermehrte Auflage (7. bis 12. Tausend) 
erschienen. A. Marcus u. E. Webers Verlag, Bonn (Preis M. 6.50)^ 

— Cholera. Deutsche Verwaltung in Litauen. In der Woche 
vom 15. bis 21. September 1 tödlich verlaufene Erkrankung, vom 
22. bis 28. September 2 Erkrankungen und*l Todesfall. — Deutsche 
Kreisverwaltung in Suwalki. ln der Woche vom 22. bis 28. Sep¬ 
tember 5 Erkrankungen (und 1 Todesfall), vom 29. September bis 

5. Oktober 2 (1). — Deutsche Verwaltung in Livland. Im Monat 
September 1 Erkrankung. — Deutsche Verwaltung in Kurland. Im 
Monat September 5 Erkrankungen. 

— Fleckfieber. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau. In der Woche vom 20. bis 26. Oktober wurden 189 Er¬ 
krankungen (und 12 Todesfälle) festgestellt. — Deutsche Verwaltung 
in Litauen. In der Woche vom 1. bis 7. September 46 Erkrankungen 
(und 4 Todesfälle), vom 8. bis 14. September 78 (2), vom 15. bis 
21. September 76 (4), vom 22. bis 28. September 108 (9), vom 29. Sep¬ 
tember bis 5. Oktober 65 (1). — Deutsche Verwaltung in Estland. 
Im Monat September 2 Erkrankungen. — Deutsche Verwaltung in 
Livland. Im Monat September 30 Erkrankungen, in der Woche vom 

6. bis 12. Oktober 2. — Deutsche Verwaltung in Kurland. Im Monat 
September 1 Erkrankung. 

Ruhr. Preussen. In der Woche vom 27. Oktober bis 2. No¬ 
vember sind 152 Erkrankungen (und 30 Todesfälle) gemeldet worden. 

— In der 44. Jahreswoche, vom 27. Oktober bis 2. November 
1918, hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste 
Sterblichkeit Worms mit 86,1, die geringste Königsberg i. Pr. mit 
18,1 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel 
aller Gestorbenen starb an Diphtherie und Krupp in Wilhelmshaven. 

(Vöff. d. Kais. Ges.A.) 

Hochschulnachrichten. 

Bonn. Wie verlautet, beabsichtigt der Direktor des anatomi¬ 
schen Instituts, Geheimrat B o n n e t, am Ende des Wintersemesters 
von seinem Amte zurückzutreten. 

F r a n k f u r t a. M. Dr. Kurt E c k e 11, Assistent an der Frauen¬ 
klinik, hat sich für Gynäkologie und Geburtshilfe habilitiert. Thema 
der Antrittsvorlesung: Neuere Bestrebungen zur konservativen Be¬ 
handlung gynäkologischer Krankheiten. 

Heidelberg. Der Privatdozent für Anatomie und 1. Prosek¬ 
tor am anatomischen Institut der Universität Heidelberg Dr. Kurt 
Elze (aus Halle a/S.) erhielt den Titel ausserordentlicher Pro¬ 
fessor. (hk.) 

Rostock. An den Folgen einer Infektion, die er sich im Be¬ 
rufe zugezogen hatte, starb am 10. d. M. der Privatdozent für Psych¬ 
iatrie und Oberarzt an der psychiatrischen und Nervenklinik der Uni¬ 
versität Rostock, Prof. Dr. Bruno W o 1 f f, Stabsarzt d. L., im Alter 
von 48 Jahren, (hk.) 

Graz. Der Seesanitätsinspektor Dr. Marius Kaiser wurde als 
Privatdozent für Hygiene mit besonderer Berücksichtigung der 
Schiffs- und Hafenhygiene in der medizinischen Fakultät der Universi¬ 
tät Graz zugelassen, (hk.) 

Wien. Als Nachfolger des Professors Dr. Julius Mauthner 
ist der o. Professor Dr. Hans Fischer von der Universität Inns¬ 
bruck zum o. Professor und Vorstand des Instituts für angewandte 
medizinische Chemie an der Wiener Universität ernannt worden, (hk.) 
— Dr. Walter Hausmann, Privatdozent für allg. und vergl. Phar¬ 
makologie und Assistent am Institut für angewandte medizinische 
Chemie an der Wiener Universität, zugleich Privatdozent für ex¬ 


perimentelle Pathologie und Phärmakologie der Haustiere an der 
Hochschule für Bodenkultur daselbst, wurde zum ärztlichen Kon¬ 
sulenten auf dem Gebiete der Bekämpfung der übertragbaren Krank¬ 
heiten im österreichischen Ministerium für Volksgesundheit er¬ 
nannt. (hk.) — Dr. Erwin L a z a r, Privatdozent iür Kinderheilkunde 
und Leiter der heilpädagogischen Abteilung der Kinderklinik der Uni¬ 
versität Wien, ist zum Konsulenten auf dem Gebiete der Heilpäd¬ 
agogik im österreichischen Ministerium für Volksgesundheit berufen 
worden, (hk.) — Als Nachfolger des verstorbenen Professors Bern- 
heimer wurde der o. Proiessor an der Universität Innsbruck 
Dr. Joseph Meller zum Ordinarius und Vorstand der ersten Augen¬ 
klinik an der Wiener Universität ernannt, (hk.) 

Todesfälle. 

Der bisherige Privatdozent der Physiologie m Bonn, Dr. Julius 
V 6 s z i, der vor kurzem als ordentlicher Professor an die neue 
Universität Debreczin in Ungarn berufen war', ist dort an der Grippe 
gestorben. 

In Wien ist der frühere Dozent für Zahnheilkunde an der dor¬ 
tigen Universität Dr. Michael Alfred Sch eff im Alter von 95 Jahren 
gestorben, (hk.) 


Korrespondenz. 

Die elastische Blutsperre. 

In der in Nr. 44 dieser Zeitschrift mit gleicher Ueberschrift er¬ 
schienenen Arbeit von Dr. H a e d k e - Hirschberg i. Schl, ist die 
Firma, Hermann Härtel- Breslau als Herstellerin des Instrumentes 
angegeben worden. Das ist nicht zutreffend. Vielmehr wird 
das gesetzlich geschützte Gerät von der Firma 
Georg Haertel, Berlin, Klopstockstr., hergestell t.“ 


Weihnachtsgab® für arme Arztwitwen in Bayern. 

Die Witwenkasse des Vereins zur Unterstützung invalider hilfs¬ 
bedürftiger Aerzte in Bayern bittet alle Kollegen und Freunde 
unseres Vereins inständigst, in dieser schweren Zeit der bedauerns¬ 
werten Witwen und Waisen, der Aermsten unseres Standes, zu ge¬ 
denken. Beiträge und Zinsen reichen nicht aus, um den an die Kasse 
gestellten 'Anforderungen zu genügen. 

1917 wurden 111 Witwen und Waisen fprtlaufend unterstützt; 
aus hiezu gespendeten Mitteln wurden Kriegsunterstützungen ge¬ 
währt. 1918 hat sich die Zahl der zu Unterstützenden wieder ver¬ 
mehrt. — Weihnachten 1917 konnten wir 2695 M. an 54 Witwen und 
Waisen dank der steten Opferwilligkeit unserer Kollegen, deren 
Gattinnen und anderer Gönner unserer guten Sache verteilen. 

Besonders wurden hiebei Aerztewaisen berücksichtigt, da diese 
nur bis zur Volljährigkeit fortlaufend unterstützt werden können. 

Alle diese warten wieder auf ein Weihnachtsgeschenk. 

Gaben nimmt dankbarst entgegen: 

Der Kassier des ärztlichen Invaliden Vereins 
Abteilung Witwenkasse 
Dr. Holl er bu sch, Fürth, Mathildenstr. 1. 

Witwenkasse-Postscheckkonto 6080, Postscheckamt Nürnberg. 


' Aufruf! ‘ 

Der Vorsitzende des Deutschen Aerztevereinsbundes und der 
Vorsitzende des Leipziger Verbandes richten einen Aufruf an die 
Kollegen in Stadt und Land und an die Kollegen beim Heere, in dem 
es heisst: In trüber, bitterernster Zeit ergeht diesmal vor dem 
Weihnachtsfeste an alle, die ein Herz für die Bedürftigen unseres 
Standes haben, die Bitte, der Wohlfahrtseinrichtungen unseres Ver¬ 
bandes zu gedenken. Hart trifft die Not der Zeit die unter uns. deren 
Ernährern es versagt geblieben ist, in ausreichender Weise für die 
Ihren zu sorgen. Darum ergeht an alle Kollegen im ganzen Reiche 
von neuem der Ruf: Gedenket-der 

Witwengabe des Leipziger Verbandes! 

Auch an alle ärztlichen Vereinigungen ergeht unser Ruf, sich nach 
Kräften an unserem Liebeswerk zu beteiligen. Grosse Mittel sind 
nötig, wenn wir auch im kommenden Jahre in gleicher Weise wie 
bisher die Hunderte von Arztwitwen und Arztwaisen bedenken 
wollen, die bisher unserer Unterstützung teilhaftig gewesen sind; und 
zu ihnen gesellen sich fortwährend neue Hilfesuchende. Auch unsere 

Hilfskasse zur Linderung der Kriegsnot in Aerztekreiseo 

bedarf dringend einer weiteren Stärkung ihrer Mittel. Wenn auch 
hierfür in erster Linie die örtlichen Organisationen zur Abhilfe be¬ 
rufen und verpflichtet sind, so bleiben doch noch Fälle genug übrig, 
in denen die Gesamtheit hilfreich eingreifen muss. Und was der 
Staat den Hinterbliebenen unserer gefallenen und im Heeresdienst 
verstorbenen Kollegen zu bieten vermag, bedarf noch oft genug der 
Ergänzung durch unsere eigene Kraft. Darum, ihr Herren Kollegen, 
die Herzen hoch und offen die Hand! 

Spenden sind zu richten an das Postscheckkonto Leipzig Nr. 52062 
Verband der Aerzte Deutschlands, Hilfskasse und Witwengabe**. 


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MÜNCHENER 5 fiäESffi^^SEBSSäS 

Medizinische Wochenschrift. 

OROAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Nr. 49. 3. Dezember 1918. 

Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 

Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestras&e 26. 

65. Jahrgang. 

Der Verlag behüt sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung and Verbrdtnng der in dieser Zeitschrift tarn Abdruck gelangenden Originalbeitrage vor. 


Originalien. 

Aus dem physiologischen Institut in Tübingen. 

Die Methode der vorübergehenden Nervenausechaltung 
durch Gefrieren, für chirurgische Zwecke*). 

Von Prof. 'Wilhelm Trendelenburg. 

In einer früheren Mitteilung (Z. f. d. ges. exp. Med. 5. 1917. 
S. 371—374) habe ich über Versuche berichtet, in denen eine lang- 
dauernde, aber vorübergehende Nervenausschaltung durch örtlich be¬ 
grenzte Gefrierung am Nervus phrenicus vorgenommen wurde, wo¬ 
bei ich von einer therapeutischen Fragestellung ausging; ich wollte 
ein Verfahren ausbilden, um einen Nerven für längere Zeit auszu¬ 
schalten, bei sicherer Gewähr für vollständige Regeneration. Diese 
Veröffentlichung wurde der Anlass dazu, dass in der Tübinger chirur¬ 
gischen Klinik der Versuch unternommen wurde, in Fällen von 
schweren, durch Schussneuritis ausgeiösten Schmerzen dadurch zu 
helfen, dass der Nerv zentralwärts von der veränderten Stelle in der 
von mir angegebenen Weise durchfroren wurde. Ueber den Grund¬ 
gedanken und die Ergebnisse des Verfahrens berichtet des näheren 
Herr Prof. Perthes in dem anschliessenden Aufsatz. 

Da die in der chirurgischen Klinik hier gemachten Erfahrungen zu 
weiterem Fortschreiten auf diesem Wege ermuntern, so möchte ich 
kurz über meine neueren tierexperimentellen Ergebnisse berichten, 
aus denen weitere Anhaltspunkte über das Verfahren und seine 
praktische Anwendbarkeit gewonnen werden können. 

Der besonderen Fragestellung entsprechend habe ich diesmal am 
gemischten Nerven und zwar an möglichst grossen Nerven gearbeitet. 
Der N. ischiadicus von Kaninchen und Hunden 'kam in erster 
Linie in Frage. Der aseptisch freigeiegte Nerv wurde in der Mitte 
des Oberschenkels über ein doppelläufiges Röhrchen 1 ) gelegt, durch 
welches Aethylchlorid gesaugt wurde. Meist wurde mehrmals hinter¬ 
einander hart gefroren und dazwischen wieder aufgetaut. Die Auf¬ 
hebung und der spätere Wiedereintritt der Sensibilität konnte an ver¬ 
schiedenen Reflexen sowie dem Erfolg von Nervenreizungen geprüft 
werden. 

Von den Ergebnissen seien folgende hervorgehoben. 

Weder unmittelbar nach dem Eingriff noch auch in der Folgezeit 
liess der Nerv gröbere Veränderungen erkennen. Dass niemals 
Nekrosen eintraten, sei besonders hervorgehoben. In sehr vielen 
Fällen war nach Wochen und Monaten die Gefrierstelle am Nerven 
selbst gar nicht zu erkennen. In anderen Fällen zeigte sich der 
Nerv an der Gefrierstelle ganz leicht verdickt, durch Bindegewebs- 
auflagerung (kein Neurom!). Mit sehr wenigen Ausnahmen liess 
sich der Nerv, bei dessen Gefrierung auf Schutz der umliegenden 
Gewebe sorgfältig zu achten war, sehr leicht freipräparieren, wenn er 
nach Wochen oder Monaten zu Reizzwecken freigelegt werden 
musste. Kompression durch Narbengewebe fehlte stets. 

Der Eintritt der Degeneration wurde in einigen Kaninchenver¬ 
suchen durch Untersuchung der Nerven nach M a r c h i festgestellt. 
Es fand sich 4 Wochen nach dem Eingriff starke Degeneration, bei 
der offen zu lassen ist, ob in allen Fällen eine völlige Leitungsunter¬ 
brechung für elektrische Nervenreizung erzielt wurde, die aber für 
den therapeutischen Zweck auch gar nicht nötig ist. Kommt es doch 
sehr darauf an, den Nerv nicht überflüssig stark zu schädigen. 
Eine Sensibilitätsaufhebung war in allen Fällen die Folge der Ge¬ 
frierung; sie zeigte sich unter anderem darin, dass starkes Kneifen 
der Zehen mit einer Klemmzange nicht empfunden wurde. 
Etwa 4—6 Monate nach der Gefrierung fiel der Kneifversuch wieder 
positiv aus und verloren sich in der Folgezeit auch die nur durch 
feinere Prüfungen nachweisbaren übrigen Störungen der Sensibilität. 
Auch durch Reizungen der ab und an freigelegten Nerven konnte 
die Degeneration und die später wieder zunehmende Erregbarkeit 
nachgewiesen werden. 

Zu keiner Zeit nach dem Eingriff konnten irgendwelche An¬ 
zeichen dafür beobachtet werden, dass der Eingriff an sich Schmerzen 
auslöse. Ist eine derartige Feststellung am Kaninchen nicht sicher 
genug, so sind Versuche an sehr empfindsamen Hunden beweisend. 


*) Nach einem im Tübinger Medizinisch-naturwissenschaftlichen 
Verein gehaltenen Vortrag. 

J ) Zu erhalten durch Herrn Universitätsmechanikus A l b r e c h t - 
Tübingen. 

Nr ' ^Digitized by (jQ* 


die niemals ein Anzeichen spontaner, durch die Nervengefrierung 
ausgelöster Schmerzen erkennen Hessen. Ich bin deshalb der 
Ansicht, dass diese Ausschaltung schmerzlos verläuft und dass am 
Menschen nur dann Schmerzen nach der Gefrierung zu erwarten 
sind, wenn die neuritischen Veränderungen zentralwärts über die 
Gefrierurigsstelle hinausreichen, dass aber durch die Gefrierung an 
sich in der Folgezeit keine Schmerzen bedingt werden. 

Bei einigen der Versuchstiere traten teils leichte, teils schwere 
trophische Veränderunglen an dem Bein der Operationsseite auf. 
Doch sind solche Veränderungen für die Frage der Anwendbarkeit 
unserer Methode am Menschen ohne Belang; denn trophische Ver¬ 
änderungen sind in erster Linie nur beim Tier als Folgen des Sensibili¬ 
tätsverlustes zu befürchten, da es uns beim Tier nur schwer möglich 
ist, und in meinen Versuchen auch gar nicht beabsichtigt war, Ver¬ 
letzungen der unempfindlichen Extremität und Schädigungen durch 
Nässe des Stallbodens und andere Umstände zu vermeiden, Schädi¬ 
gungen, die für den Menschen teils nicht in Betracht kommen, teils 
leicht zu vermeiden sind. Die Möglichkeit, trophische Störungen beim 
Menschen nach Trigeminusexstirpation zu verhüten, kann hier zum 
Vergleich erwähnt werden. 

Gewiss wird man daran denken können, auch andere Mittel zu 
den hier beabsichtigten Zwecken zu verwenden. Ich machte noch 
einige Versuche mit 96proz. Alkohol. Da die Nerven an den zur 
Verfügung stehenden kleineren und mittelgrossen Tieren für Injek¬ 
tionen wenig geeignet sind, legte ich für längere Minuten einen mit 
Alkohol getränkten Wattering um den Nerven, so dass eine völlige 
Fixierung im Sinne der histologischen Technik eintrat. Es lassen 
sich auch in dieser Weise Ausschaltungen des Nerven ohne gröbere 
Zerstörungen erreichen; ein Alkoholnerv sieht nach 4 Wochen nicht 
anders aus als ein Gefriernerv. Ueber den Eintritt der Regenera¬ 
tion kann ich zurzeit noch nichts mitteilen, ich zweifle aber nicht 
daran, dass sie eintreten wird. Die Gefrierung wird aber den einen 
grossen Vorteil vor jeder Flüssigkeitsanwendung haben, dass sie sich 
örtlich und zeitlich scharf begrenzen lässt. 

Eine ausführlichere, mit Versuchsberichten belegte Veröffent¬ 
lichung meiner Versuche wird in der Zeitschrift für die gesamte 
experimentelle Medizin erscheinen. 


Ueber die Behandlung der Schmerzzustände bei 
Schussneuritis mittels der Vereisungsmethode von 
W. Trendelenburg 1 ). 

Von Prof. Perthes in Tübingen. 

Unsere Bestrebungen zur Beseitigung der Schmerzzuständc bei 
Schussneuritis, die so manchem Kriegsverletzten das Leben zur 
dauernden Qual machen, fussen auf den Untersuchungen S c h 1 o e s s- 
manns. Schloessmann 2 } zog aus den Operationsbefunden 
und vor allem aus der Tatsache, dass der Nervenschussschmerz am 
Arm durch Novokaineinspritzung am Plexus zeitweise völlig beseitigt 
werden konnte, den Schluss, dass die Grundlage des Schmerzes in 
organischen Veränderungen am Nerven in der Nähe des Schusskanals 
zu finden ist, dass es sich also nicht handelt um eine Neuralgie ohne 
anatomische Grundlage und auch nicht um eine Uebererregbarkeit der 
Zellen des Spinalganglions oder noch höher gelegener Ganglien¬ 
zellen. Man kann die vorliegende Nervenstörung, welche den 
Schmerz bedingt, mit Schloessmann als Neuritis bezeichnen, 
wenn man darunter die Gesamtheit der von dem Schuss gesetzten 
Veränderungen Im Nerven versteht, auch solche, die sogleich bei der 
Verletzung entstehen — mikroskopische und ultramikroskopische Zer- 
reissungen, feinste Blutaustritte —, also Dinge, die wir nicht eigentlich 
als entzündlich anzusehen gewohnt sind. Auch muss man sich darüber 
klar sein, dass die Schussneuritis nicht wie eine Neuritis migrans 
stetig fortschreitet, sondern vielmehr auf das primär vom Schuss ge¬ 
schädigte Gebiet beschränkt bleibt. 

Wir zögerten nicht, die Konsequenz aus den Schloessmann- 
schen Feststellungen zu ziehen. Es sei hier nur an zwei Patienten 


0 Nach einem am 28. X. 18 im Med.-Naturw. Verein Tübingen 
gehaltenen Vortrag. 

*) Schloessmann; Der Nervenschussschmerz. Springer, 
Berlin 1917 u. Zschr. f. d. ges. Neurologie u. Psych. Orlg.-Bd. 35. 
s ) Vergl. M.m.W. 1917 S. 920. 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4T 


1 3(kS 



erinnert, -die am 15. I. 17 dem Med.-Naturw. Verein Tübingen vorge¬ 
stellt wurden. An unerträglichen Schussschmerzen im Ischiadikus- 
gebiet leidend, waren sie unter der falschen Diagnose der Hysterie 
viele Monate von einem Lazarett zum anderen geschoben und wur¬ 
den dann durch Resektion der erkrankten Partie des Ischiadikus völlig 
von Schmerz befreit. Zu dem Opfer, das mit der Resektion eines 
grossen Nervenstammes verbunden ist, berechtigt die Schwere des 
Leidens. Aber es fragt sich, ob es wirklich notwendig ist, die etwa 
noch vorhandene Funktion zu opfern oder bei bestehender Lähmung 
die Hoffnung auf Regeneration für immer zu vernichten! Mein Assi¬ 
stent, Herr Dr. H a r t e r t, machte deshalb den Vorschlag, den Nerven 
nicht zu resezieren, sondern ihn nur zentralwärts von dem ge¬ 
schädigten Gebiete zu durchschneiden und dann exakt zu vernähen. 
Der unmittelbare Effekt muss der gleiche sein wie der der Resektion 
und es ist denkbar, dass in der Zwischenzeit bis zur Regeneration 
die Neuritis ausheilt, der Schmerz also für die Dauer beseitigt bleibt. 

Es lag nach dem allem für mich sehr nahe, als Herr Tren- 
delenburg mich mit seiner Durchfrierungsmethode zur reizlosen 
vorübergehenden Ausschaltung von Nerven bekannt machte, dieses 
Verfahren für die Behandlung der Schussneuritis auszunutzen. Bisher 
wurde in der Tübinger Klinik in 8 Fällen von Schussneuritis der 
Nerv zentralwärts von dem Krankheitsherd nach Trendelenburg 
unterbrochen. In 5 Fällen wurde der N. medianus, einmal der N. ul- 
naris, einmal der Medianus und Ulnaris und einmal der Tibialisanteil 
des Ischiadikus ausgeschaltet. 

In der Technik folgten wir den Angaben Trendelen¬ 
bur gs. 

Das Trendelenbur gsche Vereisungsröhrchen (Fig. 1) hat 
an einem Ende eine hakenförmige Biegung, in welche der Nerv zu 

liegen kommt. Wie ein 
doppelläufiger Katheter 
hat das Röhrchen im 
Innern 2 Wege, deren 
oberer, an der Biegung 
innen gelegener mit einer 
trichterförmigen Erwei¬ 
terung beginnt, während 
der andere mit einem 
Schlauchansatz endet. In 
den Trichter wird Ae- 
thylchlorid eingespritzt, 
der Schlauchansatz mit 
einer Wasserstrahl¬ 
pumpe verbunden. Das 
so durchgesaugte Aethylchlorid entwickelt eine intensive Ver¬ 
dunstungskälte und vereist den Nerven, ohne ihn doch direkt 
zu berühren. Die Wundumgebung wird mit unter gepolsterten Kom¬ 
pressen vor der Kälte geschützt. Die hakenförmige Umbiegung wird 
nach Einlegen des Nerven durch einen Metallklotz zu einem Ringe 
geschlossen, damit die Kälte auf den ganzen Umfang des Nerven 
gleichmässig einwirkt. 

Nach unseren bisherigen Erfahrungen halten wir es für not¬ 
wendig, Nerven von der Stärke des Medianus nach eingetretener Ver¬ 
eisung, welche sich durch Reifbildung auf dem Nerven kundgibt, 
mindestens 2 Minuten durchfroren zu halten und diese Vereisung 
zweimal zu wiederholen. Bei allen Operationen wurde konstatiert, 
dass die motorische Reaktion für den zentral von der Vereisungsstelle 
mit bipolarer Elektrode angewendeten faradischen Reiz nach der 
Durchfrierung völlig verschwunden war. Im peripheren Gebiete, 
und zwar genau von der Stelle, wo das Vereisungsröhrchen angelegt 
war, nach abwärts blieb die motorische Reaktion zunächst noch er¬ 
halten, um erst nach der Operation bei dem gesetzesmässigen Ein¬ 
tritt der Degeneration zu verschwinden. 

In 5 von den 8 Fällen wurde der Schmerz durch 
die Operation völlig (einmal nahezu völlig) und für 
die Dauer beseitigt. Schon beim Aufwachen aus der Narkose 
fühlten sich die Patienten befreit. Leichte Parästhesien, die in den 
ersten Tagen beobachtet wurden, verloren sich schnell. In dem Ge¬ 
biete des ausgeschalteten Nerven wurde in diesen 5 Fällen nach der 
Operation eine völlige motorische und sensible Lähmung konstatiert. 

Das Bild, das die Patienten darboten, war durch die Operation 
mit einem Schlage völlig verändert. Vorder Operation lagen 
sie meistens wimmernd im Bett, das schmerzende Glied mit einem 
feuchten Tuche eingehüllt. Bei jedem Geräusch, bei jeder Berührung 
zuckten sie unter Schmerzäusserungen zusammen. Jede Bewegung 
wurde wegen der damit verbundenen Schmerzen ängstlich ver¬ 
mieden. Musste die Hand notgedrungen bewegt werden, so trat 
Zittern in dem Glied auf, das sich oft über weite Körperabschnitte 
fortsetzte. — Nach der Ausschaltung des Nerven war eine 
wohltätige Ruhe über die Patienten gekommen, das Zittern war ver¬ 
schwunden, das schmerzhafte Zusammenzucken wurde nicht mehr be¬ 
obachtet. Die Bewegungen waren, abgesehen von dem Ausfall durch 
die umschriebene Lähmung, wieder frei. Der zufriedene Gesichts¬ 
ausdruck bezeugte auf den ersten Blick den Erfolg der Operation. 
Auch schwere psychische Veränderungen, die einer unserer Patienten 
darbot, Aufregungs- und Angstzustände sowie quälende nächtliche 
Träume, Zustände, die an das Psychotische grenzten, waren durch 
die Operation mit einem Schlage beseitigt. 

Wie steht es nun um die Regeneration des vereisten 
Nerven? 2 Fälle, ln denen der N. medianus unterbrochen war, wur- 


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den nach längerer Zeit von Prof. Schloessmann nachuntersucht. 
Bei beiden war 6 Monate nach der Vereisung des Nerven die erste 
Beugebewegung von Daumen- und Zeigefingerendglied wieder be¬ 
merkt worden, dann hatte sich die Beweglichkeit allmählich ge- 
kräftigt. Einer der beiden Leute arbeitete 1 Jahr nach der Operation 
mit nur noch wenig geschwächter Hand auf einem Holzplatz. Bei 
diesem ergab die Untersuchung 13 Monate nach der Operation auf 
galvanischen und faradischen Reiz direkt und indirekt volle Reaktion, 
während bei dem anderen Patienten 8A Monate nach der Operation 
noch unvollständige Entartungsreaktion bestand. Die Anästhesie in 
dem gelähmten Gebiete begann 7 Monate p. o. sich zurückzubilden. 
Zur Zeit der Nachuntersuchung bestand bei beiden Patienten noch 
Hypästhesie im Medianusgebiet, aber nirgends mehr völlige An¬ 
ästhesie. 

Die vollkommene Regeneration auf dem motorischen Gebiete 
steht «in Uebereinstimmung mit den Tierversuchen Trendelen¬ 
bur gs. Dass bei Unterbrechung des Medianus am Oberarm die 
Regeneration eine Zeit von 6 Monaten beansprucht, trotzdem die 
Kontinuität aller Nervenfasern erhalten bleibt, ist ein neuer Hinweis 
darauf, dass es eine Prima intentio nervorum nach der Naht des 
Nerven nicht geben kann und dass die klinischen Beobachtungen 
von unmittelbarer Wiederkehr der Funktion der genähten Nerven 
auf Täuschung beruhen. Von grösster Bedeutung ist die Tatsache, 
dass trotz der Rückkehr der Sensibilität, die allerdings bis jetzt 
noch keine ganz vollkommene war, der neuritische Schmerz vöHig 
verschwunden geblieben ist. 

Diesen hocherfreulichen Erfolgen stehen 3 Misserfolge gegen¬ 
über. Entweder —in 2 Fällen — war der Schmerz schon am Abend 
des Operationstages wieder vorhanden oder er entwickelte sich Im 
Verlauf von 14 Tagen wieder zur ursprünglichen Heftigkeit. Einer 
dieser Fälle wurde durch nachträgliche Resektion des Nerven, ein 
zweiter durch eine Alkoholeinspritzung in höher oben gelegenen Ge¬ 
bieten noch nachträglich zur Heilung gebracht. 

Die Misserfolge erscheinen für die Zukunft ver¬ 
meidbar, denn die genaue Analyse der Fälle und die von Herrn 
Prof. S p i e 1 m a y e r - München gütigst ausgeführte mikroskopische 
Untersuchung in dem nachträglich resezierten Falle ergab als Ur¬ 
sache des Misslingens zwei verschiedene Momente: 

1. Es war die Unterbrechung nicht hoch genug erfolgt. 
Wenn sich noch oberhalb der vereisten Partie neuritische Verände¬ 
rungen finden — und das wurde von Spielmayer für einen 
unserer Fälle nachgewiesen —, so kann natürlich nicht erwartet wer¬ 
den, dass der Schmerz verschwindet. 

2. Dass die Unterbrechung der Leitung durch die Vereisung 

nicht vollständig gelungen war, erschien zunächst kaum wahr¬ 
scheinlich, da die faradische Reizung des Nerven oberhalb der Rei- 
zungsstelle auch nach Wiederauftauen der durchfrorenen Partie 
keinerlei Muskelzuckung mehr erzeugte. Und doch wurde der Be¬ 
weis für die Unvollständigkeit der Leitungsunterbrechung dadurch er¬ 
bracht, dass Inseln erhalten gebliebener Sensibilität in dem motorisch 
völlig gelälmten Medianusgebiete nachweisbar waren und dass bei 
der späteren Untersuchung des resezierten Nervenstückes Spiel¬ 
mayer zwischen den degenerierten Nervenfasern einige wenige 
Fasern fand, die peripher von der Stelle der Unterbrechung ihre 
Markscheiden behalten hatten. Die Vereisung war also bei der in 
dem betreffenden Falle angewendeten Dauer — 6 mal hintereinander 
A —1 Minute — zwar ausreichend gewesen, die motorischen, nicht 
aber alle sensiblen Kabel zu unterbrechen. Wir müssen hiernach 
für richtig halten, dass die Durchfrierung für eine längere Zeit unter¬ 
halten wird. Die zweimal hintereinander vollzogene Vereisung für 
je 2 Minuten Dauer hat sich uns am Medianus und an dem Tibialis¬ 
anteil des Ischiadikus als genügend erwiesen, doch wird die Frage, 
bei welcher Dauer die Gefrierung am sichersten zu einer völligen 
Leitungsunterbrechung führt, noch weiterer Feststellung bedürfen. 
Da Trendelenburg sich von wiederholtem Einfrierenlassen und 
Wiederauf tauen eine besonders intensive Wirkung versprach, so 
haben wir eine einmalige, ohne Unterbrechung länger dauernde Ver¬ 
eisung noch nicht angewendet. • 

Auf die Interessante Tatsache, dass die Unterbrechung der Sensi¬ 
bilität bei gleicher Schädigung des Nervenquerschnittes weniger leicht 
und weniger vollkommen erfolgt als die der Motilität eine Tatsache, 
die auch von anderen klinischen Erfahrungen her bekannt und von 
mir besonders bei den Kommotionslähmungen des Nerven durch Fern¬ 
schädigung 4 ) beobachtet worden ist, kann hier nicht näher einge¬ 
gangen werden. Jedenfalls dürfen wir aber auch nach unseren 
klinischen Erfahrungen in der Trende 1 enburgsehen Vereisung, 
wenn sie genügend hoch am Nerven angewendet und genügend lange 
unterhalten wird, ein sicheres Mittel sehen, um den neuritisch ver¬ 
änderten Nerven auszuschalten und damit den Schmerzzustand 
zu beseitigen, ohne dass der Nerv für die Dauer geschädigt wird. 

Als Konkurrentin der Trendelenburg sehen Methode kommt 
die Alkoholeinspritzung in Frage, die uns für die Behandlung der 
Trigeminusneuralgie von Schloesser bekanntgegeben ist. Auch 
sie unterbricht die Nervenleitung vollkommen und hebt die Möglich¬ 
keit der Regeneration des Nerven nicht auf. Es ergibt sich das 
aus der Tatsache, dass nach der Alkoholeinspritrung auf die peri- 


4 ) Perthes: Ueber Fernschädigungen peripherischer Nerven 
durch Schuss und über die sog. Kommotionslähfmingen. D.m.W. 
1916 S. 842. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



3. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1369 


pheren Aeste des Trigeminus in der Regel unter Rückkehr der 
Sensibilität ein Rezidiv der Neuralgie nicht ausbleibt. Auch konnte 
ich eine ähnlich beweisende Beobachtung am N. facialis machen. 
Bei der Behandlung einer habituellen Subluxation des Kiefergelenks 
mit Injektion von 1—2 ccm 70proz. Alkohol hatte ich das Unglück, 
dass der Alkohol sich bis auf den Fazialis ausbreitete und dessen 
völlige Lähmung erzeugte. Die Wiederkehr der Funktion begann im 
4. Monat und war nach 3 weiteren Monaten vollständig erfolgt. 
Wenn hiernach an der Möglichkeit der Regeneration nach Alkohol¬ 
einspritzung auch nicht gezweifelt werden kann, so sind doch die 
Aussichten auf vollkommene Wiederkehr bei der Trendelen¬ 
burg sehen Vereisung sicher viel günstiger, denn die Dutchfrierung 
unterbricht, wie anatomische Befunde lehren, die Nervenleitung viel 
reizloser und schonender als der Alkohol, der zu einer mächtigen 
Entwicklung von Bindegewebsschwielen führt. 

Wir haben die Vereisung nur in Fällen in Anwendung gebracht, 
in denen es sich um schwere Schmerzzustände handelte, welche 
die Dienstfähigkeit und Arbeitsfähigkeit dpr Verletzten aufhoben. In 
erster Linie kommt die Methode in Betracht, wenn d-ie Neurolyse 
erfolglos geblieben ist. Zu ihrer primären Anwendung ohne vor¬ 
herigen Versuch mit der Neurolyse wird man sich dann entschliessen, 
wenn bei der Freilegung des schmerzbefallenen Nerven der makro¬ 
skopische Befund sehr gering ist, wenn Verwachsungen des Nerven 
mit der Umgebung oder narbige Veränderungen im Innern des Nerven 
sich nicht vorfinden. Bei solchem Befunde, wie wir ihn bei den 
Fernschädigungen der Nerven in der Regel erhalten, können wir 
weder von der Auslösung des Nerven aus der Umgebung noch von 
seiner Aufspaltung Erfolg erwarten und werden daher, wenn es sich 
darum handelt, einen schweren Schmerzzustand zu beheben, in der 
Methode der Vereisung ein sehr dankenswertes Mittel sehen müssen. 


Aus dem physiologischen Institute zu Marburg. 

lieber Geruchsstörungen nach Katarrhen der Nasenhöhle. 

(Zur Theorie des Geruchssinnes.) 

Von F. B. Hofmann. 


Im Februar 1916 verlor ich im Gefolge eines heftigen Katarrhs 
mit blutlgeitrigem Sekret der Nasenschleimhaut meinen Geruch an¬ 
fänglich fast vollständig. Als ich Ende März 1916 eine umfassende 
Prüfung der letzten Reste desselben vornahm, fand sich noch eine 
ziemlich starke Geruchsempfindung vom Pyridin, eine etwas schwä¬ 
chere vom Kollidin, eine ganz schwache vom Azeton. Bei Ammoniak 
war neben dem Stechen noch ein schwacher Geruch vorhanden, und 
einen ganz ähnlichen Geruch besass auch das Triäthylamin. Amyl¬ 
alkohol und Kreosot rochen nur beim ersten Schnüffeln ganz schwach 
und unbestimmt, beim wiederholten Riechen verlor sich, der Geruch 
äusserst rasch. Das ist eine Erscheinung, die auch sonst bei Schä¬ 
digungen des Geruchs nach Katarrhen häufig beobachtet wird. An¬ 
scheinend normal war bloss der Geruch von Moschus. Sonst konnte 
ich auch von stark riechenden Substanzen keinerlei Geruch wahr¬ 
nehmen. Im Laufe der nächsten Wochen und Monate besserte sich 
mein Geruchsvermögen anfangs sehr rasch, später zunehmend lang¬ 
samer. Die Gerüche, die ich oben anführte, wurden dabei immer 
•deutlicher und stärker, und die Zahl der riechenden Substanzen nahm 
zu. Heute erhalte ich von den weitaus meisten riechenden Sub¬ 
stanzen eine deutliche Geruchsempfindung. Dass der anfängliche Aus¬ 
fall der Gerüche ein partieller Defekt war und nicht etwa auf einer 
gleichmässigen Herabsetzung der Geruchsempfindlichkeit für 
alle Substanzen beruhte, wobei nur die schwächer riechenden ganz 
ausgefallen wären, ging am besten daraus hervor, dass ich gegen 
Ende April 1916 Pyridin im Zwaardemak ersehen Olfakto¬ 
meter noch in grosser Verdünnung roch, während ich vom Merkaptan, 
das für den Normalen schon in viel grösserer Verdünnung eine Ge¬ 
ruchsempfindung vermittelt wie Pyridin, absolut gar keinen Geruch 
wahrnahm. Aehnliche Beobachtungen über partielle Geruchsdefekte 
liegen bereits vor, und man hat aus solchen Erfahrungen geschlossen, 
dass es wohl für jede Geruchsqualität eine besondere Art von Nerven¬ 
fasern geben müsse. Neu und in diesem Umfange noch nicht be¬ 
kannt war, aber bei mir, dass ich die Gerüche, als sie wiederkamen, 
bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht mehr in ihrem früheren Cha¬ 
rakter, sondern meist gänzlich verändert wahrnahm. Ich musste 
daher bei den meisten Gerüchen, auch solchen des täglichen Lebens, 
wenn ich etwas roch, immer erst meine Umgebung fragen, was das 
„in Wirklichkeit“ für ein Geruch sei. Eine der eben erwähnten Aus¬ 
nahmen bestand im Moschusgeruch, der anfangs seinen normalen Cha¬ 
rakter beibehalten hatte. Infolge eines späteren Katarrhs wandelte 
er sich allerdings nachträglich in einen etwas dumpferen, aber dem 
richtigen Moschusgeruch noch sehr ähnlichen Geruch um. den ich im 
unwissentlichen Versuch leicht wiedererkenne. Dann tauchte der 
Vanillingeruch, als er später wiederkam, wieder mit seinem normalen 
„richtigen“ Geruch auf und blieb bis heute unverändert normal. Er 
wurde nur allmählich immer stärker. Anscheinend normal ist auch 
der Resedageruch. Ferner näherten sich in der letzten Zeit auch 
noch einige andere Gerüche (Maiglöckchen, Veilchen, mancher Rosen) 
wenigstens einigermassen den normalen. Im übrigen aber bewegte 
ich mich in der ganzen Zeit in einer Welt von mir durchaus neuen, 
fremden Gerüchen, die ich erst ganz allmählich kennen und bis zu 


einem gewissen Grade 

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inander zu unterscheiden lernte. 


voneinander zu ui 

Googl 


Dabei ergaben sich gewisse Gruppen von solchen Gerüchen, die 
einander sehr ähnlich und sehr schwer voneinander zu unterscheiden 
waren, und zw ar war der zeitliche Verlauf dieser Erscheinung der, dass 
die Gerüche einer Gruppe im Beginn, als das Geruchsvermögen noch 
sehr herabgesetzt war, einander am ähnlichsten waren. Später, als 
die Gerüche immer stärker wurden, wurden auoh die Unterschiede 
innerhalb einer Gruppe immer deutlicher. So konnte ich anfangs 
Benzol, Toluol und Xylol nicht voneinander unterscheiden, jetzt ist 
der Geruch dieser drei Substanzen deutlich voneinander verschieden. 
Eine weitere Gruppe von ähnlich riechenden Substanzen sind Nitro¬ 
benzol, Benzaldehyd (die aber beide keine Spur von Bittermandel¬ 
geruch besitzen), Naphthalin und Jodoform, die icit auch jetzt noch 
zum Teil schwer voneinander zu unterscheiden vermag. Innerhalb 
einer dritten Gruppe, zu der als Hauptvertreter Zitral, Geraniol, 
Oktylalkohol und kapronsaures Aethyl gehören, merke ich jetzt einige 
deutliche Unterschiede, die anfangs fehlten. Ebenso steht es mit dem 
Veilchen-(Ionon-)Geruch, der noch im vorigen Jahre dem Geruch von 
Teerosen und dem beizenden Geruch von Zigarren zum Verwechseln 
ähnlich war, der aber jetzt zu dem früheren „Beizgeruch“ ganz deut¬ 
lich noch' eine wohlriechende Komponente hinzuerhalten hat, so dass 
er jetzt dem normalen Veilchengeruch sehr ähnlich geworden ist. 
Ein ganz analoges Hinzukommen einer neuen Komponente habe ich 
auch beim Pyridingeruch beobachten und einigermassen quantitativ 
verfolgen können. 

Der Schluss, der insbesondere aus dem Verhalten des Ionon- und 
Pyridingeruches bei mir gezogen werden muss, ist der, dass in dem 
Geruch chemisch einheitlicher Substanzen mehrere einzelne Geruchs¬ 
komponenten zu einer Einheit verschmolzen sind- Der Geruch 
chemisch einheitlicher Substanzen wäre also, wenn wir den Gehör¬ 
sinn zum Vergleich heranzuzieben, etwa einem Klang, nicht aber einem 
einzelnen Ton zu vergleichen. Dementsprechend ist es nun sehr 
wahrscheinlich, dass durch eine chemische Substanz eine ganze 
Gruppe von Nervenfasern gereizt wird, die bei ihrer isolierten Rei¬ 
zung verschiedene Einzelgerüche auszulösen vermögen. Diese An¬ 
nahme erklärt zunächst in befriedigender Weise meine Beob¬ 
achtungen. Wenn nämlich aus einer Gruppe von Nervenfasern, die 
durch eine bestimmte chemische Substanz gereizt werden, einige aus- 
fallen, so fehlen deren Komponenten im Gesamtgeruch der Substanz, 
und dieser muss dann in seinem Charakter verändert sein. Wir 
können auf diesem Wege aber auch eine Reihe von Erscheinungen 
am normalen Geruchsinn verständlich machen, so vor allem die Tat¬ 
sache, dass es eine Anzahl von Substanzen gibt, deren Gerüche 
einander zwar sehr ähnlich sind, aber doch durch ein geübtes Ge¬ 
ruchsorgan noch voneinander unterschieden werden können — offen¬ 
bar deswegen, weil die Gruppe der gereizten Nervenfasern bei jeder 
dieser Substanzen etwas anders zusammengesetzt ist — und anderes 
mehr. 

Abgesehen von dem theoretischen Interesse, das meine Beob¬ 
achtungen besitzen, kommt ihnen aber wegen der Wichtigkeit des 
Geruchs für die Schmackhaftigkeit von Speisen auch eine nicht uner¬ 
hebliche praktische Bedeutung zu. Es gab noch im vorigen Jahre für 
mich eine Anzahl von Stoffen, die dem Normalen (auch mir früher) 
äusserst angenehm schmecken, während sie mir nunmehr den Wohl¬ 
geschmack der Speisen völlig verdarben: so Senf,Anchovis,Sardinen, 
Zitronen und Orangen. Nun kannte ich den „wirklichen“ Geschmack 
dieser Dinge von früher her und konnte mich daher über meinen 
erworbenen „schlechten“ Geschmack mit meiner Umgebung ver¬ 
ständigen, wenn ich auch freilich niemandem begreiflich machen 
konnte, wie mir die Sachen tatsächlich schmecken. Man denke sich 
aber den Fall, der gewiss auch vorkommt, dass ein solcher Defekt 
angeboren ist. Dann hört natürlich, da niemand an diese Möglich¬ 
keit denkt, jedes Verständnis dafür auf, warum ein Kind gewisse, 
anderen wohlschmeckende Sachen nicht essen will, und man spricht 
von Idiosynkrasie oder gar von Hysterie. In diese Verhältnisse 
Hesse sich Klarheit bringen, wenn solche auffallende Besonder¬ 
heiten mehr berücksichtigt und genauer untersucht würden. 

Zufällig kann ich jetzt schon über einen zweiten, dem meinigen 
ganz analogen Fall berichten. Herr Kollege Ernst Schmidt, der 
bekannte Marburger pharmazeutische Chemiker, teilte mir mit, dass 
er vor nunmehr 5 Jahren nach einem starken Katarrh ebenfalls sein 
Geruchsvermögen zunächst ganz eingebüsst hatte. Im Laufe des auf 
die Erkrankung folgenden Jahres kehrte es teilweise wieder. Es fiel 
ihm aber auf, dass die Gerüche nicht mehr die normalen waren, 
so dass er, dessen Geruchsorgan vorher sehr empfindlich und im 
Erkennen von chemischen Substanzen vorzüglich geschult war, nun¬ 
mehr, wenn er einen Geruch wahrnahm, immer erst fragen musste, 
was das sei. Insbesondere riechen ihm Schwefelwasserstoff und 
Leuchtgas ausserordentlich ähnlich, beide fremd und etwas lauch¬ 
artig. Die eingehendere Untersuchung seines Geruchsinnes, in die er 
freundlichst einwilligte, ergab nun, dass ihm eine ganze Reihe von 
Riechstoffen gar keine Geruchsempfindung mehr vermittelte. Dar¬ 
unter befinden sich so stark riechende Stoffe, wie Merkaptan, Ionon, 
Jodoform. Bei jenen Riechstoffen, die bei ihm noch eine Geruchs¬ 
empfindung auslösen, ist die Empfindlichkeit sehr stark herabgesetzt. 
Den charakteristischen normalen Geruch erhält er — allerdings nur 
schwach — bloss vom Vanillin und allenfalls vom Menthol, das nach 
Minze riecht. Alle anderen untersuchten Substanzen vermitteln ihm 
vom Normalen weit abweichende Gerüche. Dabei sind manche unter 
ihnen einander so ähnlich, dass sie kaum unterschieden werden 
können, so z. B. der Geruch des Aethyl-, Propyl-, Butyl- und Amyl- 

1 * 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1370 


MUfiNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 49. 


alkohols. Im ganzen ergab die Untersuchung, dass sich der Geruchs¬ 
sinn von Herrn Kollegen Schm.idt im Prinzip jetzt uaueind ebenso 
verhält wie mein eigener etwa 4r- 5 Monate nach der Erkrankung, 
ln Einzelheiten bestehen allerdings mancherlei Verschiedenheiten, was 
aber nach meiner oben angeführten theoretischen Annahme leicht be¬ 
greiflich ist. Es sind eben bei einem jeden von uns aus der ganzen 
(iesamtklaviatur eine Anzahl von Tasten ausgefallen, aber bei jedem 
etwas andere, nicht genau die gleichen. 

Wahrscheinlich werden sich derartige Fälle, sobald einmal die 
Aufmerksamkeit auf sie gelenkt ist, in grösserer Zahl finden, und des¬ 
halb wünschte ich auf diese Störungen nachdrücklich hinzu weisen. 
Für die Prognose ist es wichtig zu wissen, dass sich sogar ein 
so weitgehender Defekt, wie er anfänglich bei mir vorlag, im Laufe 
der Zeit hochgradig bessern kann. Die Besserung erfolgte bei mir 
wie bei Herrn Kollegen Schmidt hauptsächlich im ersten Jahre 
nach der Erkrankung, doch fand bei mir sicher auch noch im zweiten 
Jahre ein leichter Fortschritt statt. 

, Die ausführliche Mitteilung der Befunde samt Literatur und den 
theoretischen Folgerungen, die ich hier nur zum Teil andeuten konnte, 
wird in der Zeitschrift für Biologie nachfolgen. 


Ueber die sog. sympathische Reizung*). 

Von Prof. A. Peters, Geh. Med.-Rat und Direktor der 
Univ.-Augenklmik in Rostoc*. 

Schon seit mehr als 3 Jahren habe ich die Bearbeitung der 
sympathischen Augenerkrankung für die 3. Auflage des Handbuches 
von Sämisch-Elschnig-Axenfeld fertiggestellt. Da sie 
während der Kriegszeit nicht gedruckt worden ist, und es auch durch¬ 
aus unsicher ist, wann sie endlich erscheinen kann, so sehe ich mich 
veranlasst, schon heute aus dieser Bearbeitung ein Kapitel herauszu¬ 
greifen, welches im Laufe der letzten Jahrzehnte eine wesentliche 
Umgestaltung erfahren hat. Ich sehe mich um so mehr dazu ver¬ 
anlasst, als ich kürzlich einen einschlägigen Fall zu begutachten hatte, 
welcher mir von neuem vor Augen führte- dass über die sog. sym¬ 
pathische Reizung selbst in augenärztlichen Kreisen noch Anschau¬ 
ungen herrschen, welche m. E. als vollständig veraltet angesehen wer¬ 
den müssen. 

Der Fall, um den es sich handelt, war kurz folgender: Ein an¬ 
geblich kriegsbeschädigter Soldat wird zur Prüfung einer Sehstörung 
mir von der Versorgungsabteilung des stellvertretenden General¬ 
kommandos überwiesen. Er hat eine Granatexplosion durch gemacht 
und will seit dieser Zeit auf dem linken Auge erheblich schlechter 
sehen, während das rechte Auge schon früher etwas schlechter ge¬ 
sehen habe, weil es im Jahre 1913 eine Verletzung erlitten hat. 

Die Untersuchung ergibt nun folgendes: Der Mann geht mit vor¬ 
gehaltenem Stock, tastet damit umher, wie man es bei Blinden zu 
sehen gewohnt ist. Die Stirn wird stark gerunzelt. Vor dem rech¬ 
ten Auge wird eine Zelluloidklappe getragen. Als der Pat. in der 
Poliklinik sass, sah er teilnahmslos vor sich hin. Beide Augen sind 
äusserlich absolut reizlos. Beide Supraorbitales, besonders der 
rechte, auf Druck ausserordentlich empfindlich. Beiderseits normale 
Tension. Auf dem rechten Auge besteht Aphakie mit Nachstarresten. 
Durch eine Lücke ist der Augenhintergrund deutlich erkennbar. Mit 
Starglas wird eipe Sehschärfe von •/m erzielt, die erheblich höher 
wäre, wenn nicht hn Pupillargebiet einige flottierende Massen im 
Glaskörper vorhanden wären. 

Am linken Auge besteht myopische Refraktion. In der Nähe 
der Papille eine Strecke weit eine etwas hellere Verfärbung der 
Netzhaut, ohne dass eine Herderkrankung vorliegt; während anfangs 
nur Finger in 2% m Entfernung gezählt werden, wird später mit 
— 4,0 D. eine Sehschärfe von 5 / 2 « erzielt. Zentrale Skotome und wesent¬ 
liche Einengungen des Gesichtsfeldes bestehen nicht. Prüft man nun 
den Pat. bei abwärts gerichtetem Blick an der Lupe, und lenkt seine 
Aufmerksamkeit auf die Augenuntersuchung und palpiert .dann den 
Supraorbitalis, so werden die Augen nicht mehr wie sonst zu¬ 
sammengekniffen, und dementsprechend ergibt die Untersuchung in 
der Nervenklinik, dass es sich um hysterische Uebertreibung neur- 
asthenischer Beschwerden handelt, und dass die Supraorbitalneur¬ 
algie zu geringfügig sei, um eine Behandlung zu erfordern. 

Später wird festgestellt dass der Mann in der Nähe Nd. Nr. I, 
also feinste Druckschrift bei grosser Annäherung liest, und damit 
ist auch der letzte Zweifel geschwunden, dass sich hier im Bereiche 
des Augenhintergrundes keine Veränderung vorfindet, welche man 
etwa als Ursache der herabgesetzten Sehschärfe betrachten könnte. 
Ferner wurde festgestellt, dass der Mann in einer Munitionsfabrik 
arbeitet und hohen Lohn verdient. 

Es handelt sich somit am rechten aphakischen Auge um eine 
Sehschärfe, welche durchaus dem objektiven Befund entspricht, wäh¬ 
rend es links zweifelhaft bleiben muss, ob hier von Hause aus eine 
herabgesetzte Sehschärfe besteht, oder ob hier eine hysterische 
Amblyopie vorliegt. Anhaltspunkte für eine organische Veränderung 
sind nicht vorhanden. Das auslösende Moment für die Beschwerden 
sind bei dem Mar.n unzweifelhaft die üblichen, von einer Supraorbi¬ 
talneuralgie herrührenden Beschwerden, welche in leichter Licht- 


*) Vortrag, gehalten in der Naturforschenden Gesellschaft zu 
Rostock am 18. ApriLl$18. 

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scheu, resp. Blendungsschmerz und Mangel an Ausdauer bei der 
Nahearbeit und gelegentlich auftretenden Kopfschmerzen bestehen. 

Für diese Uebertreibungen kann der Mann nicht verantwortlich 
gemacht werden, denn es ist ihm vor einem Jahr, als er aus dem 
Felde zurückkam, von 2 namhaften Augenärzten geraten worden, sich 
das rechte Auge entfernen zu lassen, damit der Reizzustand auf dem 
linken zum Verschwinden gebracht würde. Man darf sich nicht wun¬ 
dern, dass dadurch die Beschwerden, die von Hause aus vorhanden 
waren, viel hartnäckiger und intensiver wurden. Wer unter dem 
Eindruck steht, dass ein früher durch Verletzung geschädigtes Auge 
ständig Beschwerden auf dem andern Auge unterhalten kann, und 
sieb sciilie'sshch genötigt sieht, das eine Auge entiernen zu lassen, um 
das andere Auge wieder zu besserer Leistungsfähigkeit zu bringen, 
befindet sich wohl in keiner besonders angenehmen Lage, und so ist 
das Zustandekommen dieses schweren Krankheitsbildes psychologisch 
wohl verständlich. 

Die beiden Augenärzte, die diesen Rat gegeben haben, stehen 
durchaus unter dem Banne der früheren Anschauung, dass eine Rei¬ 
zung auf dem anderen Auge von einem verletzten Auge aus unter¬ 
halten und durch Entfernung des verletzten Auges zum Verschwinden 
gebracht werden kann, und sie gehen in Konsequenz dieser Anschau¬ 
ung so weit, dass sie ein aphakisches Auge, welches 6 /a« Sehschärfe 
hat, entfernen wollen, um das andere Auge von den Beschwerden 
zu befreien. 

Hier liegt zunächst der erste Fehler. Handelt es sich auf dem 
2. Auge nicht um eine sog. sympathische Reizung, sondern um eine 
sympathische Entzündung, so besteht wohl heute unter den Oph¬ 
thalmologen weitgehende Uebereinstimmung darin, dass, solange die 
Hoffnung besteht, auf dem verletzten Auge etwas Sehvermögen er¬ 
halten zu können, es nicht entfernt werden darf, weil es später 
unter Umständen mehr sieht, als das sympathisch erkrankte Auge, 
welches an der Erkrankung vollständig zugrunde gehen kann. Einen 
charakteristischen Fall dieser Art hat vor Jahren Bräutigam [l] 
aus der hiesigen Klinik beschrieben. Scheut man sich also, ein sehen¬ 
des Auge zu entfernen, um, wie dieses auf Grund zahlreicher Er¬ 
fahrungen angenommen wird, die Entzündung des zweiten Auges 
günstig zu beeinflussen, dann muss bei einer rein funktionellen Stö¬ 
rung, wie sie die sympathische Reizung darstellt, eine noch viel 
grössere Zurückhaltung am Platze sein. 

Die Sache liegt aber noch ganz anders, insofern, als ich die 
Selbständigkeit des Krankheitsbildes einer sympathischen Reizung, 
für welche ich den Ausdruck der „Mitreizung des anderen Auges“ in 
Vorschlag bringen möchte, überhaupt nicht mehr anerkennen kann. 

Die Bearbeitung, welche im Jahre 1899 Schirmer \2\ den 
sympathischen Augenerkrankungen angedeihen Hess, geht von der 
zutreffenden Voraussetzung aus, dass zwischen der sympathischen 
Reizung und der sympathischen Entzündung ein grundlegender Unter¬ 
schied besteht, insofern, als die Reizung niemals die Vorstufe der 
Entzündung sein kann. Wohl kann nach Schirmer die Reizung 
im Sinne der Sch midt-Rimpler sehen Ziliarnerventheorie den 
Boden vorbereiten für die Ansiedlung des hypothetischen Erregers 
der sympathischen Ophthalmie, immer aber muss betont werden, dass 
die Reizung etwasr von der Entzündung wesensverschiedenes ist, und 
dass die eine sogar meistens ohne die andere vorkommt. 

In jener Bearbeitung hatte Schirmer die Behauptung aui- 
gestellt,, dass die sympathische Reizung in allen zentrifugalen und 
allen zentripetalen Nerven des Auges ihren Sitz haben könne. Diese 
Frage habe ich in meiner schon erwähntven Bearbeitung eingehend ge¬ 
prüft, und bin zu dem Resultat gekommen, dass die von Schirmer 
entwickelten Anschauungen heute nicht mehr zutreffen. 

Fragen wir uns zunächst, wodurch wird die Mitreizung des 
2. Auges ausgelöst, so besteht Uebereinstimmung darin, dass die im 
Bereiche des zweiten Auges zutage tretenden Erscheinungen einen 
Reizzustand des ersten Auges zur Voraussetzung haben. Diese Rei¬ 
zung im Bereiche des ersten Auges soll intermittierend auftreten. 
Die als Beispiel hierfür angeführten beiden Fälle von Mooren [3] 
und von Schirmer [4] sind m. E. typische Beisnjele von Hysterie 
und haben mit sympathischer Reizung gar nichts zu tun. 

Weiterhin findet sich in der Literatur eine Reihe von Fällen, 
wo schlechtsitzende künstliche Augen, Narbenstränge in der Orbita. 
Kugeln, die der Prothese einen besseren Sitz verleihen sollten, eine 
Reizung des anderen Auges ausgelöst haben sollen. Für alle diese 
Fälle ist die Tatsache hervorzuheben, dass sie ans einer Zeit stam¬ 
men, wo man sich über das Wesen und das Vorkommen der Hysterie 
noch durchaus im Unklaren befand, wie Pfalz [5l schon vor 
Jahren mit Recht hervor^ehoben hat. Seitdem wir diese funktio¬ 
neilen Nervenstörungen besser kennen, ist es in der Literatur von 
derartigen Fällen merkwürdig still geworden. 

Das Hauptkontigent liefern aber die Störungen, welche nicht von 
der Umgebung, sondern von dem Augapfel selbst ausgehen und 
an diesem zutage treten. Das häufigste Bild ist in dieser Beziehung 
der intensive Reizzustand, welcher auf beiden Augen auftreten kann, 
wenn ein Auge einen Fremdkörper unter dem oberen Lid beherbergt 
Hier sieht man das zweite Auge ebenfalls öfters tränen. Beide Augen 
werden krampfhaft zusammengekniffen, und es kann angeblich nicht 
ins Helle gesehen werden. Dieser Zustand kommt aber keineswegs 
bei allen Menschen vor, sondern in ausgeprägter Form nach meiner 
Erfahrung meistens bei solchen Menschen, denen dieses kleine Miss¬ 
geschick zum ersten Male zustösst. Ein alter Schmied oder Schlosser 
'dagegen, der schon Dutzende von Fremdkörpern auf der Hornhaut 

Original fram 

UNIVER3ITY OF CALIFORNIA 



3. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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gehabt hat, .kommt in die Sprechstunde und öffnet beide Augen ganz 
frei, wenn auch ein leichter Reizzustand auf dem betroffenen Auge 
besteht. Wir sehen an diesem Beispiel, dass hier das psychische Mo¬ 
ment eine ganz erhebliche Rolle spielt. Wer die Sache kennt wird 
nicht dadurch irritiert; derjenige, dem sie neu ist, wird dadurch 
ängstlich und bei nervöser Veranlagung noch ängstlicher, und dann 
ist nur ein weiterer Schritt, dass nicht nur ein Auge, sondern beide 
Augen stark zusammengepresst werden, und dieses Zusammen¬ 
pressen des anderen Auges erzeugt einen Reizzustand, der unter Um¬ 
ständen von dem am Fremdkörperauge befindlichen kaum übertroffen 
wird. 

Das psychische Moment, die nervöse Grundlage des Blepharo¬ 
spasmus und das mechanische Moment des Zukneifens der Lider 
erklärten in vielen Fällen die sämtlichen Erscheinungen. 

Ganz ähnlich liegt die Sache, wenn eine schmerzhafte Horn¬ 
hauterosion vorliegt, und hier sehen wir im Bereiche des zweiten 
Auges oft ähnliche Reizerscheinungen, die auf einen starken Blepharo¬ 
spasmus zurückzuführen sind. 

Auch bei anderweitigen Reizzuständen, z. B. bei Iridozyklitis, 
den verschiedenen Formen des Glaukoms bestehen bezüglich der Mit¬ 
reizung des anderen Auges ausserordentliche individuelle Verschieden¬ 
heiten und sie können vollständig fehlen. 

Ein grosses Kontingent stellten früher ferner diejenigen Fälle, 
bei denen die Reizung angeblich von dem geschrumpften Augapfel 
ausging, und hier war man mit Recht mit der Enukleation immer 
rasch bei der Hand, weil man nie weiss, ob ein soWier Augenstumpf 
nicht auch der Ausgang einer sympathischen Entzündung sein kann. 
Zahlreich sind die Fälle in der Literatur, wo nach Entfernung des 
phthisischen Augapfels die Reizerscheinungen auf der anderen Seite 
prompt zum Verschwinden gebracht wurden, weil man angeblich die 
Reizquelle ausschaltete, die immer in den gereizten Ziliarnerven zu 
suchen ist. 

Welche Symptome werden nun im Bereiche des anderen Auges 
angeblich ausgelöst? Nach Schirmer kann der Reizzustand in 
allen zentrifugalen und zentripetalen Nerven auftreten, und nur die 
äusseren Augenmuskeln seien unbeteiligt. Sehen wir zu, ob diese 
Anschauungen noch als zutreffend angesehen werden können. 

Zunächst sollten im Bereiche des mitgereizten Auges ähnliche 
neuralgische Schroörzen auftreten. wie im Bereiche des verletzten 
Auges *). 

Durchmustert man die diesbezügliche Literatur, so stösst man auf 
eine ganze Reihe von Fällen, wo mit der Entfernung eines auf Druck 
angeblich schmerzhaften Auges die auf dem anderen Auge aufge¬ 
tretenen Symptome der Mitreizung: Lichtscheu, Tränenträufeln und 
Schmerzen In der Umgebung des Auges, besonders bei der Nahe¬ 
arbeit mit einem Schlage spurlos verschwanden. Für diese Fälle gilt 
ganz besonders, dass sie alle aus einer Zeit stammen, wo man es 
meistens nicht einmal für der Mühe wert hielt, zu betonen, ob 
cs sich um ein besonders nervöses Individuum handelte, und wo 
man, wie gesagt, über das Wesen der Hysterie noch weni^ unter¬ 
richtet war. Stellt man sich vor, dass jemand ein durch Verletzung 
erblindetes Auge besitzt, welche leichte Schmerzen verursacht, ge¬ 
sellen sich dann noch auf dem anderen Auge asthenopische SymDtomc 
hinzu und man erklärt dem Pat., dass die Beschwerden des 2. Auges 
von denen des ersten Auges abhängig seien, und weiss der Pat. oben¬ 
drein, dass ihm von dem verletzten Auge unter Umständen noch viel 
schwerere Gefahren drohen, dann ist es doch leicht zu verstehen, dass 
diese psychische Attacke insbesondere dann, wenn sie einen schon 
von Haus aus vorbereiteten Boden, d. h. einen Neuropathen, trifft, 
einen Symptomenkomplex erzeugen kann, der den Betreffenden ver¬ 
anlasst, sich ängstlich ins Dunkle zu setzen, damit keine Reizung 
mehr empfunden wird. Wenn dann einem solchen Individuum ge¬ 
sagt wird, dass nach der Entfernung des erblindeten Auges das andere 
Auge seine Beschwerden verliere und ausserdem für alle Zukunft 
gesichert sei, dann ist es begreiflich, dass hier eine Suggestiv¬ 
wirkung ausgeübt wird, die selbst schwere Symptome zum Ver¬ 
schwinden bringen kann. 

Charakteristisch hierfür ist ein Fall, den auch Schirmer an¬ 
führt (s. S. 17). in welchem ein Patient meinte, 2 Jahre mit dem 
anderen Auge nicht mehr sehen zu können, was sofort der Fall war, 
als er nach Entfernung des verletzten Auges aus der Narkose er¬ 
wachte. Klarer und eindeutiger kann man den Einfluss der Sugge¬ 
stion nicht vor Augen führen, man wird es daher berechtigt finden, 
wenn ich die Forderung aufstelle, dass in Zukunft kein Fall mehr als 
Mitreizung des anderen Auges gedeutet werden darf, solange nicht 
hysteroneurasthenische Zustände auszuschliessen sind. Weiterhin ist 
bezüglich der in der Umgebung des Auges auftretenden Schmerzen zu 
beachten, dass latente Reizzustände im Trigeminus, speziell im Supra- 
orbitallsgebiet ganz ausserordentlich häufig, insbesondere auch nach 
Verletzungen, wie mich besonders die Kriegserfahrungen gelehrt 
haben, Vorkommen, und zwar, wenn auch dem Grade nach verschie¬ 
den, beiderseitig. Man darf daher nicht eher einen auf das andere 
Auge übertragenen Reizzustand annehmen, ehe man sich nicht davon 
überzeugt hat, dass auf dem anderen Auge eine larvierte Trigeminus- 


*) Ich spreche hier stets von verletzten Augen, weil sie das 
Hauptkontingent für die angebliche Mitreizung des anderen Auges und 
auch für die sympathische Entzündung stellen. Bekanntlich kann 
das gleiche nach operativen Eingriffen und auch bei intraokularen 
Sarkomen sowie nach subkonjunktlvalen Bulbusrupturen Vorkommen. 

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neuralgie auszuschliessen ist. Seitdem ich auch diese Punkte achte, 
und das ist etwa 20 Jahre her, bin ich nicht mehr in Versuchung ge¬ 
kommen, die Diagnose einer Mitreizung des anderen Auges zu 
stellen 8 ). 

Das 2. Symptom der Beteiligung des anderen Auges ist die sog. 
sympathische Amblyopie. Schirmer konnte im Jahre 1899 
48 Fälle zusammenstellen, in denen eine Amblyopie des 2. Auges vom 
ersten Auge ausgelöst und mit der Entfernung des erkrankten Auges 
zum Verschwinden gebracht sein soll. Von diesen Fällen schaltet 
S c h i r m e r 23 aus und ich habe nun die übrigbleibenden 25 Fälle 
durch meinen Schüler K e u t e 1 [6] einer eingehenden Untersuchung 
unterziehen lassen, wobei sich herausstellte, -dass die Amblyopie in 
einer ganzen Reihe von Fällen mit einer konzentrischen Gesichtsfeld¬ 
einengung einherging. Es wurde ferner festgestellt, dass die seit 1899 
publizierten wenigen Beobachtungen ebenfalls mit hysterischen Sym¬ 
ptomen einhergingen, was z. B. für die Fälle von Co ns Mio [7], 
F ehr [8], E1 s c h n i g [9] und Weckers [10] zutrifft, und schliess¬ 
lich ist das Gleiche für einen nicht ganz leicht zu deutenden Fall von 
Perlmann [11] anzunehmen, so dass ich das Vorkommen einer 
sympathischen Amblyopie in Abrede stelle und annehmen muss, dass 
es sich in diesen Fällen um Hysterie resp. um Suggestivwirkungen 
handelt. 

Bemerkenswert ist ferner, dass zwischen der erhöhten Reizbar¬ 
keit im Supraorbitalisgebiet und der funktionellen Amblyopie eigen¬ 
artige Beziehungen bestehen, worauf ich [12] kürzlich aufmerksam ge¬ 
macht habe, und wie in der Dissertation meines Schülers Wolf¬ 
ring [13] genauer ausgeführt ist. 

Bei mehr als hundert Soldaten konnten wir feststellen, dass 
das anfänglich unter der Norm gebliebene Sehvermögen sich sofort 
zur vollen Höhe erhob, wenn wir den Leuten Plantfläser vorsetzten. 
Seitdem darauf näher geachtet wurde, konnte in allen Fällen festge¬ 
stellt werden, dass gleichzeitig eine palpable Druckempfindlichkeit im 
Supraorbitalisgebiet vorlag. Die Allgemeinuntersuchung, die fn einer 
Reihe von Fällen durchgeführt wurde, ergab wohl hier und dort 
Symptome der Migräne und der Neurasthenie, niemals aber das 
eigentliche Bild der Hysterie, und ich habe diese Fälle dahin gedeutet, 
dass es sich hier um eine Autosuggestion handelt, die darauf zurückzu¬ 
führen ist, dass die Betreffenden, weil sie besonders bei der Nahe¬ 
arbeit von Beschwerden geplagt sind, ihre Augen für schwach halten. 
Da sie wissen, dass schwache Augen unter Umständen durch Brillen 
eine Kräftigung erfahren, so genügt das einfache Vorhalten eines 
Glases, um die Besserung der Sehschärfe herbeizuführen. Was hier 
unter dem Banne der Autosuggestion geschieht, muss noch viel präg¬ 
nanter in die Erscheinung treten, wenn es sich um eine vom Arzte 
ausgeübte Suggestion handelt und gleichzeitig eine neuralgische 
Affektion im Supraorbitalisgebiet vorliegt. 

Zu den Symptomen der sog. Mitreizung des anderen Auges ge¬ 
hört ferner die Lichtscheu, der Sammelbegriff für die unangenehmen 
Sensationen, die bei plötzlich vermehrtem Lichteinfall auftreten und 
sich in vielen Fällen zu einem wirklichen Schmerzgefühl, dem sog. 
Blendungsschmerz verdichten. Dieser Reizzustand, der auf dem 
anderen Auge auftritt, ist nun, wie die frühere Literatur angibt, in 
einer Reihe von Fällen prompt dadurch beseitigt worden, dass man 
einen phthisischen Augapfel entfernte, und auch hier ist wieder die 
bemerkenswerte Tatsache zu verzeichnen, dass diese Fälle aus der 
früheren Zeit stammten, wo man mit der Hysterie noch nicht so genau 
Bescheid wusste, welche diesen Fällen augenscheinlich zugrunde ge¬ 
legen hat. Diesen Fällen stehen andere gegenüber, in welchen die 
Enukleation den gewünschten Effekt gar. nicht, oder erst später 
hatte, und diese Fälle erklären sich m. E. in durchaus einwandfreier 
Weise, wenn man die von mir gegebene Erklärung für das Zustande¬ 
kommen des Blendungsschmerzes zugrunde legt. 

Auf Grund meiner [14] mit Hartmann ri5l zusammen aus¬ 
geführten Untersuchungen bin ich zu dem Resultat gekommen, dass 
es unter gewöhnlichen Beleuchtungsverhältnissen einen physio¬ 
logischen Blendungsschmerz nicht gibt, sondern dass er dort, wo er 
angegeben wird, zurückzuführen ist auf eine latente oder manifeste 
Reizung im Trigeminusgebiet, die so häufig doppelseitig vorkommt. 

Von dieser Form des Blendungsschmerzes ist strenge zu unter¬ 
scheiden der Komplex von Reizsymptomen, welcher zum Beispiel bei 
skrofulösen Kindern, und vor allen Dingen bei Hornhauterosionen 


*) Der Zufall fügt es, dass ich zurzeit, als ich diese Arbeit korri¬ 
gierte, einen Fall in Behandlung bekam, der als Illustration zu dem 
Gesagten dienen mag. Pat. erlitt 1902 eine Eisensplitterverletzung 
rechts. Das Auge wurde leicht phthisisch, blieb aber reizlos. Am 
1. Juni 1918 Steinwurf gegen das rechte Auge. Seitdem Reizzustand. 
Am 14. September erste Untersuchung: Phthisis bulbi, Iridocyclitis 
dolorosa, Verfärbung und Hyperämie der Iris. Das linke Auge kann 
angeblich nicht gut ins Helle sehen. Am 17. September Enukleation. 
Am 18. September Wohlbefinden. Das linke Auge kann nunmehr ohne 
Beschwerden ins Helle sehen. Damit hätten wir es mit einem Schul¬ 
beispiel der Heilwirkung der Enukleation bei sog. sympathischer Rei¬ 
zung zu tun, wenn nicht die genauere Anamnese aufgedeckt hätte, 
dass der Patient seit 4 Tagen In beiden Kopfhälften an starken 
Schmerzen litt, die durch Migränin allmählich beseitigt wurden. Am 
16. Oktober 17 sei neben der Lichtscheu noch ein gewisser Kopf¬ 
druck vorhanden gewesen. Wir werden daher nicht fehlgehen, wenn 
wir hier nicht einen auf das andere Auge übergeleiteten, sondern einen 
im Abklingen begriffenen präexistierenden Reizzustand annehmen. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1372 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 49. 


auftritt. Hier ist es nicht die durch den Lichteinfall bewirkte plötz¬ 
liche Verengerung der Pupille und die dadurch hervorgerufene Zer¬ 
rung in den gereizten Nervenendigungen im Bereiche der Iris, son¬ 
dern der Versuch der Oeffnung der Lider, welcher die Reizsymptome 
auslöst. Der oft starke Blepharospasmus, der nach den Unter¬ 
suchungen von Friedenberg [16] und von v. Hess [17l auch 
im Dunkeln vorhanden ist, bedeutet die Reaktion auf die Schmer¬ 
zen, welche entstehen, wenn das Lid an der unregelmässig gestalteten 
und gereizten Horrihaut vorbeistreicht und stellt durch das mecha¬ 
nische Moment des Anpressens der Lider an die Bulbusoberfläche 
an sich schon eine Reizquelle dar. 

Damit hätten wir festgestellt, dass auch das Symptom der Licht¬ 
scheu resp. des Blendungsschmerzes lediglich zurückzuführen ist 
auf denselben Reizzustand, wie er auch oft den asthenopisehen Be¬ 
schwerden durch Beteiligung des Akkommodationsmuskels zugrunde 
liegt. Kann man derartige Reizzustände im Trigeminusgebiete und 
andererseits hysteroneurasthenischeZustände ausschliessen, dann bleibt 
m. E. kein Fall mehr übrig, den man als Beispiel für eine Mitreizung 
des anderen Auges anführen könnte, denn die schweren Fälle von 
Photopsie und sog. retinaler Asthenopie, welche Schirmer in 
seiner Zusammenstellung anführt, dürften ohne weiteres in das Reich 
der Hysterie zu verweisen sein. 

Auch die Störungen des sekretorischen Apparates in Form 
des Tränenträufelns lassen sich ohne Zwang auf einen Reizzustand 
im Trigeminusgebiet zurückführen, welcher die Patienten veranlasst, 
die Lider stärker und intermittierend zusammenzukneifen, womit 
man jederzeit bei sich selbst einen ähnlichen Symptomenkomplex er¬ 
zeugen kann. Kommt hier noch eine hysterisch neurasthenische Ver¬ 
anlagung hinzu und ausserdem der Einfluss einer vom Arzte aus- 
geiibten Suggestion, dann kann man sich ungefähr eine Vorstellung 
davon machen, welche Dimensionen derartige Reizzustände unter 
Umständen annehmen können. 

Eine sehr zutreffende Illustration zu dem Gesagten bilden die 
Ergebnisse, zu welchen Dimmer [18] kürzlich gelangt ist, als er 
das Material des deutschen Sanitätsberichtes vom Jahre 1870 be¬ 
arbeitete. Von etwa 100 Fällen von sympathischer Erkrankung des 
anderen Auges, welche darin verzeichnet sind, konnte festgestellt 
werden, dass ein eigentlicher Fall von sympathischer Entzündung 
überhaupt nicht vorlag, sondern dass es sich lediglich um Mitrei- 
zungen des anderen Auges handelte. Abgesehen davon, dass ein 
Drittel der Fälle überhaupt nichts mit sympathischer Störung zu 
tun hatte, konnte Dimmer feststellen, dass von den übrig blei¬ 
benden zwei Dritteln etwa die Hälfte hysterische Zustände betrafen, 
während in der anderen Hälfte es sich um Reizzustände im Trige- 
minusgebiet bandelte. 

Fragen wir uns nun weiter, welche Schlüsse wir aus der Wirk¬ 
samkeit der gegen die sogen. Mitreizung geübten therapeutischen 
Massnahmen ziehen dürfen. Seitdem ich die Mitreizung des anderen 
Auges als selbständiges Krankheitsbild nicht mehr anerkenne, bin 
ich auch durch die Erfahrungen der Therapie in dieser Ansicht unter¬ 
stützt worden. Die grössere Mehrzahl der Fälle, in denen Reiz¬ 
zustände im Trigeminusgebiet vorliegen, heilen restlos aus unter 
der von mir seit Jahren geübten medikamentösen Therapie mit Secal. 
cornut., Chinin und Eisen einerseits oder Tinct. Eucalypt. anderer¬ 
seits, und dazu kann auch noch die Massage treten, wie sie auch 
Pagenstecher [19] empfiehlt. Macht man sich zur Regel, bei 
Schmerzen im Bereiche eines geschrumpften Augapfels nicht nur den 
Augapfel selbst, sondern auch die Austrittstelle des Supraorbitalis 
zu palpieren, wie man dieses auch stets nach operativen Eingriffen, 
z. B. nach der Staroperation, tun soll, wenn nicht ohne weiteres zu 
erklärende Schmerzen auftreten. Dann lässt sich sehr häufig ein 
Reizzustand feststellen und mit der geübten Medikation prompt be¬ 
seitigen, so dass ich schon in manchen zweifelhaften Fällen von der 
Enukleation eines Augenstumpfes Abstand nehmen konnte, welcher 
nach den früheren Anschauungen unter allen Umständen hätte be¬ 
seitigt werden müssen, um die auch im Bereiche des anderen Auges 
zu findenden Reizerscheinungen zu beheben. 

Prüft man andererseits derartige Fälle auch auf das Vorliegen 
eines nervösen Allgemeinzustandes, dann blerben m. E. nur noch die¬ 
jenigen Fälle übrig, bei denen wirklich der Augenstumpf daraufhin 
verdächtig ist, dass er in seinem Innern Uvealgewebe beherbergt, 
welches der Ausgangspunkt für die Erkrankung des anderen Auges 
werden kann. Diese Stümpfe müssen unter allen Umständen enu- 
kleiert werden, aber nicht um den Reizzustand zu beseitigen, son¬ 
dern um den Ausbruch der gefürchteten Entzündung nach Möglichkeit 
zu verhüten. 

Wenn Schirmer und andere Autoren als Ersatz für die Enu¬ 
kleation der in ihrer ursprünglichen Form befindlichen Augäpfel die 
Durchschneidung des Sehnerven empfohlen (haben, so liegt hier 
auch ein bemerkenswerter Unterschied gegenüber meinem Material 
vor, welches an Verletzungen aller Art sehr reich ist. insofern, 
als ich seit 20 Jahren nicht in Versuchung gekommen bin, diese 
Operation überhaupt jemals auszuführen, auch dann nicht, wenn es 
sich lediglich um die Beseitigung der Schmerzen auf dem erst¬ 
erkrankten Auge handelte. Zur Verhütung der sympathischen Oph¬ 
thalmie ist diese Oneration, wie allgemein zugegeben wird, un¬ 
zureichend. und zur Verhütung der Schmerzen auf dem betreffenden 
Auge selbst ebenfalls nicht sicher genug, weil die Nervenendigungen 
wieder zusammenwachsen können. 

Durchmustert m^n^die früher in der Literatur niedergelegten 

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Fälle, dann kommt man unwillkürlich zu der Ueberzeugung, dass 
hier oft Hysterie und Suggestion einerseits und Reizzustände selb¬ 
ständiger Art auf beiden Seiten im Spiele waren. Den Fällen, wo <ke 
Symptome von seiten des anderen Auges verschwanden, oder in 
den Hintergrund gedrängt wurden, und zwar durch suggestive Ein¬ 
flüsse, stehen die Fälle gegenüber, wo trotz der Enukleation der ge¬ 
wünschte Erfolg ausblieb. 

Wir sehen somit im Bereiche des zweiten Auges keinerlei Er¬ 
scheinungen auftreten, welche notwendigerweise als Ausdruck einer 
Mitreizung von seiten des ersten Auges angesehen werden müssten, 
und man kann auch die therapeutischen Erfahrungen nicht zur Stütze 
der Existenz einer Mitreizung heranzichen. Man wird nun die Frage 
aufwerfen müssen, welche Resultate hat auf diesem Gebiete die 
experimentelle Forschung zu verzeichnen? Ist hier irgend etwas zu¬ 
tage getreten, was auf eine organische Verbindung zwischen den 
Trigeminusästen der beiden Seiten hindeutet? 

Vom klinischen Standpunkt aus stehen von vornherein nun solcher 
Annahme keine prinzipiellen Bedenken entgegen, weil es denkbar ist, 
dass in der Medianlinie Anastomosen bestehen, die den Reiz nach 
der anderen Seite überleiten können. Aber auch vom rein klinischen 
Standpunkte aus wird ein derartiges Uebergreifen bezweifelt, so z. B. 
von Mooren [20], weicher ausdrücklich betont, dass eine Trigeminus¬ 
neuralgie der einen Seite niemals auf die andere übergreift, während 
in der zahnärztlichen Literatur, z. B. bei Moral und Fischer [21] 
sich die Bemerkung findet, dass bei Pulpitis der Zahnschmerz öfter 
in der anderen Kieferhälfte lokalisiert würde. 'Nach Mooren ist 
vielmehr der Optikus für die Ueberleitung verantwortlich zu machen, 
und auch neue Autoren, z. B. B i e r r u m, nehmen eine solche Ver¬ 
bindung zwischen Trigeminus und Optikus an, während die meisten 
Autoren auf dem Standpunkt stehen, dass es sich lediglich um eine 
Reizübertragung von dem Trigeminusgebiet auf das andere Aug 
handelt, und demgemäss ist man schon frühzeitig darauf bedacht ge¬ 
wesen. durch die Reizung des einen Auges bei Tieren auf dem anderen 
Auge einen Reizzustand künstlich zu erzeugen. So wollten Mooren 
und Rumpf 2 *) durch Besprühen der freiliegenden Iris des Kaninchens 
mit Senfspiritus auf dem anderen Auge eine Anämie beobachtet 
haben, welche nach Aufhören der Reizung in Hyperämie überge¬ 
gangen sei. J e s s n e r [23] erzeugte durch Höllensteinätzungen am 
Hornhautrande eine Zunahme des Eiweissgehaltes im Kammerwasser 
auf beiden Seiten, welche am anderen Auge ausblieb, wenn der Tri¬ 
geminus auf einer Seite durchschnitten war, und dies wurde als Be¬ 
weis angesehen, dass der Trigeminus dem Auge gefässerweiternde 
Fasern zuführt, deren Reizung gesteigerten Blutzufluss hervorrufen 
soll. 

Mit Höllensteinätzungen und Reizungen mit dem faradischen 
Pinsel erzeugte Bach [24] ebenfalls bei Kaninchen eine Zunahme des 
Eiweissgehaltes und Fibrinausscheidung auch des anderen Auges. Er 
nimmt an, dass die Ueberleitung des Reizes erfolge durch die Ge- 
fässnerven im Circulus arteriosus Willisii. 

Auch die Experimente von Pa n a s [25]. welcher die Reizung des 
Kaninchenauges mit Nikotin, und von Moll [26], welcher die Reizung 
mit Kupferstückchen ausführte, wurden angestellt um der Schmidt- 
Rimpl er sehen sog. modifizierten Ziliamervenfheorie eine Stütze 
zu verleihen, und dies suchten sie dadurch zu erreichen, dass sie an 
dem gereizten Auge eine bakteriell bedingte Entzündung zu erzeugen 
suchten, deren Entstehung durch den übergeleiteten Reiz begünstigt 
werden sollte. Diese Experimente blieben jahrelang unangefochten, 
wie auch die Schmidt-Rimpler sehe Theorie sich einer weit¬ 
gehenden Anerkennung erfreute, bis neuere Arbeiten, insbesondere 
von Römer, wieder die Metastasentheorie zu Ehren brachten, und 
experimentelle Forschungen die Reiztibertragung mit guten Gründen 
bezweifelten. 

Sowohl Wessely [27], wie Tornabene [28] und Stock [29] 
konnten mit Hilfe exakter Methoden der Eiweissbestimmung eine Ver¬ 
mehrung des Eiweissgehaltes im Kammerwasser des anderen Auges 
nicht nachweisen; ebensowenig gelang dies Wessely mit Hilfe 
intravenöser Fluoreszineinspritzungen, während M a u r I z i [30] und 
Parisotti [31] positive Resultate bed ihren Versuchen erhielten. 
Versuche, die Römer [32] an Affen anstellte, hatten ein negatives 
Resultat, so dass R ö m e r die Uebertragung eines Reizzustandes und 
die dadurch bedingte vermehrte Gefässfüllung auf der anderen Seite 
in Abrede stellt. Die Nachprüfung dieser Resultate durch Mi ja- 
shita [33] ergab, dass bei 18 Fällen- dreimal ein Uebergang von 
Hämolysinen am 2. Auge erfolgte; trotzdem hält er die Sache noch 
nicht f£r spruchreif. Ebensowenig ist eine Uebertragung mit Crofonöl 
bei den Experimenten von D o d d und Ra d o s [34] gelungen und auch 
Elschnig [35l konnte mit Hilfe des Pu 1 frichsehen Refrakto¬ 
meters nachweisen, dass das Kammerwasser absolut unverändert 
blieb. 

Aus diesen Versuchen muss gefolgert werden, dass eine Resz- 
übertragung auf das zweite Auge bei Tieren bisher noch nicht ein¬ 
wandfrei bewiesen ist, und so können sich die Anhänger dieser 
Lehre nur noch auf einen Ausspruch von A x e n f e 1 d berufen, welcher 
sich dahin äussert. dass, wenn bei Tieren derartiges noch nicht nach¬ 
gewiesen sei, es darum bei Menschen doch eine derartige Reizüber¬ 
tragung geben könne. 

Auf dieser schwachen Grundlage steht die Lehre von der Reiz¬ 
übertragung von einem Auge auf das andere, und so wird man mir es 
nicht verdenken können, wenn ich die Existenz des KrankheitsbiWes 
der sog. sympathischen Reizung, oder wie ich sie nenne, der MH- 

Ürigiral frem 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





3. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1373 


reizung des anderen Auges, überhaupt bezweifle. Zukünftige Beob¬ 
achtungen müssen sich darauf erstrecken, nachzuweisen, dass weder 
ein hystero-neurasthenischer Allgemeinzustand noch auch eine selb¬ 
ständig, meist doppelseitig auftretende, erhöhte Reizbarkeit im Trige¬ 
minusgebiet vorliegt, welche ihrerseits, wie w-ir gesehen haben, zu 
funktionellen Sehstörungen Veranlassung geben, kann, wie funktionelle 
Störungen aller Art durch suggestive Einflüsse, wozu unter Um¬ 
ständen auch die für notwendig erklärte Enukleation eines Augen- 
stumpfes gehört, beseitigt werden können. 

Es ist daher eine durchaus schwankende Grundlage, auf welcher 
die neueren Ausführungen S c h i e c k s [36] ruhen, wenn er, auf dem 
Boden der Schmidt-Rimplersehen Ziliarnerventheorie stehend, 
annimmt, dass die Ansiedelung der in die Blutbahn eingebrochenen 
Krankheitserreger im 2. Auge durch den zu diesem Auge fortge¬ 
leiteten Reiz begünstigt werden soll und es ist unzulässig, ein Auge 
zu entfernen, lediglich aus dem Grunde, weil das andere Auge einen 
Reizzustand aufweist. 

Literatur. 

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pathisch erkrankten Auges. Dissertation Rostock 1912. — 2. S c h i r- 
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sche Gesichtsstörungen. Berlin, H i r s c h w a 1 d, 1864. S. 125. — 
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sympathische Amblyopie. Dissertation Rostock 1914 u. Kl. Mbl. f. 
Augenheilkde. 1915. — 7. Consiglio: Ein Fall von Neuritis retro- 
bulbaris sympathica. Deutschmanns Beiträge zur Augenheilkde. 
63. 1905, — 8. F t j £ r: Ueber einen geheilten Fall von 
Ambiyopia sympathica. Zbl. f. Augenhlkde. 1909 S. 237. — 9. E1 sch- 
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pseudo-sympathische Augenparese. Archives d’opMhalmologie 1912. 

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Supraorbitalneuralgie. ZbL f. Augenhlkde. 1917. — 13. W o 1 f r i n g: 
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schmerz. Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde 57. 1916. — 
15. Hartmann: Ueber den Blendungsschmerz. Diss., Rostock 
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Augenhlkde. 57. S. 257. — 19. Pagenstecher: Zur Behandlung 
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21. Moral und Fischer: Der Zahnschmerz und seine Behandlung. 
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f. Phys. 23. 1880. — 24. Bach: Experimentelle Studien über die 
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Archives d’ophth. 1897. — 26. Moll: Experimentelle bakteriologische 
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umore aqueo nell* ochio irritato e in quello opposito. Archivio di 
OttalmoL 9. S. 11. — 29. Stock: Experimentelle Studien über 
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Augenhlkde. 1903. — 30. Maurizi: Ophthalmia sympathica. Lavori 
della clinica oculistica di Napoli 32. 1903. — 31. Parisotti: Ueber 
sympathische Reizung. Franzos, ophth. Gesellschaft 1908. — 32. Rö¬ 
mer: Experimentelle Untersuchungen zur Frage der Reizüber¬ 
tragung. Arch. f. Ophth. 56. — 33. Miiashita: Ueber den Hämo¬ 
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Reizungen des Auges. Klin. Mbl. f. Augenhlkde. 47. I. 1909. — 
34. D o d d und R a d o s: Versuche über sympathische, spezifische und 
unspezifische Sensibilisierung. Zschr. f. Tmmun.Forsch. 20. 1913. 

— 35. Elschnig: Refraktometrische Untersuchungen über die Reiz¬ 

übertragung. Arch. f. Ophth. 88. — 36. S ch i e c k: Das Auftreten der 
sympath. Ophthalmie trotz erfolgter Präventivcnukleation und seine 
Bedeutung für die Lehre von der Entstehung der Krankheit. Arch. f. 
Ophth. 95. __ 

Aus dem Institut zur Erforschung der Infektionskrankheiten 
in Bern. (Direktor: Prof. Dr. Q. Sobernheim.) 

Beitrag zur Bakteriologie der Influenza. 

Von Q. Sobernheim und Q. Novakovid. 

Die Influenzaepidemie dieses Jahres hat auch in der Schweiz, 
ähnlich wie in anderen Ländern, zwei zeitlich getrennte Abschnitte 
erkennen lassen. Die erste Welle nahm speziell in dem Kanton Bern 
ihren Anstieg im Juni, erreichte Mitte Juli den Höhepunkt und sank im 
Laufe des August wieder ab. Im September war die Epidemie so 
gut wie erlöschen, um gegen JJndc des Monats von neuem mit grosser 

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Heftigkeit einzusetzen und im Oktober eine die des Sommers fast 
noch übertreffende Ausbreitung zu nehmen. Inwieweit beide Perioden 
sich nach dem klinischen Verlauf der Krankheit unterscheiden, ist eine 
Frage, die zurzeit noch keine ganz gleichmässige Beantwortung 
findet. Es scheint, als ob in den verschiedenen Landesteilen und 
Ortschaften abweichende Erfahrungen gemacht worden sind. In 
bakteriologischer Hinsicht haben wir bei unseren Unter¬ 
suchungen gewisse Unterschiede zwischen der Sommer- und der jetzt 
noch herrschenden Herbstepidemie feststellen können. 

Das Untersuchungsmaterial, das uns zur Verfügung stand, betraf 
Sputa, Rachenabstriche, Lumbalpunktate, pleuritiscne Exsudate und 
Blut der Kranken sowie Leichenmaterial, insbesondere Lungen, Tra¬ 
chea, Milz, Blut. Die Ergebnisse waren anfänglich die gleichen, 
wie sie auch von vielen anderen Untersuchern erhalten wurden. Im 
Sputum fanden sich in der Regel Pneumokokken, oft in überaus 
reicher Menge und nahezu in Reinkultur. In anderen Fällen wurden 
auch Streptokokken nachgewiesen. Die Exsudate und Punktions- 
flüssigkeiten gaben mehrfx'ich den nämlichen Befund. Aus dem Blute 
gelang es wiederholt Pneumokokken sowie gelegentlich Strepto¬ 
kokken und Staphylokokken in Reinkultur zu züchten, und zwar schon 
in den ersten Tagen der Erkrankung. Die gleichen Bakterien wurden 
im Leichenmaterial nachgewiesen. Gewöhnlich enthielten die Lungen 
nur Pneumokokken, bisweilen auch daneben die beiden, anderen 
Kokkenarten, unter Umständen nur die eine oder andere der letzteren 
allein. 

Dem Pfeiffer sehen Bazillus sind wir in dieser ersten Periode 
unserer Untersuchungen in einer nicht allzu grossen Zahl von Fällen 
begegnet. Immerhin konnten wir ihn des öfteren mit Sicherheit nach- 
weisen, indem entweder schon das mikroskopische Bild des Ausstrich¬ 
präparates nach Form, Grösse, Lagerung (intra- oder cxtrazellulär) 
und Färbbarkeit der Bakterien keinen Zweifel Hess oder die Züch¬ 
tung den Beweis lieferte. Reinkulturen erhielten wir in 6 Fällen, 
und zwar 3 aus Sputum, 3 aus Sektionsmaterial (Lunge, Trachea). 
Die Reinzüchtung bot offenbar, ausser den bekannten- Ursachen, bis¬ 
weilen noch andere unbekannte Schwierigkeiten. Besonders lehr¬ 
reich war uns ein Fall, in dem wir aus einem Sputum, das wir 4 mal 
frisch zur Untersuchung bekamen und das enorme Mengen von In¬ 
fluenzabazillen fast ohne weitere bakterielle Beimischungen enthielt, 
trotz aller Bemühungen kein Wachstum erzielen konnten. Unter den 
geprüften Nährböden hat sich uns der L e v i n t h a 1 sehe Blutagar am 
besten bewährt Die Influenzabazillen entwickelten sich hier schnell 
und verhältnismässig üppig. Auf einem durch Vermischung von Agar 
mit einer Blutlösung (in Aq. dest.) gewonnenen Nährboden waren die 
Kolonien in ihrer Kleinheit und Zartheit zwar sehr charakteristisch, 
fanden aber wohl noch nicht die günstigsten Entwicklungsbe- 
dingungen. Soweit die Resultate im ersten Untersuchungsabschnitt. 

Bei dem Wiederauftreten der Influenza im Oktober änderte sich 
der bakteriologische Befund vollkommen zugunsten der Pfeiffer- 
schen Bazillen. Schon bei den ersten Untersuchungen (Sputum und 
Leichenmaterial) haben wir sie regelmässig gefunden und alsdann 
in 23 Fällen 18 mal in Reinkultur nachgewiesen. Aus Sputum 
(12 Proben) züchteten wir sie 9 mal, aus Leichenmaterial (11 Fälle) 
in 9 Fällen, und zwar aus den Lungen, daneben m 5 Fällen auch 
aus der Trachea. Meist waren die Stäbchen ohne weiteres im mikro¬ 
skopischen Ausstrichpräparat deutlich erkennbar, abei* auch, wo sie 
sich nur spärlich zeigten und nicht sicher diagnostiziert werden 
konnten, gelang die Züchtung gewöhnlich ohne Schwierigkeiten. In 
einzelnen Fällen sah man auf den Biutagarplatten fast ausschliess¬ 
lich Influenzakolonien. Nur ausnahmsweise bedurfte es einer sehr 
sorgfältigen Durchmusterung und Verarbeitung der Platten. Dabei 
traten in den Lungen die Mischinfektionserreger meist ganz in den 
Hintergrund und fehlten selbst. Auch die Sputa boten ein durchaus 
anderes Bild als früher; Pneumokokken waren kaum vorhanden, 
Streptokokken und Staphylokokken recht selten. 

Durch Immunisierung von Kaninchen gewannen wir Sera, die 
eine stark agglutinierende Wirkung auf Influenzabazfllen' ausiibten. 
Weiterhin- haben unsere Versuche bestätigt, dass in manchen Fällen 
audi das Serum von Kranken und Rekonvaleszenten mit den Pfeif- 
f e r sehen Bazillen spezifische Agglutination gibt, zum Teil in höheren 
Verdünnungen von 1:500 und mehr. 

Unsere Untersuchungsergebnisse, in beiden Perioden an gleichem 
Material und mit der gleichen Methodik gewonnen, liefern vielleicht 
einen Fingerzeig, weshalb an verschiedenen Stellen- bezüglich des 
Vorkommens der Pfeiffer sclien Bazillen so widersprechende Er¬ 
fahrungen gemacht worden sind. Tatsache ist jedenfalls, dass das 
bakteriologische Bild der von uns untersuchten Proben nicht nur 
hinsichtlich der Pfeifferbazitlen, sondern namentlich auch nach der 
Anwesenheit von Pneumokokken und Streptokokken in beiden Unter¬ 
suchungsabschnitten eine auffallende Verschiedenheit zeigte. Worauf 
das zeitlich und örtlich wechselnde Verhalten in dem Auftreten der 
Pfeifferschen Bazillen zurückzuführen sein mag, bleibe hier zu¬ 
nächst unerörtert. Hieraus etwa einen Beweis gegen die ursächliche 
Bedeutung der Pfeifferbazillen für -die eoidemische Influenza ableiten 
zu wollen, erscheint uns nicht berechtigt. Hat man doch, soweit 
dies zur Zeit zu übersehen, in den verschiedenen von der Griüpe 
befallenen Ländern die Pfeifferbazillen in zahlreichen Influcnzafällcn 
nachgewiesen. So wurden sie in Frankreich 1 ), in England 2 ) und 


*) Vgl. Netter: Bull, de l’Acad. de med.. 191R Nr. 39. 
2 ) Brit. med. Journ.. 13. VII. 18. 

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1374 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 49. 


namentlich in Spanien 3 ) mit grosser Regelmässigkeit gefunden. Die 
bisher vorliegenden Veröffentlichungen über ein vermeintliches invi- 
sibles Virus halten der Kritik nicht stand. 


Zur Grippebekämpfung. 

Von Privatdozent Dr. F. Löning-Marburg, 
zurzeit Marine-Stabsarzt d. R. in Kiel. 

Die augenblicklich wieder recht akut gewordene Grippeepidemie 
bietet, wie es scheint, alle Veranlassung dar, auf die immer schon 
geübte innere Behandlung dieser Krankheit mit A n t i p y r i n bzw. 
Antipyrinpräparaten, wie Pyramidon u. dergl., erneut und in 
erhöhtem Masse das Augenmerk zu lenken. Die allbekannten treff¬ 
lichen Eigenschaften dieser Präparate sollten, so sollte man meinen, 
einer besonderen Empfehlung nicht eigentlich erst bedürfen. Und 
doch stösst man, wie die Erfahrung lehrt, und wie es neuerliche 
Ausführungen des Hamburger Physikus Prof. Versmann über 
Grippebehandlung (vergl. Hamb. Fremdenbl. vom 19. X. 18) erst 
wieder zeigen, in Aerzte- wie Laienkreisen auf ein weitverbreitetes 
Vorurteil gegen diese Mittel; ihre Vorzüge sind vielerorten gar nicht 
recht bekannt. 

Das Antipyrin ist ein Mittel, dem nicht nur, wie sein Name be¬ 
sagt, fieberwidrige Eigenschaften innewohnen. Neben den 
bekannten allgemein schmerzstillenden und beruhigenden Eigenschaf¬ 
ten des A. kommt ihm auch eine deutlich blutdruckerhöhende Wir¬ 
kung und zweifellos, das ist hier das Wesentliche, auch eine ge¬ 
wisse antibakterielle bzw. antiparasitäre Wirkung im Körper 
stets zu. Von anderen Antipyreticis, den S a 1 i z y 1 Präparaten, 
wie Aspirin, und dem neuerdings auch bei Grippe wieder emp¬ 
fohlenen Chinin ist eine solche antiinfektiöse Wirkung längst be¬ 
kannt. In der Leipziger Klinik wurden unter H. Curschmann 
seinerzeit fast regelmässig alle Fälle von ausgesprochener Sepsis 
oder beginnender Bakteriämie durch Antipyringaben gün¬ 
stig zu beeinflussen versucht; zweifellos mit gutem Erfolg. Von der 
subjektiv wie objektiv nur günstige Wirkung jeder solchen — recht¬ 
zeitig einsetzenden und richtig dosierten — Antipyrin- bzw. 
Py r a m i d on behandlung auf das ganze Krankheitsbild — einer 
weit besseren Wirkung, als sie durch kolloidales Silber, 
Dispargen u. dergl. jemals erzielt werden konnte. — glaube ich 
auch persönlich mich seitdem oft genug überzeugt zu haben. Nicht 
nur bei klinisch gesicherten Allgemeininfektionen, wie Abdomi¬ 
naltyphus, Puerperalfieber, Kokkensepsis u. dergl., lässt sich von 
einer längere Zeit durchgeführten Pyramidonkur (3 mal tägl. 0,3 g), 
u. U. mit Digitalis vereint, viel Gutes erwarten. Mehr noch kommen 
jene Fälle in Betracht,.bei denen vorerst nur mit einer beginnen¬ 
den oder nur drohenden Bakteriämie gerechnet werden muss: 
m. a. W. gerade die unentwickelten, klinisch noch fraglichen Fälle 
sind es, denen gegenüber das Pyramidon (= Dimethylamido-Antl- 
pyrin) seinen unverkennbar vorbeugenden Wert erst recht an den 
Tag legen kann. 

Der Einwand, dass dies die Fieberkurve störe, was 
wiederum nur .zu einer Erschwerung der Diagnosenstellung dienen 
könne, kann m. E. nicht als stichhaltig gelten. Falls alsbaldige 
prompte Entfieberung und Genesung erfolgt, kommen ernstere diffe¬ 
rentialdiagnostische Erwägungen überhaupt nicht mehr in Betracht. 
Wo dagegen nach den ersten Pyramidongaben durchaus keine so 
prompte und nachhaltige Einwirkung auf das Fieber, die Allgemein¬ 
erscheinungen, das Allgemeinbefinden erkennbar werden will, die 
Beschwerden vielmehr andauern, liegt alledem wohl immer eine 
ernstere Erkrankung zugrunde. Gerade in dem mehr oder 
weniger guten Ansprechen des Fiebers und des Allgemein¬ 
befindens auf die ersten Pyramidongaben ist ein recht 
wichtiger diagnostischer Hinweis auf das Vorliegen einer ernsteren 
Erkrankung (Meningitis, Typhus usw.) oft gegeben! 

Die grundsätzliche prophylaktische Verordnung von Pyramidon 
(2— 3 mal täglich 0,3 g) oder Antipyrin (2 —3 mal täglich 1,0 g) 
bei jeder Angina, jedem Erkältungsfieber, ja selbst bei jeder in¬ 
fizierten Wunde oder jedem Furunkel, sofern nur durch das Auftreten 
von Fieber, Kopfschmerzen u. dergl. das Allgemein¬ 
befinden stärker beeinträchtigt zu sein schien, hat sich mir ge¬ 
rade auch unter den besonderen Verhältnissen an Bord im Kriege, 
auf Torpedobooten usw. ganz vortrefflich bewährt, dem Arzte wie 
dem Kranken manche Sorge erspart. 

Auch die bekannte Heilwirkung des Antipyrins bei akutem 
Gelenkrheumatismus ist sicher nicht nur die Folge seiner 
„fieberwidrigen“ Wirkung! Augenscheinlich wird hier nicht nur 
das Fieber als solches bekämpft, sondern gleichzeitig mit ihm auch 
die Ursache des Fiebers. Die gleiche antiinfektiöse Eigenschaft 
der Antipyrinpräparate liegt offenbar auch den unerwartet günstigen 
Erfolgen mehrfacher intravenöser Melubrininjektionen 
(jedesmal zehn bis fünfzehn Kubikzentimeter der 50 proz. Lösung) zu¬ 
grunde, von deren geradezu plötzlichem heilenden Einfluss bei sep¬ 
tischer Polyarthritis und ernsten Perikarditiserkrankungen wir uns 
auf der mir unterstellten Abteilung eines Marinelazarettes während 
des Krieges wiederholt überzeugen konnten. 


3 ) Bull, de l’office Internat, d’hygifcne publ., 1918, Nr. 8. 

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Die Ansicht, die man öfters aussprechen hört, die Anwendung 
des antipyretisch wirksamen Aspirins, Pyramidons usw. würde den 
fiebernden Organismus so seiner besten Waffe, eben der heilsamen 
Reaktion des Fiebers berauben, insofern also nachteilig sein, mag 
theoretisch vielleicht begründet erscheinen; durch die Erfahrung 
lässt sie sich jedenfalls durchaus nicht bestätigen. Auch auf die all¬ 
gemein empfohlene und geübte abkühlende Bäderbehandlung bei 
Typhus trifft ein solcher Einwand bekanntlich nicht zu. 

Weiteren Bedenken liegt die oft auch von Kranken geäusserte 
Befürchtung zugrunde, dass das Herzgefässsystem unter der 
eingeleiteten Antipyrin- oder Pyramidontherapie irgendwie Schaden 
nehmen könnte. Auch hier kann die allgemeine Erfahrung rfur da¬ 
für sprechen, dass ernste Besorgnisse in der Regel ganz unbegründet 
sind. Zum mindesten von dem in Laienkreisen schon recht ver¬ 
breiteten Pyramidon muss gesagt werden, dass nachteilige Wirkungen 
bei der üblichen Dosierung von bis zu 3 mal 0,3 pro die, selbst bei 
geschwächtem Herzen, offenbar zu den grössten Seltenheiten ge¬ 
hören. Für den Fall, dass ungewöhnlich starke Schweissverluste 
mitunter, Tachykardien oder eine sichtlich ungünstige Be¬ 
einflussung des subjektiven Befindens gleich nach 
den ersten Dosen schon bemerkbar werden sollte, mag man sich 
immerhin einer gewissen Vorsicht befleissigen. Idiosynkrasien 
kommen bekanntlich vor; sie sind aber nicht häufig und selten wirk¬ 
lich bedrohlicher Art. Jedenfalls mag man.sich bei der weiteren 
Verabfolgung in solchen Fällen ganz nach dem subjektiven Befinden 
des Kranken — dem besten Gradmesser bekanntlich — nur richten. 
In der nach Antipyrin- bzw. Pyramidongebrauch fast regelmässig 
zu beobachtenden sichtlichen Hebung des subjektiven Befindens und 
des allgemeinen Kräftezustandes, einer Art deutlich „tonisieren- 
den“ Wirkung, ist offenbar auch immer die beste Gewähr dafür 
gegeben, dass dem instinktiven Gefühl des Kranken eine tatsächlich 
erfolgte günstige Beeinflussung des Körpers auch 
jedesmal entspricht. 

So viel zur allgemeinen Begründung der „antiinfektiösen“ Anti¬ 
pyrin- bzw. Pyramidontherapie. 

Auch bei den derzeitigen Grippeerkrankungen kann, 
den bisher hier vorliegenden Erfahrungen nach zu urteilen, der 
regelmässige Gebrauch von Pyramidon (3 mal täglich 0,3 jj) — 
gegebenenfalls statt dessen von Antipyrin (3 mal täglich 1,0 g) — 
nur dringend befürwortet werden. Während einer im Sommer 
dieses Jahres auf S. M. S. ** ganz akut ausgebrochenen Grippe¬ 
epidemie, die ich als Schiffsarzt zu beobachten Gelegenheit hatte, 
trat der unverkennbare Nutzen dieser Behandlung an zahlreichen 
Beispielen recht sinnfällig zutage. Nach dem Einsetzen von anfangs 
oft schweren Krankheltserscheinungen (hohes Fieber, gelegentlich 
Schüttelfrost und Erbrechen; plötzliches Umfallen im Dienst; Hals- 
bzw. Brust- und Gliederschmerzen; Hustenreiz; allgemeine starke 
Hinfälligkeit usw.) nahmen die Erkrankungen offensichtlich unter der 
eingeleiteten Pyramidon- oder Antipyrinbehandlung durchweg einen 
harmlosen, milden Verlauf. Meist war nach 1—2 Tagen bereits Ent¬ 
fieberung und, deutlich abhängig ^von der Einnahme der Pulver, eine 
sichtliche Besserung des Allgemeinbefindens dabei eingetreten. 
Namentlich die Schmerzen, aber auch die allgemeine Schlappheit und 
Hinfälligkeit wurden bemerkenswert günstig beeinflusst. Aspirin 
schien in einigen Fällen ebenfalls eine gute Wirkung zu haben, liess 
aber die „tonisierende“ Wirkung auf das Allgemeinbefinden •) mehr 
vermissen. Vielfach hatte man den Eindruck, als ob die von den 
Kranken selbst als günstig empfundene Pulverbehandlung auf die 
Dauer der Erkrankungen direkt abkürzend ein gewirkt habe. Bei 
insgesamt 182 Erkrankten — wobei zahlreiche (z. T. auch be¬ 
handelte) abortive Fälle noch nicht mit inbegriffen sind — sind mit 
Ausnahme eines einzigen Falles von leichtverlaufener Lungenent¬ 
zündung weder irgendwelche ernste Nachkrankheiten, 
noch nachteilige Folgen der Antipyrinbehandlung 
irgendwie zutage getreten. Die Mehrzahl der besonders zahlreich 
erkrankten jugendlichen Besatzung (meist Seekadetten und Schiffs¬ 
jungen) äusserte nach 1—2 Tagen bereits wieder das Bedürfnis, auf¬ 
zustehen. Nicht wenige Leichterkrankte, die fieberfrei blieben, sind 
überhaupt nicht bettlägerig gewesen. Auch bei diesen war regel¬ 
mässig schon beim ersten Beginn irgendwelcher Krankheitserschei¬ 
nungen, wie Kopfschmerzen, Schwindelgefühl u. dgl., Antipyrin bzw. 
Pyramidon in vorbeugender Absicht gegeben worden. 
Gerade in der möglichst frühzeitigen Anwendung des Mittels wurde 
mit eine Hauptursach'e für den leichten Verlauf dieser Fälle stets 
erblickt. Todesfälle, wie sie gleichzeitig mehrfach an Land 
und auf anderen Schiffen, meist infolge von sekundär aufgetretenen 
Lungenentzündungen, vorgekommen waren, sind hier überhaupt nicht 
eingetreten. 

Dass von gleichzeitigen unterstützenden Massnahmen, soweit diese 
an Bord durchführbar waren (kräftige Ernährung, genügender Wärme¬ 
schutz, z. T. Trinken heisser Getränke, Schonung nach eingetretener 
Entfieberung usw.) bei alledem nicht abgesehen wurde, sei als 

*) Vielleicht ist diese allgemein-tonisierende Wir¬ 
kung des Antipyrins, Chinins, gutlöslicher Kalziumsalze und ähn¬ 
licher Mittel mit deren bitterem Geschmack auf der Zunge 
in Verbindung zu bringen. Möglicherweise ist — wie bei den Kal- 
ziumionen — eine „kolloidverfestigende“ Wirkung der be¬ 
treffenden Ionen daran ursächlich beteiligt. 

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3. Dezember 1018. 


MUENCHfiNfcR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1 m 


selbstverständlich nebenbei noch erwähnt. In der rechtzeitigen, bis 
zur Entfieberung grundsätzlich durchgeführten Pyranridon- bzw. Anti- 
pyrintherapie war aber das für die Milderung der Epidemie immer 
wieder entscheidende Moment stets zu suchen. 

Bestätigt werden konnten jene damaligen günstigen Eindrücke 
neuerdings erst wieder durch ähnliche Beobachtungen anlässlich der 
kürzlich auch^ in Kiel aufgetretenen, hier und da recht bösartig 
verlaufenen Grippeepidemie. Dieses Mal waren vorwiegend auch 
ältere, weniger gutgenährte Leute der Zivilbevölkerung bzw. Ma¬ 
trosen der Seewehr an den Krankmeldungen mitbeteiligt. Aber auch 
hier hat das rechtzeitig in jedem Falle und regelmässig verordnete 
Pyramidon seine guten Eigenschaften — Abkürzung und Milderung 
des Krankheitsverlaufes, Verhütung ernsterer Nachkrankheiten, in¬ 
sonderheit auch von Lungenentzündungen — wieder vollauf bewährt. 
Ueble Ausgänge wurden vermieden, nachteilige Folgen blieben ganz 
aus. 


Aus der Heilstätte Rheinland-Honnef. 

Beobachtungen zur Influenzafrage. 

Von Dr. H. Grau. 

Die diesjährige, bisher in zwei Zügen aufgetretene Influenzaepi¬ 
demie, die in ihrer Verbreitung und Schwere so überraschend ge¬ 
wirkt hat, ist nicht ohne Vorläufer gewesen. Seit Beginn des 
Krieges war eine Zunahme der epidemisch auftretenden Katarrhe der 
oberen Luftwege festzustellen, die uns sonst besonders zu Beginn 
der kälteren Jahreszeit geläufig sind. Meine folgenden Beobachtungen 
sind im Jahre 1917 zusammengestellt. Ich kann selbstverständlich 
nur von örtlichen Beobachtungen im nächsten und, soweit Erkundi¬ 
gungen zuverlässig sind, in etwas weiterem Umkreise sprechen. Im 
Jahre 1914 ist mir von einem reichlichen Auftreten solcher Katarrhe 
nichts bekannt geworden. Der Winter 1915/16 brachte in hiesiger 
Gegend zweimal ein stärkeres AnschweMen derartiger epidemischer 
Katarrhe der oberen Luftwege, das erste im Oktober-November 1915, 
das zweite im Januar-Februar 1916. Diese letztere Epidemie zeichnete 
sich durch besonders häufiges Uebergredfen der Katarrhe auf die 
kleineren Luftröhrenäste aus. Gleichzeitig waren schwerere AHge- 
meinerscheinungen, grosse Mattigkeit, Kopf- und Muskelschmerzen, 
oft höheres Fieber mit grosser Häufigkeit zu finden. Fast regelmässig 
Hessen sich Schmerzen in den Augäpfeln feststellen, die von selbst 
und besonders bei Druck auf die Augäpfel von oben her empfunden 
wurden. In mehr als einer Beziehung erinnerten diese Erkrankungen 
an das Bild der echten Influenza. Bakteriologische Untersuchungen 
konnten nicht angestellt werden. Es kam gelegentlich dieser Epidemie 
bemerkenswert häufig vor, dass eine vorliegende Lungentuberkulose 
eine vorübergehende, in einzelnen Fällen auch dauernde Verschlimme¬ 
rung erfuhr oder dass bis dahin völlig Gesunde mit einem dieser 
Epidemie entstammenden verschleppten Katarrh kamen und sich als 
tuberkulös erwiesen. 

Ein stärkeres Ansteigen trat dann im Spätherbst 1916 
und im Januar 1917 auf. Gerade dieser letztere Krank¬ 
heitszug hatte einige besondere Eigentümlichkeiten. Heftiger 
Schnupfen kam gewöhnlich zur Beobachtung. Dabei bestanden meist 
stärkere Kopfschmerzen. In mehreren Fällen wurden heftige Schmer¬ 
zen in den langen Rückenmuskeln geklagt, die auch auf Druck sehr 
empfindlich waren. Ungewöhnlich waren diesmal Schmerzen in zahl¬ 
reichen Gelenken, die meist rasch vorübergingen und ohne deutliche 
Schwellungen, aber mit Druckschmerz verliefen. Dagegen war in 
dieser Epidemie die Neigung zu ausgiebiger Erkrankung der Luft¬ 
röhrenschleimhaut gering. 

Die beschriebenen Beobachtungen, die von mir ursprünglich unter 
dem Gesichtspunkte der Beziehung dieser Katarrhe zur Tuberkulose 
aufgezeichnet wurden, zeigten also zahlreiche epidemische Krank¬ 
heitszüge, die bis dahin im ganzen nicht schwere, unter sich in ihren 
Haupterscheinungen deutlich verschiedene Bilder aufwiesen. Man 
konnte -in diesen Krankheitszügen wohl eine Kriegsfolge vermuten. 
Der Felddienst der Truppen im Winter, die Berührung mit zahl¬ 
reichen, oft wenig reinlichen fremden Völkern konnten die Entstehung 
verständlich machen. Die umschlossene Lage Deutschlands, die bei¬ 
spiellosen Truppenverschiebungen, die vielfach zum Ungünstigen ge¬ 
wandelten Verkehrsverhältnisse — Ueberfüllung und mangelnde 
Reinlichkeit — konnten die grosse Verbreitung erklären. 

Das plötzliche Auftreten der Influenza im Jahre 1918 legt den 
Gedanken nahe, ob es sich nicht auch bei den früher beobachteten 
Epidemien zum Teil schon um Influenza gehandelt hat. Die Beob¬ 
achtung der Krankheitsbilder, zumal der Epidemie im Februar 1916, 
liess entschieden den Gedanken an Influenza aufkommen. Hübsch- 
mann 1 ) hat in der Tat im Jahre 1915 bei einer grossen Zahl von 
Bronchitisfällen Influenzabazillen nachgewiesen und danach sogar das 
Bevorstehen einer Influenzaepidemie vermutet. So wird man die 
geäusserte Vermutung nicht von der Hand weisen dürfen. Es ent¬ 
stände dann das Bild einer Erkrankung, die in Wellen- verläuft, deren 
mehrere kleinere, zunächst unter verschiedenen Bildern, einander 
folgen, bis schliesslich mit einigen besonders verbreiteten und 
schweren Zügen der Höhepunkt erreicht wird. Danach wäre»zu 
schliessen, dass wir noch nicht am Ende unserer Erfahrungen stehen, 
dass weitere, vielleicht unter etwas anderen Bildern auftretende 


! ) Hübsch mann: M.m.W. 1915. 
Nr. 49. 

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Krankheitswellen folgen werden. Im Lichte dieser Betrachtungen 
würden auch die interessanten Ausführungen von 0 e 11 e r *) über das 
durch erhöhte Abwehrbereitschaft erklärte toxämische Krankheits¬ 
bild der Influenza vermehrtes Verständnis finden können. 

In der gegenwärtigen Epidemie sind neben diesen in der Mehr¬ 
zahl vorhandenen, typischen, akuten Krankheitsformen noch andere 
nachweisbar, die geringere subjektive Beschwerden, langsamen, 
weniger hohen Anstieg der Kurve mit ebenso langsamem Abstieg 
zeigen. Daneben sind für die Verbreitung der Erkrankung sicher 
die abortiven Formen von grösster Bedeutung. Man sieht da leichte 
Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Unbehagen, unbedeutendes kurzes 
Fieber, Bilder, die nur durch ihr zeitliches Zusammenfallen mit 
anderen Grippeerkrankungen als Grippe zu vermuten sind. Die 
Wichtigkeit dieser leichteren Formen liess sich daran erkennen, dass 
sich an solche unbeachteten Katarrhe schwere Luftröhrenkatarrhe 
nachträglich anschliessen können. 

Für die Infektionsfrage bieten die Verhältnisse einer geschlos¬ 
senen Anstalt die beste Beobachtungsmöglichkeit. In die hiesige 
Heilstätte wurde der. erste Fall hn Juli durch einen Soldaten einge- 
schleppi der beurlaubt war und 5 Tage nach der Rückkehr vom 
Urlaub erkrankte. Die Erkrankung ergriff dann seinen Bettnachbarn. 
Sie zeigte dieses Ueberspringen von Bett zu Bett dann ip so eklatanter 
Form, dass sich der Gedanke der Isolierung ohne weiteres aufdrängte. 
Er wurde alsbald durchgeführt in der Weise, dass die 
Grippekranken sofort von den Gesunden getrennt wurden, 
wie es scheint, mit bestem Erfolge. Von Wichtigkeit erscheint mir 
für die Einschränkung der Weiter Verbreitung noch die Verhütung des 
rücksichtslosen Anhustens, der in jedem einzelnen Falle Aufmerk¬ 
samkeit zuzuwenden ist. 

Ueber die Vorbeugung laufen im Publikum allerlei Gerüchte und 
Empfehlungen 1 um. Mir scheinen, wenn das auch nicht ausnahmslos 
richtig ist, systematisch abgehärtete Persohen einen ge¬ 
wissen Schutz zu gemessen. Weitere Beobachtungen zu 
dieser wichtigen Frage des Verhältnisses von Infektion 
der oberen Luftwege und Abhärtung wären zu wünschen. 
Neumayer 3 ) sah Tuberkulinbehandelte verschont bleiben. Bei 
den Beobachtungen könnte dieselbe Tatsache einer erhöhten allge¬ 
meinen Ab Wehrfähigkeit zugrunde liegen. 

Es wurde oben schon darauf hingewiesen, dass im Januar 1916 
häufiger Verschlimmerungen bestehender Tuberkulose zur Beobach¬ 
tung kamen. Auch bei der gegenwärtigen Epidemie sind solche Be¬ 
obachtungen zu machen. Man kann allerdings feststellen, dass früh¬ 
zeitig durch Bettruhe behandelte Fälle meist ohne Verschlimmerung 
ihrer Tuberkulose davonkommen, selbst wenn es sich an sich um 
schwerere Tuberkulose handelt. Dagegen habe ich z. B. bei ambulant 
durchgemachter Grippe abortiver Art heftigen Luftröhrenkatarrh Zu¬ 
rückbleiben sehen, der in einem Falle bei seit langem ruhender 
Tuberkulose zu Wiederauftreten massenhafter Tuberkelbazillen in 
dem Auswurf führte. Es ist in solchen Fällen zur Auswurfunter¬ 
suchung dringend zu raten. Im ganzen scheint, soweit das be¬ 
schränkte Material eines immerhin kleinen Beobachtungskreises ein 
Urteil erlaubt, bei der derzeitigen Epidemie eine Rückwirkung auf die 
Tuberkuloseresistenz deutlich vorhanden, im ganzen aber nicht be¬ 
sonders gross zu sein. Dagegen stellen vorhandene bronchiektatische 
Veränderungen und eitrige Bronchitis eine sehr ungünstige Vergesell¬ 
schaftung mit Grippe dar. 


Aus der Militär-Nervenheilanstalt Bad Thal. (Leitender Arzt 
Stabsarzt d. Res. Dr. med. Mahr.) 

Das Erschlaffen der Extremitätenmuskulatur nach Unter¬ 
brechung der Blutzufuhr durch Abschnürung. 

Von Feldunterarzt Ebrecht. 

Die Abschnürung von Gliedmassen wurde ursprünglich als Mittel 
zur Blutstillung bei schweren Verletzungen angewandt Erst sehr 
spät lernte man diese Art der vorläufigen Blutstillung in der Chirurgie 
bei Amputationen gebrauchen. Heutzutage wird wohl kaum diese 
Operation ausgeführt, ohne vorher die E s m a r c h sehe Binde an¬ 
zulegen. Bei vorausgegangener Auswickelung von gesunden Glied¬ 
massen hat die Abschnürung weiter gezeigt wie übersichtlich und 
bequem in vollkommener Blutleere zu operieren ist. ‘Man hat diese 
Methode ferner vor eingreifenden Operationen bei geschwächten 
Kranken angewandt, um dem Körper die nötige Blutmenge und Kraft 
zu geben, oder auch nach schweren Blutverlusten, wo dem ent¬ 
kräfteten Herz alle entbehrliche Blutflüssigkeit zur Verfügung gestellt 
werden musste. 

Weitere Versuche, die von mir in der hiesigen Anstalt ausge¬ 
führt wurden, haben wenig bekannte bzw. neue Ergebnisse ge¬ 
zeitigt. Die Blutleere liefert interessante Gesichtspunkte für die 
Theorie der Muskel- und Nervenphysiologie und kann zu 1 diagnosti¬ 
schen und bisweilen gleichzeitig therapeutischen Zwecken herange*- 
zogen werden. Da über diese Art der Anwendung weder auf der 
Universität gelehrt wurde, noch in den Lehrbüchern und der Literatur, 
die mir zur Verfügung stehen, hierüber geschrieben ist, so glaube Ich. 
für eine Mitteilung dieser Ergebnisse Interesse zu finden. 

•) O eil er: M.m.W. 1918 Nr. 44. 

*) Neumayer: M.m.W: 1918 Nr. 44. 

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1376 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 49. 


Bevor diese selbst geschildert werden, seien erst die subjektiven 
und objektiven Veränderungen aufgeführt, die wir an einer Ex¬ 
tremität beobachten, deren Ölutzufuhr durch Abschnürung vollständig 
unterbrochen ist. 

Beim Gesunden finden sich folgende subjektive Zeichen vor. 
Die abgeschnürte Extremität scheint dem Untersuchten wärmer als im 
normalen Zustande zu sein, nur am Ende der Extremität pflegt ein 
wie durch Kälte bedingtes Gefühl der Taubheit einzutreten, so dass 
auch Gegenstände durch das Gefühl nicht mehr erkannt werden 
können. Obwohl die Extremität objektiv kälter ist». bleibt während 
der^ganzen Dauer der Abschnürung dieses Gefühl der. grösseren 
Wärme, das auch dem des sog. Heisskribbel ähnlich sein kann, be¬ 
stehen und wird bei passiven Bewegungen derart gesteigert, dass ein 
heftiges, Schmerzen auslösendes Hitzegefühl auftritt: Auch das Gefühl 
der aktiven Bewegungsfähigkeit der distalen Teile des Gliedes er¬ 
lischt bald. Der Untersuchte glaubt also z. B. seine Zehen nicht mehr 
bewegen zu können, während er es in Wirklichkeit doch noch tut. 
Leichtes Streichen der Fusssohle mit einer Nadel verursacht während 
der ersten Zeit einen heftig brennenden Schmerz, „es ist so, als ob die 
Haut aufgerissen würde“. Am Ende des Gliedes pflegt dann ein 
heftiger Tiefenschmerz aufzutreten, der mit der Dauer der Abschnü¬ 
rung zunimmt und immer mehr nach dem Rumpf zu fortschreitet. 
Nach 20—30 Min. tritt der Hauptschmerz an der Abschnürungsstelle 
auf, der sich bis zur Unerträglichkeit steigert und zum Lösen der 
Abschnürung zwingt. 

Objektiv nachweisbar sind beim Gesunden folgende Erschei¬ 
nungen. Zuerst ist das Lagegefühl der Endteile der Extremität er¬ 
loschen. Bald danach leidet das stereognostische Erkennungsver¬ 
mögen. Die Gjefühlsstörungen nehmen mit der Dauer der Abschnürung 
ebenfalls immer mehr zu, so dass die Sensibilität der Haut für fast 
alle Qualitäten erlischt. Die Schmerzempfindung dagegen scheint er¬ 
halten zu sein, wird aber verspätet empfunden. 

Nach etwa 10 Minuten sind der Radius-, Fusssohlen- und Achilles¬ 
reflex nicht mehr auslösbar, während der Ffatellar- und Trizepssehnen¬ 
reflex erhalten bleiben. 

Nach dem Erlöschen der Reflexe tritt die praktisch wichtigste Er¬ 
scheinung auf, es wird nämlich die aktive Bewegungsfähigkeit distal 
der Abschnürung vollständig aufgehoben. Die Erschlaffung ist so 
hochgradig, dass passiven Bewegungen nicht der geringste Wider¬ 
stand entgegengesetzt wird. Eine Ausnahme bilden nur die Muskeln 
am Oberarm und Oberschenkel, um die die abschnürende Binde an¬ 
gelegt ist. Diese Muskeln sind nicht zur vollständigen Erschlaffung 
zu bringen und hindern passive Bewegungen in den Ellenbogen- und 
Kniegelenken. 

Sehr wichtige und interessante Ergebnisse zeigt weiter das Ver¬ 
halten der Muskeln und Nerven bei Reizung mit dem elektrischen 
Strome. 

Die faradische Erregbarkeit der Muskeln in der abgeschnürten 
Extremität scheint nach etwa 15 Minuten bei direkter Reizung stärker, 
bei indirekter schwächer als in der nicht abgeschnürten zu sein. Der 
galvanische Strom gibt um diese Zeit keine sicher nachweisbaren 
Unterschiede. Erst nach 30—45 Minuten treten wichtige Verände¬ 
rungen ein. Jetzt erlischt die indirekte galvanische und faradische 
Erregbarkeit, die schon allmählich immer schwächer geworden war, 
vollkommen, namentlich wenn der elektrische Reiz längere Zeit ein¬ 
gewirkt hat. Die direkte galvanische und faradische Muskelerregbar- 
kedt ist aber während der ganzen Dauer der Abschnürung noch er¬ 
halten, sie wird zwar auch immer schwächer, träger und schliesslich 
wurmförmig, erlischt aber nie vollkommen. Es findet bei ihr immer 
wieder Erholung der Muskulatur statt, bei indirekter Reizung dagegen 
nicht, selbst wenn genügend Zeit zur Erholung gegeben ist. 

Auch oberhalb der Abschnürung, z. B. am Rektus des Ober¬ 
schenkels, wenn die Binde etwa handbreit oberhalb des Kniegelenks 
angelegt ist, ist eine Abnahme und schnellere Ermüdbarkeit bei in¬ 
direkter Reizung zu verzeichnen. Ein vollständiges Erlöschen scheint 
jedoch nicht stattzufinden. 

Die Leitungsfähigkeit in dem abgeschnürten Gliede ist nicht 
herabgesetzt, da z. B. am Arm gleiche Zuckungen erzielt werden, 
wenn eine Elektrode auf die Fusssohle des abgeschnürten oder auf 
die des nicht abgeschnürten Beines gesetzt wird. 

Beim Hysteriker zeigen sich dieselben Verhältnisse, jedoch 
ist bei der oft gesteigerten Empfindlichkeit eine länger dauernde 
Abschnürung ohne heftiges Klagen nicht immer durchzuführen. Der 
analgetische Hysteriker empfindet nach einer Stunde aber auch 
Schmerzen, besonders an der Abschnürungsstelle. Für Unter¬ 
suchungen jedoch, vor allem der elektrischen Erregbarkeit, geben 
diese Leute die besten Voraussetzungen. Auch bei Anwendung 
von starken, schmerzhaften Strömen stören sie nicht durch willkür¬ 
liche Bewegungen. 

Von den Erkrankungen des Nervensystems konnten 
hier nur die Verhältnisse bei spastischen Lähmungen (Unterbrechung 
der Pyramidenbahnen) geprüft werden. Für andere Erkrankungen 
hat die Abschnürung auch keine praktische Bedeutung. Bei den 
ersteren Krankheiten bietet die Blutleere teilweise anderes Verhalten 
wie beim Gesunden. 

Von subjektiven Empfindungen fällt folgendes auf. Anstatt des 
Wärmegefühls besteht ein Kältegefühl, wie es ja den wirklichen 
Verhältnissen entspricht, so dass also der Kranke in dieser Hinsicht 
richtiger fühlt als der Gesunde. Die Schmerzen sind anfangs be¬ 
deutend geringer und treten erst viel später auf; sie werden nicht am 

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Ende des Gliedes empfunden, sondern meist nur an der Abschniirungs- 
stelle oder oberhalb derselben. 

Objektiv nachzuweisen sind folgende Erscheinungen. Das Er¬ 
löschen des Lagegefühls und das Abnehmen der Gefühlsempfindungen 
überhaupt tritt, falls nicht schon vorher • Störungen bestehen, in 
gleicher Weise wie beim Gesunden ein. Auch die Schmerzleitung ist 
verlangsamt. 

Der Achillesreflex, die spastischen Reflexe (Babinski, Oppenheim, 
Rossolimo) und der Fussklonus erlöschen nach 10—15 Minuten. Auf¬ 
fällig ist, dass nach Erlöschen des Babinski Streichen der Fusssohle 
nocti eine Beugung oer grossen Zehe hervorruft. Der Patellar- und 
Trizepssehnenreflex bleiben bestehen, werden jedoch immer schwä¬ 
cher, so dass man nicht mehr von einer Steigerung der Reflexe spre¬ 
chen kann. Periostreize am Ende der Gliedmassen können noch nach 
langer Dauer, bis über 1 % Stunden, Kontraktionen oberhalb der Ab¬ 
schnürung auslösen. So tritt z, B. bei Beklopfen eines Knöchels 
oder des Condylus tibiae Zuckung im Tensor fasciae tatae und den 
Adduktoren des Oberschenkels auf. 

Das Erschlaffen der Muskulatur und das Erlöschen der will¬ 
kürlichen Bewegung tritt gleich schnell wie beim Gesunden ein. 
Als besonderes Kennzeichen fällt jedoch auf, dass im Gegensatz zum 
Gesunden alle Spasmen, auch die des Oberarmes und Oberschenkels 
nach etwa 10—20 Minuten vollkommen beseitigt sind. Auch die Ge¬ 
lenke, die infolge der Spasmen sich vorher nur unter Anwendung 
von Gewalt bewegen Hessen und den Eindruck organischer Verände¬ 
rungen im Gelenk erweckten, schlottern bei. passiven Bewegungen 
wie bei einer schlaffen Lähmung. Die Extremität fällt wie bei der 
Leiche oder wie bei einem tief Narkotisierten schlaff herunter. 

Das Verhalten der Muskeln bei Reizung mit dem elektrischen 
Strome gibt gegenüber dem Gesunden keine wesentlichen Unter¬ 
schiede. Die Zuckungen scheinen anfangs stärker zu sein als in der 
nicht abgeschnürten Extremität. Diese Unterschiede sind jedoch nicht 
sehr gross und unterstehen der subjektiven Beurteilung. Der wich¬ 
tigste Befund, das Erlöschen der indirekten Erregbarkeit bei Erhalten¬ 
sein der direkten findet sich aber auch hier in gleicher Weise wie 
beim Gesunden. 

Nach Lösen der Binde erscheint beim Gesunden und Kranken 
‘zunächst eine heftige Hyperämie. Nach 1—2 Minuten treten alle 
ursprünglichen Verhältnisse schnell wieder ein. Der Babinski scheint 
später als der Achillesreflex wiederzukehren ,und zwar findet sich 
vorher erst wieder Beugung der grossen Zehe. 

Kurz zusammengefasst erlöschen also nach Unterbrechung der 
Blutzufuhr in zeitlicher Folge: 

1. das Lagegefühl der distalsten Teile der Extremität. 

2. das stereognostische Erkennungsvermögen, 

3. die Reflexe, 

4. die willkürlichen Bewegungen, 

5 4 die indirekte galvanische Erregbarkeit, 

6. die indirekte faradische Erregbarkeit. 

Nebenher geht eine allmählich abnehmende Gefühlsempfindung 
der Haut für alle Qualitäten mit Ausnahme der Schmerzempfindung, 
die verlangsamt ist *). 


Für die Praxis gibt die Abschnürung ein brauchbares Mittel 
zur diagnostischen Erkennung von Kontrakturen. Dieses wird von 
Erben bestritten, er erwähnt jedoch, dass schon 1880 ein russischer 
Arzt durch die Lösung einer Kontraktur mittels Umschnürung auf 
eine Simulation schloss. 

Soweit die Versuche bis jetzt ergeben haben, erfährt allerdings 
die Erschlaffung der Muskulatur und dadurch folgende Lösung von 
Kontrakturen eine Einschränkung. Es lösen sich beim Gesunden 
nicht alle Gelenke distal der Abschnürung, sondern nur diejenigen, 
deren Muskeln, die die Fixation besorgen, vom Ursprung bis zum An¬ 
satz im abgeschnürten Gebiet liegen. Mit anderen Worten, es löst 
sich nicht das der Abschnürung distal nächstgelegene Gelenk, da¬ 
gegen alle anderen weiter distal gelegenen vollkommen. Es kann 
also praktisch nur eine Kontrakturlösung in den Hand- und Finger- 
sowie Fuss- und Zehengelenken durch Abschnürung am Oberarm oder 
Oberschenkel erzwungen werden. Für die Erschlaffung dieser Ge¬ 
lenke ist die Abschnürung ein voller Ersatz der Narkose. Die 
Schulter und Hüftgelenke scheiden naturgemäss vollkommen aus. bei 
Ellenbogen- und Kniegelenken kann meist nur der Verdacht auf eine 
organische Veränderung durch allerdings nur tonbedeutende Be¬ 
weglichkeit erweckt, ein Beweis nicht immer erbracht werden. Bei 
diesen Gelenken gelingt es aber auch zuweilen, wenn man die Auf¬ 
merksamkeit des Untersuchten ablenkt und durch überraschenden 
Griff die gewünschte Gelenkstellung herbeiführt. 

Lösen sich Kontrakturen, so beweist dieses, dass keine orga¬ 
nische Gelenkveränderung vorliegt. Es ist noch kein Beweis er¬ 
bracht, ob die Kontrakturen funktionell oder simuliert sind. Diesen 
Beweis erhalten wir aber auch durch die Narkose nicht. Anderer¬ 
seits darf man nicht Hysterie ausschliessen, wenn kein Schlottern 
der Gelenke bei passiven Bewegungen eintritt, denn es können bei 
Hysterie schon nach kurzer Zeit organische Gelenkveränderungen 
eintreten, andererseits sich bei ihr aber auch nach 2—3 Jahren 


*) Die Ursache dieser Erscheinungen sehe ich in einem früh ein¬ 
setzenden Erlöschen der Funktion der motorischen Nervenendplatten. 
Eine ausführliche Arbeit hierüber soll an anderer Stelle veröffentlicht 
werden. 

Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



3. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1377 


noch keinerlei bewegungshemmende Störungen im Gelenk vor¬ 
finden. Eine organische Veränderung beweist jedenfalls, dass keine 
Simulation vorliegt. Die Diagnose Hysterie kann oft erst durch den 
therapeutischen Erfolg einer suggestiven Behandlung erbracht 
werden. 

Auch bei zweifelhaften spastischen Lähmungen, die keine deut¬ 
lichen spastischen Reflexe bieten, können die Verhältnisse während 
der Abschnürung differentialdiagnostisch herangezogen werden. 

Von den objektiven Zeichen ist, wie schon oben hervorgehoben, 
charakteristisch, dass auch die Spasmen des Oberarmes und des 
Oberschenkels erlöschen, -was beim Gesunden und Hysteriker nicht 
der Fall ist. 

Von den subjektiven Zeichen ist folgendes hervorzuheben. Der 
Spastiker klagt erst nach langer Dauer (oft 1A Stunden) über 
Schmerzen. Er lokalisiert diese meist nur an die Abschnürungsstelle 
und nicht wie der Gesunde anfangs in das Ende der Extremität. 
Passive Bewegungen verursachen ihm keine Schmerzen, beim Ge¬ 
sunden sind diese sehr heftig. Der Kranke fühlt ferner Kälte in der 
abgeschnürten Extremität, der Gesunde dagegen Wärme und sogar 
Hitze. 

Ob das längere Ertragen der Abschnürung für die Schwere der 
Erkrankung spricht, wage ich nicht zu entscheiden. 

Von den subjektiven Empfindungen beim Gesunden gibt die 
Grösse der Schmerzempfindung vielleicht einige Fingerzeige. Der 
empfindliche Hysteriker und der Simulant, der eine Entlarvung be¬ 
fürchtet, wird bald laut vor Schmerzen schreien, während dagegen 
für Kranke mit organischen Gelenkveränderungen kein besonderer 
Grund vorliegt, die Schmerzhaftigkeit zu übertreiben. 

Es sei an dieser Stelle ferner darauf hingewiesen, dass während 
einer Nervenoperation in Blutleere die Prüfung der elektrischen Er¬ 
regbarkeit vom Nerven aus nach der ersten halben Stunde einen 
sehr zweifelhaften Wert für den Gang der Operation bietet, da ein 
Ausbleiben der Zuckung noch keine Entartungsreaktion zu sein 
braucht. 

Therapeutisch kann dieses Verfahren weiter wohl nur bei 
hysterischen Erkrankungen angewandt werden. Durch suggestive 
Wirkung, die bei manchen Fällen durch Anwendung schmerzhafter 
oder sonstwie unangenehmer Behandlungsmethoden ja erst ihre volle 
Ueberzeugungskraft erhält, werden oft Kontrakturen dauernd gelöst 
und die Gelenke aktiv wieder voll beweglich. Auch bei analgetischen 
Hysterikern, die jeder Therapie, auch der der schmerzhaftesten 
Ströme, unzugänglich sind, verschafft diese Methode vielleicht einigen 
Erfolg. Es tritt auch hier, wenn auch später als normal, ein heftiger 
Tiefenschmerz auf, der ''sich nicht dauernd ertragetf lässt. Es ist 
denkbar, dass dieser Tiefenschmerz den Widerstand des sonst anal¬ 
getischen Kranken bricht. 

Auf Grund der bisherigen Erfahrungen empfiehlt es sich, die 
Abschnürung für erwähnte Zwecke in jedem Falle anzu wenden. Sie 
ist bei vorsichtigem Gebrauche (Gefahr der Drucklähmung) ganz 
unbedenklich und der Anwendung der Narkose vorzuziehen. 

Um zu zeigen, wie gross die praktische Bedeutung der Ab¬ 
schnürung für die Lösung von Kontrakturen sein kann, mögen hier 
noch Auszüge aus 3 Krankengeschichten angeführt werden. Trotz 
langjährigen Lazarettaufenthaltes, Röntgenaufnahmen und Heran¬ 
ziehung von namhaften Chirurgen der Universitätskliniken zur Be¬ 
gutachtung gelang es in diesen Fällen nicht, eine organische Gelenk¬ 
veränderung mit Sicherheft auszuschliessen. 

1. Reservist N., Kaufmann, 28 Jahre. 

Nach Hufschlag gegen die linke Hüfte im Mai 1915 entstand 
allmählich eine schwere spastische Lähmung des linken Beines mit 
vollständiger Versteifung des Kniegelenkes in Strecksteilung und des 
Fusses in Spitzfussstellung. Zehengelenke ebenfalls versteift. Erst 
spät wurde die psychogene Natur des Leidens erkannt, so dass An¬ 
fang Januar 1918 nach 2 X A jährigem, dauernden Lazarettaufenthalt 
Ueberweisung nach hier erfolgte. Am 6. I. 18 Abschnürung des linken 
Beines nach Auswickelung (Binde in Höhe der Gesässfalte). Nach 
20 Minuten Fuss- und Zehengelenke passiv vollkommen frei beweg¬ 
lich. Das linke Kniegelenk lässt sich passiv nur um 2—3° beugen. 
Bei weiteren Beugungsversuchen heftige Schmerzensäusserungeu 
in- theatralischer Weise. Nach Abnahme der Binde Spasmen des 
Unterschenkels dauernd beseitigt und Bewegung des Fusses und der 
Zehen aktiv möglich. Die Beweglichkeit des Kniegelenkes konnte 
erst durch Behandlung mit schmerzhaftem faradischen Strome er¬ 
reicht werden. 

2. Kanonier K., Abiturient, 20 Jahre. 

Am 23. IX. 17 Krankmeldung wegen Rheumatismus (Schwellung 
des linken Kniegelenkes, Beugung nur bis zum rechten Winkel mög¬ 
lich). Am 14. XI. 17 Röntgenaufnahme. Man glaubt auf entzünd¬ 
liche Veränderungen im Gelenk schliessen zu müssen. Vom Chirur¬ 
gen bestritten und Verdacht auf funktionelles Leiden geäussert. Dar¬ 
auf Beobachtung in Universitätsklinik. Am 6 XIL 17 dort vom 
chirurgischen Beirat folgendermassen begutachtet: „Ich finde-bei K. 
keine objektiven Veränderungen am Kniegelenk. Auch die Um¬ 
fangsmasse des Oberschenkels der angeblichen kranken Seite sind 
denen der gesunden vollständig gleich. Da das angebliche Leiden 
schon mehrere Monate dauert, müsste man bei wirklich objektiven 
Veränderungen eine Atrophie der Muskulatur finden. Ich halte das 
Ganze am ehesten für psychogen.“ Am 4. II. 18 Aufnahme in der 
hiesigen Anstalt. Befund: Die Streckfähigkeit des linken Kniegelenkes 
aktiv um 15° behindert, passiv unter Anwendung vbn grösster Kraft 

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bei heftigen Schmerzensäusserungen weitere Streckung um 5° mög¬ 
lich. Beugung frei, keine Atrophie. Am gleichen Tage Abschnürung 
des linken Beines nach Auswickelung (Binde in der Mitte des Ober¬ 
schenkels). Nach 25 Minuten gelingt unter Ablenkung der Aufmerk¬ 
samkeit passiv vollkommene Streckung im Kniegelenk. Es wird da¬ 
bei sofort versucht, durch aktive Muskelanspannung das Kniegelenk 
wieder zu beugen. Energische Ermahnung erreicht aber auch aktive 
Streckung. Nach Lösen der Binde bleibt das Kniegelenk dauernd 
aktiv voll beweglich. 

3. Rentenempfänger, ehern. Musk. M., Lagerverwalter, 25 Jahre. 

Am 11. XI. 13 während der aktiven Dienstzeit Verstauchung des 
linken Kniegelenkes. Am 15. I. 14 dienstfähig aus dem Lazarett ent¬ 
lassen. Wegen erneuter dauernder Beschwerden unter der Diagnose 
Hysterie als dienstuntauglich mit 10 Proz. Rente aus dem Heeres¬ 
dienst entlassen. Nach der Entlassung Verschlimmerung der Er¬ 
scheinungen, so dass am 10. VII. 15 M. mit 40 Proz. Erwerbsbeschrän¬ 
kung erneut begutachtet wurde. Im Sommer 1917 sollte wegen Bitte 
um Vollrente Aufnahme in der hiesigen Anstalt erfolgen. Ständige 
Weigerung, da angeblich nicht reisefähig. M. will sich dagegen in 
seinem Heimatlazarett das linke Bein amputieren lassen und bittet 
um Tragung der Kosten einschliesslich der für die Prothesen. Auch 
vom Arzt in diesem Sinne begutachtet und Amputation' ernstlich vor¬ 
geschlagen, jedoch vom Urteil des Chirurgen einer Universitätsklinik 
abhängig gemacht. Daraufhin dort am 26. XI. 17 folgendes Qutachten 
abgegeben: „Bei dem M. kann eine Begutachtung nur unter klinischer 
Ueberwachung erfolgen. Nach Einsicht der Akten und dem jetzigen 
klinischen Befunde erachte ich es für fast sicher, dass das Leiden 
durch Hysterie bedingt ist. Inwieweit auf Grund dieser sekundäre 
Kontrakturen hinzugetreten sind, wäre nur durch Narkoseunter¬ 
suchung zu entscheiden. Einer Amputation ist jedenfalls absolut zu 
widerraten.“ Darauf Weigerung des M., eine Narkose vornehmen 
zu lassen, und Verzicht auf Erhöhung der Rente und Aufnahme in 
eine Nervenheilanstalt. M. wurde jedoch als a. v. eingezogen und 
am 5. III. 18 auf einer Trage in die hiesige Anstalt gebracht. Befund 
bei -der Aufnahme: Das linke Bein ist stark atrophisch und aktiv 
nicht beweglich. Passive Bewegungen im Hüftgelenk stark behindert. 
Das Kniegelenk in Beuge-, der Fuss <in Spitzfussstellung versteift, 
bei starkem Kraftaufwand von 2 Personen lässt sich nur ganz geringe 
passive Beweglichkeit erzielen, dabei übertrieben lautes Schreien. 
15 Minuten nach Auswickelung des linken Beines und Abschnürung 
in Höhe der Gesässfalte gelingt unter Ablenkung der Aufmerksam¬ 
keit Beugen des linken Kniegelenkes. Nach weiteren 15 Minuteh ist 
auch wiederholtes Beugen und Strecken im Kniegelenk unter Ueber- 
windung von Muskelspannung möglich. Auch das Hüftgelenk wird 
dabei unbehindert bewegt. Heben des Fusses gelingt passiv nur bis 
zu einem rechten Winkel infolge eingetretener Verkürzung der 
Achillessehne. Nach Lösung der Binde ist der frühere Zustand in 
gleicher Weise wieder eingetreten. Am nächsten Tage wurde unter 
dem faradischen Strome aktive Beweglichkeit erzielt, nach weiteren 
2 Tagen kein Hinken mehr und M. voll erwerbsfähig. -Welche Mühe 
die Militärverwaltung durch den Rentenkampf des M. gehabt hatte, 
erhellt wohl am besten aus dem Umfange der Akten, deren Seiten 
die Zahl 262 bereits überschritten hattfen. 

Zum Schluss möchte ich noch mit einigen Worten auf die Tech¬ 
nik der Ausführung zu sprechen kommen. Bei wiederholten Ver¬ 
suchen hat sich gezeigt, dass eine blosse Abschnürung ohne Aus¬ 
wickelung die gleichen Erfolge bringt, dass jedoch alle Abweichungen 
von den normalen Verhältnissen etwa 15 Minuten später eintreten. 
Auch kommt es auf die Güte der Auswickelung an. Je besser die 
Extremität ausgewickelt ist, je schneller treten die veränderten Zei¬ 
chen ein. Besonders für die Prüfung der elektrischen Erregbarkeit 
.scheint ein Auswickeln erforderlich zu sein, da ohne diese die Zeit¬ 
unterschiede im Nachlassen der indirekten und direkten Muskelerreg¬ 
barkeit nicht so deutlich sind. Im allgemeinen ist es aber nur im 
Sinne der Zeitersparnis und der kürzeren Dauer der Schmerzhaftig¬ 
keit praktischer, die Extremität vor der Abschnürung auszuwickeln. 

Literaturnachweis: 

Tiger st edt: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. — 
Erben: Diagnose der Simulation nervöser Symptome. 1912. 


Aus der bakteriolog. Untersuchungsstelle des Hygienikers 
Rumänien-West. (Leiter: Oberstabsarzt Prof. H. Werner.) 

Zur Serologie des Flecküebers, insbesondere Ober 
Immunisierung mit Proteus X19. 

(II. Mitteilung.) * 

Von Prof. Dr. H. Werner und Frl. Dr. E. Leoneanu. 

In Fortsetzung unserer Beobachtungen über die Serologie des 
Fleckfiebers (M.rmW. 1918 Nr. 22 S. 587—589) berichten wir im fol¬ 
genden über weitere Versuche der Immunisierung von Men¬ 
schen mit abgetöteten Kulturen von Xie. Die Unter¬ 
suchungen wurden ausgeführt an in Fleckfieberquarantäne befind¬ 
lichen Landeseinwohnern. 

Die Immunisierung geschah mit bei 60° V* Stunden lang ab¬ 
getötetem und mit Phenolzusatz versehenem Xi». Die Aufschwem¬ 
mung von. Xit wurde von 24 Stunden, alten Schrägagarkulturen ge- 

Oritjinal from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1378 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENbCHRIFT. 


Nr. 49. 


wonnen; die Menge von physiologischer Kochsalzlösung, welche zur 
Aufschwemmung benutzt wurde, betrug 10 ccm für einen Schrägagar. 
Die so erzielte Bakteriemnenge der Aufschwemmung wurde im 
Thoma-Zeisssehen Apparat kontrolliert. Die dabei ermittelten 
Zahlen zeigten eine ziemlich weitgehende Konstanz. Es ergaben sich 
im Durchschnitt 560 Millionen Keime in 1 ccm Aufschwemmung. 

Es wurde mit ganz starken Verdünnungen der Aufschwemmung 
begonnen — Viooo ccm der Aufschwemmung — und allmählich ge¬ 
stiegen. Das Ergebnis der Impfungen wurde durch serologische. Be¬ 
obachtung des Blutserums der Geimpften (Weil-Felix-Reaktion) Kon¬ 
trolliert, wobei die Prüfung von Beginn der Immunisierung an dem Ein¬ 
wand begegnete, dass das Serum infolge früher überstandener Fleck¬ 
fiebererkrankung positiven Wcil-Felix aufweisen könnte. 

Unter allmählicher Steigerung der Dosen der eingespritzten 
Proteus-Xi»-Abschwemmung wurde so die Grenze bestimmt, bei 
welcher erstmalig die Weil-Felix-Reaktion im Serum positiv wurde. 

Als Zeitpunkt für die Prüfung des Serums auf Weil-Felix wurde 
der 14. Tag nach Abschluss der Impfung gewählt. 

Die Impfung selbst bestand aus 3 Injektionen, welche in Abstän¬ 
den von 4 zu 4 Tagen vorgenommen wurden. Von den einzelnen In¬ 
jektionen war immer die zweite doppelt so gross als die erste, die 
dritte doppelt so gross als die zweite. 

Die ersten positiven Ergebnisse der Weil-Felix-Reaktion wurden 
beobachtet bei der Dosengrösse 0 . 2 —0.5— 1.0 der oben beschriebenen 
Aufschwemmung. Die dabei eri eichte Titerhöhe war noch gering 
( 1:100 bis 1:400). Stark positive Weil-Felix-Reaktion trat erst auf 
bei Verwendung grösserer Injektionsdosen (1,0—1.0—2.0) der Auf¬ 
schwemmung; es wurden dabei regelmässig Weil-Felix-Titer von 
1: 800 und vereinzelt bis zu 1: 3200 erreicht. 

Lokalreaktionen starken Grades traten nicht auf. Leichte, 
in Spätestens 2 Tagen vorübergehende Rötung und Schwellung an der 
Injektionsstelle wurde erst bei Verwendung von Dosen von 1,0 der 
Abschwemmung beobachtet. Dabei wurde auch eine mässige Tem¬ 
peratursteigerung bis 38° C, die aber spätestens am zweiten Tage 
nach der Injektion verschwunden war, festgestellt. 

Fleckfiebererkrankung und Impfung. 

Die Geimpften stammten aus Familien bzw. Häusern, in welchen 
klinisch und bakteriologisch sichere Fleckfieberfälle vorgekommen 
waren, und die zum Zwecke der Durchführung der Quarantäne iso¬ 
liert waren. 

Von den 12 bis zum Auftreten der Weil-Felix-Reaktion immuni¬ 
sierten Personen erkrankte keine an Fleckfieber. Die Erkrankungs¬ 
zahl bei den nicht geimpften quarantänisierten Einwohnern, die unter 
den gleichen Verhältnissen wie die Geimpften lebten, betrug 20 Proz. 

Wir bemerken ausdrücklich, dass wir bei der Kleinheit des vor¬ 
liegenden Materials keine weitgehenden Schlüsse aus dem Umstande 
ziehen, dass die geimpften Personen fleckfieberfrei geblieben sind. 

Serologische Eigenschaften des vom Menschen 
gewonnenen X 19 - Immunserums. 

Die von Hamburger und Bauch (D.m.W. 1917 S. 1130)*) 
aufgeworfene Frage, ob die Weil-Felix-Reaktion beim Fleckfieber 
durch Agglutinine im Sinne der bisher bekannten bedingt sei oder 
durch andersartige Stoffe, wurde, von den genannten Autoren be¬ 
antwortet durch Vergleich des Serums Xi* immunisierter Kaninchen, 
das durch Vorbehandlung von Kaninchen mit dem Xis-Serum ge¬ 
wonnen wurde, mit Fleckfieberkrankenserum. 

Es lag nahe, diesen Vergleich nicht mit Tierserum, sondern mit 
dem Serum Xi» immunisierter Menschen anzustellen. 


Agglutininzerstörung durch Wärme. 


Prot.- 

Nr. 

Serutn- 

Ver- 

dflnnttng 

50- 

•55* 

55-00« 

60-65« 

65 -70« 

70-75« 

75 -80« 

Kontrolle, Titer¬ 
grenze des nicht 
erhitzten Serums 

82 

81 

80 

1 : 100 

1 : 100 

1: 100 

1 : 100 

1 : 100 





■ 

1_1_ 

4. 









tir 



_ 


1 • ouu 

1 : 800 





4 [ 1' 

1 

: 4-4- 

1 4 - 


^ 1 


1 : 800 

1 * ftnn 

87 

84 



L 

: 

St 


| _ 


- 

H 

H 

b 

+t+ 

_ 


; _ 

1 • ouu 

1 : 4C0 


Ein Blick auf diese Tabelle lehrt, dass die Grenz-e der 
Wärmeresistenz des Xis-Agglutinins im Serum immunisierter 
Menschen bei 65° C liegt. 

Hamburger und Bauch fanden für Kaninchen immun- 
serum die Grenze höher (75°) und für das Serum fleckfieber¬ 
immuner Menschen (Patientenserum, hicht mit X 19 vorbehandelt) 
t i e f e r (60 0 C). 

Die allmähliche Abschwächung des Agglutinins im Serum Xi» 
immunisierter Menschen geht auch aus unserer Tabelle hervor. Der 
Vergleich unserer Untersuchungen mit denen Hamburger und 
Bauchs ergibt also, dass das X 19 - Agglutinin im Serum 
immunisierter Menschen geringere Tliermoresi- 
stenz hat als das im Serum immunisierter Kanin¬ 
chen und grössere als das Agglutinin im Serum 
Fleckfieberkranker (Patientenserum). 


*) S. a. die während der Drucklegung dieser Arbeit erschienene 
Abhandlung von J a k 0 b i t z - Beuthen, Zbl. f. Bakt. 81. H. 4 u. 5 . 

Digitized by Gck ole 


Absorptionsversuch. 

Das menschliche Xis-Immunserum wurde in steigenden Verdün¬ 
nungen bis zur Titergrenze mit 24 ständiger Xi 9 -Schrägagarkultur 
versetzt. Nach Beendigung des Agglutinationsvorganges wurde die 
überstehende von den agglutinierten 'Bakterien befreite Serumver¬ 
dünnung mit 24 ständiger Xi»-Schrägagarkultur beschickt und auf 
Agglutination geprüft. 

Die nachstehende Tabelle gibt über das Ergebnis Aufschluss. 


Prot.-Nr. 

Weil-Felix 1. Agglut. 
; (vor Dekantierung) 
Titergrenze 

Weil-Felix 2. Agglut. 
(nach Dekantierung) 
Titergrenze 

Absorptionskoeffi¬ 

zient 

86 

-b 1 : 3200 

a 4- l : 400 

1:8 

80 

4- 1 : 800 

«a - 

— 

81 

+ 1 : 800 


— 

82 

4 - 1 : 800 

.> — 

— 

84 

-f 1 : 800 

r 4- 1 : 100 

— 1:8 

87 

t 1 : 800 

? 5 1 : 100 

1:8 


Bei hohem Agglutinationstiter des Immunserums (Prot. Nr. 86 ) 
war die Reaktion auch nach der Absorption positiv. Der Ab Sorp¬ 
tion skoeffizient für Menschenimmunserum war in. 
annähernder Uebereinstimmung mit den Ergebnissen für Kaninchen- 
Serum von Hamburger und Bauch in den Fällen, in welchen 
die Reaktion nach Absorption überhaupt positiv gefunden wurde. 
1 : 8 . 

Den gleichen Absorptionskoeffizienten fanden Hamburger und 
Bauch für den Absorptionsversuch bei Patientenserum. 

Für alle 3 Sera, menschliches Xi»- Immunserum, 
tierisches (Kaninchen) X 19 - Immunserum und Fleck¬ 
fieberpatientenserum haben wir also eine starke Ver¬ 
minderung der agglutinierenden Kraft des Serums nach Absorp¬ 
tion festzustellen, und zwar bemerkenswerterweise in den glei¬ 
chen Mengenverhältnissen für alle 3. Serumarten. 

Koagglutination von Typhus, Paratyphus A und B 
durch menschliches Proteus - X19- Immunseruin. 

Der häufig positive Befund der Gruber-Widalsehen Re¬ 
aktion im Fleckfieberpatientenserum*) legte den Gedanken nahe, beim 
menschlichen Xi 9 -lmmunserum die Gruber-Widal sehe Re¬ 
aktion zu prüfen. Dazu lag umsomehr Veranlassung vor, als auf 
Grund von Untersuchungen Klienebergers, nach welchen Pro¬ 
teusimmunserum Typhusbazillen nicht agglutiniert. Weil und Felix 
die Deutung des positiven Gruber-Widal beim Fleckfieber als Mit¬ 
agglutination äWehnen. 

Die folgende Tabelle lässt erkennen, dass die Koagglutination 
nicht immer vermisst wird. 


Prot.-Nr. 

Weil-Felix 

Titergrenze 

Agglut. von Ty. 
Titergrenze 

Agglut von 
Paraty. A 


80 

4- 1 

800 

_ 

__ 

_ 

81 

4- l 

800 

— 

— 

— 

82 

4 - 1 

800 

• — 

— 

— 

84 

4- l 

400 

— 

— 

— 

86 

+ 1 

3400 

4- 1 : 800 

— 

— 

87 

4 - 1 

800 

— 

— 

— 

75 

4 - 1 

800 

4- 1 : 100 
± ! : 200 

- 

- 


Also unter 7 Fällen 2 positive Gruber-Widalreaktionen, für 
Typhus, die als Koagglijtination armisprechen sind. Bemerkenswert 
ist, dass anscheinend ein Zusammenhang besteht zwischen der Titer¬ 
höhe des Weil-Felix und der Typhusagglutination (Gruber-Widal 
1 :800 bei Prot.-Nr. 86 mit Weil-Felixtiter 1:3200). 

Andererseits verdient Beachtung, dass Koagglutination 
für Paratyphus A und B nicht festgestellt werden konnte 
auch bei grosser Weil-Felixtiterhöhe. 

Es sei dabei bemerkt, dass die Immunisierten mit positivem 
Gruber-Widal nicht gegen Typhus geimpft waren und ihrer Angabe 
nach auch nie einen Typhus durchgemacht hatten. 

Diese Ergebnisse stehen in deutlicher Uebereinstimmung mit 
unseren Feststellungen über die Gruber-Widalreaktion beim Fleck¬ 
fieber, die’wir wie früher ausgeführt in annähernd 40 Proz. posi- 
t i v gefunden haben, und mit unserer Deutung dieser Re¬ 
aktion als Koagglutination. 

Sofern man aus der Koagglutination auf Verwandtschaft der 
Bakterien, schliessen kann, ergeben unsere Untersuchungen grössere 
Verwandtschaftsnähe des Proteus X19 mit dem Typhusbazillus als 
mit den Paratyphusbazillen. 

Wassermannsche Reaktion bei Proteus - Xn» - im¬ 
munisierten. 

Mit Rücksicht auf den häufig positiven Ausfall der Wasser¬ 
mann sehen Reaktion beim Fleckfieber, wurde bei 6 Fällen von 
Proteus-Xi 9 -Immunisierung das Serum dieser Reaktion unterworfen. 

Das Ergebnis war in allen Fällen negativ. 

Komplementbindungsversuchemitabgetötetem 
Proteus X19 als Antigen sind im Gange. 

Inwieweit der Unterschied im Ausfall der Wassermannreaktion 
beim Fleckfiebcrpatienten und beim Proteus-Xis-Immunisierten auf 
die Aetiologle des Fleckfiebers und die Rolle des Proteus X 19 dabei 


l ) Werner und Leoneanu 1. c. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 






3. Deeember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1379 


Schlfisse zulässt, enthalten wir uns letzt zu diskutieren, umsomehr, 
Als das Beobachtungsmaterial für beide Serumarten wohl noch zu 
kiel* ist 

Weif-Felix mit ab getötetem Proteus Xi»undSerum- 
Proteus-X«- Immunisierter. 


Prot- 

WeU-Pelix mit lebendem X tt 

Weil-Felix mit totem X u 

Nr. 

Titer grenze 

Titergrenze 

81 

+ 1 : 400 

-4- 1: 800 

82 

4- 1 : 800 

-4- 1 : 8ü0 

86 

+ 1 :3200 

-f 1 :1600 


Die Immunisierung wurde mit abgetötetem Proteus Xib vorge- 
Bosxsmen. Um festzustellen, ob dieser Umstand einen Unterschied im 
serologischen Verhalten des Immunserums gegen abgetöteten Pro¬ 
teus X« einerseits und gegen lebenden Proteus Xi# andererseits be¬ 
dingt, wurde neben der Untersuchung mit lebenden Bazillen Reak¬ 
tionen mit abgetöteten Bazillen (60 °C Y% Stunden mit X A Proz. 
Phenol) die Agglutinationsgrenze bestimmt. Die obige Tabelle 4 
zeigt dass stärkere Unterschiede in der Titerhöhe nicht festzustellen 
waren. Es ist also die agglutinatorische Wirkung des mit abge¬ 
tötetem Kulturmaterial erzeugten Immunserums von gleicher 
Stärke gegen lebende wie gegen abgetötete Bak¬ 
terien. 

Endlich möchten wir noch im Anschluss an unsere frühere Mit¬ 
teilung *) über 

Verwendbarkeit und Haltbarkeit des durch Hitze 
(80*ClStunde)abgetötetenProteusXiBfürdieWeil- 
Felix-Reaktion 

die folgenden Untersuchungen mitteilen. In unseren früheren Mit¬ 
teilungen konnten wir über dieses nach Sachs* Vorschrift ge¬ 
wonnene Diagnostikum günstige Ergebnisse berichten mit der Ein¬ 
schränkung, dass die Reaktion nicht völlig die Empfindlichkeit der 
Reaktion mit lebender Kultur erreicht und langsamer eintritt als die 
letztere. 

Wir haben die Prüfung der abgetöteten Kulturen in der Zwischen¬ 
zeit in gewissen Zeitabständen wiederholt und gefunden, dass eine 
am 19. III. 18 hergestellte Proteus -Xi«- Aufschwemmung 
mit 54proz. Phenolzusatz am 1. VII. 18, also nach 3 H Mo¬ 
naten unverändert starke Weil-Felixreaktion er¬ 
gab, während eine am gleichen Tage hergestellte Proteus-Xi»- 
Aufschwemmung ohne Phenolzusatz zwar 6 Wochen 
nach Herstellung noch voll brauchbar war, nach weiteren8Wo- 
chen aber teilweise versagte. Also unveränderte Haltbar¬ 
keit und Brauchbarkeit des mit Phenolzusatz versehenen, durch Hitze 
abgetöteten Diagnostikums für 3A Monate, dagegen Verminderung 
der Verwendbarkeit des nicht phenolisierten, durch Hitze abgetöteten 
Diagnostikums nach 6 wöchiger Aufbewahrung. 

Wir möchten nicht unterlassen, Frau Dr. G. Paraschivescu, 
die uns bei der Durchführung der Impfungen wirksam unterstützte, 
unseren Dank auszusprechen. 

Zusammenfassung. 

1. Die Grenzdosen zur Erzielung W e i 1 - F e 1 i x scher Reaktion 
durch subkutane Injektion von durch Hitze abgetöteten Proteus Xi» 
liegen für den Menschen bei 0,2—0,5—1,0 ccm einer Aufschwemmung 
einer 24 Stunden alten Schrägagarkultur mit 10 ccm physiologischer 
Kochsalzlösung. 

2. Lokalreaktionen pflegen, wenn überhaupt, bei subkutaner In¬ 
jektion von 0,5 ccm dieser Aufschwemmung aufzutreten, während 
kleinere Dosen reaktionslos bleiben. 

3. Das im menschlichen Proteus-Xi*-Immunserum vorhandene 
Agglutinin wird bei einer Temperatur von 65° C zerstört. 

4. Der Absorptionsversuch hn menschlichen Proteus-X»-Immun- 
serum mit Proteus Xit ergibt eine starke Verminderung der agglutina- 
torischen Kraft des Serums nach der Absorption. Der Absorptions¬ 
koeffizient beträgt annähernd 1:8. 

5. Das menschliche Proteus-Xi»-Immunserum zeigt in manchen 
Fällen Koagglutination von Typhusbazillen (von 7 untersuchten Seren 
ergaben 2 diese Koagglutination). 

6. Die Wassermann sehe Reaktion mit Luesantigen fällt bei 
Proteus-Xi»-immunisIerten Menschen negativ aus. 


Dysentrische Erscheinungen bei Malaria. 

Von Oberarzt d. Res Dr. Friedrich Haberlandt, 
zurzeit in Stuttgart, ReserveJazarett X. 

Zum Aufsatz in Nr. 22 dieser Wochenschrift „komatöse und dys¬ 
enterische Formen der Malaria tropica in Südostbulgarien von 
Dr. C. Seyfarth“ will ich einige Beobachtungen'mitteilen, die ich 
Im Herbst 1917 auf einer Malariastation im Reservelazarett Freuden- 
stadt( damaliger Chefarzt: Marine-Oberstabsarzt Dr. Schoder) ge¬ 
macht hatte. Sämtliche Patienten dieser Station kamen vom Kriegs- 


*) 1 c. 

Nr ‘ 49 ‘ Digiti re = by Google 


Schauplatz in Mazedonien, die meisten, ca. 70 Proz. litten an Malaria 
tropica, ca. 30 Proz. ausserdem an Malaria tropica + Malaria tert. 
(der relativ häufigen Mischinfektion). Bei einer Anzahl der Kranken 
traten bei sehr schlechtem Allgemeinzustand dysenterische Erschei¬ 
nungen in der Vordergrund. Herr Oberstabsarzt Prof. Dr. Schiayer 
machte — anlässlich eines Vortrages über Malaria (in Stuttgart) — 
ausdrücklich darauf aufmerksam, die dysenterischen Symptome 
bei Malaria nicht zu gering einzuschätzen, „bei Behandlung der 
Patienten und zum Schutze der Umgebung so vorzugehen, als ob 
Dysenterie vorliege“. — Wie mir erinnerlich ist, mahnte Herr Prof. 
Schiayer zu dieser Vorsicht mit Rücksicht auf die Gegend, aus 
der die Patienten kamen. Ich glaube wohl annehmen zu können, 
dass diese Vorsicht auf allen Malariastationen zu berücksichtigen 
sei. — Die dysenterischen Begleiterscheinungen bei Malaria sind nicht 
zu leugnen; sie werden von allen Autoren, die das Krankheitssyn¬ 
drom bei Malaria beschreiben, erwähnt. Sie dürften entsprechend 
den geringen anatomischen Veränderungen des Darmes, die ihnen zu 
Grunde liegen (Erosionen der Darmschleimhaut, selten Geschwüre), 
auch durch die geringe Schmerzhaftigkeit, die sie verursachen, ge¬ 
kennzeichnet sein. — Selten sind wohl schwerere Darmerscheinungen, 
die nur der Malariainfektion zuzuschreiben sind. 

Als Tatsache kann ich nun bezeichnen, dass ich bei sämtlichen 
(wenn auch nur bei ca. 20—30 unter 120 ,,Malaria“patienten), die 
dysenterieähnliche Symptome darboten, ,^uh r“ bakteriologisch, 
häufiger serologisch feststellen lassen konnte. Diese „ruhr¬ 
kranken Leute waren ausserdem zu zwei Drittel mit dem Malaria¬ 
plasmodium infiziert. Leider ist es mir aus äusseren Gründen nicht 
mehr möglich, zahlenmässig und genauer die bakteriologischen und 
serologischen Befunde, die bei meinen Patienten erhoben 
wurden, wiederzugeben. (Der Aufsatz S e y f a r t h s hat mich trotz¬ 
dem zur Veröffentlichung dieser Zeilen veranlasst.) 

Die Unwirksamkeit der Bolus-alba-Therapie, die Seyfarth 
namentlich bei den Darmerscheinungen bei Malaria beobachtet hat, 
findet sich auch sonst nicht selten bei der echten „Ruhr“; als 
Differentialdiagnostikum ist sie also kaum zu verwerten. Als solches 
käme einer in frischen Fällen das polyvalente Ruhrserum in Be¬ 
tracht. In der als Beispiel für eine dysenterische Form der Malaria 
angegebenen Krankengeschichte des Soldaten W. K. L. bei Sey¬ 
farth vermisse ich einen Vermerk über bakteriologische, bzw. 
serologische Untersuchung. Es könnte also leicht bei diesem Patien¬ 
ten ausser um Malaria sich um „Ruhr“ gehandelt haben. — Am 
Schluss seines Aufsatzes stellt Seyfarth die Forderung auf, in 
Malariagegenden jede fieberhafte Erkrankung, jede Diarrhöe oder 
Dysenterie zur Blutuntersuchung auf Malariaparasiten gelangen zu 
lassen. — Ich glaube, mit nicht weniger Recht, in solchen Krankheits¬ 
fällen die bakteriologische oder serologische Untersuchung auf 
Ruhr — soweit dieselbe irgend nur möglich ist — fordern zu müssen, 
da in Gegenden, in denen Malaria heimisch ist, „Ruhr“ häufig Vor¬ 
kommen mag. Zitieren möchte ich den in Nr. 27 dieser Wochenschrift 
von Oberarzt Dr. O. Köhler aufgestellten Satz: „Die Gruber- 
W i d a 1 sehe Reaktion ist ein wichtiges Hilfsmittel für die ätio¬ 
logische Aufklärung von ruhrartigen Darmkatarrhen.“ 

In M a 1 a r i a-H e i ma 11 a z a r e 11 e n sollte bei dys¬ 
enterischen Erscheinungen der Patienten eine 
bakteriologische, bzw. serologische Untersuchung 
nicht versäumt werden. In bezug auf letztere wäre noch 
genauer festzustellen, wie lange der im klinischen Sinne geheilte 
Patient aggiutiniert (nach meinen bisherigen Erfahrungen beträgt 
dieser Zeitraum 1—2 Monate). Mit einer mitunter auftretenden 
Paragglutination wird man rechnen müssen. 


Zur Methodik der serologischen Luesdiagnostik. 

Von Stabsarzt Dr. E. M ei nicke. 

Vor Jahresfrist gab ich eine neue Methode der serologischen 
Luesdiagnostik bekannt (B.kl.W. 1917 Nr. 25 und 1918 Nr. 4). Ich 
hatte inzwischen Gelegenheit, diese Methode in zwei Heereslabora¬ 
torien an rund 3000 Serumproben weiter zu verfolgen. Die Ergeb¬ 
nisse dieser Untersuchungen umfassen die Technik der Methode 
(MR.), ihre Resultate im Vergleich zum klinischen Befund und zur 
Wassermann sehen Reaktion (WaR.) und die Grundlagen der 
serologischen Luesreaktionen. 

1. Technik. 

Die technischen Vorschriften zur Anstellung der MR. haben sich 
durchaus bewährt; es seien nur einige Punkte noch besonders her¬ 
vorgehoben: 

1. Es ist gleichgültig, ob man das Serum durch Absitzenlassen 
im Eisschrank oder durch Zentrifugieren gewinnt. Die Zeit zwi¬ 
schen Inaktivieren und Ansetzen des Versuches kann man auf 
3 Stunden herabsetzen. 

2. Das zur Extraktverdünnung benutzte destillierte Wasser muss 
absolut frei von Salzen sein. Durch Undichtigkeiten im Destillier¬ 
apparat erhielt ich eine Zeitlang ein Wasser, das Spuren von Salzen 
enthielt. Mit diesem Wasser gab die MR. unsichere Resultate. Die 
zum Verdünnen benutzte Bürette muss einen engen Abfluss haben, 
da sich solche Büretten am leichtesten einstellen lassen. Geringere 
Mengen als 12 ccm Extrakt zu verdünnen, ist schwierig, da die 

3 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1380 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 49. 


Büretten bei so langsamer Einstellung meist nicht genau laufen. Die 
Bürette ist während des Verdünnens durch Verstellen des Hahnes 
so zu regulieren, dass immer in 4 Minuten die gewählte Menge 
Wasser ausfliesst. Will man Hahn Verstellungen möglichst vermeiden, 
so fängt man am besten mit dem Verdünnen an, wenn die Wasser¬ 
säule in der Bürette etwa bis zur Mitte gesunken ist. Wird das 
AusfliesSen mit abnehmendem Wasserstand langsamer, so füllt man 
die Bürette wieder mit Wasser voll. Sie läuft dann im oberen Teil 
etwas zu schnell, um sich nach der Mitte zu wieder .auszugleichen. 
Gegen das Ende zu läuft sie wieder etwas zu langsam. Durch Zu¬ 
giessen von Wasser wird das ausgeglichen und so fort. Mit einiger 
Uebung gelingt es meist, die Bürette durch den Wasserzusatz allein 
zu regulieren, ohne den Hahn oft zu verstellen. Es empfiehlt sich, 
die Extraktverdünnung vor dem Gebrauch einige Stunden oder bis 
zum nächsten Tage stehen zu lassen. Längeres Aufheben ist nicht 
zu raten, da einige Extrakte sich dabei verstärken, andere sich ab¬ 
schwächen. 

3. Das zweite Versuchsröhrchen mit 1 ccm Extrakt kann fort¬ 
fallen. Mit einiger Uebung kann man aus der Flockengrösse des 
einen Röhrchens auch die Zwischenstufen der Reaktion genau genug 
abschätzen. Will man ein zweites Röhrchen ansetzen, so empfiehlt 
es sich, es auch mit 0,8 ccm Extrakt zu beschicken und ihm am 
anderen Tage eine Kochsalzlösung zuzusetzen, die den durch Titration 
festgestellten Kochsalzgehalt etwas übersteigt, z. B. bei 1,4 Proz. 
im Hauptröhrchen, 1,6 Proz. im zweiten Röhrchen, bzw. 1,6 Proz. und 
1,8 Proz. oder 2,2 Proz. und 2,5 Proz. etc. Die Ablesung gewinnt 
dadurch an Sicherheit. 

4. Die Wärme im Brutschrank darf 37° nie übersteigen; man 
stellt an sie am besten auf etwa 35° ein, damit sie auch bei ver¬ 
mehrtem Gasdruck nicht über 37° kommen kann. Direkt über der 
Heizflamme hat der Brutschrank gelegentlich höhere Temperaturen 
als das Innenthermometer anzeigt; die Stelle ist daher möglichst 
freizulassen. 

5. Zur Kochsalztitration zieht man zweckmässig auch positive 
Sera verschiedenen Grades heran, um ein klares Bild von der Wirk¬ 
samkeit der benutzten Extraktverdünnung zu bekommen. Ent¬ 
scheidend bei der Titration ist immer die Forderung, dass die Flocken 
negativer Sera noch eben sicher gelöst werden. Bei Verwendung 
der gleichen Extraktnummer kann man fast immer an den verschie¬ 
densten Versuchstagen mit der gleichen Kochsalzlösung arbeiten. 

6. Die Flockung des Hauptversuchs protokolliert man am besten, 
während der Titrationsversuch im Brutschrank löst, und setzt dann 
gleich nach Feststellung der erforderlichen Kochsalzkonzentration 
dem Hauptversuch die Salzlösung zu, damit er nicht wesentlich länger 
im Versuch bleibt als der Titrationsversuch. Auch ist es zweck¬ 
mässig, die einzelnen- Reagenzglasgestelle nach dem Protokollieren 
der Flocken wieder in den Brutschrank zu stellen, da die Wärme einen 
ziemlich beträchtlichen Einfluss auf die Lösung der Flocken hat So 
kühlen bei kalter Laboratoriumstemperatur Röhrchen, die lange 
ausserhalb des Brutschranks verweilen, sehr aus und wärmen sich 
während des einstündigen Brutschrankaufenthaltes nach dem Koch¬ 
salzzusatz nur langsam wieder an; die Flocken halten dann dem 
Kochsalz relativ lange stand. Anderseits wird die Lösung der 
Flocken ausserordentlich gefördert, wenn man z. B. nach dem Koch¬ 
salzzusatz die Röhrchen nicht in den Brutschrank, sondern ins 
Wasserbad von 37° stellt; die Erwärmung und damit die Lösung 
geht dann sehr schnell vor sich. Je gleichmässiger man also in bezug 
auf Dauer und Unterbrechung des Brutschrankaufenthaltes die ein¬ 
zelnen Versuchsgestelle behandelt, desto gleichmässiger werden auch 
die Resultate. Als Kontrollseren lässt man zweckmässig im Hauptver¬ 
such je ein Röhrchen der zum Titer verwandten Seren mitläufen und 
liest den Hauptversuch erst dann ab, wenn diese Kontrollseren das 
dem Titrationsversuch entsprechende Ergebnis zeigen. 

2 t Vergleichende Ergebnisse der WaR. und MR. 

Um Vergleichswerte zu erzielen, wurden zu beiden Methoden 
stets die gleichen Gebrauchsnummern der vom Wassermann- 
sohen Institut bezogenen Extrakte verwandt. Die Versuchssera 
wurden nicht ausgesucht, sondern in die Versuche wurden sämtliche 
den betr. Wassermannzentralen zugehenden Blutproben gegeben. Die 
Technik der WaR. war die von Wassermann empfohlene für 
die Heereslaboratorien obligatorische; die Inaktivierungsdauer wurde 
meist auf K Stunde bzw. V* Stunde beschränkt. 

Die Uebereinstimmung in den Ergebnissen der 
WaR. und MR. war ausserordentlich weitgehend 1 ). 


*) Ueber sehr günstige Erfahrungen mit der MR. berichten 
neuerdings L e s s e r (M.m.W. 1918 Nr. 32) und H e r z f e 1 d und 
K1 i n g e r (B.kl.W. 1918 Nr. 29). Die Befunde K a u f m a n n s (M. Kl. 
1918 Nr. 33) über unspezifische Ausschläge der MR. bei Infektions¬ 
krankheiten stehen in absolutem Widerspruch zu den Beobachtungen 
des mit der Methode vertrauten Kollegen Lesser (D.m.W.1918 Nr.42) 
und meinen eigenen Erfahrungen an mehreren hundert Fällen (B.kl.W. 
1917Nr.25). Die Kaufmannsche Arbeit erinnert an ähnliche Publika¬ 
tionen aus der ersten Zeit der WaR. Auch damals hielten es einige 
Autoren für angebracht, die von Wassermann für die Syphilis 
angegebene Reaktion nicht an luetischem Material eingehend zu stu¬ 
dieren und einzuüben, sondern zunächst einmal die ihnen bis dahin 
unbekannte Reaktion an spärlichen Fällen beliebiger Infektionskrank¬ 
heiten zu probieren mit dem Erfolg unspezifischer Ausschläge und 

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Nur in 5 bis 10 Proz. der Fälle wurden Differenzen 
beobachtet, diesich zum Teil weiterhin ausglicben, 
wenn dasselbe Serum am nächsten Versuchstage 
noch einmal verarbeitet wurde bzw. eine neue 
Blutprobe desselben Patienten nach wenigen Ta¬ 
gen wieder zur Untersuchung kam. Es blieben 
dann nur vereinzelte Sera übrig, die längere Zeit 
hindurch dauernde Differenzen zeigten. 

1. Dauernde Differenzen: Ikterische Sera flocken im 
allgemeinen schlechter als andere. In Uebereinstimmung damit 
reagieren eine Reihe ikterischer Sera in der MR. schwächer als in 
der WaR. Anderseits wurden im ganzen 5 Fälle von luetischer Er¬ 
krankung des Zentralnervensystems beobachtet mit positiver WaR. 
im Liquor bei negativer WaR. im Serum. Bei diesen 5 Fällen war 
die MR. im Serum positiv. Ikterus und zentrale Lues sind bisher die 
einzigen fest umschriebenen Krankheitsbilder, bei denen ich in eini¬ 
gen Fällen dauernde Differenzen zwischen beiden Methoden beobach¬ 
ten konnte. Die übrigen divergierenden Fälle gehören dem primären 
Stadium, bzw. der latenten Lues und den Behandlungskontrollen au. 
Unter diesen Fällen fanden sich solche, die in der WaR. stärker re¬ 
agierten als In der MR. und umgekehrt. Ein ausgesprochenes Ueber- 
wiegen zugunsten einer der beiden Methoden war bisher nicht zu be¬ 
obachten. Beide Methoden ergänzten sich aufs beste. Meist glich 
sich die Differenz im Laufe der Erkrankung in kurzer Zeit aus; die 
Fälle leiten daher zur zweiten Gruppe über. 

2. Vorübergehende Differenzen im An- und A b - 
stiegder Reaktionskurve: Diese Gruppe umfasst den über¬ 
wiegenden Teil aller Differenzen. An der Hand einer genauen Karto¬ 
thek liess sich ausserordentlich überzeugend verfolgen, dass Diffe¬ 
renzen in den Ergebnissen der beiden Methoden sich namentlich dann 
einzustellen pflegen, wenn die betreffenden Kranken gerade im Be¬ 
griff sind, eine positive Reaktion zu bekommen bzw. ihre positive 
Reaktion zu verlieren. Durch das liebenswürdige Entgegenkommen 
von Herrn Prof. Dr. Zieler war ich in der Lage, derartige Patien¬ 
ten von 3 zu 3 Tagen zu untersuchen. Dabei zeigte sich zwingend, 
dass im Anstieg oder Abfall der Reaktionskurve mehrfach die eine 
der beiden Metnoden früher umschlägt als die andere. So erscheint 
auf der Reaktionskurye die im Einzelversuch zunächst auffallende 
Differenz lediglich als etwas steilerer oder flacherer An- bzw. Ab¬ 
stieg der Kurve. Auch bei diesen Fällen zeigte sich keine aus¬ 
gesprochene Ueberlegenheit einer der beiden Methoden, deren Er¬ 
gebnisse sich zu einem eindeutigen Reaktionsverlauf ergänzten. 

3. Scheinbare Differenzen: Bisher wurden in der 
ersten und zweiten Gruppe nirr diejenigen Fälle besprochen, bei denen 
Wiederholungsuntersuchungen mit derselben Blutprobe am nächsten 
Versuchstage (in der Regel nach 2 Tagen) die gleichen Unterschiede 
zwischen beiden Methoden ergaben, die Differenzen also bestätigt 
wurden. Es gilt jetzt eine sehr wichtige Gruppe von Fällen abza- 
handeln, bei denen die Wiederholungsuntersuchung mit derselben 
Blutprobe die Differenz ausglich. Dieser Ausgleich fand in der ganz 
überwiegenden Mehrzahl der Fälle so statt, dass das erste Ergebnis 
der MR. bestätigt wurde, d. h. dass auch die WaR. bei der wieder¬ 
holten Untersuchung in Uebereinstimmung mit der MR. dasjenige Re¬ 
sultat ergab, das zuerst nur die MR. allein im Gegensatz zur WaR. 
gegeben hatte. Meist waren die betr. Blutproben bei der ersten 
Untersuchung nur in der WaR. positiv oder doch unverhältnismässig 
viel stärker positiv gewesen als in der MR. Durch Hinzuziehen der 
Reaktionskurve konnte ein Teil dieser Fälle in die Gruppe der vor¬ 
übergehenden Differenzen eingereiht werden. Die Unsicherheit der 
Reaktion im An- und Abstieg der Reaktionskurve kam also nicht 
nur in bestätigten Differenzen zwischen WaR. und MR. zum Aus¬ 
druck, sondern auch im Schwanken der mit derselben Blutprobe an 
verschiedenen Versuchstagen angestellten WaR. Aber nicht alle 
Fälle klärten sich so zwanglos auf. Es blieb eine Anzahl von Fällen 
bestehen, bei denen der erste positive Ausfall der WaR. in der Re¬ 
aktionskurve keine Erklärung fand, sei es, dass sich bei einem Syphi¬ 
litiker mit negativer Reaktion plötzlich eine vorübergehende un¬ 
motivierte positive Zacke zeigte, oder sei es, dass bei Patienten, die 
klinisch nicht nachweislich an Lues litten, ein einmaliger positiver 
Ausschlag beobachtet wurde, der vorher und nachher nicht wieder 
gesehen ward. Fehler in der Technik für diese paradoxen Reaktionen 
verantwortlich zu machen, ist nicht angängig. Unter etwa 200 bis 
300 Untersuchungen an einem Versuchstage fanden sich nur einige 
wenige, allerhöchstens gelegentlich bis zu 6 Seren, die dieses Ver¬ 
halten zeigten. Alle Kontrollen waren dabei einwandfrei. Und vor 
allem ist eines zu betonen: Nie wurde bei Wassermann-positiven 
Seren desselben Versuchstages, die auch in der MR positiv reagiert 
hatten, ein Umschlagen der Reaktion bis zum nächsten Versuchstage 
beobachtet. Stets blieben diese übereinstimmenden Sera auch an 
anderen Versuchstagen bei Verwendung eines anderen hämolytischen 
Systems einwandfrei positiv. Das Umschlagen wurde stets nur bei 
differierenden Seren beobachtet, böi denen die erste positive WaR. 
im Gegensatz zur MR. gestanden hatte. 

Es scheinen also in der Methodik der WaR. Be¬ 
dingungen vorzuliegen, die gelegentlich zu Un¬ 


weitgehender Schlussfolgerungen. Mit Recht hat sich v. Wasser¬ 
mann seinerzeit gegen derartige unzulängliche Versuche gewehrt: 
bekanntlich ist man auch längst über sie zur Tagesordnung fiber¬ 
gegangen. 

Original from 

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3 . Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1381 


recht positive Resultate auftreten lassen. Es ist 
■leicht verständlich, dass solche Fälle namentlich an Tagen, an denen 
'*ias Komplement nicht besonders stark war, zur Beobachtung kamen, 
wenn sie auch keineswegs nur auf diese Tage beschränkt waren. 
Es muss aber nochmals hervorgehoben werden, dass sicher positive 
5era, die übereinstimmend in WaR. und MR. positiv reagierten, durch 
'derartige Komplementschwankungen nie berührt wurden: Waren sie 
«tt schwachem Komplement positiv gewesen, so blieben sie es auch 
bei Verwendung von starkem. 

Bei den fraglichen paradoxen Fällen hatten bei der ersten Unter¬ 
suchung verschiedene Wassermannextrakte das gleiche positive Re¬ 
sultat ergeben. Die Verwendung mehrerer Extrakte hatte also diese 
■ansicheren Fälle nicht entlarvt. Die einzelnen Gebrauchsnummern 
der vom Wass e rm ann sehen Institut bezogenen Extrakte sind 
iberhaupt neuerdings einander so gleich, dass ein Differieren der mit 
verschiedenen Gebrauchsnummern erzielten Resultate kaum vor¬ 
kommt. Die Uebereinstimmung der Resultate bei 
Verwendung verschiedener, aber unter sich glei¬ 
cher Extrakte beweist daher nur, dass beim An¬ 
setzen des Versuchs kein Fehler gemacht wurde. 
Sie beweist aber gar nichts dafür, dass das ab- 
gelesene Resultat nun auch richtig ist. Vielmehr ver¬ 
leitet die schöne Uebereinstimmung unter den Ergebnissen der ver¬ 
schiedenen Extrakte den Untersucher zu einem Trugschluss. Er ist 
nach meinen Erfahrungen geneigt, aus der Uebereinstimmung un¬ 
mittelbar auf die Richtigkeit der abgelesenen Resultate zu sohliessen, 
ohne sich klar darüber zu sein, dass er tatsächlich nur technische 
Versuchsfehler (z. B. Pipettierfehier) damit ausschliessen kann. Es 
scheint mir daher auch nicht richtig zu sein, wenn man versucht, die 
WaR. dadurch sicherer zu gestalten, dass man immer neue, aber 
hinter sich gleichartige Extrakte zum Versuch heranzieht. Vielmehr 
kann eine Sicherstellung der Resultate nur auf 3 Wegen erreicht 
werden: Einmal durch gleichzeitige Verwendung möglichst ver¬ 
schiedenartiger Extrakte, wie z. B. Fr. Lesser gleichzeitige An¬ 
wendung von Alkohol- und Aetherextrakten verlangt*). Zweitens 
<iurch Verwenden verschiedener Komplemente oder durch quanti- 
'tatives Arbeiten im Sinne Kaups. Drittens durch gleichzeitiges An¬ 
setzen der WaR. und MR. in Parallelversuchen, also durch Heran¬ 
ziehen einer Methode, die im Wesen der WaR. gleich ist, aber mit 
•einem anderen Indikator arbeitet. Das hat den weiteren Vorteil, dass 
man damit zur Kontrolle der WaR. eine Methode verwendet, die 
■von den Schwankungen des hämolytischen Systems unabhängig ist 
Die MR. arbeitet ausschliesslich mit stabilen Re¬ 
agentien und gibt dementsprechend nach meinen 
"Erfahrungen stetigere und gleichmässigere Re¬ 
sultate alsdie WaR., die auf das! höchst labile hämo¬ 
lytische System angewiesen ist. Die obener¬ 
wähnte Gruppe der paradoxen Sera wurde nur 
durch die Vergleichsversuche mit der MR. heraus- 
«gefunden. Diese wichtige Gruppe schwankender Sera spielt aber 
offenbar bei der WaR. öine nicht unbedenkliche Rolle. In sie gehören 
m. E. die Sera, die in der Hand verschiedener Untersucher verschie¬ 
dene Resultate geben und daher immer wieder gegen die Brauchbar¬ 
keit der WaR. ins Feld geführt werden. Die Anwendung der MR. 
meben der WaR. gestattet es. diese Sera herauszufinden und gibt so¬ 
mit Gelegenheit, den Gründen der paradoxen Ergebnisse im Experi¬ 
ment nachzugehen. 

4. In der WaR. eigenhemmende Sera reagieren in der 
MR. teils negativ, teils positiv. Unter den positiven Befunden Hessen 
sich bisher unspezifische Reaktionen nicht nachweisen-. 

3. Systematische Uebersicht fiber die bisher bekannten Lues¬ 
reaktionen. 

Die von Sachs und Georgi*) angegebene neue Scroreaktion 
gibt mir Anlass, mit einigen Worten auf die Methodik der ver¬ 
schiedenen Luesreaktionen einzugehen. Das Auftauchen immer neuer 
Verfahren erscheint geeignet, Verwirrung in das Gebiet zu bringen, 
falls die Grundlagen der verschiedenen Luesreaktionen nicht scharf 
auseinandergehalten werden. 

Nach ihrem Wesen sind zu trennen: kolloidale Luesreaktionen 
und nichtkolloidale. Zu den nichtkolloklalen gehören die Klaus¬ 
ner sehe und die Bruck sehe, die lediglich die Fällbarkeit der Glo¬ 
buline durch chemische Fällungsmittel zu bestimmen suchen. Sie 
haben sich in der Praxis nicht bewährt und nicht bewähren können, 
<la sie von falschen theoretischen Voraussetzungen ausgingen. Alle 
anderen Luesreaktionen, auch die Wassermann sehe, sind kol¬ 
loidale Reaktionen zwischen Serumkolloiden und Extraktkolloiden 
(bzw. verwandten Stoffen kolloidaler Natur). Bei der positiven Re¬ 
aktion zwischen Serum- und Extraktkolloiden bzw. Serumglobulinen 
und Extraktlipoiden ändern beide Reagentien ihre Eigenschaften. Die 
Aenderung kann direkt durch Fällungsreaktionen oder indirekt durch 
Liebertragung auf andere biologische Reaktionen nachgewiesen 
werden. 

A. Aenderung der Serumglobuline 

I. Nachweis durch Uebertragung auf Komple¬ 
ment und hämolytisches System: Wassermann sehe Reaktion. 


2 ) M.m.W. 1918 Nr. 32. 

*) M.K1. 1918 Nr. 33. 

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II. Direkter Nachweis durch Fällung der Glo¬ 
buline: 

1. einzeitige Methoden: 

a) im salzarmen Medium: fast alle Fällungsreaktionen älteren 
Datums; meine „Wassermethode“. 

b) im Medium von physiologischem Salzgehalt: die neue Re¬ 
aktion von Sachs und Georgi. 

c) im Medium mit Salzüberschuss: „dritte Modifikation“ mei¬ 
ner Reaktion. 0,3 ccm /4 St. inakt. Serum -p 0,3 ccm 
lOproz. Kochsalzlösung -P 0,6 ccm 1:8 verdünnter Ex¬ 
trakt (wie in B.kl.W. 1918 Nr. 4 angegeben). Ueber Nacht 
bei 37° ausflocken lassen! Stark positive Sera flocken 
aus, negative nicht. 

2. zweizeitige Methoden: meine Kochsalzmethode (MR.). 

Kritik: Die Fehlerquellen der WaR. können hier als bekannt 

übergangen werden. Alle Ausflockungsreaktionen, bei denen Serum¬ 
globuline durch Extraktkolloide gefällt werden, sind bis zu einem 
gewissen Grade abhängig von der individuell verschiedenen Flock- 
barkeit der Globuline. Da liegt ihre Fehlerquelle. Die einzeiligen 
Methoden sind in dieser Beziehung der zweizeitigen MR. aus folgen¬ 
den Gründen prinzipiell unterlegen: 

1. Nicht oder schwer flockende positive Sera erscheinen in den 
einzeitigen Reaktionen als negativ, 

2. leicht flockende negative Sera als positiv. 

3. Praktisch nicht vermeidbare Verschiedenheiten in der Stärke 
der jeweils benutzten Extraktverdünnungen beeinflussen das 
System nach der positiven oder negativen Seite. Bei der Ein- 
zeitigkeit des Verfahrens hat man keine Möelichkeit, die gra¬ 
duellen Schwankungen nachträglich auszugleichen. 

4. Das gleiche gilt vom Einfluss der Temperaturschwankungen. 
Namentlich die grossen Verschiedenheiten der sog. Zimmer¬ 
temperatur modifizieren das Versuchsergebnis erheblich«. 

Diese 4 Fehlerquellen aller einzeitigen Versuchsanordnungem 
sind in der zweizeitigen MR. bewusst vermieden (B.kl.W. 1918 Nr. 4). 
Sie ist die einzige titrierbare Globulinfällungsmethode, bei der maa 
alle Reagentien, wie bei der WaR. an den einzelnen Versuchstagen 
scharf aufeinander einstellen kann. 

B. Aenderung der Extraktlipoide. 

I. Nachweis durch Uebertragung auf ein Blut¬ 
gerinnungssystem: Hirschfeld und Klingersche Re¬ 
aktion. Eigene Versuche, den Nachweis durch Uebertragung auf kol¬ 
loidale Fällungssysteme (z. B. die Ausfällung von kolloidalem Eisen 
durch verdünnte Extrakte) zu erbringen, sind an der schutzkolloidalen 
Wirkung des Serum gescheitert. 

II. Direkter Nachweis durch Fällung der Ex¬ 
traktlipoide: Eigene Versuche der Extraktfällung durch Koch¬ 
salz führten ebenfalls wegen der schutzkolloidalen Wirkung des 
Serum nicht zum Ziele. Das Serum ist ein ausgezeichnetes Lösungs¬ 
mittel für Extraktkolloide und hindert ihre Ausflockung. 

Kritik: Die bisher einzige, von HirschfeldundKlinger 
empfohlene Methode scheint sich in der Praxis zu bewähren. Ueber 
ihre Fehlerquellen ist anscheinend noch nichts bekannt. 

Zusammenfassung. 

1. Die früheren Angaben über die Technik der MR. werden 
ergänzt. 

2. Die MR. gestattet eine wertvolle Kontrolle der WaR. und 
stellt sich ihr als gleichberechtigte Luesreaktion an die Seite. 

3. Es wird eine systematische Uebersicht über die verschiedenen 
Luesreaktionen gegeben. 


Aus der Kfifl. Chirurgischen Universitätsklinik zu Breslau. 
(Direktor: Marinegeneralarzt ä la suite Geheimrat Köttner, 
z. Zt. im Felde.) 

lieber Baucherscheinungen bei Wirbelschüssen. 

Von Stabsarzt d. L. Dr. S. Weil, Assistenzarzt der Klinik. 

Es ist allgemein bekannte Tatsache, dass die Bauchdeckenspan¬ 
nung, „das wichtigste und am häufigsten gefundene Frühsymptom der 
intraabdominellen Kriegsverletzung“ (L ä w e n), ebenso wie die 
Druckempfindlichkeit des Abdomens, sich auch bei unverletzter Bauch¬ 
höhle, bei Verletzung von Nachbarorganen häufig vorfindet und zu 
Irrtümern Anlass geben kann. Es wurde von vielen Seiten auf 
die reflektorische Bauchdeckenstarre bei Verletzung des Brustraums 
und des Retroperitoneirms aufmerksam gemacht, so dass wir beim 
Vorliegen einer Bauchdeckenspannung sofort diese Verletzungen mit 
in Erwägung ziehen und sie dann meistens rasch ausschliessen oder 
sicherstellen können. 

Dagegen finde idi in der Kriegsliteratur nirgends betont, dass 
unter seltenen, ungünstigen Verhältnissen auch bei Verlet¬ 
zungen der Brustwirbelsäule Erscheinungen auf¬ 
treten können, die mitde ii en der Bauch Verletzungen 
grösste Aehnlichkeit haben, so dass die Differential¬ 
diagnose erhebliche Schwierigkeiten machen und zu Fehlopera¬ 
tionen Anlass geben kann. Weder Schmieden in seinem Lehrbuch 

Original from 

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13 82 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 49, 


der Kriegschirurgie, noch L ä w e n in seinem grossen Aufsatz über 
Bauchverletzungen in den Ergebnissen der Chirurgie und Orthopädie 
erwähnen diese Quelle von Irrtümern. Nur Burckhardt-Lan- 
d o i s warnen in ihrer schönen Arbeit über Bauchschüsse, „in der Eile 
der Arbeit“ eine Rückenmarksverletzung zu übersehen. 

Mir selbst ist eine solche Fehldiagnose unterlaufen und ich 
weiss, dass auch anderen derselbe peinliche Irrtum vorkam. Dabei 
kabe ich selbst, nachdem Baum (1909) als erster auf die Bauch¬ 
deckenspannung bei Wirbeltrauma hingewiesen hat, mich schon vor 
längerer Zeit mit diesen Erscheinungen beschäftigt und 1911 in einer 
Sitzung der Schles. Ges. f. vaterl. Kultur zwei hierhergehörige Fälle 
demonstriert, und den einen später nochmals in dem Artikel „Peri¬ 
tonitis“ der Ergebnisse von Payr-Küttner kurz angeführt. 

Der damalige Fall war folgender: Bei einem Pat. der K ü t tn er - 
sehen Klinik, der etwa 25 m hoch abgestürzt war, fand sich neben 
Anderen Brüchen eine Kompressionsfraktur der Lendenwirbelsäule 
«nd hochgradige Bauchdeckenspannung. Wegen schweren Kollapses 
wurde nicht operiert. Die Bauchdeckenstarre schwand allmählich im 
Laufe von 6 Tagen. 

* Dieselbe absolute Starre der Bauchmuskulatur wies in den ersten 
Tagen nach der Operation ein Pat. auf, bei dem wegen chronischer 
Pachymeningitis im Gebiete der Brustwirbelsäule die Laminektomie 
nnd Schwartenentfernung ausgeführt worden war, eine Beobachtung, 
die fast nach Art eines Experimentes den Zusammenhang zwischen 
Bauchdeckenspannung und Wirbelschädigung zeigte. 

Die Krankengeschichte des im Felde beobachteten Falles habe 
Ich nicht zur Hand. Sie hat sich mir aber wegen der unangenehmen 
Fehldiagnose fest eingeprägt 

Es handelte sich um einen Pionier mit Granatsteckschuss in 
der Lendengegend; die Verletzung war ziemlich weit hinter der 
Front erfolgt, so dass der Verwundete schon zwei Stunden nachher 
auf unseren Hauptverbandplatz kam, nachdem er zu Fuss mit Unter¬ 
stützung von Kameraden auf den Wagenhalteplatz gegangen war. 

Er klagte über heftige Schmerzen des Bauches, war stark mit¬ 
genommen, ziemlich kollabiert; Puls um 90. kein Erbrechen. Der 
kleine Einschuss sass unter dem linken Rippenbogen in der Lenden¬ 
gegend; der Schusskanal Hess sich nicht weiter verfolgen. Kein Aus¬ 
schuss. Der ganze Bauch war bretthart angespannt, eingezogen und 
konnte nicht entspannt werden; er war im höchsten Masse druck¬ 
empfindlich; schon leichte Berührung rief lebhafte Schmerzäusse¬ 
rungen hervor. Leberdämpfung normal, Urin wird spontan entleert 
und ist frei von Blut. 

An der Diagnose Bauchverletzung zweifelte weder ich noch die 
anderen Aerzte, die den Verwundeten gesehen hatten. Ich ging des¬ 
halb bei der sofortigen Operation nicht vom Wundkanal aus, wie 
sonst bei zweifelhaften Lendenschüssen, sondern eröffnete so¬ 
fort vorn median die Bauchhöhle; es fand sich in ihr nicht die 
geringste Veränderung, ebenso kein Anhalt für eine retroperitoneale 
Verletzung. Bauchdeckenschichtnaht. Alsdann wurde der Schuss¬ 
kanal verfolgt; er führte nach der rechten Thoraxseite; der bohnen¬ 
grosse Granatsplitter fand sich unter dem Innenrande des rechten 
Schulterblattes in verschmutzter Umgebung. Die Dornlortsätze des 
8. und 9. Brustwirbels waren gebrochen, die Dura war im Bereich 
der beiden Wirbel breit, auf 2 cm Länge eingerissen und gequetscht. 
Das Rückenmark war, soweit sich dies bei makroskopischer Be¬ 
trachtung beurteilen Hess, unverletzt. Der ganze Wundkanal war mit 
Schmutzpartikeln belegt. Die Dura wurde angefrischt: die Naht gelang 
aber nur zu einem kleinen Teil. Zu einer Faszientransplantation 
konnte ich mich wegen der Verschmutzung der Wunde nicht ent- 
schliessen. Abtragen der gequetschten Muskulatur und der abge¬ 
rissenen Dornfortsätze. Tamponade auf den Duradefekt, Verkleine¬ 
rung der Wunde. 

Die Untersuchung am nächsten Tage ergab: Allgemeinbefinden 
wenig gebessert, dieselben Klagen wie vor der Operation. Bauch¬ 
deckenstarre wie am vorhergehenden Tag. Unveränderter Bauch¬ 
schmerz, hochgradige Druckempfindlichkeit des Bauches. Patellar- 
reflexe lebhaft, Babinski positiv, keine Lähmung, aber deutlich ver¬ 
mehrte Muskelspannung beider Beine. Deutlich ausgesprochene 
Hyperästhesie der Beine, ausgesprochene Hyperästhesie der Bauch¬ 
haut; schon das Anheben einer Falte ruft starke Schmerzen hervor. 
Bauchdeckenreflexe lebhaft; ihr Auslösen erregt ebenfalls Schmerzen. 
Keine Blasenlähmung. Wegen der Schmerzen viel Morphium nötig. 

Dieser Zustand dauerte 2—3 weitere Tage an; die Rigidität der 
Beine und die Schmerzen in ihnen verschwanden nie ganz, dagegen 
Kess die Bauchspannung allmählich nach, ohne jedoch ganz aufzu¬ 
hören; Stuhlgang erfolgte auf Einlauf. Die Laparotomiewunde heilte 
glatt. Vom dritten Tage an starker Liquorausfluss aus der Wunde; 
der Tampon auf der Dura wird etwa am 8. Tage gelockert; aus der 
Tiefe der Wunde entleert sich viel klarer Liquor Am 12; Tage hört 
der Liquorausfluss auf, gleichzeitig Temperatursteigerung. Am näch¬ 
sten Tage entleert sich wieder trübes Sekret aus der Wunde, am 
15. Tage Exitus unter zunehmenden Meningitiserscheinungen. 

Zur Krankengeschichte ist nur Weniges zu bemerken. Die Fehl¬ 
diagnose wurde gestellt infolge des unklaren Verlaufes des Wund¬ 
kanals (Steckschuss!) und weil die typischen Erscheinungen der 
Bauch Verletzung absolut im Vordergrund standen: Bauchdeckenspan¬ 
nung, Einziehung des Leibes, diffuse, hochgradige Druckempfindlich¬ 
keit des Bauches. Auch die schwere Beeinträchtigung des Allgemein¬ 
befindens. der Kollaps passte in das Bild des Bauchschusses. 

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Nicht beachtet wurden die Schmerzen und Spasmen der Beine, 
die Reflexstörungen der Beine, die Hyperästhesie der Bauchhaut- 
Irgendwelche typische Marksymptome bestanden nicht, keine Extremi¬ 
tätenlähmung, keine Anästhesie, keine BLasenlähnrung. Das Mark war 
sicherlich auch nicht irgendwie schwerer verletzt: offenbar war 
der Reflexbogen der unteren Thorakalnerven beschädigt oder ge¬ 
reizt, am wahrscheinlichsten im Bereich der hinteren Wurzeln. Be¬ 
sonders durch Untersuchungen von Ad. Hoff mann sind wir da¬ 
rüber belehrt, wie Schädigungen der austretenden Rückenmarks- 
wurzeln zu Hyperästhesien im Bereiche des Bauches und Bauch¬ 
deckenspannung führen können. 

Wie kann man sich vor solchen Irrtümern schützen? Die Bauch¬ 
erscheinungen stehen so sehr im Vordergrund, dass sie unsere 
Diagnose gewaltsam, suggestiv beeinflussen und uns Symptome, die 
geeignet wären, unsere Gedankenrichtung nach anderer Seite z* 
lenken, übersehen lassen. Man wird aber besonders vorsichtig sein 
müssen, 

1. wenn der Verlauf des Schusskanals nicht sicher eine Wirbel¬ 
verletzung ausschliessen lässt, 

2. wenn neben den Schmerzen im Bauch auch über Schmerzen 
in den Beinen geklagt wird, 

3. wenn die Empfindlichkeit des Bauches eine ganz ungewöhn¬ 
liche ist, so dass schon vorsichtige Berührung heftige Schmerz¬ 
empfindungen auslöst. 

In solchen Fällen muss eine genaue Sensibilitätsprüfung der 
Beine und des Bauches vorgenommen werden, die Reflexe müssen ge¬ 
nau untersucht werden. Alsdann wird sich ein Irrtum, wie wir Um 
begangen haben, vermeiden lassen. 


Aus der Abteilung für innerlich Kranke des Festungslazaretts 
Koblenz. 

Darmspasinen und eigenartige Selbsthilfe*). 

Von Dr. Otto Hess, Assistenzarzt der medizin. Klinik der 
Kölner Akademie (Prof. Moritz), z. Zt. Oberarzt d. L. unct 
leitender Arzt der Abtlg. für innerlich Kranke; fachärztl. Beirat. 

M. H.i Die kurze Mitteilung des folgenden Falles erscheint 
mir gerechtfertigt durch die in letzter Zeit immer häufiger beob¬ 
achteten leichteren und schwereren spastischen Zustände des Darmes, 
die oft lange Zeit infolge falscher Diagnose jeder Therapie trotzen, 
nicht selten zur Verwechslung mit Appendizitis führen und dann ope¬ 
riert werden, natürlich ohne dass dadurch eine Besserung eintritt. 

Die recht typische und deshalb besonders wichtige Vorge¬ 
schichte unseres Falles lautet: 

Der 29jähr. Leutnant S. leidet seit etwa 2 Jahren an starken, 
anfallsweise auftretenden Schmerzen in der rechten Oberbauchgegend. 
Die ziehenden, z. T. kolikartigen Beschwerden wiederholen sich etwa, 
alle 2—3 Wochen, meist ohne besondere Veranlassung, dauern dar» 
mehrere Stunden an und hinterlassen ein Gefühl von grosser Schlapp-: 
heit. Es kommt vor, dass vor und während der sich auch über 
einen halben Tag erstreckenden Anfälle der Stuhl angehalten ist; nach 
dem Anfall erfolgt dann häufig eine grössere Entleerung. 

Pat. kam wegen einer Knieverletzung aus dem Feld und lag in 
einem Lazarett In K. In dem Krankenblatt findet sich — vorher ist 
nichts über die Bauchorgane erwähnt — am 15. VIII. 17 folgender 
Eintrag: (Hautwunde auf der Aussenseite des linken Kniegelenks. X 
„Chron. Blinddarmentzündung“. 

30. VIII. 17. Erneuter Anfall von Blinddarmentzündung. Rücken¬ 
marksbetäubung, Eröffnung des Leibes mit Pararektalschnitt. Dez 
sehr lange Blinddarmanhang ist an seiner Spitze entzündlich ver¬ 
ändert; der Wurmfortsatz wird entfernt, Bauchhöhle geschlossen. 

Nach glattem Heilungsverlauf heisst es unter dem 25. IX. 17: Pat. 
klagt in den letzten Tagen nieder über rechtseitige Unterleibsbe¬ 
schwerden. Nach Röntgenaufnahmen ist an den Nieren kein krank¬ 
hafter Befund zu erheben. Urin; Alb. —, Zucker —. 

Im Abgangsbefund steht unter dem 18. X. 17: . . . Beschreibung 
der Kniewunde. . . . Die Darmfunktion ist in Ordnung. Der Er¬ 
nährungszustand dürftig, allgemeine Neurasthenie. S. wird zur Er¬ 
holung in ein Reservelazarett an der Mosel verlegt. Von diesem 
Reservelazarett aus wurde mir Pat Anfang Dezember 1917 zur Zysto- 
skopie und zum Ureterenkatheterismus zugeschickt, da sich die oben 
'beschriebenen Schmerzanfälle immer wiederholten und bei ihrem 
Hauptschmerzpunkt etwa in der rechten Nierengegend auf eine Stein¬ 
erkrankung hindeuteten. Es sei gleich betont, dass sich in dem Uri* 
bei mehrtägiger Kontrolle auch nach Bewegungen und einem der be¬ 
schriebenen Schmerzanfälle nie ein krankhafter Befund erheben Hess. 
Es wurde von einer Zystoskopie Abstand genommen, besonders da 
schon die Vorgeschichte auf ein Darmleiden hinwies. 

Die Untersuchung des Patienten ergab an den inneren Organen 
nichts Besonderes, der Bauch war in der anfallsfreien Zeit weich, 
nirgends druckschmerzhaft, der Magen etwas gebläht. Die Nerven- 
untersuchung ergab: vasomotorische Neurasthenie (Lid¬ 
flattern, Dermographismus, Tremor. Schwitzen, psychisch labil; Re¬ 
flexe etwas lebhaft; Bauchdeckenreflexe fehlen bei wiederholter Prü- 


•) Nach einer Demonstration auf dem 21. kriegsärztlichen Abend 
Koblenz, den 5. II. 18. 

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3. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1383 


fung, keinerlei krankhafte Reflexe, Babinski —. Oppenheim —, kein 
Nystagmus, keine Sprachstörung, keine Störung der Sensibilität). 

'Probedarmspülung: ausser einigen alten Resten nichts Be¬ 
sonderes, insonderheit kein Schleim, kein Blut (auch chemisch 
negativ). 

0,5 Karmin erscheint nach 24 Stunden im Stuhl. Am 17. XII. 17 
nachmittags meldet sich Pat., da er einen seiner typischen Anfälle 
habe; er könne es vor Schmerzen kaum aushalten. Im Gegensatz 
zu den starken Schmerzen (Pat. krümmt sich) ist der Gesamtaus¬ 
druck kein schlechter, kein Fieber, keine Pulsbeschleunigung etc. 
Bei-der Untersuchung des Abdomens lässt sich ein Teil des Kolon 
(etwa Gegend der Flexura hepatica) als derber Strang fühlen. Einen 
starken Druck mit der Hand in dieser Gegend empfindet Pat. eher 
als angenehm. Während der Untersuchung berichtet er, dass er sich 
im Laufe der Zeit eine eigenartige Selbsthilfe angewöhnt habe, 
nachdem er empfunden hatte, dass ein gewisser Druck in die 
schmerzende Gegend lindernd wirkte. Er pflegt dann eine Stellung 
einzunehmen, Avie wir sie in Abb. 1 und 2 sehen: Kopf nach unten. 



Abb. 1. Abb. 2. 


Beine an die Wand und Eindrücken der rechten Bauch¬ 
seite gegen eine harte Stuhl- oder Bettkante. In dieser eigen¬ 
artigen Stellung, die er oft über Stunden einnimmt, hat er dänn all¬ 
mählich das Gefühl, „als ob sich im Bauch etwas verschöbe und 
Winde abgingen“. 

Ueberblickt man den ganzen Krankheitsverlauf und die Befunde, 
so ist wohl kein Zweifel, dass es sich um periodisch auf¬ 
tretende Darmspasmen handelt, die man in Parallele zu 
andersartigen Spasmen des Verdauungstraktus (Kardiospasmus, P.v- 
lorospasmus) zu setzen hat. 

Durch den Röntgenbefund können wir bei derartigen Zu¬ 
ständen des Darmes eine willkommene Ergänzung unserer klinischer!" 
Beobachtung erhalten; es ist aber andererseits vor einer Ueber- 
schätzung zu warnen, besonders davor, auf Grund einer Darm¬ 
aufnahme die Diagnose Kolonspasmus zu stellen, wie man es jetzt 
recht häufig in Krankenblättern lesen kann. Ich erinnere nur daran, 
dass wir es bei einer Aufnahme stets mit momentanen Zustands¬ 
bildern zu tun haben, die bei längerer Besichtigung vor dem Leucht¬ 
schirm langsam wechseln können, so dass eben noch spastische Teile 
atonisch erscheinen. Ich verweise hierzu auf das Referat von 
v. Bergmann und die _sich daran anschliessende Diskussion 1 ). 

Auch in unserem Falle ergab wohl das Röntgenverfahren einen 
Spasmus des Kolon, aber nicht derart ausgeprägt, dass ich darauf die 
Diagnose gründen möchte. In schweren, langandauernden, ev. zum 
Ileus führenden Zuständen dieser, Art, wie sie ja oft genug be¬ 
schrieben sind, wird man allerdings mit Hilfe einer Kpntrastmahlzeit 
oder eines Einlaufes rasch orientiert sein. Ich möchte für die Be¬ 
obachtung des Darmes der Kontrastmahlzeit gegenüber dem Einlauf 
den Vorzug geben, weil wir nicht wissen, welche Veränderungen ner¬ 
vöser Art durch einen Kontrasteinlauf hervorgerufen werden und dies 
besonders bei Leuten mit neurasthenischer Konstitution, die ja das 
Hauptkontingent für die spastischen Darmstörungen stellen. 

In unserem Falle wurde die Diagnose auch sofort durch den Er¬ 
folg der eingeleiteten Therapie erhärtet. Das souveräne Mittel 
bei spastischen Darmzuständen ist das Atropin, entweder bei sehr 
schweren, akut einsetzenden subkutan oder bei chronischen Attacken 
in Form von Zäpfchen oder Pillen. Daneben ist auf die Diät zu achten, 
die für längere Zeit möglichst reizlos (am besten breiig) sein soll. 
Die Gesamtkonstitution der Neurasthenie ist zu berücksichtigen und 
zu behandeln. 

Für die Diagnose solcher Zustände ist besonders wichtig die 
exakte Anamnese und das Missverhältnis der geklagten Bauchbe¬ 
schwerden zum objektiven Befund, so vor allem: das gw& Aussehen, 


*) Verhandlung der ersten Tagung über Verdauungs- und Stoff- 
\v echsclkrankheiten. Karger, Berlin 191b. 

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das Fehlen von Fieber und Pulsbeschleunigung. Eine Stuhlunter¬ 
suchung (ev. Probedarmspülung) wird uns vor allein über etwa be¬ 
stehende Colitis membranaca, die zu ähnlichen Zuständen führen 
kann, aufklären. In zweifelhaften Fällen wird man durch eine Atropin¬ 
medikation nichts schaden, sich aber ev. rasch Klarheit verschaffen. 


Die Aetherbehandlung der Peritonitis. 

Von Stabsarzt Dr. Georg Wolfsohn 
in einem Kriegslazarett. 

In den folgenden Zeilen soll auf ein Verfahren toitigewiesen wer¬ 
den, das vor dem Kriege von französischer Seite empfohlen wurde, 
bei uns in Deutschland aber noch recht wenig Eingang gefunden hat: 
die Aetherbehandlung des Peritoneums bei diffuser Peritonitis 1 ). 

Die überraschend guten Resultate, die d<ie Methode mir gab. ver¬ 
anlassen mich, über die Erfolge zu berichten, um sie anderen Chirur¬ 
gen zur Nachahmung zu empfehlen, vielleicht auch als unterstützende 
Therapie bei der Operation von Bauchschüssen. 

Die Technik ist d'ie denkbar einfachste. Sie lässt sich überall 
durchführen, wo überhaupt laparotomiert wird. Nach Stopfung der 
Infektionsquelle wird die Bauchhöhle in der üblichen Weise mit 
physiologischer Kochsalzlösung gespült; ein Teil des klaren Spül¬ 
wassers bleibt im Bauch. Sodann wird aus einer vorher zurecht¬ 
gestellten steril umwickelten Narkoseflasche gewöhnlicher Narkose¬ 
äther in die Bauchhöhle eingegossen, und zwar etwa 50—100 ccm. 
Es entsteht unmittelbar ein zischendes Geräusch, das sofort ver¬ 
schwindet. 1—2 mal wird oberflächlich abgetupft; der Rest des Ein¬ 
gegossenen bleibt in der Bauchhöhle. Der Verschluss erfolgt dann 
in der üblichen Weise. Unmittelbar nach Beendigung der Operation 
wurde stets 1 Liter Kochsalzlösung mit 8 Tropfen Adrenalin (1 Prom.) 
subkutan injiziert. 

In der Nachbehandlung wurde Wert gelegt auf Tieflagerung des 
kleinen Beckens, Heissluftbehandlung des Lefbes und baldige An¬ 
regung der Darmperistaltik, möglichst schon am Operationstage. 

Bei allen Kranken war eine weit vorgeschrittene, allgemeine, 
freie, diffuse Peritonitis vorhanden mit Eiter im ganzen Leib, fibri¬ 
nösen Belägen, intensiver Rötung und Blähung aller zu Gesicht kom¬ 
mender Darmschlingen. 

Ich hatte im Zeitraum von iV» Jahren Gelegenheit, 11 diffuse 
Peritonitiden in dieser Weise zu operieren und mit Aether zu be¬ 
handeln, und zwar 

7 Fälle von Appendicitis perforativa, 

1 Ulcus duodeni perforatum, 

I Ulcus ventriculi perforatum, 

I Cholecystitis purulenta perforativa. 

1 subkutane Dünndarmruptur (gewaltsame Reposition eines fri¬ 
schen Leistenbruches durch den Kranken). 

Der Zeitpunkt der Perforation Hess sich nicht bei allen Kranken 
mit Sicherheit feststellen. Die Indolenz war — auch ohne Mor¬ 
phiumgaben— mitunter eine so erstaunliche, dass sie auch bei der 
ausgeprägten Peritonitis nur wenig Schmerzen äusserten und dem¬ 
entsprechend auch nicht sicher anzugeben wussten, wann d'ie eigent¬ 
liche „Verschlimmerung“ eingetreten war. Wenigstens galt das für 
die Kränken mit akuter Appendizitis. Das perforierte Ulcus duodeni 
wurde nach 5 Stunden operiert, das Ulcus ventriculi nach etwa 
6—8 Stunden, die subkutane Dünndarmruptur nach 8—9 Stunden. Die 
Gallenblasenperitonitis war etwa 8 Stunden vor der Operation durch 
Perforation entstanden. 

Von den 11 Operierten sind 9 durchgekommen und nur 2 ge¬ 
storben 2 ). Das Resultat muss als äusserst günstig bezeichnet wer¬ 
den, wenn man bedenkt, dass die Mortalitätsstatistik nach Opera¬ 
tionen der diffusen Peritonitis zwischen 40—85 Proz. im allgemeinen 
schwankt. Zum Teil mag wohl auch die Widerstandskraft der jungen 
kräftigen Menschen beim Ueberstehen der Peritonitis mitgeholfen 
haben, aber der ganze Krankheitsverlauf nach der Operation ge¬ 
staltete sich doch so günstig, dass an der vorzüglichen Wirkung des 
Aethers m. E. nicht zu zweifeln ist. 

Im einzelnen seien besonders folgende Vorteile hervorgehoben: 

1. Unmittelbar nach dem Eingiessen von Aether in den Bauch 
vertieft sich die Narkose zu einem ruhigen Schlaf, der die Ausführung 
der Bauchnaht in ungestörter Weise gestattet, ohne dass auch nur 
ein Tropfen Narkotikum von der Maske aus notwendig ist. 

2. Dieser Schlaf verlängert das Stadium der Ruhe post Opera¬ 
tionen! um 1—2 Stunden, so dass die erste Morphiumdosis beträcht¬ 
lich später gegeben werden kann als sonst. 

3. Die Herztätigkeit hebt sich nach der Aethereingiessung sehr 
schnell, wahrscheinlich infolge schneller Resorption des Aefhers 
(vielleicht auch infolge direkter Wirkung auf das Herz durch das 
Zwerchfell hindurch). Injektionen von Kampfer und Koffein, die sonst 
in derartigen Fällen meist halbstündlich notwendig sind, um die 
Operierten über die ersten Stunden hinwegzubringen, können ent¬ 
weder ganz entbehrt werden oder aber auf einige wenige Ein¬ 
spritzungen beschränkt bleiben. 


x ) Societe de Cliir. Paris, Sitzung vom 14. Mai 1913; ref. M.m.W. 
1913 S. 1860. — Derganz: Beitrag zur Peritonitistherapie; diese 
Wochenschrift 1916 S. 174. 

3 ) 2 Fälle von Appendicitis gangraenosa. 

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1384 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 49. 


4. Das gleiche gilt von den Kochsalzinfusionen. Falls die Nah¬ 
rungsaufnahme per os eine zufriedenstellende ist, kann man meist 
auf Kochsalzinfusionen verzichten (abgesehen von der Infusion, die 
am Ende jeder Operation gemacht wird). 

5. Das Peritoneum überwindet die lokale Infektion in erstaun¬ 
lich schneller Weise. Der Leib ist schon nach wenigen Stunden weich 
und schmerzlos, die Atmung wird abdominal, ruhig, beschwerdefrei; 
der „peritoneale" üesichtsausdruck verschwindet schnell, um einer 
lebhaften Rötung des Gesichts und der Schleimhäute Platz zu machen. 

6. Urin wird stets schon am Operationstage spontan gelassen. 

7. Das subjektive befinden ist, besonders in den ersten 24 Stun¬ 
den, ein erstaunlich gutes, oft so, dass man kaum glaubt. Schwer¬ 
operierte vor sich zu haben. 

Gegen die Aetherbehandlung könnten drei Bedenken erhoben 
werden: ^ 

1. Bringt die plötzliche Zufuhr von 50—100 ccm Narkoseäther 
gegen Schluss der Operation Gefahren und Störungen in der Nar¬ 
kose mit sich? Diese Frage muss entschieden verneint werden. Man 
braucht meist nach Beendigung der Bauchspülung zur Bauchdecken¬ 
naht sowieso ein etwas grösseres Quantum des Narkotikums. Die 
peritoneale Einverleibung der genannten Aethermengen hat in unse¬ 
ren Fällen niemals auch nur die geringste Narkosestörung hervor¬ 
gerufen. Im Gegenteil: die Bauchnaht liess sich, wie gesagt, in tadel¬ 
los ruhiger Narkose ausführen, bei kräftigem Puls und ruhiger 
Atmung. Desgleichen war der postoperative Schlaf, der noch -1 bis 
2 Stunden dauerte, völlig ungestört und gab zu keiner Besorgnis 
Veranlassung. 

2. Bringt die Verdunstungskälte des Aethers eine Abkühlung des 
Bauchfells mit sich? Zweifellos. Aber diese Abkühlung macht sich 
klinisch nicht unangenehm bemerkbar. Die abkühlende Aether- 
wirkung wird ja auch durch die warme physiologische Kochsalz¬ 
lösung, die im Bauche ist, erheblich abgeschwächt. Jedenfalls haben 
wir in keinem einzigen Falle irgendwelche Schockwirkung erlebt. 
Gerade das Gegenteil war der Fall. Gleich nach dem Eingiessen des 
Aethers fing das Gesicht an. sich zu röten und der Puls wurde kräfti¬ 
ger und voller. Der Narkotiseur hat das des öfteren auch ungefragt 
gemeldet. 

3. Macht der Aether Adhäsionen? Diese Frage ist schwer zu 
beantworten, weil sich ja nach jeder diffusen Peritonitis Verwach¬ 
sungen bilden können. In den ersten Tagen nach der Operation 
machten sich klinisch öfters Zeichen von Magen- und Darmparesen 
geltend, die mit den üblichen Mitteln zu beheben waren und sicher 
nicht auf Konto der Aetherbehandlung zu setzen sind. Ob hach Mo¬ 
naten und Jahren stärkere Adhäsionsbeschwerden vorhanden sind, 
weiss ich nicht, da ich die Patienten nicht so lange verfolgen konnte. 
Fürchtet man eine stärkere .Adhäsionsbildung, so käme vielleicht in 
Frage, den Aether zusammen mit Kampferöl einzugiessen. 

Im ganzen sei auf Grund meiner Erfahrungen die Aetherbehand¬ 
lung der Peritonitis sehr empfohlen. 


Aus dem k. u. k. Reservelazarett Bozen. (Kommandant 
Dr. Norbert Pf u r tscheller, Regimentsarzt a. D. 

Ausgedehntes Pulvergasemphysem nach Leuchtpistolen¬ 
verletzung. 

Von Dr. Lorenz Böhler, Regimentsarzt i. d. R., Bozen. 

Hautemphysem kann überall entstehen, wo die Wandung eines 
lufthaltigen Organes verletzt ist und wo dadurch ein Weg in das um¬ 
gebende Zellgewebe entsteht. Wenn Luft und 1 Gase im Hohlorgan 
unter erhöhtem Drucke stehen, so treten sie durch diesen neuen Weg 
in das lockere Zwischengewebe und in das Unterhautzellgewebe aus. 
Am bekanntesten ist das Hautemphysem nach Lungenverletzungen. 
Ueber die Häufigkeit desselben gehen die Angaben weit auseinander. 
Bei den Sturmangriffen in Galizien und Russland sah ich es in 90 Proz. 
aller Lungenverletzungen, während es im Stellungskriege auffallend 
seltener war. Das starke Arbeiten der Lunge scheint also dabei eine 
Rolle zu*spielen. Unter 16 Kehlkopf- und Luftröhrenschüssen beob¬ 
achtete ich es 6 mal. E r k e s erwähnt es unter 7 Kehlkopfschüssen 
2 mal. Hautemphysem der Wange und des Unterlides sah ich bei 
einem Schuss in die Oberkieferhöhle. Bei einem Schädelschuss mit 
einer Fissur, welche durch das Mitt&lohr und den Warzenfortsatz 
ging, trat es über den Warzenfortsatz auf. Hautemphysem, das von 
aen Nebenhöhlen der Nase und vom Mittelohr ausgeht, entsteht, wenn 
durch Schneuzen der Druck im Nasenrachenraum erhöht wird. 

Bei Verletzungen des Magendarmkanals wird es viel seltener be¬ 
obachtet und zwar gewöhnlich nur bei Darmabschnitten, die teil¬ 
weise oder ganz extraperitoneal liegen, also am Duodenum, am Colon 
ascendens, descendcns und am Rektum. Am häufigsten trat es bei 
Zoekalschüsscn auf und ich habe anfangs November 1914 an einem 
Tage 3 derartige Fälle gesehen. Bei Verletzungen intraperitonealer 
Darmabschnitte habe ich Hautemphysem nur 4 mal beobachtet. In 
diesen Fällen muss die Schussöffnung im Darm jener der Bauchwand 
unmittelbar anliegen. Während das aus den Luftwegen unter die Haut 
ausgetretene Gas meist harmlos ist (nur in einem Falle sah ich durch 
dasselbe eine mechanische Behinderung der Atmung bei einem Kehl- 
kopfschusse), so kann die Verbindung des Darmkanals mit demUnter- 
hautzellgewebe zu schweren Komplikationen führen, weil mit dem 


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schweren Kompli 

Gck ig« 


Gas häufig auch Darmbakterien austreten, welche ausgedehnte Phleg¬ 
monen und gashaltige Abszesse hervorrufen. Das Gas in denselben 
stammt zum Teil aus dem Darm, zum Teil ist es durch Zersetzung 
entstanden, also bakterieller Natur. 

Am gefährlichsten ist jenes Hautemphysem, welches durch gas- 
bildende Anaerobier im Körper selbst, besonders im zerfallenden 
Muskelgewebe entsteht und das wir bei den Gasphlegmonen der 
Kriegswunden so häufig finden. 

Selten sind jene Fälle, wo Hautemphysem zustande kommt durch 
Gase, welche von aussen in den Körper gebracht werden. Ich habe 
kürzlich einen derartigen Fall zu behandeln Gelegenheit gehabt, der 
durch Leuchtpistolenverletzung entstanden war. Der Mann wurde 
am 10. April 1918 durch einen Kameraden, der mit einer Leuchtpistole 
spielte, aus einer Entfernung von höchstens 10 cm verwundet. 5 Stun¬ 
den nach dem Unfall zeigte er in der Mitte der Aussenseite des linken 
Oberschenkels eine 5Kr.-grosse Einschusswunde. Die Haut in der 
Umgebung derselben ist in Handtellergrösse verkohlt und hart wie 
Leder. Die Haut des ganzen Oberschenkels zeigt an der Aussen- 
und Hinterseite Verbrennungen 2. Grades und die Oberhaut löst sich 
in grossen Blasen ab. Der Hodensack ist mächtig aufgetrieben, w;c 
man es bei schweren Gasbrandfällen sieht. Beide Leistenbeugen 
zeigen polsterartige Auftreibungen. Hier am Hodensack und über den 
ganzen Körper bis zu den Achselhöhlen ist Gasknistern zu tasten, 
ebenso am linken Bein bis zu den Knöcheln, das rechte Bein ist im 
davon. Der erste Gedanke beim Anblick des aufgetriebenen Hodeu- 
sackes war rasch fortschreitende Gasinfektion. Dagegen sprach aber 
das gute Allgemeinbefinden, der kräftige Puls und das Fehlen von 
Oedem neben dem Gas. Beim Freilegen des Einschusses zeigte sich 
der Vastus lateralis zerrissen und verbrannt und von schlammiger 
Asche verschmutzt. 2 Papierpfröpfe steckten an der Innenseite de> 
Oberschenkels unter der Haut. Aus der Wunde strömt ein starker 
Geruch nach verbranntem Pulver. Beim weiteren Freilegen zeigt 
cs sich, dass sämtliche Muskeln, Gefässe und Nerven vollständig 
isoliert und von einer schwarzgrauen Masse eingehüllt sind. Da nach 
diesem Befunde ein Erhalten des Beines unwahrscheinlich schier, 
wurde es abgesetzt. Die schwarzen Massen erstreckten sich längs 
der Gefäss- und Nervenscheklen ins Becken hinein. Der Sartorius 
war von seinem Ursprung am vorderen oberen Darmbeinstachel bis 
zu seinem Ansatz am Schienbein vollkommen aus seiner Scheide aus¬ 
gelöst und wurde entfernt. Die Gefässschekle wurde bis zum Leisten¬ 
ring. die Scheide des Ischiadikus bis zum Glutaeus maximus frei¬ 
gelegt. 

In den nächsten Tagen war die Temperatur normal, der Stuhl 
angehalten. Vom 15. April an bestanden Abendtemperaturen bis zu 
39° und seit 19. April Durchfall. Am 28. April entleerte sich aus 
der Ischiadikusscheide reichlich blutiges Sekret mit Gasblasen unter¬ 
mischt.* Da die Temperatur trotz Drainage nicht abfiel, wurde am 
2. Mai der vereiterte Zellgewebsraum zwischen Glutaeus maximus 
und medius durch 3 Gegenöfrnungen unter dem Darmbeinkamm drai- 
niert. Bei der rektalen Untersuchung war auch Gasknistem im 
kleinen Becken» nachweisbar, auf Druck entleerte sich aber von 
dort kein Eiter. Das Hautemphysem ging nur mehr bis zum Nabel. 
Vom 3. Mai an war die Temperatur immer normal und die Wunden 
überhäuteten sich rasch. Am 9. Mai war mit Ausnahme des Hoden¬ 
sackes nirgends Hautemphysem nachweisbar und hier verschwanden 
die letzten Blasen am 20. Mai. 

Das Hautemphysem dürfte zum Teil durch die in die Wunde 
eingedrungenen Treibgase der Patrone entstanden sein, zum grössten 
Teile aber dadurch, dass der Leuchtkörper erst im Innern des Ober¬ 
schenkels unter reichlicher Gasentwicklung abbrannte. Weil er an 
der Vorderinnenseite des Oberschenkels lag, waren der Sartorius und 
die Gefässscheide an der Verletzung am meisten beteiligt. Der Leucht¬ 
körper muss vollständig verbrannt sein, denn mit Ausnahme der 
Pfropfe war nichts mehr von demselben zu finden. Die Verbrennunger 
2. und 3. Grades an der Haut des Oberschenkels können nur durch die 
Hitze der Treibgase verursacht sein. 

In der Literatur konnte ich nur einen derartigen Fall finden, der 
von Walter Kessler beschrieben wurde und der nach seinen Unter¬ 
suchungen durch Köhlenoxydvergiftung zum Tode führte. T h e r - 
s tappen, Goebel, zur Verth und Scheele haben Leucht¬ 
pistolenverletzungen beschrieben, bei welchen es aber nicht zu Frr- 
physembildung gekommen war. 

Literatur. 

Walter Kessler: Sammlung klin. Vorträge Nr. 729. — Thcr- 
stappen: D.m.W. 1916 Nr. 20. — Goebel: D.m.W. 1916 Nr. 1. — 
zur Verth und Scheele: D. militärärztl. Zschr. 1914 u. D. ZH. 
f. Ch. 1915. 1— Eikes: Zschr. f. Ch. 1918 Nr. 22. - Böhler: 
M.m.W. 1915 Nr. 23 u. 24 und Med. Kl. 1915 Nr. 45. 


Eine typische Kopfverletzung bei der Marine. 

Von Dr. Scheele, Oberassistenzarzt d. Res. 

Die Erfahrung, dass jede umschriebene Beschäftigungsart, sei c< 
Beruf oder Sport, neben einer Anzahl von regellosen Zufallswundc^ 
auch stets vtHederkehrende, typische Verletzungen aufweist, bestätigt 
sich in ausgesprochener Weise in der Marine. Die Marineangehöriger 
sind nicht allein während ihrer beruflichen bzw. dienstlichen Arbeit¬ 
zeit, sondern auch während der Freizeit den besonderen Verhältnissen 

Original fram 

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3. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1385 


des Bordlebens ausgesetzt. Daraus ist die verhältnismässig grosse 
Zahl von typischen Verletzungen, die bisher beobachtet wurden, zu 
erklären. 

Abgesehen von älteren Autoren, unter denen besonders S a u r e 1 
zu nennen ist, hat in letzter Zeit zur Verth typische Marinever¬ 
letzungen beschrieben. 

Bei der Durchsicht der an Bord zur Behandlung gekommenen 
Kopfverletzungen, die nicht durch feindliche Einwirkungen entstanden 
waren, fiel eine Reihe von Verletzungen auf, die einmal gleichmässige 
Ursache hatten, dann aber auch ein ziemlich gleichmässiges Krank¬ 
heitsbild aufwiesen, so dass man sie mit Recht als typische Ver¬ 
letzungen bezeichnen darf. Es handelt sich um Quetschwunden des 
behaarten Kopfes durch Anrennen gegen Schottüren, bzw. gegen den 
oberen Rand des Türrahmens von Scrhotten. Beim Antreten zum 
Dienst, beim Rollenexerzieren, kurz bei irgend einem beschleunigten 
Durchtreten durch die Schottüren wird die Verletzung erworben. 

Die Verletzten kamen in allen Fällen unmittelbar nach dem 
Unfall ins Schiffslazarett, wo sie versorgt wurden. Es fand sich stets 
eine quere Wunde auf dem behaarten Kopf in Gegend der Kranz¬ 
naht, meist hinter ihr, von mehr oder weniger grosser Ausdehnung. 
Wunden, die eben in das Korium eindrangen und solche bis auf den 
Knochen, Wunden von 2 cm Länge bis zu 10 cm Länge wurden be¬ 
obachtet. Die Behandlung bestand je nach der Ausdehnung in Naht 
und aseptischem Verband. 

Ein besonders typisch erscheinender Fall sei hier ausführlicher 
mitgeteilt: 

F.-T.-Gast R., der seit 4 Monaten an Bord ist, stiess beim 
eiligen Durchtreten durch ein Schott mit dem von der Mütze be¬ 
deckten Kopf gegen die Oberkante des Schottürrahmens. 

Bei dem sehr kräftigen Manne fand sich in der Kopfschwarte 
zweiquerfingerbreit hinter der Kranznaht eine 10 cm lange Wunde, 
die in ihrer Mitte ziemlich quer verlief, nach den beiden Enden zu 
nach hinten, abgewinkelt war. Die Wunde reichte bis auf den 
Knochen. Nach hinten zu waren Haut und Knochenhaut abgelöst, 
so dass sich eine die ganze Länge der Wunde einnehmende und 
5—7 cm tiefe Tasche bildete. Der Knochen war nicht verletzt. Die 
Wunde wurde aseptisch versorgt. Trotzdem ein fester Druckver- 
band angelegt wurde, sammelte sich ein Bluterguss in der Tasche. 
Nach Ablassen desselben erfolgte die Heilung ohne Störung. 

Zum Verständnis dieser Verletzung sei auf eine Einrichtung der 
Schottüren hingewiesen. Der innere Schiffsraum ist durch eiserne 
Schottwände und Panzerwände in Abteilungen geteilt. Treten Ver¬ 
bindungsgänge durch diese Wände hindurch, so werden die Schott¬ 
wände mit möglichst kleiner Oeffttung durchbohrt, die durch Türen 
verschlossen werden. Schottüren sind klein, der Türrahmen liegt 
unten hoch über dem Deck wie ein Süll, oben ist er so niedrig, dass 
man beim Hindurchtreten den Kopf neigen muss. Dieser Umstand 
gibt eine Erklärung für den gleichmässigen Sitz der Verletzung: Bei 
leicht vornüber gebeugtem Kopf ist die Gegend hinter der Kranz¬ 
naht die höchste Stelle des Kopfes, daher dem Anstossen gegen die 
Oberkante des Schottrahmens besonders ausgesetzt. Ein stärkeres 
Beugen des Kopfes ist nicht möglich, da beim Durchschlüpfen die 
Augen voraus gerichtet sein müssen, um ein zu erwartendes weiteres 
Hindernis rechtzeitig- zu erkennen. Die süllartige Erhöhung der 
Unterkante des Durchlasses trägt weiterhin zum Zustandekommen 
der Verletzung bei. Während der Kopf gebeugt wird und der Körper 
sich duckt, um durchzuschlüpfen, müssen gleichzeitig die Fiisse ge¬ 
hoben werden, um über das^Sull zu treten. Ein ungeschicktes Ab- 
w iigen der beiden Bewegungen gegeneinander führt zum Anstossen 
des Kopfes an die Oberkante oder des Beines an die Unterkante. 
Eile, in der sich die Mehrzahl der Verletzten befanden, trägt dazu 
bei, die Ungeschicklichkeit zu vermehren. Die nötige Ruhe hätte 
edesmal zu richtiger Beurteilung des vielbegangenen Durchlasses 
geführt. 

Das Anstossen an die ziemlich scharfe Eisenkante des Durch¬ 
asses führt in allen Fällen zu glatten Quetschwunden, die, wie er¬ 
mähnt, queren Verlauf haben. Soweit die Eisenkante bei dem Stoss 
tuf der Schädelwölbung aufliegt, entsteht die der Auflagefläche ent¬ 
brechende Quetschwunde. Wenn die Gewalt weiter einwirkt, also 
(er Kopf weiter nach vorn drängt, reisst die Kopfschwarte an den 
>eT-den Enden der Quetschwunde in einer Linie schräg rückwärts 
i«d nach aussen ein. Die zweite Phase der Verletzung entsteht also 
[urch seitliches Einreissen im Anschluss an die als Grundform zu 
g trachtende Quetschwunde an einer oder an beiden Seiten von ihr. 
>urch Bildung dieser drei Wundlinien muss es zu lappenförmiger 
..Bhebung des von den Linien umfassten HajJtgebietes kommen. 

Die Mütze wurde in allen Fällen auf dem Kopf getragen, der 
cfiutz gegen den Stoss war jedoch so gering, dass trotz der Kopf- 
edeckung recht erhebliche Verletzungen auftreten konnten. Es ist 
& merkenswert, dass zu der Zeit, wo die Besatzung den 
Ü rkischen Fez trug, der ein gut Teil höher ist, als die Mütze, 
esi Fezträgern keine Verletzung dieser Art beobachtet wurde. Durch 

Tragen des Fez war man genötigt, den Kopf beim Durchtreten 
urch die Schotte erheblich tiefer zu beugen, um sich den Fez nicht 
n beulen zu lassen. Er diente als rechtzeitiger Warner auch bei 
Iffjem Durchtreten. 

Im Vergleich zu anderen Verletzungsursachen des behaarten 
f ->r>fe$ ist die Zahl der durch Anrennen gegen Schotte entstandenen 

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Kopfverletzungen hoch. Während einer Beobachtungszeit von 
27 Monaten kamen insgesamt 26 Verletzungen des behaarten Kopfes 
vor, davon waren 11, also fast die Hälfte durch Anrennen gegen 
Schottüren entstanden. Die nächst häufige Ursache war das Kohlen, 
auf das 6 Verletzungen zurück^üführen waren. Die übrigen Ver¬ 
letzungen verteilten sich auf verschiedene Ursachen. 

Zusammenfassung: 

Leichte und mittelschwere Quetschwunden des Kopfes entstehen 
bei Anrennen gegen den Rahmen von Schottüren. Diese auf Kriegs¬ 
schiffen häufig beobachtete Kopfverletzung von gleichmässigem Sitz, 
gleichmässiger Form und gleicher Entstehungsursache wird zu den 
typischen Marineverletzungen gezählt. 


Aus dem Reserve-Lazarett I Leipzig, Innere Station. 
(Oberarzt d. L. II, Prof. Dr. A. Bittorf.) 

Zur Kasuistik der radikulären Pfortader- (Milzvenen-) 
Thrombose. 

Qerh. von der Weth, Feldunterarzt. 

Das Krankheitsbild der Milzvenenthrombose ist bisher verhältnis¬ 
mässig selten Gegenstand klinischer Behandlung gewesen. Erst 
neuerdings hat sich das Interesse dafür gemehrt, aber auch jetzt noch 
sind es vorwiegend pathologisch-anatomische Untersuchungen, wie die 
Mitteilungen Verses LlJ und Georg B. Grubers [2], bei dem sich 
auch ausführliche Literaturangaben vorfinden, zeigen. Freilich ver¬ 
danken wir gerade letzterem auch klinische Beobachtungen und Ge¬ 
sichtspunkte. Bei der Bedeutung, die diesem Krankheitsbild zu¬ 
kommt, möchte ich kurz folgende klinische Beobachtung mitteilen. 

Herrn Prof. Dr. B i 11 o r f danke ich für Ueberlassung der Be¬ 
obachtung und für die Anregung zur Mitteilung. 

Patient war 30J4 Jahre alt. Mutter an Wassersucht gestorben, 
keine erblichen Krankheiten in der Familie. Patient selbst als Kind 
Masern. 1912 Unterleibstyphus, - angeblich ohne Komplikationen. 
Keine Geschlechtskrankheiten. 1915 eiogezogen, ins Feld. Im Mai 
1916 und Ende Januar 1917 linksseitige Leistenbruchoperation. Seit 
März 1917 garnisondienstfähig. 

Seit Juli 1917 Druckgefühl in der linken Leibseite. Seit August 
Zunahme des Leibumfangs. Seit 22. September heftige Leib¬ 
schmerzen. Am 26. September 1917 Aufnahme ins Lazarett wegen 
blutiger Durchfälle, Mattigkeit, Schwindelgefühl. 

Bei der Aufnahme: Gesicht und Schleimhäute blass, Spur sub- 
ikterisch. Temperatur 37 u . Herz und Lunge ohne Besonderheiten. 
Leib gleichmässig aufgetrieben, freie Flüssigkeit in demselben nicht 
mit Sicherheit nachweisbar, doch scheinbar in geringen Mengen 
vorhanden. Venen der Bauchhaut deutlich erweitert. Leber nicht 
vergrössert, Dämpfung, klein (Kantenstellung). Milz sehr stark ver- 
grössert, überragt den Rippenbogen nach unten um 2 Querfinger, 
hart. Links Leistenbruchoperationsnarbe (12 cm lang). Keine 
äusseren Hämorrhoiden. Geringe Krampfadern am rechten Ober¬ 
schenkel. Der bis 27. IX. entleerte Stuhl besteht nur aus dunklem, 
schwarzbraun-rötlichem Blut, ca. Wa Liter. Kein Blutbrechen. 


Hämoglobingehalt 47 Proz. 

Polynukleäre Leukozyten 60 „ 

Eosinophile Leukozyten 2 

Kleine Lymphozyten 26 


Gr. Mononukleäre und Uebergangsformen 12 
Reichlich Blutplättchen. 

Am 28. IX. ist der Stuhl bereits geformt, nur noch teilweise 
teerfarben. Die Erweiterung der Bauchhautvenen ist sehr viel deut¬ 
licher, auch Aszites ist jetzt angedeutet nachweisbar. Harn: Urobilin 
positiv, Bilirubin negativ; feinster Hauch Eiweiss. Hämoglobin 49 Proz. 

Vom 29. IX. an bot der Stuhl keine Besonderheiten. Im Blut: 
Wassermann negativ. Der Aszites wurde immer deutlicher nach¬ 
weisbar. Der Leibesumfang wuchs auf 97 cm (6. X.) und 98 cm 
(12.X.). Dabei sank die Harnmenge auf 400 ccm in 24 Stunden 
(4. X.). Am 12. X. betrug sie 500 ccm und stieg langsam auf 900 ccm 
(22. X.), 1100 (31. X.) und auf 1300—1900 (Anfang November). Der 
Aszites schwand langsam bis Ende November, der Leibumfang be¬ 
trug am 31. X. nur noch 95 cm, am 12. XI. 88 cm, am 2. XII. 86 cm. 

* Das Gewicht sank von 70 kg (17. X.) auf 66,9 kg (31. X.), 64 kg 
(12. XL), 62 kg (19. XL), 61 kg Anfang Dezember. Der Kollateral- 
kreislauf an der Bauchhaut nahm langsam an Deutlichkeit ab. Da¬ 
gegen blieb der Milztumor völlig unverändert bestehen. Im Harn 
blieb Urobilin schwach positiv. 

Am 12. X. Hämoglobin 70 Proz. 

Am 2. XII. Hämoglobin 80 Proz. und 5 000 000 Erythrozyten. 

Am 17. XII. 5000 Leukozyten; 61 Proz. Polynukleäre, am 28. XII. 
70 Proz.; 5 Proz. Eosinophile, am 28. XII. 3 Proz.; 19 Proz. kleine 
Lymphozyten, am 28. XII. 18 Proz.; 15 Proz. Mononukleäre, am 
28. XII. 9 Proz. 

Es war schon sehr bald Wohlbefinden eingetreten und bei der 
Entlassung Ende Dezember 1917 war Leberdämpfung etwas klein, 
aber die Oberfläche glatt, von normaler Konsistenz, Rand scharf. 
Die Milz unverändert, stark vergrössert, hart, wenig druckempfind- 

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1386 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


Nr. 40. 


lieh, überragt den Rippenbogen um reichlich 2 Querfinger. Der 
Kollateralkreislauf an der Bauchaut war fast geschwunden. Leibes¬ 
umfang 84 cm. 

Bei einem jugendlichen Manne fand sich also neben einer er¬ 
heblichen Milzvergrösserung eine schwere Blutung, die zweifellos 
aus den obersten Dünndarmabschnitten stammte, ein gleichzeitig 
einsetzender, langsam zunächst wachsender, dann langsam spontan 
sich zurückbildender Aszites* und die Zeichen einer Pfortaderstauung 
in Form eines Kollateralkreislaufes an den 'Bauchhautvenen. Die 
sekundäre Blutungsanämie schwand langsam und war bei der Ent¬ 
lassung völlig geheilt bis auf eine geringe-Verminderung der Leuko¬ 
zytenzahl, mässige Eosinophilie und geringe Mononukleose. ' 

Nach dem Symptomenbiid würde zunächst dieser Fall unter die 
Gruppe der B a n t i sehen Krankheit gerechnet werden können. Da 
cs sich aber hierbei nur um einen Symptomenkomplex handelt, der 
recht verschiedene Erkrankungen umfasst (Marchand [3], M i n - 
kowsky, Neuberg [4], Steiger [5], N a u n y n [6], Bit- 
t o r f [7] u. a.), so muss nach Möglichkeit die Trennung verschiedener 
Krankheiten auf Grund ätiologisch oder pathogenetisch zusammen¬ 
gehöriger Symptome angestrebt werden. 

Eine solche Krankheit ist die primäre Milzvenenthrombose bzw. 
radikuläre blande Pfortaderthrombose. 

Dass es sich in unserem Falle um eine solche gehandelt hat, 
scheint ziemlich einwandfrei aus der Krankengeschichte hervor¬ 
zugehen. Eine Leberzirrhose — an die vorübergehend auch gedacht 
werden konnte — liegt sicher nicht vor. Vor allem sprechen dagegen 
das Verhalten der Leber und die spontane Resorption des Aszites. 
Ebenso war eine luetische Erkrankung, deren Bedeutung zuerst 
Marchand [3] für die Entstehung ähnlicher Krankheitsbilder be¬ 
tont hat, auszuschliessen. 

Für eine Milzvenenthrombose sprechen eine Reihe Krankheits¬ 
erscheinungen: zunächst der grosse indolente Milztumor. Er findet 
sich dabei stets als Ausdruck der Stauung wie V e r s 6 und Gru- 
b e r ausgeführt haben. Weiter sind anzuführen die Blutung und 
die Stauungserscheiüungen im Pfortaderkreislauf (Aszites), sowie 
die Entwicklung des kollateralen Venenkreislaufes. 

Die Blutung erfolgt in solchen Fällen ähnlich wie bei der Leber¬ 
zirrhose wohl meist aus erweiterten Kollateralgefässen, wie 
Gr über betont. Namentlich Magenblutungen sind so zu deuten. 
Daneben besteht die Möglichkeit, dass der Thrombus dadurch, dass 
er weiterwächst und in anderen Aesten der Pfortader (obere 
Mesenterialvenen) vorübergehende stärkere Zirkulationsstörungen 
hervorruft, zu Stauungsblutungen aus den vielleicht schon erweiterten 
Venen führt. Diese Annahme scheint um so berechtigter, als häufig 
gerade gleichzeitig mit diesen Blutungen sonstige stärkere Stauungs¬ 
erscheinungen im Pfortaderkreislauf eintreten. Das zeigt die dritte 
Beobachtung Grubers und recht deutlich vorstehender Fall. Auch 
hier entwickelt sich gleichzeitig ein Aszites, der bereits offenbar bei 
Eintritt der Blutungen — nicht erst nach dieser — in Entwicklung 
begriffen war. Dieser Aszites wäre also als Ausdruck der vorüber¬ 
gehend stärkeren Stauung im Pfortaderkreislauf zu deuten, indem 
eben weitere Bahnen derselben verlegt werden. Er verschwindet 
mit Herstellung des besseren Kollateralkreislaufs bzw. fortschrei¬ 
tender Organisation des Thrombus. G r u b e r dagegen führt den 
Aszites auf die Blutungsanämie und dadurch bedingte Verminderung 
der Herzkraft zurück. Dagegen spricht die oben mitgeteilte Be¬ 
obachtung, bei der von Herzschwächeerscheinungen nichts nach¬ 
weisbar war. Gruber nimmt ausserdem noch Ernährungsstörungen 
an. Ich glaube aber, dass zum mindesten für einen Teil der Fälle 
obige Erklärung zu Recht besteht. Blutungen aus dem Magendarm¬ 
kanal sind eine häufige Folge der Pfortaderthrombose. Sie führen 
aber durchaus nicht stets zum Aszites, wie auch eine andere Be¬ 
obachtung B i 11 o r f s lehrte, in der wiederholt Magenblutungen auf¬ 
traten, nie Aszites. Bluten hauptsächlich die erweiterten Kollateral- 
venen des Magens und Oesophagus, wie In diesem 2. Falle Bit- 
torfs, so fehlt offensichtlich jene Ursache zur Aszitesbildung: die 
Zunahme der Stauung im portalen Kreislauf. Gruber fand unter 
29 Fällen 11 mal Aszites. 

Die Entwicklung des Kollateralkreislaufs ist ein weiteres wich¬ 
tiges Symptom, das von klinischer Bedeutung wird, wenn es auch 
äusserlich sichtbar wird. Das war in unserer Beobachtung ddr Fall 
und ist es vielleicht öfters, wenn genauer darauf geachtet würde. 
Der Bauchhautvenenkolateralkreislauf, wie er besonders bei Pfort¬ 
aderstauung infolge Leberzirrhose auftritt, ist auch hier nachweisbar, 
wenn auch weniger hochgradig. Gerade das stärkere Auftreten zur 
Zeit der Entwicklung des Aszites weist auf stärkere vorübergehende 
Stauung hin und spricht für die oben angenommene Genese der 
Blutung und des vorübergehenden Aszites als Ausdruck vorüber¬ 
gehenden Nachschubs der Thrombose. Man kann wohl dieses Sym¬ 
ptom als besonders charakteristisches Merkmal der radikulären 
Pfortaderthrombose bezeichnen. Dass bei der Sektion auch die ent¬ 
sprechenden Veränderungen an den anderen Kollateralvenen der 
Pfortader sich finden, hat besonders Gruber ausführlich betont, 
so dass dies hier nicht nochmals erwähnt sei. 

Greift schliesslich der Prozess auch auf die Aeste der Pfortader 
in die Leber über, so können auch an dieser Veränderungen auftreten. 
Doch ist das durchaus nicht regelmässig der Fall, auch sind diese 
sehr ungleichartig und verschieden. So zeigte die oben erwähnte 


2. Beobachtung B i 11 o r f s trotz mindestens 25 jährigen Bestehens 
keinerlei Störungen der Leber. Nach einer Zusammenstellung 
Grubers finden sich mikroskopische Veränderungen der Leber 
13 mal unter 29 Fällen, ungefähr genau so oft war eine Verkleinerung 
des Organs nachweisbar. In unserem Falle war keine sichere Ver¬ 
änderung an der Leber nachweisbar. 

Schliesslich sei noch erwähnt, dass die Anämie nicht regelmässig 
vorhanden, sondern durchaus sekundärer Art und zwar durch die 
Blutung bedingt ist. Sie kann wieder repariert werden, wie jener 
2. Fall beweist, der trotz wiederholter schwerer Blutungen sich stets 
gut erholt hatte. Ob die Leukopenie und Verschiebung des Blutbildes 
häufiger auftritt, müssen weitere Beobachtungen lehren, doch scheint 
es der Fall zu sein, da auch der Fall 3 Grubers und die 2. Be¬ 
obachtung B i 11 o r f s Leukopenie zeigten. 

Das klinische Bild, wie es auch neuerdings B i 11 o r f angestellt 
hat, setzt sich demnach zusammen aus: 

1. Milztumor, 

2. (rezidivierende) Magendarmblutungen, 

3. vorübergehender Aszites, 

4. Entwicklung des Kollateralkreislaufs, 

5. sekundäre, vorübergehende Blutungsanämie mit ev. Leuko¬ 
penie, 

6. ev. Mitbeteiligung der Leber. 

Die Ursache der. Thrombose hat G r u b e r ausführlich behandelt. 
Ob in unserem Falle eine Infektionskrankheit, der überstandene 
Typhus, die Ursache ist, lässt sich nicht entscheiden. Da die ersten 
subjektiven Erscheinungen (Druck in der Milzgegend usw.) erst 
mehrere Jahre später, und zwar nach der Bruchoperation auftraten, 
wäre auch an die Möglichkeit zu denken, dass im Anschluss an die 
Operation zunächst in einem Mesenterialgefäss eine Thrombose aui- 
trat, die auf die Milzvene Übergriff. Beide Möglichkeiten sind in Be¬ 
tracht zu ziehen. 

Literatur. 

1. Vers6: Ueber die kavernöse Umwandlung des periportalen 
Gewebes bei alter Pfortaderthrombose. Beitr. z. path. Anat. u. allg. 
Path. Bd. 48. —^ 2. G r u b e r Georg "B.: Beitr. z. Path. d. dauernder. 
Pfortaderthromb. D. Arch. f. klin. M. Bd. 122. — 3. Marchand: 
Zur Kenntnis d. sog. B a n t i sehen Krankheit usw. M.m.W. 1903. — 
4. Neuberg: Ueber d. sog. Morbus Banti. Zschr. f. klin. M. Bd. 74 
1911. — 5. Steiger: Ueber Blutbefunde b. Morbus Banti usw. 
D. Arch. f. klin. M. Bd. 121. — 6. Naunyn: Ueber reine Cholangitis. 
Mitt. a. d. Grenzgeb. d. M. u. Chir. Bd. 29. — 7. B i 11 o r f: Mitt. a. d- 
Grenzgeb. d. M. u. Chir. 1918 


Grippe und Salvarsan. 

Von Qeheimem Medizinalrat Dr. Hansen in Hadersleben 
(Schleswig), leitendem Arzt des Kreiskrankenhauses. 

Unter den Grippemitteln ist auch mehrfach Salvarsan genannt 
worden. 

Ein 25 jähriger Luetiker erhält am 11. Oktober vormittags die 
erste Salvarsaneinspritzung — 0,45 Neosalvarsan ln die Vene. Am 
Nachmittag erkrankt er an Grippe zusammen mit 5 anderen dessel¬ 
ben Krankenzimmers. 3 davon bekamen Lungenentzündung, der 
Luetiker, ein Tripperkranker, 21 Jahre alt, und ein 66 jähriger Mann 
mit starker Aderverkalkung und eben geheiltem Schenkelhalsbruch 
Dieser kam durch, die andern Beiden starben trotz sofort ange¬ 
wandter Digitalis und Kampferbehandlung am 18. Oktober. 

Die Salvarsaneinspritzung, 8 Stunden vor der Erkrankung an 
Grippe, hatte also jedenfalls nicht geholfen, so wenig wie 1890 der 
Spiritus, der damals als Allheilmittel galt und getrunken wurde. 

Eine anderweitige Grippebeobachtung sei mitgeteilt. 

Ein 34 jähriger Mann, der chronische Brustfellentzündung hatte 
und tuberkuloseverdächtig war, erkrankt an Grippe, kommt nach 
einigen Tagen ins Krankenhaus und stirbt. Inzwischen erkrankt 
seine gesamte Familie, Eltern und 3 erwachsene Geschwister, ar 
Grippe. Hilfe war nicht zu haben. Die am leichtesten Erkrankte:, 
die Mutter und eine 27 jährige verheiratete Schwester pflegen die 
anderen. Der 60 jährige Vater, eben fieberfrei, geleitet den Verstor¬ 
benen zum Grabe. Er und die schon genannte Schwester bekäme 
beide einen Rückfall mit Nierenentzündung. Aber auch der 23 jährige 
Sohn, der von Anfang an im Bett lag, erkrankt an schwerer Nieren¬ 
entzündung. Alle 3 kommen jetzt ins Krankenhaus. Es handelt sic" 
bei allen um echte Nierenentzündung mit Zylindern aller Art irr 
Urin und Eiweissausscheidung, beim Sohn bis zu 4 Prom. Die bei¬ 
den Männer starben, die Frau erholt sich. 


Zum Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten. 

Von Amtsrichter Dr. Schubart in Berlin, z. Zt. im Felde 

In dem Aufsatze von Dr. Lenz, Man.W. 1918 S.820. w k 
insbesondere der § 2 des Regierungsentwurfes bemängelt, der laute: 

„§ 2. Wer den Beischlaf ausübt, obwohl er w r eiss oder de* ' 
Umständen nach annehmen muss, dass er an einer mit -V - j 


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3. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1387 


steckungsgefahr verbundenen Geschlechtskrankheit leidet, wird 
mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.“ 

Im Februar 1918 habe ich dem Reichstage einen Abänderungs¬ 
vorschlag zu § 2 eingereicht, von dem Gedanken ausgehend, dass nur 
der Arzt befähigt ist und daher befugt sein soll, die Verantwortung 
für die Wiederaufnahme des Beischlafs nach einer Geschlechtserkran¬ 
kung zu tragen, und daher jeder strafbar sein soll, der nach durch¬ 
gemachter Geschlechtserkrankung ohne ausdrückliche Erlaubnis eines 
Arztes den Beischlaf wieder aufnimmt. Demgemäss habe ich fol¬ 
gende Fassung des § 2 vorgeschlagen: 

„§ 2. Wer den Beischlaf ausübt, obgleich für ihn die Beischlafs¬ 
ausübung unstatthaft ist, wird wegen Seuchenvergehens mit Ge¬ 
fängnis bis zu drei Jahren bestraft. 

Die Beischlafsausübung ist unstatthaft 

a) für denjenigen, der weiss oder den Umständen nach an¬ 
nehmen muss, dass er an einer mit Ansteckungsgefahr ver¬ 
bundenen Geschlechtskrankheit leidet; 

b) für denjenigen, der weiss oder den Umständen nach an¬ 
nehmen muss, dass er an einer Geschlechtskrankheit ge¬ 
litten hat. sofern er nicht nachweisen kann, dass ihm ein 
Arzt nach der Erkrankung und in deren Kenntnis auf 
Grund persönlicher Untersuchung eröffnet hat, dass die 
Ausübung des Beischlafs für ihn wieder statthaft sei. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.“ 

Meine Eingabe mit Begründung ist abgedruckt im Gerichtssaal 
(F. Enke Verlag, Stuttgart) 1918 S. 297. Dieser Vorschlag wendet, 
wie uns scheint, die von Lenz befürchtete Erpressungsgefahr be¬ 
friedigend ab, denn wer dem Arzt folgt, ist dann gesichert. 


Das Auftreten milzähnlicher Tumoren in der Bauch- 
höhle dee Menschen nach Splenektomie. 

Eine Bitte an die Herren Kollegen. 

Von Prof. v. Stubenrauch, München. 

Nach den bisherigen Erfahrungen bedingt die Exstirpation der 
Milz keine ernste Gefahr für das Leben. Entmilzte Menschen 
können Jahrzehnte hindurch ohne sichtbare Krankheitserscheinungen 
und ohne subjektive Beschwerden leben. Wohl sind des öfteren 
nach Entfernung des Organs Störungen beobachtet worden, welche 
teils als Folgen vorangegangener Blutverluste oder des operativen 
Eingriffes selbst gedeutet werden konnten, teils aber auch auf eine 
Alteration der mit der Blutbildung in Zusammenhang stehenden Or¬ 
gane: Lymphdrüsen und Knochenmark zu beziehen waren. Man 
hatte die in einzelnen Fällen auftretenden Vergrösserungen der 
Lymphdrüsen wie die zeitweise bestehenden Schmerzen in den 
Röhrenknochen mit einer erhöhten — „vikariierenden“ — Tätigkeit 
der Lymphdrüsen und des Knochenmarkes erklärt, demnach als Aus¬ 
gleichserscheinung für den Ausfall der Milzfunktion aufgefasst. Es 
ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die erwähnten objektiven und 
subjektiven Störungen keineswegs immer dauernde oder gar regel¬ 
mässige-Erscheinungen waren. 

Nun deuten Beobachtungen, welche F a 11 i n und i c h vor Jahren 
machen konnten, darauf hin, dass der Organismus offenbar nicht in 
jedem Falle mit seinem Bestand an blutbildendem Material den Aus¬ 
gleich der Störung in ausreichendem Masse herbeizuführen in der 
Lage ist, sondern diesen durch Neubildung von Zellkomplexen er¬ 
strebt. In diesem Sinne sind wohl die multipel im Bauchfelle zer¬ 
streuten Tumoren aufzufassen, welche von F a 11 i n und mir bei 
Relaparotomien früher entmilzter Individuen gefunden wurden und 
Gebilde darstellten, deren Gewebe — was Farbe, Blutgehalt und 
Konsistenz betrifft — eine täuschende Aehnlichkeit mit Milzgewebe 
darboten. Diese an sich interessanten und einzigen bisher vor¬ 
liegenden Befunde würden zweifellos an Bedeutung gewinnen, wenn 
sie häufig oder gar regelmässig nach Exstirpation rupturierter ge¬ 
sunder Milzen festgestellt werden könnten. 

Da nun während des Krieges eine erhebliche Zahl von Milzver¬ 
letzungen zur Operation (partielle und totale Splenektomie) gelangt 
ist und die Möglichkeit besteht, dass bei einzelnen Fällen wegen 
Hemienbildung, Adhäsionsbescliwerden (Ileus) oder anderer, ausser 
Beziehung zum früheren Krankheitsprozesse stehender intraabdo¬ 
mineller Erkrankungen Relaparotomien gemacht werden müssen, so 
wende ich mich an die Herren Fachkollegcn mit der Bitte, bei Ge¬ 
legenheit derartiger Eingriffe auf die Anwesenheit milzähnlicher Ge-, 
bilde im Peritoneum achten zu wollen. Die Tumoren, von Erbsen- 
bis Haselnussgrössc, sind — wenn vorhanden — im Peritoneum 
selbst, teils in der Darmserosa, teils in der des Netzes und Gekröses, zu 
finden. Die gleiche Bitte sei an die Herren Pathologen gerichtet, 
deren Interesse sich auch auf die von M. B. Schmidt bei ent- 
milzten Mäusen festgestellten Leberbefunde erstrecken dürfte. 

Da mangelhafte Konservierung milzartigen Gewebes die Anwen¬ 
dung der Blutfärbungsmethoden erschwert bzw. unmöglich macht, 
so mögen hier noch einige Daten bezüglich der Fixierung solcher 
Objekte angeschlossen werden: Es empfiehlt sich, die lebensfrischen 
Organe mit scharfem Messer entweder in 3—5 mm dicke Scheiben 

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zu schneiden oder in kleine (etwa 2:4mm grosse) teils der Kapsel¬ 
zone teils den zentralen Partien entnommene Stücke zu zerlegen 
und diese sofort in Formollösung (1 Teil des im Handel erhältlichen 
40proz. Formols oder Formalins auf 4 Teile Brunnenwassers) zu 
bringen. Angetrocknete oder mit schlecht schneidenden Instrumenten 
gequetschte Präparate sind für die feinere histologische Untersuchung 
unbrauchbar. 

Für Zusendung anatomischen Materials (milzähnliche Tumoren- 
Leber) auf dem kürzesten Wege wäre ich den Herren Kollegen be¬ 
sonders dankbar. (Adresse: Histologisches Institut der Universität 
München, Pettenkoferstrasse.) 


Bücheranzeigen und Referate. 

A. Dieudonnd und W. Weichardt: Immunität, Schutz¬ 
impfung und Serumtherapie. Neunte umgearbeitete Auflage. Leipzig, 
Johann Ambrosius Barth, 1918. 230 Seiten. Geh. 10 M., geb. 12 M. 

Die zahlreichen Anhänger des Buches werden sicher die Neu¬ 
auflage mit Freuden begrüssen. Die Mitarbeit Weichardts hat 
mannigfache Veränderungen, Kürzungen und Erweiterungen zur 
Folge gehabt. In einem Punkte aber ist das Buch sich gleich ge¬ 
blieben. in der klaren, einfachen Darstellung, die auch bei ver¬ 
wickelten Problemen stets den Kern der Sache treffsicher heraus¬ 
zuholen weiss. Bei der fast unübersehbaren Flut der neuen Ent¬ 
deckungen, Theorien und Hypothesen in der Immunitätslehre, in 
denen sich nur der Fachmann noch zurechtfindet, ist es kein Wunder, 
wenn dieser manches ihm wichtig erscheinende vermissen wird, 
für den anderen aber, der sich erst in die Lehre hineinfinden soll, 
oder dem sie nur eine Hilfswissenschaft sein kann, ist es eine Wohltat, 
wenn er bei der Lektüre des Buches die Ueberzeugung gewinnt, 
dass die Immunitätswissenschaft doch noch kein Buch mit sieben 
Siegeln geworden ist. Es ist ein Lernbuch und — für die aller¬ 
meisten wenigstens — auch ein Nachschlagebuch ersten Ranges. 
Man kann ihm noch viele Auflagen wünschen. 

L. Saathoff -Oberstdorf. 

Martin Streit: Wirtschaftliche Verwertung städtischer Ab¬ 
wässer. München 1918, Verlag Natur und Kultur, Dr. Frz. Jos. 
Völler. 75 Seiten. Preis 2.50 M. Mit 33 Abb. 

Verf. hat es sich in der vorliegenden kleinen Schrift zur Auf¬ 
gabe gemacht, „darzulegen, welch hohe wirtschaftliche Werte in den 
Abwässern unserer städtischen Kanalisation stecken und in welcher 
Weise diese Werte, die bis jetzt grösstenteils unausgenützt in die 
Flüsse abgeschwemmt werden, zurückgewonnen werden können“. 
An der Hand anschaulicher Uebersichten über das Rieselver¬ 
fahren, das Eduardsfelder Spritzverfahren, der Ab¬ 
wasserfischteichmethode nach Hofer und des Ab¬ 
wasserklärschlamms als Düngemittel bespricht er die 
Ausnützung des Dungwertes städtischer Abwässer und verbreitet sich 
dann über die Ausnützung des Heizwertes von Klär¬ 
schlamm und über die Gewinnung von Gas und von Fett 
aus Klärschlamm. Seine Darstellungen sind überzeugend und 
nötigen unbedingt das Interesse den Kreisen ab, die sich sowohl in 
hygienischer als auch in wirtschaftlicher Beziehung mit den Ab¬ 
wasserfragen befassen müssen. Es ist auch gar kein Zweifel, dass 
bei der Schwierigkeit unserer jetzigen wirtschaftlichen Lage eine 
Verwertung der Abfallstoffe viel mehr ins Auge gefasst werden muss, 
wie früher. Hierfür werden von seiten des Verf. weitgehende Vor¬ 
schläge — auch für München — gemacht. Neben der bestimmten 
Tendenz, die die Schrift verfolgt, bietet sie eine recht instruktive 
Uebersicht über die z. Z angewandten Abwasserreinigungsmethoden, 
wozu die vielen Abbildungen wesentlich beitragen. Da die Aus¬ 
führungen auf eigenen Erfahrungen beruhen, erhalten sie um so 
grösseren Wert. R. 0. Neumann -Bonn. 

Dr. Max Nassauer: Der Schrei nach dem Kinde. Arch. f. 
Frauenkunde Bd. 4, H. 1 ,u. 2. 

Der Geburtenrückgang und der Krieg mit seinen Folgen hat 
weite Kreise für die Probleme der Volksvermehrung interessiert. 
Nassauer geht in seiner Arbeit: „Der Sohrei nach dem Kinde“ 
dem modernen Kindermorde, dem künstlichen Aborte, nach in seinen 
Ursachen und in seinen Wirkungen auf das Volksganze. Seine ge¬ 
wandte Feder weiss dieses düstere Kapitel unseres Volkslebens ein¬ 
drucksvoll und sachkundig zu schildern. Er will mit seiner Arbeit 
nicht eine nüchterne Kritik üben, er will, wie er selbst schreibt, Sen¬ 
sation erregen mit seinen Ausführungen. Wenn man von diesem Ge¬ 
sichtspunkte aus seine Schrift betrachtet, so wird man sie auch zu 
würdigen verstehen. Im zweiten Teile seiner Arbeit «gibt Nas¬ 
sauer das Mittel «au, um das geschilderte Volksübel zu beheben. 
Er sieht die Lösung der schwierigen Frage, die Tötung des Kindes 
im Mutterleibe zu verhüten, in der Errichtung von Findelhäusern, 
von „Mutterhäusern“, wie man sie nennen soll. „Der Staat ist 
das grosse Mutterhaus, in einem seiner Findelhäuser, Mutterhäuser, 
bist Du geborgen, Du und Dein Kind“, so ruft er der Mutter zu, 
die der Not und Schande verfallen ist. In seinem Optimismus in 
der Lösung dieser schwierigen Frage werden ihm diejenigen, die 
schon lange in der Säuglings- und Mutterfürsorge tätig sind, nicht 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1388 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 49. 


ganz zu folgen vermögen. Allerdings ist Nassauer der Ansicht, 
dass die Säuglingsfürsorge noch in den Windeln liegt und nur die 
geborenen Kinder, nicht die ungeborenen fördert. Wer sich mf! 
der seit Jahrzehnten gestehenden Säuglingsfürsorge beschäftigt, 
weiss, dass der Mutterschutz schon immer ein wesentlicher Bestand¬ 
teil des Säuglingsschutzes war und -dass die Säuglingsfürsorge der 
Findclhausfrage stets die ihr gebührende Beachtung geschenkt hat. 
Ich möchte nur an den internationalen Kongress für Säuglingsschutz 
in Berlin 1911 erinnern, auf dem ein ganzer Nachmittag der Findel¬ 
hausfrage gewidmet vurde. Die erfahrenen Praktiker auf dem Ge¬ 
biete der Säuglingsfürsorge und der Anstaltspflege von Säuglingen 
werden dem Rufe Nassauers: „Ans Werk zum Bau von vater¬ 
ländischen Mutterhäusern“ nicht bedingungslos folgen können, auch 
ich kann es nicht, ich habe schon meinen Standpunkt zur Findelhaus¬ 
frage in einem Referate zum Findelwesen (M.m.W. 1918 Nr. 21) ein¬ 
gehend dargelegt. Aber jeder, der sich für diese Frage inter¬ 
essiert, und jeder, dem das Schicksal unehelicher Mütter und ihrer 
Kinder am Herzen liegt, soll die Arbeit Nassauers kennen. Ihr 
wohnt ein verständnisvolles Mitgefühl für die Not dieser Menschen 
inne. • Ist auch nicht jeder einverstanden mit dem Wege, den der 
Verfasser einschlägt, so wird er doch einig geihen in dem Ziele, 
zu dem der Weg des 'Verfassers führen will. Josef Meier. 

Gewerbehygienische Uebersicht*). 

Von Regierungs- und Medizinalrat Dr. F. Koelsch, Landesgewerbe¬ 
arzt in München. 

Ein Referat über Einfluss der Arbeitszeit und der 
Ueber-arbeitauf die Arbeitsleistungen und die Er¬ 
müdung der Arbeiter von Leymann Ist im Zbl. f. Gew.Hyg. 
1918 7 u. 8 abgedruckt; es bezieht sich auf Untersuchungen an 
englischen Rüstungsarbeitern, welche darlegten, dass Ueberstunden 
gewöhnlich keine Vermehrung, sondern eine tatsächliche Verminde¬ 
rung des Arbeitsertrages bewirkten; eine Kürzung des Arbeitstages 
um 15,5 Proz. bewirkte eine absolute Zunahme an Arbeitserzeugnissen 
um mehr als 5 Proz., eine weitere Verminderung der täglichen Ar¬ 
beitszeit von 10 auf 8 Stunden brachte sogar eine Zunahme der 
Leistung von insgesamt 12,4 Proz. Die Leistungen sind am frühen 
Morgen und in den Ueberstunden am geringsten, sie werden durch 
Gesundheitszustand, Ernährung und seelische Erregungen erheblich 
beeinflusst; in der Nachtschicht ist die Ermüdung eine grössere als 
bei Tagarbeit. 

Den Einfluss der Berufs- und Kriegsarbeit auf 
die Gesundheit der Frau behandelt Wendenburg in 
Zschr. f. Med.Beamte 1918 Nr. 18. Nach seinen Erfahrungen in 
Bochum kommt Verf. zu dem Schlüsse, dass unter dem Einfluss des 
Krieges keine sichtbare Zunahme der gesundheitlichen Schäden, son¬ 
dern eher eine Besserung eingetreten Ist. Im allgemeinen ist 'die 
Zunahme der Frauenarbeit zweifellos nicht ohne schädlichen Einfluss 
auf die Gesundheit der Frau, auf die Mutterschaft und auf die Ge¬ 
sundheit und Erziehung der Nachkommenschaft; letztere Momente 
bedürfen daher besonderer Beachtung und Fürsorge. 

Das Grenzgebiet zwischen Gewerbekrankheit und Un¬ 
fall wurde neuerdings von H. Zangger behandelt im Korr.Bl. f. 
Schw. Aerzte 1918 Nr. 23. — Derselbe Autor veranlasste in einer 
Züricher Dissertation (1918) von M. Ganzoni eine Untersuchung 
über die Ursachen und die Verhütung der Lift¬ 
unfälle. Auf Grund von 44 Fällen werden die technischen Ursachen 
und die beobachteten Verletzungen erörtert; sodann werden Schutz¬ 
vorschriften über Bau und Betrieb von Aufzügen besprochen. 

Die bisher sehr strittige Frage über den Mechanismus des 
Todes durch elektrischen Starkstrom und die 
Möglichkeit der Wiederbelebung behandelt neuerdings 
H. Boruttau in den Jahreskursen für ärztl. Fortbildung, IX., 1918. 
Demnach ist der elektrische Tod durch irreparables Flimmern der 
Herzkammern bedingt. Der Strom muss dabei natürlich durch das 
Herz gegangen sein. Der Eintritt des Kammerflimmerns ist abhängig 
von der Grösse des Gesamtwiderstandes im Körper, der besonders 
von den Uebergangswiderständen beeinflusst wird, d. h. von der 
Leitungsfähigkeit der Stromein- und -austrittsstellen; weiters kommt 
die Lage der Berührungsstellen zum Herzen in Frage, d. h. die Grösse 
der „Stromdichte“ derjenigen Stromzweige, welche das Herz treffen. 
Beim Wechselstrom besteht „ein gewisses Optimum“ der Strom¬ 
stärke derart, dass über und unter demselben ein Kammerflimmern 
nicht eintritt. Das Wiederingangbringen des nach Aufhören des 
Flimmerns stillstehenden Herzens ist jedoch bisher wenig aussichts¬ 
reich, zumal die Massnahmen — unblutige Herzmassage event. mit 
intrakardialer Einspritzung von mit Kampfer gesättigter Kochsalz¬ 
lösung — nur innerhalb weniger Minuten nach dem Unfall noch Er¬ 
folg versprechen. Vgl. hierzu auch Elektrotechn. Zschr. 1918 S. 30. 

Zu den physikalischen Berufsschäden gehört neuerdings auch 
die Fliegerkrankheit. Vgl. den Artikel von W. Hirsch- 
1 aff in B.kl.W. 1918 Nr. 15; ref. in Nr. 18 S. 491 d. Wschr. 


*) Anmerkung: In der letzten „Gewerbchygienischen Ueber¬ 
sicht“ in Nr. 23 dieser Wochenschrift (S. 625, 1. Sp. Z. 8 v. u.) blieb 
ein störender Druckfehler stehen; die Veröffentlichung von Flor et 
betraf eine P h o s g e^vergiftung, nicht Phosphorvergiftung. 

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Ueber den Milzbrand undseine sozialhygienische 
Bedeutung für Landwirtschaft und Industrie liegt 
eine Broschüre vor von F. K o e 1 s c h. Verlag Natur, und Kultur. 
München 1918 (1 M.); in derselben wird die Epidemiologie und 
Pathologie des gewerblichen Milzbrandes, spez. Vorkommen und Ver¬ 
hütung in Landwirtschaft, Gerberei, Bürsten- und Pinselindustrie, 
Wollsortiererei und Wäscherei, Lumpensortiererei etc. besprochen. — 
Zum Kapitel der beruflichen Zoonosen gehört ein Aufsatz von 
Br. G1 a s e r f e I d über die Pferderäude beim Menschen 
in B.kl.W. 1918 Nr. 19. Vgl. Ref. in Nr. 22 S. 600 d. W. 

Eine beachtenswerte Arbeit von F. Curschmann behandelt 
Aerztliche Gutachten über berufliche Vergif¬ 
tungen. Zbl. f. Gew.Hyg. 1918 H. 7—10. Verf. bespricht nach¬ 
stehende Fälle: Binitrobenzolvergiftung und Arteriosklerose — Töd¬ 
liche Binitrobenzolvergiftung als Unfall — Vergiftung mit schwefliger 
Säure als Unfall — Unfallstod nach Einatmung nitroser Gase — Töd¬ 
liche Binitrobenzolvergiftung als Berufserkrankung — Tödliche Tri- 
nitrotoluolvergiftung als Berufserkrankung — Tödliche Vergiftung in 
einer Granatfüllerei. 

Eine weitere Sammelarbeit über gewerbliche Vergiftungen findet 
sich in Oeff. Gesundheitspfl. 1918 H. 5: F. Koelsch: Gewerbe- 
hygienische Erfahrungen aus der feindlichen 
Rüstungsindustrie. Verf. erörtert u. a. Vergiftungen durch 
nitrose Gase, Tetrachloräthan, Aether, Nitro- und Amidoverbindungen 
des Benzols, Pikrinsäure, Tetranitromethylanilin; weiterhin werden 
verschiedene Hautreizungen durch Knallquecksilber, Ammonnitrat, 
Stomonal, Schmieröle etc., schliesslich auch die Frauen- und Kinder¬ 
arbeit, die Ermüdungsfrage etc. kurz erörtert. 

Eine interessante Arbeit bringt S e i f f e r t in Oeff. Gesundheitspfl. 
1918 H. 2—4: Beteiligung von Blei und Zink am Zink¬ 
hüttensiechtum mit Bemerkungen über hygie¬ 
nische Massnahmen in den Zinkhütten. Verf. kommt 
auf Grund jahrelanger Beobachtungen zu dem Schluss, dass bei den 
Zinkhüttenarbeitern das Blei allein nicht für das bekannte Hütten¬ 
siechtum. verantwortlich ist, sondern dass auch dem Zink ein sehr 
wesentlicher Anteil zukommt, zumal da nach F i I e h n e bei den 
Schwermetallen in toxikologischer Hinsicht eine vollständige Ueber- 
einstimmung besteht. S e i f f e r t vermisste bei den kranken Zink¬ 
hüttenarbeitern meist die ganz typischen Bleisymptome in charak¬ 
teristischer Form; dagegen waren atypische Formen sehr häufig. 
Im Urin fand sich Zink sehr häufig vor, unter 69 Arbeitern bei 
36 Proz. für sich, bei 18 Proz. zusammen mit Pb; nur bei 2 Proz. 
war Pb allein vorhanden. Die Toleranz des Körpers für Zink ist’ 
allerdings eine sehr grosse, sicher eine noch grössere als für Blei, 
doch finden auf die Dauer zweifellos Schädigungen statt. Die Auf¬ 
nahme erfolgt in gas- und staubförmigem Zustande; hauptsächlich 
findet die Staubresorption statt, und zwar von Zinkoxyd, Karbonat 
(Galmei) und Sulfat (Blende). Als charakteristische Zinkwirkung 
führt S. an: Nierenreizungen mit Schmerzen im Kopf und in Nieren¬ 
gegend, vage kolikartige Leibschmerzen ohne besondere Lokalisation 
und wenig schmerzhaft, oft mit Diarrhöen, Magenstörungen, Schwin¬ 
delgefühl, Schwäche, Muskelkrämpfe, Frösteln, nervöse Störungen; 
vielfach wiegt die eine oder andere Symptomengruppe vor. Weiter¬ 
hin erörtert Verf. noch die prophylaktischen Massnahmen in tech¬ 
nischer, sozialhygienischer und ärztlicher Beziehung. Beschränkung 
der Arbeitszeit, Einschränkung von Alkohol und Nikotin sind von 
grosser Bedeutung neben Staub- und Gasbeseitigung und Reinlich- 
keitspflege. Sehr grosse Bedeutung kommt einer geregelten ärzt¬ 
lichen Ueberwachung zu, wofür Verf. eingehende Anweisungen gibt 
Zum Schlüsse wird auch auf die Bedeutung des gewerbeärztlichen 
Dienstes hingewiesen. 

Betr. L. Kuttner: Arsenvergiftung vgl. Ref. in Nr. 34 
1918 S. 944 d. Wschr. 

Von weiteren Arbeiten über Vergiftungen wären zu nennen die 
von O. Steiger über Brommethylvergiftung in Nr. 28 
1918 S. 753 d. W., ferner von Wittgenstein über die Wirkung 
des Dichloräthylens im Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 83. 
H. 3/4; ref. in Nr. 37 1918 S. 1033 d. Wschr. 

Drei Veröffentlichungen betreffen die Inhalationsvergiftungen 
durch reizende Gase: Joh. Jost: Ueber nervöse Folge¬ 
erscheinungen und Schleimhautveränderungeil 
der Luftwege bei Inhalationsvergiftungen. Dissert. 
Berlin. Wintersem. 1917/18. — Hans Otto: Zur Klinik der 
Gasvergiftungen. W.kl.W. 1918 Nr. 30. — E. F1 u s s e r: 
Ueber Kampfgasschädigungen. Ebenda Nr. 15. — ln 
einem Aufsatz: Vergiftungen als Betriebsunfälle be¬ 
handelt F. Leppmann zwei Rauchvergiftungen, und zwar nach 
Zelluloidbrand und Ströhbrand. Vgl. Aerztl. Sachverst.Ztg. 1918 Nr. 8. 

Die gewerblichen Schädigungen durch Benzol 
und seine Nitroabkömmlinge bespricht F. Koelsch in 
den Jahreskursen f. ärztl. Fortb. 9. 1918. Das Benzol dient als Grunü- 
substanz in der Anilinfarben-, Sprengstoff-, pharmazeutischen und 
RiechStoffindustrie; es dient ferner als Lösungsmittel für Fette. Oeie, 
Harze, Kautschuk, Alkaloide, daher als Entfettungsmittel, als Lösungs- 
und Verdünnungsmittel von fetthaltigen Körpern, Lacken, Firnissen. 
Anstrichfarben, Parkettwichse etc. Sehr umfangreich ist schliesslich 
die Verwendung als Treibmittel in Motoren und als Heizmittel. Ge¬ 
werbliche Vergiftungen sind daher durchaus nicht selten, sei es in- 

Qritjinal from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



3. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1389 


folge Einatmung der Dämpfe oder Hautresorption. Von Interesse ist 
die genaue Feststellung, ob es sich um reines oder unreines Benzol 
handelt; letzteres enthält noch viele andere Kohlenwasserstoffe mit 
zum Teil spezifischer Wirkung, auch Schwefelkohlenstoff bis event. 
60 Proz. Die Wirkungsweise beruht auf der Affinität zu den Lipoid¬ 
substanzen, das Benzol ist ein ausgesprochenes Nervengift; sekundär 
finden sich fettige Degeneration der Organe und der Gefässwandungen 
mit Blutaustritten. Das Krankheitsbild ist verschieden je nach Dauer 
und Massigkeit der Giftwirkung. Vorübergehende Einatmung kleiner 
Mengen machen Rauschzustand, Euphorie, Schwindel. Kopfschmerzen, 
Erbrechen — in schweren Fällen kommen Zuckungen, Krampfanfälle, 
Narkose, Bewusstlosigkeit hinzu; bei Aufnahme grosser Giftmengen 
kann schneller, sogar plötzlicher Tod mit Atemlähmung eintreten. 
Bei chronischer Vergiftung steht im Vordergründe Anämie mit 
Blutungen (ähnl. Morbus macul. Werlhoffii) in Haut und Schleim¬ 
häute, aus den weiblichen Genitalien etc. Ausserdem können ört¬ 
liche Schleimhautreizungen bei jeder Form von Vergiftung Vor¬ 
kommen, als Nachkrankheiten Kopfschmerz, Schwindel, Uebelkeit, 
Geistesstörungen. Therapie: frische Luft, Sauerstoff etc. mit künst¬ 
licher Atmung, Reizmittel. 

Die Vergiftungen durch die Nitroabkömmlinge wurden vom Verf. 
bereits früher in dieser Wochenschrift erörtert. Vgl. auch den jüngst 
erschienenen Aufsatz von F. Koelsch: Krankheitsbilder 
und Todesursachen bei Dinitrobenzolarbeitern in 
Aerztl. Sachverst.Ztg. 1918 Nr. 18. Hier wäre besonders hervor¬ 
zuheben, dass neben der bisher meist beobachteten Form der Blut¬ 
schädigung (Blausucht, Methämoglobinbildung) neuerdings zahlreiche 
Fälle mit schwerem Ikterus bzw. akuter gelber Leberatrophie be¬ 
obachtet wurden. Bemerkenswerterweise wurde bei letzterer regel¬ 
mässig ein Status lymphaticus festgestellt. Weibliche jugendliche 
Arbeiter waren besonders disponiert. — Im Anschluss daran werden 
noch 5 Fälle von tödlichen Erkrankungen bei Dinitrobenzolarbeitern 
besprochen, die aber nicht als reine Vergiftungen bezeichnet werden 
können bzw. durch Organdefekte begünstigt wurden. — Zur Auf¬ 
klärung über die Gesundheitsschädigungen, denen die Arbeiter, welche 
mit nitrierten Kohlenwasserstoffen zu tun haben, ausgesetzt sind, hat 
das Reichsgesundheitsamt kürzlich ein Merkblatt herausgegeben, 
welches allen Interessenten zum Studium nachdrücklich empfohlen 
sei. (U. a. auch abgedruckt im Zbl. f. Gew.Hyg. 1918, H. 6.) — Ein¬ 
schlägig ist ferner ein Gutachten von B a c h f e 1 d über Tödliche 
Erkrankung in einer Granatfüllerei im Zbl. f. Gew.Hyg. 
1918 H. 8. — Weitere BeiträgezurGiftwirkungaromati- 
scher Nitroverbindungen lieferte H. 11 zhöfer; vgl. Arch. 
f. Hyg. 87. 1918. H. 5/6. Verf. untersuchte das Trinitroxylol, Trinitro¬ 
phenol und Trinitroanisol im Tierversuch. Nach seinen Ergebnissen 
ist das Trinitroxylol praktisch wohl als ungiftig zu bezeichnen, wäh¬ 
rend mit dem Trinitrophenol (Pikrinsäure) in gleichen Dosen akute 
und chronische Vergiftungen erzeugt werden konnten. 0,05—0,1 g 
pro Kilo Körpergewicht machten bei der Katze Gewichtsabnahme, 
0,2 g an 2 aufeinanderfolgenden Tagen gegeben führten nach 3 Tagen, 
0,5 g sofort zum Tod. Beim Menschen wurden bekanntlich ausser 
Haut- und Schleimhautreizungen nur Magendarmreizungen, sonst 
keine schwereren Erkrankungen beobachtet. Das Trinitroanisol 
wirkte innerlich weniger giftig. Durch gleichzeitige Alkoholgaben 
wird bei allen diesen Substanzen die Löslichkeit und damit auch 
die Resorption bzw. Giftwirkung erhöht. 

Gewerbliche Organschädigungen betreffen die nachstehenden 
Veröffentlichungen: G a 1 e w s k y: Ueber Melanodermien und 
Dermatosen durch Kriegsersatzmittel in Nr. 34 d.W. 
(1918). — Birch-Hirschfeld: Die Schädigungen des 
Auges durch Licht und ihre Verhütung in D.m.W. 1918 
Nr. 30, ref. in Nr. 33 d. W. 

Ueber das Rohzelluloid, die Gefahren bei seiner 
Herstellung und ihre Bekämpfung veröffentlicht Zäuner 
im Zbl. f. Gewerbe-Hyg. eine umfangreiche Abhandlung. Während 
der erste Teil, der sich mit der Technik befasst (H. 10—12, 1917), 
an dieser Stelle weniger interessiert, verdient der 2. Teil auch ärzt¬ 
liche Beachtung (H. 3—5, 1918). Verf. erörtert hier die ev. Gesund- 
heitsschädigungen, denen die Arbeiter durch die giftigen Verbren¬ 
nungsgase des Zelluloids und durch die bei der Herstellung benötigten 
Chcmikalierf ausgesetzt sind; er bespricht kurz die Schädigungen 
durch Salpetersäure und nitrose Gase, Methylalkohol, Aether, Azeton, 
Benzol u. dgl. Weiters kommen ev. Gesundheitsschädigungen durch 
Hitze und Nässe in Frage. Zum Schlüsse werden prophylaktische 
Massnahmen erörtert. 

Neueste Journalliteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medizin. £27. Bd. 5. u. 6. H. 

W. W e i t z: Ueber die Dauer der einzelnen Phasen der Herz- 
revolution. (Aus der med. Klinik und Nervenklinik Tübingen.) (Mit 
3 Kurven.) 

Die einzelnen Phasen der Herzrevolution (die Anspannungszeit, 
die Austreibungszeit, die Entspannungszeit und die Anfüllungszeit) 
wurden mit dem Frank sehen Apparat an zahlreichen Kardio¬ 
grammen gemessen. Die Anspannungszeit war bei Kindern kürzer 
als bei Erwachsenen (bei Kindern durchschnittlich Vioo Sekunden, 
bei Erwachsenen Vioo Sekunden). Bei kürzeren lierzrevolutionen 

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war die Anspannungszeit gegenüber den längeren Herzrevolutionen 
nicht verkürzt, bei Tachykardien ohne Herzerweiterung wurde so¬ 
gar deutliche Verlängerung beobachtet. Bei Hypertension war die 
Anspannungszeit nur in der Minderzahl der Fälle verlängert. Bei 
Mitralisinsuffizienz und -Stenosen, sowie bei Aortenstenose fand sich 
meist verlängerte 'Anspannungszeit, bei Aorteninsuffizienz fast immer 
Verkürzung der Anspannungszeit. Bei Arhythmia perpetua, sowie 
bei Herzschwäche mit Dilatation fand sich meist Verkürzung der 
Anspannungszeit. Das Verhalten der Anspannungszeit findet seine 
Erklärung in dem verlängernden Einfluss des hohen Aortendruckes 
und der verringerten Ventrikelfüllung bzw. in dem verkürzenden 
Einfluss des niedrigen Aortendrucks und der vermehrten Ventrikel¬ 
füllung. Die Austreibungszeit zeigte eine deutliche Abhängigkeit von 
der Dauer der Herzrevolution, sie betrug bei gesunden Erwachsenen 
ca. 2 %oo Sekunden; bei pathologischen Fällen fanden sich Grenz¬ 
werte von u /ioo Sekunden (Tachykardie) und a7 ’ 8 /xoa Sekunden (bei 
Adam-Stokes)„ Gebrechliche Greise zeigten oft eine beträchtliche 
Verlängerung der Austreibungszeit (bis “’Vioo Sekunden), bei Hyper¬ 
tension und den meisten Herzfehlern war die Austreibungszeit nor¬ 
mal, ebenso bei funktionellen Geräuschen, bei Extrasystole, Arhyth¬ 
mia perpetua und sonstiger Herzinsuffizienz bestand Verlängerung 
der Austreibungszeit; Die Entspannungszeit betrug bei Erwachsenen 
12 /ioo, bei Kindern 7 /ioo Sekunden und zeigte grosse Schwankungen. 
Die Anfüllungszeit war sehr abhängig von der Dauer der Herz¬ 
revolution. Die Gesamtdauer der Austreibungszeit nahm mit zu¬ 
nehmender Pulsfrequenz ab, besonders bei Tachykardie. Bei Brachy- 
kardie gebrechlicher Greise war die Anfüllungszeit nicht verlängert; 
die Verlängerung der Herzrevolution war durch die übrigen Herz¬ 
phasen bedingt. 

H. O e 11 e r: Zur Lehre vom periodischen Fieber. Die Rhyth¬ 
mik der Fieberbewegtung beim Typhus. Anaphylatoxliy- unkl Endo¬ 
toxinerkrankung des Typhus bei Geimpften und Ungeimpfteiu (Mit 
9 Kurven.) (Aus der med. Universitätsklinik Leipzig.) 

Die Entscheidung zwischen Typhus einschliesslich Paratyphus 
und periodischem Fieber ist trotz weniger unterscheidender Merk¬ 
male schwer, häufig unmöglich. Gerade bei typischen Quintanafällen 
ist die einzelne Fieberzacke des Anfalles, deren rhythmische Wieder¬ 
kehr allerdings ein typisches, aber nicht krankheitsspezifisches Bild 
ergeben kann, etwas völlig Unspezifisches, ihre Wesensgleichheit mit 
experimentellen Fiebertypen oder solchen nach therapeutischen In¬ 
jektionen artfremden Eiweissmaterials (Tuberkulin-Mischinjektion) 
legt den Gedanken nahe, in der für typisch gehaltenen Fieberzacke 
des Quintanaanfalles weiter nichts als eine Allgemeinreaktion einer 
akuten parenteralen Eiweisszerfallstoxikose zu erblicken. Die Auf¬ 
fassung des Quintanaanfalles als anaphylaktische Reaktion einfcs 
sensibilisierten Typhuskranken würde das Verständnis der mar¬ 
kanten, typischen Quintanakurven erleichtern, wenn man sich über 
die Phänomene im Klaren ist, die sich während des anaphylaktischen 
Schocks im Organismus abspielen. Man könnte sich eine typische 
Quintanakurve als eine gewöhnliche Typhuskurve vorstellen, bei 
der namentlich die Kontinua durch die temperaturerniedrigende 
Wirkung der paroxysmalen Giftüberschwemmung des Organismus 
mit der darauffolgenden, durch Antikörpermangel bedingten fieber¬ 
freien Periode wiederholt unterbrochen ist. (Weitere Einzelheiten, 
insbesondere Beobachtungen bei Typhus Geimpfter und Nicht¬ 
geimpfter, über Anaphylatoxin eic. sind im Original nachzulesen.) 

E. K y 1 i n: Weitere Untersuchungen über akzidentelle Herz- 
geräusdhe und Ausdauer bei körperlichen Anstrengungen. (Aus der 
medizinischen Universitätsklinik Upsala.) 

Bei einer grösseren Anzahl von Soldaten mit akzidentellen 
Herzgeräuschen fand sich auch eine mangelhafte Leistungsfähigkeit, 
die aber nicht auf eine Minderwertigkeit der Gesamtkonstitution zu¬ 
rückzuführen war, sondern durch eine Minderwertigkeit des Herzens 
selbst (muskuläre Insuffizienz) bedingt war; gleichzeitig fand sich 
dabei geringgradige Erhöhung des Blutdrucks, sowie allgemeine 
nervöse Veranlagung. 

Ch. Loebner: Untersuchungen über das Blutserum bei Kar¬ 
zinom. (Aus der med. Universitätspoliklinik zu Tübingen.) (Mit 
3 Tabellen.) 

Durch Inanition wird beim Karzinom eine nicht unerhebliche 
Konzentrationsverminderung des Serums bedingt, besonders bei 
solchen des Verdauungstraktus. Das Verhältnis der Albumine und 
Globuline zeigt gegenüber dem Gesunden eine Verschiebung nach 
der Globulinseite, die jedoch nicht konstant ist. Der Hämoglobin¬ 
gehalt des Blutes ist von der Eiweisskonzentration des Blutes in 
weiten Grenzen unabhängig, jedoch sinkt und steigt der Hämoglobin¬ 
gehalt mit der Eiweisskonzentration. Die Serumfarbe war in 
43 Fällen 21 mal normal, 10 mal heller, 12 mal dunkler als normal. 
In einer weiteren Arbeit soll in analoger Weise über Blutbefunde 
bei den Kachexien der perniziösen Anämie und Chlorose berichtet 
werden. 

J. C. Schippers und C. de Lange: Zur Diagnostik der 
Nephritis im Kindesalter. (Aus dem Emma-Kinderkrankenhaus in 
Amsterdam.) 

Chondroiturie, ein relativ häufiger Befund im Kinderhain, m, 
bei Kindern kein Zeichen einer Nierenschädigung und auch nicht 
pathognomonisch für orthostatischc Albuminurie. Die morphotischen 
Elemente des Harns können weder qualitativ noch quantitativ ein 

Origiral frem 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1390 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 49. 


Unterscheidungsmerkmal zwischen chronischer Nephritis und ortho- 
tischer Albuminurie liefern, vereinzelte Leukozyten und Erythro¬ 
zyten sind ohne pathologische Bedeutung. Für die Diagnose Ent¬ 
zündung oder Degeneration haben die Belege der Zylinder eine 
grössere Bedeutung als die Zylinder selbst; der Zustand des Sedi¬ 
mentes gestattet gleichfalls nur in sehr beschränktem Masse Schluss¬ 
folgerungen. Auch der Eiweissgehalt ist kein Gradmesser für die 
Schwere der Erkrankung; ein hoher Eiweissgehalt kann durch 
einen harmlosen, aber ausgebreiteten Prozess, ein niedriger durch 
eine umschriebene, aber viel schlimmere Affektion bedingt sein. 
Was die orthotische Albuminurie anlangt, so mag ein Teil der Fälle 
vielleicht durch die mechanische Theorie der Lordose geklärt 
werden können; im übrigen ist aber die Ursache der Albuminurie 
an sich bei orthotischen, sowie bei atypischen Albuminurien un¬ 
bekannt. Bei 10 nierengesunden Kindern, bei 3 mit orthostatischer 
Albuminurie, bei 3 mit Pädonephritis, bei 3 mit akuter Nephritis im 
Heilungsstadium und bei 2 mit atypischer Albuminurie wurden 
funktionelle Prüfungen mit der Jodkaliprobe, dem Akkommodations¬ 
versuch (Verdünnungs- + Konzentrationsversuch) und einer Probe¬ 
diät gemacht. Durch diese Funktionsprüfungen findet man klinisch 
festgestellte Nephritis öfters bestätigt, leichtere Fälle von Albumin¬ 
urie jedoch lassen sich so nicht sicherstellen: immerhin lassen sich 
vielleicht manche Orthostatiker auf diese Weise erkennen oder als 
echte Nephritiker sicherstellen. 

W. Stepp: Ueber Cholesteringehalt des Bfutes bei verschie¬ 
denen Formen der B right sehen Krankheit. (Nebst Bemerkungen 
über den Einfluss der Nephrektomie auf den Cholesteringehalt des 
Blutes im Tierexperiment.) (Aus der med. Klinik zu Giessen.) 

Bei den verschiedenen Formen der B r i g h t sehen Krankheit 
ist das Blutcholesterin überall da vermehrt, wo schwere Parenchym¬ 
schädigungen vorliegen, bei akuter wie bei chronischer diffuser 
Glomerulonephritis. Je langsamer ein Fall von chronischer Nephritis 
verläuft, desto stärker die Retention, desto seltener eine Erhöhung 
des Blutcholesterins. Das Zusammentreffen von Hypercholesterin- 
ämie und Retinitis albuminurica ist selten, jedenfalls ist letztere nicht 
durch Hypercholesterinämie bedingt, bei Nephrosen mit hohem 
Cholesterinreichtum des Blutes fand sich nie Retinitis albuminurica. 
Der Oholesterinreichtum des Blutes bei Nephrosen dürfte durch 
starke Verfettung der Nieren bedingt sein: allerdings ist bei dieser 
Annahme das Sinken des Cholesterinspiegels im Blute während der 
Entwässerung des Körpers mit grossen Dosen Harnstoff nicht recht 
zu verstehen. Bei der Cholesterinämie der Sklerosen scheinen 
andere Einflüsse besonders alimentärer Art eine Rolle zu spielen, 
die ja auch für die Entstehung der Sklerosen von Bedeutung sind. 
Bei 3 nephrektomierten Hunden fand sich eine Cholesterinver¬ 
mehrung im Blute bis über das Doppelte der Norm; die Stoffwechsel¬ 
umwälzungen nach Nierenexstirpation sind allerdings so tiefgreifend, 
dass dabei eine bestimmte Vorstellung über die Entstehung der 
Cholesterinämie vorläufig nicht möglich ist. 

Besprechungen. B a m b e r g e r - Kromch. 

Zentralblatt für Gvnäkolnele. 1018. Nr. 46 

K i r s t e I n - Marburg: Ueber das Vorkommen von Dlphtherie- 
bazüfen bei Neugeborenen In den ersten Lebenstagen. 

K. ergänzt die aus der gleichen Klinik von Esch in der Zeit¬ 
schrift für Gynäkologie gegebenen Mitteilungen dahin, dass in der 
Marburger Klinik bei Säuglingen ungemein häufig Di-Bazilleu nach¬ 
gewiesen wurden; fast immer waren die Kinder nur Bazillenträger, 
selten handelte es sich um echte Nasendinhtherie. Es ist von Wich¬ 
tigkeit, dass auch in anderen geburtshilflichen Anstalten auf diese 
Dinge geachtet wird. 

G. v. Mandach -Zürich: Ein Fall von Ileus in der Gravidität. 

Aehnlich dem Fleischhauer sehen Falle in Nr. 23 des Zbl. 

berichtet Verf. über einen Ileusfall, wo der Ileus durch den wach¬ 
senden Uterus am Ende der Schwangerschaft ausgelöst wurde. Der 
Uterus war das die Passage sperrende Hindernis bei einem allerdings 
durch chronische Appendizitis veränderten Darm. Heilung durch 
Laparotomie, Kaiserschnitt, Appendektomie. 

Werner - Hamburg. 

Berlfaer klinische Wochenschrift. Nr. 46 1018. 

H. K ü 11 n e r - Breslau: Ueber häufigeres Vorkommen schwerer 
Spelkerdhrenverätznngon während der Kriegszelt. 

Verf. hat in ganz kurzer Zeit 8 derartige Fälle gesehen, fast 
alle Kinder betreffend, in welchen die Verätzung durch unachtsames 
Trinken von sogen. Seifenlösung zustande gekommen war, wie sie 
jetzt nicht selten in den Haushalten hergestellt wird. Also Vorsicht 
und ärztliche Mahnung! 

Becker: Beitrag zur Behandlung von Ober- und l/nter- 
sobenkelschüssen. 

In Fällen, in denen die Extension mittels Heftpflaster- oder 
Mastixverbänden wegen sich einstellenden Ekzems nicht weiter an¬ 
gewendet werden kann, bedient sich Verf. einer Methode, welche 
eine Modifikation des Verfahrens nach Herzberg darstellt. 
(Durchführung eines Brorfzedrahtes unter dem Lig. pateliae, Lage¬ 
rung auf eine Braun sehe Schiene.) Cfr. Abbildungen! 

Engel: Ueber Intraperitongale SchussverletZungen des unteren 
Abschnittes der Ampulle redti. 

Digitized by Gouäle 


Mitteilung mehrerer ton Felde beobachteter Fälle und Be¬ 
sprechung der operativen Massnahmen. 

Fr. He r c h e r - Ahlen i. Westf.: Die Behandlung der Lympb- 
driieentuberkukme. Röntgenbehandlung, Behandlung mit Injektionen 
von Phenolkampfer und Punktionen. 

Das im einzelnen geschilderte Verfahren ist nach Verf. unschäd¬ 
lich; auch Karbolintoxikationen hat er nicht gesehen. Es lässt sich 
ambulant durchführen. 

J. Heller- Berlin: Schwere Arsenmetanose und Hyperkera- 
tose nach NeoSalvadsaneinspritzunglen^ 

Eingehende Mitteilung dreier eigener Beobachtungen, sowie 
einiger Fälle aus der übrigen Literatur. 

A. R a d o s - Pest: Ueber Retractio bulbl congenita. 

Zwei genau anlysierte Fälle werden mitgeteilt, in denen das 
Leiden angeboren war, bedingt durch die atypische Insertion des 
Rectus internus. 

E. Lindner t-Linz a. D. und W. v. Moraczewski- 
Karlsbad: Ueber den Einfluss von intravenösen Zuckerlnfektfouen 
akil die MUch'säureausscheldung und auf das Blut. 

Nicht zu kurzer Wiedergabe des Wesentlichen geeignet. 

Neu mann: Weitere Bemerk'.tfgen zur Beurteilung der 
Düenstfähigkelt. 

Verf. betont, dass der Standpunkt des Militärarztes bei der Be¬ 
wertung der Dienstfähigkeit ein ganz anderer sein muss, wie Jener 
des Privatarztes; ersterer hat ausschliesslich auf die Interessen des 
Gemeinwohles Rücksicht zu nehmen, während der letztere mehr als 
Anwalt des zu Untersuchenden erscheint. Es muss im Auge be¬ 
halten werden, dass die Verwendungsfähigkeit im militärischen 
Dienste eine ausserordentlich verschiedengestaltige ist, so dass, wer 
im Vertragsverhältnis zum Staat oder im wirtschaftlichen Leben 
seine Stelle ausfüllen kann, in irgend einer Form kriegsbrauchbar ist. 

Orassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 46. 1918 

L. K u 11 n e r und S. Gutmann - Berlin : Zur Methodik des 
okkulten Blutnachweises In den Fäzes^ 

Es wird darauf hingewiesen, dass eine Anzahl von Gemüsen 
schon einen positiven Ausfall der Oxydationsmethoden gibt, so dass 
man eine bestimmte Kost vor der Untersuchung geben muss, die 
nicht allein fleischfrei ist, sondern auch anderen Anforderungen zu 
gehorchen hat. Die Verf. geben an den Vortagen gekochte Milch, 
Eier, Milchreis, Kaffee, Zwieback und Butter. Es wird sodann eine 
Modifikation der Guajakharzprobe angegeben, die im einzelnen im 
Original nachzulesen ist. Die spektroskopische Methode ist weniger 
fein. 

A. P1 e h n: Mazedonische Malaria oder Malaria der Chinin- 
gewöhnten? (Schluss folgt.) 

Erich Leschke - Berlin: Ueber die Behandlung der Grippe 
mit Eukupln. 

Auf Grund von ?5 Fällen gewann Verf. den Eindruck, als ob 
die Behandlung der Grippe mit Eukupin. wenn sie frühzeitig be¬ 
gonnen wird, von Nutzen ist; denn Lungenkomplikationen bleiben 
aus, bzw. wenn schon vorhanden, entfiebern rasch. Auf die Grippe¬ 
infektion als solche bat das Eukupin allerdings keinen Einfluss. 

A. Alexander: Die Behandlung der Lungenkorapllkattoneii 
der Grippe mit Kalzium und Neosalvarsan. 

Durch die Beobachtung, dass die Luetiker einer Station von 
Grippe verschont blieben, angeleitet, behandelte Verf. seine Grippe¬ 
fälle mit Neosalvarsan. Ausserdem gab er auf Grund der bekannten 
Wirkung auch Kalzium. Das Auftreten neuer Herde wurde durch 
diese Therapie verhindert, die Kurzatmigkeit verschwand rasch und 
ebenso das blutige, dünne, pflaumenbrühartige Sputum. 

H. G r a u - Rheinland-Honnef: Zur Entstehung der Pleuritis ex¬ 
sudativa Inltialls bei Tuberkulose. 

Die initiale Pleuritis exsudativa ist das Zeichen einer erfolgten 
hämatogenen Aussaat. Sie geht aus von einem Herd in der Lunge 
oder in den .Bronchialdrüsen. 

K. Hundeshagen -Strassburg: Ein Fall von Ptaratypbife-B- 
Menlngltfc. 

Mitteilung eines Falles. Im Lumbalpunktat wurden Paratyphus¬ 
bazillen gefunden. Bei der Sektion, die u. a. eine eitrige Meningitis 
ergab, wurde aus der Niere und vom Hirnhauteiter abgeimpft. Hier 
fand man dieselben Bazillen wie im Lumbalpunktat. 

Erich Hesse: Tetragenusbefunde im menschlichen Körper 
hebst einigen Bemerkungen zum Psehdodlphtheriebazüliis. 

Hesse fand verhältnismässig häufig Tetragenus in infizierten 
Wunden. Da noch nicht im 5. Teil dieser Fälle auch andere Keime 
gefunden wurden, so liegt der Gedanke nahe, dass ihm an der Eite¬ 
rung ein spezifischer Anteil zukommt. Sehr oft wurde Tetragenus 
im strömenden Blute gefunden. — Corynebacterium pseudodiphthe- 
riticum wurde nicht selten gefunden. 

Ph. F. Becker - Frankfurt: Onsarz- und Kohlenlicht in der Be¬ 
handlung eitriger Erkrankungen der Haut uhd deren Anhänge. 

Es wird auf die guten Erfolge der Lichtherapie bei Karbunkel, 
Hydrosadenitls suppurativa, akute Nagelbetteiterung hingewiesen. 

Johann Göpfert -Würzburg: Unbewusstes Hören bei psycho¬ 
gener Taubheit. 

Original frn-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



3. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1391 


Stenzei-Wittenberge: Wundnaht mit Hilfe von Mastlsol- 
Mullstreifen. 

Das Mastisol kann zur Unterstützung und Ausführung der Wund¬ 
naht vorteilhaft sein. 

G. M a m 1 o c k - Berlin: Aerztllches Standesfeben im Kriege. 

Boenheim - Nürnberg. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Freiburg 1. Br. (Nachträge.) 
Giesemann Kurt: Ueber Zwischenfälle und Komplikationen bei der 
Operation und den Nachfüllungen des künstlichen Pneumothorax. 
Hoock Julius: Eine seltene funktionelle Abart familiärer Ptosis. 
Körner Otto: Neuere Bestrebungen zur Schmerzlinderung bei nor¬ 
malen Geburten. 


Auswärtige Briefe. 

Berliner Briefe. 

(Eigener Bericht.) 


Allgemeine Aerzteversammlung zur Wahl von Vertretern für den 
Arbeiterrat und eines Sachverständigenrates der Gross-Berliner 
Aerzteschaft für den Minister. 


Nachdem die Vertreter mehrerer anderer geistiger Berufe sich 
bereits zusammengeschlossen und der neuen Regierung Männer nam¬ 
haft gemacht haben, die von der Gesamtheit ihrer Berufgenossen als 
Vertrauensmänner gewählt sind und der Regierung zur Verfügung 
stehen sollen, glaubte der Vorstand der Berlin-Brandenburger Aerzte- 
kammer den gleichen Schritt auch für die Aerzteschaft tun zu sollen. 
Er berief deshalb für den 26. November eine allgemeine Aerztever¬ 
sammlung ein, die Vertreter für den Arbeiterrat und einen ärztlichen 
Sachverständigenrat wählen sollte. Welches Interesse die Aerzte¬ 
schaft der Neuordnung der Dinge und den vielen Fragen, die die 
allernächste Zukunft aufrollen wird, entgegenbringt, zeigte der 
ausserordentlich starke Besuch der Versammlung; dass aber das 
politische und soziale Verständnis nicht auf der gleichen Höhe steht, 
bewies der unruhige, mitunter sogar stürmische Verlauf sowie das 
Hineinzerren von Fragen, die dem eigentlichen Zweck und Wesen 
der Versammlung fern liegen. 

Den einleitenden Bericht erstattete Herr S. A1 e x a n d e r. Er 
gedachte der gewaltigen Leistungen der Aerzte während des Krieges, 
die mit Recht den Heldentaten der Soldaten im Felde an die Seite 
gestellt werden können. Aber auch in dem Chaos, so führte ex 
weiter aus, das nach dem Kriege eintrat, hat die Energie der ärzt¬ 
lichen Tätigkeit nichts eingebüsst; wir werden nach wie vor weiter 
unsere Pflicht tun. Die gewaltigen Umwälzungen der letzten Zeit 
haben den Vorstand der Aerztekammer veranlasst, sich der neuen 
Regierung zur Verfügung zu stellen, wobei die aktive Teilnahme 
der gesamten Aerzteschaft notwendig ist. Die geistigen Arbeiter 
sind als Arbiter anerkannt, und die Aerzte können sicher als Schwer¬ 
arbeiter gelten; deshalb ist das Misstrauen, das gegen die Akademiker 
in Arbeiterkreisen herrscht, den Aerzten gegenüber nicht zu be¬ 
fürchten. Wie wichtig die Teilnahme ärztlicher Sachverständiger 
an den Regierungshandlungen ist, geht daraus hervor, dass bereits 
zwei Erlasse herausgekommen sind, die ärztliche Interessen auf das 
engste berühren, nämlich die Aufhebung des Hilfsdienstgesetzes und 
die Erhöhung der Versicherungsgrenze. Es sollen deshalb drei Ab¬ 
geordnete zum Arbeiterrat und zum Sachverständigenrat gewählt 
werden. Eine Vorschlagsliste wurde den Teilnehmern der Ver¬ 
sammlung eingehändigt, die für den Sachverständigenrat 12 Gruppen 
mit insgesamt 30 Mitgliedern vorsieht, nämlich Aerztekammer, Medi¬ 
zinische Fakultät, städtische Medizinalverwaltung, ärztliche Stadt¬ 
verordnete, Krankenhausärzte, medizinische Fachpresse, Geschlechts¬ 
krankheiten, soziale Hygiene, Ernährungspolitik, Kinderschutz, 
Seuchenschutz, kommunalärztliche Tätigkeit. 

Als zweiteF Berichterstatter sprach Herr Z a d e k. Leider ver¬ 
stand er es nicht, vor der rein ärztlichkollegialen Zuhörerschaft seine 
allgemeinen politischen Ansichten zurückzustellen, und so riefen denn 
schon seine ersten Worte starken Widerspruch hervor, der sich noch 
steigerte, als er bei Besprechung früher gemachter Fehler den 
Aerzten Verständnislosigkeit gegenüber der Bedeutung der sozialen 
Versicherung vorwarf. Er wies dann auf die Aufgaben hin, deren 
Lösung von der kommenden Zeit verlangt wird und die verständnis¬ 
volle Mitwirkung der Aerzte als unerlässliche Voraussetzung hat, 
und schloss mit den Worten, die R. Virchow auch zur Zeit einer 
Revolution gesprochen hat: „Die Aerzte sind berufene Berater der 


Armen“. 

In der sehr lebhaften Besprechung, die sich an diese Reden an¬ 
schloss, wurden von manchen Rednern Fragen angeschnitten, die an 
sich berechtigt und wichtig sind, aber vor ein anderes Forum ge¬ 
hören und die grosse Frage der Stellungnahme zu der Neuordnung 
der Dinge in eine Anzahl enger Interessenkreise aufzulösen drohte. 
So wurde von Maassnahmen für den Aufbau der Praxis der heim¬ 
kehrenden Kollegen, von den unbestreitbaren Fehlern der Sanitäts¬ 
ämter, von der Stellung der Kandidaten zum Arztsystem bei den 
Krankenkassen und zur Wartezeit für den Fall der freien Arztwahl 


gesprochen. Allgemeine ^Zustimmung 

□ igitlzedby IjQ 


g fand 


ein Antrag des Herrn 


S. D a v i d s o h n, der sich gegenüber den sehr bestimmt auftretenden 
Gerüchten über eine beabsichtigte Verstaatlichung der Aerzte gegen 
jeden derartigen Plan sowie gegen jeden Versuch wandte, die Un¬ 
abhängigkeit des ärztlichen Standes anzutasten. Die aufgestellte 
Kandidatenliste wurde mehrfach bemängelt. Man findet vorzugs¬ 
weise Männer in ihr, die schon bekannt sind, deren Träger schon 
seit langer Zeit die ärztlichen Interessen vertreten, ohne greifbare 
Erfolge aufweisen zu können, und vermisst die jüngeren Kollegen. 
Man vermisst auch die Aerzte aus dem Reich, sämtliche in der Vor¬ 
schlagsliste genannten Aerzte sind Berliner; allerdings sollte ein 
Sachverständigenrat der Gross-Berliner Aerzteschaft gewählt 
werden, aber für den preussischen Minister, nicht für die Gross- 
Berliner Gemeinden; und die Vertreter für den Arbeiterrat sind für 
die derzeitige deutsche Regierung bestimmt. Diese Einseitigkeit 
steht wiederum im Zusammenhang mit der Tatsache, dass der 
Deutsche Aerztevereinsbund als der eigentliche Vertreter der deut¬ 
schen Aerzteschaft bisher noch nichts von sich hat hören lassen. 
Ferner wurde beanstandet, dass unter den 30 Kandidaten keine 
Aerztin zu finden ist. Es zeigte sich somit, dass die Vorschlagsliste 
wenig befriedigte und nicht als Grundlage einer Wahl dienen konnte. 
Deshalb wirkte es fast wie ein reinigendes Gewitter, als Herr 
M u g d a n den Zweck und Wert der beabsichtigten Wahl des Sach¬ 
verständigenrates überhaupt in Frage zog. Er erinnerte daran, dass, 
wenn die Regierung Sachverständige brauche, sie sie zu finden 
wissen werde, denn alle früheren Einrichtungen und Behörden wie 
das Reichsgesundheitsamt u. a. bestehen noch und setzen ihre Tätig¬ 
keit fort. Er ging sogar so weit, es als eine Erniedrigung des Standes 
zu bezeichnen, wenn die Aerzteschaft sofort an die neue Regierung 
herantrete und ihr ihre Dienste anbiete. Er beantragte deshalb, an 
dem Abend von einer Wahl überhaupt Abstand zu nehmen und einen 
Ausschuss zu bilden, der eine neue Kandidatenliste für den Arbeiter¬ 
rat aufstellen sollte. Der erste Teil des Antrages wurde mit über¬ 
wiegender Mehrheit angenommen; damit schloss aber auch sogleich 
die recht erregt verlaufene Versammlung, so dass der zweite Teil 
gar nicht mehr zur Abstimmung kam. Sie verlief also ergebnislos. 
Es ist aber nicht anzunehmen, dass damit der Versuch, eine vom 
Vertrauen der Allgemeinheit getragene Vertretung der Gross- 
Berliner Aerzteschaft zu schaffen, endgülig aufgegeben ist. Es ist 
vielmehr zu erwarten, dass schon in nächster Zeit ein neuer, besser 
vorbereiteter Versuch unternommen wird. M. K. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 27. November 1918. 

Tagesordnung: 

Herr Ulrich Friedmann: Serotherapeutische Versuche bei der 
Grippelungenentzündung. (Kurze Mitteilung.) 

Bericht über sein polyvalentes Streptokokken-Pneumokökken- 
Serum, durch Vorbehandlung bei Pferden gewonnen. Bezugsquelle: 
Säch'siches Serumwerk. 

Vortr. hat Wirkungen wie beim Diphtherieserum, Heilungen bei 
schwerster Zyanose, miserablem Puls, schlechtestem Allgemein¬ 
befinden gesehen. Die Wirkung tritt spätestens 48 Stunden nach der 
Einspritzung ein. 

Vortr. hat 30 Fälle gespritzt, darunter 4 leichtere Fälle, 15 mal 
bei hoffnungslosen Fällen, von denen 6 am ersten Tage gestorben 
sind, also ausscheiden. Bei 3 weiteren trat der Tod ein, ebenso ist 
ein weiterer Misserfolg zu verzeichnen. In 6 Fällen ist im Anschluss 
an die Injektion Heilung eingetreten. 

Vortr. demonstriert dann in extenso die Kurven der betreffen¬ 
den Fälle. 

Bei der kruppösen Pneumonie ist die Lunge last blutleer, bei 
der Grippepneumonie blutreich und es ist daher die Möglichkeit 
gegeben, die Heilstoffe in die Lunge hereinzubringen. Versuche mit 
nativem Pferdeserum sind nicht abgeschlossen. 

Diskussion: Herr Alexander berichtet über sehr gün¬ 
stige Erfolge (Herabsetzung der Mortalität von 34 Proz. auf 8 Proz. 
durch 0,3 Neosalvarsan (mehrmals wiederholt) und Kalkdarreiohung. 

Herr Stadel mann hat bei 7 Fällen einen Erfolg nicht ge¬ 
sehen. 

Herr Woiff-Eisner berichtet über einen von Herrn 
Friedemann behandelten Fall ohne Pneumonie, bei dem 2 Tage 
nach der Anwendung schwere, lebensbedrohliche Pneumonie ein¬ 
setzte, also eine prophylaktische Wirkung nicht zu konstatieren ist. 

Herr Zülzer hält die spezifische Wirkung des Diphtherie- 
Serums für erledigt. Bemerkungen über den Vasomotorentod bei 
Grippe. 

Herr Leschke: Ueber den Grippeerreger. 

Vortr. hat im Grippeserum bei geeigneter Filtration (Cumber- 
landkerzen) korpuskuläre züchtbare Elemente nachgewiesen. In¬ 
jektion im Selbstversuch bei sich und seiner Familie erzeugte Grippe. 

W.-E. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 49. 


1392 


Aus Ärztlichen Standesvereinen. 

Aerztlicher Bezirksverein Nürnberg. 

Sitzung vom 21. November 1918 im Luitpoldhaus. 

Vorsitzender: Herr Schuh. 

Anwesend laut Anwesenheitsliste 87 Mitglieder und 5 Gäste. 
Tagesordnung: Die neue Lage und die Aerzteorganisatlon. 

Herr S t a u d e r erstattet ein ausführliches Referat über die 
bisherige Organisation und über die Aenderungen, die durch die Neu¬ 
ordnung der Dinge im Reiche, speziell in Bayern eintreten müssten. 
Er schliesst sich im allgemeinen den Münchener Beschlüssen an, nur 
glaubt er, dass die Aerztekammern bestehen bleiben sollten, wenn 
auch vielleicht in verminderter Anzahl; aber diese Aerztekammern 
müssten freie Rechtsgebilde sein ohne behördliche Bevormundung. 

Herr Mainzer bespricht die Stellung der Aerzte zu den all¬ 
gemeinen politischen Verhältnissen und Aenderungen. Er weist 
darauf hin, dass es nicht genügt, und manchen nicht einmal recht er¬ 
scheinen wird, sich auf den Boden der jetzigen Lage zu stellen, 
sondern man müsste für die werdende Zeit, für die Zeit von morgen 
schaffen. Die Aerzte müssen bedenken, dass ihren Forderungen auch 
Pflichten zur Seite stehen, und dass die Aerzte in Zukunft nicht nur 
Aerzte. sondern auch Sozialpolitiker sein müssen. 

Beide Berichterstatter erklärten es als eine dringende For¬ 
derung der Aerzte, dass bei einem eventuell zu schaffenden Ge¬ 
sundheitsministerium oder einer Medizinalabteilung in Zukunft ein 
Arzt vorstehen müsse, ebenso wie in allen Stellen, von denen Ver¬ 
ordnungen erlassen würden, die auf gesundheitliche Dinge Bezug 
haben. Beide Vorträge fanden den wohlverdienten Beifall der 
grossen Versammlung. Diesem Beifall wurde von dem Vorsitzenden 
besonders Ausdruck gegeben, der auch gleichzeitig einen ihm zu¬ 
gegangenen Bericht über die Münchener Aerzteversammlung verlas. 
Bis zur Schaffung eines Landesausschusses wurden dem schon be¬ 
stehenden Kriegsausschuss Münchener Aerzte die Vertretung der 
Nürnberger Aerzte übertragen. Einstimmig wurde folgende Re¬ 
solution angenommen: 

„Die Nürnberger Aerzteschaft stellt sich unbeschadet der 
Ueberzeugung und Gesinnung jedes einzelnen auf den Boden des 
neuen Volksstaates und ist bereit, im Dienste des Volkswohles 
mit ganzer Kraft zu schaffen zur Hebung der Volksgesundheit, 
zur Bekämpfung der Volksschäden, zur Pflege eines gesunden, 
geistig und körperlich immer mehr erstarkenden Volksganzen. 

Die Nürnberger Aerzteschaft fordert: 

1. berufliche Selbstverwaltung. 

2. Schaffung eines eigenen Ministeriums für Volksgesundheits- 
Pflege mit einem Arzt als Spitze. 

Mitberatung und Mitentscheidung der Aerzteschaft in allen 
sozialen und Gesundheitsfragen. 

3. Mitbestimmungsrecht bei der Anstellung der Referenten für 
das gesamte Medizinal- und Fürsorgewesen. 

4. Anerkennung der wirtschaftlichen Organisation. Abschluss von 
Kollektivverträgen. Freie Arztwahl.“ 

Für eine voraussichtlich bald stattfindende Delegiertenversamm¬ 
lung bayerischer Aerzte wurden die Herren Schuh, Mainzer, 
S t a u d e r und Steinheimer gewählt, in den Rat geistiger Ar¬ 
beiter die Herren Mainzer und Staude r. 

Die Versammlung ist mit dem Vorschlag der Referenten ein¬ 
verstanden, dass die bayerische Aerzteschaft auf folgende Weise 
organisiert wird: 

Bezirksvereine: Aerztekammer, bestehend aus Vertretern der 
Bezirksvereine. 

Landesausschuss: bestehend aus Vertretern der Bezirksvereine 
bzw. der Aerztekammern. 

Vorstandschaft des Landesausschusses am Sitze der Regierung, 
also in München. 

Bayerischer Aerztetag abzuhalten vor dem deutschen Aerztetag, 
Geschäftsstelle in München. 

Eigenes Publikationsorgan. 


Kleine Mitteilungen. 

Therapeutische Notizen. 

Skeptisches zur Bolusbehandlung der Darm¬ 
erkrankungen teilt Theodor Z1 o c i s t i - Berlin mit. 

Durch Beobachtung bei zahlreichen Sektionen fand ZI. die Er¬ 
klärung für die Tatsache, warum die Bolustherapie bei so vielen 
Darmerkrankungen wirkungslos bleibt. Der Ton verliert im Darm¬ 
kanal seine staubförmige Konsistenz und ballt sich zu Klumpen 
zusammen, die eingehüllt oder gemischt mit Schleim ihre aus¬ 
trocknende Wirkung nicht entfalten können. Oft regen gerade diese 
Tonmassen die Darmschleimhaut zu einer regeren Schleimbildung 
an, so dass das Gegenteil von dem Erstrebten erreicht wird. 

Ausserdem schildert ZI. einen Fall, wo es nach Genuss von 
800g Bolus zu einer vollkommenen Verlegung des Darmlumens ge¬ 
kommen war, so dass 17 Tage lang eine vollständige Obstipation 

Digitized by Google 


bestand. Erst nach „Geburt“ eines 600 g schweren Kotsteines kam 
es zum Abfluss des gestauten Sekretes und im Anschluss daran zur 
Ausheilung des geschwtirigen Prozesses. 

ZI. warnt vor der Bolustherapie bei allen geschwürigen Pro¬ 
zessen, wo nur zu leicht durch den Ton Verstauung und Verstopfung 
mit allen Folgeerscheinungen zu befürchten ist. 

Ther. Mh. 1918. 10. H. Thierry. 

E. F u 1 d und M. Katzenstein beanspruchen die Priorität 
in der Antifermentbehandlung des runden Magen¬ 
geschwürs. Ihr von der Firma Freund & Redlich, Berlin her¬ 
gestelltes Präparat Amynin (von abwehren) stellt eine Ver¬ 

bindung von einem seiner safttreibenden Eigenschaften entkleideten 
Blutserum mit Neutralon dar. Die Verfasser haben mit diesem 
Präparat günstige Erfolge erzielt, über die F u 1 d schon berichtet 
hat, so bereits 1909 auf dem Kongress für innere Medizin. 

Ther. Mh. 1918. 10. H. T h i e r r y. 


Tagesgeschichtiiche Notizen. 

München, den 30. November 1918. 

— In diese Zeit bitterster Not und tiefster Erniedrigung unseres 
Vaterlandes, da der Feind deutsches Gebiet besetzt und die Heim¬ 
kehr unserer braven Truppen unter so anderen Umständen, als wir 
es, ach, geträumt hatten, den heissen Schmerz in der Seele auiw'ühlt, 
fällt ein Gedenktag, der in glücklicheren Zeiten von der Wissenschaft 
und besonders von München als ein Fest gefeiert worden wäre: der 
100. Geburtstag Max v. Pettenkofers (3. Dezember). Der 
Verein „Pettenkoferhaus“ München, dem die Errichtung eines dem 
Andenken Pettenkofers gewidmeten wissenschaftlichen Ver¬ 
einshauses in München obliegt, hatte beabsichtigt, gemeinsam mit der 
Stadtgemeinde, deren Ehrenbürger Pettenkofer war, die feier¬ 
liche Grundsteinlegung des Pettenkoferhauses an diesem Tage vor¬ 
zunehmen. Aber es ist jetzt in Deutschland nicht Zeit zu Festen. 
So unterblieb die Feier und es erübrigt uns nur, an dieser Steile 
an den Tag und an den Mann, den er uns geschenkt hat, mit 
wenigen Worten zu erinnern. Man ist in neuerer Zeit, sehr mit 
Unrecht, geneigt, die Bedeutung Pettenkofers geringer anzu¬ 
schlagen, weil seine Anschauungen über die Verbreitung von Typhus 
und Cholera sich als unhaltbar erwiesen haben. Aber abgesehen 
davon, dass die Grundlage der Bodentheorie Pettenkofers, der 
Zusammenhang zwischen Grundwasserschwankungen und Typhus- 
und Cholerahäufigkeit, zu Recht besteht und nur in seiner ursäch¬ 
lichen Bedeutung noch nicht erkannt ist, bleibt Pettenkofers 
Verdienst um die Wissenschaft sowohl, wie um das Volkswohl noch 
so überragend, dass er für alle Zeiten unter den Wohltätern der 
Menschheit genannt werden wird. Pettenkofer hat zuerst die 
Faktoren der Aussenwelt, die auf die Gesundheit des Menschen ein¬ 
wirken, umfassend systematisch untersucht und gewürdigt; er hat 
dadurch ein ungeheueres Tatsachenmaterial herbeigebracht und 
durch dessen geordnete Zusammenfassung den mächtigen Bau der 
wissenschaftlichen Hygiene, als deren Begründer wir ihn verehren, 
errichtet. Er hat es wie kein anderer verstanden, für seine Ge¬ 
danken und Lehren Schule zu machen und durch eine grosse Zahl 
ausgezeichneter Forscher, die aus seinem Institut, dem ersten hy¬ 
gienischen Institut Deutschlands, hervorgegangen sind, die neuen 
Erkenntnisse zu verbreiten und dadurch Gesundheit und Wohlfahrt in 
aller Welt zu fördern. Wir dürfen es, ohne die Errungenschaften der 
bakteriologischen Forschung zu unterschätzen, zu einem guten Teile 
der von Pettenkofer betriebenen Assanierung der Städte und 
gesundheitlichen Aufklärung der Bevölkerung zuschreiben, wenn die 
Seuchen verschwanden, die Sterblichkeit unausgesetzt abnahm und 
die Bevölkerung anspruchsvoller wurde in bezug auf die Not¬ 
wendigkeiten zum gesunden Leben. Auch auf anderen Gebieten hat 
sich Pettenkofers vielseitiger Geist fruchtbar erwiesen. Die 
Technik verdankt ihm einige bedeutsame Bereicherungen (u. a. ein 
ingeniöses Verfahren zur Wiederherstellung alter Gemälde) und in 
der Chemie hat sein Genius die Entdeckung einer grundlegenden Tat¬ 
sache, das Gesetz der Periodizität der Atomgewichte, angebahnt. 
Man kann an Pettenkofers wissenschaftliche Arbeit nicht denken, 
ohne dass das Bild des prächtigen Menschen in der Erinnerung auf¬ 
steigt. In ihm verschmolz Wesen und äussere Erscheinung zu voll¬ 
kommener Harmonie. Wie sein Charakter, sein Denken, sein Stil, 
so war der ganze Mensch, seine Züge, sein Auge: wuchtig, bestimmt, 
klar, im Grunde des Herzens aber gütig und treu, bescheiden und 
einfach, ein echter deutscher Mann, ein echter Bayer. Wir haben 
seines Gleichen nicht mehr gesehen. — Mit den Münchener Aerzten 
stand Pettenkofer auf freundschaftlichstem Fusse; sie danken 
ihm für die vielen Anregungen, die er ihnen gab, durch treue An¬ 
hänglichkeit. Das zu errichtende Zentrum der wissenschaftlichen 
und gesellschaftlichen Bestrebungen der Münchener Aerzte wird, 
wie erwähnt, als „Pettenkoferhaus“ seinen Namen dauernd erhalten 
und das Ex libris der Bibliothek des Aerztlichen Vereins, das 
Pettenkofers Bildnis trägt, soll stetig an das grosse Ehren¬ 
mitglied des Vereins erinnern. — Eingehende Würdigungen der Per¬ 
sönlichkeit Pettenkofers brachte die M.m.W. an seinem 80. Ge¬ 
burtstag aus der Feder Hans Büchners (1898 Nr.48), bei seinem 

Original from 

UNIVERSUM OF CALIFORNIA 



3. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1393 


Tod aus der Feder K. B. Lehmanns (1901 Nr. 12) und bei der 
Enthüllung des Pettenkoferdenkmals aus der Feder Max v. Oru- 
b e r s. Die Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher ent¬ 
hält von Petten kofer 3 Bildnisse: Blatt 4, 1891, Blatt 88, 1898 
(Jugendbild) und Blatt 242, 1909 (Kopf des Denkmals). 

— Kaiser Wilhelm hat am 28. November in seinem 
holländischen Zufluchtsort eine Urkunde unterzeichnet, worin er auf 
den Tron verzichtet und die Beamten und Offiziere des Treueides 
entbindet. 

— Der Rat der Volksbeauftragten (eine ganz irreführende Be¬ 
zeichnung) in Berlin hat am 29. November eine Verordnung über die 
Wahlen zur deutschen Nationalversammlung 
(Reichswahlgesetz) angenommen. Die Wahlen sollen vorbehaltlich 
der Zustimmung der am 16. Dezember zusammentretenden Reichs¬ 
versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands am 
16. Februar 1919 stattfinden. 

— Die Tagespresse meldet: „Zum 2. Dezember ist beim Reichs¬ 
arbeitsamt eine Zusammenkunft zwischen den Krankenkassen und 
Aerzten einberufen. Diese Beratung wird noch einmal eine Ver¬ 
ständigung über die Streitpunkte zwischen Aerzten und Krankenkassen 
herbeizuführen versuchen. Sollte eine Verständigung nicht erreicht 
werden, so wird das Reichsarbeitsamt durch den Rat der Volks¬ 
beauftragten eine Verordnung erlassen, die die bestehenden Streit¬ 
punkte regelt.“ 

Diese Nachricht klingt wie ein Ultimatum an die Aerzte. Die 
Aerzte werden es in den bevorstehenden Verhandlungen an Ver¬ 
ständnis für die Bedürfnisse der Krankenkassen und an Opferwillig¬ 
keit nicht fehlen lassen. Es gibt aber eine von der Rücksicht auf die 
eigene Existenz' gezogene Grenze, die nach den bisherigen Er¬ 
fahrungen von den Kassen nicht immer geachtet wird. Wenn diese 
Grenze überschritten wird, wäre der Beweis zu liefern, dass ein nur 
mit dem guten Willen der Aerzte zu lösender Konflikt über deren 
Kopf hinweg durch einfache Verordnung nicht entschieden werden 
kann. 

— Ein Erlass des bayer. Ministeriums für militärische Angelegen¬ 
heiten vom 22. November, betr. Entlassung unmittelbar 
vom Feldtruppenteil, enthält unter C. Gesundheiliche Mass¬ 
nahmen folgende Bestimmungen: 

1. Vor der Abbeförderung sind die Militärpersonen aller 
Dienstgrade auf übertragbare Krankheiten einschliesslich Ge¬ 
schlechtskrankheiten zu untersuchen. 

2. a) Eine Abbeförderung darf unter keinen Umständen statt¬ 
finden, wenn eine gemeingefährliche Krankheit (Aussatz, Fleck¬ 
fieber, Gelbfieber, Pest, Pocken) oder ein entsprechender Krank- 
helts- oder Ansteckungsverdacht vorliegt und eine Absonderung auf 
Grund des Reichsseuchengesetzes angeordnet oder anzuordnen ist. 
Dasselbe gilt beim Vorliegen einer übertragbaren Krankheit, für die 
nach den Landesseuchengesetzen eine Absonderung vorgesehen ist. 

b) Personen mit sonstigen ansteckenden Krankheiten, ansteckend 
Geschlechtskranke, Ansteckungs- und Krankheitsverdächtige. sowie 
Keimträger dürfen» wenn die Voraussetzung zu a nicht vorliegen, 
von der Abbeförderung gegen ihren Willen nicht ausgeschlossen 
werden; sie sind auf die Gefahr der Weiterverbreitung der Krank¬ 
heit, insbesondere der Gefährdung ihrer Familienangehörigen, ent¬ 
sprechend aufmerksam zu machen und auf die Notwendigkeit einer 
ärztlichen Behandlung hinzuweisen. Mit ihrem Einverständnis 
können sie einer Sanitätsanstalt zur kostenlosen Behandlung über¬ 
wiesen werden. 

c) Eine Abbeförderung muss ferner unterbleiben, wenn sie 
wegen der Schwere der Art der vorliegenden Krankheitserschei¬ 
nungen für die betreffende Person mit gesundheitlichen Gefahren 
verbunden ist, es sei denn, dass der Kranke trotz Hinweises auf diese 
Gefahren ausdrücklich darauf besteht und seinem Zustande ange¬ 
messene Transportmöglichkeiten vorhanden sind. Im letzteren Falle 
Vermerk in den Militärpapieren geboten. 

Während nach diesem Erlass der Geschlechtskranke gegen 
seinen Willen nicht von der Abbeförderung ausgeschlossen werden 
darf, enthält ein anderer Erlass über sanitäre Massnahmen bei der 
Demobilmachung folgende Sätze: „Mit ansteckenden Krankheiten 
behaftete Heeresangehörige werden in Lazaretten bis zum Erlöschen 
der Ansteckungsfähigkeit zurückbehalten. Dies gilt insbesondere 
auch für Geschlechtskranke.“ „Solche Geschlechtskranke, die bei der 
Entlassung nicht ansteckungsfähig sind, bei denen aber ein Rückfall 
nicht ausgeschlossen ist, sollen eindringlich von den Aerzten belehrt 
und ihnen die kostenlose Inanspruchnahme der in allen Regierungs¬ 
bezirken von den Versicherungsämtern eingerichteten Beratungs¬ 
stellen für Geschlechtskranke empfohlen werden.“ Es besteht ein 
offenbarer Widerspruch zwischen beiden Anordnungen. 

— Der „Berliner Assistentenausschuss“ ersucht uns um Auf¬ 
nahme nachstehender Mitteilung: „Die Assistenten der Berliner medi¬ 
zinischen Universitätsinstitute und -kliniken haben sich zusammen¬ 
geschlossen und einen Ausschuss gewählt, dessen Schriftführer Prof. 
Dr. C i t r o n, II. Med. Klinik der Charitee ist. Es ist wünschens¬ 
wert, dass an anderen Universitäten ein gleicher Zusammenschluss 
erfolgt.“ 

— Man schreibt uns aus Wien: In zwei sehr bewegten Ver¬ 
sammlungen haben die ärztlichen Kriegsteilnehmer 
Deutsch-Oesterreichs ihre Wünsche und Forderungen bekannt- 

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gegeben. Sie fordern: Grundsätzlich sind alle von Staat, Land oder 
Gemeinde zu vergebenden Stellen mit deutsch-österreichischen 
Kriegsteilnehmern neu-, resp. wiederzubesetzen. Eine Zentralstelle 
für Evidenz und Verteilung der Aerzte ist sofort zu schaffen. Die 
Reserveärzte sollen einen Wirtschaftsbeitrag als Abfertigung, ferner 
Steuererleichterungen erhalten. Prof. Tandler, der Führer und 
Vertrauensmann der jüngeren Aerztegeneration Deutsch-Oesterreichs, 
konnte den Kollegen, die aus dem Felde kommen, folgendes mit- 
teilen: Es ist in Aussicht genommen, den ärztlichen Kriegsteilnehmern 
die Gehälter bis zum 1. April .1919 zu sichern; die Stellen, welche 
die Kollegen vor dem Kriege innegehabt haben, wieder zu ver¬ 
schaffen; den jüngeren Kollegen, den „Kriegsärzten“, die Möglichkeit 
zu bieten, Fortbildungskurse zu besuchen und während dieser Zeit 
von Nahrungsorgen frei zu sein. — Wie sich die nächste Zukunft 
der deutsch-österreichischen Aerzte gestalten werde, das ist derzeit 
noch nicht zu beantworten. Man rechnet für die nächste Zukunft 
mit einem Ueberschusse von mindestens tausend Aerzten in Deutsch- 
Oesterreich. 

— Zentralauskunftsstelle für die Arbeitsver¬ 
mittlung der f r e i w i 1 i ge n Krankenpflege. Auf Veran¬ 
lassung des stellvertretenden Militärinspekteurs der freiwilligen 
Krankenpflege hat das Zentralkomitee der Deutschen Vereine vom 
Roten Kreuz die Errichtung einer Zentralauskunftsstelle für die 
Arbeitsvermittlung des demobilisierten Kriegskrankenpflegepersonals 
übernommen. Diese neue fachmännisch geleitete Abteilung des Roten 
Kreuzes wird bestrebt sein, im Zusammenwirken mit den grossen 
bewährten beruflichen Organisationen der Krankenpflege und den ge¬ 
meinnützigen Arbeitsnachweiseinrichtungen dafür Sorge zu tragen, 
dass die aus dem Kriegsdienst zurückkehrenden Angehörigen der frei¬ 
willigen Krankenpflege nach Möglichkeit Arbeitsgelegenheit erhalten. 
Die Verwaltungen der Krankenhäuser, Heilanstalten, Kliniken usw., 
ferner die Aerzte und das Publikum werden ersucht, Bedarf an 
Pflegepersonal schon jetzt sofort der Zentralauskunftsstelle (Berlin 
W. 35, Karlsbad 23) unter genauer Angabe der Einstellungsbedingungen 
schriftlich mitzuteilen. 

— Der Vorstand des Thüringischen Medizinalbeamtenvereins 
(Scheube, Brauns, Neu haus, Nützenadel, Osswalt) 
und der Vorstand des Sachsen-Weimarischen Medizinalbeamten¬ 
vereins (Brauns, Michael, Renner) haben an Professor 
Rössie-Jena eine Adresse gerichtet, in der sie ihm im Namen 
der beiden Verine ihre volle Zustimmung und die Anerkennung seines 
Verhaltens in dem Falle des Prof. Henkel aussprachen. Jeder 
von ihnen sei davon überzeugt, dass Rössle durchaus richtig und 
seinen Pflichten entsprechend vorgegangen sei; sie alle würden in 
gleichem Falle ebenso gehandelt haben. 

— Die Metallberatungs- und Verteilungsstelle für ärztliche Ap¬ 
parate und Instrumente, Berlin 24, Ziegelstrasse 30, ersucht uns um 
Aufnahme des Nachstehenden: Sparmetalle für Friedens¬ 
zwecke. Alle Betriebe, die Kupfer, Zinn, Aluminium, Zink, Blei 
und Nickel oder deren Legierungen zu Fertigwaren verarbeiten und 
noch nicht an eine der bestehenden Metallberatungs- und Verteilungs¬ 
stellen angeschlossen sind, werden ersucht, ihre Firma zwecks Be¬ 
rücksichtigung bei der späteren Metallverteilung umgehend bei der 
Metallfreigabestelle, Charlottenburg 4, Bismarckstrasse 71 unter ge¬ 
nauer Angabe der herzustellenden Gegenstände anzumelden. 

— Die DeutscheorthopädischeGesellschaft (Vor¬ 
sitzender für 1919 A. S c h a n z-Dresden) wird im Jahre 1919 einen 
Kongress abhalten mit folgendem Programm: 1. Traumatische De¬ 
formitäten. 2. Die Endformen der Amputationsstümpfe. 3. Die Selbst¬ 
hilfe der Amputierten. 4. Versorgung der doppelseitig Oberschenkel¬ 
amputierten. 

— Das als Nr. 65 von Breitensteins Repetitorien er¬ 
schienene „Kurze Repetitorium der Medizinischen 
Terminologie“ (Medizinisches Taschenwörterbuch) erlebt seine 

3. Auflage. Es nennt keinen Verfasser, bekennt aber nach bewährten 
Vorbildern bearbeitet zu sein. (Verlag von Joh. Amb. Barth in 
Leipzig. Preis 3 M.) 

— Die Zensur hat während des Krieges auch den Aerzten und 
ärztlichen Schriftleitungen vielfach Verdruss bereitet, auch den¬ 
jenigen, die im vaterländischen Interesse gerne bereit waren, mili¬ 
tärischen Notwendigkeiten Opfer zu bringen; denn ihre Entschei¬ 
dungen waren oft unverständlich und haben manche Anregung, die 
dem ärztlichen Wissen zugute gekommen wäre, verhindert. Denen, 
die darunter zu leiden hatten, bereitet vielleicht das Buch von 
H. H. Houben: „Hier Zensur — wer dort? Antworten von 
gestern auf Fragen von heute.“ (Preis M. 3.60.) Genugtuung, das 
kürzlich im Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig erschienen 
ist. Es gibt eine Geschichte der Zensur seit Friedrich dem 
Grossen und zeigt an zahlreichen unterhaltenden „Zensurblüten“, 
dass Zensur und Unverstand zu allen Zeiten eng verbunden ge¬ 
wesen sind. Ein zweites Bändchen folgt. 

— Fleckfieber. Deutsche Verwaltung in Litauen. In der 
Woche vom 6.—12. Oktober 39 Erkrankungen. — Ungarn. In der 
Zeit vom 23.-29. September wurden 36 Erkrankungen (und 2 Todes¬ 
fälle) festgestellt. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 3.-9. November sind 
227 Erkrankungen (und 43 Todesfälle) gemeldet worden. 

— In der 45. Jahreswoche, vom 3.—9. November 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich- 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 49. 


keit Schwerin mit 108,4, die geringste Rüstringen mit 14,3 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬ 
storbenen starb an Keuchhusten in Graudenz. Vöff. Kais. Ges.A. 

Hoehschulnachrichten. 

•München. Als Nachiolger des an Influenza verstorbenen 
Prof. Dr. Brasch wurde Prof. Dr. Otto Neubauer, Assistent 
der 2. med. Klinik in München, zum Oberarzt der II. med. Abteilung 
im neuen städtischen Krankenhause München-Schwabing gewählt. 

Wien. Die neuernannten Professoren Arnold D u r i g (Physio¬ 
logie), Hans Fischer (medizinische Chemie) und Julius Meller 
(I. Augenklinik) haben ihre Vorlesungen begonnen. D u r i g unter¬ 
zog in einer Antrittsvorlesung die Ernährung der Wiener Bevölkerung 
während des Krieges einer ebenso strengen wie gerechten Kritik; 
die Ausführungen des Physiologen sollen, wie hier mitgeteilt wird, 
die Basis für die Nahrungsmittelaushilfe von seiten der Entente 
bilden. Die anderen Vakanzen an der Wiener medizinischen Fakultät: 
pathologische Anatomie, Laryngo-Rhinologie, Otiatrie, Zahnheilkunde 
sollen derzeit nicht besetzt werden; der Staatsrat Deutsch-Oester¬ 
reichs und das Staatsamt für Unterricht wollen vor der Konsoli¬ 
dierung der politischen Lage keine neuen Universitätsprofessoren er¬ 
nennen. 

Todesfälle. 

In Berlin starb der Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Heinr. S c h o e l e r, 
angesehener Berliner Augenarzt, 75 Jahre alt. 

Am 10. November starb im Alter von 49 Jahren Prof. Dr. Bruno 
Wolff, 1. Assistent am pathol. Institut Rostock, infolge einer Sepsis. 


In einem von Emil Abderhalden als I. Vorsitzenden ge¬ 
zeichneten 

Aufruf 

zum Eintritt in den Deutschen Aerztebund für Sexualethik. 

heisst es u. a.: 

Kollegen! Der grosse Verlust an blühenden Menschenleben an 
der Front, der schon vor dem Kriege mehr und mehr zunehmende 
Geburtenrückgang und vor allem die Tatsache, dass letzt die Zahl der 
Todesfälle die Geburtenziffer überbietet, alle diese Tatsachen von so 
weittragender Bedeutung stellen an uns Aerzte ganz besonders wich¬ 
tige Anforderungen. 

Das Wort „Bevölkerungspolitik“ umgreift die gewaltigsten, 
schwersten Aufgaben, die sich vor der Mehrzahl der europäischen 
Völker in der kommenden Friedenszeit auftürmen. Von diesen Fragen 
hat die Aerzteschaft den Kampf geigen die Geschlechtskrankheiten 
schon längst auf ihre Fahnen geschrieben. Es gibt nicht nur einen 
Weg, sie anzugehen. Der oberste Grundsatz bei dieser Seuchenbe¬ 
kämpfung ist der: Ihre Verhütung ist auf alle Fälle die wirkungs¬ 
vollere Aufgabe, als ihre Behandlung nach vollendeter Ansteckung. 
Ueber eins muss man sich bei dem Ziele, die Geschlechtskrank¬ 
heiten einzudämmen und, womöglich, auszurotten, im klaren sein! 
Illegitimen Verkehr gibt es ln sehr grossem Ausmasse. Wir 
Aerzte haben mit dem Vorhandensein der Geschlechtskrankheiten 
zu rechnen. Wir wissen, dass sie fortwährend übertragen werden. 
Es ist unsere Pflicht, jede Massregel zu unterstützen, die gegen ihre 
Verbreitung gerichtet ist. Wir dürfen jedoch anderseits uns der Tat¬ 
sache nicht verschliessen, dass alle die genannten Massregeln keinen 
absoluten Schutz gewähren. Sie enthalten in sich grosse Gefahren. 
Sie wiegen in Sicherheit! Dem steht entgegen, dass es ein ganz 
sicheres Mittel zum Verhindern der Geschlechtskrankheiten gibt: die 
Vermeidung des ausserehelichen Geschlechtsverkehrs! Diese Forde¬ 
rung ist gewiss schwer allgemein durchführbar. Wir Aerzte haben 
jedoch die Pflicht, uns für das Beste einzusetzen, auch dann, wenn 
der Schein dafür spricht, dass das erwähnte höchste Ideal niemals 
allgemein erreichbar ist. Unsere Stimme reicht weit! Und der 
Krieg selbst lehrte mit rauhem Zwang die Masse unserer Männerwelt 
wieder erkennen, dass diese Verhaltensweise für jeden bei gestellter 
ernster Aufgabe und bei gutem Willen möglich ist. Hunderttausende 
von Männern in der Vollkraft ihres Lebens wurden an das Dasein 
im Schützengraben gebunden und übten lange Zeit Abstinenz ohne 
wesentlichen Schaden an Leib und Seele. Einen harten Kampf gegen 
die Gewalt der Leidenschaft, gegen Vorurteil und Gewohnheit, gegen 
Verhältniswesen und Prostitution gilt es aufzunehmen! 

Erheben wir also auch unsere Stimme im Sinne einer sexuellen 
Reinheit! Dann werden wir Behörden und Volk aufmerksam machen! 
Presse und gesetzgebende Körperschaften werden wir nachhaltig 
beeinflussen können! Die Behörden können durch mancherlei Mass¬ 
nahmen frühzeitigere Heiraten ermöglichen und das Volk kanü zum 
Nachdenken gebracht werden. Immer noch veranlassen Geschlechts¬ 
krankheiten zahlreiche Fälle von Sterilität. Fortwährend wird Fa¬ 
milienglück zertrümmert. Weshalb sollen wir Aerzte angesichts 
dieser schweren Folgen nicht auch unsere Stimme in die Wagschale 
werfen und für Sexualethik eintreten? Es gilt nicht in philiströser 
Weise fruchtlosen Pharisäertums Tugend zu predigen. Wir wollen 
auf dem Boden der Tatsachen bleiben! Ein machtvoller, grosser 
Bund von Aerzten wird schon durch sein Dasein wirken! Darum 
Kollegen, schliesst Euch an! Bekämpfen wir vor allem den weitver¬ 
breiteten Gedanken, dass geschlechtliche Enthaltsamkeit dem ge¬ 
sunden Körper schade! Bekämpfen wir die verbreitete Gepflogen- 

DistÜ V«r^^0r L» Manch« sTw. 2, P«id Hey**tr. 26. - 


heit, den Geschlechtsverkehr so frühzeitig als möglich zu beginnen! 
Treten wir Aerzte für sittliche Reinheit ein! Erklären wir einmütig, 
dass sie kein leerer Wahn ist! Beschreiten wir als Aerzte auch diesen 
Weg zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten! Er ist der einzig 
sichere und hat Erfolge, sobald wir mannhaft zusammenstehen! Der 
junge Mann sieht sich nach Rat suchend um, wenn er das Elternhaus 
verlässt. Wohl findet er da und dort wohlmeinenden Rat, etwa bei 
Lehrern und Geistlichen. Gar bald ist dieser vergessen und übertönt. 
Viel wirksamer ist ohne Zweifel ein Mahnwort von seiten des Arztes, 
unser Eintreten für sittliche Reinheit! 

Goethe weise uns dann den Pfad zum praktischen „Wie?“! 
„Wer recht wirken will, muss nie schelten —, sondern nur immer 
das Gute tun!“ So lehrt er. Auf die lebendige, bejahende Tat 
kommts an! Es gilt den Sinn für Familien- und Elternglück, den eine 
ehrfurchtslose, aufs Sinnlich-Aeusserliche gerichtete Zeit zu zerstören 
drohte, wieder aufzurichten. Das aber bedeutet eine Hygiene im 
höchsten und edelsten Sinne. Dazu die werdende Generation, be¬ 
sonders auch der Aerzte, zu erziehen, ist die vornehmste Aufgabe 
der gegenwärtigen Zeit! 

Auf! Stehen wir zusammen wie e i n Mann auf diesem für das 
innerlich-völkische Gedeihen unseres Volkes wichtigsten Gebiete! 

(gez.) Emil Abderhalden, 1. Vorsitzender. 


Amtliches. 

(Bayern.) 

Verordnung, 

die Errichtung eines Ministeriums für Soziale Fürsorge betreffend. 

Die Regierung des Volksstaates Bayern verordnet, was folgt: 

§ 1. Zur Behandlung der sozialen Angelegenheiten wird ein be¬ 
sonderes Ministerium mit der Bezeichnung 

„Ministerium für Soziale Fürsorge" 

gebildet. 

§ 2. Der Wirkungskreis des Ministeriums iür Soziale Fürsorge 
umfasst die oberste Leitung der sozialen Angelegenheiten und die 
oberste Aufsicht auf die der sozialen Fürsorge dienenden Einrich¬ 
tungen. 

Hiezu werden dem Ministerium für Soziale Fürsorge aus dem 
Geschäftsbereich der Ministerien des Aeussern und des Innern fol¬ 
gende Geschäftsaufgaben übertragen: 

1. Die Behandlung der rechtlichen und wirtschaftlichen Ange¬ 
legenheiten der Arbeiter und Angestellten, insbesondere der 
Vollzug der hierauf bezüglichen Bestimmungen der ein¬ 
schlägigen Reichs- und Landesgesetze, 

2. die Leitung der Gewerbeaufsicht, 

3. die Ueberwachung des Arbeitsmarktes, namentlich die Ord¬ 
nung des gesamten Arbeitsnachweises und die Arbeitslosen¬ 
fürsorge, 

4. die Durchführung der Sozialversicherung, insbesondere der 
Vollzug der Reichsversicherungsordnung, des Versicherungs¬ 
gesetzes für Angestellte sowie der Unfalliürsorgegesetze, 

5. die Regelung des Wohnungswesens, einschliesslich der städ¬ 
tischen und industriellen Siedlung. 

§ 3. Dem Ministerium für Soziale Fürsorge sind unmittelbar 
untergeordnet: 

1. Das Landesversicherungsamt, 

2. die Kreisregierungen und das Oberbergamt einschliesslich 
der ihnen angegliederten Stellen bezüglich derjenigen zu 
ihrem Wirkungskreis gehörigen Gegenstände, die nach § 2 
dem Ministerium für Soziale Fürsorge übertragen sind, 

3. das Aibeitermuseum. 

§ 4. Mit der Uebertragung der vorstehenden Geschäftsaufgaben 
gehen alle bisherigen Zuständigkeiten der Ministerien des Aeussern 
und des Innern auf diesen Gebieten an das Ministerium für Soziale 
Fürsorge über. 

§ 5. Bezüglich des Landesbeirats für Industrie, Gewerbe und 
Handel wird besondere Regelung ergehen. 

§ 6. Die über den Wirkungskreis der Ministerien und den Ge¬ 
schäftsgang bei denselben bestehenden allgemeinen Vorschriften 
gelten auch für das Ministerium für Soziale Fürsorge. Im übrigen 
wird für den Geschäftsgang daselbst eine besondere Geschäftsord¬ 
nung erlassen. 

§ 7. Dem Ministerium für Soziale Fürsorge wird die erforder¬ 
liche Anzahl von Beamten zugeteilt. 

Die Aufgaben des Generalsekretärs werden einem Beamten nach 
Bestimmung des Ministers übertragen. 

§ 8. Die gegenwärtige Verordnung tritt sofort in Kraft. 

Die Minister des Aeussern, des Innern und der Finanzen sowie 
der Minister für Soziale Fürsorge sind mit dem Vollzüge betraut. 

München, den 14. November 1918. 

Die Regierung des Volkssta.ates Bayern. 

Der Ministerpräsident: Kurt Eisner. 

Der Minister für Soziale Fürsorge: Unterleitner. 

Druck von E. MflUthaler’« Bach- ua4 KtwrtdraütotdÄiü., Mflncfcao. 

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Medizinische Wochenschrift. 

OROAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Nr. 50. 10. Dezember 1918. 


Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Amulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heyse strasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag behüt sich daa ausschliessliche Recht der VenrieifUügung und Verbrdtang der ia dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Orlgmalbeitrlge vor. 


Originalien. 

Aus der Strahlenforschungsstelle der Reiniger, Oebbert & 
Schall A.-G. und aus dem Laboratorium der Allgemeinen 
Elektrizitätsgesellschaft 

Neue Fortschritte der Diathermie. 

Von Dr. Th. Christen, Dr. H. Hertenstein und 
Dr. Bergt er. 

In der Diathermie sind neuerdings zwei wesentliche Schritte 
nach vorwärts zu verzeichnen: klinisch besteht der Fortschritt 
in einer beträchtlichen Erweiterung des Anwendungsgebietes; es sei 
an dieser Stelle auf die Arbeiten von Lindemann 1 ) und von 
T h e i lh a b e r s ) verwiesen. Ein grosser technischer Fort¬ 
schritt wurde erreicht durch die Einführung der Elektronenröhren 
(hochevakuierte Glühkathodenröhren) als Erzeuger der elektrischen 
Schwingungen an Stelle der bisher üblichen Funkenstrecke. Auch 
hierüber ist bereits eine kurze Andeutung in der medizinischen Presse 
erschienen 3 ). 

Der Vorteil dieser technischen Neuerung ist ein doppelter: der 
schwache Punkt der Anordnungen alter Ausführungen liegt vor allem 
in der Funkenstrecke. Die Funken erzeugen beim Ueberschlagen 
bedeutende Wärme und greifen die Elektrodenmetalle schnell an; 
deshalb lässt sich ein zuverlässiger Betrieb nur bei dauerndem 
Ueberwachen und Nachstellen erreichen. Die abgenutzten Teile 
müssen häufig nachgearbeitet oder ganz ausgewechselt werden. Wird 
Alkohol zur Kühlung verwendet, so wird auf die Dauer der Geruch 
der entstehenden Dämpfe unangenehm empfunden; auch ist der Ver¬ 
brauch von Alkohol für die Betriebskosten nicht zu unterschätzen. 
Im Gegensatz hierzu arbeitet, wie aus den weiteren Ausführungen zu 
ersehen ist, ein Apparat, der anstelle einer Funkenstrecke mit einer 
Glühkathodenröhre versehen ist, durchaus störungsfrei und gleich- 
massig, ohne besondere Ueberwachung. Eine einmal eingesetzte 
Röhre ändert sich selbst nach hunderten von Betriebsstunden nicht 
in ihrem Verhalten. Ihr natürliches Ende erreicht sie im allgemeinen 
nur durch den Bruch des Glühdrahtes; ihre nutzbare Lebensdauer 
kommt deshalb derjenigen einer guten Glühlampe gleich. 

Zum zweiten aber ist die Leistungsfähigkeit der bisherigen 
Apparate etwas zu eng begrenzt. Für den Privatarzt allerdings, der 
in der Regel nur einen Patienten aufs Mal behandelt, reiohen die 
Leistungen der bekannten Diathermieapparate im allgemeinen aus, 
obgleich es auch da Fälle gibt, wo eine höhere Leistung erwünscht 
wäre (z. B. »Beckendurchwärmung). Wenn aber die neuen Anwen¬ 
dungsgebiete voll ausgenutzt werden sollen, dann werden alle be¬ 
deutenderen Kliniken gezwungen sein, -dauernd eine grössere Anzahl 
von Patienten mit einem einzigen oder mit wenigen Diathermie¬ 
apparaten zu behandeln. Je mehr Patienten gleichzeitig mit einem 
einzigen Apparat behandelt werden können, umso geringer werden 
die Spesen für Betrieb, Abnutzung der Apparate und Bedienungs¬ 
personal auf den Kopf des einzelnen Patienten sein. 

Auch hierin wird der im Folgenden beschriebene neue Apparat 
einen grossen Fortschritt bringen, indem er einen hohen Wirkungs¬ 
grad besitzt und viel grössere Leistungen gestattet als die bisherigen. 

Geschichtliches. 

Die Glühkathode in Entladungsrohren ist dem Arzt wohl zum 
ersten Male vor einigen Jahren in Gestalt der Coolidgeröntgenröhre 
entgegengetreten. Früher hatte sie schon auf dem Gebiet der Tele- 
phonie und drahtlosen Telegraphie zur Verstärkung schwacher Ströme 
Bedeutung gewonnen. Diese Verstärkerröhren sind dadurch gekenn¬ 
zeichnet, dass sie ausser der glühenden Kathode und der Anode eine 
dritte Elektrode besitzen, das „Gitter“. Dies ist ein metallisches 


. ‘) Weitere Erfahrungen in der Diathermie gynäkologischer Er¬ 
krankungen. M.m.W. 1917 S. 678. 

2 ) Die Erzeugung einer akuten Entzündung in den Unterleibs¬ 
organen. M.m.W. 1918 S. 877. 

*) Fassbender: Ein neuer Diathermieapparat. M.m.W. 1918 
S. 803. Selbstverständlich darf die von» Fassbender erwähnte 
gleichzeitige „Faradisation“ nicht auftreten. Tritt sie dennoch auf, 
so liegt ein- Konstruktionsfehler oder eine Beschädigung des Appa¬ 
rates vor. 


Nr 50. 


Digitized b' 


Google 


Netz oder Sieb, das im allgemeinen zwischen Anode und Kathode 
angebracht ist und zur Beeinflussung der Entladung dient, je nach der 
Spannung, die man Ihm erteilt. Bahnbrechend auf diesem Gebiete 
waren vor allem seit 1906 die Arbeiten von R. v. Lieben und 
Rei s s, denen in Amerika ähnliche von de Forest und anderen 
zur Seite gingen. Neuerdings ist es nun auch gelungen, mit solchen 
Röhren hochfrequente elektrische Schwingungen zu erzeugen. Dies 
ist einer der wichtigsten Erfolge der drahtlosen Telegraphie, und die 
Diathermie wird sich des neuen Verfahrens gleichfalls mit grösstem 
Vorteil bedienen, da >a die physikalischen Grundlagen beider An¬ 
wendungsgebiete gleich sind. Man verdankt diese Fortschritte den 
Arbeiten von Lan-gmuir, Graf Arco, Meissner, Armstrong 
u. a., von denen der erste anstelle der früher gashaltigen Röhren 
die Röhren mit reiner Elektronenentladung im höchsten Vakuum ein¬ 
führte, die anderen besonders die geeigneten Schaltungen angaben '). 

.Physikalische Grundlagen. 

Zum Verständnis dieser Schwingungserzeugung erinnere man 
sich an einige physikalische Grundlagen. Nach den neuen Anschau¬ 
ungen besteht der elektrische Strom in nichts anderem als in der 
Bewegung kleinster Elektrizitätsteilchen (Elektronen), die entweder 
ganz frei oder auch an Materie gebunden, sein können. Im elektrischen 
Strom wandern sie vom negativen zum positiven Pol. Hat man nun 
ein Entladungsrohr mit zwei Elektroden auf das Aeusserste luftleer 
gemacht, weit hinaus über das Vakuum einer gewöhnlichen Röntgen¬ 
röhre (lonenröhre), so kann- unter gewöhnlichen Umständen keine 
noch so hohe Spannung einen Stromübergang im Rohr von dem 
einen zum anderen Pol erzwingen. Im leeren Raum ist eben keine 
Materie vorhanden, die den Strom leiten könnte, und aus den Elek¬ 
troden können unter gewöhnlichen Verhältnissen keine Elektronen 
austreten. Wohl sind auf den Polen Elektronen vorhanden, die unter 
dem Einfluss der angelegten Spannung bestrebt sind, sich vom nega¬ 
tiven zum positiven Pol hinzubewegen. Ihr Austritt aus dem Metall 
der Kathode ist aber bei normaler Temperatur nicht möglich. In¬ 
dessen wird diese Bindung bei hoher Weissglut gelockert. Es können 
von ihnen um soviel mehr austreten und nach der Anode 'hinfliegen, 
je hoher die Temperatur der Kathode ist. Das Glühen der Kathode 
bietet demnach ein Mittel, um durch ein Enttadungsjfffäss von höch¬ 
ster Luftleere einen elektrischen Strom zu unterhalten, lind zwar ist 
diese Leitfähigkeit nur in einer Richtung voriianden. 

Man wird zwar bemerken, dass in solchen Röhren häufig beim 
Betrieb auch die Anode glüht. Diese Erscheinung aber ist neben¬ 
sächlich und nur durch den Aufprall der Elektronen verursacht, die 
im elektrischen Felde eine hohe Geschwindigkeit erlangt haben. Bei 
richtiger Konstruktion und normalem Betrieb steigt die Temperatur 
der Anode nie so hoch, um auch die Anode zur Aussendung von 
Elektronen zu befähigen und damit die Röhre auch im umgekehrten 
Sinne leitend zu machen. 

Die Stromleitung mittels Glühkathode im äussersten Vakuum be¬ 
folgt nun sehr einfache Gesetze. Die Menge der an der Kathode zur 
Verfügung stehenden Elektronen hängt von der Temperatur -der Ka¬ 
thode ab und wächst mit steigender Temperatur. Ob aber alle diese 
Teilchen nach der Anode hinfliegen oder nur ein Teil davon, hängt 
von der Höhe der angelegten Spannung ab. Bei einer bestimmten 
Temperatur der Kathode nimmt die Menge der nach der Anode hin- 
fliegenden Teilchen und damit die Stromstärke zu, wenn die ange¬ 
legte Spannung von kleinen Werten an* gesteigert wird. Der Strom 
erreicht schliesslich einen Höchstwert, der dadurch gegeben ist, dass 
alle aus dem glühenden Metall austretenden Teilchen nach der Anode 
hinfliegen. Eine weitere Erhöhung der Spannung Icann dann die 
Stromstärke nicht mehr vergrössem. Man nennt -diese Stromstärke 
„Sättigungsstrom“. Doch können nun durch weitere Temperatur¬ 
erhöhung der Kathode noch mehr Elektronen freigemacht werden, 
wodurch ein grösserer Sättigungsstrom zu erreichen ist. 

Hiernach hängt der Entladungstrom nur von der Temperatur 
der Kathode, die durch elektrische Heizung her gestellt wird, und der 
angelegten Spannung ab. Beide Werte lassen sich immer einfach und 
sehr genau einstellen und damit sind gleichmässige und jederzeit 
genau wiederholbare Betriebsbedingungen gegeben. Hierin liegt der 
grosse Vorteil der Hochvakuumröhrchen mit Glühkathode vor gas¬ 
gefüllten Röhren, z. B. Lautverstärkern odier Röntgenröhren alter 

4 ) Vergl. die letzten Jahrgänge des Jahrbuches der drahtlosen 
Telegraphie und Telephonie und Armstrong. Electrical World 
64. 1914. S. 1149. 

1 

Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 










MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


1396 


Art (Ionenröhrclien), deren Verhalten vollständig ur.d dauernd von 
der schwer kontrollierbaren Aenderung des Gasdruckes abhängt. 
Ebenso liegt hierin einer der Vorteile gegenüber der Funkenstrecke 
bei der Schwingungserzeugung begründet. 

Nun stelle man sich vor, dass in einem Entladungsgefäss d)er 
beschriebenen Art ein Drahtnetz zwischen Anode und Kathode an¬ 
gebracht wird, durch dessen Maschen die Elektronen hindurchfliegen 
müssen und dass dieses Gitter durch eine geeignete Vorrichtung auf 
beliebige positive oder negative Spannung gebracht werden kann. 
Es leuchtet ein, dlass jetzt die Bewegungen der Elektronen und damit 
die Stromstärke in weitgehendem Masse durch die Spannung des 
Gitters beeinflusst werden müssen. Wenn das Gitter gegenüber der 
Kathode positiv ist, so unterstützt es die Anziehung, die die Elek¬ 
tronen beim Austritt aus der Kathode von der Anode her erfahren, 
fördert damit ihre Bewegung und erhöht die Stromstärke. Hat es 
gleiche Spannung wie die Kathode, so wirkt es bereits als Hemmung. 
Ist es dagegen negativ gegen die Kathode, so stösst es die aus dieser 
austretenden Elektronen ab und bremst ihren Flug auf die Anode, 
ja es unterdrückt den Strom vollständig, wenn seine negative Span¬ 
nung genügend gross ist. 

Lässt man die Gitterspannung in periodischem Wechsel zwi¬ 
schen geeigneten positiven und negativen Werten hin- und her¬ 
schwanken, so ändert sich der Entladungsstrom in demselben Tempo, 
und man kann es erreichen, dass er von seinem Höchstwert auf Null 
sinkt, wieder zunimmt bis zum Höchstwert, wieder erlischt und so 
fort. Es gehen also Stromstösse in beliebig schneller Folge durch 
das Rohr hindurch und zwar im Zeitmass der Spannungsschwan¬ 
kungen des Gitters und nur in einer Richtung. Da die Elektronen 
den Aenderungen der Spannung augenblicklich folgen, so kann man 
die Stromstösse im Tempo schnellster elektrischer Schwingungen, 
also etwa 500 000 mal in der Sekunde erfolgen lassen, wenn man nur 
die Spannung des Gitters mit dieser Schnelligkeit hin- und her- 
schwingen lässt. 

Nun ist für die Erzeugung ungedämpfter elektrischer Schwin¬ 
gungen die Aufgabe zu lösen, einem Schwingungskreis die während 
der Schwingung verloren gegangene Energie dauernd regelmässig 
wieder zuzuführen, damit die Schwingungen unverändert weiter¬ 
gehen. Det Schwingungskreis besteht aus einem Kondensator und 
einer Drahtspule, deren Enden an d>ie Belegungen des Kondensators 
angeschlossen sind. ,Wird der Kondensator durch Anlegen einer 
Hochspannung geladen, so suchen sich die auf seine Belegungen ge¬ 
brachten Elektrizitätsmengen durch die Spule hindurch auszugleichen. 
Sie geraten hierbei in eine unter schnellem Wechsel hin- und her¬ 
gehende Bewegung, ähnlich wie ein. angehobenes Pendel, das nicht 
nur in die Ruhelage zurückkehrt, sondern darüber hinausschwingt, 
wieder umkehrt, und so fort. Ein in der Luft oder gar in Flüssig¬ 
keit schwingendes Pendel zeigt abnehmende Ausschläge und kommt 
schliesslich ganz zur Ruhe, weil es Arbeit leistet, indem seine Energie 
durch d<ie Reibung allmählich verzehrt und in Wärme umgesetzt wird. 
Wenn es dauernd weiterschwingen soll, so muss ihm die abgegebene 
Energie von aussen wieder ersetzt werden. Dies geschieht in vielen 
mechanischen Systemen, so z. B. bei der Pendeluhr dadurch, dass 
das Pendel bei'jedem Gang einen kleinen Anstoss von dem Steigrad 
erhält, das seine Energie wiederum aus dem Fallen der schweren 
Gewichte entnimmt. Aehnlich dem Pendel gibt auch der Schw-in- 
gungskreis eines Diathermieapparates dauernd einen Teil der in ihm 
schwingenden elektrischen Energie über den Patientenkreis an die 
Gewebe des Patienten ab, w r o sie in Wärme verwandelt wird. Um 
eine genügende Temperaturerhöhung hervorzubringen, muss diese 
Wärmemenge recht beträchtlich sein, und entsprechend gross ist die 
dem Schwingungskreis entzogene Energie, ähnlich etwa, wie bei 
einem in Oel, statt in Luft, schwingenden Pendel. Seine Schwin¬ 
gungen würden also sehr schnell erlöschen, wenn sie nicht fort¬ 
während neuen Energiezuwachs erhielten, gleich dem Anstoss des Pen¬ 
dels durch das Steigrad. Dies geschieht nun mit Hilfe des Entladungs¬ 
rohres. Es ist mit einer Energiequelle, z. B. einem Hochspannungs¬ 
transformator und dem Schwingungskreis so verbunden, dass perio¬ 
dische Spannungsschwankungen an der Gitterelektrode eine ununter¬ 
brochene Zufuhr neuer Energie aus der Elektrizitätsquelle auslösen. Da¬ 
mit diese Antriebe auch im richtigen Sinn und Augenblick erfolgen, 
muss ihr Tempo im Einklang stehen mit den eigenen Schwingungen 
des Kreises. Dies lässt sich erreichen, indem man die Spannung 
des Gitters, von deren Schwankungen ja die Stromstösse abhängen, 
von dem Schwingungskreis selber erzeugen lässt. Zu dem Zw r eck 
wird das Gitter einfach mit dem einen Pol einer Induktionsspule 
verbunden, deren, anderer Pol zur Kathode führt und diese Induktions¬ 
spule mit der Hauptspule des Schwingungskreises gekoppelt, d. h. 
ihrer Beeinflussung ausgesetzt. In der Induktionsspule entstehen 
dann Spannungsschwingungen, genau in dem Takt, in welchem im 
Hauptkreis die Elektrizität hin- und herschwingt. Sie lassen perio¬ 
disch Strom aus der Energiequelle dem Schw ingungskreis zufliessen, 
und hierdurch wird bei jeder Schwingung sofort der Ersatz für die 
an den Patienten abgegebene Energie gedeckt. 

Technik. 

Die technische Apparatur B ) dürfte hiernach ohne weiteres ver¬ 
ständlich sein. Sie wurde in der Strahlenforschungsstelle der 
Reiniger, Gebbert & Schall A.-G. ausgearbeitet, die Schwingungs¬ 
röhre von der Glühlampenfabrik der Allgemeinen Elektrizitätsgesell¬ 
schaft gebaut. Die Schaltung entspricht den in der drahtlosen Tele- 

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graphie verwandten. Sie wurde beibehalten, da sie einfach ist und 
einen guten Wirkungsgrad gibt. 

Der Bau der Schwingüngsröhre 
geht aus Fig. 1 hervor. Die Glüh¬ 
kathode K ist ein V-förmig gebogener 
Wolframdrabt, der beim Betrieb mit 
ca. 8 Amp. bei 12 Volt Spannung geheizt 
wird. Ihn umgibt ein Gitter G, be¬ 
stehend aus feinem Molybdändraht, der 
über ein Gestell gewickelt ist. Das 
Ganze wird von der zylinderförmigen 
Anode A aus Molybdänblech einge¬ 
schlossen. Die Verbindung der Innen¬ 
teile mit den Stromanschlüssen ist aus 
der Figur leicht zu ersehen. 

Die Gesamtschaltung ist in Fig. 2 
dargestellt. Der Schwingungskreis mit 
seinem Kondensator C und der Spule Si 
ist stark gezeichnet. Si wirkt indu¬ 
zierend auf die Spule Sa des Patienten¬ 
kreises und auf die Rückkoppelungs¬ 
spule S 3 , die dem Gitter die Spannungs- 
schwankungen erteilt. Je nach dem 
elektrischen Widerstand der Gewebe, 
die diathermiert werden sollen, müssen 
von der Patientenspule mehr oder we¬ 
niger Windungen eingeschaltet werden. 

Ausserdem kann durch Verschiebung der 
Rückkoppelungsspule gegen die Haupt¬ 
spule die dem Hauptkreis zugeführte 
Energie und infolge davon auch die an 
''den Patienten abgegebene Energie, kon¬ 
trollierbar an der Stromstärke im Pa¬ 
tientenkreis, fein abgestuft werden. 

Zum Betrieb dient Wechselstrom. 

Er speist über einen Regulierwiderstand 
den Heiztransformator, der den Strom 
zum Glühen des Kathodendrahtes liefert, 
und den Hochspannungstransformator, 
dessen Sekundärseite ca. 5000—6000 Volt 
Spannung gibt. Die Sekundärspule ist 
auf der einen Seite an den Schwingungs¬ 
kreis, auf der anderen an die Kathode 
des Rohres angeschlossen. Die Anode 
des Rohres führt zur anderen Be¬ 
legung des Kondensators. So wird die 
Spannung des Transformators durch 
die Entladungsrohre hindurch auf den 
Kondensator übertragen. 

Es muss bemerkt werden, dass 
der Apparat die hochfrequenten un¬ 
gedämpften Schwingungen nicht dauernd liefert, sondern nur wäh¬ 
rend derjenigen Halbperioden des Wechselstromes. w r ährend deren 
das mit der Glühkathode verbundene Ende der Sekundärspule negativ 
ist. Während der anderen Halbperiode kann wegen der einseitigen 

Fig. 2. 



ScMttX-Y 


A Anode. 

Gitterelektrodr. 
K Glühkathode. 


Rnode 


Gitter _ - 


Glühkathode - 


€ 


s 

£ 

~ Hauptschwing 
ungskneis 

T T 

Rückkoppl 

ngskreis ^ | 



_JlAAAAAAAAA _ 

< 

[ 

T 

/wwv Z 

hspannungs- 

Tsformator 



Heizstrom tpf 
amperemeter "y 1 
Heizsteom- f 
iransform j I 


1 jWW\M 


Leitfähigkeit der Röhre keine 
Aufladung des Kondensators 
stattfinden. Bei 50 periodigem 
Wechselstrom arbeitet also der 
Apparat abwechselnd wäh¬ 
rend einer hundertstel Sekunde 
und ruht dann wieder eine 
hundertstel Sekunde. Dies 
liesse sich mit weiteren Hilfs- 
mitteln oder durch Anwendung 
hochgespannten Gleichstromes 
vermeiden- indessen ist Lei¬ 
stung und Wirkungsgrad der Apparatur auch ohnedies so gut. -dass 
zugunsten der Einfachheit darauf verzichtet werden kann. 

Dies sind die Grundzfige der Erzeugung ungedämpfter Schwin¬ 
gungen mittels der Glühkathodenröhre. 


Anschluss an 
Wechselstrom 


a Regulier. 

3 widerstand 



5 ) In den Handel kann der neue Apparat zunächst nicht gebracht 
werden. Nach Befestigung der Friedenswirtschaft übernehmen den 
Vertrieb die Häuser Reiniger, Gebbert & Schall A.G. und Veifa- 
Werke. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 








10. Dezember 1018. 


MUENCHENEfc MED12INtSCHfi WOCHENSCHRIFT. 


mi 


Tabelle 1. 


Belastung 

Vergleichsapparat 1 

Vergleichsapparat II 

Vergleichsapparat III 

Diathermieapparat mit Elektronenröhre 

bei Einstellung „mitte!“ 

bei Einstellung „stark“ 

Diathermie¬ 

strom 

Hochfrequenz* 

lelstung 





Diatbermie- 

strom 

Hochfrequenz¬ 

leistung 

Diathermie¬ 

strom 

Hochfrequenz- 

leistung 

2 500-WatUampen parallel 

1 500-Wattlampe. 

5 50-Wattlampen parallel. . . 

3 75-Wattlampen in Serie 

3 500-Wattlampen parallel 

3,0 Amp. 
2,7 „ 

1,05 „ 

0,45 „ 

22,0 Watt 
129,0 „ 

143,3 ,, 

130,5 „ 

3,0 Amp. 
2,25 „ 

1,05 „ 

0,5 „ 

22,0 Watt 
93,2 „ 

143,3 „ 

162,5 „ 

2,3 Amp. 
2,35 „ 

0,9 

0,4 

■ 

10,6 Watt 
92,0 ,, 

95,0 „ 

100,0 „ 

5,6 Amp. 
3,45 „ 

1.2 „ 

0,5 „ 

291,0 Watt 

248,0 „ 

211,2 „ 
162,5 „ 

6,8 Amp. 

1,55 „ 

8,4 ' „ 

480 Watt 

6»' „ 

437 * „ 


Tabelle 2. Höchstleistung: Vergleichsapparat I 143,3 Watt; Vergleichsapparat II 162,5 Watt; Vergleichsapparat III 100 Watt; Diathermieapparat mit Elektronenröhre Ein¬ 
stellung mittel 291 Watt; Diathermieapparat mit Elektronenröhre Einstellung stark 520 Watt. 


Tabelle 3. 


Diathermie- Wärme- Diathermie- Wärme- Diathermie- Wärme- Diathermie- Wärme- Diathermie- . Wärme¬ 
strom Wirkung stiom »Wirkung ström | Wirkung ström Wirkung ström Wirkung 


Von Hand zu Hand. 

Rechter Oberschenkel von vorn nach hinten 
Beide Oberschenkel von vorn nach hinten 
Leber von vorne rechts nach hinten links . 

Von Schulter zn Schulter. 

Rechte Schulter von vorne nach hinten . . 


0,7 

2,5 

3,3 

2,65 

1,95 

2,5 


Amp. 


0,5 

M 

11,0 

7,0 

3,8 

6.3 


0,5 

2,95 

2,6 

2,6 

1,7 

2,5 


Amp. 


0,25 

9,0 

6,8 

6,8 

2,9 

6,3 


2,42 Amp 
2,4 „ 

25 „ 

2,2 „ 

1,75 „ 

2,1 ,. 


0,2 

5.8 

6.3 

4.8 
3,1 

4.4 


0,72 Amp 

4.8 „ 

5.8 „ 

3.3 „ 

2,45 „ 

4,2 „ 


0,5 

20,0 

34,0 

11,0 

6,0 

17,5 


1,1 Amp. 

> 

6,7 ,. 


1,2 


Das Zeichen > bedeutet, dass der Apparat mehr Strom hergab, als die Versuchsperson aushalten konnte. 


Ergebnisse. 

Nach -diesen Grundsätzen gebaute Apparate sind in neuester 
Zeit in unseren Laboratorien hergestelll und — einstweilen in be¬ 
schränkter Anzahl — dem klinischen Betrieb übergeben worden. 
Immerhin haben schon unsere eigenen Versuche Zahlen ergeben, 
die über die Leistungsfähigkeit der neuen Apparate keinen Zweifel 
aufkommen lassen. Sie sind in 3 Tabellen zusammengestellt. Die 
erste Tabelle gibt Aufschluss über Versuche, die an Glühlampen 
ausgeführt wurden. Man sieht ohne weiteres, dass, namentlich bei 
geringen- Widerständen, der neue Diathermieapparat mit Elektronen¬ 
röhre beträchtiich höhere Stromstärken gibt. In Tabelle 2 sind 
die Höchstleistungen jedes Apparates, aus Tabelle 1 entnommen, 
zusammengestellt. In Tabelle 3 sind die am lebenden Menschen 
gewonnenen Zahlen aufgeführt. Da die Wärmewirkurrg dem Quadrat 
des Stromes proportional ist, sind die entsprechenden Quadratzahlen 
in Tabelle 3 ebenfalls eingetragen. Man wird sich überzeugen, dass, 
je nach der Belastung des Apparates, die Wärmewirkung bei dem 
Diathermieapparat mit Elektronenröhre 2 bis 4 mal so stark ist, 
gegenüber den Vergleichsapparaten. 

Ueber die klinische Bedeutung der hier beschriebenen techni¬ 
schen Neuerung wird von anderer Stelle berichtet werden. 


Aus der bakteriologischen Abteilung der hygienisch-chemischen 
Untersuchungsstelle XIII. A.-K., Stuttgart. 

Studien zur Aetiologie der Influenza. 

(Vorläufige Mitteilung.) 

Von Dr. A. Binder, Prosektor am städtischen Krankenhause ] 
in Barmen, z. Zt. Stabsarzt und Vorstand des Laboratoriums 
und Dr. Prell, Privatdozent für Zoologie an der Universität 
Tübingen, z. Zt. Feldunterarzt am Laboratorium. 

I. 

Zur mikroskopischen Diagnose der Influenza. 

Von A. Binder. 

Bei kritischer Betrachtung der Literatur, wie sie im Laufe der 
diesjährigen Epidemie entstanden ist, über die Frage des Influenza¬ 
erregers, drängt sich uns die Ueberzeugung auf, dass der wirkliche 
Erreger bis jetzt noch nicht gefunden worden ist. Auffallend ist es 
schon, dass die Häufigkeit des Nachweises des Pfeiffer sehen Ba¬ 
zillus lokal so ungeheuer verschieden ist. Um nur ein Beispiel anzu¬ 
führen, so spricht Dietrich in seinen Beobachtungen aus dem Feld 
(Westen) diesen Bazillus nach seinen bakteriologischen und histo¬ 
logischen Erfahrungen als den Ereger an unter besonderem Hjnweis 
auf die verhältnismäsig frühzeitigen Stadien seiner Fälle, während 
in München von verschiedenen Untersuchern (Brasch-Obern- 
dorfer-Mand eibau an, Schöppler) der fragliche Bazillus 
nicht als Erreger anerkannt wird wegen der ganz überwiegend nega¬ 
tiven Befunde. Von einigen Untersuchern wird auf die Schwierig¬ 
keit des Kulturverfahrens für die Pfeifferschen Bazillen hin¬ 
gewiesen, so z. B. von Hüb sch mann und so die auffallenden Diffe¬ 
renzen zu erklären versucht. Auf den Standpunkt von Kruse 
(Aphanazoen) und -die wichtigen Versuche von Selter sei hier eben¬ 
falls hingewiesen. Auch bezüglich der anatomischen Befunde speziell 
in den Lungen scheinen lokale Unterschiede eine gewisse R-olle zu 
spielen. Darauf möchte ich jedoch an dieser Stelle jetzt nicht ein- 
gehen. Zweck dieser Zeilen, deren Erscheinen aus äusseren Grün¬ 
den sieb* hinauszögerte, ist vielmehr, auf einen bisher offenbar un¬ 
bekannten Befund hinzuweisen, den ich in einer Reihe von Fällen 
erheben konnte. Ich schicke voraus, dass es sich um Fälle von 
hämorrhagischer Bronchopneumonie handelt, die ich im Laufe des 

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zweiten Auftretens der Influenza bei uns in den Monaten September, 
Oktober, November zu sezieren Gelegenheit hatte. (Aus dem ersten 
Auftreten im Juni-Juli konnte ich kein anatomisches Material ge¬ 
winnen, da ich infolge von Krankheit mich in einem auswärtigen 
Lazarett befand.) Die Patienten standen alle im jugendlichen Alter 
und waren nur ein paar Tage krank, bevor es zum Exitus kam. Im 
Hinblick auf die Befunde Dietrichs gerade bei frischen Fällen 
suchte ich die Pfeiffer sehen Bazillen in Schnittpräparaten nach¬ 
zuweisen und gleichzeitig in Gram-Präparaten auch die ebenfalls von 
mancher Seite als Erreger angespröchenen Kokken, die aber sicher¬ 
lich nur eine sekundäre Rolle spielen. Was den letzten Punkt an¬ 
betrifft, so waren es vorwiegend Streptokokken von verschiedener 
Länge und Diplokokken, einmal auch in Tetraden liegende Kokken; 
diese Befunde sollen aber hier nicht eingehender berücksichtigt wer¬ 
den. Gleich im ersten Falle fielen mir im Karbolfuchsinpräparate 
(verdünntes Karbolfuchsin, differenzieren in Essigsäure-Alkohol) in 
grösseren Gruppen angeordnete rundliche Gebilde bei der Betrach¬ 
tung mit der Oelimmersion auf. ln der Mehrzahl der Fälle lagen sie 
in -den Saftspalten um die Gefässe herum; zunächst glaubte ich an 
eine intrazelluläre Lagerung, doch belehrten mich stärkere Vergrösse- 
rungen, dass dies nicht der Fall zu sein scheint. Die rundlichen oder 
unregelmässig gestalteten Körperchen zeigen wechselnde Korngrösse 
und keine feinere Struktur, sie erscheinen homogen. Was die Grösse 
der einzelnen Körnchen betrifft, so sind sie erbeblich kleiner als 
Kokken, liegen nicht etwa in Diploform beieinander, sondern einzeln 
in einem deutlich von der Umgebung abgrenzbaren Substrat ein¬ 
gebettet in grösseren Haufen beisamfflen, das Bild erinnert an die 
Lage der Eier im Froschlaich. Diese Einbettungsmasse passt sich 
ihrer Gesamtform nach offenbar präformierten Räumen an. 
Bisweilen bat man den Eindruck, als ob man ein Protozoon mit 
Pseudopodien vor sich hätte, was aber nicht der Fall ist; von einem 
Protozoenkern findet sich keine Spur. Ausdrücklich sei darauf hin¬ 
gewiesen, dass es sich selbstverständlich nicht etwa um Degenera¬ 
tionsprodukte von Zellkernen handelt. Weiterhin möchte ich darauf 
aufmerksam, machen, dass die Influenzakörperchen bisher nur an 
wenigen Stellen, an diesen aber gehäuft gesehen worden sind. In 
einem besonders interessanten Fall — Kombination von Tuberkulose 
mit einer Grippeiofektion — gelang es auch, die Körperchen, ebenfalls 
in die erwähnte Grundsubstanz eingebettet, intraalveolär nachzu¬ 
weisen, zwischen dem vorwiegend leukozytären Exsudat. Es han¬ 
delt sich hier in diesem Fall um die wichtige Frage: Ist es eine In¬ 
fluenzapneumonie oder ist es eine im Verlauf der klinisch vorher be¬ 
kannten Tuberkulose aufgetretene Bronchopneumonie, der man 
makroskopisch den spezifischen Charakter nicht ohne werteres .an¬ 
sieht. Durch den Nachweis der Influenzakörperchen, die ich in allen 
untersuchten Grippefällen, nicht aber in einer Reihe anderer entzünd¬ 
licher Lungenerkrankungen gefunden habe, glaube ich die klinische 
Diagnose auf gleichzeitiges Vorhandensein beider Erkrankungen be¬ 
stätigen zu können. 

Was die Darstellung der fraglichen Gebilde anbetrifft, so lassen 
sie sich, wie erwähnt, mit' verdünntem Karbolfuchsin gut färben. 
Ausserdem gibt Färbung mit Heidenhainschem Eisenbämato- 
xylin gute Bilder, etwas weniger gute, aber brauchbare diejenige 
mit W e i g e r t s Eisenhämatoxylin. Nach Gram lassen sich die 
Körperchen nicht färben, bei Giemsafärbung erscheinen sie intensiv 
blau, die Masse, in der sie liegen, biassrötlich bis ungefärbt, je 
nach dem Grade der Differenzierung. Das Untersuchungsmaterial 
war durchweg in Alkohol fixiert. Bezüglich der anderen Organe kann 
ich zur Zeit noch keine Angaben machen, aus den schon erwähnten 
Gründen fehlte mir die Zeit, mich vorerst damit zu befassen. Unter¬ 
suchungen darüber werden so bald als möglich folgen *). 


*) Einstweilen gelang es mir. in Trachea und Milz die Mikro¬ 
organismen nachzuweisen. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


























MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


IM 


Aus dem konstanten Befund in den untersuchten Fällen kann zu¬ 
nächst einmal der Schluss gezogen werden, dass die Körperchen sich 
für die Diagnose im Schnittpräparate der pneumonischen Lunge von 
Influenzakranken verwerten lassen, da sie andererseits bei den nicht 
durch die Grippe hervorgerufenen Pneumonien fehlen. Ob sie den 
Erreger selbst darsteMen oder 'Reaktionsprodukte desselben, lässt 
sich auf Grund dieser rem mrkrosporisehen Befunde noch nicht mit 
Sicherheit entscheiden. Vielleicht sind sie identisch mit dem von 
v. Angerer gesehenen filtrierbaren Virus, Versuche darüber sind 
noch im Gange. 

II. 

Der Erreger der Influenza. 

Von H e i n r i c h P r e 11. 

Von einer ganzen Reihe wichtiger Infektionskrankheiten ist es 
bekannt, dass die Aetiologie nicht einheitlich erscheint, da bei ihnen 
eine grössere Anzahl der Pathogenität verdächtige Organismen aul¬ 
treten können. In solchen Fällen pflegt der wahre Sachverhalt sp 
zu sein, dass ein bestimmter Organismus als der wirkliche Erreger 
anzusehen ist, während die anderen nur auf dem von ihm bereiteten 
Boden sich als seine Begleiter niederlassen, bald klinisch bedeutungs¬ 
los, bald das Krankheitsbild verändernd oder gar verschlimmernd. 
Als Beispiel kann die Aetiologie der ruhrartigen Erkrankungen dienen. 
(Die echte Ruhr der gemässigten Zone wird erregt von den eigent¬ 
lichen Dysenteriebakterien Bact. dysenteriae und B a c t. 
pseudodysenteriae in ihren verschiedenen Rassen, die als 
primäre Parasiten das Darmepithel zerstören. Auf der von ihnen 
beschädigten Darm wand können sich dann andere Organismen an¬ 
siedeln, und diese erhalten unter Umständen die dysenterischen Er¬ 
scheinungen aufrecht, manchmal unter völliger Verdrängung des ur¬ 
sprünglichen Erregers. Ein grosser Teil der vielen mutmasslichen 
Ruhrerreger — Streptokokken, Proteus, gewisse Kolf-Pleonten und 
andere Bakterien, wahrscheinlich auch Lamblien und Balantidien — 
dürften somit in der Regel weiter nichts sein, als sekundäre Parasiten, 
die als solche allerdings auch sehr wohl eine bedeutungsvolle Rolle 
spielen können. 

Diese Auffassung der Ruhr war mir von entscheidender Bedeu¬ 
tung für die Betrachtung der Grippe, als diese im verflossenen Som¬ 
mer zuerst bei uns auftrat. Von Anfang an wurde daher nicht nur 
nach dem in bezug auf seine pathogene Bedeutung vielfach ange- 
zweifelten Pfeifferschen Influenzabazillus gefahndet, sondern auch 
den übrigen Bakterien, welche beobachtet wurden, die nötige Auf¬ 
merksamkeit geschenkt, um etwaigen sonstigen regelmässig auf¬ 
tretenden Organismen auf die Spur zu kommen und so den eigent¬ 
lichen Erreger zu ermitteln. Streptokokken, Gram-negative (M i c r. 
ca tarrhalis-Gruppe) und Gram-positive <Micr. lanceo- 
latus- Gruppe) Diplokokken und anderes wurde dabei gelegent¬ 
lich geradezu in Reinkultur rm Auswurf von Grippekranken ange¬ 
troffen; andere, glasige Sputa schienen nahezu bakterienfrei zu sein; 
nur einmal glaubte ich hn frischen Ausstriche den Pfeiffer sehen 
Bazillus festgestellt zu haben, konnte ihn aber kulturell nicht isolieren, 
da ich selbst erkrankte. Bakteriologisch bot sich also bei dem ersten, 
sommerlichen Zug der Grippe'ein BiW, welches keinerlei Einheitlich¬ 
keit aufwies, und welches sich ganz dem einfügte, was mir vom 
Charakter veralteter Ruhr bekannt war. 

Gelang es schon mir selber, recht verschiedene Bakterien in 
einer Menge im Influenzasputum festzustellen oder daraus zu er- 
züchten, welche dringend dafür sprach, dass sie die Erreger der 
Krankheit seien, so lehrt ein Ueberblick über die Literatur, dass ein 
gleiches anderen Untersuchern in vielleicht noch grösserem Mass- 
stabe begegnet war. Dementsprechend sind es auch die verschie¬ 
densten Bakterienarten, welche als Ereger der Grippe angesprochen 
worden sind. Die Einheitlichkeit des epidemischen Auftretens wies 
demgegenüber auf eine Einheitlichkeit des Grippeerregers hin. Das 
zwang zu der Vermutung, dass keines der Bakterien tatsächlich die 
ihm zugeschriebene Rolle spiele, sondern dass die festgestellten Bak¬ 
terienart sämtlich nur sekundäre Parasiten seien, während der pri¬ 
märe Parasit, der echte Grippeerreger, noch unbekannt war. Dem 
Verdachte, dass es sich dabei um einen Organismus aus dem Kreise 
der filtrierbaren Vira handeln -möge, konnte nicht nachgegangen 
werden. 

Als dann im Herbste die zweite Grippeepidemie durchs Land 
zog, wurden die Untersuchungen insofern auf eine neue Basis gestellt, 
als jetzt zur rein bakteriologischen Untersuchung noch die patho» 
logisch-anatomische Verarbeitung von Sektionsmaterial an Grippe 
Verstorbener durch Dr. Binder hinzutrat. 

Bereits beim histologischen Studium des ersten Falles fielen 
Dr. Binder eigenartig gehäufte Granula auf, welche er im fuchsin¬ 
gefärbten Lungenschnitte fand. Ich sprach dieselben sofort als Chla- 
mydozoen an. Von dem Augenblicke an waren wir gemeinsam be¬ 
strebt, der Bedeutung dieser Granula nachzugehen. 

Trotz der überragenden Wichtigkeit der Frage war es leider 
nicht möglich, die Untersuchungen in dem erforderlichen Masse zu 
beschleunigen, da die wachsende Ueberlastung mrt laufenden Arbei¬ 
ten bei gleichzeitiger Reduzierung des Personales und die dienstliche 
Aufforderung, von wissenschaftlicher Tätigkeit abzusehen, die Mög¬ 
lichkeit zur Fortsetzung der Untersuchungen fast ganz abschnitt. Das 
Erscheinen einer Arbeit von v. A n g er e r, welche das gleiche Pro¬ 
blem von anderer Seite in Angriff nimmt, zwingt aber dazu, die bis¬ 
her gewonnenen Resultate schon vorläufig zu veröffentlichen, zugleich 

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in der Hoffnung, dass dieselben anregend für weitere Studien von 
anderer Seite wirken mögen. 

Die Organismen, über deren Vorkommen bei sämtlichen unter¬ 
suchten Grippefällen und über deren diagnostische Bedeutung zur 
Erkennung der Grippe bereits im pathologisch-anatomischen Teile 
dieser Mitetilung berichtet worden ist, Hessen sich, wie gesagt, in 
Schnitten leicht färben mit Eisenhämatoxylin nach Heidenhain, 
mat Eisenhämatoxylin nach Weigert, mit verdünntem Karbol¬ 
fuchsin nach Ziehl-Pfeiffer und mit Methylen-Azur-Eosin nach 
G i e m sa; zur Fixierung .diente Alkohol. Die Granulagruppen waren 
keineswegs im ganzen Präparat verbreitet, sondern beschränkten sich 
in ihrem Vorkommen auf gewisse herdartige, spärlich verstreute 
Stellen, an denen sie dann wieder in grösserer Anzahl nahe bei¬ 
einander vorkamen. Im Ausstrichpräparate der frischen Lunge 
konnte ich bislang trotz verschiedener Färbemethoden die Granula 
noch nicht mit Sicherheit nachweisen. 

Die einzelnen Individuen des fraglichen Organismus erschienen 
als stark färbbare Körnchen, welche von einem schwächer färbbaren 
Hofe umgeben waren. Besonders schön trat das bei Eisenhäma- 
toxylinfärbung zutage, bei welcher das Korn tiefschwarz, der Hof 
leicht grau gefärbt erschien, beide im Farbentone etwa den Kernen 
bzw. dem Plasma des Alveolarepithels entsprechend. Bei Giemsa¬ 
färbung war das Körnchen tiefblau, der Hof darum rötlich oder 
ungefärbt. 

Meist waren die Körnchen zu Komplexen vereinigt, deren Grösse 
recht erheblich schwankte und oft über 30 n betrug. Die Höfe 
der Einzelkörnchen waren dann verflossen zu einem gemeinsamen 
Substrat, welches wie ein einheitlicher amöbenähnlicher Organismus 
die Oewebszellen oft geradezu kappenartig umfassend sich zwischen 
dieselben eanschob oder an gestreckten Bindegewebsfasern entlang 
zu kriechen schien. Niemals fand ich die Körnchen oder Körnchen¬ 
gruppen innerhalb der Gewebszellen. Die Grösse der einzelnen Körn¬ 
chen in demselben gemeinsamen Plasmodium war mehr oder weniger 
gleich, in verschiedenen war sie oft nicht wenig verschieden, so dass 
man feinkörnige und grobkörnige unterscheiden konnte. Der Durch¬ 
messer des Einzelkornes betrug ungefähr 0,3—0,6 ß, die Entfernung 
der Einzelkörner voneinander innerhalb des Plasmodiums mass etwa 
die Hälfte bis das Zweifache des Körnchendurchmessers. Welcher 
Art der Hof bzw. die Grundsubstanz der Parasitengruppen sei, ob es 
sich um einen integrierenden Bestandteil des Organismus handelt 
oder um eine an die Gallerte einer Zooglöa erinnernde sekretartige 
Zwischensubstanz, muss dahingestellt bleib.en. Die Körnchen selbst 
waren nicht scharf begrenzt und wiesen in ihrer Form eine nicht un¬ 
erhebliche Verschiedenheit auf. Die Mehrzahl war rundlich, viele un¬ 
regelmässig eckig: eigentliche Hantelformen wurden nicht beobachtet, 
doch mögen die etwas grösseren und gestreckteren Individuen, denen 
man gelegentlich begegnet, als Teilungsformen aufzufassen sein. 
Selbst bei stärkster Vergrösserung (Zeiss Apochromat 1,5 mm und 
Komp.-Oc. bis 18) Hessen sie eine besondere Struktur nicht erkennen: 
insbesondere wiesen die grösseren keinen, abgrenzbaren zentralen 
Teil auf. Ebensowenig fand ich ie ein besonderes, bei Giemsafärbung 
etwa rot erscheinendes, zentrales Korn darin, und auch die kleinsten 
Individuen färbten sich stets blau. i 

Weitere Einzelheiten über den Bau der fraglichen Organismen 
konnten bisher nicht ermittelt werden. Der Vergleich mit Original¬ 
präparaten von Fleckfieberläusen und Febris Wolhynica-Läusen, welche 
mir von Herrn Dr. da Rocha-Lima überlassen worden waren, 
liess eine gewisse Aehnlichkeit der Influenzakörperchen mit den 
bei diesen vorhandenen Rickettsien nicht verkennen. Der Vergleich 
mit dem systematisch sicher viel näherstehenden Erreger der Peri¬ 
pneumonie der Rinder oder mit anderen ähnlichen Organismen konnte 
leider noch nicht vorgenommen' werden. 

Da eine Verkennung dieses bei der Grippe vorkommenden Or¬ 
ganismus nicht möglich ist, erscheint es berechtigt, für denselben einen 
Namen einzuführen. Als solchen schlage ich die Bezeichnung A e n i g- 
moplasma influenzae gen. nov., spec. nov. vor. Der Beweis 
dafür, dass derselbe der eigentliche Erreger der Influenza ist, muss 
erst durch seinen regelmässigen Nachweis bei Obduktionen von 
Grippekranken festgestellt werden. Die Wahrscheinlichkeit dürfte un¬ 
bedingt für seine ätiologische Bedeutung sprechen. 

Die Tatsache, dass Bakterien auf einem von Chlamvdozoen vor¬ 
bereiteten Boden sich ansiedeln und dadurch den Krankhertsverlaut 
beeinflussen können, wie dies etwa bei septischer Pneumonie nach In¬ 
fluenza durch Streptokokken der Fall ist, steht keineswegs verein¬ 
zelt da. Aehnliches ist vom Fleckfieber, den Pocken und von anderen 
CMamydozoenkrankheiten bekannt und wurde bereits von Pro¬ 
wazek als synergetische Symbiose gekennzeichnet. Die wichtig¬ 
sten synergetischen Symbionten des Influenzaerregers, als primären 
Parasiten, dürften Streptokokken, Mikrokokken und vielleicht auch 
der Pfeiffersche Influenzabazillus, als sekundäre Parasiten, sein. 

Was die systematische Stellung des AenigmoplaSTna an¬ 
langt, so ist dasselbe zu den Chlamydozoa zu rechnen, einer primi¬ 
tiven, etwa den hypothetischen Moneren Häckels entsprechenden 
Gruppe tierischer Organismen. Der überaus einfache Bau der 
Chlamydozoen gestattet es nicht, sie allein nach* morphologischen Ge¬ 
sichtspunkten in Untergruppen zu gliedern, dagegen wird es möglich, 
wenn man auch den biologischen Verhältnissen Rechnung trägt. Zu¬ 
nächst lassen sich diejenigen Chlamydozoen herauslösen, welche einer 
Wirtswechsel durchmachen, wie der Fleckfiebererreger (Rickett¬ 
sia Prowazeki R.-L.); sie seien unter dem Namen der A11 a c- 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



10. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1399 


toplasmina zusammen gefasst. Sämilidhe anderen Chlamydozoen 
bedürfen keines Wirts Wechsels. Von ihnen lebt ein Teil intraniÄleär 
bei Insekten unter Ausbildung von kristallartigen Gebilden ('Po¬ 
lyöder“), wie der Gelbsuchterreger der Seidenraupen (Crystallo- 
plasma bombycis (Prow.); für sie sei der Name Cry- 
stallopiasmina eingeführt. Eine grössere Anzahl kommt intra¬ 
zellulär bei Vertebraten vor, oft ebenfalls unter Ausbildung charak¬ 
teristischer Reaktionskörper, wie der Erreger des Trachoms (C h I a - 
mydozoon trachomatis Halb. u. Prow.). Für sie möge 
die Bezeichnung Chlamydoplasmina dienen. Die letzte Gruppe 
schliesslich, diejenige der Aenigmoplasmina, umfasst die extra- 
zellulär lebenden Chlamydozoen ohne Wirtswechsel; ihr gehört der 
mutmassliche Grippeerreger (Aeni gm op lasma influenzae Pr.) an. 
Inwieweit diese Gruppen sich auf die Dauer aufrecht erhalten lassen 
werden und noch zu ergänzen sind, lässt sich vorerst noch nicht über¬ 
blicken, da - ein grosser TeW der medizinisch wichtigen, filtrierbaren 
Vira noch nicht optisch nachgewiesen werden konnte. 


Aus der Kgl. medizinischen Universitätsklinik zu Königsberg 
(Direktor: Qeh. Rat Prof. Dr. Matthes). 

Ueber einen Fall von jugendlicher isolierter Aortenstenose 
mit Berücksichtigung des Elektrokardiogramms, der 
Spitzenstoss- und Pulskurven. 

Von Privatdozent Dr. med. A. Böttner. 


Im vorigen Jahre hatten wir Gelegenheit, einen Fall von jugend¬ 
licher, ätiologisch nicht aufklärbarer, völlig kompensierter, isolierter 
Aortenstenose zu beobachten 1 ). Reine Stenosen der Aorta sind be¬ 
kanntlich sehr selten, gewöhnlich ist gleichzeitig eine Insuffizienz mit 
vorhanden. In unserem Falle konnten wir die klinische Diagnose 
durch graphische Registrierungen bestätigen. Das Herzgeräusch 
fand sidi z. B. am Kardiogramm lediglich in der systolischen Phase 
der Kurve markiert. Der Fall bot ausserdem eine ausserordentlich 
charakteristische Anamnese dar. 

Anamnese: Pat. ist 20 Jahre alt. Als Kind Scharlach und 
öfters Lungenentzündung. Mit 8 Jahren Blutsturz aus Mund und 
Nase, der ca. 8 Tage nachgewirkt haben soll. Im Ausgehusteten ist 
dabei angeblich Lungengewebe gewesen. Als Kind hat Pat. sonst 
nie besondere Atemnot gehabt. Er konnte z. B. mit anderen Kindern 
um die Wette laufen. Nach der Schulzeit lernte er als Schlosser 
und hat während seiner Lehrzeit zeitweise schwere Arbeit ver¬ 
richten müssen. Nach seiner Angabe hat er sogar Lasten bis zu 
2% Ztr. (?) tragen können, hierbei wurde er allerdings sehr schnell 
kurzatmig. Bei einer zufälligen ärztlichen Beratung (1915) wurde 
sein Herzfehler erkannt und es wurde ihm nur noch leichte Arbeit 
gestattet (Büroarbeit). 

Am .21. November 1916 wurde Pat. dann als Armierungssoldat 
eingezogen. Er machte Uebungsmärsche, mitunter von 2—3 Stun¬ 
den Dauer, ohne wesentliche Beschwerden mit. Mitte Dezember 
kam er ins Feld (Russland). Hier musste er schwer arbeiten (Bäume 
fällen und schleppen für Brückenbauten etc.). Er bekam hierbei 
häufig starke Atemnot und klappte öfters unter Ohnmachtsanfällen 
zusammen. Er schildert diese Zustände in sehr charakteristischer 
Weise; „Wenn ich schwer arbeiten oder tragen 
musste, fing das Herz an zu zappeln, dann drehte 
sich mir oft alles vor den Augen und ich merkte 
noch, dass ich hinstürzte. Nach einer Weile, wenn 
ich das Bewusstsein wieder hatte und eine Weile 
ausruhte, gin'gs dann wieder ein Stückchen. An 
manchen Tagen passierte das öfters. Da die Sache 
bei schwerem Tragen immer schlimmer wurde 
und öfters kam, meldete ich mich krank.“ 

Nach Behandlung in verschiedenen Lazaretten bekamen wir 
den Pat zur Untersuchung. Pat. will nie Halsentzündung und Rheu¬ 
matismus gehabt haben. In letzter Zeit hat er sehr viel Zigaretten 
geraucht (bis 100 Stück an manchen Tagen, durchschnittlich 20 bis 
30 Stück täglich). Nachts braucht er gewohnheitsmässlg nicht zum 
Urinlassen aufzustehen. 

Infectio veneris negatur. 

Status: 1,68 hi grosser, 58 kg schwerer, blass aussehender 
junger Mensch. Kein Exanthem, kein Oedem. Die Tonsillen sind 
geringgradig hypertrophisch mit einigen lEinkerbungen; auf Druck 
keine Pfropfentleerung. Der Thorax ist lang und etwas flach. Schon 
von weitem ist der Spitzenstoss sichtbar, derselbe ist im 6. IKR. 
hebend zu fühlen. Die genauen Herzmasse nach der Teleaufnahme 
sind Mr. = 5 cm, MI. = 9 om, Längendurchmesser = 17 cm. 

Das Herz ist typisch aortenkonfiguriert, es hat keine Spur einer 
mitralen Konfiguration. Ueber dem Herzen hört man ein lautes 
systolisches schwirrendes Geräusch, im 2. rechten IKR. ist es am 
lautesten und hat sägenden Charakter, es ist ebenfalls in die Karo¬ 
tiden fortgeleitet (cf. u. Venenpuls). Der zweite Aortenton ist auf¬ 
fallend leise, ebenfalls der zweite Ton an der Spitze, der zweite 
Pulmonalton ist nicht klappend. Schwirren ist fühlbar, am deut- 


*) Den Pat. habe ich bereits am 19. II. 17 im Verein für wissen¬ 
schaftliche Heilkunde zu Königsberg demonstriert (s. D.m,W. 1917 
Nr. 22). 

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gle 


lichsten im 2. r. IKR. dicht neben dem Sternum. Der Puls ist sehr 
träge und leicht irregulär. Es ist ein typischer Pulsus tardus 
(s. Fig. 1 die Arteria radialis). Pulsfrequenz 48—60 Schläge in der 
Minute, von geringer Füllung und Spannung. Der Blutdruck beträgt 
90 mm Hg nach R i v a-Ro cc I. Die Karotiden, die Aorta abdomi¬ 
nalis und die Crurales haben ebenfalls das charakteristische Puls¬ 
gepräge und sind nur schwach fühlbar. Die Lungen haben physi¬ 
kalisch und radiologisch einen normalen Befund, nur fällt eine ver¬ 
hältnismässig schlechte Verschieblichkeit der unteren Lungengren¬ 
zen auf; vor dem Röntgenschirm beträgt dieselbe maximal zirka 
2 cm *). Stauungserscheinungen sind nicht vorhanden. Die Leber 
ist nicht vergrössert und druckempfindlich, die Milz nicht palpabel. 

Die Reflexe sind sämtlich in normaler Stärke auslösbar. Im 
Urin ist weder Eiweiss noch Zucker vorhanden, ’ das Sediment ist 
o. B. Die Wasser man nsche Reaktion ist negativ. Die Prü¬ 
fung auf Nykturie hat ein negatives Resultat. Die Tagesurinmenge 
(1150—1250 ccm, spez. Gew. 1008—1013) Ist fast stets doppelt so 
gross als -die Nachturinmenge. 

Der Patient ist nur wenig leistungsfähig. Nach 15 maligem 
Stuhlsteigen ist er stark dyspnoisch (weiteres Stuhlsteigen ist Ihm 
unmöglich). Die Pulsfrequenz ist dabei von 60 Schlägen in der 
Minute auf 132 gestiegen, der Blutdruck von 90 mm Hg auf 
95 (!) mm Hg, die Atmung von 24 Atemzügen in der Minute auf 40. 
Bei ständig weiterer Kontrolle sinkt die Pulsfrequenz sehr rasch 
(in ca. 2 Min.), die Atemfrequenz etwas langsamer (in ca. 10 Min.) 
auf die Verhältnisse in der Ruhe, während der Blutdruck etwas 
unter die Norm sinkt. Nach 18—25 Min. beträgt er 80—85 (!) mm Hg. 
40 Min. nach der Anstrengung ist der Blutdruck wieder 90 mm Hg. 

Das Elektrokardiogramm entspricht den bereits bekannten Fest¬ 
stellungen. Nach Einthoven 8 ) ist bei Ableitung 1 und 2 die 
Spitze R i>ositiv und die T-Spitze negativ, während bei Ableitung 3 
eine Umkehr der Spitzen stattfindet. R. ist negativ und T. ist posi¬ 
tiv (1. c.). P r i b r a m und Kahn 4 ) erhoben denselben Befund. 
Später berichtet Kahn 8 ), dass sich bei der linksseitigen Hyper¬ 
trophie die R.-Zacke bei Ableitung 1 und 2 auffallend hoch und steil 
darstellt, während sie bei Ableitung 3 sehr zurücktritt oder völlig 
fehlt. Dagegen tritt im letzteren Falle die abwärts gerichtete 
Zacke S als hohe und steil verlaufende Saitenschwankung besonders 
hervor.“ Die Elektrokardiogramme unseres Pat. — dieselben sind 
sämtlich mit dem Ed e 1 m a n n sehen Elektrokardiographen (grosses 
Modell) aufgenommen 
worden, Saitenschwan- *• rad - 
kung 2 m V = 2 cm — 
zeigen die dargetanen 


Form Veränderungen 
(Fig. 1 u. 2). Fig. 1 
stellt Ableitung 2 dar, 
auf die Abbildung von 
Ableitung 1 habe ich 
verzichtet. Bel Ab¬ 
leitung 3 (Fig. 2) findet Im 
sich eine negative ge- 




Ekg II 






äm 


spaltene P.-Zadke. Die R.-Zacke ist 
— wenn man sie nicht als negativ 
bezeichnen will — nur andeutungs¬ 
weise als positiv vorhanden: in 
diesem Falle ist dann die tiefe 
negative steile Zacke als S.-Zacke 


Fig. 1. 


v. lagul. 



Fig. 4. 


aufzufassen. An den elektrokardiographischen Kurven ist ferner 
eine leichte Irregularität bemerkbar. Der Vagusdruckversucn Ist 


*) v. Noorden hebt hervor, dass Kombination von Aorten¬ 
stenose und Emphysem selbst bei Kindern ausserordentlich .häufig 
ist (nach K ü 1 b s, Handbuch der inneren Medizin (Mohr-StäheRn) 
Bd. 2, S. 1068. 

8 ) Pflügers Arch. 122. 1908. S. 517. 

4 ) D. Arch. f. klin. M. 99. 1910. S. 479. 

8 ) Erg. d. Physiol. 1914 S. 174. 

OriginBl From 

UNIVERSUM OF CALIFORNIA 



1400 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


ohne Einfluss, während der Atmungseffekt eine sehr ausgesprochene 
Wirkung zur Folge hat. 

Die Aufnahme der Spitzenstoss-, Puls- und Venenpulskurven 
geschah gleichzeitig mit dem Ekg. und ausschliesslich mit Frank- 
schen Kapseln. Als Zeitschreibung diente ein Jaquet mit */» Sek. 
Frequenz. Bei den Kardiogrammen (Fi k. 3 und 4) ist das Ge¬ 
räusch stets lediglich in der systolischen Phase der Kurve bald als 
zart, bald als stärker markierte sägenförmige Zackenlinie sichtbar, 
in dem diastolischen Anteil der Kurve ist sie niemals, auch nicht in 
Andeutung, zu sehen. Es handelt sich demnach bei unserem Fall 
ausschliesslich um ein systolisches Geräusch. 

Bemerkenswert ist ferner an den Spitzenstosskurven eine ge¬ 
wisse Uebercinstimmung der Form der systolischen Plateaubildung 
mit den von Lüde ritz 0 ) erhobenen Befunden, soweit überhaupt 
ein Vergleich bei der Verschiedenartigkeit-der Aufnahme der Kar¬ 
diogramme angängig ist (s. Fig. 3 u. 4). Kurve 4 ist nach vorheriger 
körperlicher Anstrengung aufgenommen. Beachtenswert ist ausser¬ 
dem an den Spitzenstosskurven das Verhältnis der Dauer der 
Systole und Diastole. L ü d e r i t z fand in Bestätigung früherer 
klinischer Annahme 7 ) bei artifizieller Aortenstenose am Tier eine 
Verlängerung der Systolendauer um 7—30 Proz. und zwar bei Kanin¬ 
chen eher mehr als bei Hunden. Bei den Kardiogrammen unseres 
Patienten ist die Dauer der Systole ebenfalls immer um eine Spur 
länger als die Dauer der 'Diastole 8 ), zum mindesten ist also bei 
unserem Fall die Kontraktionszeit des Ventrikels ebenso lang als 
seine Erschlaffungs- und Ruhezeit. 

Hervorheben will ich ferner, dass das Herz-Radialis-lntervall 
(Radialisbeginn nach Spitzenstossbeginn) bei unserem Pat. 0,157" 
resp. Ve—V7 Sekunde beträgt, also normal ist. 

Bei der Pulsregistrierung im 2. r. IKI^ dicht neben dem Ster¬ 
num ist das systolische Geräusch besonders gut ausgeprägt. Die 
erhaltene gröbere Zackenlinie ist ein konstanter Befund. Ich habe 
auf die Abbildung der Kurve verzichten zu können geglaubt, da das 
schwirrende, systolische Geräusch durch Fortleitung in die Karotis 
bei Aufnahme des Venenpulses sehr stark zum Ausdruck gekommen 
ist. Der Venenpuls (Fig. 3 ur 4) ist infolgedessen nicht ganz ein¬ 
deutig, die C.-Welle ist durch das fortgeleitete systolische Geräusch 
verdeckt. Ich bemerke aber, dass man bei Fig. 3 ganz zwanglos 
eine a.- und v.-Welle herauslesen kann, während das bei Fig. 4 
weniger gut möglich ist. Im 2. 1. IKR., an der Auskultationsstellc des 
Pulmonalostiums konnte ich kein Geräusch registrieren. 


Aus der Medizinischen Klinik und Nervenklinik Tübingen. 

(Vorstand: Prof. Dr. Otfried Müller.) 

Echinokokkus der Lendenwirbelsäule mit Läsion der 
Cauda equina. 

Von Priv.-Doz. Dr. OttoBrösamlen, Assistenzarzt der Klinik 

Bei der Seltenheit der Echinokokkengeschwülste im Bereich des 
Rückenmarks dürfte die Mitteilung einer eigenen Beobachtung ge¬ 
rechtfertigt erscheinen. 

Es handelt sich bei unserer Beobachtung um eine 44 jährige 
Kaufmannsfrau, die bis vor 6 Jahren immer gesund gewesen war. 
Um diese Zeit verspürte sic zum erstenmal ziehende Schmerzen in 
der rechten Gesässgegetid und am rechten Oberschenkel, denen sie 
zunächst keine weitere Beachtung schenkte. Als aber bald darauf 
die Schmerzen in verstärktem Masse auch im linken Bein auftraten, 
suchte sie einen Arzt auf. der eine doppelseitige Ischias feststellte. 
Trotz aller Behandlung wurde keine Besserung erzielt. Der Zustand 
wurde vielmehr Immer schlimmer. Zu den Schmerzen, die in ihrer 
Intensität wechselten, gesellten sich Parästhesien aller Art (Krib¬ 
beln, Ameisenlaufen, Kältegefühl) sowie eine allmählich zunehmende 
Schwäche im linken Bein, die schliesslich vor VA Jahren so hoch- 


a ) Zschr. f. klin. M. 20. S. 389. — L ii d e r i t z erhielt bei künst¬ 
licher Aortenstenose an Kaninchen und Hunden durch Registrierung 
der Druckvariationen im Herzinnern ein Kardiogramm, das charak¬ 
teristische Veränderungen in der Gestalt des systolischen Plateaus 
erkennen liess. „Dasselbe erhöht sich nicht gleichmässig im ganzen 
Verlauf, sondern je nach dem Grad der Stenose bald mehr im vor¬ 
deren. bald mehr im hinteren Abschnitt, und ausserdem werden die 
sekundären Erhebungen niedriger.... Bei Zunahme der Stenose 
erhebt sich auch das Ende des Plateaus stärker, aber relativ am 
meisten immer noch in der Mitte, und die Kurve zeigt dann statt des 
welligen oder zackigen Plateaus oft einen abgerundeten Gipfel.“ 
(1. c.) 

7 ) Vergl. R 0 s e 11 s t e i n in Ziemssens Handbuch d. spez. Path. 
u. Ther. 6. S. 133, 1876; siehe auch später Jürgensen in Noth¬ 
nagels Spez. Path. u. Ther. Bd. 15. 1. Endokarditis S. 142 1899 
und Krehl: Path. Fhysiol. S. 21 1914. 

8 ) Die Dauer der Systole konnte ich an mehreren Spitzenstoss¬ 
kurven unseres Pat. leicht exakt ausmessen und erhielt als Durch¬ 
schnittszahl immer annähernd den gleichen Wert. Bei Kurve 3 be¬ 
trug z. B. der Durchschnitt für die Dauer der Systole 0,38". für 
die Dauer der Diastole 0,31" und bei Kurve 4 die Dauer der Systole 
0,369", die Dauer der Diastole 0,351". 

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gradig wurde, dass sie ohne-Stock nicht mehr gehen konnte. Fast 
gleichzeitig fiel der Frau auf, dass der Urin manchmal unwillkürlich 
abging. Diese Erscheinung verschwand nach einiger Zeit vollständig, 
bis sich die Blasenstörung vor etwa 1 Jahr erneut und besonders 
heftig zeigte. Der Urin ging jetzt dauernd unwillkürlich ab. Auch 
die Darmentleerung war nicht mehr ganz in Ordnung, indem dünner 
Stuhl nicht immer zurückgehalten werden konnte. Der Zustand 
wurde immer unerträglicher. Dje Schmerzen im rechten Bein traten 
zwar in letzter Zeit ganz zurück, steigerten sich aber dafür links 
zeitweise zu grösster Heftigkeit und strahlten auch in die Kreuzbein¬ 
gegend sowie in den Mastdarm und das Genitale aus. Die Stebwäche 
im linken Bein bestand unverändert fort. 

Die Periode ist seit 3 Jahren ausgeblieben. Seit dieser Zeit ist 
auch die Libido erloschen. 

Früher nie krank, 3 gesunde Kinder. Keine Frühgeburt. Kein 
Trauma. Hereditär nichts Besonderes. Keine Tuberkulose in der 
Familie. 

.Befund: Blass aussehende Frau in gutem Ernährungszustand. 
Gut entwickeltes Fettpolster, schlaffe Muskulatur. Schleimhäute gut 
durchblutet. Keine Drüsenschwellungen, keine Narben, keine Struma. 

Brustkorb gut gewölbt, symmetrisch. 

Lungen: abgesehen von einer Pleuritis sicca links hinten unten, 
die später restlos abheilte, kein krankhafter Befund. 

Kein Ausw r urf. Pirquet schwach positiv. 

Herz in normalen Grenzen; reine Töne; Puls regel- und gleich- 
massig. 

Abdomen weich; schlaffe Bauchdecken. Kein Tumor palpabel. 

Leber und Milz ohne Besonderheiten. 

Urin: trüb, alkalisch, enthält Eiweiss in mässiger Menge. Im 
Sediment viel Leukozyten und einige Plattenepithelien. 

Stuhl ohne Besonderheiten. Genitale o. B. Per rectum 0 . 13. 


Wasserma n n sehe Reaktion negativ. 

Nervensystem. Gesichtsinnervation nicht gestört. Augen¬ 
bewegungen normal. Pupillen rund, reagieren auf Lichteinfall und 
Konvergenz. Zunge wird gerade herausgestreckt. 

Die Reflexe an den Armen sind gut auslösbar. 

Bauchdeckenrcflexe alle vorhanden. 

Patellarreflexc links nicht auslösbar, rechts vorhanden. 

Achillessehnenreflexe sowie Plantarreflexe beiderseits erloschen. 
Analreflex fehlt. 

Motilität: Der Gang ist hinkend. Es besteht eine schlaffe Parese 
des linker. Beins. Aktive Bewegungen gut ausführbar (Adduktion, 
Rotation, Beugung des Unterschenkels, Dorsalflexion. Plantarflexion 
und Supination des Fusses). - Unmöglich ist nur die Streckung und 
Beugung der Zehen, einschliesslich der Grosszche links und erschwert 
ist die Pronation des Unken Fusses. 
Sonst überall normale Verhältnisse. 

Die linke Glutäalgegend ist abge¬ 
flacht, die Beugemuskulatur des linken 
Beines leicht atrophisch. Hier und an 
Glutaeus maximus sind manchmal fibriI- 
läre Zuckungen sichtbar. In diesem 




Fig. 2. 

Gebiet findet sich eine leichte Fierab¬ 
setzung der elektrischen Erregbarkeit. 

Sensibilität: Es besteht eine voll¬ 
kommene Anästhesie für alle Empfin- 
dungsqualitäten am Anus . und etwa 
Fig. 1 . handbreit zu beiden Seiten desselben so¬ 

wie am unteren Teil der Aussenseite 
beider Unterschenkel, in der äusseren Knöchelgegend und an den 
Fusssohlen (Fig. 1). 

Die sensiblen Reizerscheinungen sind besonders ausgeprägt: Es 
bestehen intensive Schmerzen im Gebiet des linken Nervus ischiadicus 
und der Sakralwurzeln. Der Nervus ischiadicus links ist leiem 
druckempfindlich. 

Der Urin träufelt beständig ab: ausserdem besteht eine unvoll¬ 
ständige Incontinentia alvi; harte Kotballen werden noch zurück- 
gehalten. Der Sphincter ani ist für den Finger ohne grösseren Wider¬ 
stand durchgängig. 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 








10. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1401 


Die Libido sexualis fehlt. Periode seit 3 Jahren weg. 

Wirbelsäule: Die untere Lendenwirbelsäule wird auffallend steif 
gehalten. Keine Deformierung. Lebhafte Schmerzempfindung beim 
Beklopfen des 3. und 4. Lendenwirbels. Keine Schwellung der be¬ 
deckenden Weichteile. 

Der ganze Symptomenkomplex machte das Vorhandensein einer 
raumbeschränkten Affektion im Bereich der Cauda equina wahr¬ 
scheinlich. Zu gunsten dieser Annahme sprachen neben dem lokalen 
Knochenbefund der langsame, innerhalb von 6 Jahren sich ent¬ 
wickelnde Krankheitsverlauf und die von Anfang an sehr heftigen 
Schmerzen neuralgischer Art im Nervus ischiadicus und im Ver¬ 
sorgungsgebiet der Sakralmuskeln. Die Art der Sensibilitätsstörung 
und die fibrillären Zuckungen in den paretischen Muskeln konnten 
ebenfalls in dieser Richtung verwertet werden. Gesichert wurde die 
Diagnose durch das Röntgenbild (Chirurgische Klinik), das eine deut¬ 
liche Aufhellung im Bereich des 4. und 5. Lendenwirbelkörpers zeigt. 
(Fig. 2.) 

Der Lage der Dinge nach konnte von einer Operation eine 
Besserung des Zustandes erwartet, werden. Dementsprechend 
wurde der Patientin zur Operation geraten, die am 14. XI. 17 in der 
Chirurgischen Klinik von Herrn Professor Perthes vorgenommen 
wurde. 

Operationsbericht (Chir. Klinik): Grosser bogenförmiger 
Schnitt, welcher eitlen Hautlapoen nach der Seite zurückgeschlagen 
lässt und sich vom 12. Brustwirbel bis auf das Sakrum erstreckt. 
Von den Dornfortsätzen der Lendenwirbel wird die Muskulatur ab¬ 
gehebelt. Dabei drängen sich rechts vom Dornfortsatz des 4. Len¬ 
denwirbels Tumorblasen hervor, zweifellos Echinokokkenzysten. Die 
Zysten haben verschiedene Grösse, von Linsengrösse bis weit über 
Walnussgrösse. Es zeigt sich, dass der 4. und 5. Lendenwirbel zum 
Teil zerstört sind und zwar besonders in ihren rechts liegenden Ab¬ 
schnitten. Die rechte Hälfte des Wirbelbogens des 4. Lenden¬ 
wirbels fehlt fast vollständig. Dafür verbindet eine anscheinend 
neu gebildete Knochenspange den 4. und 5. Lendenwirbel. Die 
Echinokokkenmassen füllen den Wirbelkanal zum grossen Teil aus 
und haben den Lumbalsack zusammengedrängt, so dass er nur einen 
verhältnismässig dünnen Strang darstellt. Der Lumbalsack wird 
nicht'eröffnet. Auch in das Sakrum gehen die Echinokokkenblasen 
hinein unter Zerstörung der Knochensubstanz. Alles Erreichbare 
wird ausgelöffelt, auch Knochensubstanz, die ganz erweicht und 
durchwachsen ist. Zahlreiche Zysten platzen. Eine ganz voll= 
ständige Entfernung ist wegen der weiten Ausdehnung der Erkrankung 
der Wirbelsäule nicht möglich. Es entsteht ein grosser Hohlraum, 
der mit Vioformgaze aüsgefüHt wird. Der Umstand, dass das 
Röntgenbild die Veränderung an der Wirbelsäule vorwiegend rechts 
zeigte, während die nervösen Beschwerden auf der linken Seite 
hochgradiger waren, hat seine Erklärung darin gefunden, dass in 
dem Wirbelkanal selbst die Blasen sich vor allem links von dem 
Lumbalsack ausgebreitet hatten. 

Die Operation wurde gut überstanden und hatte zunächst eine 
deutliche Besserung des Zustandes zur Folge. Die anfangs uner¬ 
träglichen Schmerzen waren nach der Operation vollständig ver¬ 
schwunden. Dei Urin ging zwar meist noch unwillkürlich ab, doch 
verspürte die Patientin hin und wieder etwas Harndrang. Im 
übrigen Zustand war keine Aenderung eingetreten. Die Eitersekre¬ 
tion aus der Operationswunde war dauernd sehr reichlich; in der 
ersten Zeit wurden auch Echinokokkenblasen abgestossen. Anfangs 
Januar verschlimmerte sich das Krankheitsbild zusehends. Es be¬ 
stand dauernd hohe Temperatur und hoher Puls. Die Schmerzen 
im Kreuz und in beiden Beinen im Verlauf des Nervus ischiadicus 
traten in der alten Heftigkeit wieder auf. Allmählich entwickelte 
sich eine vollständige Lähmung beider Beine und ein über handteller¬ 
grosser Dekubitus in der Steissbeingegend. Am 13. II. unter sep¬ 
tischen Erscheinungen Exitus. 

Die Läsion der Cauda equina war bei unserer Beobachtung 
durch einen Echinococcus granuiaris im Bereich des 4. und 5. Lenden¬ 
wirbels bedingt. Bei der grossen Ausdehnung der Geschwulst und 
der Unmöglichkeit, radikal zu operieren, waren die Heilaussichten 
von vornherein schlecht. Mehr wie eine vorübergehende Besse¬ 
rung war nicht zu erzielen. 

Ueber den primären Sitz des Echinokokkus liess sich bei dem 
vorgeschrittenen Stadium der Krankheit nichts Sicheres sagen. Es 
ist möglich, dass er primär vom Wirbelkörpcr seinen Ausgang ge¬ 
nommen hat; es kann aber auch sein, dass er sich paravertebral 
im weichen Gewebe entwickelt hat und erst • sekundär nach Zer¬ 
störung der Wirbelkörper in den Wirbelkanal eingedrungen ist. 
Letzteres ist nach Bruns viel häufiger der Fall. 

Die Diagnose musste sich vor der Operation auf die Annahme 
eines Tumors beschränken. Irgendwelche sicheren differential¬ 
diagnostischen Symptome, welche für die Echinokokkengeschwülste 
des Rückenmarks typisch waren, gibt es nicht, es sei denn, dass die 
Geschwülste sich gleichzeitig nach aussen entwickeln und in der 
Nähe der Wirbelsäule Schwellungen verursachen. In solchen Fällen 
kann unter Umständen die Natur der Krankheit durch eine Punktiom 
sichergestellt werden. Dies war bei unserer Beobachtung nicht der 
Fall. 


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Aus dem Reservelazarett Südende-Marienhöhe. 

(Prof. Q. Zuelzer, Oberstabsarzt d. L.). 

Oie Untersuchung des Exantheme bei latentem Fleck¬ 
fieber und bei Malaria nach der Weissschen Kapillar 
beobachtungsmethode. 

Von G Zuelzer. 

Wer es erlebt hat, wie erfahrene Kliniker bei fleckfieberver¬ 
dächtigen Fällen über die pathogenetische Bedeutung des Exanthems 
— ob Typhus exanthematicus oder Typhus abdominalis — debat¬ 
tierten, häufig mit einem durch die Sektion widerlegten Resultat, 
der wird die praktische Bedeutung der neuen diagnostischen Methode 
von W e i s s und H a n f I a n d D, welche die Exantheme durch Be¬ 
obachtung der Veränderungen der Hautkapillaren bei 40—50facher 
Vergrösserung objektiv unterscheiden lehrten, voll zu würdigen 
verstehen; gab es doch bisher keine Möglichkeit, Exantheme direkt 
objektiv zu unterscheiden. Empirie, der subjektivste Teil unseres 
Wissens, war ausschlaggebend für die Beurteilung eines Exanthems, 
und sobald diese versagte — und wer von den deutschen Aerzten 
besass zunächst eine genügende Empirie bezüglich des Fleckfieber¬ 
exanthems — wurde die Beurteilung zu einem interessanten Rate¬ 
spiel. Die genannten Forscher konnten zeigen, dass das akute Fleck¬ 
fieberexanthem sich kapillarmikroskopisch durch ein ganz besonders 
geartetes, bei allen übrigen akuten Exanthemen und Erythemen nie 
zu beobachtendes starkes Hervortreten von Venengeflechten ober¬ 
flächlicher Venen auszeichnet. Dadurch war die Möglichkeit ge¬ 
geben. die von Murchison beim akuten Fleckfieber beschriebenen 
Flecke, auf deren pathognomonische Bedeutung auch für das Vor¬ 
handensein eines latenten Fleckfiebers (im Zusammenhang mit ver- 
grösserter und durch Chinin wieder klein werdenden Leber und 
Milz) ich vor einiger Zeit aufmerksam gemacht hatte*), bei letzterem 
objektiv diagnostizieren zu können; denn es gilt für die Beurteilung 
dieses schwer erkennbaren, nur an bestimmten Prädilektionsstellen auf- 
tretenden Exanthems noch in viel höherem Masse das, was wir beim 
akuten Exanthem beobachtet haben. Wer nicht darauf eingestellt ist, 
vermag es zunächst oft überhaupt nicht zu erkennen oder bewertet 
es als ein bedeutungsloses Zufallsprodukt. Ich habe nun bei einer 
Reihe von Kranken, welche im Laufe der letzten 4—6 Monate aus 
Fleckfiebergegenden zurückgekehrt waren und die Murchison- 
schen Flecke in typischer Weise zeigten, die Flecke nach der 
W e i s s sehen Methode untersucht und durch den Maler Hermann 
L a n g n e r, welcher bald eine grosse Uebung in dieser, Art der 
Hautmikroskopie erlangte, abmalen lassen. Der erste hier reprodu¬ 
zierte Fall betraf eine Schwester, welche soeben aus Kurland zu¬ 
rückgekehrt war und mich wegen eines Herzleidens konsultierte. 
Bei der sonst schneeweissen Haut hoben sich die Murchison - 
schen Flecke ausserordentlich scharf ab und ergaben ein oberfläch¬ 
liches Venengeflecht (s. Abb. 1), welches durchaus der von Weiss 
beschriebenen Anordnung bei Fleckfieber entspricht, so dass sich 
beide Bilder zum Verwechseln ähnlich sehen. Ganz wie die 
Weiss sehen Bilder zeigen auch die meinigen weitgehende Anasto- 
mosierung der einzelnen venösen Aestchen; auch hier standen die 
venösen Geflechte offenbar unter Stauung, da eine Strömung in ihnen 
nicht zu erkennen war, im Gegensatz zu der Kapillarströmung beim 
Malariaexanthem unmittelbar nach einem Anfall (s. unten). Auch 
die unterbrochene sogen, „körnige“ Strömung, die Weiss in ein¬ 
zelnen arteriellen Gefässästchen beim akuten Fleckfieberexanthem 
beobachtet hat, konnten wir bei den anderen latenten Fällen häufig 
sehen und reproduzieren. Sie kommt nach Weiss zustande bei abnor¬ 
mer Stromverlangsamung. Weiss betont mit Recht, dass die geschil¬ 
derten kapillarmikroskopischen Beobachtungen mit den histologischen 
Befunden nach E. Frankel, Brauer u. a. ausgezeichnet über¬ 
einstimmen und in sehr anschaulicher Weise unsere Vorstellungen 
von den schweren Zirkulationsstörungen vervollständigen, welches 
die anatomischen Gefässveränderungen zur Folge haben müssen. 
Auch in 2 Fällen von latentem Te. zeigte die histologische 
Untersuchung der Murchison sehen Flecke, die Prof. F. P i n k u s 
die Freundlichkeit hatte, vorzunehmen, analoge perivaskuläre Zell¬ 
anhäufungen der kleinen Kapillaren, wie sie für das akute Exanthem 
beschrieben sind. Dass nicht auch die hyalinen Thromben in den 
venösen Gefässen gefunden wurden, kann bei dem eminent chro¬ 
nischen Prozess, um den es sich bei der Entstehung und dem Be¬ 
stehenbleiben des latenten Te.-Exanthems handelt, nicht wunder¬ 
nehmen. Aber die makroskopisch-livide Verfärbung der Mur¬ 
chison sehen Flecke und das kapillarmikroskopische Hervortreten 
gestauter Venengeflechte lassen an der Analogie der Zirkulationsstörung 
beim latenten wie beim akuten Exanthem keinen Zweifel, so dass 
auch an den Venen irgendwelche Veränderungen (rein funktionelle?) 
angenommen werden müssen. Je älter die Infektion ist, was sich 
ungefähr aus den Grössenverhältnissen von Leber und Milz in den 
unbehandelten Fällen abschätzen lässt, um so blasser werden die 
Flecke makroskopisch, während kapillarmikroskopisch die Venen 
verwaschener, undeutlicher werden; die unterbrochene, körnige Strö- 


*) M.m.W. 1918 Nr. 23. 

■) Cf. Zur Pathologie des Fleckfiebers. D.m.W. 1917 Nr. 33. 

Original frn-m 

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1402 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


mung in den arteriellen üefässästen scheint ani längsten sichtbar zu 
bleiben, was aus dem anatomischen Befund erklärlich wäre. 

Die geschilderte, weitgehende Uebereinstimmung im objektiven 
Befund bei Exanthem des akuten und des von mir beschriebenen la- 


als die zeitraubende und durchaus unsichere mikroskopische Unter¬ 
suchung auf Plasmodien, von ausschlaggebender Bedeutung. Aber 
die augenblicklich dominierende Richtung in der Medizin steht noch 
zu sehr unter dem Einfluss der Bakteriologie und vergisst, dass diese 
für uns nicht mehr als den Rang einer Hilfswissenschaft 
beanspruchen dürfte. 

Wie bedeutungsvoll für die Volkshygiene die Er¬ 
kennung der oben geschilderten latenten Te.-Infektion 
sein kann, lehrt folgender Fall: Soldat Sch., den ich ge¬ 
legentlich zur Beobachtung der Kapillaren einer nor¬ 
malen Haut untersuchte, zeigte die typischen Murchi- 
sonsehen Flecke (Fig. 2) und eine vergrösserte Leber und 
Milz. Er gab an, bereits seit 2 Jahren aus Russland zu¬ 
rückgekehrt zu sein. Nach -meinen bisherigen Erfahrungen 
besteht eine latente Te. nicht länger als 6—7 Monate. Ich 
stellte nun bei Sch. fest, dass er vor 6 Monaten zum letzten¬ 
mal durch Zufall verlaust war, und zwar als Landstumi- 
mann in einem russischen Gefangenenlager. Wenn auch 
hier durch sofortige Entlausung die Gefahr jeder weiteren 
Uebertragung unterdrückt wurde, so geht doch aus dieser 
Beobachtung zunächst mit hoher Wahrscheinlichkeit hervor 
— was aber immerhin Aufgabe weiterer Forschung wäre, 
exakt zu beweisen —, dass der latente Te. übertragbar ist; 
denn es ist so gut wie ausgeschlossen, dass Sch. mit akut 
Fleckfieberkrankcn in Berührung gekommen ist. Daraus er¬ 
hellt aber weiterhin die Gefahr, welche die Einschleppung 
latenter Te.-Fälle mit sich bringt, wenn beispielsweise nach 
der Demobilisation die Verlausungsgelegenheit günstiger, 
die Entlausungsgelegenheit um so ungünstiger geworden ist. 
Ist doch z. B. die Entstehung der vorjährigen Greifswalder 
Fleckfieberendemie nur durch Einschleppung latenter Fleck¬ 
fieberträger erklärbar. Ob es dann zur Entstehung einer 
Te.-Epidcmie oder nur zu einer Weiterverbreitung'von 
latentem Te. kommt, hängt allein — wie Szontagh in 
seinem lesenswerten Buch „über Disposition“ eingehend 
begründet hat — von zufällig äusseren Faktoren ab. die 
wir nicht beherrschen. Weitgehendste Chtninisierung aller 
verdächtigen Infektionsträger (1.2 g pro die, 10 Tage lang) 
bildet neben der Entlausung die beste Epidemieprophvlaxe. 

Auch das Malariaexanthem, das ich loc. cit. beschrieben 
habe, und das leicht der Aufmerksamkeit entgeht und mit 
einfacher Marmorierung der Haut verwechselt werden kann, 
ist nach der Weissschen Methode objektiv von der Mar¬ 
morierung differenzierbar. Das Kapillarnetz tritt viel deut¬ 
licher in die Erscheinung als bei der normalen Haut: der 
Unterschied ist aber in der Hauptsache ein quantitativer, die 
Kapillaren erscheinen nur viel reichlicher und nur um ein 
wenig weiter als bei der normalen Haut. 'Nur die äussersten 
Schlingen sind sichtbar, keine tieferliegenden Gefässbil- 
dungen Nur unmittelbar im Anfall, nach dem Schüttelfrost 
erscheinen gelegentlich die Kapillaren stärker gefüllt, sieht 
man einen sich gleichsam entwickelnden Kapillarkreislauf 6 ). Im 
ganzen erscheint die Haut an den roseolaren Stellen ein wenig 
röter als die dazwischenliegende normale Haut, aber nicht entfernt 
so rot wie beim Scharlach 


(Jeber die Grundbegriffe der modernen Vererbungslehre*). 

Von Dr. med. Hermann Werner Siemens. 

Seitdem im Jahre 1901 das allgemeingültige Gesetz der Ver¬ 
erbung, das sog. Mendel sehe Gesetz, wiederentdeckt worden 
ist, hat die Vererbungslehre einen ungeahnten Aufschwung ge¬ 
nommen. In wenigen Jahren hat sie sich so überraschend entwickelt, 
dass sie neben die Physik und die Chemie in die Reihe der sog. exak¬ 
ten Naturwissenschaften eingestellt werden konnte. Die Stunde der 
Wiederentdeckung des Mendel sehen Vererbungsgesetzes war des¬ 
halb die Geburtsstunde der modernen Vererbungslehre, und ohne 
Kenntnis jenes Gesetzes bleibt einem die jetzige Vererbungswissen¬ 
schaft verschlossen. 

Doch ist die Kenntnis des Mendel sehen Gesetzes nicht nur 
zum Verständnis der Vererbungsvorgänge unentbehrlich, auch ganz 
allgemein ermöglicht uns erst dieses Gesetz klare Einblicke in die 
wichtigsten biologischen Vorgänge. Denn die moderne Vererbungs¬ 
lehre ist ein Wissenszweig, der wohl mit allen biologischen Dis¬ 
ziplinen in engster Verbindung steht. Und noch mehr als das! Die 
moderne Vererbungslehre hat sich zu dem Fundament der all¬ 
gemeinen Biologie überhaupt entwickelt, und das Studium der Ver¬ 
erbungslehre bildet daher die Pforte, durch die allein man in jenes 
Wissensgebiet eindringen kann, das uns die Lehre vom Leben so 
weit erschliesst, als eben Menschengeist zu reichen vermag. Das 
Mendelsche Gesetz und die Grundbegriffe der mo¬ 
dernen Vererbungswissenschaft geben uns deshalb 
mehr als das Verständnis für den Vorgang der Vererbung: sie ver¬ 
schaffen uns Einblicke in die Bedingungen des L e - 


6 ) Abb. 3 und 4 bei demselben Patienten dieselbe Hautstelle 
während des Anfalls (39,9) und einige Tage später. 

*) Vortrag, gehalten in der Berliner Gesellsch. f. Rassenhvgiene. 


v 





X‘ 






Flg. 2 Latenter Te., beobachtet am 28. IX. 18. 
Patient befindet sich seit 1916 in Deutschland, 
bis März 1918 war Sch. als Wachmann im Ge¬ 
fangenenlager in Brandenburg a. d. Havel und 
daselbst stark mit Läusen behaftet. 




£ '*T 


• V v. 


Fig. 3. Malaria, beobachtet am 3. IX. 18. 

Am Ende des Schüttelfrostes Roseola auf weisser 
Haut sichtbar, während des Fiebers (39.9 °), Blut¬ 
kreislauf in den Kapillaren sichtbar. 


Fig. 4. Malaria, beobachtet am 6. IX. 18. 
Dieselbe Hautsteile wie Figur 3 am 3. Tage 
nach dem Fieberanfall. 


teilten Fleckfiebers scheint mir eine bedeutsame weitere Stütze, ja 
gewissermassen das Experimentum crucis für meine Annahme von 
der Existenz eben jener latenten Infektion. Der von Jürgens ver¬ 
tretene Standpunkt, dass Fleckfieber nur dann vorhanden ist, wenn 
ein 14 tägiger typischer Fieberverlauf mit W e i 1 - F e 1 i x scher Re¬ 
aktion besteht, ist nicht mehr haltbar, zum mindesten müsste erst 
eine andere Erklärung für die seltsame Koinzidenz der verschiedenen 
objektiv nachweisbaren Symptome beim akuten und latenten Fleck¬ 
fieber gegeben werden. 

Der Einwand, den ich häufig höre, dass ein Fleckfieber ohne 
Fieber ein Nonsens sei, ist nicht stichhaltig. Als der Name Fleck- 
f i e b e r geprägt wurde, 'hatte man natürlich nur die fieberhaften 
Fälle im Auge; aber genau ebenso, wie es einen Scharlach ohne 
Fieber gibt, der erst später durch das Auftreten von Schuppung oder 
von Nephritis als solcher erkennbar wird, gibt es einen fieberlos oder 
latent verlaufenden Typhus exanthematicus, der häufig erst durch 
Auftreten von Herz- oder Lungennachkrankheiten als chronisch latente 
Infektion in die Erscheinung tritt. Gewährt also die Hautunter¬ 
suchung nach W e i s s die Möglichkeit der objektiven Einordnung 
der sog. Murchison sehen Flecke als zum Fleckfieberexanthem 
gehörig, so darf doch nicht vergessen werden, dass diese Hautvenen¬ 
veränderung nur ein Symptom der latenten Erkrankung darstellt. 
Die chronische Vergrösserung von Leber und Milz behält ihre Be¬ 
deutung für die Erkennung der latenten Infektion. Es ist auffällig, 
wie schwer sich die Kliniker auf dieses mit einfachsten Mitteln fest¬ 
stellbare Symptom einstellen. Als Beweis dafür möge das gleiche 
Verhalten der Kliniker bei der latenten Malaria.— die nach meiner 
Auffassung in dieselbe Krankheitsgruppe wie der Typhus exanthe¬ 
maticus und der Scharlach gehört — gelten. Nachdem ich vor 
ca. 1 Jahr bei einer Malariastudie 3 ) auf die überragende Bedeutung 
der perkutorischen Feststellung der vergrösserten Leber und Milz 
für den Nachweis der latenten Malaria hingewiesen habe, ist erst 
jetzt in einer einzigen Arbeit von Seyfarth auf die Bedeutung 
dieser Feststellung hingewiesen worden *). Zur klinischen Beurtei¬ 
lung einer latenten Malaria ist dieses Symptom, das viel einfacher ist 

*) D.m.W. 1917 Nr. 48. 

*) B.kl.W. 1918 Nr. 39. 


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Original fro-rri 

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10. Dezember 1018. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


bens überhaupt, in die Gesetzmässigkeiten seiner 
Entstehung, seiner Entwicklung und seines Unter¬ 
gangs. . 

Bevor ich den Versuch mache, in grossen Zügen vor Ihnen die 
Grundbegriffe der modernen Vererbungslehre zu entwickeln, will ich 
«deshalb kurz auf das Mendel sehe Gesetz eingehen. Ohne mich 
hier auf die experimentellen Tatsachen einzulassen, die zu der Ent¬ 
deckung und zum Beweise des Vererbungsgesetzes geführt haben, 
will ich mich gleich mit den Vorstellungen befassen, die sich die 
moderne Vererbungslehre auf Grund der Kenntnis jenes Gesetzes von 
den Vorgängen der Vererbung gebildet hat. 

Wenn man an einem Einzelwesen eine erbliche Eigenschaft, ein 
erbliches Merkmal wahrmmmt, so ist man von vornherein geneigt, 
sich die Vorstellung zu machen, dass diesem erblichen Merkmal in 
der Erbmasse des betreffenden Einzelwesens eine Erbanlage ent¬ 
sprechen müsste. Diese Vorstellung wird aber von der modernen 
Vererbungslehre verworfen. Wir denken uns als erbbildliche Grund¬ 
lage, auf der ein erbliches Merkmal entstanden ist, nicht eine erb¬ 
liche Anlage, sondern ein Erbanlage paar. Die erbliche Eigenschaft 
ist also von zwei Erbanlagen abhängig, und diese beiden bilden ein 
Paar; sie bilden deshalb ein Paar, weil sie sich beide in analoger 
Weise auf dieselbe Eigenschaft desselben Organs beziehen, z. B. auf 
die Pigmentierung der Augen. 

Beide Anlagen, beide Paarlinge, können gleich 
sein. Bei einem Menschen mit blauen Augen z. B. denken wir uns 
die Blauäugigkeit bedingt durch zwei zu einem Paar verkoppelte An¬ 
lagen für blaue Augenfarbe. Einen solchen Mensdhen würden wir 
in bezug auf seine Augenfarbe als homozygot, gleichanlagig 
bezeichnen, weil die beiden erblichen Paarlinge, die das in Rede 
stehende Merkmal bedingen, gleich sind. Homozygot kann man in 
deutscher Sprache auch mit „reinerbig“ wiedergeben. Von den 
beiden zu einem Paar gehörigen Anlagen wird nämlich stets nur 
eine-auf die nächste Generation vererbt (ich komme darauf noch 
zurück); wenn nun bei einem Einzelwesen beide Paarlinge gleich 
sind, so ist es klar, dass sich dieses Einzelwesen in bezug auf die 
betreffende Eigenschaft rein weitervererben 1 muss, d. h. dass seine 
sämtlichen Nachkommen von ihm aus die gleiche Erbanlage für die 
betreffende Eigenschaft erhallen müssen. 

Nun ist aber auchder Fall denkbar, dassdie bei¬ 
den zu einem Paar gehörigen Anlagen verschieden 
s i n d. Denken wir uns z. B. einen Menschen, der von seinem blau¬ 
äugigen. Vater die Anlage zu blauer Augenfarbe, von seiner braun¬ 
äugigen Mutter die Anlage zu brauner Augenfarbe erhalten hat. 
Welche Farbe werden seine Augen haben? 

Theoretisch kommen zwei Möglichkeiten in Betracht. Am nahe¬ 
liegendsten ist wohl die Annahme, dass die Augen dieses Nach¬ 
kommen eine Mittelfarbe zeigen werden; sie werden weder blau sein 
noch braun, sondern die beiden ungleichen Erbanlagen werden etwas 
mittleres, etwa eine grüne Augenfarbe zustande bringen. Denkbar 
wäre aber auch der Fall, dass die eine Anlage die andere in dem 
betreffenden Einzelwesen überdeckt. Das erwähnte Kind, das blaue 
Augenfarbe von seinem Vater, braune Augenfarbe von seiner Mutter 
ererbt hat, könnte z. B. braune Augen haben. Dann hätte die An¬ 
lage zu brauner Augenfarbe ihren Paarling, die Anlage zu blauer 
Augenfarbe, überdeckt, braun verhielte sich, wie man zu sagen pflegt, 
dominant (überdeckend) zu blau; blau dagegen verhielte 
sich rezessiv (überdeckbar) zu braun. In der Tat scheinen 
die blaue und die braune Augenfarbe sich im allgemeinen in dieser 
Weise zu verhalten. Näheres Eingehen darauf würde mich hier zu 
weit führen. Wenn also in einem Einzelwesen die Anlage zu blauer 
und die Anlage ?u brauner Augenfarbe Zusammentreffen, so wird im 
allgemeinen die Anlage zu Blau von der Anlage zu Braun überdeckt 
werden; die betreffende Person wird also braune Augen haben, so 
dass sie von einer Person, die zwei gleiche Erbanlagen für braurte 
Augenfarbe hat, äusserlich gar nicht zu unterscheiden ist. 

Ein Einzelwesen nun, bei dem die beiden Anlagenpaarlinge, die 
ein erbliches Merkmal bedingen, unter sich ungleich sind, nennen wir 
heterozygot, verschiedenanlagig. Heterozygot kann 
man im Deutschen auch durch das Wort „spalterb ig“ wieder¬ 
geben. Der Kernpunkt der Mendelschen Lehre ist 
nämlich, dass die beiden Erbanlagen, die zu einem 
Paar geh öre n, sich bei dem Vorgangder Vererbung 
in jedem Falle wieder vollständig trennen. Schon 
oben erwähnte ich, dass jedesmal nur e i n Paarling auf das Kind 
vererbt wird. Der andere Paarling geht nämlich bei 
jenen verwickelten Vorgängen verloren, die man 
a 1 s „R eifungsteil ungen“ der Geschlechtszellen zu 
bezeichnen pflegt. Jede reife Geschlechtszelle besitzt daher 
nur die Hälfte der Erbanlagen, die das Einzelwesen besessen hat, 
von dem sie stammt. Nur so ist es möglich, dass durch die Vereini¬ 
gung zweier Geschlechtszellen ein Lebewesen entsteht, das ebenso¬ 
viel Erbanlagen besitzt wie jedes seiner Eltern. Ginge bei der Rei¬ 
fung der Geschlechtszellen nicht jedesmal die Hälfte der Erbanlagen 
verloren, so müsste, da ja jedes Kind aus der Vereinigung zweier 
Geschlechtszellen entsteht, die Zahl der Erbanlagen sich mit jeder 
Generation verdoppeln. So etwas kann es natürlich nicht geben; 
denn eine unausgesetzte Verdopoelung der Erbanlagen mit jeder 
neuen Generation würde ia schon nach kurzer Zeit ins Grenzenlose 
gehen. Die Zellen würden dann bald gar nicht mehr ausreichen, 
um die gewaltig wechsende Zahl der Erbanlagen in sich zu fassen. 

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1403 


Jeder unserer beiden Eltern hat also nur die 
Hälfte seiner gesamten Erbanlagen auf uns über¬ 
tragen. Und zwar nicht in der Art, dass wir dieses Organ vom 
Vater und jenes von der Mutter hätten; sondern jedes einzelne Organ, 
jedes einzelne erbliche Merkmal ist zur Hälfte durch den Vater und 
zur Hälfte durch die Mutter erblich bedingt. Entsprechend vererben 
wir auf jedes unserer Kinder wiederum die Hälfte unserer gesamten 
Erbanlagen. Dabei erhält jedes Kind für jedes erbliche Merkmal ent¬ 
weder den Anlagenpaarling, den wir für dieses selbe Merkmal von 
unserm Vater empfangen hatten, oder jenen ändern Paarling, der von 
unserer Mutter stammt. So übermitteln wir die Erbanlagen unserer 
Eltern direkt auf deren Enkel. 

Demnach ist es auch klar, dass es eigentlich missverständlich 
ist zu sagen, man habe diese oder jene Eigenschaft, z. ß. die Nase 
oder die Augenfarbe, vom Vater geerbt. Denn diesen betreffenden 
Eigenschaften liegt ja, wie allen erblichen Merkmalen, im Erbbilde 
in Anlagen paar zugrunde, dessen einer Paarling vom Vater und 
dessen anderer von der Mutter stammt. In jedem.Falle hat man also 
die erbbildliche Grundlage seiner Nase oder seiner. Augenfarbe 
ebensowohl vom Vater wie von der Mutter empfangen, Wenn trotz¬ 
dem ein Merkmal, z.B. die Augenfarbe, mit der Augenfarbe des Vaters 
in auffälliger Weise übereinstimmt, so ist das weniger ein Ausdruck 
der Vererbung (denn in bezug auf die Augenfarbe hat man ja, wie ge¬ 
sagt, ebensogut die Mutter beerbt, wenn sie auch äusserlich eine ganz 
andere Augenfarbe besitzt), sondern es ist das vielmehr ein Ausdruck 
der Dominanz oder der Homozygotie. Bei einem braunäugigen Vater 
und einer blauäugigen Mutter hat man eben gegebenenfalls deshalb 
die braunen Augen des Vaters, weil die väterliche Erbanlage für 
Braun, die von der Mutter stammende für Blau überdeckt; oder 
andernfalls: man hat die blauen Augen der Mutter, weil man eben 
auch vom Vater eine, bei ihm überdeckte (rezessive) Anlage für 
Blau geerbt hat, so dass man in bezug auf die Augenfarbe gleich¬ 
anlagig (homozygot) ist, wie die Mutter. Der Vererbungsbegriff der 
Nichtbiologen deckt sich also nicht völlig mit dem biologisch-wissen¬ 
schaftlichen Vererbungsbegriff, weil der Nichtbiologe im allgemeinen 
nur da von Vererbung spricht, wo diese infolge von- Dominanz, oder 
infolge von fortlaufender Gleichanlagigkeit (Homozygotie) der be¬ 
treffenden Merkmale deutlich in die Erscheinung tritt. Der B i o - 
logedagegen spricht überall da von Vererbung, wo 
erbbildliche Anlagen bei Vorfahren und Nach¬ 
komme ii übereinstimm e n. 

Wenn wir es mit einem dominanten (überdeckenden) Merkmal 
zu tun haben, so kann« man dem Einzelwesen, das dieses Merkmal 
besitzt, natürlich nicht ansehen, ob es in bezug auf das Merkmal 
gleichanlagig (homozygot) oder verschiedenanlagig ^heterozygot) ist. 
Wir können also einem Menschen mit braunen Augen nicht ansehen, 
ob jenes Anlagenpaar in seiner Erbmasse, das die braune Augenfarbe 
bedingt, aus zwei gleichen Paarlingen für braune Augenfarbe oder 
aus einem Paarling für braune und einem für blaue Augenfarbe be¬ 
steht. Die äussere Gleichheit der gleichanlagigen und der ver- 
schiedenanlagigen Individuen ist ja das Kennzeichen der Dominanz 
(des Ueberdeckens). Zwei braunäugige Menschen, von denen der 
eine in bezug auf die Augerrfarbe gleichanlagig, der andere ver¬ 
schiedenanlagig ist, verhalten sich aber trotz ihrer äusseren Ueber- 
einstimmung bei der Vererbung natürlich sehr verschieden. Der Gleich- 
anlagige (homozygote) wird nämlich nur Geschlechtszellen hervor¬ 
bringen, die die Anlage zu brauner Augenfarbe enthalten; jedes seiner 
Kinder wird demnach von ihm die Anlage zu brauner Augenfarbe 
erben; seine sämtlichen Kinder werden demnach, auch wenn die Mut¬ 
ter blauäugig ist, braune Augen haben, denn, wie bereits erwähnt, 
wijxl ja beim menschlichen Auge das Blau erfahrungsgemäss vom 
Braun überdeckt. Der verschiedenanlagige (heterozygote) Mann 
dagegen, dessen braunen Augen eine Anlage für Braun und eine für 
Blau zugrunde liegt, wird Geschlechtszellen hervorbringen, von denen 
die Hälfte die Anlage für Braun, die andere Hälfte die Anlage für Blau 
enthält. Denn welcher der beiden Paarlinge in jedem 
einzelnen Falle bei der Reifung der Geschlechts¬ 
zellen verloren geht, und welcher bleibt, darüber 
entscheidet allein der Zufall, oder, was hier das¬ 
selbe ist, das Gesetz der Wahrscheinlichkeit. Ein 
verschiedenantägiger Mann mit braunen Augen wird deshalb auf die 
Hälfte seiner Kinder die Anlage für Braun, auf die andere Hälfte die 
Anlage für Blau vererben; mit einer blauäugigen Frau wird er da¬ 
her zur Hälfte braunäugige, zur Hälfte blauäugige Kinder haben. 

Wir sehen schon an diesem Beispiel, dass zwei Menschen, 
die äusserlich gleiche Eigenschaften haben, den¬ 
noch verschiedenen Erb wert besitzen können. 
Die äussere Erscheinung eines Einzelwesens ist deshalb zwar viel¬ 
fach verwandt, aber durchaus nicht identisch mit seinen Erbanlagen. 
Die Erbanlagen eines Lebewesens kann man nun aus der durchschnitt¬ 
lichen Beschaffenheit seiner Nachkommen erschlossen: man kann sich 
auf diese Weise ein Bild von den Erbanlagen des Lebewesens 
machen, man kann sozusagen eine Erbformel von ihm aufstellen. 
Diese Erbformel, dieses Erbbild, deckt sich, wie gesagt, nicht mit 
der äusseren Erscheinung, mit dem Erscheinungsbild des be¬ 
treffenden Lebewesens. Um so wichtiger ist aber für den Biologen 
die Erforschung des Erbbildes, denn, wie uns der Mendelismus lehrt, 
sind es nicht die Eigenschaften des Einzelwesens, die auf die nächste 
Generation vererbt werden, sondern die Anlagen seines Erbbildes. 
Ein verschiedenanlagigcr (heterozygoter) Mann mit braunen Augen 

Original from ? 

UMVERSITY OF CALIFORNIA 




1404 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Hr. 50. 


vererbt eben trotz seiner braunen Augenfarbe auf die Hälfte seiner 
Kinder die Anlage zu blauer Augenfarbe. Die Anlage zu blauer 
Augenfarbe, die er von seinen Vorfahren geerbt hat, und die bei 
ihm selbst durch die Anlage zu Braun nur überdeckt war, kommt so 
bei seinen Nachkommen wieder zum Vorschein, seine Nachkommen 
können sich wieder in braunäugige und blauäugige Individuen auf¬ 
spalten. Man hat deshalb von einer Spaltungsregel gesprochen; und 
weil eben die beiden Erbanlagen, die zu einem Anlagenpaar vereinigt 
sind, niemals miteinander verschmelzen, sondern bei jeder neuen Ge- 
schlecntszelienreifung. sich in ihre beiden ursprünglichen Paarlinge 
spalten, so kann man die verschiedenanlagigen, heterozygoten In¬ 
dividuen, an deren Nachkommen jene Spaltung sichtbar wird, als 
spalterbige bezeichnen, während die gleichnamigen, homozygoten, die 
nur eine Sorte von Geschlechtszellen hervorbringen, weil beide Paar¬ 
linge gleich sind, sich rein weiter vererben und somit den Namen 
Reinerbige verdienen. 

Das Einzelwesen vererbt also auf seine Nachkommen nicht die 
Eigenschaften seines Erscheinungsbildes, sondern die Anlagen seines 
Erbbildes. Und zwar vererbt es von jedem Erbanlagenpaar, das in 
seinem Erbbild vorhanden ist, in jedem Falle nur den einen Paar¬ 
ling. Den andern, dazu gehörenden Paarling empfängt das neuent¬ 
stehende Lebewesen von seinem anderen Elter; so dass also jedes 
Kind die Hälfte seiner Erbanlagen vom Vater, die andere von der 
Mutter erhält 1 ). Das Mendelsche Gesetz können wir dem¬ 
nach folgendermassen fassen: Alle Vererbung beruht auf 
dem Weitertragen von Erbanlagepaaren; von je¬ 
dem Paar geht dabei stets ein Paarling infolge der 
sog. Reifung der Geschlechtszellen verloren. Jede 
Erbanlage hat daher bei jeder Zeugung die Wahr¬ 
scheinlichkeit, zur Hälfte auf das Kind über¬ 
zugehen. 

Aus dieser kurzen Darlegung des Mendel sehen Gesetzes wird 
schon ersichtlich, dass in der modernen Vererbungslehre die Tren¬ 
nung der Begriffe Eigenschaft und Erbanlage, oder, noch schärfer 
ausgedrückt, die Trennung der Begriffe des Erblichen und des Nicht¬ 
erblichen eine ganz ausserordentliche Zuspitzung erfahren hat. Diese 
Trennung hat sich bei den Fortschritten der Erblichkeitsforschung 
immer mehr als Notwendigkeit herausgestellt, weil ohne sie eine klare 
Verständigung über die wichtigsten allgemeinbiologischen Erschei¬ 
nungen unmöglich ist. Darwin glaubte noch, dass eine solche 
scharfe Scheidung nicht nötig und nicht möglich sei, er glaubte noch, 
dass die Vererbung eine Uebertragung der Eigenschaften sei, die 
wir als angeborene oder erworbene Eigenschaften an Einzelwesen 
wahrnehmen; so flössen bei ihm die Begriffe des Erblichen und des 
Nichterblichen und die Begriffe des Angeborenen und des Erworbenen 
noch ineinander. Aber schon sein grosser Vetter Francis Gal ton, 
der geniale Begründer der Rassenhygiene, kam auf Grund experi¬ 
menteller Untersuchungen an Kaninchen zu dem Schluss, dass die 
Erbmasse von dem Körper des Einzelwesens und seinen erworbenen 
Eigenschaften in hohem Grade unabhängig ist. Diese zuerst von 
-Gal ton ausgesprochene Tatsache wurde später in grosszügiger 
Weise von August Weismann ausgebaut und in zahlreichen Schrif¬ 
ten mit bewunderungswürdiger Folgerichtigkeit vertreten. Weis- 
mann zeigte darin, dass die Erbmasse nicht, wie Darwin geglaubt 
hatte, aus den Zellen des Körpers gebildet wird, sondern dass sie ge- 
wissermassen von Anfang an da ist, indem von denjenigen Zellen, 
aus denen der Körper entsteht von vornherein ein kleiner Teil sich 
absondert und in unausgebildetem, undifferenziertem Zustande liegen 
bleibt, während die übrigen Zellen sich zu den Geweben und Organen 
des Körpers differenzieren. Dieser Haufen undifferenziert gebliebener 
Zellen bildet dann das eigentliche „Keimplasma“, d. h. die Erbmasse, 
die die Geschlechtszellen, die Träger der Vererbung, abgibt. Es ist 
demnach klar, dass diese Erbmasse, die nicht, wie Darwin annahm, 
von dem Körper, sondern unmittelbar von der Erbmasse der vorher¬ 
gehenden Generation abstammt, an und für sich gar keine Veranlas¬ 
sung hat Eigenschaften des Körpers in sich aufzunehmen und auf die 
nächste Generation zu übertragen. Der Vorgang ist ja, wie gesagt, 
gar nicht so, dass die Erbmasse aus den Zellen des Körpers ent¬ 
steht, sondern umgekehrt entsteht der Körper samt seinen Eigen¬ 
schaften unter Mithilfe der Umwelteinflüsse aus den Tendenzen, die 
er aus den Zellen der Erbmasse aus denen er hervorgegangen ist, 
mitbekommen hat. Es liegt also von vornherein gar kein Grund vor 
zu der noch heute von Nicht-Naturwissenschaftlern meist als selbst¬ 
verständlich hingestellten Annahme einer Vererbung erworbener 
Eigenschaften. Weismann unterzov deshalb die Frage nach der 
Vererbung erworbener Eigenschaften (zu seiner Zeit glaubte man so¬ 
gar noch an die Erblichkeit von Verstümmelungen!) einer gründlichen 
experimentellen Prüfung, und er kam zu dem Schluss, dass es 
eine Vererbung erworbener Eigenschaften nicht 
gibt. Diesen Schluss hat die moderne mendelistische Erblichkeits¬ 
forschung in glänzender Weise bestätigt; denn wäre die Vererbung 
etwas anderes als ein Ausdruck der von W e i s m a n n behaupteten 
Kontinuität der Erbmasse, wäre sie z. B. eine Uebertragung der am 
Einzelwesen tatsächlich vorhandenen Eigenschaften, so gäbe es keine 
einzige mendelistische Erbformel, so gäbe es also keinen Mendelismus, 
überhaupt keine exakte Vererbungswissenschaft. 

W e i s m a n n sah also den Gegensatz des Erblichen und des 


*) Von der Komplizierung der Verhältnisse durch die sog. Ge¬ 
schlechtschromosomen sehe ich hier ab. 

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Nichterblichen in der Erbmasse einerseits, in dem Körper des Einzel¬ 
wesens andererseits. Die Begriffe des Erblichen und des Nichterb¬ 
lichen dächte er sich demnach an morphologische, körperliche Grund¬ 
lagen gebunden. Mit dieser Verkoppelung der Begriffe des Erblichen 
und des Nichterblichen mit morphologischen Vorstellungen brach 
Wilhelm Johannsen, indem er seine geistvollen abstrakten Be¬ 
griffskonstruktionen' aufstellte. Johannsen unterscheidet den 
Genotypus, den Erbanlagentypus von dem Phänotypus, dem Er¬ 
scheinungstypus. Die Erbanlagen eines Einzelwesens können wir 
bekanntlich experimentell aus seiner Nachkommenschaft erschliessen. 
Das Bild, das uns so von den gesamten Erbanlagen des Einzelwesens 
entsteht, gewissermassen die erbliche Konstitutionsformel, die dem 
Einzelwesen zugrunde Liegt, das ist das, was Johannsen als Erb¬ 
anlagentypus bezeichnet bat. Unter Erscheinungstypus dagegen ver¬ 
steht Johannsen das Bild, das uns das Einzelwesen in seiner tat¬ 
sächlichen Erscheinung darbietet, also mit allen seinen angeborenen, 
erworbenen, erblichen und nichterblichen Eigenschaften. 

ln diesen Johannse n sehen Begriffen kommt nun allerdings 
die erwünschte scharfe Trennung zwischen dem Erblichen und dem 
Nichterblichen noch gar nicht in vollem Masse zum Ausdruck. Denn 
der Erscheinungstypus enthält je neben den nichterblichen Eigen¬ 
schaften auch alle diejenigen Eigenschaften, die erblich be¬ 
dingt sind. Ich habe deshalb die. Empfindung gehabt, dass 
uns ein Wort für das, was am Erscheinungstypus nicht 
erblich, was an ihm rein erscheinungstypisch ist, noch fehlt, und 
ich habe deshalb vor einiger Zeit den Vorschlag gemacht, hierfür 
das Wort paratypisch, nebentypisch zu gebrauchen 2 ). 

Ich habe es bei dieser Gelegenheit auch für zweckmässig ge¬ 
halten, diese wissenschaftlichen Fachausdrücke ins Deutsche zu über¬ 
tragen, und ich habe deshalb kurz das E r b b i 1 d (I d i o t y p u s) 
dem Nebenbild (Paratypus) gegenübergestellt. Dabei ver¬ 
stehe ich unter Erbbild (Idiotypus) die Gesamtheit der erblichen 
Anlagen, die Erbformel eines Einzelwesens, also den Erbanlagcn- 
typus Johannsens, unter Nebenbild (Paratypus) die nichterbliche 
Beschaffenheit eines Lebewesens. 

Zur Erklärung des Begriffes Nebenbild (Paratypus) will ich noch 
ein Beispiel anführen. Von der chinesischen Primel, Primula 
sinensis, gibt es eine 'weissblühende und eine rotblühende Rasse. 
Wenn man nun einige Pflanzen der rotblühenden Rasse in ein "Ge¬ 
wächshaus bringt, in der sie bei einer Temperatur von etwa 30—35® 
und etwas schattig auf wachsen, so bilden ihre Blüten keinen Farb¬ 
stoff. Sie blühen also rein weiss, so dass sie von den Pflanzen der 
weissblühenden Rasse gar nicht zu unterscheiden sind. Durch äussere 
Einflüsse wird hier also das Rassenmerkmal „rote Blüteirfarbe“ ent¬ 
scheidend verändert. Diese Aenderung ist aber keine erbbildliche 
und somit keine erbliche; sie betrifft ja die Blütenblätter der be¬ 
treffenden Pflanzen, und nicht die Geschlechtszellen. Von einer erb¬ 
bildlichen Aenderung könnten wir aber doch nur dann sprechen, 
wenn durch sie die Geschlechtszellen, genauer: die in ihnen ent¬ 
haltene Erbmasse, verändert würde. Wo das nicht der Fall ist. 
w r o durch die Einflüsse der Umwelt nur das Erscheinungsbild eines 
Organismus eine Aenderung erleidet, da eben sprechen wir von 
einer paratypischen, nebeh bildlichen Aenderung. So 
ist im vorliegenden Falle die weisse Blütenfarbe der Warinhaus- 
primeln eine nebenbildliche Eigenschaft. Das zeigt sich denn auch 
daran, dass die Pflanzen, wenn wir sie ins Freie zurückversetzen, 
alsbald wieder normal rote Blüten hervorbringen. Auch aus den 
Samen der im Warmhaus weissblühenden, aber doch eigentlich roten 
Primelrasse gehen natürlich wieder Pflanzen hervor, die unter nor¬ 
malen Verhältnissen rote Blüten treiben. Eine Aenderungder 
Rasse kann eben nur durch eine Aenderung des 
Erbbildes, niemals aber durch irgendwelche neben¬ 
bildliche Aenderung des Erscheinungstypus Zu¬ 
standekommen. 

Im konkreten Einzelfall wird es nun allerdings oft schwer, ja 
unmöglich sein, zu sagen, ob eine Eigenschaft erbbildlich bedingt 
oder ob sie nur nebenbildlich ist. Umso notwendiger aber ist die 
theoretische Trennung dieser Begriffe; denn ohne klare und prägnante 
Begriffe schwebt die Diskussion naturwissenschaftlicher Fragen in 
der Luft. 

Erbbild wie Nebenbild sind natürlich nicht unveränderlich. Die¬ 
jenigen Einflüsse nun, die an dem Erbbilde, dem Idiotypus, Aendc- 
rungen hervorrufen, und die uns — nebenbei bemerkt — grössten¬ 
teils noch unbekannt sind, hat Fritz Lenzidiokinetische, erb¬ 
ändernde Faktoren genannt. Entsprechend kann man die¬ 
jenigen Umwelteinflüsse, welche nebenbildliche, paratypische Aende- 
rungen verursachen, als parakinetische, nebenändernde 
Faktoren bezeichnen. Das Ergebnis der erbändernden Einflüsse 
heisst dann Erbvariation, Erbabweichung, das Ergebnis neben¬ 
ändernder Einflüsse NebeHvariation. Erbvariation und Neben¬ 
variation decken sich demnach mit den bekannten Bezeichnungen 
Mutation und Modifikation (Baur). 

Mindestens ebenso wichtig wie die Aenderung des Erbbikies und 
des Nebenbildes ist ihre Erhaltung. Das Enbbild (der Idiotypus) er- 


a ) H. W. Siemens: Biologische Terminologie und rassen¬ 
hygienische Propaganda. Arch. f. Rassen- u. Gesellschaftsbiologie. 
12. H. 3. H. W. Siemens: Die biologischen Grundlagen 
der Rassenhygiene und der Bevölkerungspolitik. 
München, J. F. Lehmanns Verlag. 1917 (80 S.) 1.80 M. 

Original fro-m 

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10. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1405 


hält sich durch die Kette der Geschlechter hindurch vermittelst der 
Vererbung. Die Vererbung ist überhaupt nichts anderes als der 
Ausdruck der Kontinuität der Erbmasse, als das Weitertragen des 
Erbbildes, des Idiotypus, von Geschlecht zu Geschlecht. Man kann 
deshalb als exakten Fachausdruck für die Vererbung zweckmässig 
das Wort Idiophorie, Weitertragen des Idiotypus, gebrauchen. 
' Aus dieser Bezeichnung ergibt sich schon, dass im strengen Sinne 
des Wortes irgendwelche erscheinungsbildlichen Eigenschaften 
eigentlich gar nie vererbt werden, sondern nur die Einheiten des Erb- 
. bildes. die Erbanlagen. Der leider vielgebrauchte Ausdruck 
„Vererbung erworbener Eigenschaften“ würde also auch dann noch 
bedenklich und irreführend sein, wenn man unter den „erworbenen“ 
Eigenschaften nicht hauptsächlich die nebenbildlichen zu verstehen 
hätte. Was aber hat die Vererbung, die Weitergabe des Erbbildes, 
mit den n eb e rrbildlichen Eigenschaften zu tun! Man muss sich 
eben daran gewöhnen, die erbbildlichen und die 
nebenbildllchen Erscheinungen von vornherein als 
Dinge zu betrachten, die zwei verschiedenen be¬ 
grifflichen Sphären angehört. Dann wird der Kampf 
gegen den Aberglauben an die „Vererbung erworbener Eigenschaften“ 
bald nur noch ein Kampf gegen Windmühlen sein. 

So weit sind wir allerdings vorläufig leider noch nicht. Die 
Hauptschuld daran trägt die Tatsache, dass auch nebcnbiidliche Eigen¬ 
schaften an die nächste Generation weitergegeben werden können. 
Wenn man z. B. Bohnenpflanzen nahezu verhungern und vertrocknen 
lässt, so dass sie nur geringe Grösse erreichen und nur ganz kleine, 
nährstoffarme Samen hervorbringen, und wenn man dann diese Samen 
auf gutem Böden bei guter Pflege aufwachsen lässt, so werden die 
daraus entstehenden Pflanzen hinter den übrigen Dohnenpflanzen, die 
von besser ernährten Eltern abstammen, an Grösse deutlich Zurück¬ 
bleiben. Es handelt sich hier aber keineswegs um Vererbung. Die 
Bohnensamen enthalten nämlich ausser den Erbanlagen auch noch 
Nahrungsstoffe für die junge keimende Pflanze; sind nun diese Nah¬ 
rungsstoffe infolge Hungerns der Elternpflanze sehr gering, so leiden 
darunter die jungen Bohnenpflänzchen in der ersten Zeit ihrer Ent¬ 
wicklung, und die Folgen dieser frühen Hungerperiode können auch 
durch spätere sorgsame Pflege nicht wieder ausgeglichen werden. 
In der nächsten Generation sind dann aber bei den Bohnen die nor¬ 
malen Verhältnisse wiederhergestellt. 

Derartige Tatsachen werden nun immer wieder im Sinne einer 
Vererbung erworbener Eigenschaften missverstanden. Besonders 
wenn sich eine solche Nachwirkung nebenbildlicher Eigenschaften 
über mehrere Generationen erstreckt, glauben Nichtbiologen meist, 
dass nun allmählich diese nebenbildl'ichcn Eigenschaften auch in die 
Erbmasse übergehen müssten. Aber die nebenbildlichen 
Eigenschaften können, selbst wenn sie auf die näch¬ 
sten Generationen noch nachwirken, niemals zu 
erbbildlichen Eigenschaften werden. Denn der begriff¬ 
liche Unterschied zwischen erbbildlichen und nebenbildlichen Erschei¬ 
nungen ist ein ganz fundamentaler. Er beruht darauf, dass d i e 
erbbildlichen Anlagen, wenn sie erst einmal da sind, auf 
alle Zelten irreversibel sind; sie. können nur durch neue 
erbändernde Einflüsse wieder geändert oder durch die Auslese aus¬ 
gemerzt werden. Die nebenbildlichen Eigenschaften 
dagegen sind, wie die Einzelwesen, schon bei ihrer Entstehung mit 
dem Tode und dem Verlöschen gezeichnet: trotz ihrer hie und da 
möglichen Nachwirkung auf einige spätere Generationen bleibt cs ihr 
Kennzeichen, dass sie automatisch reversibel sind; weil sic 
nicht in der Erbmasse verankert liegen, heben sie sich mit der 
Zeit von selbst wieder, auf. falls sie nicht überhaupt schon mit der 
Generation zugrunde gehen, an der sie entstanden sind. 

Ueberblicken wir das Gesagte noch einmal im Zusammenhang! 
Dem eigentlichen erblichen Wesen der Organismen, dem Er-bbild 
(Idiotypus), stellten wir das gegenüber, was zu diesem erblichen 
Wesen gehört, was zufällig, flüchtig, reversibel ist: das N eb e n b i 1 d 
(Paratypus). Die Umweltwirkungen, denen ein Lebewesen ausgesetzt 
ist, teilten wir in erbändernde (idiokinetische) und 
nebenändernde (parakinetische). Das Ergebnis der erb- 
ändernden Einflüsse nannten wir Erb variation, das Ergebnis der 
nebenändernden Nebenvariation. Als echte Vererbung (Idio¬ 
phorie) bezeichneten wir den Vorgang, der die Anwesenheit glei¬ 
cher erbbildlicher (idiotypischer) Anlagen bei Vorfahren und Nach¬ 
kommen bewirkt. Scharf trennten wir von der Vererbung die Nac h- 
w-i r k u n g nebenbildlicher Eigenschaften, da durch sie 
an der flüchtigen, zwangsläufig reversiblen Natur jener nebenbild- 
lichen Erscheinungen nichts geändert wird. 

Ausser der Nebenänderung und der Erbänderung sind alle Lebe¬ 
wesen noch einer dritten* durch das Milieu wirkenden Macht unter¬ 
worfen: Der Auslese (S e l.e k t i o n). Auf die Art und den Um¬ 
fang ihrer Wirkung kann ich hier nicht näher eingehen. Jedenfalls 
darf überall da, wo von Erhaltung oder Aenderung lebender Wesen, 
wo von Rassenverfall oder Rassenveredelung die Rede ist, niemals 
vergessen werden, auch die Auslese in Rechnung zu stellen. 

Aus dem Gesagten geht hervor, dass man sämt¬ 
liche Einflüsse, mit denendasMilieu lebendeWesen 
zu treffen vermag, in drei Gruppen einteilen kann: 
in nebenändernde, erbändernde und auslesende Ein¬ 
flüsse. Eine wichtige Lehre, die wir aus der Beschreibung und 
Erkennung der vererbungsbiologischen Grundbegriffe ziehen können, 

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ist nun die, dass durch alle neben ändernden Einflüsse 
niemals eine Entartung der Rasse zustande kom¬ 
men kann. Denn unter Entartung kann man doch wohl nichts 
anderes verstehen, als eine durchschnittliche Verschlechterung der 
Erb bilder, wobei mit „Verschlechterung“ eine Verminderung der 
Angepasstheit an das physiologische (dauernde Erhaltung ver¬ 
bürgende) Milieu gemeint ist. Wohl ist die bestmögliche nebenbild¬ 
liche Ausgestaltung der Einzelwesen, wie sie durch die geistige und 
körperliche Erziehung, durch die private und soziale Hygiene ge¬ 
fördert wird, von ausserordentlichem Werte für Staat und Kultur; 
eine Erhaltung oder gar Veredelung der Rasse kann aber durch alle 
diese Massnahmen niemals gewährleistet werden, denn nahezu alle 
diese nebenbildlichen, „erworbenen“ Eigenschaften gehen schon mit 
den Individuen wieder zugrunde. Und auch die wenigen, die auf 
die nächsten Geschlechter nachwirken, können dadurch vor dem 
baldigen, von selbst erfolgenden Verlöschen nicht bewahrt bleiben. 

Deshalb sollte bei allen rassen hygienischen 
Diskussionen die Nebenänderung eigentlich am 
besten von vornherein Ausscheiden. Aber auch 
die Erbänderung gibt uns kaum irgendwelche Mit¬ 
tel in die Hand, unsere Rasse zu erhalten oder zu 
verbessern. Es ist nämlich eine ganz grundlose Annahme, dass 
unter Umweltbedingungen, die dem Einzelwesen für die Ausgestal¬ 
tung seiner nebenbildlichen Eigenschaften günstig sind, auch günstige 
Erbanlagen entstehen müssten. Im Gegenteil haben viele Forscher 
vermutet, dass gerade die günstigen Umweltbedingungen, unter denen 
die zivilisierten Völker und die domestizierten Tier- und Pflanzen¬ 
rassen stehen, den Grund zur Entstehung vieler neuer krankhafter 
Erbanlagen abgeben. Wie dem aber auch sei: durch günstige 
Umweltbedingungen, durch gute Ernährung, Kör¬ 
perpflege, Abstinenz, Sport, Reinlichkeit, Licht. 
Luft und ähnliche schöne Dinge allein kann die Er¬ 
haltung einer Rasse niemals gewährleistet wer¬ 
den. Denn die Erhaltung einer Rasse geschieht in erster Linie 
durch Fortpflanzung, und wo die Fruchtbarkeit unter das 
zur Erhaltung notwendige Mass herab sinkt, da ist 
alle Mühe umsonst, da hält das Völkersterben 
seinen Einzug. 

Deshalb sind auch die Griechen zugrunde gegangen, die Griechen, 
deren Sport und deren Körperpflege noch heute für ganz Europa ein 
unerreichtes Vorbild von märchenhaftem Glanze ist. Die Gunst der 
Umwelt allein macht es eben nicht. Wo — wie einst in 
Griechenland — die Fruchtbarkeit der Besten zu ihrer Erhaltung 
nicht mehr genügt, wo — wie einst in Griechenland — die 
Tüchtigsten aussterben, da ist durch nebenändernde und 
erbändernde Beeinflussung nichts mehr zu retten, da kommt 
es unausweislich zum „Rassenverfall“ zu einer Minderung 
der durchschnittlichen erbbildlichen Tüchtigkeit des Gesamtvolkes. 
So zeigt uns die Beschreibung der vererbungsbiologischen Grund¬ 
begriffe auch die Grenzen, an denen alle vererbungsbiologischen Vor¬ 
gänge ihre Macht einbüssen; wo die Ausmerze woder Tod 
seinen Einzug hält, da hat auch die Vererbung ihr 
Recht verloren. 

Und so stehen wir unverhofft an dem Abgrund, in den auch die 
gegenwärtige weisse Rasse zu versinken droht. Auch bei uns ist 
bekanntlich — wie einst in Griechenland — die Fruchtbarkeit der 
Tüchtigen zu ihrer Erhaltung völlig unzureichend. Unsere un¬ 
glückseligen s o z ia 1 w i r t s c h a f 11 i c h e n Verhält¬ 
nisse, die die Eltern dafür strafen, dass sie Kinder 
haben, bringen bei uns anerkanntermassen ein 
fortschreitendes Aussterben der wertvollsten, 
leistungsfähigsten Erbstämme und damit eine 
fortschreitende Verminderung der durchschnitt¬ 
lichen erbbildlichen Tüchtigkeit unseres Volkes 
zustande. Dieser unzweifelhaften Tatsache gegenüber, die ich 
hier nicht näher belegen kann *), kann nur die frohe Zuversicht der 
Unwissenheit anders als schwarz in die Zukunft blicken. Und wenn 
es nicht gelingt, durch eine grosszügige geburtenpolitische 
Steuer-und Erbrechtsreform, zu der auch die Lenz- 
G r u b e r sehe Siedlungspolitik der „bäuerlichen Lehen“ ge¬ 
hört, dem Schicksal, das uns bedroht, Halt zu geboten, so sind die 
Tage Europas gezählt, und die Asiaten werden das Erbe der Welt an- 
treten. 

So mancher wird diese sorgenvollen Gedanken in den Wind 
schlagen: „So viele Völker sind schon vor uns dahingeschwunden, 
warum sollen nicht wir auch zugrunde gehen!“ Möge so denken, wer 
da will. Wir Rassenhygieniker aber können diese müde, pflichtver¬ 
gessene Resignation nicht teilen. W i r können nicht anders, als das 
fortschreitende Aussterben der tüchtigsten Erbstämme unseres Volkes 
und somit den drohenden Untergang der abendländischen Kultur aufs 
tiefste zu beklagen, und zu tatkräftigem Kampfe, d. h. zu ener¬ 
gischer Werbung für rassenhygienische Geburten¬ 
politik alle diejenigen aufzurufen, die mit uns gleichen Wissens und 
gleichen Willens sind. 


3 ) Näheres findet man in meiner Broschüre 1917 (a. a. O.). 

Original frn-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1406 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


Aus der Kgl. Medizinischen Klinik der Universität Königsberg 
(Direktor: Geh. Rat Prof. Matthes). 

Bericht über eine kleine Trichinoseepidemie. 

Von Dr. W. Eisenhardt. 

Wegen des Interesses, welches -die Trichinose und namentlich 
ihre Behandlung mit Thymolpräparaten neuerdings gefunden hat, 
möchte ich über eine kleine in der Med. Klinik zu Königsberg be¬ 
obachtete Trichinoseepidemie kurz berichten: 

Im Dezember 1917 brachte der Feldwebel N. seiner Familie aus 
Russland Schweinefleisch mit, das in der Zeit vom 21. XII. 17 bis 
6. I. 18 in geräuchertem und gekochtem Zustand von den Familien¬ 
mitgliedern und einigen Freunden verzehrt wurde. Am 6. 1. 18 
ersrankte Frau N. mit Kopfschmerzen und Brechneigung, starkem 
Durstgefühl und Blähungen. Am 7. 1. bestand Fieber und Leib¬ 
schmerz, verbunden mit starkem Kollern im Leib: es traten Durchfälle 
auf, die Kranke wurde bettlägerig, wurde sehr schwach und es stellte 
sich bald Benommenheit ein. Nach Aussagen des behandelnden Arztes 
bestand vorübergehend einseitiges Lidödem. Sehr bald klagte Pat. 
auch über Schmerzen in den Muskeln, vor allem in den Oberarmen 
und Beinen. Am ganzen Körper bestand ein Gefühl der Schwere. 
Zeitweise traten Hauterythem und Juckreiz auf. 

Am 20. I. 18, also zu Beginn der dritten Krankheitswoche, wurde 
die Kranke in etwas benommenem Zustande, hochfiebernd der Klinik 
eingeliefert. Die Diagnose war noch nicht gesichert. Inzwischen 
waren der Ehemann, der wieder ins Feld gerückt war, ein Söhnchen 
von 9 Jahren, eine Schwester des Ehemanns, zwei Schwestern der 
Ehefrau und mehrere Bekannte mit Fieber, Lidödem, Kopf- und 
Gliederschmerzen, vereinzelt auch mit Darmerscheinungen mehr oder 
weniger leicht erkrankt. Der Ehemann starb bald darauf in einem 
Lazarett, ohne dass die Diagnose dort gestellt worden war. In der 
Klinik wurde bei Frau N. Trichinose sehr schnell erkannt und vom 
Schlachthof kam die Nachricht, dass das zur Untersuchung über¬ 
sandte Schweinefleisch stark trichmig befunden war. Von den 
übrigen Erkrankten gelangten im Laufe der folgenden Woche w eitere 
fünf Personen zur Aufnahme. 

Der Zufall fügte es, dass am 25. Januar 1918 ein Patient die 
Klinik aufsuchte, der angab, am 12. Dezember 1917 plötzlich mit 
Schüttelfrost erkrankt zu sein, abends hatte er bereits 40° Fieber 
und heftige Gliederschmerzen. In den nächsten Tagen hielten Fieber 
und Gliederschmerzen an, das Gesicht war vollständig verschwollen, 
vor allen Dingen die Augenlider und die Schläfengegend. Es wurde 
vom behandelnden Arzte Influenza angenommen. Am 4. Tage stieg 
das Fieber auf über 40°. Pat. hatte sehr viel heftigere Muskel- 
schmerzen. besonders, in den Beinen; Bewegungen waren äusserst 
schmerzhaft, stehen konnte der Kranke überhaupt nicht. Das Fieber 
war zeitweilig so Hoch, dass er nachts deliriert haben soll. Unter 
Typhusverdacht wurde er der Klinik eingeliefert. Als Ursache seiner 
Erkrankung nahm der Kranke verdorbene Austern an, die er einige 
Tage vor Auftreten der ersten Symptome genossen hatte. Die vor¬ 
genommene Untersuchung machte das Vorhandensein eines Typhus 
bereits am 1. Tage unwahrscheinlich und am nächsten Tage wurden 
im exzidierten Muskel zahlreiche noch nicht aufgerollte Trichinellen 
aufgefunden. 

Am 3. Februar d. Js. kam das Ehepaar G. unter der Diagnose 
einer Trichinelienerkrankung zur Aufnahme. Durch Untersuchung 
auf dem Schlachthof zu Marggrabowa war festgestellt worden, dass 
am 19. Januar genossenes rohes Schweinefleisch massenhaft Trichi¬ 
nellen enthielt. Am 23. Januar traten die ersten Krankbeitserschei- 
nungen auf. Der Ehemann fühlte sich sehr matt und litt in den 
nächsten 2 Tagen an heftigen Durchfällen, verbunden mit Uebelkeit 
und Erbrechen. Frau G. erkrankte erst am 26. mit Muskelschmerzen, 
besonders in den Extremitäten und Stuhlverstopfung. Am 27. be¬ 
merkte der Mann, dass er sich öfter verschluckte, Atemnot bestand 
bei beiden nicht; dagegen bemerkten sie leichte Anschwellung der 
Augenlider. In 'hochfieberndem Zustande fanden die Kranken in der 
Klinik Aufnahme. 

Es befanden sich somit 9 Trichinosekranke gleichzeitig in Be¬ 
handlung. Bei sämtlichen Patienten trat als Frühsymptom neben 
der starken Temperatursteigerung Lidodtem von massiger Stärke auf, 
wie es ja mit seltenen Ausnahmen bei fast allen Trichinoseepidemien 
beobachtet worden war. Bekanntlich finden sich auch bei Fleck¬ 
fieber Lidödeme, und da andererseits gelegentlich im Verlauf der 
Trichinose auch roseolaä'hnliche Ausschläge auftreten können, so sind 
Verwechslungen immerhin möglich, wie sie im Felde auch wiederholt 
vorgekommen sind. Exantheme wurden bei unseren Fällen nicht 
beobachtet. Nachdem die Lidödeme bereits völlig abgeklungen 
waren, fanden sich an den Extremitäten bei zwei Patienten lang¬ 
wierige Oedeme. 

Uebereinstimmend klagten die Kranken über ein Gefühl der 
Schw-ere in allen Gliedern, sie waren wie gelähmt. Diese Be¬ 
schwerden gehörten zu den frühzeitigsten charakteristischen Erschei¬ 
nungen. Flury hat bekanntlich aus den Trichinellen verschiedene 
Toxine isolieren können, u. a. Oedem- und Muskelstarre hervor¬ 
rufende Gifte. Zweifellos handelt es sich bei den Frühödemen und 
der „Muskellähme“ (K r a t z), die schon vor Einwanderung der 
Embryonen in die Muskulatur auftreten, um solche Giftwirkungen. 

Weniger gleichmässig waren die Darmstörungen; während sie 
bei einzelnen überhaupt fehlten, traten bei einigen Durchfälle und 

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Erbrechen, bei anderen dagegen Obstipation ein. Allgemein bestand 
hohes Fieber von remittierendem Typus. Die in den ersten Tagen 
nach der Einlieferung einsetzende Behandlung, auf die ich später 
noch zurückkommen w erde, beeinflusste die Temperatur sehr schnell, 
so dass bald Rückkehr zur Norm zu verzeichnen w r ar. Eine Patientin 
war so leicht erkrankt, dass sie bereits in der 3. Krankheitswoche, 
ohne dass eine Behandlung stattgefunden hatte, spontan entfieberte; 
dass es sich auch in diesem Falle um eine Trichinose handelte, ergab 
der Befund im exzidierten Muskel, Gleichzeitig mit dem Sinken des 
Fiebers gingen auch die übrigen Symptome etwas zurück, doch wur¬ 
den sie keineswegs vollständig zum Schwinden gebracht. Besonders 
die heftigen Muskeischmerzen, die es einem Teil der Kranken sogar 
unmöglich machten, anders als unbeweglich in Rückenlage zu ver¬ 
harren, bei gleichzeitiger leichter Adduktion der Extremitäten, be¬ 
standen noch einige Zeit fort, ja bei zwei Patientinnen stellten sich 
erst nach der Entfieberung, als sie bereits das Bett verliessen, heftige 
Wadenschmerzen ein, die ihnen das Auftreten mit voller Fusssohle 
zur Qual machten. Diese Schmerzen Hessen- aber bereits nach einigen 
Tagen spontan nach. Andere Muskelgruppen waren bei unseren 
Kranken nicht befallen, bis auf die geringen Schluckbeschwerden, 
über die Herr G. in den ersten Tagen zu klagen hatte. Die Trichinellen 
wurden im fliessenden Biut nach der von Stäubli angegebenen 
Methode niemals festgestellt, in den exzidierten Muskelstückchen bei 
6 Patienten gefunden; sie waren noch nicht aufgerollt. Bei Herrn (j. 
wurden sie zu-Lebzeiten vermisst. Er kam am 18. II. infolge einer 
Embolie der Arterla femoralis ad exitum, obgleich sofort chirurgisch 
von Herrn Prof. Kirschner der Embolus entfernt worden war. 
Die Operation wurde in Lumbalanästhesie am 14. II. vorgenommen. 
Es wurde nach Einschnitt 5 cm unterhalb des Ligamentum inguinale 
mit einer {£ornzange ein 20 cm oberhalb der Wand festanhaftender 
Thrombus entfernt. Danach war das Arterienrohr für den Blutstrom 
frei. Auch unterhalb der Eröffnungsstelle Wurden noch Gerinnungs¬ 
massen entfernt. Gefässwandnaht. Das Arterienrohr pulsierte daraui 
bis etwa 6 cm unterhalb der Nahtstelle regulär. Von dort nach ab¬ 
wärts war keine Pulsation nachweisbar. Die Operation hatte keinen 
Erfolg und es trat unter den Zeichen der Herzschwäche am 18. II. 
früh der Tod ein. Bei der vorgenommenen Sektion wurde folgender 
Befund erhoben: Hauptkrankheit: Trichinosis, Gangrän des rechten 
Beins nach Arterienthrombose. 

Anatomische Diagnose: Adipositas. Thrombose der Arteria iliaca 
dextra bis zum Abgang der Arteria hypogastrica sin. Sehnenfleck am 
Epikard, beginnende Intimaverfettung der Aorta. Atelektasen in bei¬ 
den Lungenunterlappen. Katarrhalische Bronchitis. Flache inter¬ 
stitielle Halsblutungen, beginnende Kehlkopfverknöcherung, chroni¬ 
sche Hyperplasie der Tonsillen, akute Hyperplasie der Milz, frische 
anämische Infarkte, besonders in der rechten Niere. Massige chro¬ 
nische Gastritis. Cystitis catarrhalis, Fettinfiltration der Leber, leichte 
Enteritis im Dick- und Dünndarm. 

Mikroskopisch frisch: zahlreiche unverkapselte lebende Muskei- 
trichinellen im Musculus stemohyoideus, intercostalis. Rectus ab- 
dominis, diaphragma; zahlreiche reife Trichinellen im Dünndarm-, ein¬ 
zelne im Dickdarminhalt, keine Trichinellen im Pfortaderblut und int 
Nierenarterienthrombus, keine im Herzmuskel. Im Dauerpräparat 
wurden festgestellt: Muskeln und Zunge: massenhaft iunge, teils ge¬ 
streckte, teils geringelte Trichinellen, hochgradige Muskeldegeneration 
und allgemeine Myositis. 

Herz: interstitielle Myokarditis, überwiegend Eosinophile. Me¬ 
senterialdrüsen: keine Trichinen. 

Niere: anämischer Infarkt, im Thrombus keine Trichinellen. 

Darm: zahlreiche reife, männliche und weibliche Trichinellen. 

Das Vorhandensein lebender, geschlechtsreifer Darmtrichinen und 
irisch eingewanderter, noch gestreckter Muskeltrichinen lässt darauf 
schliessen, dass der Einwanderungsprozess noch in vollem Gange war. 
Makroskopisch war die Muskulatur unverändert, nicht, wie öfter be¬ 
schrieben. „spickgansähnlich“. Die Myositis erstreckte sich allge¬ 
mein über alle untersuchten Muskefgebiete und betraf auch diejenigen 
Faser- und Bündelgebiete, die frei von Trichinellen waren; ihre Ent¬ 
stehung kann nicht rein mechanisch durch die Einwanderung der 
Trichinellen erklärt werden, es sind vielmehr toxische Einflüsse anzu¬ 
nehmen. 

Die Sektion ergab keinen Befund, der irgendwie zur ursächlichen 
Klärung für die Entstehung des Thrombus hätte beitragen können 

Neigung zur Thrombenbildung bei Trichinellenerkrankung w urde 
ausser von Rupprecht bei der Hettstädter Epidemie im letzten 
Jahre von Munk erwähnt, und es ist durchaus möglich, dass auch in 
unserem Falle die Thrombose, für die sich sonst keine Ursache finde: 
Hess, mit der Trichinose in Verbindung stand. 

Was nun die übrigen Symptome betrifft, so wurde zweimal 
leichtes Herzklopfen während der Rekonvaleszenz geklagt, ln zwei 
Fällen bestand starker Juckreiz und alle Kranken hatten sehr unter 
profusen Schweissausbrüchen zu leiden. Das Sensorium war, abge¬ 
sehen von leichter Benommenheit in den ersten Tagen in einem 
Falle (Frau N.), stets frei. Vielfach wurde über Schlaflosigkeit ge¬ 
klagt, zeitweise traten Ameisenkribbeln und Neuralgien auf. Sensi¬ 
bilität und elektrische Erregbarkeit der Muskeln waren bei unseren 
Kranken stets normal. 

Die Angaben über das vorübergehende Erlöschen der Patellar- 
reflexe bei gleichzeitigem Auftreten des Kernigschen Symptoms 
konnten wir nur in zwei Fällen bestätigen. Eine Steigerung der 
Patellarreflexc w urde nicht beobachtet. Diazoreaktionen fanden sich 

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10. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1407 


zweimal nur vorübergehend, im übrigen fiel die Reaktion negativ 
aus. Ich war auch nicht in der Lage, S t ä u b 1 i s Beobachtung zu 
bestätigen, dass die Diazoreaktion synchron mit dem Erlöschen der 
Reflexe auftrete, um bei der Wiederkehr der Reflexe zu ver¬ 
schwinden, im Gegenteil waren gerade in den beiden Fällen z. Z. des 
Vorhandenseins der Diazoreaktion die Patellarreflexe lebhaft. Die 
Angaben, dass die Milz nicht immer fühlbar ist. kann ich bestätigen. 

Neuerlich wurde berichtet, dass der Blutdruck bei der Trichinose 
stark sinke. Bei regelmässigen Messungen fand ich regelmässig eine 
langanhaltende, auch noch in der Rekonvaleszenzzeit bestehende, 
deutliche Senkung. Bei Frau N. wurde anfänglich angenommen, dass 
der Blutdruck nicht gesunken wäre, da er sich dauernd zwischen 
120 und 130 mm (R i v a R o c c i) bewegte, doch ergab die Blutdruck¬ 
messung nach völliger Heilung, Ende März, 175 mm. Leider ist das 
Sinken des Blutdruckes im Anfangsstadium als differentialdiagnosti- 
sches Zeichen gegen Fleckfieber nicht zu verwerten, da auch dort 
eine Blutdrucksenkung eintritt. M a a s e und Zondek beobachteten, 
dass der Blutdruck durch Suprarenininjektion in einigen Fällen nicht 
beeinflusst werden konnte, in einem Falle, bei dem ich nachprüfte, 
vermochte ich diesen Befund nicht zu erhalten. 

Diagnostisch am wichtigsten ist entschieden das Blutbild. Stets 
fand sich eine starke Eosinophilie, die vielfach mit einer gleichzeitigen 
absoluten Vermehrung der neutrophilen polynukleären Leukozyten 
einherging. Wir haben verfolgt, in welchem Grade die Eosinophilie 
schwankte. Die höchsten Zahlen der Eosinophilen (bis zu 62 Proz. 
sämtlicher Leukozyten) fanden sich zur Zeit der Einlieferung in die 
Klinik in der zweiten bis dritten Krankheitswoche. Danach gingen 
die Zellen zurück, in manchen Fällen stark, in anderen nur um 
geringe Werte. Einige Wochen nach der Entfieberung fanden sich 
jedoch wieder erhöhte Prozentzahlen, während die neutrophilen 
Leukozyten nur normale Werte aufwiesen, dagegen fanden sich 
jetzt bei den meisten Patienten die Lymphozyten vermehrt. Die von 
Schfeip im Stadium der Rekonvaleszenz beobachtete Vermehrung 
der Blutplättchen fand sich in keinem unserer Fälle. 

Im Stuhl und Urin wurde vorübergehend in einem Falle Uro- 
bilinogen vermehrt gefunden. Trotz mehrfachem sorgfältigem Suchen 
wurden Trichinen im Stuhl niemals aufgefunden. 

Von den angeführten Symptomen erscheinen als besonders 
wichtig die stets beobachtete Senkung des Blutdruckes und die 
Eosinophilie, die in der Mehrzahl der Fälle mit einer gleichzeitigen 
absoluten Vermehrung der neutrophilen Leukozyten vergesellschaftet 
war. Auch die vielfach ausserordentlich hohen Prozentzahlen der 
Eosinophilen sind für die Trichinose charakteristisch. Vor allen 
Dingen zur Differentialdiagnose zwischen unkompliziertem Typhus 
und Trichinose ist der Befund einer Leukozytose 4* Eosinophilie von 
grosser Wichtigkeit. Bei dem Versuch einer therapeutischen Beein¬ 
flussung der Krankheit kamen nach den neueren Erfahrungen von 
Munk (Med. Kl. 1917 Nr. 15) und Wenderoth (Inauguraldisser¬ 
tation, Kiel 1917) vor allen Dingen das Thymol und der Palmitin¬ 
säureester des Thymols von E11 i n g e r in Betracht. Wir kamen 
leider erst sehr spät in den Besitz des letztgenannten Mittels und 
konnten es nur noch in zwei Fällen anwenden, so dass ein Urteil 
über die Wirksamkeit hier nicht ausgesprochen werden kann. Bei 
unseren beiden Kranken hatte es keinen sichtbaren Erfolg und wurde 
auch vom Magen nicht besonders gut vertragen. Munk gibt an, 
dass auch von ihm' bei Verabreichung des Esters in späteren 
Krankheitswochen nicht dieselbe schnelle Wirkung wie zu 
Anfang der Erkrankung erzielt wurde. Es mag sein, dass auf den 
Umstand, dass wir das Mittel erst in der dritten Krankheitswoche 
geben konnten, der geringere Effekt zurückzuführen war. Wir 
brachen diese Behandlung jedenfalls nach 6 Tagen ab und gaben 
statt dessen Thymol in Dosen von 0,5 in 2—3 stündlichen Abständen 
In Oblate per os. Das Thymol wurde nicht nur sehr gut vertragen, 
sondern hatte auch einen offensichtlich günstigen Einfluss auf die 
Temperatur, die bereits nach wenigen Dosen zur Norm zu¬ 
rückkehrte. Nebenerscheinungen haben wir von dem Mittel nicht 
beobachtet. Ob es sich bei der Wirkung des Thymols um eine ein¬ 
fache temperaturherabsetzende Beeinflussung oder um spezifische 
Wirkung auf die Trichinellen handelt, liess sich bei unseren Beob¬ 
achtungen nicht mit Sicherheit feststellen. Anscheinend werden die 
Trichinellen, soweit man wenigstens aus dem einen zur Sektion ge¬ 
langten Falle Schlüsse ziehen kann, in ihrer Lebensfähigkeit und 
Fortentwicklung nicht unmittelbar durch Thymol gehemmt. Für eine 
spezifische Wirkung spricht der Umstand, dass auch nach Aussetzen 
der Thymolbehandlung das Fieber nicht wiederkehrte. 


Aus dem Hygienischen Institut der Universität Würzburg. 
(Vorstand: Qeheimrat Prof. Dr. K. B. Lehmann.) 

Beitrag zur Frage der Permeabilität der intakten Haut 
für Bleiverbindungen. 

(Vorläufige Mitteilung.) 

Von Dr. med. Ph. O. Süssmann, 2. Assistenten am Institut. 

•Die Frage nach der Durchlässigkeit der unverletzten Haut für 
Bleiverbindungen ist in den letzten Jahrzehnten öfters der Gegen^ 
stand wissenschaftlicher Erörterungen und experimenteller Bearbei¬ 
tungen gewesen, ohne dass bis heute eine volle Einigung erzielt 
Nr. 50. 

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worden wäre. Indes schien sich doch die Ueberzeugung allmählich 
durchzusetzen, dass für das Zustandekommen einer Bleivergiftung 
der perkutane Weg hinter dem digestiven und respiratorischen an 
Bedeutung weit zurückstehe. 

Mit dieser Anschauung schlecht vereinbar sind die Versuchs¬ 
ergebnisse von Vogt und Burckhardt 1 ). Diese beiden Autoren 
unternahmen es neuerdings auf Lehmanns Anregung, die Frage 
experimentell zu beantworten. Ihre Versuchsanordnung bestand 
darin, dass Katzen an ihrer kurzgeschorenen oder chemisch ent¬ 
haarten Rückenhaut (ev. nach dem Abheilen kleiner Aetzwunden) mit 
bleihaltigen Salben oder konzentrierten wässerigen Bleilösungen be¬ 
deckt und darüber mit einem möglichst dicht abschliessenden Ver¬ 
bände bekleidet wurden. Dann wurde zumeist der Kot der Tiere, 
soweit er sich gewinnen liess, chemisch auf Blei untersucht und 
auch der Bleigehalt in den Organen der endlich getöteten oder ein¬ 
gegangenen Katzen bestimmt. 

Während zwar die Organe stets sehr wenig Blei enthielten, 
waren dagegen die im Kot gefundenen Bleimengen auffällig gross, 
in einem Falle 147 mg in 4 Tagen. Zwei Tiere gingen denn auch 
unter deutlichen Bleierschefnungen zugrunde; bei den anderen fünf 
Katzen stand jedoch das leichte oder fehlende Vergiftungsbild zum 
Teil in keinem rechten Verhältnis zu den hohen Bleizahlen. 

Dieser Umstand mahnte zur Vorsicht bei der Beurteilung der 
Resultate und machte eine Fortsetzung der Untersuchungen nötig. 
Da diese damals aber aus äusseren Gründen unmöglich war, glaubte 
Lehmann die Veröffentlichung der auffälligen Befunde nicht unter¬ 
drücken zu sollen; indes sah er sich doch veranlasst, in einem kurzen 
Nachwort auf eine mögliche Fehlerquelle dieser Versuche hinzu¬ 
weisem nämlich auf eine trotz aller Vorsicht vielleicht vorhanden 
gewesene Undichtigkeit der Abschlussverbände, infolge deren blei¬ 
haltiges Material entweder direkt oder durch den Umweg des Magen¬ 
darmkanals in den Kot gelangt sein könnte. Er behielt sich gleich¬ 
zeitig vor, die Versuche nach Kriegsende neu aufnehmen zu lassen. 
Günstige Umstände erlaubten jedoch die Wiederaufnahme schon 
früher; dafür, dass mein verehrter Chef dieselbe mir übertrug und 
mit seinem bewährten Rate stets zur Seite stand, bin ich ihm zu 
besonderem Danke verpflichtet. 

Die neuen Versuche (4 an der Zahl) wurden im allgemeinen 
ebenfalls nach der oben geschilderten Methode vorgenommen. Um 
jedoch nicht wieder Unsicherheiten aufkommen zu lassen, wurden 
von vornherein folgende Massregeln ergriffen und beobachtet: 

1. Verbringung der Tiere aus dem Stall in den gewöhnlichen 
Arbeitsraum des Experimentators zur fortlaufenden Beobachtung. 

2. Unterbringung der Katzen in leicht zu reinigenden, sicher 
bleifreien Käfigen mit Urrnabfhrssvorrichtung. 

3. Möglichste Gewissheit darüber, dass aus dem Futter und 
den Futternäpfen (Porzellan) kein Blei aufgenommen werden konnte. 

4. Wochenlange Gewöhnung der Tiere an die Verbände vor 
Versuchsbeginn, um Befreiungsversuche auszuschalten. 

5. Sorgsamste Achtung auf tatsächliche Intaktheit der Haut. 

6. Grösste Sorgfalt bei der Anlegung der Verbände, zu deren 
fett- und wasserdichtem Abschluss Mull, Watte, Billrothbattist, Gela¬ 
tinefolien, Kollodium und ein gefütterter Wachstuchmantel zur Ver¬ 
wendung gelangte 

7. Kontrolle der Dichtigkeit der Verbände durch Analyse ihrer 
Aussenschichten und Ränder bei Versuchsende. 

8. Vollständige Sammlung und Analyse des Kotes und Harns 
nicht nur während der eigentlichen Versuchsdauer, sondern schon 
einige Zeit vorher. 

Die nach diesen Grundsätzen durchgeführten- Versuche ergaben 
ein übereinstimmendes Resultat, das sich von den Vogt -Burck¬ 
hardt sehen Ergebnissen wesentlich unterscheidet. 

Appliziert wurden wechselnde Mengen (10—25 g) Bleioleat 
mit Vaseline gemischt, oder in 1 Falle 5 g Bleioxyd mit Katzenfett 
zu Salbe vermengt. Das ölsaure Salz wurde wie in den Vogt- 
Bu r c k ha rd t sehen Versuchen deswegen gewählt, weil ihm nach 
den O v e r t o n sehen Anschauungen die grösste Permeabilität für 
tierische Membranen zukommen musste. Die Grösse der be¬ 
strichenen 'Hautflächen: betrug 50—150 qcm. 

Die Bleisalbq wurde teils auf die Haut nur aufgelegt, teils 
kräftig eingerieben; eine Beförderung der Aufnahme durch die Ein¬ 
reibung war nicht zu konstatieren. 

Wie gross ist nun zahlenmässig die ermittelte Bleiaufuahme? 

Darüber gibt folgende .Tabelle Aufschluss: 




Wir- 

Finwir 

kungs- 

dauer 

1 Gefundene Bleimengen i 

Bleiauf- 

Katze 

Nr. 

Appliziert 

wurden 







fläche 

im Kot 

im Ham 

im Kör- 

znsam- 

Tatresdurch- 



etwa 

mg 

mg 

oer mg 

men mg 

schnitt mg 

I 

5 g Bleioxyd 
auf ->e1e«?t 

50 qcm 

17 Tage 

0,7 

0,8 

?«) 

>1,5 

> 0,09 

H 

10 g Bleioleat 
aufgelegt 

75 qcm 

19 Tage 

1,4 

1,1 

0,2 

2,7 

0,14 

III 

20 g Bleioleat 
eingerieben 

i 

1 

47 Tage 

2,9 

2,2 

0,6 

5,7 

0,12 

IV 

25 g Bleioleat 
eingerieben 

1150 qcm | 

15 Tage 

1,1 

0.7 

1 °’ Q 

2,7 

0,18 


>) Das Tier wurde später zu einem Vergiftungsversuche per os benützt; infolge¬ 
dessen muss der Bleigehalt seiner Ogane hier aussrheiden. 


») Chr. V o g t und J. L. Bu r ck h a r d t: Arch. f. Hyg. 85. 1916. 
S. 323. 

3 

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1408 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


Man sieht, dass die durchschnittliche tägliche ‘Bleiaufnahme 
zwischen 0,09 mg Blei und dem Doppelten dieser Zahl schwankt, also 
nur Werte erreicht, denen eine vergiftende Wirkung schwerlich zu¬ 
geschrieben werden kann. Es wurden denn auch bei keinem der so 
vorbehandelten Tiere Symptome des Saturnismus konstatiert. 

Ein Mass, das einen Vergleich der durchgetretenen Bleimengen 
mit Versuchsergebnissen an anderen Tieren und mit andersartiger 
Bleiapplikation gestattet, muss noch eine Beziehung zur Wirkungs¬ 
fläche haben. Bezeichnet man infolgedessen die Bleimenge, welche 
im Tagesdurchschnitt durch 1 qdm Hautfläche eindringt, als mitt¬ 
lere Permeabilitätsgrösse, so ergibt sich diese 
für Katze I als > 0,18 mg Blei 

„ II „ 0,19 ., „ 

„ III 0.10 „ • „ 

„ „ IV „ 0,12 „ 

Der Durchschnittswert für alle 4 Tiere wurde auf 0,14 mg Blei 
berechnet. 

(Die entsprechenden Zahlen sind bei den Versuchstieren von 
Vogt und Burckhardt, soweit sie sich aus ihren Angaben mehr 
schätzen als errechnen lassen, etwa 50 mal so gross.) 

Ob diese mittlere Permeabilitätsgrösse von 0,1—0,2 mg Blei 
nur für die Katzenhaut und nur für die Applikation in fettigem Medium 
gilt, oder ob sie auch für andere Warmblüter, insbesondere für den 
Menschen, und für andere Applikationsweisen zutrifft, das werden 
weitere Untersuchungen lehren, über die seinerzeit an anderer Stelle 
und in grösserem Rahmen berichtet w r erden wird. Grosse Schwan¬ 
kungen sind wohl von vornherein nicht zu erwarten. Es soll der 
späteren Mitteilung auch überlassen bleiben, weitere Einzelheiten 
der beschriebenen neuen Versuche und eine Schilderung des ein¬ 
geschlagenen Wegs der Bleianalyse zu bringen. 

Vorläufig sei nur die Tatsache festgestellt, dass in vier möglichst 
genau durch geführten Versuchen an Katzen eine nennenswerte Auf¬ 
nahme von fettsaurem Blei durch die Haut nicht stattgefunden hat. 


Aus dem Sanatorium für Lungenkranke in St. Blasien. 
(Leitender Arzt: Professor Bacmeister.) 

Erfahrungen in der diagnostischen und therapeutischen 
Anwendung der Deycke-Muchschen Partialantigene 
bei der Lungentuberkulose. 

Von Dr. med. Erich Qabbe. 

Die Erfolge der Tuberkulosebehandlung mit den Deycke- 
Muchschen Partialantigenen, über die in den letzten Jahren von 
verschiedenen Seiten, besonders günstig von Deycke und A11 - 
s t a e d t, berichtet wurde l ) veranlassten auch uns, das Verfahren 
anzu wenden; ebenso erschienen uns die Beobachtungen Müllers*) 
der Nachprüfung wert; er fand, dass es möglich ist, mit Hilfe der 
diagnostischen Impfung der Partigene in Form der Intrakutanreaktion 
den Einfluss auch der unspezifischen Behandlung, insbesondere der 
Strahlentherapie, auf die Tuberkuloseimmunität zu beobachten und 
so den Erfolg der Behandlung zu kontrollieren. Ueber unsere Er- ! 
fahrungen sei hier eine kurze Uebersicht gegeben*). 

Die Intrakutanreaktion mit den Partigenen A, F und N in ab¬ 
gestuften Dosen wurde an 316 Patienten in der üblichen Weise an¬ 
gestellt; 292 von diesen litten an Lungentuberkulose; der Ausfall 
der Probe Hess sich in Uebereinstimmung mit Much 4 ) weder dia¬ 
gnostisch noch prognostisch verwerten; auch nach Ordnung der Fälle 
nach klinischen oder anatomischen Gesichtspunkten waren schwache 
und starke Reaktionen in jeder Gruppe regellos vertreten; nur die 
progredienten pneumonischen Formen reagierten durchweg schwach. 
Einen stärker positiven Ausfall der Reaktionen auf das Eiweiss.- 
partigen im Vergleich zu denen auf die Fettpartigene, wie Müller*) 
dies als typisch für Lungentuberkulose angibt, haben wir nicht ge¬ 
sehen. Vielmehr war die durchschnittliche Reaktionsstärke — be¬ 
zogen auf das Schema Altstaedts zur graphischen Darstellung 
der Intrakutanreaktion — etwas grösser für F und. N als für A. Dies 
Verhältnis in der Stärke der Reaktionen gegenüber den einzelnen 
Partigenen bei denselben Kranken war bei den verschiedenen Patien¬ 
ten fast immer xias gleiche; starke Reaktion gegenüber einem Par¬ 
tigen bei negativem Ausfall gegenüber einem anderen haben wir nie 
beobachtet. 

Die Intrakutanreaktionen wurden bei einem Teil der Patienten 
hi Abständen von 2—3 Monaten wiederholt. Die Mehrzahl dieser 
(112) war inzwischen der kombinierten Quarzlicht-Röntgenbestrah- 
lung unterworfen worden, wie sie von Bacmeister 6 ) ausgebildet 
worden ist Auffallenderweise waren nun die Unterschiede der 


*) G. Deycke und E. Altstaedt: M.m.W. 1917 Nr. 9. — 
W. Müller: Beitr. z. Klinik d. Tub. 36. 43. — E. Altstaedt: 
ebenda 31. 42. — C. R ö m e r und V. Berger; D.m-W. 1916 Nr. 21. 

*) W. Müller: MmuW. 1915 Nr. 41, Beitr. z. Klinik d. Tub. 
34. H. 2. 

*) Die ausführliche Mitteilung erscheint an anderer Stelle. 

4 ) Much; Immunität. Handb. der Tuberkulose 1. Leipzig 1914. 
6 ) 1. c. 

*) DjilW. 1916 Nr. 4. 

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Probe vor und nach Bestrahlung sehr gering, auch wenn das kli¬ 
nische Krankheitsbild eine bedeutende Besserung zeigte: soweit 
Aenderungen vorhanden waren, gingen diese dem klinischen Befunde 
bald parallel, bald entgegengesetzt, so dass wir praktisch' verwert¬ 
bare Schlüsse aus dem Ausfall der wiederholten Reaktion nicht für 
berechtigt halten können. Wenn wir die Verstärkung der Reaktion 
um 1 Feld, also Angehen einer 10 fach stärkeren Verdünnung gleich 
1 setzen, so kommt bei d*er Berechnung des Mittels eine geringe 
Verstärkung für A heraus, die noch dazu bei den Gebesserten (A 0,7, 
F 0,1, N 0,1) kleiner ist, als bei den klinisch Unbeeinflussten (A 0$, 
F 0,2, N 0,2); diese Verstärkung der A-Reaktivität im Gegensatz zn 
F und N fiel uns schon vor der statistischen Berechnung bei den 
Reaktionen selbst auf. Ganz ähnlich verhielten sich die an Zahl 
geringeren Fälle, welche nicht bestrahlt, sondern lediglich hygienisch- 
diätetisch oder mit Pneumothorax behandelt wurden. Die geringe 
Steigerung der Reaktibilität für A ist vielleicht auf Sensibilisierung 
zu beziehen entsprechend der Sensibilisierung durch Tuberkulin bei 
der Kutanreaktion 7 ). 

Therapeutisch haben 'wir die Partigene an 74 Fällen angewandt: 
von diesen sind aber erst 60 lange genug (2—4 Monate) abgeschlossen. 
Wir haben diese nach dem kürzlich von Bacmeister 8 ) emp¬ 
fohlenen klinisch-anatomischen Einteilungsprinzip geordnet wie es die 
meist mehrmonatige Beobachtung vor Beginn der spezifischen Be¬ 


60 Pille 

mit Partigenen behandelt 

&I 

J3 

geheilt 

Ü 

ij. 

Zar Latenz neigend 15 (25 Proz.) ..... 

indurierend 13 
dlsseminiert 2 
indurierend 12 
dlsseminiert 16 
indurierend 1 
dlsseminiert 11 
pneumonisch 5 

6 

6 

7 

1 

2 

5 

1 

1 

2 

« 

7 

2 

2 

7 

5 

Stationär 28 (46,7 Proz.). 

Progredient 17 (28,3 Proz.) . 


Somme; 60 

22 

7 1 

16 

IS 


handlung ergab (s. Tabelle). Im Anfang hielten wir uns genau an 
die von Altstaedt gegebenen Vorschriften: Anfangsdosis 1/100ccm 
der intrakutan noch gerade positiv reagierenden Verdünnung, Steige¬ 
rung täglich um die Hälfte, bei den stärkeren Lösungen um 0,1, 
abbrechen der Injektionen bei leichtester lokaler Stichinfiltration. Bei 
diesem Vorgehen traten die lokalen Reaktionen bald sehr früh, schon 
nach der 4. Injektion, bald später, ev. erst nach der 30.—37. Injektion, 
auf. ln der Meßzahl der Fälle Hess dieses Kennzeichen der Enddosis 
im Stich, auch bei genauer Befolgung von Deyckes Technik; Herd¬ 
reaktionen traten auf (ohne Veränderung an der Injektionsstelle) viel¬ 
fach ohne Temperatursteigerung. Sie setzten ganz schleichend ein 
und hatten sehr protrahierten Verlauf, nur in wenigen Fällen mit 
langsam an- und absteigendem Fieber. Dieser protrahierte Verlauf 
der Reaktionen erschwerte es sehr, den richtigen Zeitpunkt für die Be¬ 
endigung der Injektionen zu erkennen; wir verzichteten darum auf 
alle Merkmale und gingen über die 12.—15. Injektion nicht hinaus; 
aber auch so konnten wir die zweifellos schädlichen Herdreaktionen 
nur dann sicher vermeiden, wenn wir die Dosis nicht mehr als um 
Vioccm steigerten* ev. bei der 8.—10. Dosis stehen blieben und bei 
progredienten Fällen mit schwacher Intrakutanreaktion nicht entspre¬ 
chend hohe, sondern kleine Anfangsdosen wählten. Derartige In- 
jektionsperioden wurden bei Jedem Kranken 2—3 gegeben mit Pausen 
von 3 Wochen. 

Die Tabelle berichtet über die Erfolge: günstig beeinflusst wurden 
nur die gutartigen Formen, besonders die „zur Latenz neigenden, 
indurierenden“. Die für die Behandlung ausgewählten progredienten 
pneumonischen Formen waren mittelschwer und keine absolut 
schlechten Fälle Sieht man unser Material daraufhin an. in welchem 
Grade die erreichte Besserung auf die Partigentherapie zu beziehen Ist, 
so lässt die Tabelle wohl kaum einen günstigen Einfluss erkennen: nur 
über 3 Fälle (2 Station, indur., 1 zur Latenz neigend, indur.) wäre zu 
berichten, bei denen die Besserung nach vorhergehendem längerem 
Stillstand; erst im Laufe der Partigenbehandlung einsetzte, und die 
darum einen günstigen Einfluss dieser Therapie zu beweisen scheinen. 
Unter Besserung haben wir im wesentlichen eine Besserung des physi¬ 
kalischen Befundes verstanden; die Zunahme des Körpergewichtes 
war nicht grösser als wir sie auch bei alleiniger hygienisch-diä¬ 
tetischer Behandlung zu sehen gewohnt sind: ein Einfluss auf die 
Sputumbeschafferiheit war nicht deutlich; bei 6 Fällen verschwanden 
während der Behandlung die Bazillen dauernd aus dem Sputum, bei 
4 anderen Fällen traten sie am Ende der Behandlung wieder auf, 
meist infolge von Herdreakfionen. II Fälle hatten Temperatursteige- 
rangen verschiedenen Grades, welche nicht beeinflusst wurden; nur 
in 2 Fällen machte andauernd leichte Subfebrilität gleich nach Beginn 
der Partigenbehandlung dauernd normalen Temperaturen Platz. Auf¬ 
fallend war der geringe Einfluss der spezifischen Therapie auf den 
Ausfall der Intrakutanreaktion. Wenn der Ausfall auch häufig ein 
wenig stärker war, so sahen wir auch Abschwächungen ebensooft: 
letzteres auch bei klinisch gebesserten Fällen, ebenso wie bei klinisch 
zweifellos verschlechterter Verstärkung der Reaktion; der Grad der 
Aenderungen war ganz ähnlich dem bei den oben erörterte» Aa- 


7 ) Ellermann und Erlandfen: Beitr. z. Klinik d. TÄ. 
14. H. 1. 

6 ) Bacmeister: D.rn.W. 1918 Nr. 13. 

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10. Dezember 1918. 


MUENCHLiNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1409 


gnostischen Reaktionen und ging der Zahl und Grösse der gegebenen 
Dosen keineswegs parallel. Von den 60 Fällen wuiden 16 mit A, F, N 
In Mischung nach dem Ausfall der Intrakutanreaktion, 44 mit MTbR 
behandelt, bei diesen auch die eine oder andere Periode mit AFN 
gegeben; einen Unterschied in der Wirkung konnten wir nicht wahr- 
nehmen. Die gleiche Ansicht haben kürzlich Müller 8 ) sowie 
Kwasek und Tancr€ 10 ) ausgesprochen (der Deutung Müllers 
können wir uns indes nicht anschliessen). Wir glauben daher, dass 
man in allen Fällen mit MTbR auskommt und dass auch die voran¬ 
gehende Intrakutanreaktion auf die Probe mit diesem einen Stoffe be¬ 
schränkt werden kann. Kleine Rückfälle oder Komplikationen kamen 
ebenso häufig vor bei Behandelten wie bei Nichtbehandeltcn; bei 
einem Falle entwickelte sich kurz nach Abschluss der Partigentherapie 
eine akute Darmfistel; 5 Fälle bekamen während oder kurz nach der 
Partigentherapie Blutungen; 2 von diesen hatten vorher nie Blutungen 
gehabt; die Vermutung, dass die Partigentherapie Blutungen be¬ 
günstigt, wurde schon wiederholt ausgesprochen 10 ). Die oben¬ 
erwähnten, am günstigsten beeinflussten 3 Fälle wurden mit den 
nach A11 s t a e d t gesteigerten Dosen (z. T. aber nicht über jeweils 
12 Injektionen) behandelt; um ungünstige Herdreaktionen, welche die 
Kranken zweifellos schädigen können, sicher zu vermeiden, scheint 
uns die Wahl der erwähnten kleinen Dosen geboten, auch Römer 
«md Berger (I. c.) haben auf die Notwendigkeit dieser kleinen 
Dosen hingewiesen; wir halten es aber für fraglich, ob der End- 
erfolg bei diesen ein besserer ist. 

Anhangsweise mögen noch einige Bemerkungen zur Theorie des 
Verfahrens folgen: nach Much bildet der Körper gegen die einzelnen 
Partialantigene besondere Antikörper; Heilung ist nur bei Vorhanden¬ 
sein aller Partialantikörper in genügender Menge möglich. Die Par- 
iigentherapie soll auf dem Wege der aktiven Immunisierung, unter 
Ausschaltung der als giftig erachteten. Bestandteile des Tuberkel- 
haziHus (Partigen L), die Bildung aller Partialantikörper herbeiführen. 
Bürger und Möllers 11 ) haben diese Anschauungen angegriffen; 
die von Bürger“) dargestellten Fette der Tuberkelbazillen wiesen 
im Versuch an tuberkulösen Meerschweinchen keine antigenen Eigen¬ 
schaften auf. Die Autoren vermuten, dass die antigenen Eigenschaften 
der Partigene F und N auf Verunreinigungen mit Bazillenproteinen be¬ 
ruhen. Diese Untersuchungen werden u. E. auch nicht durch die 
Arbeit W. Müllers“) widerlegt. Auch in Muchs Arbeiten 11 ) 
finden sich Versuche, welche im Sinne Möllers eine unge¬ 
zwungenere Erklärung finden könnten als nach Much; so z. B. 
die Unmöglichkeit, bei tuberkulosefreien, unvorbehandelten Tieren 
mit Bazillenfetten allein Ueberempfindlichkeit zu erzeugen (im 
Gegensatz zum Bazilleneiweiss). Angesichts der Wichtigkeit 
dieser Frage haben wir selbst Versuche angestellt und ge¬ 
funden, dass es durch Filtration der Partigene F und N 
durch Berkefeldfilter nicht gelingt, die in den Stammflüssigkeiten 
suspendierten Fettstoffe von etwaigen gelösten, als Antigen wirken¬ 
den, Verunreinigungen zu trennen; dies beweist indes noch nichts gegen 
die Ansicht von Bürger und Möllers. Bei Berücksichtigung ein¬ 
schlägiger physikalisch-chemischer Untersuchungen müsste man an- 
uehrnen, dass derartige Verunreinigungen an die suspendierten Fette 
adsorbiert sind. Werden doch, wie wir uns überzeugten, die Giftstoffe 
des Tuberkulins oder des „Partigens L“ durch Kieselgur vollständig 
adsorbiert. In ähnlicher Weise adsorbieren Mastix- und Lipoid¬ 
suspensionen. Auf weitere Gesichtspunkte, die sich uns teils aus 
den Arbeiten anderer Autoren, teils aus eigenen Beobachtungen er¬ 
geben und welche für Möllers* Anschauung zu sprechen scheinen, 
werden wir an anderer Stelle zurückkommen. 

Zusammenfassung. 

1. Die abgestufte Intrakutanreaktion mit den Deycke-Much- 
schen Partigenen lässt sich bei Lungentuberkulose weder diagnostisch 
noch prognostisch verwerten; das gleiche gilt von der wiederholten 
Reaktion; eine Kontrolle der Erfolge der Strahlentherapie ist auf diese 
Weise nicht möglich. 

2. Therapeutisch angewandt scheinen die Partigene die Heilung 
in einzelnen Fällen zu begünstigen. Die statistische Uebersicht über 
60 von uns behandelte Fälle lässt aber einen nennenswerten Einfluss 
dieser Behandlung noch nicht mit Sicherheit erkennen. 

3. Bei den für die Partigentherapie bisher festgesetzten und in 
der Gebrauchsanweisung empfohlenen Dosen treten häufig den Ver¬ 
lauf der Krankheit ungünstig beeinflussende Herdreaktionen von sehr 
protrahiertem Verlauf auf, die mit subfebrilen Temperaturen aber 
auch ganz ohne Temperatursteigerung verlaufen. Ein Uebersehen 
dieser oft schleichend einsetzenden Reaktionen und eine Weiterbe¬ 
handlung mit Partigenen kann dann zu schwerer Gefährdung der 
Kranken führen. Akut einsetzende, hochfiebernde Reaktionen, wie sie 
dem Tuberkulin eigen sind, wurden nicht beobachtet. 


•) W. Müller: M.m.W. 1918 Nr. 2. 

M ) Kwasek und Tancrö: D.m.W. 1918 Nr. 7. 

“) M. Bürger und B. Möllers: D.m.W. 1916 Nr. 51. 
") M. Bürger: Biochem. Zschr. 78. 1917. S. 155. 

“) W. Müller: W.kl.W. 1917 Nr. 44. 

M )U 

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Keratitis durch Einwirkung von Raupenhaaren auf das Auge. 

Von Geh. Sau.rRat Dr. Hilbert, Oberstabsarzt d. L. 

Der schädliche Einfluss der Raupenhaare auf die äusseren Ge¬ 
bilde des Auges ist bereits seit einer Reihe von Jahren wohlbekannt. 
Insbesondere gilt dies für die Haare der Raupen des Prozessions¬ 
spinners, Thaumetopoea processionea L. durch die bisweilen Erkran- 
kungsfälle in grösserer Anzahl verursacht wurden. 

Am 28. II. d. J. war ich nun in der Lage einen derartigen Fall 
von schwerer Schädigung eines Auges durch Raupenhaare zu be¬ 
obachten, der in folgender Weise zustande kam. 

Ein Zivilbewohner hiesiger Gegend, E. B., Belgier, war in seinem 
Garten mit dem Reinigen und Putzen seiner Obstbäume besenäftigt. 
Indem er nun mit nach hinten gebeugtem Nacken nach oben sah, 
während er die an langer Stange befestigte Baumschere handhabte, 
fiel ihm aus der Höhe von einigen Metern eine schwarze, stark be¬ 
haarte Raupe ins linke Auge, was sofort einen brennenden Schmerz, 
Juckreiz und Tränenlaufen zu r Folge hatte. Da kalte Wasserum¬ 
schläge diesen Zustand nur in geringem Grade linderten, wurde er 
am nächsten Tage mir zugeführt. 

Die Besichtigung ergab folgenden Befund: Die Lider des linkea 
Auges sind gerötet und geschwollen, beim Oeffnen der Lider quellen 
heisse Tränen hervor; es besteht erhebliche Lichtscheu. Die Binde¬ 
haut der Lider ist stark gerötet und auigelockert, die Augapfelbinde¬ 
haut ist grobmaschig injiziert, um den Hornhautrand herum bemerkt 
man Ziliarinjektion. Die Hornhaut ist in ihrer ganzen Ausdehnung 
matt, wie gestichelt; die Pupille ist eng. reagiert aber au* Licht. Im 
Bindehautsack befinden sich vier. 3—4 mm lange, schwarze und starre 
Haare, die mittelst Pinzette entfernt werden. — Der Verletzte klagt 
über Brennen und Schmerz in dem Auge und über heftige Lichtscheu. 

Die Besichtigung der allerdings zertretenen und daher ver¬ 
stümmelten Raupe ergab, dass es sich um die stark und dicht behaarte 
Raupe einer Bärenart, vermutlich der gewöhnlichen und allgemein 
verbeiteten Arctia caja L. gehandelt habe, deren Haare mehr borsten¬ 
artig und nicht so leicht zerbrechlich sind wie die viel feineren des 
Prozessionsspinners. 

Meine Verordnung bestand in Einträufelung einer Atropinlösung 
und warmen, schleimigen Umschl^en mit einer Abkochung von Rad. 
Altheae 3 mal täglich eine halbe Stunde hindurch. Danach Zubinden 
des Auges. 

Am folgenden Tage war der Zustand so ziemlich derselbe, nur 
hatte sich in der vorderen Kammer ein kleines Hypopyon gebildet, 
das in der Mitte eine Höhe von etwa 1 mm besass. Die Pupille hatte 
sich gut erweitert. Adhäsionen oder andere Zeichen von Reizung der 
Iris bestanden nicht. 

Nach Ablauf von weiteren 4 Tagen waren die Lider abgeschwol¬ 
len, auch war die Konjunktiva merklich blasser geworden und es hat¬ 
ten sich die subjektiven Symptome, Schmerz und Lichtscheu ge¬ 
bessert. Das Hypopyon war geschwunden, nur die Hornhaut zeigte 
noch immer ihre matte, gestrichelte Oberfläche. Desgleichen war 
auch noch die Ziliarinjektion vorhanden. 

Erst am 9. Tage nach der Verletzung begann die Hornhaut as 
ihrer Peripherie wieder durchsichtig und spiegelnd zu werden. So¬ 
dann schwand die Ziliarinjektion sowie die der Augapfelbindehaut; 
Lichtscheu und Tränenfluss nahmen merklich ab. Diese Besserung 
des Zustandes machte nun schnelle Fortschritte: die Aufhellung der 
Hornhaut nach dem Zentrum hin nahm zu, die Bindehaut der Lider 
nahm allmählich wieder ihre gewöhnliche Beschaffenheit an und die 
subjektiven Beschwerden schwanden in weiteren 8 Tagen. 3 Y% Wo¬ 
chen nach erlittenem Unfall war das verletzte Auge wieder völlig 
gesund und funktionstüchtig. ^ 

Die Heilung und vollkommene Wiederherstellung des Auges er¬ 
folgte in dem oben beschriebenen Fall, wie man sieht, in verhältnis¬ 
mässig kurzer Zeit. Die durch die Haare der Raupen des Prozessions¬ 
spinners bewirkten Augenentzündungen bedurften zu ihrem Abklingea 
erheblich längerer Zeiträume. Hippel 1 ) beschreibt einen Fall von 
Raupenhaarverletzung des Auges, ohne allerdings die Art der Raupe 
anzugeben, in welchem die Erkrankung klinisch, makroskopisch und 
mikroskopisch dem der Augentuberkulose völlig glich. Der betref¬ 
fende Augapfel wurde enukleiert und die mikroskopische Unter¬ 
suchung ergab in den um die Hornhaut gebildeten Knötchen pseudo-, 
tuberkulöse Rdesenzellen. Das Zentrum solcher Knötchen enthielt 
gelegentlich Bruchstücke der Raupenhaare, v. Hippel nimmt an, 
dass diese Haare unter gewissen Verhältnissen in den Geweben wan- 
derten und so den Krankheitsprozess längere Zeit unterhielten. 

Ein ähnlicher Fall mit Knötchenbildung in der Bindehaut infolge 
von Einwirkung von Raupenhaaren Ist von E-eer -Giessen*) unter 
der Bezeichnung Ophthalmia nodosa beschrieben worden. 

Die Unterschiede in der Schwere der Erkrankung bei den ein¬ 
zelnen Fällen dürften auf der physikalischen Beschaffenheit der Rau¬ 
penhaare beruhen, indem die feinen und leicht zerbrechlichen Haare 
der Prozessionsspinnerraupen und anderer Raupen von ähnlichen* 
Bau leichter die Gewebe durchdringen und daher schwerere Erschei¬ 
nungen verursachten als beispielsweise die dicken und nicht so hin- 


*) v. H ipp e 1: Pseudotuberkulose des Auges. Med. Ges. zu Göt¬ 
tingen. Sitzung vom 19. Okt. 1917. M.K1. 14. 1918. S. 223. 

*) Eger: Ueber einen Fall von Ophthalmia nodosa. Klin. Mbl. 
f. Aughlk. 58. 1916. H. 1. 

Original fram 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


fälligen Haare der Bärenraupen. Ob neben dem mechanischen Reiz 
auch noch eine chemische Einwirkung solcher Haare auf die Gewebe 
stattfinde, ist zurzeit nicht mit Sicherheit zu entscheiden. 


Das Salvarsan bei den Eingeborenen der SOdsee. 

Von Regierungsarzt Dr. Jos. Mayer, z. Z. Landsturrnarzt 
in Ingolstadt. 

Wissenschaftliche Fragen, besonders solche über den Wert oder 
Unwert eines neuen spezifischen Heilmittels, pflegen von Zeit zu Zeit 
die führenden Geister auf den Plan zu rufen zur Entscheidung da¬ 
rüber, ob die gewonnenen Studien und Erfahrungen dazu berechtigen, 
die leiüenac und semisüchtig nach Hilie ausblickende Menschheit mit 
gerechtfertigten Hoffnungen zu erfüllen. In dieser Beziehung hat 
erst vor kurzem der neu entbrannte „Salvarsanstreit“ das wissen¬ 
schaftliche und öffentliche Interesse in ausserordentlichem Masse be¬ 
herrscht, -handelt es sich doch um nichts Geringeres als um eine neue 
Panacee gegen eine der grössten- Geissein der Menschheit, um die 
Syphilis. Wie bei allen derartigen bedeutungsvollen Untersuchungen 
handelt es sich dabei um die beiden Kardinalfragen: I. Ist das 
Mittel wirksam. II. Ist es unschädlich. 

Wie bekannt, hat der weitaus grösste Teil der massgebenden 
Aerzte beide Fragen in günstigem Sinne beantwortet. Im Anschluss 
hieran dürfte es nun von Interesse sein, die Wirkung und ev. Schäd¬ 
lichkeit des Salvarsans zu erörtern bei Verwendung unter ganz 
anderen Bedingungen wie bei uns und unter vollständig veränderten 
Verhältnissen, und hierin hatte ich reichlich Gelegenheit, Erfahrung 
zu sammeln als Reg.-Arzt auf den Inseln der Südsee. 

Als ich im Jahre 1910 zum ersten Male meinen Wirkungskreis 
auf der Insel Jap antrat, war es vor allem die Frambösie. welche 
durch ihre weite Verbreitung einerseits und ihre schrecklich ver¬ 
stümmelnden Folgen anderseits in erster Linie das Interesse des 
Arztes mit Beschlag belegte. Um die Erkrankung kurz zu skizzieren, 
handelt es sich hier um eine Schwestcrkrankheit der Syphilis, fast 
das Spiegelbild der wohlbekannten Krankheit: der Erreger ist eben¬ 
falls eine Spirochäte, der Verlauf der Krankheit wird 1 praktischer¬ 
weise ebenfalls in ein primäres, sekundäres und tertiäres Stadium 
eingeteilt; alle Abstufungen sind auch 'hier zu finden, vom verhältnis¬ 
mässig unschuldigen, wenig belästigenden, das Allgemeinbefinden 
kaum störenden Hautausschlag bis zu den schwersten, geschwürigen 
Prozessen der Haut, der Knochen und Gelenke. 

Verschont bleiben eigentlich nur die Eingeweide, alles andere 
kann in den Zerstörungs- und Zerfallsprozess einbezogen werden. 
Freilich soll bei anderen Naturvölkern, namentlich den Negern des 
äquatorialen Afrika, die Erkrankung durchaus milde auftreten und 
kaum nennenswerte Folgen quoad valetudinem et vitam haben, bei 
den Völkern der Südsee aber tritt sie in einer fürchterlichen Weise 
auf. Bezüglich der Verbreitung kann kurz von 100 Proz. Erkran¬ 
kungsfällen gesprochen werden, d. h. es kommt der Krankheit keiner 
aus, was bei dem durch keinerlei Scheu und Bedenken gehemmten 
Verkehr der Eingeborenen untereinander, bei dem engen Zusammen¬ 
liegen in den Hütten usw. nicht wundernehmen kann. Das jüngste 
Alter, bei dem ich Frambösie konstatieren konnte, war 7 Monate, 
von da ab begleitete die Krankheit alle Lebensstufen bis ins hohe 
Greisenalter, mit allen möglichen Entwicklungs- und Rezidivformen, 
ein Beweis dafür, dass die Erkrankung wenigstens keine unmittelbar 
bedrohenden Gefahren für das Leben mit sich bringt. 

Behandelt wurde bis zur Salvarsanära die Krankheit analog der 
Syphilis mit Quecksilber und Jodkali, meist mit geringem Erfolge, so 
dass häufig wiederholte Kuren notwendig waren wegen der bald 
auftretenden Rezidive. Wahre Ströme von Quecksilber flössen da¬ 
mals, schon kleine Kinder mussten der wiederholten Einwirkung des 
Quecksilbers unterworfen werden. Oft geschah dies mit innerlichem 
Widerstreben von seiten des Arztes, irr Anbetracht des keineswegs 
indifferenten Mittels, allein es blieb nichts anderes übrig, man stand 
sonst machtlos der schrecklichen Krankheit gegenüber. 

Damals machte gerade zum ersten Male das Salvarsan von sich 
reden und 1 erweckte auch die frohesten Hoffnungen im Interesse der 
so schwer heimgesuchten Völker der Südsee. 

Ein eingehender Bericht an Prof. Ehrlich hatte zur Folge, 
dass ich in kürzester Zeit, noch lange vor Freigabe des Mittels, mit 
einer grossen Quantität des neuen Medikamentes zu Versuchs¬ 
zwecken ausgerüstet war, und ich konnte somit jedenfalls als erster 
wenigstens in der Südsee daran gehen. Erfahrungen bei den Natur¬ 
völkern zu sammeln. Freilich geschah dieses mit einigem Zagen, da 
irgendwelche Berichte über die Anwendung der Arsentherapie bei 
den Eingeborenen noch nicht Vorlagen und die bei Bekämpfung der 
Schlafkrankheit in Afrika mit Atoxyl gemachten Erfahrungen zu be¬ 
rechtigter Vorsicht aufforderten. 

Ausserdem lagen die Verhältnisse auf den Inseln so ganz anders 
als in der Heimat. Ganz abgesehen vom Klima haben wir es hier 
mit Völkern zu tun, die in ihren Lebensgewohnheiten und dem Ab¬ 
lauf der physiologischen Erscheinungen so manches Rätselvolle und 
für uns nicht so ohne weiteres Verständliche bieten. So z. B. kennen 
diese Eingeborenen nicht die Verwendung des uns unentbehrlich 
dünkenden Kochsalzes; eines ihrer Leibgerichte sind stark angefaulte 
Nahrungsmittel pflanzlicher oder tierischer Herkunft, die nach unseren 
Begriffen unbedingt den Tod durcli Eiweissvergiftung herbeiführen 

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Nr. 50. 


müssten. Besonders oft werden gekochte Seetiere einfach so lange 
in einem Korbe aufbewalrrt, bis sie eine in allen Farben schillernde, 
matschige und aashaft stinkende Masse bilden, die einen solchen 
Geruch verbreiten, dass man nur unter günstigem Winde an diesen 
Leckerbissen Vorbeigehen kann. Den Eingeborenen schmecken sie 
nicht nur ausgezeichnet, sie bekommen ihnen anscheinend auch 
ganz gut. 

Mit irgend welcher Chemotherapie haben sie nie Bekanntschaft 
gemacht, manche Arzneimittel haben auch in kleinen Dosen oft ganz 
unerwartet heftige Wirkungen. Krankheiten, namentlich solche infek¬ 
tiöser Natur, die zum erstenmal das Volk überfallen, treten in un¬ 
gewöhnlich heftiger Weise auf. Die Impfpusteln nach Vakzineimpfung 
z. B., die bei uns meist nach 14 Tagen abgeheilt sind, hintejlassen 
manchmal bei ihnen bis auf den Knochen fressende Geschwüre, zeigen 
wie die Aetzwunden keine Tendenz zur Heilung und haben schon 
oft trotz aller Behandlung länger als ein Jahr gedauert. Es Hessen 
sich noch manche von unseren Erfahrungen abweichende Tatsachen 
anführen; die erwähnten genügen, um darzutun, dass man möglicher¬ 
weise bei der Anwendung des neuen Arsenikpräparates ebenfalls auf 
ganz unerwartete Wirkungen gefasst sein musste. Aber die Erfolge 
bei der Bekämpfung der Frambösie übertrafen glücklicherweise alle 
Erwartungen. Die Wirkung des neuen Mittels war eine wahrhaft 
zauberhafte; die Körper der Kinder, die über und über mit den erd- 
beerartigen Gewächsen übersät waren, heilten -glatt und ohne Narben 
in 8—10—14 Tagen vollständig ab; die scheusslichsten Geschwüre, 
die einen pestilenzartigen Gestank verbreiteten, zeigten vom Moment 
der Einspritzung an absolute Heilungstendenz, reinigten sich rasch 
und heilten in kürzester Zeit unter einfacher Bedeckung mit Salben¬ 
oder Oelläppchen ab. Die Prozesse an Knochen und Gelenken, aller¬ 
dings nur solche auf frambösischer Basis, kamen rasch zum Still¬ 
stand und endeten ebenfalls in relativ kurzer Zeit mit guter Ver¬ 
narbung. Am besten wird die wunderbare Wirkung durch den Ein¬ 
druck illustriert, den die Sache auf die Eingeborenen selbst machte. 
Während sie sonst von der Arznei der Weissen nicht viel wissen 
wollten und in dieser Beziehung oft genug ein gelinder Zwang aus¬ 
geübt werden musste, drängten sie sich jetzt selbst zu der immerhin 
doch recht schmerzhaften Behandlung (intramuskuläre Injektionen!). 
Von entlegenen Inseln unternahmen sie lebensgefährliche Fahrten 
in ihren gebrechlichen Fahrzeugen, um gesund zu werden. — Ich 
selbst konnte in meinem Berichte an das Gouvernement der Ueber- 
zeugung Ausdruck geben: Mit Hilfe des Salvarsans wird es möglich 
sein, der Frambösie, und damit einer der verderblichsten Krankheiten 
auf den Südseeinseln, Herr zu werden. 

Um diese W-underkuren zu erzielen, waren nur verhältnismässig 
kleine Dosen notwendig: über 0,3 g Salvarsan und entsprechend 0,45 g 
Neosalvarsan wurde niemals hinausgegangen. Ich habe weit über 
1000 Einspritzungen in 3 Jahren gemacht, alle Altersstufen wurden 
behandelt vom Säuglings- bis zum Greisenalter, starke, schwächliche 
und tuberkulöse Personen: Ich sah nur gute prompte Wirkungen und 
erlebte nur 1 Todesfall, von dem es übrigens zweifelhaft ist. ob er 
dem Salvarsan zur Last gelegt werden kann. — Es handelte sich 
um einen ungewöhnlich kräftigen 4—5 jährigen Motlockknaben. Am 
Morgen nach der Einspritzung wurde mir das Kind als schwerkrank 
gemeldet; eine Untersuchung ergab einen ziemlich auf getriebenen 
Leib und anscheinend bestanden kolikartige Schmerzen; gleichzeitig 
konstatierte ich, dass die Mutter das Kind aus einer Konserven^ 
büchse mit sehr verdächtigem, übelriechenden Inhalt gefüttert hatte. 
Mittags war das Kind tot. Leider verboten die Verhältnisse 
(schnelles Uebergehen der Leiche, Mangel au einem geeigneten- 
Platze, Fliegengefahr, Widerstand der Eingeborenen), durch Autopsie 
der Sache nachzugehen. Es ist, wie gesagt, immerhin fraglich, ob 
hier Salvarsan als Todesursache anzusehen ist 

Fast immer genügte eine einzige Injektion zu einwandfreiem 
Erfolg, vielleicht ein dutzendmal habe ich zweimal injiziert und ein 
einzigesmal bei einem schlecht heilenden Geschwür die Einspritzung 
ein drittesmal nach 3 Monaten wiederholt. Ein- Rezidiv erlebte ich 
kaum. Freilich hatte ich keinen langen- Zeitraum zur Verfügung 
zur Beobachtung, da mein Aufenthalt auf jeder Insel nur ca. 7 bis 
8 Monate dauerte. Dagegen konnte ich bei reiner Quecksilberbehand¬ 
lung öfters in dieser Zeit Rezidive beobachten. — Im allgemeinen 
glaubte ich sehr oft Besserung des allgemeinen Ernährungszustandes 
konstatieren zu können, gleichzeitg vorhandene Tuberkulose schien 
mir eher günstig beeinflusst zu werden. Auf der Insel Saypan 
grassierte zur damaligen Zeit (1912) ein äusserst ansteckender 
eitriger Bindehautkatarrh, oft gefolgt von Hornhautprozessen, eine 
Verschlimmerung sah ich nirgends eintreten. Allerdings wurden die zu 
behandelnden Fälle sorgfältig ausgesucht: Ausgeschlossen von der 
Behandlung waren alle Nierenkrankem alle Anämischen, alle Leber¬ 
abszesse (als Folge alter Amöbendysenterien), anfangs wurden auch 
alle Augenkranken und Tuberkulösen ausgeschlossen. Später wurde 
ich kühner und konnte ungestraft die gesteckten Grenzen er¬ 
weitern. Anfangs arbeitete ich in ca. 600 Fällen nur mit Salvarsan 
später nur mit Neosalvarsan; angewandt wurde nur die intramusku¬ 
läre Methode, eine andere kannte ich damals nicht, resp. war auch 
nicht mit dem entsprechenden Apparat ausgerüstet. Zum Schluss 
möchte ich noch einen Vorfall erwähnen, der in gewisser Beziehung 
sehr lehrreich ist. 

Wenn sich Leute freiwillig zur Behandlung meldeten, nahmen 
sie gewöhnlich zusammen morgens Aufstellung auf der Veranda des 
Krankenhauses; sie wurden dann erst eingehend untersucht und 

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1411 


dann behandelt. Eines Tages war unter 6 ineist jungen Männern 
auch einer, der hochgradig anämisch war. Dieser wurde zurück- 
gestellt von der Behandlung und sollte erst durch einige Wochen 
hindurch mit Eisenarsen für die Kur vorbereitet werden; bei den 
anderen 5 wurde die Injektion vorgenommen. Nach 2 Tagen war 
der Anämische plötzlich gestorben. Im Behandlungsfall hätte ich 
selbst nicht Anstand genommen, den Tod auf Rechnung des Salvarsan 
zu setzen. 

Meine Erfahrungen möchte ich noch einmal kurz dahin zu¬ 
sammenfassen: Gegen Frambösie besitzen wir im Salvarsan ein 
Mittel, aut das schon bei einmaliger Anwendung der Körper des 
Eingeborenen trotz verhältnismässig kleiner Dosis auf das Feinste 
mit einer prompten, nachhaltigen Wirkung reagiert. Bei halbwegs 
gesunden inneren Organen bestehen absolut keine Bedenken gegen 
seine Anwendung quoad vitam. Fast hat es den Anschein, als ob 
das grosse Ziel E h r 1 i c h s, die Therapia sterilisans magna, der 
Frambösie gegenüber erreicht worden wäre; während sie die ge¬ 
setzten gleichen Hoffnungen bei der Syphilis, wie sie wenigstens bei 
uns auftritt, nicht ganz erfüllt hat 


Aus einem Feldlazarett im Osten. 

Einige klinische Beobachtungen bei der sogenannten 
„Spanischen Grippe“. 

Von Dr. med. Knud Ahlborn, Iandsturmpfl. Arzt. 

Die Erkrankung begann in einer Fernsprechabteilung und befiel 
zuerst fast gleichzeitig in stundenweisem Abstand 4 Leute, die an 
demselben Schalltrichter gearbeitet hatten und Zimmergenossen 
waren. Die klinischen Erscheinungen bestanden in hohem Fieber, oft 
mit vorübergehender Bewusstseinstrübung, Konjunktivitis, Rötung der 
Rachenrückwand und Schwellung der dort gelegenen Lymphknötchen, 
oft Bronchitis, starken Kopf- und Kreuzschmerzen und Ziehen in den 
Gliedern. Schien'beinschmerzen wurden nur in einem einzigen Falle, 
bei dem gleichzeitig Typhusbazillen im Stuhl gefunden wurden, fest¬ 
gestellt. 

Da aus der Nachbargemeinde Fleckfieberfälle gemeldet waren, 
bestand zuerst der Verdacht, dass auch hier Fleckfieber vorläge. Es 
wurde daher die W e i 1 - F e 1 i x sehe Reaktion angestellt, die jedoch 
negativ ausfiel. Gleichzeitig wurde strengste Isolierung des Hauses, 
in dem die Epidemie ausgebrochen war, durchgeführt. Trotzdem flog 
die Grippe in kurzer Zeit durch die ganze Stadt und griff auch auf 
räumlich weit entfernt gelegene und sorgfältig geschützte Teile des 
Feldlazaretts über. Die Seuchenstation, in der die Kranken zuerst 
interniert wurden, war in besonderen Baracken mit eigenem Pflege¬ 
personal untergebracht und lag mehrere hunter Meter von dem 
Hauptlazarett entfernt. 

Der Verlauf der Grippe war in allen Fällen ein gutartiger. Ab¬ 
klingen des Fiebers 2—5 Tage nach dem mit Schüttelfrost einsetzen¬ 
den Beginn; danach meist noch einige Tage Bronchitis und etwa 
8 Tage andauernde allgemeine Körperschwäche. Bei der in allen 
Fällen durchgeführten Blutuntersuchung fand sich in einer Reihe von 
Fällen eine merkwürdige Pigmentierung der weissen Blutkörperchen. 
Die sonst bei der Färbung nach Giemsa nahezu farblos bleibenden 
Protoplasmaleiber der weissen Blutkörperchen waren mit schwarzen 
Pigmentkörnchen von der Grösse der roten Körner in den eosinophilen 
Zellen ausgefüllt, so dass der violett gefärbte polymorphe Kern sich 
gegen den Untergrund der Pigmentmasse nicht wie sonst dunkler, 
sondern vielmehr heller abhob. Die Zellen traten, bald mehr, bald 
weniger zahlreich, neben normal gefärbten weissen Blutkörperchen 
auf. In einem Falle waren fast alle weissen Blutkörperchen so 
pigmentiert, in vielen Fällen dagegen gelang es trotz eifrigen Suehcns 
nicht solche pigmentierten Zellen zu finden. 

Klinische Besonderheiten wurden bei den Kranken mit diesen 
Zellen nicht festgestellt. Es muss weiteren Beobachtungen Vorbe¬ 
halten bleiben, ob diesen schwarzen pigmentierten Leukozyten eine 
iür Grippe symptomatische Bedeutung zuzumessen ist. 


Zur Organisation der Kriegsbeschädigtenfiirsorge. 

Von Generaloberarzt Dr. Neu mann. 

Der Reichsausschuss der Kriegsbeschädigtenfürsorge hai zur Ab¬ 
änderung des Mannschaftsversorgungsgesetzes Vorschläge gemacht, 
die in Abänderung des § 43 des bisherigen Mannschaftsversorgungs- 
gesetzes besondere Spruchgerichte für notwendig halten. Bei der 
Zusammensetzung der Spruchkammern sei von dem Grundsatz aus¬ 
zugehen, dass die Militärbehörden eine entsprechende Vertretung in 
ihnen finden müssten. Bei aller Anerkennung des Wohlwollens, das 
sich bisher bei der Rentenfestsetzung bekundete, soll vermieden wer¬ 
den, dass das militärische Element in den Spruchkammern von vorn¬ 
herein die absolute Stimmenmehrheit hat. Die Vertreter der militäri¬ 
schen Behörden, so heisst es in der Begründung, erscheinen in den 
Augen der Rechtsuchenden als Vertreter des Fiskus und damit als 
Partei im Rentenverfahren. Es wurde abgelehnt, einen Militärarzt als 
Mitglied der entscheidenden Spruchkammer beizugeben, weil eine 
solche Zusammensetzung dazu führen würde, auch einen bürgerlichen 
Arzt gewissermassen als Gegengutachter zu bestellen. 

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Nach den bisherigen Gesetzen entschied ein Kollegium des Kriegs¬ 
ministeriums, also der Heeresverwaltung, endgültig über die Frage, ob 
eine Gesundheitsstörung als Dienstbeschädigung anzunehmen sei und 
ob es sich um eine Kriegsdienstbeschädigung handle. Die Gerichte 
hatten danach nur über die Höhe der Rente, aber nicht über die 
Frage, ob Dienstbeschädigung vorliege, zu entscheiden. Wenn die 
Kriegsteilnehmer nach Friedensschluss zurückkehren, so werden die 
Fälle, in denen über die Dienstbeschädigung zu entscheiden ist, sich 
ganz besonders häufen. Der Kriegsbeschädigte stellt die Behauptung 
auf, einen mehr oder weniger nachweisbaren Schaden aus dem Feld¬ 
zug davongetragen, zu haben. Es ist ganz richtig, dass die Fragi* 
des ursächlichen Zusammenhanges der Beschädigung mit dem Kriege 
zum Gegenstand eines instanzlichen Verfahrens gemacht wird. Wenn 
ein eigenes Verfahren für Militärrentensachen zur Einführung kommt, 
so wird über die Frage, ob Dienstbeschädigung vorliegt oder nicht, 
nicht mehr einseitig die Militärbehörde zur urteilen haben, sondern 
diese wichtige Frage Wird durch eine Spruchinstanz zu entscheiden 
sein. Auch hier müssen die höchsten Sicherheiten unserer Rechts¬ 
pflege gegeben sein. Die wichtigste Frage, die über den ursächlichen 
Zusammenhang der Dienstbeschädigung, darf dem ordentlichen Rechts¬ 
weg nicht entzogen sein. 

Wenn in der Begründung zu dem Vorschlag des Reichsaus¬ 
schusses gesagt ist, dass infolge der langen Dauer des Krieges nach 
Friedensschluss eine gewisse Zurückhaltung bei der Rentengewährung 
notwendig sein wird, vor allem in solchen Fällen, in denen von 
Kriegsteilnehmern das Vorliegen einer leichteren Beschädigung geltend 
gemacht wird, so wird das zweifellos ein stärkeres Anwachsen der 
Rentenprozesse ergeben. Nun ist aber die Dienstbeschädigungsfragc 
ohne ärztliche Mitwirkung gar nicht zu lösen. Angenommen, 
dass die Tatsache einer Dienstbeschädigung seitens der Militär¬ 
instanzen festgestellt ist, so gehört zur endgültigen Lösung der Frage 
das unparteiische ärztliche Urteil, ob der Zusammenhang der Be¬ 
schädigung mit der angegebenen Tatsache vorliegt. Es muss nach- 
gew'iesen sein, dass dieser Zusammenhang vorliegt, oder er muss 
wahrscheinlich, zweifelhaft oder nicht, annehmbar sein. Diese Frage 
kann nur ein Arzt entscheiden. Auch die mannigfachen Möglich¬ 
keiten des Begriffes einer Kriegsdienstbeschädigung können nur durch 
ein ärztliches Urteil entschieden werden. Man wird daher, um die 
Beurteilung der Dienstbeschädigung überhaupt zu ermöglichen, um 
einen unparteiischen Vertrauensarzt bei den Spruchinstanzeil nicht 
herumkommen. Es muss der Einfluss einer bestimmten dienstlichen 
Veranlassung oder allgemeiner dienstlicher Verhältnisse auf die Ent¬ 
stehung oder Verschlimmerung der Krankheit an der Hand der 
wissenschaftlichen Erfahrung dargelegt werden. Das Urteil des Arztes 
muss in jedem Falle unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen 
Erfahrung begründet werden. Hierbei ist die Art des Leidens, der 
Befund bei der ersten Untersuchung, der weitere Verlauf, die Er¬ 
gebnisse etwaiger Erhebungen über frühere Krankheitszustände zu 
beachten. Der Vertrauensarzt der zu schaffenden Spruchinstanz wird 
daher von den Vorgängen Kenntnis nehmen müssen, und wenn man 
einen Militärarzt nicht zum Begutachter bestellt, weil er angeblich die 
Partei des Militärfiskus vertritt, so würde ein bürgerlicher Arzt doch 
auch nicht unter allen Umständen die Partei des Kriegsbeschädigten 
vertreten, denn auch dieser kann ja nur an der Hand der wissen¬ 
schaftlichen Erfahrung urteilen. Die Begründung des Reichsaus¬ 
schusses geht über diesen Punkt leider sehr leicht hinweg. Da aber 
ohne Arzt die Frage gar nicht zu entscheiden ist und nach der bis¬ 
herigen Praxis und den gesetzlichen Grundlagen Aerzte in den Sachen 
zu hören sind, -die ihr unparteiisches Urteil abgegeben, so wird auch 
die schaffende Spruchinstanz ohne einen begutachtenden Arzt nicht 
auskommen, den sie haben muss und der ihr beizugeben ist. weil 
der Zusammenhang der Beschädigung mit dein Dienste nur auf Grund 
der ärztlich-wissenschaftlichen Erfahrung nachzuweisen oder abzu¬ 
weisen ist. Infolgedessen ist es unumgänglich notwendig, den Spruch¬ 
instanzen einen unparteiischen ärztlichen Begutachter zuzuweisen. 


Ueber irreführende Geheimmittelbezeichnungen. 

Von Oberapotheker Ludwig Kroeber-München. 

Unter dem Stichworte „Unsere Abiührmittel pflanzlichen Ur¬ 
sprunges und der Weltkrieg“ schrieb ich an dieser Stelle — siehe 
M.m.W. 1916 Nr. 12 S.422 — unter anderem: „Es ist nun nicht un¬ 
interessant, zu beobachten, dass manche Geheimmittelfabrikanten 
von dem ersichtlichen Bestreben geleitet sind, den chemischen Cha¬ 
rakter ihrer Präparate unter einem Mäntelchen, das einen pflanz¬ 
lichen Ursprung vortäuschen soll (Laxinkonfekt. Boraniumbeeren 
u. a. m.) zu verbergen.“ 

Dieses Verfahren scheint weiterhin Schule gemacht zu haben. 
Zum wenigsten liegt mir heute wiederum ein in der letzten Zeit 
auf den Markt geworfenes Präparat vor, das in die obige Kategorie 
einzureihen ist. Durch seine Bezeichnung „Frangulose“ wird die 
naheliegende Vermutung erweckt, als ob es sich dabei um eine 
durch Isolierung bestimmter Inhaltsstoffe der Faulbaumrinde be¬ 
sonders wirkungsvolle Darreichungsform dieser handle. Nachdem 
ich seit langen Jahren durch Veröffentlichungen meiner Studien über 
pflanzliche Abführmittel bemüht bin, der einheimischen Faulbaum¬ 
rinde zu dem ihr ob ihrer wertvollen Eigenschaften mit Recht ge¬ 
bührenden Platze im Arzneischatze zu verhelfen und dadurch die 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




MI2 


MUENCHENCfe MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


bisher mit Unrecht und zum Schaden des deutschen Nationalver¬ 
mögens bevorzugte amerikanische Faulbaumrinde (Cascara Sagrada) 
auszuschalten, bestand für mich um so mehr Veranlassung, die 
Frangulosedragees unter die Lupe zu nehmen. 

Noch vor Eintritt in die chemische Untersuchung ergab sich 
auf Grund der Angabe der Inhaltsstoffe auf der Packung (Extractum 
Frangulae aquosum, Phenolphthalein aa 0.1) die überraschende Auf¬ 
klärung, dass hier nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, ein reines 
Pflanzenprodukt, sondern eine unglückliche und überflüssige Ver¬ 
quickung der für sich allein zuverlässig und milde wirkenden Faul¬ 
baumrinde mit Phenolphthalein, über dessen Unbedenklichkeit die 
Meinung der Acrztewelt noch sehr geteilt ist, vorliegt. Es kann 
dieses Verfahren nur als ein Missbrauch der harmlosen, längst er¬ 
probten Faulbaumrinde, welche keiner zweifelhaften Unterstützung 
durch die Beigabe eines drastischen Mittels bedarf, angesprochen 
werden. 

Wie gut die Täuschung gelungen ist, beweist der dem Präparate 
zur Empfehlung beigegebene Sonderabdruck aus „Moderne Medizin“ 
1917 Nr. 3, in welchem ein-Arzt seine Erfahrungen mit Frangulose, 
einem neuen Abführmittel, bekannt gibt. . Dass der be¬ 
treffende Arzt das Opfer einer Täuschung geworden ist. geht aus der 
ersten von ihm angeführten Krankengeschichte hervor, in welcher 
er der günstigen Wirkung des neuen Mittels bei einer Frau Er¬ 
wähnung tut, die bereits wahllos Rhabarber, Aloe, Laxin, Purgen, 
Karlsbader Salz und verschiedene Tees genommen habe. Darnach 
scheint dem Arzte unbekannt geblieben zu sein, dass „die neue 
Frangulose“ ebensogut ein Phenolphthaleinpräparat darstellt wie 
Laxin und Purgen. Andernfalls wäre es nur schwer zu verstehen, 
dass er in der Absicht, einen Wechsel in der Medikation herbei¬ 
zuführen, wiederum zum Phenolphthalein seine Zuflucht genommen 
hätte, zumal er im weiteren Verlaufe seiner Ausführungen schreibt: 
„Unter Umständen muss der Frangulosebehandlung eine Ausschaltung 
früher gewohnheitsmässig genommener Abführmittel vorausgeben.“ 

Es erscheint nach dem (jesagten an der Zeit, dass der Aerzte- 
stand gegen eine derartige Irreführung in der Benennung von Qe- 
heimmitteln nachdriicklichst Stellung nimmt. 


Adolf Schmidt f. 

Am 11. November schied plötzlich und unerwartet der innere 
Kliniker der Universität Bonn, Oeheimrat Prof. Adolf Schmidt, aus 
dem Leben. Auf der Höhe des Erfolges, in voller Schaffenskraft, ist 
dieser hervorragende Mann von uns gegangen. Nur 4 Monate hat 
er in seiner letzten Stellung wirken können, als Leiter der Klinik, an 
der er als Assistent und junger Dozent seinen wissenschaftlichen 
Ruf fest begründet hatte. % 

Schmidt wurde 1865 in Bremen geboren, erreichte also nur 
ein Alter von 53 Jahren. Er studieite in Breslau. Berlin, Bonn, war 
Assistent von Fr. Müller, C. Gerhardt, Fr. S c h u 11 z e, habili¬ 
tierte sich 1894 in Bonn, 
übernahm 1906 eine Ober¬ 
arztstelle am Städtischen 
Krankenhaus Friedrichstadt 
in Dresden, iolgte 1907 einem 
Ruf als Polikliniker nach 
Halle und übernahm dort 
im folgenden Jahr, nach 
v. Merings Tode, die 
Innere Klinik. Ami. Juli 1918 
wurde er Nachfolger seines 
Lehrers Fr. Schultze in 
Bonn. Mit seiner Gattin, 
der Tochter des früheren 
Bonner Archäologen Nisser, 
lebte er in ungetrübt glück¬ 
licher Ehe, aus der 3 Söhne 
hervorgegangen sind. 

Was Schmidt vor 
Vielen auszeichnete, war 
seine ungewöhnliche Ener¬ 
gie. gepaart mit Klarheit und 
Folgerichtigkeit des Den¬ 
kens. Die Art, wie er ein 
wissenschaftliches Thema an- 
iasste und behandelte, hatte 
Hand und Fuss und war viel¬ 
fach mustergültig in der 
Durchführung der entwickelten Gedanken. Ein Problem, das ihn ein¬ 
mal gepackt hatte, verfolgte er unermüdlich und kam oft nach Jahren 
wieder darauf zurück. Neben den rein theoretischen Interessen 
leitete ihn bei seinen Arbeiten der Gesichtspunkt, dass die Medizin 
eine praktische Wissenschaft sei, und so reizte cs ihn besonders, Fra¬ 
gen zu bearbeiten, deren Ergebnisse der Diagnostik oder Therapie 
zugute kamen. Dies suchte er besonders durch Auffinden und syste¬ 
matische Ausarbeitung neuer Methoden zu erreichen. Das w ichtigste 
und allgemeinste Ergebnis dieser Arbeiten ist die Tunktionsprüfung 

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des Darms. Der Gedanke, die Leistung und die Grenzen der Lei¬ 
stungsfähigkeit eines Organs zu prüfen, ist jetzt dem inneren Medi¬ 
ziner etwas Alltägliches. Und wenn wir noch nicht für alle inneren 
Organe derartige Verfahren besitzen, so liegt dies nicht an dem 
Fehlen dieses Gedankens, als vielmehr an der Schw ierigkeit, brauch¬ 
bare Methoden und Kriterien im einzelnen zu finden. Zur Zeit der 
Ausarbeitung der Funktionsprüfung des Darms lagen die Dinge 
anders. Die Funktionsprüfung des Magens (Leube, Ewald, 
Riegel, Boas) gehörte zwar zum festen Bestand der Diagnostik: 
der Gedanke, die Funktionsprüfung nunmehr auch auf andere Organe 
auszudehnen, hatte indessen in der inneren Medizin noch keinen Bo¬ 
den gefasst. 

Die Funktionsprüfung des Darms beruht auf der Feststellung 
des Ausnutzungsgrades der Nahrung, mit Hilfe einfacher klinischer 
Methoden, unter bestimmten an den Darm zu stellenden Anforde¬ 
rungen (Probekost). So wurde der Schwerpunkt auf die bisher kli¬ 
nisch ziemlich vernachlässigte Untersuchung der Fäzes gelegt. Und 
da ergaben sich die vielfachen umfangreichen Untersuchungen über 
das Verhalten der Fäzes unter normalen und krankhaften Verhält¬ 
nissen und die damit zusammenhängenden klinischen Fragen. Ich 
erinnere an die Ausarbeitung der Gärungsprobe, die die Insuffizienz 
der Kohlehydratverdauung anzeigt und zur Aufstellung der „intesti¬ 
nalen Gärungsdyspepsie“ als selbständiger häufiger Funktionsstörung 
des Darms führte; an die Verdauungsprobe, Sublimatprobe, die Unter¬ 
suchung auf gelöstes Eiw r eiss usw. Sehr wertvoll und fein durch¬ 
geführt sind die Untersuchungen über Schleim im Stuhlgang. Die 
Entdeckung, dass rohes Bindegewebe nur im Magen, nicht im Darm 
verdaut w ird, führten zur Bindegewebsprobe, als Kriterium einer Stö¬ 
rung der Magenfunktion. Die Betonung der Wichtigkeit des gastro- 
genen Ursprungs von Durchfällen, erwachst aus dieser Erkenntnis. 
Das Gegenstück bildet das Suchen nach einer Probe, die auf Funk¬ 
tionsstörung des Pankreas hinweist. Sie ergab sich daraus, dass Zell¬ 
kerne nicht vom Magen, sondern nur vom Pankreassaft verdaut wer¬ 
den können. Diese Kernprobe wurde in vielfacher Arbeit modi¬ 
fiziert und für die Praxis brauchbarer gestaltet. Ein klinisches Er¬ 
gebnis war die Feststellung vorübergehender Funktionsstörungen des 
Pankreas, der sog. funktionellen Pankreasachylie. Auf Unter¬ 
suchungen von Ury lussend, zeigte Schmidt w'eiter, dass das 
Wesen der Diarrhöe nicht in der gesteigerten Peristaltik, sondern 
in der Absonderung fäulnisfähiger Flüssigkeit durch die Darmwand 
zu erblicken ist. 

Der logische Abschluss dieser und anderer Arbeiten musste die 
selbständige Darstellung, in weiterem allgemeinerem Rahmen, alles 
dessen sein, was wir über die Fäzes wissen. So erschien (gemein¬ 
sam mit dem Schreiber dieser Zeilen) das Buch über „die Fäzes des 
Menschen“, dessen 4. Auflage im Jahre 1915 herauskam. Ausserdem 
veröffentlichte Schmidt, im Anschluss an Vorträge, die er vor 
den Dresdener Aerzten gehalten hatte: „Die Funktionsprüfung des 
Darms mittels der Probekost“ (1. Auf!. 1904. 2. Aufl. 1908). Als er 
1913 seine umfangreiche „Klinik der Darmkrankheiten“ vollendete 
war er unbestritten in Deutschland der Führer auf dem Gebiet der 
Darmpathologie. In der K r a u s sehen Speziellen Pathologie be¬ 
arbeitete er die Erkrankungen des Pankreas, die Darmdyspepsien und 
Katarrhe. 

Lag auch der Schwerpunkt von Schmidts wissenschaft¬ 
licher Forschung durchaus auf dem Gebiete der Darmpathologie, so 
finden sich doch unter der grossen Reihe seiner Arbeiten — es’sind 
weit über 100 Einzelveröffentlichungen, dazu zahlreiche von ihm un¬ 
mittelbar beeinflusste Arbeiten seiner Schüler —.eine ganze Anzahl, 
die andere Gebiete der inneren Medizin betreffen. Er befasste 
sich mit der Frage des Schleims und Myelins im Sputum, der Ent¬ 
stehung des Bronchialasthmas, der Behandlung von Lungenerkran¬ 
kungen durch künstlichen Pneumothorax, der offenen Pleurapunktion, 
der therapeutischen Sauerstoffeinblasung in den Darm, in die Ge¬ 
lenke. intraperitonealer Infusion und Ernährung, Behandlung der 
Bronchitis mit Einatmung trockener, heisser Luft, therapeutischer 
Verwendung von sauerstoffarmer Luft usw. Mehrfach behandelte 
Schmidt neurologische Themen. Eine Frage, aut die er in den 
letzten Jahren immer wieder zurückkam. betraf das Wesen des Mus- 
kelrheumatisinus. Er fasst ihn als eine Art Neuralgie der sensiblen 
Muskelnerven auf und führt seine Ansicht in einer kürzlich er¬ 
schienenen Monographie in origineller, interessanter Weise aus. 

Ein Werk, das in den Kreisen, für die es bestimmt ist. leider 
wenig Verbreitung gefunden hat. ist das 1903 erschienene „Lehr¬ 
buch der allgemeinen Pathologie und Therapie innerer Krankheiten“, 
das dem Studierenden beim Eintritt in die klinischen Semester eine 
orientierende Uebersicht über das Gesamtgebict der inneren Medizin 
geben sollte. Dagegen erschien die von dem arbeitsfreudigen Autor 
1910 gemeinsam mit Lüthje verfasste „Klinische Diagnostik und 
Propädeutik innerer Krankheiten“'1915 in 2. Auflage. Seit 1912 hatte 
Schmidt die Redaktion des Zentralblattes für innere Medizin über¬ 
nommen. 

Ueberall, wo Schmid wirkte, war es die Festigkeit und 
Geradheit seines Charakters, die ihm bei Freunden. Kollegen. Patien¬ 
ten bald eine über das gewöhnliche Mass hinausgehende Vertrauens¬ 
stellung verschafften. Nach aussen hin zeigte sich dies u. a. darin, 
dass er ausser der Reihe im Jahre 1916/17 zum Rektor der Universi¬ 
tät Halle gewählt wurde und dieses Amt mit besonders grossem Er¬ 
folg versah. Seinen Verpflichtungen als akademischer Lehrer und 
Krankenhausleiter kam Schmidt mit grosser Regelmässigkeit nach. 

Original from 

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10. Dezember 101$. 


MUENCHeNER MEDIZINISCHE WOCHfeNSCHftiEt. 


1413 


Seiner Tatkraft und Organisationsgabe hat die von ihm 10 Mire ge¬ 
leitete Hallenser Klinik viel zu danken, besonders auch bauliche Ver¬ 
änderungen und die mustergültige Einrichtung einer Diätküche, an der 
er selbst vielfach diätetische Kurse für Aerzte abhielt. Auch sonst 
widmete er sich erfolgreich dem ärztlichen Fortbildungswesen, vor 
allem auf seinem Lieblingsgebiet der Darmpathologie. Unter viel¬ 
fachen gemeinnützigen Amtshandlungen ist die Gründung und Leitung 
einer den Hallenser Kliniken gemeinschaftlichen Pflegeschule zu 
nennen, aus der jährlich eine grosse Zahl praktisch und wissenschaft¬ 
lich gut ausgebildeter Krankenschwestern hervorging. Während des 
Rektorates gründete Schmidt die akademische Vereinigung Halle- 
Wittenberg, die Vorträge in weiterem Rahmen halten lässt und Per¬ 
sönlichkeiten aus nichtakademischen Kreisen bewogen hat, grosse 
Geldmittel für Universitätszwecke zur Verfügung zu stellen. So 
war Schmidt mit seinem schönen, grossenteils von ihm ge¬ 
schaffenen Wirkungskreis in Halle eng verwachsen, und man kann 
es verstehen, dass ihm die Entscheidung nicht leicht wurde, als der 
Ruf nach Bonn an ihn herantrat. Es ist ein tragisches Geschick, dass 
es ihm nicht vergönnt war, dort länger zu wirken und dass dieses 
reiche Leben einen so jähen, frühzeitigen Abschluss gefunden hat. 

J. S t ra s b u r g e r - Frankfurt a. M. 


Bücheranzeigen und Referate. 

Prof. Adolf Schmidt: Der Muskelrheumatismus (Myalgie). 

Auf Grund eigener Untersuchungen gemeinverständlich dargestellt. 
Mit 14 Abbildungen im Text und 9 Tafeln. Bonn 1918. A. Marcus 
u. E. Webers Verlag. 92 Seiten. Preis geb. 8.20 M. 

Schmidt hat für seine kleine Monographie mit Recht das 
Prinzip der Gemeinverständlichkeit gewählt, um dieser Bearbeitung 
eines ebenso allgemein wichtigen, als ärztlich meist missachteten 
Leidens nicht das Schicksal vieler Monographien, „unter Ausschluss 
der Oeffentlichkeit“ in Bibliotheken unbeachtet zu verstauben, aus¬ 
zusetzen. 

Er schildert zunächst Ausbreitung und Sitz, sowie die quali¬ 
tativen Eigenschaften der Myalgie, die immer ein Tiefenschmerz sei, 
alsdann die mit ihr verbundenen motorischen Störungen (nur re¬ 
flektorischer Krampf, nie Parese!), die Allgemeinerscheinungen und 
dei> Verlauf. Die Differentialdiagnose wird in treffenden Beispielen 
(Spondylarthritis, Radikulitis, Knochenkarzinose etc.) dargestellt und 
hierauf eine Abgrenzung gegen andere Muskelkrankheiten organi¬ 
schen Ursprungs (Polymyositis, Trichinose etc.) und gegen den 
Gelenkrheumatismus gegeben; gegenüber der „typischen“ Neuralgie 
versagt nach S. die Differentialdiagnose. Nachweisbare anatomische 
Veränderungen, auch die Insertionsknötchen von Müller-Glad¬ 
bach, verneint Verf. und betrachtet die Myalgie ausschliesslich 
als eine Neuralgie der MuskelnerVen, deren Angriffs¬ 
punkte er in allen Abschnitten der peripheren sensiblen Bahn, beson¬ 
ders häufig aber in den Wurzelgebieten, annimmt. Bei der Be¬ 
sprechung der exogenen und endogenen ursächlichen Faktoren wer¬ 
den nach Ansicht des Ref. die „Erkältung“ und Uratgicht zu ab¬ 
lehnend behandelt, das konstitutionelle familiäre Moment aber mit 
Recht besonders hervorgehoben; unter den „auslösenden Faktoren“ 
werden die rein mechanischen m. E. überschätzt, die thermischen 
(Kälte) aber untersefiätzt. Bezüglich der Therapie wird die Ent¬ 
fernung von Infektionsherden im Munde (Mandeln, Gingiven), an 
Nebenhöhlen und der Nase hervorgehoben, dann die Ausschwem- 
mungsbehandlung, Injektionen von physiol. NaCl-Lösung in den Mus¬ 
kel gelobt, die Wirkung der bisherigen Vakzinebehandlung bestritten 
und bisweilen die intradurale und epidurale Injektion empfohlen; 
Trinkkuren aller Art werden abgelehnt. Im Kapitel der sympto¬ 
matischen Therapie wird die Wirkung der Salizylate als anästhe¬ 
sierend, nicht als spezifisch krankheitsbekämpfend aufgefasst, die¬ 
jenige der „ableitenden Verfahren und der Strahlenbehandlung etwas 
skeptisch hehandelt, die der Radiumemanation — wohl zu radikal — 
bestritten. Es folgen noch die Behandlung mit Wärmeprozeduren 
undi Heilbädern und die Massage, deren praktische Erfolge S. an¬ 
erkennt, während er die laienhaften theoretischen Vorstellungen der 
Masseure mit Recht bekämpft. Den Schluss bilden Bemerkungen 
über prophylaktische Behandlungsmethoden, in denen S. vor allem 
Mässigkeit, Abhärtung, körperliche Bewegung und — als letztes und 
bestes — die Gewöhnung an den Schmerz empfiehlt. Das Buch ver¬ 
dient sehr die Aufmerksamkeit unserer Praktiker und ist auch für 
die Beurteilung unserer militärischen Patienten ein guter Ratgeber. 

H. Curschmann (im Felde). 

D. Kulenkampff: Kurzes Repetitorium der Chirurgie. I. Teil: 
Allgemeine Chirurgie. Preis 4 M. II. Teil: Operationslehre. Preis 
M. Leipzig, Barth, 1918. 

Man mag über den Wert und die Notwendigkeit der kurzen 
Repetitorien im allgemeinen denken wie man will, das Verlangen 
nach solchen ist in studentischen und auch wohl zum Teil in ärzt¬ 
lichen Kreisen ein sehr grosses. Dienen sie nicht dazu, unsere 
galten, zum Studium unbedingt notwendigen Lehrbücher auszuschal¬ 
ten, sollen sie nur eine schnelle Orientierung über eine gerade auf- 
stossende Frage oder eine kurze Wiederholung ermöglichen, so darf 
man sich ihrem Gebrauch wohl nicht widersetzen. Ein eigentliches 

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Studium der betreffenden Materie ist schon mit Rücksicht auf die 
nur in beschränktem Masse mögliche Abbildungenbeigabe ausge¬ 
schlossen. Zumal in der Chirurgie und insbesondere in der Opera¬ 
tionslehre ist eine irgendwie erfolgreiche Darstellung ohne reichliche 
Abbildungen nicht denkbar. 

Kulenkampff hat die beiden vorliegenden Repetitorien an 
der Hand der Lehrbücher von Lexer, Bier-Braun-Kümmell, 
Bergmann-Rochs und Schmieden zusammengestellt. Man 
muss mit grosser Anerkennung hervorheben, wie geschickt und über-' 
sichtlich K. den Stoff angeordnet und wie er bei aller Kürze überall 
den wissenschaftlichen Standpunkt zu wahren verstanden hat. 
Manche Abschnitte der allgemeinen Chirurgie, so über Asepsis, Wund¬ 
infektion müssen als vortrefflich anerkannt werden. In der Opera¬ 
tionslehre sind besonders die Abschnitte der allgemeinen Operations¬ 
lehre zu loben. Das Viele, was K. in den beiden kleinen Büchern 
bringt, ist erstaunlich. Kr ecke. 

M. Piorkowski: Serodiagnostik. Kurze Zusammenstellung 
der biologischen Reaktionen nebst einem Anhang über die wichtig¬ 
sten Protozoen. 2. Auflage. Berlin 1918. Richard Schoetz. 
51 Seiten Text. 2.50 M. 

Das Büchlein ist wirklich zu kurz. Als Aushilfsbüchlein für die 
Kursisten des Verfassers, für die es zunächst bestimmt war, mag 
es vielleicht von Wert sein, aber sonst wüsste Ref. keinen rechten 
Kreis dafür. Nicht nur die Serodiagnostik, sondern fast die ganze 
Immunitätslehre ist auf den kurzen Raum zusammengearbeitet 
worden, das meiste aber nur in Form von Stichworten mit wenigen 
erläuternden Zeilen. Dagegen umfasst die Wassermann sehe 
und Abderhalden sehe Reaktion 20 Seiten. Ob aber auch das 
genügend ist, um darnach zu arbeiten, steht zu bezweifeln. Der kom- 
pilatorische Charakter des Büchleins und die Ungleichmässigkeit 
der Ausarbeitung fallen zu sehr in die Augen, als dass man es mit 
gutem Gewissen empfehlen könnte. L. S a a t h o f f - Oberstdorf. 

Neueste Journalliteratur. 

Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 60. Bd., 1.—3. H. 

W. E r b - Heidelberg: Friedrich S c h u 11 z e. Zum 17. Aug. 1918. 

H. Oppenheim und M. Borchardt -Berlin: Weiterer Bei¬ 
trag zur Erkennung und Behandlung der Rücfcenmarksgeschwülste. 

Bemerkenswert bei dem ersten Fall waren das Fehlen von 
Wurzelsymptomen, die hochgradige Beugekontraktur — wohl auf 
die beträchtliche Steigerung. und Ausbreitung der Hautreflexe zu¬ 
rückzuführen —, eine weitgehende Remission im Krankheitsverlauf 
und das Fehlen des sogen. Kompressionssyndroms. Ein weiterer Fall 
bot insofern Interesse, als es sic hum ein Psammoendotheliom han¬ 
delte, was den Knochen teilweise zerstört hatte. Der 3. Fall stellt 
eine Neubildung dar, die, ursprünglich von Rückenmarkshülle stam¬ 
mend,' in das Mark eingedrungen war. Trotz dieser ungünstigen 
Bedingungen gelang es, durch die Operation eine Rückbildung der 
Lähmungserscheinungen anzubahnen, deren Fortschritte sich aus 
äusseren Gründen nicht weiter verfolgen Hessen. Der Chirurg 
schliesst einige technische Bemerkungen an, wobei er das Hirsch- 
1 aff sehe Narkosengemisch und zur Durchschneidung der Wirbel¬ 
bögen seine stumpfwinklige Zange empfiehlt. 

W. K a u p e - Bonn: Einwirkungen des Krieges auf das Kind. 

J. Strasburger - Frankfurt: Schlaffe Lähmungen bei bodi- 
sitzenden RückenmiarkssdhUssen und bei Gehimschüssen. 

Schwere frische Rückenmarksverletzungen zeigten schlaffe Läh¬ 
mung, gleichgültig, an welcher Stelle der Schuss sass. Auch nach 
schweren Schussverletzungen des Grosshirns wiesen die Lähmungen 
vielfach längere Zeit den Charakter der schlaffen Lähmung auf. Zur 
Erklärung dieses Phänomens muss man die Lehre Monakows 
von der Diaschisis heranziehen. 

Ad. Schmidt-Bonn: Nadht und Schlaf bei Krankheiten. 

Ganz allgemein lässt sich sagen, dass diejenigen Krankheitssym¬ 
ptome, welche von höchst geordneten Nervenzentren abhängen 
(z. B. die hysterischen), am ehesten während des Schlafes ver¬ 
schwinden, die durch nachgeordnete Zentren hervorgerufenen nur 
z. T. eine Verminderung erfahren, zum anderen Teil eine Steigerung 
durch Wegfall von hemmenden Impulsen seitens der höchsten Zen¬ 
tren. So treten entsprechend der grösseren Unabhängigkeit des 
viszeralen Nervensystems Krankheitserscheinungen von seiten des 
Herzens und der Lunge (Asthma cardiale und bronchiale), Gallen¬ 
stein- und Nierenkoliken u. a. nachts häufiger auf, funktionelle 
Tachykardien und dyspeptische Erscheinungen pflegen im Schlaf 
besser zu werden. Im Bereich des zerebralen Systems lassen 
Schmerzen nach Ausschaltung der Sinneseindrücke z. T. nach, ebenso 
motorische Reizerscheinungen, dagegen treten nachts Erscheinungen 
auf, die am Tage durch Ablenkung der Aufmerksamkeit bzw. durch 
Uebertönung durch höhere Erregungen unterdrückt oder überlagert 
waren. 

E. Hoffmann - Bonn: Vermag kräftige Frühbehandlung der 
Syphilis mit Salvarsan und QuedksHber Erkrankungen des Nerven¬ 
systems zu verhüten? 

Verf. bejaht die obige Frage. Am besten sind die Aussichten 
bei der primären Syphilis und vorzüglich in ihrer seronegativen 
Zeit; hier genügt eine Abortivkur zur Sterilisierung. Bei primär- 

Original from 

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1414 


MUfeNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


seropositiver Lues sind die Aussichten noch gute, doch empfiehlt 
sich, nach 2—3 Monaten eine 2. Kur anzuschliessen. Bei sekundärer 
Erkrankung sind 2 starke kombinierte Kuren nicht immer imstande, 
Rückfälle zu verhüten. Je früher die Behandlung im Primärstadium 
begonnen wird, um so sicherer werden frühe oder späte Nerven¬ 
erkrankungen, einschliesslich Tabes und Paralyse, verhütet. 

A. W e s t p h a 1 - Bonn: Beiträg zur Lehre von der stationären 
Tabes. 

ln vivo war als einziges Symptom das Fehlen der Patellar¬ 
und Achillessehnenreflere, sowie der Reflexe an den oberen Extremi¬ 
täten naehzuweisen, bei der Obduktion ein typischer Tabesbefund. 

R. Finkelnbur g-Bonn: Ueber die Bedeutung nervöser Herz- 
gefässstörungjen für die Entstehung von Arteriosklerose. 

Verf. hat diese Frage an der Hand eines grösseren Materials 
- 180 nervöse Unfallskranke nachgeprüft und kommt zu dem 

Ergebnis, dass bei Kranken, die jahrelang an ausgesprochenen ner¬ 
vösen kardiovaskulären Störungen gelitten hatten, in keinem ein¬ 
zigen Falle eine frühzeitige oder aussergewöhnliche schnelle Ent¬ 
wicklung von Arteriosklerose festgestellt werden konnte. Nur in 
wenigen (11) Fällen konnte überhaupt nach dem Unfall eine Ent¬ 
stehung des Leidens verfolgt werden, doch war hier der zeitliche 
Abstand zwischen Beginn der Sklerose und Unfall so gross, dass 
ein Zusammenhang mit dem Unfall ganz unwahrscheinlich erscheint, 
auch war die Entwicklung des Leidens keine auffällig schnelle. 

Koepchen - Bonn: Ueber die Behandlung der Kriegsneurotiker. 

Die individuelle Behandlung der Kriegsneurotiker muss an 
Stelle der schematischen auf Neurotikerabteilungen treten; auf die 
Vorzüge einer guten Beobachtungsstation wird hingewiesen. 

0. v. Franquc- Bonn: Zur Entstehung der Meteena neona¬ 
torum. 

Eine Beobachamg zur Stütze von Verf.s Anschauung, dass die 
Melaena neonatorum nicht auf Infektion, sondern auf primären Zir¬ 
kulationsstörungen der Magen- und Darmschleimhaut beruht, welche 
gewöhnlich durch retrograde Embolte kleinster Venen und Kapil¬ 
laren von Gerinnselbildungen in der Nabelvene aus entstehen. 

A. H ü b n e r - Bonn: Versuche und Beobachtungen zur Simula¬ 
tion sf rage. 

Experimentelle Untersuchungen zur Imitation von Krankheits¬ 
zuständen. Erfahrungen mit Simulanten, die ihr Geheimnis schliess¬ 
lich Preisgaben; Beziehungen zwischen Simulation und Hysterie. 

Ad. Strümpell- Leipzig: Die Stereognose durch den Tast¬ 
sinn und ibre Störungen. Nebst Bemerkungen über die allgemeine 
Einteilung der Sensibilität. 

Neben der Aussensensibilität, die die Sinneseindrücke, die der 
Körper von der Aussenwelt erhält, vermittelt, ist die Innensensi¬ 
bilität zur Regulierung der Beziehungen des Körpers zur Aussen¬ 
welt von Wichtigkeit. Alle sensiblen Innenerregungen entstehen 
durch mechanische und chemische Reize und werden nur zum Teil 
bewusst empfunden. Es gehören dazu das Gefühl für passive Be¬ 
wegungen und der tiefe 'Drucksinn, der sich auch mit dem Druck¬ 
sinn der Haut unter dem Begriff „Mechanosensibilität" zusammen¬ 
fassen lässt und in Beziehung zur Aussenwelt als Lokalisations¬ 
vermögen und stereognostischer oder Tastsinn sich äussert. Bei der 
Stereognosis wirken 3 elementare Empfindungskomponenten mit: 
1. der tiefe Drucksinn, 2. der Muskelsinn, 3. das Lokalisationsver- 
mögen der Haut und der tieferen Teile. Das nicht genaue Prüfen 
dieser Empfindungsqualitäten hat zu dem Irrtum der „Tastlähmung“ 
im Sinne der sogen. Seelenblindheit geführt. Aber die Astereognose 
bei Erkrankungen der Gehirnrinde (hintere Zentralwindung) hat ihre 
Ursache in dem dadurch bedingten Ausfall der sensorischen Ein-' 
drücke der 3 genannten Empfindungen. Das gleiche Krankheitsbild 
lässt sich nämlich auch bei Erkrankung peripherischer Nerven be¬ 
obachten (postdiphtherische Lähmung, alkoholische Polyneuritis). 
Eine echte taktile Agnosie wäre natürlich nicht undenkbar, ist aber 
bisher noch in keinem Falle erwiesen. 

H. R i b b e r t - Bonn: Ueber den Begriff der Krankheit. 

Verf. verteidigt die von ihm gegebene Definition gegenüber den 
Einwänden L u b a r s c h\ 

J. Hof fmann- Heidelberg: Pyramidenseitenstrangsymptome 
bei der hereditären F r l e d r e i ö h sehen Ataxie; Sektionsbefrnd. 

2 Fälle obiger Erkrankung mit Steigerung der Sehnenreflexe und 
spastischen Erscheinungen. 

H. Stursberg - Bonn: Bemerkungen über Mängel in der 
ärztlichen Vorbildung und Vorschläge zu Ihter Besserung. 

Um dem Mangel an psychologischem Verständnis des Arztes 
abzuhelfen, muss eine tiefgehende Aenderung des ganzen Erziehungs¬ 
wesens — schon in der Schule anfangend — einsetzen; der junge 
Mediziner muss frühzeitiger mit dem kranken Menschen in Be¬ 
rührung kommen, sollte mehr von Krankenpflege sehen und hören 
und selbst darin praktisch arbeiten. 

H. Gerhartz - Bonn: Beitrag zur Frage der puerperalen 
Eklampsie. 

Während anatomisch das Bild der Eklampsie dem der akuten 
gelben Leberatrophie ausserordentlich ähnelt, lässt sich klinisch nach 
den Beobachtungen des Verf. diese Analogie nicht durchführen. 

M. Nonne: Miultiple Sklerose und Fazialislähmung. 

ln jedem Fall von ätiologisch nicht erwiesener Gesichtslähmung 
sollte man auf die Frühsymptome einer Sklerosis multiplex fahnden. 


Jedenfalls spielt nach den Erfahrungen des Verf. die multiple Skle¬ 
rose in der Aetiologie der rezidivierenden Fazialislähmung eine 
Rolle, w ie Beispiele beweisen. - O. R e n n e r - Augsburg. 

Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 47 

Heft 6 und Band 48 Heft 1 -3. 

W. Rübsamen - Dresden: Nierenbeckenplastik nach F e n g e r 
bei geplatzter Hydronephrose. 

Plastische Operationen wegen geplatzter Hydronephrose sind 
bis jetzt noch nicht mitgeteilt. Mitteilung eines solchen vom Veri. 
operierten Falles. Diese Operation führt zur Erhaltung der ge¬ 
platzten Niere. Instruktive Abbildung. 

Rob. Schröder - Rostock: Die Echinokokkenerkrankung in der 
Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Kasuistische Uebersicht über die letzten 10 Jahre, dazu 2 eigene 
Fälle. 

H. J. ß o 1 d t - New York: Chlorzink bei uterinen Blutungen, be¬ 
sonders wenn dieselben durch kleine, interstitielle Myome, Metro- 
endometritls oder Flbrosls uterl entstanden sind. 

Verf. benutzt 50 proz. Lösung zur Injektion. Empfiehlt dieses 
alte Mittel zur Wiedereinführung in die Praxis. 

R. J o 11 y^Berlin: Ueber Zufälle bei Laparotomien. 

Kasuistik über 2 Fälle. 

Hans Wulff- Kopenhagen: Ueber Beinhalter bei operativen 
Entbindungen in der Praxis. 

Beschreibung und Abbildung eines, wie es scheint, recht prak¬ 
tischen Beinhalters. 

Paul L i n d i n g-Giessen: Die Brustdrüsensekretion beim Neu¬ 
geborenen. 

100 fortlaufende untersuchte Kinder wurden der Arbeit zugrunde 
gelegt. Reizkörper für die postpartale Schwellung und Sekretion der 
vielleicht schon im Fötalleben sensibilisierten Brustdrüse treten im 
Verlaufe des physiologischen Zerfalls von Eiweisskörpern im Blute aut. 
die alsdann Ursache für das Phänomen der Brustdrüsensekretion der 
Neugeborenen abgeben. 

A. Martin: Sammelbericht der Strahlentherapie im Jahre 1917. 

14 Seiten. 

Bd. 48 H. 1. 

Friedrich L ö n n e - Bonn: Schwangerschaft, Geburt und Wo¬ 
chenbett Erstgebärender in Kriegs- und Friedenszeiten. 

An Hand von 650 Erstgebärenden der Friedenszeit und der 
vom 1. April 1916 bis 1. Oktober 1917 beobachteten Fälle wird ein 
sorgfältiger Vergleich der im Titel angegebenen Verhältnisse ge¬ 
zogen. Die Geburtsdauer Erstgebärender bis zum 26. Lebensjahr 
bleibt bei Kriegsgeburten und Friedensgeburten gleich. Bei älteren 
und alten Erstgebärenden — ungefähr vom 27. Lebensjahre ab — ist 
sie gegenüber der Dauer der Friedensgeburten unbedingt verkürzt. 
Den schnellen Ablauf der Geburt bei älteren Erstgebärenden in 
Kriegszeiten führt er auf stärkere körperliche Betätigung zurück. 
Dies als Beitrag zu den von N a s s a u e r als „Kriegsschnellgeburteif 
in der M.mtW. beschriebenen Vorgängen. 

Alles in allem hat sich im Kriege gegenüber dem Frieden nicht 
viel Abweichendes ergeben. Die kindliche Mortalität hat sogar ab¬ 
genommen. Die Geburtsdauer hat in gewissem Sinne eine Besse¬ 
rung erfahren. Alte und ältere Erstgebärende haben auffallend 
schneller geboren. Das Geburtsgewicht der Neugeborenen ist nur 
minimal gesunken. .Die Ergiebigkeit der Mutterbrust ist deutlich ge¬ 
sunken, gibt aber zu irgendwelchen Besorgnissen keinen Anlass. 
„Wenn aber diese Ergiebigkeit der Mutterbrust infolge des Aushunge¬ 
rungskrieges weiter sinkt, wdrd es ein Blatt der Schmach für unsere 
Feinde in der Geschichte geben, dass, die Verletzung des elemen¬ 
tarsten Völkerrechts auf unschuldige Frauen mit neuem Leben unter 
dem Herzen in schandbarster Weise direkt übertragen wurde.“ 

11 i n e r - Breslau: Ein Fall von Schwangerschaft bei ausserge- 
wöhnlich engem Hymen. 

A. Heyn-Berlin: Zur Kasuistik der Bauchspalte. 

F. A h 1 f e 1 d: Die Säuglingsverluste der ersten 10 Lebenslage 
in der Marburger Frauenklinik 1885—1907. 

Der Angabe der im Henkelprozess begutachtenden Aerzte 
ist wohl Recht zu geben, wenn sie behaupten, selbst weniger gute 
Pffege der Säuglinge der ersten 8—10 Tage w'iirde die Zahl der in 
diesem Zeiträume sterbenden Kinder nicht nennenswert erhöhen. Zu 
diesem Urteil kommt A h 1 f e 1 d auf Grund sorgfältiger Vergleichung 
aus verschiedenen mehr weniger günstig eingerichteter Kliniken. 

B. Rauch- Köln-Lindenthal: Bevölkerungsproblem und Heb¬ 
ammerlehranstalt. 

Eine in enger Verbindung mit der Säuglingssprechstunde zu 
organisierende Ueberwachung der Neugeborenen durch die Heb¬ 
ammen wird künftig dazu beitragen müssen, die Säuglingssterblich¬ 
keit mehr und mehr herabzudrücken. 

Bd. 48 H. 2. 

Hermann K ö h 1 e r - Hamburg: Primäre Abdominalgravidität. 

Ein genau beschriebener Fall mit 5 Abbildungen will die Mög¬ 
lichkeit einer primären Bauchschwangerschaft erw r eisen. 

R. Schröder - Rostock: „Gallensteine“ in einem Dermoid. Zur 
Frage der Kugelblldung in Dermoidgeschwülsten. 

Die operierte Zyste enthielt u. a. viele Hundert von pfefferkorn- 


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10. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1415 


bis haselnussgrossen Gebilden, die mit Gallensteinen grosse Aehnllch- 
keit hatten. Genaue chemische Analyse und Deutung des Zustande¬ 
kommens. 

Hans Otto S i e g r i s t-Basel: Vier Jahre Röntgenkastratlon Im 
Frauenspital Basel. 

Vorsichtige Beurteilung der Erfolge auf Grund sorgfältig beob¬ 
achteten Materials. 

B. Schweitzer -Leipzig: Erfahrungen mit der hohen Sakral¬ 
anästhesie bei gynäkologischen Operationen. 

Vor- und Nachteile werden objektiv klargelegt. Die „Zahl der 
Nachteile ist leider nicht gering.“ Der Hauptnachteil ist die Unzuver¬ 
lässigkeit der Wirkung und die oft eingeengte Anästhesiezone. 

Bd. 48 H. 3. 

Otto A b r a h a m- Berlin: Versuche einer serologischen Ge¬ 
schlechtsbestimmung. 

Die sekundären Geschlechtscharaktere sind bedingt durch eine 
innere Ovarialsekretion. Eine innere Sekretion, die den ganzen 
Körper verändert, muss auf dem Blutwege übermittelt werden. Dar¬ 
nach muss das Blut der Männer verschieden sein vom Frauenblut, 
ebenso infolge des Plazentarkreislaufes das Blut der Schwangeren 
mit männlichem Fötus von dem der. Schwangeren mit weiblichem 
Fötus. Durch die Präzipitationsmethode ist es möglich, mit einer 
gewissen Wahrscheinlichkeit Unterschiede zwischen männlichem und 
weiblichem Serum zu erkennen. Mit etwas schwächerer Wahrschein¬ 
lichkeit lässt sich auch das Geschlecht des kommenden Kindes aus 
dem mütterlichen Serum Voraussagen. 

Oskar Frankl- Wien: Ueber das sog. Adenoma malignum der 
Gebärmutter. 

Mit Beschreibung eines Falles von gutartigem Adenoma portionis 
uteri. 

Hugo Germann -Zürich: Zur Indikation der Fixationsmethoden 
des Uterus mit einem kasuistischen Beitrag zu Bumms Collifixatio 
uteri. 

Warme Empfehlung der Kollifixur als einfache'typische rasche 
Prolapsoperation. 

Eduard S c h r o e d e r - Greifswald: Entstehung und Vererbung 
von Missbildungen an der Hand eines Hypodaktyllestammbaums. 

Sehr interessante Tafeln und Abbildungen ganzer Generationen 
mit schweren Missbildungen an den Händen. 

Max Nassauer -München. 

Zentralblatt für Gynäkologie. 1918, Nr. 47. 

H. Fehling: Ueber Kriegsschwangerschaften. 

Ergänzung der vor einem Jahre veröffentlichten Mitteilung. 

L. S e i t z - Erlangen: Ueber die Ursache der zyklischen Vor¬ 
gänge Im weiblichen Genitale. 

Im Gegensatz zu der jetzt geltenden Annahme R. Meyers 
von der Annahme einer überragenden Bedeutung der Eizelle auf 
die zyklischen Vorgänge, vindiziert Verf. der Eizelle nur die Fort¬ 
pflanzungssicherung; die Follikelepithelien dagegen be¬ 
wirken und regeln den Zyklus. Werner- Hamburg. 

Berlner kliidscbo Wochenschrift Nr. 47, 1918. 

M. Rubner -Berlin: Ueber die Verdaulichkeitsverhältnisse 
unserer Nahrungsmittel. Vergl. Referat S. 1254 der M.m.W. 1918. 

M. Westenhöfer: Ueber primäre noduläre Ruhr. 

Ebenda Referat zu vergleichen. 

M. Z o n d e k : Zur Chirurgie des chronischen Ulcus ventrlcull. 
(Gastroenterostomie oder Resektion?) 

Die Operationsmethoden bei dieser'Erkrankung haben verschie¬ 
dene Wandlungen durchgemacht, neuerdings sprechen sich gewichtige 
Stimmen für die Resektion des pylorusfernen Ulcus aus. Verf. er¬ 
örtert auf Grund seiner eigenen Erfahrungen die speziellen Indika¬ 
tion der beiden Hauptmethoden und berichtet innerhalb dieses Ueber- 
blicks auch über die Erfahrungen anderer Chirurgen. 

0. Zimmermann -Köln: Ueber .Ruhrbehandlung mittelst 
Toxinausflockung. 

Die eiweisshaltigen entzündlichen Ausscheidungen bei Kolitis, 
Ruhr wirken ihrerseits durch Toxingehalt schädlich auf den Krank¬ 
heitsprozess. Verf. ging bei 84 Ruhrfällen dazu über, durch Eiweiss¬ 
ausfällung mittelst einer (durch Klysma eingebrachten) Kolloidlösung, 
bestehend aus einem kalten Carragheeninfus, auch die Toxine zu be¬ 
seitigen. Er sah Milderung des Tenesmus und sonst günstigeren Ver¬ 
lauf, indem er nur 2 Todesfälle hatte. 

K. Löwenthal -Metz: Das Krankheitsbild der Nebennieren¬ 
apoplexie. 

Die Im Verlauf akuter Infektionskrankheiten und wohl auch aus 
anderen Ursachen auftretende doppelseitige Nebennierenapoplexie 
führt zu einer schweren, meist rasch tödlichen Erkrankung: Heftige 
Leibschmerzen mit Darmspasmen und Obstipation, Schweissausbruch, 
kleiner, langsamer, unregelmässiger Puls, normale Temperatur. 

K. G 1 ä s n e r: Die Beeinflussung der Regeneration von Knochen¬ 
verletzungen durch die Thymusdrüse. 

Verf. unternahm Versuche an Kaninchen, denen mittelst Trepan 
in Narkose eine Knochenverletzung der Tibia beigebracht wurde, 
worauf ein Teil der Tiere mit Thymusdrüse gefüttert wurden. Die 
so behandelten Tiere wiesen eine raschere Knochenneubildung auf, 
wie die nichtthymusbehandelten. G r a s s m a n n - München. 

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Deutsche medizinische Wochenschrift 

'Nr. 47. F. Colmers-Koburg: Die Behandlung der akut be¬ 
drohlichen Erscheinungen bei chirurgischen Erkrankungen der Hals¬ 
organe. (Schluss folgt.) 

U. Friedemann - Berlin: Ueber Serumtherapie der Grippe¬ 
pneumonie. 

Versuche mit einem polyvalenten Pneumo-Streptokokkenserum 
(Sächsisches Serumwerk), von dem an zwei aufeinanderfolgenden 
Tagen je 50 ccm in die Oberschenkelmuskulatur eingespritzt wurden. 
Von 20 Fällen waren 5 aussichtslos und starben am Tage der Ein¬ 
spritzung, 2 blieben unbeeinflusst. Bei 6 sehr schweren Fällen scheint 
das Serum den ungünstigen Ausgang abgewendet zu haben, wobei 
in 24—48 Stunden ein überraschender Umschwung aller Erschei¬ 
nungen eintrat. Bei 7 mittelschweren Fällen wurde augenscheinlich 
die sich entwickelnde Pneumonie kupiert. Die Serumbehandlung 
empfiehlt sich für jeden Giippefall mit sicheren Pneumonieerschei¬ 
nungen. 

F. Wächter -Frankfurt a. M.: Intravenöse Kollargoltheraple 
bei Influenzapneumonie. 

Tägliche ein- bis zweimalige intravenöse Injektionen von 5 ccm 
einer 1 prom. Kollargollösung (Fulmargin), bis zur Entfieberung ge¬ 
geben, setzten die Dauer der Krankheit und die Mortalität sichtlich 
herab. i 

A. P1 e h n: Mazedonische Malaria oder Malaria der Chinin- 
gewöhnten. (Schluss.) 

Zusammenfassung: Chiningewöhnung im Sinne von Teich- 
m a n n und Neuschloss beeinflusst nicht entscheidend den Fie¬ 
berverlauf, die Parasiten und die Rückfälligkeit. Auch bei fehlender 
Chiningewöhnung ist der Verlauf sehr hartnäckig, vielleicht durch 
verspätete Behandlung. Möglicherweise liegt eine Besonderheit der 
mazedonischen Parasiten vor, wie auch die Anophelesart eine be¬ 
sondere ist (Superpictus). Die Hartnäckigkeit der Kriegsmalaria 
hängt grossenteils mit jien ungünstigen somatischen und psychischen 
Verhältnissen der Erkrankten zusammen. 

O. Orth- Forbach: Thrombosen bei der spanischen Krankheit 

Vier Fälle einer „thrombotischen Form“ der Influenza, a) Sym¬ 
metrische Gangrän infolge Verschluss der Art. popliteae. b) Gangrän 
der Endglieder der 5 Finger, c) Thrombotische Gallenblasennekrose, 
d) Venenthrombose am Unterschenkel, Lungeninfarkt. 

O. Löwy: Fall von hämorrhagischem, varlolaähnlicfaem Ex¬ 
anthem bei Pneumonie. 

E. Martini: Fleckflebersterblichkeit einer christlichen und 
jüdischen Bevölkerung. 

Die Fleckfiebersterblichekit fand M. in Polen bei christlichen 
und jüdischen Kindern gleich Null; bei christlichen Männern 31, 
Frauen 18, bei jüdischen Männern 22, Frauen 13 Proz. Der Unter¬ 
schied dürfte in der häufigeren Verlausung und Durchseuchung der 
Juden von Jugend auf begründet sein. 

Becher: Zur Behandlung von Fussgelenkselterungen. 

Die wichtigen Einzelheiten der Technik lassen sich nicht kurz 
wiedergeben. 

G. Münchmejer-'Strassburg: Ueber Wasserbeurteilung Im 
Felde. 

Kaess- Giessen: Heilung einer 12 Jahre bestehenden funk¬ 
tionellen Stummheit durch Suggestivbehandlung. 

0. Junghanns -Dresden: Ein weiterer Fall von Urethritis 
non gonorrhoica und septischer Allgemeinerkrankung. 

Heilung durch Kollargolbehandlung. 

A. Calmann -Hamburg: Ist der Dämmerschlaf unter der Ge¬ 
burt ungefährlich? 

Bei einer kräftigen Gebärenden traten nach 6 ständigem 
Dämmerschlaf (wiederholt Skopolamin und Narkophin) Zeichen einer 
Gefährdung des Kindes ein, vor allem exzessive Beschleunigung und 
Unregelmässigkeit der Herztöne. Nach Rückgang der bedrohlichen 
Erscheinungen spontane Geburt eines leicht asphyktischen Kindes. 
C. wagt seither die Anwendung des Dämmerschlafes bei lebendigem 
Kinde nicht mehr. 

J. Schumacher: Die Erzeugung naszierenden Jods auf 
Schleimhäuten. 

Zur Erzeugung naszierenden Jods in infizierten Körper- und 
Wundhöhlen empfiehlt Sch. die interne Darreichung von Jodkalium 
und gleichzeitige lokale Anwendung einer 1 proz. Ammoniumpersulfaf- 
lösung, welche ungiftig und für diesen Zweck dem Wasserstoffsuper¬ 
oxyd weit überlegen ist. 

F. Ranze 1 -Djieditz: Vorsicht bei der Anwendung des Flbro- 
lyslns. 

Beschreibung eines Falles, wo durch Fibrolysin ausgedehnte 
Bindegewebsmassen in der Achselhöhle schwanden, darauf aber ein 
vorher nicht nachweisbar gewesenes Aneurysma der Axillaris zum 
Vorschein kam. Eine Verletzung desselben und schwere Schädigung 
durch die Fibrolysininjektionen wäre daher sehr leicht möglich ge¬ 
wesen. 

F. Friedmann-Berlin: Ueber Tuberkulosebehandlung mit 
lebenden Kaltblütertuberkelbazlllen. 

Kritik der Bemerkungen Brauns in Nr. 44. 

Dietrich- Berlin: Zur Neuordnung des medizinischen Stu¬ 
diums. B e r g e a t - München. 

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1416 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


Oesterreichlsche Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift 

Nr. 46. A. M a t e r n a und R. Penecke: Zur Aetiologie der 
Grippe 1918. 

In einer Anzahl von ürippeleichen konnten die Verfasser als 
einzigen aussergewöhnlichen bakteriologischen Befund und zwar 
häufig den Pfeifferschen Influenzabazillus nach weisen; sie be¬ 
zeichnen denselben als Erreger der Grippe und diese selbst als ein 
Neuauftreten der Pandemie 1889/92. 

N. v. J a gi c-Wien: Fieberkurve und Leukozytenbild bei Grippe. 

Verf. unterscheidet im regelrechten Fieberverlauf der Grippe 
ein meist dreitägiges Initialfieber, eine Remission am 3. Tage und 
den bald darauf einsetzenden neuen Anstieg, welcher das Stadium der 
Miscbinfektion (Bronchitis oder Pneumonie) einleitet. Das Blutbild 
der unkomplizierten Grippe und des ersten Stadiums der Grippe ist 
deutlich das der Leukopenie, im 3. Stadium entwickelt sich — nicht 
immer — als Ausdruck der Mischinfektion, eine Leukozytose. 
Neutropenie, das Fehlen der Lymphozytose und Erhaltensein der 
Eosinophilen sind für die Diagnose der Grippe in vielen Fällen gut 
verwertbar. 

G. A. Wagner-Prag: Zur Behandlung der Grippepneumonie. 

Ein Teil der schweren Grippepneumonien führt durch die rapide 
Flüssigkeitsausscheidung in das Lungengewebe zum Ende, förmlicher 
Erstickungstod. W. verwertete nun die Eigenschaft des Adrenalins, 
die Durchlässigkeit der Kapillarwände herabzusetzen, um diese stür¬ 
mische Anschoppung der Lunge aufzuhalten. Die Erfolge intramusku¬ 
lärer Einspritzungen von je 1 ccm der Adrenalinstammlösung 1:1000 
in 3—4stündigen Zwischenräumen waren in 8 schweren Fällen sehr 
befriedigend, schädliche Wirkungen wurden nicht gesehen. Daher 
empfiehlt sich eine vorsichtige Nachprüfung des Verfahrens. 

R. v. Funke- Prag: Zur Symptomatologie und Behandlung der 
Grippe-Lungenentzündung. 

Verf. ergänzt den vorstehenden günstigen Bericht Wagners 
über die Adrenalinbehandlung. 

A. Weil, A. Felix und F. Mitzenrnacher: lieber die 
Doppelnatur der Rezeptoren in der Typhus-Paratyphus-Gruppe. 

Nicht geeignet zur kurzen Wiedergabe. B e r g e a t - München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Tübingen. Oktober/November 1918. 

Beck Karl: Ueber die Bedeutung, der M u c h sehen Granula für die 
Prognose der Lungentuberkulose. 

Loebner Charlotte: Untersuchungen über das Blutserum bei Kar¬ 
zinom. 

Lutz Georg: Zur Aetiologie und Klinik des wolbynischen Fiebers 
(abgeschlossen Mai bis Juni 1917). 

Kretschmer Ernst: Der sensitive Beziehungswahn. (Habilitations¬ 
schrift.) 


Vereins- und Kongressberichte. 

Medizinische Gesellschaft zu Chemnitz. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 23. Oktober 1918. 

Vorsitzender: Herr Reichel. 

Schriftführer: Herr Schuster. 

Herr Schuster: Ein Fall von sackförmigem Aneurysma der 
Aorta ascendens und des Truncus anonymus. 

Der vorgestellte Kranke ist 42 Jahre alt, ledig und von Beruf 
Kaufmann. Mit 24 Jahren war er an Tripper erkrankt. Nach seiner 
militärischen Einberufung August 1914 machte er Garnisondienst. 
Seit Herbst 1915 ist er heiser. Ein Klopfen an beiden Halsseiten 
November 1915 führte er auf körperliche Anstrengungen beim Aus¬ 
werfen von Schützengraben zurück. Dezember 1915 bis Februar 
1916 wurde er im Krankenhause wegen Herzdilatation, Aorten¬ 
insuffizienz, Aneurysma der Aorta ascendens und rechtsseitiger Re- 
kurrensparese behandelt. Der Blutwassermann war negativ. Seine 
Beschwerden besserten sich. Mai 1916 wurde er dauernd dienst¬ 
unfähig mit Rente entlassen. Juni 1917 bildete sich über dem rechten 
Schlüsselbein innerhalb von 2—3 Wochen eine Geschwulst. Seitdem 
klagt er über Kurzatmigkeit, Herzklopfen. Schluckbeschwerden, 
Schmerzen der rechten Brust- und Rückenseite, Bewegungsbehinde¬ 
rung und Gefühllosigkeit des rechten Armes. 

An der rechten Halsseite des gutgenährten Mannes ist ein 
pulsierender Tumor sichtbar, der nach oben bis zur Kehlkopfhöhe, 
nach rechts bis zum äusseren Drittel der Klavikel, nach links bis 
über das linke Sternoklavikulargelenk reicht. Das rechte Schlüssel¬ 
bein springt stark vor. An Stelle des nicht abtastbaren inneren 
rechten Klavikularendstückes und des rechten Teiles des Manubrium 
sterni wölbt sich die Haut pulsierend vor. Ueber der Herzbasis 
findet sich eine Dämpfung, die den Brustbeinrand nach rechts um 4, 
nach links um 3 Ouerfingerbreite überschreitet. Der Spitzenstoss 
ist im linken 5. Interkostalraum fingerbreit vor der vorderen Achsel¬ 
linie fühlbar. Die rechte Herzgrenze reicht bis zum rechten Brust- 

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beinrand. Ueber der Aorta ist ein diastolisches, über der Mitralis 
und dem Halstumor ein systolisches Geräusch zu hören. Die Herz¬ 
tätigkeit ist beschleunigt (120 Pulsschläge). Die Röntgendurch¬ 
leuchtung in dorsoventraler Richtung und im ersten schrägen Durch¬ 
messer zeigt eine Verlagerung der Trachea nach links und eine 
sackförmige Erweiterung der Aorta ascendens und des Truncus 
anonymus. Bei Bewegung tritt Kurzatmigkeit ein. Das rechte 
Stimmfoand steht in Kadaverstellung. Die rechte Pupille ist eng, 
die linke erweitert. Der rechte Radial- und Karotispuls ist nicht 
zu fühlen. Die Stirn-. Hals- und Brustvenen sind erweitert. Die 
Muskeln der rechten Brustseite und des rechten Armes sind atro¬ 
phisch. Die seitliche Erhebung des rechten Armes gelingt nur 
bis zur Horizontalen. An den Streckseiten des rechten Armes sind 
die Empfindungen für Stich und Druck herabgesetzt. 

Die Prognose ist infaust. Die Therapie erstreckt sieb auf vor¬ 
sichtige Jothioneinreibungeiv, Kälteapplikation, Regelung der Diät 
und Defäkation, geistige und körperliche Ruhe und Tragen 'feines 
Schutzverbandes. Von eingreifenderen Prozeduren, die näher be¬ 
sprochen werden, ist ein sicherer Nutzen nicht zu erwarten. 


Aerztileher Verein in Frankfurt a. M. 

(Offizielles Protokoll.) 

1758. ordentliche Sitzung vom Montag den 1. Juli 1918 
abends 7 Uhr. 

Vorsitzender: Herr Vohsen. 

Schriftführer: Herr B a e r w a 1 d. 

Herr Schönfeld: Ueber Röntgenbefunde bei Lungensyphilis. 

Fälle von Lungensyphilis sind selten. Die Röntgendiagnose ist 
mangels genügender Beobachtungen noch wenig ausgebildet, ln Be¬ 
tracht kommen Lungengummata und chronisch-pneumonische Pro¬ 
zesse. Däbei ist die Differentialdiagnose gegenüber Neoplasmen¬ 
schatten und tuberkulösen Herdschatten schwierig. Die Röntgen¬ 
diagnose ist imstande, in Verbindung mit der Anamnese, dem klini¬ 
schen Verlauf, dem Ausfall der serologischen Untersuchung und dem 
Erfolg der Therapie, die Diagnose Lungensyphilis wesentlich zu 
fördern. 

Ein Fall, der 1916 in der Med. Universitätsklinik behandeli 
wurde, ist geeignet, einen Beitrag zu den spärlichen Mitteilungen 
über Röntgenbefunde bei Lungensyphilis zu liefern. 

Eine 45 jährige Wartefrau, 4 Wochen vor ihrer Einlieferung er¬ 
krankt mit Mattigkeit, Appetitlosigkeit, Stuhlverstopfung, Husten und 
Auswurf. 

Pat. in schwerkrankein, leicht benommenem Zustande. Ernäh¬ 
rungszustand stark reduziert. Zunge trocken und belegt; Puls be¬ 
schleunigt; Temperatur 39,5®. 

Brustkorb flach und eingesunken, rechte Thoraxhälfte schleppt 
bei der Atmung deutlich etwas nach. Ueber dem rechten Ober¬ 
lappen satte Dämpfung, lautes Bronchialatmen und vereinzelte 
klingende, mittelblasige Rhonchi. Herz o. B. Leber überragt zwei- 
fingerbreit den Rippenbogen. Milz eben palpabel. Im Urin kleine 
Mengen Eiweiss, vereinzelt hyaline Zylinder und Erythrozyten, Uro¬ 
bilin und Urobiiinogen. Im Blut 15 500 Leukozyten. In dem sehr 
spärlichen, zähschleimigen Sputum- weder Pneumokokken noch In¬ 
fluenzabazillen noch Tuberkelbazillen. Der schwere Allgemeinzustand 
und remittierende Temperaturen halten 4—5 Tage an, dann kehrt die 
Temperatur zur Norm zurück und die Patientin erholt sich. Unver¬ 
ändert bleibt der lokale Befund über dem rechten Oberlappen. Des¬ 
halb Röntgenaufnahme, die folgenden merkwürdigen Befund ergibt: 
der rechte Oberlappen ist völlig eingenommen von einem nach unten 
scharf abgegrenzten Schatten. Der Schatten ist wenig intensiv, nicht 
homogen, er zeigt vielmehr eine besondere Struktur, die man als 
spinngewebeartig bezeichnen kann. Ein rundlicher, ebenfalls wenig 
intensiver Schatten liegt in der Nähe des Hilus an der oberen Grenze 
des rechten Unterlappens. .Da speziell der Schatten im rechten Oher- 
lappen so sehr abweicht von der Art der Schatten, die wir bei allge¬ 
mein in Betracht kommenden Lungenerkrankungen zu sehen pflegen, 
denken wir an Lues und machen die Wa ssermann sehe Reaktion, 
die in der Tat komplett positiv ausfällt. Nach 14 tägiger Behandlung 
mit 3—4 mal 0,5 Jodnatrium täglich: Aufhellung der Dämpfung, nur 
noch verschärftes Atemgeräusch und vereinzelt Rhonchi. Sputum un¬ 
verändert spärlich und ohne besonderen Befund. Im Röntgenbild ist 
die spinngewebeartige Trübung aufgehellt, nur der die untere Grenze 
markierende Strang ist noch sichtbar. Nach weiterer antiluetischer 
Behandlung mit Hg 4 - Neosalvarsan erholt sich Pat. zusehends, nimmt 
14 Pfund an Gewicht zu und kann als -arbeitsfähig entlassen werden. 
Der Wassermann ist negativ geworden (Andeutung einer Reaktion 
noch vorhanden). Das Röntgenbild zeigt nur noch eine leichte Ver¬ 
schleierung des rechten Ober- und Mittellappens, auch ist der rund¬ 
liche Schatten am Hilus beinahe völlig verschwunden. 

Wir glauben diesen Fall nach dem ganzen Verlauf für einen Fall 
von Lungensyphilis ansprechen zu müssen, zumal im Röntgenbiid 
Veränderungen nachweisbar sind, die abweichen von Veränderungen, 
die durch sonst in Betracht kommende Lungenerkrankungen hervor¬ 
gerufen werden, und zumal auch im Röntgenbild der Erfolg der anti- 
luetischen Behandlung so deutlich zu verfolgen war. 

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10. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1417 


Herr Ebenau: Bericht über den Eisenacher Aerztetag. 

Herr Landesrat Beck -Kassel: Die Bäderfürsorge des Roten 
Kreuzes in der Provinz Hessen-Nassau. 

Aussprache: Die Herren v. W i 1 d, ü ii u z b u r g und 
Deck. 


Aerztlicher Verein In Hamburg. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 26. November 1918. 

Vorsitzender: Herr Rumpel. 

Herr Kafka berichtet über einige moderne Modifikationen der 
Wassermann sehen Reaktion von M e i n i c k e und Sachs und 
berichtet über die besonders mit der Sa c h s sehen Methode erzielten 
guten Resultate. Die S.sche Methode ist weitgehend spezifisch und bei 
richtiger Einstellung und genauer Kenntnis der Methode fast mit der 
Originalmethode übereinstimmend. Ein dazu benutztes Vergleichs- 
agglutinoskop hat Vortragender konstruiert und zeigt es. 

Herr Oehlecker empfiehlt für die operative Beseitigung der 
Totalprolapse, das Collum uteri an der Zwischenwirbelscheibe des 
5. Lendenwirbels oder 1. Kreuzbeinwirbels zu fixieren. Diese neue, 
von ihm in 25 Füllen erprobte Methode garantiert einen physiologi¬ 
schen Sitz des Uterus, Ausbleiben des Rezidivs, ist technisch einfach 
und daher nachahmenswert. 

Herr Vei'smann bespricht die Tätigkeit der Krankenkostabtei¬ 
lung und erwähnt dabei die Grippeepidemie, die bisher schätzungsweise 
30—40 000 Fälle mit 2000 Todesfällen umfasste. 

Aussprache über den Vortrag des Herrn Wohl will: 
tatliologi sch-anatomische Veränderungen des Zentralnervensystems 
bei angeborener und erworbener Syphilis. 

Herren S a e n g e r. Weygand t,'Wohl will. 

Die Aussprache über Influenza beginnt mit dem klinischen 
'Peil Herr Rumpel. 

Vortr. beginnt mit der allgemeinen epidemiologischen Stellung der 
Grippe, vergleicht die jetzige Epidemie mit derjenigen in den Jahren 
1889 90, gibt einzelne Zahlen aus der medizinalamtlichen Statistik: 
Vom 1. Oktober bis 15. November 1917 starben an Pneumonie in Ham¬ 
burg 115 Personen, im gleichen Zeitraum 1918 684 — Die Zahlen 
der Influenza me Id u n ge n (die Grippe ist nicht meldepflichtig!) sind 
für diese Zeiten 1917: 7, 1918: 1442. — Auf die Pathognomie ein¬ 
gehend, erwähnt R. die vereinzelten, rapide verlaufenden, tödlich 
endenden Fälle, die der „Schwere der Infektion“ erlagen. Er schildert 
kurz die Hauptsymptome, erwähnt die Schlafsucht (nicht so häufig wie 
1889 90), das starke Nasenbluten, die Schmerzen längs der Trachea, geht 
dann auf die Komplikationen ein, von denen die von seiten der Lungen 
die grösste Wichtigkeit verdienen. Der atypische Verlauf der Pneu¬ 
monie, ihr seltener Ausgang mit Krise, häufiger mit Lyse, die rasche 
Beteiligung der Pleuren, das rasche Entstehen von Exsudaten, die rasch 
ihren serösen Charakter verlieren und autiallend schnell eitrig werden, 
die Erweichungen in den bronchopneumonischen Bezirken. Abszess¬ 
bildung, Pneumothorax bzw. Pyopneumothorax werden geschildert. 
Voq Komplikationen seitens des Herzens ist die Myokarditis äusserst 
selten, kommt vielleicht noch nachträglich als Krankheitsfolge zur Be¬ 
obachtung; mehrfach sah R. septische Endokarditis. Magendarmkanal: 
häufig Erbrechen, vereinzelt hämorrhagische Enteritis. Nieren: 
Nephritis und Pyelitis nicht allzuselten, im Sediment Blut und Eiter. 
(jenaue Funktionsprüfungen. Exanthem: 8 Fälle von skarlatiniformem 
Ausschlag. Blutbefund: normale oder herabgesetzte Leukozvtenzahlen. 
Bei EmpyemSh Leukopenie. 

Kombination mit anderen Infektionskrankheiten: 1. Tuberkulose: 
öusserst ungünstiger Krankheitsverlauf; 2. Diphtherie: relativ günstig; 
3. Scharlach: schlecht; 4. Gasphlegmone: 2 mal bei Moribunden. 

Therapie: nur symptomatisch. Streptokokkenserum. Rekonvales¬ 
zentenserum, Kollargol, Anolau usw. ohne Erfolg. 

Werner- Hamburg. 


Medizinisch- Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen. 

. (Medizinische Abteilung.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 29. Juli 1918 im Tropengenesungsheim. 

Vorsitzender: Herr Heidenhain. 

Schriftführer: Herr W e i t z. 

Herr 01 p p: lieber Maltafieber, Sprue, Bilharzlosis und Filariosls 
mit Krankenvorstellungen. 

1. Ein Fall von M a 11 a f < e b e r aus EI Arisch, Sinaihalbinsel, 
bietet nichts wesentlich Neues. 

2. Ein 48 jähriger Sprue kranker, der 1899 nach Sumatra 
tfing, dort 1901 und 1908 Dysenterie durchmachte, wog 1913 noch- 
71 kg. Im Dezember 1913 setzten Durchfälle ein, die im Juli 1914 
schaumigen Charakter annahmen und etwa 10 mal täglich erfolgten. 
Im März 1914 traten die für trophische Aphthen charakteristischen 
roten Flecken. Bläschen und Geschwüre in der Mundhöhle auf, die 
jeder Therapie trotzten. Im November 1914 traf der Patient mit 
39 kg Körpergewicht bei 171 cm Grösse in Tübingen ein. Bart und 
Haare waren während der Erkrankung völlig ergraut. Es bestand 
Chloasma cachecticorum bei gelblich-weissen, schaumigen Stühlen, 

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Aphthen in der Mundhöhle und Dekubitus der Kreuzbeingegend. Der 
Hämoglobingehalt betrug noch 72 Proz. der Norm. Nach mehr¬ 
wöchiger Behandlung ging Patient gebessert in seine Heimat, 
kehrte aber im Mai 1918 in völlig verändertem Zustand wieder hierher 
zurück. Darmentleerung noch weiss-grau, massig, nicht mehr schau¬ 
mig, ein- bis zweimal täglich. Aphthen der Mundhöhle bestanden 
noch. Im mikroskopischen Stuhlpräparat Gram-feste Bakterien, wie 
sie J u s t i (1913), Beneke und Schmidt bei Sprue beschrieben 
haben. Interessant war der Blutbefund: Hb. 30 Proz. (Sahli), 
E. 922 000, Färbeindex 1,66, zahlreiche Megalozyten, vereinzelte 
Megaloblasten. Leukozyten nicht vermehrt. Also eine hyperchro¬ 
matische Megalozytose, ähnlich dem Ehrlich-Nägeli sehen 
Blutbild. Wer nicht wusste dass der Patient an Sprue litt, hätte die 
Diagnose perniziöse Anämie und eine dementsprechende Prognose 
gestellt. 

Bei strenger Bettruhe, Milchdiät, Erdbeeren, Arsen innerlich, 
besserte sich der Zustand des Patienten so auffallend, dass er nach 
2Vs Monaten 110 Proz. Hb. (Sahli). E. 4 300 000 und 18 kg Körper¬ 
gewichtszunahme zu verzeichnen hatte. F. I. :1,27. Sehr vereinzelt 
noch Megalozyten nachweisbar. Aphthen verschwunden. Weitere 
Besserung, vielleicht Heilung steht nach früher beschriebenen Fällen 
von Anämia gravis bei Sprue zu erwarten. 

3. Bei einer 23 jährigen Lehrerin, die mit 10 Jahren aus ihrem 
Geburtslande Transvaal nach Deutschland kam, trat hier zum ersten¬ 
mal Blutharn auf. 1912 fand ich die endstacheligen Eier der Bil- 
h a r z i a haemotpbia in ihrem Urin. Weder Medikamente, wie Fil¬ 
maronöl, Helmitol, Karlsbader Salz, noch Heissluftduschen auf die 
Lebergegend waren von irgend welchem Nutzen. Seit Ende Mai 1918 
steht die Patientin wieder in meiner Behandlung. Auffallend ist die 
lange Dauer der Erkrankung bei äusserst geringen lokalen Erschei¬ 
nungen an Blase und Mastdarm, positivem Schistosomenbefund nur 
im Urin, nicht in den Darmentleerungen. Hämoglobingehalt 90 Proz. 
bei 12 proz. Eosinophilie; dagegen schwere Gehirnsymptome, uner¬ 
trägliche Kopfschmerzen, Erbrechen, Ohnmachtsanfälle epileptiformer 
Art mit 2 tägiger völliger Bewusstlosigkeit, so dass Patientin ihren 
Beruf aufgeben muss. Aderlass brachte wiederholt grosse Er¬ 
leichterung. 

4. Zwei Fälle von F i 1 a r i a schwerer Art, einer mit Loa aus 
Kamerun, einer mit Bankrofti aus Indien. 

Ersterer von 1903—1915 in Kamerun zeigt jetzt eine Eosinophilie 
von 19 Proz. bei einem Hämoglobingehalt von 90 Proz. der Norm, 
Kamerunschwellungen, die periodisch alle 4—6 Wochen an den ver¬ 
schiedensten Körperteilen auftreten, verbunden mit grosser Mattig¬ 
keit, Gereiztheit, Schlaflosigkeit, Kopf- und Gliederschmerzen, Herz- 
und Atembeschwerden, Katerstimmung, abwechselnd mit Kraftgefühl 
und Wandertrieb, besonders bei Nacht, Kinnbackenkrampf, allge¬ 
meiner Tremor und Desorientiertheit. 

Letzterer von 1905—14 in Indien. Wurde September 1914 mili¬ 
tärisch eingezogen. Bei Tag strammer Dienst, nachts Schlaflosigkeit, 
durch handgrosse quaddelförmige oder wurmartig wandernde Ex¬ 
antheme (Demonstration), die bei Lokalisation am Skrotum ge¬ 
schlechtliche Reizungen schlimmer Art verursachen und in der Bauch¬ 
gegend bis zu 22 cm lange Streifen bilden, die in einer Stundö 4 cm 
weiter wandern. Eosinophilie von 52 Proz.! bei 90 Proz. Hb. Wieder¬ 
holt fälschlich als Drückeberger behandelt; verzweifelte Stimmung, 
so dass er sich ins Feld meldet, um die gefährlichsten Aufträge zu 
übernehmen, damit eine Kugel dem schrecklichen Zustand ein Ende 
mache. Im Felde E. K. und sonstige Auszeichnungen. 

In beiden Fällen keine Mikrofilarien nachweisbar. Phenokoll 
innerlich bei ersterem, Exzision von Exanthem mit Muskelmasse bei 
letzterem ohne Erfolg. Sublimatinjektionen scheinen bei beiden 
Besserung zu erzielen. 

Herr K. Huppenbauer: Chirurgische und ophthalmologische 
Erfahrungen von der Goldküste. (Erscheint im Archiv für Schiffs¬ 
und Tropenhygiene.) 

Der im Januar 1918 von der britischen Goldküste zurückgekehrte 
Referent gibt, nach kurzer Schilderung von Land, Leuten und Arbeit, 
einen kurzen Tätigkeitsbericht über die während der letzten 4 Jahre 
am dortigen Negerspital der Basler Mission in Aburie gemachten 
chirurgischen und ophthalmologisehen Erfahrungen auf der Goldküste. 

Die Behandlungsziffer des von einem Arzt und zwei Schwestern 
besorgten, vor 33 Jahren gegründeten Spitals beträgt für 1913: 24 000. 
Der Tagesdurchschnitt für die Friedensnronate 1914: 95,0 Patienten, 
bei einer Reiseabwesenheit des Arztes von 90 Tagen im Jahr. 

Das Material selbst ist in die Reihenfolge der Reichsmedizinal¬ 
statistik eingeteilt, berücksichtigt aber ausschliesslich chirurgische 
'Krankheiten, die hier ihrer Häufigkeit nach aufgezählt sind: 

Zu den Seltenheiten gehörten durchweg sämtliche durch 
Eitererreger hervorgerufenen Krankheiten, also Lymphangitis, Furitii 
kein, Sepsis, Erysipel, Angina. Osteomyelitis, Peritonitis (kam 
nur 5 mal zur Beobachtung und zwar bei Heus, perforiertem Typhus- 
bzw. Dysenteriegeschwür und Bauchschuss. Von Appendizitis 
wurde kein einzig sicherer Fall beobachtet. Mulatten erster Ordnung 
vereinigen in sich die Dispositionen der väterlichen und mütterlichen 
Anteile zu ihrem Nachteile, bis Zufuhr schwarzen Blutes wieder zum 
Ausgleich führt. Cholangitis, trotz Häufigkeit der Lebererkrankung, 
sehr selten. Gallensteine bildeten auch unter dem Sektionsmaterfal 
einen höchst seltenen Befund. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1418 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


Noch auffallender ist das fast gänzliche Fehlen von Blasensteinen 
bei gehäuftem Vorkommen aller Arten von Zystitis. 

Zu den Seltenheiten gehören ferner: Rachitis, Anomalien des 
Skelettes, FraktHren und Luxationen (Fehlen von Industrie und Ver¬ 
kehr in unserem Sinne), mechanische Verletzungen. Schwer waren 
stets die ausschliesslich mit dem in sämtlichen englischen Kolonien 
allein gestatteten Vorderlader entstandenen Schussverletzungen. 

Missbildungen selten, wohl infolge der noch weithin üblichen 
frühzeitigen Vernichtung ihres Trägers. 

Durch relative Häufigkeit zeichnen sich aus z. B. die Ge¬ 
schwülste, welche 0,9 Proz. aller Konsultationen ausmachen und an 
der Operationstabelle mit 15 Proz. beteiligt sind. Allerdings sind 
es hauptsächlich die gutartigen, unter diesen wieder die Dermoide, 
Lipome, Angiome, Fibrome (darunter die Keloide als Spezialität), 
Epulis, Warzen, Myome. 

Unter den bösartigen Geschwülsten hat das Sarkom (der Ex¬ 
tremitäten und des Kiefers) den Löwenanteil. Karzinom ist eine 
grosse Seltenheit. Unter 800 gynäkologisch Untersuchten kam es 
höchstens 8 mal vor als Portiokarzinom. Der Brustkrebs — unter 
Würdigung der Misshandlung dieses Organs — kam überhaupt nie 
vor. An gynäkologischen Operationen kamen hauptsächlich zur 
Ausführung: Kürettagen, Prolaps- und Dammplastiken (der Damm¬ 
riss gilt als physiologisch). Geburtsstillstandsoperationen und die 
ausserordentlich mühsamen Eingriffe bei Blasen-, Scheide- und Mast¬ 
darmfisteln. 

Phimosen der Kinder in gleicher Häufigkeit, wie therapeutische 
und rituelle Zirkumzisionen der Erwachsenen. 

Leistenbrüche betrugen 1 Proz. aller Konsultationen und 8 Proz. 
sämtlicher Operationen. Dabei war das Verhältnis der linken zur 
rechten Seite wie 2:3, das der doppelseitigen zu den einseitigen 
wie 1 :9. Interessant ist die vollständige Uebereinstimmung in der 
dafür beschuldigten Ursache bei dem vorurteilslosen und nur auf 
seine Wiederherstellung bedachten Neger mit dem in Rentenvorstel¬ 
lungen befangenen Europäer. 

Zu den die chirurgische Tätigkeit mehr oder weniger charak¬ 
terisierenden Erkrankungen gehörten: 

Das Ulcus tropicum, etwa 3 U der chirurgischen Ambulanz be¬ 
treffend; ein auf dem Boden jeder beliebigen Gelegenheitsursache 
durch Hinzutreten von Fäulniserregern entstehendes und unter¬ 
haltenes Geschwür von meist gutartigem chronischem, selten bös¬ 
artigem Charakter, bei dessen Behandlung neben Kaustik und Plastik 
besonders das Neosalvarsan, wie überhaupt in der Behandlung sämt¬ 
licher Spirochäten- und Spirillenkrankheiten, glänzende Triumphe 
feiert. Es gibt kein von der gesamten Bevölkerung derart leiden¬ 
schaftlich begehrtes Heilmittel wie das Salvarsan. 

Elephantiasis an unterer Extremität, Genitale, Mamma, fast 
durchweg parasitären Ursprungs, wie auch die Mehrzahl der kalten 
und heissen Abszesse (Guineawurm, Filariasis, Pilze). 

Leberabszess im Gefolge der Dysenterie, dessen chirurgische Be¬ 
handlung die schönsten Erfolge und die dankbarsten Patienten er¬ 
zielt. 

Hämorrhoiden und Analfisteln sind ausserordentlich verbreitet 
und gefürchtet, verdanken ihre Entstehung teilweise der Häufigkeit 
der Erkrankungen des Verdauungstraktus und der verschiedensten 
Parasiten (Schuluntersuchungen ergaben Infektion von 45—70 Proz.), 
teilweise der eigenartigen und intensiven Behandlung derselben. 

Sequesterjbildungen nach dem Periostitiden der Frambösie, chro¬ 
nische Ulzera, seltener Lepra. 

Ainkum: spontane, auf noch unsicherer Aetiologie beruhende, 
unter entzündlichen Schüben sehr chronisch verlaufende fibröse Ab¬ 
schnürung der 5., 4. und 3. Zehe. 

Gundu: die tropische Nasengeschwulst, ein Osteom des Proc. 
nasalis des Oberkieferbeins, das zu eigenartiger Entstellung des Ge¬ 
sichtes führt (s. Abbildungen), übrigens bei einigen Affen und Pferden 
auch vorkommt und durch rein bildhauerische Knochenmeisselung 
schöne Dauerresultate liefert. 

Die spezielle Beschäftigung mit Augenkrankheiten (= 4,6 Proz. 
aller Zugänge) ergab das Vorkommen sämtlicher bekannter äusseren 
und inneren Aagenkrankheiten und Augenhintergrundsbilder, aber 
wiederm mit der für die Negerrasse bezeichnenden Verschiebung der 
Bilder von der Linie der Eitererreger zu der der Parasiten. Dem¬ 
nach war Ulcus serpens sehr selten, Blennorrhoe ziemlich, Trachom 
und Nachkrankheiten, wie überhaupt alle Erkrankungen der Binde¬ 
haut, sehr häufig. Zu den Seltenheiten gehörten noch Myopie (auch 
in den Schulen und Seminarien, wo nirgends auch nur annähernd 
moderne Beleuchtungsverhältnisse herrschten), ferner perforierende 
Bulbusverletzungen, Motilitätsstörungen. Gehäuftes Vorkommen be-' 
traf ausser dem Trachom den als Saisonkrankheit der Trockenzeit 
auftretenden Köfnerkatarrh, der Bindehaut, Glaukom, Atrophia, Nervi 
optici nach starken Arzneien, Pterygium, Phthisis bulbi nach Blennor¬ 
rhoe, Trachom, Pocken. 

Es kamen sämtliche Operationen an Lidern und am Bulbus zur 
Ausführung. Zuletzt wird ein Versuch besprochen, der zur Bereiche¬ 
rung der Unabhängigkeit des Operateurs von Patient und Dol¬ 
metschern bei Bulbusoperationen (besonders Katarakten) durch In¬ 
jektion von 2—4 ccm 1 proz. Novokain aus Gyl. ciliare und später 
noch Infiltration der Augenmuskeln mit % proz. Lösung völlige 
Schmerzlosigkeit (Iridektomie!) und Parese des Augapfels zu er- 

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reichen beabsichtigte, aber obwohl prinzipiell erfolgreich, praktisch 
wegen nachfolgenden Oedems und verzögerter Wundheilung wieder 
aufgegeben wurde. 

Von sämtlichen Operationen (381 in 1914, 220 in 1917) wurden 
nur 2,5—6 Proz. in Allgemeinnarkose ausgeführt, alle anderen m 
einer der mannigfachen Methoden der Lokal- bzw. Leitungsanästhesie, 
wofür sich sicher der Neger besser eignet als der Weisse. 

Dringend wird die Beherrschung wenigstens der einfachsten 
Kenntnisse in Zahnheilkunde für Tropenärzte empfohlen. 

Herr Ritter: Giftige und essbare Pilze aus der Umgebung 
Tübingens. 

Die Urteile moderner Fachmänner über die Giftigkeit einzelner 
Arten gehen noch weit auseinander. Volle Uebereinstimmung besteht 
eigentlich nur darüber, dass der Knollenblätterschwämm in seinen 
verschieden gefärbten Abarten (Amonita phalloides weiss, A. mappa 
gelblich, A. verna sattgrün oder grünlich) als unbedingt höchst ge¬ 
fährlich, durch seinen Genuss in der Regel schmerzhaften Tod 
bringend zu betrachten ist. Was den Fliegenpilz betrifft, so schreibt 
Gramberg, er gebe hinsichtlich seiner Giftigkeit die grössten 
Rätsel auf. Die Chemiker haben 3 schwere Gifte in ihm entdeckt, 
eine ganze Anzahl von Schriftstellern berichten über tödlichen Ver¬ 
lauf durch seinen Genuss hervorgerufener Erkrankungen und doch 
werde er da und dort, z. B. im Fichtelgebirge und in der Umgegend 
von Paris, regelmässig verspeist, sogar roh zum Butterbrot. Der¬ 
selbe Gewährsmann erklärt den Satanpilz für sehr giftig, „wie die 
Pilzforscher Lanz. und Kraubholz am eigenen Leibe erfahren 
mussten“. Doch fügt er als bemerkenswert bei, J. Schröter be¬ 
haupte, dass er in Böhmen und Schlesien zuweilen ohne Schaden 
gegessen werde. Giftig, meint er, sei ferner noch der Kartoffelbovist, 
wahrscheinlich auch der Speitäubling, dagegen haben sich der zottige 
und rotbraune Reizker als essbar erwiesen; der Panther- und Perl¬ 
pilz enthalte vielleicht Gift in der Oberhaut, sei aber, wenn man 
diese abziehe, brauchbar. Vom Kartoffelbovist hat mir eine Kennerin 
versichert, dass sie ihn sehr schätze und regelmässig, allerdings in 
kleiner Menge, zur Würze von Speisen benütze. Ueber die starke 
Giftwirkung des zottigen Reizkers oder „Giftreizkers“ könnte nach 
Michaels Zeugnis kein Zweifel bestehen. Den rotbraunen Milch¬ 
ling habe ich oft roh und gekocht ohne Schaden gegessen. Seine 
Bitterkeit verdirbt freilich jedes Gericht, dem es beigemischt wird. 
Den Panther- und Perlpilz kann ich als vorzügliche Speisepilze 
empfehlen und zwar mitsamt ihrer Oberhaut. Ich ziehe sie niemals 
ab, auch nicht, wenn ich die Pilze roh geniesse. An den Satanspilz 
wage ich mich mit solchen Versuchen nicht heran. Die Zweifel 
über ihn dürften vielleicht darin wurzeln, dass man ihn leicht mit dem 
Hexenpilz verwechselt hat. Dieser, den ich für identisch mit dem 
Wolfsröhrling halte (im geschlossenen Wald sieht er etwas anders 
aus als auf der Weide), gibt ein gutes, gesundes Gericht. Da auch 
der bräunliche Königsfliegenpilz manchmal mit dem Perlpilz ver¬ 
wechselt wird und wohl auch mit dem Pantherpilz — bei jüngeren 
Stücken ist sichere Bestimmung nach Umständen schwierig —, erklärt 
sich hieraus wieder manches. Uebrigens ist auch zu betonen, dass 
die Giftstoffe der Pilze zum Teil jedenfalls sehr leicht löslich und 
durch einfaches Waschen zu beseitigen sind. Ich erinnere mich eines 
leider nicht mehr auffindbaren Berichtes über folgende Vorstellung 
bei einer Aerzteversammlung: die Milch, in die ein Knollenblätterpilz 
eingelegt war, brachte dem Hund, der sie zu saufen bekam, den Tod. 
Darauf nahm sein Herr den Schwamm, flösste ihn ab und verspeiste 
ihn ohne Schadlen. Uebrigens macht auch Herr Prof. J a c o b i 
darauf aufmerksam, dass dieselbe Pflanze, je nach dem Standort und 
vielleicht auch der Witterung, unter der sie gewachsen ist, recht 
verschiedene Eigenschaften entwickeln kann; Digitalis purpurea ist für 
den Apotheker nur brauchbar, wenn sie aus Buntsandstein oder 
Keuper stammt, in anderen Boden verbracht, verliert sie den wir¬ 
kungsvollen Stoff. Spanisches, deutsches, russisches Mutterkorn 
haben je ihre ausgeprägten Sondereigenschaften. Darum ist bei 
allen durch gute alte Zeugen verdächtigten Pilzen entschiedene Vor¬ 
sicht geboten. Dazu kommt, dass einzelne Personen die Pilze schlecht 
ertragen. Man rät oft, die Frage der Brauchbarkeit eines Täublings 
oder Milchlings durcli einfache Kostprobe zu entscheiden. Das ist 
nicht ganz unbedenklich. Es sind mir verschiedene Fälle bekannt, 
wo durch'den Genuss eines kleinen Stückchens rohen Ledertäublings, 
von denen ich beliebig viele zum Brot zu verzehren pflege, sehr 
schwere Vergiftungserscheinungen hervorgerufen worden sind, die 
Beiziehung des Arztes notwendig machten. Bekanntlich wirken 
übrigens alle Pilze giftig, wenn sie nicht mehr frisch sind. 


Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu WOrzburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 16. Mai 1918. 

Herr v. R e d w i t z: Ueber die operative Behandlung des chro¬ 
nischen Magengeschwürs. 

Es werden die Erfolge der in den letzten 10 Jahren an der 
chirurgischen Klinik in Würzburg wegen Ulcus ventriculi aus¬ 
geführten Magenoperationen auf Grund des Ergebnisses einer Nach¬ 
forschung mittels Fragebogen und persönlicher gelegentlich der 
Nachuntersuchung von Patienten gemachter Erfahrungen mitgeteilt 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




10. Dezember 1018. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1419 


und die Grund sätze besprochen, die bei der Behandlung dieser 
Patienten dnrchgeführt wurden. (96 Gastroenterostomien, 195 Re¬ 
sektionen, davon 134 „quere“). 

Rein zahlenmässig würde das Ergebnis der Nachforschung für 
die Gastroenterostomie eine Mortalität von 6,2 Proz., für die Re¬ 
sektion von 13,7 Proz. ergeben, während 58,5 Proz. der Patienten 
nach Gastroenterostomie, 63,1 Proz. nach Resektion „völlig gesund“ 
scheinen. 

Doch ist ein derartiger zahlenmässiger Vergleich der Opera¬ 
tionsergebnisse nicht zulässig wegen der ungleichmässigen Ver¬ 
teilung des Materiales und anderer ausführlich erörterter Fehler¬ 
quellen. Namentlich die Schwierigkeit, den Erfolg einer Gastro¬ 
enterostomie auf Grund schriftlicher Antworten zu beurteilen, wird 
hervorgehoben, wobei nachdrücklidh auf die Periodizität der Be¬ 
schwerden beim Ulcus des Magenkörpers und die Möglichkeit der 
klinischen Latenz des Ulcus pepticum hingewiesen wird, die eine 
Heilung Vortäuschen kann. Die bei der klinischen und röntgeno¬ 
logischen Nachuntersuchung gastroenterostomierter Patienten ge¬ 
machten persönlichen Erfahrungen haben genügend Anhaltspunkte 
für die Annahme ergeben, dass durch die Gastroenterostomie keines¬ 
wegs eine sichere Aussicht auf die Ausheilung eines Geschwürs 
gegeben ist. 

Bei den Resektionsmethoden sind die besten Erfolge mit der 
„Querresektion erzielt worden. Nach dem Ergebnis der Nach¬ 
forschung litten aber auch 9,3 Proz. der so behandelten Patienten 
wieder an stärkeren Beschwerden“, so dass ihre Arbeitsfähigkeit 
gestört war. Bei 8 Patienten wurden gelegentlich der Nachunter¬ 
suchung vor dem Röntgenschirm naoh Kontrastmahlzeit wieder 
druckschmerzhafte Nischen gefunden, die zum Teil als bei der 
Operation übersehene Ulzera, zum Teil als echte Rezidive gedeutet 
wurden. 

Die Gastroenterostomie wird daher nur bei der Narbenstenose 
des Pylorus als sicher empfohlen, bei allen anderen Geschwürs¬ 
formen am und fern vom Pylorus wird ihr zwar ein symptomatischer 
Einfluss, namentlich durch Bekämpfung der Spasmen zugebilligt, aber 
keine sichere Gewähr für die Ausheilung des Ulcus; die Gefahr der 
Blutung aus dem Ulcus auch nach Gastroenterostomie und die Ge¬ 
fahr des Ulcus pepticum jejuni wird besonders hervorgehoben. 

Die Resektion entfernt das Ulcus radikal, beseitigt die Gefahr 
der Blutung und gibt die Sicherheit, dass kein Karzinom übersehen 
wird. Die Möglichkeit der Entstehung eines Ulcus pepticum be¬ 
steht allerdings auch nach Billroth II und Krönlein, während nach 
der Querresektion, die sonst die besten funktionellen Erfolge gibt, 
Rezidive beobachtet wurden. 

Trotzdem wird die Resektion des Magens, nach Möglichkeit die 
Querresektion mit Ausnahme der Fälle von Narbenstenose für alle 
anderen Fälle als Operation der Wahl empfohlen, aber wegen der 
Schwere des Eingriffes und der nicht völligen Sicherheit des Er¬ 
folges eine exakte klinische Indikation zur Operation verlangt. Der 
Röntgenbefund allein darf nicht ausschlaggebend sein. Interne 
Therapie ist vorher zu versuchen. (Demonstration von Röntgen¬ 
bildern.) (Selbstbericht.) 

Sitzung vom 29. Mai 1918. 

Herr Rletsc'hel: Die Krlegsenuresls und ihre Beztehmgen 
zum Salz- und Kohlefayfdratstoffweahsel (nebst Bemerkungen über die 
Oedemkrankheit. 

Das gehäufte Auftreten der Enuresis beim Militär und der 
Zivilbevölkerung ist eine offensichtliche Tatsache. Störungen der 
Harnentleerungen sind während des Winters 16/17 ausserordentlich 
häufig, auch bei vielen völlig gesunden Menschen beobachtet wor¬ 
den. Bei vielen bestehen aber diese Störungen nicht in einer Enu¬ 
resis, sondern besonders in einer N y k.t u r i e. Wasserbindend wir¬ 
ken neben dem Kochsalz ganz besonders die Kohlehydrate, eine 
Tatsache, die in der Säuglingsernährung besonders gekannt und ge¬ 
übt wird. Die Annahme Rothschilds, dass der hohe Kochsalz- 
und Wassergehalt die Enuresis und die Pollakisurie dadurch be¬ 
dingen, dass ein Reizzustand des Harnsystems anzunehmen sei, ist 
nicht wahrscheinlich. Nicht reichlich Kochsalz und Flüssigkeit ist 
es, was zur Enuresis führt, sondern reichlich Flüssigkeit plus Salze 
(besonders Kochsalz) plus Kohlehydrat. Die engen Beziehungen 
des Kochsalzes und der Kohlehydrate sind es, die den Symptomen- 
komplex der Enuresis manifest werden lassen. Dieses ausserordent¬ 
lich vermehrte Auftreten der Enuresis, man kann direkt von einer 
Massenerkrankung sprechen, ist wohl aber nicht nur auf psychische 
Depressionen, Kältereize, Myelodysplasien zurückzuführen, sondern 
muss einen Grund haben, der jetzt im Kriege bei allen diesen Men¬ 
schen gemeinsam wirkt. Dieses Moment kann nur in der veränder¬ 
ten 'Ernährung gefunden werden. Nervöse und somatische Traumen, 
Erkältungen etc. wirken allerdings oft als auslösende Ursachen, 
doch wird, durch die Diät dann die Erkrankung weiter „ungünstig 
beeinflusst“. Während das gesunde Kind beim V o 1 h a r d sehen 
Wasserversuche das getrunkene Wasser nach kurzer Zeit wieder 
ausscheidet, wird dieselbe Menge Wasser bei Zugabe von Kohle¬ 
hydrat und Kochsalz besonders in der Form der Kartoffelsuppe, 
länger retiniert und erst verspätet, meist in der Nacht (N y k t u r i e) 
ausgeschieden. „Es ist die verzögerte Wasserausfuhr, 
die durch die salz- und kohlehydratreiche Kost* 

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die Sekretionsarbeit der Niere verschiebt und so 
verspätet, dass es oft nachts zu einer reich¬ 
licheren Urinsekretion komm t.“ Kommt es nun 
bei eindT „Enuresisbereitschaft“ zu dieser ver¬ 
mehrten nächtlichen Wasserausscheidung, so 
wird um so leichter eine spontane Urinentleerung 
eintreten, je stärker diese Bereitschaft ist. Diese 
salz-, wasser- und kohlehydratreiche Kost wirkt 
ausserordentlich begünstigend und vermehrend 
auf eine Enuresisbereitschaft ein. Und die Häu¬ 
fung der Enuresis bei Soldaten und Zivilbevölke¬ 
rung findet damit wohl ihre Erklärung. Bei der 
Oedemkrankheit handelt es sich um eine pathologische Retention von 
Wasser. Und die Oedemkrankheit ist wohl zu vergleichen mit dem 
Krankheitsbilde, das in der Säugiingspathologie als hydrämische 
Form des Mehlnährschadens bezeichnet wird. Da Verf. noch wei¬ 
tere Mitteilungen ankündigt, sei hierauf nicht näher eingegangen. 


Akademie der Wissenschaften in Paris. 

Die Narkotlsierung mit Chloralose bei traumatischem Schock und 
Blutverlust 

In der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 
17. Juni 1918 wurde über die Narkotisierung mit Chloralose be¬ 
richtet (L’anesthSsie gönörale par le chloralose, dans les cas de choc 
traumatique et d’hemorragie. Note de M. Charles R i c h e t. C. R. 
tome 166 Nr. 25.) 

1. Zum Anästhesieren vor einer Operation kann man in Arm 
oder Bein intravenös eine isotonische Lösung von Chloralose (6 g 
auf 1 Liter Kochsalzlösung) in den Blutkreislauf, ungefähr 350 ccm 
Flüssigkeit oder 2,1 g Chloralose ohne jede üblen Folgen injizieren. 
Das Maximum von 3 g ist im allgemeinen schon zu viel. Es ist 
übrigens zu bemerken, dass die Menge im richtigen Verhältnis zum 
Körpergewicht des Patienten stehen muss. Die entsprechende 
Dosis beträgt pro 1 kg Lebendgewicht 0,03 g, vielleicht auch etwas 
mehr. Man injiziert in der üblichen Weise. Eine sterilisierte Am¬ 
pulle mit 350 ccm wird 1 m hoch über dem Arm gehalten. Durch 
eine aseptische Kautschukspritze mit einer feinen Metallnadel fliesst 
die Flüssigkeit langsam in die Vene. Die Dauer der Injektion be¬ 
trägt ungefähr 6—10 Minuten. Das Verfahren ist schmerzlos und 
ohne üble Begleiterscheinungen. Der Pat. wird bewusstlos und am 
Ende der Injektion ist die Empfindungslosigkeit vollständig. Empfin¬ 
dungslosigkeit, aber nicht Unbeweglichkeit. In der Tat beobachtet 
man stets automatische Bewegungen in Arm oder Rumpf als Kenn¬ 
zeichen der Chloralosewirkung, die nach Beendigung der Injektion 
ungefähr noch eine halbe Stunde dauern. Es empfiehlt sich übrigens, 
noch etwa eine Stunde bis zur Operation zu warten. Nach dem 
Erwachen hat der Patient nicht die geringste Erinnerung, so lange 
auch die Operation gedauert hat. 

2. Wenn es sich um das Rückenmark handelt, so bleibt die 
Erregbarkeit desselben erhalten. Um es unempfindlich zu machen, 
muss man alle Reflexbewegungen berücksichtigen, die ja von der 
Chloralose nicht beeinflusst werden, denn nur das Schmerzgefühl, 
das Bewusstsein und das Gedächtnis werden betroffen. Jede stö¬ 
rende automatische Bewegung während der Operation wird ausge¬ 
schaltet. Man erreicht dies in verstärktem Masse, wenn man 
auf 1 Liter Chloraloselösung 6 g Chloralhydrat und 24 g Natrium¬ 
bromid gibt*. Nach V *—% Stunde wird das einfache Chloral rascher 
abgeschieden als die Chloralose, so dass Bewegungen wieder auf- 
treten. Das Erwachen geht sehr langsam vor sich. Es dauert oft 
5, 6, 7, auch 8 Stunden, ehe der Operierte das Bewusstsein und 
Empfindungsvermögen wiedererlangt. Der Schlaf ist tief, mit sonorem 
Schnarchen verbunden und so stark, dass nichts ihn unterbrechen 
kann. Nach dehi Wiedererwachen fühlt sich der Patient durchaus 
wohl im Gegensatz zur Chloroformnarkose, und der Appetit ist er¬ 
halten geblieben; mitunter tritt starkes Schwitzen ein. Die Harnab¬ 
sonderung ist normal; vermehrte Stickstoffausscheidung mit dem 
Urin, wie nach Chloroformnarkose, kommt nicht vor. 

3. Mit allen Narkotisieiungsmitteln teilt die Chloralose Vor¬ 
züge und Nachteile. Zu letzteren gehört ihr schwankendes Ver¬ 
halten je nach der Individualität des Patienten. Sie lässt sich nicht 
einnehmen. Man könnte sagen, dass sie latente, nervöse Affektionen 
aufdeckt. Manchmal verursacht sie grosse Erregung, dann wieder 
absolute Ruhe. Aeltere Personen vertragen sie viel weniger gut als 
junge. 

Der zweite Nachteil besteht in einer in 10—15 Proz. der Fälle 
vorgekommenen erhöhten Schleimabsonderung des Epithels der 
Bronchien und des Nasenrachenraums. Dadurch werden die 
Atmungswege verstopft, mitunter kommen auch schwere Glottis¬ 
spasmen vor und die Zunge verschliesst den Eingang zum Kehlkopf. 
Das Atmen wird röchelnd und krampfhaft. Das Gesicht verfärbt sich 
blau und dringende Abhilfe wird nötig. Man muss die Zunge nach 
vorn ziehen, wie auch sonst in der Narkose. 

Obgleich Chloral und Natriumbromid die Intensität der Be¬ 
wegungen stark herabsetzen, so bleibt doch stets mehr Erregung 
zurück als bei vollkommener Narkose mit Chloroform und Aether. 
Bei einer Dosis von 0,03 g und selbst 0,035 g pro 1 kg wurden die 

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1420 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


choreiformen Bewegungen bei vielen Personen während der Opera¬ 
tion nicht vollständig ausgeschaltet, wenn sie länger als V-> Stunde 
dauerte. 

Trotz dieser drei sehr schwerwiegenden Nachteile besitzt die 
Chloralose eine bemerkenswerte Eigenschaft, welche sie den an¬ 
deren Anästhetika gleichwertig erscheinen lässt. Sie hat nämlich 
nicht nur keine (iiftwirkung für das Herz, sondern setzt auch den 
Blutdruck nicht herab, während die anderen Narkotika ungemein die 
Herzsystole schwächen und den Gefässtonus herabsetzen. 

Bei der Chloralose bleibt der Puls voll und jede Asphyxie fehlt. 
Ihr einziger, für sie charakteristischer Nachteil ist die Behinderung 
der Atmung durch Verschleimung. (Es ist auffallend, dass sich diese 
Erscheinung beim Hunde nicht einstellt. Denn der Tod bei letaler 
Dosis wird allein durch eine Lähmung der Atmungszentren herbei¬ 
geführt.) 

Verf. meint, wenn die Betäubung durch Aether oder Aethyl- 
chlorid möglich wäre, die Narkotisierung damit jener mit Chloralose 
vorzuziehen sei. 

4. Es gibt Fälle, in denen die Betäubung durch die gewöhn¬ 
lichen Anästhetika gefährlich, wenn nicht unmöglich ist. Bei Ver¬ 
wundeten, welche unter der Wirkung eines Schocks stehen oder 
viel Blut verloren haben, ist das Herz dermassen geschwächt und 
der arterielle Qefässdruck so schwach, dass jede Vergiftung des 
Nervensystems tödlich wirken kann. Oft zögert der Chirurg in 
solchen Fällen, einzugreifen, denn der Patient verträgt weder die 
Narkotisierung noch den Schock der Operation, welcher zum Wund¬ 
schock hinzukommt. In diesen fast verzweifelten Fällen ist die In¬ 
jektion der Chloralose überraschend erfolgreich. Sie ist dann selbst 
in ganz kleiner Dosis wirksam und es gibt keine oder fast keine 
automatischen Bewegungen mehr. Der arterielle Qefässdruck sinkt 
nicht, steigt vielmehr, so dass die Operation ungestört vorgenommen 
werden kann. 

Man kann also unter Chloralose operieren. Einige Patienten 
haben die Operation überstanden, die anderen nicht; aber selbst bei 
diesen hat die Injektion der Chloralose den Eintritt des Todes hinaus¬ 
geschoben. In allen Fällen schwerer Verwundung mit allgemeinem 
Kräftezerfall oder nervöser Erschütterung ist die Chloralose die beste 
Art der Narkotisierung. Man muss bei schweren Verwundungen 
mit der Chloralose vorsichtig sein; man injiziere langsam 1,50 g oder 
noch weniger und höre auf, sobald die Unempfindlichkeit einge¬ 
treten ist. Dr. L. K a t h a r i n e r. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Aus der Münchner Medizinerschaft. 

( (Eigener Bericht.) 

Am 23. XI. 18 fand im grossen Hörsaal der Universitäts-Frauen¬ 
klinik eine von 12 Professoren und vielen Hundert Studenten besuchte 
Medizinerversammlung statt.. Nach den Referaten der Beiräte der 
Medizinerschaft (Geh. Rat Frank, Universitätsprofessor Dr. Mol¬ 
lier, Dekan der med. Fakultät und Sanitätsrat Dr. S c h o 11) über die 
akuten Studienfragen entspann sich eine lebhafte Diskussion über 
Wünsche von Kriegsteilnehmern unter den Studierenden. Eine Ent- 
schliessung, die einstimmig Annahme iand, stellte fest, dass unbedingt 
für die durch die Teilnahme am Krieg geschädigten Studierenden etwas 
geschehen müsse durch Einschaltung eines zwischensemestrigen 
Kurses, Erleichterung und Beschleunigung der Demobilmachung u. a. m. 
Bemerkenswert war, dass den lautesten Beifall der ganzen Versamm¬ 
lung die ausdrückliche Erklärung und das Gelöbnis unserer wackeren 
heimkehrenden Studenten fand, „eins mit den akademischen Lehrern zu 
sein in dem Gedanken, dass nach dem unglücklichen Ausgang des 
Krieges nur unentwegte deutsche Arbeit und deutsche 
Einigkeit über die Not unseres heissgeliebten, gegen eine Welt 
von Feinden so lange siegreich verteidigten Vaterlandes hinweghelfen 
und Deutschland wieder den Platz erringen kann, den es verdient“. 
Auf einen ähnlichen, dabei auf tüchtige Arbeit für den Einzelnen und 
die Gesamtheit hinzielenden Standpunkt stellt sich auch das Wahl¬ 
programm, das die Münchener Mediziner ihren Kandidaten zur 
Wahl zum Allg. Stud.-Ausschuss an der Universität München mitgaben. 

Die rege Arbeitstätigkeit und die Erweiterung der Kompetenzen 
erforderte eine weitgehende Abänderung der bisherigen Vereinigung 
der Münchener Medizinerschaft, die am 30. XI. in zwei getrennten 
Versammlungen der Kriegsteilnehmer und der Medizinerinnen ein¬ 
stimmig angenommen wurde. Es wurden verschiedene neue Referate 
geschaffen, von denen die Aerzteschaft besonders folgende inter¬ 
essieren dürften: Abteilung der Kriegsteilnehmer und Kriegsbe¬ 
schädigten (cand. med. Huber), Abteilung für Wirtschaftsfragen 
(Wohnungswesen, Ernährungsfragc, Stipendienangelegenheiten), Ab¬ 
teilung für Studienangelegenheiten (Aufklärungtätigkeit gegen den 
Medizinerüberschuss uam.). 

Im Vorstand und in den Abteilungen wird der interkorporative 
Charakter durch gleichmässige Verteilung der Aemter auf Kliniker und 
Vorkliniker, männliche und weibliche Studierende. Korporierte und 
Nichtinkorporierte, in bester W'eise gewahrt. 


Kleine Mitteilungen. 

.Aerztliche Fragen zur Krankenversorgung in München. 

Es bestehen Unstimmigkeiten über die Versorgung der Kranken mit 
Lebensmitteln; ganz natürlich, denn die beim Lebensmittelamt zur Ver¬ 
fügung stehenden Nahrungsmittel werden immer knapper und die An¬ 
sprüche der Kranken steigern sich. Eine grosse Zahl von Aerzten 
hält sich verpflichtet, ihren Kranken die vor dem Kriege für be¬ 
stimmte Krankheiten vorgeschriebene Diät auch unter den jetzigen 
erschwerten Umständen möglich zu machen. Es sind dies die ge¬ 
wissenhaften, für Wohl und Wehe ihrer Patienten redlich besorgten 
Aerzte. Mancher von ihnen fühlt sich gekränkt, wenn auf sein 
Zeugnis hin Lebensmittelzulagen nicht gewährt wurden. Leider gibt 
es aber auch Aerzte, denen nicht der objektive Krankheitsbefund 
den Massstab für ihr Handeln gibt, und die sich lächelnd über alle 
Vorschriften hinwegsetzen. So verschwindend wenige es sind, so 
schädigen sie doch das Ansehen des ärztlichen Standes ungemein. 
Das ärztliche Zeugnis hat sehr viel von seinem Ansehen verloren. 
In der Presse* und in öffentlichen Magistratsratssitzungen erfolgten 
schwere Angriffe auf den Wert des ärztlichen Zeugnisses. Die ver¬ 
antwortlichen städtischen Stellen hielten es daher für ihre Pflicht, 
etwaigen Missständen nachzugehen, da sie Verantwortung über die 
für Kranke verwendeten Nahrungsmittel abzulegen hatten. Zwar 
war der ärztliche Dienst beim Lebensmittelamt schon zu Beginn der 
Rationierung geregelt worden, die wachsenden Schwierigkeiten er¬ 
forderten aber die schärfste Durchführung, wenn der Grundsatz, 
allen Kranken etwas zu geben, wirklich durchgeführt werden 
sollte. Aus einem kleinen Anfang erwuchs der ärztlichen Stelle des 
Lebensmittelamtes grösste Arbeit, die man ermessen wird, wenn 
man weiss, dass unter Umständen bis zu 900 ärztliche Zeugnisse 
im Tag einliefen und dass ca. 20 verschiedene Zuweisungen möglich 
sind, dass über alles genaueste Kontrolle sowie eine Statistik der 
Zuweisungen und Abweisungen geführt werden muss und wenn 
man dazu bedenkt, dass ausser dieser laufenden Arbeit persönliche 
und schriftliche Reklamationen, allgemeine Fragen der Verteilung 
und Beschaffung der Waren, sowie ihre Eignung für Krankennähr- 
zwecke, Sitzungen in den verschiedensten Kommissionen und Be¬ 
ratungen mit allen möglichen Stellen die Arbeit bilden. Die Ab¬ 
teilung der Krankenversorgung ist schliesslich nicht viel kleiner, 
wie eine der übrigen grossen Stellen des Lebensmittelamtes, welche 
die Bevölkerung der Stadt mit Nahrungsmitteln zu versorgen haben. 
Um nur ein Beispiel zu nennen, sei auf die Milch hingewiesen. Es 
wird eine Menge von 2 Proz. der Einwohnerzahl in Litern Milch aus 
der Gesamtzufuhr für Kranke nach ministeriellen Vorschriften zu¬ 
rückgestellt. Zur Zeit der Grünfütterung, also in der 'milchreichsten 
Zeit, kommen etwa 150 000 Liter herein; die 12 000 Liter Kranken¬ 
milch, die Kindermilch usw. abgezogen, wieviel bleibt für den Kopf 
der mehr als 600 000 Ortsanwesenden übrig? Begreiflich, dass das 
Begehren nach Krankenmilch lebhaft ist! Die zur Verfügung 
stehende Milch ist durch die Zeugniszahl von nicht 14 Tagen ver¬ 
griffen! Aehnlich ist es mit dem Krankenbrot. Es wird aus zu 
60 Proz. ausgemahlenem Weizenmehl hergestellt, von welchen 
30 Ztr. pro Tag zur Verfügung stehen. Nicht bloss, dass die geringe 
Menge rasch abgebraucht ist, es muss das Nachmehl unter das 
übrige Brotmehl der Gesunden gemischt werden, deren Brot da¬ 
durch schwärzer und schlechter wird. Damit verbietet sich von 
selbst eine Steigerung des Krankenbrotverbrauches. Ganz Aehn- 
liches gilt für sämtliche andere Nahrungsmittel und niemand an 
verantwortlicher Stelle ist/sich im unklaren darüber, dass die Zu¬ 
weisungen, welche für Kranke möglich sind, von rein ärztlichen Ge¬ 
sichtspunkten aus als unzureichend angesehen werden müssen. Mit 
der Not des Tages muss man sich aber abfinden, es bleibt nichts 
anderes übrig. 

Wer einmal eine Lebensmittelzulage bekommen hat, will sie 
nicht mehr missen. Die Zahl der Dauerzuweisungen steigt so an¬ 
dauernd, und mit den laufenden zusammen erhält schliesslich eine 
sehr grosse Anzahl von Menschen Krankenzulagen. Es muss da 
gesiebt werden. Stürmisches Verlangen der Patienten, heftige Be¬ 
schwerden der Aerzte, welche sich durch die Abweisung ihrer be¬ 
dürftigen Patienten beleidigt oder parteiisch behandelt fühlen, sind 
die Folgen. Nach langen Beratungen, auch im ärztlichen Kriegs¬ 
ausschuss, entschloss sich der Magistrat, Nachuntersuchungen in 
einer Reihe von Fällen vornehmen zu lassen. Dem Lebensmittelam: 
stand ja als objektive Grundlage oft nur ein recht flüchtig aus¬ 
gestelltes und ln unbestimmten Ausdrücken sich haltendes Zeugnis 
zu Gebote. Um ein unparteiisches und zuverlässiges Urteil über 
ärztliche Zeugnisse zu erhalten, wurde eine Nachuntersuchungs¬ 
kommission eingesetzt, .die aus dem Direktor eines der städtischen 
Krankenhäuser oder seinem Vertreter, aus einem Vertrauensarzt des 
ärztlichen Beirates am Lebensmittelamte und aus einem praktischen 
Arzt, Mitglied der Kontrollkommission der Ortskrankenkasse, be¬ 
stand. Geeignete Untersuchungsräume mit .den bereitstehendeu 
. Hilfsmitteln konnten einzig und allein in den städtischen Kranken¬ 
häusern zur Verfügung gestellt werden. 

Schon die ersten Untersuchungen Hessen Missbräuche und Un¬ 
regelmässigkeiten der Zeugnisse erkennen. Gleichwohl waren die 
Nachuntersuchungen starken Angriffen von seiten einzelner Aerzte 
nusgesetzt, obwohl die Nachuntersuchungskommission nach keiner 


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10. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1421 


Richtung eine willkürliche Einrichtung der verantwortlichen Stellen 
war und namentlich auch nach der ärztlichen Seite mit dem voll¬ 
kommenen Einverständnis des ärztlichen Kriegsausschusses, als der 
korporativen Vertretung der gesamten Münchener Aerzteschäft, zu¬ 
stande gekommen war. 

Besonders scharf wandte sich ein Brief aus Bayern in Nr. 30 
der D.m.W. gegen diese Untersuchungen. Hierdurch veranlasst, 
wurde eine gemeinschaftliche Versammlung der ärztlichen Bezirks¬ 
vereine München-Stadt und -Land einberufen, zu welcher auch der 
ärztliche Beirat des Lebensmittelamtes Einladung erhielt. Es wur¬ 
den folgende Fragen zur Beantwortung aufgestellt: 

1. Ist es angängig, dass Privatpatienten ohne Benachrichtigung 
des behandelnden Arztes in ein Krankenhaus zur Nachunter¬ 
suchung vorgeladen werden? 

2. Wenn ja, wodurch ist diese Massnahme gerechtfertigt? 

- a) Oesetz, 

b) Uebereinkommen mit den Standesvereinen. 

3. Wie ist die Nachuntersuchung im Interesse von Aerzten und 
Patienten am besten zu regeln? 

Es wird auf den Widerwillen mancher Patienten gegen eine 
Untersuchung im Krankenhaus hingewiesen, nicht allen Unter¬ 
suchenden die notwendige Kenntnis und Fertigkeit zugesprochen, 
Amtsärzte sollten die Nachuntersuchungen vornehmen, reichten diese 
nicht aus, so müsse die Stadt die Stellen vermehren, jedenfalls 
müsse die ärztliche Organisation Einfluss auf die Wahl der Kom¬ 
missionen gewinnen. Die wissenschaftliche Qualifikation der Kon- 
trollärzte müsse begründet sein. 

Hierauf erwiderte der ärztliche Beirat des Lebensmittelamtes: 
Die Zuweisung von Lebensmitteln ist geregelt durch Ministerial- 
verordnungen und Erlasse des Stadtmagistrats, welchem die Befug¬ 
nisse eines Bezirksamtes zustehen. Die Erlasse beruhen auf Ver¬ 
fügungen des Kriegsernährungsamtes. Als für Kranke besondere 
Verordnungen zu bestimmen waren, brauchte man eine beratende 
technische Kommission* welche dem Magistrat in diesen Fragen zur 
Seite steht. Es kann also kein persönliches Regiment herrschen. 
Die 9 Aerzte des ärztlichen Beirates am Lebensmittelamt sind wohl¬ 
bekannt. Eine Nachuntersuchung wurde bereits auch in anderen 
Städten angeordnet. Bei uns ward ihre Einführung dringend durch 
die Angriffe, welche im Magistrat und in der Presse auf die ärzt¬ 
lichen «Zeugnisse erfolgten. Kontrolle wurde selbst von der Aerzte- 
schaft verlangt. In vielen Sitzungen des ärztlichen Kriegsaus¬ 
schusses wurden die Schwierigkeiten der Bildung einer Nachunter- 
suchungskommission nach allen Seiten hin gewürdigt. Ein ständiges 
autoritatives Element in der Kontrollkommission bilden die Kranken¬ 
hausoberärzte, welche daran beteiligt sind. Die Auswahl der nach¬ 
zuuntersuchenden Patienten geschieht nach verschiedenen Gesichts¬ 
punkten, bei Unklarheit des Befundes, bei wesentlichen Verstössen 
gegen die erlassenen Vorschriften, endlich stichprobenweise aus ver¬ 
schiedensten sozialen Schichten der Bevölkerung. Die Kommission 
urteilt objektiv ob der Kranke die Zulagen bedarf oder nicht. Sie 
ist nicht eine Kontrolle der Aerzte, sie tritt im Gegenteil verällge-« 
meinerten Angriffen auf mangelhaften Wahrheitsgehalt der ärzt¬ 
lichen Zeugnisse entgegen. Eine gerechte Verteilung kommt nur 
zustande, wenn Aerzte und Lebensmittelamt Zusammenarbeiten. Der 
Vorschlag, den Praktikern von Zeit zu Zeit in Merkblättern und 
sonstigen Mitteilungen wichtige Richtpunkte zu geben, sowie die 
.Zeugnisaussteller zur Teilnahme an der Nachuntersuchung cinzu- 
laden, findet Billigng. — 

Die Teilnehmer der Versammlung nahmen den Eindruck mit 
nach Hause, dass die Herren des ärztlichen Beirats am Lebensmittel- 
amt Vertrauen und Dank für ihre Tätigkeit verdienen. 

'Freudenberger. 

Therapeutische Notizen. 

Zur Anwendung der Sehrtschen Klemme. 

Schon seit langem arbeiten wir auf der chirurgischen Abteilung 
des Herrn Geh.-Rat Prof. Dr. M. B o r c h a r d t in Berlin mit den 
Originalen der Sehrtschen Klemme als Ersatz .des Blutleere- 
Gummischlauches. Im Anfänge machten wir die Erfahrung, dass sich 
die beiden Branchen beim Zusammenschrauben nach der Fläche zu 
warfen. Durch diese Eigenschaft wurde die zuerst oft ausreichende 
Blutleere stets während der Operation wieder von neuem in erheb¬ 
lichstem Grade beeinträchtigt. Um dem abzuhelfen, schob ich über 
die Kreuzungsstelle der beiden Branchen einen gewöhnlichen naht¬ 
losen, genügend festen Gardinenring, der mitsterilisiert wird und 
so weit sein muss, dass die beiden Branchen während des Zu¬ 
ziehens bequem in demselben gleiten. Seit Anwendung dieses kleinen, 
höchst einfachen Kunstgriffes gab der Gebrauch der Sehrt sehen 
Klemme zur Erzielung tadelloser Blutleere keinen Anlass mehr zu 
irgendwelcher Beanstandung. Dr. Ernst Aronheim. 

Ueber seine Erfahrungen in der medikamentösen The¬ 
rapie bei Psychosen berichtet. R. H a h n - Frankfurt a. M. 

Bei einem tobsüchtigen Kranken hält H. eine Spritze Hyoszin 
fiir das einzig Zweckmässige. In diesen Fällen überschreitet H. die 
Maximaldosis bei weitem. Er gibt nie weniger als 2 Vs mg Hyoszin, 
in schweren Fällen und bei kräftigen Patienten bis zu 5 mg (das 

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Zehnfache der Maximaldosis!). Bei leichter psychomotorischer Un¬ 
ruhe und bei Schlaflosigkeit kommen die bekannten Schlafmittel in 
Betracht. Unter diesen zeichnet sich das Paraldehyd aus, das in 
einer Dosis voif 6,0—10,0 g zu geben ist. Von neueren Mitteln emp¬ 
fiehlt H. das Dial-Ciba (Diallylbarbitursäure), das ohne unangenehme 
Nebenwirkungen genommen werden kann und das Nirvanol. Bei 
der Epilepsiebehandlung verwendet H. besonders gerne das Sedobrol, 
weil es die Kochsalzherabsetzung erleichtert. Bei Depressionszu¬ 
ständen ist das Opium das Mittel der Wahl. Sehr zu empfehlen 
ist ein neues Opiumpräparat: Pil. neurophilli. comp., das dem Pa¬ 
tienten weder durch den Geschmack noch durch den Namen das 
Opium verrät. 

Ther. Mh. 1918. 10. H. T h i e r r y. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 7. Dezember 1918. 

— Vom Bayer. Medizinalbeamtenverein wird uns geschrieben: 
„Die Neuerrichtung eines Ministeriums für soziale Fürsorge lässt in 
Bälde bevölkerungspolitische Massnahmen zur Mehrung und Erhaltung 
der Volkskraft, insbesondere aber den Ausbau des weiten Gebietes der 
sozialen Fürsorge erwarten. 

Die bayerische Aerzteschaft und die beamteten Aerzte begrüssen 
dies auf das freudigste, haben sie doch auf dem Gebiete der sozialen 
Fürsorge seit Jahren tatkräftigst mitgearbeitet. Aerzte und Amtsärzte 
legen deshalb grössten Wert darauf, dass ihre Erfahrungen und Wün¬ 
sche neben den beiden bewährten Landesverhänden für Säuglings- und 
Kleinkinderfürsorge und zur Bekämpfung der Tuberkulose vor 
Schaffung der zu erwartenden Neueinrichtungen gehört werden. Ge¬ 
rade auf dem Gebiete des Säuglings- und Kleinkinderschutzes, wie 
auch bei allen den Schutz gegen die Volksseuche Tuberkulose be¬ 
treffenden Fragen erscheint es uns unumgänglich notwendig, in erster 
Linie den Rat der Amtsärzte zu erholen, welche, eng mit der Bevöl¬ 
kerung verbunden, deren Wünsche und Sorgen kennen und sich seit 
vielen Jahren erfolgreich auf diesen Gebieten betätigen. Die Inangriff¬ 
nahme einer grosszügigen Bevölkerungspolitik, der Ausbau der be¬ 
stehenden Fürsorgestellen. die Aufstellung von Bezirksfürsorgerinnen 
wird sich unter Mitwirkung der Amtsärzte ohne Schwierigkeiten voll¬ 
ziehen. Im bayerischen Medizinalbeamtenverein sind wiederholt 
brauchbare Vorschläge gemacht worden zum Ausbau der sozialen Für¬ 
sorgevorschläge, die scheiterten an der Unzulänglichkeit der zur Ver¬ 
fügung stehenden Mittel. 

Wiie man hört, soll auch das gesamte bayer. Medizinalwesen auf 
eine neue Grundlage gestellt werden. Zu diesem Zwecke dürfte wohl 
eine Vermehrung der ärztlichen Ministerialreferenten geboten und be¬ 
absichtigt Sein. Aus Kreisen der Medizinalbeamten wird die Befürch¬ 
tung laut, dass die erprobten und erfahrenen Kräfte hierbei auf die 
Seite gesetzt und durch neue, mit den Bedürfnissen des Landes 
weniger vertraute Männer ersetzt werden könnten. 

Der bayer. Medizinalbcamtenverein hält sich für verpflichtet, hier 
warnend seine Stimme zu erheben und darauf hinzu weisen, dass hierzu 
in erster Linie beruflich genügend vorgebildete Amtsärzte, welche die 
Vorzüge, aber auch die nicht zu leugnenden Schwächen des bayer. 
Medizinalwesens aus ihrer Amtstätigkeit kennen, befähigt sind. Es 
ist nicht mehr wie billig, dass dem Medizinalbeamtenverein, dem sämt¬ 
liche Amtsärzte angeschlossen sind, Gelegenheit gegeben wird, zu etwa 
beabsichtigten Reformen Stellung zu nehmen. 

— Der Einfluss des Krieges auf die Sterblichkeit 
in Bayern hat sich in einer sehr beträchtlichen Erhöhung der Mor¬ 
talitätsziffern gezeigt. Während in Friedenszeiten ein stetiger Rück¬ 
gang der Sterbefälle vorhanden war und deren Zahl in den letzten 
Jahren vor Kriegsbeginn weit hinter 140000 zurückblieb (1913: 
126136), ging die Sterbeziffer in Bayern während der Kriegsjahre 
weit über 140 000 hinaus und zwar sind zu verzeichnen an Gestor¬ 
benen einschl. Totgeborenen im Jahre 1914: 157 235: 1915: 156 835: 
1916: 155 882; 1917: 144 992. Die Säuglingssterblichkeit ging während 
des Krieges zurück, hauptsächlich deshalb, weil die Zahl der Geburten 
fast um die Hälfte nachliess; weny trotzdem eine grosse Zunahme der 
Sterbefälie erfolgte, so wurde dies durch die starke Vermehrung der 
Sterblichkeit in allen anderen Altersklassen bewirkt. Der Einfluss des 
Krieges war bis Ende 1917 derart, als ob 2 Jahre lang die doppelte 
Anzahl von Menschen (unter Ausschluss der Kinder unter 5 Jahren) 
im Vergleich zu 1913 gestorben wäre. Dass auch beim weiblichen 
Geschlecht eine namhafte Erhöhung der Sterbefälle eintrat (1913: 
38 191; 1917: 45 836), deutet allgemein auf Erhöhung der Sterblichkeit 
unter der Zivilbevölkerung hin, unter der sie tatsächlich in 
allen Altersklassen erheblich gesteigert wurde. Am stärksten war die 
Steigerung der städtischen, insbesondere der grossstädtischen Sterb¬ 
lichkeit im Vergleich zum platten Land. Die Mehrsterblichkeit der 
weiblichen Bevölkerung (mit Ausschluss der Kinder unter 5 Jahren) 
nahm für die Jahre 1914—1917 gegenüber dem Stand von 1913 zu in 
den Grossstädten um 56,4 Proz., in den sonstigen Städten um 51,6 Proz.. 
in den übrigen Gemeinden um 30,9 Proz. Wenn schon diese Zahlen 
besagen: Je ungünstiger die Ernährungsverhältnisse. um so grösser 
die Sterblichkeit, so findet dieser Satz auch in der amtlichen Todes¬ 
ursachenstatistik seine Bestätigung. Die Folgen der unzureichenden 
und unbekömmlichen Ernährung zeigen sich nicht nur in der Zunahme 
der Magen- und Darmkrankheiten, sondern auch in der ungewöhnlichen 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 50. 


Zunahme der Lungentuberkulose, der Herzkrankheiten, der ausser¬ 
ordentlichen Steigerung der tödlich verlaufenen Lungenentzündungen, 
der Mehrung der Sterbefälle an Altersschwäche, die alle letzten Endes 
auf Ernährungsschwierigkeiten und Unterernährung zurückzuführen 
sind. Dauern die Ernährungsschwierigkeiten noch weiter an. so wird 
sich ihr gefährlicher Einfluss auf Leben und Gesundheit aber noch viel 
intensiver äussern als bisher, da ihr eine immer geringere Widerstands¬ 
kraft der Bevölkerung entgegensteht. Kranksein und Sterben wird 
noch häufiger sein als bisher! (Dr. Zahm Präs. d. baver. Statist. 
Landesamtes, Bayer. Staatsztg. 1918 Nr. 278.) 

— Die Erweiterung der Krankenversicherungspflicht 
der Betriebsbeamten usw. in gehobener Stellung, der Handlungsgehilfen 
und Gehilfen in Apotheken,, der Bühnen- und Orchestermitglieder, der 
Lehrer und Erzieher, dann der Schiffer auf deutschen Seefahrzeugen im 
allgemeinen, all dieser, wenn sie gegen Entgelt beschäftigt werden 
und ihr regelmässiger Jahresarbeitsverdienst 5000 M. nicht erreicht ist 
am 2. Dzember in Kraft getreten. Das Recht der freiwilligen Weiter¬ 
versicherung, das bisher bei Erreichung eines Einkommens von 4000 M. 
erloschen ist, ist in Zukunft nicht begrenzt. 

— In Hamburg wurde ein Aerzterat gebildet, der den 
ärztlichen Stand beim Soldaten- und Arbeiterrat zu vertreten hat und 
als oberste Medizinalbehörde in Hamburg gilt. Dieser Aerzterat, dem 
die Herren Generalarzt Mayer, Dr. E. Fr. Müller und Dr. A n - 
t o n i angehören, hat eine. Aerzteversammlung einberufen, die ihr Ein¬ 
verständnis mit dem’ Vorgehen dadurch zeigte, dass sie den Aerzterat 
einstimmig wiederwählte; als Vertreter der einzelnen Behörden und 
Krankenhäuser wurden die Herren DDr. Reimers. Rumpel, 
Barth, Pfeiffer, Metz und Palmer gewählt. 

— In der vor. Nr. hatten wir auf den Widerspruch in zwei be¬ 
züglich der Versorgung mit ansteckenden Krankheiten, besonders mit 
Geschlechtskrankheiten behafteter Heeresangehöriger ergangenen Ver¬ 
ordnungen hingewiesen. Nach der einen durften solche Kranke gegen 
ihren Willen nicht von der Abbeförderung ausgeschlossen werden, nach 
der anderen waren sie bis zum Erlöschen der Ansteckungsfähigkeit in 
Lazaretten zurückzuhalten. Ein inzwischen ergangener, nachstehend 
abgedruckter Erlass vom 28. November berichtigt nun die zuerst ge¬ 
nannte Verordnung vom 22. November: 

„Der Erlass Nr. 294 025 K3 vom 22. November 1918 Buchstabe C 
Ziffer 2b und c sowie Erlass 295 033 K3/18 Buchstabe h 2b und c 
ändert sich wie folgt: 

Auch alie übrigen Personen mit ansteckenden Krankheiten, an¬ 
steckend Geschlechtskranke, Ansteckungs- und Krankheitsverdächtige 
sind bis zum Erlöschen ihrer Ansteckungsfähigkeit in Lazaretten zu- 
rüwkzuhalten. 

Für die Tuberkulösen gelten die bisherigen besonderen Bestim¬ 
mungen (K. M. E. vom 10. IV. 17 Nr. 34 282 M und vom 5. XI. 17 
Nr. 153 636 M), für die Behandlung der Keimträger K. M. E. vom 
17. V. 16 Nr. 40114 und vom 14. X. 16 Nr. 136 257. 

Die Bartflechtenkranken können auf ihren Wunsch entlassen 
werden. Sie sind aui die Gefahr der Wleiterverbreitung der Krankheit, 
insbesondere die Gefährdung ihrer Familienangehörigen entsprechend 
aufmerksam zu machen und auf die Notwendigkeit einer ärztlichen Be¬ 
handlung hinzuweisen. Mit ihrem Einverständnis können sie einer 
Sanitätsanstalt zur kostenlosen Behandlung überwiesen werden. 

Die Namen der Bartflechterikranken, die auf ihrer Entlassung be¬ 
stehen, sind den Distriktspolizeibehörden des neuen Aufenthaltsortes 
mitzuteilen.“ 

Geschlechtskranke sind also bis zum Erlöschen 
ihrer A ns t eck.un gs f äh i gk ei t in Lazaretten zurück- 
zuhalten. 

— Das ungarische Ministerium des Innern hat in einer Verord¬ 
nung vom 1. Oktober die Chefärzte der Kinderasyle aufgefordert, 
neben anderen prophylaktischen Massregeln gegen die 
G r i p p e (z. B. Einträufeln einer X A proz. Protargollösung in die Nase) 
zur Verhütung von Lungenentzündungen schon vom Auftreten des Fie¬ 
bers an Optochin zu geben. Die Fachpresse erhebt wegen der an¬ 
erkannten Gefährlichkeit dieses Mittels Einspruch gegen die Verord¬ 
nung. 

—• Aus Freiburg i. B. wird uns berichtet: Der akademische 
Senat der Universität Freiburg i. B. hat vor kurzem beschlossen, dass 
vielfachen Wünschen der aus dem Felde heimkehrenden Studierenden 
entsprechend alsbald nach Neujahr ein neues, etwa 3 Monate um¬ 
fassendes, anrechnungsfähiges Semester beginnen solle. Diesem Be¬ 
schluss ist, wie wir bereits aus zuverlässiger Ouelle erfuhren, die 
Heidelberger Universität nicht beigetreten, auch wird er voraussichtlich 
die Zustimmung des Unterrichtsministeriums nicht finden. Es wird also 
das laufende Wintersemester, wie bei Beginn desselben in Aussicht 
genommen war, erst am 1. Februar 1919 endigen. Die Weihnachts¬ 
ferien beginnen am 21. Dezember und endigen am 2. Januar, wie schon 
früher bekanntgegeben worden ist. Unter diesen Umständen emp¬ 
fiehlt es sich für die heimkehrenden Studierenden, sofort die Studien 
hier wieder aufzunehmen und sich, da ihr Eintritt mitten im Semester 
erfolgt, mit ihren Universitätslehrern über den Studienbetrieb zu be¬ 
raten. Es besieht die grösste Wahrscheinlichkeit, dass den Studieren¬ 
den dieses, allerdings etwas gekürzte Wintersemester, allerorts als 
volles Semester auf die Studienzeit angerechnet wird. Alsbald nach 
Schluss dieses Wintersemesters — also voraussichtlich im Laufe des 
Monats Februar — werden ergänzende Ferienkurse beginnen, (hk.) 

— Zum Fall Henkel haben nun auch die Medizinstudierenden 
der Universität J ena in einer Versammlung Stellung genommen. In 


dieser hat sich die Klinikerschaft fast einstimmig für das Verbleiben 
von Prof. Dr. Engel ho rn in seiner jetzigen Stellung erklärt. 

— Die schwedische Aerztegesell Schaft in Stock¬ 
holm hat die Hamburger Aerzte Prof. Saenger und Prof. Wil- 
brand, die Herausgeber des ausgezeichneten Handbuchs ..Neurologie 
des Auges“, zu Ehrenmitgliedern ernannt. Prof. Saenger hat im 
September d.J. auf Einladung derAerztegesellschaft in Stockholm einen 
Vortrag gehalten und war dort aufs liebenswürdigste aufgenommen 
worden. Prof. Henschen begrüsste ihn in einer sympathischen 
Ansprache, die in ein Hoch auf die germanische Kultur, die ein Eck¬ 
pfeiler der Weltkultur sei, ausklang. 

— Die Zeitschrift des Sanitätsdepartements im ehemaligen 
k. k. Ministerium des Innern „Oesterreichisches Sanitätswesen“ er¬ 
scheint jetzt als „Mitteilungen des *©eutschöster¬ 
reichischen Staatsamtes für Volksgesundheit“. 

— Im Jahre 1914 sind m Preussen 167 Verletzungen durch tolle 
oder der Tollwut verdächtige Tiere amtlich gemeldet worden 
(gegen 247 in 1913). Von diesen wurden 157 der Wutschutzimpfung 
unterzogen. Gestorben sind 3, 2 geimpfte. 1 nicht geimpfte Person. 

— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 
17. bis 23. November je 1 Erkrankung in Greifswald und Dresden. Für 
die Vorwoche wurde nachträglich noch je 1 Erkrankung in Godulla- 
hütte (Kreis Beuthen) und Königshütte angezeigt. — Deutsche Ver¬ 
waltung in Litauen. In der Woche vom 13. bis 19. Oktober 54 Er¬ 
krankungen. — Deutsche Verwaltung in Riga. In der Woche vom 
20. bis 26. Oktober 12 Erkrankungen und 1 Todesfall. — Ungarn. In 
der Zeit vom 7. bis 13. Oktober wurden 5 Erkrankungen mit 2 Todes¬ 
fällen gemeldet. 

— In der 46. Jahreswoche, vom 10. bis 16. November 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Graudenz mit 57,5, die geringste Rüstringen mit 12.4 Todesfällen pro 
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb 
an Diphtherie und Krupp in Schwerin, Wilhelmshaven. 

Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschulnachrichten. 

Breslau. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. J a d'a s s o h n. Direktor der 
Universitätsklinik für Hautkrankheiten, welcher 1917 als Nachfolger 
von N e i s s e r an die Universität Breslau kam. hat einen Ruf an die 
Universität Berlin als Nachfolger von Geh. Medizinalrat L e s s e r er¬ 
halten. 

Jena. Für das Fach der Chirurgie habilitierte sich Dr. med. 
Franz Key sser, Assistent der chirurgischen Klinik, mit einer Probe¬ 
vorlesung über Aufgaben der experimentellen Chirurgie, (hk.) 

Marburg. Dem Privatdozenten für Chirurgie und Orthopädie 
Dr. med. Georg Magnus wurde das Prädikat Professor ver¬ 
liehen. (hk.) 

Wien. Für die Neubesetzung der I. Universitäts-Augenklinik 
waren von der Fakultät Meller- Innsbruck und Wessely- Würz¬ 
burg unico u. aequo loco vorgeschlagen. Berufen wurde, wie gemeldet. 
Meller. 

Todesfälle. 

In München stärb der Frauenarzt und Privatdozent an der Uni¬ 
versität Dr. Robert Ziegenspeck an den Folgen eines Jagdunfalles. 
62 Jahre alt. 

Geheimer Sanitätsrat Dr. Paul Osterloh, ehemaliger diri¬ 
gierender Arzt der Frauenabteilung des Stadtkrankenhauses Friedrich¬ 
stadt in Dresden, ist am 30. November 1918 gestorben. 

In Giessen verschied am 19. d. M. der Geheime Medizinalra: 
Dr. med. et phil. h. c. Ludwig Stieda, emerit. ord. Professor der 
Anatomie an der Universität Königsberg i. Pr., im Alter von 
81 Jahren, (hk.) 

Der Piivatdozent für Augenheilkunde und erster Assistent an der 
Augenklinik der Universität Strassburg, Prof. Dr. med. Hermann 
E. Pagen Stecher, Stabsarzt eines bayerischen Feldlazaretts, ist 
am 12. November plötzlich gestorben, (hk.) 


Weihnachtsgabe für arme Arztwitweri in Bayern. 

Herausgeberkollegium der Münch, med. Wochenschr. 500 M. Hof¬ 
rat Dr. Spatz- München 30 M. Bez.-Arzt Dr. Borger- Illertissen 
50 M. Dr. B u b - Babenhausen 25 M. Prof. Dr. Gerhardt - Würz¬ 
burg 40 M. Hofrat Dr. H a g e n - Windsheimf 20 M. Hofrat Dr. F r a n- 
kenburger - Nürnberg 25 M. Dr. J a c o b - Schwabach 25 M. Bez.- 
Verein Neuulm-Günzburg-Krumbach durch Herrn M o r i a n 25 M. Dr. 
Eck ha rd-Ziemetshausen 20 M. San.-Rat Dr. Uibelcisen- 
Thalkirchen 20 M. Bez.-Arzt Dr. S ch m i 11-Dillingen a. D. 15 M. 
Bez.-Arzt Dr. N iede r ma i e r-Pfarrkirchen 10 M. Hof rat Dr. 
Landgraf - Bayreuth 50 M. Bez.-Arzt Dr. Sigm. M e r k e i - Nürn¬ 
berg 30 M. Dr. Max D ü c k - München 20 M. Dr. A. H a a s - Mönche;; 
20 M. Oberarzt Dr. Hörmann -Sanat. Harlaching 5 M. Medizinai- 
rat Dr. Raab- Ansbach 20 M. Summe 950 M. 

Allen Gebern besten Dank. 

. Dank und Quittung erfolgen nur in der Münch, med. Wochenschr 
Um weitere Gaben bittet 

Der Kassier des Aerztl. Invalidenheims. Abteil. Witwenkasse 
Dr. Holle rbusch, Fürth, Mathildenstr.- 1. 
Witwenkassen-Postscheckkonto Nr. 6080, Postscheckamt Nürnberg 


Verl 

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München S W. 2, Pul Heysestr. 2fr — Druck von E. M&hlthder’s Bach- und Kunstd nickcrd A.Q., München. 

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MÜNCHENER 


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die SCkitMiitnc: Arävkhtr. SA (Sprechstunden •*/*—! W> 
Eezttf: m 1. r. Lehmann*« Verlag, Pani Heysenraaae M> 
Anzeigen and Behagen: an Rndolf Moese, Theetlneritreaaa I 


Medizinische Wochenschrift. 

ORGAN FÜR AMTUGHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Nr. 5t. 17. Dezember 1918. 


Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Amultstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Patil Hey se strasse 26. 


65. Jahrgang. 


Der Verlag mm* sich das ansschllesslldie Recht der Vervielfiltlgmig and Verbreitung der io dieser Zeitschrift zun Abdruck gelangenden Ortginalbeitiige vor. 


Originalien. 

Thrombose und Embolie nach Kriegsverletzungen und 
Operationen*). 

Von H. Fehling. 

Zu Beginn des Jahres 'hat sich Lu-barsch mit einem Vor¬ 
trag über Thrombose und Embolie in der Berliner medizinischen 
Gesellschaft eingeführt, in welchem er überraschenderweise zu dem 
früher schon besonders von Franzosen vertretenen Standpunkt 
kommt, dass bei Entstehung derselben vielfach Infektion eine Rolle 
spiele, während bekanntlich Asch off und Brennecke die 
gegenteilige Ansicht vertreten. 

Er findet bei einem Sektionsmaterial 21—32 Proz. Thrombosen, 
davon sind über 80 Proz. Venenthrombosen. 

Von 132 Thrombosenfällen wurden 117 Keime post mortem ge¬ 
züchtet, am häufigsten Streptokokken, dann Staphylokokken, seltener 
Pneumokokken und Kolibazillen. Demnach sind 13 Proz. der Em¬ 
boliefälle nicht infektiös. 

Lubarsch kann demnach die Ansicht der Franzosen nicht 
völlig aufrecht erhalten, dass Thrombose immer in ursächlicher 
Beziehung zu infektiösen Prozessen stehe; er behauptet aber, dass 
in vielen Fällen, etwa 55 Proz., der Sitz der Thrombose da ist, wo 
im Quellgebiet infektiöse Prozesse sind. Er kommt aber'schliess¬ 
lich zu der Einschränkung, dass die postoperativen Thromben nicht 
lediglich unter dem Gesichtspunkt infektiöser Entstehung betrachtet 
werden dürfen, da postoperativ auftretende Thromben auch schon 
vor der Operation vorhanden sein können, als Folge der bestehenden 
Grundkrankheit. 

Dagegen haben bekanntlich schon längst viele Chirurgen und 
besonders Gynäkologen ihre * Stimme für Nichtinfektiosität der 
meisten Schenkelt'hrombosen und besonders der danach folgenden 
Embolien erhoben. Wo wir Gelegenheit hatten, in der Klinik einen 
Fall von Lungenembolie nach aseptischem klinischen Verlauf zu 
untersuchen, fanden sich keine Keime. 

Man unterscheidet nach A s c h 0 f f die Konglutinations- oder 
Ausscheidungsthrombose (Pfropfthrombose), die auf Abscheidung 
fester Bestandteile, besonders der Blutplättchen beruht, von der 
Oerinnungs- oder Koagulationsthrombose, bei welcher die Fibrin¬ 
ausscheidung die Hauptrolle spielt. Die erstere ist es, welche wir 
nach gynäkologischen Operationen, besonders bei aiisgebluteten, 
kachektischen Frauen zu fürchten haben. Bekannt ist, dass auch 
die Chirurgen wesentlich nach Bauch- und Bruchoperationen Em¬ 
bolien sehen (v. E i s e I s b e r g 0,8 Proz., de Quervain 0,6 Proz.), 
während dieselben nach Operationen an Kopf und oberen Extremi¬ 
täten ungemein selten sind. Die Koagulationsthrombose erzielen 
wir bei Unterbindungen, bei operativer Verletzung der Gefässe. 

Der Krieg mit seinen Hunderttausenden von Verletzungen und 
den ihnen nachfolgenden Infektionen und den Operationen im in¬ 
fizierten Gebiet, endlich mit den zahlreichen Schussfrakturen der 
unteren Extremitäten musste eine gute Gelegenheit zur Prüfung der 
Frage der Entstehung der Thrombose geben. Jeder Operierte ist 
ja nach W i t z e 1 ein Thrombenbesitzer. Die vielen infizierten Ver¬ 
letzungen der unteren Extremitäten und die Wochen und Monate 
lang erzwungene Ruhelage konnten reichlich Gelegenheit zu beiden 
Arten der Thrombose, zumal der Pfropfthrombose, bieten. 

Unter dem Verwundetenmaterial, welches ich zuerst in der 
Frauenklinik, dann im Kaiserpalast und die letzten 3M* Jahre im 
Festungslazarett 7 Bet'hesda behandelt habe, kam mir nun nie eine 
Schenkelvenenthrombose und nie eine Lungenembolie zu Gesicht. 
Das war im höchsten Grade auffallend. 

Auf meine Bitte war der Herr 1. Garnisonsarzt so gütig, an 
sämtliche Lazarette Strassburgs eine Anfrage über vorgekommene 
Thrombosen- und Lungenembolien bei Kriegsverletzten zu richten. 
Das Ergebnis war auf sämtliche vom August 1914 bis Mitte Januar 
1918 in der hiesigen Garnison verpflegte Kriegsverletzte 4 Todes¬ 
fälle an Lungenembolie. 

Die mit gütiger Erlaubnis des Garnisonarztes von mir selbst 
vorgenommene Durchsicht der in dieser Zeit ausgestellten ca. 2000 
Totenscheine ergab im ganzen 12 weitere Todesfälle an Embolie. 


*) Vortrag, gehalten im Unterelsäss. Aerzteverein Strassburg. 

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Die nach Kriegsverwundungen aufgetretenen Embolien be¬ 
trafen Soldaten zwischen dem 21. und 30. Lebensjahr. 

Die anderen Embolien kamen vor: 

2 mal nach Mesenterialthrombose, 

" 1 mal bei Rektumkarzinom, 

1 mal bei traumatischer Epilepsie, 

1 mal bei Nierenentzündung, 

1 mal bei alter Lues, Panaritium und Sehnenscheidenentzündung, 

1 mal bei Angina necrotica. 

1 mal bei Beckenbruch, 

1 mal bei komplizierter Oberschenkelfraktur, 

1 mal bei Sepsis und Lungenembolie (ohne weitere Angaben), 

2 mal ist die Krankheit' nicht angegeben. 

Nur 2 mal betrug hier das Lebensalter 27 «und 28 Jahre, 5 be¬ 
wegten sich zwischen 31 und 40, 5 zwischen 41 und 45 Jahren. 

Diese Angaben beziehen sich auf ungefähr 60 000 Kriegsver¬ 
letzte; darunter also bei der an der Front stehenden Jungmann¬ 
schaft nur 4 tödliche Lungenembolien; bei den älteren Jahrgängen 
dagegen als Folge innerer und äusserer Erkrankungen die 3 fache 
Zahl. Das ist im höchsten Grade bemerkenswert und unerwartet, 
da wir z. B. bei unseren gynäkologisch-chirurgischen Eingriffen mit 
ca. 0,5—1,0 Proz. tödlichen Lungenembolien rechnen müssen. 

Ueber die Häufigkeit der Thrombose allein etwas auszusagen, 
ist natürlich schwieriger. Kleine lokalisierte Thrombosen im Gebiet 
entzündeter Wunden sind natürlich öfter aufgetreten und auch von 
mir beobachtet worden. Schenkelvenenthrombose (Pfropfthrom¬ 
bose im Sinne Aschoffs) ist dagegen trotz der vielen komplizier¬ 
ten Ober- und Unterschenkelfrakturen auffallend wenig beobachtet 
worden; ich selbst habe nie eine gesehen, und auch von hiesigen 
Kollegen, bei welchen ich mich danach erkundigte, nichts darüber 
erfahren. 

Um diesen fundamentalen Unterschied in den Folgen der 
Kriegs- und Friedenschirurgie zu erklären, ist es nötig, an die An¬ 
schauungen über die Entstehung der Pfropfthrombose zu erinnern. 

Es kommen hierfür nach den vorliegenden Atfjeiten in Be¬ 
tracht: 

1. Veränderungen der Gefässe, 

2. Veränderungen der Beschaffenheit des Blutes (Viskosität), 

3. Stromverlangsamung durch geschwächte Herzkraft. 

1. Veränderungen der Gefässwand als Ursache der Thrombose 
kommen wohl mehr bei infektiöser Thrombose vor. Bei aseptischer 
Thrombose geben allenfalls Phlebektasien, z. B. solche bei starker 
Varikosität der unteren Extremität dazu Veranlassung, besonders 
wenn äussere mechanische Beschädigungen auf solche Kranke ein¬ 
wirken. Viel verständlicher ist, dass, wenn b,ei infektiösen Pro¬ 
zessen Oedem urd Entzündung bis an die Gefässwand gelangt ist, 
nun die Intima durch Teilnahme am Prozess Veranlassung zur Blut¬ 
gerinnung gibt. 'Nach mancher Anschauung soll Verlangsamung der 
Zirkulation infolge von Schwäche der Herzkraft die Intima schädi¬ 
gen und so Veranlassung zur Thrombose geben. Bedeutungsvoller 
sind wohl aber die Wandveränderungen der Venen und Arterien 
im Alter, zumal wenn sie mit Schwächung der Herzkraft zusammen 
auftreten. 

2. Noch seltener ist eine Veränderung der Blutbeschaffenheit, 
eine stärkere Viskosität anzunehmen. Die bei gewissen inneren 
und gynäkologischen Erkrankungen darauf gerichteten Unter¬ 
suchungen haben bisher wenig Positives ergeben. Dr. Keller 
hat bei Untersuchungen am Material meiner Klinik so minimale 
Unterschiede der Blutgerinnung bei verschiedenen Erkrankungen 
herausgefunden, dass sie praktisch nicht verwertet werden können. 
Bei starken akuten Blutverlusten, welche meist mit Verminderung 
des Hämoglobins und der Za'hl der roten Blutkörperchen einher¬ 
gehen, ist erfahrungsgemäss die Gerinnungsfähigkeit eher verrin¬ 
gert. Ob in der Tat maligne Tumoren, besonders zerfallende Krebse 
auf chemischem Wege das Blut derart alterieren, dass leichter Ge¬ 
rinnungsfähigkeit entsteht, ist bisher nicht bewiesen, würde aber 
manches erklären. Nach Petreon soll chemische Veränderung 
des Blutes durch Lipoidsubstanzen von Einfluss sein. 

3. Es bleibt daher als Hauptmoment für die Entstehung der 
Abscheidungs- oder Pfropfthrombose die Schwächung der Herz¬ 
kraft. 

Es ist nicht, wie man immer behauptet, die Verlang¬ 
samung der Schlagfolge des Herzens. Die bekannte puer- 

J 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





1424 


MUBNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. $L 


perale Bradykardie, deren Ursache, eine Vagusreizung, heute noch 
nicht klarsteht, ist Zeichen eines äusserst gesunden, kräftigen Her¬ 
zens, Zeichen einer gesteigerten Vagotonie. Hier erleben wir nicht 
selten eine Herabsetzung der Schlagfolge auf 40 pro Minute und 
doch sehen wir dabei n i e eine Schenkelvenenthrombose. 

Ueberhaupt ist diese bei gesunden Wöchnerinnen, die sich zu¬ 
meist im Alter von 20—3CT Jahren bewegen, etwas ungemein Sel¬ 
tenes; entsprechend kommt hier nach unserer klinischen Statistik 
die Lungenembolie nur in 1:10 000 Fällen vor. Die häufigen Throm¬ 
bosen bei der dienenden und arbeitenden Klasse im Gebiet der 
Saphena entstehen meist schon in der Schwangerschaft als Folge 
der Zirkulationsstörung in der Femoralis durch den vermehrten Zu¬ 
fluss aus dem Gebiet der Hypogastrika und der dadurch bedingten 
Veränderung der Gefässwand. 

Analoge Verhältnisse wie für die Wöchnerinnen gelten auch für 
die Verwundeten. Bei dem meist jugendlichen Alter derselben (zwi¬ 
schen 20—30 Jahren) kommt es trotz stärkeren Blutverlustes nicht 
zu einer derartigen Schwächung der Herzkraft, dass bei wochen- 
und monatelangem Liegen Thrombosen und tödliche Embolien ent¬ 
stehen. Anders bei den älteren Jahrgängen der Landsturmmäpner; 
da genügen oft viel kleinere Schädigungen, wenn das Herz schon 
zuvor durch die Lebensarbeit gelitten hat, ein kürzeres Kranken¬ 
lager, um Thrombose und in deren Gefolge Embolie zu veranlassen. 

Ich betone aber, es ist nicht die Verlangsamung, sondern die 
Schwächung der Herzkraft, welche teils wohl auch mit daneben 
einhergehenden Veränderungen der Gefässwandung zu Thrombose 
der Schenkelgefässe führt, im Gefolge deren so gern die Embolie 
auftritt. Nach obigen Erörterungen sind also Thrombosen nach 
Kriegsverletzungen viel seltener als nach Friedensverletzungen und 
wenn sie Vorkommen, nicht auf Infektion beruhend, sondern auch 
hier eine Folge geschwächter Herzkraft. 

Treten bei Kriegsverletzten Thrombosen bei infektiösen Pro¬ 
zessen auf, so führen sie nach der Erfahrung entfernt nicht so leicht 
zu fortschreitender Thrombose, selbst nicht an den unteren Ex¬ 
tremitäten, höchstens bei Beckenverletzungen, wie wir es nach 
unseren gynäkologischen Operationen im Gebiet der Vena hypo- 
gastrica erleben. 

Auch die an meiner Klinik in den letzten Jahren zur Vermei¬ 
dung der Thrombose und Embolie geübte Therapie spricht für die 
Bedeutung der Herzkraft als wesentliches Moment. 

Bekanntlich machte vor 8—10 Jahren die von Amerika über¬ 
kommene Lehre des Frühaufstehens nach Geburten und Opera¬ 
tionen grosses Aufsehen und fand zahlreiche Nachahmung. In 
Deutschland hat besonders die Krönigsche Schule sich Mühe ge¬ 
geben, diese Idee einzubürgern. Er zwingt die Operierten und 
Wöchnerinnen, schon nach 24 Stunden das Bett zu verlassen; selbst 
Gehen ist gestattet. Fieber ist natürlich Gegenanzeige. Ausserdem 
werden, was sehr zweckmässig ist, Uebungen der unteren Ex¬ 
tremitäten und der Bauchmuskulatur angeordnet. 

K r ö n i g behauptet, dass die Häufigkeit der Embolien dadurch 
abgenommen Habe; vorgekommene Schädigungen sind nicht ver¬ 
öffentlicht worden. 

Auf der Wöchnerinnenabteilung habe ich das Verfahren nicht 
eingebürgert. Einmal liegt dazu keine Veranlassung vor. Ausser 
an der Saphena sind Thrombosen selten und Embolien kommen 
darnach kaum je vor; zweitens aber sprechen für mich erzieherische 
Gründe dagegen. 

Wenn die Wöchnerin in der Klinik angehalten wird, schon 
nach 24 Stunden das Bett zu verlassen und herumzugehen, so wird 
sie das bei der nächsten Entbindung zu Hause auch tun. Dann aber 
verlangt Mann und'Kinder, dass sie kocht, arbeitet, scheuert; hier 
heisst eben Aufsein arbeiten. 

Und was ist die Folge? Die zahlreichen Senkungen und Vor¬ 
fälle, die schweren Metritiden mit Blutungen, vielleicht auch infolge 
davon die grössere Häufigkeit des Kollumkarzinoms, die wir nur in 
der Poliklinik, nie in der Privatpraxis sehen. 

Die Frauen der arbeitenden Klassen haben das Frühaufstehen 
nicht nötig; sie liegen keineswegs unbeweglich im Bett. Sie sitzen 
vom ersten Tage ab zum Essen, Stillen, Befriedigung ihrer Bedürf¬ 
nisse, verlassen wohl auch mal gelegentlich das Bett, um für ihr 
Kind zu sorgen. Dagegen machen die Frauen der besseren Stände 
freiwillig selten vor dem 4. Tag, meist erst vom 7. bis 8. Tag ab 
von der Erlaubnis, das Bett zu verlassen, Gebrauch; hier findet man 
aber auch später viel weniger Schädigungen, welche als Folgen des 
Wochenbetts anzusehen sind. 

Anders dagegen gehe fch auf der gynäkologischen Abteilung 
vor, wo es sich einmal um durchschnittlich ältere Frauen handelt 
und dann um solche, welche durch Blutungen, Neubildungen usw. 
gelitten haben. Hier nötigte uns die nicht unerhebliche Zahl der 
tödlichen Embolien, es mit der neuen Lehre zu versuchen. Doch 
habe ich als Grundsatz aufgestellt, keinen Zwang auszuüben. Das 
Verlassen des Betts nach der Operation wird freigestellt. 

Von der 3. Klasse tut es hierzulande am 2. Tag keine einzige 
freiwillig; frühestens am 3. und 4. Tag sitzen diese Frauen 1 bis 
2 Stunden heraus. 

Bei den besseren Ständen ist nach Leibschnitt und grösseren 
vaginalen Operationen der 6. Tag der früheste, an dem sich eine 
Kranke entschliesst, das Bett zu verlassen. Ich habe aber trotz- 

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dem nach Myotomien, Adnexoperationen noch tödliche Embolien err 
lebt. Selbst einmal, wo die Frau am 3. Tag aufgestanden war, er¬ 
folgte am 10. Tag . die tödliche Embolie. 

Ich habe nun seit etwa 5 Jahren Hand in Hand mit dem Früh- 
heraussitzen systematisch die Hebung der Herzkraft der au ope¬ 
rierenden Frauen in die Wege geleitet. Gerade die Frauen mit 
Myomen und Karzinomen kommen oft sehr ausgeblutet zur Opera¬ 
tion, die mit Adnexentzündung und Prolaps geschwächt von Fieber 
und Arbeit. Operiert man nun sofort nach Eintritt einer solchen 
Patientin ohne weiteie Vorbereitung, so darf man sich nicht wundern, 
dass das ohnehin geschwächte Herz, durch die Inhalationsnarkose 
noch mehr geschädigt, nicht imstande ist, den Kreislauf zu erhalten; 
es kommt zur Thrombose. 

Die Lumbalanästhesie hat in dieser Beziehung keine Vorteile 
vor der Inhalationsanästhesie. Franz hat auf 3355 Fälle von 
Lumbalanästhesie 7 Todesfälle = 0.2 Proz., eine Zahl, die weit höher 
ist, als bei Inhalationsnarkosen. 

Es werden daher alle Frauen vor der Operation mehrere Tage 
gekräftigt, das unnötige Abführen wird vermieden, jede bekommt 
Herztonika, je nach dem Befund am Herzen: Kampfer, Koffein, Digi- 
purat oder andere Digitalispräparate. Dieselbe Therapie wird auch 
nach der Operation noch mindestens 8—10 Tage lang bis zum 
dauernden Verlassen des Bettes fortgesetzt. 

Den Erfolg dieser Massregel zeigt die von Frl. Schaper in 
ihrer Dissertation gegebene Tabelle im Vergleich mit den früheren 
Ergebnissen einer Arbeit von Frl. Fr ei db erg über dasselbe 
Thema. 



Dissertation Frln Dr. Schaper 
1914-17 

Dissertation Frln. Dr. 

1901-10 

Freidberg 


Oesamt- 1 Thrum- 
zahl j bösen 

P™ i Ä. 

Proz 

Oesamt-1 Thront-1 
zahl , bösen j 

Proz. 

Em¬ 

bolien 

Proz. 

Myomen 
Maligne Tu¬ 

128 4 

I ' - 

- 

320 

1 » 

5 

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1,25 

moren 

04 2 

1 2,1 1 

1 

110 

1 8 

7,3 

6 

! 5.5 

Adnexe 

350 i 5 | 

1,4 i 2 

0,5 

215 

i 11 1 

4 

: 2 | 

! 0,7 


Ich werde nach diesen Erfahrungen mit der das Herz für die 
Operation vorbereitenden Therapie in erster Linie fortfahren, da¬ 
neben aber in vorsichtiger Weise das Frühheraussitzen und Mus¬ 
kelübungen anordnen. 

Aber auch fiir unsere Kriegsverletzten empfiehlt es sich, recht¬ 
zeitig von der Leistungsfähigkeit des Herzens sich zu überzeugen. 

Bei den meisten Verwundeten, besonders im jugendlichen Alter, 
kann man von einer entsprechenden Therapie absehen. Anders bei 
schweren Oberschenkel- und Unterschenkelschussfrakturen: da 
habe ich meist prophylaktisch Digalen oder Digipurat gegeben und 
glaube dadurch der Entstehung' vori Thrombosen vorgebeugt zu 
haben. 

Bei den Kriegsverletzungen der älteren Jahrgänge und bei den 
in dieser Altersklasse häufiger vorkommenden Friedensoperationen. 
wie Herniotomien, Hydrokele-, Varizenoperationen usw., ferner bei 
Frakturen der unteren Ertremität halte ich es für richtig, prophylak¬ 
tisch vor und nach der Operation eine herzkräftigende Therapie 
diirchzufiihren; man wird dadurch auch bei diesen Thrombose und 
Embolie auf ein Minimum herunterdrücken. 


Aus der medizinischen Klinik in Qiessen, Vereinslazarett. 
(Direktor: Prof. Dr. Voit.) 

Zur Bakteriologie der Pyelitis und Ober Beziehungen 
der letzteren zur diffusen Glomerulonephritis. 

Von Dr. med. et phil. E. Becher, Assistenten der Klinik. 

Unter den zahlreichen Erregern der Zystitis und Pyelitis spielt 
das Bacterium coli bet weitem die Hauptrolle, ln seltenen Fällen 
können Erkrankungen der harnleitenden Wege durch Erreger be¬ 
kannter Infektionskrankheiten hervorgerufen werden. Neben Typhus, 
Paratyphusbazillen und Pneumokokken sind in letzter Zedt auch Ruhr¬ 
bazillen als Erreger der Zystopyelitis beschrieben worden 1 ). In 
unserer Klinik wurde bei einem 19 jährigen Soldaten eine durch Misch¬ 
infektion von Typhus- und Kolibazillen hervorgerufene Zystitis und 
rechtsseitige Pyelitis beobachtet, die neben dem bakteriologischen Be¬ 
fund noch andere Besonderheiten zeigte. Der Mann hatte keinen 
Typhus durchgemacht, hatte keine Bazillen im Stuhl und einen nega¬ 
tiven Widal im Blut. Er ilitt seit M Jahr an zeitweise auftretenden. 
3—4 Tage anhaltenden Schmerzen in der rechten Unterbauchgegend 
und hatte dabei massige Temperatursteigerungen, leichten Frost und 
häufigen Urindrang. Der Urin war trüb, enthielt geringe Mengen Ei- 
weiss und im Sediment reichlich Leukozyten, bakteriologisch wurden 
bei mehrfacher Untersuchung im hiesigen hygienischen Institut neben 
Kolibazillen reichlich Typhusbazillen gefunden, die sich als schwer 
aggiutinabel erwiesen. Die Zystoskopie ergab das Bild einer diffusen 
Zystitis, der Harn der rechten Niere war verändert, der der linken 
normal. Tägliche Harnmenge und spezifisches Gewicht waren nar- 

J ) Fo er st er; Ein Fall von Zystopyelitis. hervorgerufen durch 
Ruhrbazillen (Typus Flexner). M.m.W. 1918 Nr. 8. 

Original from 

UMIVERSITY OF CALIFORNIA 




17. Dezember 1018. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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nal, der Harn reagierte alkalisch. Nachdem durch Nierenbeckenspü¬ 
lungen mit Silbernitrat und durch Urotropin keine Heilung eintrat, 
habe ich versucht, durch Schwitzkuren und dadurch bewirkte stärkere 
Konzentration des Urins die Erreger zu beseitigen. Meyer-Betz 
versuchte bei der Kolftnfektion der Harnwege durch Erhöhung der 
Azidität und des spezifischen Gewichtes die Bakterien abzutöten 2 ). 
Während ihm eine vollkommene Beseitigung derselben nicht gelang, 
hat Haas an unserer Klinik eine ganze Anzahl von Kolizystitiden 
und Pyelitiden zur Ausheilung gebracht durch b ein von ihm ange¬ 
gebenes kombiniertes Schwitzverfahren *). Nachdem der Patient drei 
Schwitzkuren nach der von Haas angegebenen Weise durchgemacht 
halte, waren aus dem Urin die Kolibazillen, jedoch nicht die Typhus¬ 
bazillen, die ihr atypisches Verhalten in bezug auf Agglutination bei¬ 
behielten, verschwunden. Wegen des alkalischen Harnes musste ich, 
um saure Reaktion desselben zu bekommen noch mehr Säure geben 
als Haas angibt. Auch habe ich während der Schwitzprozeduren 
noch grössere' Mengen Urotropin gegeben. Der Pat, zeigte eine 
Einschränkung seines Konzentrationsvermögens, das spezifische Ge¬ 
wicht seines Harnes überstieg nach dem Schwitzen nicht 1020. Das¬ 
selbe hatte aber ausgereicht, um die Kolibazillen abzutöten. Offenbar 
verhalten sich die Typhusbazillen dieser Behandlung gegenüber resi¬ 
stenter, wie sie überhaupt, worauf S c : h o 11 m ü 11 e r besonders hin¬ 
weist, aus den Harnwegen schwer zu beseitigen sind. Eine Ein¬ 
schränkung des Konzentrationsvermögens beobachtet man nicht ganz 
selten auch bei Kolipyelitiden, dieselbe kann dann auf eine Miterkran¬ 
kung der Niere hindeuten und macht, wenn sie stärker ist, eine Be¬ 
seitigung der Erreger durch Schwitzbehandlung unmöglich. Ob in 
unserem Falle die Erfolglosigkeit der Therapie auf das mässige Kon¬ 
zentrationsvermögen zurückzuführen ist, vermag ich nicht zu ent¬ 
scheiden. 

Wir sahen bei Feldzugsteilnehmern nicht ganz selten akute 
Zystitkten und ein- oder doppelseitige Pyelitiden auftreten ohne bak¬ 
teriologischen Befund im Urin. Die Leute waren mit zyatitischen 
Beschwerden akut erkrankt, hatten im Urin reichlich Leukozyten 
und spärlicher Erythrozyten. Die Blase zeigte das Bild der akuten 
Zystitis, Tuberkulose konnte durch das Impfexperrment und durch 
den Verlauf der Erkrankung ausgeschlossen werden. Ein Teil der 
Fälle heilte nämlich nach Monaten vollkommen ab, der andere Teil 
erwies sich im weiteren Verlaufe als echte Glomerulonephritis. Es 
traten mehrere Monate nach Entstehen der Erkrankung, die sich an¬ 
fänglich ganz als Affektion der Blase und Nierenbecken erwies, Blut¬ 
drucksteigerung, Oedeme und ZylindTurie auf. Bei einem Soldaten, 
der wegen Blasen- und Nierenbeckenentzündung mit charakteristischen 
Beschwerden und mit einem aus Leukozyten und spärlichen Erythro¬ 
zyten bestehenden Sediment längere Zent behandelt und zur Zysto- 
skopie in die Klinik geschickt wurde, fand ich bei derselben im Ure- 
terenharn beiderseits spärlich Zylinder, nachdem wochenlang vorher 
dieselben fehlten. Andere an steriler Entzündung der Harnwege 
leidende Soldaten bekamen nach Monaten Oedeme. Blutdrucksteige¬ 
rungen und Herzveränderungen. Bei diesen fiel, als von der Nieren¬ 
entzündung noch nichts nachweisbar war, schon eine Verminde¬ 
rung des spezifischen Gewichtes bei vermehrter Harnmenge und eine 
zeitweise auftretende Hämaturie auf. Bei einem Teil der Kranken 
war die Zystitis zystoskopisch festgestellt, bei zwei Soldaten, die an 
ihrer Nephritis später starben, wurde bei der Sektion eine Entzündung 
der harnleitenden Wege gefunden. Neben diesen Fällen, die'auf den 
ersten Blick den Anschein erwecken könnten, als hätte sich die Ne¬ 
phritis aus der Zystopyelitis entwickelt, sahen wir umgekehrt nicht 
selten Erkrankungen, die ganz charakteristisch als akute diffuse 
Glomerulonephritis begonnen hatten, bei welchen sich im weiteren 
Verlauf subjektive und objektive Symptome von Blasen- und Nieren¬ 
beckenentzündung entwickelten, ohne dass bakteriologisch im Urin 
etwas gefunden wurde. Zystitische Beschwerden, häufiger Harn¬ 
drang, Brennen beim Wasserlassen, werden öfters von den an Feld¬ 
nephritis erkrankten Soldaten geklagt 4 ). Kurzdauernde Fieberan¬ 
stiege mit Schmerzen in der Nierengegend und mit Blasenbeschwer- 
den, Zustände wie sie bei Pyelitiden nicht selten Vorkommen, werden 
ebenfalls beobachtet. Ausserdem gibt es Fälle, bei denen der kli¬ 
nische Verlauf, die Veränderungen am Gefässsystem, die herabgesetzte 
Nierenfunktion und unter Umständen der Reststickstoff- und Indikan- 
gehalt des Blutes mit Sicherheit das Bestehen einer diffusen Glo¬ 
merulonephritis annehmen lassen, welche aber dabei ein ganz an 
Pyelitis erinnerndes Urinsediment aufweisen. Solche fast nur aus 
Leukozyten und zwar aus Polynukleären und Zellen mit grossem 
rundem Kern bestehende Sedimente fanden sich bei den beobachteten 
FeWnephritiden besonders bei schweren Fällen mit anhaltender 
Blutdrucksteigerung. Neben den zahlreichen Leukozyten kamen spär¬ 
liche Erythrozyten vor und bei mehrfachen Untersuchungen fanden 
sich auch ab und zu Zylinder. Der Elweissgehalt war grösser als 
den Formelementen entsprach. Bei anderen Nierenkranken bestanden 
•die zystitischen Beschwerden und Symptome gleich von Beginn der 
Nephritis an und verliefen ganz parallel mit derselben. 

Vor kurzem hat N a u n y n auf Beziehungen zwischen Zysto¬ 
pyelitis und Kriegsnephritis aufmerksam gemacht r> ). Er nimmt für 
eine Reihe von leichteren Nephrozirrhosen mit zystopyelitischen 


*) D. Arch. f. klin. Med. 105. 1912. 

3 ) D. Arch. f. klin. Med. 121. 1917. 

*) Frl. cand. med. Bruck wird in ihrer Dissertation näher 
•darauf eingehen. s ) D. m.W. 1917 Nr. 13. 

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Symptomen eine urinogene, 4. h. von der Blase aufsteigende Ent¬ 
stehung an, lässt aber dieselbe einstweilen „nur für leicht verlaufende 
Fälle ohne Zylindrurie, ohne arterielle Hypertension und Oedeme gel¬ 
ten“. Es ist schon länger bekannt, dass auch nichtpyogene Erkran¬ 
kungen der Harnwege auf die Nieren übergehen und eine pyelo- 
nephritische Schrumpfniere erzeugen können. Es ist aber schwer, 
allein aus dem klinischen Verlauf der Feldnephritiden mit zystopye¬ 
litischen Symptomen zu entscheiden, ob die Glomerulonephritis urino¬ 
gen entstanden ist, oder ob Pyelitis und Nephritis unabhängig von¬ 
einander bestehen. Ich möchte das erstere nach dem klinischen Ver¬ 
lauf allein keineswegs annehmen, auch dann nicht, wenn die Zysto¬ 
pyelitis der Glomerulonephritis direkt vorauszugehen scheint, wie ich 
es bei einigen Fällen beobachtet habe. Wie erwähnt, hatten diese 
Leute schon, als sonst noch keine nephritischen Symptome nachweis¬ 
bar waren, ein niedriges spezifisches Gewicht, eine geringe Konzen¬ 
trationsfähigkeit und zeitweise auftretende Hämaturien, was Immer¬ 
hin schon an eine Mitbeteiligung der Nieren von Anfang an denken 
Hess. Es kommt noch hinzu, dass man, solange eine Zystopyelitis 
angenommen wird, auf nepbritische Symptome nicht sehr achtet und 
einem so eine transitorische Hypertonie entgehen kann. Noch weni¬ 
ger möchte ich eine urinogene Entstehung für die Fälle, die erst seit 
Beginn der Nephritis oder nachher subjektive und objektive zysto- 
pyelitische Symptome zeigten, annehmen. Es erscheint mir vielmehr 
am wahrscheinlichsten, dass die erwähnten sterilen Zystopyelitiden, 
die Feldnephritiden und die Kombinationen von beiden dieselben oder 
ähnliche ätiologische Ursachen haben, aber in keinen genetischen Zu¬ 
sammenhänge zueinander stehen. Ich denke mir die Verhältnisse ähn¬ 
lich wie die Schädigungen, welche Kantharidin und andere reizende 
Stoffe auf die Harnorgane hervorrufen, welche gleichzeitig eine 
toxische Pyelitis und Nephritis erzeugen können. In der Aetiologie 
der Feldnephritis spielen ja sicher Schädlichkeiten, wie Durch¬ 
nässungen und Erkältungen, eine Rolle, welche ebensogut zu Ent¬ 
zündungen der harnleitenden Wege Veranlassung geben können. Viel¬ 
leicht verursachen durch die Nieren ausgeschiedene Toxine oder auch 
vorübergehend die Nieren passierende Infektionserreger gleichzeitig 
die Erkrankung der harnbereitenden und hamabführenden Organe. 

S t r a u s s 8 ) gibt ebenfalls das Fehlen von Blutdrucksteigerung, 
Herzhypertrophie und Oedemen bei aszendierendeu Nephritiden an. 
Ich habe die Kombination von zystopyelitischen Symptomen mit Glo¬ 
merulonephritis oft gerade bei den schwereren Formen der letzteren, 
die in Schrumpfnieren übergingen, gesehen. Bei meiner Annahme ist 
das verständlich. Die stärkere Noxe, welche eine schwere Nephritis 
erzeugt, vermag eher gleichzeitg eine Zystopyelitis mithervorzurufen. 
Jedenfalls zeigten 2 von den Kranken, bei welchen eine Entzündung 
der harnabführenden Wege schon längere Zeit vor dem Auftreten 
oder, besser gesagt, vor der Feststellung von nephritischen Sym¬ 
ptomen bestand, später eine sichere Blutdrucksteigerung und 
Retention von Reststickstoff und Indikan im Blut, der eine bekam auch 
Oedeme und edne starke Herzhypertrophie. Die nephritischen Sym¬ 
ptome und Veränderungen entsprachen dabei nicht gut der kurzen 
Zeit vom scheinbaren Beginn der Nierenerkrankung an und Hessen 
sich besser verstehen, wenn die letztere ebenso alt wie die schein¬ 
bar längere Zeit bestehende Zystopyelitis angenommen wurde. Dass 
Schon vor dem Auftreten sicherer nephritischcr Symptome Verände¬ 
rungen bestanden: Verminderung des Konzentrationsvermögens und 
transitorisch Hämaturien, die den Verdacht auf eine schon bestehende 
Nierenerkrankung erwecken konnten, habe ich schon erwähnt. Feld¬ 
nephritiden, bei welchen gleichzeitig objektive und besonders sub¬ 
jektive zystische Symptome bestehen, sind so relativ häufig, dass 
schon deshalb die urinogene Entstehung nicht gut angenommen wer¬ 
den kann. Natürlich möchte ich damit das Vorkommen der Nephro- 
cirrhosis pyeionephritica bei Feldzugsteilnehmern keineswegs über¬ 
haupt in Abrede stellen. 

Wegen der Kombination nephritischer und zystopyelitischer 
Symptome wird die Diagnosenstellung manchmal bei kurzer Beobach¬ 
tung und mangelhaften anamnestiscben Angaben erschwert. Wenn 
Oedeme zu Beginn der Feldnephritis fehlen oder gering sind und 
nicht bemerkt werden, kann nach dem oft schnellen Verschwinden 
der arteriellen Hypertension beim Vorhandensein zystitischer oder pye- 
litischer Beschwerden eine Verwechslung mit einer katarrhalischen 
Erkrankung der Harnwege und ein Uebersehen der Hauptkfankheit 
leicht Vorkommen, besonders dann, wenn die Zylindrurie fehlt. 
Einige Male klagten Soldaten mit sicherer Feldnephritis über ein¬ 
seitige Nierenschmerzen, die vielleicht auf herdförmige, auf dem 
Boden der diffusen Glomerulonephritis entstandene Veränderungen in 
einer Niere zurückzuführen waren. Solche einseitige Kreuzschmerzen 
können unter Umständen bei kurzer Untersuchung das Uebersehen 
einer Nephritis und die alleinige Annahme einer Pyelitis zur Folge 
haben. Ich möchte noch erwähnen, dass ein grosser Teil der Feld¬ 
nephritiden mit subjektiven zystopyelitischen Symptomen keine ob¬ 
jektiven Zeichen von Blasen- oder Nierenbeckenentzündung zeigten, 
wenigstens nicht während der Zeit, in der ich sie beobachten konnte. 
Ich hatte nicht Gelegenheit, Feldnephritiden von Anfang an während 
des ganzen Verlaufs zu sehen und kann deshalb die Frage nicht 
entscheiden, ob bei den genannten Fällen dauernd ausser den sub¬ 
jektiven keine objektiven Symptome von Zystopyelitis bestanden. 
Immerhin scheint es mir wahrscheinlich, dass das nicht selten zutrifft. 


”) Die Nephritiden. Berlin 1916. 

UNIVERSUM OF CALIFORNIA 




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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 51. 


Zwerchfellschiisse und Zwerchfellhernien*). 

Von Stabsarzt Prof. Obe rndorfer-München, früher Armee¬ 
pathologe, jetzt Facharzt für Pathologie an der militärärztl. 
Akademie München. 

Zu den schwersten inneren Schussverletzungen gehören Durch¬ 
bohrungen und Zerreissungen des Zwerchfells, denn einesteils liegen 
dem Zwerchfell grosse blutreiche Organe dicht an, wie die Lungen, 
das Herz, die Leber, die Milz, die bei Zwerchfellverletzungen in der 
Mehrzahl der Fälle mitbetroffen werden und zu lebensbedrohenden 
Blutungen Anlass 1 geben; andernteils wird bei dem grossen Druck¬ 
unterschied, der zwischen Brust- und Bauchhöhle besteht, bei einiger- 
massen grossen Zwerchfelldefekten immer die Gefahr bestehen, dass 
die Bauchorgane durch die neu geschaffene Oeffnung in die Brust¬ 
höhle teils aspiriert, teils durch die Bauchpresse gedrückt werden. 
Letztere Komplikationen bei Zwerchfellschüssen der rechten Seite sind 
geringer, da die grosse Leber gew issermassen die Wunde tamponiert 
und sich schützend vor den Defekt legt. Nur bei ganz grossen 
Zwerchfellzerreissungen der rechten Seite kann ein Vorfall des gan¬ 
zen Organs in die Pleura beobachtet werden. Derartige Verletzungen 
sind ausnahmslos sofort tödlich. 

Aus zahlreichen Beobachtungen von Zwerchfellschüssen greife 
ich 6 Fälle heraus, an denen die einzelnen Formen, die Folgen, bei den 
länger am Leben gebliebenen Fällen auch die klinischen Erschei¬ 
nungen besprochen werden sollen. 

1. 313/16. Granatsplitterverletzung der rechten Brustseite, der 
Splitter nahm seinen Weg vom rechten Brustbeinrand, neben dem 
Ansatz der 6. Rippe, durchschlug den rechten Leberlappen, das 
Zwerchfell, den rechten Lungenunterlappen in dessen hinterem Teil 
er schliesslich stecken blieb. Als einziges Symptom bestand im An¬ 
fang leichtes Blutspucken, bis 10 Tage nach der Verletzung aus der 
ungefähr einmarkstiickgrossen Oeffnung der parasternalen Einschuss¬ 
wunde eine abundante Blutung erfolgte. Diese wiederholte sich 
11 Tage später und führte also am 21. Tage nach der Verwundung 
zum tödlichen Ausgang. Im ganzen überlebte der Verwundete seine 
Schiissverletzung um 22 Tage. 



Fig. 1. S. 313/16. Verw. 27. VIII. 16, t 18. IX. 16. Oranatsplitter (Tod durch Ver¬ 
blutung nach aussen). Lungen-Leberschuss (Steckschuss, Zertrümmerung des rechten 
Leberlappens mit Abhäutung und Aufre ssung der Leberkapsel. 

Die Sektion zeigte eine über faustgrosse Zertrümmerungshöhle 
der Kuppe des rethten Leberlappens, die durch ein festes, geschich¬ 
tetes Blutgerinnsel, in das Lebertrümmer eingebacken w r aren, voll¬ 
ständig ausgefüllt war. Das Blutgerinnsel liess sich als fester Kör¬ 
per im ganzen aus der Zertrümmerungshöhle herausheben, war nur 
mit dem Zwerchfell in festere Verbindung getreten. Nach abwärts 
vom Zertrümmerungherd der Leber war die Kapsel der Vorderflächc 
in ganzer Ausdehnung abgehäutet, lag taschenartig zusammengefaltet 
nahe dem scharfen Rand; in der so gebildeten Tasche lag ein wei¬ 
teres, handgrosses und -dickes Blutgerinnsel. Das Zwerchfell wer 
über der Leberkuppe in Zweimarkstückgrösse eingerissen, an den 


*) Nach einem Vortrag im Aerztlichen Verein München. 

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Defekt legte sich die mit dem Zwerchfell im ganzen frisch verklebte 
Basis der rechten Lunge. Die Verblutung erfolgte von der Leber- 
wunde direkt nach ausseif durch die Einschussw'unde (s. Fig. 1). 

Hier liegt also bereits der Beginn der Spontanheilung der 
Zwerchfellücke vor, die durch die tödliche Blutung unterbrochen 
wurde. Die Leberwuinde ist mit dem festen Blutgerinnsel tamponiert, 
der Zwerchfelldefekt teils durch das Leberblutgerinnsel, teils durch 
die Lunge abgedeckt, eine freie Verbindung zwischen Brust- und 
Bauchhöhle ist nicht mehr vorhanden. Ein derartiger Verlauf, der 
zur vollständigen Heilung führen kann — rechts bilden sich dabei 
manchmal GaJlcnfisteln in die Pleura aus — ist bei Schussverletzungen 
der rechten-Seite häufig, der linken Seite selten. Allerdings kleinere 
Verletzungen, ungefähr bis Pfennigstückgrösse, können auch hier 
nahezu symptomlos verlaufen und ausheilen, so dass es nach einer 
Woche bereits schwer sein kann, die Schussöffnung überhaupt noch* 
zu finden, ln manchen Fällen sieht man bei solch kleinen Schuss¬ 
löchern, dass das grosse Netz sich hinschiebt, mit dem Lochrand 
verklebt, den Defekt ausstoprt. verschliesst, wie überhaupt das grosse 
Netz das Leitband zu sein scheint, das sich zuerst dem Zw r erchfell- 
riss nähert und die anderen Bauchorgane nach sich zieht. Bei grösse¬ 
ren Verletzungen kommt es nahezu regelmässig zum Uebertritt von 
Bauchorganen in die Brusthöhle, dabei muss aber das grosse Netz 
nicht immer mit in die Brusthöhle verlagert werden. 

2. 365/17. Infantericschussverletzung, Nahschuss, sofortiger Tod 
Der Einschuss fand sich 6 cm unterhalb der linken Mamilla; der 
Schusskanal verläuft nach 
Zertrümmerung des 6. Rip¬ 
penknorpels in gerader Rich¬ 
tung nach hinten, den Aus¬ 
schuss bildet eine tiberhand- 
tellergrosse Wunde, hand¬ 
breit neben der Wirbelsäule, 
in deren Grund Trümmer 
der 10. und 11. Ripe liegen. 

Das Projektil hat den un¬ 
teren Teil beider Herzkam¬ 
mern. den linken Lungen¬ 
unterlappen, das Zwerchfell 
nahe der Mittlellinie, den 
linken Leberlappen, oberen 
Teil des Fundus des Magens, 
oberen Milz- und oberen Pol 
der linken Niere, schliess¬ 
lich wiederum den äusseren 
Teil der linken Zwerchfell¬ 
hälfte durchbohrt; diese 
zweite Zw'erchfellwunde ist 
überhandtellergross, durch 
sie ist ein Teil des grossen 
Netzes mit einigen Fetzen 
des durchschossenen Magen¬ 
fundus und der grösste Teil 
der Milz in die Brusthöhle 
vorgefallen. Der obere Teil 
der Milz ragt aus der Aus¬ 
schusswunde vor; ausge¬ 
dehnte Blutung (2 Vs Liter) 
in die linke Brusthöhle, mässige Blutung, der Hauptsache nach vom 
durchschossenen linken Leberlappen herrührend, in die Bauchhöhle; 
starke Kompression der linken Lunge und Verdrängung des Herzens 
nach rechts (s. Fig. 2). 

Ist das Zwerchfellschusslöch verhältnismässig klein, so kann, 
und dies geschieht besonders bei Schüssen, die von unten nach oben, 
also von der Lendengegend zur Brust 'hin den Körper durchbohren, 
d*« Milz mitgerissen werden und durch eine Lücke, die selbst klei¬ 
ner als ihr Durchschnitt erscheint, eingepresst werden; kommt es da¬ 
bei nicht zum Uebertritt der ganzen Milz in die Pleura, so findet sich 
eine zirkuläre Einschnürung der Milz durch die sie fest umfassenden 
Zwcrchfellschussränder; die Milz kann so fest eingekeilt sein, dass 
die Lücke vollständig fest tamponiert wird, von uer ausgedehnten 
Blutung in die Pleura ist kein Tropfen in nie Bauchhöhle gelangt. 

Ein Beispiel dafür ist 

3. Fall 290/16. Der Schuss geht von der rechten Lendengegend 
unterhalb der 12. Rippe nach links oben, der Ausschuss findet sich 
unter dem unteren Winkel des linken Schulterblatts. Aus der finger¬ 
dicken Ausschusswunde strömt bei Rückenlage der Leiche im Strahl 
Blut aus und pfeift bei Kompression des Thorax Luft zischend aus; 
der Schusskanal führt schräg durch die untere Brustwirbelsäule, 
sprengt die Seitenfortsätze des 11. und 12. Brustwirbels ab. streift 
den Wirbelkanal, ohne das Rückenmark sichtbar zu verletzen, zer¬ 
trümmert den oberen Milzpol, reisst ein dreimarkstückgrosses Loch in 
die linke Zwerchfellhälfte, durchbohrt den unteren und hinteren Teil 
des linken Lungenunterlappens und frakturiert an der Ausschussstelle 
noch 9. und 10. Rippe. 

Die Einklemmung der Milz ist hiebei anscheinend so stark ge¬ 
wesen, dass die Blutung aus ihr infolge elastischer Ligatur durch 
die Zwerchfellrissränder vollständig sistierte. Auch dies kann ein 
Weg zur spontanen Heilung und zum definitiven Verschluss der Lücke 

Original from 

UMIVERSITY OF CALIFORNIA 



17. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1427 



durch Verwachsung der Milz mit dem Zwerchfell werden. Auch hier 
findet sich infolge des Hämopneumothorax die linke Lunge höchst- 
gradig komprimiert, an die Wirbelsäule liingepresst, dias ganze 

Mediastinum, sowie das 
Herz werden wie im 
vorigen Falle stark 
nach rechts verscho¬ 
ben (s. Fig. 3). 

Bei solcherinassen 
traumatisch entstan¬ 
denen Verlagerungen 
von Bauchdrganen in 
die Brusthöhle wird ge¬ 
wöhnlich von Zwerch¬ 
fellhernien gesprochen. 
Der Ausdruck ist un¬ 
richtig, da wir unter 
Hernien Vorstülpungen 
des Bauchfells mit Ein¬ 
schluss von Bauch¬ 
organen verstehen. Es 
ist demnach besser, hier 
von falschen Zwerch¬ 
fellhernien oder noch 
besser von Prolapsen 
der Bauchorgane in die 
Brusthöhle zu sprechen. 

Die Milz ist das 
Organ, das sich fast 
regelmässig, selten 
allein, meist mit an¬ 
deren Organen, bei 
Zwerchfellschüssen in 
die Brusthöhle vor¬ 
drängt, das auch in 
der Mehrzahl der Fälle 
selbst mit durchschos¬ 
sen wird, dann hat der 
Magen die grösste 
Neigung, in die Brust- 
* höhle zu gleiten. 

4. 83/16. Der Schusskanal verlief hier von der linken Seite des 
5. Brustwirbels nach Durchbohrung des linken Lungenlappens zur 
Mitte der linken Lendengegend, reisst auf seinem Wege das Zwerch¬ 
fell auf, ebenso die Milz und das linke Kolonknie. Durch die 
dreimarkstückgrosse Oeffnung des Zwerchfells schiebt sich die ganze 


Fg. 3 S. 290/16. Infantei ie-Rückenmark-Zwerclifell Milz- 
Lungenschuss. Prolaps der Milzhälfte in die Pleu-a. 
Häniothorax links. 


die von der Milz herrührende mächtige Blutung ist in der linken 
Pleura abgeschlossen. Der Tod trtt hier infolge der Verblutung nach 
12 Stunden auf (s. Fig. 4). 

Bei Verschiebung des Magens in die Pleura muss der unterste 
Oesophagus bzw. die Kardia eine starke Verschiebung erfahren, da 
ihre Mündung in den Magen dann oberhalb des Zwerchfells erfolgt. 
Diese Verhältnisse sind im folgenden Fall deutlich, der auch, da das 
Bild in situ aufgenommen, die Verdrängung des Herzens deutlich 
macht. 

5. S. 1018/17. Minensplitterverletzung der linken Brustseite. 
Der Schusskanal verläuft unten und aussen von der linken Brust¬ 
warze nach hinten paravertebral zum 8. linken Interkostalraum, wer 
der Splitter stecken blieb. Der Ted erfolgte 24 Stunden später an 
Verblutung. Aui dem Wege wird, wie gewöhnlich, der linke Lungen¬ 
unterlappen durchbohrt, das Zwerchfell in Zweimarkstückgrösse auf¬ 
gerissen. Durdh die Zwerchielllücke ist der ganze Magen in die 
Brusthöhle gerutscht und liegt wie eine grosse, eiförmige Blase dem 
Zwerchfell auf. Die linke Lunge wird ganz zur Wirbelsäule 'hinge¬ 
presst, das Herz so stark nach rechts verdrängt, dass sein linker Rand 
dem rechten Sternalrande entspricht. Auch hier von der Lungenver¬ 
letzung her mächtige Blutung in die Pleura, auch hier ist durch die 
vollständige Tamponade der Lücke durch den Magen kein Tropfen Blut 



Fig. 4. S. 8306. Zwerchfellschuss, Magenprolaps, mit Magenstrangulation. 

kardiale Hälfte des Magens in die Brusthöhle vor und erscheint 
hier als mächtige Blase, die die linke Lunge stark nach oben und 
medial verschiebt, das Herz nach rechts vedrängt. Mit dem Magen 
ist die zerfetzte Milz, ein grosser Teil des grossen Netzes, das auch 
hier teilweise die Zwerchfellwunde auskleidet, in die Pleura ver¬ 
lagert. Auch hier ist die Zwerchfelllücke vollständig tamponiert, 

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Fig. 5. 10IS/17. Minensplitler-Verletzung linker Brustseite 19. XI. 17, 

+ 20 X! 17. Einschuss 3 Querhinjer nach unten und aussen von linker 
Brustwarze. Splitter steckt im S. I -Raum nahe Wirbelsäule. L. Unter¬ 
lappen durchschossen. Grosses Hämatom der I. Pleurahöhle. Vorfall 
des Magens. 

in die Bauchhöhle gesickert (s. Fig. 5). Lösen wir den Dick- und 
Dünndarm vom Mesenterium ab. um von unten her die Lücke des 
Zwerchfells genau übersehen zu können, so beobachtet man, wie 
direkt nach seinem Zwerchfelldurchtritt der Oesophagus im spitzen 
Winkel sich nach aufwärts wendet, durch die neugeschaffene Zwerch¬ 
felllücke durch tritt und gleich jenseits desselben in den Magen über¬ 
leitet. Ein zweiter, schmaler Strang geht vom Magen in die Bauch¬ 
höhle, das Duodenum. Der Pylorus liegt noch oberhalb des Zwerch¬ 
fells. Beide Schläuche sind fest in die Lücke eingeklemmt (s. Fig. 6). 
Man kann verstehen, dass in solchen Fällen das Erbrechen, das sonst 
bei Einklemmungen das bemerkenswerteste Symptom ist, vollständig 
fehlen kann, weil weder aus dem Duodenum in den Magen, noch aus 
dem Magen in die Speiseröhre bei starker Zusammenpressung beider 
Schläuche Flüssigkeit gepresst werden kann, dass in solchen Fällen 
die bei Uebertritt des Magens in die Brusthöhle zu beobachtenden 
physikalischen Befunde einen Pyopneumothorax links Vortäuschen 
können. 

In all. den Fällen, die bisher besprochen sind, trat der 

Tod innerhalb der ersten 24 Stunden ein. ausgenommen der 
1. Fall. Der Tod war immer Verblutungstod. Ein operativer 
Eingriff war in sämtlichen Fällen unmöglich. Doch kommen 

auch bei grösseren Lücken scheinbare Spontanheilungen vor, 
allerdings bleibt dabei die Gefahr der offenen Lücke auch für später 
bestehen. Die Intervalle zwischen Schussverletzung und Einklem¬ 
mungserscheinungen durch die Lücke können sehr grosse sein; dafür 

* Original fram 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 51. 



Fi*. 6. s .*1018/17. Magenprolaps; über dem Zwerchfell stehende Majjmb'asc 
bei Zwerchfelldurchschuss (Lungen und Herz entfernt). 

ZAvei weitere, wohl seltene Beobachtungen, bei denen auch Stö¬ 
rungen plötzlich einsetzten und unter den stürmischsten Erscheinungen 
in kürzester Zeit den Tod herbeiführten. 

6. S. 72/16. Vor einem Jahre Verletzung durch einen Fliegcr- 
bornbensplitter auf der linken Brustseite. Nähere Angaben über 
die damals bestehenden Erscheinungen und den Verlauf der Heilung 
fehlen. Es ist nur bekannt, dass der Mann nach längerer Lazarett¬ 
behandlung als k. v. wieder ins Feld und zwar zu einer Feldbäckerei- 
kolonne kam. Mitten in der Arbeit befällt ihn plötzlich starkes Un¬ 
wohlsein, er wird rasch in das benachbarte Feldlararett gebracht, in 
dem er stirbt. Kein Erbrechen vorher; im ganzen dauert die Er¬ 
krankung wenige Stunden. Die Sektion ergab folgenden über¬ 
raschenden Befund: In der Bauchhöhle anscheinend normale Lage 
der Organe. Die DarmschÜngen zeigen oberflächlichen eitrigen Belag, 
also beginnende Peritonitis. Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass 
der Magen fest am Zwerchfell fixiert ist und seine Fundusregion 
fehlt. Die Eröffnung der Brusthöhle zeigt folgende Verhältnisse; Die 
linke Lunge ist vollständig zusammen gesunken, neben freiem Oas 
findet sich in ihr über 1 Liter schockoladebrauner, sauer riechender 
Flüssigkeit, die Pleura ist leicht angedaut, ein Befund, wie er bei 
der postmortalen Selbstverdauung des Magens und Durchbruch des 
Mageninhaltes durchs Zwerchfell in die Pleura nicht selten ist. Im 
Komplementärraum links unten findet sich mächtige Schwartenbildung, 
die bis zum lateralen Rand eines handtellergrossen, kreisrunden, von 
kallösen Rändern umgebenden Defektes der linken Zwerchfellhälfte 
reicht. In die Pleura ragen aus der Lücke fetzenartige Gewebsteile 
hinein, die am Lückenrand aussen mit dem Zwerchfell fester ver¬ 
wachsen sind. Ausserhalb dieser Fetzen sind noch mehrere solide, 
runde, an der Zwerchfelllückc fest adhärente Stränge zu beob¬ 
achten, die sich in die Bauchhöhle fortsetzen und hier in das zu- 
sammengedrehte grosse Netz übergehen. Von dem mit den Fetzen 
ausgekleideten Zwerchfellloch gelangt man in den subdiaphragmatisch 
liegenden Magenrest. Zu erwähnen ist noch, dass innerhalb der 
Schwarten, die den Komplementärraum ausfüllen, eine kleine Eiter¬ 
höhle liegt, in der^ ein kleiner Granatsplitter eingebettet ist. Der 
Magen ist also offenbar in die Brusthöhle eingetreten, wurde im 
Zwerchfell eingeklemmt, hämorrhagisch infarziert. perforierte und 
hat seinen Inhalt in die Brusthöhle ergossen (s. Fig. 7). 

Nach dem ganzen Befund kann kein Zweifel bestehen, dass cs 
sich hier um einen alten Zwerchfellschuss handelt, der lange Zeit 
ohne Erscheinungen blieb bis plötzlich der z. T. mit der Lücke ver¬ 
wachsene Fundus des Magens sich stärker in die Brusthöhle vor¬ 
wölbte und hier die schweren, auf die Inkarzeration hindeutenden 
Erscheinungen herbeiführte. Die Abklcmmung von Oesophagus und 
Duodenum war eine vollständige, da nicht einmal Erbrechen ein- 
treten' konnte. Die Inkarzeration mit der Gangrän des Magens ist 
sicher keine postmortale, da dagegen mit aller Sicherheit die peri¬ 
toneale beginnende Eiterauflagerung spricht. 

Alle bisher beschriebenen Fälle, die im allgemeinen als Zwerch¬ 
fellhernien bezeichnet werden, gehören, wie schon eingangs erwähnt 
worden ist. nicht zu den echten Hernien. Es sind vielmehr Prolapse 
von Baucheingeweiden in die Brusthöhle bei Zwerchfelldefekt. Sie 
bilden Analoga zu den angeborenen Ektopien von Bauchorganen in 
die Brusthöhle bei NiChtausbiklung des Zw-erchfells Echte Hernien 
verlangen hingegen die Ausstülpung des peritonealen Sackes, in diesem 
Falle Vorstülpung des Peritoneums mit den in ihm enthaltenen Bauch- 

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organeil in die Brusthöhle. Auch solche Hernien können angeboren 
sein, ihre Entstehungszeit liegt dann etwas später als die der kon¬ 
genitalen Ektopie, da in der Zeit ihrer Anlage die Coelomhöhle 
Gegensatz zu oben schon geteilt sein muss. Sie entstehen durch un¬ 
genügende Ausbildung der Zwerchfellmuskelmasse an einer Stelle, 
wodurch sich dort ein Ort geringeren Widerstandes bildet. Sollen bei 
Schussverletzungen echte traumatische Hernien entstehen, so müssen 
die kongenitalen Vorbedingungen erfüllt sein, der Muskelteil des 



rlg. 7. S. 72. Zwerchfellschuss, Magenprolapij, Einklemmung des 
Magens. Gangraen, Perforation ln Pleura. 

Zwerchfells muss eine zirkumskripte Schwächung erfahren. Es liest 
in der Natur der Sache, dass solche echte, traumatische^ Zwerchfell- 
•hernien zu den grössten Seltenheiten gehören müssen, ‘da sie eine 
Schädigung des Muskels bei vollständiger Schonung seines peri¬ 
tonealen Ueberzuges voraussetzen, auch bedürfen sic längere Zeit 
zur Ausbildung des Bruchsackes. Einen einzigstehenden Fall der Art 
konnte ich beobachten: 

Fall 7. 370/16. 22 jähriger Soldat, erlitt vor längerer Zeit — 

genaue Angaben hierüber fehlen — einen Schrapnellschuss der linken 
Brustseite, der vollständig und anscheinend symptomlos ausheilte. 
Der Mann wurde als k. v. entlassen und tat ;wieder Dienst im 
Schützengraben. Er erkrankte plötzlich mit Brechen, Frost, starkem 
Leibschmerz, Luftaufstossen und wurde deshalb unter der Diagnose 
„hartnäckiger Magenkatarrh“ dem Feldlazarett überwiesen. Es wurde 
weiterhin die Angabe gemacht, dass er seit der früheren Schussver¬ 
letzung immer an Husten gelitten habe. Die klinische Untersuchung 
ergab starke Verschiebung des Herzens nach rechts, links war eine 
Dämpfung nicht mehr nachzuweisen, auch der Herzstoss w'urde rechts 
vom Sternum gefühlt, das Epigastrium war leicht aufgetrieben, druck¬ 
empfindlich; am nächsten Tage stellte sich starkes Erbrechen von 
schwarzen, dünnflüssigen Massen ein, trotzdem wurde noch Nahrung 
aufgenommen. Die Darmentleerung stockte vollständig. Es wurde 
die Diagnose auf Strangulationsileus gestellt,-unter zunehmendem Er¬ 
brechen trat der Tod ein. 

Bei Eröffnung der Bauchhöhle fehlte der Magen vollständig. Da¬ 
gegen zeigte die linke Brusthöhle eine sie selbst fast vollständig aus¬ 
füllende, iibermannskopfgrosse Blase, die die Lunge stark nach rechts 
und oben verdrängte, das Herz ganz auf die rechte Seite schob. Nach 
Eröffnen dieser Blase zeigt sich als ihr Inhalt der stark gefüllte, durch 
Gas aufgetriebene Magen mit einem grossen Teil des grossen Netzes 
und dem grössten Teil der Bauchspeicheldrüse, die also in die Brust¬ 
höhle verlagert waren, aber gegen die Lunge durch den vorhin be¬ 
schriebenen Sack, der sie umhüllte. abgegi;enzt war. Zieht man der 
Magen etwas nach oben, so erblickt man in der linken Zwerchfell¬ 
hälfte ein fünfmarksttickgrosses. kreisrundes, derbes Loch. Die 
sackartige Umhüllung des Magens kleidet das Loch aus und setzt sich 
in das parietale Peritoneum der Bauchhöhle fort. Im Loch verlaufen 
2 Schläuche, unterster Oesophagus mit Kardia und Duodenum, hu 
Magen sind 2 X A Liter schwärzlicher Flüssigkeit, offenbar verändertes 
Blut, enthalten (s. Fig. 8). 

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17. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1429 



Füg. 8. S. 370/16. Echte Zwerchfellhernie mit Peritonealausstülpung, „alter 
Scnrapntllbrustschuss“. Unter Einklemmungserscheinungen 22. X. 16 erkrankt, 

2. XI. 16 t. 

Nach dem ganzen Befund handelte es sicli um eine sackartige 
Vorstülpung des Peritoneums durch eine Lücke in der Zwerchfell¬ 
muskulatur in die linke Pleurahöhle, also eine echte diaphragmatische 
Hernie. Die Hernie ist sicher traumatischen Ursprunges, denn der 
ursprüngliche Schusskanal (noch kenntlich au der Ein- und Aus¬ 
schussnarbe, Einschuss vertebral auf der Höhe des 2. Brustwirbels 
links, Ausschuss Höhe des 8. Brustwirbels links) musste das Zwerch¬ 
fell getroffen haben. Das Zwerchfell ist durch den Streifschuss 
rinnenförmig aufgerissen worden, ohne Peritonealverletzung, und an 
diesem Ort, der der widerstandsfähigen Muskelplatte beraubt war, 
hat sich unter dem dauernden intraabdominalen Druck das Peri¬ 
toneum vorgebuchtet und vorgeschoben; mit ihm der dieser Stelle 
anliegende Magen, bis schliesslich der ganze Magen durchgetreten 
war und die Einklemimirrgserscheinungen eintraten. Die Einklem¬ 
mung war aber nicht so hochgradig wie im vorhergehenden Falle, 
da Kardia und Oesophagus noch passierbar waren, aber gross genug, 
um starke Stauung und Blutdiapedese im Magen auszulösen. Auf 
vollständigen Verschluss des Pylorus bzw. des Duodenums deutet 
allerdings das vollständige Sistieren der Darmtätigkeit hin. 

Die beiden Fälle, die längere Zeit gelebt haben, waren intra 
vitam nicht diagnostiziert worden. Die Diagnose ist auch tatsächlich 
ein schweres Problem, wenn nicht eine Röntgenuntersuchung zur 
Verfügung steht, die mit einem Schlage die Ursache der so starken 
Verdrängung des Herzens nach rechts aufklärt. Die häufigste Dia¬ 
gnose, die ohne Röntgen gestellt w'ird, ist die des Pneumothorax. Ich 
erinnere mich eines Falles aus dein Friedensmaterial, in dem bei 
falscher ZwenchfelPhernie eben die Punktion des vermeintlichen 
Pleuraempyems vorgenommen werden sollte, als der Tod eintrat. 

Die beiden letzten Fälle sind deshalb besonders lehrreich, w'eil 
sie mahnen, bei allen Verletzungen der seitlichen unteren Thoraxwand 
an die mögliche Komplikation des Zw r erchfellrisses zu denken, wenn 
auch darauf hinweisende Anfangserscheinungen völlig fehlen. In 
beiden Fällen hätte eine genaue Röntgenkontrolle die schwere Zw'erch- 
fellschädigung aufgedeckt und hätte bei beiden den lebensrettenden 
Eingriff rechtzeitig veranlassen können. 


Aus dem I. Festungslazarett zu Strassburg i/E. 

(Prof. Dr. Quieke.) 

lieber traumatische Eventration des Magens in die 
linke Brusthöhle, unter dem klinischen Bilde des 
Spannungspneumothorax*). — 

Von Dr. W. Jehn-München und Dr. Th. Naegeli-Bonn- 

Immer zahlreicher werden die Mitteilungen über Beobachtungen 
und Operationen von chronischen Zwerchfellhernien nach Schuss¬ 
verletzungen (v. B o n i n, Eis, Hess, R o d s, R o e m h e I d, 
Ranft, Schmidt, Wieting-Pascha u. v. a.). Dabei stehen 
meist Erscheinungen von seiten des Magen-Darmtraktus im Vorder¬ 
grund des klinischen Interesses. Das Krankheitsbild ist auch leicht 
zu erklären, wenn man sich vorstellt, dass durch ein grosses Loch 

°) Aus äusseren Gründen Erscheinen verzögert. 


des Zwerchfells Baucheingew'eide in die Brusthöhle eintreten und 
dort festgehalten werden. Besonders durch narbige Schrumpfungen 
der Rissränder kommt es leicht zu einem festen starren Ring im 
Zwerchfell, durch den Magen/ Darm etc. wie durch einen Bruchring 
umschnürt und dadurch am Zurückgleiten verhindert werden. Nicht 
selten sind sogar richtige Einklemmungen mit Ileus, die Monate nach 
erfolgter Verwundung plötzlich auftreten, wie uns Beobachtungen 
von Wieting-Pascha, N o b e u. a. zeigen. In den meisten 
Fällen handelt es sich um Spätfolgen bzw. um Endzustände, 
also um dauernde, lange bestehende Verlagerung des Magens in die 
linke Brusthöhle, ein Zustand, der als chronische trauma¬ 
tische Zwerchfellhernie bezeichnet wird. 

Zweck dieser Zeilen ist es, kurz auf einen anderen Symptomen- 
komplex hinzuweisen, wie er als Frühstadiu m nach Zwerch- 
fellschussverletzungen vorkommt. Hier stehen die Störungen von 
seiten des Zirkulations- una Respirationssystems im Vordergründe. 

Wir sind in der Lage, aus der Zeit gemeinsamer Arbeit am 

I. Eestungslazarett zu Strassburg einen solchen Fall von Brustzw^erch- 
fellschuss mit Eventration des Magens und Blinddarms in die linke 
Brusthöhle zu beschreiben, wo die. schweren klinischen Erschei¬ 
nungen erst durch der. Sektionsbefund erklärt wurden. 

Soweit wir unterrichtet sind, liegt bisher nur ein Bericht von 
Borst über eine ähnliche von v. Bomhardt behandelte Ver¬ 
letzung vor. Borst berichtete im Herbst 1914 auf einem der „Liller 
Kriegsabendc“ über den pathologisch-anatomischen Befund einer 
solchen traumatischen Mageneventration. 

Zunächst der Bericht unseres Falles:- 

Der Infanterist Z. wird am 15. IX. 14 durch Schrapnellschuss in 
die linke Brust verwundet: starke Hämoptoe. Nachdem er 10 Stun¬ 
den draussen gelegen, kommt er, etwa 15 Stunden nach der Ver¬ 
letzung ins Lazarett. 

Befund: Sehr schwerer Allge¬ 
meinzustand. Zyanose. Dyspnoe, Press¬ 
atmung, Kollaps. Puls 140. 

Einschuss dreiquerfingerbreit inner¬ 
halb der 1. Mamillarlinie in Höhe der 

II. Rippe. Ausschuss am Rippenbogen 

in vorderer Axillarlinie. Linke Thorax¬ 
seite in maximalster Inspirationsstellung, 
rechte forciert atmend. Laute Tym- 
panie der ganzen linken Brustseite bis 
zur II. Rippe und Mitte Sternum. Atem- ... 
geräusch hier aufgehoben, darüber Korn- 
pressionsatmen (Fig. 1). Herz: maximal 7 ' 

nach rechts verdrängt. Spitzenstoss in 
r. Mamillarlinie, im Bereich der Dämp¬ 
fungslinie hochgradige Pulsationen. 

Puls: Klein, 140. 

Diagnose: Lungenschuss mit 

schwerster Mediastinalverdrängung. 

Therapie: Sofort Morphium, 

Kampfer, Digalen und Sauerstoff, Punk¬ 
tion der linken Pleura; man aspiriert 
etwas Luft. Der Zustand des Patienten 
bessert sich nur wenig und vorüber¬ 
gehend. 

Verla ui: Noch während der Besprechung, ob trotz des 
schweren Allgemeinzustandes ein grösserer operativer Eingriff, die 
Thorakotomie, vorgenommen w r erden soll, stirbt der. Patient. 

Sektion (Dr. J e h n): Stark zyanotische Leiche. Ein- und 
Ausschuss am Thorax, wie klinisch festgestellt. Linke Thoraxseite 
maximal vorgewölbt. Interkostalräume verstrichen. Kein Haut¬ 
emphysem. 


Lunge 



Fig. I. Perkussionsschema 
(Spannungspneumothorax mit 
Herzverlagerung). 



Leber„ 


Fig. 2. Halbschematische Darstellung des Sektionsbefundes. 

Es zeigt sich, dass fast der ganze linke Brustfellraum den 
maximal geblähten, schwer gestauten Magen enthält. Dicht daneben 
findet sich im Komplementärraum eine Kolonschlinge und lateral 
davon, fest an die Brustwand angedrängt, die schwer gestaute Milz 
(Fig. 2). 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5l. 


Die Pleurakuppe enthält die maximal komprimierte linke luft¬ 
leere Lunge. Diese zeigt einen Durchschuss durch den vordersten 
Teil ihres linken Unterlappens. 

Das Mediastinum ist sehr stark nach rechts verdrängt, derart, 
dass die Trachea nach rechts verlagert, vor allem aber das in 
allen Teilen gestaute Herz weit über die Mittellinie hinaus nach 
rechts verschoben ist. (Fig. 2.) 

Die rechte Lunge ist etwas gebläht und gestaut. 

'Nach vorsichtigem, etwas erschwertem Herausziehen des Ma¬ 
gens aus einem durch Fingerpalpation von der linken Pleura aus 
iestgestellten Zwerchfellriss, rückt allmählich das Herz wieder in 
seine normale Lage. 

Die in die Bauchhöhle % reponierten Eingeweide sind stark ge¬ 
staut, aber unverletzt. 

Das Zwerchfell zeigt einen etwa 8 cm langen, schlitzförmi¬ 
gen, seinem Faserverlauf parallel gerichteten Riss, der dicht am Herz¬ 
beutel beginnt und nach vorn zu in der Richtung des Komplementär¬ 
raumes verläuft. 

Die Erklärung des klinischen Bildes war also durch den über¬ 
raschenden Autopsiebefund gegeben, der Irrtum in der Diagnose da¬ 
mit entschuldigt. 

Das Geschoss hatte die vordere Brustwand, dann den Unter¬ 
lappen der linken Lunge durchschlagen. Das Zwerchfell tangential 
aufgerissen und am vorderen Rippenbogen seitlich den Thorax vet* 
lassen. Der Magen, ein Teil des Kolon sowie die Milz wären in der 
Hauptsache durch den intraabdominellen Druck, der besonders durch 
die schnell einsetzende Pressatmung sich steigerte, in die Brusthöhle 
hineingetrieben worden. Infolge der dadurch bedingten Raum¬ 
beengung im Thorax kam es zur Steigerung der Atemnot, die ihrer¬ 
seits eine vermehrte Pressatmung zur Folge hatte — also ein Circulus 
vitiosus schlimmster Art. So ist es erklärlich, dass schliesslich der 
ganze Magen in die Pleurahöhle hineingedrängt wurde. Die Folgen 
dieses Zustandes sind rein mechanisch einfach zu erklären. Jede ein¬ 
seitige Drucksteigerung innerhalb des Brustraumes äussert sich kli¬ 
nisch am prägnantesten im Verhalten des Mediastinums. Wie beim 
Spannungspneumothorax durch Gas, bei grosser Exsudation durch 
Flüssigkeit, so wurde in unserem Fall das zarte, leicht bewegliche 
Mittelfell durch den geblähten Magen, Dickdarm und Milz sb stärk 
verdrängt, dass schliesslich ein Zustand entstand* der mit dem 
Leben nicht mehr vereinbar war. Diese starke Mediastinalverdrän- 
gung, wie wir sie nach Lungenverletzungen am häufigsten unter dem 
Bilde des Spannungspneumothorax sehen, erklärt bei Berücksichtig 
gung des klinischen Bildes und Verlaufes die irrtümlich gestellte kli¬ 
nische Diagnose. 

Wäre die richtige Diagnose: Mediastinalverdrängung 
durch traumatische Eventration des Magens in 
die linke Pleurahöhle erwogen bezw. gestellt worden, so 
hätte vielleicht die sofort unter Druckdifferenz ausgeführte Thorako¬ 
tomie mit Reposition der verlagerten Bauchorgane und Naht der 
Lungenwunde und des Zwerchfelloches zur Heilung geführt. 

Dass die Punktion, die beim Spannungspneumothorax stets 
wenigstens momentan den schweren Zustand behebt, bei unserem 
Fall fast nutzlos blieb, lässt sich retrospektiv für die Diagnose einer 
„andersartigen“ Mediastinalverdrängung verwerten. 

Bemerkenswert ist es, dass solche Verletzungen auch als» sog. 
subkutane Zwerchfellrupturen Vorkommen. So berichtet Sauer¬ 
bruch in Lille von einem 32 jährigen Offizier, der, im Schützen¬ 
graben verschüttet, in schwerstem Kollaps mit Zyanose, kaum fühl¬ 
barem Puls, eigentümlich pressender Exspiration, stossweiser ober¬ 
flächlicher Inspiration eingeliefert wurde. Auf der ganzen linken 
Seite fand sich hochgradige Tympanie, so dass die Diagnose auf 
Lungenruptur mit Spannungspneumothorax gestellt wurde. Bei der 
Sektion fand sich ein gewaltiger Riss des Zwerchfells, durch den der 
stark geblähte Magen in den Pleuraraum getreten. Also auch hier 
klinisch das Bild des Spannungspneumothorax. Eine ähnliche Be¬ 
obachtung eines Friedensverletzten bei einem 19 jährigen Bergmann 
teilt Rittershaus mit: Plötzlicher Tod wenige Stunden nach der 
Aufnahme durch starke Herz- und Gefässverdrängung infolge Pro¬ 
lapses von Magen und Colon transversum durch Zwerchfellriss in 
die Brusthöhle. 

Die Mehrzahl dieser an sich ziemlich seltenen, aber schweren 
Verletzungen wird, falls nicht frühzeitig die richtige Diagnose ge¬ 
stellt, vor allem der notwendige chirurgische Eingriff vorgenommen, 
akut zugrunde gehen. Wichtig ist es deshalb, bei entsprechenden 
Fällen an die Möglichkeit von Mediastinalverdrängung obiger Art 
zu denken. Im Gegensatz zu der grossen Mehrzahl beobachteter 
Zwerchfellschussverletzungen, die im S p ä t s t a d i u m Monate, ja 
Jahre nach der Verwundung wegen verschiedenster Beschwerden 
operiert werden, da die Indikation zur Operation selten eine vitale 
ist, handelt es sich hier um frisch Verwundete, wo nur die 
sofortige Operation das Leben retten kann. 


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« Aus einem bayerischen Feldlazarett. 

| Eingeklemmte Zwerchfellhernie nach alter Schuss- 
| Verletzung. 

i Von Dr. E. Seifert, Assistent der Chirurgischen Klinik 
Wiirzburg (Vorstand: Oeh. Rat Prof. Dr. Enderlen). 

Manche Zwerchfellläsion bei Stich- und Schussverletzung des 
| Rumpfes bleibt symptomlos; aber ihre Folgen nur selten harmlos: 

1 das Netz, welchem zwar -durch die rasche Defekttamponade die erste 
I Verklebung und Heilung der Zwerchfellverletzung zu verdanken ist, 
wird durch die Druckdifferenz Zwischen Pleura- und Perl ton ealrautn 
in die Brusthöhle gesogen; und derart kann mit der Zeit das eine 
1 oder andere Organ der Bauchhöhle — dem Netz als Leitband folgend 
I — durch den Zwerchfelldefekt, besonders der Unken Seite, gezwängt 
; werden. Es entsteht die Hernia diaphragmatlca “Spuria traumatica, 

I oder heiser: fein posttraumatischer Zwerchfellproläps. 

1 Ein solcher Vorgang känh aüf die Dauer nicht Unbemerkt bleiben. 

' denn die Organe der Brusthöhle werden verdrängt, verlagert, durch 
l Verwachsungen behihdert: subjektive Beschwerden Und objektivef 
j Befund an den Atem- und Zirkulationsorganen sind die Folge. We* 
niger eindeutig oft, aber weniger gleichgültig wird der krankhafte 
! Zustand für die beeinträchtigten Abdominalorgane sein; je nachdem, 
welche Teile befallen sind. Meistens werden Unklare dySpeptische 
Beschwerden geklagt; unter Umständen beherisehen dysphagische 
Störungen das Bild, wenn dfer Magen vorwiegend beteiligt ist. ist der 
Dickdarm prolabiert, so erscheinen zeitweilige RoliksehmefZeri, deren 
Ursache in der wechselnd starken Gas- und Kotfüllung des abge¬ 
schnürten Kolon und in der, hierdurch verstärkten Üurchgängigkeits- 
störuiig liegt. Diese Kolikschmerzen werden meist in das Epigastrium 
lokalisiert Und strahlen häufig nach links hin aus. . Zwischen solcheii 
Anfällen können längere, völlig beschwerdefr.eie Zeiten liegen. Ausser- 
' dem werden manchmal, besonders bei Beteiligung des N. phrenieüs, 
auffallende Schmerzen anr gleichseitigen Schlüsselbein und an der 
Schulter angegeben, die vom Patienten und vom Arzt fürs erste als 
„rheumatisch“ angesehen werden; sie finden ihre ungezwungene Er¬ 
klärung aber dadurch, dass wie der N. phrenicus auch die Nn. supra- 
claviculares ihren Ursprung aus der 3.—5. Wurzel des Zervikalmarkes 
nehmen. Hierdurch lässt sich die Irradiation verstehen. 

Während lange Zeit hindurch die geschilderten Schmerzanfälle 
und Beschwerden von seiten des Magendarmkanals wechseln mit 
Perioden des Wohlbefindens, kann eines Tages die seither gewohnte 
Besserung des Anfalls (spontan oder mit Hilfe innerer Mittel) aus- 
bleiben; die Zeichen -des Darmverschlusses treten rasch in den Vor¬ 
dergrund und können bald den Zustand bedrohlich erscheinen lassen: 
die Einklemmung des •Zwerchfellbruches, des Prolapses, ist einge¬ 
treten und verlangt alsbaldige Hilfe, die nur das Messer des Chirurgen 
bringen kann. Diese Einklemmung droht jedem, auch noch so harm¬ 
los erscheinenden, posttraumatischen Zwerchfellbruch und die nun 
vitale und absolute Indikation zur Operation verschlechtert natur- 
gemäss plötzlich die bisherige relativ günstige Prognose des Eingriffes. 

In -der Minderzahl der bisher beschriebenen Fälle ist die Diagnose 
! von eingeklemmten posttraumatischen Zwerchfellhernien prompt ge¬ 
stellt und ist der therapeutische Eingriff mit der notwendigen Be¬ 
schleunigung vorgenommen worden. 

Daher wird mit Recht von mancher Seite als erster Punkt der 
Diagnose aufgestellt: dass man überhaupt an die Erkrankung selbst 
„denke“. Einer Aufzählung und Besprechung der Fehldiagnosen be¬ 
darf es hier nicht, die bis in die jüngste Zeit bei Zwerchfcllbrüchen 
und ihrer Einklemmung gestellt wurden. 

Nennt die Anamnese eine überstandene penetrierende Brust¬ 
oder Brust-Bauch-Verletzung, erweiseh entsprechende Narben am 
Rumpf die Richtigkeit der Angabe, so ist stets ein eingeklemmter 
Zwerchfellbruch in den Bereich der Erwägungen zu ziehen, sobald 
anders nicht zwingend erklärbare lleUssymptome auftreten, zumal zu¬ 
sammen mit dyspnoischen Erscheinungen. Diesem Syndrom wird viel¬ 
fach Wert beigemessen. Die oben skizzierten typischen Schmerzen 
und der allenfallsige anamnestische Bericht über häufiger durch¬ 
gemachte zeitweilige Magendarmbeschwerden und -anfälle sind nicht 
zu unterschätzen. Vollendet wird die Diagnose durch einzelne wei¬ 
tere Umstände, wie sie z. B. für hohen (Mageneinklemmung) oder 
Kolon-Darm-Verschluss (Dickdarmeinklemmunv) bezeichnend sind: 
“ausserdem durch das Merkmal des im Anfangsstadium eher weich 
eingezogenen Leibes und des Vorherrschens von abdominalem Atem¬ 
typus. Erst später pflegt Meteorismus aufzutreten. Die Verände¬ 
rungen in der Brusthöhle machen sich objektiv bloss uncharakte¬ 
ristisch bemerkbar und sind nur selten für die Diagnose gut ver¬ 
wertbar. In manchen Fällen lassen sich Zonen von hoher Tympanie 
(gasgefüllter Darm) neben schall gedämpften Partien (Milz, Leber. 
Lungenatelektasen) nachwelsen. Das Herz kann verlagert sein Bei 
der Atmung schleppt oft die kranke Brusthälfte nach. Hie und da 
beobachtet man einen Tiefstand der gleichseitigen Schulter. 

Wertvoll ist stets das Röntgenbild, besonders die Aufnahme: 
wenn möglich mit Kontrastfüllung des Magens und des Enddarmes 
(Einlauf). Oftmals kann erst jetzt die Diagnose gestellt und gesichert 
werden. Ohne auf die Einzelheiten der in zahlreichen Literatur- 
berichten niedergelegten Befunde einzugehen, sei hervorgehoben, dass 
z. B. am Magen ein doppelter Flüssitfkeitsspiegel (bei sarahihriörmiger 
Einschnürung) gesehen werden kann, oder ein abnormer Flüssigkeits- 

Original ffom 

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17. Dezember i9i8. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1431 


Spiegel im hochstehenden prolabierten Dickdarm; ausserdem können 
grössere, helle, runde Lufträume das Bild des Brustraums verändern 
(gashaltiger Magen und Dickdarm) und den betreffenden <z. B. lin¬ 
ken) Zwerchfellschatten mit seinem Komplementärraum überdecken. 
In ähnlicher Weise ist dies durch den Schatten der Milz möglich. 
Verziehungen und Verlagerung der Brustorgane sind durch die Strah- 
lemmtersudhung ebenfalls zu beobachten. Unter Umständen fällt 
paradoxe Zwerchfellbewegung auf, besonders nach einer Phrenikus¬ 
verletzung. Trotz eines derart vielgestaltigen Röntgenbefundes er¬ 
leichtert gerade dieses diagnostische Hilfsmittel die Erkennung des 
Krankheitszustandes meist ganz wesentlich. 

Mit der fertigen Diagnose der Zwerchfellhernie ist die In¬ 
dikation zur Operation gegeben. Man begnüge und beruhige sich 
nicht mit einer „relativen“ Indikation. Es sind bedauerliche Fälle und 
Sektionsberichte genug bekannt geworden (und noch mehr dürften 
unbeschrieben sein), die eindeutig dafür sprechen, dass in jedem Fall 
von posttraumatischem Zwerchfellbruch sich die Operation ohne 
weiteres rechtfertigt, damit die Gefahr der unvorhergesehenen plötz¬ 
lichen Einklemmung mit ihren nicht zu überschauenden Folgen von 
vorneherein abgeschnitten wird. Denn diese Möglichkeit droht jedem 
Fall, auch noch nach Jahren. 

In der Frage des Operationsweges herrscht noch Uneinigkeit. 
Narkose wird stets ratsam sein, um in Druckdifferenz bei der Er¬ 
öffnung des Brustraums arbeiten zu können. Kurzgefasst kann man 
sagen, dass bei frischen Zwerchfellverletzungen der abdominale Weg 
vorzuziehen ist, weil Kontrolle der Bauchorgane unerlässlich ist. 
Laparotomie empfiehlt sich auch bei den eingeklemmten Prolapsen; 
bei schlechtem Zugang K e 11 i n g sehe Hängelage oder Kombination 
des Bauchschnittes mit der Thorakotomie. Diese ist für unkompli¬ 
zierte Zwerchfellhernien das einfachste und schonendste Verfahren, 
gibt fast immer genügenden Zugang, so dass man sich den Gründen 
Schumachers nur ansehliessen kann. Eine Vereinigung beider 
Operationswege erlaubt die Marwedel sehe Schnittführung (Tür¬ 
flügelschnitt am Rippenbogen, Durchschneiden der 7. Rippe am Brust¬ 
bein, der 7. bis 9. Rippe lateral der Knorpelgrenze). Zur Thorako¬ 
tomie empfiehlt sich entweder der einfache Interkostalschnitt im 9. 
oder 10. Zwischenrippenraum hinten; nötigenfalls mit Resektion der 
nächsthöheren oder unteren Rippe. Vorteile des Schnittes von Ry- 
&y gier hiergegen kann ich nicht sehen. W u 11 s t e i n rät, die 
Bauchhöhle durch Schrägschnitt dicht unterhalb des Rippenbogens 
und die Brusthöhle dicht oberhalb des Rippenbogens durch Inter¬ 
kostalschnitt zu eröffnen. Dass ein Vorgehen ohne Druckdifferenz den 
Erfolg nicht in Frage zu stellen braucht, zeigt unser Fall. 

4 Die Versorgung des Prolapses geschieht dann dem Fall ent¬ 
sprechend und nach den allgemeinen Grundsätzen der Herniotomie. 
Ist Naht des Zwerchfelldefektes unmöglich, so kann mit Faszie ge¬ 
deckt werden oder mit Plastik durch Annähen von Milz, Leber, 
Magen; solche Verfahren sind mehrfach beschrieben. Im Notfall lässt 
sich durch Rippenresektion der Zwerchfellansatz mobilisieren und der 
Defekt sodann durch Naht oder plastische Deckung schliessen. Pri¬ 
märe Naht der Thoraxwunde ist notwendig. 

Es liegt nicht im Sinne dieser kurzen Mitteilung, die vorliegende 
Literatur vollständig zu berücksichtigen und kritisch zu besprechen. 
Eingehendes findet man in den Arbeiten von Schumacher, 
Schmidt u. a. 


Zum Schlüsse sei die Krankengeschichte unseres im Feldlazarett 
mit Erfolg operierten Falles kurz wiedergegeben: 

Der‘27 jährige Unteroffizier K. H. war am 25. X/ 1914 durch 
Brust-Baucb-Schuss (I.G.) verwundet. Nach 8 monatiger Lazarett- 
behandlung g. v., im Sommer 1915 als k. v. 4 Wochen im Feld. Da¬ 
nach bis jetzt in Heimat und Etappe zum Schreibdienst .verwendet. 
In den letzten 2 Jahren mehrfach heftige Kolikanfälle mit Schmerzen 
im Epigastrium, nach links oben ausstrahlend. Dauer dieser Anfälle 
1—2 Tage, manchmal von Erbrechen begleitet. Ausserdem gibt H. 
auf Befragen „rheumatische“ Schmerzen in der linken Schulter an. 
Jetzige Erkrankung: Seit 3 Tagen wiederum heftiger Anfall, dazu 
ständiges Erbrechen von wässerigem Schleim und eingenommener 
Nahrung; Stuhl- und Windverhaltung. Einlieferung in das Lazarett 
am 27. VI. 1918, abends 8 Uhr. . 

Befund: Blasser, schmächtiger Mann, der sich etwa alle 15 bis 
20 Minuten in heftigem Stöhnen windet; nach 2—3 Minuten Abklingen 
der Kolik. Temp. 36,8, Puls gut gefüllt, 68—72. Atmung abdominal, 
beide Brusthälften, beteiligen sich gleichmässig an der Atmung. Herz: 
Töne rein, Grenzen o. B. Lunge: o. B. Zunge trocken, nicht belegt. 
Leib: Weich, nicht aufgetrieben, keine krankhafte Resistenz, geringe 
Druckempfindlichkeit im Epigastrium, keine Darmsteifung. Die Kolik¬ 
schmerzen ziehen quer über den Leib, beginnen meistens im Epi¬ 
gastrium und in der Nabelgegend, ziehen vielfach nach links hin zum 
Rippenbogen. In der linken Brustwarzenlinie im 6. Zwischenrippen¬ 
raum eine erbsengrosse Schussnarbe o. B. In der Höhe des 
10. Brustwirbeidornfortsatzes, 5 cm rechts der Mittellinie, der gleich- 
grosse Ausschuss; neben ihm eine trichterförmige reizlose Narbe 
(Abszessnarbe). Wirbelsäule o. B.; 1. Schulter nicht gesenkt. 

Die sogleich nach der Einlieferung und körperlichen Unter¬ 
suchung angestellte Röntgendurchleuchtung zeigt gut sichtbare und 
gut bewegliche rechte Zwerchfellhälfte; geringe Verlagerung des 
Herzens nach rechts; kaum sichtbaren unbeweglichen Zwerchfell- 
sdhatten links, welcher durch helle, scharf begrenzte Luftblasen 
<KoIon?) überlagert ist. Der Magen liegt — mit Bariumsulfat ge¬ 
füllt — ganz hoch, teilweise von den Luftblasen überdeckt; seine 


Nr. 


51. 

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Gck igle 


Form ist nur am Antrum deutlich zu sehen; Uebertritt des Kontrast¬ 
breies erfolgt gleich. 

Die gestellte Diagnose war durch diesen Röntgenbefund erhärtet 
und die Operation wurde sofort (8 Uhr abends) der Untersuchung an¬ 
geschlossen. 

Operation (Morph. 0,02, Skop. 0,0005; Allgemeinnarkose). 
Schnitt 3 Querfinger unter und entlang dem linken Rippenbogen. 
Sicherung des M. rectus mit Perthes scher Naht. Bei Eröffnung 
des Bfiuchfellraumes drängt sich sofort ein maximal gedehntes Quer¬ 
kolon vor; gegen die Flexura lienalis ist es am Zwerchfell zusammen 
mit Netzklumpen fixiert und die tastende Hand fühlt das Kolon in 
einen engen Schlitz nahe der linken Zwerchfellkuppe verschwinden. 
Der Magen ist an derselben Stelle starr fixiert und hochgezerrt. Milz 
o. B. Absteigendes Kolon leer, ebenso der grösste Teil des Dünn¬ 
darms. Da der Zugang zum Zwerchfell schlecht ist, da angesichts der 
seit 3 Tagen bestehenden Einklemmung eine weitgehende Inkarzera¬ 
tion des Dickdarms zu befürchten ist, wird das Herunterziehen und 
Vorholen des Kolon und das schwierige Arbeitet! an der Bruchpfortc 
gar nicht versucht, sondern — um für- alle Fälle und Möglichkeiten 
im Bmstraum gerüstet zu sein — es wird nach Punktion des ge¬ 
blähten Querkoion eine Enteroanastomose am Dickdarm angelegt. 
Darauf endgültiger Schichtverschluss der Bauchdecken wunde mit 
Sicherung der Darmnahtstelle durch dünnes Gummiröhr. 

( Sodann wird die linke 9. Rippe am Rücken in 10 cm Ausdehnung 
subperiostai reseziert und vorsichtig der Pneumothorax angelegt. 
Alte, wenig derbe Verwachsungen der linken Lunge an die Parietal- 
und Zwerchfellpleura können leicht gelöst werden. Danach kommt 
man auf dicke, teilweise infarzierte Netzklumpen, welche ihrerseits 
mit Brustwand, Zwerchfell, Lunge und Herzbeutei verwachsen sind 
und schrittweise mit dem Finger gelöst werden. Ausserdem wird das 
vorgefallene, zu gut Zweifaustgrösse geblähte, leicht zyanotische 
Kolon allseits befreit. Nach Erweiterung de'r markstückgrossen 
Zwerchfellücke (etwas vorne vor der linken Kuppe) durch Ein- 
schneidefn des derben Randes kann Darm und Netz reponiert werden. 
Durch zweischichtige Naht wird der Zwerchfelldefekt mit kräftigen 
Katgutnähten verschlossen. Anheften der kollabierten Lunge an das 
Zwerchfell und den Sinus phrenicocostalis. Luftdichte Schichtnaht 
der Brustwunde; primäre Hautnaht Nach dem Eingriff Kochsalz¬ 
kampferinfusion (mit Kestner-Hosemarm-Lösuhg) 1 Liter. 



Bild vor der Operation. 27. VI. 1918. Bild nach der Operation. 24. VI1. 1918. 


Der Patient erholte sich rasch, der Heilverlauf war ungestört. 
Aufstehen nach 2 Wochen. Röntgendurchleuchtung nach 4 Wochen 
zeigt: Linker Zwerchfellschatten mit gut sichtbarem Komplementär- 
raum höher als rechts, bewegt sich weniger als dieser bei der 
Atmung. Der linke Lungenschatten ist etwas dichter als der rechte: 
neben dem linken Herzvorhof ist ein pflaumenkerngrosser Schatten 
(Drüse?) zu sehen. Magen zeigt gute Füllung der Stierhornform: 
Lage nicht mehr auffallend. 

Entlassen in Urlaub am 2. VIII. 1918, 6 Wochen nach der Opera¬ 
tion. Als a. v. Heimat tut er nach 10 Wochen wieder seinen Dienst. 

Nachuntersuchung am 7. I*. 1918: An der Bauchnarbe zwei 
reizlose Fadenfisteln; aus der einen wird ein Faden gezogen. Nar¬ 
ben im übrigen reizlos, nur geringe Druckempfindlichkeit am lateralen 
Ende der Bauchnarbe. Hier werden auch massige Schmerzen an¬ 
gegeben bei gebeugtem Sitzen am Schreibpult. Darmtätigkeit in 
guter Ordnung. Röntgendurchleuchtung ergibt den gleichen Thorax¬ 
befund wie vor 4/4 Wochen. 

Nicht lange vor dem eben beschriebenen Fall kam ein Fall von 
frischer Zwerchfellverletzutyg zur Aufnahme: Brustwunde und Zwerch¬ 
fell wurden versorgt und genäht. Der Mann ging jedoch an einem 
Empyem der Bursa omentalis nach 8 Tagen zugrunde. 


Aus der chirurgischen Klinik der Universität Heidelberg. 

(Jeher den Verlauf der Sehnenscheidenphlegmonen bei 
Syringomyelie. 

Von Privatdozent Dr. Franz Rost. 

Dass bei der Syringomyelie häufig Entzündungen und fortschrei¬ 
tende Phlegmonen an den Händen auf treten, und dass wir als Folge 
solcher häufigen Entzündungen jene Verstümmelungen der Hände 
anzusehen haben, die als geradezu charakteristisch für diese Rücken¬ 
markserkrankung gelten, ist zu bekannt, um hierüber ein Wort zu 

2 

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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1432 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 51. 


sagen. Sehr wenig Angaben findet man jedoch in der Literatur über 
den Verlauf -der Eiterungen, die schliesslich zu dieser Verstümme¬ 
lung führen. Borchardt gibt an, dass es zwar eine zu Ne¬ 
krose neigende Form der Handentzündungen bei Syringomyelie 
gäbe, dass aber gewöhnlich Handeiterungen bei Syringomyelie nicht 
von dem Ueblichen abwichen. Letztere Ansicht findet man auch 
sonst in den bekanntesten Handbüchern und Arbeiten über Syringo¬ 
myelie vertreten, nur Friedrich sagt, dass bei starker Haut¬ 
schwellung und hoher Temperatur der Verlauf der Sehnenscheiden¬ 
phlegmonen bei Syringomyelie lokal ein „torpider“ sei. 

Da nun tatsächlich nach unseren Erfahrungen der Verlauf der 
Sehnenscheidenphegmonen bei Syringomyelie beträchtlich von dem 
abweicht, was wir sonst bei Sehnenscheidenöhlegmonen zu sehen ge¬ 
wohnt sind, und wegen dieser Besonderheiten Schwierigkeiten in der 
Beurteilung und Behandlung machen kann, so möchte ich im folgen¬ 
den ganz kurz das Eigenartige im Verlauf der Sehnenscheidenphleg¬ 
monen bei Syringomyelie an der Hand von 4 Fällen, die ich in letzter 
Zeit zu behandeln hatte, neben früheren eigenen Beobachtungen be¬ 
sprechen. 

Das erste, was die Sehnenscheidenphlegmone bei Syringomyelie 
auszeichnet, ist das enorme Oedem an den Händen, besonders 
an den Handrücken. Seit der Beschreibung von R e ma k wissen wir, 
dass das Auftreten von Oedem an den Händen für die Syringomyelie 
typisch ist. Dass es in unseren Fällen zum grossen Teil Folge der 
Entzündung war, konnten wir daraus entnehmen, dass es nach Ab¬ 
heilen der Entzündung restlos zurückging und bei den wiederholten 
Nachuntersuchungen so lange fehlte, bis wieder einmal eine neue 
Fingereiterung auftrat. Das Oedem ist so mächtig und steht in so gar 
kejnem Verhältnis zu der Schwere der Entzündung, dass man es, wie 
ich das in einem Falle sah, für ein Kunstprodukt hielt, etwa durch Um¬ 
legen eines schnürenden Fadens bedingt, was ja in letzter Zeit wieder 
beschrieben worden ist. Zunächst aber wird jeder, wenn er eine 
solche Hand zu sehen bekommt, wegen des hochgradigen Oedems 
und nicht weniger wegen der hohen Temperatur, die diese Patienten, 
wenn sie die Kliqik aufsuchen, meist haben, eine ganz schwere 
Handeiterung vermuten. 

Wenn man jedoch nun in solchen Fällen in typischer Weise In¬ 
zisionen ausführt, so ist man erstaunt, die Sehnenscheiden nicht von 
dem gewöhnlichen Eiter gefüllt zu finden. Es entleeren sich bei solchen 
Inzisionen vielmehr gewöhnlich nur wenige Tropfen eines trüb- 
serösen Exsudates. Auch in der Folgezeit, während der Nachbehand¬ 
lung, tritt eigentlich kaum einmal eine stärkere Eiterung auf, was 
wiederum mit der riesigen Schwellung der Hand kontrastiert. Selbst¬ 
verständlich ist ja dieses trüb-seröse Exsudat, wenn man es mikro¬ 
skopisch untersucht, so leukozytenreich, dass man es Eiter nennen 
darf, aber von dem Eiter, den wir sonst bei der Sehnenscheidenent¬ 
zündung zu sehen gewohnt sind, unterscheidet er sich doch quali¬ 
tativ und quantitativ ganz beträchtlich. Diese Tatsache, dass man 
bei Syringomyelie nur dieses trüb-seröse Exsudat m kleiner. Mengen 
findet, erscheint mir deshalb wichtig, weil es für den behandelnden 
Arzt immer etwas Unbefriedigendes hat, wenn er keinen Eiter bei 
seinen Inzisionen findet, und weil man sich leicht bei diesem geringen 
Befunde verleiten lässt, weiter nach Eiter zu suchen, wodurch die 
Infektion nur weiter verschleppt wird. Es erscheint dringend ratsam, 
die Inzisionen stets unter Es marchscher Blutleere auszuführen, 
damit man infizierte Sehnenscheiden vor ihrer Eröffnung erkennt. 
Dass es sich trotz dieses geringen Exsudates gleichwohl um eine 
schwere Infektion der Sehnenscheide handelt, ist aus dem weiteren 
Verlauf zu entnehmen, in dem es gewöhnlich zu einer völligen Ne¬ 
krose und Ausstossung der Sehnen kommt. Man kann manchmal das 
schwere Befallensein der Sehnenscheiden von vorneherein er- 
schliessen, wenn, wie ich das in dem letzten Falle wieder sehr schön 
sah, die ursprüngliche Verletzung und die daran anschliessende Ne¬ 
krose der betreffenden Hautpartien' die ganze Sehne freigelegt hatten. 
Die Temperaturkurve, die die Pat. zeigen, ist verschieden. Bei 
einzelnen war die Temperatur nur#bei der Aufnahme 'hoch, während 
sie nach der Inzision rasch absank. Hier ist es sehr wohl denkbar, 
dass, wie Borchardt meint, die höhe Temperatur nur eine Fölge. 
der Bewegungen sei, die der Patient, bei dem ja das Gefühlsver- 
mögen herabgesetzt ist, mit seiner Hand ausführt. In anderen 
Fällen, und das sind die unangenehmeren, bleibt jedoch das Fieber 
längere Zeit hoch und beweist dem behandelnden Arzt damit, dass die 
operative Eröffnung noch nicht genügt hat, sondern dass noch irgend¬ 
wo eine Entzündung steckt. Gerade in solchen Fällen ist die geringe 
Menge Eiter, die gebildet wird, sehr unangenehm, zumal die Pa¬ 
tienten, deren Gefühlsvermögen ja oft so stark herabgesetzt ist, dass 
sie auch in der Tiefe keine Empfindung haben (das wechselt übrigens 
im einzelnen Falle sehr), den Arzt nicht darauf Hinweisen können, 
wo die Eiterung sitzt. 

Woher kommt nun dieser eigenartige Verlauf der Sehnenscheklen- 
phlegmone bei Kranken mit Syringomyelie? Die mangelhafte Er¬ 
nährung der Hand, die ja für andere mehr nekrotisierende Formen 
der Phlegmonen von Borchardt herangezogen worden ist, kann 
man für diesen Verlauf der Sehnensclieddenphlegmonen nicht gut 
verantwortlich machen. Denn die Nekrose der Sehnen er¬ 
klärt sich zwanglos aus der Eiterung; hierfür braucht man 
keine besondere Ernährungsstörung mehr anzunehmen. Eigen¬ 
artig bleibt nur der trockene oder, wenn man so 
will, milde Verlauf der Sehnensoheideneiterung bei Syringo¬ 
myelie. Er erinnert' in vielen Punkten * an den Verlauf der 

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Sehnenscheidenphlegmone, wie man ihn bei Stauungsbehandlung 
beobachtet. (Cf. Bier: Hyperämie als Heilmittel. F. O. W. V o g e 1. 
6. Aufl., 1907, S. 330 ff.) Gewisse Unterschiede bestehen ja zweifellos 
zwischen dem Oedem bei Syringomyelie und der mit Stauung be¬ 
handelten gewöhnlichen Phlegmone. Diese Unterschiede ändern je¬ 
doch nichts an der Tatsache, dass durch die Stauung und durch die 
Syringomyelie ein gewisser milder Verlauf der Sehnenscheidenphleg¬ 
mone gewährleistet wird, und es dürfte auch unschwer sein, das 
gemeinsame ursächliche Moment für beide Fälle ausfindig zu machen, 
das doch wohl nur in dem Oedem gesucht werden kann. Warum die 
Kranken mit Syringomyelie zu Oedemen neigen, wissen wir nicht 
sicher; wir können deshalb das Oedem bei Syringomyelie auch nicht 
einfach als Stauungsödem bezeichnen. Die aufgestellten Theorien 
sollen hier nicht erörtert werden. Gemeinsam ist aber beiden Phleg¬ 
monen wegen der dabei vorhandenen Oedeme eine Ansammlung von 
Schutzstoffen an der Eiterstelle und darin ist wohl die Ursache für 
den eigenartigen Verlauf der Phlegmonen bei Syringomyelie und bei 
Stauung zu erblicken. 

Ein therapeutischer Hinweis sei zum Schlüsse noch gestattet: die 
Beseitigung der Oedeme gelingt sehr gut im sog. Schrotbad, d. h., 
man lässt den Patienten die Hand täglich ein- oder zweimal eine bis 
zwfci Stunden in einen Kasten stecken, der mit Schrotkugeln gefüllt 
ist. Der Pat. soll, während er die Hand in dem Kasten hat, die Finger 
bewegen, das Oedem wird dann durch das Gewicht der Schrotkugeln 
beseitigt. Nach dem Schrotbad lässt man die Hand in eine Gummi¬ 
oder Idealbinde wickeln. So wird man in kurzer Zeit das Oedem be¬ 
seitigen können. 


Behandlung der Trichophytie und Furunkuloee mit 
Terpentinöl nach. Klingmüller auf der Fachetation 
einen Kriegslazaretts. 

Von Feldhilfsarzt Sc he dl er. 

Angeregt durch die von Prof. Klingmüller -Kiel in der 
D.m.W. 1917 Nr.41 veröffentlichte Abhandlung: „Ueber Behandlung 
von Entzündungen und Eiterungen durch Terpentineinspritzungen”, 
und veranlasst durch Herrn Stabsarzt Lübken habe ich unter 
dessen Anleitung auf der hiesigen Fachstation 65 Patienten mit intra- 
ghitäalen Terpentininjektionen behandelt. 

Um einwandfreie Beobachtungswerte zu erhalten, wurde von 
einer lokalen medikamentösen oder sonstigen Behandlung während 
der Terpentinkur abgesehen. Verabreicht wurden 390 Injektionen 
nach Prof. Klingmüllers Vorschlag intraglutäal im äussersten 
Drittel der Linie, die Steissbeinende und Spina anterior superior 
verbindet, in 2 resp. 3 tägigen Intervallen. Während der Behand¬ 
lungsdauer wurde durch ständige Urinkontrolle auf eine etwaige Rei¬ 
zung der Niere gefahndet, jedoch niemals positiver Eiweissbefund 
festgestellt. Auch das Allgemeinbefinden, sowie Temperatur- und 
Pulskurve wurden durchweg nicht beeinflusst. Lokal sind in keinem 
Falle bemerkenswerte Reizerscheinungen aufgetreten. Es wurde 
beobachtet, dass die Art des zur Verdünnung verwendeten Oeles 
nicht gleichgültig ist. Bei einer Serie von Leuten, bei welchen sorg¬ 
fältig sterilisiertes Erdnussöl, das aber anscheinend reizende Bestand¬ 
teile enthielt, verwendet wurde, traten selbst bei einer Dosis von 
nur 0,05 Ol. Terebinth. (das wäre gleich K ccm des Oelgemisches) 
durchweg Reizsymptome am Ort der Einspritzung, geringe Rötung 
und Druckempfindlichkeit, sowie ziehender Schmerz im Verlauf des 
Oberschenkels, leichte Bewegungsstörungen und geringe Temperatur- 
Steigerungen bis 38,1 ungefähr 6—8 Stunden nach der Applikation 
auf. Dass dieselben lediglich Wirkung des nicht einwandfreien Ver¬ 
dünnungsöles sein mussten, ergab sich daraus, dass die vorher¬ 
gegangenen Einspritzungen nicht die geringsten Beschwerden ver¬ 
ursacht hatten und dass die letzteren nicht stiegen mit der wachsen¬ 
den Terpentindosis. Die Annahme wurde als richtig bestätigt, als 
eine frische Lösung mit Oleum Olivarum verwendet wurde. Infil¬ 
trationen oder gar Abszessbildung wurde auch bei der grössten Dosis 
— 0,2 Ol. Terebinth. (d. i. 1 ccm der Mischung) nicht beobachtet. 

Was die einzelnen Gaben selbst anlangt, so wurden von dem 
20proz. Terpentinölgemisch anfangs eine Viertel-Pravazspritze, also 
0,05 Ol. Terebinth. rect., von der 4. Injektion ab 0.1 und. falls mehr 
als 7 Injektionen nötig waren, eine ganze Spritze (0,2 Ol. Terebinth.) 
verabreicht. Behandelt und beobachtet wurden bisher 47 Fälle von 
Trichophytia profunda und 18 Fälle von Furunkulose. Wie schon er¬ 
wähnt unterblieb jede Lokalbehandlung; bei besonders stark krusten- 
den Bartflechten wurde in grösseren Abständen über Nacht ein 
feuchter Verband mit stark verdünnter KalPhyp.-Lösung verordnet, 
um die Erweichung und Entfernung der Krusten zu beschleunigen. 
Es wurde Wert darauf gelegt, dass das Rasieren* unterblieb. 

Durchweg günstige Wirkung war bei der tiefen Bartflechte zu 
verzeichnen. Eine Beeinflussung einer gleichzeitig vorhandenen 
Trichophytia superficialis war ebenfalls unverkennbar. In der Mehr¬ 
zahl der Fälle handelte es sich um diffus infiltrierte, furunkelähnlichc. 
in 4 Fällen um zirkumskripte-tumorartige und 3 mal um massige, zu¬ 
sammenhängende, die Unterkiefergegend bedeckende, stark promi¬ 
nente und entstellende Barttrichophytien. Die Höchstzahl der ge¬ 
gebenen Spritzen betrug 10, in einem Falle 12; im allgemeinen waren 
aber nicht mehr als 4—7 Spritzen notwendig. 24 Stunden nach- der 
1. Einspritzung, in einigen wenigen Fällen auch erst nach der 2. oder 

Ürigiral fmm 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


17. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1433 


3. Spritze, war eine deutliche Veränderung des infiltrativen Prozesses 
bemerkbar und in der Regel um so auffallenden, je ausgeprägter die 
Entzündungserscheinungen waren. Die Knoten flachten ab, zeigten, 
wenn sie vorher genässt hatten, Neigung zu trockener Krustung und 
Schuppenbildung. Das Spannungsgefühl iiess.nach. In anderen Fällen 
steigerte sich zunächst die vorhandene Entzündung unter der Ein¬ 
wirkung der ersten Injektionen zu erhöhter Eitersekretion, zu stär¬ 
kerer Rötung und Schwellung um dann unter den folgenden Terpen¬ 
tingaben rasch abzukrusten und an Prominenz zu verlieren. Unter 
dem bisher behandelten und beobachteten Material befand sich eine 
frambösiforme und eine ausgedehnte knotige Trichophytie, bei wel¬ 
chen bis zum Eintreten der ersten sichtbaren Besserung 9 resp. 10 In¬ 
jektionen notwendig waren, die aber hinterher nach Absetzen der 
Terpeutinkur in kurzer Zeit ohne jegliche weitere Behandlung ab¬ 
heilten. Nur ein Patient, bei welchem nach 10 Injektionen zwar be¬ 
deutende Besserung, aber keine Heilung erzielt worden war,' wurde 
der Bestrahlungstherapie zu geführt. Im allgemeinen wurden nach 
Abklingen der Erscheinungen stets noch 1—3 Injektionen zur Sicher- 


Schweissausbruch ab; gleichzeitig gingen auch die klinischen Erschei¬ 
nungen zurück. Es stellte sich dann aber heraus, dass bei dieser Art 
der Anwendung das Neosalvarsan die einzelnen Anfälle wohl ab¬ 
kürzte, weitere aber nicht verhinderte. Dagegen konnte eine nach¬ 
haltige Wirkung dann erzielt werden, wenn es wenige Stunden vor 
Beginn eines Anfalles infundiert wurde. Die Kranken reagierten 
darauf prompt, mitunter auch sehr heftig mit Schüttelfrost. Schweiss¬ 
ausbruch und Erbrechen. Dafür blieben aber die klinischen Erschei¬ 
nungen ganz aus oder waren nur sehr gering. Meistens genügte es 
schon zur Verhütung weiterer Anfälle, wenn die Infusion in der 
gleichen Weise vor dem nächsten Anfall noch einmal wiederholt 
wurde. Den Zeitpunkt der Infusion bestimmten wir auf Grund einer 
Fieberkurve, die durch zweistündliche Messungen während zweier 
Anfälle und des dazwischen liegenden Intervalls gewonnen wurde. 
Unterstützt wurden wir dabei auch durch die Kranken, die oft genau 
angeben konnten, wann ein Anfall kam. 

Zur Illustration sollen nur einzelne Fälle an Hand ihrer Kurven 
kurz geschildert werden (s. Kurve 1). 



Kurve 1. 


heit gegeben. Rückfälle bzw. Wideraufflaekern des Prozesses trat I 
höchst selten, im ganzen 3 mal auf und ging prompt nach einigen wei¬ 
teren Injektionen wieder zurück. Sic hatten ihre Ursache wohl in der 
zu früh abgeschlossenen Behandlung. Es muss jedoch auch an die 
Möglichkeit einer Neuinfektion gedacht werden. Die Beobachtungs¬ 
zeit zwischen angenommener Heilung und Entlassung zur Truppe 
betrug im Durchschnitt allerdings nur 2—3 Wochen. Patienten, die 
sich teilweise schon 3—8 Monate in Lazarettbehandlung befanden 



ihrer Truppe wieder zugeführt. 


Die bisher mit Terpentinitijektioneii behandelten Furunkulosen 
waren, mit wenigen Ausnahmen, leichterer Art; an den Prädilektions¬ 
stellen, wie im Nacken, Gesäss, Streckseite der Ober- und Beuge¬ 
seite der Unterschenkel. Bei stärkeren subjektiven Beschwerden 
liess sich eine gleichzeitige Lokalbehandlung nicht umgehen. Auch 
liier haben uns feuchte Verbände mit dünner Kalium^permanganat- 
Lösung gute Dienste getan. Im allgemeinen waren die Erfolge sehr 
befriedigende. Entweder kam es zum beschleunigten Durchbruch 
der Furunkel oder aber zur Resorption derselben. Vereinzelt traten 
während der Behandlungszeit neue Infiltrate auf, die sich aber unter 
der Einwirkung der folgenden Injektionen rasch wieder zurückbilde¬ 
ten. Die Zahl der Einspritzungen schwankte auch hier von Fall zu 
Fall; sie betrug im Mittel 5. Die Dosierung und das Injektionsinter¬ 
vall war mit Ausnahmen vereinzelter Fälle, die von Anfang an mit 
höherer Menge (0,1) angegangen wurden, dieselbe wie bei der Bart¬ 
flechte. 

Auf die Anführung von Krankengeschichten glaube ich verzichten 
zu dürfen, da sie einander doch alle mehr oder minder gleichen. In¬ 
zwischen hat sich unsere Behandlung und Beobachtung auf 150 Fälle 
erhöht. Die Erfahrung hat neuerdings gezeigt, dass man mit noch 
kleineren Dosen, also etwa 0,02 oder 0,025 Ol. Terebinth. in der 
20 proz. Olivenölmischung (das wäre gleich 1. oder \ V\ Teilstrich der 
Pravazspritze) die gleiche Wirkung erzielen kann, wie mit grösseren 
Gaben. Aiich eine Steigerung der Dosis, wie wir sie 
früher für nötig hielten, hat 4 sich als nebensächlich er¬ 
wiesen. Ausser der heutzutage gewiss in Betracht zu 
ziehenden Oelersparnis haben derartig geringe Mengen 
noch den Vorzug, dass sie auch von sehr empfindlichen 
Patienten ohne die geringsten lästigen Nebenwirkungen 

am. Ort des Einstiches vertragen werden. Nimmt man 

an, dass zur Behandlung einer Trichophytie nach unserer 
jetzigen Dosierungsweise etwa 10 Einspritzungen nötig sind, so würde 
die Gesamtmenge des erforderlichen Oels 1 ccm betragen. Bei dem 
jetzt bestehenden Mangel an Oelcn und Fetten ein gewiss nicht 
gering anzuschlagender Vorteil. 


Aus dem Hauptverbandplatz einer bayer. San.-Komp. 

(Chefarzt: Oberstabsarzt Dr. v. Heuss.) 

Ueber die Behandlung des Fünftagefiebers mit Neo¬ 
salvarsan. 

Von Stabsarzt Dr. Blank und Oberarzt Dr. Felix. 

Im Herbst 1917 hatten wir Gelegenheit, auf unserem Haupt¬ 
verbandplatz eine grössere Anzahl von Kranken mit typischem Fünf¬ 
tagefieber bis zu ihrer Heilung zu beobachten. Da alle bisherigen 
Beobachtungen darauf hindeuten, dass der Erreger des Fünftagefiebers 
wahrscheinlich ein Protozoon ist, behandelten wir sie mit Neosalvar¬ 
san, angeregt durch die günstigen Erfahrungen, die man damit beim 
Rückfallfieber und bei der Malaria gemacht hat. Wir gaben es in 
Dosen zu 0,5 g intravenös. Bei der Infusion auf der Höne des Anfalls 
sank die Temperatur ein bis zwei Stunden später unter starkem 

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Krankenträger Sch. erkrankte am 13. IX. 17 mit Fieber, Kopf¬ 
schmerzen, allgemeine Mattigkeit. Angeblich nie vwlaust gewesen. 
Am 17. IX. auf der Höhe des zweiten Anfalles Aufnahme auf den 
Hauptverbandplatz. Befund: Kein Herpes, Bindehautkatarrh, linke 
Gaumenmandel vergrössert, zwei Pfropfe. Bronchialkatarrh. Herz 
o. B. Milzdämpfung 11,5:7 cm; unterer Milzpol nicht fühlbar. 
Schmerzen in beiden Schienbeinen. Oberfläche beider Schienbeine 
deutlich wellig uneben, ausgesprochene Druckempfindlichkeit; keine 
Knochenhautödeme; Schienbeinnerven ausserordentlich druckempfind¬ 
lich. Kniescheiben-, Fersen- und Fusssohlenreflexe o. B. In der 
Nacht vom 18. auf 19. IX. unter Schweissausbruch Entfieberung. 
Dieser zweite Anfall erstreckte sich also über zwei Tage und hatte 
zw'ei Fieberzacken. 19.-»-2L IX. beschwerdefrei. Am Vormittag des 

22. XI. Beginn des dritten Anfalles und unter den gleichen Erschei¬ 
nungen wie beim zweiten. 6 Uhr 30 Min. abends auf der Höhe 
der ersten Fieberzacke 0,5 g Neosalvarsan intravenös. Eine Stunde 
später heftiger Schüttelfrost mit starken Kopfschmerzen und Er¬ 
brechen. Während der Nacht Schweissausbruch. Am Morgen des 

23. IX. vollkommen fieberfrei, aber noch grosse Mattigkeit und Ein¬ 
genommenheit des Kopfes. Keine Schienbeinschmerzen. Milz¬ 
dämpfung 11,5:8 cm. Druckempfindlichkeit der Schienbeine und 
Schienbeinnerven gering. 24.—28. IX. Fieber- und besclnverde- 
frei. Am 29. X. Beginn des 4. Anfalles, den wir unbeeinflusst 
verlaufen Hessen. Hinsichtlich Dauer und klinischem Bild war er 
genau gleich wie der zweite Anfall. 1.—5. X. fieberfrei. Am 6. X. 
fünfter Anfall. Diesmal wurden wieder auf der Höhe der ersten 
Zacke 0,5 g Neosalvarsan injiziert mit dem gleichen Erfolg wie beim 
dritten Anfall. Am 6. fieberfreien Tag des nun folgenden Intervalls 
Vorboten eines kommenden Anfalles. Injektion von 0,5 g Neo¬ 
salvarsan um 11 Uhr vorm. Geringe Temoeratursteigerung (37,5°), 
Am 18. X. (sechster fieberfreier Tag) Wiederholung der Injektion vor 
dem zu erwartenden Anfall ohne nennensw'erte Reaktion. Ein wei¬ 
terer Anfall trat nicht mehr auf. Sch. blieb noch eine Woche zur 
Beobachtung auf der Station und wurde dann vollkommen geheilt ent¬ 


lassen.-Gesamtdauer der Behandlung: 6 Wochen. Seitdem macht Sch. 
Dienst bei der Kompagnie und es hat sich in dieser Zeit (4Va Monate) 
nichts gezeigt, w^as auf einen Rückfall hindeuten würde (s. Kurve 2b 
Inf. U., am 15. X. 17 kurz nach der Rückehr aus Urlaub plötzlich 
mit sehr heftigem Schüttelfrost, Durchfällen und hohem Fieber er¬ 
krankt, wurde auf der Höhe des ersten Anfalls eingeliefert; er klagte“ 
über heftige Stirnkopfschmerzen, starke Schmerzen im Kreuz, in 
beiden Oberschenkeln,- Schienbeinen und grosse Mattigkeit. Weiss 
nicht, dass er verlaust gewesen wäre. Aufnahmebefund: Schwer- 
kranker Allgemeineindruck, Gesicht stark fiebrig gerötet. Haut warm 
und feucht. Atmung angestrengt. Hubhöhe des Pulses herabgesetzt. 
In der Nase Schleim, Bindehautkatarrh, Austrittsteilen der Augen¬ 
nerven druckempfindlich. Herz und Lunge o. B. Druckempfindlich¬ 
keit der Schienbeinvorderflächen mit deutlich welliger Unebenheit 
der Knochenhaut; Schienbeinnerven äusserst druckempfindlich, keine 
Tonusveränderung der Gliedermuskulatur. Kniescheibenreflex nicht 
auslösbar, übrige Reflexe auslösbar. 16. X. nachts unter starkem 
Schweissausbruch Ficberabfall, Nachlassen der Kopf- und Glieder¬ 
schmerzen, Bindehaut weniger durchblutet; Kniescheibenreflexe nicht 
auslösbar, übrige Reflexe in Ordnung. Bleibt bis zum 1. X. fast be¬ 
schwerdefrei. Am 20. X. begann nachmittags der zweite Anfall ohne 
Schüttelfrost, aber sonst unter denselben Erscheinungen wie der 

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1434 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 51. 


erste. Seine Höhe erreichte er 8 Uhr abemls. In der Nac-ht sank 
das Fieber wieder unter starkem Schweissausbruch. Das fieberfreie 
Intervall hatte also 4 Tage gedauert und am .5. Tage kam der Anfall. 
Der dritte Anfall war demnach am 25. X. zu erwarten. Beim Patienten 
stellten sich auch einzelne Anzeichen dafür ein. Er bekam 12 Uhr 
mittags 0,5 g Neosalvarsan in die Armvene infundiert. . Reaktion 
darauf sehr heftig. Frösteln, Schwitzen. Erbrechen. Gefühl der 
Mattigkeit und Abgeschlagenheit. Am Abend wesentliche Besserung. 
Am folgenden Tag fast frei von Beschwerden. Gesichtsausdruck 
wieder lebhafter, Schmerzen in den Beinen zurückgegangen, ebenso 
Druckempfindlichkeit der Schienbeine und Nervenstämme geringer 
geworden. Als nach einem Intervall von wieder vier fieberfreien 


brocken; der dazwischenliegende und unbeeinflusste verlief genau so 
wie der, welcher dej“ Behandlung vorausging. Für einen dauernden 
Erfolg aber ist wichtig, dass es zum richtigen Zeitpunkt gegeben wird, 
vor Beginn eines Anfalls, wo man erwarten kann, dass seine parasiten¬ 
tötende Wirkung gerade in dem Augenblick der Ausschwemmung des 
vermutlichen Erregers ins Blut zur Geltung kommt. Um diesen 
Zeitpunkt zu bestimmen kann man die Angaben der Kranken benützen, 
die meistens schon mehrere Stunden voraus einen Anfall kommen 
fühlen. Zuverlässiger aber ist die Bestimmung auf Grund eines ge¬ 
nauen Fieberschemas, das durch zweistündliche Aftermessungen wäh¬ 
rend zweier Anfälle und des dazwischenliegenden Intervalls ge¬ 
wonnen wird. Diese Art der Bestimmung des Zeitpunktes würde 



ragen sich bei ihm wieder Anzeichen eines kommenden Anfalls ein- 
stellten, wurde die Neosalvarsaninjektion am 30. X. in derselben 
Weise wiederholt; diesmal mit geringer Reaktion. Ein weiterer An¬ 
fall wurde bei U. nicht mehr beobachtet. Er klagte noch einige Zeit 
über Müdigkeit und ab und zu über ziehende Schmerzen in den 
Beinen, welche Beschwerden später vollkommen verschwanden. Die 
Kniescheibenreflexe waren während seiner Erkrankung, auch mit 
allen Kunstgriffen, nicht auszulösen. Es gelang erst wieder nach der 
Genesung. Dauer der Behandlung des Fünftagefiebers bei U.: 
21 Tage. Er blieb aber noch weitere 2 Wochen in Behandlung 
wegen einer Kreislaufschwäche. 

Interessant ist bei diesem Fall, dass er zum zweiten Male an- 
Fünftagefieber erkrankte. Er war damals vom 1. V. bis 25. VII. 17 
in Lazarettbehandlung. _ Er hatte neun Anfälle durchgemacht, die ihn 
sehr mitgenommen haben. Er wurde dort mit Antipyrin und Pyra- 
midon behandelt. Die Rekonvaleszenz habe ziemlich lange gedauert. 
Aus dieser Zeit dürfte auch seine Herz- und Kreislaufschwäche her- 
riihren. 

Ob es sich um einen Rückfall oder um eine neue Infektion han¬ 
delt. ist nicht festgestellt. U. versichert, vor beiden Erkrankungen 
nicht verlaust gewesen zu sein. (S. Kurve 3.) 

Der Infanterist Pf. wurde am 21. X. auf der Höhe des ersten 
Anfalls eingeliefert, nachdem er am vorhergehenden Abend mit sehr 
heftigen Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Brechreiz erkrankt war. 
Er machte einen schwerkranken Eindruck, klagte über heftige Kopf¬ 
schmerzen, allgemeines Krankheitsgefühl und Schmerzen in der linken 
Seite. Er war die vorausgegangenen Wochen immer verlaust. Be¬ 
fund bei der Aufnahme am 21. X.: Bindehautkatarrh; beide Mandeln 
vergrössert, ohne Belag. Unterkieferdrüsen vergrössert und druck¬ 
empfindlich. Lunge und Herz ohne krankhafte Erscheinungen. Leib 
miter dem linken Rippenbogen druckempfindlich. Milzdämpfung 
17,5:9 cm; unterer Milzpol etwas fühlbar. Linker Schienbeinnerv 
druckempfindlich. Kniescheiben- und Fusssohlenreflexe o. B. In der 
Nacht sank das Fieber ohne Schweissausbruch ab. 22.—26. X. be¬ 
schwerdefrei. Am 26. X. abends klagte Pf. wieder über Kopf¬ 
schmerzen. Am 27. X. fühlte er sich, als ob er von neuem wieder 
krank geworden wäre, mit denselben Erscheinungen wie das erstemal. 
Neu, war ein systolisches Geräusch über allen Ostien. Bis zum 31. X. 
fieberfrei. Am 2. XI., also nach einem Intervall von 5 Tagen, wurden 
ihm um 11 Uhr vorm, entsprechend der Haupterhebung der Kurve 
beim zweiten Anfall 0,5 g Neosalvarsan infundiert. Die Infusion 
würde gut vertragen. Nach einer Stunde trat ein leichter Schüttel¬ 
frost ein. Am nächsten Tag war Pf. beschwerdefrei. Bei genauerer 
Analyse der Kurve hat sich herausgestellt, dass die kleinen Tem¬ 
peratursteigerungen und die Kopfschmerzen am Abend vor der Haüpt- 
zacke bereits den Beginn des Anfalls anzeigen. dementsprechend 
wurde die Wiederholung der Injektion nach einem Intervall von 
4 Tagen am Nachmittag des 7. X. vorgenommen Dauer der eigent¬ 
lichen Behandlung 22 Tage. Wegen einer Krätze blieb Pf. noch 
weitere 8 Tage auf der Station. (S. Kurve 4.) 

Die letzte Kurve stammt von einem Fall (Zahnarzt S.), wo 
cs gelang, mit einer einzigen Neosalvarsaninjektion das Fünftage¬ 
fieber zur Heilung zu bringen. Er kam auf der Höhe des zweiten 
Anfalls in Behandlung. Behandlungsdauer: 14 Tave. 3 Tage nach 
der Injektion übernahm der Patient wieder seinen Dienst, ohne jemals 
wieder Beschwerden bekommen zu haben. Er hatte unter den An¬ 
fällen sehr gelitten und empfand es als grosse Wohltat, dass ihm 
weitere durch die Behandlung erspart wurden. Die Injektion selbst 
verursachte ihm keine nennenswerten Beschwerden. 

Wie an diesen Beispielen geschildert wurde, so haben wir 
15 Kranke, die an typischem Fünftagefieber litten, behandelt. Aus der 
Veränderung und Verkürzung, die der Ablauf eines Anfalls nach 
Neosalvarsan erfuhr und daraus, dass nach längstens 2 Infusionen 
die Anfälle üherbaupt ausblieben, haben wir den Eindruck gewonnen, 
dass das Neosalvarsan auch beim Fünftagefieber eine spezifische 
Wirkung ausübt. Dass überhaupt eine Wirkung stattfindet, dürfte 
aus der ersten Kurve hervorgehen. Die beiden Anfälle, bei denen 
es auf der Höhe der Kurve gegeben wurde, wurden prompt unter- 

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nur in den Fällen Schwierigkeiten bieten, wo die Anfälle regellos 
auftreten, vielleicht infolge mehrerer im Organismus kreisender Er- 
regergeneratiünen. Wir selbst hatten keine Gelegenheit, solche zu 
beobachten. Ein Anhaltspunkt dafür, wann die endgültige Vernichtung 
der Erreger erreicht ist, scheint sich aus dem Blutbild zu ergeben, 
indem die sonst bei jedem Anfall auftretende Vermehrung der neutro- 
philen-polymorphkernigen und der grossen mononukleären Leukozyten 
ausbleibt. Es wird aber Sache weiterer Untersuchungen sein, dies 
sicher festzustellen. 


Ueber Liquorbefunde bei Fleckfieber und ihre differential- 
diagnostische Bedeutung. 

Von Stabsarzt d. L. Dr. G. Heilig, zurzeit Chefarzt eines 
Seuchenlazaretts. 

Bei der überwiegenden Mehrzahl aller Erkrankungen an Fleck¬ 
fieber stehen bekanntlich schwere Erscheinungen von seiten des 
Zentralnervensystems im Vordergunde des Krankheitsbildes. Neben 
Trübung des Sensoriums bis zu fast völliger Bewusstlosigkeit sieht 
man Reizerscheinungen des motorischen Systems, Zuckungen der 
Fazialismuskulatur, unruhiges Umhertasten der Hände, Fortdrängen 
aus dem Bett, selbst Umherkriechen im Krankenzimmer. Die letz¬ 
teren Erscheinungen gehören schon einem nicht selten zu beobachten¬ 
den deliriösen Gesamtzustand an. Diese Delirien, die vielfach erst 
nach Ueberschreiten der Akme, oft sogar erst in oder nach dem 
Stadium der Deferveszenz auftreten, gehen meist mit Sinnes¬ 
täuschungen im Bereich des Gehörs und Gesichts sowie mit sinn¬ 
losen sprachlichen Aeusserungen einher, die auf eine mehr oder 
weniger hochgradige Inkohärenz und Dissoziation der Ideenassozia- 
(ion deuten. In manchen Fällen kommen postmorbide Enzephalitiden, 
Hemiplegien, in weniger schweren Fällen sensible Reizerscheinungen, 
wie Trigeminusneuralgien, Parästhesien usw. zur Beobachtung. Alles 
dies spricht dafür, dass durch das Fleckfiebervirus in besonders 
hohem Masse das Zentralnervensystem ergriffen wird. Es lag daher 
nahe, durch Untersuchung des Lumbalpunktats der speziellen Patho¬ 
logie der Krankheit näher zu kommen. Zu therapeutischem Zweck 
ist die Lumbalpunktion bei Fleckfieber schon verwendet worden. Sie 
schien auch bei mehreren der zuerst im hiesigen Seuchenlazarett 
beobachteten Fälle angezeigt und wuJde vorgenommen. Wie vorweg 
bemerkt sein soll, ohne nennenswerten Erfolg, wenigstens ohne 
Dauererfolg. Bei diesem oder jenem Kranken schien sich das ge¬ 
trübte Sensorium vorübergehend zu bessern. Eine wirklich deutliche 
und anhaltende günstige Wirkung war aber nie festzustellen. Gleich¬ 
wohl wäre sie zu erwarten gewesen. Denn in fast allen Fällen jvar 
der Liquordruck ganz beträchtlich erhöht. Bei manchen Schwer- 
kranken spritzte der Liquor bei der Punktion in kräftigem Strahle 
aus der Nadel. Es wurden dann 15—20 ccm und selbst mehr ab¬ 
gelassen. 

Gelegentlich dieser — wie erwähnt, erfolglosen — thera¬ 
peutischen Versuche wurde der Liquor einige Male mikroskopisch 
untersucht, und es wurden dabei in allen Fällen so auffallende Befunde 
erhoben, dass nunmehr eine systematische Untersuchung der Rücken¬ 
marksflüssigkeit bei allen eingelieferten Fleckfieberkranken vorge¬ 
nommen wurde. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen, die noch 
fortgesetzt werden, seien hier vorläufig mitgeteilt, da der Befund 
nach den bisher gemachten Erfahrungen sich als fürFleckfieber 
pathognomonisch erwiesen hat, bei anderen unter Fleckfieber¬ 
verdacht eingelieferten Seuchenkranken, wie Malaria, Rekurrens, Ty¬ 
phus usw\ nie erhoben werden konnte und in mehreren frischen 
Fällen mit hohem Fieber und unklarer Symptomatologie vor Eingang 
des Resultates der W e i 1 - F e I i x sehen Blutreaktion und vor Aus¬ 
bruch des Exanthems sowie der übrigen für Fleckfieber charak¬ 
teristischen Symptome die Stellung der Diagnose ermöglichte. Aus 
Raumersparnis verzichte ich auf ausführliche Mitteilung der Kranken¬ 
geschichten — nur ein paar Fälle sollen zur Erläuterung weiter unten 
kurz angeführt werden — und berichte über die von mir bisher in 
jedem Fall von Fleckfieber erhobenen Liquorbefunde summarisch. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 









&7. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1435 


Es handelt sich um einige 30 punktierte Fälle, die sich später 
als sicheres FleckfTeber herausstellten oder schon als solches dia¬ 
gnostiziert waren. Die Diagnose wurde, abgesehen von der klini¬ 
schen Symptomatologie, meist durch die W e i 1 - F e 1 i x sehe Blut¬ 
reaktion gesichert. Sie war vom 8. Krankheitstag ab stets, bei 
manchen schon wesentlich früher positiv. Bei der ganz überwiegen¬ 
den Mehrzahl dieser Kranken zeigte der Liquor, wie schon erwähnt, 
einen enormen Ueberdruck. Die Flüssigkeit ist meist klar, ihr Ei¬ 
weissgehalt fast nie über die Norm erhöht. Stets findet sich eine 
Vermehrung der zelligen Elemente. Die Pleozytose erreicht bis zu 
100 und 1 mehr Zellen im Gesichtsfeld (bei 240facher Vergrösserung). 
An dem mikroskopischen Gesamtbild ist zunächst — auch bei relativ 
geringer Pleozytose — auffällig die Vielgestaltigkeit der Zellen. 
Neben kleinen Lymphozyten finden sich meist auffallend viel grosse. 
Ausserdem zeigt das mikroskopische Bild stets Leukozyten und zwar 
vorwiegend segmentkernige. Oft liegen fünf und mehr Kernstücke 
dn der Zelle getrennt nebeneinander. Weniger zahlreich pflegen die 
gelapptkernigen Leukozyten zu sein. Ferner fallen einkernige Zellen 
mit randständigem, exzentrisch gelagertem Kern auf, deren Proto- 
4>lasmaleib in der nächsten Umgebung des Kerns fein granuliert ist, 
während das übrige Protoplasma als hyaline, blasige Ausstülpung er¬ 
scheint. Diese „Blasenzellen“ zeigen häufig Einlagerung von fein¬ 
sten Körnchen am Rande des hyalin erscheinenden Protoplasma¬ 
abschnittes. Ist der letztere, was häufig vorkommt, besonders stark 
aufgetrieben, so dass er sich wie eine Blase von der übrigen Zelle 
absetzt, so wird, indem die Körnchen am Blasenrande zu einem 
•dunklen Halbmond sich häufen, die Figur eines kleinen Siegelringes 
hervorgebracht. Diese „Siegelringe“ finden sich nun nicht nur an 
den erwähnten „Blasenzellen“, sondern auch an den Lymphozyten 
«nd vor allem den Leukozyten. Sie sind In jedem Falle von Fleck¬ 
fieber nachzuweisen und vervollständigen das charakteristische 
.mikroskopische Bild des Fleckfieberliquors. 

Die Untersuchungen fanden stets am frisch gewonnenen, häufig 
«och lebenswarmen Liquor statt, wobei dann gelegentlich Pseudo¬ 
podienbewegungen der Leukozyten beobachtet werden konnten. Durch 
.Zusatz von Löfflers Methylenblau oder Gentianaviolett an den 
<Rand des Deckglases waren alle beschriebenen charakteristischen 
Elemente leicht zur Darstellung zu bringen. Bei den Ringen scheint 
«s sich um sehr hinfällige Gebilde handeln, da es bisher nicht gelang, 
mit den zur Verfügung stehenden — allerdings primitiven — Mitteln 
einwandfreie Dauerpräparate (G i e m s a, M a y - G r ü n w a 1 d) zu ge¬ 
winnen. Das grösste Hindernis scheint einerseits die schwere Fixier- 
barkeit des Liquor auf den Objektträger zu sein. Man Ist daher ge¬ 
zwungen, das Zentrifugat des mit Sublimat 1:1000 fixierten Liquor 
im Reagenzglas zu färben. Andrerseits scheinen die Ringe verändert 
zu werden, während der gefärbte Liquor auf dem Objektträger luft¬ 
trocken wird. 

Welche Bedeutung die Ringe haben, ist schwer zu sagen. Nach 
meinem Dafürhalten sind sie der Ausdruck einer Zellerkrankung und 
zwar einer für Fleckfieber pathognomonischen. Ob sie zu dem Er¬ 
reger der Krankheit in irgend einer Beziehung stehen, sei dahin¬ 
gestellt. Bei Oelimmersion löst sich übrigens das Siegel eines solchen 
^Ringes in feinste Körnchen, gleichsam in eine Morula auf, und diese 
Morula sieht man bei verschiedener Einstellung der Mikrometer¬ 
schraube nicht selten das Sphäroid oder Ellipsoki der an der er¬ 
krankten Zelle sitzenden Blase wie eine Kalotte haubenartig um- 
schliessen. 

Zusammengefasst erscheinen folgende Merkmale des Liquor 
cerebrospinalis — nicht einzeln, sondern in Ihrer Gesamtheit — 
jpathognomonisch für Fleckfieber: 

1. Ueberdruck (jedoch nicht obligatorisch); 

2. zellulärer Polymorphismus, d. h. eine Vielgestaltig¬ 
keit der überhaupt vorkommenden Zellen, wie sie oben be¬ 
schrieben wurde; 

3. Leukolymphozytose, d. h. Zellvermehrung, bei 
der stets neben Lymphozyten auch Leukozyten sich finden, 
letztere oft in überwiegender Mehrzahl; 

4. Siegelringe, vorwiegend an Leukozyten sitzend und an 
den kleinen mononukleären Lymphozyten. 

Die unter 2— 4 aufgeführten Charakteristika habe ich in keinem 
Eall von Fleckfieber vermisst. Ihre Bedeutung scheint mir in erster 
Linie auf differentialdiagnostischem Gebiet zu liegen. Ringe und 
Leukozyten bei Zellvermehrung habe .ich schon am zweiten 
'Krankheitstage im Liquor nachweisen können, also zu einer 
Zeit, wo <fie W e U - F e 1 i x sehe Blutreaktion noch im Stich lässt und 
auf Grund des klinischen Bildes die Diagnose vielleicht vermutet, wohl 
aber nur in Ausnahmefällen sicher gestellt werden kann. Ich konnte 
daher in letzter Zeit bei zweifelhaften Fällen die Entscheidung, ob 
Fleckfiebererkrankung vorliegt oder nicht, durch die Lumbalpunktion 
treffen. Bisher hat diese differentialdiagnostische Methode in keinem 
Falle versagt. Abgesehen davon, dass ja das Liquorbild bei wichtigen 
anderen Infektionen bekannt ist (Lymphozytose bei Metalues und 
tuberkulöser Meningitis, Leukozytose bei purulenter und epidemischer 
Meningitis), habe ich einzelne Kontrollpunktionen vorgenommen: bei 
schwerer Malaria, bei Febris recurrens, bei Typhus abdominalis und 
bei Pneumonie fand sich ein normales Liquorbild, d. h. einige wenige 
Lymphozyten (höchstens einer im Gesichtsfeld). Nie wurden die 
oben unter 2— 4 aufgezählten Befunde erhoben. 

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Dass die erwähnten Krankheiten leicht in Differentialdiagnose 
mit Fleckfieber treten können, wird jeder mit der Klinik und Sym¬ 
ptomatologie der Seuchen Vertraute zugeben, ganz abgesehen davon, 
dass gerade im Felde nicht selten bei gleichzeitiger gemeinsamer Er¬ 
krankung mehrerer Leute, sofern unter Ihnen ein sicherer Fall vo* 
Fleckfieber sich befindet, der Verdacht dieser Krankheit auch bei 
allen übrigen oft dringend sein wird. Denn Läuse haben sie meist 
alle gehabt. Viel aber ist gewonnen, wenn gleich am ersten Tage 
der Lazarettaufnahme mehreier hochfiebernder Kranker die Fälle von 
Typhus exanthematious sofort gesondeit werden können von denen, 
die sich dann bald als Influenza, Pneumonie oder eine andersartige In¬ 
fektion entpuppen. Allerdings wird man die Punktion nur dann 
vornehmen, wenn auf anderem Wege keine Klarheit zu gewinnen ist. 
Der Eingriff ist indessen bei Beherrschung der Technik ganz gering¬ 
fügig. — Eine Erläuterung zu dem Gesagten mögen noch die folgenden 
kurzen Krankheitsberichte geben: 

1. S., 35 j., aufgenommen 29. IV. 18. Erkrankt am 28. IV. 
Hohes Fieber. Sehr starke Kopfschmerzen. Sonst nichts. Dringen¬ 
der Verdacht auf Fleckfieber, da Pat. einer Kompagnie angehörte, ia 
der seit einigen Tagen Fleckfieber ausgebrochen ist. Lumbalpunktion 
ergibt normalen Liquorbefund. Pat. wird daher nicht auf die Fleck¬ 
fieberbeobachtungsstation aufgenommen. In den nächsten beiden 
Tagen Fieberabfall. Auch klinisch bestätigt sich der Verdacht auf 
Fleckfieber nicht. Diagnose: Influenza. 

2. E., 24 j., aufgenommen 3. V. 18. Erkrankt seit dem 29. IV; 
njit hohem Fieber. Sensorium leicht benommen. Verdacht auf Fleck¬ 
fieber aus denselben Gründen wie bei 1. Liquor normal. Der Fall 
stellt sich später als Malaria heraus. Im Blut wurden Plasmodien 
gefunden. An Malaria liess die anfängliche Fieberkurve (mehrtägige 
Kontinua mit leichten Remissionen) überhaupt nicht denken. 

3. N., 24 j., aufgenommen 8. V. 18. Erkrankt angeblich am 
8. V. (?) mit hohem Fieber, rasenden Kopfschmerzen. Objektiv: 
bronchitische Geräusche über der rechten Lunge, Injektion der kon- 
junktivalen Gefässe, einzelne verdächtige Maculae am Leib, Puls 130, 
klein, Temperatur 40,8°. Abgesehen hiervon dringender Verdacht 
auf Fleckfieber aus äusseren Gründen (Unterkunftsort, Erkrankungen 
im gleichen Truppenteil, Verlausung). Diagnose: beginnende Pneu¬ 
monie? Fleckfieber? Lumbalpunktion: normaler Liquor. In den 
nächsten Tagen Entfieberung bei deutlichen katarrhalischen Erschei¬ 
nungen auf der rechten Lunge. Es hat sich danach um eine Pneu¬ 
monie oder Bronchopneumonie gehandelt, die bei der Einlieferung 
des Kranken sicherlich schon einige Tage bestand. Der weitere 
Verlauf bestätigt vollauf diese Diagnose. 

Sichere Beziehungen zwischen den Einzelheiten des jeweiligen 
Liquorbefundes und der Symptomatologie des Fleckfiebers habe ich 
bisher nicht nachweisen können. Allerdings scheinen die klinisch 
besonders schweren Fällle auch eine erheblichere Pleozytose zu bieten 
und vor allem ein stärkeres Ueberwiegen der Leukozyten. Doch ist 
dies Verhalten keineswegs konstant. Das Auftreten der „Ringe“ 
an den Liquorzellen scheint vollends unabhängig von der Schwere 
des klinischen Krankheitsbildes zu sein. Sie finden sich sowohl bei 
ganz frischen Fleckfieberfällen wie bei bereits entfieberten. Dieser* 
Umstand verleiht ihrem Auftreten zusammen mit Zellvermehrung im 
Sinne einer Leukolymphozytose und zellulärem Polymorphismus die, 
wie mir scheint, ausschlaggebende differentialdiagnostische Be¬ 
deutung. Ob diese Befunde auch noch nach anderer Richtung hin 
Bedeutung haben, wird die Aufgabe weiterer Untersuchungen sein 
müssen. 

Den Herren Dr. J u n g k 1 a u s, Oberarzt d. R. Dr. Bundschuh 
und Feldunterarzt v. S e g g e r n bin ich für ihre Unterstützung bei 
meinen Untersuchungen zu besonderem Dank verpflichtet. 


(Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses der Stadt 
Neukölln, Prof. Ehrmann.) 

lieber positiven Wassermann im Liquor bei nicht 
luischer Meningitis. 

Bemerkungen zu der gleichlautenden Arbeit von 
Dr. C. Kraemer II (M. m. W. 1918, 41). 

Von Dr. Zadek, Oberarzt der Abteilung. 

Die Veröffentlichung von 2 Fällen positiver Wassermann- 
scher Reaktionen bei nichtluischer Meningitis (1 Fall von Menin¬ 
gitis cerebrospinalis mit Ausgang in Heilung, 1 Fall von tuberkulöser 
Hirnhautentzündung mit Sektionsbefund) gibt mir Veranlassung, lurz 
über mehrere hierhergehörige Fälle zu berichten, deren schon lange 
beabsichtigte Bekanntgabe sich durch die Kriegsverhältnisse ver¬ 
zögert hat. Um so mehr, als die Zahl der hier beobachteten Fälle 
ungleich grösser ist und gleichzeitig bestätigende auioptische Befunde 
vorliegen; denn erst durch die Sektion lässt sich dem Ein wand nahe¬ 
zu beweisend begegnen, es könne sich in dem Einzelfall um neben¬ 
bei bestehende ältere oder frischere Lues handeln, die unabhängig 
von der Hirnhautentzündung positiven Wassermann verursacht. Das 
bezieht sich besonders auf diejenigen Fälle von Meningitis, die eine 
positive (nichtspezifische) Reaktion nicht nur im Liquor sondern auch 
Im Blute aufweisen, während positive WaR. im Liquor allein ursäch- 

3 

UNIVERSUM OF CALIFORNIA 




1436 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 51- 


lieh nur auf <116 zurzeit bestehende Meningitis zurückzuführen und so 
mit Sicherheit als nichtspezifischer, irreleitender positiver Ausfall der 
WaR. zu bezeichnen* ist. 

In den letzten 6 Jahren sind auf der hiesigen inneren Abteilung 
fünf Fälle von Meningitis mrt positiver WaR. im 
Liquor beobachtet worden, bei denen von Syphilis nirgends eine 
Spur gefunden wurde, selbstverständlich auch anamnestisch nicht. 
Bei 3 Fällen handelte es sich um Meningitis cerebrospinalis epidemica 
mit Menngokokken im Liquor <3 mit Sektionsbefund!), 1 wies eine 
tuberkulöse Meningitis auf (seziert!), bei dem letzten bestand 
eine eitrige Hirnhautentzündung auf Grund einer Pneumokokken- 
sepsis mpt entsprechendem bakteriologischen Befunde (ebenfalls se¬ 
ziert). 

Die Krankengeschichten und Sektionsbefunde 
sind ganz kurz folgende: 

1. Frau B., 41 Jahre alt, nie ernstlich krank gewesen, 4 gesunde 
Kinder, keine Aborte, erkrankt plötzlich mit Fieber und typischen 
Zeichen einer Meningitis. Der Liquor ist leicht getrübt, enthält 
massenhaft Leukozyten und Meningokokken (Kultur); die 
WaR. ist am 3. Krankheitstage positiv, dagegen negativ im Blut; 
Wiederholung der WaR. ergibt am 6. Krankheitstage dasselbe Re¬ 
sultat in Blut und Liquor. Exitus am 7. Krankheitstag nach schwerem, 
hochfieberhaftem, stürmischem Verlauf. Sektion: Typische Me¬ 
ningokoken-Meningitis mit besonderer Eiterung an der Basis cerebri. 
Nirgends luische Veränderungen. 

2. Frau V., 68 Jahre alt, nach Angaben der Angehörigen nie 
krank gewesen, 3 Kinder, 1 Abort. Erkrankt mit mässigem Fieber, 
Verwirrtheit, typischen meningitischen Zeichen. Lumbalpunktat: 
trübe, mit vielen Leukozyten und Meningokokken (Ausstrich 
und Kultur). WaR. im Liquor +, im Blut —. Am 20. Krankheitstage, 
nach anfänglicher Besserung, erneuter Temperaturanstieg. Liquor: 
WaR. + ; Blut WaR. —. Weiterer Verlauf subfebril, dauernd mit 
Nackenstarre etc., Verwirrtheit und Unruhe. In 2 weiteren Lumbal¬ 
punktaten derselbe Befund (WaR. +). Exitus nach 8 Wochen. 
Sektion: Meningits purulenta cerebralis et spinalis. Meningo¬ 
kokken konnten nicht mehr nachgewiesen werden. Keine Zeichen 
von Lues. 

3. Frau B., 56 Jahre alt, 4 gesunde Kinder, keine Fehlgeburt Er¬ 
krankt mit Fieber, Lähmungen und Nackenstarre, Benommenheit. 
Liquor: leicht getrübt, mit Meningokokken (Kultur) und posi¬ 
tiver WaR. Blut: WaR. —. Befund einer chronischen Nephritis und 
eines Diabetes (seit vielen Jahren). Dauernd subfebriler Verlauf. 
Mehrfache erneute Liquoruntersuchungen ergeben stets denselben 
Befund. Exitus 2 Monate später. Sektion: Meningitis purulenta, 
praecipue basalis. Nach Meningokokken wurde nient mehr gesucht. 
Keine Zeichen von Syphilis. 

4. Else K., 9 Jahre alt, 3 Woohen krank, benommen, fieberhaft, 
Pupillenstarre, Nackensteifigkeit, Hypersensibilität, Kahnleib etc. 
Liquor: klar, enthält zahlreiche Lymphozyten, Fibringerinnsel mit 
Tuberkelbazillen. WaR. im Liquor -f-, im Blut —. Nach 2 Wochen 
erneute Liquoruntersuchung: WaR. 4-, Eine Schwester der Patien¬ 
tin wird ebenfalls untersucht: WaR. im Blut —. Nach 6 wöchiger 
Krankheit Exitus. Sektion: Ausgedehnte Knötchenbildung an den 
Meningen, besonders in beiden Fossae Sylvii. Geringer Hydrozepha¬ 
lus. Verkäste Drüsen an den Lungen und an der Bifurkation. Keine 
luischen Organveränderungen. Vater an Tuberkulose gestorben, 
Mutter gesund. 

5. Frau R., 29 Jahre alt. Pneumonia crouposa im rechten Ober¬ 
lappen. Keine Lösung. Empyem rechts, am 20. Krankheitstag ope¬ 
riert (Rippenresektion); im Eiter Pnennokokken. Keine Entfiebe¬ 
rung. Continua. Am 26. Krankheitstag beginnende Zeichen einer 
Meningitis. Lumbalpunktion am 27. Krankheitstag: Liquor dickeitrig, 
enthält massenhafte Eiterzellen und zahlreiche Pneumokokken (Aus¬ 
strich). WaR. im Liquor +, im Blut —. Nach 2 Tagen (moribund) noch¬ 
mals Lumbalpunktion: WaR. im Liquor +. Exitus an demselben Tage. 
Sektion: Eitrige Meningitis der Konvexität; im Eiterausstrich 
massenhafte Pneumokokken. Septische Milzschwellung. Parenchy¬ 
matöse Trübung von Leber und Nieren. Empyemreste rechts. Keine 
luischen Organveränderungen. — Die Frau hat 5 Kinder, 1 Fehl¬ 
geburt; 5 Kinder leben. Mann gesund. 

Das Ergebnis vorliegender Fälle lässt sich folgendermassen 
übersichtlich zusammenfassen: 


Klinische Diagnose 

Sektion 

Bakteriolo¬ 
gischer Befund 
tm Liquor 

Li 
kli- 1 
nisch 

tes 

anato¬ 

misch 

WaR. 

im 1 im 
Blute 1 Liquor 

Meningitis cerebrospin. epi* 


Meningokokken 




2 X *f 

demica . 

Meningitis cerebrospin. epi¬ 
demica 

Bestätigt 

— 

— 

2 X - 

Bestätigt 

Meningokokken 

_ 


2 X - 

4X + (1X 

Meningitis cerebrospin. epi¬ 
demica . . 

Bes ätigt 

Meningokokken 

_ 

_ 

1 X - 

Mhvail 4} 

3 X -f 

Meningitis tubercnlosa. 

Bestätigt 

Tuberkeibazillen 

— 

— 

1 X - 

2X4* 

Meningitis purulenta (Pneu- 

Pneumokokken 




2 X + 

mokkokensepsis) . . . 

Bestätigt 

— 

— 

1 X - 


In überzeugender Weise wird hiermit in allen Fällen durch kli¬ 
nischen und autoptischen Organbefund wie durch negative WaR. im 
Blute Freisein von Syphilis ebenso übereinstimmend bewiesen wie 
für den konstanten positiven (unspezifischen) Ausfall der WaR. im 
Liquor die Meningitis ursächlich verantwortlich gemacht. 

Digitized by Go »sie 


Ich habe noch zu erwähnen, dass die WaR. stets im hiesigen 
Pathologischen Institut (Prosektor Dr. Ehlers) nach der Origmal- 
vorschrift mit verschiedenen Antigenen unter gleichzeitiger Ver¬ 
wendung anderen Materials angestellt wurde und im allgemeinen 
beim Blut ebenso wie beim Liquor befriedigende Ergebnisse bezüg¬ 
lich der Klinik gezeitigt hat. 

Nun ist ja bekannt, dass gerade bei stärkerem Lipoidabbau im 
Blute wie im Liquor eine unspezifische positive WaR. auftreten kann, 
und kann vorderhand darin eine Erklärung für obige FäUe positiver 
Liquorreaktionen gesucht werden, solange wir in das eigentliche 
Wesen der keineswegs spezifischen WaR. nicht weiter eingedrungett 
sind. Viel geholfen wird uns damit freilich nicht: denn — um nur 
etwas herauszugreifen — es bleibt für unser Material völlig un¬ 
geklärt, warum gerade bei Meningitiden gegenüber anderen organi¬ 
schen Hirnkrankheiten, weshalb ferner unter der an sich kleinen Zahl 
von Kranken mit epidemischer Genickstarre ein so hoher Prozentsatz 
die unspezifische positive WaR. im Liquor aufweist, während sich 
bei der ungleich häufigeren tuberkulösen Meningitis bei eigens darauf 
gerichteten Untersuchungen viel seltener derartige irreführende Re¬ 
aktionen fanden. 

Praktisch hat vorliegendes Material wie auch dasjenige von 
Kraemer deswegen so grosse Bedeutung, weil es für ein weiteres 
Gebiet der Pathologie zeigt, wie vorsichtig eine positive, auch die 
konstante WaR. im Liquor im Einzelfall zu bewerten ist, hier also 
für die Meningitiden verschiedenster Genese, speziell bei epidemi¬ 
scher Genickstarre. Dabei weist der konstant negative Ausfall der 
Reaktion im Serum darauf hin, dass die Reaktion im Blute nicht 
ebenso zu verwerten ist, wie im Liquor. Es kann hinzugefügt wer¬ 
den, dass wir über mindestens dieselbe Zahl weiterer hierher gehöri¬ 
ger Beobachtungen verfügen, bei denen sogar öfters -die positive Re¬ 
aktion längere Zeit die Diagnose in falscher Richtung beeinflusste; sie 
sind hier nicht angeführt, da sie teils klinisch und anatomisch teils 
serologisch nicht so eindeutig und klar liegen wie obige 5 Fälle und. 
es lag mir daran, nur sichere, jeder Kritik standhaltende Beobach¬ 
tung zu veröffentlichen 1 ). 

Es soll hier selbstverständlich nicht die Bedeutung der Reaktion 
an sich, auch in praktischer Hinsicht, bezweifelt oder gar in Abrede 
gestellt werden; weist ihr Ausfall doch oft genug auf den richtigen 
Weg und sind ihr doch zahllose Aufschlüsse in der Pathogenese ge¬ 
rade vieler innerer Erkrankungen generell zu danken. Für den Ein¬ 
zelfall jedoch dürften obige Fälle mit dazu beitragen, die Grenzen und 
Fehler der WaR. in bezug auf ihr diagnostisches Können recht 
deutlich vor Augen zu führen; vorderhand kann sie Gutes nur leisten, 
wenn sie sich der Klinik nicht nur stets ein- sondern besser noch 
unterordnet. 


Ueber erhöhte Leistungsfähigkeit des Galleanreicherungs- 
Verfahrens bei Typhus und Paratyphus. 

Von Stabsarzt Dr. Heinrich Kayser, zurzeit stell¬ 
vertretendem beratendem Hygieniker bei einer Armee. 

Die Verwendung der Galleröhren zur Blutkul¬ 
tur bei Typhus sowie Paratyphus [Conradi 1 ), Kayser 2 )] hat 
sich seit dem Jahre 1906 allgemein in Kliniken sowie Krankenhäusern 
eingebürgert, und auch die praktischen Aerzte bedienen sich in zu¬ 
nehmendem Masse.dieses in der ersten Typhuswoche kaum ver¬ 
sagenden diagnostischen Hilfsmittels. Im Beginn des Jahres 1915 
hörte man zum erstenmal über öfters vorkommendes Ver¬ 
sagen dieser nach allgemeinem Urteil bisher bewährten Unter¬ 
suchungsmethode klagen. — Vorher war die Typhusschutzimpfung 
im Heere durchgeführt worden. — Die diagnostische Hilfe des Bak¬ 
teriologen sollte, nach mehrfachen Aeusserungen von klinischer Seite* 
einen wesentlichen Teil ihres Wertes für die prompte Bekämpfung 
des Typhus verloren haben. 

Auf einen Punkt hat bei der Beurteilung solcher Beobachtungen 
Materna 3 ) im vorigen' Jahre aufmerksam gemacht. Schlechte 
Erfahrungen mit Galleröhren kommen vielfach von der Anwendung 
aller möglichen Ersatzmethoden, insbesondere auch davon, dass, -— 
entgegen der ursprünglichen Vorschrift — nicht einige Tropfen von 
der angereicherten Flüssigkeit auf der Drigalski- oder Endo- 
platte verarbeitet werden. Nur eine oder mehrere Oesen auszu¬ 
streichen, genügt, besonders nach kurzer Anreicherungsfrist, häufig 
nicht. 

M. bebrütet 24 Stunden lang, dann entleert er das ganze Röhr¬ 
chen in eine sterile Petrischale, rührt mit dem Drigalskispatel gut 
durch, und verreibt mehrere Male soviel, als an dem Spatel hän¬ 
gen bleibt, auf der Spezial-Agarplatte. Dabei hat er 8,25 Proz. Fehler 
des Oesenverfahrens feststellen können. Diese Methode erlaube, bei 
frühzeitig ausgeführter Blutkultur, fast jeden Typhusfall bakterio¬ 
logisch rasch und sicher zu diagnostizieren, „wobei die Schutz¬ 
impfung kein wesentliches Hindernis bildet e 4 \ 
Nach Anwendung von ca. 3 ccm Blut in etwa <ier dreifachen Menge 


4 ) cf. Zadek: Erg. d. inn. M. u. Kinderhlk. 1915. 

D.m.W. 1906 Nr. 2. 

2 ) M.m.W. 1906 Nr. 17/18 und 40. — Ebenda 1907 Nr. 22 („Spät¬ 
anreicherungen“). 

3 ) B.kl.W. 1917 Nr. 24. 

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UNIVERSITV OF CALIFORNIA 


17. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1437 


reiner Galle hatte er und A., mit Material von durchweg Schutz¬ 
geimpften einer kleinen Typhusepidemie, 92,3 Proz. positive 
Blutkulturen. 

Mit dem Ausleeren des ganzen bebrüteten Galleblutes nach 
24 Stunden, behufs Verarbeitung einer grösseren Probe des Ge¬ 
misches zur abschliessenden Diagnose, wie M a t e r n a vorschlägt, 
ist zwar Vieles gewonnen, man verzichtet aber -damit auf ein rest¬ 
loses Ausnützen aller diagnostischen Möglichkeiten, die in der Galle¬ 
röhre stecken. 

Für das Gelingen der Blutkultur ist wesentlich, dasfc einmal von 
vornherein genügende Mengen Patientenblut angerei¬ 
chert werden. Dazu forderte ich, auf Grund längerer Versuchsreihen 
mit verschiedenen Mengen Ausgangsmaterial, etwa 2,5 ccm Blut 
für die 5-ccm-Galleröhre (2), und erzielte rund 100 Proz. positive 
Ergebnisse in der ersten Typhuswoche. Ferner ist ausreichende 
Bebrütung des Blutgemisches nötig. Seit dem Jahre 1905 blieben bei 
mir Galleblutröhren im ganzen 7 Tage lang bei 37° C, wenn sie nach 
1—3 Tagen auf Endo oder Drigalski kein „positives“ Resultat ge¬ 
liefert hatten; am 7. Tage wurde die letzte Tropfenprobe auf Dri- 
galskiagar gemacht. Auf Grund der dabei gemachten Beobachtungen 
kam ich für meine ersten Arbeiten zu dem Vorschlag, nach 14 bis 
20 Stunden die ersten Tropfen auszustreichen, und verlangte ich 
schliesslich 1907 (2), dass die Schlussuntersuchung erst nach weiteren 
1—2 Tagen zu machen sei. 3 Tage Totalbebrütung genügten 
nach den Erfahrungen vor dem Kriege. 

Unter mehreren Hundert Gallenblutkulturen von Typhus- und Para- 
typhusfällen Strassburgs lieferten mir die, nach gründlichem Mischen 
der Röhre, ausgegossenen Proben zweimal nach 6, 12 und 24 Stun¬ 
den Anreicherung keine Krankheitserreger, während die nach 
48 Stunden entnommenen Tropfen stark „p o s i t i v“ waren. Ein¬ 
mal gelang die Kultur der E b e r t h sehen Bazillen erst nach drei¬ 
tägigem Bebrüten des Gallenblutes. 

Hinsichtlich der damals sehr seltenen „Spätanreicherungen“ nahm 
ich an, dass es sich um Typhuskeime handle, welche in ihrer Vitalität 
geschädigt seien — durch längeren Transport in der Kälte (Winters¬ 
zeit!) —, oder Eigenschaften des Patientenblutes, oder andere Ein¬ 
flüsse. Kennen wir doch solche, und erheblich länger dauernde Ent¬ 
wicklungsverzögerungen in besten flüssigen Nährböden, sowie bei 
optimalen übrigen Kulturbedingungen auch anderwärts, z. B. bei 
Züchtungsversuchen mit chemisch geschädigten Spaltpilzen. 

Stellten nun früher die spät gelingenden Gallenblutkulturen Aus¬ 
nahmen dar, so sind die Anreicherungsverhältnisse beim Tvphus- 
Schutzgeimpftenblut von Grund aus anders geworden. Hierüber 
"konnte ich bei einer Armee Beobachtungen sammeln, die kurz mit¬ 
geteilt seien. Weitere Versuchsreihen, über sich ergebende Einzel¬ 
fragen, vermochte ich aus äusseren Gründen vorerst nicht anzustel¬ 
len. Die annähernd tausend Blutkulturen meines Materials ent¬ 
stammen „Verdachtsfällen“, die sich zum allergrössten Teil klinisch 
und bakteriologisch nicht bestätigt haben. Von einer Anzahl standen 
dem Laboratorium etwas weniger als die erwünschten 2,5—4 ccm 
Blut zur Verfügung. Verwendet wurde reine Galle; über Einzel¬ 
heiten s. u. 

Typhus. 50 „positive“ Fälle. 32 Proz. dieser Anreicherungen 
gelangen erst nach 4—7 tägiger Bebrütung des Blutgemisches; 
68 Proz. fielen nach 1—3 Tagen (56 Proz. nach 1—2 Tagen, 
20 Proz. schon narh 1 Tag) positiv aus. 

Paratyphus. 16 Proz. von 31 positiven Galieröhren (7 A 
und 24 B) brauchten 4—7 Tage^Anreicherung; bei 84 Proz. 
genügten 1—3 Tage, bei 74 Proz. genügten 2 Tage und bei 61 Proz. 
1 Tag zum „positiven“ Ergebnis. 


Einzelheiten 

Nach 1 Tag + 

Erst nach 

2 Tagen 4- 

Erst nach 

3 Tagen -f 

Erst nach 
4-7 Taeen + 

Paratyphus A . . . 

5 

_ 

1 

1 

Paratyphus B . . . 

14 

4 

2 

4 


Obige Befunde bei Typhus sind darauf zurückzuführen, dass 
die unter dem Einfluss von Schutzstoffen des Blutes stehenden Ba¬ 
zillen sich wesentlich langsamer vermehren, als wir es von den 
E b e r t h sehen Stäbchen im Gallenblutgemisch Ungeimpfter kennen. 
Sie werden unter Umständen auch in andern Lebensfunktionen ge¬ 
stört; das zeigen Beobachtungen an zunächst „atypischen“ Typhus- 
Bazillen, die aus Schutzgeimpftenblut gewonnen wurden: mangelhafte 
Agglutininempfindlichkeit (Rezeptorenschwund), unregelmässige Re¬ 
aktionen auf spezifischen Nährböden, kümmerliche Rasenbildung auf 
ihnen sonst zusagendem Nähragar. 

Aber auch die Paratyphusbakterien sind im Blute 
Typhusschutzgeimpfter einer gewissen schädigenden „Gruppe n“- 
Einwirkung unterworfen. Dies kann ohne weiteres aus obigen Zahlen 
herausgelesen werden, wenn man sie mit den „normalen“ Blutkultur¬ 
ergebnissen bei Paratvphus vergleicht. Allerdings ist der störende 
Einfluss wesentlich geringer. 

Es liegt nun nahe, der — hier unerwünschten — Wirkung dieser 
Schutzstoffe des Geimpftenblutes nicht nur durch länger fortgesetzte 
Anreicherung, sondern auch 'durch vermehrten Gallenzusatz, also 
stärkere Verdünnung des Blutes zu begegnen. Dies 
bewährt sich in der Tat. 

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Das jetzt und a. a. O. O. Beschriebene lässt sich zu folgendem 
Schluss vereinigen: 

L Die Galleanr.eicherung des Blutes ist auch 
bei Typhusschutzgeimpften eine zuverlässige 
klinisch-bakteriologische Untersuchungsmethode 
a u f T y p h u s. Sie soll möglichst beim Krankheitsbeginn angewandt 
werdep; alsdann sind besonders schnelle und sichere bakteriologische 
Diagnosen zu erwarten. Aber auch in späteren Krankheitswochen 
wird das Verfahren noch mit bestem Erfolg benutzt, selbst bei ganz 
leichten, ambulanten Fällen. 

Blutentnahme. Gewöhnlich genügen etwa 2,5 ccm Blut zum 
Bazillennachweis, von Schutzgeimpften sollen 4-^5 ccm 
B1 u t entnomen werden. Auffangen in 5 ccm steriler Rindergalle. 
Bei der Einsendung des Galleröhrchens ist anzugeben, ob es sich um 
Material von einem Schutzgeimpften handelt, und am wievielten 
Krankheitstag das Blut entnommen worden ist. 

Untersuchung. Bei älteren ungeimpften Verdachtsfällen fügt man 
vor der Anreicherung zweckmässig noch 5 ccm Galle zu, da vom 
Ende der 2. Typhuswoche ab sich eine Blutverdünnung 1:3 bis 1:4 
bewährt hat. Betrifft der Typhusverdacht einen Schutzgeimpf¬ 
ten, so sind 10—15 ccm Galle zur nachträglichen Verdünnung nötig. 
Behufs leichterer Bearbeitung empfiehlt es sich, für die Aufnahme 
dieses Endgemisches ein Kölbchen zu wählen. 

Nach 24ständiger Bebrütung bei 37* C wird das Gal¬ 
lenblut gut durchgeschüttelt und gemischt, da agglutinierte 
Bazillen am Boden gewachsen sein können. Danach giesst man einige 
Tropfen über den abgeflammten Galleröhren- oder Kölbchenrand auf 
die Spezial-Agarplatte, oder man entnimmt die Probetropfen mit der 
Pipette. Es folgt das Ausstreichen mit dem Glasspatel. Dasselbe 
wiederholt man nach 2 und nach 3 Tagen Anreicherung, wenn 
die vorhergehenden Kulturproben steril geblieben waren. Nach im 
ganzen 7 Tagen wird in gleicher Weise die Schlussuntersuchung 
gemacht. Die meisten schutzgeimpften Typhen sind schon nach 
1—3 Tagen „positiv“, ungeimpfte — bis auf wenige Ausnahmen' — 
nach 1—2 Tagen. 

2. Mit diesem Verfahren erhält man auch bei Paratyphus, 
sowohl des Typus A [Brion-Kayser 4 )] als auch des Ty¬ 
pus B [Schottmüller 4 )] von Typhusschutzgeimpften mehr 
positive Ergebnisse, als wenn man die Bebrütung, wie bisher, nach 
2 oder 3 Tagen abbricht. Allerdings wird man hier die Mehrzahl der 
positiven Befunde bereits nach eintägigem Anreichern in Händen 
haben. 

Im Felde, Ende März 1918. 

Nachtrag. Nach Beendigung dieser Arbeit erschien In Nr. 18 
der M.m.W. 1918 eine vorläufige Mitteilung von S e e 1 i g e r „Ueber 
eine Abänderung der C o n r a d i - K a y s e r sehen Gallenanreiche¬ 
rungsmethode“. Seine Beobachtungen betreffen 2—5 Tage lang be* 
brütete Blut-Galleröhren, denen nach 2 tägigem Brutschrankaufenthalt 
etwas Bouillon zugefügt wurde. S. wendet „mehrere Kubikzenti¬ 
meter“ Blut, und im Verhältnis von 1 Teil Blut zu 3 Teilen Galle an. 
S e e 1 i g e r machte dabei ähnliche Erfahrungen wie ich. Seine Fest¬ 
stellungen beweisen ebenfalls, dass die Gallenanreicherung, nach wie 
vor, von grosser Bedeutung für die klinische Bakteriologie ist, auch 
beim Typhus der Schutzgeimpften. 


lieber die Grippeepidemie an d*r Front in den Sommer¬ 
monaten 4918. 

Von Dr. K. Grasmann, Oberarzt d. Res. 

Sowohl die erste abgelaufene als auch die zweite nun bestehende 
Grippeepidemie waren wiederholt Gegenstand ausführlicher Referate, 
ohne dass zahlenmässige Angaben über die Häufigkeit der Erkran¬ 
kung bekannt wurden. Für die erste, vor-ca. 4 Monaten abgeklungene 
Epidemie -bin Ich in der Lage, genau Zahlenangaben machen zu 
können. « 

Als Arzt einer Minenwerferkompagnie im Westen hatte ich in 
den Monaten Juni, Juli und August Gelegenheit, das Wesen dieser 
in ihrem Auftreten und Verlaufe so eigenartigen Erkrankung zu be¬ 
obachten. Freilich erstreckte sich diese Beobachtung nur auf einige 
hundert Mann. Immerhin ist doch der Truppenarzt durch das ständige 
Zusammensein mit der Truppe und die dauernde Beobachtungsmög¬ 
lichkeit in der Lage, weniestens innerhalb der Truppe ein abschlies¬ 
sendes Urteil über die Häufigkeit, wechselnde Schwere und den 
Verlauf der Krankheit zu fällen, während dem Arzt in der Heimat 
nur ein Teil der schweren Fälle zur Beobachtung kommt. Viele 
gehen trotz ihrer Erkrankung ihrem Berufe nach, suchen keinen 
oder einen anderen Arzt auf und entgehen so der Statistik. Es sei 
mir deshalb gestattet, in Kürze zu berichten, wie die Grippe bei 
der Kompagnie verlief. 

Da die ersten Erkrankungen bei der Kompagnie später auftraten 
als bei anderen Truppenteilen derselben Division und da ich von 
der Formation, die vor uns die damalige Ortsunterkunft belegt hatte, 
erfuhr, dass sie viele Grippekranke hatte, liess ich einen Teil der 
Mannschaften 3 mal täglich messen. Es konnte festgestellt werden. 


4 ) A. Br Ion und Heinrich Kays er: M.m.W. 1902 Nr. 15. 

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UNIVERSUM OF CALIFORNIA 


1438 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


tic 51. 


dass vor dem Auftreten der Erkrankung keinerlei Temperatursteige¬ 
rungen bestanden, sondern die erste wie auch die grosse Mehrzahl 
aller folgenden Erkrankungen aus voller Gesundheit mit plötzlichem 
Temperaturanstieg erfolgte. Eine Inkubationszeit 1 ) von mehreren 
Tagen erscheint mir nach diesen Beobachtungen wahrscheinlich. 

Die Krankheit trat in 3 unschwer voneinander zu trennenden 
Erscheinungsformen auf: 

1. Gruppe: Fälle mit starken Kopfschmerzen und Mattigkeits¬ 
gefühl, 

2. Gruppe: Fälle mit mehr oder weniger heftigen Leibschmerzen 
und Durchfall, 

3. Gruppe: Fälle mit Hustenreiz, Schluckbeschwerden, Rauhig¬ 
keitsgefühl über dem Brustbein bzw. auch Heiserkeit. 

Fieber sowie leichteres Kopfweh und Mattigkeitsgefühl wurde 
bei allen 3 Gruppen beobachtet, waren aber bei der 1. Gruppe am aus¬ 
gesprochensten. Die Erkrankungen der 1. Gruppe verliefen durch¬ 
wegs rascher als die der 2. und 3. Gruppe. Merkwürdigerweise 
traten allerdings auch häufig Fieber, Kopfschmerzen und Mattigkeit . 
nach 3—5 Tagen zurück, um dann den Krankheitserscheinungen der . 
2. Gruppe Platz zu machen. Mitunter lag eine 2—5tägige Symptom-* 
lose Zeit dazwischen. 

Die Erkrankungen der 1. Gruppe begannen wie bei dem uns 
geläufigen Krankheitsbild der Influenza mit plötzlich einsetzendem, , 
mittelhohem oder hohem Fieber, Frostgefühl, starken Kopf- und 
Gliederschmerzen, allgemeiner Mattigkeit und Appetitlosigkeit. In 
5 Fällen begann die Erkrankung geradezu blitzartig. Die Leute fielen! 
schweissgebadet zusammen und klagten über Abgeschlagenheit und' 
Kopfweh. Die meisten aber kamen zur angesetzten Revierstunde und 
klagten über die obenerwähnten Beschwerden. Kopfweh und Fieber, 
schwanden oft in 3—4 Tagen, auffallend lang aber blieben die Pa¬ 
tienten dann noch schonungsbedürftig. 

Bei der 2. Gruppe waren die nervösen Erscheinungen durch 
Leibschmerzen, Brechreiz und Durchfälle in den Hintergrund gedrängt 
Die Stühle (nicht so häufig wie bei der Ruhr) waren dünnbreiig bis 
wässerig und nur selten mit Spuren von Schleim und Blut vermengt 
Besonders aber beherrschten Meteorismus und z. T. ausserordent¬ 
lich heftige Leibschmerzen das Krankheitsbild. Leibschmerzen und 
Meteorismus überdauerten den Durchfall beinahe in allen Fällen. 
Die Schmerzen waren in einem Falle ganz ausserordentlich heftig. 
Es bestand erhöhte Temperatur, eine zirkumskripte Druckempfind¬ 
lichkeit in der Ileozoekalgegend und Bauchdeckenspannung, so dass 
an die Möglichkeit einer Appendizitis gedacht werden musste. Dieser 
Patient wurde einem Lazarett überwiesen, kam aber nach 8 Tagen 
wieder zur Kompagnie, ohne dass sich während dieser Zelt ein der¬ 
artiger Anfall wiederholt hätte. Ganz auffallend war die häufige 
Lokalisation der Schmerzen im Colon transversum (bes. Flexura col. 
dextra) und namentlich in der Ileozoekalgegend. Das Colon descen- 
dens, meiner Anschauung nach sonst am häufigsten der Sitz von 
Schmerzen bei den Darmkatarrhen im Felde, war fast nie druck¬ 
empfindlich. Diese ungewöhnliche Prädilektionsstelle (Colon trans¬ 
versum und Ileozoekalgegend), die im Vergleiche zur Enteritis catar- 
rhalis relativ seltenen Stuhlentleerungen, das Fehlen von stärkerem 
Gurren und Kollern sowie die Heftigkeit der Leibschmerzen sprachen 
gegen das sonst geläufige Krankheitsbild der alljährlichen Sommer¬ 
diarrhoen und für eine'Erkrankung sui generis, eben für „Darm- 
grippe“. Immerhin aber muss daran gedacht werden, dass es sich 
bei derartigen Erkrankungen des Intestinaltraktus gar nicht um eine 
Erscheinungsform der Grippe handelt, sondern um die alljährlich auf¬ 
tretenden ruhrartigen Erkrankungen. Das auffallend häufige Zu¬ 
sammentreffen mit Grippe Hesse sich in diesem Falle wohl unschwer 
durch eine Sekundärinfektion des durch den „Grippeerreger“ ge¬ 
schwächten Individuums erklären. Selbstredend wurden Durchfall- 
kranke von mir nur dann als „grippekrank“ geführt, wenn Ruhr 
sowie Diätfehler auszuschliessen waren, Kopfschmerzen und Mattig¬ 
keit als Begleitsymptome bestanden. 

Die Patienten der 3. Gruppe klagten vor allem über ständigen 
Hustenreiz und Rauhigkeitsgefühl über dem Brustbein, bisweilen 
auch über Schluckbeschwerden, Schmerzen an der unteren Thorax- 
appertur und Schweratmigkeit. Heiserkeit wurde nur in 2 Fällen 
beobachtet. Auffallend schien mir bei allen diesen Fällen der Kontrast 
zwischen den starken subjektiven Beschwerden und dem geringen 
objektiven Befund. Ausser einer allgemeinen leichten Rötung der 
Rachenorgane und in einigen Fällen kaum nennenswerten Vergrösse- 
rung der einen oder beider Rachenmandeln konnte kein pathologischer 
Befund erhoben werden. Ebensowenig war je ein Belag festzustellen. 
Dieser Kontrast war z. T. derartig überraschend, dass ich in manchem 
Falle an Aggravation geglaubt hätte, würde ich mich nicht am eigenen 
Leibe davon überzeugt haben, dass dieser Gegensatz tatsächlich be¬ 
steht. Wieweit und ob eine entzündliche Schädigung der Trachea vor¬ 
lag, war mir nicht möglich festzustellen. In 9 Proz. der Fälle konnten 
leichte, nur einige Tage dauernde Bronchitiden, einmal eine Pleuritis 


*) Für die jetzige Epidemie beträgt die Inkubationszeit häufig nur 
24 Stunden und noch weniger, wie ich an den Inwohnern zweier 
ganz entlegener Bauerngehöfte beobachten konnte. Es erkrankte erst 
der Vater (Hilfsdienst), tags darauf die Mutter, dann nach 24 Stun¬ 
den 6 Kinder und die Magd. Nach weiteren 24 Stunden zwei Schwe¬ 
stern der Magd, die im Nachbarbauernhause wohnten. 

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mit grosser Kurzatmigkeit und starken pleuritlschen Schmencai be¬ 
obachtet werden. 

Mischformen zwischen Gruppe I und 3 wurden wiederholt 
beobachtet. Die häufigste eigenartige Mischform zwischen 1. und 
2. Gruppe (siehe Tabelle) oder, richtiger gesagt, die zeitliche An¬ 
einanderreihung der nervösen und intestinalen Form mit oder ohne 
Pause von 2—6 Tagen habe ich bereits erwähnt. Schnupfen und 
Konjunktivitis wie bei der Influenza sah ich nie. Aeltere Leute er¬ 
krankten mehr mit Darmerscheinungen, die jüngeren mehr mit ner¬ 
vösen Störungen. Die Fieberkurven boten nichts Charakteristisches. 
Erkrankungen, die plötzlich und mit hohem Fieber begannen, ver¬ 
liefen im allgemeinen rascher, Erkrankungen mit allmählichem Be¬ 
ginn klangen langsamer ab. Die Rekonvaleszenz dauerte für die 
kurze Zeit des vorangegangenen Fiebers auffallend lang. 

Im ganzen sind innerhalb 8 Wochen, wie aus der Tabelle er¬ 
sichtlich, */* der Kompagnie erkrankt. Hievon suchten 41 Proz. das 
Revier gar nicht auf. 59 Proz. meldeten sich krank. Von diesen 
wurden wiederum 58 Proz. im Revier aufgenommen, 20 Proz. 
konnten dienstfähig geschrieben werden. 22 Proz. mussten In La¬ 
zarette überwiesen werden*). Dabei war meist nicht die Schwere 
der Erkrankung ausschlaggebend, sondern einzig und ullein die je¬ 
weilige Unterbringung und Verwendung der Kompagnie. 



*) 

Pioniere 

b) 

Fahrer 

a) nnd b) 
zusammen 

. c > 
Leute 

unter 

30 Jahre 

*) 

Lernte 

Aber 

30 Jahre 

Erkrankt sind im ganzen . 

I. Onippe. 

II. Onippe. 

III Onippe. 

I. nnd II. Onippe . . . 
Nicht erkrankt sind . . . 

70 Proz. 

u :: 

15 „ 

£ :: 

53 Proz. 
15 „ 

28 „ 

5 " 

47 ;; 

66 Proz. 

S :: 

12 „ 

l\ :: 

73 Proz. 
26 ,, 

15 „ 

iS :: 

27 „ 

46 Proz. 

® ” 

27 „ 

8 .. 

* :: 


Nicht ohne Interesse dürfte schliesslich noch sein,, dass Fahrer 
weniger häufig erkrankten als Pioniere; die grosse Mehrzahl an 
Leibschmerzen und Durchfall. Das seltenere Erkranken und das 
prozentual häufigere Auftreten von Durchfällen kann vielleicht damit 
erklärt werden, dass die Fahrer während der Berichtzeit (Be¬ 
wegungskrieg) meist weniger dicht gedrängt untergebracht, dafür 
aber Wind und Wetter mehr ausgesetzt waren. Die Fahrer schliefen 
meist einzeln oder in kleinen Gruppen bei ihren Pferden und Fahr¬ 
zeugen, während die Pioniere in Zelten zugsweise biwakierten. Auch 
in den Stallbaracken schliefen die Fahrer nicht so eng wie die 
Pioniere. Was das Alter der Erkrankten betrifft, konnte auch bei 
der Kompagnie dieselbe Beobachtung gemacht werden wie in der 
Heimat; von Leuten über 30 Jahren erkrankten nur 46 Proz„ von 
den jüngeren Jahrgängen 73 Proz. 

Die Behandlung war eine rein symptomatische. Gegen Kopf¬ 
schmerzen wurden Pyramidon, gegen Durchfall erst Kalomet, daita 
Tannalbin, bisweilen etwas Opium gegeben. Sehr günstig wurden 
die heftigen Leibschmerzen durch Tinctura Valerianae aetherea und 
Wärme beeinflusst. Wenn es die äusseren Umstände gestatteten 
und nicht die Gefahr der Erkältung dadurch erhöht wurde, so ver- 
ordnete ich Aspirin, warme Packungen, Brust- und Halswickel. 

Die Grippeepidemie nahm bei der Kompagnie einen durchaus 
günstigen Verlauf. Ob bei anderen Truppenteilen und an anderen 
Frontabschnitten die Grippe in ähnlicher Weise verlief, entzieht sich 
meiner Kenntnis. Bei der Kompagnie sowie meines Wissens toner- 
halb der ganzen Division sind Todesfälle nicht vorgekommen. Das 
Allgemeinbefinden der Erkrankten war zwar stark beeinträchtigt, die 
Leute machten sogar zum Teil den Eindruck von Schwerkranken, 
doch hinterliess die Krankheit in keinem Falle eine bleibende Schä¬ 
digung. 


Eine Versetzung machte es mir leider unmöglich, bisher festzu¬ 
stellen, wie viele der Leute bei der jetzigen Epidemie neuerdings er¬ 
krankt sind und wie diese 2., wesentlich ernstere Epidemie bet der 
Kompagnie verläuft. 


lieber die „Einträufelung von Hetol (Natrium cinna- 
mylicum) in die Konjunktiva“ bei ChoHo-Retiiiitis 
tuberculosa. 

Von Dr. Paul Cohn, Augenarzt in Mannheim. 

Zum Verständnis der folgenden Zeilen muss zunächst nai die 
grundlegenden Arbeiten von Länderer verwiesen werden. 

Es sei vorwiegend das ausführliche Werk von ihm angeführt, |>e- 
titelt „Die Behandlung der Tuberkulose mit Zimtsäure. Verlag Vogel, 
Leipzig 1898“; wer sich kürzer orientieren will, der sei auf seine 
Anweisung zur Behandlung der Tuberkulose mit Zimtsäurs auf- 
merkstm gemacht, die 1899 in gleichem Verlage erschien. 

Sodann sind über Hetol eine grosse Anzahl Arbeiten erschteaea. 
sei es von Länderer selbst oder von Weissmann und von 
vielen anderen; es wäre zu weitläufig, alle diese Arbeiten Wer an¬ 
zuführen. 

, In die Augenheilkunde eingeführt hat das Länderer sehe Ver¬ 
fahren Pflüger, welcher in den klinischen Monatsblätter* für 

*) Sie sind alle wieder dienstfähig bei der Truppe eingetrsffe*. 

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UNIVER3ITY ÖF CALIFORNIA 









17. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1439 


Augenheilkunde, Jahrgang 1901 Heit Sept.-Okt.. Hetol als subkon- 
junktivale Injektion empfahl. 

Sodann veröffentlichte ich in der Mjrn.W. 1906 Nr. 25 eine Arbeit 
„lieber Behandlung mit Hetol bei Keratitis parenchymatosa“ und 
in der gleichen Wochenschrift 1913 Nr. 18 Ueber Behandlung ,mit 
Hetoleinträufelung* bei Iritis“. 

In diesen Arbeiten machte ich auf die gute Resorbierbarkeit des 
Hetols bei Einträufelung in die Konjunktiva, ähnlich wie bei anderen 
Augenmitteln, aufmerksam und berichtete über meine so geheilten 
Fälle. 

Die Anwendungsweise von Hetol ist in dem Kalender des Leip¬ 
ziger Verbandes geschildert, ferner auch in dem Bierbach- 
schen Schreibtischkalender, sodann in dem Werke „Moderne Thera¬ 
pie“ von Dornblüth und in dem Buch „Saure und alkalische 
Naturen“ von R e 11 b e r g, schliesslich audi in der „Therapeutischen 
Technik, herausgegeben von Schwalbe, in dem Abschnitt von 
K o b e r t über Technik der Arzneibereitung und Arzneianwendung 
S. 214 und 215. 

Was ophthalmologische Bücher anlangt, so ist das Hetotverfahren 
angeführt in dem Buch von 0 hiemann: „-Die neueren Arznei¬ 
mittel“, in A. Darier: „Neue Wege und Ziele der augenärztlichen 
Therapie, sodann in der „Enzyklopädie der Augenheilkunde“, heraus¬ 
gegeben von Schwarz, und zwar in Lieferung 8 . Auch Groe- 
nouw hat im Handbuch Graefe-Saemisch-Hess Bd. 11, S. 698 die 
Hetolbehandlung erwähnt. 

Was Berichte aus der Praxis anlangt, so sei auf die Angaben 
m meinen früheren Arbeiten verwiesen, ferner teilte Stoewer- 
Wfitten in der 22 . Versammlung rheknrsch-westfälischer Augenärzte 
am 7. Februar 1909 in Düsseldorf mit, dass er in einem Fall, den er 
genau schildert, Hetolinjektionen angewendet habe, und wäre unter 
Abstossung nekrotischer Teile glatte Vernarbung eingetreten. So¬ 
dann sei nachgetragen, dass Eversbusch schon nach der P f 1 ü - 
'g e r sehen Publikation, wie er mir sagte, Hetol subkonjunktival zu 
seiner Zufriedenheit gebraucht hat. 

Auch Silex teilte mir mit, dass er Hetol bei Episkleriti-s und 
tuberkulöser Iritis vermittels subkonfunktivaler Injektion mit gutem 
Erfolg angewendet habe. 

In dieser Arbeit soll über einige Fälle von Chorioretinitis, die 
mit Hetol behandelt wurden, berichtet werden. 

Der erste Fall ist ein 22 jähriger Schneider, welcher am 5 . März- 
1906 in Behandlung kam. Er klagte über Flimmern vor dem rechten 
Auge, Sehen von einem schwarzen Punkt und dass bei längerer Arbeit 
die Gegenstände verschwommen werden. 

Die Sehschärfe des rechten Auges betrug nur 5 /uo. die des linken 
war normal. 

Das Bild des rechten Augenhintergrundes zeigte eine aus¬ 
gesprochene Papiilitis. 

Das erste Flimmern, gab er an, habe er schon im Oktober 1905 
beim Einrücken zum Militär bemerkt, Anfang Dezember kam er 
wegen eines Bronchialkatarrhs ins Lazarett und wurde bereits Weih¬ 
nachten deswegen aus dem Militärdienst entlassen, darauf hustete er 
weiter und aüch jetzt hat er morgens noch etwas Husten; derselbe 
*rab an, dass er schon mi-t 11 Jahren J4 Jahr lungenleidend war und 
damals Kreosot bekommen habe. Auch sei ihm ein 21 jähriger Bruder 
an Lungenleiden nach 2 jähriger Krankheit gestorben. 

Die Papiilitis war sehr ausgeprägt, die Sehnervengrenze war 
ganz verwaschen, die Venen sehr verdickt und geschlängelt, die Ar¬ 
terien sehr eng, fast obliteriert, in der Umgebung des Sehnervs be¬ 
fand sich ein grösserer weisser Fleck, es zeigten sich auch makulärc 
Veränderungen, einige ältere rotgefärbte Stellen und auch geringe 
Cilaskörperveränderung in Gestalt einiger grosser beweglicher 
Flocken. 

Der Urin war frei von Eiweiss und Zucker. 

Es wurde bei dem Patienten sofort mit Hetoleinträufelung be¬ 
gonnen. 

Am 7. III. war dde Sehschärfe R. sogar bi« auf Finger 2 tu 
hcruntergegangen. 

Die Körperuntersuchung ergab rechts im Nacken ein grösseres 
Drüsenpaket. Auf der linken Lunge hörte man besonders zwischen 
<len Schulterblättern verlängertes Exspirium, einige Ronchi, keine 
feuchten Rasselgeräusche, an der Spitze und am Unterlappen nur 
verlängertes Exspirium, keine Dämpfung nachweisbar. 

Das Gewicht betrug 130 PfÖ. 

Am 13. UI. war die Sehschärfe auf 5 /«u gestiegen; am 30. IV. war 
die Sehschärfe auf V» bis Vs* gebessert, am 1 . V. sogar schon Vis. 

Der Augenhintergrund zeigte um diese Zeit folgenden Befund: 

Der Sehnerv war nicht mehr an seiner Grenze verwaschen und 
war von gelblicher Farbe, in demselben und neben demselben nach 
der Makula zu war eine rot verfärbte Stelle, im Makulagebiet waren 
weissliche narbige Stellen, peripherer im umgekehrten Bilde, eine 
Sehnervkopfgrösse nach unten von der Makula, waren 2 früher rote 
Dünkte in schwarze Stellen umgewandelt worden. 

Das Gesichtsfeld war um diese Zeit, rechts nur massig einge¬ 
schränkt, zentral wird der Blick trübef, ohne dass ein Skotom nach¬ 
weisbar ist, die rote Farbe ist zentral weniger lebhaft und deutlich, 
blau erscheint mehr blau grün, besonders zentral noch blaugrüner, 
grün wird auch zentral gut erkannt, ebenso gelb. 

Am 5. V. wurde eine erneute Augeuspdegelung vorgenommen. 
Oie Papülitis war weiter in Abheilung, dicht neben dem Sehnerv 
rrach der Makula zu befindet sich eine rote wunde Partie, die als 

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Tuberkel anzusprechen ist, nach beiden Seiten vom Sehnerv, be¬ 
sonders im makulären Gebiet zeigen sich ausgedehnte punkt- und 
strichförmige Veränderungen, auch unten (im umgekehrten Bild) 
peripher punktförmige Veränderungen neben den Gefässen. 

Pathologisch-anatomisch schien mir der Fall anzusehen als eine 
tuberkulöse Sehnervenscheidenentzündung mit einer Miliartuber¬ 
kulose der Chorioidea und Retina. 

Am 12 . V. war die Sehschärfe schon auf Vis gestiegen, in der 
Nähe wird sogar schon Snellen 0,4 in 23 cm p. remot. gelesen, blau 
wird zentral noch als grün gesehen, am 23. V. war die Sehschärfe 
bereits Vio. Am 28. V. sah Patient schon Snellen 0,4 ln 37 cm Ent¬ 
fernung, am 2 . VI. wurde zentral noch blau als grün erkannt. Am 
9. Juni war die Sehschärfe schon 5 /b. 

Am 28.“ Juni erkrankte plötzlich auch das linke Auge mit Flim¬ 
mern, Sehen von feinen Russflöckchen und Undeutlich werden des 
Arbeitsfeldes; die Sehschärfe sank links auf Vs und in der Makula¬ 
gegend war ein weisslichcr Herd sichtbar, wobei die Fovea centralis 
rot verfärbt erschien, die Sehschärfe war am 3. Juli links nur Vis. 

Am 13. Juli wurde eine Zeichnung des Augenhintergundes beider 
Augen vorgenommen. 

Der Hintergrund des rechten Auges zeigte, <fass die Papiilitis sich 
fast völlig zurückgebildet bat, die rote runde Partie neben dem 
Sehnerv ist als nichts anderes, als „ein Tuberkelknoten“ aufzufassen; 
die Veränderung der Netzhaut ist eine sehr ausgedehnte und geht 
tief in die Chorioidea hinein. Am linken Auge ist der Sehnerv un¬ 
beteiligt geblieben, die zentral erkrankte Netzhautpartie gebt zungen¬ 
förmig in das Makulagebiet hinein, sonst sind noch einige Stellen peri¬ 
pher nachweisbar. 

Am 2 Ö. Juli war links die Sehschärfe schon wieder normal, rechts 
war die Sehschärfe schon V 7 bis Ve. 

Patient wurde bis 9. Februar des folgenden Jahres weiter be¬ 
handelt und beobachtet, und war die Sehschärfe bei seiner Entlassung 
rechts V«, links vollkommen; die entzündeten Partien hatten sich 
weiter gut vernarbt. 

Ein weiterer Fall von Retinitis kam am 21. Januar 1907 in Be¬ 
handlung. Es war ein Fräulein von 24 Jahren. Das linke Auge war 
schon 2 Jahre krank und war das Sehen allmählich immer schlechter 
geworden. Das Sehen war links nur Finger 1/4 m, das rechte Auge 
hatte, normale Sehschärfe, das linke Auge stand in Divergenzstellung. 

Die STpi^geluntersuchung ergab, dass das ganz makirläre Gebiet 
des linken Auges in eine streifige grauweisse Narbenpartie umgewan¬ 
delt war, eine Kontusion hatte früher nicht stattgefunden. 

Es bestand Anämie, Gewicht 110 Pfd. 

Es wurde auch in diesem Fall links Hetol in steigenden Dosen 
eingeträufelt. Die Sehschärfe hob sich langsam, so dass dieselbe Ende 
des Jahres Vs» betrug, die Divergenzstellung verschwand, in der 
Nähe wurde links Jäger 8 gelesen. 

Dieses Auge wäre voraussichtlich noch weiter gebessert worden, 
wenn Gelegenheit dazu geboten worden wäre. 

Aetiologisch wurde leider dieser Fall nicht weiter differenzier!, 
da unsererseits die W a s s e r in a n nsche Blutentnahme erst seit 1910 
angewendet wird und Tuberkulin diagnostisch wollte ich erst später 
nach weiterer Besserung injizieren, was leider nicht mehr stattgefun- 
den hat. Dieser Fall ist aber ein Beweis dafür, dass sich noch Jahre 
lang bestehende Zustände bessern lassen, wo früher ein Enukleations¬ 
vorschlag nicht unmöglich gewesen wäre. 

Ein weiterer Fall von Chorioretinitis ist ein 18 jähriger Patient, 
welcher am 11. V. 1912 in Behandlung kam. 

Das Jahr zuvor war er wegen Blepharitis und Brillenverordnung 
schon zur Untersuchung gekommen, es bestanden beiderseits multiple 
Maculae, am linken Auge zentral, wodurch, da er nicht gespiegelt 
wurde, nicht gemerkt wurde, dass am linken Auge schon eine Chorio¬ 
retinitis bestand, die durch die zentrale Makula dem Patienten nicht 
zum Bewusstsein kam. 

Links war die Sehschärfe nur Finger 1 m, rechts wurde mit 
—1,5 V« gelesen. 

Patient klagte am rechten Auge über Flimmern, und zwar seit 

3 Tagen, die Sehschärfe betrug rechts mit —1,5 D. sphär. nur Vas. 
während sie früher V« betrug. 

Der Augenliintergund ergab folgenden Befund: Am rechten Auge 
waren im makulären Gebiet multiple weissfleckige Partien zu er¬ 
kennen, die etwas reichlich vaskularisiert waren, ferner nach innen 
und unten von der Papille im umgekehrten Bild befand sich ein aus¬ 
gedehnter Herd von- älterer Beschaffenheit, peripher war ein weiss¬ 
glänzender frischer Herd und ein etwas älterer zu erkennen, die mit 
Wahrscheinlichkeit als tuberkulös angesehen wurden; ferner waren 
peripher auch noch ältere Herde mit PigmenteinJagerung festzu¬ 
stellen; die Herde sassen längs der Gefässäste. 

Sofort wurde mit Hetoleinträufelung begonnen und Blutentnahme 
nach Wassermann vorgenommen, die negativ ausfiel. 

Die Spiegelung des linken Auges ergab rings um die Papille 
ältere stark pigmentierte Herde, im makulären Gebiet auch multiple 
stark pigmentierte Herde, auch peripher ausgedehnte chorioreti- 
mtische Gebiete. 

Das Gewicht betrug ca. 130 Pfd. Die Flimn.ererscheinungcn 
wurden bald geringer. 

Anamnestisch war nichts Sicheres zu erheben; als Kind von 

4 Jahren hatte er nicht bloss skrofulöse Hornhautentzündungen, son¬ 
dern auch trockenen Mittelohrkatarrh gehabt. 

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1440 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 51. 


Die Sehschärfe 'betrug am 22. V. rechts nach Korrektion V3c, 
links sogar schon “/as; am 5. Jnni wurde eine Zunahme von 6 Pfd. 
konstatiert; am 17. Juni war die Sehschärfe rechts auf 5 /?o. links 
5 /i8 gestiegen und rechts war in den makulären Herden feine Pigmen¬ 
tierung zu erkennen. Am 21. Juni war das Flimmern geschwunden. 
Am 27. Juni wurde mit diagnostischer Einspritzung von Kochs 
Alttuberkulin begonnen, und zwar Viomg. Am 2. Juli erfolgte eine 
Einspritzung von % mg. Am 16. Juli bekam er die dritte dia¬ 
gnostische Einspritzung von 2 mg. 

Die Sehschärfe war um diese Zeit rechts auf ß /s, links auf 8 /»a 
gestiegen. 

Darauf stieg die Temperatur abends auf 37,2, morgens auf 37,5, 
an der Injektionsstelle trat starke ausgedehnte Rötung, Schwellung 
und Empfindlichkeit auf, Patient fühlte sich tags darauf schlecht; die 
Reaktion war schon an diesem Moment als positiv aufzufassen. 
Am 18. Juli war der Appetit noch nicht gut, die Temperatur war am 
17. mittags sogar 37,9, nachmittags und abends 37,8 und am 18. Juli 
erst 36,8. 

Am 19. Juli hatte Patient 3 Pfd. abgenommen, jedoch hatte er 
seit Beginn der Behandlung immer noch 7 Pfd. zugenommen. 

Am 20. Juli war der Appetit besser, doch noch nicht ganz gut, 
die Rötung, Schwellung und Empfindlichkeit am Arm schon ge¬ 
schwunden. Am 22. Juli war der Appetit schon ganz gut und Patient 
fühlte sich wieder ganz wohl. 

Am 25. Juli war rechts die Sehschärfe auf 5 /is gesunken, links 
betrug sie auch 5 /i», doch schon am 27. Juli betrug sie rechts 
wieder 5 /t. 

Am 23. Januar 1913 klagte Patient, der sich längere Zeit der Be¬ 
handlung entzogen hatte, über Husten mit Auswurf, und zwar seit 
3—4 Wochen; die Sehschärfe betrug rechts ß /?, links ß /«. Am 3. Fe¬ 
bruar war der Husten noch nicht gehoben, auch am 4. April bestand 
der Husten noch. Am 21. April hustete Patient nicht mehr. Das 
Sehen hat sich bis zum Juli weiter gut gehalten. 

Tuberkulose der Aderhaut ist nicht selten zur Beobachtung ge¬ 
kommen, wie aus den Ausführungen von Oroenouw in der 2. Auf¬ 
lage vom Handbuch Graefe-Saemisch-Hess hervorgeht. 

Erst in neuerer Zeit war es möglich, Tuberkulose der Aderhaut 
und Netzhaut ätiologisch genauer zu differenzieren, erstens durch die 
diagnostische Anwendung von Tuberkulin, die zu lokaler und all¬ 
gemeiner Reaktion fährt, ferner durch die ziemlich sichere Ausschal¬ 
tung der luetischen Aetiologie durch die Wassermanhsche Blut¬ 
untersuchung. 

Daher ist es auch heute möglich, Tuberkulosen, die picht zur 
Enukleation kommen, als solche sicherer zu erkennen und auch leich¬ 
tere Fälle zu diagnostizieren. 

Wie schwer die Prognose der diffusen tuberkulösen Chorioiditis 
noch in letzter Zeit beurteilt wurde, zeigt di*e Ansicht von Magnus 
in der Enzyklopädie der Augenheilkunde von Schwarz, worin an¬ 
geführt’wird, dass die Therapie in der Enukleation besteht, sobald 
die Diagnose gesichert ist und das Allgemeinbefinden des Kranken 
nicht dagegen spricht. Ich nehme an, dass Magnus damit nur 
schwere Fälle gemeint hat. 

Nach Groenouw scheint es noch keine.grössere Statistik über 
die Heilungsfähigkeit der tuberkulösen Aderhaut- und Netzhautentzün¬ 
dung zu geben, wie es bei der tuberkulösen Iritis schon möglich war. 

Doch ist nicht anzunehmen, dass dieselbe wegen der Schwierig¬ 
keit der Diagnose und dem Mangel an einem Heilmittel eine beträcht¬ 
liche gewesen ist. 

Eine antiluetische Behandlung dürfte schwerlich einen Erfolg 
verursacht haben, ebensowenig eine rheumatische Behandlung, von 
einer sog. Naturheilung unter guten Lebensbedingungen kann man 
auch nicht bei der Schwere der Tuberkulose allzuviel halten, wenn¬ 
gleich dies von grosser Wichtigkeit ist. 

In der grundlegenden Pflüger sehen Arbeit wurden noch keine 
Fälle von tuberkulöser Chorioretinitis publiziert, die mit Hetol behan¬ 
delt wurden. Nur erwähnt Pflüger: die tuberkulöse Regenbogen¬ 
hautentzündung wird selten isoliert beobachtet, ohne Lokalisation der 
Tuberkulose im Ziliarkörper, und äst es möglich, dass Pflüger 
schon diesbezüglich Beobachtungen gemacht hat, die er durch seinen 
zu frühen Tod nicht hatte publizieren können. 

Der gute Erfolg in den von mir geschilderten Fällen erweist 
die Wichtigkeit der Heilbehandlung auch bei Chorioretinitis tuber- 
culosa. 

Es sind dies meines Wissens die ersten Fälle von Chorioreti¬ 
nitis, die mit Hetol behandelt wurden, welche zur Publikation kamen, 
jedenfalls wurden keine vorher mit „Hetoleinträufelung“ behandelt, 
wie überhaupt die Hetoleinträufelung meinerseits zum ersten Male 
angewendet wurde. 

Die Art der Anwendung wurde in meiner Arbeit „Ueber Be¬ 
handlung mit .Hetoleinträufelung* bei Iritis“ geschildert. 

Dass die Hetoleinträufelung nicht bloss lokal auf die Bindehaut 
wirkt, sondern das Hetol von der Bindehaut aus durch die Lymph- 
und Blutbahnen an die tuberkulösen Stellen kommt, erscheint mir 
nicht zweifelhaft; es wurde besonders darauf gesehen, dass nicht 
bloss der untere Konjunktivalsack das Hetol bekam, sondern auch die 
Conjunctiva bulbi und nach Möglichkeit noch ein Stück der oberen 
Konjunktivalfialte, um eine möglichst grosse Schleimhautfläche als 
Resorptionsfläche zu haben. 

Wie sehr viele Mittel, auf die Schleimhäute gebracht, nicht bloss 
eine Lokal- sondern auch eine Fernwirkung haben, ist in der ärzt- 

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liehen Literatur schon viel besprochen; dass speziell von der Kon¬ 
junktiva aus bei Einträufelung mit verschiedenen Augemnitteln Fern¬ 
wirkungen stattfinden, soll in einer besonderen Arbeit besprochen 
werden, speziell soll der Nachweis der Fernwirkung von Hetol von 
der Konjunktiva aus noch näher sichei gestellt werden. 

Im allgemeinen habe ich mich bisher auf Einträufelungen in die 
Konjunktiva beschränkt, doch habe ich, wie ich schon in meiner Ar¬ 
beit „lieber Behandlung mit Hetoleinträufelung bei Iritis“ berichtet 
habe, bei Fall 3 auch Zimtsäure per os als Elbon-Ciba-Tabletten ein¬ 
nehmen lassen, auch Pilul. Sanguinales mit zimtsaurem Natron wur¬ 
den gegeben, schliesslich wurden auch subkonjunktivale Injektionen 
nach Pflüger angewandt, .ebenso venöse Injektion nach L a n - 
derer. 


Zur Behandlung der Humerusfraktur der Neugeborenen. 

Von L. Freiherr v. Lesser in Leipzig. 

Unter obigem Titel bringt Dr. Kurt Stromeyer in Jena einen 
kurzen Aufsatz in. d. M.m.W. 1918 Nr. 19, in welchem er zunächst 
den Vorschlag von R übsamen, einen Triangel nach Middel- 
dorpf für die Oberarmbrüche Neugeborener anzuwenden, verwirit. 
Dafür empfiehlt Stromeyer die Behandlung auf einer Schiene, 
welche vom Ellbogen des gebrochenen Oberarmknochens, über das 
entsprechende Schultergelenk und über den Rücken des Kindes hin¬ 
weg — bei senkrecht gegen die Zimmerdecke erhobenem Vorderarme 
— bis zur „gesunden“ Schulter verläuft. Wolle man den hierbei 
notwendigen Verband um Schiene und Brustkasten vermeiden, so ge¬ 
nüge auch eine Schiene entlang dem ganzen Arme, von den Fingern 
bis zum Schultergelenk, wenn man hierbei das zugehörige Schulter- 
gelenk durch einen auf dasselbe aufgelegten Sandsack gegen die 
Bettunterlage ruhig stellt. Bei einer stärkeren Verschiebung der 
Bruchenden könne ein Streckverband aus Heftpflaster angelegt wer¬ 
den, wodurch das Aermchen des im Bettchen ruhenden Kindes in 
Streckstellung gegen das Dach des Kinderwagens senkrecht erhoben 
werden soll. Aehnlich wie es Schede für dre Obcrschenkelbrüche 
des Khvdesalters angegeben hatte. 

Wir halten die Vorschläge von Stromeyer nicht für emp¬ 
fehlenswert. Einmal, weil die Wirkung der Schienenverbändc, be¬ 
sonders der nur bis zum Ellbogen reichenden Schiene, ungenügend 
für die sichere Feststellung der Bruchenden sich erweist, und zwei¬ 
tens. weil der Streckverband, bei gegen die Zimmerdecke senkrecht 
erhobenem Arm, unzuverlässig ist in bezug auf die richtige Lagerung 
der gebrochenen Knochenenden im Sinne der DIslocatio ad peri- 
pheriam. Vor allem aber, weil bei dieser Art des Streckverbandes 
zu leicht eine Verdrehung des Vorderarmes mit dem unteren Bruch¬ 
stück des Oberarmknochens nach innen (im Sinne der Pronation). 
und eine mangelhafte Beweglichkeit des Schultergelenkes, im Sinne 
der Abhebung des Armes vom Brustkasten, Zurückbleiben. 

Wir sind bei Oberarmbrüchen Neugeborener stets so verfahren, 
dass ein Streckverband aus Heftpflaster, mit je einem Zügel der 
Heftpflasterschlinge, an der Streckseite und an der Beugeseite .des 
Vorderarmes, bis an die Bruchstelle des Oberarmknochens heran, 
angelegt wurde. Hierauf wird das ganze Aermchen mit seiner 
Streckseite (Rückenseite), in voller Auswärtsdrehung (Supination) 
des Vorderarmes, auf eine von den Fingern bis zum Schultergelenk 
reichende, gut gepolsterte, gerade Schiene gelagert. Hierauf legt man 
das Aermchen, in rechtwinkliger Abhebung von der Seitenwand des 
Brustkastens; einfach über den Rand des Bettcbens seitlich heraus, 
und beschwert die Heftpflasterschlinge mit einem Gewicht von höch¬ 
stens einem halben Kilo. Die Kinder vertragen diesen Streckver¬ 
band ausserordentlich gut. Die Bewegungen des kindlichen Körpers 
sind wenig behindert. Die Pflege -des Kindes erfolgt ohne Schwie¬ 
rigkeiten und Umstände, welche sowohl bei der Schienenbehandlung 
wie bei dem Streckverbande Strom eyers nicht fehlen dürften. 

Als Beispiel für die von uns beschriebene Methode möchte ich 
einen Fall kurz anführen, unter Beifügung der Abbildungen des An¬ 
fangsbefundes und des Endbefundes nach einer Reihe von Jahren: 

Frieda H., Postillonstochter, 38 Tage alt Drittes Kind der 
Mutter. Geburt in rechter Schulterlagc. Die Wehenhatteii vier Tage 
gedauert, waren sehr kräftig. Der rechte Arm soll angeblich aut 
dem Rücken des Kindes gelegen haben. Wendung auf den Fuss in 
Narkose. Fractura humeri dextri, an der Grenze des oberen und des 
mittleren Drittels; im rechten Winkel geheilt (Winkel axillarwärts 
offen). S. Fig. 1. Reinfractio des Oberarmknochens in Narkose: 
mühelos, mit einfachem Händedruck. Schiene und Gewichtsextension 
wie oben beschrieben. — Glatte Heilung ohne besondere Belästigung 
des Kindes und ohne Schwierigkeiten bei der Pflege desKindes. — Den 
Befund nach 3% Jahren versinnbildlicht. Fig. 2. Ein Unterschied in 
der Länge der beiden Oberarme ist nicht nachweisbar. Der rechte 
Oberarm erscheint muskelkräftiger wie der linke. Die Bewegungen 
im rechten Schultergelenk frei; nur die Abhebung des rechten Armes 
nach aussen etwas beschränkt gegenüber links. 

Lorenz Böhler- Bozen* in seiner ausserordentlich bemerkens¬ 
werten Arbeit: Ueber die Behandlung der Schulter Verrenkungen ohne 
Verband und mit sofortigen aktiven Bewegungen (M.m.W. 1918 Nr. 27) 
liat in einwandfreier Weise gezeigt, dass -die Fixierung des Annes ir 1 
abduzierter Stellung, mit Innendrehung des Armes, unphysiologisch und 
schädlich ist; mit Rücksicht auf die zurückbleibende Beschränkung \r. 
der Beweglichkeit des Schultergelenkcs und ln bezug auf die nacii- 

Qriginal fro-m 

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]7. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1441 


foerige verminderte Drehbarkeit des Armes selbst besonders nach 
aussen; und somit auch in bezug auf die hierdurch verminderte Kraft¬ 
entfaltung des Armes. 



Fig. 1. Fig. 2. 


Wir halten daher, gegenüber den Angaben Stromeyers, die 
Methode der Schienung des gebrochenen Oberarmes Neugeborener 
in rechtwinkliger Abhebung des Armes vom Brustkasten, und bei 
voller Supination des Vorderarmes — unter gleichzeitiger Anwendung 
einer gelinden Gewichtsextension — für das richtige Verfahren. — Wir 
haben die Gewichtsextension, in-ähnlicher Weise wie oben, als das. 
zweckmässigste Verfahren auch für die Behandlung der Schussbrüche 
des Ober- und des Vorderarmes empfohlen (M.m.W. 1916 Nr. 8 S. 302); 
wie solches neuerdings auch von Böhler (I. c. S. 736), zur Ver¬ 
meidung nachträglicher Schultergelenksversteifungen, als wichtig be¬ 
tont wird. 

Die Behandlung der Oberarmbrüche Neugeborener mit Gewichts¬ 
extension des in voller Supination auf einer dorsalen Schiene, in 
rechtwinkliger Abduktion vom Brustkasten, gelagerten Armes möchte 
ich, als einfach und zuverlässig, für die ärztliche Praxis warm be¬ 
fürworten. 


Die Ausrüstung handgelähmter und handverstümmelter 
Landwirte. 

Von Stabsarzt Dr. Meyburg, fachärztlicher Beirat für 
Orthopädie; Leiter der orthopäd. Nebenabteilung Trier. 

Blättert man die reichhaltige Literatur, die seit dem Weltkrieg 
über Arm- und Handersatz erschienen ist, durch, so fällt einem un¬ 
willkürlich auf, dass die meisten Arbeiten sich nur mit dem Ersatz 
der vollständig verlorenen Hand, des amputierten Vorder- oder I 
Oberarms befassen. Nur ganz vereinzelt findet man Schilderungen 
und Abbildungen von orthopädischen Apparaten — mit Ausnahme der 



und ihr Ersatz ebenfalls nur Hilfsvorrichtungen ab, die für leichte 
Arbeiten, z. B. Schreiben usw. in Frage kommen. Für verstümmelte 
Hände wurde eine ganze Anzahl kosmetischer Prothesen, wie 
sie Gocht in seinen: Künstliche Glieder abbildet, wie sie Rie¬ 
din g e r in Seinen Veröffentlichungen über Kriegskrüppelfürsorge 
ebenfalls wiedergibt, konstruiert; für die praktische Arbeit, fürs Er¬ 
werbsleben waren sic wertlos; kommt doch dieser kosmetische Hand- 
und Fingerersatz selbstverständlich für Arbeitsvorichtungen absolut 
nicht in Frage. Einen Schritt weiter in der Ausrüstung Handver¬ 
stümmelter geht Höft mann, der auf die Wiederherstellung der 
äusseren Form der verstümmelten Hand kein Gewicht legt, vielmehr 
die Hand mit Schutzkappen versieht, an denen Ansatzvorrichtungen’ 
für die verschiedenen Handwerkszeuge angebracht sind, oder beim 
Vorhandensein z. B. des Daumens ein künstlicher Finger als Gegen¬ 
griff an der Arbeitsmanschette befestigt ist. Damit leisten von Fall 
zu Fall ausgerüstet und eingeübt die Handverstümmelten schon ganz 
Vortreffliches. 

B u n d i s war wohl der erste, der Arbeitsprothesen für Vorder- 
armgelähmte erdachte und praktisch erprobte; vgl. Einarmfibel von 
v. Künssberg. Aber auch B u n d i s legte das Hauptgewicht bei 
seinen Konstruktionen auf die Möglichkeit vieler auswechselbarer Ar¬ 
beitsansätze. Diese Annehmlichkeit kommt aber meistens für die 
Vertreter der verschiedensten Handwerksberufe in Frage, für den 
Landwirt aber nicht. Dasselbe gilt von den Arbeitsprothesen, die 
Bauer in seiner Arbeit (M.m.W. 1917 Nr. 45) beschreibt und ab¬ 
bildet. Er sowie Perthes und Jüngling (M.m.W. 1917 Nr. 37) 
konstruierten für Handversteifung und Handgelähmte Arbeitsprothe¬ 
sen, bei denen das Prinzip des Gegenhalters oder der Gegenplatte zur 
Geltung kommt. Diese Prothesen verlangen immer eine gewisse Be¬ 
weglichkeit, sei es des Restes der Hand, sei es der teilweise ge¬ 
lähmten oder versteiften Finger, eine Beweglichkeit, die, verbunden 
mit einer gewissen Kraftentfaltung in der Lage ist, den Stiel eines 
Arbeitsgerätes, den Griff eines Werkzeuges gegen die Gegenplatte 
zu drücken und so festzuhalten. Für den Landwirt, für den das Zu¬ 
fassen und Greifen ebenso wie ein häufiger Wechsel der Arbeits¬ 
geräte weniger in Frage kommt, als deren sichere Führung und Hal¬ 
tung, z. B. des Pfluggriffes, des Hackenstiels, kann die Gegenplatte 
in Wegfall kommen. An ihrer Stelle müsste eine der Hand an¬ 
gepasste Arbeitskralle mit geeigneter Riemenführung treten. Von 
diesem Gesichtspunkte ausgehend haben wir bis jetzt eine ganze 
Anzahl — bisher gegen 80 — handgelähmte, handversteifte oder hand¬ 
verstümmelte Landwirte ausgerüstet. Je nach der Art der Ver¬ 
letzung muss die landwirtschaftliche Arbeitskralle verschieden sein. 
Wir unterscheiden 3 Hauptgruppen: 1. Handverstümmelte, 2. Hand¬ 
versteifte, 3. Handgelähmte (Ulnaris-Medianuslähmungen). Wie wir 
Landwirte mit Radialislähmungen auszurüsten pflegen, soll an anderer 
Stelle veröffentlicht werden. Bei ,der Konstruktion der folgenden 
Arbeits;klauen hat mich Herr Bildhauer van der Velde-Trier 
mit Rat und Tat in dankenswerter Weise hilfreich' unterstützt. 

Die leichteste Art der Ausrüstung kommt bei Handverstümmel¬ 
ten in Frage, darunter verstehen wir solche, bei denen entweder 
mehrere oder alle Finger oder sogar Teile der Mittelhand fehlen. 



Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. 

Radialislähmung, für die es ja sehr zahlreiche zweckmässige und un¬ 
zweckmässige Schienen gibt —, die für handgelähmte, oder hand¬ 
verstümmelte Landwirte oder Arbeiter in Frage kämen. Selbst in 
dem Handbuch der orthopädischen Technik von Schanz, selbst in 
den Katalogen grosser orthopädischer Geschäfte sucht man ver¬ 
gebens darnach. Bonnet bildet in seinem Schriftchen: Die Hand 


^ fig. < Fig. 5 - 

Sind die noch vorhandenen Finger beuge- und streckfähig, so er¬ 
übrigt sich eine Arbeitsvorrichtung in den meisten Fällen, desgleichen 
bei Vorhandensein z. B. nur von Daumen und Zeigefinger. Schon 
schwieriger sind die Verstümmelungen, bei denen Teile der Hohlhand 
fehlen. Am meisten Sorgfalt in bezug auf die Konstruktion und An¬ 
passung des Apparates erfordern die Krallenstellungen bei Ulnaris- 


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1442 


MUENCHENERMEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. * 


Nr. 51. 


lähmungen sowie die Medianuslähmungen, weiter die Streck- oder 
Beugekontrakturen, wie sie leider allzuoft als Folge schwerer Mus¬ 
kel- und Sehnenverletzungen und Vereiterungen im Bereich des Vor¬ 
derarms zurückgeblieben sind. Allen Formen der ebengenannten 
Verstümmelungen in der Ausführung gemeinsam ist die der Hand ge- 
nauestens angepasste Hohlhandplatte, die wir, um Rosten zu ver¬ 
meiden, aus starkem Duranablech treiben. Im Bereich der Daumen- 
bailenmuskulatur muss, um einer eventuell noch vorhandenen Ab- 
und Adduktion des Daumens Raum zu geben, ein Stück der Platte 
ausgesparrt werden, vgl. Abb. 1, 2, 3. Auf diese Duranaplatte wird 
eine geschmiedete, zweikrallige Arbeitsklaue befestigt, die ihrerseits 
mit den beiden seitlichen Schienen der Vorderarmhülse in Gelenk¬ 
verbindung steht, natürlich nur bei den Fällen, bei denen das Hand¬ 
gelenk noch beweglich ist, vgl. Abb. 1, 2, 3. Hauptsache bei dieser 
Handtellerplatte und Arbeitsklaue ist ein genaues Anmodellieren an 
die Form der verstümmelten Hand. Es ist dies keine leichte Arbeit 
und kann nur von einem geübten Schlosser und Metalltreiber aus¬ 
geführt werden. Die Metallplatte ist an ihrem distalen Ende mit 
einem Schlitz versehen, durch den ein mit einem Knebel versehener 
Riemen geht, der vermittels mannigfachster Riemenführung den Stiel 
des Handwerkszeuges gegen die Arbeitsklaue befestigt. Bei Fällen, 
bei denen ausser der Handverletzung auch noch Verletzungen im Be¬ 
reich des Ellbogengelenks oder Pseudarthrosen von Radius und Ulna 
vorhanden sind, und solche Kombinationen kommen gar nicht selten 
vor, bei denen also ständig ein Schienenhülsenapparat für Ober- und 
Unterarm zu tragen ist, fertigten wir die Arbeitsklaue abnehmbar an, 
und zwar etwa nach Art der Seitenschienen bei sog. Schienenschuhen, 
also mit einem Schlitzgelenk. Falls das Handgelenk versteift sein 
sollte, käme noch eine Feststell- und Befestigungsschraube hinzu: 
Fig. 4 und 5. Der Mann kann also nach der Arbeit die nicht mehr 
nötige Arbeitsklaue ablegen, ohne den Halt des Armstützapparates 
entbehren zu müssen. Dass in manchen Fällen, bei denen der Vor¬ 
derarm in Mittelstellung fixiert ist, ein spiraliges Herumwinden der 
seitlichen Schienen notwendig ist, dürfte wohl ohne weiteres ein¬ 
leuchten, ich möchte es aber trotzdem noch einmal besonders be¬ 
tonen — vgl. Fig. 2, 4 — wie auch die Tatsache nicht unerwähnt blei¬ 
ben darf, dass man den Arm mit der Arbeitsvorrichtung, wenn an¬ 
gängig, in die bestmöglichste Arbeitsstellung bringen soll, d. h. in eine 
Mittelstellung zwischen Pro- und Supination. Was die Befestigung 
und die Frage anbetrifft, ob wir nur mit einer Unterarmhülse aus- 
kommen oder ob wir den Oberarm und damit das Ellbogengelenk 
mitfassen müssen, hängt von Fall zu Fall ab, meistens sind wir aber 
zu letzterem gezwungen, nachdem eine ganze Anzahl, namentlich 
schwer arbeitende Landwirte, kamen und über mangelhafte Befesti¬ 
gung klagten, wenn wir versucht hatten, allein mit der Unterarm¬ 
hülse auszukommen. Wir arbeiten dann entsprechend dem D o 11 i n - 
g e r sehen Prinzip eine relativ kurze Oberarmhülse genauestens an 
und benützen die natürlichen Stutzpunkte des Skeletts als Aufhänge¬ 
punkte (vgl. Fig. 1). Nur in wenigen Fällen kamen wir mit der 
N e u m a n n sehen Kreuzbindung oder auch ohne diese aus (Fig. 3). 
In ganz seltenen Fällen mussten wir sogar eine Schulterkappe und 
Brustbefestigung anwenden (Abb. 4, 5, Schlottergelenk Ellbogen, 
komplette Handlähmung). Wir haben bis jetzt etwa 80 Kriegs¬ 
beschädigte mit den verschiedensten Verletzungen, Verstümmelungen 
und Lähmungen ausgerüstet. Es waren meist Landwirte, Winzer, 
Bahn- und Erdarbeiter, und sind wir mit den erzielten Resultaten sehr 
zufrieden,, zufrieden sind aber auch die Leute selbst, was man am 
besten aus ihren Aeusserungen hört, die sie in der Werkstatt tun, 
falls einmal an den einfachen solid geschmiedeten Apparaten ■ eine 
Aenderung oder Reparatur nötig sein sollte. Die ausgerüsteten Leute 
können den Pflug führen, die Schiebkarre handhaben, sie können gra¬ 
ben, dreschen, Ha“e, Schaufel, Heugabel gebrauchen, je nachdem sie 
die Arbeitsklaue nur als Haken oder mittels der Riemenführung als 
halbstarren Ring verwenden. Wir stellen die Apparate von Stahl 
handgeschmiedet her ohne jede Politur. Die beim Schmieden und 
Feilen entstehende Rauhigkeit der Metallfläche begünstigt das Fest¬ 
halten der Arbeitsgeräte, während eine Politur oder Vernickelung 
wenig zweckmässig ist und sehr bald unansehnlich wird. Weiter be¬ 
stätigt aber auch die Zweckmässigkeit der geschilderten Apparate die 
Tatsache, dass eine ganze Anzahl nicht kriegsverletzter, sondern 
infolge eines Unfalles beschädigter Landwirte kamen, um einen der¬ 
artigen, ihnen geschilderten und empfohlenen Apparat zu erwerben. 
Will man sich vor Misserfolgen in dieser Art der Ausrüstung be¬ 
wahren, so muss alles schematische Arbeiten vermieden werden, gibt 
es doch kaum ein Gebiet der orthopädischen Technik, bei dem das 
strengste Individualisieren so an erster Stelle zu stehen hat, wie bei 
der Ausrüstung handverstümmelter oder gelähmter Landwirte. 

Aus dem Hilfslazarett Krankenanstalt Sudenburg-Magdeburg. 
(Leiter: Beratender Chirurg Stabsarzt Prof. Dr. Wendel.) 

Ueber das häufigere Vorkommen von Wunddiphtherie. 

Von Dr. August Weinert, Kr. Assistenzarzt. 

In den letzten Wochen habe ich auf meiner Station eine grössere 
Anzahl von Fällen *) von bakteriologisch bestätigter Wunddiphtherie 
beobachtet. Es handelte sich nicht etwa um eine Hausendemie, viel- 


*) bis 8. ds. Mts. 14. 

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mehr stammten die Leute aus verschiedenen Lazaretten. Die letzten 
beiden Verwundeten kamen mit einem Lazarettzuge aus dem Westen, 
die Diagnose wurde unmittelbar nach Abnahme des Transport ver- 
bandes klinisch gestellt und alsbald durch den Bakteriologen (Ober¬ 
stabsarzt Dr. A r o n s o n) erhärtet. 

Mag nun wohl auch ein eigenartiges Zusammentreffen vorliegen, 
ich glaube doch, bei der verhältnismässig seltenen' Infektion und der 
grossen Gefahr ihrer Uebertragung den Herren Kollegen schon heute 
Mitteilung machen zu müssen, damit im Zweifelsfalle bakteriologische 
Untersuchungen vorgenommen werden. 

Ueber den klinischen Verlauf und den Erfolg verschiedener Be¬ 
handlungsmethoden behalte ich mir vor, in Kürze zu berichten. 


BQcheranzeigen und Referate. 

Dr. Emanuel Wein- Pest: Feststellung und Behandlung der 
tuberkulösen Infektion mittels antitoxlscber Heilkörper. Berlin und 
Wien 1918. 25 Mark. 

Die Herausgabe dieses vom Sohne pietätvoll übernommenen 
Werkes war nicht ohne Schwierigkeiten, da der Verf. selbst sagt, 
dass er sich in Gegensatz zur allgemeinen ärztlichen Auffassung 
stellt, dass diese grundfalsch sei, als fehlerhaft aufgedeckt und klar¬ 
gelegt werden müsse. Schon daraus geht hervor, dass nicht alle 
Ausführungen allgemeine ärztliche Zustimmung finden werden, wenn 
auch ein Buch von 608 Seiten, in dem eine fleissige Lebensarbeit 
niedergelegt ist, eine Fülle von Anregungen bringt. Es zerfällt in 
einen allgemeinen und einen speziellen Teil und tritt, das sei vor¬ 
ausgeschickt, lebhaft für J.K. ein. ♦ Charakteristisch für den Verf.. 
'der zweifellos ein selbständig denkender Kopf war, ist die Einleitung. 
Seite für Seite, ja Satz für Satz. Wie in der Anmerkung angeführt, 
steht Verf. betr. der Allergie auf dem von Kraemer immer wieder 
verfochtenen Standpunkte, dass ein Geheilter ebensowenig auf Tu¬ 
berkulin reagiert, wie ein Gesunder. (Vergl Kraemers neueste 
Kritik an den preussischen. „Richtlinien“, Zschr. f. Tuberk. 29. H. 4). 
„Die Auffassung der ärztlichen Allgemeinheit muss sich ändern, da 
sie ex radice falsch, verhängnisvoll falsch ist.“ Wer noch reagiert, 
steht eben mit seiner Tuberkulose noch „in einem gewissen Kon¬ 
takt.“ Umgekehrt sind vie^ Erscheinungen tuberkulös, die man 
nicht dafür hält 1 ) (Rheumatismus, Chlorose, Säuglingsdurchfälle); 
die Tuberkulose ist die verbreitetste „akutinfektiöse“ Krankheit, und 
es gibt keine tuberkulöse Infektion, die den Befallenen nicht „krank“ 
macht.* Alle Krankheitssymptome sind daraufhin zu prüfen *), und 
dann sind wieder mehr ganze Menschen zu behandeln, während 
jetzt z. B. von manchen sozialhygienischen Korporationen bei an¬ 
scheinend fernliegenden Komplikationen Entlassung behufs Ueber- 
nahme durch die Krankenkasse gefordert wird, da dieses „Leiden“ 
nicht mit der Tuberkulose zusammenhängt. 

Verf. bespricht weiter die Spezifität der antitoxischert Mittel: 
das Erkennen erster Aeusserungen tuberkulöser Infektion; die Wir¬ 
kung der isopathischen und der antitoxischen Mittel, die auch mit¬ 
einander verglichen werden. Allgemeine Regeln der Behandlung 
mittels antitoxischer Mittel, besonders J.K.; die Frage des Immuni- 
sierens. „Das wirkliche Antigen der Tuberkulose ist'noch unbekannt. 
Die Tuberkuline enthalten dieses Antigen nicht oder doch nicht 
in entsprechendem Masse. Die Tuberkuline immunisieren nicht, 
da sie das wirkliche Antigen der Tuberkulose nicht enthalten. Die 
mittels spezifischer Mittel erreichten Heilungen sind also um nichts 
dauerhafter, eventuell minderwertiger als die spontanen oder durch 
anderweitige Behandlung erzielten Genesungen.“ 

Es ist natürlich unmöglich, dieses starke Buch an dieser Stelle 
weiter in so genauem Eingehen auf die Gedankengänge durch¬ 
zusprechen*). Aber es war Pflicht des Referenten, auf die gross¬ 
zügige und bedeutende Darstellung besonders eben der allgemeinen 
Einleitung aufmerksam zu machen. 


x ) S. meine Besprechung von Barthel: Pathogenese der 
Tuberkulose. L. 

2 ) Zur Berliner Versammlung der Heilstättenärzte stellte ich 
hierfür den Satz auf: in dubio pro reo. ö. h. reus = aegrotus. L. 

Ä ) Zwei Beispiele müssen doch wiedergegeben werden. „Von 
der Tuberkulose kann man füglich behaupten, dass sie'nicht erblich 
ist; nur als grösste Ausnahme mag sie das eine- oder anderemal ver¬ 
erbt werden. Aber die Anlage soll sich vererben. Ob das zu Recht 
besteht oder nicht, hat jetzt keine Bedeutung. Die vererbte Anlage 
kann die Infektion begünstigen, doch bleibt das bedingende Moment 
die Infektion. Und ebenso steht es mit allen Anlagen. Eine be¬ 
günstigende Bedeutung mag ihnen zukommen, eine bestimmende 
darf ihnen niemals zugesprochen werden.“ (S. 8. Ausführung über 
determinierte und un- oder falschdeterminierte Krankheiten). „Von 
jenen Untersuchten, welche mit bisher nicht für tuberkulös ge¬ 
haltenen Krankheitssymptomen Tuberkulinallergie zeigten, wurde 
einfach behauptet, dass sie dem Resultate der Untersuchung nach 
einmal tuberkulös infiziert wurden. Ob sie diese Infektion über¬ 
standen haben, ob die Infektion noch vorliegt, ob die Infektion nicht 
latent ist, oder doch nur Krankheitssymptome verursacht* die bisher 
nicht für tuberkulösen Ursprungs ängesprochen, eventuell ätiologisch 
anderwertig, also falsch bewerte^ wurden? Alle diese Frager 
wurden nicht aufgeworfen“ (S. 11). 

Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



17. Dezember 1918; 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1443 


Der spezielle Teil gibt zuerst Regeln, wie man die Dilutionen 
des J.K. bereiten, aufbewahren, einspritzen oder einreiben soll, 
sodann spezielle Regeln der Behandlung. Ein Hauptteil umfasst dann 
die Behandlung einzelner tuberkulöser Krankheitsformen mittels 
antitoxischer Mittel (mit vielen Krankengeschichten). Säuglinge, 
Fieber, Haut, Basedow, Kopfschmerz, Augen, Blase, VerdauUngs- 
organe, Atmungsorgane, Drüsen, Knochen, Gelenke u. a. Dazu ein 
merkwürdiger Ausspruch, der aber ausführlich begründet wird 
($. 435): „nicht auf den Lungenkatarrhen liegt das Hauptgewicht, 
sondern auf dem Schnupfen; auf dem gewöhnlichen, dem gewöhnten, 
dem alltäglichen und dem alltäglich sich wiederholenden; auf dem 
Katarrh, auf den Katarrhen der Nase, der Mandeln, des Rachens, 
des Kehlkopfs, der Luftröhre, der Bronchien. Das sind die ersten 
pathologischen Anzeichen der tuberkulösen Infektion des Atmungs¬ 
traktes. Und alles, was nachfolgen kann oder nachfolgt, ist Fort¬ 
setzung und Konsequenz“ usw. 

„Ich glaube“, heisst es am Schlüsse, „dass, wer auch den spe¬ 
ziellen Teil dieses Werkes sorgfältiger durchliest, ebenfalls die An¬ 
sicht unterstützen muss, dass der Wert der spezifischen Heilmittel 
gegen Tuberkulose derzeit noch immer mehr auf dem Felde der 
Diagnostik als auf dem der Therapie zu finden ist.“ 

Viele Härten der deutschen Sprache und Weitläufigkeiten er¬ 
schweren das Lesen des sonst recht interessanten Buches eines 
Eigendenkers. Liebe- Waldhof-Elgershausen. 

Rtgl. Gr&ahey: Röntgenuntersuchung bei Kriegsverletzten. 

Taschenbuch des Feldarztes. IX. Teil. München 1918 (Lehmann). 
202 Seiten mit 184 Abbildungen. Preis 4.50 M. 

Etwas spät kommt bei den feldärztlichen Taschenbüchern auch 
die Röntgenwissenschaft zum Wort, wie Sich denn überhaupt, die 
deutsche Röntgenologie in diesem Kriege immer bescheiden in der 
Eeke gehalten hat, ausgerechnet d i e Wissenschaft, die die grösste 
Revolution in der Medizin und besonders in der Kriegsmedizin her¬ 
vorgerufen hat, die Wissenschaft, die beim Feinde zum mindesten 
nicht minder geschätzt und geübt wird als im Heimatlande Rönt¬ 
gens. — Das Buch soll ein „Kriegsersatz“ für den seit Jahren 
vergriffenen chirurgisch-pathologischen Röntgenatlas des Verfassers 
sein, ein gedrängter Ueberblick, der den Feldarzt vor den wich¬ 
tigsten Fehlschlüssen bewahrt. Die Kriegsverletzungen sind natür¬ 
lich in erster Linie berücksichtigt. Auf Behelistechnik ist besonderer 
Wert gelegt. — Da es kein frommer Köhlerglaube ist, dass die 
Röntgenstrahlen den unerfahrenen Untersucher schädigen, hätten die 
Schutzvorrichtungen etwas ausführlicher besprochen werden 
können. — Das treffliche Bändchen wird auch im Frieden manchem 
Kollegen Gewinn bringen. Alban Köhler- Wiesbaden. 

Die Hygiene des männlichen Geschlechtslebens von C. Posner. 

3. Auflage. Verlag von“ Quelle & M e y e r - Leipzig. 121 S. 
Preis 1.50 M. geb. ' 

ln 2 Jahren eine neue Auflage. Das Thema findet also noch 
interessierte Leser. In der Tat bietet das kleine Buch auch manches 
Belehrende über die Vorgänge der Zeugung und Befruchtung, das 
Nötigste auch über Geschlechtserkrankungen, wenig dagegen über 
die Hygiene des Geschlechtslebens. Wohltuend berührt es, wie \ 
Verf. es versteht, alles Anreizende zu vermeiden und mit welcher j 
Entschiedenheit er sich, von den Moralisten abrückend, allein 
auf den praktischen Standpunkt des Mediziners stellt. 

Karl T a e g e - Freiburg i. B. 

Pharmazeutische Rundschau. 

Von Oberapotheker Dr. Rapp in München. 

Die letzten Monate über sind eine Reihe neuer Reichssteuerii in 
Kraft getreten. Neben der Weinsteuer sind es besonders die Mineral¬ 
wasserbesteuerung und das Branntweinmonopol, die die Aufmerk¬ 
samkeit der Aerzte voll und ganz beanspruchen müssen. 

Zu den ohnehin schon an Wucher grenzenden Preistreibereien im 
Weinhandel trat ab 1. September noch ein 20proz. Steuerzuschlag 
auf den Weinpreis als solchen, sobald der Wein vom Händler afi den 
Verbraucher übergeht. Unter diesen Umständen wird es minder¬ 
bemittelten Kranken schwer*fallen, sich den zu ihrer Kräftigung not¬ 
wendigen Wein anschaffen zu können. Aehnlich steht es mit den 
Mineralwässern. Auch deren Entstehungskosten haben im Laufe 
eines Jahres eine ungeahnte Höhe erreicht, die noch mit einer Steuer 
von 5 Pfennig pro Liter belastet werden. Eine Ausnahmestellung 
war den Heilwässern nicht einzuräumen, da sich angeblich eine 
scharfe Grenze zwischen Heil- und Tafelwässern nicht ziehen liessr 
Gegen die von der Masse des Volkes noch drückender empfundene 
steuerliche Erhebung von 10 Pfennig pro Literflasche Limonade hat 
mit Recht der ärztliche Bezirksverein München seinerzeit beim 
Reichsgesundheitsamt Einspruch erhoben. 

Während die zwei vorgenannten Steuern nicht so sehr das 
arzneibedürftige Publikum belasten, wird die durch Schaffung des 
Branntweinmonopols notwendig werdende Verteuerung aller sprit¬ 
haltigen Arzneimittel die Patienten empfindlich treffen. Ueberlegt man 
sich, dass das Heer von Tinkturen und Einreibungsmitteln ausschliess¬ 
lich aus Branntwein hergestellt wird, dass diese Zubereitungen ge¬ 
rade die weitaus am meisten begehrten und verordneten Heilmittel 

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darstellen, so muss die Erhöhung — sie beträgt für diese Zuberei¬ 
tungen durchschnittlich 100 Proz. — im Interesse des arzneibediirf- 
tigen Publikums als sehr bedauerlich bezeichnet werden. 

Bei Einführung der Branntweinsteuer im Jahre 1887 war es 
möglich, den Heilmittelspiritus völlig steuerfrei zu belassen. Man 
sollte glauben, dass es möglich gewesen wäre, unter Ausdehnung der 
damaligen Einschränkungen eine mildere Steuererfassung der für 
Heilzwecke bestimmten Alkoholmengen in die Wege zu leiten. Vom 
ärztlichen Standpunkte aus ist diese neuerliche grosse Steuer¬ 
belastung des Heilmittelspiritus nicht nur im Interesse der Arznei¬ 
versorgung, sondern auch in ihrem eigenen Interesse zu beklagen. 
Weingeist ist nicht nur ein unentbehrliches Heilmittel, sondern als 
das beste unschädliche Desinfektionsmittel erkannt worden. Es ge¬ 
hört mit zu den notwendigsten Gebrauchsgegenständen des ärztlichen 
Sprechzimmers, insonderheit des Chirurgen. Der Chirurg muss auf 
die erprobte Alokoholdesinfektion entweder verzichten — auch Jod¬ 
benzin ist derzeit nicht zu beschaffen — oder zum Brennspiritus 
greifen, der nicht minder schwer zu erhalten ist und durch seine 
Methylalkohol- und Pyridinbasenzusätze nicht unbedenklich in der 
Anwendung erscheint. Es wäre unstreitig Aufgabe der ärztlichen 
Fachvereine, durch Eingaben an das Reichsgesundheitsamt dahin zu 
wirken, dass Branntwein mit einem neuen, weniger störenden Dena¬ 
turierungsmittel den Aerzten zur Verfügung gestellt wiTd, das ge¬ 
ruchlos ist und gesundheitlich besser entspricht. Vom chemischen Stand¬ 
punkte aus dürfte die Frage leicht gelöst werden können. Eventuell 
könnten mit einem derartig denaturierten Spiritus auch alle für ex¬ 
ternen Gebrauch in Betracht kommenden Arzneimittel hergestellt 
werden, was eine billigere Preisstellung zur Folge hätte. Einzugreifen 
in diesen Fragen wäre Sache des Aerztestandes; denn der Apotheker 
als Kaufmann hat kein Interesse daran, sein Einkommen zu schmälern. 
Es wird dem Apothekerstande von gewisser Seite bereits vor¬ 
gerechnet, wie hoch infolge des Branntweinmonopols mit seiner 
Steuererhöhung der Apothekenumsatz steigen wird und dass als 
direkte Folge davon mit einer weiteren Wertsteigerung der Apo¬ 
theken zu rechnen ist. h 

Sollte dies wirklich der Fall sein, so müssteif sich doch die 
massgebenden Kreise ernstlich überlegen, ob diese Zuwachsstei¬ 
gerung nicht teilweise einem zu errichtenden Fonds zur Entschuldung 
der Apothekenw r erte zugeftihrt werden müsste. Denn die weitsich¬ 
tigeren Parteien des Apothekerstandes erhoffen sich eine Besserung 
im Gewerbe erst nach Eintritt einer vorzunehmenden Entschuldung 
der Apotheken werte. 

Nach vierjähriger, durch den Krieg bedingten Unterbrechung 
tagten im Monat August zu Berlin die Versammlungen der Apotheker¬ 
fachvereine. Der langen Versammlungspause entsprach die grosse 
Zahl der Beratungsgegenstände auf der Tagesordnung. An erster 
Stelle zu erwähnen sind die Abmachungen mit den Krankenkassen¬ 
verbänden und im Zusammenhang damit die neue Kassenhandver¬ 
kaufsliste, welche im letzten Jahre zwischen den Parteien vereinbart 
wurde. Da diese Liste auch fiir einen Teil der Aerzte, speziell für 
Aerzte mit Hausapotheke Interesse hat, so sei ganz kurz hierüber 
referiert. Einspruch gegen die neu vereinbarte Handverkaufsliste 
war mit Sicherheit und mit einem gewissen Rechte von seiten der 
kleineren Apotheken, insonderheit von den Landapotheken, zu er¬ 
warten, w'eil die Verhältnisse in den grossen Städten und auf dem 
Lande zu verschiedenartig gelagert sind und solche Neuabmachungen 
sich nicht in ein bestimmtes Schema einzwängen Hessen. Es ist Tat¬ 
sache, dass die Existenz mancher Landapotheke, speziell in Bayern, 
wo wir ganz kleine Geschäfte haben, auf Grund dieser Handverkaufs¬ 
liste direkt gefährdet wäre. Die Lösung dieser Frage unter Herbei¬ 
führung eines gerechten Ausgleiches könnte meinem Empfinden nach 
auf folgende Weise erreicht werden: 

Es hat sich während des Krieges infolge des schnellen Wechsels 
der Arzneimittelpreise eine jährlich mindestens dreimalige Heraus¬ 
gabe der Arzneitaxe bzw. eines Nachtrages zu dieser als notwendig 
erwiesen. Als lästig wurde die Arbeit der gleichzeitig zu revi¬ 
dierenden Handverkaufstaxen empfunden. Da man auch nach dem 
Kriege mit einem ungleich schnelleren Wechsel der Listenpreise zu 
rechnen hat, wäre es dfech zweckmässiger und vorzuziehen, wenn 
man die Preise der amtlichen Taxe auch für Sie Handverkaufsartikel 
gelten lassen w ürde und dazu einen höheren Rabatt gewährt. 

Bei Festsetzung der Preise für Handverkaufsartikel geht man 
übrigens in einigen Regierungsbezirken bereits in ähnlicher Weise 
vor, indem man als Handverkaufspreise die Preisansätze der amtlichen 
Taxe nach Abzug von 10 bis 20 Proz. bestimmt. Welche 
Mittel als Handverkaufsartikel zu gelten haben, wird ein für allemal 
festgelegt. Bei Berechnung nach der amtlichen Rezepturtaxe kommt 
die Dispensationsgebühr in Wegfall, dafür tritt der Ansatz für Signa¬ 
tur in der Höhe von 10 Pi. hinzu, soferne eine solche notwendig er¬ 
scheint. Von der Gesamtsumme dieses am Ende der Rechnung er- 
rechneten Hand Verkaufspreises werden nun 10—33 Vs Proz. Rabatt 
in Abzug gebracht. Der Rabatt wird stufenweise nach den 
Beträgen angesetzt. Es bleibt den Apothekervereinen eines 
Bezirkes oder einer Grossstadt Vorbehalten, die Abstufungen der 
Rabattsätze nach Uebereinkommen festzusetzen. Sicher wird durch 
eine derartige Regelung ein einfacherer und zugleich gerechterer 
Ausgleich geschaffen als bisher, indem dann kleinere Geschäfte mit 
grösserer Kassenkundschaft einen höheren Rabatt, grössere Ge- 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





1444 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 51. 


schäfte mit kleinerer Kassenkundschaft einen kleineren Rabatt zu 
gewähren haben, während es jetzt vorkommt, dass Geschäfte mit 
kleinem und grösserem Kassenkundschaftskreise gleich hohe Nach¬ 
lässe geben müssen. Auch Aerzte mit Hausapotheken könnten eine 
solche Regelung nur begrüssen, da einerseits die für verschiedene 
Bezirke geltenden Handverkaufslisten in Wegfall kämen, anderseits 
nur der Umsatz massgebend für die Rabattsätze wäre. 

Ein weiterer wichtiger Beratungspunkt der Berliner Apotheker- 
Versammlung galt der Maturitäts- und Ausbildungsfrage. Von den 
vielen Artikeln und Reden, die im Laufe des letzten Jahres über 
diesen Gegenstand bekannt geworden sind, verdient der Aufsatz 
von Prof. Dr. Zörnig-Basel (Pharm. Ztg. 1918 Nr. 64) am meisten 
Beachtung.' Prof. Zornig, ein früherer deutscher Apotheken¬ 
besitzer, kennt die Licht- und Schattenseiten des Apothekerberufes 
aus eigener Praxis heraus, und vom Standpunkte des akademischen 
Lehrers aus verdient insoferne sein Urteil eine grössere Beachtung. 

Es sei mir gestattet, einige Sätze des Artikels herauszugreifen. 
Z. schreibt: In voller Anerkennung der kaufmännischen Seite des 
Apothekerberufes kann ich nach reiflicher Ueberlegung nicht umhin, 
an erster Stelle in einer besseren, wissenschaftlichen Ausbildung und 
einer Vertiefung unserer Fachstudien einen wesentlichen Faktor in 
der Gesundung des Apothekerstandes zu ersehen. Die Apotheke ist 
und bleibt an erster Stelle eine Stätte der Wissenschaft. Von dieser 
Grundanschauung darf auf keinem Fall abgesehen werden. Erst an 
zweiter Stelle ist die Apotheke, trotz der in ihr niedergelegten hohen 
Werte, als kaufmännisches Geschäft zu betrachten. 

Besonders beherzigen sollten sich viele Fachgenossen die Worte 
Zörnigs, wenn er schreibt: Die Zeiten ändern sich, es bleibt uns 
nichts übrig, als dass wir uns mit ihnen ändern. Verwundern muss 
man sich über die Ausführungen Jener Reformgegner, welche über¬ 
haupt jede Aenderung schon deshalb für überflüssig erachten, weil 
nach ihrer Ansicht alles im Stande tadellos funktioniert. 

Ebenso dürften die Ausführungen Prof. Zörnigs über das 
eigentliche Fachstudium des Apothekers über die Verhältnisse im 
Pharmakognosieunterricht von den Unterrichtsministerien ernstlich 
zu beherzigen \ein. Zörnigs Schlussworten ist daher voll und 
ganz beizupflichten: 

„Nicht nur eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung unseres 
Nachwuchses muss uns arti Herzen liegen, sondern wir müssen in der 
ausgesprochenen wissenschaftlichen Betätigung des Apothekers eines 
der wichtigsten Momente erblicken, um unseren Beruf wieder zu 
einem für uns erfreulichen und für den Mitmenschen segensreichen 
zu gestalten, zu dem was er früher war und heute sein sollte, zu 
einer Anstalt für Volksgesundheitspflege.“ 

Neuere Arzneimittel, Spezialitäten, G e h e i m m i 11 e 1 
und Vorschriften. 

Zusammengestellt vom April bis Oktober 1918. 

Die Militärbefehlshaber fuhren auch im abgelaufenen Halbjahr 
eifrig fort, die Ausübung der Heilkunde durch nicht approbierte Per¬ 
sonen und die Ankündigung von Heilmitteln einzuschränken. Ueber 
die Erfolge in dieser Hinsicht schreibt der Tätigkeitsbericht der 
chemischen Untersuchungsanstalt der Stadt Leipzig vom Jahre 1917: 

Zu den Ueberraschungen des Krieges gehört auch die völlige 
Lahmlegung aller bisher mit Kurpfuscherei und Geheimmittel¬ 
erzeugung beschäftigten Betriebe. Was bisher der gesunde Verstand 
der Bevölkerung und die einschlägige Gesetzespraxis nicht ver¬ 
mochten, nämlich den Schwindel mit Geheimmitteln und Spezialitäten 
und den Unfug des Anpreisens von Arzneien, Apparaten und anderen 
Gegenständen zur Linderung oder Heilung von Krankheiten, ein¬ 
zudämmen, hat die Kriegszeit rasch und gründlich erledigt. Die 
Verordnung der kommandierenden Generale des XII. und XIX. K. S. 
Armeekorps hat Wunder gewirkt und viele vor Ausgaben bewahrt, 
die sie für die Beschaffung der notwendigen Nahrung besser ge¬ 
brauchen konnten. Da auch die Zufuhr ausländischer Geheimmittel 
von den berüchtigsten Laboratorien des feindlichen Auslandes ab¬ 
geschnitten ist, ist die Belästigung und Ausbeutung des deutschen 
Volkes durch Angebot schwindelhafter Erzeugnisse auf ein solches 
Mass beschränkt worden, Wie es auch in der kommenden Friedens¬ 
zeit zu wünschen wäre. 

I. Als Antineuralgica, Antlrheumatica, Gichtmlttel sind zu nennen: 
Kamferol = ein Kampferersatz, bestehend aus einer Mischung 
von Eucalyptol und Methylsalicylat. Darsteller: Heine 
6c Cie. A.-G., Leipzig. 

P y r c x = Phenazon, citric. und Exalgin, ein Kopfschmerzmittel von 
der Salomonis-Apotheke, Leipzig. 

S a n a r t h r i t „H e i 1 n e r“ = ein aus Kälbern gewonnenes Knorpel¬ 
extrakt. In Handel gebracht von der chem.-pharm. Fabrik 
Luitpoldwerk München. 

Tetrahydroatophan = hydriertes Atophan von Dr. Seve¬ 
rin in B.kl.W. 1918 Nr. 35 empfahlen. Hersteller: Cheni. 
Werke, Grenzach. 

II. Nervina. . 

ln diese Gruppe gehört: 

A m a r i ii — Natr. glycerophosphor., Strychnin, cacodylic. mit Novo¬ 
cainzusatz, ein Antineurasthenicum. Hersteller: Bruno 
Salomon, Charlottenburg 4. 

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III. Als Sedativa sind zu nennen: 

A m n c s i n = eine Kombination von Morphin-Narkotin- und Chinin 
als injektionsfertige Lösung zur besonderen Verwendung in 
der Geburtshilfe. Fabrikant: C. F. Böhringer 6t Söhne, 
ehern. Fabrik, Waldhof-Mannheim., 

D o in opon = ein Opiumpräparat, welches die Gesamtalkaloide des 
• Opiums in reinem und wasserlöslichem Zustande enthält. 
In den Handel gebracht von Fabrik Chem.-pharm. Präparate 
„Chinoin“ in Ujpest bei Budapest. 

Glycomecon = Gesamtopiumalkaloide an Mekorlsäure und Gly¬ 
zerinphosphorsäure gebunden. Hergestellt von Temmler¬ 
werken ver. ehern. Fabriken, Detmold. 

M e c o p o n = enthält die Gesamtalkaloide des Opiums an Mekon- 
säurc gebunden. Darsteller: Zyma Th. Miihlethaler A.G. 
Nyon 

Pa v o n = enthält die wirksamen Bestandteile des Opiums mit einem 
Gehalt von 23 Proz. Morphin. Darsteller: Gesellschaft für 
ehern. Industrie, Basel. 

IV. Kardiaca, Diuretica, Gefässmittel. 

Hierher gehören: 

E u s t r o p h i n u m — eine Lösung von reinstem Strophanthin. Dar¬ 
steller: Chern. Industrie Dr. Baijet, de Moor 6t Cie., Arn¬ 
heim. 

Kardysat = neu eingeführter Deckname neben dem alten Namen 
für das Digitalysat der Ysatfabrik Johannes Bürger, Wer- 
nigerrode a/H. 

L e o j o d i » = Tabletten mit einer Jodeiweissverbindung. Darsteller: 
Chem. Fabrik Kopenhagen, Amagertoro 33. 

M y o k a r d o 1 = enthält 0,2 Ergotin und 0,02 Coffein bei nervösen 
Störungen der Herztätigkeit. Monatsschr. f. Geburfsh. 
1918 H. 3. Herteller: Dr. R. Weil und Dr. O, Well, Frank¬ 
furt a/M. 

V. Mittel bei Erkrankung des Digestionstraktes. 

Es sind zu nennen (zur Mundpflege)'. 

S a 1 o z o 1 = ein Sauerstoffzahnpulver der Firma Addy Salomon, 
Charlottenburg. 

T a u g o s a 1 - Z a h-n p a s t a = Calciumcarbonat, Thymol, Pfeffer¬ 
minzöl, Menthol. Darst.: Dr. Weidner 6c Co, Berlin S.W. 4K 

Als Magen - und Darmmittel : 

C a r c o 1 i d = Carbo colloidalis zur Behandlung von Ruhr, hart¬ 
näckigen Durchfällen usw. Fabrikant: C. F. Böhringer 
6c Söhne, Chem. Fabrik Mannheim-Waldhof. 

C i b a r o 1 = ein Magen- und Verdauungspulver mit Karlsbadersalz 
und Pfefferminz. Darsteller: Franz Schwerz in Gotha 6. 

Choleramint ’=£. internes Boluspräparat in Tablettenform. Her- 
gesteift von Chem. Fabrik Moreau 6t Co., Berlin S. 59. 

Thymolpalmitat = palmitinsaure Thymolester, bei Ruhr ange¬ 
wendet. Fabrikant: E. Merck, chem. Fabrik, Darmstadt. 

V e n t r o s a n = besteht aus Natrium-Magnesium-Menthylat und 
dient als Verdauungspulver. Fabrikant: Chem. Fabrik 
Auxil m. b. H„ Mainz. 

VI. Nähr- und Blutpräparate (Tonica, Roborantia). 

Hier sind zu nennen: 

Calcodylin 2% proz. Auflösung von Calcium cacodylicum in 
Ringerlösung. Darsteller: Chem. Fabrik Arthur Jaffe. 
Berlin 0. 

Lecithin-Eisen- Tinktur = eine Lösung von Ferr. pyro- 
phosphoric. c. Ammon, citric. mit 0,4 Proz. Eierlezithin. Dar¬ 
steller: Dr. Pfeffermann 6t Co., Berlin N.W. 21. 

Ossosan = ein Knochenextrakt, steht dem Liebigschen Fleisch¬ 
extrakt kaum nach. Fabrikant: Soyamawerke Dr. Engel¬ 
hardt, Frankfurt. 

Vegeta = Nerven- und Kräftigungsmittel, enthält in der Haupt¬ 
sache Glykose, Pflanzenproteine, Natriumbfkarbonat. Dar¬ 
steller: Psom-Fabrik, Franz Schwerz, Gotha 6. 

VII. Als Antidysmenorrholcum ist zu erwähnen: 

D u b a t o 1 = ■ isovalerylmandelsaures ’ Calcium bei neuralgischen 
Schmerzen, Migräne, besonders aber als Antidysmenor- 
hoicum empfohlen. Hergestellt: von Chem. Fabrik von 
Heyden, Radebeul-Dresden. 

VIII. Dermatlca, Hautmlttel. 

Hierher gehören: 

A c a r o 1 — ein Krätzemittel von Apotheker H. Krieger, Fabrik 
pharm. Präparate, Köln. 

Aknolpuder — Aluminiumphenylacetat, Brianconer Kreide, Kohle¬ 
hydrate, Tonerdesubsilicat, Zinkoxyd und Zinnober. Dar¬ 
steller: St. Johannes-Apotheke Plauen i. V. 

A o 1 a n = ein aus Kuhmilch hergestelltes Präparat, frei von allen 
schädlichen Bestandteilen, zur Behandlung von Bartflechte 
empfohlen. Fabrikant: P. Beiersdorf 6t Cie., Hamburg. 

Besä Ion = eine neue Salbengrundlage, Darsteller: Apotheker 
Salomon, Charlottenburg IV. 

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Eczematin = eine stark calciumhaltige und Sauerstoff abspaltende 
Salbe in Pastenform, Chem. .Fabrik Dr. R. u. Dr. 0. Weil, 
Frankfurt a. M. 

Fabri-Seife = früher Ullaseife genannt, gegen Krätze und Haut¬ 
jucken empfohlen. Darst.: L. Fabricius, Vohwinkel Rhld. 

Psoralan = eine Flechtensalbe. Darsteller: Apotheker G. Butt¬ 
mann, Stassfurt. 

S t y r o 1 i n = eine Lösung von Harzen in aromatischen Estern als 
Ersatz für Perubalsam und Stryax spez. gegen Krätze. 
Chem. Ztg. 1918 S. 176. 

IX. An Antlgonorrhoicum sind bekannt geworden: 

Ca vi bien Stäbchen = mit einem antiseptischen Ueberzug ver¬ 
sehene Hohlstäbchen aus steriler Gelatine, die Silberfarb¬ 
stoffverbindung Uranoblen in Pulverform enthalten. Her¬ 
steller: Fabrik pharm. Präparate Dr. Jabionski, Breslau IX. 

I) e 1 e g o n = ein Tripperschutznrittel mit 2 Proz. Protargol in hand¬ 
licher Stäbchenform. Hergestellt von den Farbenfabriken 
vorm. Bayer & Cie., Leverkusen a. Rh. 

1 x o 1 o ii = Diborzink-tetra-örthooxy-beozoesäure als Antigonorrhoi- 
curn empfohlen. M.m.W. 1918 S. 674. 

X. Als Antisyphilltlca sind zu nennen: 

C y 1 a r s o 1 = eine methylarsensaure Quecksilberverbindung, ein 
Enesolersatz. Darsteller: Chem. Industrie Dr. Bai je t de 
Moor & Co. in Arnheim. 

H y m e t a r s a n = Methylarseniat und Quecksilbersalizylat, ein 
Enesolersatz. Darsteller: Apotheker Bruno Salomon, 
Charlottenburg 4. 

L u s a 1 = Tabulettae Hydrargyri cum Nucleino comp., ein internes 
Antilueticum der Firma: Chem. Fabrik A.-G. „Medica“. 

Mercasan Eri = ein Enesolersatz. Darsteller: Apotheker Imre 
Rozsavölgyi, Pest. 

Scorenzlos. Kalomeleinspritzung = Hydr. chlorat. v. p. 1 gr., 
(nimm. Arabic. pulv. 0.5 g, Aqu. dest. sterilis. 10 g. 

XI. Antiseptlca, DesinHclentia. 

Hierher gehören: 

A r g o s a u eine Lösung von kolloidalem Silber. Darsteller: Rieh. 
Paul, med.-chem. Industrie. 

C h 1 o i c o s a n Sa eine Lösung von Dichioramiu T in gechlortem 
Paraffinwachs nach Dakin und Dun harn zur Wund¬ 
behandlung. 

Chlorosen Alther =■ Ersatz für Prophylakticum Mallebrein. 
Darsteller: Sternapotheke R. Alther, St. Gallen. 

Collargol keimfrei trocken = ein neues Präparat, um 
keimfreie Lösungen hersteilen zu können. Darsteller: Chem. 
Fabrik von Heyden, Radebeul-Dresden. 

Kormlution K = ein formaldehydhaltiges Desinfektionsmittel. 

Hersteller: Chem. Fabrik Flörsheim, Dr. H. Nördlinger, 
Flörsheim a. M. 

L y s o c h I o r = Dichlorbenzol mit einer Spezialseife löslich ge¬ 
macht. Fabrikant: Schülke & Mayr, Hamburg. 

Pyocaemin = eine Solutio Aluminis et Calcii chlorici thymolata 
nach Dr. S t u p i c k i. Darsteller: B. Brögli, Burgdorf- 
Unterstadt. 

'I' inet. Mencier = Tinct. Quillajae 75,0, Jodoform 2,5. Sapo¬ 
nin 2,5, Guajakol 10,0, Eukalyptol 10,0, Bals. peruv. 10,0 zur 
Wundbehandlung. Pharm. Weekbl. 1918 Nr. 22. 

Ferner folgende Kresolpräparate: 

P a r o 1 — Parachlormetakresol in alkalischer Lösung, ein Desinfek¬ 
tionsmittel der Firma Dr. Raschig, Chem. Fabrik, Ludwigs¬ 
hafen a. Rh. 

Tetosol = 50proz. Kresolpräparat ohne Seife. Darsteller: Julius 
-Thiecke, Berlin-Weissensee. 

Und folgendes Hamantlseptlkum. 

Hexapyrin — geschützter Name für acetylsaures Hexamethylen¬ 
tetramin von der Firma Dr. L. Egger & I. Egger, Pest. 

XII. Als Diabetesmittel wurde genannt: 

Diabetylin-Tabletten = angeblich mit Trypsinen ange¬ 
reicherte Hefe; ein Mittel zur Bekämpfung der Zucker¬ 
krankheit. Hersteller: Diabetylin-Gesellschaft, Berlin- 
Steglitz. 

XIII. Bakteriotherapeutische, organotherapeutische und serothera¬ 
peutisch© Präparate. 

Hier sind zu erwähnen: 

D y s m o s i 1 = ein multivalenter Ruhrschutz-Impistoff. Darsteller: 
Chem. Fabrik und Seruminstitut Bram in Oelzschau. 

Lipovakzinen = eine Bazilien-Oelemulsion. M.m.W. 1918 
S. 890 

Ruhrimpfstoff Dysbacta =r ein prophylaktischer Ruhrimpf¬ 
stoff. Hergestellt von dem Serumwerke Ruete Enoch, Ham¬ 
burg. 

S t a phy losan — eine polyvalente Staphylokokkenvakzine. Dar¬ 
steller: Sachs. Serumwerk Dresden. 

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Tebecin Dostal = eine polyvalente Vakzine von Tuberkeln. 

Darsteller: Chem.-pharm. Abtl. von Reichold, Flügger 
& Böcking, Wien XI/9. 

T r i c h o u = hochgradig polyvalentes Trichophytin. Darsteller: 
Chem. Fabrik vorm. E. Schering, Berlin N. 

XIV. Ferner ist zu nennen: 

Als KrankenpHegsartlkel: 

Per gut — an Stelle von Guttapercha. 

Für das knapp gewordene Guttapercha haben die Farben¬ 
fabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Leverkusen in dem Pergut einen 
sehr brauchbaren Ersatz auf den Markt gebracht. Es stellt einen 
hellgelbbraunen, durchsichtigen, geruchsfreien, wasserundurchlässigen 
Stoff von etwa 0,07 mm Dicke dar, der dem Guttaperchapapier in 
seinen Eigenschaften und dem Aussehen nach sehr nahe kommt. 

Gegen Wasser verhält sich Pergut bei gewöhnlicher Temperatur 
indifferent, von sehr heissem Wasser wird cs erweicht, von Alkohol 
gelöst. Zu Alkoholverbänden ist Pergut daher nicht verwendbar. 
Durch Einlegen in wässrige Formalinlösung kann Pergut keimfrei 
gemacht werden. 

Für den Arzt liegt im Pergut jedenfalls ein sehr beachtenswertes 
Verbandstoffmaterial vor, das im Gegensatz zu den Pergament- und 
Qelpapieren dem Guttaperchapapier am nächsten kommt und das sich, 
wie Versuche an Krankenhäusern und Kliniken gezeigt haben, zu Ver¬ 
bänden verschiedenster Art eignet. Zustatten kommt dabei dem 
Pergut seine grössere Reissfestigkeit, durch die es bei Zerrungen 
keine Deformation erleidet und wodurch es mehrfach hintereinander 
zum Verbandwechsel benützt werden kann. 

Der Preis von Pergut, das in Stücken zu 5 m Länge ca. 53 cm 
breit geliefert wird, kann als mässig bezeichnet werden, so dass das 
Pergut bereits bei verschiedenen Kassen als Verbandstoff zugelassen 
wurde. 

Neueste Jourualllteratur. 

Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie. 

1918, Heft 10. 

# 

Goldscheider: Ueber die krankhafte Ueberempfindlichkeit und 
Ihre Behandlung. (Schluss folgt.) 

E. v. d. P o r t e n: Die Anwendung der d’Arsdiivallsation bei Spon¬ 
dylitis deformans. 

Diagnostische Bemerkungen und Empfehlung der d’Arsonvalisation 
zur Linderung der Schmerzen. Bericht über einige Fälle. 

L. J a c o b - Wiirzburg. 

Monatsschrift für Geburtshilfe u. Gynäkologie. Band 48, 
Heft 4. 1918. 

L. Nürnberger - München: Erlebnisse der Münchener Uni¬ 
versitäts-Frauenklinik mit der Spanischen Krankheit. 

Eingehendes Studium des Einflusses der Grippe auf die Gebären¬ 
den wie gynäkologisch‘Operierten ergab praktische Schlüsse: Die 
innere Untersuchung ist bei Gebärenden womöglich zu unterlassen. 
Im Wochenbett ist die Differentialdiagnose, ob Kindbettfieber oder 
Influenza sehr schwierig. Zu Zeiten der Grippe sollen womöglich alle 
Operationen unterbleiben. Döderlein operierte während’ des 
Höhestadiums der Epidemie übeihaupt nicht mehr, aus der Erwägung 
heraus, dass es sich um eine Mischinfektion handle (nach Mandel¬ 
bau m), die sich sehr wohl auch gelegentlich an dem durch ein 
Operationstrauma geschädigten Genitale lokalisieren kann. Bei not¬ 
wendigen Operationen womöglich die Allgemeinnarkose vermeiden! 

F. Unterberger - Königsberg: Die spontane Ruptur des 
rudimentären Nebenhorns infolge einer Hämatometra. 

Der Fall bildet ein Unikum, da es sich um einen nicht schwan¬ 
geren Uterus handelte. Die Hämatometra hatte allmählich die 
Muskelschichten auseinandergedrängt und schliesslich an der dünn¬ 
sten Stelle gesprengt. 

F. E b e 1 e r - Köln: Zur Wirksamkeit des Dlspargens bei puer¬ 
peralen Erkrankungen. 

Das Dispargen hat vor dem Elektrargoi den Vorteil grösserer 
Dispersität; die SilberteHchengrösse ist etwas kleiner. Sein Silber¬ 
gehalt beträgt 25 Proz. gegenüber 0,2 Proz. des Eiektrargols. 40 Fälle 
wurden mit dem Mittel behandelt. Es wurde intravenös injiziert. 
2 proz. oder 5 proz. Lösung, in Mengen von 5 resp. 2 ccm. Die In¬ 
jektionen wurden gut vertragen. Von den dispargenbehandelten 
Fällen sind 50 Proz. von Sepsis zur Heilung gekommen. Verf. be¬ 
trachtet das als einer, überraschenden Erfolg und empfiehlt das Mittel 
angelegentlich. 

F. Weber- München: Die geburtshilflich-gynäkologischen Dis¬ 
sertationen der deutschen Universitäten Sommersemester 1917. 

O. Lubarsch: Zum Verhältnis der pathologischen Anatomie 
zur klinischen Medizin. 

Das Dienstverfahren gegen Professor Henkel in Jena hat An¬ 
lass zu der vorliegenden Betrachtung gegeben. 

Die Sicherheit der Leichenbefunde wird als von den Aerzten 
wie Richtern überschätzt bezeichnet. Der pathologische Anatom sei 
zu besonderer Vorsicht verpflichtet, wenn er auf Grund seiner Er¬ 
fahrungen an der Leiche schwerwiegende Schritte gegen einen Arzt 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 51. 


unternehmen muss. „Nur wenn die Dinge geradezu zum Himmel 
schreien, wird er den Wert der Befunde richtig abschätzen können.“ 
Eine innige und stetige Zusammenarbeit zwischen dem Pathologen 
und Kliniker oder behandelnden Arzt ist eine Notwendigkeit. 

Max Nassauer - München. 

Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 45, 1918. 

E. Qpitz- Freiburg: Zur Technik der gleichzeitigen Radium- und 
Röntgenbestrahlung. 

Die gleichzeitige Bestrahlung ist eigentlich eine Bestrahlung kurz 
hintereinander, teils aus Gründen der technischen Applikation des Ra¬ 
diums und der Graphit-ionto-quantimeter-Kammer, teils weil dadurch 
die jeweils beste Dosis appliziert werden kann. 

P. Wern er-Wien: Zur Verkleinerung der Myome unter dem 
Einfluss der Röntgenstrahlen. 

Die Wiener Resultate ergaben, dass wir mit Röntgenbestrahlung in 
den meisten Fällen (85 Proz.) in der Lage sind, nicht nur die Menor¬ 
rhagien bei Uterus myomatosus zu stillen, sondern auch innerhalb 
kurzer Zeit eine Verkleinerung des Tumors herbeizuführen. 

A. Waeber -Libau: Ein Fall von Befruchtung intra puerperium. 

Am 7. Tage post partum war ein einziger Koitus erfolgt, der zu 
einer Konzeption geführt hatte. . Werner- Hamburg. 

Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie. 

84. Band. 1.-3. Heft. 

E. Lang: Versuche über die Durchlässigkeit der Froschhaut für 
Gifte. (Pharm. Institut Göttingen.) 

Von den geprüften Substanzen Adrenalin, Strychnin, Koffein, 
Muskarin, Barium und Ferrocyanionen, Pilokarpin, Strophanthin nahm 
Adrenalin eine Sonderstellung ein, indem es die Haut nicht durch¬ 
drang und beim lebenden Frosch auch'die StrychnindurchWanderung 
verlangsamte. 

J. B a u e r und A. Fröhlich: Die Wirkung von Gefässmitteln 
nach Adrenalinvergiftung. (Pharmkol. Institut Wien.) 

Unter dem Einfluss länger dauernder Adrenalindurchströmung 
verlieren die Froschblutgefässe die Eigenschaft, auf eine Reihe von 
sonst vasokonstriktoriscl\ wirksamen Reizen mit der normalen Ver¬ 
engerung ihres Lumens zu reagieren. Es tritt Gefässerweiterung 
ein. Es ist anzunehmen, dass die sympathischen vasokonstriktori- 
schen Nervenendigungen in den Blutgefässen durch die Adrenalin¬ 
wirkung ihre Erregbarkeit einbüssen, dagegen nicht die diktatori¬ 
schen. 

Amsler und P. Pick: Zur Pharmakologie der Wärmenarkose 
des Kaltblüterherzens. (Pharmakol. Institut Wien.) 

Man kann den durch Temperaturerhöhung erzeugten diastoli¬ 
schen Stillstand des isolierten Froschherzens im wesentlichen als 
Wärmenarkose des atrioventrikulären Reizleitungssystems auffassen. 

E. v. K n a f f 1 - L e n z: Beitrag zur Theorie der Narkose. 
(Pharm. Institut Wien.) 

F. Schönfeld: Ueber die fiebererzeugende Wirkung von 
Paraffinsolen. (Physikalisch-chemische und pharmakologische Unter¬ 
suchungen.! (Pharmakol. Institut Göttingen.) 

Nach neuen Methoden hergestellte Paraffinhydrosole erzeugten 
Fieber unabhängig vom kolloidchemischen Zustande und von der 
Paraffinkonzentration. Nachzuweisen war eine Vermehrung der im 
so entstehen möglicherweise durch den reaktionsfördernden Einfluss 
Blutserum auftretenden vasokonstriktorischen Substanzen. Wie diese 
der Paraffinteilchen im Plasma pyrogenetische Substanzen, so dass 
also die Fieberwdrkung indirekt zustande käme. 

P. Spiro: Ueber die Wirkung der Diuretika der Purinreihe auf 
den Stoffaustausch zwischen Blut und Geweben. (Med. Klinik Strass¬ 
burg.) 

Das Theophyllin besitzt eine Wirkung auf den Gewebsaustausch, 
die sich in einer absoluten Verminderung des Wassergehaltes des 
Blutes und in einer noch darüber hinausgehenden prozentualen Ver¬ 
minderung des Kochsälzkonzentration des Blutes ausdrückt. So er¬ 
klärt sich die Tatsache, dass in der Purinkörperdiurese dem ausge¬ 
sprochen polyurischen Anfangsstadium ein olignoische Spätstadium 
folgt bzw. dass vermehrte Purinkörperinjektionen die Diurese 
hemmen oder sogar zum Stillstand bringen. 

H. Aurermann: Zur Kenntnis der Wirkungen des Imidazols. 
(Pharmak. Institut Breslau.)’ 

Santesson - Stockholm: Einiges über Chininwirkung auf 
Froschmuskeln. ’ L. J a c o b - Würzburg. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 48, 1918. 

A. C z e r n y - Berlin: Die Serumbehandlung der Diphtherie. 

Vgl. Bericht S. 1254 der M.m.W. 1918. 

A. Schittenhelm und H. Schlecht: Ueber Oedemkrank- 
helt mit hypotonischer Bradykardie. 

Eingehende Darstellung des ganzen Krankheitsbildes auf Grund 
von Erfahrungen an ca. 200 Fällen, die lange Zeit klinisch beobachtet 
werden konnten. Bemerkenswert ist vor allem das rasche Zurück¬ 
gehen der Oedeme bei Bettruhe ohne anderweitige Therapie, ferner 
das sehr konstante Symptom der Bradykardie (bis 32—36 Schläge herab), 
die therapeutisch nicht beeinflusst werden kann und häufig lange Zeit 
anhält; mit verminderter muskulärer Herzkraft geht ausserdem in der 

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Mehrzahl der Fälle ein niedriger Blutdruck einher. Die Beobachtungen 
sprechen dafür, dass das insuffiziente Herz für die Kreislaufstörung 
verantwortlich zu machen ist. Das Blut verarmt an Eiweiss. es findet 
eine langdauernde intensive N-Retention statt. Als die Hauptursache 
des Krankheitsbildes sehen die Verfasser Ernährungsstörungen an, auch 
üie Kälte spielt eine Rolle. 

G. Rosenfeld - Breslau: Kriegskost und Körperkraft. 

R. kommt zum Schlüsse, dass die Kriegskost dje Widerstands¬ 
fähigkeit des Volkes weder gegen die überwiegende Zahl der Krank¬ 
heiten. noch gegen Erkrankungen, noch gegen Anstrengungen im Sport 
(geringe Zahl von Albuminurien bei sportsmässigen Märschen!) in 
irgend erkennbarem Masse herabgesetzt hat. 

H. Beitzke: Zur Frage der Uebertragbarkeit des Gasbrandes. 

Der Veri. berichtet über eine eindeutig sich darstellende Beob¬ 
achtung, wo die Infektion bei einem Oberschenkelamputierten erst 
5 Wochen nach der Granatsplitterverwundung eintrat nachdem aui 
dem nämlichen Zimmer mehrere Todesfälle an Gasbrand sich ereignet 
hatten. 

W. Seeliger - München: Die diagnostische Bedeutung der bak¬ 
teriologischen Blutuntersuchung auf Typhusbazillen. 

Auf Grund seiner bakteriologischen Feststellungen empfiehlt Veri., 
die bakteriologische Blutuntersuchung (mit den von S. angegebenen 
Modifikationen) nicht nur in den ersten Wochen zur Diagnose heran¬ 
zuziehen, sondern auch später, da die typhöse Bakteriämie nach dieser 
Untersuchungsrnethode sich auch später noch nachw-eisen lässt. Nament¬ 
lich zur Diagnose der atypischen Typhusfälle, die gegenwärtig häutiger 
vorzukommen scheinen als früher, empfiehlt sich das Verfahren. Auch 
Fälle rom Typus des 5-Tagefiebers sind der bakteriologischen Blut¬ 
untersuchung zuzuführen. Die Untersuchung von Punktaten mit der 
j modifizierten Gallenanreicherungsmethode wird viel häufiger, als an- 
| genommen wird, die typhöse Natur derselben ergeben. Eine ein- 
J malige Untersuchung ist oft ungenügend. 

| M. S c h o 1 z - Eppendorf: Die Formen der durch Tüberkelbazillen 
• verursachten Sepsis: Sepsis tubercutosa acutlssima (Typhobazillose 
Landouzy) und Miliartuberkulose. 

Verlauf und Sektionsergebnis eines Falles (56 jährige Frau), bei 
dem erst durch die Autopsie die Bestätigung geliefert wurde, dass es 
sich um eine schwere Tuberkelbazilleninfektion handelte. Erörterungen 
über die Abgrenzung gegenüber der Miliartuberkulose, zu welcher 
solche Fälle als schwerste Form derselben zu rechnen sind. Die In¬ 
fektion mit Tuberkelbazillen kann unter dem Bilde der Sepsis ver¬ 
laufen und zum Tode führen. 

H. Markus -Stockholm: Die Influenzaepidemie und das Nerven¬ 
system. 

Mitteilung mehr oder minder mit starken Nervefikorrmlikationen 
verbundener Fälle aus der schweren diesjährigen Influenzaepidemie in 
Schweden. Auch dort starben vornehmlich junge, kräftige Menschen. 
Bei mehreren Fällen, die mit sehr ausgeprägten Hirnerscheinungen ein¬ 
hergingen. hat Verf. diese Gehirne anatomisch untersucht und das Bild 
der Encephalitis haemorrh. acuta gefunden. Prophylaktisch wurde 
Isolierung und Schulschluss in Anwendung gebracht. 

M. G u t s t e i n - Berlin: Der künstliche therapeutische Pneumo¬ 
thorax. 

Uebersichtsreferat. Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift 

Nr. 48. B i e r- Berlin: Beobachtungen über Regeneration beim 
Menschen. XVII. Regeneration der Faszien und Zwischengewebe. 

Co 1 m e r s - Koburg: Die Behandlung der akut bedrohlichen Er¬ 
scheinungen bei chirurgischen Erkrankungen der Halsorgane. (Schluss.) 

G a 1 e w s k y - Dresden: Ueber Siibersalvarsannatrium. 

Das Siibersalvarsannatrium wdrkt ähnlich dem Altsalvarsan uni 
zwar in kleineren Dosen als das Neosalvarsan. Anscheinend ist die 
Gefahr der Arsenintoxikation hei dem Präparat eine geringere, unter 
700 Einspritzungen trat keine Vergiftung auf. Die beste Einzeldosis 
scheint 0,25 g; durchschnittlich wird eine Gesamtgabe von 1,2 bis 1,5 g 
genügen. 

F. L ö w’ e n h a r d t - Breslau: Zur Behandlung der Tuberkulose 
mit 'Partialantigen nach Deycke-Much. 

Des Verfassers Beobachtungen sprechen zugunsten der Partia!% 
antigenbehandlung; der Unterschied im Vergleich zu rein diätetisch¬ 
physikalischen Massnahmen ist vielfach sehr deutlich. 

E. W e i s s - Frankfurt a. M.: Die Serumbehandlung der Grippe. 

Die intravenöse oder intramuskuläre Einspritzung von Rekonvales¬ 
zentenserum oder normalem Pferdeserum scheint bei* Grippe in zahl¬ 
reichen Fällen eine entschiedene Besserung, kritischen Abfall der Tem¬ 
peratur innerhalb 40—48 Stunden und anschliessend Besserung des 
Allgemeinzustandes zu bewirken. 

Käthe: Pocken ohne Pockenausschlag. 

Erörterung mehrerer Fälle. Es wdrd hervorgehoben, dass die 
Uebertragung der Pocken durch Fälle ohne Ausschlag möglich ist und 
deshalb solche Fälle medizinalpolizeilich gleich den echten Pockenfäüen 
zu behandeln sind. 

Baumeister: Erfolge der Fremdkörperentfernung mittels der 
orthodiagraphischen Tiefen- und Lagebestimmung nach Moritz. 

Das Durchleuchtungverfahren verdient vordem photographischen, 
das. nur da am Platz ist, wo das erstere nicht durchführbar ist, der 
Vorzug. Als bestes Durchleuchtungsverfahren ist wegen der Einfach¬ 
heit und grösster Genauigkeit das Moritz sehe zu betrachten. 

Original fro-m 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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D. Horvath: Eine Modifikation d£r Methode des dicken Trop¬ 
fens. 

Die Ungleichmässigkeit und oft geringe Durchsichtigkeit des 
dicken Tropfens und die leichte Ablöslichkeit der Blutschichten im 
Wasser verbessert H. dadurch, dass er mit dem zur Probe dienenden 
Bluttropfen einen etwa gleichgrossen Tropien einer 2 proz. Lösung 
von Natr. citricum mischt. Trocknung an der Luft. Entfernung des 
Hämoglobins durch Brahms Azurblaulösung (Methode Dempf- 
w o 1 f s). 

C. Friedländer - Wien: lieber die sanitären Verhältnisse der 
Zivilbevölkerung während des Krieges. 

Soweit das von F. bearbeitete, hauptsächlich poliklinische Material 
entnehmen lässt, hat eine eklatante Gesundheitsschädigung schwerer 
Art die Bevölkerung als Kriegsfolge kaum getroffen. Die mannigfachen 
Ernährungsstörungen sind wohl meist ausgleichbar, Erkältungskrank¬ 
heiten sind häufiger geworden, psychogene Beschwerden allgemein 
nervöser Art spielen eine grössere Rolle, die Geschlechtskrankheiten 
haben sich weiter ausgebreitet, die Tuberkulose hat wohl eine Zu¬ 
nahme erfahren, aber nicht in dem gefürchteten Masse. 

Th. Fahr: Zur Frage der Nephrose. 

Bemerkungen zu L ö h 1 e i n s Aufsatz in Nr. 43. 

C z e r n y - Berlin: Professor Alois Epstein +. 

B e r g e a t - München. 

Oesterreichlsche Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift 

Nr. 47. H. E 1 i a s und R. Singer- Wien: Kriegskost und Dia¬ 
betes. (Schluss folgt.) 

F. R e a c h: Kriegsödem und endokrine Hodenfunktion. 

Es fiel dem Verf. bei einem beträchtlichen Teil der männlichen 
Fälle von Kriegsödem eine besondere Kleinheit und Hochstand der 
Hoden auf. Die daraufhin versuchte Behandlung mit verschiedenen 
Hodenpräparaten (besonders Testis sicca, Testikulin) zeigte bei etwa 
der Hälfte der Fälle eine überraschend günstige Wirkung auf das 
Oedem und den öfters dabei vorhandenen Aszites. 

G. M o r a w e t z - Wien: lieber scharlachartige Exantheme bei 
der spanischen Grippe. 

M. bespricht mehrere Fälle mit kurzer Berücksichtigung auch der 
Beziehungen zum Fleckfieber. 

A. Trawinski und E. C o r i: Bakteriologische Unter¬ 
suchungen bei der sog. „Spanischen Grippe'*. 

Die Verff. haben bei der Grippepneumonie im Blute Gram-nega¬ 
tive Diplostreptokokken mit spezifischer Agglutination gefunden, deren 
nähere Beziehungen zur Grippe allerdings noch ungeklärt sind. 

F. G royer - Triest: Ueber den Wert der Chininprophylaxe bei 
Malaria. 

Verf. legt den Weit der ununterbrochenen Chininprophylaxis 
dar. Im Malariagebiet sollen täglich 0.5 g Chinin genommen und 
damit noch 14 Tage nach Verlassen desselben fortgefahren werden. 

E. H o k c und H. poldmann - Komotau: Bewegungshyper- 
thermie und Tuberkulinhyperthermie. 

Versuche zeigten, dass dem Bewegungsfieber bei aus¬ 
gesprochenen Lungenkranken und dem Tuberkulinfieber verschiedene 
Ursachen zugrunde liegen. Die Erklärung des Bewegungsfiebers bei 
Lungenkranken als Autotuberkulinwirkung ist unzutreffend. 

Bergeat - München. 


Auswärtige Briefe. 

Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

Die- Kohlen- und Nahrungsmittelnot. — Eine Resolution der Ge¬ 
sellschaft der Aerzte. — Behandlungszwang für Geschlechtskranke. 
— Organisation der ärztlichen Heimkehrer. 

Die bitterste Lebensmittel- und Kohlennot in Deutschösterreich 
fordert unerhörte Opfer. Vor einigen Tagen musste die Lungenheil- 
unstalt in Alland bei Wien wegen Kohlenmangels gesperrt werden: 
die Schwerkranken wurden in Krankenhäuser überführt, die Leicht¬ 
kranken ihren Familien zurückgegeben. Einige grosse Kranken¬ 
anstalten, insbesondere Kinderspitäler, stehen derzeit vor der Sperre; 
die Gesellschaft der Aerzte hat eine Resolution gefasst, die an die 
Regierungen der alliierten Mächte und an die Aerzteorganisationen 
dieser Mächte mit tunlichster Beschleunigung gesendet wird. Die 
Resolution hat folgenden Wortlaut: „Die Gesellschaft der Aerzte 
wendet sich durch ihre Unterzeichneten Beauftragten an die Re¬ 
gierungen der alliierten Mächte sowie an die Aerzte der Länder 
zwecks Versorgung der notleidenden Spitäler in Wien und Deutsch¬ 
österreich in erster Linie mit Nahrungsmitteln und auch mit Kohle. 
Die Aerzte, deren oberstes Gesetz jene Menschlichkeit ist, die keine 
Landesgrenzen kennt und die in jedem Kranken, wes Standes und 
Volkes er auch sei, nur den leidenden Menschen sieht, erwarten 
die werktätige Unterstützung aller Aerzte der alliierten Länder, um 
dem drohenden Elend der- Schliessung der Spitäler in Wien und 
Deutschösterreich zu steuern. Einige grosse, öffentliche Spitäler, 
namentlich Kinderspitäler, stehen vor der Schliessung. Die allge- 

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meine Unterernährung macht jetzt bereits die ärztliche Kunst vielfach 
wirkungslos und steigert die Anzahl der Erkrankungen und Todesfälle 
entsetzlich. Wir bitten daher die alliierten Regierungen um die Er¬ 
wirkung der Zufuhr vor allem von Nahrungsmitteln und von Kohle 
für unsere Kranken in Wien und Deutschösterreich. Wir Aerzte sind 
verpflichtet, diese unsäglich traurigen Verhältnisse zur Kenntnis der 
Regierungen der alliieren Mächte zu bringen, und rechnen dabei 
auf die Aerzte der ganzen Welt als Fürsprecher für die Kranken.“ 
Die Resolution ist von neun Mitgliedern der Gesellschaft der Aerzte 
unterzeichnet, die Ehrendoktoren usw. persönliche Beziehungen zu 
amerikanischen, englischen und französischen medizinischen Korpora¬ 
tionen haben. 

Das deutschösterreichische Staatsamt für Volksgesundheit hat 
eine Vollzugsanweisung in betreff der Verhütung und Bekämpfung 
übertragbarer Geschlechtskrankheiten herausgegeben, in welcher als 
übertragbare Geschlechtskrankheiten bezeichnet werden: a) Tripper, 
sowohl der Harn- und Geschlechtsorgane, als auch der Augenbinde¬ 
haut und der Mastdarmschleimhaut; b) weicher Schanker; c) Syphilis 
im primären, sekundären und tertiären Stadium, endlich angeborene 
Syphilis. Die wichtigste Bestimmung lautet: „Jeder Geschlechts¬ 
kranke ist verpflichtet, sich ... der ärztlichen Behandlung zu unter¬ 
ziehen. . . . Der Kranke oder die über den Kranken Aufsicht 
führende Person hat der Sanitätsbehörde . . . auf Verlangen den 
Nachweis der ärztlichen Behandlung zu erbringen.“ Neben der Be¬ 
handlungspflicht spricht diese Anweisung eine (leider nur veridausu- 
lierte und beschränkte) Anzeigepflicht aus: „Der Arzt, der in Aus¬ 
übung seines Berufes von dem Falle einer Geschlechtserkrankung 
Kenntnis erhält, ist zur Anzeige des Falles verpflichtet, wenn eine 
Weiterverbreitung der Krankheit zu befürchten ist.“ 

Die grosse Zahl der ärztlichen Heimkehrer, die nach Deutsch¬ 
österreich zuständig sind, hat sich in mehreren stürmischen Ver¬ 
sammlungen zu einer Organisation vereinigt, deren wichtigste For¬ 
derungen sind: Grundsätzlich sind alle von Staat, Land oder Ge¬ 
meinden zu vergebenden Stellen mit deutschösterreichischen Kriegs¬ 
teilnehmern neu bzw. wieder zu besetzen. Aerzte aus deutschen 
Minderheitsgebieten sind ebenfalls hierbei zu berücksichtigen. Eine 
Zentralstelle für Evidenz und Verteilung der Aerzte ist zu schaffen. 
Die geschädigten Reserveärzte sollen einen Wirtschaftsbeitrag als 
Abfertigung erhalten; ausserdem Steuererleichterungen. Ferner 
wurde die Forderung einer neuen Studienordnung nach reichs- 
deutschem Muster erhoben, weiche es ermöglichen soll, dass 
ueutschösterreichische Mediziner in Deutschland, reichsdeutsche in 
Oesterreich studieren. Einige weitgehende Forderungen, wie jene 
nach Abschaffung des Professoren- und Dozententitels, mögen als 
Symptome der Zeit hier nur erwähnt werden. 

Die furchtbare Kohlennot, von der eingangs dieser Zeilen die 
Rede war, droht auch unsere wissenschaftliche Arbeit zu lähmen. 
Alle medizinischen Vorlesungen und Institutsarbeiten werden, wenn 
nicht rascheste Hilfe kommt, in den nächsten Stunden abgebrochen 
werden müssen. Ein bekannter Wiener Anatom hat in einer Kol¬ 
legiumsitzung die Frostbeulen demonstriert, die er während des 
Unterrichtes in ungeheizten Räumen akquiriert hat. K. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 4. Dezember 1918. 

Herr E. Saul: Untersuchungen zur Aetlologie und Biologie der 
Tnmoren. (Mit Lichtbildern.) 

Epitheliale Tumoren, die übertragbar sind und mit dem Karzinom als 
epitheliale Wucherung in gewisser Beziehung stehen, sind die Verruka, 
das Molluscum contagiosum und die Condylomata acuminata. Bei letz¬ 
teren handelt es sich um eine Wucherung des Epidermisepithels und 
des Papillarkörpers, also um ein-f ibroepitheliom. DasStratum germina- 
tivum zeigt eine geradezu kolossale Entwicklung. Diese Tumoren 
zeigen in Analogie zum Karzinom ein rapides Wachstum und die Eigen¬ 
schaft, zu rezidivieren, unterscheiden sich vom Karzinom durch das 
Fehlen von infiltrativem Wachstum. Die Verruka wird durch Strepto¬ 
kokken, die Kondylomata durch Diplo-Streptokokken hervorgerufen, 
welche Chamberlandfilter passieren. Es besteht zwischen beiden Tu¬ 
morgebilden eine nahe Verwandtschaft, die sich auch darin zeigt, dass 
an den geeigneten* Stellen aus Warzeniiberimpfüngen sich Kondylome 
erzeugen lassen. 

Das Cholesteatom wurde von V i r c h o w den Kankroiden zu¬ 
gerechnet, weil sie infiltrativ wachsen lind rezidivieren und die Meta¬ 
stasenbildung fehlt. Der Erreger war bisher nicht auffindbar. 

Das Cholesteatoma verum der Pia und Arachnoidea entsteht nach 
Boström aus embryonal versprengten Epidermiszellen und wird 
durch Stoffwechselprcdukte des Cholesteatomträgers hervorgerufen. 

Das Plexuscholesteatom, das sich nach S c h m e v bei 50 Proz. 
sämtlicher zur Sektion kommender Pferde findet, enthält regelmässig 
Diplo-Streptokokken, weshalb sie der Vortragende als Residuen früher 
durchgemachter Drüsenkrankheit ansieht. W. 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1448 


MUCNCHENfiR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 51. 


Kriegsärztlicher Abend zu Berlin. 

(Eigenbericht.) 

S i t z u n g v o m 10. D e z e mb e r 1918. 

Tagesordnung: Die ärztlichen Aufgaben bei der Abwendung der 
gesundheitlichen Gefahren bei der DemobiHsation. 

Referenten: Herr Generalarzt Schultzen, Herr Ministerial¬ 
direktor Kirchner. 

1. Herr Schultzen: Der seit langer Zeit aufgestellte zielbe¬ 
wusste Demobilisationsplan ist durch die inzwischen eingetretenerj 
Ereignisse: das Kriegsende und die Vorgänge im Innern, zuschanden 
geworden, und man muss auch in ärztlicher Beziehung mit schwerer 
Sorge in die Zukunft sehen. Sache der Aerzte wird es sein, die 
auftretenden Schäden, soweit wie menschenmöglich, zu mildern. 

Bei seinem R; ierat wendet sich Vortr. zunächst den Fragen zu, 
weiche das Wohl der Verwundeten und Kranken betreffen. Nach 
Lage der Dinge war ein beschleunigter Abtransport erforderlich ge¬ 
worden, und dies bei vollkommener Unordnung im Läzarettbetrieb, 
einer beispiellosen Ueberlastung der Bahnen und vollkommener Des¬ 
organisation. So sind denn dabei viele unserer Kämpfer als Opfer 
der Revolution hier gefallen. 

Um bei der DemobiHsation Gesundheitsschädigungen der Be¬ 
völkerung zu vermeiden, spielt die Seuchenverhinderung die grösste 
Rolle. In erster Linie handelt es sich um die Kontrolle der Unter¬ 
kunftsräume und um die Frage der Massenernährung. Die Gefahren 
des zügellosen Auseinanderlaufens der Leute ohne iede ärztliche 
Kontrolle — selbst Infektionskranke — können gar nicht überschätzt 
werden. Es war beabsichtigt, Truppen in grossem Umfang in 
Bürgerquartiere zu legen. Es schafft dies jedoch grosse Gefahren, 
und es ist gelungen, die heutige Regierung davon zu überzeugen 
und davon abzubringen, mehr, als dringend erforderlich, Bürger¬ 
quartiere in Anspruch zu nehmen. Und wo dies doch geschieht, 
geht eine ärztliche Untersuchung auf Freisein von Ungeziefer und 
Erkrankungen voraus. 

Die Entlausungsanstalten im früher besetzten Gebiet sind un¬ 
benutzbar geworden und bei der gebotenen Eile des Rückzugs waren 
Entlausungsmassnahmen unmöglich. Die Truppen sind daher prak¬ 
tisch als total verlaust anzusehen. Es müssen überall behelfsmässige 
Entlausungsanstalten (besonders Läuseabtötung mit Blausäure) ein¬ 
gerichtet werden. In Berlin werden in 14 Tagen derartige Anstalten 
mit einer Tagesleistung für 22 000 Mann errichtet sein. 

Eine grosse Sorge bereiten die Geschlechtskranken. In kurzem 
wird ein Notgesetz erlassen werden, das die Zurückhaltung der Ge¬ 
schlechtskranken ermöglicht. Als weiteres Mittel gegen die Ge¬ 
schlechtskrankheiten soll die unentgeltliche Behandlung der Mann¬ 
schaften wirken, welche ohne ärztliche Untersuchung entlassen sind 
Zu diesem Zwecke werden an allen Lazaretten derartige «Stationen 
eingerichtet. Ferner hat sich Vortr. jetzt entschlossen, der Meldung 
der Geschlechtskranken unter den Soldaten an die Landesversiche¬ 
rung trotz aller weiter bestehenden Bedenken nicht mehr zu wider¬ 
sprechen, weil es sich nicht mehr um eine Ausnahmebestimmung 
für das Heer handelt. Ein Notgesetz wird nämlich in kurzem einen 
Meldezwang für alle Kassenmitglieder einführen. 

2. Herr Kirchner: Der Vortr. hält die gleiche Disposition inne 
und bespricht zunächst das Wohl der Gesunden und Kranken. 
16 500 Aerzte waren draussen, 8000 im Inlande noch im Militärdienst 
beschäftigt. Die Not der zuriiekkehrenden Aerzte erfordert dringend 
Berücksichtigung. Ein wichtiges Problem bilden die Not- und Kriegs¬ 
approbierten, deren Kenntnisse vielfach lückenhaft sind. Lang¬ 
fristige Kurse unter Entschädigung der Teilnehmer sollen diesen 
Uebelständen abhelfen. 

Was die Ernährungsfrage betrifft, so war schon bald nach Ein¬ 
setzen des Aushungerungskrieges im Februar 1917 der Ernährungs¬ 
zustand der Bevölkerung ein schlechter. Nach Berichten, die schon 
um diese Zeit eingefordert waren, bestand schon damals eine Zu¬ 
nahme der Sterblichkeit, welche besonders die Altersklassen über 
das 50. Jahr betraf. Es ergab sich vor allem, dass die Tuberkulose 
in allen Kreisen zugenommen hatte. Der Inhalt: der jetzt einge¬ 
forderten Berichte ist wahrhaft erschütternd, nicht so sehr auf dem 
Lande als in Industriebezirken und vor allem in den grossen Städten. 
Die Schäden betreffen jetzt alle Altersklassen, bis zu den Schul¬ 
kindern herunter, und zwar handelt es sich bei den Kindern um 
die Zunahme der Skrofulöse, der Tuberkulose, der Blutarmut, um 
schwere Ermüdungszustände etc. Ueber die Tuberkulose gibt er 
folgende Uebersicht: 1914-forderte die Tuberkulose nicht mehr Opfer 
als 1913. Im Jahre 1915 war die Sterblichkeit grösser, 1916 wieder 
grösser und 1917 starben allein in Preussen 86 000 Personen an 
Tuberkulose, das sind 30 000 Menschen mehr als 1913. (Die vom 
Auswärtigen Amt für Deutschland neulich mitgeteilten Zahlen sind 
noch grösser. Ref.) 

Die Fleckfiebergefahr möchte Vortr. nicht ganz so gross ein¬ 
schätzen, wie vielfach befruchtet wird. In und nach jedem grossen 
Krieg tritt Fleckfieber auf. Aber selbst nach dem grossen russischen 
Feldzug von Napoleon ist die Fleckfieberverbreitung in Deutsch¬ 
land in massigen Grenzen geblieben. — Die Malaria war allmählich 
aus Deutschland so ziemlich verschwunden, ausser Herden in Ost¬ 
friesland und Schlesien, in denen jedoch mehr Erkrankungsfälle vor¬ 
kamen, als man meist glaubte. Auch die zur Malariaverbreitung als 

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Zwischenträger erforderlichen Anophelesmücken sind an vielen 
Stellen vorhanden, so dass von den zahlreichen Malariäkranken (be¬ 
sonders von den vom Balkan kommenden) weiter Infektionen er¬ 
folgen können. 

Die Geschlechtskrankheiten haben eine Verbreitung erlangt, die 
früher nicht für möglich gehalten worden wäre. Besonders haben 
sie sich auch auf das flache Land ausgebreitet. Wie die Verhältnisse 
liegen, geht auch daraus hervor, dass von 100 Geschlechtskranken in 
der Front 60 die Erkrankung in der Heimat erworben haben. Es 
wird demnächst ein Notgesetz über die ansteckenden Geschlechts¬ 
krankheiten erlassen. Es umfasst Tripper, Syphilis und Schanker. 
Personen, die verdächtig sind, Geschlechtskrankheiten zu verbreiten, 
können zwangsweise Krankenhäusern überwiesen werden. Ge¬ 
schlechtsverkehr Erkrankter wird mit Gefängnis bis zu 3 Jahren 
gestraft. 

Das aussichtsreichste Verfahren zur Bekämpfung der Syphilis 
ist die Salvarsananwendung zwischen Auftreten des Primäraffektes 
und Positivwerdens der Wassermann sehen Reaktion. Durch 
die öffentlichen Untersuchungsinstitute soll die kostenfreie Spiro¬ 
chätendiagnose allen Aerzten ermöglicht werden. 

Weiter wird geplant, in möglichst allen Kreisen Kreiskranken¬ 
häuser zu errichten und diese mit den erforderlichen Desinfektions- 
und Transporteinrichtungen zu versehen. Ferner die Umwandlung 
sämtlicher Kreisarztstellen in vollbesoldete mit der einen Einschrän¬ 
kung, die trotz der Zusage der preussischen Regierung gilt, soweit 
die Finanzlage es zulässt. Wolff-Eisner. 


Aus Ärztlichen Standesvereinen. 
Münchener Aerztevereammlung 

vom 7. Dezember 1918. 

(Eigener Bericht.) 

Einleitend teilt der Vorsitzende, Herr Kerschensteiner. 
mit, dass die medizinische Fakultät Herrn Geheimrat v. Oruber 
in den Kriegsausschuss abgeordnet hat. Eine Besprechung mit dem 
Ministerpräsidenten lässt das denkbar grösste Entgegenkommen bei 
der Neugestaltung des Medizinalwesens erwarten; eine eigene Medi- 
zinalabteMung ist jedenfalls sicher. Man bekam den Eindruck, dass 
von anderer Seite schon energisch vorgearbeitet worden war. 
Kölsch hat einen Plan der Ausgestaltung des bayerischen Med-i- 
zinalwesens entworfen, der in den nächsten Tagen im Ministerium 
beraten wird. Das wichtigste ist, dass die Persönlichkeit, welcher 
die Ausarbeitung übertragen wird und die später Vorstand wird, ein 
sachkundiger Mann ersten Ranges und mit den bayerischen Verhält¬ 
nissen wohl vertraut ist. Deshalb ist ein Mitbestimmungsrecht -der 
bayerischen Aerzteschaft, ähnlich wie in einer Nürnberger Resolution 
vorgeschlagen wird, höchst notwendig, was in folgender, einstimmig 
angenommener Entsc'h Messung zum Ausdruck gebracht wurde: Die 
bayerische Aerzteschaft wünscht, dass bei der Errichtung eines Medi¬ 
zinalamtes bzw. bei der Neuorganisation des Gesundheitswesens ihr 
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werde; sie ersucht, dass 
sie bei der Besetzung der leitenden Stellen gehört wird und spricht 
die Erwartung aus, dass nur Persönlichkeiten in Betracht gezogen 
werden, welche sich als Fachmänner auf sozial hygienischem Gebiete 
bewährt haben und das Vertrauen der bayerischen Aerzteschaft ge¬ 
messen. 

Schon seit Jahren hat sich die Errichtung mit Aerzten 
besetzter Unfall- u n d S a n i t ä t s s ta t io n e n in München 
als ein dringendes Bedürfnis herausgestellt. Die heutige Zeitige 
fordert sie um so gebieterischer, als mit der Möglichkeit gerechnet 
werden muss, dass plötzlich eine grössere Zahl Verunglückter nachts 
versorgt werden muss, dass schwere Erkrankungen in gehäufter Zahl 
Hilfe erfordern. Transportmittel und Aerztebereitschaft sind unzu¬ 
länglich. Das wird sich -auch in der nächsten Zeit nicht ändern. 
Ein Antrag Mauerer im Stadtmagistrat München hat die An¬ 
gelegenheit neuerdings wieder in Fluss gebracht. Es fanden bereits 
Beratungen der magistratischen Krankenhauskommission und des 
ärztlichen Kriegsausschusses statt. Als beste Lösung erscheint es. 
wenn die Aerzteschaft selbst die Sache in die Hand nimmt, und zwar 
drängt sich uns eine provisorische und für etwas später erst eine 
definitive Lösung auf. Für den Dienst wohl eingerichtete Lokale sind 
nur in den grossen Krankenanstalten vorhanden. Es soll eine Sta¬ 
tion errichtet werden für die Stadtteile rechts der Isar im dortigen 
Krankenhause, für Zentrum und Westen im Krankenhause 1/L, für Nord- 
West im Roten-Kreuz-Spital, für Norden -in der Diakonissenanstalt. 
Auch die Sanitätskolonne lässt erklären., dass sie gerne bereit ist, 
ihr Lokal zur Verfügung zu stellen, was höchst begrüssenswert w’äre. 
Die Kollegen, welche den Dienst übernehmen, haben achtstündige 
Arbeitszeit, wechselnd im Turnus. Wünschenswert wäre, dass die 
Herren auch Geburtshilfe übernehmen könnten; vielleicht, dass die 
geburtshilfliche Poliklinik hier einspringen kann. Natürlich muss die 
Instruktion strenge Vorschriften enthalten, damit es nicht zu Reibe¬ 
reien und zur Schädigung der behandelnden Aerzte kommt. Die 
Aerzteschaft erklärt sich bereit, einen solchen' Dienst einzuführen. 
Ueber die Höhe der Entlohnung der beteiligten Aerzte gingen die 
Meinungen weit auseinander. Hoffentlich scheitert das sozial so 
wichtige Unternehmen nicht daran, dass kein Ausgleich zwischen 

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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



17. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1449 


Packträgerlohn und übergross'er Einschätzung des Wertes der Lei¬ 
stung gefunden wird. 

Ueber Kr ie gsh i 1 f e erstattet Kas 11 ein eingehendes, alle in 
deutschen Städten bestehenden Hilfseinrichtungen berücksichtigendes 
Referat. Die Hilfsaktion ist begründet in der Unsumme materieller 
und ideeller Schäden, welche die Kriegsteilnehmer erlitten, dem¬ 
gegenüber das, was die Daheimgeblie'benen ertrugen, federleicht ist. 
Die Münchener Kriegshilfskasse wurde allerdings erst 1917 gegründet. 
Ist das zu spät? Keineswegs; denn einerseits war vorher kein Be¬ 
dürfnis vorhanden, anderseits liess sich in diesem Zeitpunkte ein 
besserer Ueberblick über die Schädigungen der einzelnen Kollegen 
gewinnen. Wenn wir die in Berlin zur Verfügung stehende Summe 
mit den in München verfügbar werdenden Mitteln in Vergleich ziehen, 
so sind letztere keineswegs beschämend klein. 

Die Art und Weise, wie Kastl sich die Unterstützung der heim¬ 
kehrenden Kollegen abgestuft denkt, ist aus nachstehender Ein¬ 
teilung seines Vortrages ersichtlich. 

Sie kann stattfinden: 

I. durch materielle Unterstützung. 

1. „Münchener Aerztliche Kriegshiilfskasse“, gegründet vom Aerzt- 
liohen Kriegsausschuss München (s. Satzungen). 

2. Münchener Aerzteverein für freie Arztwahl. Massnahmen zu be- 
schliessen im „Münchener Aerzteverein für freie Arztwahl“. 

II. durch Beschaffung von Arbeitsgelegenheit. 

1. Einführung der freien Arztwahl bei allen Kassen. 

2. Aufhebung oder Reduzierung der Karenzzeit; insbes. für Kriegs- 
dienstzeit. 

3. Aerzte für Unfallstationen, Fürsorgeärzte, Kontrollärzte usw. 

4. Stellenvermittlung. 

III. für Assistenten. 

1 . Freimachung und Vermehrung von Assistentenstellen in Kranken¬ 
häusern für Kriegsteilnehmer. Schreiben an 1 . Fakultäten, 

2. Magistrate^ dass es unabweisbare Pflicht ist, die Assistenten 
zu wechseln, welche die Ausbildungszeit (1 Jahr) hinter sich 
haben. Anstellung von Volontären ohne Verpflegung und* Gehalt. 

IV. durch militärische Massnahmen. 

1 . Fortbezahlung des immobilen Gehaltes. 

2. Freimachung der militärischen Stellen für Kriegsteilnehmer. 

(3. Anstellung der Aerzte für die Lazarette auf der Basis von Privat¬ 
verträgen.) 

4. Entlassungsgebühren wie Mannschaften durch Demobilmachungs¬ 
geld. 

V. Allgemeine Massnahmen. 

1. Annoncen in die Presse; das Publikum soll wieder zu den frühe¬ 
ren Aerzten. 

2. Schild mU ähnlicher Aufschrift im Wartezimmer. 

3. Schreiben an Kranke: Kollege „X“ ist wieder vom Felde zurück, 
bitte nehmen Sie wieder seine Hilfe in Anspruch. 

4. Warnung vor dem Medizinstudium. 

5. Warnung vor München. 

6 Aerzte aufs Land. 

Bei der Besprechung der Angelegenheit kamen natürlich alle die 
Gesichtspunkte wieder zur Geltung, welche in den verschiedenen 
Ki iegsausschusssitzungen besprochen wurden und über die in diesem 
Blatte schon eingehend berichtet worden ist. Bewegliche Klagen 
gegen das Sanitätsamt wurden von Frontärzten laut. Sie sind heraus¬ 
zulesen aus den Anträgen, welche zu deren Abstellung eingebracht 
und angenommen wurden: 

Antrag Hecht: 

Der Aerztliche Kriegsausschuss möge sich an die Mediizinal- 
abteilung des Kriegsministeriums wenden mit dem Ersuchen, dass 
den bereits entlassenen oder zu entlassenden Feldärzten auf deren 
Meldung hin eine entsprechend bezahlte Tätigkeit an einem Re¬ 
servelazarett ihres Praxisortes ermöglicht werde. Gegebenenfalls 
müssen Stellen freigemacht werden durch Entlassung von Militär¬ 
oder Vertragsärzten, die ständig in ihrem Heimatsort tätig waren. 

Anträge Dr. Kr ecke: 

1. Es wird eine Eingabe an das Heeresministerium gemacht, dass 
den Aerzten, insbesondere den Oberärzten, die immobilen Ge¬ 
hälter bis zum Friedensschluss weiterbezahlt werden. 

2. Es wird beim Heeresministerium beantragt, dass bei der Ent¬ 
lassung der Militärärzte zunächst diejenigen Aerzte zu entlassen 
sind, die bisher in der Heimat tätig waren und neben ihrer mili¬ 
tärischen Tätigkeit auch ihre Privatpraxis versorgen konnten. 

3. Der Kriegsausschuss tut geeignete Schritte, um es zu ermöglichen, 
dass nach Kriegsende jeder Arzt berechtigt ist, die im Felde 
Erkrankten und Verletzten zu behandeln und für 
seine Bemühungen von der Heeresverwaltung ent¬ 
schädigt wird. Geeignete Kontrollmassregeln dürften er¬ 
forderlich sein. 

A. Der Kriegsausschuss macht eine Eingabe an das bayerische Mini¬ 
sterium für militärische Angelegenheiten, dass den Aerzten die 
von der Heeresverwaltung nicht mehr benötigten Lazarett- 
einrichtungen (Instrumente, Apparate) zu normalen Preisen 
unter Ausschaltung des Zwischenhandels! überlassen werden, dass 

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ihnen ferner die nicht mehr benötigten Auto - und Fahrrad¬ 
gummi reifen in erster Linie zur Verfügung gestellt werden. 


Der Aerzteversammlung voraus ging eine Hauptversamm¬ 
lung d e s ärztlichen Bezirksvereins München mit den 
üblichen Jahresberichten und Wahlen. P e r u t z und Jäger treten 
wieder als Schriftführer ein, als Beisitzer R. Schneider. Später 
soll ein jüngerer Herr (S t e u d e m a n n) kooptiert werden, wenn die 
Zahl der Mitglieder wieder in Bälde 500 erreicht hat. Im übrigen 
blieb es beim alten. — Leider scheint der beantragte und so sehr er¬ 
wünschte Zusammenschluss aller Münchener ärztlichen Standes¬ 
vereine wieder nicht möglich zu sein. Wie viel Arbeit und, Zeitver¬ 
geudung würde, abgesehen von allem anderen, nicht schon durch die 
einmalige Behandlung und rasche Erledigung wichtiger Tagesfragen 
erspart! Freudenberger. 


Aus der Münchner Medizinerschaf!. 

(Eigener Bericht.) 

Am 7. Dezember 1918, nachm. 3 l /s Uhr fand in der Universitäts- 
Frauenklinik eine weitere Vollversammlung der Münchener Mediziner¬ 
schaft statt. Der Satzungsentwurf wurde verlesen und mit gering¬ 
fügigen Aenderungen angenommen. Von den Mitgliedern der 8 Ar¬ 
beitsabteilungen sprachen: 

Herr cand. med. R. W e i s s für „Ausbau und Verbesserung der 
Organisation“, die bisher nicht genügend von tätiger Anteilnahme der 
Mediziner getragen war, um sich bei Professoren und Aerzteschaft 
Achtung zu verschaffen. 

Herr cand. med. P. B r o n ge r für die „Verbindungsstelle mit dem 
Allg. Stud.-Ausschuss“, neben dem eine selbständige Organisation der 
Mediziner geboten sei durch die räumliche Trennung des Mediziner¬ 
bereichs von der übrigen Universität und den besonderen ärztlichen 
Studiengang. Darüber soll jedoch die Mitarbeit an allgemeinen stu¬ 
dentischen Fragen nicht vernachlässigt werden, denn wir müssen alle 
in dem Hause wohnen, das jetzt gebaut wird. Auch soll angestrebt 
werden, dem Mediziner allgemeine Vorlesungen bequem und ohne 
Störung des Fachstudiengangs zugänglich zu machen, wodurch der Ver¬ 
schmelzung mit der allgemeinen Studentenschaft die Wege geebnet 
würden. 

Herr cand. med. J. Huber besprach das Programm der „Ab¬ 
teilung für Kriegsteilnehmerangelegenheiten“ und betonte besonders 
die Frage der Kriegsnotsemester und der Würdigkeit für die Teilnahme 
an ihnen. Es bestehe kein Grund zu übertriebener Examensfurcht, da 
die Professoren es für Pflicht und Selbstverständlichkeit erachteten, 
den Studierenden hier nach Möglichkeit Erleichterung zu schaffen. 

Auch Herr cand. med. R. San ne mann verbreitete sich vor¬ 
nehmlich über Kriegsnotsemester und Repetitionskurse, die Verlorenes 
zu ersetzen haben. Die heikle Frage des Teilnehmerkreises und der 
Anrechnung findet schon beim Anschneiden im Auditorium geteilte 
Meinungen und wird einem Ausschuss zur Bearbeitung — Aufstellen 
von Listen über die Kriegsverwendung der einzelnen usw. — über¬ 
wiesen. 


Kleine Mitteilungen. 

Therapeutische Notizen« 

Behandlung der Influenza. 

Dr. E. v. N e s n e r a, Chefarzt eines ungarischen Epidemiespitales, 
empfiehlt nach günstigen Erfahrungen an weit über 1000 Fällen fol¬ 
gendes Pulver: Ctoin. hydrochlor., Phenacod., Acid. acetylosalicyl. 
äa 0,30. Bei den ersten Anzeichen der Krankheit sofort 1 Pulver, 
nach 2—3 Stunden, ein 2„ nach 5—6 Stunden ein 3., nach weiteren 
3—6 Stunden ein 4. Zur Sicherung der Wirkung am 2. Tag noch 3, 
am 3. nodi 2 Pulver. Ausserdem sofortige Verabreichung von Digitalis 
und Unterdrückung des Hustenreizes. Bei Bronchopneumonie ausser 
Digitalis auch rechtzeitige Stimulierung des Vasomotorenzentrums 
mittels Tonogen, Adrenalin, zur Beförderung der Diurese Koffein. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 14. Dezember 1918. 

— Der Generalstabsarzt der Armee und Chef des Sanitätskorps 
v. Schjerning richtet folgenden Erlass an das gesamte deutsche 
Sanitätspersonal: Der Krieg ist ausgekämpft. das Heer kehrt an den 
heimatlichen Herd zurück, die Aufgaben des Chefs des Feldsanitäts- 
wesens neigen sich ihrem Ende zu. Da ist es mir als Generalstabsarzt 
der Armee eine tiefempfundene Pflicht, allen Angehörigen des Sanitäts¬ 
korps zu danken, zumal denen, die auf den Schlachtfeldern und in den 
Lazaretten unseren verwundeten und erkrankten Kameraden Hilfe und 
Heilung, Pflege und Trost gebracht haben. Wissen und Können der 
deutschen Aerzte, Fleiss und aufopfernde Menschenliebe des gesamten 
Sanitätspersonals haben die Heimat und das Feldheer, soweit es möglich 
war, vor Seuchen aller Art geschützt, haben Millionen von Kämpfern 
Leben und Gesundheit gerettet. Aus der Reihe des ärztlichen und des 
Pflegepersonals haben sich Tausende für die Brüder geopfert. Möge 
das Vaterland nie vergessen, was die deutschen Aerzte im Felde und 

daheim ihm geleistet haben, und möge jeder einzelne Angehörige des 

uriginai rrom 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


1450 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5t. 


Sanitätskorps den schönsten Lohn finden im Bewusstsein treuer- 
iüllter Pflicht. 

— Vom bayer. Staatsministerium des Innern ersinn an die Kreis¬ 
regierungen folgender Erlass: Infolge der D e rn o b i 1 m a c h u n g 
nehmen nunmehr zahlreiche bisher beim Heere stehende Aerzte ihre 
frühere Praxis wieder auf. Es ist dahin Fürsorge zu treuen, dass alle 
Stellen mit festen Bezügen, die diese Aerzte vor ihrer Einberufung 
innehatten, wie etwa die Stelle eines Krankenhaus-, Armen-, Schul-, 
Kassenarztes oder die Obliegenheit eines ärztlichen Leichenschauers, 
ihnen tunlichst wieder übertragen werden. 

— Die Vorsitzenden des Deutschen Aerztevereinsbundes und des 
Leipziger Verbandes, die Herren I) i p p e und Hartmann, äussern 
sich in Nr. 48 der Aerztl. Mitt. zu der Verordnung der Berliner Re¬ 
gierung, die die Höchstgrenze für die Krankenversiche¬ 
rungspflicht auf 5000 M. hinaufsetzt und die Beschränkung der 
freiwilligen Fortversicherung überhaupt beseitigt. Die neue Regierung 
habe sich damit über die berechtigten Interessen der deutschen Aerzte- 
schaft kurzerhand hinweggesetzt und damit den Anfang zur Zwangs¬ 
krankenversicherung des ganzen Volkes gemacht. Es sei aus¬ 
geschlossen, in dieser Zeit die Vertreter der Organisation zusammen¬ 
zurufen. um zu dieser den Stand aufs tiefste berührenden üesetzes- 
änderung Stellung zu nehmen. Sie raten aber den Aerzten und den 
kassenärztlichen Ortsvereinen, sich mit der Tatsache abzufinden, um 
das im deutschen Vaterlande herrschende Chaos nicht noch zu ver- 
grösseren. Den neuen Verhältnissen sei natürlich bei der Regelung 
der Honorarfrage in den kassenärztlichen Verträgen Rechnung zu 
tragen, aber es sei nicht nur eine wesentliche Aufbesserung der 
Honorare zu fordern, sondern auch die Zulassung aller zu kassenärzt¬ 
licher Tätigkeit bereiten Aerzte zu verlangen. Bei laufenden Ver¬ 
trägen sei zu beachten, dass nach vorliegenden Rechtsgutachten die 
Kassenärzte nicht verpflichtet seien, die nunmehr neu als Versiche- 
rnugspflichtige und Versicherungsberechtigte auitretenden Kassenmit¬ 
glieder ohne weiteres kassenärztlich zu versorgen, dass sie vielmehr 
berechtigt seien, dafür besondere Bedingungen zu stellen. 

— Die aui 2. Dezember beim Reichsarbeitsamt einberufene 
Zusammenkunft zwischen Krankenkassen und Aerzten. in der 
eine "Verständigung über die Streitpunkte zwischen Aerzten und 
Krankenkassen gesucht werden sollte, hat unter dem Vorsitz des 
Staatssekretärs Bauer stattgeiunden. Das Organ des LV. berichtet 
darüber, dass eine Einigung nicht erzielt werden konnte und dass 
daraufhin Staatssekretär Bauer eine Regelung auf dem Verordnungs¬ 
wege in Aussicht gestellt hat. Bis dahin behält sich der LV. seine 
Stellungnahme vor. 

— Die Frage der \V c i t e r b i 1 d u n g der nach abgekürzter 
Studienzeit kriegsapprubierten Aerzte ist eines der 
schwierigsten Probleme, das sich aus dem Uebergang vom Krieg zum 
Frieden für die Aerzte ergibt. Diese jungen Kollegen sind zum grossen 
Teil ungenügend, oder doch nur einseitig ausgebildet; sie werden in 
der Praxis geiahrvollen Lagen nicht gewachsen sein und im späteren 
Wettbewerb mit besser ausgeriisteteten Kollegen unterliegen. Wenn 
dennoch die Neigung unter ihnen, durch nachträgliches Studium die 
Lücken ihres Könnens auszufüllen, nur gering ist. so ist das angesichts 
der durch den Krieg verlorenen Jahre freilich begreiflich; es sollte 
aber jeder, dem die äussere Möglichkeit gegeben ist, durch Annahme 
einer Assistentenstelle oder durch Fortbildungskurse seine Aus¬ 
bildung zu vervollständigen, im eigenen Interesse davon Gebrauch 
machen, bevor er den gewagten Schritt in die Praxis unternimmt. Ob 
der Münchener Aerzteverein für freie Arztwahl den kriegsapprobierten 
Aerzten eine Wohltat erwiesen hat, als er ihnen durch Erlass der 
zweijährigen Karenzzeit sofortigen Zugang zur Münchener Kassen¬ 
praxis gewährte, muss unter diesen Umständen fraglich erscheinen. 
Auch die jetzt der Approbation zustrebenden Kollegen können nicht 
eindringlich genug vor Ueberstiirzung ihrer Studien gewarnt werden. 
Wie in keinem anderen Fach bedeutet in der Medizin das Können alles. 
Das Wohl von Tausenden hängt von dem Wissen und Können ihres 
Arztes ab. Darum dürfen auch die in den Prüfungen zu stellenden 
Anforderungen unter ein gewisses Mass nicht herabgehen. Man wird 
zwar mit Recht die Studierenden weniger mit theoretischen Einzel- 
fragen quälen, als bisher und der jetzt von allen Seiten erhobenen 
Forderung einer mehr praktischen Gestaltung des Medizinstudiums 
schon jetzt in der Prüfung Rechnung tragen können; der Nachweis der 
für die erfolgreiche Ausübung der Praxis erforderlichen Kenntnisse 
muss aber unbedingt erbracht werden. In diesem einschränkenden Sinne 
dürfte es zu verstehen sein, wenn in der Münchener Medizinerschaft 
(s. o.) gesagt wurde, zu übertriebener Examensfurcht bestehe kein 
Grund, da die Professoren es iiir Pflicht und Selbstverständlichkeit er¬ 
achteten, den Studierenden hier nach Möglichkeit Erleichterung zu 
schaffen. Das Ansehen des ärztlichen Standes steht und fällt mit dem 
gediegenen Wissen und Können seiner Jünger. 

— Die Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden hat 
nachstehende Erklärung beschlossen: Der sächsische Minister des 
Innern Lipinski erklärte am 3. Dezember, dass die im Frieden für die 
menschliche Ernährung für notwendig gehaltenen 3000 Wärmeein¬ 
heiten jetzt auf 1100 heruntergegangen seien und dass wir in der 
nächsten Zeit uns höchst wahrscheinlich mit 500 bis 600 begnügen 
müssen. Da. abgesehen von den drohenden Unruhen, mit 500 bis 
600 Wärmeeinheiten ein Massensterben eintreten würde, halten 
es die in der oben genannten Vereinigung aufgeführten Aerzte für ihre 


Pflicht, die Regierung zu ersuchen, den einzigen Weg der Rettung 
sofort zu beschreiten und die Nahrungsmittelzufuhr vom 
Ausland dutch sofortige Einberufung der Nationalversammlung noch 
in diesem Monat zu ermöglichen. 

— Aus Magdeburg wird an anderer Stelle d. N. (S. 1442) auf 
das gehäufte Auftreten von Wunddiphtherie aufmerksam ge¬ 
macht. Innerhalb kurzer Zeit sind dort 14 mit Wunddiphtherie infizierte 
Fälle, aus verschiedenen Lazaretten stammend, in die Krankenanstalt 
Sudenburg eingeliefert worden. Es ist anzunehmen, dass man es hier 
mit den Folgen von Vernachlässigung der Wunden, w r ie sie bei dem 
überstürzten Abbruch der Feld- und Kriegslazarette und dem unter un¬ 
günstigsten Bedingungen erfolgenden Heimtransport der Verwundeten 
nicht überraschen kann, zu tun hat. Die Leiter chirurgischer Ab¬ 
teilungen werden gut tun, auf diese Gefahr zu achten und verdächtige 
Fälle sofort bakteriologisch untersuchen zu lassen, damit der weiteren 
Ausbreitung dieser furchtbaren Wundinfektionskrankheit die in der 
vorantiseptischen Zeit als Hospitalbrand der Schrecken der 
Krankenhäuser war. vorgebeugt w-erden kann. 

— Milderung des Rezeptzwang.es für baum¬ 
wollene Verbandstoffe. Nach einer Bekanntmachung der 
Reichsbekleidungsstelle vom 23. November 1918 dürfen nunmehr Apo¬ 
theken und sonstige verkaufsberechtigte Kleinhandlungen an den Ver¬ 
braucher ohne ärztliche Verordnung abgeben: uagetränkte 
und getränkte Mullbinden, ein Stück Tupfer- und KompressmulL so- 
ferne die Menge 1 m nicht überschreitet, Verbandwatte in Packungen 
bis zu 100 g eine Packung. Zu Entbindungszwecken dürfen baum¬ 
wollene Verbandstoffe und Verbandwatte in der benötigten Menge 
gegen Bescheinigung der Hebamme abgegeben werden; ärztliche Ver¬ 
ordnung ist hieiiir nicht mehr erforderlich. 

— Die Münchener Medizinerschaft veranstaltet am 
18. d. M. eine Weihnachtsfeier, zu der auch die Münchener Aerzte ein¬ 
geladen sind. Näheres Anzeigenteil S. 7. 

— Pest. Niederländisch Indien. Im September wurden auf Java 
98 tödlich verlaufene Erkrankungen gemeldet. 

— Cholera. Oesterreich, ln der Woche vom 6. bis 12. Ok¬ 
tober wurde in Zapytow (Bezirk Lemberg, Galizien) Cholera bei einem 
Einheimischen bakteriologisch festgestellt. 

— Fleckfieber. Deutsches Reich. Für die Woche vom 
in. bis 16. November wurde nachträglich noch 1 Todesfall in Königs- 
liiitte (Reg.-Bez. Oppeln) gemeldet. — Deutsche Verwaltung in Litauen. 
In der Woche vom 20. bis 26. Oktober 73 Erkrankungen. — Deutsche 
Verwaltung in Riga. In der Woche vom 27. Oktober bis 2. November 
7 Erkrankungen. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 17. bis 23. November 
sind 107 Erkrankungen und 23 Todesfälle gemeldet worden. 

— ln der 47. Jahreswoche, vom 17. bis 29. November 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Münster i. W. mit 63,9, die geringste Rüstringen mit 10,5 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Diphtherie und Krupp in Harburg. Vöff. Kais. Ges.A. 

HocHscbulnachrichten. 

Berlin. Der frühere Subdirektor der Kaiser-Wilhelms-Akademic 
für das militärärztliche Bildungsw r esen Obergeneralarzt Prof. Dr. med. 
et phil. h. c. Berthold Kern in Berirh-Steglitz vollendet am 5. De¬ 
zember das 70. Lebensjahr. Seit Kriegsausbruch war er Feldsanitäts- 
chel des Ostheeres, (hk.) 

Münster. Dem beauftragten Dozenten für Zahnheilkunde und 
Direktor des zahnärztlichen Instituts der Universität Münster i. W. 
Max A p f f e l s t a e d t ist der Professortitel verliehen worden, (hk.) 

W ii r z b u r g. Prof. Dr. H e 11 y, 1. Assistent am Pathologischen 
Institut, wurde zum Prosektor am Kantonspital in St. Gallen ernannt. 

Todesfall. 

In Dresden starb der frühere langjährige Oberarzt an der Ab¬ 
teilung für Frauenkrankheiten im Stadtkrankenhause Dresden-Fried¬ 
richstadt Geh. Sanitätsrat Dr. med. Paul Osterloh im Alter von 
69 Jahren, (hk.) 


Weihnachtsgabe für arme Arztwitwen in Bayern. 

Uebertrag 950 M. Geh. San.-Rat Dr. R. v. H o e s s 1 i n - München 
HK) M. Hofrat Dr. G o 1 d s c h m i d t - Nürnberg 20 M. Bez.-Arzt Dr. 
B r a u n - Königshofen 10 M. Hofrat Dr. L e u s s e r - Bad Kissingen 
200 M. Hofrat Dr. Theilhaber - München 20 M. Dr. J. Katzen¬ 
stein-München 50 M. Dr. P r e c h 11 - München 20 M. San.-Rat 
Dr. G r a s s m a n n - München 25 M. Dr. C. W e r n e r - Burgfarren- 
bach 10 M. Hofrat Dr. K r e c k e - München 200 M. Dr. Casella- 
Miinchen 50 M. Dr. Benedikt R.-München 10 M. San.-Rat Dr. Hol¬ 
zin k e r - Bayreuth 25 M. Von den Lungenfürsorgeärzten Bayreuth 
100 M. Bez.-Arzt Dr. Sauerteig -Münchberg 50 M. Dr.Bach- 
hammer - München 20 M. Dr. Echerer - Wartenberg 20 M. 
Bez.-Arzt Dr. Krebs-Bad Aibling 20 M. Dr. R e g e n - Reicher,- 
hach i. b. Wald 10 M. Summe 1910 M. 

Allen Gebern besten Dank. 

Dank und Quittung erfolgen nur in der Münch, med. Wochenschr. 

Um weitere Gaben bittet 

Der Kassier des Aerztl. Invalidenheims, Abteil. Witwenkasse 
Dr. Hollerbusch, Fürths Mathildenstr. 1. 
Witwenkassen-Postscheckkonto Nr. 6080, Postscheckamt Nürnberg. 


Digitized 




MtadMo S.W, 2. Pml Hcyttstr. 30. — Drock tob B. MlhHhotar’i tack- nä Kuridndeni A.O, I 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 









SssrSta «iv fesdiii 

mm Donnantef olnnr Jadaa Woefea. 


MÜNCHENER 


Medizinische Wochenschrift. 

OROAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Nr. 52. 24. Dezember 1918. 

Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 

Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. 

65. Jahrgang. 

Der Verlag behüt sich das ansscUlessUche Recht der Vemeifftltigunc and Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Origlnalbcitrige vor. 


7 


Originalien. 

Aus einem pathologischen Laboratorium (Armeepathologe 
Stabsarzt Prof. Dr. Q. Herxheimer). 

lieber Hautveränderungen bei Nephritis usw. 

Von Q. Herxheimer und W. Roscher. 

Die Wichtigkeit der Untersuchungen der äusseren Haut gerade 
bei Infektionskrankheiten tritt in der letzten Zeit klar zutage. Die 
während des Krieges studierten Seuchen haben hier unsere Kennt¬ 
nisse gemehrt, und auf ihrer Basis hat die Untersuchung kleiner 
exstirpierter Hautstückchen auch diagnostische Bedeutung erlangt. 
Am wichtigsten ist hier das Fleckfieber. Eugen F r ä n k e 1, der 
überhaupt auf diesem Gebiete Führer gewesen, verdanken wir die 
grundlegenden Untersuchungen. Die Fleckfieberroseola zeigt ein 
charakteristisches Verhalten; es ist nach den Beschreibungen des¬ 
selben ohne weiteres möglich, die Diagnose zu stellen, wie auch der 
eine von uns bestätigen konnte. Die Feststellung der Diagnose 
durch histologische Untersuchung der Haut ist aber vor Bekannt¬ 
werden der W e i 1 - F e 1 i x sehen Reaktion die schnellste und 
sicherste Methode gewesen, seitdem neben jener. Die charakteristi¬ 
schen Gefässveränderungen der Haut entsprechen unseren jetzt aus¬ 
gebauten Kenntnissen von dem gleichen Verhalten der Gefässe in 
inneren Organen. Hiervon verschieden sind die ebenfalls vor allem 
von F r ä n k e 1 studierten Veränderungen der Haut in Gestalt der 
typhösen Roseola, die er in allen Stadien verfolgen und der er neuer¬ 
dings die paratyphöse Roseola anreihen konnte. Wieder völlig ver¬ 
schieden verhält sich die Haut .in zahlreichen Meningitisfällen; es 
ist Ben da. Pick u. a. gelungen, hier das Charakteristische fest¬ 
zulegen und vor allem auch die Erreger hier nachzuweisen. Aus 
allem diesem geht hervor, dass die Untersuchung der Haut und ins¬ 
besondere ihrer kleinen Gefässe bei Infektionskrankheiten Bedeutung 
gewonnen hat, und hier auch ein aussichtsvolles Gebiet der Weiter¬ 
arbeit vorzuliegen scheint. 

Es ist daher nicht verwunderlich, dass in letzter Zeit Mit¬ 
teilungen erschienen sind, welche ausgesprochene Veränderungen der 
Haut, und auch hier wieder besonders im Anschluss an ihre Ka¬ 
pillaren, bei weiteren Erkrankungen, die wir wohl zu den infektiösen 
rechnen dürfen, festlegen zu können glaubten. Wir denken hier an 
Angaben von Töpfer 1 ) ,die „Kriegsnephritis“, von Pick 2 ) die 
Weil sehe Krankheit und von S c h m i n c k e s ) das Wolhynische 
Fieber betreffend. Aber allerdings nach allen drei Autoren sind hier 
die Veränderungen allgemein entzündliche ohne alle besonderen 
Charakteristika ganz im Gegensatz zu den obengenannten Krank¬ 
heiten, insbesondere dem Fleckfieber. Und besonders auffallend ist, 
dass die Beschreibungen und im wesentlichen auch Abbildungen bei 
allen drei Autoren trotz der so grossen Verschiedenheit der drei 
genannten Erkrankungen fast ganz das gleiche darstellen. Eine 
Weiterverfolgung der Frage schien uns dabei angebracht. 

Nehmen wir zunächst die sog. „Kriegsnephritis“, d. h. also die 
Glomerulonephritis. Hier liegt ja der Gedanke an Veränderungen der 
feinen Hautgefässe sehr nahe. Die Oedeme bei der Nephritis werden 
jetzt vielfach auf Schädigung der feinen Hautgefässe bezogen, wir er¬ 
wähnen nur die neuerlichen Arbeiten von L. Hess 4 ). Von be¬ 
sonderem Interesse sind hier die Mitteilungen von E. W e i s s 8 ). Mit 
einer eigenen Technik ist es ihm gelungen, am lebenden mensch¬ 
lichen Körper die Hautkapillaren der direkten mikroskopischen Beob¬ 
achtung und mikrophotographischen Festlegung zugänglich zu machen. 
Charakteristische Veränderungen der Kapillaren wie der Blutströmung 
sollen so, ausser bei mehreren anderen Erkrankungen, bei Schrumpf¬ 
nieren und auch bei akuten Nephritiden festgestellt worden sein. 
W eiss bezeichnet die Veränderungen der Hautgefässe bei letzteren 
direkt als „Kapillaritis“. Es erscheint bei der Wichtigkeit dieser Be¬ 
funde von höchstem Interesse, in Fällen, in welchen nach der W e i s s- 
schen Methode diese Hautkapillarveränderungen beobachtet sind, 
Hautstücke histologisch zu untersuchen und dabei eine scharfe ana¬ 
tomische Trennung zwischen den Fällen von Nephritis und von 


*) Med. Klinik 1917 Nr. 25. 

*) B.kl.W. 1917 Nr. 19/20. 
a ) M.m.W. 1917 Nr. 29. 

4 ) Zschr. f. klin. Med. 83. H. 1/2. 

5 ) Arch. f. klin. Med. 119, jVl.m.W. 1916 Nr. 26 etc. 

Nr ‘ 52 Dlgltlzed by (jOQglg 


Nierenveränderungen auf arterio- und arteriolosklerotischer Grund¬ 
lage vorzunehmen. Bis dahin erscheint uns hier ein endgültiges Urteil 
nicht möglich. 

In seiner vor kurzem erschienenen Arbeit ist nun Töpfer 
(s. oben) an der Hand von Serienschnitten durch Hautstücke von 
Kriegsnephritikern zu dem Ergebnis gelangt, dass er in 8 Fällen, 
wenn auch verschieden stark ausgeprägte, anatomische Verände¬ 
rungen an den Hautkapillaren bzw. um diese konstatieren konnte. 
Er fand die Endothelzellen gewuchert und vergrössert. das Lumen 
der Kapillaren verengt, in der Gefässwand und um diese Leukozyten 
und „granulierte Zellen“. Töpfer identifiziert diese Veränderungen 
mit der von Herxheimer u. a. bei Kriegsnephritis (Glomerulo¬ 
nephritis) in der Niere gefundenen, betont daher, dass es sich um eine 
allgemeine Kapillarveränderung handle und leitet so pathologisch¬ 
anatomisch (zudem nach seiner Meinung auch ätiologisch) eine nahe 
Verwandtschaft der Erkrankung mit dem Fleckfieber ab. 

Wir haben nun zunächst in 6 Fällen von Nierenerkrankungen 
Hautschnitte auf diese Verhältnisse bin untersucht. In 3 Fällen lag 
typische Glomerulonephritis (Kriegsnephritis) vor. Wir konnten 
hier die tatsächlichen Angaben Töpfers zunächst bestätigen; an 
zahlreichen Kapillaren des Papillarkörpers waren die Endothelien 
oft etwas gross, besonders die Kerne, offenbar geschwollen, von einer 
starken Wucherung derselben konnten wir uns allerdings nicht über¬ 
zeugen. Das Lumen erscheint gleichwohl, eng; vor allem aber sind 
in der Gefässwandung und ganz besonders aussen herum zahlreiche 
Zellen gelegen; diese mit kleinem, rundem, dunklem Kern und wenig 
Protoplasma entsprechen ganz den gewöhnlichen kleinen Granu¬ 
lationszellen (Rundzellen, Lymphozyten); andere Zellen sind grösser 
mit etwas grösserem und hellerem Kern und entsprechen den etwas 
grösseren Lymphozytenformen. Dazwischen finden sich nur in 
kleiner Zahl Leukozyten, die wir vor allem mit der Oxydasereaktion, 
um sie auch auszählen zu können, darstellten. Die Zellmassen stellen 
sich wie feine Mäntel um die Kapillaren dar. Wir können das Ge¬ 
fundene ganz in Analogie zu den Töpfer sehen Angaben setzen, nur 
sehen wir bei uns die Zellen in ihrer Mehrzahl als Granulations¬ 
zellen, nicht als gewucherte Endothelien, auf die Töpfer das 
Hauptgewicht legt, an. Wir können daher auch der Töpfer sehen 
Schlussfolgerung, dass es sich um ein völliges Analogon zu den 
Kapillarveränderungen in den Glomeruli der Nieren handle, kaum 
folgen. Nach den Abbildungen, besonders der ersten, welche einem 
Uebersiehtsschnitt mit schwacher Vergrösserung entspricht, zu ur¬ 
teilen — soweit dies möglich ist — gleichen sich die Befunde sonst 
morphologisch sehr. Was bedeuten diese nun? Einen den Glome- 
ruluskapillarveränderungen analogen Vorgang können wir, wie schon 
erwähnt, aus ihnen nicht herleiten; vor allem aber können wir der 
Töpfer sehen Annahme, dass er gerade durch die histologischen 
Hautbefunde „Beweise“ für die Verwandtschaft der Nephritis mit dem 
Fleckfieber (die er auch ätiologisch für gegeben hält) erbringen könne, 
nicht folgen. Töpfer sagt nur, dass bei der Nephritis die Verände¬ 
rung nicht „so ausgeprägt“ seien, aber uns scheinen nicht nur 
quantitative Unterschiede hier vorzuliegen, denn von allem, was für 
die Fleckfieberroseola von F r ä n k e l u. a. als charakteristisch - fest¬ 
gestellt ist, Wandnekrose, Thrombose usw., findet sich hier sowohl 
nach den Töpfer sehen wie nach unseren Untersuchungen gar nichts. 
Ein Vergleich scheint uns daher nicht möglich. Unsere Befunde kann 
man nur als solche völlig uncharakteristischer, entzündlicher Natur 
bezeichnen. 

Des weiteren haben wir nun in 3 Fällen von Nierenaffektion, 
in denen es sich aber nicht um eigentliche Nephritis, sondern um 
die jetzt am besten als Nephrocirrhosis arteriosclerotica zu be¬ 
zeichnende Schrumpfniere (die alte genuine) handelte, die Haut unter¬ 
sucht, und hier fanden wir nun ganz die gleichen Verhältnisse an 
den Hautkapillaren der Kutis, auch ganz die gleichen Zellen. Machte 
dies schon stutzig, war aber immerhin noch mit einem gemeinsamen 
Nierenfaktor erklärlich (dass die Befunde etwa sekundär die Folge 
der Oedeme wären, konnten wir durch Untersuchung von Haut- 
steilen, wo Oedeme nicht vorhanden waren, ausschliessen), so 
schlossen wir nun vergleichende Hautuntersuchungen von anderen 
Sektionen als Kontrollen an. Töpfer gibt nicht an, Haut welcher 
Körperregion er untersuchte, wir haben zunächst Brust- und Bauch¬ 
haut gewählt. Solche untersuchten wir nun in 27 weiteren Fällen. 
Unter diesen befanden sich 3 Pneumonien, 2 Tuberkulosen, 2 Fälle 
von Sepsis, ferner von Gehirnabszessen, Meningitis, Gasödem, Mes- 
aortitis usw. — also von den verschiedensten anderen Infektionen — 
ferner vor allem aber 12 Fälle von bald nach Unfällen Verstorbenen; 

Original fror 1 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 








1452 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 52. 


nur vereinzelt handelte es sich hier um wenige Tage nach Schuss¬ 
verletzungen Gestorbene, in 9 Fällen aber um durch Unfall, Selbst¬ 
mord oder der gl. plötzlich und sofort Verstorbene, also ein geeignetes 
Vergleichsmäterial. Und da konnten wir nun in sämtlichen Fällen 
ganz die gleichen Veränderungen an den Hautkapillaren feststellen. 
Im Einzelnen wechseln die Verhältnisse etwas an Ausbreitung der 
Zellinfiltrate, insofern als sowohl die Zeilmäntel verschieden stark 
entwickelt als auch an einer verschieden grossen Zahl von Kapillaren 
vorhanden sein können. Hie und da waren auch die Zahlen der 
(mit der Oxydasereaktion dargestellten) Leukozyten etwas grösser 
(in 4 unter den 20 Fällen), aber das waren nur geringe quantitative 
Unterschiede, im ganzen fand sich stets das gleiche, oben geschilderte 
Bild, und wenn auch die Zellansammlungen in dem einen Nephritis¬ 
fall stärker ausgeprägt schienen, so war dies in den anderen nicht 
gegeben, hingegen in mehreren Vergleichsfällen. Einen generellen 
Unterschied dieses Hautbefundes zwischen den Fällen von Nieren¬ 
affektion und den von an irgendwelcher anderer Todesursache — auch 
plötzlich — Verstorbenen konnten wir also durchaus nicht feststellen. 
Es handelte sich ganz offenbar um kleinste Entzündungserscheinungen, 
wie sie infolge äusserer Reizeinwirkung gerade an der Haut, über 
einen grossen Teil der Körperoberfläche verteilt, völlig die Regel sind, 
wie dieses ja auch den Dermatologen schon lange bekannt ist. Auf 
Grund unserer Vergleichsuntersuchungen müssen wir somit zunächst 
vor irgendwelchen Vergleichen der Hautkapillarbefunde bei Nephritis 
mit denen bei Fleckfieber, Typhus usw., oder überhaupt irgend¬ 
welchen Schlussfolgerungen aus ihnen warnen. Dass der „Kriegs¬ 
nephritis“ eine Allgemeininfektion zugrunde liegt, hat in Ueberein- 
stimmung mit Töpfer der eine von uns (Herxheimer) zuvor 
betont, dass Veränderungen der Hautgefässe, die eine abnorme Durch¬ 
lässigkeit bewirken, möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich sind, soll 
keineswegs bestritten und nochmals an die W e i s s sehen inter¬ 
essanten Beobachtungen, die anatomischer Vergleichsuntersuchungeri 
bedürfen, erinnert werden. Ein anatomisches Substrat in Gestalt von 
Hautgefässveränderungen bei der Nephritis aber erscheint uns noch 
keineswegs histologisch festgestellt, die T ö p f e r sehen Angaben auf 
jeden Fall können wir auf Grund unserer Nachuntersuchungen als 
solches nicht anerkennen. 


Des weiteren ist bei einer Infektionskrankheit, nämlich bei der 
Weil sehen Krankheit, die Haut histologisch untersucht worden, 
und zwar besonders von P r c k. Er glaubt auch hier charakteristische 
Befunde erhoben zu haben. Seine Darstellung derselben entspricht 
aber völlig unseren allgemeinen Befunden. Auch er schildert ziemlich 
scharf begrenzte Mäntel um Kapillaren bis in die Papillen hinein; 
diese bestehen auch nach Picks Darstellung aus hauptsächlich 
kleinen, zum Teil auch grösseren Rundzellen vom kleineren und 
grösseren Lymphozytentyp, dazwischen sehr wenig Leukozyten sowie 
einige gequollene Stromazellen. Dass dies besonders stark vorhanden 
war in einem Falle, in dem im Leben schon Ausschlag bestand (wie 
ein solcher allerdings der verschiedensten Art und daher keineswegs 
typisch, überhaupt bei Weil scher Krankheit häufig ist) nimmt nicht 
wunder. Aber auch in allen anderen untersuchten Fällen von Weil- 
scher Krankheit ohne Exanthem fand P i c k die oben gekennzeichneten 
zelligen Infiltrate „mehr oder minder ausgesprochen“ und sehr lange 
bis in die Rekonvaleszenz hinein, aber auch das kann nach unseren 
Feststellungen an der Haut überhaupt keineswegs wundernehmen. 
Nun ist Pick vorsichtig gewesen, er betont selbst die Häufigkeit der 
Infiltrate der Haut auf die vielfachen äusseren Reize hin auch unter 
gewöhnlichen Umständen, glaubte aber dem dadurch begegnen zu 
können, dass er Hautpartien wählte, „in denen diese banalen Infiltrate 
nach Möglichkeit auszuschalten wären“. Als solche wählte er auf 
Hinweis durch F. P i n k u s hin die vordere Fläche des Oberarmes. 
Wir haben nun bei unseren Kontrollen auch diese Stelle in ausge¬ 
dehntem Masse untersucht, und zwar in 15 Fällen, unter diesen wieder 
in 6 Fällen durch Unfall bewirkten, zum Teil plötzlichen Todes. Aber 
wir haben hier ganz die gleichen Infiltrate den Kapillaren folgend 
auch an dieser Hautpartie ausnahmslos feststellen können. Einen 
durchgreifenden quantitativen Unterschied gegenüber der Bauch- und 
Brusthaut konnten wir auch nicht auffinden. Dieselben entzündlichen 
„banalen“ Reize wie anderwärts an der Haut machen sich also auch 
hier an der Vorderfläche des Oberarmes geltend, und wenn die In¬ 
filtrate auch den Angaben Picks zufolge in den Fällen von W e H - 
scher Krankheit stärker und zahlreicher sein mögen (da er auch mit 
Kontrollen verglich), was wir mangels geeigneten Materials nioht 
nachprüfen können, so haben wir doch bei unseren Kontrollunter- 
suchungen der Haut eine Reihe Schnitte erhalten, in denen die Aus¬ 
dehnung der Zellinfiltrate sich den von Pick bei Weil scher Krank¬ 
heit gegebenen Abbildungen ganz an die Seite stellen lässt. Auf jeden 
Fall möchten wir davor warnen, auch hier bei Weil scher Krankheit 
in den Hautveränderungen ein diagnostisch verwertbares „charakte¬ 
ristisches Kennzeichen“ zu sehen. 

Das Gleiche gilt endlich von den kurz mitgeteilten Feststellungen 
Schminckes bei Wolhynischem Fieber. Auch er fand in 
der Haut um Arteriolen zellige Infiltration aus Lymphozyten und ver¬ 
einzelten Leukozyten bestehend neben gequollenen Fibroblasten etc. 
Endothelveränderungen, Nekrosen der Gefässwand, Thrombenbildung 
u. dgl. vermisste er auch, wie er im Hinblick auf die Befunde bei 
Fleckfieber ausdrücklich bemerkt. Er bezeichnet seine Befunde mit 
Recht als vorwiegend entzündlich-exsudative. Aber auch diese 
gleichen nach der Beschreibung und auch wieder nach den Abbil¬ 
dungen völlig unseren .in der Haut (Sclimincke untersuchte auch 


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Brust- und Bauchhaut in seinen Fällen) auch sonst gefundenen, sie 
waren wohl höchstens etwas stärker ausgeprägt. 

Nach alledem scheint es sich in den Hautbefunden bei Kriegs¬ 
nephritis (Töpfer), Weil scher Krankheit (Pick) und Wolhyni¬ 
schem Fieber (Schmincke) zunächst untereinander um das Gleiche 
zu handeln, nämlich um kleine, sich an Kapillaren und kleine Haut¬ 
gefässe anschliessende Entzündungsherde, wie sie in diesen Fällen 
etwas stärker vertreten sein mögen, aber auch sonst zumeist infolge 
der ständigen, geringen äusseren Hautreizung vorhanden sind. Irgend 
etwas Charakteristisches oder Typisches besitzen sie daher nicht und 
somit auch keinen diagnostischen Wert. Dies ergibt sich insbe¬ 
sondere aus unseren Kontrolluntersuchungen. Wir können sie daher 
mit den charakteristischen Hautveränderungen bei Fleckfieber usw. 
keineswegs auf eine Stufe stellen. Vor weltergehenden Schluss¬ 
folgerungen daher zu warnen, war der Zweck vorliegender kleiner 
Mitteilung. 


Aus dem pathologisch-anatomischen Institut der Universität 
Zürich (Direktor: Prof. Dr. O. Busse). 

Wie wirkt die Dakinlüsung auf das Wundgewebe? 

Von Dr. Adolf Ritter, II. Assistent. 

Wie im Anfang dieses Krieges der Tetanus, so war in der 
letzten Zeit der Stellungskämpfe die Gasphlegmone das 
Schreckgespenst der Militärärzte. Des Wundstarrkrampfes ist nun 
die ärztliche Kunst durch die lokale Jodapplikation 1 ) und die 
prophylaktische Seruminjektion, des Gasbrandes durch das 
radikale, lokale operative Vorgehen und die chlori- 
sierende Nachbehandlung der Verletzungen Herr gewor¬ 
den*). Dass das Chloren schwerinfizierter — richtig vorbehandelter 
— Wunden von heilsamster Bedeutung ist, steht heute ausser Zweifel. 
Auch einschlägige Laboratoriums t i e r versuche, die im Kantonspital 
Münsterlingen unter Brunner mit D a k i n scher Lösung aus¬ 
geführt wurden, haben dies deutlich bewiesen. 

Die glänzenden Erfolge, die mit dem genannten Medikament 
erzielt-wurden, regten nun dazu an, der Frage nach der Art seiner 
Wirkung nachzugehen. Ich führte deshalb am pathologischen Institut 
Zürich einige Versuche aus, in Weiterverfolgung meiner experimen¬ 
tell-histologischen Untersuchungen über Wunddesinfizientien, um die 
unter dem Einfluss des Chlorpräparates in der Wunde spielenden 
histologischen Vorgänge genauer kennen zu lernen, um sie mit den 
bei Anwendung von Jodtinktur vorkommenden vergleichen und aus 
ihnen event. einen Schluss auf die Wirkungsweise ziehen zu können. 

Die Untersuchungen wurden in Anlehnung an diejenigen, die 
seinerzeit v. Eicken 3 ) mit'Kochsalzlösung, essigsaurer Tonerde. 
Karbolsäure und Sublimat anstellte, mit frischbereiteter Dakinlösung 
in analoger Weise ausgeführt. Die Dakinlösung wurde nach fol¬ 
gender Vorschrift hergestellt: 20 g Chlorkalk werden in 1 Liter 
Wasser, in dem 14 g (Solvey-) Soda gelöst waren, nach Lösung 
tüchtig geschüttelt und dann 30 Minuten stehen gelassen. Die über¬ 
stehende, klare Flüssigkeit vom CaCOa abgehebert und durch Watte 
filtriert. Zufügen von 2,5—3,5 g kristallisierter Borsäure bis zur 
neutralen Reaktion (Phenolphthaleintitrierung). — Verwendet wurden 
Kaninchen und Meerschweinchen und beobachtet die Veränderungen, 
die sich bei einer 7, 14 und 24 ständigen Anwendung der Lösung 
ausbildeten. 

Die Versuchsanordnung war folgende: Bei den je ungefähr 
gleich grossen und gleich alten Versuchstieren wurde an den hinteren 
Extremitäten eine grössere Hautpartie rasiert und desinfiziert. Dann 
legte ich tiefe Haut-Muskelwunden an und brachte in dieselben einen 
mit Da k in scher Flüssigkeit durchtränkten Gazetampon, den ich 
durch einige Nähte noch fixierte. Ueber den Tampon w'urden mehrere 
Schichten von mit der D a k i n sehen Lösung durchtränkter und aus- 
georückter Gaze gelegt, das Ganze mit Gazebinden umwickelt und 
fixiert, später noch einmal durchtränkt und 7 resp. 14 und 24 Stunden 
liegen gelassen, dann die Wunde Umschnitten und exzidiert, das 
Präparat 4 Stunden in Orth sehe Flüssigkeit gelegt, hernach eben¬ 
solange gewässert, in steigendem Alkohol gehärtet und in Paraffin 
eingebettet, nachdem es zuvor in kleinere Stücke zerteilt worden 
war. Von allen Stücken wurde darauf eine ganze Anzahl von 
Schnitten angefertigt, die mit Hämalaun-Eosin, nach v. G i e s o n und 
W e i g e r t s Fibrinmethode fingiert wurden. 


*) C. Brunner: Erdinfektion und Antiseptik. Zbl. f. Chir. 1915. 
42 Jahr er. Nr. 32: 1916, 43. Jahrg. Nr. 52. 

2 ) L. Kathariner: Der verschiedengradige Wert der Anti¬ 
septika für die Wundbehandlung. M.m.W. 1915 Nr. 44 S. 1522. - 
Dobbertin: Das Chloren schwerinfizierter Wunden mit Dakin- 
lösung. Mju.W. 1916 Nr. 45 S. 1602 und 1917 Nr. 17 S. 467. — F e s s - 
ler: Die Gasphlegmone. M.m.W. 1917 Nr. 10 S. 331. — W inkeJ- 
mann: Erfahrungen über die Behandlung von Kriegswunden mittels 
Dakinlösung. Bruns Beitr. 101. 1916. H. 4. — Frensberg und 
Bumiller: Zur Behandlung schwerinfizierter Wunden mit Car- 
r e 1 - D a k i n scher Lösung. M.m.W. 1917 Nr. 32 S. 1058. — Ste¬ 
phan: Wundbehandlung mit Carrel-Dakin scher Lösung und 
offene Wundbehandlung. D.m.W. 1917 Nr. 30 — usw. 

3 ) C. v. Eicken: Ueber die Desinfektion infizierter Wunden 
Inaug.-Diss. Heidelberg-Tübingen 1899. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



24 . Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


, Zunächst wurden die Versuche an 'Kaninchen ausgeführt 
u . dabei fiel sowohl an den 14- wie an den 24-Stundenpräparaten 
eine aussergewöhnlich breite, nekrotische Zone um den Wundbezirk 
her um auf. 


Protokoll eines 14 - S t u nd e n s c h ni 11 e s: 

i I” der näheren Umgebung der Wunde ist eine weitgehende Ne- 
krose der Gewebe zu sehen, die sich dadurch manifestiert, dass spe- 
zieH die sehr empfindlichen Muskelfasern und -bündel gequollen, 
tonnenförmig angeschwollen, mit Einschnürungen versahen, ohne 
Längs- und Querstreifung erscheinen, während ihre Kerne oft schön- 
ganz verschwunden, oft pyknotisch zerfallen sind. Weniger hat die 
Kutis und Subkutis gelitten; hier ist die anatomische Struktur meist 
noch deutlicher zu erkennen. Auf die abgestorbene Zone folgt eine 
fast ebenso breite Schicht des Ueberganges zu den normalen Ver¬ 
hältnissen, in dCr neben den eben beschriebenen nekrotischen Teilen 
ganz oder wenigstens teilweise erhaltene Elemente Hegen. Hier 
ist an den meist quergetroffenen Muskelbündeln die anatomische 
Zeichnung oft noch gut wahrnehmbar: die Muskel„blätter“ geben die 
bekannten charakteristischen Merkmale der quergetroffenen Muskel¬ 
faserbündel. Die Kerne sind gross, wohlerhalten. Allerdings liegen 
zwischen diesen Teilen auch noch reichlich nekrotische, die sich so¬ 
fort durch ihre schmutzigrote Färbung verraten. In ihnen sind die 
Kerne mcht mehr gefärbt. Eine Querstreifung an den längs¬ 
geschnittenen Elementen fehlt. Alle diese Teile, sowohl die toten 
wie die erhaltenen, sind von grossen Rundzellenanhäufungen umgeben 
und oft in einen dichten Fibrinmantel eingehüllt. Die Gefäss'e sind 
stark erweitert, praH gefüllt, das Gewebe in allen Schichten stark 
odematös, was übrigens auch schon makroskopisch zu konstatieren 
war. 

Präparat von 24 Stunden: 

Hier sieht man die geschilderten Veränderungen weiter ent¬ 
wickelt. Die nekrotische Schicht ist zwar nicht ganz doppelt so breit, 
dafür aber hat die Uebergangszone ganz beträchtlich zugenommen; 
ebenso ist das Rundzelleninfiltrat noch mächtiger geworden. Die der 
Einwirkung der Lösung am meisten ausgesetzten Gewebe haben eine 
. blassrötliche Färbung angenommen und unterscheiden sich dadurch 
auffallend von den tiefrot tingierten, normalen Teilen; wieder sind 
es in erster Linie die Muskelfasern. Doch auch die bindegewebigen 
Elemente der Subkutis haben ebenfalls nicht unbedeutend gelitten; 
auch hier finden sich zahlreiche nekrotische Kerne nebst Trümmern 
von Zellen und Kernen bei allgemein mangelhafter Tingierung. Die 
Konturen sind wie bei den Muskelfasern verschwommen. Starke 
Quellung. Die Uebergänge zwischen den Schichten sind fliessend. 
Auffallend ist auch hier ein starkes Oedem, das sowohl oberflächlich 
wie in den tieferen Teilen breite Bezirke einnimmt. Weiterhin eine 
Anhäufung von Rundzellen in erheblicher Ausdehnung dicht unter dem 
völlig intakten Epithel nebst ausgesprochener Dilatation und Füllung 
der Gefässe. 

Die Da k in sehe Lösung schien somit im wesentlichen nekroti¬ 
sierend zu wirken und erst in zweiter Linie entzündungserregend. 
Zur Sicherheit wurden nun aber noch Versuche am bekanntlich viel 
resistenteren Meerschweinchen, dessen Gewebsempfindlichkeit unge¬ 
fähr der des Menschen entspricht, ausgeführt. Hier änderte sich dann 
<fas Bild insoweit, als das Nekrosemoment eine erheblich geringere 
Rolle spielte und dafür -die Erscheinungen einer progressiven fnflam- 
matio noch mehr in den Vordergrund traten. 

Protokoll vom 7 - S t u n d e n p r ä p a r a t: 

In der nächsten Nähe des Schnittes ist das Gewebe zertrümmert 
und nekrotisch, das Plasma blassrot, die Kerne gar nicht gefärbt. 
In der Hauptsache sind davon die empfindlichen Muskelfasern be¬ 
troffen; in den Gewebsinterstitien einzelne kleine Blutungen; am 
Wundspaltrand ein feines Fibrinnetz; in den weiten Maschen der 
Subkutis neben hyperämischen Gefässen ödematöse Flüssigkeit; an 
einzelnen Stellen Ansammlungen von Rundzellen. Die kleinzellige 
Infiltration ist auch dicht unter dem ganz unversehrten Epithel in der 
weiteren Umgebung der Wunde zu beobachten. Der Uebergang von 
der sehr schmalen Wundschnittnekrose zum normal tingierten und 
gebauten Gewebe erfolgt ganz unvermittelt. 

14-Stunden Präparat: 

Hier ist die Nekrosezone etwas breiter als im vorigen Schnitt, 
erreicht jedoch keineswegs den Umfang wie im entsprechenden Ka¬ 
ninchenpräparat. Dafür sind die in ihren Anfängen bereits ge¬ 
schilderten Zeichen der Entzündung weiter ausgebildet. Die Gefässe 
sind stark dilatiert, prall gefüllt. Die Maschen der Kutis und Sub¬ 
kutis sind sehr weit; auch in die Interstitien der Muskelbündel reicht 
das beträchtliche Oedem. Ueberall findet sich ein weitmaschiges 
Fibrinnetz, das vielfach Rundzellenhaufen umgibt. Zwischen Subkutis 
und Muskulatur liegen die Rundzellen dichtgedrängt in grosser Zahl. 
Aber auch unter dem Epithel finden sich die schon erwähnten Herde 
kleinzelliger Infiltration wieder und zwar nicht unerheblich ver- 
grössert. Das Ganze macht den Eindruck einer weiterschreitenden 
Entzündung. 

Präparat von 24 S t u n d e n: 

Nekrosezone wiederum breiter; um sie herum reichliche klein¬ 
zellige Infiltration, die sich auch zwischen die abgestorbenen Teile 
hineinerstreckt. Das Ffbrinpgtz durchzieht alle Wundspalten und 

Digltlzed by CjOOOlC 


US3 


-Winkel. Alle Gewebsmaschen sind enorm erweitert, die Subkutis 
infolge davon fast auf das Dreifache verbreitert. In ihren Spalten 
finden sich massenhaft kleine Rundzellen, die zu grossen Herden direkt 
unter dem glatt und vollkommen intakt über sie wegziehenden Epithel 
liegen. Alle bereits geschilderten Entzündungserscheinungen sind hier 
m besonders starkem Grade ausgebildet. Die Nekrosezone tritt dem 
entzundungsabschnitt gegenüber auffallend in den Hintergrund. Eine 
Abkapselung hat noch keineswegs stattgefunden, vielmehr lassen die 
in die Gewebsinterstitien hinein sich verlierenden Rundzelleninfiltrate 
noch auf ein Weiterschreiten des Prozesses schliessen. 

Bei den Untersuchungen über die Wirkung des Jod¬ 
alk o h o 1 s auf die Haut und das Wundgewebe *) konnte an 4 Ver¬ 
suchsreihen, die die Zeit unmittelbar nach Setzung der Verletzung, 
der Einbringung des schädlichen Agens und des Jods bis zum 
11. Tage der Heilung umfassten, folgendes festgestellt werden: 

Durch Jodapplikation auf intakte Haut wird ein Reiz ausge¬ 
übt, der zu Prozessen in den Geweben führt, die als eine „akute 
Steigerung physiologischer Vorgänge“ aufzufassen sind. 

Dagegen werden in und unter der Haut gelegene Entzün¬ 
dungsherde nur wenig durch Jodauftragung beeinflusst. Die 
Jodreaktion tritt gegenüber der durch die Noxe erregten voll¬ 
kommen in den Hintergrund. 

I der Wundbehandlung mit Jod treten nur diejenigen 

Formen von Gewebsreaktionen auf, die auchjn der nicht gejodeten, 
aseptisch heilenden Wunde spielen, und zwar nur minimal ge¬ 
steigert, oft kaum nachweisbar. Die Jodreaktion ist 
lange nicht so stark wie die Gewebsalteration. die durch einfaches 
Einbringen von Erde in die Wunde hervorgerufen wird. Es be¬ 
stehen auch keine zeitlich-quantitativen Unter¬ 
schiede. 

Aus diesen Befunden konnte geschlossen werden, dass nicht die 
irritierende Wirkung auf das Wundgewebe das Tier vor dem Tode 
bewahrt, sondern dass vielmehr der J o d s c h u t z in erster Linie 
durch die antimykotische Kraft 5 ) der Tinktur gewährleistet 
wird, die den Gegner direkt angreift. Daneben ist aber auch der 
weitere Vorzug hervorzuheben, dass das Jod. in der üblichen, zur 
Erzielung des therapeutischen Effektes erforderlichen Quantität ver- 
* wendet, keine oder keine nennenswerten Nekrosen setzt, 
so dass die vom Feinde selbst erregte Gewebsabwehrreak- 
t i o n ungehindert zur Wirkung zu kommen vermag. 

Vergleichen wir mit diesen-durch Jodapplikation hervorgerufenen 
Vorgängen die durch Anwendung der Dakinlösung erzeugten, so bietet 
sich auf den ersten Blick ein recht verschiedenes Bild. ,Ganz abge¬ 
sehen davon, dass der Verwendungsmodus der Agentien ja ein voll¬ 
kommen verschiedener ist. In der Art aber, wie sdiliesslich der 
Zweck erreicht wird, entdecken wir dann wieder eine gewisse Aehn- 
lichkeit und wir sind berechtigt, auch für das D a k i n p-r ä p a r a t 
eine Kombinationswirkung anzunehmen, allerdings mit veränderter 
Kräfteverteilung der Komponenten. 

Wir haben gesehen, dass die Dakinlösung in der thera¬ 
peutisch notwendigen Verwendungsart eine das Gewebe in hohem 
Grade reizende Flüssigkeit ist. Sie vermag, im Gegensatz 
zum Jod, dem, wie erwähnt, durch das unversehrte Epithel hindurch 
nur eine geringe Tiefenwirkung innewohnt, auch bei intakter 
äusserer Decke nicht unerhebliche Entzündungs- 
erscheinungen in der Tiefe auszulösen. 

D i r e-k t auf die Wunde gebracht, ist die stimulierende 
Wirkung noch viel eklatanter. Und während bei den 
Kaninchenversuchen das Nekrosemoment im Vordergrund zu stehen 
schien, zeigten die Experimente am Meerschweinchen, dass die 
nekrotisierende Wirkung nicht ganz das Wesen unserer Chlorlösung 
ausmacht, wenn sie auch, wie aus den in-vitro-Untersuchungen von 
D e 1 b e t und Karajanopoulo hervorgeht, Phagozyten sicher 
tötet und auch andere empfindliche Gewebselemente zum Absterben 
bringt, wie unsere Versuche gezeigt. Die Nekrosen im Gewebe sind 
vielmehr wie beim Jod relativ gering. 

Ihre Haupteigenschaft ist also — und das unterscheidet 
ihre Wirkungsweise hauptsächlich von der der Jodtinktur — die 
auffallende Anregung des ZeHebens der Wunde und vor allem die 
Erzeugung einer mächtigen Hyper Iymphie, die auf 
dem Bestreben des Organismus beruhen dürfte, die hypertonische 
Lösung in eine isotonische umzuwandeln. 

Durch die Untersuchungen von D e 1 b e t und Karajano¬ 
poulo ist ferner festgestellt, dass sie Bakterien keineswegs 


4 ) A. Ritter: Jodtinktur und Tetanus. Experim.-histologische 
Untersuchungen. J. D., Zürich 1916. 

8 ) Der Ausdruck „antimykotisch“ soll auch hier in dem aller¬ 
weitesten Sinn gebraucht werden. Es soll damit gesagt sein, dass 
nicht die Steigerung oder Erregung der Entzündungsvorgänge im 
Gewebe, sondern der schädigende Einfluss auf den Infektionsstoff 
massgebend ist, sei es, dass die Erreger getötet oder in der 
Auskeimung und Entwicklung gehemmt, oder dass die erzeugten 
Giftstoffe in irgend! einer Weise paralysiert werden. Es soll 
unentschieden bleiben, ob die Jodtinktur direkt auf das Infiziens 
wirkt oder indirekt dadurch, dass vielleicht Jod mit den Gewebs- 
säften irgendwelche Verbindung eingeht, die dem Infiziens entgegen¬ 
wirkt. i 

J* 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1454 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 52. 


sicher tötet Das antimykotische Moment tritt somit stark in 
den Hintergrund gegenüber dem irritativen, das zu einer 
gründlichenAusspülungder Wunde führt, die in e r s t e r 
Linie geeignet sein dürfte, durch Ausschwemmung der Mehr¬ 
zahl der Keime eine Heilung herbeizuführen. Die starke Leuko¬ 
zytose ist sodann trotz der nicht unerheblichen Nekrosen noch leicht 
imstande, den Rest der Noxen zu vernichten, die, wie wir wohl an¬ 
nehmen dürfen, durch die antimykotische Kraft der Lösung in ihrer 
Vitalität geschädigt, in ihrer Entwicklung auf irgendeine Art wenig¬ 
stens gehemmt worden, sind'. 

Es ergibt sich somit aus dem histopathologischen Bilde der 
Wunden, dass sowohl die Wirkungsweise der Jodtinktur wie die der 
Dakiniösung als eine für die Heilung sehr günstige Kombinations¬ 
wirkung aufzufassen ist. Der Unterschied zwischen den Agentien 
besteht darin, dass das Kräfteverhältnis der Kompo¬ 
nenten, Antimykose und Gewebsirritation, ver¬ 
täu s ch t ist. Gemeinsam ist beiden, dass sie das Gewebenicht 
allzusehr schädigen und damit auch der ersten Anforde¬ 
rung, die wir an ein Antiseptikum, soll es brauchbar sein, stellen 
müssen, in vollkommenster Weise genügen. 


Aus dem Institut für Schiffs* und Tropenkrankheiten in 
Hamburg (Leiter: Obermedizinalrat Prof. Dr. Nocht) und 
einem Festungslazarett im Osten. 

Schutzimpfungsversuche gegen Fleckfieber. 

Von Dr. H. da ^ocha-Lima. 

Aus der noch bestehenden Unmöglichkeit, den Erreger des Fleck¬ 
fiebers auf künstlichen Nährböden zu züchten, und so in üblicher 
Weise einen Impfstoff zu bereiten, entstand das Bestreben, eine 
aktive Immunisierung aui anderem Wege zu erreichen, und zwar 
durch die Verwendung von unschädlich gemachtem, virushaltigem 
Material aus kranken Menschen oder Tieren als Impfstoff. 

Als solcher kommen in Frage: 1. Das Blut fleckfieberkranker 
Menschen. 2. Das Blut und die Organe von an Fleckfieber erkrank¬ 
ten Versuchtieren. 3. Läuse, die mit dem Fleckfiebervirus infiziert 
sind. Ueber die bis jetzt zu diesem Zwecke vorgeschlagenen Ver¬ 
fahren habe ich in Nr. 43 der M.K1. 1917 und im diesjährigen Band 
der Erg. d. allg. Path. u. path. Anat. von Lubarsch u. Ostertag aus¬ 
führlich berichtet. Sowohl für Literaturangaben wie für alle tech¬ 
nischen Einzelheiten sei hier auf diese Aufsätze verwiesen. 

Zur Beurteilung der Wirksamkeit der verschiedenen Impfstoffe 
sind die bisher veröffentlichten Erfahrungen noch viel zu spärlich. 
Sie beziehen sich ausserdem fast ausschliesslich auf die Impfstoffe 
aus Menschenblut. Immerhin erweckten die günstig lautenden Mit¬ 
teilungen von H a m d i und N e u k i r c h den Eindruck, dass auf 
diesem Weg das erstrebte Ziel erreicht werden kann, wenn auch 
andere Beobachter weniger günstige Ergebnisse hatten. 

Wenn aber das durch Erhitzung auf 60° oder einen keimtöten¬ 
den Zusatz (Chloroform, Formol usw.) unschädlich gemachte Blut 
oder Blutserum von Fleckfieberkranken die Fähigkeit besitzt, nach 
wiederholten Einspritzungen Immunität zu erzeugen, dann ist minde¬ 
stens dasselbe von den aus Meerschweinchenorganen oder aus in¬ 
fizierten Läusen hergestellten Impfstoffen zu erwarten. Denn nach 
den Versuchen von N i c o 11 e und B 1 a i z o t und von mir ist schon 
in einem Tropfen bzw. iin 0,05 ccm einer Aufschwemmung von beiden 
Nieren und Nebennieren und der Milz eines fiebernden fleckfieber¬ 
kranken Meerschweinchens in 50 ccm Kochsalzlösung eine genügende 
Menge Virus enthalten, um die Krankheit auf ein anderes Meer¬ 
schweinchen zu übertragen, während ungefähr 3 ccm Menschenblut 
zu demselben Zweck notwendig sind. Nach den von mir gemein¬ 
sam mit Prowazek aufgestellten Versuchen ist das Virus in der 
Laus in noch bedeutend höherer (mehr tausendfacher) Konzentration 
als hn Menschenblut vorhanden, was der allgemeinen Erfahrung ent¬ 
spricht, dass in den- als Zwischenwirte (Ueberträger) dienenden In¬ 
sekten eine starke Vermehrung der Krankheitserreger stattfindet. 

Es war daher zu erwarten, dass Impfstoffe aus Meerschwein¬ 
chenorganen und besonders die aus Läusen wirksamer seien als die 
aus Krankenbiut. Auch war eine gleichmässigere Beschaffenheit und 
eine grössere Haltbarkeit jener Impfstoffe sehr wahrscheinlich. 

Zweck der hier mitzuteilenden. Versuche war es, festzustellen, 
ob diese Ueberlegung zu Recht besteht und besonders, ob der von 
mir im Jahre 1915 vor geschlagene Impfstoff aus Fleckfieberläusen 
wirklich mehr Aussicht auf Erfolg als die anderen bietet. Es sollte 
ferner geprüft werden, ob in der Tat mehrere reaktionslos vertra¬ 
genen Impfungen Immunität zu erzeugen vermögen, obwohl erfah- 
rungsgemäss eine einzige dazu nicht imstande ist. 

Zu diesem Zwecke bediente ich mich des Tierversuches. Diesem 
könnten Versuche am Menschen nur dann überlegen sein, wenn sie 
serienweise mit nachträglicher Prüfung des Impferfolges durch Virus¬ 
einimpfung durchführbar wären. Statistische Angaben über einige 
hunderte oder selbst tausende Impfungen sind dagegen schon an sich 
mit Vorsicht zu betrachten. Die ihnen anhaftenden schwer zu ver¬ 
meidenden Fehlerquellen, wie z. B. die ungleiche Beschaffenheit des 
Menschenmaterials, die Jahreszeit, der Grad der Ansteckungsgefahr 
bzw. des Schutzes gegen Läuse würden sich aber bei vergleichender 

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Prüfung verschiedener Verfahren summieren und ein sicheres Urteil 
kaum zulassen. Beim Tierversuch lassen sich dagegen die auch hier 
vorkommenden Fehlerquellen so gut wie vollkommen beseitigen, 
wenn diese bei der Anstellung der Versuche und Deutung der Ergeb¬ 
nisse auf das genaueste berücksichtigt werden. 

Zu derartigen Versuchen eignet sich am besten das Meer¬ 
schweinchen. Bereits seit nahezu einem Jahrzehnt bekannt, ist das 
Fleckfieber des Meerschweinchens von allen sich mit dieser Frage 
eingehend beschäftigenden Autoren bei vielen Hunderten von Tieren 
sowohl «in Europa und Amerika wie in Afrika beobachtet worden. 
Diese sich überall bestätigenden Angaben der erfahrensten Fleck¬ 
fieberforscher verhinderte aber nicht, dass hier und dort ein Autor 
ohne eigene Erfahrung und unter Ignorierung der Literatur vom 
grünen Tisch aus das Fleckfieber des Meerschweinchens als eine 
zweifelhafte Neuigkeit betrachtet. 

Meine durch die sorgfältige Beobachtung von weit über 1000, 
grösstenteils mit dem Fleckfiebervirus, aber zum Teil auch mit Blut 
anderer Kranken — Typhus, Grippe, Wolhynisches Fieber, multiple 
Sklerose — geimpften Meerschweinchen, sowie von .normalen Kon¬ 
trollieren, gewonnenen Erfahrungen lassen keinen Zweifel zu, dass 
das Meerschweinchen deutlich an Fleckfieber erkrankt. 

Im Gegensatz zu den anderen, erkrankten die mit Fleckfieber¬ 
virus, sei es aus Blut oder Organen von Menschen oder Versuchs¬ 
tieren, sei es aus Fleckfieberläusen infizierten Meerschweinchen an 
meistens 4—10 Tage dauerndem kontinuierlichem Fieber, das erst 
nach einer Inkubationszeit von meistens 5—14 Tagen beginnt. Die 
Inkubationszeit ist in der Regel annähernd die gleiche bei gleichzeitig 
in gleicher Weise infizierten Tieren. 

Damit ist nicht gesagt, dass jedes mit Fleckfiebervirus geimpfte 
Meerschweinchen erkranken muss, noch dass die Feststellung der 
Erkrankung an Fleckfieber jedesmal leicht und überhaupt möglich 
ist. Selbst der Mensch erkrankt nicht immer. In Kleinasien erkrank¬ 
ten nur 56 Proz. der 310 von einem geistesgestörten Arzt mit Blut 
von Fleckfieberkranken gespritzten Personen. Auch ist bekanntlich 
die Erkrankung beim Menschen nicht jedesmal leicht diagnostizierbar. 

Die sich aus diesen Tatsachen ergebenden Schwierigkeiten und 
Fehlerquellen können jedoch beseitigt werden, indem jeder Versuch 
mit einer möglichst grossen Anzahl Meerschweinchen angestellt, 
jedes eine zweifelhafte Reaktion aufweisende Tier aus dem Ver¬ 
such ausgeschaltet und, falls diese unsicheren Resultate über wiegen 
oder die Ausschaltung mehrerer Tiere die Beurteilung des Versuches 
beeinflussen, der ganze Versuch als ungültig betrachtet und wieder¬ 
holt wird. Zu noch grösserer Sicherheit ist an der Regel festzuhalten, 
dass selbst die typischste Reaktion erst, wenn durch den gleichen 
Ausfall bei anderen in gleicher Weise behandelten Tieren bestätigt, 
als einwandfrei und sicher betrachtet wird. 

Eine grössere Gleichmässigkeit der Resultate wird ferner da¬ 
durch erzielt, dass für die Versuche anstatt des dem Meerschwein¬ 
chen noch nicht angepassten Fleckfiebervirus direkt aus Kranken¬ 
blut das Passagevirus, das infolge mehrmaliger Ueberimpfungen auf 
Meerschweinchen eine für diese Tiere gleichmässig starke, bekannte 
Virulenz besitzt, verwendet wird. Ausserdem ist auf Gleichmässig¬ 
keit der Fütterung, der Unterbringung, der Raumtemperatur, der 
Temperaturmessung sowie auf die Temperaturkurve von gleichzeitig 
in gleicher Weise gehaltenen und gemessenen gesunden Kontroll¬ 
ieren zu achten. 

Diese Vorsichtsmassregeln erfordern zwar viel mehr Zeit. Mühe 
und Versuchstiere als es zunächst den Anschein hat, doch nur so 
wird unter anderem die grösste Fehlerquelle derartiger Experimente 
vermieden, nämlich die etwas oder gar sehr subjektiv beeinflusste 
Deutung einzelner unklarer Ergebnisse. 

Die hier mitzuteilenden Versuche wurden unter Beobachtung 
dieser Kautelen angestellt. Kleine Abweichungen in der Versuchs¬ 
anordnung haben ihre Erklärung in der Tatsache, dass die Versuche 
nicht gleichzeitig oder hintereinander, sondern mit manchmal recht 
grossem Abstand voneinander und im Zusammenhang mit anderen 
Experimenten angestellt wurden. 

Die Impfstoffe wurden stets nur subkutan eingespritzt, da nur 
in dieser Weise der Versuch der Schutzimpfung des Menschen ent¬ 
spricht. Zur Prüfung der Immunität wurde dagegen das Fleckfieber- 
virus einer grösseren Gleichmässigkeit halber ausschliesslich intra- 
peritoneal eingespritzt. Von einer Berechnung der Menge des Impf¬ 
stoffes nach dem Gewicht des Tieres im Vergleich zu dem des Men¬ 
schen wurde prinzipiell Abstand genommen, denn wichtiger als das 
Gewichtsverhältnis ist das Verhältnis zwischen dem Grad der Emp¬ 
findlichkeit bzw. der Antikörpererzeugung beim Menschen und beim 
Versuchstier. Darüber ist aber nichts bekannt. Infolgedessen ist 
jede Berechnung geeignet Trugschlüsse herberzuführen und deshalb 
unzulässig. So wurden beim Meerschweinchen die gleichen Impf¬ 
stoffmengen verwendet, wie sie für den Menschen gedacht oder ge¬ 
braucht worden sind. 

Die Tabellen geben eine Uebersicht über die Erkrankung (-f) 
oder Nichterkrankung (0) der Meerschweinchen nach Einspritzung 
von Fleckfiebervirus (Immunitätsprüfung). Einzelne Tiere musster, 
wegen interkurrierender Erkrankung (Lungenentzündung, Lähmung) 
aus einigen Versuchen ausgeschaltet werden. Doch nur bei einem 
Versuch konnte die Zahl solcher unsicherer Resultate die Deutung 
des Experimentes beeinflussen. Dieser Versuch wurde auch deshalb 
ausgeschaltet. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



24. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1455 


Versuch 1. 

A. Einmalige Impfung mit 4 Wochen altem Impfstoff aus Läusen. 
Prüfung der Immunität 22 Tage später durch Einspritzung von 2 ccm 
Blut von M. 632—634 (Blutvirus 4. Passage). 

1. M. 615 (10 Läuse): 4- 3 Inkubationstage. 7 Fiebertage. 

2. M. 616 (40 Läuse): + 3 Inkubationstage. Getötet am 3. Fiebertag. 

3. M. 617 (20 Läuse): 4- 3 Inkubationstage. 12 Fiebertage. 

4. M. 618 (25 Läuse): 0. 

B. Kontrollen. Nur mit 2 ccm desselben Blutvirus geimpft. 

1. M. 633: 4- 4 Inkubationstage. 6 Fiebertage. 

2. M. 634: 4~ 5 Inkubationstage. Tod am 3. Fiebertag. 

3. M. 635 : 4- 5 Inkubationstage. 12 Fiebertage. 

4. M. 636: + 3 Inkubationstage. Getötet am 3. Fiebertag. 

Die einmalige Einspritzung von 10—40 Läusen hat nicht ver¬ 
mocht die Tiere gegen die Erkrankung zu schützen. Das isolierte 
negative Resultat (A4) könnte auf natürlicher Immunität beruhen. 

Versuch 2. 

A. Zweimalige Impfung in Abständen von 5 Tagen mit bei der 

1. Impfung 9 Tage und bei der 2. Impfung 14 Tage altem Impfstoff 
aus Läusen. 1. Impfung mit 5, 2. mit 10 Läusen. Prüfung der 
Immunität 8 Tage nach der 2. Impfung durch Einspritzung von 

2,5 ccm Blut von M. 826—827 (Blutvirus 2. Passage). 

1. M. 828: 0. 

2. M. 829: 0. 

3. M. 830: 0. 

4. M. 831. 4- 10 Inkubationstage. 5 Fiebertage. 

5. M. 832: 0. 

B. Kontrollen. Nur mit demselben Blutvirus geimpft. 

1. M. 845 : 4- 13 Inkubationslage. 3 Fiebertage. 

2. M. 846: 4 - 11 Inkubationstage. 6 Fiebertage. 

Eine deutliche immunisierende Wirkung der wiederholten Imp¬ 
fung mit dem Läuseimpfstoff ging bereits aus diesem Versuch hervor, 
doch könnte einerseits die geringe Anzahl der Kontrolliere, anderer¬ 
seits der schroffe Kontrast zu den Ergebnissen des Versuches 1 die 
Einwendung berechtigt erscheinen lassen, dass es sich um eine viel¬ 
leicht auf ungenügender Virulenz des zur Immunitätsprüfung ver¬ 
wendeten Virus beruhende, zufällige Erscheinung handelte. Es war 
deshalb eine Wiederholung erforderlich. Um Versuchstiere zu sparen, 
wurde auf eine Wiederholung des Versuches 1 verzichtet, da bereits 
andere Erfahrungen aus der Literatur für die Unzulänglichkeit der 
einmaligen Impfung sprechen. 

Versuch 3. 

A. Dreimalige Impfung innerhalb 7 Tagen (am 1., 3. und 7. Tag) 
mit 3 Wochen altem Impfstoff aus Läusen. Die 1. Impiung mit 5, 
die 2. mit 10 und die 3. mit 20 Läusen. Prüfung der Immunität 
nahezu 2 Monate später durch Einspritzung von 0,05 ccm einer 
Emulsion von beiden Nieren und Nebennieren und der Milz des 

M. 955 (Blutvirus 11. Passage) in 50 ccm Kochsalzlösung. 

1. M. 911: 0. 

2. M. 913: 0. 

3. M. 914: 0. 

4. M. 915: 0. 

B. Dreimalige Impfung wie bei A, aber mit einem 1 bzw. 3 und 
6 Tage alten, nach der türkischen Methode (Erhitzung auf 60°) her- 
jgestellten Impfstoff aus Krankcn'blut. Die 1. Impfung mit 2 ccm, die 

2. mit 2 ccm und die 3. mit 4 ccm Blut von schweren Fleckfieber¬ 

fällen. Prüfung der Immunität wie bei A. 

1. M. 893: 4- 4 Inkubationstage. Getötet am 5 Fiebertag. 

2. M. 894: 0. 

3. M. 895: + 4 Inkubationstage. 5 Fieber tage. 

4. M. 896 : 4 - 9 Tnkubationstage. 5 Fiebertage. 

5. M. 898: 4- 7 Inkubationstage. 5 Fiebertage. 

6. M. 899: 4 - 8 Inkubationstage. 6 Fiebertage. 

7. M. 900 : 0. 

D. Kontrollen. Nur mit demselben Organvirus geimpft. 

1. M. 962: 0. 

2. M. 965: 4- 7 Inkubationstagc. 7 Fiebertage. 

3. M. 966 : 4- 7 Inkubationstage. 7 Fiebertage 

4. M. 926: + 6 Inkubationstage. 6 Fiebertage. 

Eine gleichzeitig in gleicher Weise angesetzte Serie C von 
8 Tieren, die aber mit Impfstoff aus Meerschweinchenorganen ge¬ 
impft waren, wurde wegen zweifelhafter Ergebnisse bei mehreren 
Tieren ausgeschaltet. Doch entspricht der dabei gewonnene Eindruck 
durchaus dem später mit demselben Impfstoff erzielten Resultat (Ver¬ 
such 4C). 

Der als negativ betrachtete M. 914 (A. 3) hatte 11 Tage nach 
der Viruseinspritzung während 2 Tagen erhöhte Temperatur. Es 
könnte sich vielleicht um eine abortive Erkrankung nach verlängerter 
Inkubation handeln. Doch auch in diesem Falle wäre es als ein 
Erfolg der Schutzimpfung aufzufassen. 

Die Wirksamkeit der Schutzimpfung mit Läuseimpfstoff geht aus 
■dem Vergleich mit nicht nur den Kontrollen, sondern auch den mit 
Blutimpfstoff vorbehandelten Tieren deutlich hervor. Der Unterschied 

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zwischen diesen letzten und den Kontrolltieren Ist dagegen so gering, 
dass hier von einer Schutzwirkung des Blutimpfstoffes nicht die Rede 
sein kann. 

Dieser Misserfolg mit einem aus mehreren schwerkranken Fleck¬ 
fieberpatienten gewonnenen und frisch verwendeten Impfstoff stimmt 
mit dem Teil der Erfahrungen über dieses Schutzimpfungsverfahreri 
überein, die nicht so günstig sind wie die von Harn di und Hop¬ 
fe irch. Angesichts der Tierknappheit habe ich von einer Wieder¬ 
holung dieses Versuches abgesehen. 

Mit den wohl als zweifelhaft aufzufassenden Versuchsergebnissen 
von M o e 11 e r s und Wolf (D.m.W. 1918 Nr. 25) sind die hier 
mitgeteilten Resultate nicht gut vergleichbar, da die Versuchsbe¬ 
dingungen (intraperitoneale statt subkutane Impfung, Zahl der Ver¬ 
suchstiere, Menge des Impfstoffes u. a.) wesentlich verschieden sind. 

Versuch 4. 

A. Dreimalige Impfung innerhalb 8 Tagen (am 1., 4. ijnd 8. Tag) 
mit 2 Wochen altem Impfstoff aus Läusen. Die 1. und 2. Impfung 
mit 20 und die 3. mit 40 Läusen. Prüfung dör Immunität 1 Monat 
später durch Einspritzung von 0,08 einer Emulsion von beiden Nieren, 
Nebennieren und der Milz des M. 1030 (Lausvirus 2. Passage) in 
50 ccm Kochsalzlösung. 

1. M. 992 : 0. 

2. M. 993: 4- 11 Inkubationstage. 5 Fiebertage 

3. M. 994 : 0. 

4. M. 995: 0. 

5. M. 996 : 0. 

B. Alles wie A, aber mit einem 3 Monat alten Läuseimpfstoff. 

1. M. 1003 : 0. 

2. M. 1004: 0. 

3. M. 1005: 0. 

C. Dreimalige Impfung wie bei A und B, aber mit einem Impfstoff 
aus Meerschweinchenorganen (Milz, beide Nieren und Nebennieren 
in 25 ccm Kochsalzlösung). 1. und 2. Impfung mit 2,5 ccm und die 

3. mit 3,0 ccm. Immunprüfung wie bei A und B. 

1. M. 998: 4* 10 Inkubationstage. 4 Fiebertage 

2. M. 999: 0. 

3. M. 1000 : 0. 

4. M. 1001: 4- 8 Inkubationstage. 8 Fiebertage. 

5. M. 1002: 4~ 6 Inkubationstage. 11 Fiebertage. 

D. Kontrollen. Erhielten nur Virus wie die übrigen. 

1. M. 1048: 4 - 7 Inkubationstage. 10 Fiebertage. 

2. M. 1049: 4 - 6 Inkubationstage. 10 Fiebertage. 

3. M. 1050 : 4- 7 Inkubationstage. 10 Fiebertage. 

4. M. 1051: 4- 7 Inkubationstage. 8 Fiebertage. 

Die schwere Erkrankung aller Konfrontiere spricht dafür, dass 
hier die zur Immunitätsprüfung gebrauchte Virusmenge vielleicht zu 
gross war. Entsprechend der Strenge der Versuchsbedingungen sind 
auch die Resultate zu bewerten. 

Während auch hier die immunisierende Wirkung des Läuseimpf- 
stoffes deutlich zutage tritt, entsprach die Wirksamkeit des Organ¬ 
impfstoffes nicht den darauf gesetzten Erwartungen, doch aber der 
Voraussicht, dass es in seiner Wirkung zwischen Blutimpfstoff und 
Läuseimpfstoff stehen sollte. Auch die vom Versuche 3 ausgeschaltete 
Serie C hinterliess den gleichen Eindruck. 

Aus der Serie B dieses Versuches geht die erwartete güte 
Haltbarkeit (mindestens 3 Monate) $les Läuseimofstoffes hervor. 

Am deutlichsten ist das Gesamtergebnis der Versuche' aus folgen¬ 
der Tabelle zu ersehen: 



Aus den bereits erwähnten Gründen (andere gleichlautende Er¬ 
fahrungen) dürfen trotz der geringen Zahl der Versuchstiere die 
Versuche mit Organimpfstoff und mit einmaliger Einspritzung des 
Läuseimpfstoff es den anderen an die Seite gestellt werden. 

Zufallserscheinungen bei der deutlichen Schutzimpfung des mehr¬ 
malig gespritzten Läuseimpfstoffes werden durch die Tatsache aus¬ 
geschlossen, dass es sich nicht um einen einzigen Versuch, sondern 
um übereinstimmende Ergebnisse von 3 verschiedenen, mit ver¬ 
schiedenem Virus angestellte Versuche handelt. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1456 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 52. 


Schlusswort: Die Schutzimpfung gegen das Fleckfieber mit 
einem aus Fleckfieberläusen gewonnenen Impfstoff ist nach den un¬ 
zweideutigen Ergebnissen der hier mitgeteilten Tierversuche als 
aussichtsreich zu betrachten. Dieses Verfahren hat sich als den 
anderen weitaus überlegen erwiesen. Da bei verschiedenen in Zivil¬ 
krankenhäusern gemachten Versuchen der Impfstoff, selbst in be¬ 
deutend grösserer Menge als die für die Schutzimpfung gedachte, 
sich als unschädlich erwies, kann man nun ohne Bedenken an die 
praktische Erprobung desselben herangehen Für Massenimpfungen 
eignet sich dieses Verfahren nicht, da der Gewinnung des Impfstoffes 
in grossen Mengen erhebliche Schwierigkeiten im Wege stehen. Es 
kommt hauptsächlich die Impfung von besonders gefährdeten Per¬ 
sonen in Betracht. 


Aus der I. internen Abteilung des Vereins-Reservespitales I 
vom Roten Kreuze, Wien. 

(Chefarzt: Stabsarzt Prof. Dr. Artur Klein.) 

lieber Typhusbazillenbefunde Im Sputum. 

Von Assistenzarzt Dr. Erwin Pulay. 


Die Ausscheidung von Typhusbazillen durch den Auswurf gehört 
zu den grössten Seltenheiten, so dass z. B. über diese Infektionsmög¬ 
lichkeit in dem sonst so glänzenden Buche von E. Marx nichts be¬ 
richtet wird. Romberg erwähnt vereinzetlte Fäille, in denen 
Typhusbazillen durch den Auswurf ausgehustet wurden. Daher ist es 
von ganz besonderem Interesse, dass wir über Beobachtungen be¬ 
richten dürfen, in denen es uns unter 83 Fällen in 6 Fällen gelungen 
ist, Typhusbazillen aus dem Sputum der Patienten in Reinkultur zu 
züchten. 

Im folgenden seien nun diese sechs Fälle mitgeteilt, in welchen 
der Typhusbazülus in Reinkultur gezüchtet werden konnte und durch 
die üblichen Methoden — durch die gebräuchlichen biologischen und 
serologischen Reaktionen — einwandfrei identifiziert wurde. Die 
Impfung erfolgte stets gleichzeitig auf Endo- und Drigalskiplatten, die 
Agglutinationsprobe wurde stets auch gegenüber Paratyphus A und B 
angestellt. Die bakteriologischen Untersuchungen wurden im 
k. k. serotherapeutischen Institut des Herrn Gen.-St.-A. Hofrates 
Prof. Dr. R. P a 11 a u f ausgeführt. 


I. N. J„ I.-R. 83, 27 Jahre, am 2. April in den Karpathen ver¬ 
wundet. Durchschuss durch die Weichteile der linken Seitenwand 
des Thorax durch Schrapnell. Einschussöffnung eine fünfkronenstück¬ 
grosse. granulierende Fläche, aus der sich reichlich Eiter entleert; 
die Wunde liegt in der Fossa supraspinata. Ausschussöffnung kleiner, 
auch eine granulierende, eitersezernierende Wunde in der linken 
hinteren Axillarlinie, in der Höhe des Angulus scapuiae. 

Seit 11. IV. Fieber 39,4, kein Kopfschmerz, keine Schwäche, 
Appetit gut, keine Diarrhöe. Allgemeiner Ernährungszustand mittel- 
mässig, Zunge belegt, blasse Hautfärbung. Augenlider leicht öde- 
matös. Lunge: Leichte Bronchitis bei bilateraler Apizitis. Herz: 

2. Pulmonalton akzentuiert. Abdomen nicht aufgetrieben, keine Ver- 
grösserung der Milz nachweisbar. Keine Roseolen. 


Datum 

Temperatur 

Blutbefund 

Stuhlbefnnd 

Urinbefund 

Sputumbefund 

12. IV. 

39.4-40.0 



_ 


13. IV. 

39.6-40.0 

negativ , 

positiv 

negativ 

negativ 

14. IV. 

37.5 -38 0 

— 

— 

— 

— 

15. IV. 

37.0-38.2 

— 

— 

— 

_ 

16. IV. 

36.0- 37.8 

— 

negativ 

negativ 

positiv 

17. IV. 

36 7- 37.2 

— 

— 

— 

posi Iv 


Am 22. IV. steigt die Temperatur bis 39° mit gleichzeitiger Ver- 
grösserung des Milztumors, der bis 28. IV. deutlich palpabel bleibt. 

Ab 18. IV. 'blieb die täglich vorgenommene sechsmalige 
Sputumuntersuchung negativ. 

Harn viermal negativ. 

Stühl dreimal negativ. 

11. Gy. S., I.-R. 37, 24 Jahre. Erkrankte ain 31. III. angeblich 
nach erlittenem Kolbenschlag in die rechten Bauchteile an Schmerzen 
im Bauche und des Kopfes. 

12. IV. Temperatur 39—40, Puls klein, beschleunigt, Milz ver- 
grössert und palpabel. Ieozoekalgurren. Flüssiger Stuhl. Bron¬ 
chitis diffusa. 

14. IV. Temp. 40,2—39—40, Puls 108, zwei ilüssige Stühle. Ge¬ 
sicht gerötet, Abklingen der Kopfschmerzen, Zunahme der bron- 
ehitischen Erscheinungen, nachts schleimiger Auswurf. Ueber den 
Lungen diffuses, sehr reichliches, feuchtes und trockenes Rasseln, 
Herz ohne besonderen Befund. Pat. sehr hinfällig. Zunge belegt. 
Sensorium frei. Abdomen aufgetrieben, lleozoekalgegend quatschend, 
nicht druckschmerzhaft. Milz vergrössert. Ausdem Blute wird 
Typhus gezüchtet. 

15. IV. Temp. 38,9, Puls 96, zwei flüssige Stühle. Sensorium 
getrübt. Zunge trocken. Bauch sehr aufgetrieben. Milzgegend tym- 
panitisch. Temp. 39,6. 

16. IV. Temp. 39,2—39,5, Puls 90, zwei flüssige Stühle. Pat. 
liegt schwach und apathisch da. Sensorium zeitweise getrübt, Milz¬ 
dämpfung bis zwei Querfinger unter dem Rippenbogen. Ueber den 

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Entfiebert, allmäh¬ 
liche Besserung. 


Lungen diffuses, feinblasiges Rasseln. Stuhlbefund auf Ty¬ 
phus negativ. 

17. IV. Temp. 39—39,4 Puls 90. Sensorium zeitweise getrübt. 
Pat. lässt unter sich. Zunge rein. Abdomen aufgetrieben. Ileo- 
zoekal gurren 

18. IV. ’ Temp. 39,1—39,4, Puls 102, drei flüssige Stühle, Sen¬ 
sorium getrübt. Knirschen mit den Zähnen; über den Lungen diffuses, 
feinblasiges Rasseln. Sehr hinfällig. Sputum negativ. 

19. IV. Temp. 39,6—40, Puls 96. Sensorium getrübt, Zunge be¬ 
legt, drei flüssige Stühle. Ueber den Lungen diftuses, feinblasiges 
Rasseln. Urinbefund auf Typhus negativ. 

20. IV. Temp. 39,2—39,9, Puls 96, drei flüssige Stühle. Sen¬ 
sorium zeitweise frei. Rasseln über den Lungen. 

21. IV. Temp. 39,5—40,3, Puls 90, zwei flüssige Stühle. Sen¬ 
sorium getrübt, Zunge belegt. Ueber der Lunge feinblasiges Rasseln. 
Sputumauf Typhus negativ. 

22. IV. Temp. 39,7—40, Puls 90, zwei flüssige Stühle. Sensorium 
frei. Zunge belegt. Milzdämpfung: über der Lunge Rasseln ver¬ 
mindert. 

23. IV. Temp. 39,6. Puls 90, zwei Stühle. Sensorium frei. 
Zunge belegt. Ueber der Lunge feinblasiges Rasseln, namentlich 
über den unteren Partien. Milzdämpfung bis zum Rippenbogen zü- 
rückgegangen. Stuhlbefund auf Typhus negativ. Urin¬ 
befund auf Typhus negativ, Sputumbefund auf Ty¬ 
phus n e g a t iv. 

24. IV. Temp. 38,6—39,6. Zustand gebessert. Sputum auf 
Typhus negativ. 

26. IV. Temp. 39,4—40,2, Puls 90, Sensorium frei. Zunahme 
des Hustens mit Auswurf. Zunge belegt. Stuhl - und Urinbe- 
fundauf Typhusnegativ. 

28. IV. Temp. um 38, Puls 84. Allgemeinbefinden gebessert. 
Sputum Typhus in Reinkultur. 

1. V. Stuhl, Urin und Sputum auf Typhus negativ. 

3. V. Sputum auf. Typhus negativ. 

4. V. Sputum auf Typhus negativ. 

5. V. Sputum auf Typhus negativ. 

8. V. Sputum und Urin auf Typhus negativ. | 

22. V. Stuhl und Urin auf Typhus negativ. 

III. Z. K.. I.-L. 1, 23 Jahre, 30. III. Seit 13 Tagen blutige 

Durchfälle und geringes Schwächegefühl. Meteorismus. Systolisches 
Geräusch über der Herzspitze. Ueber den Lungenspitzen ver¬ 
schärftes Atmen. Kleinblasige Rasselgeräusche über den abhängen- 
den Partien. , 

3. IV. Fieberbewegung 38,2—39. Stuhlbefund auf Ty¬ 
phus und Dysenterie negativ. 

4. IV. Temp. 37,9—39,5. Kopfschmerzen. Die Temperaturen 
bleiben bis zum 10. IV. auf 39, ohne dass ein besonderer Befund bis 
auf vereinzeltes Giemen und Rasseln über der Lunge zu erheben war. 
Albumen negativ. Chloride normal. Diazoreaktion positiv. 

Am 10. IV. wurde Typhus ausdem Blut gezüchtet. 
Magengegend stark aufgetrieben. Milzgegend druckempfindlich. Milz¬ 
dämpfung ziemlich hoch nach oben ziehend, nach abwärts bis zum 
Rippenbogen reichend. Temp. bis 39,2. 

12. IV. Temp. 39,2, 38,4, Puls 80. Abdomen besonders in der 
Magengegend stark auf getrieben, jedoch nirgends druckempfindlich. 

13. IV. Temp. 39,1—39,9. Puls 80. Keine Kopfschmerzen. Zunge 
rein. Abdomen aufgetrieben. Pat. sehr schwerhörig bei freiem Sen- 

. sorium. Urin- und Stuhl befund auf Typhus negativ. 

14. IV. bis 17. IV. Status idem (39,5 Temp.). Stuhl- und 
Urinbefund auf Typhus negativ. 

18. IV. Pat. sehr apathisch. Temperaturabfall bis auf 37. Zahl¬ 
reiche Miliaria am Abdomen, Milzdämpfung bis zum Rippenbogen 
reichend. 

19. und 20. IV. Status idem. Milzdämpfung nach unten zu¬ 
genommen. Temp. auf 37,9 Maxima zurückgegangen. 

22. IV. Sehstörungen (Dr. Ruttin): Chorioiditis e lues heredi- 
taria. 

23. IV. Temp. 36,6, Puls 64. Wohlbefinden. Sputumbefund 
auf Typhus positiv. Stuhl- und Urinbefund aut 
Typhus negativ. 

26. IV. Status unverändert. Sputum auf Typhus¬ 
bazillenpositiv. 

28. IV., 30. IV.. 3. V., 4. V., 5. V., 12. V. Sputum a.ui 1 y ph u s 
negativ. 

30. IV. und 5. V. Harn und Stuhl auf Tvphus negativ. 

IV. Pf. J., Korp. d. Pion.-Bat. 4, 30 Jahre. Pat. kam am 20. III. 
w egen Durchfall auf obige Abteilung. 7—8 flüssige, unblutige Stühle 
täglich. Kopfschmerzen ohne Brechreiz oder Erbrechen. Häufig 
Nasenbluten. Heftige Schmerzen in den Beinen. 

10. IV. Schüttelfrost und Fieber (40,0). Andauerndes Fieber 
bis 13.1V. Heftige Kopfschmerzen. Husten. Zunge belegt. Bron¬ 
chitis diffusa. Herz: Klappende Gefässtöne. Dämpfung nach links 
bis 1 Querfinger auserhalb der Mamilla verbreitert. Ileozökalgegend 
lind Milzgegend schmerzhaft. Milzdämpfung bis an den Rippenbogen 
reichend. Typhus ausdem Blut gezüchtet. 

Allmähliche Entfieberung. 

19. IV. Urin - und Stuhlbefund aui Tyclius nega¬ 
tiv, Sputum auf Typhus negativ. 

23. IV. Stuhl- und U r i n b e f u n d auf Typhus nega¬ 
tiv, Sputum auf Typhus negativ. 

' Original frem 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



24. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1457 


28. 1V. S p u t u m b e i u ml a u t Typhus positiv. 

I. V. Sputum- und Urinbefund auf Typbus negativ. 

3., 5., 7., 9. 10. V. Sputum auf Typhus negativ 

22. V. Sputum, Stuhl, Urin auf Typhus negativ. 

V. S. N., Ldw. IR. 29, 21 Jahre. 10. I.: War durch das IR. 29 
Budweis zugeteilt, erkrankte an Atemnot und Brustschmerzen vor 
3 Wochen und wurde zur Superarbitrierung beantragt. 

II. I. Hohes Fieber (39,7), Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Sei¬ 
tenstechen, kein Erbrechen, kein Nasenbluten. Objektiver Befund: 
Diffuse Bronchitis. 

12. I. Kältegefühl, starke Schweisse. Temp. 38—38,6, reichlich 
schleimiger Auswurf. Sputum etwas blutig. 

13. I. Diffuse feinblasige Rasselgeräusche über den Lungen- 
an teilen. Temp. 39,7. Starkes Schwitzen. 

14. I. und 15. I. Zustand subjektiv gebessert. 

16. I. In der Nacht starke neuralgische Schmerzen der linken 
Supraorbitalgegend. Sputum ziemlich reichlich. Ueber der Lunge 
überall Rasseln. Temp. 38,2. 

17. I. Husten zugenommen. Reichliches, dünnflüssiges Sputum. 
Allgemeine Mattigkeit. Starke neuralgische Schmerzen über dem 
linken Auge, linke Pupille stark erweitert. Blufcbefund auf Typhus 
negativ. 

18. I. und 19. I. Status idem. Heftige Augenschmerzen. Oph- 
thalmologischer Befund ohne Belang. Linke Pupille erweitert, aber 
prompt reagierend. Sputum reichlich. Sputumbefund: 
TypliusbaziMen in Reinkultur. 

20. I. Temperatur um 37. Wohlbefinden. Sputum grünschlei¬ 
mig, in der Menge etwas abnehmend. Keine Kopfschmerzen. Diffuse 
Bronchitis. 

23. I. Reichlich schleunig-flüssiges grünes Sputum. Allgemein¬ 
befinden gut. Ueber den Lungen feinblasiges Rasseln. 

24. I. bis 28. I. Status idem. Täglich: Sputumbefund 
auf Typhus positiv (Sputum gelbgrün, schleimig-flüssig). 

30. I. Urinbefund auf Typhus positiv. 

10. II. Seit 3 Tagen Herzklopfen. Magenbeschwerden, all¬ 
gemeine Unruhe. Herzdämpfung nach links verbreitert, systolisches 
Geräusch über der Herzspitze. 2. Gefässtöne laut, klappend. 

12.11. Stuhlbefund auf Typhus negativ. Sputum 
negativ. 

13. II. Herzklopfen. Starke Magenschmerzen. Grosse Mattig¬ 
keit Abdomen leicht aufgetrieben, vereinzelte Roseolen, Milzdämp¬ 
fung bis zum Rippenbogen reichend. Sputum auf Typhus 
negativ. 

15. II. Nachts heftiger Anfall krampfartiger Schmerzen der Magen¬ 
gegend mit Herzklopfen. Abdomen aufgetrieben, nur in der Magen¬ 
gegend schmerzhaft. Effloreszenzen verschwunden. 

16. und 17. II. Urinbefund auf Typhus negativ. 
Sputum auf Typhus negativ. Status idem. Herzklopfen, 
Angina follicularis. 

18. II. Halsschmerzen. Temp. auf 38,2 gestiegen. Angina fol¬ 
licularis. 

20. II. Stuhlbefund auf Typhus negativ. 

25. II. Stuhlbefund auf Typhus negativ. 

4. III. Sputumbefund auf Typhus negativ. 

Dieser Fall ist besonders lehrreich, weil er durch lange Zeit 
hindurch bloss als eine schwere, mit hohem Fieber einhergehende 
Bronchitis verlief und erst der. positve Bazillennachweis aus dem 
Sputum die Feststellung der- Typhusdiagnose ermöglichte. 

VI. Korp. Sta. S., 32 Jahre. Pat. kam am 2. IV. wegen Brust¬ 
schmerzen und Gliederschmerzen aus der Schwarmlinie. Kein Fieber. 
Heftige unblutige Durchfälle. Brechreiz ohne Erbrechen, Parästhe- 
sien der unteren Extremität. Kein Nasenbluten. 

Lunge: Lungengrenzen hinten unten respiratorisch nicht ver¬ 
schieblich. Ueber den Spitzen verkürzter Schall, sonst normaler 
Schall. Diffuses Pfeifen und Giemen. 

Cor in normalen Grenzen. Herztöne auffallend leise. Puls un¬ 
regelmässig. 

13. IV. Heftige Bauchschmerzen. Temp. auf 39 schnellend. 
Lungenbefund unverändert. Milz vergrössert. 

14. IV. Temp. auf 40,5. Herztöne leise, Bradykardie. Puls 
leicht unterdrückbar. Milz vergrössert. Lungenbefund unverändert. 

15. IV. Brechreiz. Am Rücken leichte, auf Druck nicht ver¬ 
schwindende Hämorrhagien. 

16. IV. Kopfschmerzen, Halsschmerzen und Brustschmerzen. 
Temp. 40,3, Puls 120, unregelmäsig und niedrig. Starke Rötung und 
Schwellung der Uvula und der Tonsillen. Bakteriologische 
Untersuchung des Blutes auf Typhus negativ. 

17. IV. Temp. 39,2, Puls 78, niedrig. Akzentuation des 2. Pul- 
monaltones. Lungenbefund unverändert. Zunahme der anginösen 
Erscheinung. Diazoreaktion und Urochromogen- 
reaktion positiv. 

18. IV. Temp. 37,8, Puls 96. Bauchschmerzen. Abdomen auf- 
getrieben, nicht schmerzhaft auf Palpation. Diffuse Bronchitis. 

19. IV. Fieber 38,5. Zunahme der Halsschmerzen. Schwellung 
der Tonsillen mit Oedem und diphtheritischem Belag. Injektion von 
2000 AE. Di.-Heilserum. Abimpfung auf Löfflerserum 
mit positivem Befund. 

20. IV. Temp. 39, Puls 120, voller. Pulmonalbefund unverändert. 
Diffuse Bronchitis bei Unverschieblichkeit der unteren Lungenränder. 
Belag abgestossen. 

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21. IV. Abklingen der Halserscheinungen. Starkes Durstgefühl. 
Pulsus celer. Temp. 38,2. 

22. IV. Temp. auf 39 steigend. Puls 100. Pat. hinfällig. Stimme 
heiser. Ueber den Lungen diffuses trockenes Rasseln, Pfeifen und 
Giemen. Herz: Normaler Befund. Abdomen nicht aufgetrieben, nicht 
druckschmerzhaft. Milzdämpfung normal. Auf der rechten Ton¬ 
sille graugrüner Belag. Blutuntersuchung auf Typhus 
positiv. 

23. IV. Pat. hinfällig, Zunge belegt. Belag abgestossen. Temp. 
bis 38,4, Puls 116. 

24. IV. bis 26. IV. Status idem. Stuhlbefund und Harn- 
befund für Typhus negativ. 

27. IV. Temp. 36.5 bis 38,7, Puls 98. Pat. sehr hinfällig, Heiser¬ 
keit zugenommen. Milzdämpfung. 

28. IV. Temp. 37,2 bis 37,8, Puls 90. Ueber den Lungen diffuses, 
sehr reichliches feuchtes und trockenes Pfeifen, Rasseln und Giemen/ 
Sputum auf Typhus positiv. 

29. IV. Abklingen der Erscheinungen. Besserung. Temp. 36,7, 
Puls 90. 

30. IV. Status idem. Stuhl und Urin auf Typhus 
negativ. 

Am 3., 4., 5., 8., 12., 14., 18., 22. V. ergaben die bakteriologischen 
Untersuchungen des Sputums, Urins und Stuhls für Typhusnega¬ 
tiven Befund. Harnbefund.: spez. Gew. 1017, vereinzelte Leuko¬ 
zyten, Spuren Blutfarbstoff, Albumen. und Zylinder fehlend. 

Die hier in kurzen Umrissen skizzierten Krankengeschichten 
lassen den Wechsel im bakteriologischen Untersuchungsergebnis 
deutlich erkennen. Und rückblickend auf unsere aus den vielen 
Typhusfällen resultierende Erfahrung gelangen wir zu der Forderung, 
dass es in jedem typhusverdächtigen Falle notwendig wäre, Stuhl, 
Harn und Sputum einer täglichen bakteriologischen Untersuchung 
auf den Typhuserreger zu nterziehen, da vereinzelte negative Befunde 
gar nichts gegen das Bestehen eines Typhus beweisen. Aeussere 
Umstände, der Belag von 280 schwerkranken Patienten ohne auch 
nur eine einzige Hilfskraft, Hessen auch uns von dieser Forderung 
abkommen. Jedenfalls aber lehren uns diese Beobachtungen, dass 
wir den Typhuserreger öfters ^ls dies bisnun angenommen wurde, 
im Sputum nach weisen können, und zwar scheint uns, als ob gerade 
die mit schwereren Graden einer* Bronchitis einhergehenden Fälle 
das geeignete Material dafür abgeben dürften. Und wir glauben nun 
zu der Annahme berechtigt zu sein, dass wir bei systematischer 
Untersuchung des Sputums in einer weit grösseren Zähl von Fällen 
einen positiven Bazillenbefund hätten erbringen können. Denn es 
zeigt sich ja, dass wir oft viele Tage hindurch das Sputum mit einem 
negativen Resultate untersuchen mussten, bis wir dann endlich ein¬ 
mal den Erreger züchten konnten. 

Dass diesen Befunden für den ganzen Infektionsmodus des 
Typhus abdominalis, auch in prophylaktischer Hinsicht weittragende 
Bedeutung zukommt. Ist wohl zu selbstverständlich, um erst beson¬ 
ders betont werden zu müssen. Auf Grund unserer klinischen Be¬ 
obachtungen glauben wir jedoch nicht berechtigt zu sein, diese Fälle 
gegenüber den verschiedenen anderen Formen des Typhus als 
eine klinisch charakterisierte Gruppe abzugrenzen. 


Aus der bakteriolog. Abteilung der hygienisch-chemischen 
Untersuchungsstelle, XIII. A.-K., Stuttgart. 

Studien zur Aetiologie der Influenza. 

(Vorläufige Mitteilung.) 

Von Dr. A. B i n d e r, Prosektor am städtischen Krankenhause 
in Barmen, z. Zt. Stabsarzt und Vorstand des Laboratoriums, 
und Dr. H. P r el 1, Privatdozent für Zoologie an der Universität 
Tübingen, z. Zt. Feldunterarzt am Laboratorium. 

III. 

Der Grippeerreger Im Blute von Grippekranken. 

Von Heinrich Prell. 

Der mikroskopische Nachweis des Grippeerregers in den Saft¬ 
lücken zwischen den Zellen des Lungengewebes Hess es naheliegend 
erscheinen, dass er nicht nur innerhalb der Lunge, sondern auch 
anderwärts im lymphatischen Systeme anzutreffen sei. Die histo¬ 
logische Verfolgung dieser Frage wurde bereits von Dr. Binder 
erfolgreich in Angriff genommen. Lagen solche Beziehungen zu den 
Lymphbahneivund der Lymphe aber vor, so war weiter anzunehmen, 
dass er auch in das Blut der Grippekranken gelangen müsse. Der 
direkte Nachweis darin ist naturgemäss bei der Kleinheit des Erregers 
und der Natur des Mediums so gut wie ausgeschlossen. Eine über¬ 
aus wichtige Hilfe bot hier die Beobachtung v. Angerers. dass 
es entsprechend dem wohl von Dujardin-Beaumetz für den 
Erreger der Lungenseuche des Rindviehs zuerst ausgearbeiteten 
Kulturverfahren möglich ist, bei Grippefällen Organismen von ausser¬ 
ordentlich geringer Grösse im Traubenzuckerbouillon mit Serumzusatz 
zu erzüchten. 

Um der Frage näher zu treten, ob die Aenigmoplasmen während 
der akuten Influenza im strömenden Blute des Erkrankten auftreten, 
wurde dieses Kulturverfahren angewandt. In der üblichen Weise 

Original from 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 52. 


den Kranken aus der Armvene steril entnommenes Blut wurde zu 
dem Zwecke etwa im Verhältnis 1:5, später auch im Verhältnis 1:1, 
mit Traubenzuckerbouillon versetzt. Die Kulturröhrchen wurden 
dann 2—3 Tage bei 37° bebrütet; nach dieser Zeit zeigte sich 
wiederholt eine deutliche Trübung des Kulturmediums. Bei der 
Untersuchung im hängenden 'Tropfen waren dann massenhaft die 
überaus feinen, in wilder Molekularbewegung befindlichen Aenigmo- 
plasmen zu sehen. Ein Teil der Röhrchen blieb steril. 

Mit dem positiven Ausfall von Zuchtversuchen ist zunächst der 
Beweis für das Vorkommen von Aenigmoplasmen im 
strömenden Blute von Grippekranken erbracht. 

Diesem Resultate gegenüber könnte man einwenden, dass es bloss 
eine Bestätigung früherer Befunde bedeute, v. Angerer selbst 
hatte bereits im Blute von Ratten, die mit Grippesputum geimpft 
waren, seine „kleinsten Körperchen“ kulturell nachweisen können, in¬ 
dem er mit dem bakterienfrei filtrierten Serum Traubenzuckerbouillon¬ 
röhrchen beschickte. Dem ist entgegenzuhalten, dass der ungewöhn¬ 
liche Weg der Infektion sehr, wohl auch für ein ungewöhnliches Auf¬ 
treten der Chlamydozoen im Blute verantwortlich gemacht werden 
konnte, ebenso wie eine allgemeine Septikämie sich durch Impfung 
eines Versuchstieres mit einem sonst nur lokalisiert auftretenden 
Bakterium erzielen lässt. Auch der Nachweis des Grippeerregers im 
bakterienfrei filtrierten Herzblute an Grippe Verstorbener, den 
v. Angerer ebenfalls führte, kann nicht ohne weiteres als gleich¬ 
bedeutend herangezogen werden; hierbei brauchte es sich keineswegs 
um einen normalen Befund zu handeln, sondern es konnten die Folgen 
eines agonalen oder postmortalen Uebertretens der Erreger aus 
ihrem eigentlichen Wohnsitze in die Blutbahn sein. Erst nachdem 
der Sitz der Parasiten in den interzellulären Saftspalten in der Lunge 
mikroskopisch festgestellt war, lag die unmittelbare Vermutung vor, 
dass er auch normalerweise im Blute des Grippekranken Vorkommen 
möge; und diese Vermutung konnte nunmehr bestätigt werden 1 ). 

Der Gedankengang, welchem dabei gefolgt wurde, legt auch die 
Vermutung nahe, dass die von v. Angerer beobachteten und die 
von mir aus dem Blute erzüchteten Organismen nicht nur unter sich 
gleich sind, sondern auch artlich mit demjenigen zusammenfallen, 
welcher voif uns aus dem mikroskopischen Schnittbilde der Lunge 
beschrieben wurde. Die im Blute kursierenden Individuen würden 
dann etwa die „Strongyloplasmenform“ des Organismus darstellen. 

Mit dem blossen Nachweise des Grippeerregers im Blute des 
Kranken ist die Bedeutung der angestellten Versuche noch nicht er¬ 
schöpft. Sie geben uns zugleich einen Hinweis auf ein wichtiges 
Hilfsmittel zur Diagnose der Influenza. 

Waren wir bisher schon gewöhnt, beispielsweise das Vorkommen 
von Bakterien der Typhusgruppe oder von Kokken im Blute sofort 
durch kulturelle Methoden zu prüfen, so sind wir jetzt versucht, das 
gleiche auch mit dem Erreger der Grippe zu tun. Technisch ist da¬ 
bei nur nötig, dem Kranken etwas Blut steril abzunehmen, das¬ 
selbe mit Traubenzuckerbouillon zu versetzen und es dann nach 
etwa 2—3 tägiger Bebrütung bei 37° zu untersuchen. Eine leichte, 
am besten beim Vergleiche mit einem unbeimpften Röhrchen hervor¬ 
tretende Trübung weist dann auf das Vorhandensein von Grippe- 
chlamydozoen hin; die Betrachtung im hängenden Tropfen erbringt 
gegebenenfalls die direkte Bestätigung. Ist die Trübung stärker und 
tritt sie rascher auf, so ist das ein Beweis dafür, dass sich auch 
Bakterien in der Kulturflüssigkeit entwickelt haben, mögen sie nun 
im Blute enthalten gewesen sein oder als Verunreinigung sekundär 
hineingelangt sein. In diesem Falle ist bei der Untersuchung des 
hängenden Tropfens wohl zu unterscheiden zwischen den Kokken 
und den erheblich kleineren Chlamydozoen. Ausser der Lebendunter¬ 
suchung kommt noch die Untersuchung im gefärbten Präparate in Be¬ 
tracht. Die Gram-Färbung gab hierbei brauchbare Resultate, da die 
Gram-positiven Streptokokken leicht von den nach langer Gegen¬ 
färbung mit verdünntem Karbolfuchsin rot erscheinenden Chlamydo¬ 
zoen zu unterscheiden sind. Bessere Resultate gab die Heiden- 
h a i n sehe Eisenhämatoxylinmethode, bei der die Chlamydozoen als 
dunkle, weit an Grösse hinter den Kokken zurückbleibende Punkte 
erschienen, und die G i e m s a - Färbung, bei welcher sie einen 
violetten Farbton aufwiesen. 

In welchem Masse eine derartige Blutuntersuchung bei Grippe 
praktisch von Bedeutung ist, liegt ohne weiteres auf der Hand. Es 
wurde ihr daher von Anfang an das grösste Interesse zugewandt. 

Von den zuerst angestellten Versuchen ergab selbst bei klinisch 
sicherer Influenza nur ein geringer Teil ein positives Zuchtresultat. 
In der Annahme, dass die wenig ermutigenden Ergebnisse durch 
technische Massnahmen bedingt sein können, wurden nun weitere 
Versuche unter anderen Bedingungen angestellt. Die Vermehrung 
der zur Kultur benutzten Blutmenge wurde schon eingangs erwähnt. 
Ausserdem wurde der Zeitpunkt des Bouillonzusatzes variiert. Eine 
Versuchsreihe ergab dabei ein besonders günstiges Resultat, indem bei 
sämtlichen 5 von verschiedenen Patienten stammenden Proben die 


*) Erst nach Niederschrift der vorliegenden Mitteilung — ich 
konnte am 19. XI. zum ersten Male aus dem Blute eines Grippe¬ 
kranken erzüchtete Chlamydozoen im kleinen Kreise demonstrieren 
— kommt mir die kurze, nachträgliche Notiz von v. Angerer 
zu Gesicht, nach welcher es auch ihm gelungen ist, seine Mikro¬ 
organismen aus dem strömenden Blute von Grippekranken zu ziehen. 

Digitized by Gck gle 


Chlamydozoen sich erzüchten Hessen. Die Methodik war . hierbei so 
gewesen, dass das entnommene Blut, etwa 5 ccm, zunächst nach dem 
Gerinnen und nach Ablösung des Blutkuchens 2 Tage lang bei 37® 
bebrütet worden war. Erst dann war die gleiche Menge Trauben¬ 
zuckerbouillon (Fleischextraktbouillon mit 1 Proz. Dextrosezusatz) 
hinzugefügt worden, und bereits nach 12 ständiger weiterer Bebrütung 
zeigte die über dem Blutkuchen stehende Flüssigkeit eine deutliche, 
teilweise sogar ziemlich starke Trübung, bedingt durch enorme 
Mengen von Chlamydozoen. Diese Versuchsanordnung scheint da¬ 
nach praktischer zu sein als das Auffangen des Blutes in Trauben¬ 
zuckerbouillon oder als die Hinzufügung der Traubenzuekerbouillon 
unmittelbar nach dem Gerinnen des Blutes, zumal da sich die plötz¬ 
lich auftretende Trübung besser erkennen lässt. 

Bestimmend für den ungleichen Ausfall der Blutkulturen dürfte 
aber ausser der kulturellen Technik auch die Blutentnahme als solche 
sein. Jedenfalls stammten bei der genannten Versuchsreihe mit aus¬ 
nahmslos positivem Blutbefunde sämtliche Blutproben von ganz 
frischen Grippefällen, was bei den anderen Versuchen nicht in dem 
Umfang der Fall war. Wichtig für den Ausbau der Methode wäre 
demnach vor allem noch eine genaue Ermittelung des Zeitpunktes, 
wann die Chlamydozoen im Blute des Grippekranken auftreten, und 
der Periode der Krankheit, während deren man sie darin nachweisen 
kann. Ich hoffe darüber noch bei späterer Gelegenheit berichten zu 
können. 

Sicherlich ist die Möglichkeit, in klinisch zweifelhaften Fällen 
(wie Temperatursteigerungen bei chirurgischen Fällen, Kahler) auf 
dem Wege der kulturellen Blutuntersuchung die Grippe nachweisen 
zu können, wichtig genug, um eine Ausgestaltung dieser Methode sehr 
wünschenswert erscheinen zu lassen. Die bisherigen Erfahrungen 
berechtigen zu den besten Erwartungen in dieser Richtung. 

Auf eine technische Frage erübrigt es sich noch, kurz zurückzu¬ 
kommen. Nicht unabsichtlich habe ich ‘davon abgesehen, die Blut¬ 
kulturversuche mit bakterienfrei.filtriertem Blutserum anzustellen: be¬ 
stimmend dafür war zweierlei. Einerseits ist es sicher, dass die 
vorherige Filtration eine Erschwerung der Methodik bedeutet, welche 
ihre Anwendbarkeit für die Praxis stark herabsetzen würde. Ander¬ 
seits ist stets damit zu rechnen, dass auf dem Wege durch das 
Filter ein grosser Teil der Chlamydozoen festgehalten wird, dass 
ferner viele im Blutkuchen Sitzenbleiben, kurz, dass nur ein ge¬ 
ringer Teil in das Filtrat gelangen wurde — eine unnötige Erschwe¬ 
rung des positiven Resultates. Aus diesem Grunde wurde ruhig von 
der Filtration abgesehen, in der Hoffnung, dass etwa vorhandene 
Kokken keinen Einfluss auf den Ausfall des Versuches haben würden. 
Diese Hoffnung hat sich insofern bestätigt, als selbst in einem Falle 
von Grippe mit schwerer Sepsis in der Kulturflüssigkeit neben reich¬ 
lich Streptokokken auch die Chlamydozoen in grosser Anzahl anzu¬ 
treffen waren. Auch von dieser Seite scheinen also dem vorge¬ 
schlagenen Verfahren keine Schwierigkeiten entgegenzustehen. Der 
Versuch, nicht das gesamte Blut, sondern nur das abpipettierte Serum 
zur* Kultur zu verwenden, brachte keinerlei Vorteil mit sich und 
erhöht höchstens die Zahl der technischen Vorbereitungen und die 
Gefahr sekundärer Verunreinigung. 


Aus dem Pathologischen Institut Kiel. 

Komplikationen bei Grippe*). 

Von Prof. Dr. W. Berblinger. 

Wie anderwärts, war auch bei der Zivilbevölkerung Kiels die 
Grippeepidemie gekennzeichnet durch schwere, auf Mischinfektion 
beruhende Komplikationen. Bei fast allen an Grippe Erkrankten und 
im Verlauf der Grippe Verstorbenen deckte die Autopsie solche auf. 

Die Gesamtzahl (80) der seit Juli im Institut vorgenommenen 
Sektionen von an Grippe Gestorbenen hier genauer zu besprechen, 
unterlasse ich, verzichte ebenso Angaben über die Verteilung der 
letal endigenden Fälle auf die beiden Geschlechter und die verschie¬ 
denen Lebensalter anzugeben. Hervorgehoben sei dagegen, dass be¬ 
urteilt nach dem Sektionsmaterial des Instituts eine grössere Zahl von 
Todesfällen nach Grippe auf den Monat Juli. 1918 fiel, die Höchst¬ 
zahl im Oktober, eine Abnahme wiederum im November zu ver¬ 
zeichnen war. 

Bei keiner Sektion fehlten anatomische Veränderungen au den 
Luftwegen und Lungen. Wenn man mit v. Strümpell 6 verschie¬ 
dene Verlaufsformen der Grippe unterscheiden will, so würde auch 
nach meinen Beobachtungen gelten, dass bei den Individuen im Alter 
von 6—60 Jahren die pneumonische Form bei weitem vorherrschend 
gewesen ist. 

Für die meisten in diesem Aufsatz verwerteten Fälle ist durch 
die klinische Untersuchung das Bestehen einer echten Grippe sicher- 
gestellt. Meine Folgerungen stützen sich indessen nur auf die letal 
verlaufenden Erkrankungen, auf solche, die genauer betrachtet wohl 
wegen der Komplikationen tödlich endigten. Zu den Komplikationen 
ist aber auch ein grosser Teil der anatomisch nachgewiesenen 
Lungenveränderungen selbst zu rechnen. Aus dem Vergleich zwi¬ 
schen Krankheit&lauer und lefalen Ausgang lassen sich bis zu einem 


*) Nach einem in der Medizinischen Gesellschaft Kiel gehaltener 
Vortrag. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



24. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


i459 


gewissen Grade die anatomischen Befunde am Respirationsapparat 
in Beziehung bringen zur Grippeinfektion als solcher und Folge¬ 
zuständen, welche als Wirkung von Begleitbakterien bei bestehender 
Grippe aufzufassen sind. 

Danach bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass eine katar¬ 
rhalische, meist auch hämorrhagische, eine mit oberflächlicher Epithel¬ 
nekrose einhergehende oder auch ausgesprochen pseudomembranöse 
Tracheitis immer, weniger konstant eine Bronchitis der genannten 
Form vorhanden war, wenn die Krankheit nach wenigen Tagen zum 
Tode geführt hatte. Die mikroskopische Untersuchung zeigt in diesem 
Stadium auch eine Entzündung kleinerer Bronchien und der Bron¬ 
chiolen. Das Bronchialepithel ist häufig abgestossen, bisweilen auch 
noch erhalten, während die Bronchialwand selbst stets eine starke 
leukozytäre Infiltration aufweist. Kleine, auf einen Lungenazinus be¬ 
schränkte, pneumonische Herde sind ebenfalls anzutreffen. Auch bei 
ganz ausgesprochener pseudomembranöser Bronchitis und Bronchio¬ 
litis fand ich bakterioskopisch nie Diphtheriebazillen. In eitrig- 
schleimigem Bronchialsekret waren zweimal in Ausstrichen Gram¬ 
negative Stäbchen nachzuweisen, die nach Grösse und Lagerung In- 
iluenzabazillen sich durchaus ähnlich verhielten. 

Bei diesem anatomischen Befund an dem Respirationsapparat, 
welchen ich auf die Grippeinfektion als solche zurückzuführen ge¬ 
neigt bin, entsprach in einigen wenigen Fällen das übrige Sektions¬ 
ergebnis dem einer Sepsis. Gegenüber den Beobachtungen mit relativ 
geringem Befund an den Luftwegen steht eine ausserordentlich grosse 
Zahl von Fällen mit charakteristischen und schweren pneumonischen 
Prozessen. Exquisit hämorrhagische Bronchopneumonien, bald nur 
über einen Lungenlappen, bald über alle Abschnitte der Lungen aus- 
gebieitet, und dunkelrote, einem hämorrhagischen Infarkt ähnliche, 
subpleural gelegene Herde sind überaus häufig. Die an diese an¬ 
grenzenden Lungenbezirke zeigen ein entzündliches Oedem und Blut¬ 
körperchen in den Alveolen. Der Form nach entsprechen die sub¬ 
pleural gelegenen, tiel dunkelroten Partien nicht vollständig einem 
hämorrhagischen Infarkt, auch fehlen in den zugehörigen Lungen¬ 
arterienästen Thromben. In Ausstrichen wie in Schnittpräparaten 
von den geschilderten Herden sind regelmässig Kokken- nachzu weisen 
gewesen. Meist handelt es sich um Streptokokken, die aber keine 
langen Ketten bilden, sondern in Doppelexemplaren, jedoch ohne 
Kapsel angeordnet sind. Dieser Streptokokkenform wie echten 
Pneumokokken und Staphylokokken begegnet man auch dann, wenn 
die Lungenherde einen deutlich eitrigen Charakter zeigen. Neben 
rein eitrigen Bronchopneumonien kommt auch im Bindegewebe um 
die Bronchien und Gefässe, wie in dem der Alveolarsepten, eine 
selbständige, eitrige Entzündung Vor. Diese dehnt sich oft aus bis 
zur Pleura, auf welcher man anfänglich den Alveolarsepten folgend, 
netzartig angeordnete, gelbe Streifen wahrnimmt. Diese von starkem 
Oedem begleitete, interstitielle, eitrige Entzündung geht aus von 
einer eitrigen Lymphangitis in der Bronchial wand, in der die Lymph- 
gefässe durch zahlreiche Leukozyten angefüllt und erweitert sind. 
Durch eitrige Einschmelzung entstehen weiterhin bis an dre Pleura 
reichende, streifenförmige Abszesse und eine umschriebene, eitrige 
Pleuritis kommt gleicher Zeit zustande. So bilden sich also Lungen¬ 
abszesse sowohl aus einer eitrigen interstitiellen Lymphangitis heraus 
wie durch Einschmelzung eitrig-pneumonischer Herde. Da die Lym¬ 
phangitis in der Bronchial wand beginnt, so entstehen'die beiden 
Formen der Abszesse in letzter Hinsicht vom Bronchus aus. Die ge¬ 
schilderten hämorrhagischen Bronchopneumonien, die eitrigen pneu¬ 
monischen Prozesse, wie die interstitielle Lymphangitis, Verände¬ 
rungen, welche ich in Stadien der Grippeerkrankung fand, die nach 
-der Anamnese wie nach der Krankheitsdauer als ältere aufgefasst 
werden dürfen, möchte ich bei dem regelmässigen Vorhandensein der 
erwähnten Kokken genetisch auf diese zurückführen. Sie gehören also 
nicht mehr zu dem anatomischen Bilde der Grippe, sondern zu den 
durch Begleitbakterien erzeugten Komplikationen. Dagegen mag die 
Nekrotisierung pneumonischer Infiltrate, der man auch in Frühstadien 
der Grippe begegnet, unabhängig von einer Mischinfektion sein. Für 
meine Auffassung von den Abszessen führe ich den Umstand an, dass 
man auch noch eine weitere Form von solchen antrifft, welche ihrem 
Aussehen wie ihrer Anordnung nach denjenigen gleichen, wie man 
sie als hämatogene, embolisch entstandene Abszesse kennt. Im An¬ 
schluss an eine im Verlauf von Grippe entstandene eitrige Bronchi- 
ektasie sah ich zahlreiche, zweifellos hämatogene Abszesse ln fast 
allen Lungenbezirken, und konnten Kokkenemboli in den Lungen¬ 
kapillaren festgestellt werden. Um solche durch Kokken verlegte 
Gefässe hatten sich zunächst in den Alveolarsepten miliare Abszesse 
gebildet. In der Umgebung der Bronchiektasie fand sich eine diffuse 
Arteriitis, wo selbst der Einbruch von Bakterien in die Blutbahn zu 
suchen ist. Die von Oberndorfer zuerst nachgewiesene Ar¬ 
teriitis wie Nekrosen der Gefässwand kommen zweifellos vor. 
Oberndorfer führt die Gefässwandveränderung auf eine Schä¬ 
digung durch die Grippeerreger zurück, sah den Beginn der Verände¬ 
rungen in der Intima. Ein derartiges Initialstadium von Arteriitis 
konnte ich bisher nicht finden. Ich pflichte aber Oberndorfer 
insofern bei, dass ein Teil der Lungenabszesse im Verlauf der Grippe 
als hämatogen entstanden zu betrachten ist. 

Die Entstehung auf dem Blutwege ist dann allerdings nicht mehr 
sicher zu machen, wenn es von miliaren Abszessen aus zu grösseren 
Einschmelzungsherden gekommen ist. -Es ist nämlich nicht notwendig, 
dass bei einem Einbruch der Kokken In die Blutbahn in allen Ab¬ 
schnitten der Lungen Abszesse entstehen, wie man das bei einer 

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Bakteriämie sieht. Zum Beispiel findet man in der Umgebung eines 
vom Bronchus aus entstandenen Abszesses innerhalb eines umschrie¬ 
benen Lungenbezirkes, den grössten Teil der Kapülaren durch Kokken¬ 
haufen verlegt; weiter eine eitrige Entzündung, um die verstopften 
Kapillaren. Diese Gefässverlegung umfasst subpleural gelegene Ab¬ 
schnitte der Lunge von annähernder Keilform. Mitunter trifft man 
auch von Kokken durchsetzte Thromben in grösseren Pulmonal¬ 
arterienästen, hyaline Thrombenteile und Kokken in den anschliessen¬ 
den Kapillaren. Dann zeigen die Herde das Bild eines hämorrhagi¬ 
schen, bakteriell infizierten Infarktes. Nach diesen Befunden unter¬ 
liegt es keinem Zweifel, dass auch die subpleuralen und zirkum¬ 
skripten Abszesse keineswegs immer aus einer eitriginterstitiellen Ent¬ 
zündung, aus eitrigen Bronchopneumonien hervorgegangen sind, son¬ 
dern auch hämatogen entstanden sein können. 

Wo sich nun also die Abszesse im Anschluss an kapilläre Kokken¬ 
embolien entwickelten, müssen sie erst recht "als Komplikationen und 
nicht als zum Bilde der Grippe selbst gehörend erachtet werden. Aus 
der Tatsache, dass gelegentlich auch in anderen Organen (Nieren, 
Herzmuskel) hämatogene Abszesse festzustellen waren, aus dem 
Nachweis von Staphylokokken auch in der Milz, ergibt sich, dass 
die Komplikation gelegentlich eine echte Pyämie sein kann. In 
drei Fällen beobachtete ich eine eitrige Meningitis cerebralis mit 
Diplokokken und Staphylokokken im Eiter. Bei einer herdförmigen 
Enzephalitis war eine kapilläre Kokkenembolie mikroskopisch nach¬ 
zuweisen mit eitriger Entzündung der Gehirnsubstanz. Auf die Wie¬ 
dergabe weiterer anatomischer Einzelheiten, auf die sonstigen ana¬ 
tomischen Befunde bei Grippe und im Verlauf dieser Krankheit kann 
ich verzichten, da sich meine Beobachtungen im wesentlichen decken 
mit den Mitteilungen, wie sie Oberndorfer, Simmonds, 
Schmor!, Grube r, Gold Schmidt, Hübschmann u. a. ge¬ 
macht haben. 

Hinweisen möchte ich nur noch auf seltenere Befunde am Kehl¬ 
kopfeingang. Ein entzündliches Oedem der aryeoiglottischen Falten 
ist recht häufig. Zweimal fand ich eine ausgedehnte Abszessbildung 
in der Gegend beider Aryknorpel mit Staphylokokken im Eiter. Die 
Eiterung hatte in einem Falle zu einer Loslösung eines Aryknorpels 
geführt, erstreckte sich beidemale bis unter die Schleimhaut des Re- 
cessus piriformis. Eine solche eitrige Perichondritis war in einem 
dieser Fälle erst später, nach Ablauf einer klinisch jedenfalls nicht 
typischen Grippe aufgetreten. Mehrere (15) Sektionen betrafen Gra¬ 
vide in den verschiedensten Schwangerschaftsmonaten, wobei patho¬ 
logische Veränderungen am Uterus und den Parametrien fehlten. 

Fasse ich zusammen, so können m. E. als Folge der Grippe¬ 
infektion nur die eingangs erwähnten, wesentlich auf Trachea und 
Bronchien sich beschränkenden Prozesse gelten. Was in älteren 
Stadien der Erkrankung an schweren pneumonischen Veränderungen 
gerade in den spät letal verlaufenden Fällen angetroffen wird..möchte 
ich in die Gruppe der durch die Begleitbakterien bedingten Kompli¬ 
kationen einreihen, von denen ich oben ja auch nur einige genannt 
habe. 

Die jetzige Grippeepidemie gleicht klinisch ganz der Influenza. 
Der schwere Verlauf und die grosse Mortalität der jetzigen Epidemie 
scheint durch die Wirkung der Begleitbakterien bedingt zu sein. 
Gerade gewisse Streptokokkenformen spielen dabei eine Rolle, und 
es ist bemerkenswert, dass diese Bakterien von den Luftwegen aus zu 
schweren eitrigen Pneumonien und Abszessen führen. 

Zur Behandlung der Lungentuberkulose mit Kieselsäure. 

Von Prof. Dr. A. K ü h n - Rostock. 

Es ist das Verdient der Pharmakologen, auf die Bedeutung der 
Kieselsäure und ihrer biologischen Funktionen aufmerksam gemacht 
zu haben. Es besteht danach kein Zweifel, dass auch die Kiesel¬ 
säure ein Baustein des normalen menschlichen und tierischen Or¬ 
ganismus ist. Untersuchungen von Schulz 1 ), Kobert*) und seiner 
Schüler (Gonnermann 3 ), Koch 4 ) u. a.] haben im besonderen 
dargetan, dass die Elastizität und Festigkeit vieler Gewebe von dem 
Gehalt an Kieselsäure abhängig Ist, dass vor allem der Kieselsäure¬ 
gehalt des Lungengewebes den Gedanken nahelegt, die zirrhotisch- 
vernarbende Form der Lungentuberkulose mit einer gewissen Kiesel¬ 
säurewirkung in Verbindung zu bringen. 

Experimentelle Versuche sprechen durchaus für diese Möglich¬ 
keit. Kieselsäure bewirkt bei experimenteller Tuberkulose eine ab¬ 
norme Bildung von jungem Bindegewebe im Sinne einer Abkapse¬ 
lung mit darauffolgender Vernarbung des tuberkulösen Gewebes 
[Kahle 6 ), Rössle 6 )]. 

Es lag nahe, die Kieselsäure auch bei der menschlichen Lungen¬ 
tuberkulose therapeutisch zu versuchen, zumal sowohl ihre Resorbier¬ 
barkeit, falls sie in geeigneter löslicher Form gegeben wird, als auch 

J ) Schulz: Pharmakotherapie 1898. — Pflügers Arch. 84. 1901. 
— M.m.W. 1902. — Pflügers Arch. 144. 1912. 

*) Kobert: „Tuberkulosis.“ Bd. 16 Nr. 10/12. Veröffentl. der 
Zentralstelle f. Balneologie. 3. 1917. H. 3. 

3 ) Gonnermann: Zschr. f. physiol. Chem. 99. 

4 ) Kobert und Koch: D.m.W. 1894. 47. 

6 ) Kahle: M.m.W. 1914 S. 752. 

a ) Rössle: M.m.W. 1914 S. 756. 

» 2 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



146) 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 52. 


ihre Ungiftigkeit erwiesen ist.' Von verschiedenen Seiten ist das 
auch bereits geschehen (Weissmayf, Rohden, Zickgraf 
u. a.); die Resultate sind durchaus befriedigend. Gegeben wurden 
Lösungen des Natrium silicicum purissimum. auch das kieselsäure- 
haltige Wasser der Glashäger Mineralquejle Hess man in genügen¬ 
der Menge trinken. 

'K o b e r t hat nun darauf aufmerksam gemacht, dass in einer 
Reihe volkstümlicher Tees Kieselsäure enthalten ist, nachdem bereits 
Schulz sowie Gerhar tz und S t r i g e 1 in dem sog. Zinnkraut 
(Equisetum arvense) reichlich lösliche Kieselsäure gefunden hatten. 
Ich habe mm eine Mischling dieser Tees nach der Rezeptur: 

Herba equiseti min. 75 ] M f. spec. Ds.: 3 XI 1 /* Essl, aui 
Herba polygoni 150 ? 2 Tassen Wasser, einkochen auf 

Herba Galeopsidis 50 J 1 Tasse, 

seit mehreren Jahren regelmässig verordnet. Der Kieselsäuregehalt 
dieser Mischung schwankt zwischen 43 mg und 272 mg in der Tages¬ 
dosis von 3 Tassen. Es sind auf diese Weise über 300 Fälle aus 
konsultativer Praxis, Sprechstunde und Klinik während der letzten 
Jahre behandelt worden. Geh. Rat Kobert hatte die Güte, in 
einigen dieser Fälle den Kieselsäuregehalt des Urins zu bestimmen. 
Er fand bei einer darmgesunden-Frau, welche den Tee 2 Monate lang 
getrunken hatte, 70 mg in der Tagesmenge, bei einer anderen, welche 
4 Monate den Tee getrunken hatte, 180 mg. 

Da die Kieselsäure nicht allein durch die Nieren, sondern auch 
durch die Dickdarmschleimhaut ausgeschieden wird, ist die gefundene 
Menge naturgemäss nur ein Teil der ausgeschiedenen Kieselsäure. 

Da die Biologie der Kieselsäure grosse Aehnlichkeit hat mit der 
des Kalkes — Kalk und Kieselsäure werden in gleicher Weise von 
dem tuberkulösen Organismus mehr verbraucht als von dem nor¬ 
malen — wurde in den meisten Fällen die Kieselsäurebehandlung mit 
der Kalktherapie kombiniert. Sehe ich nun von den Fällen ab, welche 
ausserdem noch in der üblichen Weise (Freiluft-Liegekuren, forzierte 
Ernährung, soweit angängig, konsequente Bestrahlung mit künstlicher 
Höhensonne, Röntgenbestrahlungen, vorsichtige Alttuberkulinkuren, 
Abhärtungsmethoden etc.) behandelt wurden, so lauten meine Erfah¬ 
rungen mehrjähriger Kieselsäurebehandlung durchaus günstig. Die 
Krankheit verlief im Ganzen anders als ich es sonst in hiesigem 
Klima zu sehen gewohnt war. Leichtere Katarrhe schwanden in 
einigen Monaten derart, dass sie physikalisch nicht mehr nachge¬ 
wiesen werden konnten. Ich sehe da von der Wiedergabe der ein¬ 
zelnen Krankengeschichten des Raumes wegen ab 7 ) und muss mich 
nur darauf beschränken, zu betonen, dass konsequente mehrjährige 
Kieselsäurebehandlung, welche nach meinen Erfahrungen durchaus un¬ 
schädlich ist, geeignet erscheint, die Lungentuberkulose in günstigem 
Sinne zu beeinflussen. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass 
schwaches, wenig widerstandsfähiges Lungengewebe Disponierter 
und Nichtdisponierter durch frühzeitige genügende Kieselsäurezufuhr 
gefestigt werden kann, so dass sich bei diesen sonst vielleicht ver¬ 
lorenen Individuen eine fibrös ausheilende Form der Lungentuber¬ 
kulose entwickelt. So hielt sich von allen tuberkulösen Kindern 
einer Familie nur das von Anfang an mit Kieselsäure behandelte 
Mädchen, während ihre nicht mit Kieselsäure behandelten Brüder 
innerhalb zwei Jahren der Krankheit erlagen. 

Im allgemeinen war der Hergang so, dass bald nach Einsetzen 
der Kieselsäurebehandlung die Patienten sich subjektiv wohler 
fühlten: der Appetit nahm zu, dementsprechend hob sich das Körper¬ 
gewicht, der Husten wurde geringer, auch die Nachtschweisse Hessen 
allmählich nach. Die Bazillen im Auswurf wurden spärlicher unter 
Auftreten von Degenerationsformen, um in den günstigsten Fällen 
ganz zu verschwinden, und schliesslich liess sich auch objektiv eine 
Besserung des Zustandes feststellen in dem Sinne, als die Geräusche 
seltener und trockener wurden und schliesslich nach einigen Monaten 
überhaupt nicht mehr nachgewiesen werden konnten. 

Der Tee wurde sehr willig getrunken, wenn er auch nicht gerade 
gut schmeckte. Des Oefteren musste ich ihn durch Zusatz von Ge- 
schmackskorrigentien schmackhafter machen. Von vielen Patienten 
wurde seine schleimlösende expektorationsbefördernde Wirkung ge¬ 
rühmt, ja viele priesen ihn ausserdem noch als sicher wirkendes 
Schlafmittel. 

Die Hauptsache ist m. E. die konsequente, jahrelange Zufuhr 
der Kieselsäure. Einige meiner Patienten trinken den Tee ununter¬ 
brochen schon jahrelang. Gerade diese, unter welchen einige sind, 
welche erfolglose Heilanstaltsbehandlung hinter sich haben, haben 
sich ganz auffallend gebessert. Gewichtszunahmen von 25 und 
30 Pfund gehören nicht zu den Seltenheiten. Auch das Fieber ging 
in vielen Fällen schnell zurück. Entsprechend der Eigenart des 
Tuberkuloseverlaufes und der Tuberkulosebehandlung ist es natur¬ 
gemäss schwer, etwaige Erfolge einer besonderen Behandlung exakt 
zu beweisen. Es liegt uns daher auch fern, nun die Kieselsäurebe¬ 
handlung oder noch besser die kombinierte Kieselsäure-Kalk-Behand- 
lung als das Heilmittel gegen Tuberkulose anzupreisen. Ich sehe 
auch davon ab, viele meiner Fälle als „geheilt“ hinzustellen, obwohl 
sie zurzeit vollkommen den Eindruck einer völligen Heilung machen. 
Da es sich um ein Gebiet handelt, auf dem wir schon so manche 
Täuschungen erlebt haben, ist naturgemäss abwägende Vorsicht 
durchaus am Platze. Ich wiederhole nur, dass mein Gesamteindruck 


7 ) Die ausführliche Bearbeitung erfolgt an anderer Stelle. 


von der Kieselsäurebehandlung ein absolut günstiger ist, so dass ich 
mich für berechtigt halte, dieselbe zu empfehlen und zu weiteren 
Versuchen anzuregen. Der im Uebrigen harmlose und unschädliche 
Tee müsste nicht allein therapeutisch, sondern auch namentlich pro¬ 
phylaktisch konsequent getrunken werden, so dass eine regelmässige, 
genügende Kieselsäurezufuhr gewährleistet wäre. Dann würde er das 
leisten, was man von ihm nunmehr erwarten kann: das Lungenge¬ 
webe festigen und kräftigen, sowie bei Erkrankung die genügende 
Neubildung des die zirrhotische Vernarbung- erstrebenden Granula¬ 
tionsgewebes anregen und unterstützen. Nur betone ich noch ein¬ 
mal, dass nur jahrelange Behandlung und Beobachtung imstande sein 
wird, seinerzeit das Endurteil über den Wert der Kieselsäurebehand¬ 
lung der Lungentuberkulose zu fällen. 


Aus einem Kriegslazarett. 

Zur Frühdiagnose des Fleckflebers. 

Von Oberarzt d. L. Dr. Johannes Schflrer. 

Die Diagnose des ausgeprägten, voll entwickelten Fleckfieber¬ 
falles stösst auf keine Schwierigkeiten. Das typische Exanthem lässt 
in den meisten Fällen jeden Zweifel ausschliessen. Nur beim Para¬ 
typhus sahen wir mehrfach, dass die Haut so dicht mit lividen, nicht 
erhabenen Roseolen übersät war, dass die Differentialdiagnose zu¬ 
nächst offen gelassen werden musste. Exanthemlose Fälle sind sehr 
selten; wir sahen unter einem ziemlich grossen Material im ganzen 
nur 5 Patienten, bei denen bei täglich zweimaliger Untersuchung 
keine Hautveränderungen festgestellt werden konnten. In solchen 
Fällen und bei Kranken mit schwach entwickeltem oder atypischem 
Exanthem ist die W e i 1 - F e I i x sehe Reaktion ein sicheres, be¬ 
quemes und unentbehrliches Hilfsmittel für die Diagnose geworden. 

Im krassen Gegensatz zu dieser Sicherheit und Leichtigkeit, mit 
der die Erkennung des Fleckfiebers im späteren Stadium, etwa vom 
6. Krankheitstage an, möglich ist, steht die ausserordentlich grosse 
Schwierigkeit der Fleckfieberdiagnose in den ersten* Krankheitstagen. 
Gänzlich uncharakteristisch ist das Krankheitsbild in den ersten 
beiden Tagen, an denen das Fieber staffelförmig ansteigt. Die sub¬ 
jektiven Beschwerden sind noch gering, so dass in den ersten Tagen 
meist noch keine Krankmeldung erfolgt. Man bekommt so frühe Fälle 
gewöhnlich nur zu sehen, wenn die Leute sich wiegen vorausgehender 
Ansteckungsgefahr in Quarantäne befinden und auch aus dem gleichen 
Grunde ihre Temperatur gemessen wurde. Objektiv findet man 
zu dieser Zeit ausser dem Fieber'sehr häufig schon eine Vergrösse- 
rung der Milz, sonst keine krankhaften Erscheinungen. Manchmal 
sind schon jetzt heftige Kopfschmerzen vorhanden. Erst vom 3. bis 
4 Tage an — der von den Patienten gewöhnlich als eigentlicher 
Krankheitsbeginn bezeichnet wird — entwickelt sich unter stärkerem 
Frostgefühl mit Beginn der hohen Kontinua ein Zustand, der als in¬ 
fluenzaartiges Stadium des Fleckfiebers bezeichnet worden ist. Diese 
Bezeichnung ist für einen grossen Teil der Fälle sehr charakteristisch. 
Wenn die katarrhalische Entzündung der Schleimhäute — Konjunkti¬ 
vitis, Angina, Bronchitis — stark ausgeprägt ist, kommt in der Tat 
differentialdiagnostisch in erster (Linie eine infhienzaartige Erkran¬ 
kung oder eine zentral beginnende kruppöse Pneumonie in Frage. 
Für den kleineren Teil der Fälle, bei denen die katarrhalischen Sym¬ 
ptome mehr in den Hintergrund treten oder erst später auftreten. 
schwankt die Differentialdiagnose hauptsächlich zwischen Typhus, 
resp. Paratyphus und Fleckfieber. In den folgenden Ausführungen soll 
gezeigt werden, wie weit es möglich ist, die verschiedenen hier ge¬ 
nannten Krankheiten frühzeitig voneinander zu unterscheiden und die 
Fleckfieberdiagnose sicherzustellen, bevor das Exanthem auftritt und 
die W e i 1 - F e I i x sehe (Reaktion positiv wird. 

Drei Dinge sind es, denen wir für die Erkennung des Fleckfiebers 
in den ersten Krankheitstagen eine besondere Bedeutung zuschreiben: 
das psychische Verhalten, der Gesichtsausdruck 
und d e r BI u t b e f u n d. 

Wenn man eine grössere Zahl von Typhus- und Fleckfieber¬ 
kranken gleichzeitig in Behandlung hat, so fällt einem ohne weiteres 
der grosse Unterschied in dem psychischen Verhalten bei beiden 
Krankheiten auf. Der Typhuskranke liegt teilnahmslos im Bett. In 
den zögernden Antworten kommt eine Verlangsamung des Vorstel¬ 
lungsablaufs und eine gewisse Hemmung zum Ausdruck. Der Pa¬ 
tient selbst hat das Gefühl der Schwerbesinnlichkeit. Das Wort 
Typhus ist oft schon in den ersten Tagen höchst charakteristisch; 
alle Reize werden wie aus nebeliger Ferne aufgenommen und die 
Reaktion auf die Reize aus der Aussenwelt erfolgt entsprechend ab¬ 
geschwächt und verzögert. Das gilt nicht nur für die schwereren 
Fälle, bei denen die ausgesprochene Benommenheit viel weniger Be¬ 
sonderheiten darbietet, sondern gerade für leichter Erkrankte, die 
trotz ihrer Schwerbesinnlichkeit auf wiederholte und eindringlich ge¬ 
stellte Fragen noch korrekte. Antworten geben. 

Ein ganz anderes Bild bietet der Fleckfieberkranke in den 
ersten Krankheitstagen dar. An Stelle der Gleichgültigkeit. Teil¬ 
nahmslosigkeit und Apathie finden wir den Patienten im Zustand 
ängstlicher Erregung mit beschleunigtem Vorstellungsablauf. Zum 
Teil mag das eine Folge davon sein, dass die Patienten sich nach der 
Aufnahme auf die Fleckfieberstetion in einer berechtigten Sorge vor 
der gefürchteten Krankheit befinden. Aber die ängstliche Erreguns 
war doch häufig schon sehr auffallend, wenn die Leute noch keine 


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24 . Dezember 191«. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1461 


Ahnung von -dem Wesen ihrer Krankheit haben konnten. Die Unter¬ 
schiede im psychischen Verhalten werden meist schon bei den ersten 
, Worten bei der Aufnahme der Vorgeschichte deutlich. Fragt man 
einen Typhuspatienten, seit wann er krank sei, so antwortet er nach 
längerem Besinnen einsilbig, beispielsweise „Seit vorgestern“. Der 
Fleckfieberkranke erzählt statt dessen gerne gleich eine ganze Ge¬ 
schichte, z. B.: „Vor 3 Tagen, da seien sie entlaust worden, und da 
seit das Wasser so kalt gewesen, auch habe die Türe öfters offen 
gestanden. Und da habe er gleich zu seinem Kameraden gesagt, 
da muss man sich ja erkälten. In der Nacht Tiabe er es dann schon 
gleich gespürt“ usw. Ein derartiges Mitteilungsbedürfnis, das.direkt 
in eine Art Rededrang ausarten kann, wird man im Frühsfcadiiim des 
Typhus nie finden. Der Vorstellungsinhalt des Typhuskranken ist 
ausserordentlich arm, meist hört man nur monotone Klagen über 
Kopfschmerzen oder allgemeine Abgeschlagenheit. Beim Fleckfieber¬ 
kranken entspricht das Bedürfnis zu sprechen meistens der ängst¬ 
lichen Stimmung. Er äussert die Befürchtung sterben zu müssen, 
bittet um Stärkungsmittel, denkt an die Heimat, schreibt selbst noch 
nach Hause oder gibt spontan die Adresse seiner Angehörigen einem 
Kameraden oder der Krankenschwester. Manchmal steigert sich der 
.krankhaft ängstliohe Vorstellungsinhalt schön in den ersten Tagen 
zum ausgesprochenen Vernichtungsgefühl und kann dann zum Selbst¬ 
mordversuch führen, so dass man die Kranken keinen Augenblick 
ohne Aufsicht lassen darf. In einem kleineren Teil der Fälle ist die 
Stimmung umgekehrt abnorm euphorisch. Das Krankheitsgefühl kann 
dann fast gänzlich fehlen. Trotzdem die Temperatur über 40° ge¬ 
stiegen ist, bitten die Leute um ihre Uniform, um aufstehen zu können, 
usw. Aber «derartige Fälle Sind selten. »Meist herrscht die ängstliche 
Erregung vor. 

* Dem psychischen Verhalten entsprechend ist der Gesichtsaus¬ 
druck des Fleckfieberkranken ein vollständig anderer als bei Typhus. 
Die Gesichtsmuskulatur ist nicht schlaff, sondern gespannt oder 
wenigstens lebhaft inuerviert. Neben der abnormen Innervation der 
Gesichtsmuskulatur ist auch das Aussehen der Augen infolge der 
Schwellung und Rötung der Bindehaut für den Gesichtsausdruck des 
Fleckfieberkranken von grosser Wichtigkeit. Die Augenbrauen sind 
häufig frTdie Höhe gezogen. Besonders auffallend ist die 
starke Faltung der Stirn. Schon dadurch kommt ein ängst¬ 
lich erregter Gesichtsausdruck zustande. Nicht selten zeigt sich ein 
Mitflattern im Gebiet des unteren Fazialisastes. Der Mund bleibt 
vielfach leicht geöffnet, manchmal in auffällig verzerrter Stellung. 
Dazu kommt die lebhafte Rötung und die besonders an den Lippen 
deutliche Zyanose. Das alles zusammen bietet ein so charak¬ 
teristisches Bild, dass inan gegenüber der Facies 
typhosa den Begriff ^ines „Fleckfiebergesichts“ 
aufstellen kann. Gegenüber dem ruhigen Gesichtsausdruck des 
Typhuskranken, der oft fast wie ein träumender oder schlafender 
Mensch aussieht, macht das Fleckfiebergesicht einen verzerrten, häss¬ 
lichen Eindruck. Stark kontrahierte Gesichtsmuskeln zerstören die 
Schönheit (Lessing: Laokoon). Der auffallende und bis zu einem 
gewissen Grade charakteristische Gesichtsausdruck des Fleckfieber¬ 
kranken spiegelt nur zum Teil die abnorme Stimmungslage — den 
ängstlichen Erregungszustand — wieder. Eine wichtigere Rolle 
für die krankhafte Innervation der Gesichtsnmskulatur scheinen uns 
organische Veränderungen im bulbären Teil «des Gehirns zu 
spielen. Multiple Hämorrhagien, die den petechialen Hautblutungen 
entsprechen, sind ia im Bulbus häufig gefunden worden. Auch da. 
wo es ni:ht zum Blutaustritt aus den Gefässen kommt, genügt wohl 
die voi^ E. F r ä n k e 1 beschriebene spezifische Erkrankung der Ge- 
fässwand an den kleinen Arterien und Kapillaren, um eine erhebliche 
Störung der Funktion hervorzurufen. Dass diese Gefässwanderkran- 
ktingen sich nicht auf die Haut beschränken, sondern auch in den 
irmeren Orgänen, besonders im Gehirn zur Entwicklung kommen, ist 
von zahlreichen Autoren (A s c h o f f, H. A 1 b r e c h t, C e e I e n u. a.) 
nachgewiesen worden. Im Gehirn fand C e e 1 e n den-typischen histo¬ 
logischen Gefässknötchenbefund, besonders reichlich in der Miedulla 
oblongata und im Pons. 

Nach den klinischen Erscheinungen kann man annehmen, dass 
diese Gefässveränderungen im Bereich der Fazfaliskeme besonders 
stark ausgeprägt sein müssen. Dabei ist genau wie bei der Bulbär- 
paralyse fast ausschliesslich der untere Fazialis erkrankt. Wenn 
im Frühstadium des Fleckfiebers die Erkrankung der Fazialiskerne 
sich auch hauptsächlich durch Reizsymptome bemerkbar macht, so ist 
der Vergleich mit der Bulbärnaralyse doch berechtigt, w'eil in den 
späteren Krankheitstagen die Sprache nicht selten einen typisch bul¬ 
bären Charakter annimmt und dann auch der Schluckmechanismus er¬ 
heblich gestört sein kann. Die Parese des unteren Fazialis bleibt 
dann manchmal noch mehrere Wochen nach der Entfieberung be¬ 
stehen. 

Unter Berücksichtigung des psychischen Ver¬ 
haltens und des Gesichtsausdrucks wird die Dif¬ 
ferentialdiagnose zwischen Typhus und Fleck- 
lieber in den ersten K r a n k h e i t s t a g e n selten auf 
Schwierigkeiten stossen. Es muss besonders betont wer¬ 
den. dass sich diese Unterschiede im späteren Krankheitsstadium 
weitgehend verwischen können, wenn entweder die Benommenheit 
tiefer wird oder eine ausgesprochene Psychose zur Entwicklung 
kommt. 

Grössere Schwierigkeiten als die. Unterscheidung von Fleck¬ 
fieber und Typhus scheint- 4jns die Diffierentialdiagnose gegenüber 

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grippeartigen Infektionen zu machen. Wir hatten Gelegenheit, gleich¬ 
zeitig mit Eleckfieberfällen eine kleine Endemie von schweren in¬ 
fluenzaartigen Erkrankungen zu beobachten. In den nicht ganz 
seltenen Fällen, die mit meningitischen Reizsymptomen kompliziert 
waren, entsprach das Krankheitsbild ganz einem beginnenden Fleck¬ 
fieber. Auch die katarrhalischen Erscheinungen waren die gleichen. 
Die Differentialdiagnose ist trotzdem wohl immer möglich, wenn man 
das Verhalten der weissen Blutkörperchen berücksichtigt. Bei den 
schwereren Grippefällen, die im späteren Stadium regelmässig zu aus¬ 
gedehnten Bronchopneumonien führten, ist die Zahl der Leukozyten 
von vornherein vermehrt, beim Fleckfieber findet man eine 
Leukopenie oder eine höchstens normale Zahl der 
weissen Blutkörperchen. Die von andern Untersuchern 
beim Fleckfieber gefundene neutrophile Leukozytose ist regelmässig 
auf Komplikationen, vor allem auf die so häufige Bronchopneumonie 
zurückzuführen und findet sich dementsprechend nie vor dem 7. oder 
8. Krankheitstage. Eine Vermehrung der Leukozyten in 
den ersten Krankheitstagen lässt daher mit gröss¬ 
ter Sicherheit die Diagnose Fleckfieber aus- 
s c h I i e s s e n. In den meisten Fällen haben wir uns mit der Bestim¬ 
mung der Gesamtleukozytenzahl begnügt. Einige Fälle, bei denen 
eine genauere hämatologische Untersuchung ausgeführt wurde, sind 
in der Tabelle zusammengestellt. 


Nr. 

Name 

i! 

Leuko¬ 

zyten 

In ccmm 

Poly- 

nukleäre 

Neutrophile 

Lympho¬ 

zyten 

Ueber- 
gangszellen 
und grosse 
Mono¬ 
nukleäre 

Poly¬ 

nukleäre 

eosinophile 

Leukozyten 

Mast- 1 
zellen 

1 

Na. 

3. 

6000 

62 Pro*. 

37 Proz. 

0,5 Proz. 

0 Proz. 

0,3 Proz. 

2 

Lt. 

3. 

3700 

50 „ 

48 „ 

2 „ 

0 „ 

0 

3 

Mü. 

5. 

3200 

64 „ 

34 „ 

1,5 „ 

0 „ 

0,5 „ 

4 

Tu 

5. 

5'00 

61 „ 

37 „ 

2 

0 ,, 

0 „ 

5 

K. 

5- 

5800 

62 „ 

36 „ 

2 „ 

0 „ 

0 

6 

Ka. 

6. 

3500 

67 „ 

30 „ 

3 

0 „ 

0 „ 

7 

V. 

6. 

5700 

72 „ 

28 „ 


0 „ 

0 „ 

8 

Vö. 

6. 

7400 

72 „ 

26 „ 

2' ” 

0 „ 

0 „ 


Verhalten der weissen Blutkörperchen im Früh- 
Stadium des Fleckfiebers. 

Man sieht, dass das Blutbild sehr ähnliche Veränderungen auf¬ 
weist, wie beim Typhus. Die Leukopenie ist nicht ganz so regel¬ 
mässig und dementsprechend ist auch die relative Lymphozytose ge¬ 
ringer. Aber dieser Unterschied ist nicht sehr erheblich. Wie beim 
Typhus fehlen die eosinophilen Zellen völlig. Auch 
dann, wenn wir im „dicken Tropfen“ bis 1000 weisse Blutkörperchen 
auszählten, fanden wir vor dem 13. bis 14. Krankheitstag nie eosino¬ 
phile Zellen. Trotz dieser weitgehenden AehnÜchkeit des Blutbildes 
beim Fleckfieber und beim Typhus kann man beide Krankheiten nach 
den Arbeiten von V. Schilling und Schiff nach dem Blutaus¬ 
strich gut unterscheiden, wenn man das Symptom der Kernverschie¬ 
bung nach Arneth berücksichtigt. Jedenfalls ermöglicht die Be¬ 
achtung des Blutbildes mit ziemlich grosser Sicherheit die Differen¬ 
tialdiagnose gegenüber schwereren Grippeinfektionen und Broncho¬ 
pneumonien. 

Rückfallfieber und tropische Malaria, die differentialdiagnostisch 
allenfalls noch in Frage kommen, lassen sich durch die Untersuchung 
des Blutausstrichs immer mit ausreichender Sicherheit ausschalten. 
Andern Krankheiten,, mit denen eine Verwechslung möglich wäre, 
wie Sepsis und Miliartuberkulose kommt unter den epidemiologischen 
Verhältnissen des Krieges keine erheblichere Bedeutung zu. 

Das Fleckfieber ist durch die Besonderheiten der U&bertragung 
durch die Laus in den ersten Krankheitstagen noch nicht oder doch 
nur in sehr geringem Masse ansteckungsfähig. Eine frühzeitige Iso¬ 
lierung ist daher beim ‘Fleckfieber noch ausschlaggebender als bei 
andern Krankheiten. Wenn man wartet, bis die Diagnose durch 
das Auftreten des Exanthems und durch den positiven Ausfall der 
W e i 1- F e 1 i x sehen Reaktion gesichert ist, wird der Zeitpunkt 
überschritten, bis zu dem das Fleckfieber noch relativ ungefährlich ist. 
Für eine wirksame Fleckfieberbekämpfung ist da¬ 
her die Möglichkeit einer frühzeitigen Diagnose 
von grösster praktischer Wichtigkeit. 

Zusammenfassung. 

Unter Berücksichtigung des psychischen Verhaltens, des charak¬ 
teristischen Gesichtsausdrucks mit der starken Stirnfaltung („Fleck¬ 
fiebergesicht“) und des Blutbefundes ist die Fleckfieberdiägnose schon 
in den ersten Krankheitstagen vor Auftreten des Exanthems mit ziem¬ 
lich grosser Sicherheit möglich. 


Dysenterie und Malaria. 

Von Dr. M. Qioseffi. 

Wie wichtig gerade in praktischer Beziehung die Kenntnis der 
verschiedenen Verlaufseigentümlichkeiten der Malaria, besonders der 
Tropika, unter anderem in ihrer dysenterischen Form sei, betont jüngst 
Seyfarth in einer in Nr. 22 d. Wschr. erschienenen Arbeit. 
In Malariagegenden soll jeder Fall von Diarrhöe oder Dysenterie, 
gleichviel, ob Temperatursteigerungen vorhanden sind oder nicht, zur 
Blutuntersuchung auf Malariaparasiten Veranlassung geben. 

ungioaTfrorrf 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 52. 


Dass aber auch das Gegenteil zu gelten hat, dass in Malaria¬ 
gegenden bei dysenteriformen Entleerungen, mit und ohne Parasiten¬ 
befund im peripheren Blute, systematische Untersuchungen auf Dy¬ 
senterie vorgenommen werden sollen, dafür gibt uns ein lehrreiches 
Beispiel eine von mir in zwei am Strande des Quarnero gelegenen 
Ortschaften beobachtete Epidemie. Im Jahre 1904 wurde ich mit 
der Leitung der Malariatilgungsaktion in jener Zone betraut. Am 
1. Juni wurde mit der Intensiv- bzw. mit der prophylaktischen Kur 
der Bevölkerung begonnen. Ende Juni und besonders in der ersten 
Hälfte Juli traten gehäuft Fälle mit dysenteriformen Entleerungen 
auf, mit und ohne Temperatursteigerungen, ohne und mit Parasiten 
im peripheren Blute. Die Bevölkerung schrieb die Erscheinung dem 
Chinin zu, obwohl in der zumeist betroffenen Ortschaft keine Chinin- 
Arsenpräparate zur Verteilung gekommen waren. Der Umstand, dass 
wir uns in einer Malariazone befanden, konnte an den Ausbruch 
einer Perniciosa dysenterica denken lassen. Die ersten negativen 
Blutbefunde bei schon Chininisierten vermochten den Verdacht nicht 
zu erschüttern, da die Einnahme geringer Chiningaben genügt, um 
die Parasiten aus dem peripheren Blute verschwinden zu lassen. 

Ich sandte jedoch Stuhl- und Blutproben an das pathologisch¬ 
anatomische Institut nach Wien 1 ). Aus den eingesendeten Dejektionen 
konnte damals Herr Prof. G h o n sowohl den Bazillus F 1 e x n e r, 
als auch den Bazillus Shiga-Kruse isolieren* Die eingesandten 
Sera agglutinierten den Krusebazillus und den von einem Falle ge¬ 
züchteten als dem Shiga-Kruse identisch sich erwiesenen Stamm. 

Die Epidemie war ziemlich mild; im ganzen Epidemiebezirke 
waren 161 Dysenteriefälle mit 9 Todesfällen (= 5,59 Proz. der 
Erkrankten), darunter 4 Mischinfektionen von Dysenterie und Malaria 
zu verzeichnen 2 ). Wenn wir die Milde der Epidemie, das gleich¬ 
zeitige jahreszeitliche Auftreten (Juni-Juli), beider Erkrankungen in 
einer notorischen Malariagegend, die Schwierigkeit, Dysenterieerreger 
aus dem Stuhle zu isolieren, das verspätete Auftreten des Gruber- 
Widal. berücksichtigen, dürfte meines Erachtens für Malariagegenden 
in praktischtherapeutischer und prophylaktischer Beziehung sich 
empfehlen, in jedem Falle von Diarrhöe und dysenterieartiger Erkran¬ 
kung nicht nur auf Malariaparasiten zu fahnden, sondern auch syste¬ 
matisch und wiederholt, besonders in der Rekonvaleszenz, Agglutina¬ 
tionsversuche auf die bekannten Dysenterieerreger anzustellen. 


Aus dem Fürsorge-Reservelazarett München. 
(Chefarzt: S. Kgl. Hoheit Prinz Ludwig Ferdinand.) 

Beiträge zur orthopädischen Verbandtechnik. 

Von Dr. K- Wahl, landsturmpfl. Arzt für orthopäd. Chirurgie. 

In der Kriegsorthopädie nehmen die konservativen Behandlungs¬ 
methoden einen weit grösseren Raum ein, als in der Friedensortho¬ 
pädie. Der Grund dafür liegt in dem Umstand, dass es sich meist um 
infiziertes Gewebe handelt, in dem forcierte Eingriffe nicht ratsam 


sind, dann aber auch in der Psyche der Patienten, die sich grösseren 
Eingriffen gegenüber aus teils entschuldbaren, teils weniger ent¬ 
schuldbaren Gründen häufig ablehnend verhalten. 

. Dieser Umstand veranlasst mich, eine Reihe von Verbandarten 
zu veröffentlichen, die ich seit Jahren anwende, und die sich mir gut 
bewährt haben. 

Spltzfussbehandlung. 

A. Der lockere Spitzfuss. 

Bei der Behandlung des lockeren Spitzfusses. wie er bei Läh¬ 
mungen auftritt, ist vor allem zu berücksichtigen, dass die zur Kor¬ 
rektur erforderliche Kraft nur ganz gering zu sein braucht. Es ist 
deshalb nicht nötig, all das schwere Geschütz aufzufahren, wie beim 
fixierten Spitzfuss. 

Fig. 1 zeigt ein Gestell aus federndem Draht wie ich es häu¬ 
fig zur Behandlung des lockeren Spitzfusses anwende. Dasselbe 
umfasst Unterschenkel und Fuss. Ueber den Knöcheln bildet der Draht 
eine Schleife, der Fussteil bildet zum Unterschenkel einen spitzen 
Winkel. Das Bein wird so in das Gestell gelegt, dass der Fuss- 
ballen hinter der Stelle a, der Unterschenkel auf b ruht; durch An¬ 
ziehen des Querbandes c wird dann der Rist durchgedrückt und der 
Spitzfuss in einen Hackenfuss verwandelt. Für den Fall, dass das 
Querband c zum Festhalten des Fusses nicht genügt, wird der Unter¬ 
schenkel mit einer Gamasche mit 2 Zügeln oberhalb der Knöchel ge¬ 
fasst, die Zügel durch die Drahtschlinge über den Knöcheln geführt, 
die Knöchel tiefgezogen und die Zügel geknotet. 

Diese Spitzfussschiene hat den Vorteil, dass sie leichter als jede 
andere und dass bei ihr die Anfertigung einQS besonderen Schuhes nicht 
nötig ist. Die Schiene kann vielmehr in jedem Schuh getragen wer¬ 
den. Nötig ist, dass der Draht sorgfältig angepasst wird, namentlich 
an der Stelle, wo er vor dem Fussballen die Sohle überquert. Am 
besten erfolgt die Anfertigung nach Gipsabguss. Um den Draht vor 
Rost zu schützen wird er mit Eisenlack lackiert und mit einem Band 
überzogen. Die Drahtschlinge an den Knöcheln ist mit Filz zu pol¬ 
stern. Da die Federkraft die .gelähmten Antagonisten ersetzt, ist das 
Gelenk sofort aktiv beweglich. 

Die Kosten des Apparates sind selbstverständlich ganz gering 
so dass er wohl auch der billigste Spitzfussapparat sein dürfte. Die 
zur Herstellung nötigen Materialien stehen auch gegenwärtig noch 
zur Verfügung. 

Der Apparat kann auch als Nachtschiene in den mannigfaltigsten 
Fällen verwendet werden, so zur Nachbehandlung des korrigierten, 
fixierten Spitzfusses. 

B. Der fixierte Spitzfuss. 

Dieses Leiden zählt wohl zu den häufigsten der zur Behandlung 
kommenden Gelenkkontrakturen und wird vielfach als Krux der 
Lazarette bezeichnet. 

Wegen der Einfachheit der operativen Behandlung durch Teno¬ 
tomie gilt diese Behandlung vielfach als die beste; tatsächlich ist 
die Tenotomie 'bei verschiedenen Formen des fixierten Spitzfusses, so 
namentlich bei der Behandlung des angeborenen Klumpfusses, sowie 
bei spastischen Lähmungen häufig unbedingt erforderlich. In den 



*) Die ersten negativen Befunde hielten mich von weiteren Ein¬ 
sendungen nicht zurück. 

2 ) Zur Malariatilgung im südlichen Istrien im Jahre 1904. Allg. 
Wien. m. Ztg. 1905 Nr. 24—29. — Ein epidemiologischer Beitrag zur 
bazillären Dysenterie^^Allg. Wien- m. Ztg. 1905 Nr. 37—41. 

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Fällen, bei denen der Spitzfuss nur Folge Monate dauernder falscher 
( Fusslagerung ist, die aber die Hauptzahl der in den Lazaretten zur 
, Behandlung kommenden Fälle ausmachen, bin ich von der Wert¬ 
schätzung der Tenotomie sehr abgekomanen und glaube, dass die 
! konservative Behandlung den Vorzug verdient. 

Original frorn 

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24 . Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1463 


Ich sehe sehr häufig Rezidive bei Fällen, bei denen die Teno- das Knie wegen der Ausschaltung des Tractus ileo tibialis, in ge- 

tomie ausgeführt w'urde und bei denen es an der entsprechenden Nach- beugter Stellung zu halten. 

behandlung fehlte. Andererseits sehe ich häufie. dass eine grosse Zur Technik des Verbandes möchte icb nur noch anführen, dass 

Schwächung der Knöcbelgelenke nach lenotorme bei Erwachsenen j c |, am ersten Tage über einer einfachen oder doppelten Trikot- 

zurückbleibt, namentlich in jenen Fällen, in denen die einfache Teno- schlauchunterlage zunächst am Unterschenkel und Fuss getrennt einen 
tomie am Kalkaneus ausgeführt wurde. Stärkeverband anlege und über diesem am folgenden Tage den 

Nach meinem Dafürhalten sollte bei Erwachsenen nur die Wasserglasverband, 
treppenförmige Tenotomie der Achillessehne ausgeführt werden. Die Zur Nachbehandlung ist in allen Fällen das Tragen einer Nacht- 

fiir die Verlängerung der Quadrizepssehne angegebene flächenförmige schiene dringend zu raten. 



Fig. 5. Flg. 6. 


Tenotomie nach Spitzy lässt sich auch mit Vorteil zur Verlänge- Fig. 3 zeigt die von mir meist verwendete Nachtschiene, 

rung der Achillessehne anwenden. Dieselbe besteht aus einem aus Bandeisen gefertigten Gestell 

Ich getraue mir bei den in den Lazaretten zumeist in Betracht für den Unterschenkel und einer Fussplatte aus Blech. Die Fuss- 

koinmenden Fällen von fixiertem Spitzfuss, die erst monatelang be- platte befindet sich zur Längsachse der Unterschenkelschiene in einem 

stehen, in jedem Falle auf konservativem Wege zum Ziele zu ge- Winkel von 70°. Aehnlich wie bei Schiene Fig. 1 wird der Unter¬ 
längen. Der beste Weg ist das allmähliche Redressement mit einem Schenkel mit einer Gamasche oberhalb der Knöchel gefasst, auf die 

unabnehmbaren Verbände. Abnehmbare Verbände sind zum Redresse- starre Fussplatte heruntergezogen und die Gamaschenziigei an den 

ment fixierter Spitzfüsse gänzlich ungeeignet und eignen sich aus- Knöpfchen der Unterseite der Fussplatte fixiert, 

schliesslich für die Nachbehandlung. I Bei bestehender Varus- oder Vaigusstelluug des Fusses wird den 

Fig. 2 zeigt den Verband, wie er auf unserer Abteilung zum seitlichen Schienen in der Gegend des Knöchelgelenkes eine Drehung 

Redressement des fixierten Spitzfusses meist zur Anwendung ge- in dem dem Leiden entgegengesetzten Sinne gegeben, wodurch auch 

langt. Derselbe besteht aus einer W'^erglashülse am Unterschenkel I der Korrektur dieser Difformität Rechnung getragen wird. 



Fig. 7 a. Fig. 7 b. Fig. 8. 


und, getrennt davon, einer solchen am Fuss. Zwei kräftige Leder¬ 
riemen mit Schnallen, deren Enden im Verband stark verankert 
liegen (am besten durch Häkchen a, wie in der Zeichnung angedeutet 
ist) führen vorne kreuzweise über den Fuss und korrigieren beim 
Zusammenziehen den Spitzfuss. Um das Einklemmen der Weichteile 
an den Knöcheln zu verhüten, ist es nötig, an beiden Seiten zwischen 
den Verbänden eine kleine Drahtschlinge, wie Zeichnung b zeigt, ein¬ 
zuschalten. Mit diesem Verbände lässt sich, bei einigermassen gutem 
Willen des Patienten, im Laufe von wenigen Wochen ein voll¬ 
kommenes Redressement erzielen. 

Von Bedeutung ist, hei-vdem täglicten Verkürzen der Riemen, 

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Für das Redressement und die Mobilisierung des Knie- und Hüft¬ 
gelenkes kommen nach meiner Erfahrung abnehmbare Schienen oder 
Verbände nur bei Nachbehandlung und in leichten Fällen in Betracht. 

Sowohl beim Knie- und Hüftgelenk handelt es sich fast immer um 
Bekämpfung der Beugekontraktur. Da beide Gelenke die physio¬ 
logische Neigung zur Beugung haben, beschränkt sich die ärztliche 
Tätigkeit hauptsächlich auf die Erzielung der Strecksteilung. 

Fig. 4 zeigt den Verband, wie ich ihn zur Bekämpfung der 
Beugestellung des Kniegelenkes und somit auch zur Mobilisierung 
dieses Gelenkes anwende. 

In einem Beckengipsverband ist ,<jp|r, grosse Gehbügel a einge- 

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MUENCHHNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHR1FI 


Nr. 52. 


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lassen, an dessen unterem Ende sich die Walze b mit einem Zahnrad 
befindet. Am Fuss befinden sich 2 Heftpflasterzügel. Durch ab¬ 
wechselndes Anziehen und Nachlassen der Walze tritt Streckung und 
Beugung und dadurch eine schonende Mobilisierung des Kniege¬ 
lenkes ein. 

Eine Beseitigung von Kontrakturen im Hüftgelenk ist nur in ganz 
leichten Fällen durch abnehmbare Verbände möglich, sonst erfolgt sie 
am besten auf dem orthopädischen Operationstisch durch Redresse¬ 
ment mit nachfolgendem fixierenden Verband. 

Als typisches Beispiel dafür, dass man bei der Behandlung der 
Gelenkversteifüngen nicht schematisieren, sondern individualisieren 



Fig. 5 zeigt, besteht derselbe aus einer Wasserglashülse für Hand 
und Vorderarm. In den Vorderarmteil werden 4 Röhrchen mitein¬ 
gebunden (al und 2, die 2 anderen liegen an der entsprechenden ab¬ 
gewandten Seite des Armes). In diese Röhrchen wird das Gestell b 
je nach Bedarf so eingeführt, dass es nach oben oder seitlich, oder 
nach unten zeigt. Die beiden Verbandteile werden dann wieder wie 
bei dem «Spitzfussverband durch Lederriemchen, die an ihren Enden 
fest im Verband verankert sind, überbrückt. Um ein zu starkes 
Zusammen- oder Auseinanderrücken der Hand- und Armhülse beim 
Spannen der Riemen zu verhüten, kann man, wie bei dem Spitzfuss- 
verband an den Seiten des Handgelenkes je eine Drahtschleife (C) 



muss, kann die Behandlung der Bewegungsbehinderung des Handge¬ 
lenkes gelten. Es wäre ganz verfehlt nach einer Methode oder mit 
einem Apparat hie> Erfolge erzielen zu wollen, man muss vielmehr 
eine Reihe von Saiten, von den gröbsten bis zu den feinsten, auf 
seiner therapeutischen Klaviatur haben. 

Bei der lockeren Hängehand, wie sie bei Radialislähmung auf- 
tritt, benütze ich eine einfache Drahtschlinge, wie sie in Fig. 5 abge¬ 
bildet ist. Hand und Vorderarm werden von rückwärts so hereinge¬ 
schoben, dass die Beugeseite der Finger und des Vorderarmes auf 


in den Verband mi* einwickeln. Bei Dorsalflexion führen die Zügel 
über den Rücken des Handgelenkes, bei seitlicher Abduktion je ein 
dorsaler und plantarer Zügel nach der Seite und bei Plantarflexion 
werden die dorsalen Zügel zwischen den Fingern durch nach der 
Beugeseite geführt. 

Zur Behandlung der Beuge- und Streckbehinderung der Finger 
benutze ich den unter Fig. 7 abgebildeten Apparat. Derselbe besteht 
aus einem Drahtgestell, welches in der Höhe der Grundgelenke der 
Finger in einem feststellbaren Scharnier g beweglich ist. Die Finger 



den Gurten a und b ruht, während die Rückenseite des Handgelenkes 
durch den Gurt c durchgedrückt wird. 

Die Zahl der bei Radialislähmung empfohlenen Schienen ist un¬ 
geheuer gross, viele davon sind recht kompliziert und schwer. Der 
angegebene Apparat wiegt nur wenige Gramm, die Herstellungskosten 
sind ganz unbedeutend. Die Schiene wird wegen ihrer Leichtigkeit 
gerne getragen und erfüllt ihren Zweck. Beugekontrakturen der 
Finger und des Handgelenkes zu verhüten, vollkommen. Mehr ist auf 
konservativem Wege auch mit dem kompliziertesten Apparat nicht zu 
erreichen. 

Fig. 6. Bei fixierter Hängehand, sei es infolge bereits einge¬ 
tretener Weichteilschrumpfung oder arthrogenen Ursprungs, verwende 
ich einen Verband ähnlicl^dem geschilderten Spitzfussverband. Wie 

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werden mittels Basthülsen, welche ich für diesen Zweck schon seit 
15 Jahren verwende, extendiert. Durch eine entsprechende Stellung 
der Scharniere wird dann Beugung und Streckung der Grundgelenke 
erzielt, die ja für die Gebrauchsfähigkeit der Hand in erster Linie in 
Betracht kommen. Auch zur Mobilisierung der Finger ist eine grosse 
Zahl von Apparaten angegeben. Viele davon leiden an dem Fehler, 
dass sie der grossen Empfindlichkeit gerade der Finger zu wenig 
Rechnung tragen und deshalb meist nur ganz kurze Zeit getragen 
werden können, was bei dem geschilderten Apparat nicht der Pali 
ist. Fig. 7 a zeigt denselben von unten, Fig. 7 b von der Seite. 

Zur Mobilisierung des Ellbogens benutze ich die in Fig. 8, 9 und 
10 abgebildeten einfachen Vorrichtungen. 

Fig. 8 zeigt die Vorrichtung zum Beugen des Ellenbogens. DiJ- 

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24. Dezember 1018. 


MUENCHLNEfc MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 


1465 


selbe besteht aus -dem Gurtsystem a für -die Brust und einer Ga¬ 
masche b für die Hand. Durch je einen Rin* an der Brust- und 
Handgurt wird der Riemen gezogen, bei dessen Verkürzung der Ell¬ 
bogen gebeugt wird. Wenn keine Gurten zur Verfügung stehen, wird 
der Ring am Rückenteil des Hosenträgers oder der Weste angenäht. 

Zur Streckung des Ellbogens verwende ich den in 

Fig. 9 abgebildeten Apparat. Derselbe besteht aus einer ver¬ 
stellbaren Krücke aus Eisen, die zwischen Achsel und Hand ein¬ 
gespannt wird. Das Doppelgewinde a erhält man in jeder Eisen¬ 
handlung unter der Bezeichnung Spanngewinde oder Schlauderschloss 
vorrätig, die 2 Ansätze b und c lässt man anschmieden. Das Hand-., 
g'elerik wird durch eine Gamasche d gefasst. Ein Hauptvorteil dieses 
Apparates ist neben den geringen Kosten die feine Dosierbarkeit der 
Streckung. 

Fig. 10 zeigt den sehr wichtigen Apparat zur Erzielung der 
Supination des Vorderarmes 

Derselbe besteht aus einer Drahtspirale, welche den Vorderarm 
im Sinne der Supination umgibt und dessen eines Ende durch ein zirku¬ 
läres Band am Oberarm, das andere durch eiu solches am Handteller 
angreift. 

Eine Bewegungsbehinderung, die an Häufigkeit nicht viel hinter 
dem Spitzfuss zurückstehen dürfte, ist die Elevationsbehinderung des 
Schultergelenkes. Zur Bekämpfung dieses Leidens wende ich den in 

Fig. 11 dargestellten Apparat an. Derselbe besteht aus einer 
Halbschiene aus Blech a, auf der Vorder- und Oberarm in recht- oder 
besser spitzwinkeliger Beugung des Ellbogens ruht. Am Handende 
dieser Halbschiene ist beweglich ein ca. 1 m langes kräftiges Stück 
Draht b angebracht, an dessen unterem Ende sich ein Ring zum 
Durchführen des Zugriemens c befindet. Der Zugriemen hängt an 
einem Ring, der am Gürtel der Hose festgenäht ist. Durch Anziehen 
des Riemens c hebt sich die Stange b und der Oberarm wird zu¬ 
gleich eleviert und um seine Längsachse nach aussen rotiert. Um 
ein seitliches Ab weichen des unteren Endes der Hebestange zu ver¬ 
hüten, ist es empfehlenswert, dieses Ende durch ein zirkuläres Band 
am Oberschenkel zu fixieren. 

Fig. 12 zeigt einen Apparat zur Aussenrotation des Oberarmes. 
Vorder- und Oberarm werden wieder wie bei dem eben beschrie¬ 
benen Apparat, doch diesmal an der Dorsalseite durch eine Blechhalb¬ 
schiene gefasst. Das starke Bandeisen der Vorderarmschiene ist 
verlängert, so dass es quer über den Rücken führt. Bei Annähe¬ 
rung des freien Endes a an den Körper findet energische Aussen¬ 
rotation des Oberarmes statt. Der Zug an dem freien Ende a kann 
geschehen von dem schon in Fig. 8 beschriebenen Halftersystem a 
oder von einem Knopf des Hosenbundes aus. 

Zum Schluss möchte ich noch die Technik eines Behelfs- 
Schienenhülsenapparates beschreiben, wie ich ihn schon vor dem 
Kriege in der Armenpraxis vielfach anwandte, dem aber jetzt in der 
Zeit der Materialknappheit eine erhöhte Bedeutung zukommt. 

Die Schienen sind ähnlich wie bei den anderen Schienenhülsen¬ 
apparaten am Hüft- und Knöchelgelenk in der Länge verstellbar. Als 
Tuberbügel benütze ich auf der gesunden Seite eine Schlinge aus star¬ 
kem StrahWraht (a, Fig. 13), die gut mit Eisenlack und Filz überzogen 

ist. Diese Metallteile wer¬ 
den mittels Wasserglas¬ 
binden am Körper ange¬ 
legt. Soweit deckt sich 
die Technik mit der sonst 
wohl auch üblichen. Die 
Hülsen, die ich auf die¬ 
sem Wege erhielt, haben 
aber meinen Erwartungen 
nicht entsprochen, wes¬ 
halb ich jetzt wie folgt 
vorgehe: 

Ich lege am ersten 
Tage über einer Trikot¬ 
unterlage an Fuss, Unter- 
und Oberschenkel mit 
Freilassung der Gelenke 
einen Stärkebindenver¬ 
band an und erst am 
zweiten Tage werden 
dann die gut angepassten 
Schienen mit Wasserglas¬ 
binden angelegt. Auf 
diese Weise verhindere 
ich das lästige Ankleben 
des Wasserglases an der 
Haut. Das Becken muss 
erst mit einer zirkulären 
Trikotbinde ganz knapp 
gefatscht werden, dar¬ 
über kommen dann die 
Stärke- und Wasserglas¬ 
binden, da ohneFatschung 
der Beckengürtel rutscht. 

Diese Art von Verbänden eignet sich namentlich für Entlastungs¬ 
apparate nach operativen Eingriffen, um Rezidive zu vermeiden, so 
nach korrigierter Coxa vara, ohne 'Beckenkorb zur Nachbehandlung 

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des korrigierten Genu valgum und varum, ohne Obcrschenkelteil zur 
Nachbehandlung des korrigierten fixierten Plattfusses. 

Ausserdem haben diese Verbände ein weites Feld in all den 
Fällen, wo man die Wirkung eines Schienenhülsenapparates vor An¬ 
schaffung eines endgültigen ausprobieren will. 

Dadurch, dass die Verbände direkt am Körper angelegt werden, 
erfordert ihre Anfertigung viel weniger Arbeit als die abnehmbaren 
Appafate, man ist Unabhängig vom Bandagisten, ein Nichtpassen ist 
ausgeschlossen, die Kosten sind gering, da die Schienen immer wieder 
verwendet werden können. Die Lebensdauer der Verbände ist ge¬ 
rade für die Uebergangszeit vollständig genügend. 

Zweifellos Hesse sich durch ausgedehntere Anwendung solcher 
Verbände in den hiefür in Betracht kommenden Fällen eine grosse 
Zahl der teueren Leder-Schienenhiilsenapparate sparen. 

In Fig. 14 möchte ich noch eine Vorrichtung zeigen, wie ich sie 
anwende, um die sich zurückziehenden Weichteile bei Oberschenkel¬ 
amputationen zu extendieren. Die gewöhnliche Methode, wobei die 
Heftpflasterstreifen a einfach über dem Stumpf geknüpft werden, 
kann keine befriedigenden Resultate geben, da es nötig ist, dass der 
Angriffspunkt für die Kraft, die die Weichteile über den Knochenstumpf 
hinwegziehen soll, nicht auf dem Stumpf, sondern vor dem Stumpf 
liegt. Dies wird erreicht durch einen einfachen Drahtkorb, der über 
den Stumpf gestülpt wird und am Perineum festsitzt. Durch An¬ 
ziehung der Zügel und Knüpfung am Korbdeckel wird eine einwand¬ 
freie Extension der Weichteile erzielt. 


Besenstielkompression der Bauchaorta. 

Von Dr. Stahnke, Oberarzt d. I£. 

Die folgende kleine Abhandlung will nicht etwas neues bringen, 
sondern an ein Verfahren erinnern, das gerade in der Kriegs-Chirurgie 
ein einfaches und dabei sehr zweckmässiges Mittel zur Bauchaorten¬ 
kompression darstellt. Die Anregung zu dieser Veröffentlichung ent¬ 
nehme ich der Tatsache, dass die Besenstielkompression vielen nicht 
bekannt sein dürfte, oder doch zum mindesten keinen allgemeinen 
Platz in der Chirurgie gefunden hat. 1 Ist doch ihrer in den neuesten 
Werken keine Erwähnung getan, wie in der Kriegs-Chirurgie Bor- 
chard-Schmieden, im Leitfaden der praktischen Kriegs-Chirurgie 
v. Oettingen, noch in chirurgischen Operationslehren Schmieden, 
Zuckerkandl und dem umfangreichen Werk Bier, Braun und 
Kümmell. [Die vollständige einschlägige Literatur steht mir im Felde 
natürlich nicht zur Verfügung*)]. 

Die Anwendung ist, wie gesagt, eine sehr einfache. Ein fester, 
elastischer Besenstiel wird in seiner Mitte mit Zellstoff fingerdick 
umwickelt, welcher seinerseits durch einige Bindentouren fixiert 
wird; das Umwicklungsmaterial kann steril angelegt werden. Der 
Kranke ist auf den Operationstisch gelagert, mit einem flachen, 
weichen Kissen unter der Lendenwirbelsäule. Nun wird der Besen¬ 
stiel quer über .den entblössten Unterleib gelegt oberhalb des Nabels. 
Man fordert den Patienten auf, langsam und tief zu atmen und lässt 
den Besenstiel langsam von 2 Operationswärtern nach abwärts 
drücken, bis der Femoralispuls nicht mehr fühlbar ist. In dieser 
Tiefe muss dann der Stiel gehalten werden. Erfordert die jetzt 
folgende Operation längere Dauer, so muss darauf geachtet werden, 
dass die haltenden Wärter nicht ermüden, weil sie sonst mit ihrem 
Körpergewicht aufliegen, anstatt nur mit der Armkraft zu drücken. 
Eine Abwechselung der beteiligten Personen lässt sich dann leicht 
bewerkstelligen, ohne dass die Kompression unterbrochen wird. Man 
ist erstaunt, wie wenig Kraft zur Kompression notwendig ist und wie 
wenig unangenehm sie für den Patienten ist Es erhellt hieraus, 
dass die Kompression in keiner Weise eine Behinderung für die 
Narkose ist, oder gar deren Unmöglichkeit mit sich bringt. Die 
Unterbrechung des Blutstromes war bei jedesmaliger Anwendung 
vollkommen. Irgendwelche jschädliche Einflüsse auf die Baucheinge¬ 
weide konnten nie festgestellt werden. Bei Beendigung der Kom¬ 
pression muss der Stiel unter ganz langsam nachlassendem Druck 
abgehoben werden. 

Tritt schon aus dem Gesagten die einfache Anwendung und ihre 
Zweckmässigkeit klar hervor, so gewinnt die Methode noch sehr im 
Vergleich mit anderen. Die manuelle Kompression ist wohl für 
längere Zeit überhaupt nicht anwendbar, denn einerseits kann ein 
gleichmässiger Druck von einem nicht für längere Zeit ausgeführt 
werden, ein Abwechseln andererseits ist nicht wohl angängig, ohne 
dass.die Kompression unterbrochen wird. Es bliebe die Momburgsche 
Blutleere. Diese kann richtig nur von einem Arzt ausgeführt werden, 
der mit der Methode vertraut ist, weil sonst eine zu schwache Um¬ 
schnürung nur Stauung hervorruft, ein zu starkes Anziehen des 
Schlauches schwere Schädigung der Intestina nach sich zieht. Durch 
die um den ganzen Körper gehende Schnürung, die mit ziemlicher 
Gewalt ausgeführt werden muss, soll sie ihren Zweck erfüllen, ist 
dem Bauchinhalt lange nicht der Spielraum zum Ausweichen gegeben, 
wie bei der Stielkompression, welche ganz langsam in die Tiefe wirkt. 
Zur Anlegung des Momburgschen Schlauches muss der Patient 
hochgehoben werden und erfährt beim Anlegen reichliche Erschütte¬ 
rung. Die Stielkompression kann am ruhig liegenden Patienten im 
Krankenbett ausgeführt werden, auch ohne Arzt. Eine Belehrung 

*) In der M.m.W. war das Verfahren beschrieben und abgebildet 
in der Arbeit von H. Hans: Zur Aneurysmanaht grösserer Arterien. 
1916 Nr. 40 S. 1436. Schrftl. 

Ürigiralfröm 

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1406 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 52. 


und mehrmalige Uebungen des Personals werden diesem leicht die 
Anwendungsweise geläufig machen. Ein grosser Vorteil der Besen¬ 
stielkompression besteht noch darin, dass sie in jedem vom Operateur 
gewünschten Augenblick nachgelassen werden kann. Wie angenehm 
gerade diese Seite des Verfahrens bei Aneurysmaoperationen ist, 
braucht nicht hervorgehoben zu werden. Bei Operationen an der 
Iliaca wölbt sich ausserdem das Bauchfell sehr schön vor (lässt sich 
aber leicht zurückdrängen), welches zur Umgehung einer unbeab¬ 
sichtigten Eröffnung des Peritoneums von Vorteil ist. Es kann auch 
im Peritonealraum bis zur Kompressionsstelle vorgegangen werden, 
da ja der Stil mit sterilem Material umwickelt war, also die Asepsis 
in keiner Weise gefährdet ist. War von vornherein ein intraperi¬ 
toneales Eingehen beabsichtigt, so kann der Stiel selbst noch mit 
Jodtinktur bestrichen werden, um das Gewissen des Operateurs in 
jeder Weise zu beruhigen. Der einzige Nachteil der Stielkompression 
liegt darin, dass der Patient nicht gedreht werden kann, doch genügt 
bei den an der unteren Extremität in Frage kommenden Operationen 
eine Beugung im Hüft- und Kniegelenk vollkommen, um genügend 
freies Operationsfeld zu haben. 

Ich hoffe, dass diese Ausführungen dem Besenstielkompressions¬ 
verfahren neue Freunde erwerben mögen, namentlich dort, wo die 
einfachste Methode die beste ist. Ein geeigneter Stiel findet sich 
überall und seine Anwendung erfordert keinerlei besondere Vor¬ 
übung. 


Von der I. Revisionsgruppe für Feldröntgenanlagen. 

Einfaches Durchleuchtungsgerät als Zusatz zur 
Röntgeneinrichtung. 

Von Prof. Holzknecht, Ingenieur Robert Mayer und 
Mechaniker Wegricht. 

Nicht nur aus Gründen der Plattenersparnis, sondern auch wegen 
der cxpeditiven Erledigung wird mit Recht überall zur a u s g i e b i - 


Nun waren die in neuerer Zeit aufgetauchten Durchleuch¬ 
tungsgeräte kompliziert und sind zuletzt noch komplizierter und 
I teurer geworden (2—6000 Kronen). Aus diesem Grunde haben Ldst.- 
I Ing. Robert Mayer und ich, als wir bei Gelegenheit der Revision der 
j Feldröntgenanlagen eine Reihe von Improvisationen von Felddurch¬ 
leuchtungsgeräten, welche sich ältere und erfahrene Röntgenologen 
im Felde angefertigt haben, vorfanden, uns für den Gegenstand inter¬ 
essiert. 

Die besten und einfachsten Motive, welche übrigens schon in der 
in- und ausländischen Literatur angedeutet waren, haben wir dem in 
der Herstellung von Durchleuchtungsgeräten erfahrenen Mechaniker 
Carl Wegricht 1 ) zur Verwendung überlassen. 

Derselbe hat sie zu einer einfachen und billigen (ca. 800 K) 
Konstruktion verwertet, welche hier in Bildern (Fig. 1—3c) dargestellt 
ist. Es lassen sich damit Durchleuchtungen im Liegen, Sitzen 
und Stehen rasch und bequem durchführen. Für Durchleuchtung 
im Liegen wird das Röhrenkä^tchen aus seinem Schienenlager 
herausgezogen und auf seine 4 mit Rollen versehenen Füsse 
unter den Aufnahmetisch auf den Fussboden gestellt und 
i an Handgriffen dirigiert. In einer Minute zusammengeklappt, 

ist das Gerät in einer einzigen Kiste von 102 Kilogramm 
Gesamtgewicht wie eine Tragbahre transportabel 2 ), es ist in alle 
Teile leicht zerlegbar und dadurch für jeden Schlosser reparabel, die 
Teile auswechselbar und die Rohteile, wenn Ersatz notwendig sein 
sollte, leicht zu beschaffen, weil fast überall im Handel erhältlich. 
Es ist mit Schiebeblende versehen, ohne Blei und andere Sparmetalle 
hergestellt. Im stabilen Röntgenzimmer ist es in gleicher Weise ver¬ 
wendbar. 

Das Kippen mancher bisherigen Durdileuchtungsgeräte, wel¬ 
ches nötig w ar, so oft man nach einer Aufnahme oder Durchleuchtung 
im Liegen eine Durchleuchtung in aufrechter Körperstellung oder 
umgekehrt vornehmen wollte, erübrigt sich dabei; Der für die Durch¬ 
leuchtung im Liegen nötige Lagerungstisch ist als Aufnahmetisch 
überall vorhanden, konnte also w'eggelassen werden. Es repräsen¬ 
tiert sich daher dieses Gerät als „Zusatzgerät für Durch- 



Fig. 1. Fig. 2. Flg. 3. Fig. 3*. Fig. 3b. Fig. 3c. 


Fig. 1: Feldleuchtungsgerit in der Transportkiste. 

Fig. 2: Dasselbe, Kistendach und Wände in einem Stück abgehoben (als Tischchen verwendbar), links von vorn, rechts von der Seite gesehen. 

Fig. 3: Dasselbe, während des Aufklappens. 

Fig. 3a und b: Dasselbe, für Durchleuchtung im Stehen ohne und mit Erhöhung des Patienten durch den Fussschemel und für die Durchleuchtung im Sitzen. 
Fig. 3c: Dasselbe, von hinten gesehen. 


ge n Verwendung der Durchleuchtung gemahnt. Tat- I 
sächlich vermögen wir einen grossen Teil unserer röntgenologischen ! 
Agenden mittels der Durchleuchtung zu erledigen. Insbesondere kann j 
die Lokalisation von reichlich Vk der Fremdkörper mittels der Durch- | 
leuchtung geschehen. Mit ihren fünf Grundverfahren, 

1. der Absuchung mit weit offener Blende, 

2. der Konstatierung mit enger Blende und der Bestimmung der 
das Geschoss enthaltenden Querschnittscheibe, 

3. der orthodiagraphischen Fixierung der senkrechten und näch- < 
sten Hautpunkte mit enger Blende, 

4. der Rotationsdurchleuchtung auf den kleinsten Hautabstand, 

5. der neuen Blendenrändermethode zur Tiefenbestimmung tief¬ 
liegender Extremitäten- und Rumpfprojektile, 

stehen uns für alle Eventualitäten geeignete Methoden zur Verfügung. 

So sehr wir daher den Mahnungen, die Durchleuchtung zu bevor¬ 
zugen, zustimmend gegenüberstehen, so notwendig ist es, zu betonen, 
dass die Röntgeneinrichtungen wegen der relativen 
Jugend der Durchleuchtungstechnik häufig keine Durchleuchtungs¬ 
geräte besitzen. Das übliche Lambertstativ ist ein Aufnahmegerät 
und zur Durchleuchtung nur scheinbar verwendbar. Man kann damit , 
wohl irgendein Durchleuchtungsbild herstellen, aber die obengenann- j 
ten Methoden kann man nicht ausführen. Für die zweite, dritte und 
vierte fehlt die kleine Blende, für die fünfte die spaltförmige und für 
alle die freie und leichte Verschieblichkeit des Röhrenkästchens wäh¬ 
rend der Durchleuchtung und ohne Unterbrechung derselben. In der 
Forderung reichlicher Verwendung der Durch¬ 
leuchtung und dem Fehlen von Durchleuchtungs¬ 
geräten liegt also ein unleugbarer Widerspruch. 


leuchtung“ zu den bestehenden Röntgenanlagen und macht 
kein vorhandenes Gerät überflüssig. 


Stumpfgymnastik. 

Ein Beitrag zur medico-mechanischen Behandlung 
Armamputierter. 

Von Leutnant d. Res. Oh ly in Charlottenburg. 

Der Bandagistenarm (Schmuckarm) mit Schulterkappe aus 
Leder und die Brust einschnürender Bandage ist vom will¬ 
kürlich beweglichen Kunstarm aus dem Felde gedrängt und 
überholt worden. Der Schmuckarm sollte nur noch in Aus¬ 
nahmefällen getragen werden, da sich die Schädlichkeit desselben 
für Schulter, Brust und Stumpf erwiesen hat. Der Stumpf wird durch 
den Schmuckarm zur Untätigkeit verdammt, die Schulter- und 
Stumpfmuskeln verkümmern, und der vielleicht noch einigermassen 
bewegliche Stumpf versteift im Gelenk. Ein so versteifter Stumpi 
macht sich später beim Ueben mit einem willkürlich beweglichen 
Kunstarm (Sauerbruch, Carnes, Germania, Lange), der die Schulter 
in den meisten Fällen frei-, und dessen Bandage die Brust sich voll 
ausdehnen lässt, sehr unangenehm bemerkbar. 

Volle Beweglichkeit des Oberarmstumpfes im Schultergelenk 
muss daher die höchste Forderung und das erste Ziel des Amputier¬ 
ten nach erfolgter Heilung des Stumpfes werden. 

‘) Wien VII, Kaiserstr. 100. 

a ) Es wird auch in nichtklappbarer Ausführung hergestellt. 


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24. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1467 


Zur Unterstützung der mediko-mechanischen Stumpfbehandlung 
schlage ich ein durch mich erprobtes Verfahren vor, das in Form 
turnerischer Freiübungen mit der Sandow-Griffhantel aus¬ 
geübt wird. 

Nach beigefügten Bildern werden Freiübungen zusammen- 
gestellt: Armbeugen, -strecken, -schwingen und -kreiseln mit Wende- 
und Ausfallbewegungen und mit dabei fest zusammengedrückter 
Sandow-Hantel. Die Anzahl der Federn steigt wöchentlich bei täg¬ 
lichen Uebungen. Der Stumpf hat sämtliche Bewegungen des Armes 
mitzumachen. Durch das Zusammendrücken der Hantel und ener- 1 
gische Körperhaltung werden alle Muskeln des Körpers gleichmässig 
angestrengt, also auch die Stumpf- und Schultermuskeln. 



Ich habe durch regelmässige Uebungen in der oben angegebenen 
Weise an mir selbst ganz hervorragende Erfolge erzielt, so dass 
mein Stumpf heute eine nahezu ideale Beweglichkeit und Wider¬ 
standskraft besitzt. 


Behandlung der hohen Oberschenkelschussfrakturen mit 
direkter Extension des zentralen Fragments (Trochanter¬ 
nagel) in der Gipsbrückenlage. 

Bemerkung zu der Mitteilung von Dr. Plagemann in Nr. 47 
dieser Wochenschrift. 

Von Fr. Steinmann, Bern. 

Die von Plagemann beschriebene direkte Nagelextension am 
proximalen Fragment und speziell der Zug am Trochanternagel ist 
nicht neu, sondern von mir in meiner Monographie „Die Nagelexten¬ 
sion der Knochenbriiche“ (I. Band der Neuen Deutschen Chirurgie, 
F. Enke, Stuttgart 1912) auf S. 66 unter der Ueberschrift „Einseitiger 
Nagel (Hebelzug)“ ausführlich beschrieben. 

Der Trochanternagel ist also nur eine spezielle Anwendung des 
einseitigen Hebelzuges am kurzen proximalen Fragment. 

Es sind übrigens in den letzten Jahren und gerade während des 
Krieges viele Modifikationen der Nagelextension in Unkenntnis meiner 
Publikationen und derjenigen anderer über den Nagelzug stets wieder 
neu erfunden worden. Ich erinnere nur an die von mir bei Ein¬ 
führung der Methode ventilierte und als ungenügend erkannte, dann 
von T u f f i e r vor vielen Jahren konstruierte und wieder auf- 


Aus der chirurgischen Klinik in Amsterdam. 

Temporäre Funktionsausschaltung durch Gefrierung. 

Von Prof. Lanz, Amsterdam. 

In der mir heute zugehenden Nummer der M.m.W. Nr. 49 macht 
Trendelenburg eine Methode bekannt, durch Gefrierung vor¬ 
übergehend die Nervenleitung auszuschalten und Perthes berichtet 
anschliessend über seine mit zeitlicher Gefrierung des Nerven er¬ 
reichten Resultate bei Schussneuritis. 

Ich darf an der gleichen Stelle darauf aufmerksam machen, dass 
ich über vorübergehende Organausschaltung durch Gefrierung mit 
dem Chloräthylspray im Zbl. f. Chir. 1915 Nr. 8 
eine kurze Mitteilung veröffentlicht habe und aus 
derselben hier einige diesbezügliche Stellen anführen. 

In einer Reihe von Versuchen am Hunde habe 
ich sukzessive die verschiedensten Organe und Ge¬ 
webe jeweilen so lange — 2 bis 5 Minuten — ein¬ 
mal und wiederholt „so intensiv der Gefrierung aus¬ 
gesetzt, dass das ganze Organ ein Eisklumpen ge¬ 
worden zu sein schien, bei der Palpation und mit 
einem Metallinstrument beklopft, Konsistenz und 
Klang eines Steines aufwies“. 

Im Hinblick auf die bei diesen Versuchen sich 
ergebende auffällige Toleranz der Gewebe gegen die 
Gefrierung habe ich in demselben Aufsatze auch 
gleich die Frage nach der allfälligen praktischen 
Bedeutung der Methode zeitlicher Ausschaltung durch 
Gefrierung gestellt: „Eine durchschnittene Arterie 
spritzt unter dem Chloräthylspray ruhig weiter, bis 
sich aus dem ergossenen Blut ein Eisklumpen ge¬ 
bildet hat; sobald dieser auftaut, spritzt die Arterie 
wieder. Bei grösseren durchschnittenen Venen ist 
der Effekt der Gefrierung nicht viel günstiger. 
Die parenchymatöse Blutung aus der durchschnittenen Milz stand 
nach 2 maliger intensiver Gefrierung der Schnittfläche; diejenige aus 
der Leber erst, nachdem an die grösseren Lebergefässe Arterien¬ 
klemmen gelegt waren.“ 

„Vielleicht Hesse sich durch die Gefriermethode die Funktion 
eines Organs zeitlich ausschalten oder auf die Dauer verändern 
— „umstimmen“ —, was z. B. für das Studium der endokrinen Drü¬ 
sen und therapeutisch für die Schilddrüse bei Morbus Base- 
dowii oder das Ovarium (Myoma uteri als Ausdruck einer Dys- 
ovarie) in Betracht käme.“ 

An eine solche Umstimmung dachte ich auch für die Behandlung 
von Neuralgien. „So habe ich 2 Fälle von Neuralgie des schuss¬ 
verletzten N. ulnaris gesehen, die durch Eintauchen der Hände in 
Eiswasser am meisten Linderung fanden. Allerdings möchte ich es 
vorläufig nicht wagen, die Empfindlichkeit der Hirnrinde etwa 
bei Rindenepilepsie durch »Gefrieren* derselben hcrabzusetzen oder 
eine Ischias mit Gefrierung des N. ischiadicus zu behandeln.“ 

Das hier gesperrt betonte „vorläufig“ bezieht sich auf einen 
meinem Assistenten Dr. E. H. van L i e r gegebenen Auftrag ge¬ 
nauerer histologischer Untersuchung ev. bleibender Nerven- 
degeneration, wobei dann natürlich der „Vereisung“ kein 
Vorteil gegenüber der Alkoholinjektion Schioes sers zukäme. 

T r e nd e 1 e n b u r g und Perthes haben diesen Versuch ge¬ 
wagt und dem letzteren war der glückliche Erfolg beschieden, mit 
der zeitlichen Gefrierung des Nerven schwere Schmerzzustände bei 
Schussneuritis dauernd zu beseitigen. 


Zur Aetherbehandlung der Peritonitis. 


gegebene Zangenextension, die übrigens nach einer Publikation von 
Graser im Jahre 1910 schon von Heineke zum einmaligen Zug 
am Kalkaneus bei Anlegung des Gipsverbandes bei Unterschenkel- 
fraktur gebraucht wurde. Diese Zangenextension ist später von 
Schön mann, Schwarz, Reh u. a., offenbar in Unkenntnis der j 
Heineke sehen und T u f f i e r sehen Zange, von neuem publiziert 
worden. 

Gegenüber diesen vielen Neuerfindungen schreibt G e r s t e r - 
NewYork: „Ich rate deshalb jedem zukünftigen Erfinder, den Anfang 
von Steinmanns Monographie zu durchgehen, nicht nur um die 
verschiedenen schon besprochenen Modifikationen kennen zu lernen, 
sondern auch die Nachteile dieser in Frage stehenden Erfindungen.“ 

Ich kann mich dieser Aeusserung nur anschliessen. Die Nagel¬ 
extension wird viel zu oft von Leuten praktiziert, welche dieselbe gar 
nicht oder zu wenig kennen und dadurch Fehler begehen, die dann 
anstatt der mangelhaften Ausführung der Methode zur Last gelegt 
werden. 

Ich rate denjenigen, welche die Nagelextension mit möglichst 
grossem Nutzen anwenden wollen, nicht nur die Technik derselben 
gründlich zu studieren, sondern auch deren Indikationen und Lei¬ 
stungsfähigkeit und alle die Vorteile, welche aus ihr gezogen werden 
können, speziell auch im Hinblick auf eine wirklich funktionelle Be¬ 
handlung der Frakturen. 


Von Dr. Seubert, Facharzt für Chirurgie in Mannheim. 

In Nr. 49 der M.m.W. vom 3. Dezember 1918 empfiehlt Stabsarzt 
Dr. Wolfsohn angelegentlich die Verwendung des Aethers bei 
Peritonitis in Form von Eingiessen desselben in die Bauchhöhle. 
Kollege W. betont dabei mit Recht eine Reihe ganz frappierender Er¬ 
scheinungen im Befinden des Kranken nach der Anwendung, denn 
auch ich habe in dieser Hinsicht die gleichen Erfahrungen gemacht, 
ebenso noch einige meiner hiesigen Fachkollegen nach deren Berichte 
auf einem militärärztlichen Abend. Im Verlaufe seiner Ausführungen 
kommt Kollege W. dann auch auf die Bedenken gegen diese 
Behandlungsweise zu sprechen, von denen mir Punkt 1 
und 2 nicht so wichtig zu sein scheinen als Punkt 3: 
Macht der Aether Adhäsionen? Diese Frage zwingt 
mich zur folgenden Mitteilung: Während ich nach einer 
relativ grossen Zahl von Peritonitiden schwerer und schwerster 
Art in den letzten Jahren nur vereinzelte Fälle von Ileus durch Ad¬ 
häsionen nach erfolgter Ausheilung sah. habe ich im Jahre 1918 
vier Fälle von Adhäsionsileus nach Apnendizitisperitonitis zu ope¬ 
rieren Gelegenheit gehabt, die alle mit Eingiessen von Aether be¬ 
handelt worden waren. Es kann mir hier eingewandt werden, dass 
es sich um eine zufällige Häufung handelt, die mit dem Aether nichts 
zu tun hat. Demgegenüber möchte ich darauf hinweisen, dass mir die 
A r t der Adhäsionen zu denken gab. Während man im allgemeinen 
bei Peritonitisileus breite, flächenhafte Verwachsungen mit schweren 
Darmknickungen und Verbackung der Darmschlingen untereinander 


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\m 


MUBNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 52. 


sieht, fanden sich in allen 4 Fällen nur strangförmige mehr oder 
minder starke Gebilde, die zur Abschnürung der Schlingen und mm 
Umschlagen um diese Stränge geführt hatten und die einen mehr 
sozusagen akut entzündlichen Charakter zeigten. Ich habe das be¬ 
stimmte Gefühl, als trage an diesen Verwachsungen die Reizung durch 
den Aether die Schuld, und ich halte es von grösster Wichtigkeit, wenn 
recht viele Fachkollegen ihre diesbezüglichen Erfahrungen mitteilen 
würden. Seitdem ich die eben geschilderten Befunde bei der Opera¬ 
tion sah, kann ich mich einstweilen zu einer weiteren Aetherbehand- 
lung nicht entschlossen; vielleicht gäbe das Tierexperiment gute 
Aufschlüsse, ob der Aether schädlich ist oder nicht. 


BOcheranzeigen und Referate. 

Aake Aakelund: Entwlcklungsrelhen ln RöntgenbMdern von 
Hand, Fass und Ellenbogen Im Mädchen- und Knabenalter. (Ergän¬ 
zungsband 33 der Fortschr. d. Röntgenstr.) 28 Tafeln. 40 Seiten 
Text. Hamburg 1918. Verlag Gräfe & Sille m. Preis 20 M. 

Arbeit aus dem Seraphimerlazarett in Stockholm, Vorstand 
Prof. Gösta Forssell; sie soll eine Grundlage schaffen, die es 
erlaubt, in zuverlässigerer Weise als bisher den Grad der Rück¬ 
ständigkeit und den therapeutischen Effekt bei den täglich zahl¬ 
reicheren Fällen von Entwicklungsstörungen, die zur Röntgenunter¬ 
suchung kommen, zu beurteilen. So sollen eine Anzahl Normalbilder 
aufgestellt werden, die rasch und sicher mit einem bestimmten Fall 
verglichen werden können. Für jede Jahresklasse vom 8. bis 9. bis 
zum 14. bis 15. Jahre wurden je 4 Knaben und 4 Mädchen aus¬ 
gewählt, typisch germanischen Aussehens mit rein schwedisch klin¬ 
genden Namen. Röntgenographiert wurden immer rechte Hand 
nebst dazugehörigem distalen Unterarmende, rechter Fuss mit Unter¬ 
schenkelende und rechter Ellenbogen. 

Alban Köhler- Wiesbaden. 

Geh. San.-Rat Dr. Hugo Bach: Anleitung und Indikation für 
Bestrahlungen mit der Quarzlampe „künstliche Höhensonne**. 4. er¬ 
gänzte Auflage. Würzburg und Leipzig, 1918.' 7 Mark. 

Die neueste Auflage des grundlegenden Handbuches für Höhen¬ 
sonnenbestrahlung ist durch Berücksichtigung der neuen Literatur 
auf die Höhe der Zeit gebracht worden; umfasst doch das Literatur¬ 
verzeichnis jetzt 529 Nummern. Der mit solcher Lampe arbeitende 
Arzt kann das Buch nicht entbehren. 

Liebe- Waldhof-Elgershausen. 

Dr. Fr. Sieb er t; Der völkische Gehalt der Rassenhygiene. 
München 1917. 3 Mark. 

In diesen Tagen „völkische“ Literatur zu lesen und zu be¬ 
sprechen, stimmt wehmütig. Es „ist unsere Aufgabe, dem völkischen 
Wesen, das bisher in Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit im 
Unbewussten der Volksseele lagerte und wirkte, die Schwungkraft 
des Gedankens des bewussten Hochzieles zu geben. Wir müssen das 
Völkische nicht nur empfinden und fühlen, sondern denken und wollen." 
Augenblicklich treten alle solche Gedanken und Willensrichtungen 
hinter die Wucht gegenteiliger Tatsachen zurück. Unter die Schriften 
aber, die wir uns für künftiges Wirken, wenn wir uns, nach Ab¬ 
klingen der äusseren und inneren Stürme, wieder auf uns selbst be¬ 
sinnen dürfen, vormerken, gehört das vorliegende Heftchen, in 
dem die ganze Frage umfassend und klar behandelt wird. Es bildet 
Heft 3 einer „Bücherei deutscher Erneuerung“, der der bekannte 
Verlag von J. F. Lehmann eine Heimstätte wurde. 

Liebe- Waldhof-Elgershausen. 

Neueste Journalliteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medizin. 128. Band, 1. Heft. 

E. Becher; Ueber den Rest-N-Gehalt der Organe und Gewebe 
bei normalen und nephrektomierten Hunden, zugleich ein Beitrag 
über das Zustandekommen der Rest-N-Anhäufung Im Körper bei 
völliger Anurie. (Aus der med. Klinik in Giessen.) 

Bei nephrektomierten Hunden findet sich im Blut und den wich¬ 
tigsten Organen eine Anhäufung von Rest-N, am stärksten im Blute 
selbst, dann folgen Milz, Leber, Muskulatur und die anderen Gewebe. 
Unter normalen Verhältnissen enthalten die Gewebe wesentlich mehr 
nicht koagulablen Stickstoff als das Blut. Durch Umrechnung auf das 
Gewicht der einzelnen Organe stellt sich heraus, dass nach der 
Nephrektomie bei weitem der meiste Rest-N in der Muskulatur ab¬ 
gelagert wird, dann folgen Blut, Leber. Darm, Herz und die anderen 
Organe. Der gesamte nach Nephrektomie im Blut und den Organen 
angehäufte Rest-N ergibt eine grössere Menge, als von einem gleich 
schweren, nicht nephrektomierten Hund an dem entsprechenden 
Hungertage ausgeschieden wird, was nur durch vermehrten Eiweiss¬ 
zerfall bei völliger Anurie zu erklären ist. 

E. Becher: Ueber den Gehalt der Blasengalle an Reststick¬ 
stoff und Harnstoff hei nephrektomierten Hunden. (Aus der med. 
Klinik in Giessen.) 

Bei der Urämie findet eine vikariierende Sekretion durch die 
Sekrete des Magendarmkanals statt, im Erbrochenen finden sich 
grosse Kochsalzmengen; doch liess sich im Speichel nephrektomierter 

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Hunde kein grösserer Gehalt an abiuretem Stickstoff nachweisen, als 
der prozentualen Rest-N-Menge des Blutes entspricht, ein Zeichen, 
dass von einer wirklich vikariierenden Sekretion keine Rede sein 
kann. Auch bei der Galle kann man ebensowenig wie beim Speichel 
von einer wirklich vikariierenden Sekretion sprechen. Der durch die 
Galle vikariierend ausgeschiedene Rest-N und Bromlaugen-N ist 
relatiy gering. 

P. v. Monakow und Fr. Mayer: Ueber den Einfluss der Er¬ 
schwerung des Harnabflusses auf die Nierenfunktion. (Aus der 
II. med. Klinik der Universität München.) [Mit 5 Kurven.] 

Bei Abflussbehinderung des Urins beider Nieren durch Narben- 
stenosen der Urethra, Prostatahypertrophie, Tumoren mit Ureteren- 
kompression etc. besteht Restharn, lebhafer Widerwille gegen Fleisch, 
Erhöhung des Blutdrucks, die relativ früh “eintritt; später tritt eine 
Eintrocknung des Körpers in den Vordergrund, die Haut wird trocken 
und faltig, die Zunge borkig belegt bei Foetor ex ore; dazu kommt 
Mattigkeit, Schlaflosigkeit, Appetitmangel, schliesslich Oedeme, zu¬ 
letzt Exitus unter urämieähnlichen Erscheinungen. Die Abgrenzung 
dieses Krankheitsbildes, zumal wenn quälender Durst mit Polydipsie 
und Polyurie eintritt, von Diabetes insipidus ist praktisch wichtig, 
da die relative Harmlosigkeit z. B. bei Prostatahypertrophie im 
Gegensatz zur Schwere des Krankheitsbildes steht. Die Nierenfunk¬ 
tion erweist sich dabei deutlich geschädigt, insbesondere hinsichtlich 
der festen Stoffe, vor allem der N-haltigen, während die Wasseraus- 
scheidung zunächst sogar gesteigert ist. Wird die Erschwerung des 
Harnabflusses durch Dauerkatheter beseitigt, so kommt es zur 
Ausschwemmung der retinierten Stoffe und die Nierenfunktion wird 
wieder normal; gleichzeitg sinkt der Blutdruck auf normale Werte. 
Wenn bereits Oedeme vorhanden sind, kann die Harnflüt aber zu 
schwersten Störungen mit Exitus führen; jedenfalls ist der Kathe¬ 
terismus zur Zeit der Oligurie gefährlich. 

F. K1 e w i t z: Ueber eine Methode zur Bestimmung des Schlag¬ 
volums bei Intaktem Kreislauf. (Aus der mediz. Universitätsklinik 
Königsberg.) [Mit 2 Kurven.] 

Eine exakte, ideale Methode zur Bestimmung des Schlagvolumens 
des Herzens gibt es noch nicht. Am Versuchstiere sind erhebliche 
operative Eingriffe nötig, die an sich den Kreislauf sehr stören: das 
gasanalytische Verfahren ist sehr kompliziert. Der Verf. verwendet 
als Prinzip die Beobachtung der in- resp. exspiratorischen Be¬ 
wegung der intrathorakalen Luftmassen, die durch den wechselnden 
Blutgehalt des Thorax bedingt wird (die sogen, kardiopneumatische 
Bewegung), die allerdings auch nicht frei von Mängeln Ist. 

Fr. Port: Ueber Cholesterinämie bei Nephropathien. (Aus der 
inneren Abteilung des städt. Krankenhauses Augsburg.) 

Eine starke Vermehrung des Cholesteringehaltes des Serums 
findet sich bei Nephrosen und bei den Mischformen von chronischer, 
diffuser Glomerulonephritis mit nephrotischem Einschlag; sekundäre 
Schrumpfniere und benigne Nephrosklerosen zeigen normale Werte. 
Diese Cholesterinämie entspricht einem degenerativen Prozess an den 
Epithelien, deren Cholesterinesterverfettung durch Infiltration bedingt 
ist, der Lipoidgehalt der Zellen ist auf eine Anreicherung bei erhöhtem 
Angebot seitens des Blutes zurückzuführen. Als Quelle des Chole¬ 
sterins im Organismus erscheint hauptsächlich die Nahrung (Fette. 
Eigelb, Sahne. Hirn), immerhin hat fettfreie Diät in den wenigen 
Fällen, in denen sie durchgeführt werden konnte, keine Herabsetzung 
der Cholesterinämie ergeben. 

Besprechungen. Bamberger - Kronach. 

Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 48, 
Heft 5. 

E. Werner- Posen: Die kombinierte Intravenöse und intra¬ 
muskuläre Anwendung von Chinin als Wehenmittel. 

Eine dünnflüssige Lösung von 5 Proz. wurde zur intravenösen 
Anwendung gebracht und zwar in der Weise, dass 0,5 Chinin gegeben 
wurde. Sodann sofort noch 0,5 intramuskulär. Letzteres sollte die 
Dauer der Chininwirkung verlängern. 71 Fälle der Anwendung. Ein 
Versuch zur Anregung von Wehen: negativ. Ein Versuch zur An¬ 
regung von Wehen bei gesprungener Blase, ohne jede bisherige Wehen¬ 
tätigkeit: positiv. 11 Fälle von Verstärkung der Wehen bei primärer 
Wehenschwäche: alle 11 Fälle positiv. 5 Fälle von Anregung von 
Wehen nach vollkommenem Aufhören derselben: positiv. Verstärkung 
der Wehen bei sekundärer Wehenschwäche in der Austreibungszeit: 
14 positive Fälle, 5 Versager. 

In ähnlicher Weise bei anderen Verhältnissen meist positive Er¬ 
gebnisse. In 5 Fällen der Nachgeburtsperiode alle positiv. Auch bei 
Aborten gute Ergebnisse. Alles in allem bei 71 Fällen 61 gute Re¬ 
sultate. Keinerlei nachteilige Folgen. Keine Schmerzen, wie sie bei 
der subkutanen Methode Vorkommen. Zusammenfassend erklärt Verf. 
das Chinin als einen sehr beachtenswerten Konkurrenten der Hypo¬ 
physenpräparate. 

I. H o f b a u e r - Dresden: Sieben Jahre Hypophysenme<fiIuition 
in der praktischen Geburtshilfe. 

Hofbauer, der Begründer dieses wohl bedeutendsten Fort¬ 
schrittes in der praktischen Geburtshilfe der letzten Jahre, gibt ein 
ausserordentlich übersichtliches, objektives Reierat unter berechtigter 
stolzer Wahrung seiner Autorrechte an der Begründung der Methode. 
Mit Recht sagt er, dass die Pituitrinphiole zum eisernen Bestände und 
zum dringend erforderlichen Rüstzeug des geburtshilflich tätigen Klini- 

Original fro-m 

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24. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1469 


kers ebenso wie des praktischen Arztes geworden ist. Es hat sich eine 
durchgreifende Wandlung, eine elementare Umgestaltung in unserem 
geburtshilflichen Handeln unter dem segensreichen Einflüsse der 
Hypophysenmedikation vollzogen. Eine wesentliche Einschränkung 
der operativen Eingriffe hat sich ergeben. Die alle bisherigen Er¬ 
fahrungen zusammenfassende Arbeit sei besonders dem geburtshilf¬ 
lichen Praktiker ans Herz gelegt. 

E. Kehre r-Dresden: Soll das Vulvakarzlnom operiert oder be¬ 
strahlt werden? 

Auf Qrund guter Erfolge mit sehr ausgedehnten operativen Mass¬ 
nahmen bei Vulvakarzinomen, die sich insbesondere. auf eine weit¬ 
gehende Drüsenausräumung im Becken ausdehnten, sowie auf Qrund 
mit Bestrahlung angegangener Fälle, kommt Verf. zum Schlüsse, dass 
beim primären Plattenepithelkarzinom der Vulva die Radium- vor 
der bisherigen Art der Röntgenbestrahlung den Vorzug verdient unter 
der Voraussetzung, dass von allem Anfang an hohe Radiumdosen mit 
nur zweitägigen Intervallen zwischen den einzelnen Sitzungen zur 
Anwendung kommen. Da aber eine Rückbildung des Lymphdrüsen- 
karzinoms bei alleiniger Bestrahlung ausgeschlossen ist. soll zuerst die 
Driisenausräumung nach dem vom Verf. eingehend geschilderten Ver¬ 
fahren vorgenommen und wenige Tage später die Vulvabestrahlung 
mit hohen Radiumdosen angeschlossen werden. 

Max Nassauer - München. 

Zentralblatt für Gynäkologie. 1918. Nr. 48. 

A. Mayer-Tübingen: Zur modernen Abortusfrage. 

Einleitendes Referat für die Versammlung der Oberrheinischen 
Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in Baden-Baden am 
9. Mai 1918. 

F. Oehlecker - Hamburg: Promontoriumfixur bei schweren 
Uterusprolapsen. 

Cf. Bericht über die Sitzung des Hamburger ärztlichen Vereins in 
dieser Nummer. Werner- Hamburg. 

Berliner klinische Wochenschrift Nr. 49, 1918. 

E. Seligmann - Berlin: Epidemiologie der Berliner Cholera¬ 
fälle 1918. 

Magnus-Lev y - Berlin: Die Choleraepldemie des Herbstes 
1918 in Berlin. 

Bezüglich beider Artikel vergl. Bericht der M.m.W. S. 1302 1. Js. 

J. W. Miller: Ueber die pathologische Anatomie der Knollen» 
blätterschwammvergiftung. 

Verf. gibt zunächst eine Literaturübersicht der Frage und sodann 
die pathologisch-anatomischen Befunde, welche er in 4 eigenen Beob¬ 
achtungen (4 Soldaten) hatte erheben können. Die bisher massgebend 
gewesenen Angaben von M a s c h k a sind nicht in allen Stücken zu¬ 
treffend. Als regelmässiger Befund zeigte sich auch in diesen Fällen 
eine ausgedehnte Verfettung der Organe, so dass differential¬ 
diagnostisch vor allem die P-Vergiftung in Betracht zu ziehen ist. 

W. Kausch-Berlin-Schöneberg: Die keilförmige Osteotomie 
am Schenkelhälse. 

Bericht über zwei gutgelungene Fälle. Darstellung des Operations¬ 
verfahrens. Voraussetzung für günstigen Effekt ist aber vor allem, 
dass das primäre Leiden, namentlich wenn es Tuberkulose war, geheilt 
ist, und zwar seit längerer Zeit. 

W. Lö wen thal- Berlin: Bakteriologische Untersuchungen bei 
der diesjährigen Grippeepidemie. 

Verf. hat Sputa von 38 grippekranken Personen untersucht und 
konnte in einer Anzahl den Pfeiffer sehen Influenzabazillus fest¬ 
stellen, so dass er diesem eine Rolle bei der diesjährigen Epidemie 
zuschreibt. 

G. H o 1 z k li e c h t - Wien: Die Therapie der Röntgenhände. 

Im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Meinung behandelt H. die 
genannte Erkrankung in bestimmter Technik mittels Röntgen- oder 
Radiumbestrahlung. Dosierung angegeben. 

Anneliese Hamann- Rostock: Ist zu Magensekretlonsunter- 
suefaungen auf Atropin- und Pilokarpinwirkung die Magenverweilsonde 
zu benutzen? 

Die Anwendung der Verweilsonde gibt nicht nur keine genaueren 
Aufschlüsse als ein Boas-Ewaldsches Teefrühstück, sondern sie 
entstellt den Ablauf der Sekretion. Die Methode ist also zu verwerfen. 

Grassmann - München. 

Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1918. Nr.4 lu.42 

Nr. 4L E. Lenz: Ueber die Dauerbehandlung chronischer Dünn¬ 
darmstörungen und resorptiver Enterotoxikosen mit Tierkohle. 

Verf. empfiehlt abends, d. h. möglichst spät nach der letzten Mahl¬ 
zeit, 1—3 Teelöffel Tierkohle zu geben und zwar monate- bis jahrelang, 
mit mehrtätigen Pausen nach je 8—14 Tagen und Einschaltung von 
4—6 wöchigen Trinkkuren salinischer Mineralwässer. 

A. Hotz: Zur Prophylaxe der spanischen Grippe. (Universitäts- 
Kinderklinik Zürich.) 

Empfehlung des Neotropins, 0,5 g täglich prophylaktisch und 3 mal 
0,5 g therapeutisch. 

H. R. S c h i n z: Die Influenzaepidemie bei der Guidenabteüung 5. 
Ein Beitrag zur Epidemiologie und Symptomatologie. (Schluss.) 

Bericht über 109 Fälle. Die Befunde entsprechen im ganzen den 
vielfach beschriebenen. 

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Nr. 42. E. Lieb mann: Ueber die Behandlung schwerer In¬ 
fluenzafälle mit Rekonvaleszentenserum. (Med. Klinik Zürich.) 

Bericht über 23 nieist schwere Fälle, die ein oder mehrere Male 
40 bis 60 ccm Serum intramuskulär erhielten; bei nicht zu 
weit vorgeschrittener Erkrankung waren die Erfolge zum Teil sehr 
günstig, daher Verf. weitere Anwendung empfiehlt. Genaue bakterio¬ 
logische Untersuchung des Serums ist nötig, weil auch das Blut fieber¬ 
freier Rekonvaleszenten Streptokokken enthalten kann. 

A. Adler: Viskosimetrische Blutkörperchenvohimenbestimmung. 
Studien über Grösse und HämogloblnfüUung der Erythrozyten. (Med. 
Poliklinik Zürich.) 

Viskosimetrische Bestimmungen in der Kombination von Blut- und 
Plasmabestimmung sind von praktischer Bedeutung, da man das Volumen 
der Blutkörperchen und daraus die Grösse der einzelnen Zelle und die 
Konzentration des Hämoglobins in den Erythrozyten ermitteln kann. 
Für die Chlorosen ist eine beträchtliche Verkleinerung der Zellen 
typisch, bei sekundären Anämien waren die Werte wechselnd, per¬ 
niziöse Anämie ist charakterisiert durch ganz besonders gesteigerte 
Zellgrösse. 

A. Br u nnsch weiter: Ein eigentümlicher Fall von Hyper- 

daktylie. L. Jacob- Wlirzburg. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift 

Nr. 48. F. Pe r ez - Buenos-Aires: Ozaena und Paraozaena. 

Der Coccobacillus foetidus und der Coccobacillus Loewenberg 
bilden die häufigsten bakteriellen Befunde bei der Ozaena und sind 
beide oft gleichzeitig vorhanden. Als der eigentliche Erreger der 
echten Ozaena ist der C. foetidus zu betrachten. Der C. Loewenberg 
erregt wohl eine chronische Rhinitis (Parozaena), aber ohne Atrophie 
und foetide Borken. Die echte Ozaena entwickelt sich meist in früher 
Kindheit und zwar durch Uebertragung vom Menschen oder vom Hund 
auf den Menschen. Der Ozaenakranke darf andere Menschen nicht auf 
das Gesicht küssen, nicht mit ihnen schlafen, sein Taschentuch nicht 
verleiben. Kindern ist vor allem auch das enge Zusammensein mit 
Hunden zu verbieten. 

R. F1 e ckse de r - Wien: Zur Prognose der Lungenseuche in¬ 
folge Grippe. 

Prognostisch günstige Zeichen sind die „Crepitatio continua“ 
ohne Neigung zur fortschreitenden Verdichtung, das Reinbleiben der 
Zunge, der Abfall der Pulszahl auf 40—50 Schläge, das Erhaltenbleiben 
oder Wiederauftreten der Sehnenreflexe. Absolut schlecht ist Lungen¬ 
ödem mit kleinem Puls, Pulsbeschleunigung auf 140 Schläge, schranken¬ 
loses Fortschreiten der Verdichtung in beiden Lungen. Bedenken er¬ 
regen reichliche, dünnflüssige Hämoptoe, eitrige Pleuraergüsse, deut¬ 
liche Zyanose, akute degenerative Nephrosen. Mitralstenose, Kropfherz, 
starke Kyphoskoliose, Schwangerschaft und Wochenbett. 

W. L ö w e n f e 1 d: Pathologisch-anatomische und bakteriologische 
Befunde bei spanischer Grippe. 

Hervorzuheben ist, dass L. in 70 Proz. der Fälle aus dem Sputum, 
in 80 Proz. aus dem Bronchialeiter der Obduzierten den Pfeiffer- 
schen Influenzabazillus züchten konnte. 

B. P r i b r a m: Phrenikotomie bei Hämoptoe und einseitiger 
Lungentuberkulose. 

Nach P.s Erfahrungen (Krankengeschichten) ist bei einseitiger 
Lungentuberkulose mit oder ohne Hämoptoe bei aller Skepsis ein Ver¬ 
such mit der technisch einfachen und ungefährlichen Phrenikotomie 
wohl zu rechtfertigen. Sie kann eine wochenlange Hämoptoe zum 
Stillstand bringen und begünstigt durch Ruhigstellung der Lunge die 
Heilung des ganzen tuberkulösen Prozesses. 

R. Grünbaum -Wien: Anatomische Galvanisation. 

G. wendet die von Kowarschik in Nr. 46 der M.m.W. emp- 
fohlene Art der Galvanisation bereits seit längerer Zeit an und schlägt 
die Benennung „anatomische Galvanisation“ vor. Ausser Neuritiden 
und Neuralgien eignen sich besonders auch periphere Nervenlähmungen 
für die Behandlung. B e r g e a t - München. 


Inauguraldissertationen. 

Universität Erlangen. August bis November 1918. 

Stadel Franz: Die Varizen und ihre chirurgische Behandlung. 

Ulsamer Otto: Beitrag zur Kenntnis der Vergiftung mit nitrosen 
Gasen. 

Ro etter Emil: Zur Frage von der Wichtigkeit des Corpus luteum 
für das Fortbestehen der Gravidität. . 

Küf fixer W.: Beitrag zur Diagnose und Therapie des kongenitalen 
Myxödems. 

Walz Eugen: Ein Beitrag über die Krebsentwicklung am Unter¬ 
schenkel nach Verletzung. 

Lederer Ludwig: Ueber einen Fall von sogen. Epidermisierung des 
Nierenbeckens. Ein Beitrag zur Lehre von der Metaplasie und 
anderen ortsfremden Epithelbildungen. 

Küchler Johannes: Ueber einen Fall von Chorionepitheliom bei 
anscheinend normaler Schwangerschaft. 

Weinbuch Winfried: Ueber den Verlauf von Schwangerschaft. Ge¬ 
burt und Wochenbett bei alten Erstgebärenden. 

Sievers Ludwig: Ein Fall von primärem Kankroid der Lunge. 


Original frarn 

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1470 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 52. 


Auswärtige Briefe. 

Berliner Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

^[gemeine Aerzteversammlung zur Wahl von Vertretern für den 
Arbeiterrat — Die Neuordnung des Berliner ärztlichen Vereinswesens. 

Der allgemeinen Aerzteversammlung vom 26. November, die zwar 
sehr stürmisch, aber völlig ergebnislos verlaufen war, folgte am 9. De¬ 
zember eine zweite, ebenfalls vom Vorstande der Aerztekaminer ein¬ 
berufen, aber von einem 19gliedrigen Ausschuss vorbereitet, dessen 
Mitglieder einen sehr guten Namen haben, aber im Standesleben 
bisher wenig hervorgetreten, also nicht durch die Vergangenheit be¬ 
lastet waren. Die Versammlung war besser vorbereitet als die vorige, 
die Tagesordnung war allerdings wenig inhaltreich, es sollte ein Aus¬ 
schuss zur Vorbereitung der Wahl von Vertretern in den Arbeiterrat 
gewählt, ausserdem über eine vorzuschlagende Entschliessung Beschluss 
geiasst werden. In letzter Stunde hatte aber der Aerztekammervor- 
stand vom Vollzugsrat eine Anweisung über die Wahl erhalten, die die 
sofortige Aufstellung von Wahllisten erforderlich machte. Der Wahl¬ 
modus ist recht kompliziert; es müssen entsprechend der Zahl der 
Aerzte von Gross-Berlin (nur um diese handelt es sich, nicht um die 
preussischen oder deutschen Aerzte) 3 Vertreter gewählt werden. 
Dazu sollen Wahllisten mit je 3 Namen aufgestellt werden; nur solche 
Listen, die von wenigstens 50 Aerzten schriftlich unterstützt sind, 
dürfen zur Wahl gestellt werden und 2 Tage nach der Versammlung 
ist der letzte Termin für die eigentliche Wahl, in der durch Stimmen¬ 
mehrheit über die Listen entschieden wird. Somit verging der erste 
Teil der Sitzung mit der Aufstellung von Wahllisten, deren binnen 
kurzem 10 vorhanden waren, und der Sammlung unterstützender Unter¬ 
schriften. Dann erst folgte der einleitende Vortrag von Herrn 
A s c h o f f. Er verstand es in vorzüglicher Weise, den eigentlichen 
Zweck der Versammlung und die Bedeutung der Wahl klarzulegen. 
Er betonte, dass in den Sitzungen des Arbeiterrates Fragen, die die 
medizinische Wissenschaft oder den ärztlichen Stand betreffen, kaum 
zur Sprache kommen dürften, dass es also gar nicht darauf ankomme, 
welche Stellung unsere Vertreter zu den einzelnen Standesfragen ein¬ 
nehmen, sondern nur darauf, dass sie klar denkende, aufrechte und 
redegewandte Männer sind. Deshalb sollten alle parteipolitischen und 
alle Standesfragen aus der Erörterung wegbleiben und der Besprechung 
in einer späteren Versammlung Vorbehalten sein. Der Vortrag hätte 
die vielköpfige und vielsinnige Versammlung durchaus befriedigt, wenn 
der Redner nicht leider selbst das politische Gebiet in seinen Aus¬ 
führungen gestreift hätte. Das aber gab der Diskussion Anlass zu 
mehr oder weniger heftigem Protest, und mitunter nahm auch diese 
Versammlung einen etwas unruhigen Charakter an. Der sehr ge¬ 
wandten und massvollen Leitung des Herrn Asch off. der während 
des zweiten Teiles der Sitzung den Vorsitz führte, gelang es. die 
Wogen der Erregung zu glätten und eine von ihni vorgeschlagene Ent¬ 
schliessung zur Abstimmung zu bringen. Diese Entschliessung, die mit 
überwiegender Mehrheit angenommen wurde, lautet: „Die Gross- 
Berliner Aerzteschaft spricht die Erwartung aus. dass die verfassung¬ 
gebende Nationalversammlung unverzüglich einberufen wird und dass 
bis zu dieser Einberufung im Interesse der Gesundheit unseres Volkes 
nur solche Eingriffe in die Gesetzgebung stattfinden, die zur Be¬ 
seitigung eines Notstandes unbedingt notwendig sind.“ 

Im Laufe der Diskussion konnten einzelne Redner sich wiederum 
nicht enthalten, Fragen hineinzuziehen, die mit der Entschliessung nichts 
zu tun haben. Man bekam dabei Kenntnis — und das war vielleicht 
auch nur ihre Absicht —- von verschiedenen kleinen Versammlungen 
mit Sonderinteressen und Sonderwünschen, und tatsächlich haben eine 
ganze Reihe solcher Versammlungen stattgefunden, teilweise mit der 
üblichen Vereinsgründung und der Annahme von Entschliessungen. So 
versammelten sich die Aerzte des Gardekoros und des III. Armeekorps, 
die sozialdemokratischen Aerzte. die durch den Krieg geschädigten 
Aerzte. die Assistenten der Krankenhäuser. Alle haben ihre beson¬ 
deren Wünsche; nimmt man hinzu, dass schon in den letzten Jahren 
vor dem Kriege eine Reihe von Vereinen mit engbegrenztem Inter¬ 
essenkreis gegründet waren, wie der Verein gegen die doppelten 
Sprechstunden, gegen den Missbrauch der Polikliniken, dass es ver¬ 
schiedene kassenärztliche Organisationen und mehrere Gruppen von 
Standesvereinen gibt, so bekommt man ein Bild von der Buntseheckig¬ 
keit des Berliner ärztlichen Vereinswesens. Es soll hier nicht auf die 
Ursachen dieser überaus schädlichen Zersplitterung, die Ouelle unserer 
Ohnmacht, eingegangen werden: sie würden bei der jungen Generation, 
die sie nicht miterlebt hat, kein Verständnis finden, und erscheinen 
heute nach den ungeheuren Erlebnissen der letzten Jahre auch den 
älteren Aerzten kleinlich und unwesentlich. Gerade weil die eigent¬ 
lichen Standesvereine wenig Anziehungskraft besassen und der Atro- 
nhie anheimzufallen drohten, hielten sich die besten Köpfe von ihnen 
fern, und zur Vertretung besonderer Interessen wurden immer be¬ 
sondere Vereine gegründet. Die ausserordentlichen Umwälzungen des 
gesamten öffentlichen Lebens hat den Aerzten auch die Augen für die 
Reformbediirftigkeit ihros eigenen Standeslebens geöffnet, und so regt 
sich allenthalben der Wunsch nach einer gründlichen Neuordnung des 
ärztlichen Vereinslebens. Dabei macht sich ein Widerstand gegen die 
bisherigen Führer bemerkbar, die man für frühere Misserfolge verant¬ 
wortlich macht; sicherlich nicht ganz mit Recht denn man vergisst, 

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dass es an der Ungunst der Verhältnisse, nicht an den Personen lag, 
wenn wenig erreicht wurde, und dass wir ihre Erfahrung und Arbeits¬ 
kraft nicht entbehren können. Wenn aüsserdem aber durch die Mit¬ 
arbeit jüngerer Kräfte ein frischer Zug und ein belebendes Moment 
in das Vereinsleben getragen wird, so kann dies nur dringend er¬ 
wünscht sein. Alle die vielen Vereine und Vereinchen aber müssen 
verschwinden, um einem grossen Berliner Aerzteverein Platz zu 
machen, in dem alle ärztlichen Standesfragen zur Erörterung kommen. 
Die nächste Aerzteversammlung, für die ein vorbereitender Ausschuss 
bereits gewählt ist wird sich mit dieser Angelegenheit zu befassen 
haben. . M. K. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Ausschusssitzung der Deutschen Gesellschaft zur 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 

am 30. November und 1. Dezember 1918. 

Die überstürzte Demobilmachung lässt erhebliche gesundheitliche 
Gefahren für unser Land befürchten. Eine von ihnen ist die Rückkehr 
von Soldaten, die mit einer Geschlechtskrankheit namentlich mit 
Syphlis, infiziert sind und sich .noch im ansteckenden Stadium dieser 
Krankheit befinden. Ueber die Verbeitung der Geschlechtskrankheiten 
im Heere während des Krieges gehen bekanntlich die Meldungen weit 
auseinander. Die offiziellen Zahlen geben offenbar die wahren Verhält¬ 
nisse nicht annähernd, richtig wieder. Soviel ist jedenfalls sicher, dass 
durch den Krieg die bisher von den Geschlechtskrankheiten verhältnis¬ 
mässig wenig durchseuchte Landbevölkerung in sehr erheblichem Masse 
infiziert worden ist und dadurch eine Masseneinschleppung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten durch das ganze Land verursacht werden wird. 

Dieser Gefahr zu begegnen, hielt der Ausschuss der 
Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten zu Berlin am 30. November und 1. De¬ 
zember eine wichtige Sitzung ab, in welcher über die Massnahmen 
beraten wurde, die gegen diese Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten 
zu ergreifen wären. Eine ausserordentlich grosse Reihe von An¬ 
regungen waren aus allen Teilen Deutschlands zu dieser Sitzung ein¬ 
gegangen, die sich vornehmlich auf eine möglichst genaue Erfassung 
der Kranken bei Gelegenheit der Entlassung und auf ausgiebige Hilfe¬ 
leistung für die Erkrankten bezogen. Die Beratungen der Gesellschaft 
führten dazu, dass alle zuständigen und verantwortlichen Stellen des 
Reiches auf die Notwendigkeit hingewiesen werden sollten, 

1. die Meldung aller geschlechtskranken und während des Krieges 
an Geschlechtskrankheiten behandelten Heeresangehörigen an die 
Landesversicherungsanstalten zu veranlassen (ist inzwischen durch 
eine Verordnung des Demobilmachungsamtes verfügt worden), 

2. durch die Versicherungsämter auf die Krankenkassen, mögen <ie 
gross oder klein sein, dahin einzuwirken, dass sie ihre geschlechts¬ 
kranken Kassenangehörigen den Beratungsstellen namhaft machen (ist 
ebenfalls in die Wege geleitet), 

3. die Krankenversicherung der Kassenangehorigen auch auf deren 
Familien auszudehnen. 

4. die Fachabteilungen der allgemeinen Krankenhäuser, sowie die 
anderweitigen Behandlungs- und Beratungsstellen für Geschlechts¬ 
kranke möglichst zu vermehren und Gelegenheit zu unentgeltlicher 
Behandlung (ohne Inanspruchnahme des Armenrechts) überall zu geben. 

5. tunlichst in allen grossstädtischen Krankenhäusern Abteilungen 
für Geschlechtskranke einzurichten, 

6. die Stadtverwaltungen zu veranlassen, aufzulosende Spezial¬ 
lazarette für Geschlechtskranke in städtische Fachabteilungen umzu- 
wandeln, 

7. die Ueberwachung der Prostitution umgehend grundsätzlich 
umzugestalten. Die ordnungs- und anstaltspolizeilichen Aus¬ 
nahmebestimmungen sind zu beseitigen, die Sittenpolizei ist in ein 
ausschliesslich gesundheitlichen und pfleglichen 
Zwecken dienendes Amt umzuwandeln. 

Im Verfolg dieser Verhandlungen haben am 4. Dezember Reich 
und Bundesstaaten mit Unterstützung der Landesversicherungsanstalten 
eine grosszügige Aktion zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
ins Werk gesetzt. Es sollen in Stadt und Land alle Geschlechtskranken, 
soweit möglich, ermittelt und unentgeltlich behandelt werden. Ein 
Zentralkomitee mit dem Sitz in Berlin soll die Organisation dieses 
Werkte unverzüglich in die Wege leiten. 

Einige Bestimmungen des schon vom früheren Reichstag aus¬ 
gearbeiteten Gesetzentwurfes über die Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten hat durch Bundesratsverordnung inzwischen Gesetzeskraft 
bekommen. Danach können Personen, die geschlechtskrank und die 
verdächtig sind, die Geschlechtskrankheit weiter zu verbreiten, 
zwangsweise einem Heilverfahren unterworfen, insbesondere in ein 
Krankenhaus übergeführt werden, wenn dies zur wirksamen Ver¬ 
hütung der Ausbreitung der Krankheit, erforderlich erscheint. 

Wer den Beischlaf ausübt. obwohl er weiss oder den Umständen 
nach annehmen muss, dass er an einer mit Ansteckungsgefahr ver- 
bundenen Geschlechtskrankheit leidet, w r ird mit Gefängnis bis zu dre 
Jahren bestraft, sofern nicht nach dem allgemeinen Strafgesetz eine 
härtere Strafe eintritt. 

Original frnm 

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24. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1471 


Wer eine Person, die an einer mit Ansteckungsgefahr ver¬ 
bundenen Geschlechtskrankheit leidet, ärztlich untersucht oder be¬ 
handelt, soll sie über Art und Ansteckungsfähigkeit der Krankheit sowie 
über die Strafbarkeit der oben bezeichneten Handlungen belehren. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 25. Juli 1918. 

Herr O 11 o w (a. G.) spricht über seine Erlebnisse als Arzt ln der 
russischen Armee während des Krieges und der Revolution. 

Diskussion: Herren Anschütz, Stöckel. 

Sitzung vom 14. November 1918. 

Herr Hoppe-Seyler spricht über das Krankheitsbild und die 
Behandlung der Qrippe nach Erfahrungen, die im Städtischen Kranken¬ 
haus bei 577 Fällen gemacht wurden. Es waren hauptsächlich schwere 
Fälle. Mortalität 167 = 28,9 Proz., bei Abzug von 63 in ganz de¬ 
solatem Zustand eingelieferten, die schon bald starben, 18,0 Proz. Die 
meisten Fälle gehörten dem 2. bis 4. Lebensiah rzehnt an. der Höhe¬ 
punkt lag im 3. Die Mortalität war dagegen höher bei den alten 
Leuten. Nach Schilderung des typischen Grippeanfalls wird haupt¬ 
sächlich auf die Lungenerkrankungen (primäre Grippepneumonien und 
durch Mischinfektion infolge von Streptokokken usw. beherrschte 
Bronchopneumonien und kruppöse Pneumonien) mit ihren Begleit- und 
Folgeerscheinungen: Pleuritis mit Uebergang in Empyem, ver¬ 
schonende Laryngitis und Tracheitis, Perikarditis und Peritonitis ein¬ 
gegangen. In einigen Fällen wurde auch Diphtherie vom Larynx ab¬ 
wärts, ohne Beteiligung der Rachenorgane beobachtet (Nachweis der 
Diplitheriebazillen im Sputum). Kreislaufstörungen schwerer Art, be¬ 
sonders Vasomotorenschwäche, Blutungen, Leukopenie bei Beginn, auch 
bei primärer Pneumonie, Hyperleukozytose bei Mischinfektion, manch¬ 
mal Nierenreizung und Magen-Darmstörungen, die sich bis zur Cho- 
lerine steigern können, werden hervorgehoben. Meist war die Leber 
vergrössert, Urobilinurie trat bei Mischinfektion auf, fehlte bei reinen 
Grippefällen. Leichter Ikterus war als toxisch-infektiöser Icterus 
polycholicus anzusehen. Milztumor war anscheinend besonders bei 
Mischinfektion vorhanden, fehlte meist bei Beginn. Aborte, häufig ver¬ 
frühte und profuse Menstruation, Enzephalitis, Meningitis serosa, 
seltener purulenta infolge Mischinfektion kamen vor. 

Die Prognose wird durch stärkere Mischinfektion, Gravidität, 
Kyphoskoliose, Tuberkulose getrübt. Bei der Behandlung ist be¬ 
sonders die Kreislaufschwäche durch Vasomotorenmittel zu bekämpfen. 
Pleuritische Exsudate werden am besten, auch wenn sie durch Eiter 
getrübt sind »nur abgesaugt. Thorakotomie mit Rippenresektion wurde 
erst bei dickbreiigen Empyemen ausgeführt und dann mit gutem Er¬ 
folg (16,6 Proz. Mortalität). 

Herr Ottow (als Gast): lieber das Verhalten von Grippe bei 
Schwangerschaft und Wochenbett. (Erscheint im Zentralblatt für 
Gynäkologie.) 


Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu WUrzburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 27. Juni 1918. 

Herr Magnus-Alsleben: Ueber akute Nephritis und ihre 
Behandlung. 

Unter den Fragestellungen in der modernen Nierenforschung 
steht die Beteiligung der extrarenalen Momente, besonders für die 
Oedembildung mit an erster Stelle. Das Mitwirken derselben ist 
ganz sicher anzunehmen; aber gegenüber der grossen Rolle, w'elche 
diesen Faktoren von manchen Autoren zugesprochen wird, muss 
doch darauf Wngewiesen werden, dass wir in recht vielen Fällen die 
renale und extrarenale Komponente doch gar nicht sicher genug 
gegeneinander abwägen können. 

Blutdruckerhöhung ist ein sehr häufiges, aber nicht ausnahms¬ 
los vorkommendes Symptom bei der Kriegsnephritis. Ein typisches 
Verhalten derselben, irgend eine feste Relation zur Diurese besteht 
nicht. Strenge Beschränkung der Flüssigkeitszufuhr in der ersten 
schwer oligurischen Periode erscheint zweckmässig, jedoch wirkt 
der „Wasserstoss“ wohl doch nur dann günstig auf die Diurese, 
wenn die Wasserausscheidung sich schon gebessert hat. Spasmen 
der Augenhintergrundsgefässe fehlten in den untersuchten Fällen; 
Veränderungen der Hautkapillaren scheinen noch nicht genügend 
gesichert. Eine Trennung der Urämie nach Volhard auf Grund 
der klinischen Symptome in eine Krampfform (sog. Eklampsie) und 
eine komaähnliche ist, trotz der Häufigkeit der Mischformen, öfters 
gut durchführbar. 


* 

Gesellschaft der Aerzte In Wien. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 22. November 1918. 

Ueber die Möller-Barlowsehe Krankheit. 

Herr Knöpfelmacher definiert die Möller-Barlow sehe 
Krankheit als Skorbut der Säuglinge. Doch fehlen bei Säuglingen die 
Muskelblutungen, die man bei skorbutkranken Erwachsenen beobachtet; 
ebenso verhält es sich mi^depi ZahnfleiscWcnochen. Säuglinge bekommen 

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die Krankheit, wenn keine Vitamine in der Milch vorhanden sind. Derzeit 
ist der Skorbut der Säuglinge ziemlich häufig zu beobachten, offenbar 
weil die Kühe schlecht gefüttert werden. 

Herr Riehl betont, dass die frühere Annahme, das wiederholte 
Abkochen der Milch sei die Ursache des Leidens, nicht zutreffe. 
Trotz wiederholten Abkochens der Milch war die Krankheit früher sehr 
selten; jetzt beobachtet man sie häufig, was zweifelsohne mit der 
schlechten Qualität der Kriegsmilch zusammenhängt. Therapie: 
Frische Fruchtsäfte, frisches Gemüse (soweit tunlich), rohe Milch, 
Ziegenmilch. 

Herr Moll hat schon bei Zufuhr von wenig abgekochter Milch 
Heilung erzielt; er sah auch Erfolg von Frucht- und Gemüsesäften. 
Man wäscht Obst oder Gemüse, zerreibt es, presst den Saft aus“ und 
gibt die gleiche Menge von 8 proz. Zuckerlösung hinzu. 

Herr Schick sah beim Barlow der Kinder Hämaturie, sub¬ 
periostale Blutungen am unteren Ende des Femurs, Blutungen im Zahn¬ 
fleisch. Zahnfleischgeschwüre beobachtet man nur dann, wenn kariöse 
Zähne vorhanden sind. Ein zweites frühes Symptom ist die Schmerz¬ 
haftigkeit der Epiphysen. Muskelblutungen waren bei älteren Kindern 
nachweisbar. Prophylaktisch bewährt sich das wässerige Extrakt der 
wilden Rebe, besonders aber das wässerige Extrakt der Tanne (zer¬ 
quetschte Tannen werden in Wasser auf gekocht; altes Volksmittel). 

Herr Eisler schildert den Röntgenbefund: Destruktion der 
Knochen dn der Diaphysengegend, Epiphysenlösungen, subperiostale 
Blutungen. 

Herr E r d h e i m bespricht die pathologisch-anatomischen Be¬ 
funde. K. 

Akademie der Wissenschaften in Paris. 

Schutzimpfungen gegen Paratyphus und Dysenterie. , 

Die im Vergleich zu früheren Kriegen auffallend niedrige Mor¬ 
biditätsziffer der typhösen Darmaffektionen und Dysenterie hat ihren 
Grund offenbar nicht nur in der hohen Entwicklungsstufe der modernen 
Hygiene, sondern auch in der verbreiteten Anwendung der prophylak¬ 
tischen Impfung, wodurch eine Immunität gegen Infektion erzielt wird. 
Ueber das grosse, der Immunitätsimpfung im jetzigen Weltkrieg ent¬ 
gegengebrachte Interesse belehrt uns u. a. ein Vortrag vor der Pariser 
Akademie der Wissenschaften in der Sitzung vom 5. August 1918. (De 
la vaccination contre la dysenterie par la voie buccale. Note de 
M. A. Besredka, C. R. T. 166 Nr. 6 aoüt 1918.) 

Trotz der Häufigkeit bazillärer Dysenterie in der französischen 
Armee habe man bisher von der Impfung gegen dieselbe keine An¬ 
wendung gemacht. Nicht als ob man die Wirksamkeit einer solchen 
in Zweifel zöge, da alle Tierversuche mit Impfung gegen Dysenterie 
ein gutes Resultat gehabt hätten, sondern weil die grosse Giftigkeit 
des Mittels seine subkutane Verimpfung beim Menschen bedenklich 
erscheinen Hesse. Im Verlaufe seiner Tierversuche über Darmaffek¬ 
tionen habe er aber Beobachtungen gemacht, welche vielleicht auch 
bei der menschlichen Therapie nützliche Anwendung finden könnten, 
weshalb er über einzelne derselben berichten wolle. 

1. Zwei Kaninchen^ 1360 g und 1490 g schwer, bekamen mit dem 
Futter Bazillen Shiga, welche durch einstündiges Erhitzen auf 60° 
abgetötet worden waren; ausserdem verschlang jedes Tier ein Viertel 
Agar-Agarkultur in einer Roux sehen Büchse. Nach 5 Tagen waren 
beide Tiere tot. Bei der Autopsie war das Serum blutig und der Dick¬ 
darm hämorrhagisch, wie bei der Verimpfung lebender Bakterien in 
die Blutbahn; alles andere war normal. Blut und Galle waren steril. 

2. Zwei Kaninchen, 1900 und 1960 g schwer, bekamen mit dem 
Futter durch einstündiges Erhitzen auf 60° abgetötete Shigabazillen. 
Sie blieben am Leben und zeigten keine Krankheitserscheinung. Als 
man am 5. Tag eines der Tiere obduzierte, waren nur am Dickdarm 
einzelne umschriebene hämorrhagische Infarkte, die bereits in Rück¬ 
bildung begriffen waren, als Zeichen einer stattgehabten Entzündung. 
Das andere Tier blieb gesund und nahm an Gewicht zu. Die Auf¬ 
nahme toter Bazillen erzeuge also echte Dysenterie, deren Intensität 
der Widerstandskraft des Organismus entspricht. 

3. Drei Kaninchen von 1680 g. 1670 g und 1830 g bekamen per os 
Shigabazillen nach einstündigem Erhitzen auf 60* und ein Viertel 
lebender Agrar-Agarkultur in der Roux sehen Büchse. Ihr nach der 
Verdauung in verschiedenen Zeitintervallen auf Agglutinationsfähigkeit 
untersuchtes Serum reagierte positiv auf eine Shigaaufschwemmung. 
Vor der Einführung agglutinierte es nicht, selbst nicht in 1: 25; nach 
der Einführung agglutinierte es nach 11 Tagen in 1:100, 1: 100 und 
1: 50; nach 18 Tagen in 1: 400, 1: 200 und 1:100; nach einem Monat 
in 1: 50, 1: 25, und 1: 25. Daraus ergebe sich, dass durch Einführung 
toter Shigakultur das Serum eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Ag¬ 
glutination von Dysenteriebazillen erhält. 

4. Ein 1780 g schweres Kaninchen erhielt per os 3 Wochen vorher 
K toter Shigakultur nach einstündiger Erhitzung auf 60°. darauf intra¬ 
venös. 1 /« einer lebenden Agarkultur. Das 1800 g schwere Kontrollier 
bekam intravenös dieselbe Menge lebender Shigakultur. Am folgenden 
Tag war es tot, während das andere am Leben blieb. Aus diesen und 
anderen gleichartig verlaufenen Versuchen folge, dass durch Aufnahme 
abgetöteter Shigakulturen eine Immunität gegen lebende Dysenterie¬ 
bazillen erreicht würde. Als unschädlich empfehle sich ein ent¬ 
sprechendes Verfahren auch gegen die menschliche Dysenterie. 

Dr. L. K a t h a r i n e r. 

5'ira m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1472 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 52. 


Aus Ärztlichen Standesvereinen. 

Münchener Aerztevereln für freie Arztwahl. 

Ausserordentliche Mitgliederversammlung vom 
11. Dezember 1918. 

(Eigener Bericht.) 

Herr Lukas teilt mit, dass Herr Fogt sein Amt in der Vor¬ 
standschaft aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt hat. Die Ver¬ 
sammlung spricht ihm durch Erheben von den Sitzen den Dank für 
seine langjährige aufopfernde Tätigkeit aus. 

Aus dem Einlauf ist hervorzuheben, dass die Wagen des ehe¬ 
maligen Kgl. Marstalles den Aerzten vorzugsweise zur Verfügung 
stehen. Bestellungen sind, abgesehen von dringenden Fällen, möglichst 
am Tage vorher unter Rufnummer 22324 (Marstall) zu betätigen 

Herr Arthur Mueller berichtet über Aenderung der 
Karenzzeit: So alt wie die freie Arztwahl, so alt ist die Frage 
der Karenzzeit. München befindet sich wegen seiner grossen medi¬ 
zinischen Fakultät, wegen seiner gesellschaftlichen und landschaftlichen 
Anziehungspunkte in einer besonders exponierten Stellung. So lange 
die freie Arztwahl nicht allgemein eingeführt ist, haben die Vertreter 
der Orte mit fixiertem Arztsystem am wenigsten das Recht, gegen die 
Münchener Karenzzeit Sturm zu laufen. Ihre Aufhebung würde die 
vorbildliche Münchener Organisation mit ihren Kontrolleinrichtungen 
gefährden. Den Kollegen aber, die durch den Kriegsdienst an der 
Niederlassung in München verhindert waren, kann nach dem Opfer des 
Heeresdienstes nicht das weitere der Karenzzeit zugemutet werden. 
Redner befürworten daher die Annahme folgenden Antrages: „Auf die 
Karenzzeit wird der Kriegsdienst angerechnet, als Kriegsdienst so¬ 
wohl der Heeressanitätsdienst, als auch der Dienst in der freiwilligen 
Krankenpflege. Massgebend für den Zeitpunkt ist die erfolgte Ap¬ 
probation.“ 

In der Diskussion sprechen für den Antrag die Herren 
Hecht, Steudemann und A. Mueller. Sie weisen darauf hin, 
dass die Gefahr einer Ueberschwemmung Münchens mit Aerzten im 
jetzigen Augenblick (politische Lage) besonders gross ist, dass andere 
Orte, wie Leipzig, den Numerus clausus haben, dass auch die Kassen 
sich gerade jetzt gegen die Aufhebung ablehnend verhalten würden. 

Gegen den Antrag und für die vollständige Aufhebung der Karenz¬ 
zeit setzen sich die Herren Neuhaus, Epstein und Koebner 
ein. Sie betonen, dass die Karenzzeit unzeitgemäss ist. dass sie im 
jetzigen Zeitpunkt den Weg so vieler anderer alter Beschränkungen 
gehen müsse. Ihre Beibehaltung würde ein Heer von Aussenseitern 
heranziehen, die der Organisation gefährlich werden könnten. Prak¬ 
tisch bedeutet die Anrechnung des Kriegsdienstes die Ausserkraft¬ 
setzung der Karenzzeit, da fast alle Aerzte, die in Betracht kommen, 
Heeresdienst geleistet haben. 

Herr B. Spatz schlägt vor, dass die Karenzzeit beibehalten 
werde, aber in dem Sinne, dass nicht 2 Jahre Praxis in Mün¬ 
chen, sondern überhaupt 2 Jahre nach erfolgter Approbation 
verlangt werden, ferner dass Notapprobierten- die Karenzzeit 
nur erlassen wird, wenn sie ein Jahr Assistenten waren oder den Be¬ 
such von Fortbildungskursen nachweisen. Herr H e 1 d r i c h will die 
Karenzzeit nur für in Bayern Approbierte aufgehoben haben. 

Der Antrag Epstein-Neuhaus: „Die Versammlung beschliesst im 
Interesse der Einheit der Organisation die völlige Aufhebung der 
Karenzzeit“ wird abgelehnt, der Antrag der Vorstandschaft angenom¬ 
men. 

Herr Kas11 berichtet über ärztliche Kriegshilie: Den 
zurückgekehrten Aerzten droht Not, weil sie trotz aller Plakate, Auf¬ 
rufe u. dgl. erst allmählich ihre frühere Praxis wiedererlangen können. 
Der Verein müsste ihnen ihr Einkommen von 1913/14 für 3 Jahre 
garantieren bis zur Höhe von 10 000 M. In Betracht kommen 96 Kol¬ 
legen. Die maximale Belastung für die Vereinskasse beträgt 300 000 M. 
Der Referent schlägt vor, diesen Betrag aus dem Vereinsvermögen 
und einer einmaligen Abgabe zu decken, die aus dem Kasseneinkommen 
des Jahres 1918 mit Progression um 1 auf 1000 bis 10 000 una um 2 auf 
je 1000 bei den Einkommen über 10 000 M. geleistet werden soll. Er 
belegt seine Ausführungen mit einem ausführlichen Zahlenmaterial. 

In der sehr ausführlichen Diskussion weist Herr Epstein 
darauf hin, dass die Belastung bei diesem Modus zu gross wäre, da sie 
die Betriebsausgaben nicht berücksichtigt. Auch die grossen Mehr¬ 
einnahmen müssen herangezogen werden. Besonders gross sind, wie 
Herr Hecht betont, die Betriebskosten bei den Röntgenologen. 
Herr Koebner erinnert daran, dass die Aerzte, deren Karenzzeit 
kurz vor dem Kriegsausbruch abgelaufen war, am allerschwersten be¬ 
troffen sind. Sie haben das Opfer der Karenzzeit vergebens gebracht 
und bezogen meist auch ein sehr geringes Militärgehalt. Herr 
Steudemann will den Bedarf durch eine Umfrage bei den Zurück¬ 
gekehrten feststellen, wogegen sich Herr Kr ecke und Herr Cron- 
b e r g sehr energisch aussprechen. Nach längerer Debatte wird der 
Antrag des Referenten einer Kommission überwiesen, die aus den Feld¬ 
kollegen Herren Croneberg, Kustermann und Schneider 
und den Kollegen der Heimat Herren Kastl und Lukas besteht. 
Die Kommission erhält das Recht, dringende Auszahlungen sofort zu 
beschliessen, wofür das Vereinsvermögen zur Verfügung steht; ferner 
wird der Kommission folgender Antrag Koebner überwiesen: Als 
Entschädigung für die_ausserhalb Münchens eingezogenen Kollegen, 

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deren Karenzzeit bis zwei Jahre vor dem Kriege abgelaufen ist sollen 
für jedes Vierteljahr geleistete Karenzzeit 750 M. rückvergütet werden, 
abzüglich der Beiträge, die sie durch den Verein bezogen haben. Ebenso 
wird der Kommission ein Antrag R i e g n e r überwiesen: Der Verein 
hält es für Ehrenpflicht, die Kollegen, die ganz oder teilweise durch 
den Krieg Einbusse erlitten, zu entschädigen. Zu diesem Zwecke wird 
unter Grundlage des Honorars von 1914 so viel vom. Verein über¬ 
nommen, als im Jahre 1919 weniger Kassenhonorar eingeht. Die 
Leistung bezieht sich auf 1919 und -1920. Koebner. 


Aerztlicher Bezirks verein Würzburg. 

Demonstrationsabend am 3. Dezember 1918. 

Herr König: 

1. 76 jähriger Prostatiker, komplette Retention. Transvesikale 
Prostatektomie in Parasakralanästhesie. 

Nach 3 Wochen ohne Katheter; obere Wunde schliesst sich. Pat. 
uriniert von selbst. Jetzt ohne Beschwerden. 

K. bespricht die Technik der transvesikalen Operation, welche 
für alle Formen der Hypertrophie geeignet ist, ihre Ungefährlichkeit 
bei örtlicher Betäubung. 

Gegenüber örtlichen Umspritzungen gibt K. heute der Lei¬ 
tungsanästhesie den Vorzug. Parasakralanästhesie 
für Operationen im Becken, Paravertebralanästhesie bei 
Nierenoperationen, auch am Magen, vor allem bei Struma, weist auf 
die Vorteile der paravertebralen Anästhesie gerade für die hier übliche 
tiefreichende Struma hin, gegenüber der alten Umspritzung, welche 
durch die Flüssigkeitsmengen die mechanische Behinderung verstärkt. 

Von zwei in der letzten Zeit operierten rein intrathorakalen 
Strumen wird ein Fall demonstriert. Die weitere Ausbildung der 
Leitungsanästhesie ist aufs eifrigste zu betreiben. 

2. 63 jährger Mann, Magenbeschwerden seit 3 Jahren, seit K Jahr 
Verschlimmerung. Druckgefühl, Völle, gelegentlich Erbrechen saurer 
Speisen. 

Diagnose (Dr. Da h Ische Klinik): Ulcus ventriculi mit Pylorus- 
verengerung. 

Operation 15. X. 18. Präpylorisches Ulcus der kleinen Kurvatur 
mit Verziehung des Pylorus. 

Resektion eines grossen Stückes des Magens, Versorgung nach 
Billroth II. Rasche Heilung. Entlassung nach 14 Tagen. 

30. XI. Untersuchung. Befinden gut 

K. bespricht die Frage der Operation bei Ulcus ventricuK. Die 
völlige Entfernung nötigt oft zu so grossen Eingriffen, wie der eben 
mitgeteilte, auch zu noch grösseren. Die Mortalität war nach v. Red- 
witz’ Berechnung 25 auf 195 Resektionen. Gegen Rückfälle sichert 
die Resektion nicht sicher, von 129 Nachuntersuchten waren 82 völlig 
gesund, 27 hatten leichte, 10 starke Beschwerden. 10 waren nachträg¬ 
lich gestorben. 

Die Gastroenterostomie statt der Resektion kann allem in einem 
grossen Teil der Fälle die Beschwerden beseitigen, bei Sitz am Py¬ 
lorus, wenn dieser verlegt ist. In solchen Fällen ist zunächst Gastro- 
enterostomia post, angezeigt. Bei präpylorischem Ulcus der kleinen 
Kurvatur, wie in obigem Fall, mit nur erschwerter Pyloruspassage, 
hat die Gastroenterostomie weniger Aussicht. 

Für sehr heruntergekommene Patienten von diesem Typ empfiehlt 
K„ nach dem Vorgehen von Roth- Lübeck. Gastroenterostomia post, 
und Reffung der Magen wand im pylorischen Teil bis 
zum Sitz des Ulcus. Raffnähte der Vorderfläche in mehreren 
Schichten verändern diesen Teil des Magens in ein wurstartiges Ge¬ 
bilde mit völlger Zuschnürung des Magenausganges. Dem günstigen 
Urteil Roths kann sich K. auf Grund von 200 operierten Fällen, einer 
hier in Würzburg, einer in Marburg operiert, anschliessen. 

Alle Magenoperierten bedürfen interner Nach¬ 
behandlung. 

3. 18 jähriges Mädchen, Ileus durch Verwachsungen. 

Vor 10 Jahren Operation im Blinddarmanfall, vor .2 Jahren Ver¬ 
schluss der postoperativen Hernie. Vor 6 Wochen Laparotomie wegen 
„Darmverschlingung“. Vor einigen Tagen leichte Anzeichen, am 
14. XI. 18 ganz akutes Auftreten von Darmverschluss. Schmerz, Kolik. 
Erbrechen, keine Flatus mehr. Laparotomie mit Exzision der Mittel¬ 
liniennarbe ergibt Erguss, Verwachsungen, geblähten und kollabierten 
Darm, alte Entzündungsreste; ein Strang, fast ringförmig, hat ein 
grosses Darmkonvolut stranguliert, wird durchschnitten, entfernt. Ver¬ 
wachsungen, soweit möglich, beseitigt. Bauch geschlossen. — Geheilt. 

Besprechung: a) Häufigkeit des Ileus, wobei K. sich an 
seine früheren Mitteilungen über Häufung der Brucheinklemmufig und 
des Ileus anschliesst. Ursache: Hyper- und Dysperistaltik, wobei oft 
Verwachsungen als Grundlage. Aber auch ohne das sind die Darm- 
Verschlüsse häufig geworden, in Form desVolvulus und derlnvagination. 
K. hat mehrere Volvuli der Flexur bei älteren Leuten operiert, durch 
Rückdrehen beseitigt, Gase durch Ausdrücken per anum entleert, Darm 
in richtiger Stellung fixiert. Ein grosses, durch Resektion der 
ganzen Partie gewonnenes Präparat von Invaginatio ileocoecalis 
bei einem älteren Manne, ohne Tumor, wird demonstriert; der Ende 
September hier von K. operierte Patient ist geheilt. 

b) Die Diagnose des Ileus muss wegen zunehmender 
Häufigkeit besonders beachtet werden. Die typischen Symptome, di: 
Darmsteifung, die feststehende Schlinge von Wahls fehlen oft. 
Bruchwasser nicht immer nachzuweisen. Akuter Anfang, Schmerz- 

Origiral frem 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



24. Dezember 1918. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1473 


attacke, absolutes Fehlen der Flatus vor allem, müssen 
genügen, um die Operation zu empfehlen. 

c) Die Nachbehandlung mit Verwachsungen be¬ 
hafteter Patienten muss sehr aktiv sein. Frühestes Aufstehen uikI Be¬ 
wegungen — die vorgestellte Laparotomierte ging 4 Tage nach der 
Operation zu Fuss in den klinischen Hörsaal. Einläufe, Schwitzbügel, 
Massage des Leibes, später Gymnastik, Massage und Schwitzbügel 
lassen manchen Erfolg erzielen. Die Operation selbst ist nur ein Teil 
der Behandlung. 

3. Chirurgische Erkrankungen bei und nach der Grippe. 

K. berichtet über mehr als 50 Empyemfälle, welche jetzt im 
Oktober/November Veranlassung zur Rippenresektion boten. Meist im 
2. Jahrzehnt, nicht ganz so viele im 1., überhaupt kein Patient über 
50 Jahre. 3 gestorben. Eiter verschieden, oft dünnflüssiger mit dicken 
Brocken, oder schlammig, seltener dickeitrig oder jauchig. Bakterio¬ 
logisch zuweilen Diplokokken, öfter Staphylo- und Streptokokken. 

Komplikationen während des Verlaufs von seiten der Lunge, be¬ 
sonders auch der zweiten Lunge. 

Weiter Peritonitis. Auch ohne Empyem, bei Grippe; ohne 
Appendixerkrankung ein Fall, nach schwerem Anfangsverlauf genesen. 
Zwei im Gefolge von Empyem gestorben. Leichtere" Appendizi¬ 
tiden im Anschluss an Grippe. 

Gelenkerkrankungen. K. stellt 2 Patienten vor, ein 
junges Mädchen, wegen Grippeempyem in Behandlung, im Verlauf 
unter Fieber rasch vorübergehender Kniegelenkserguss und Schwellung 
im Fussgelenk; ein 18 jähriger Mensch, doppelseitige Lungenaffektion, 
Empyem einer Seite reseziert. Im Verlauf heftige akute Koxitis im 
rechten Bein, jetzt einen Monat bestehend, Stellungsanomaliekontrak¬ 
tur, grösste Schmerzhaftigkeit. Jetzt Besserung nach Extension. 

Endlich zwei Beobachtungen tief gelegener Abszesse. 
Eine 30 jährige Patientin dm Anschluss an Grippe bekommt Schmerzen 
an der rechten Brust; ein grösserer Abszess hinter der äusseren Hälfte 
der Mamma, ein kleiner weiter nach rückwärts unter der Faszie des 
Serratus anticus. Inzision ergibt streptokokkenhaltigen Eiter. 

Verlauf gut, nur unterbrochen durch eintätige, mit Schüttelfrost 
einhergehende Fiebersteigerung. 

Eine 34 jährige Frau mit grossem nach Grippe entstandenen Ab¬ 
szess an der rechten Brustwand, aussen am Rippenbogen. Inzision 
ergibt dicken Eiter auf den nicht blossliegenden Rippen. Inhalt 
Staphylokokken. 

4 Tage später Infiltration am Hinterrande des linken Sternokleido- 
mastoideus, Inzision ergibt Staphylokokkeneiter, 10 Tage später In¬ 
filtration am Hinterrande des linken Musculus deltoideus. Muskel¬ 
abszess mit Staphylokokken. Entleerung. Heilung. 

K. weist auf die Bedeutung dieser Reihe von Erkrankungen hin, 
welche im Zusammenhang mit der Grippe auftreten. Die Rolle der 
Staphylokokken und Streptokokken bei der Grippe ist bei den schweren 
Lungen- und Pleuraaffektionen bekannt; eine Metastasierung nach 
anderen Stellen hat danach nichts Unmögliches. Vielleicht werden 
noch weitere Mitteilungen darüber entstehen. 


Kleine Mitteilungen. 

Aethylchlorid zur Loslösung des Spritzenstempels. 

Es kann für den Arzt eine recht fatale Situation sein, wenn er 
eine subkutane Injektion rasch machen will und der Stempel sitzt fest. 
Ausgezeichnet hat mir hierbei neulich Aethylchlorid geholfen. Ich 
sprayte gegen das Glas, dort, wo der Stempel festsass, und rasch 
schlupfte er weiter. 

Da Aethylchlorid ein jetzt so gangbares Medikament ist, wird 
bei eintretendem Festsitzen des Stempels fast immer leicht so ab¬ 
geholfen werden können. Stabsarzt Dr. Otto Marcus. 

Therapeutische Notizen. 

Beobachtungen über den heilsamen Einfluss roh 
genossener Zwiebeln auf Darmkatarrhe. 

Gelegentlich meiner mehrjährigen Tätigkeit als Militärarzt an 
der Ostfront fiel mir folgendes auf: 

Während bei unseren Soldaten, wie auch bei der Panjebevölke- 
rung, Darmkatarrhe an der Tagesordnung waren, vermisste ich die¬ 
selben bei den jüdischen Landeseinwohnern, im Gegenteil klagten 
diese höchstens über Verstopfung. Dieser Umstand musste um so 
mehr in die Augen springen, als die russischen Juden gewohnt sind, 
bei den geringsten Unpässlichkeiten ärztliche Hilfe in Anspruch zu 
nehmen. Da die Wohnungsverhältnisse der letzteren nach meinen 
Erfahrungen noch unsauberer und unhygienischer sind, als die der 
Panjes, glaubte ich den Grund für das Fehlen der Darmkatarrhe 
in der Wahl der Nahrungsmittel oder deren Zubereitung^nchen zu 
müssen. ^Abgesehen von allem Rituellen fand ich Ir J jedoch 
keinen grossen Unterschied, nur huldigten die Juden ... .ausgiebiger 
Weise dem Genüsse der rohen Zwiebeln, und zwar der ganzen 
Pflanze, sowie des Knoblauchs, während die Panjes es nicht taten. So 
kam ich zu dem Schluss, dass möglicherweise diesen Feldfrüchten ein 
Einfluss auf die Darmtätigkeit zuzuschreiben sei. Um die erwartete 
Wirkung zu erproben, genoss ich bei gelegentlicher Selbsterkrankung 
an heftigen Durchfällen ein mit rohen Zwiebelscheiben belegtes But¬ 
terbrot mit dem Erfolg, dass die Durchfälle alsbald aufhörten. Mehr¬ 
fache, bei gleichem Anlass wiederholte, .Versuche ergaben stets die- 

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selbe gute therapeutische Wirkung. Bei diesen Erprobungen benutze 
ich nie eines der üblichen Heilmittel oder Beruhigungsmittel, welche 
man sonst bei Darmerkrankungen anzuwenden pflegt, lebte auch in 
keiner Weise diät, sondern beschränkte mich hinsichtlich der Heil¬ 
methode ausschliesslich auf den Zwiebelgenuss. Nach diesen guten 
Erfahrungen am eigenen Leibe hielt ich mich für berechtigt, meine 
Zwiebeltherapie auch bei anderen Kranken anwenden zu dürfen. In 
der Tat wurden auch hier dieselben günstigen Ergebnisse erzielt. Da¬ 
durch veranlasst,, gab ich späterhin als ordinierender Arzt an der 
Seuchenabteilung eines Feldlazaretts den Ruhrkranken nach dem Auf¬ 
hören der blutigen Stühle feingehackte Zwiebeln unter Kartoffelbrei 
gemischt und konnte dabei eine bedeutend schnellere Wiederherstel¬ 
lung der Darmfunktion feststellen. 

Somit scheint die roh genossene Zwiebel zweiifellos Einfluss auf 
die Darmtätigkeit zu haben. Dr Eberhard W i 1 b r a n d. 

Oberarzt d. Res. bei einem Feldlazarett. 

Ameisensäure als Prophylaktikum gegen Grippe. 

Seit 5 Jahren mit der Nachprüfung der von K r u 11 - Güstrow 
inaugurierten Ameisensäurebehandlung bei verschiedenen Krankheiten 
(kurzer Bericht darüber in Nr. 28 u. 32 des Aerztl. Zentralanzeigers 
Hamburg, Jahrg. 1917) beschäftigt, wurde ich Mitte November d. J. 
von zwei auswärtigen Patienten darauf aufmerksam gemacht, dass sie 
nicht an Grippe erkrankt seien, obwohl in ihrem Hausstande sämtliche 
übrigen Mitglieder daran erkrankt gewesen wären; ob dies wohl der 
Ameisensäure zuzuschreiben sei? — Seitdem habe ich sämtliche von 
mir mit subkutanen Ameisensäureinjektionen behandelten Patienten 
darüber befragt und zu meinem Erstaunen (es handelt sich um über 
100 Patienten) von sämtlichen ohne Ausnahme gehört, dass sie nicht 
an Grippe erkrankt seien. Ich würde daher diese Injektionen als 
Prophylaktikum empfehlen; ich verwende subkutane Injektionen von 
0,2—0,5 ccm einer Lösung Ac. form. 1:100 000 Aq. dest., welche ich 
meist alle 4 Wochen wiederhole. Da bei vielen Krankheiten (z. B. 
Gicht) eine Reaktion des kranken Organismus auf diese Injektionen 
frühstens in 10 Tagen eintritt, müsste man wohl auch diesen Zeit¬ 
raum bei der Beurteilung der Wirksamkeit als Prophylaktikum gegen 
Grippe mit in Rechnung stellen. Sanitätsrat Dr. Reuter- Greiz. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 19. Dezember 1918.*) 

— Die Einführung des Achtstundentages bedingt eine so be¬ 
trächtliche Verzögerung der Fertigstellung unserer Nummern in 
Druckerei und Buchbinderei, dass sich eine Verlegung des 
Ausgabetages notwendig gezeigt hat. Die Nummern werden 
daher in Zukunft am Freitag, statt wie bisher am Dienstag, die 
nächste Nummer also am Freitag den 3. Januar 1919, erscheinen. 

— In Deutschland bemühen sich anarchistische, auf Waffengewalt 
gestützte Elemente mit wachsendem Erfolg, die Herrschaft zu ge¬ 
winnen. Keine politische Versammlung ist vor Störungen sicher. 
Selbst der Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin 
ist durch bewaffnete Banden unterbrochen worden; im bayerischen 
Nationalrat ist Kollege Ho hmann, der dem Ministerpräsidenten 
Eisner einige mannhafte Worte zu sagen wagte, mit Hinauswurf 
bedroht worden. Ein besonders empörender Fall war die Sprengung 
einer Akademikerversammlung am 16 ds. in München. Hier hatte 
Dr. Hohmann über das Thema: „Die deutsche Studentenschaft und 
die politische Lage“ gesprochen und Prof. Sauerbruch in ein¬ 
dringlichen Worten die akademische Jugend ermahnt sich ihres 
Deutschtums bewusst zu bleiben und mit deutscher Arbeit und deut¬ 
scher Kraft am Werk des Wiederaufbaus Deutschlands mitzuwirken. 
Da drangen im weiteren Verlauf der Aussprache Matrosen und Sol¬ 
daten mit Gewehren, Handgranaten und Revolvern bewaffnet in den 
Saal ein und bedrohten die Anwesenden, die einer körperlichen Unter¬ 
suchung auf Waffen unterzogen wurden. Nur der Besonnenheit der Ver¬ 
sammlungsteilnehmer ist es zuzuschreiben, dass namenloses Unheil ver¬ 
hütet wurde. Wenn diesem Unwesen nicht bald und gründlich ab¬ 
geholfen wird, muss dem weiteren Verlauf der Wahlbewegung und 
den Wahlen selbst mit ernster Besorgnis entgegengesehen werden. 

— Man schreibt uns aus Berlin: Die Medizinalabteilung des 
preussischen Ministeriums des Innern ist im Verein mit dem Zentral¬ 
komitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preussen bzw. dem 
Reichsausschuss für das ärztliche Fortbildungswesen aufs Eifrigste 
bemüht, an möglichst zahlreichen Stellen Gelegenheit zur ärzt¬ 
lichen Fortbildung zu schaffen. Beabsichtigt sind: 1. für 
regelrecht im Frieden approbierte Aerzte Kurse in der Frühdiagnose 
und Frühbehandlung der übertragbaren Geschlechtskrankheiten, 
2. unentgeltliche Semesterkurse über zahlreiche Disziplinen der ärzt¬ 
lichen Wissenschaft, 3. haben sich etwa 80 grosse Krankenhäuser 
in Preussen bereit erklärt, Aerzte, die aus dem Felde heimkehren, 
für 2—3 Monate unter gewissen Vergünstigungen als Volontäre auf¬ 
zunehmen, 4. beabsichtigt der Berliner Dozentenverein auch seine 
üblichen Monatsfortbildungskurse wieder zu veranstalten. Für die 
während des Krieges approbierten Aerzte sind über das ganze Reich 
verteilt systematische Kurse über das gesamte Gebiet der Medizin 

*) Wegen des Weihnachtsiestes musste die vorliegende Nummer 
früher fertiggestellt werden. 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



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MUENCHENER medizinische WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 52 . 


ins Auge gefasst. Näheres über diese Kurse wird in nächster Zeit 
veröffentlicht werden. Vorläufige Wünsche und Anfragen sind an das 
Kaiserin-Friedrich-Haus Berlin NW. 6, Luisenplatz 2 —4, zu richten. 

—« Um dem Fortbildungsbedürfnis vieler neuapprobierter Aerzte, 
welche die Friedensmedizin praktisch noch nicht ausgeübt haben, ent¬ 
gegenzukommen, wollen eine Anzahl Berliner Kliniken, näm¬ 
lich die Chirurgische Universitätsklinik, die Universitäts-Augenklinik, 
die Universitäts-Frauenklinik und das klinische Institut für innere 
Medizin, sich in den Dienst ihrer Kollegen stellen und ihnen in kli¬ 
nischen Vortrags- und Demonstrationsabenden die 
modernen ärztlichen Behandlungsmethoden vermitteln helfen. Die 
Vorträge finden, in jeder Klinik einmal wöchentlich, von Montag bis 
Freitag statt, der erste in der Chirurg. Klinik Ziegelstr. 5/9 am Montag, 
den 6. Januar, abends 8 Uhr. Alle Berliner Aerzte sind zu diesen Vor¬ 
tragsabenden eingeladen. 

— Das preuss. Kultusministerium hat die Einschaltung 
eines medizinischen Semesters für die aus dem Felde 
heimkehrenden Studierenden in der Zeit von Februar bis April 1919 
beschlossen, (hk.) 

— Das Akademische Direktorium der Universität Freiburg i. B. 
schreibt: Kriegsnotsemester für Kriegsteilnehmer. 
Das laufende Wintersemester endigt am 21. Januar 1919. Alsdann 
wird ein Kriegsnotsemester eingeschoben, für welches die Immatri¬ 
kulationen am 25. Januar 1919 beginnen und am 15. Februar endigen. 
Der Vorlesungsbeginn ist auf 4. Februar festgesetzt. Dieses Zwischen¬ 
semester endigt am 16. April. Für den offiziellen Beginn des ordent¬ 
lichen Sommersemesters 1919 ist der 26. April in Aussicht genommen. 
An diesem Tage nehmen die Immatrikulationen ihren Anfang und 
am 6. Mai die Vorlesungen. Das Kriegsnotsemester, welches in allen 
Fakultäten die für einen geordneten Studienbetrieb erforderlichen Vor¬ 
lesungen und Uebungen bietet, soll den Kriegsteilnehmern als Studien¬ 
semester angerechnet werden. Zum Teil liegen diesbezügliche zu¬ 
stimmende Entschliessungen der zuständigen Behörden bereits vor. 
Die Nichtkriegsteilnehmer können an den Vorlesungen des Kriegsnot¬ 
semesters teilnehmen, jedoch haben sie keine Anwartschaft auf An¬ 
rechnung desselben. Dagegen bleiben sie von den Uebungen (ins¬ 
besondere medizinischen und naturwissenschaftlichen) ausgeschlossen. 
Neben den geordneten Vorlesungen und Uebungen werden Er¬ 
gänzungskurse abgchalten, die dem Zweck dienen sollen, den Kriegs¬ 
teilnehmern über Mängel in ihrer Vorbildung hinwegzuhelfen und 
ihnen die Einarbeitung zu erleichtern. Das Programm des Kriegs¬ 
notsemesters wird Ende dieses Monats zur Ausgabe gelangen. 

— Zur Erhöhung der Einkommensgrenze für die 
Krankenversicherungspflicht schreibt die Berl. Ae.Korr.: 
Welche Umwälzung durch einen Federstrich in den Erwerbsverhält¬ 
nissen des Aerztestandes eintreten, wie sehr die freie Klientel des 
Arztes in Zukunft eingeschränkt werden wird, das kann sich jeder 
selbst sagen. Diese Aenderung muss zu einer Proletarisierung der 
Aerzte führen — eine eigenartige Form des Dankes für die während 
des Krieges geleisteten Dienste, die man, solange man die Aerzte 
brauchte, nicht laut genug rühmen konnte. Wir haben nicht die Macht, 
diese Verordnung rückgängig zu machen; unser Pflichtbewusstsein hält 
uns davon ab, unter den heutigen Zeitumständen das zu tun, was unter 
geordneten Verhältnissen als Antwort auf diese Verordnung unweiger¬ 
lich geschehen müsste. Wir müssen aber verlangen, dass jeder Arzt 
zur Kassenpraxis zugelassen, und dass das Honorar nach dem Ein¬ 
kommen der Kassenmitglieder gestaffelt wird. In Zukunft aber raten 
wir gerade diesem Staatssekretär bei Eingriffen in die berufliche 
Tätigkeit der Aerzte auch die Beteiligten zu hören, sonst könnte er es 
doch noch erleben, dass er Qesetzesparagraphen macht, die letzten 
Endes nur auf dem Papier stehen bleiben. Denn auch die Gutmütig¬ 
keit der Aerzte hat ihre Grenze. 

— Man hat den Revolutionsregierungen zum Vorwurf gemacht, 
dass sie sich eine allzu freigebige Entschädigung ihrer Mitarbeiter 
und Angestellten angelegen sein lassen. Auf das neue bayerische 
Ministerium für soziale Fürsorge trifft, wenigstens so¬ 
weit ärztliche Kräfte in Frage kommen, dieser Vorwurf nicht zu. 
Dieses Ministeriums schreibt (d. Wschr. Nr. 51) die Stelle eines „ärzt¬ 
lichen Hilfsarbeiters“ aus, dem bei Ausschluss der Privatpraxis ein 
Jahresgehait von 4800 M„ 600 M. widerrufliche Teuerungszulage und 
Vergütung von Reisekosten gewährt werden sollen. 'Es handelt sich 
nicht um eine Anfängerstelle, sondern die Bewerber müssen ausser 
Approbation und Promotion auch grössere praktische Erfahrung auf 
allen Gebieten der sozialen Hygiene und der sozialen Fürsorge nach- 
weisen. Eine solche Stelle müsste einem Arzt ausreichende Mittel 
für den standesgemässen Unterhalt einer Familie bieten. Dass ein 
Gehalt von 5400 M. dazu nicht ausreicht, ist klar. Es ist bedauerlich 
und fordert zu entschiedenem Widerspruch auf, dass auch im freien 
Volksstaat die Aerzte das Aschenbrödel sein sollen, während für alle 
anderen Zwecke mit dem Geld nicht gespart wird*. 

— Die Gross-Berliner Vertragskommission hat 
mit der Akademischen Krankenkasse an der Technischen Hochschule 
zu Berlin einen Vertrag abgeschlossen auf der Grundlage folgender 
Sätze: für die 1. Konsultation 4 M., für die folgenden je 3 M.; Jür den 
1. Hausbesuch 5 M., für jeden folgenden je 4 M.; für einen Nachtbesuch 
10 M., für eine Nachkonsultation 6 M.; alle Sonderleistungen nach 
den Mindestsätzen der preuss. Gebührenordnung. 

— Das preuss. Ministerium des Innern erlässt eine Warnung 
vor der Verwendung der .Mohnpflanze als Tabak¬ 


ersatz. Nach Untersuchungen von Pott-Freiburg geht beim 
Opiumrauchen unzersetztes Morphium in den Rauch über. Da nun 
Alkaloide der Morphingruppe in der ganzen Mohnpflanze, wenn auch 
in geringeren Mengen sich vorfinden, so sind nicht mir die Mohn¬ 
kapseln, sondern auch Blätter und Stengel des Schlafmohns als Tabak¬ 
ersatzstoffe zu vermeiden. 

— Das Kriegsministerium in Berlin* Allgemeines Kriegsdeparte¬ 
ment, schreibt uns: Verschiedentlich ist in der Fachpresse darauf hin¬ 
gewiesen worden, dass den Tierärzten und Aerzten bei der Demobil¬ 
machung zur Ausübung ihrer Privatpraxis geeignete Pferde in hinläng¬ 
licher Zahl und zu erschwinglichen Preisen aus Heeresbeständen über¬ 
lassen werden möchten. Das Departement ersucht, darauf aufmerksam 
machen zu wollen, dass diejenigen Tierärzte und Aerzte. die zur Aus¬ 
übung ihrer Privatpraxis Pferde behötigen und diese zu angemessenen 
Preisen aus Heeresbeständen zu' erwerben beabsichtigen, sich zu 
diesem Zwecke unverzüglich an ihre Ortsbehörden zu wenden, soweit 
dies noch nicht geschehen ist, um auf die Bedarfsliste über Arbeits¬ 
pferde gesetzt zu werden und um Pferdekarten' zu erhalten, die sie 
zum Erwerb von Pferden auf den unter Ausschluss der Händler statt¬ 
findenden Versteigerungen berechtigen. 

— Am Augustahospital in Berlin ist die Stelle eines 
leitenden Arztes der inneren Abteilung neu zu besetzen. Näheres im 
Anzeigenteil d. Nr. S. 6. 

— Der Vorstand der Aerztekammer für die Provinz Brandenburg 
und den Stadtkreis Berlin hat beschlossen, bis zur beendeten Demobil¬ 
machung einen Arbeitsnachweis für Aerzte einzurichten und 
versendet Vordrucke zur Feststellung des Bedarfs an Aerzten mit An¬ 
gabe der Spezialität und des in Aussicht genommenen Honorars. Kosten 
erwachsen durch die Inanspruchnahme des Nachweises nicht. 

— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom I. bis 
7. Dezember wurden 7 Erkrankungen gemeldet. 

— Ruhr. Preussen. In der Woche vom 24. bis 30. November 
sind 66 Erkrankungen und 16 Todesfälle gemeldet worden. 

— In der 48. Jahreswoche, vom 24. bis 30. November 1918, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Münster i. W. mit 56,6, die geringste Gladbeck mit 11.3 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Diphtherie und Krupp in Flensburg, Wilhelmshaven. 

Vöff. Kais. Ges.A. 

Hochschul nachrichte n. 

F r a n k f u r t a. M. Dr. med. Günther H e r t w i g, Assistent an 
der Dr. Senckenbergischen Anatomie, hat sich für normale Ana¬ 
tomie habilitiert. Thema der Antrittsvorlesung: „Die morphologischen 
Grundlagen der Geschlechtsbestimmung“. 

Halle. 2645 immatrikulierte Studierende weist im laufenden 
Wintersemester die Universität Halle auf, davon gelten 2040 für be¬ 
urlaubt. Die medizinische Fakultät zählt 478, davon 16 Studierende 
der Zahnheilkunde, (hk.) 

Jena. Von der medizinischen Fakultät der Universität Jena ist 
dem Assistenten an der chirurgischen Klinik Dr. med. Franz Keysser 
die Erlaubnis zum Halten von Vorlesungen für das Fach der Chirurgie 
erteilt worden, (hk.) —* Prof. Henkel ist von der neuen Regierung in 
seine alten Rechte wieder eingesetzt worden und übernahm am 10. De¬ 
zember wieder die Leitung der Universitäts-Frauenklinik. 

München. Der Geheime Hofrat Dr. med. Sauerbruch. 
Vorstand der chirurgischen Klinik in München, ist zum Mitglied des 
bayer. Obermedizinalausschusses ernannt worden, (hk.) — Winter¬ 
semester 1918/19 8625 immatrikulierte Studierende, davon 2481 Medi¬ 
ziner, 101 Studierende der Zahnheilkunde, 308 Studierende der Tier¬ 
heilkunde und 154 Pharmazeuten, (hk.) 

Tübingen. Die Zahl der Studierenden beträgt in diesem 
Semester 2727 (W.-S. 1917/18: 2473), darunter Frauen 260; anwesend 
in Tübingen 660. Die Zahl der Miedizinstudierenden ist 699 (581), 
davon weibliche 127; anwesend in Tübingen 275. 

Todesfall. 

In Pest starb der bekannte» Chirurg Professor an der dortigen 
Universität Dr. Eman. Freih. v. Herczel im Alter von 55 Jahren, (hk.) 

' " ' ' - ■ =^== - 

Weihnachtsgabe für arme Arztwitwen in Bayern. 

Ueberrag 1910 M. Med.-Rat Dr* Fortner-Bad Tölz 40 M. 
Bez.-Arzt : -r. Bernhuber -Vilsbiburg 10 M. Med.-Rat Dr. Schön- 
Ingolstadt 10 M. Dr. L e i'tn e r - Erding 20 M, Oberstabsarzt Dr. 
Krimme, 1 - Landsberg 20 M. Bez.-Arzt Dr. S <Th 1 i e r - Lauf 25 M. 
Med.-Rat Dr. Bauer- Freising 20 M. Bez.-Arzt Dr. Fest- Dingol- 
fing 20 M. Dr. P r e y - Siegsdorf 10 M. Dr. 0tto v. Fleisch!- 
M a r x o w - Locarno 300 M. Dr. Braune- Mkt Einersheim 20 M. 
Dr. Brendel-München 30 M. Dr. Otto Schröt h-Bad Reichen¬ 
hall (Kolleg.-Hon.) 20 M. Prof. Dr. Zieler- Wiftzburg 20 M. Prof. 
Dr. Sei,, v e r - Stuttgart (Abgel. Hon.) 10 M. *. Obermed.-Rat Dr. 
W o h lm*' München 20 M. Dr. v. S c h e r p e n b e r g - München 
20 M. Sue ui 2545 M. 

Allen*! 1 ^ 61 ' 11 besten Dank. 

Dank und Quittung erfolgen- nur in der Münch, med. Wochenschr. 

Um weitere Gaben bittet 

/ Der Kassier des Aerztl. Invalidfenheims, Abteil. Witwenkasse 
V / Dr. H o 11 e r b u s c h, Fürth, Mathildenstr. 1. 

Wi*wenkassen-Postscheckkonto Nr. 6080. Postscheckamt Nürnberg. 



ift fas München S W. 2, Pani Heyscatr. 26. — Dhick von E. MflhHfaaler’a Buch- and KansidnKlcmi A.G., München. 

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